Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/23/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zur letzten Plenarsitzung in dieser Woche . Der Bundestag ist nicht nur, aber auch deswegen heute Morgen zusammengetreten, um dem Kollegen Ulrich Petzold zu seinem heutigen 65 . Geburtstag zu gratulieren ({0}) und nachträglich dem Kollegen Wilfried Lorenz, der in der vergangenen Woche seinen 74 . Geburtstag gefeiert hat . Ihnen beiden alle guten Wünsche des Hauses für das neue Lebensjahr . ({1}) Wir rufen jetzt den Tagesordnungspunkt 38 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit Drucksache 18/8740 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. - Das ist offenkundig einvernehmlich . Also können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Volker Kauder für die CDU/ CSU-Fraktion . ({3})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon vor fast 20 Jahren hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion das Erstellen eines Berichts über Religionsfreiheit und die Verfolgung von religiösen Minderheiten im Deutschen Bundestag thematisiert . Das war unter der Regierung Schröder . Die Regierung Schröder sah damals keine Veranlassung, feststellen zu lassen, dass es eine nennenswerte Verfolgung vor allem von Christen in der ganzen Welt gibt . Heute diskutieren wir erneut über einen Bericht der Bundesregierung . Dieser Bericht zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist erstmals aufgrund eines Antrages aus diesem Parlament entstanden . Zunächst einmal muss man sagen, dass wir dafür dankbar sind, dass die Bundesregierung diesen Bericht verfasst hat und wir heute die Möglichkeit haben, über dieses Thema, über das wohl wichtigste Menschenrecht überhaupt, das Recht auf Religionsfreiheit, miteinander zu diskutieren . In diesem Bericht wird an mehreren Beispielsfällen der Frage nachgegangen, was die typischen Verfolgungsmuster sind . Wobei in diesem Bericht auch klargestellt wird, dass es unterschiedliche Formen der Verfolgung gibt: Es gibt zum Beispiel die Ausgrenzung . Es gibt aber auch schwere Strafen für Vergehen gegen die Vorgaben eines Staates, dass nur bestimmte Religionen zugelassen werden . Dieser Bericht widmet ein besonderes Kapitel einem Thema, das zunehmend Anlass für Unterdrückung und Verfolgung ist, nämlich die Frage der Konversion . In Artikel 18 der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen steht nämlich nicht nur expressis verbis, dass jeder das Recht hat, seine Religion frei und öffentlich zu leben, sondern dort steht auch, dass jeder das Recht hat - weil dies zur Religionsfreiheit gehört -, seine Religion zu wechseln oder auch nichts zu glauben . Es gibt eine ganze Reihe von Staaten - vor allem islamische Staaten und Staaten, in denen Muslime die Mehrheit darstellen -, in denen der Wechsel vor allem aus der islamischen Religion mit Strafen, teilweise mit harten Strafen bedroht wird . Selbst in den Ländern, in denen die Religionsfreiheit in der Verfassung garantiert wird, gibt es in Gesetzen und Strafgesetzbüchern harte Sanktionen bei einem Wechsel, immer wieder auch mit dem Hinweis darauf, dass er dann bestraft wird, wenn er öffentliches Aufsehen erregt hat. Aber wer entscheidet darüber, was „öffentliches Aufsehen“ bedeutet? Wenn jemand die Religion wechselt und dies in einem kleinen Dorf bekannt wird, kann das natürlich zu Aufsehen führen, weil die Angehörigen der Religion, von der man gewechselt ist, dies publik machen . Diesem Punkt wird eine besondere Aufmerksamkeit zugewendet . Allerdings stellt der Bericht ein gewisses Problem für uns, die wir uns schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten mit diesem Thema befassen, dar . Es wird nämlich vom klassischen Muster der sogenannten Länderberichte abgewichen . Jetzt kann man sagen: Gut, man kann ja ein neues Darstellungsverfahren wählen . - Aber warum gerade hier und beispielsweise nicht in dem Bericht zur Menschenrechtslage, der auch regelmäßig vorgelegt wird und in dem Beschreibungen nach Länderkategorien oder zumindest nach regionalen Kategorien erfolgen? Das führt dazu, dass man intensiv nachschauen muss, wo bzw . in welchen Kapiteln die entsprechenden Länder aufgeführt sind, und dann zusammentragen muss, was die Bundesregierung dazu meint, wie schlimm, wie tragisch oder wie auffällig die Verfolgungssituation in den verschiedenen Ländern ist . Das hat zur Folge, dass - sicher aus Versehen - auch das eine oder andere vergessen wird . Ein Beispiel . Alle, die sich intensiv mit diesem Thema befassen, wissen, dass vor allem Pakistan mit seinen Blasphemiegesetzen eine besondere Sanktion im Bereich der Religionsfreiheit - in Anführungsstrichen - vorsieht . Schaue ich mir nun in diesem Bericht die verschiedenen Stellen an, an denen Pakistan aufgeführt wird, stelle ich fest: Dort steht, dass in Pakistan vor allem muslimische Minderheiten verfolgt werden . Es steht dort kein einziges Wort darüber, dass in Pakistan Christen verfolgt werden, und dies vor dem Hintergrund - das muss ich der Bundesregierung schon sagen -, dass wir alle seit Jahren, auch hier in diesem Haus, mit großer Sorge das Schicksal von Asia Bibi verfolgen, die mit ihren fünf Kindern noch immer im Gefängnis sitzt . Das letzte Urteil ist noch immer nicht gesprochen . Wir müssen immer noch bangen, dass das Todesurteil gegen sie nicht doch vollstreckt wird . Dass in dem Bericht im Zusammenhang mit Pakistan das Thema „Christen und Asia Bibi“ nicht erwähnt wird, ist nicht akzeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({0}) Wir finden in diesem Bericht auch neue Begrifflichkeiten, die im Menschenrechtsbericht nicht auftauchen, etwa „antimuslimischer Rassismus“ . Gleichzeitig wird die sogenannte Christianophobie, die im Menschenrechtsbericht noch ausdrücklich benannt wird, in diesem Bericht gar nicht aufgeführt . Der Hinweis auf antimuslimischen Rassismus ist außerordentlich schwierig . Bei der Einführung dieses Begriffs hätte man zumindest einen Hinweis auf die sehr intensive Diskussion über diesen Begriff - ob man so etwas überhaupt sagen kann erwarten können . Ein Letztes . Wenn wir uns anschauen, was in dieser Welt passiert, dann sehen wir, dass Angehörige von Minderheiten bis hin zum Tod verfolgt werden . Ich denke dabei beispielsweise auch an Muslime im Irak . Allerdings steht in diesem Bericht nur relativ wenig - um nicht zu sagen: fast nichts - darüber, dass die Christen die größte verfolgte Gruppe in der ganzen Welt sind - mindestens 100 Millionen Menschen -, und er enthält beispielsweise auch keine Hinweise auf Boko Haram in Afrika . Das zeigt schon, dass wir uns in der Diskussion im Ausschuss mit diesem Punkt noch einmal ausdrücklich befassen müssen . Hier reicht der Hinweis auf den Bericht der beiden großen Kirchen, der evangelischen und der katholischen Kirche - und ich füge hinzu: auch der jährliche Bericht von Open Doors zu diesem Thema wurde wahrscheinlich vergessen -, nicht . ({1}) Man fragt sich, ob es in dieser Frage nicht doch notwendig wäre, dem Beispiel anderer Staaten zu folgen . Die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und Norwegen beispielsweise haben bzw . hatten einen Sonderbotschafter für Religionsfreiheit . Bisher wurde dies aus der Bundesregierung immer mit dem Hinweis abgelehnt: Wir haben ja einen Menschenrechtsbeauftragten . - Aber man sieht deutlich, dass Menschenrechte im Allgemeinen und Religionsfreiheit im Besonderen unterschiedliche Ansatzpunkte haben . Gerade deshalb, weil wir jetzt erleben, dass Religion zu einem dramatischen Thema politischer Auseinandersetzungen wird - bis hin zu der Frage von Krieg und Frieden -, würde ich mir wünschen, dass wir uns mit dieser Frage noch einmal ausführlich beschäftigen . Wir hatten in der letzten Woche eine große internationale Parlamentarierkonferenz zum Thema Religionsfreiheit hier in Berlin in unserem Fraktionssitzungssaal . Alle Religionen waren dort vertreten, und wir haben teilweise dramatische Berichte von Abgeordneten gehört, die Minderheiten angehören . Besonders dramatisch war der Bericht einer Kollegin aus Pakistan, die dargelegt hat, wie es in diesem Land aussieht . Deswegen sollten wir uns, glaube ich, in den Beratungen des Ausschusses noch einmal ausführlich mit dieser Frage befassen . Ich fasse zusammen: Wir sind dankbar, dass die Bundesregierung diesen Bericht erstmals vorgelegt hat . Ich weiß aus vielen Besuchen bei deutschen Botschaften in der ganzen Welt, dass sie unglaublich gute Informationen über die konkrete Situation im jeweiligen Land haben und uns darüber auch sehr pointiert berichten . Ich würde mir wünschen, dass in einem neuen Bericht darüber mehr zu lesen wäre . Vielen Dank . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der nächste Redner ist Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich nach der Rede leider gehen muss, weil ich auf einer Europakonferenz meiner Fraktion zu sprechen habe . ({0}) Es handelt sich also nicht darum, dass mich das nicht interessiert, und ich verspreche Ihnen auch: Alle Reden zu diesem Debattenpunkt werde ich anschließend lesen . Wenn wir über Religions- und Glaubensfreiheit diskutieren, müssen wir auch die europäische Geschichte betrachten . Sie alle wissen: Im Mittelalter, vom 11 . bis zum 13 . Jahrhundert, gab es entsetzliche Kreuzzüge . Gewaltsam wurde das Christentum durchgesetzt . Wenn heute über Flüchtlinge gesprochen wird, sollten wir auch an andere Teile der europäischen Geschichte denken: Es waren die Europäerinnen und Europäer, die Nord-, Mittel- und Südamerika besetzten und die indigene Bevölkerung zum Teil grausam umbrachten und unterdrückten . Sie brachten ihre Sprachen - Englisch, Spanisch, Portugiesisch - auf den amerikanischen Kontinent und setzten ihre Sprachen, ihre Kultur und ihre Religion durch . Es waren Europäerinnen und Europäer, die Australien besetzten und ihre Sprache, Kultur und Religion gegenüber den Aborigines gewaltsam durchsetzten . Und die Kolonien? Trotz der gegenteiligen Unkenrufe von ganz rechts: Eine solche Gefahr besteht für Europa gegenwärtig überhaupt nicht . ({1}) Nach den demokratischen Revolutionen in Europa wurde die Religions- und Glaubensfreiheit zu einem wichtigen Gut - allerdings mit wesentlichen Einschränkungen, wenn ich an die zahllosen Pogrome gegen Menschen jüdischen Glaubens in vielen europäischen Ländern und die millionenfache Ermordung von Jüdinnen und Juden durch Nazideutschland denke . In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen wurde die Religions- und Glaubensfreiheit nach 1945 als allgemeines Menschenrecht weltweit gefordert . Dazu gehört auch, dass Religion freiwillig ist - wie Sie es gesagt haben, Herr Kauder -, man sich also auch entscheiden darf, nicht religiös zu sein . ({2}) In vielen Verfassungen wird seit dieser Zeit die Religions- und Glaubensfreiheit garantiert . Aber die Praxis sah und sieht anders aus . Die staatssozialistischen Länder zum Beispiel benachteiligten einen Teil der gläubigen Menschen und gewährten ihnen keine Chancengleichheit . Unvergleichlich und viel schlimmer erleben wir die Verhältnisse heute: Al-Qaida und der „Islamische Staat“ verfolgen und jagen Schiiten, also andere Muslime, Jesidinnen und Jesiden sowie Christinnen und Christen . Ich hätte wirklich nicht geglaubt, in meinem Leben eine solche Verfolgung von Christinnen und Christen noch zu erleben; aber sie geschieht auf barbarische und brutale Art und Weise . Die Welt ist aber gelegentlich verkehrt gestrickt . Wenn Sie auch mit Assad nicht reden: Er schützt die Christinnen und Christen, während andere in Syrien sie jagen und verfolgen . - Und in Europa? In Europa gibt es eine immer stärkere Diskreditierung von Menschen islamischen Glaubens . Das widerspricht klar dem Stand unserer demokratischen und kulturellen Zivilisation . ({3}) Wir müssen die Religions- und Glaubensfreiheit auch für Menschen islamischen Glaubens garantieren . Allerdings wird der Islam auch von Extremisten missbraucht, um Gewalt zu rechtfertigen . Diesen Missbrauch hat es vor einigen Jahrhunderten, wie dargestellt, auch im Hinblick auf das Christentum gegeben . Schon deshalb müssen wir entschieden gegen diesen Missbrauch der Religion auftreten . ({4}) Ich wünsche mir, dass gerade die Organisationen friedlicher Muslime in Deutschland sich so entschieden wie möglich in Verlautbarungen, auf Demonstrationen und Kundgebungen von diesem Missbrauch ihrer Religion distanzieren und ihn verurteilen . ({5}) Die AfD erklärt, dass der gesamte Islam nicht zu Deutschland gehöre . Sie beschränkt sich nicht auf den politischen Islam, auf den Missbrauch der Religion, sondern will eine gesamte Religion ausschließen . Sie will Minarette, Schleier und Muezzinrufe verbieten . - Zu den Schleiern werde ich noch etwas sagen . - Außerdem will sie Spenden aus dem Ausland zum Bau von Moscheen verbieten . Da nach dem Grundgesetz Menschen, aber auch Religionsgemeinschaften gleichzubehandeln sind, bedeutete das auch das Verbot von Spenden für den übrigen Kirchenbau . Wenn man allein an das Verhältnis unserer katholischen Kirche zum Vatikan oder an das Verhältnis der russisch- und griechisch-orthodoxen Kirchen zu Russland und Griechenland denkt, wird einem die Absurdität und Abenteuerlichkeit dieser Idee sofort klar . ({6}) Die anderen Forderungen der AfD verletzen eindeutig und schwer den Artikel 4 Absatz 1 und 2 unseres Grundgesetzes . Ich zitiere wörtlich Absatz 1: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich . Absatz 2: Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet . Stellen Sie sich vor, die AfD käme umfassend an die Macht . Sie müsste entweder Artikel 4 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes streichen, oder, wie die polnische Führung das polnische Verfassungsgericht, das Bundesverfassungsgericht entmündigen - dieses Gericht würde Gesetze zur Einschränkung oder zum faktischen Verbot der Ausübung einer Religion immer als grundgesetzwidrig aufheben -, oder sie müsste das Bundesverfassungsgericht ganz abschaffen. Als nichtreligiöser Mensch sage ich Ihnen heute: Gott sei Dank wird die AfD einen solchen weitgehenden Einfluss wohl nicht bekommen. ({7}) Eine Bitte an die Medien: Wenn man in den Medien Muslime sieht und hört, dann rufen sie entweder so laut nach Allah, dass manche Menschen bei uns Angst bekommen, oder sie sprengen sich als Selbstmordattentäter in die Luft . Wie wäre es damit, einmal die Millionen friedlich betender, arbeitender und gastfreundlicher Muslime zu zeigen, die sich um ihre Kinder, ihre Angehörigen, ihre Freundinnen und Freunde kümmern? ({8}) Das ist keine Nachricht? Ich glaube, es wäre zurzeit eine besonders wichtige Nachricht . Noch etwas zur Kleidung . Ich denke an das Kopftuch und die Burka . Also, wenn es nicht unbedingt nötig ist, sollte sich der Staat nicht in Kleiderfragen seiner Bürgerinnen und Bürger einmischen . ({9}) Wenn Mädchen und Frauen ihre Kopftücher tragen wollen, dann ist das ihre Angelegenheit . Wenn sie dazu aber gezwungen werden, dann müssen wir sie schützen . ({10}) Dasselbe gilt für die Burka, auch wenn ich Menschen lieber ins Gesicht sehe . Allerdings muss es hier - auch wenn die Burka freiwillig getragen wird - Einschränkungen geben: Erzieherinnen, Lehrerinnen, Beschäftigte im öffentlichen Dienst mit Publikumsverkehr, Richterinnen, Staatsanwältinnen, Notarinnen, Rechtsanwältinnen und andere müssen bei ihrer Arbeit ihr Gesicht zeigen: für die Kinder, für andere Bürgerinnen und Bürger, für die Öffentlichkeit . Außerdem gibt es Kontrollen, bei denen das Gesicht gezeigt werden muss . Mit anderen Worten: Das Notwendige müssen wir regeln und ansonsten die Freiheit der Menschen, einschließlich der Religions- und Glaubensfreiheit sowie des Rechts auf Freiheit von der Religion, achten . ({11}) Es gilt, diese Freiheit in Deutschland durchzusetzen und dafür weltweit zu streiten . Für Menschenrechte kann man sich nicht je nach politischen Gegebenheiten einsetzen, wie es die Bundesregierung macht . Sie schweigt zu vielen Menschenrechtsverletzungen von Erdogan, und in anderen Fällen nutzt sie Menschenrechtsverletzungen sogar als Begründung für militärische Aktionen . Das ist höchst unglaubwürdig . ({12}) Für Menschenrechte muss man sich immer und gegenüber jedermann einsetzen, sonst wird man diesbezüglich unglaubwürdig . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frank Schwabe für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner . ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ich will mich beim Auswärtigen Amt ausdrücklich dafür bedanken, dass wir diesen Bericht vorliegen haben und ihn heute debattieren können . Ich will mich gerade deshalb bedanken, weil er eben nicht im Detail einzelne Vorkommnisse in einzelnen Ländern beschreibt - es gibt nämlich ganz viele solcher Berichte -, sondern weil er uns - ich glaube, das gibt uns viel mehr Gelegenheit, in der Tiefe zu diskutieren - die Systematik von Verletzungen des Menschenrechts auf Religionsfreiheit oder auf Freiheit von Religion deutlich macht . Diese Systematik fällt nicht vom Himmel, vielmehr basiert sie maßgeblich auf der Arbeit von Herrn Professor Heiner Bielefeldt, die er seit sechs Jahren als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Religionsund Weltanschauungsfreiheit geleistet hat, im Übrigen unterstützt und mitfinanziert durch die Bundesrepublik Deutschland . Er hat, wie gesagt, maßgeblich an diesem Bericht mitgewirkt . Ich glaube, dieser Bericht gibt eine neue Tiefe, eine neue Schärfe und uns eine neue Möglichkeit, uns mit der Frage der Religionsfreiheit auseinanderzusetzen . Ich will an dieser Stelle, vielleicht im Namen des ganzen Hauses, Herrn Professor Bielefeldt für diese Arbeit ganz herzlich danken . ({0}) Ich will mich aber auch bei den Fraktionen bedanken, die sich in unterschiedlicher Art und Weise eingebracht haben . Dass es diesen Bericht der Bundesregierung gibt, basiert auf einem Antrag und einem Beschluss des Bundestags . Ich will mich auch bei denjenigen bedanken, die in den einzelnen Fraktionen für Kirchenfragen zuständig sind: bei Herrn Dr . Jung von der Union, bei Volker Beck, der gleich noch sprechen wird, aber auch bei Kerstin Griese, die heute leider nicht hier sein kann, weil sie in Kirchenfragen unterwegs ist . Es gab einen konstruktiven Dialog über die Frage, wie der Bericht von denjenigen, die in den Fraktionen für Kirchenpolitik zuständig sind, und denjenigen, die sich hier im Bundestag auf umfassende Weise für Menschenrechtsfragen zuständig fühlen, erstellt werden soll . Es handelt sich um einen hochinteressanten Bericht, weil er, wie gesagt, nicht enumerativ die Situation in den einzelnen Ländern aufzeigt . Vielmehr gibt er Einblick darin, dass Religionsfreiheit immer etwas mit der allgemeinen Lage in den einzelnen Ländern zu tun hat . In den betreffenden Ländern ist nämlich nicht nur die Religionsfreiheit gefährdet . Vielmehr hat das auch etwas mit den Grundstrukturen der Einschränkung von Menschenrechten zu tun; das macht dieser Bericht deutlich . Der Bericht macht im Übrigen auch deutlich - es ist spannend, sich mit dieser Frage zu befassen; das ist die Aufgabe von Heiner Bielefeldt in den letzten sechs Jahren gewesen -, wie unterschiedliche Grund- und Menschenrechte sich überschneiden und miteinander kollidieren können . So werden gelegentlich im Namen der Religionsfreiheit andere Rechte, zum Beispiel die Rechte von Frauen in den Bereichen Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit, infrage gestellt . Hier einen Ausgleich herzustellen, darüber zumindest zu reden und das zu problematisieren, das leistet der vorliegende Bericht eben auch . Noch einmal: Religionsfreiheit kann nicht isoliert betrachtet werden . Vielmehr hängt sie mit Menschenrechtsfragen und dem Menschenrechtsklima in den Ländern zusammen . Deswegen wünsche ich mir für die Zukunft, dass Menschenrechtsberichte der Bundesregierung oder von Institutionen genau diese Abwägung vornehmen und eine Frage, beispielsweise die Religionsfreiheit, nicht isoliert betrachten, sondern im Zusammenhang darstellen . ({1}) Christen stellen zweifellos die größte Gruppe dar und sind am meisten von Verfolgung betroffen. Aber in der Tat sind alle Religionen von Verfolgung betroffen, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise . Das hängt von der spezifischen Situation in den jeweiligen Ländern ab. Ich will ausdrücklich sagen: Es ist falsch, nur auf das Christentum zu fokussieren, wie es gerade in Ungarn geschieht. Dort soll eine Behörde geschaffen werden, die sich um den Schutz verfolgter Christen in der Welt kümmert . Das ist richtig, ganz zweifellos richtig . Aber es hilft auch verfolgten Christen nicht so sehr, wenn man nur darauf fokussiert . Es hilft auch Christen, wenn wir Verfolgung aus religiösen Gründen weltweit in den Blick nehmen . ({2}) Man muss zudem deutlich machen, dass es im Kern häufig gar nicht um religiöse Auseinandersetzungen geht. Vielmehr geht es oft um machtpolitische Auseinandersetzungen. Ländern werden religiöse Konflikte geradezu aufgedrückt . Auch das zu erwähnen, gehört zur Debatte . ({3}) Worum es überhaupt nicht geht - das behauptet hier auch niemand, aber das wird ja gelegentlich draußen im Land behauptet -, das ist die Frage, ob es einen Kampf zwischen dem Christentum und dem Islam gibt . Wenn man sich die Lage realistisch anschaut, dann stellt man fest, dass es sich bei vielen Konflikten eher um inner­ islamische Konflikte handelt oder es um Fragen der Glaubensauslegung geht . Zweifellos werden Christen in Nordkorea verfolgt . Aber ich selber habe im letzten Jahr gesehen, dass buddhistische Mönche in Myanmar gegen die muslimische Minderheit der Rohingya hetzen; das hätte ich mir zuvor nicht vorstellen können . Es gibt hinduistische Eiferer in Indien, die gegen Muslime und Christen hetzen . Alles das gibt es leider . Es ist wichtig, das zu betrachten, aber es fällt auch relativ leicht, nach außen zu schauen, zu gucken, was in der Welt los ist und welche Probleme die einzelnen Länder mit der Religionsfreiheit haben . Viel schwieriger ist jedoch, sich mit der Situation im eigenen Land - zum Glück in anderer Ausprägung - auseinanderzusetzen . In Deutschland gibt es Debatten darüber, die Religionsfreiheit möglicherweise einzuschränken . Es ist schwierig, sich damit auseinanderzusetzen, weil es Mechanismen, bei denen die Frage der Religionsausübung für machtpolitische Konflikte benutzt wird, in jedem Land der Welt, also auch in Deutschland, gibt . Die größte Minderheit in Deutschland sind - darauf hat Herr Gysi gerade hingewiesen - die Muslime . Man muss nicht besonders darauf hinweisen, dass in Zeiten von Terrorgefahren eine hochkritische Debatte über das Recht von Muslimen auf Religionsausübung geführt wird . In Deutschland gibt es zum Glück das Grund- und Menschenrecht auf Religionsfreiheit . Das heißt - das müssen wir dann aber auch deutlich sagen -, dass alle Menschen in diesem Land das Recht haben, zum Beispiel Gotteshäuser zu bauen . Dazu gehören auch Moscheen, und das sind dann Moscheen mit Minaretten . ({4}) Damit überhaupt nicht vereinbar - da wundere ich mich über manche aktuelle Debatte - ist die Überlegung, Quoten für Flüchtlinge nach religiöser Zugehörigkeit einzuführen . Das sind Vorstellungen, die mit der Religionsfreiheit in diesem Land überhaupt nicht vereinbar sind . ({5}) Ich wünsche mir, dass dieser wirklich hervorragende Bericht, der, glaube ich, auch für andere Länder dieser Welt wegweisend ist, Anlass gibt, über Religionsfreiheit in der Welt nachzudenken, und uns ermuntert, aufzustehen und sich, wenn man in anderen Ländern der Welt unterwegs ist, zu Wort zu melden und laut dafür einzutreten, wie zum Beispiel Herr Kauder das tut . Ich wünsche mir auch, dass er Anlass ist, einmal innezuhalten und darüber nachzudenken, was Religionsfreiheit gerade im Zusammenhang mit den aktuellen Fragen auch für dieses Land bedeutet . Es geht eben nicht nur um Kämpfe gegeneinander, sondern es geht darum, zu erkennen, dass es in manchen Ländern bestimmte Strukturen gibt, die die Religionsfreiheit, aber auch die Menschenrechte insgesamt gefährden . Das zusammen zu sehen, ist, glaube ich, die große Stärke dieses Berichts . Vielen Dank . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält der Kollege Volker Beck das Wort .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Religionsfreiheit ist immer die Freiheit der Andersgläubigen, der religiösen Minderheiten, der Religionsfreien und der Minderheiten in großen Religionsgemeinschaften und religiösen Gruppierungen . Die Religionsfreiheit ist in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im UN-Zivilpakt und in Artikel 4 unseres Grundgesetzes verankert . Oft wird vergessen, dass die Religionsfreiheit drei Dimensionen hat, die alle gleichermaßen für die Gewährleistung der Freiheit von Gesellschaften und der Freiheit der Individuen von großer Bedeutung sind . Das ist zum einen die positive Religionsfreiheit des Einzelnen . Das ist die Religionsfreiheit von Gemeinschaften der Gläubigen, und es ist die negative Religionsfreiheit, von den Vorstellungen im religiösen Bereich anderer unbelästigt seine freiheitliche Lebensgestaltung verwirklichen zu können . Nur alle drei Dimensionen zusammen konstituieren eine freiheitliche Politik für eine freiheitliche Gesellschaft . ({0}) Dies ist weltweit in Gefahr . Da, wo die Menschenrechtslage schwierig ist, ist es meistens auch um die Religionsfreiheit nicht besonders gut bestellt . Deshalb glaube ich, dass die Diskussion um diesen Bericht und das Thema „Religions- und Weltanschauungsfreiheit“ auch eine Chance für die Menschenrechtspolitik international und vor allen Dingen in Genf ist . ({1}) Jede Religion weltweit ist irgendwo in der Minderheit . Manche sind auch irgendwo in der Mehrheit . Aber da, wo man in der Minderheit ist, ist man immer darauf angewiesen, dass die religiösen Mehrheiten einem diese Freiheit gewähren und die Entfaltung der Persönlichkeitsrechte respektieren . Ich denke, dieser Bericht, der ein guter Ansatz ist, weil er die verschiedenen Dimensionen und Konfliktfelder von Religions- und Weltanschauungsfreiheit aufzeichnet, bleibt hier ein bisschen hinter seinen Möglichkeiten zurück . Der Kollege Kauder hat es schon angesprochen, und ich teile diese Auffassung. Ich denke, wenn wir die Chance nutzen wollen, auf dem internationalen Parkett Entwicklungen bei der Beschränkung der Religionsfreiheit rechtzeitig zu erkennen und darauf außenpolitisch und entwicklungspolitisch zu reagieren, dann brauchen wir länder- und regionenscharf einen Hinweis darauf, wo etwas besser ist, was wir unterstützen können, und wo sich etwas zum Unguten entwickelt . ({2}) Der Bericht zeigt zu Recht auf, dass mancher Konflikt, der unter der Flagge „Kampf zwischen Religionen“ daherkommt, oftmals andere Ursachen hat: regionale, lokale Verteilungskonflikte, Konflikte zwischen Regionen und Ethnien . Es ist oftmals ein Alarmsignal für das Fortschreiten eines Konfliktes und das Umschlagen von Auseinandersetzungen in heiße kriegerische Auseinandersetzungen, wenn die Konfliktlage religiös­ideologisch überwölbt wird . Ungleiche Machtverhältnisse ökonomischer und sozialer Art werden in dem Bericht benannt . Die Religion dient hier nur als Begründungszusammenhang, um bestehende Verhältnisse aufrechtzuerhalten oder Verteilungskonflikte zu legitimieren. Ich glaube, ein anders aufgestellter Religionsbericht der Bundesregierung könnte in Zukunft, wenn wir einen solchen Bericht regelmäßig erstellen, auch ein Seismograf für Fehlentwicklungen auf dieser Welt sein und uns frühzeitig alarmieren, um konfliktpräventiv auch politisch zu intervenieren, und er könnte damit vielleicht den Menschen auf dieser Welt manches Elend ersparen . ({3}) Ich rate auch dazu, das Thema nicht für falsche Polarisierungen zu nutzen . Der Wettbewerb um die Frage, welche Minderheit auf dieser Welt am stärksten religiös verfolgt ist, bringt uns nicht weiter . Er ist zum Teil auch banal . ({4}) Die Christen sind die größte religiöse Gruppe auf dieser Welt . Deshalb ist es nicht besonders verwunderlich, dass sie auch unter den Religionsverfolgten die größte Gruppe darstellen . Eine Gruppe wie die Bahai, die weltweit nur wenige Millionen Mitglieder hat, aber eine eigenständige Weltreligion ist, kann mit den Zahlen der Christen selbstverständlich nicht mithalten . Aber schauen wir uns an, wo die meisten Bahai leben, im Iran und in Ägypten, dann sehen wir, dass diese Gruppe von den staatlichen Stellen am intensivsten verfolgt wird, weil sie unter das Apostasieverbot des Islam fällt und oftmals sozial-bürgerrechtlich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird . Herr Kauder, Sie selber waren wegen der Kopten in Ägypten . Sie haben sicher auch Bahai-Vertreter getroffen . Die haben oftmals keine Geburtsurkunden, sie können am wirtschaftlichen Leben nicht teilnehmen, weil sie formalrechtlich nicht existent sind und keine Unterlagen über ihre Existenz bekommen . Obwohl sie gut ausgebildete Leute sind, sind sie völlig ausgeschlossen und müssen immer fürchten, Opfer von Gewalttätigkeiten randalierender Banden zu werden . Es bringt nichts, dahin zu schauen und zu sagen: Das ist aber eine kleine Gruppe, die Christen sind eine große Gruppe . - Wir müssen uns um jeden und jede Einzelne kümmern, deren Religionsfreiheit in Gefahr ist, ({5}) ob das die Rohingya in Myanmar oder ob das christliche Gruppierungen im Iran sind . Es gibt nämlich das Problem, dass in manchen Ländern, gerade im Iran, wo die Rechte von althergebrachten orthodoxen kirchlichen Gruppierungen durchaus respektiert werden, neue religiöse Erscheinungsformen im Christentum, insbesondere aus dem evangelikalen Bereich - das gilt auch für die zentralasiatischen Staaten - oftmals brutalster Verfolgung ausgesetzt sind . Deshalb ist da Präzision und genaues Hinschauen erforderlich . Ich glaube, auch im weltweiten Dialog hört man uns nur zu, wenn wir für das Prinzip der Religionsfreiheit streiten und es verteidigen, nicht wenn wir uns nur um unsere Glaubensbrüder und Glaubensschwestern in anderen Teilen der Welt bemühen, zumal das auch nicht besonders christlich wäre . ({6}) Es gibt auch die negative Religionsfreiheit; das habe ich vorhin angesprochen. Ich finde es sehr gut und mutig - da ist der Bericht vergleichbaren internationalen Berichten deutlich voraus -, dass man erkannt hat, dass es bei der negativen Religionsfreiheit auch um Dinge geht, die nicht in erster Linie im Blick sind, wenn wir über Religionsfreiheit reden . Wenn religiöse Vorstellungen das Familienrecht und das Strafrecht eines Landes prägen, wenn es um die Rechte von Frauen geht, das Recht auf Scheidung, das Recht auf Wiederverheiratung, das Recht auf Schutz vor sexueller Gewalt, oder wenn es um die Rechte von Homosexuellen und Transsexuellen geht, geht es auch um die Frage der negativen Religionsfreiheit bzw . darum, die Möglichkeit zu haben, nicht so sein bzw . leben zu müssen, wie die Mehrheit glaubt, dass es ihnen ihr Gott vorgeschrieben hat . ({7}) Darauf zu achten und darüber zu reden, ermöglicht es uns vielleicht auch, in Genf mit Ländern ins Gespräch zu kommen, bei denen wir sonst beim Thema Frauen- und LGBT-Rechte gleich abblitzen, wenn wir das auch nur erwähnen . Wir sollten einen umfassenden Religionsdialog starten und sagen, dass es um die Freiheit der verschiedenen Haltungen und Gemeinschaften geht . Wir sollten sagen: So, wie wir eure mehrheitliche Haltung respektieren wollen, so erwarten wir, dass ihr in euren Ländern unsere und andere Haltungen in gleicher Weise rechtlich schützt . Ich würde unsere Diskussion gerne in diese Richtung vorantreiben und hoffe, dass wir uns in den Fachausschüssen zumindest unter den Fraktionen, die diesen Bericht mitgetragen haben, darauf verständigen können, zu sagen: Wir wollen einen Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit als regelmäßige Institution . Damit wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier aber besser damit arbeiten können, sollte er länder­ und entwicklungsspezifisch aufgeschlüsselt sein; denn nur dann macht ein regelmäßiger Bericht Sinn . ({8}) Johannes Paul II . hat gesagt: Das Recht auf Religionsfreiheit … stellt so etwas wie die Existenzgrundlage für die anderen fundamentalen Freiheiten des Menschen dar . Ich weiß nicht, ob er das im Sinne des eben von mir Gesagten im Hinblick auf die drei Dimensionen meinte . Wenn man es aber so versteht, wird ein Schuh daraus, und es wird uns als Bundesrepublik Deutschland vielleicht gelingen, in Genf eine neue Initiative für eine bessere und fundamentalere Auseinandersetzung über die Grundlagen der Menschenrechte zu starten . Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Bundesregierung erhält nun die Staatsministerin Maria Böhmer das Wort . ({0})

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat diesen Bericht auf Antrag des Bundestages vorgelegt . Darin werden die weltweite Lage sowohl der Religionsfreiheit als auch der Weltanschauungsfreiheit erfasst . Dies geschieht in der Überzeugung, dass der Religions- und Weltanschauungsfreiheit eine große Bedeutung als Eckpfeiler einer stabilen und friedlichen Ordnung zukommt . Religionsfreiheit und ein friedliches Zusammenleben bedingen einander . Unser Grundgesetz, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und der VN-Zivilpakt, den 168 Staaten der Welt ratifiziert haben, schützen das Grundrecht auf Gewissens- und Religionsfreiheit . Keine Frage: Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein universelles Menschenrecht, und sie wird in immer mehr Staaten prinzipiell rechtlich abgesichert . Die Wirklichkeit aber sieht oft dramatisch anders aus . Millionen von Menschen werden weltweit Tag für Tag in ihrer Religions- und Weltanschauungsfreiheit eingeschränkt . Viele werden verfolgt, gedemütigt und kommen zu Tode . Religion wird missbraucht, um Unterdrückung, Gewalt und Unrecht zu legitimieren, wie wir es in erschreckender Weise im Irak oder in Syrien erleben . In diesen Urgebieten des Christentums sind es besonders häufig Christen, die unter Repressionen, Gewalt und Vertreibung leiden müssen . Aber auch Jesiden und Muslime sind Opfer des brutalen und menschenverachtenden IS-Terrors geworden . In dieser verzweifelten Situation gilt es den Menschen zur Seite zu stehen . Zunehmend ist zu beobachten, dass schwache Staatlichkeit, Korruption und schwierige wirtschaftliche Bedingungen den mangelnden Schutz von Religionsgemeinschaften mit verursachen . Über den Stand der Religions- und Weltanschauungsfreiheit liegt uns eine Reihe von nationalen und internationalen Berichten vor . Dabei handelt es sich in der Regel um Länderberichte . Im Auswärtigen Amt haben wir uns daher sehr intensiv die Frage gestellt: Was könnte der Mehrwert eines solchen Berichtes sein, den wir dem Deutschen Bundestag vorlegen? Wir haben uns für einen neuen, strukturellen Ansatz entschieden . In diesem BeVolker Beck ({0}) richt wird anhand konkreter Länderbeispiele eine Typologie der Rechtsverletzungen entwickelt . Ich halte es für wichtig, dass wir über diesen Ansatz ebenso diskutieren wie über die Inhalte des Berichts . Wir geben uns bei diesem Bericht nicht nur mit einer Situationsbeschreibung und einer Analyse zufrieden . Der Bericht zeigt konkrete Ansatzpunkte auf, um gegen die Verletzungen vorgehen zu können: erstens bei der Rechtsetzung, zweitens bei der Schaffung von Strukturen und drittens in vielen Einzelfällen . Lassen Sie mich Engagement und konkretes Handeln der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit anhand dieser drei Punkte zusammenfassen . Erstens . Wo Rechtsetzung nötig ist, unterstützt die Bundesregierung diese Prozesse . So konnten in der EU-Ratsarbeitsgruppe Menschenrechte bereits 2013 umfassende Leitlinien zur Förderung und zum Schutz der Religionsfreiheit beschlossen werden . Wir unterstützen die Arbeit des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte . Wir entsenden Personal und finanzieren Projekte. Zweitens . Wir wollen dauerhafte Strukturen für den Dialog, insbesondere für den religiösen Dialog, fördern . Wenn die Kenntnisse über andere Religionen wachsen, wenn Menschen miteinander reden, dann entwickeln sie Respekt und Verständnis füreinander . In Deutschland haben wir Erfahrungen mit der Deutschen Islam-Konferenz gesammelt . Sie ist jetzt zehn Jahre alt . Sie könnte ein Beispiel für andere Länder sein, wie man aufeinander zugeht und wie man eine solche Plattform schafft. Wir bringen in vielen Ländern geistliche Führer und Menschen unterschiedlicher Religionen zusammen . Das ist kein leichtes Unterfangen . Aber ich bin davon überzeugt, dass sich solche Vorurteile und Gegensätze nur im Dialog überwinden lassen und so ein friedliches Miteinander möglich ist . Die deutsche Präsidentschaft im VN-Menschenrechtsrat haben wir vielfach für Religionsfreiheit genutzt, und wir haben die Fortsetzung des sogenannten Istanbul-Prozesses unterstützt . Drittens . In vielen Einzelfällen, etwa wenn es um grausame Strafen oder sogar um drohende Todesstrafen geht, setzen sich das Auswärtige Amt und seine Botschaften unmittelbar für die Betroffenen ein. Sie wissen: Um die Opfer nicht unnötig zu gefährden, werden solche Demarchen oft nicht öffentlich gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen sprechen auf ihren Auslandsreisen die Verletzungen der Religionsfreiheit gezielt an und treffen sich mit Menschen, die unter religiöser Verfolgung leiden . Ihr Einsatz ist mehr als hilfreich, und ich möchte Ihnen dafür sehr herzlich danken . ({1}) Religion kann wunderbare positive Kräfte und Energien entwickeln . Sie ist eine Kraft des Guten, aber nur, wenn sie frei ausgeübt, ihre Ausübung geschützt und eine Instrumentalisierung verhindert wird . Der Staat ist dazu verpflichtet, einen Rahmen für diese freie Ausübung zu schaffen. Doch gerade den Religionsgemeinschaften selbst kommt eine zentrale Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Religion zu . Außenpolitik hat hier eine unterstützende Funktion . Unser Einsatz für Religions- und Weltanschauungsfreiheit dient der Krisenprävention und der Stabilisierung . Die Begegnung mit der Internationalen Parlamentariergruppe für Religionsfreiheit vergangene Woche und die heutige Debatte empfinde ich als eine große Ermutigung auf dem zugegebenermaßen oft steinigen Weg . Herzlichen Dank . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Angelika Glöckner erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion . ({0})

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über den Bericht der Bundesregierung zur Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit. Ich finde, das ist gut so; denn gerade mit Blick auf die vielen weltweiten Krisen und Konflikte ist dies von besonderer Bedeutung. Mein Dank geht ebenfalls an das Auswärtige Amt und allen voran an Herrn Außenminister Frank-Walter Steinmeier für diesen umfassenden Bericht . In Deutschland ist die Religions- und Glaubensfreiheit ein Rechtsgut von höchstem Rang . Danach steht es dem Individuum frei, seinen Glauben zu bilden, danach zu leben, ihn zu äußern, und ebenso steht es ihm frei, sich danach zu verhalten, oder auch, sich keinem Glauben zuzuwenden . Außerdem steht es dem Individuum frei, den Glauben zu wechseln . Das alles zeigt, wie umfassend der Schutzzweck dieser Norm ist und was es heißt, seine Religions- und Glaubensfreiheit ausüben zu können . Der Bericht hebt deutlich hervor, dass aufgrund der Universalität dieses Menschenrechts der Schutz in der ganzen Welt gelten muss . Aber dem ist mitnichten so . In vielen Teilen dieser Welt ist Religionsfreiheit schlichtweg nicht existent oder im besten Fall bedroht . Daher finde ich es gut, dass wir heute darüber diskutieren, wie Lebenssituationen betroffener Menschen verändert werden können. Ich finde den Bericht in seiner Gesamtheit sehr aufklärend . Es sind sehr viele gute Ergebnisse enthalten . Ich will auf zwei Punkte besonders eingehen . Erstens wird darauf hingewiesen, dass es ganz unterschiedliche Formen von Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit gibt . Diese können sich zeigen im erschwerten Zugang zu Bildung, zu öffentlichen Ämtern bzw . Mandaten oder in der Verweigerung, eine Nationalität anzuerkennen oder Pässe auszustellen . Es kann einen Verstoß aus Familien geben, bis hin zu Folter, Vertreibung und im schlimmsten Fall sogar Tod . Menschenrechtsverletzungen finden in allen Systemen, in allen Regionen weltweit statt . Das zeigt aber auch, wie folgerichtig es ist, dass der Bericht dieses Thema so differenziert beleuchtet; denn so verschieden die Formen der Menschenrechtsverletzungen ausfallen, so unterschiedlich muss ihnen entgegengewirkt werden . ({0}) Zweitens erfolgt der Hinweis, dass Religionen von Regimen oft missbraucht werden, um den eigenen Machtanspruch zu untermauern und Minderheiten zu unterdrücken . Wir kennen das von den Rohingya-Muslimen in Myanmar oder auch von der Gewalt gegen Christen und Muslime in Indien . Es kommt auch vor, dass Staaten ihre Bevölkerung nicht vor Menschenrechtsverletzungen schützen können oder wollen, etwa weil das Staatssystem sehr zerbrechlich ist - Syrien, Irak, Nordafrika und die Länder der Sahelzone sind gute Beispiele - oder weil anstelle von Staatlichkeit Korruption und Willkür vorherrschen, so wie es in Saudi-Arabien oder Iran der Fall ist . All diesen Gewalttaten und Einschränkungen ist gemein, dass die Religion meist nur als Argument instrumentalisiert wird und eben nicht ursächlich ist für Gewalt, Verfolgung und Diskriminierung . Gemein ist all diesen Verbrechen aber auch, dass sie fast immer in Staaten vorkommen, in denen auch weitere Menschen- und Freiheitsrechte nicht garantiert sind . Deshalb darf Religionsfreiheit nicht losgelöst von anderen Menschenrechten betrachtet werden . Wir müssen uns dafür einsetzen, dass Staaten sich allen Menschenrechten verpflichtet fühlen. Das gilt insbesondere für Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit oder die Pressefreiheit und eben auch die Religions- und Weltanschauungsfreiheit . Wie stark sich Deutschland bereits heute dafür macht, zeigt der Einsatz in vielen Gremien, etwa den Vereinten Nationen, der EU, der OSZE oder dem Europarat . Wir sind in vielen Ländern an Projekten zur Förderung von Bildung und einer effektiven Justiz beteiligt sowie an Projekten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, die Vertrauen zwischen religiösen Gruppen schaffen und Vorbehalte abbauen . Meine Damen und Herren, ich finde, das ist ein ganz wesentlicher Punkt; denn es kommt, wenn wir über Religions- und Weltanschauungsfreiheit reden, sehr maßgeblich darauf an, dass es gelingt, unterschiedliche Religionsgemeinschaften zusammenleben zu lassen . ({1}) Ganz besonders gilt es aber auch, den Dialog mit den Verantwortlichen und Machthabern dieser Welt nicht abreißen zu lassen und immer nach politischen Lösungen zu suchen . Ich bin unserem Außenminister Frank-Walter Steinmeier sehr dankbar, dass er ein vehementer Verfechter des ständigen Dialogs und politischer Lösungen ist und zu jeder Zeit in allen Krisengebieten dieser Welt unterwegs ist . Bei allem, was wir tun, um Religionsfreiheit in der Welt voranzubringen, müssen wir aber auch die Situation im eigenen Land und in Europa immer wieder selbst reflektieren. Die Situation in Deutschland in Bezug auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist gut . Wir haben eine exzellent funktionierende Rechtsstaatlichkeit . Alle Menschen in unserem Land unterstehen dem Schutz des Artikels 4 unseres Grundgesetzes und haben das Recht, ihre Religion oder Weltanschauung frei zu entfalten . Wenn sie sich darin beeinträchtigt fühlen, können sie ihr Recht ohne Angst vor Repressionen einklagen . Wir müssen alles dafür tun, dass dies auch so bleibt . Gerade in den letzten Monaten wurden immer wieder Vorschläge in die öffentliche Diskussion eingebracht, die mich mit Blick auf die Religions- und Glaubensfreiheit betroffen machen. Wir selbst wollen in unserem Land frei leben . Wenn wir dies selbst wollen, dann müssen wir dies aber auch für andere gelten lassen . Es gibt kein Gleich und Gleicher; auch das gebietet unser Grundgesetz . Forderungen wie die, Zuwanderer aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis vorzuziehen, haben nach den Grundsätzen, über die wir heute sprechen, hier keinen Platz . ({2}) Ich wünsche mir, dass auch der Koalitionspartner mit Blick auf die heutige Diskussion noch einmal darüber nachdenkt . Genau so, auf Basis dieser Werte und eingebunden in eine feste Wertegemeinschaft mit den europäischen Partnerstaaten, ist es uns gelungen, Deutschland zu dem zu machen, was es heute ist: ein sehr wohlhabendes und hochangesehenes Land, ein Land, auf das man stolz sein kann . Darüber sollte man nachdenken, bevor man jenen nacheifert, die ebendiese Werte infrage stellen . Herzlichen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Erika Steinbach von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Religion ist ein elementarer Teil der Identität von Gläubigen unterschiedlichster Konfessionen . Aufgrund von Forschungen wissen wir, dass Religiosität von Anfang an Menschen in ihrer Identitätsbildung unterstützt und ihnen hilft, die Fragen der eigenen Existenz und zum Platz im Leben und in der Welt zu beantworten . Darum ist es so unverzichtbar, den eigenen Glauben artikulieren und leben zu dürfen . Deshalb ist es richtig, dass Religionsfreiheit ein ganz zentrales Menschenrecht ist . ({0}) Leider müssen wir erkennen, dass die Unterdrückung von Religionen und damit die Unterdrückung von Menschen in den letzten Jahren beständig zugenommen hat, wobei insbesondere Religionsgemeinschaften, die in ihrem Land zu einer Minderheit gehören, davon betroffen sind . Diese Einschränkungen der Religionsfreiheit sind häufig Ergebnis gezielter Politik, etwa wenn die Mehrheitsreligion ihren Wahrheitsanspruch staatlich verankert hat und auf jeden Fall durchsetzen will . Aber auch das Aufkommen extremistischer und terroristischer OrgaAngelika Glöckner nisationen in Verbindung mit schwacher Staatlichkeit führt - für uns deutlich erkennbar - zu religiös begründeten Gewaltexzessen . Das können wir im Nahen Osten auf tragische Weise beobachten . Unsere Fraktion, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, setzt sich seit vielen Jahren im Rahmen ihrer wertegeleiteten Außenpolitik für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ein: für die Christen im Nahen und Mittleren Osten genauso wie für die Jesiden im Irak, die Bahai im Iran, die Tibeter in China oder die bedrängten Christen und Muslime in Indien, wobei die meisten nicht wissen, dass es dort eine Bedrängung gibt . Von der Anzahl her sind Christen weltweit besonders häufig von Unterdrückung und Verfolgung betroffen. Der Zustand der Religionsfreiheit ist ein deutlicher Indikator für die allgemeine Menschenrechtslage in einem Staat . Das kann man in allen Staaten dieser Welt verfolgen . Wo es keine Religionsfreiheit gibt, sind in der Regel auch die anderen zentralen Freiheits- und Menschenrechte in Gefahr oder schon nicht mehr vorhanden . ({1}) Der Bericht der Bundesregierung zeichnet ein globales, aber durchaus noch nicht ganz vollständiges Bild der Herausforderungen für die Religionsfreiheit; Volker Kauder hat darauf mit gutem Recht hingewiesen . Für Deutschland müssen wir darüber hinaus registrieren und erkennen, dass als Folge der großen Migrationsbewegungen global zu beobachtende Defizite religiöser Intoleranz inzwischen auch verstärkt bei uns spürbar sind . So sind vor allem in den letzten Jahren Menschen aus Gesellschaften nach Europa und nach Deutschland gekommen, in denen sie ohne religiöse Toleranz aufgewachsen sind und sie gar nicht kennen; sie wissen gar nicht, was religiöse Toleranz ist . Als Folge davon müssen wir in Deutschland schon mit Sorge die Zunahme antisemitischer Strömungen und unverhohlener Aggressivität gegenüber Christen, Jesiden und auch gegenüber Konvertiten in deutschen Asylunterkünften registrieren . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Steinbach, darf die Kollegin Buchholz eine Zwischenfrage stellen?

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne .

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Steinbach, Sie sprechen hier von „religiöser Intoleranz“ . Ich will das einmal zusammen mit der Aussage von Herrn Kauder betrachten, der bezweifelt hat, dass es in Deutschland antimuslimischen Rassismus gibt, wie das ja im Bericht der Bundesregierung vermerkt ist . Ich frage Sie: Wenn sich eine junge Frau viermal öfter bewerben muss, um einen Job zu bekommen, wenn sie ein Kopftuch trägt, als wenn sie kein Kopftuch trägt, haben wir es nicht dann mit einem Rassismus gegen Muslime zu tun? Ist es nicht so, dass sich Religionsfreiheit nicht daran misst, wie die Mehrheit behandelt wird, sondern inwieweit die Minderheiten gleiche Rechte haben? Ich würde Sie sehr bitten, darauf einzugehen, wie es hier um die Minderheit der Muslime und andere religiöse Minderheiten in Deutschland bestellt ist, und eher vor der eigenen Haustür zu kehren, bevor Sie den Blick in die große, weite Welt schweifen lassen . ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich nehme ja gerade die Situation vor der eigenen Haustür, nämlich Deutschland, in den Blick, das ja in dem Bericht praktisch nicht vorkommt . Vor dem Hintergrund wissen wir: Die Würde eines jedes Menschen ist nach unserer Verfassung unantastbar . Berichte über Spannungen zwischen verschiedenen religiösen Gruppen in Flüchtlingsunterkünften, selbst zwischen Angehörigen unterschiedlicher muslimischer Glaubensrichtungen wie Sunniten, Schiiten oder Aleviten, zeigen uns, dass das religiöse Konfliktpotenzial hier in Deutschland angekommen ist und uns vor erhebliche Herausforderungen stellt und stellen muss . Wir dürfen diese Situation nicht ignorieren, und wir dürfen die Problematik auch nicht unterschätzen . ({0}) Verkennen dürfen wir auch nicht, dass es bei uns in Deutschland inzwischen islamistische Versuche gibt nicht Versuche des Islam -, Religion als politisches Vehikel zu missbrauchen und zum Beispiel das Tragen ausgrenzender Kleidung wie Burka oder Nikab als religiös zu begründen, obwohl dem so nicht ist . ({1}) Ein Mitglied des Hohen Geistlichen Rates der Al- AzharUniversität in Kairo hat deutlich gesagt: Der Nikab schadet dem Islam . ({2}) Das sollten wir uns hier in Deutschland dann auch einmal vor Augen führen . Gesellschaftspolitische Vorstellungen mithilfe von solchen extremistischen Bekleidungsvorschriften umzusetzen - ich glaube, wir sollten darüber nachdenken, ob das unserem Land guttut . Insgesamt macht der Bericht der Bundesregierung deutlich, dass die Herausforderung des Menschenrechts auf Religions- und Glaubensfreiheit sehr verschiedene Facetten hat . Der Bericht ist in dieser Form eine Momentaufnahme, die durchaus noch verbesserungsfähig ist, aber es ist eine gute Grundlage. Wir erhoffen uns weitere Berichte, eine Kontinuität der Berichterstattung, bei der dann auch die angeführten Lücken gefüllt werden . Denn eines ist uns allen deutlich - wir können es weltweit beobachten -: Religiös motivierte Spannungen nehmen leider zu . Danke schön . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion . ({0})

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der festen Überzeugung, dass der uns von der Bundesregierung vorgelegte Bericht zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit eine große Chance bietet, weil er es ermöglicht, mit einem anderen Blick sehr differenziert und deutlich Typologien und Wirkungsweisen der Verletzung des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit herauszuarbeiten . Deshalb wäre es aus meiner Sicht nicht zielführend, in eine Diskussion über ein Entweder-oder einzusteigen: Muss das jetzt eine Staatenliste werden, oder kann er so bleiben, wie er ist? Sehen wir es so, wie Frau Staatsministerin Böhmer es zu Recht gesagt hat: Er bringt einen Mehrwert, weil er uns neue Aspekte für unseren Kampf für Religions- und Weltanschauungsfreiheit liefert . ({0}) Ich sage das an dieser Stelle auch als jemand, der sich als Christ in einer besonderen Weise berührt fühlt, wenn Schwestern und Brüder in der Welt verfolgt werden . Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ein Problem bekommen, wenn wir Menschenrechtsverletzungen im Bereich der Religionsfreiheit je nach Glaubensrichtung, die betroffen ist, je nach Anzahl der Betroffenen, je nachdem, welche handelnden Staaten mit welchem politischen System es sind, unterschiedlich intensiv bewerten . Dann laufen wir Gefahr, direkt die Axt an den universellen Charakter der Menschenrechte anzulegen . Deshalb muss für uns gelten: Jeder Mensch, dessen Würde mit Füßen getreten wird, ist uns gleich wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) Es darf nicht der Eindruck entstehen - das will ich hier niemandem unterstellen -, dass ein Parlament oder eine Regierung sich zum Anwalt einer bestimmten Religion macht . Es darf keinen Zweifel daran geben: Wir alle machen uns vielmehr zum Anwalt jedes einzelnen Menschen, dem ein elementares Grundrecht genommen wird . Ich glaube, wir können den Menschen nur helfen, wenn wir diesen Ansatz konsequent weiterverfolgen . ({2}) Dazu gehört zum Beispiel auch, dass wir bei der Aufnahme von Flüchtlingen keine Opfergruppen bevorzugen oder zumindest den Anschein erwecken, als würden wir eine Opfergruppe bevorzugen . ({3}) Warum betone ich diese Punkte? Ich will darauf hinweisen, dass wir möglicherweise mit einer starken Zuwendung hin zum Problemkreis der verfolgten Christinnen und Christen, der ohne Zweifel der größte ist, das Gegenteil erreichen, nämlich dass ihre Verfolger unsere Hinwendung als Vorwand nutzen, sie weiter zu stigmatisieren . Denn was heißt „Boko Haram“? Das heißt übersetzt: Westliche Bildung ist Sünde . Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als seien die dort Verfolgten die fünfte Kolonne des Westens, weil wir aus dem Westen sagen: Wir kümmern uns besonders um Christen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Es geht aber auch um die Glaubwürdigkeit des Einsatzes für Religionsfreiheit als ein universelles Menschenrecht . Denn gerade diejenigen, die intolerant sind, die Religionsfreiheit mit Füßen treten, berufen sich oft darauf und sagen, dass die Menschenrechte ein Herrschaftsinstrument des Westens seien . So wollen sie die Menschenrechte diskreditieren . Deshalb sollten wir immer wieder deutlich machen, dass wir keine Gruppe bevorzugen, dass es uns wirklich darum geht, ein universelles Menschenrecht überall auf der Welt, auch bei uns, durchzusetzen . ({4}) Es ist hier schon öfter angesprochen worden: Wichtig im Kampf für die Menschenrechte ist immer die eigene Glaubwürdigkeit; denn diejenigen, die die Menschenrechte mit Füßen treten, versuchen alles, um unsere Glaubwürdigkeit zu hinterfragen . Deshalb müssen wir in den Debatten, die wir jetzt im eigenen Land erleben, deutlich machen - daran darf kein Zweifel aufkommen -, dass der Garant von Religionsfreiheit, auch bei uns, ein säkularer, weltanschaulich neutraler Staat ist und nicht ein christlicher oder ein muslimisch geprägter Staat . Nur der säkulare Staat, der weltanschaulich neutral ist, kann ein glaubwürdiger Verfechter des Rechtes auf Religionsfreiheit sein . ({5}) Ich betone das auch deshalb, weil es nicht nur um den Kampf für das individuelle Menschenrecht geht, sondern weil wir uns, auch im eigenen Land, in einem Kampf um die offene Gesellschaft befinden. Natürlich müssen wir die Dinge offen ansprechen. Natürlich ist es nicht akzeptabel, wenn es immer noch Moscheen in Deutschland gibt, in denen jeden Freitag der Hass gegen die offene Gesellschaft gepredigt wird . Darüber darf man nicht hinwegsehen . ({6}) Wir dürfen aber auch in unserer Außenpolitik nicht darüber hinwegsehen, dass es zum Beispiel bei unserem Nachbarn Russland eine unheilige Allianz von Staat und orthodoxer Kirche gibt, die gegenüber Schwulen und Lesben mittlerweile eine Politik an den Tag legt, die pogromhafte Züge hat . Auch das muss gesagt werden . ({7}) Ja, wir brauchen Toleranz, und wir brauchen vor allen Dingen Respekt gegenüber glaubenden Menschen, auch wenn sie einen Glauben vertreten, den wir ganz und gar nicht teilen können . Wir dürfen Toleranz aber nicht mit Relativismus und Gleichgültigkeit verwechseln. Zur Toleranz gehört, dass wir zu Fragen der offenen Gesellschaft, der Demokratie, der Meinungsfreiheit, der Gleichberechtigung von Mann und Frau einen klaren Standpunkt haben, und diesen klaren Standpunkt müssen wir immer wieder deutlich machen . Es darf nicht sein, dass wir aus Angst, wir würden religiöse Gefühle anderer verletzen, schweigen, wenn zum Beispiel unter dem Vorwand der Religion Frauenrechte mit Füßen getreten werden . Da müssen wir dann auch klar und deutlich sein . ({8}) Wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, wie es in diesem Land insgesamt um die Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten steht . Es ist nicht akzeptabel, dass jüdische Mitbürger es sich zweimal überlegen, ob sie eine Kippa in der Öffentlichkeit tragen, weil das dazu führt, dass sie sich nicht sicher fühlen können . Es kann auch nicht sein - auch das will ich an dieser Stelle sagen; denn auch da beginnt Intoleranz gegenüber dem Religiösen -, dass sich zum Beispiel eine junge Studentin, eine Christin, die sich in einer Mensa, also im öffentlichen Raum, vor dem Essen bekreuzigt, von Teilen der Mehrheitsgesellschaft anhören muss, sie sei mittelalterlich und rückschrittlich und so etwas passe nicht . Es darf nicht sein, dass sich Menschen beim Ausüben ihrer Religion in der Öffentlichkeit verletzt fühlen und Teile der Mehrheitsgesellschaft fordern, Religion als Privatsache zu behandeln und sie im öffentlichen Raum nicht mehr zu zeigen . Auch da müssen wir deutlich machen: Religion hat ihren Platz auch im öffentlichen Raum. Wenn das Zeigen von Religion im öffentlichen Raum nicht mehr möglich sein sollte, beginnt die Religionsfeindlichkeit . ({9}) Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Dies ist ein wichtiges Thema . Deshalb bin ich dankbar, dass wir uns in einer, wie ich finde, sehr differenzierten Debatte mit diesem Thema auseinandersetzen . Ich möchte zum Schluss um eines bitten: Wir alle wissen, wie das mit der parteipolitischen Brille ist . Wir sind Politikerinnen und Politiker . Wir alle schauen hin und wieder durch diese parteipolitische Brille . Für die Religionsfreiheit und die offene Gesellschaft tun wir aber am meisten, wenn wir hinsichtlich unserer Empörungsbereitschaft und Kritik nicht selektiv sind .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist kein Widerspruch - im Gegenteil: es gehört zusammen -, wenn wir uns genauso klar, wie wir gegen Hassprediger in Moscheen vorgehen, äußern, wenn eine Partei wie die AfD den Islam als Religion diskriminiert, verallgemeinernd als Gefahr darstellt und damit den Zusammenhalt in unserem Land gefährdet . Beides muss gesagt werden . Wir sollten an dieser Stelle nicht selektiv sein . Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir die Verfehlungen der einen verschweigen, während wir bei den Verfehlungen der anderen besonders laut sind . Wenn wir an dieser Stelle Glaubwürdigkeit zeigen, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das die beste Waffe für eine offene Gesellschaft und mehr Religionsfreiheit. Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die Bundesregierung als Parlamentarischer Staatssekretär in einem der beteiligten Ministerien . - Bitte schön . ({0})

Thomas Silberhorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003636

Vielen Dank, Herr Präsident . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Viertel der Menschheit lebt in Staaten, in denen die Religionsfreiheit und Weltanschauungsfreiheit nicht gewährleistet wird oder erheblich eingeschränkt ist . Die Repressalien sind vielfältig . Sie reichen von administrativen Hindernissen, etwa kein Zugang zu öffentlichen Ämtern, über soziale Stigmatisierungen bis hin zu drakonischen Strafen, etwa der Todesstrafe bei Wechsel der Religion . Wir setzen uns in der Entwicklungspolitik dafür ein, dieses Menschenrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu schützen und die Gesellschaften zu stärken, die für Toleranz und ein friedliches Miteinander eintreten; denn wir wollen und wir brauchen eine Welt, in der wir alle im gegenseitigen Respekt und in Achtung vor Kulturen und Religionen ein friedliches Auskommen haben . Der Schutz und die Gewährleistung der Religionsund Weltanschauungsfreiheit haben genauso wie alle anderen Menschenrechte einen festen Platz in unserer Entwicklungspolitik . Dafür wollen wir die Religionsgemeinschaften als Partner gewinnen . Wir dürfen das Feld nicht den Extremisten und den Fanatikern überlassen, die Terror predigen, denen es nicht um Glauben geht, sondern die Religion für ihre politischen Zwecke missbrauchen . Wir müssen deshalb auch die religiösen Führer und die Gläubigen stärken, die sich in ihren Gesellschaften für Toleranz und für Freiheit einsetzen . Ich möchte an dieser Stelle an die Worte erinnern, die vor wenigen Tagen der marokkanische König Mohammed VI . gefunden hat, als er sich in einem eindringlichen Appell an alle Muslime gewandt hat . Er hat ausdrücklich alle Formen des Terrorismus, Extremismus und Radikalismus verurteilt . Er verurteilt die Prediger - ich zitiere -, „die junge Muslime benutzen, speziell in Europa, . . . um ihre Irrlehren und abDietmar Nietan wegigen Versprechen zu verbreiten und Gesellschaften anzugreifen, die Freiheit, Offenheit und Toleranz wollen“. Ich finde, das ist ein außerordentlich beeindruckendes Statement des marokkanischen Königs . Stimmen wie diese sollten wir in unseren internationalen Beziehungen stärker beachten und in unsere Arbeit einbeziehen . ({0}) Wir müssen das positive Potenzial von Religionsgemeinschaften in unsere internationale Zusammenarbeit einbeziehen . Deshalb haben wir im Februar dieses Jahres zum ersten Mal überhaupt für unser Ministerium eine international vielbeachtete neue Strategie zum Thema „Religionen als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit“ vorgestellt . Wir haben sie zusammen mit Vertretern aller Weltreligionen, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft aus dem In- und Ausland erarbeitet . Sie wird von vielen internationalen Akteuren als Vorbild genommen . Wir wollen damit zeigen, dass Religion ein Katalysator für Entwicklung sein kann . Meine Damen und Herren, religiöse Gemeinschaften sind in vielen Ländern oft näher an den Menschen dran als Politiker . In vielen Ländern wären die Gesundheitsversorgung und das Bildungswesen überhaupt nicht funktionsfähig, wenn es nicht das breite Engagement von vielen Religionsgemeinschaften gäbe . 80 Prozent der Weltbevölkerung gehören einer Religionsgemeinschaft an - 80 Prozent! Das kann Politik nicht ignorieren, wenn wir die Lebenswirklichkeit einer großen Mehrheit der Weltbevölkerung wirklich erfassen wollen . Wir sehen das in vielen unserer Partnerländer . In Gesprächen vor Ort merken wir natürlich auch, dass Religionsfreiheit oft ein höchst sensibles Thema ist . Deswegen setzen wir auf den Dialog der Religionen und starten gezielt neue Vorhaben, die diesen interreligiösen Dialog fördern . Wir wollen dazu ausdrücklich religiöse Autoritäten einbeziehen; denn sie haben großen Einfluss. In vielen Regionen kennt man keine Regierungsvertreter, aber die religiösen Führer aus der Nachbarschaft . Wenn diese in ihren Gemeinden zu gegenseitigem Respekt und zu Toleranz ermutigen, dann hat das ein viel größeres Gewicht als alle anderen Stimmen . Deswegen setzen wir auf diesen Dialog . Ich will Ihnen gern einige Beispiele nennen: Auf den Philippinen fördern wir den Dialog zwischen Christen, Muslimen und Vertretern indigener Gemeinschaften . In Ägypten bringen wir christliche und muslimische Geistliche mit Publizisten, Künstlern und Lehrern zusammen . Im Tschad unterstützen wir ein Kulturzentrum für christliche und muslimische Vereinigungen . In Jordanien fördern wir die soziale Teilhabe von Flüchtlingen . Ich hatte Kontakt mit einem katholischen Bischof und einem muslimischen Stammeshäuptling aus Nigeria, die im Norden des Landes, wo Boko Haram wütet, ein positives Beispiel für Toleranz und friedliches Miteinander setzen . Ich möchte in diesem Zusammenhang auch die zahlreichen Aktivitäten der kirchlichen Hilfswerke aus Deutschland nennen, die wir seit vielen Jahren unterstützen und die vor Ort segensreich wirken . ({1}) Meine Damen und Herren, wo Dialog stattfindet, kann Vertrauen entstehen, und wo Vertrauen geschaffen wird, kann das Zusammenleben gelingen . Dass in vielen Ländern der Weg dorthin noch weit ist, das legt der Bericht der Bundesregierung in aller Deutlichkeit dar . Aber daraus müssen wir die richtigen Schlüsse ziehen, und wir sollten uns nicht entmutigen lassen . Wir müssen mit Vertretern der Religionsgemeinschaften enger zusammenarbeiten . Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass wir der weltweiten Verfolgung und Diskriminierung von Menschen aufgrund von Religion und Weltanschauung ein Ende setzen können . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner in der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Heribert Hirte für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werfen Sie einmal einen Blick auf die Uhr: Es ist jetzt gleich halb elf . Das ist sozusagen die Primetime in den Plenardebatten . Dass wir hier heute im Deutschen Bundestag an so prominenter Stelle über die Religions- und Glaubensfreiheit reden können, und das, um im Bild zu bleiben, fast in voller Spielfilmlänge, das freut mich. Es freut mich als Christ, es freut mich als Vorsitzender des Stephanuskreises, und es freut mich auch als Jurist . Denn es zeigt: Wir sehen das Menschenrecht der Religions- und Glaubensfreiheit nicht als bloße Rechtsgrundlage, die in zahlreichen internationalen und regionalen Menschenrechtskonventionen und natürlich in unserer eigenen Verfassung verankert ist, nein, wir sehen die Religionsfreiheit als ein Freiheitsrecht jedes Einzelnen an, ein Freiheitsrecht, das besonders lebendig in einer Gesellschaft gelebt werden kann, wenn wir es in die Hand nehmen und so wie hier heute in die Höhe halten . Für uns ist das selbstverständlich . Aber Religions- und Glaubensfreiheit ist kein Thema, das irgendeine Region dieser Welt auf ihrer To-do-Liste abhaken könnte, selbst wenn wir nicht Gegenstand des vorliegenden Berichts sind . Angesichts einer religiös und kulturell vielfältiger werdenden Gesellschaft spüren wir es deutlich: Die Religionsfreiheit ist ein umkämpftes Recht . Dabei ist nach meiner Einschätzung in unserem christlich geprägten Deutschland das, was uns ernsthaft zu schaffen macht, vor allen Dingen die religiöse Bildungslücke in unserer eigenen Gesellschaft . Immer mehr junge Menschen können auf den lieben Gott ganz gut verzichten, aber nicht auf das Internet . Doch eine Gesellschaft, die ihre eigenen religiösen Wurzeln nicht mehr kennt, teilweise sogar bewusst ignoriert, kann kaum Verständnis für Menschen aufbringen, die offen und mit Nachdruck für ihren eigenen Glauben eintreten, ({0}) seien es zu uns geflüchtete Muslime, Christen oder Angehörige anderer Religionsgruppen . Um das an dieser Stelle gleich klar zu sagen: Bei uns in Deutschland und in ganz Europa ist die Religions- und Glaubensfreiheit besser umgesetzt als in vielen anderen Regionen dieser Welt . Deshalb haben wir eine besondere Vorbildfunktion und Verantwortung . Wir Parlamentarier sind in der Lage, mit dem Finger auf Missstände in anderen Ländern zu zeigen - das tun wir hier jetzt gerade auch -, aber dieser Fingerzeig sollte vor allen Dingen als Handreichung dienen, damit Parlamentarier aus anderen Staaten von uns lernen können und umgekehrt wir auch von ihnen . Ein gelungenes Beispiel für dieses gegenseitige Andie-Hand-Nehmen ist die Parlamentarierkonferenz, die letzte Woche hier in Berlin zur Religionsfreiheit stattgefunden hat . Auf Einladung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion konnten wir hier in Berlin über 100 Parlamentarier verschiedenster Glaubensrichtungen, aller Glaubensrichtungen, aus über 50 Ländern dieser Welt begrüßen . Wir werden und wollen uns auch in Zukunft regelmäßig treffen. Wir werden weiter den Finger in die Wunde legen, und wir werden weiter gemeinsame Appelle an die Regierungen richten, die die Religionsfreiheit missachten . Wir werden nicht aufhören, dieses Freiheitsrecht weiter einzufordern, so lange, bis es für alle gilt . ({1}) Je enger wir uns international vernetzen und je enger wir zusammenarbeiten, desto erfolgreicher sind wir . Denn - das muss man klar sagen - öffentlicher Druck von allen Seiten hilft . Kein Staat der Welt, auch nicht Nordkorea, möchte ewig am Pranger stehen . Das zweite Land, das in diesem Zusammenhang zu nennen ist, ist Saudi-Arabien . Unsere Fraktion setzt sich mit Volker Kauder an der Spitze bereits seit vielen Jahren engagiert für die Religionsfreiheit in aller Welt ein . ({2}) Seit dieser Legislaturperiode leite ich den Stephanuskreis, an dem sich ein Drittel unserer Fraktion aktiv beteiligt . Hier legen wir den Fokus auf Christen, die aufgrund ihres Glaubens diskriminiert und verfolgt werden . Wir laden diese Menschen zu uns ein . Wir reisen zu ihnen in die verschiedenen Regionen der Welt und zeigen ihnen so: Wir sind für euch da . Wir hören euch und sehen euer Leid . Wir setzen uns für euch ein . Wenn wir den Fokus auf die Christen richten, dann heißt das aber nicht, dass wir andere Religionsgruppen benachteiligen . Wenn wir für die Rechte von Christen kämpfen, dann kämpfen wir für alle religiösen Minderheiten, damit alle ihren Glauben frei und offen leben können . Denn überall dort, wo Religionsfreiheit fehlt Volker Beck hat das eben deutlich gesagt -, sind auch Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit beeinträchtigt und die Freiheit von Mann und Frau in Gefahr . Unsere effizienteste Waffe im Kampf für die Religionsfreiheit - ich kann das nicht oft genug sagen - ist das Wort. Der interreligiöse Dialog öffnet Türen, die einem durch Drohungen und Sanktionen verschlossen bleiben; das hat Kollege Silberhorn eben schon angesprochen . Wir sind dankbar dafür, dass die Bundeskanzlerin auf ihren vielen Reisen auch dieses Themenfeld immer wieder anspricht . Auch die Entwicklungspolitik unserer Regierung besteht zu einem erheblichen Teil aus dem Eintreten für die Religions- und Weltanschauungsfreiheit . Aber die Frage ist: Wie soll es weitergehen? Ein wichtiges Signal ist, dass auf unsere Initiative der europäische Sonderbotschafter Figel bestellt wurde . Aber ich glaube, wir müssen noch einen Schritt weitergehen Volker Kauder hat es angesprochen -: Wir müssen über eine ähnliche Institution auch bei der Bundesregierung nachdenken . ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen umfassenden Bericht der Bundesregierung vorliegen, der deutlich macht, welche Maßnahmen unternommen wurden und welche Aufgaben noch vor uns liegen . Deshalb müssen wir unseren Worten Taten folgen lassen, damit Christen, Muslime, Juden, Aleviten, Jesiden, Bahai und die vielen anderen unterdrückten Religionsgruppen endlich so leben können - da zitiere ich den Kölner Kardinal Woelki -, „wie es Gott gefällt: aufrecht und frei“ . Vielen Dank . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/8740 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen . - Dazu darf ich Ihr Einvernehmen feststellen . Also ist die Überweisung so beschlossen . Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 9 a und 9 b: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Özcan Mutlu, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Britische Staatsangehörige rasch und unkompliziert einbürgern Drucksache 18/9669 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({2}), Özcan Mutlu, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Einbürgerung und zur Ermöglichung der mehrfachen Staatsangehörigkeit Drucksache 18/5631 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch diese Aussprache soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung 77 Minuten dauern . - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch . Also verfahren wir so . Ich eröffne die Aussprache und erteile Volker Beck für die antragstellende Fraktion das Wort .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen heute darüber reden, wie wir beim Thema „Integration und Einbürgerung“ besser vorankommen . Dazu haben wir zwei Initiativen vorgelegt . Zum einen geht es um eine umfassende Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts unter der Überschrift „Wir wollen mehr Mehrstaatigkeit wagen“, zum anderen wollen wir eine Antwort auf die Auswirkungen der anstehenden Brexit-Verhandlungen auf die britischen Bürger geben . Der italienische Regierungschef Renzi hat hierzu vorgeschlagen, dass die Briten, die in den europäischen Staaten leben, schnell eingebürgert werden sollen . Das haben wir in einem Antrag aufgeschrieben . Schon das gegenwärtige Recht erlaubt es, europäische Staatsbürger, die sich kürzer als sechs Jahre hier in Deutschland aufhalten, unter Hinnahme der Doppelstaatigkeit einzubürgern . Dies sollten wir hier tun, auch wenn die Anwendungshinweise des Bundesinnenministers etwas anderes besagen . Wir sollten das Signal setzen: Die Briten gehören zu Europa; die Briten sind uns in Deutschland willkommen . ({0}) Nach Auskunft der Bundesregierung betrifft das 107 000 britische Staatsbürger, die gegenwärtig in Deutschland leben . Davon haben wir in den vergangenen Jahren 5 000 eingebürgert . Wir schlagen vor, auch den anderen etwa 100 000 Briten dieses Angebot zu machen . ({1}) Dann wären alle Fragen, die sich aus den Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU womöglich ergeben, zumindest für diese Menschen geklärt . Sie hätten dann gleiche Rechte und gleiche Möglichkeiten, und sie wären Teil unseres Landes . Herr Gabriel hat das ja auch gefordert, und ich rechne deshalb damit, dass zumindest die SPD-Fraktion mit der Linken dafür sorgt, dass das hier eine Mehrheit findet. Da wir uns vorhin bei der Religionsfreiheit so gut verstanden haben, hoffe ich aber, dass die gesamte Große Koalition diesen Schritt mit uns gemeinsam gehen wird . Der Bundesrat diskutiert heute über ein Einwanderungsgesetz . Wir haben in der letzten Woche unter Führung von Katrin Göring-Eckardt eine umfassende Anhörung zu dem Thema durchgeführt, wie ein modernes Einwanderungsrecht aussehen muss . Zu einem modernen Einwanderungsland gehört nicht nur die Ermöglichung, nach Deutschland zu kommen, sondern es gilt auch, gerade für die hochgebildeten und gut qualifizierten Menschen eine attraktive Atmosphäre auszustrahlen, und dazu gehört das Staatsangehörigkeitsrecht . Deshalb schlagen wir Ihnen heute vor, im jetzigen Staatsangehörigkeitsrecht ganz wesentliche Veränderungen vorzunehmen: Wir wollen von dem Prinzip der Vermeidung der Mehrstaatigkeit grundsätzlich abrücken . Wir halten das in einer globalisierten Welt nicht für zeitgemäß . Springen Sie über Ihren Schatten! Ein Pass bzw . eine Staatsangehörigkeit ist kein Religionsbekenntnis, sondern die Ermöglichung der gleichberechtigten Teilhabe für die Menschen, die hier arbeiten, leben und Steuern zahlen . ({2}) Wir wollen die Fristen bei der Anspruchseinbürgerung herabsetzen . Wir wollen, dass fortan Menschen, die einen Aufenthaltstitel oder eine Niederlassungserlaubnis haben, einen leichteren Zugang erhalten . Wir wollen bei jungen Menschen, die gerade ihre Ausbildung beendet haben und bei uns zur Schule, zur Universität gegangen sind, vielleicht aber noch nicht so viel verdienen, Ausnahmen beim Nachweis der Lebensunterhaltssicherung machen . Das soll kein Hinderungsgrund dafür sein, hier von Anfang an gleichberechtigt als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland mitzuwirken . Ähnliches wollen wir für ältere Menschen, die aufgrund des Eintritts ins Rentenalter nicht mehr so leicht die entsprechenden Anforderungen erfüllen können . ({3}) Bei den Kenntnissen der deutschen Sprache wollen wir grundsätzlich keine Abstriche machen . Für Menschen, die aufgrund von Krankheit, Behinderung oder Alter die erforderlichen Sprachniveaus nicht erreichen können, wollen wir aber ein Auge zudrücken und sagen: Das hindert nicht daran, dass sie als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mitmischen können . ({4}) Der Einbürgerungstest ist umstritten . ({5}) Präsident Dr. Norbert Lammert Ich habe bei seiner Einführung nicht viel davon gehalten . Wir schlagen Ihnen vor, dass zumindest Menschen, die hier Abitur gemacht, zur Universität gegangen sind, nicht mit so etwas Albernem konfrontiert werden . ({6}) Das ist ein schlechtes Signal, ein Misstrauenssignal . Hier wollen wir mehr Liberalität wagen . ({7}) Meine Damen und Herren von der Union, wir hatten in diesem Jahr angesichts der Demonstrationen für Erdogan in meiner Heimatstadt Köln eine Diskussion darüber, ob die deutsch-türkischen Doppelstaatler ein Loyalitätsproblem mit unserem Land haben . ({8}) Ich muss Ihnen sagen: Bei der Anzahl der Doppelstaatler liegen die Menschen aus der Russischen Föderation vorne . Die Türken liegen an dritter oder vierter Stelle bei der Anzahl der Personen, die von der Doppelstaatigkeit Gebrauch machen durften . Wir wissen nicht, wer da demonstriert hat, ob das welche mit türkischem Pass, mit deutschem Pass oder mit einem deutschen und einem türkischen Pass waren, und selbstverständlich muss es doch durchaus auch möglich sein, sich zu den Verhältnissen im Herkunftsland der Eltern politisch zu artikulieren . Wer sich da artikuliert hat und wie sie sich artikuliert haben: Damit habe ich auch einen Dissens . Das gehört aber zu einer Auseinandersetzung in einer demokratischen Einwanderungsgesellschaft dazu . Nicht alle Migranten sind gleich . Nicht alle denken das Gleiche genauso wie die Leute, die schon seit Generationen hier leben, auch nicht alle das Gleiche denken . Ich habe mit einem AfDler den gleichen Dissens wie mit einem AKPler . Beide Formen des Nationalismus sind mir zuwider, und ich will als Demokrat auch politisch dagegen argumentieren . Das tue ich aber nicht über das Staatsangehörigkeitsrecht . ({9}) Man muss sich schon einmal die Frage stellen, was geschähe, wenn der Satz richtig wäre, dass jemand, der von woanders herkommt, sich in politische Debatten seiner Herkunftsregion nicht mehr einmischen sollte . Wollen wir allen Ernstes, dass ein deutsch-britischer Doppelstaatler hier in Deutschland nicht dafür wirbt, dass die Entscheidung für den Brexit falsch ist und dass Großbritannien besser in der Europäischen Union aufgehoben wäre? Wollen wir allen Ernstes einem deutsch-französischen Doppelstaatler sagen, es wäre falsch, dass er seine Regierung unterstützt, wenn sie sich gegen rechtsradikale und antisemitische Politiker in ihrem Lande wendet? Wollen wir einem deutsch-costa-ricanischen Doppelstaatler untersagen, dass er seine Regierung dabei unterstützt, wenn sie sich für Biodiversität und erneuerbare Energien einsetzt? Was wollen wir sagen, wenn ein deutsch-kolumbianischer Doppelstaatler die kolumbianische Regierung unterstützt, wenn diese sich für den Ausgleich und für Friedensverhandlungen mit der FARC einsetzt?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Niemand käme auf diese Idee . Dann sollten wir es aber auch bei den Türken nicht anders diskutieren und das als Argument für ein ewiges No-Go bei der Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechtes verwenden . Vielen Dank, meine Damen und Herren . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Stephan Mayer ist nun der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Man könnte es sich leicht machen oder lapidar sagen: „olle Kamellen“ oder „alter Wein in neuen Schläuchen“ . Die Grünen legen einen Gesetzentwurf zur Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts vor und sprechen sich für die generelle Anerkennung der Mehrstaatigkeit aus . Aber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, so leicht möchte ich es mir nicht machen, weil aus meiner Sicht insbesondere dieser Gesetzentwurf, den Sie heute in erster Lesung vorlegen, auf eine parteipolitische, aber auch eine gesellschaftspolitische Geisterfahrt führt . Es geht nicht nur um Detailregelungen, die Sie im Staatsangehörigkeitsrecht ändern wollen, sondern - dieser festen Überzeugung bin ich - Ihr Ansatz hat eine gesellschaftspolitische Dimension . ({0}) Sie, die Grünen, wollen sich ein neues Staatsvolk schaffen . Wenn man in die Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf blickt, erkennt man, dass Sie sehr unverblümt Ihr Ansinnen offenbaren. Sie wollen eine „größtmögliche Kongruenz“ - so schreiben Sie - zwischen dem Staatsvolk und der Bevölkerung . ({1}) Ich sage Ihnen ganz offen: Dafür wird Ihnen die CDU/ CSU nicht die Hand reichen . Dafür sind wir nicht zu haben . ({2}) Volker Beck ({3}) Die Grünen wollen generell den Grundsatz der Mehrstaatigkeit anerkennen und sich insoweit von der bisherigen, bewährten rechtlichen Grundlage abkehren, dass die Mehrstaatigkeit die Ausnahme ist. Sie offenbaren dies sehr verräterisch in Ihrer Begründung, indem Sie ganz dezidiert von einer Einbürgerungsoffensive sprechen. Sie wollen in Deutschland eine Einbürgerungsoffensive vornehmen . Ich bin der felsenfesten Überzeugung: Der überwiegende Teil, der Großteil der deutschen Bevölkerung will dies nicht . Wir brauchen keine Einwanderungsoffensive. Gerade in einer Zeit, in der wir ohnehin in schwierigem Fahrwasser sind, in der sich unsere Gesellschaft ohnehin eher auseinanderdividiert, in der wir eine Polarisierung unserer Gesellschaft erleben, ({4}) in der die Zentrifugalkräfte, die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft zunehmen, wäre es genau kontraproduktiv, wenn wir jetzt, wie von Ihnen intendiert und gefordert, eine Einwanderungsoffensive vornähmen. ({5}) Der Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, würde genau das Gegenteil dessen bewirken, was er Ihnen zufolge bewirken würde: Er wirkt nicht integrationsfördernd; er wirkt integrationshemmend . Wenn die Regelungen so umgesetzt würden, wie Sie sie vorschlagen, würde genau das Gegenteil entstehen; es würden nämlich Parallelgesellschaften gefördert und in ihrer Gegensätzlichkeit intensiviert werden . ({6}) Ich darf Ihnen einige Beispiele nennen . Sie wollen generell auf das Erfordernis des Nachweises der Sicherung des Lebensunterhalts bei jungen Menschen, die in Ausbildung sind, verzichten . Was bedeutet das? Dass ein junger Mensch, der gerade in der Ausbildung ist, ({7}) im Hinblick auf die Einbürgerung nicht mehr nachweisen muss, dass er seinen eigenen Lebensunterhalt selbst generieren kann . Das wäre genau kontraproduktiv . Wir wollen doch, dass die jungen Menschen in die Lage versetzt werden, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können . Wir wollen keine Einwanderung in die Sozialsysteme . Genau das würde eintreten, wenn Ihr Gesetzentwurf umgesetzt würde . Sie würden der Einwanderung in die Sozialsysteme Vorschub leisten . Ich sage Ihnen hier ganz offen: Dafür hat auch die deutsche Bevölkerung kein Verständnis. Dies findet in der deutschen Bevölkerung auch keine Akzeptanz . Des Weiteren wollen Sie bei einigen Personengruppen auf den Nachweis von Deutschkenntnissen verzichten . Dafür gilt das Gleiche . Auch diese Regelung wäre nicht integrationsfördernd, sondern integrationshindernd . Wir wollen doch gerade, dass Menschen, die zu uns kommen, möglichst schnell Deutsch lernen . Das Erlernen der deutschen Sprache ist die Grundvoraussetzung, um in Deutschland Fuß zu fassen, um in Deutschland erfolgreich zu sein, um sich einen Freundeskreis aufzubauen, ({8}) um in bestimmte soziale Schichten aufsteigen zu können, um Arbeit zu finden. ({9}) Sie wollen genau das Gegenteil . Sie wollen bei bestimmten Personengruppen auf den Nachweis von Deutschkenntnissen verzichten, wenn es darum geht, ob diese Person eingebürgert werden kann . ({10}) Damit würden Sie der Integration einen Bärendienst erweisen . Ich möchte hier auch betonen, dass in den letzten Jahren gerade auf Druck der CDU/CSU die Ausgaben für Deutsch- und Integrationskurse deutlich erhöht wurden . Im Jahr 2015 hat der Bund 260 Millionen Euro für Deutsch- und Integrationskurse ausgegeben . Wir haben die Mittel für die Kurse von 2015 auf 2016 mehr als verdoppelt, nämlich auf 570 Millionen Euro in diesem Jahr . Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf noch einmal 40 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt . ({11}) Im nächsten Jahr werden mindestens 610 Millionen Euro für Sprach- und Integrationskurse ausgegeben . Das ist richtig verstandene Integration, nicht der von Ihnen vorgeschlagene Weg . ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hinaus wollen Sie, dass eine Anspruchseinbürgerung bereits nach fünfjährigem Aufenthalt in Deutschland möglich ist . Sie wollen also die Frist von acht auf fünf Jahre reduzieren . Was hinzukommt - das ist aus meiner Sicht völlig unlogisch und nicht nachvollziehbar -: Sie würden Flüchtlinge und ihnen gleichgestellte Personen noch einmal dadurch privilegieren, dass bei Flüchtlingen allein schon ein dreijähriger Aufenthalt ausreichen würde, um die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen und daneben die bisherige Staatsbürgerschaft beibehalten zu können . Stephan Mayer ({13}) Das ist aus meiner Sicht der falsche Weg . Dafür sind wir in keiner Weise zu haben . Das Gleiche gilt für Ihren Vorschlag, auf den Einbürgerungstest zu verzichten . Sie, Herr Kollege Volker Beck, haben gesagt: Na ja, der Einbürgerungstest ist umstritten . - Der Test wird von Ihnen nicht anerkannt . ({14}) Aber ich sage hier ganz deutlich: Der Einbürgerungstest hat sich bewährt . ({15}) Es ist gut, wenn vor der Einbürgerung ein entsprechender Nachweis in Form einer Prüfung erbracht werden muss, um zu beweisen, dass man zumindest Grundkenntnisse der deutschen Geschichte, des deutschen Sozialaufbaus und des deutschen Staatsgefüges besitzt . ({16}) Darauf jetzt zu verzichten, wäre aus meiner Sicht der völlig falsche Weg und wäre vollkommen kontraproduktiv . ({17}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben in dieser Legislaturperiode unser Staatsangehörigkeitsrecht bereits grundlegend geändert . Ich mache keinen Hehl daraus: Es war nicht der Wunsch der CDU/ CSU, in Teilen auf das Optionsmodell zu verzichten . Wir haben aber aus meiner Sicht einen verträglichen Kompromiss dahin gehend gefunden, dass das Optionsmodell nur in den Fällen obsolet ist und nicht mehr angewandt wird, in denen konkrete Nachweise erbracht sind, dass eine Person in Deutschland Fuß gefasst hat, ({18}) wenn sie sich also mindestens acht Jahre in Deutschland aufgehalten hat, wenn sie sechs Jahre in Deutschland zur Schule gegangen ist oder wenn sie in Deutschland einen erfolgreichen Schulabschluss oder einen erfolgreichen Berufsschulabschluss vorweisen kann . Das sind ganz konkrete Indizien dafür, dass jemand in Deutschland angekommen ist und sich in die deutsche Gesellschaft erfolgreich integriert hat, sodass aus meiner Sicht unter diesen Voraussetzungen auf das Optionsmodell verzichtet werden kann . Weiter gehende Wünsche im Hinblick auf eine Liberalisierung werden wir auf jeden Fall nicht mittragen . ({19}) Die angesprochenen Loyalitätskonflikte gibt es natürlich . ({20}) Sie haben die Deutschen aus Russland angesprochen . Wir haben doch gerade in diesem Jahr erlebt, wie die Deutschen aus Russland vom Putin-Regime teilweise instrumentalisiert werden . Es geht darum, dass sie in erster Linie Russia Today und nicht deutsches Fernsehen sehen . Ich erinnere an den Fall Lisa, der sich hier in Berlin im Januar dieses Jahres ereignet hat . Es hat nur wenige Stunden gedauert, bis in über 100 Städten Deutschlands angeblich spontane Demonstrationen von Deutschen aus Russland stattgefunden haben . Mir macht keiner weis, dass die Deutschen aus Russland, losgelöst und unkoordiniert, in über 100 Städten in wenigen Stunden von alleine auf die Straße gegangen sind . Das war natürlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, von langer Hand geplant . Da sieht man doch genau an diesem konkreten Fall, wie es dann bei Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft zu Loyalitätskonflikten kommen kann. Ich möchte auf einen weiteren konkreten Fall der Praxis zu sprechen kommen, bei dem sich ebenfalls Loyalitätskonflikte zeigen könnten - wohlgemerkt: könnten -, der aber noch nicht endgültig ausermittelt ist . Seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli dieses Jahres befinden sich sechs deutsche Staatsangehörige in der Türkei in Haft . Ob zu Recht oder zu Unrecht, steht mir nicht zu zu bewerten . Es ist noch nicht klar, ob diese neben der deutschen die türkische Staatsangehörigkeit haben . Ich nehme an, dass es dem Erdogan-Regime ziemlich egal ist, ob die Betreffenden, wenn sie die türkische Staatsangehörigkeit haben, auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen; denn allein das Vorhandensein der entsprechenden Staatsangehörigkeit reicht für viele Staaten auf der Welt aus - so auch die Türkei -, die betreffenden Personen als ihre Staatsangehörigen zu behandeln . Diesen Personen bringt es in einem Konfliktfall überhaupt nichts, auch die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen . ({21}) Es gibt überhaupt keinen Grund, nun einer weiteren Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts näherzutreten . Wir fordern in Teilen sogar eine Verschärfung, insbesondere wenn es darum geht, potenziellen IS-Kämpfern oder Kämpfern, die sich in Kampfhandlungen des Dschihad engagieren, die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, sofern sie über eine weitere Staatsangehörigkeit verfügen . ({22}) Wir von der Union werden Ihnen von der SPD sehr bald einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen . Ich bitte Sie eindringlich, diesem wichtigen und sachgerechten Anliegen näherzutreten . Stephan Mayer ({23}) Zum Schluss noch ein kurzes Wort zu Ihrem Antrag, britische Staatsangehörige rasch und unkompliziert einzubürgern . Ich habe mich in meiner Funktion als Vorsitzender der Deutsch-Britischen Parlamentariergruppe nach dem Referendum vom 23 . Juni dahin gehend geäußert, dass es wünschenswert ist - demgegenüber sind wir aufgeschlossen -, dass britische Staatsangehörige in Deutschland auch die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen . Man kann das aber derzeit mit Gelassenheit sehen . Zum einen sind die Verhandlungen bezüglich des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union noch gar nicht angelaufen . Zum anderen besteht aus meiner Sicht überhaupt kein Grund für eine Zwangsgermanisierung der Briten in Deutschland . ({24}) Ich glaube, wir sollten das alles mit britischer Gelassenheit sehen . Für das in Ihrem Antrag geäußerte Ansinnen besteht überhaupt kein Anlass . Briten in Deutschland haben ohnehin aufgrund ihrer britischen Staatsangehörigkeit alle Rechte, bis auf das Wahlrecht bei Bundestagsund Landtagswahlen . Deswegen ist Ihr Antrag völlig überflüssig. Er wird dementsprechend unsere Ablehnung erfahren . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({25})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dağdelen das Wort. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Mayer, die allermeisten in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten sind loyaler gegenüber dieser Gesellschaft und dem Grundgesetz ({0}) als der Nazimob, der Flüchtlinge durch die Straßen jagt und Unterkünfte in Brand steckt, oder CSU-Politiker, die über ministrierende, fußballspielende Senegalesen in unserer Gesellschaft schwadronieren . Das ist nicht loyal gegenüber unserer Gesellschaft, Herr Kollege Mayer . ({1}) Zur Redlichkeit gehört, zum Thema zu sprechen . Warum sprechen Sie, wenn mein Kollege Volker Beck von Einbürgerungsoffensive spricht, von Einwanderungsoffensive? Sie bauen hier einen Pappkameraden auf, um Stimmung gegen das Thema Einbürgerung zu machen . Hören Sie mit solchen unfairen Sachen auf! ({2}) Wir sprechen hier über Einbürgerung . Das Gleiche gilt für Ihre Stimmungsmache gegen Russlanddeutsche . Wahrscheinlich wissen Sie gar nicht, worüber wir hier reden . Wir sprechen über Einbürgerung . Russlanddeutsche sind doch gar nicht eingebürgert worden . Wo leben Sie überhaupt? Haben Sie überhaupt Ahnung von diesem Thema? ({3}) Russlanddeutsche haben die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen . Da spielt Einbürgerung keine Rolle . ({4}) Lernen Sie dazu, bevor Sie über dieses Thema sprechen, und machen Sie nicht einfach Stimmung gegen dieses Thema! Sie haben gesagt, dass die deutsche Sprache erlernt werden muss . Ich kann Sie beruhigen: Sie sind seit 2005 in der Bundesregierung, nicht wir . ({5}) Gemäß der Schlagzeile in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung hat nicht einmal jeder Zweite einen Platz in einem Integrationskurs . Das ist Ihre desaströse Bilanz in der Integrationspolitik . Sie sind es, die die Plätze nicht zur Verfügung stellen . Wir haben seit 2005 die Integrationskurse, und seit 2005 gibt es mehr Anfragen nach diesen Kursen, als es Plätze gibt, und das wissen Sie. Also schaffen Sie ausreichend Plätze, wenn Sie von den Menschen möchten, dass sie die deutsche Sprache erlernen! Machen Sie hier keine Stimmung! ({6}) Ich möchte noch etwas zum Thema Loyalität und Loyalitätsappelle hinzufügen. Ich finde es wirklich absurd: Während die Bundeskanzlerin von den hier lebenden Deutschtürken Loyalität fordert, macht sie gemeinsame Sache mit dem türkischen Despoten Erdogan, der mithilfe seines Netzwerks alles tut, um die Integration hier lebender Deutschtürken zu hintertreiben . Fragen Sie doch lieber Ihre Kanzlerin, was sie dafür tut, um die Integration hier zu hintertreiben! ({7}) Stephan Mayer ({8}) Sie sollte damit aufhören, mit Erdogan gemeinsame Sache zu machen, weil es sein Netzwerk ist, das die Menschen hier von der Integration abhält und dagegen Stimmung macht . Das wäre ein Beitrag zur Integration statt der Zusammenarbeit mit einem Despoten . Hören Sie auf mit Appellen zur Loyalität, während Sie das Ganze dadurch hintertreiben, dass Sie gemeinsame Sache machen! Wir, die Linksfraktion, jedenfalls unterstützen den vorliegenden Antrag der Grünen, weil die Erleichterung der Einbürgerung in dieser Gesellschaft längst überfällig ist . ({9}) Wer auf Dauer in Deutschland lebt, soll auch gleichberechtigt am politischen Leben teilhaben können und darf im Berufsleben nicht benachteiligt werden . Hier lebende Migrantinnen und Migranten dürfen nicht länger Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sein, egal seit wann sie hier leben und arbeiten . Wer hier lebt und arbeitet, wer hier zur Schule geht oder gegangen ist, eine Ausbildung gemacht oder eine Universität besucht hat, aber keinen deutschen Pass hat, darf beispielsweise nicht verbeamtet werden oder ein Schöffenamt übernehmen. Das sind nur zwei Diskriminierungsbeispiele dafür, warum die erleichterte Einbürgerung längst überfällig ist . Die Integrationsbeauftragte Ihrer Bundesregierung, Aydan Özoğuz, schätzt, dass fast drei Viertel der 7,6 Millionen Ausländer einen deutschen Pass beantragen können . Allein, das ist nicht gewollt, und die Hürden werden bewusst hoch gelegt, etwa indem unsinnigerweise gefordert wird, je nach Herkunft die Herkunftsstaatsangehörigkeit abzugeben . Die Einbürgerungsquote in Deutschland liegt unter dem Durchschnitt der Europäischen Union . Wenn Sie dieses Land europäisieren wollen, dann müssen Sie auch die Einbürgerung erleichtern . Im vergangenen Jahr sind gerade einmal 107 000 Menschen rechtlich gleichgestellt worden . Schweden, Ungarn, Portugal, Spanien, Polen und sogar die Niederlande: Sie alle liegen in diesem Bereich punkteweit vor Deutschland . Wenn Sie einen Schritt zu mehr Europa wollen - wenn Sie schon Europa mit der Europäischen Union gleichsetzen, wie es, meiner Meinung nach fälschlicherweise, oftmals getan wird ({10}) und wenn Sie dieses Land europäisieren wollen, dann müssen Sie die Einbürgerung erleichtern . Das wäre ein Schritt zu mehr Integration, aber nicht diese Stimmungsmache in diesem Haus . Vielen Dank . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion . ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist kein Versehen, dass ich mich zweimal auf die Rednerliste habe setzen lassen, aber eigentlich braucht der Gegenstand der Debatte nicht so viele Worte, dass ich dafür eine Redezeit von 16 Minuten bräuchte. Ich hoffe, es geht kürzer, aber möglicherweise ergibt sich die Notwendigkeit - das hängt von den weiteren Rednern ab -, noch einmal etwas zu dem zu sagen, was in der Zwischenzeit von diesem Pult aus geäußert worden ist . Es geht hier und heute nicht um eine Zwangsgermanisierung von Briten, lieber Stephan Mayer - das war, glaube ich, ein verbaler Ausrutscher -, ({0}) sondern es gilt der Satz von Volker Beck, dass Briten uns grundsätzlich sehr willkommen sind - da macht sicherlich auch die Union keine Ausnahme - und es damit im Prinzip wünschenswert wäre, wenn sich viele von ihnen, die die Voraussetzungen erfüllen, bei uns einbürgern lassen . Ich glaube, das ist ein Ziel, das uns eint . Es wird Sie nicht wundern, dass wir Sozialdemokraten dem grundsätzlich offen gegenüberstehen. Denn schließlich war es unser Parteivorsitzender, der das Urheberrecht für diese Idee in Anspruch nehmen kann . ({1}) - In der Tat, Claudia Roth . Ich habe das Zitat in meinen Unterlagen . Ich kann es gerne noch einmal heraussuchen und dir geben . Er hat das in der Tat vorgeschlagen, und es ist richtig: grundsätzlich und für alle diejenigen, die schon in Deutschland leben . Aber es bedarf hier weder einer Rechtsänderung - das haben die Grünen richtig erkannt - noch irgendwelcher Beschlüsse des Bundestages oder irgendwelcher Initiativen des Bundesinnenministers, weil nach den vorläufigen Verwaltungsvorschriften sehr wohl die Möglichkeit besteht, jedenfalls im Rahmen der Ermessenseinbürgerung, schon heute die Voraufenthaltszeiten von sieben bzw . acht Jahren auf drei Jahre deutlich zu verkürzen . Das ist ein Angebot, das jetzt schon für alle Briten auf dem Tisch liegt . Ich kann mir vorstellen, dass alle Einbürgerungsbehörden so vernünftig sind, auf diese besondere Situation, die nach dem Brexit entstanden ist, entsprechend zu reagieren und dann auch Ermessenseinbürgerungen auszusprechen . ({2}) Die geltende Rechtslage und auch die hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften, übrigens auch die vorläufigen Anwendungshinweise aus dem letzten Jahr, müssen nicht noch einmal gesondert klargestellt werden . ({3}) Da reicht es im Übrigen auch völlig aus, wenn die Einbürgerungsbehörden bei ihren gelegentlichen Zusammenkünften sich inhaltlich austauschen . Ich will Ihnen aber auch sagen, wo nach meinem Dafürhalten ein bisschen Vorsicht angebracht ist . Ich habe eben gesagt: Für die bereits hier lebenden Briten sollten wir ein Angebot machen und eine flexible Lösung finden. Wovon ich aber nichts halte - das ist meine persönliche Auffassung -, ist, etwa über die Dauer eines dann vollzogenen Brexits hinaus den Briten Sonderrechte gegenüber allen anderen Europäern zu gewähren . Das wäre pädagogisch, glaube ich, der falsche Ansatz . ({4}) Das würde einen Anreiz in die falsche Richtung bieten . Stattdessen wäre es wesentlich besser - Augenblick, ich komme jetzt zu eurem Antrag; hier grenze ich mich deutlich von Stephan Mayer ab, der für die Union gesprochen hat -, ({5}) wenn wir insgesamt im Staatsbürgerschaftsrecht weitere Erleichterungen generell vornehmen würden, so wie es euer Gesetzentwurf, wie ich finde, richtigerweise an sehr vielen Stellen vorschlägt: genereller Verzicht auf das Verbot von Mehrstaatlichkeit, Verkürzung des Voraufenthaltes, Anrechnung von Voraufenthaltszeiten, Erleichterungen für Junge und Alte im Bereich der Notwendigkeit, den Lebensunterhalt zu bestreiten, und dergleichen Dinge mehr . ({6}) Alles, was in eurem Gesetzentwurf steht, ist aus der Sicht von Sozialdemokraten grundsätzlich zu unterstützen . ({7}) Wenn wir denn gekonnt hätten, hätten wir das nicht schon 1999, sondern vielleicht auch in der Folgezeit gemacht . Wenn wir denn gekonnt hätten heißt, wenn wir dafür die entsprechenden Mehrheiten hier in diesem Haus und im Bundesrat gehabt hätten . Das war aber leider nicht so . Ich setze die Geschichte als bekannt voraus und muss das jetzt nicht endlos wiederholen . Jetzt ist es nicht unbedingt so, dass mich schon der beginnende Schmerz über die Trennung von dieser Koalition überkommt, wenn ich an das nächste Jahr denke . Aber eines muss klar sein: Wenn sich die Mehrheitsverhältnisse hier in diesem Haus nicht ändern und wenn es keine tragfähige Mehrheit gibt, die auch gegenüber einer Reform des Staatsbürgerschaftsrechts offen ist, dann wird sich, jedenfalls mit der Union, nichts ändern lassen . Wir haben - um das klipp und klar zu sagen - im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen bekanntlich erreicht und hier entsprechend umgesetzt, dass das Optionsrecht liberalisiert worden ist, wenigstens für die hier in Deutschland geborenen Kinder und Jugendlichen . Das betrifft roundabout, so schätze ich, 95 Prozent. Mehr war mit der Union nicht zu machen . Umgekehrt, Stephan Mayer, werden auch wir nicht von Vorschlägen der Union zur Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts - Stichwort „Terrorbekämpfung“ -, die über das, was in der Koalitionsvereinbarung steht, hinausgehen, begeistert sein . Auch das muss klar sein . Aber um diesen Teil meiner Rede abzuschließen: Wir alle, die wir später noch im Parlament sitzen und im nächsten Jahr den Wahlkampf vor uns haben, müssen dafür sorgen, dass es die parlamentarischen Mehrheiten und eine darauf gestützte Regierung beim nächsten Mal gibt, um derartige Vorschläge, wie sie die Grünen jetzt gemacht haben, umsetzen zu können . In der derzeitigen Koalition geht das leider nicht . Ich betone das Wort „leider“, aber ich setze als bekannt voraus, dass wir dem Koalitionsvertrag bis zum Schluss treu sein müssen . Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Tim Ostermann ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Tim Ostermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004367, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Gesetzentwurf und in dem Antrag der Grünen werden im Wesentlichen drei Dinge gefordert: erstens eine generelle Ermöglichung der Mehrstaatlichkeit, zweitens ein Aufweichen der Einbürgerungsregeln und drittens eine besonders unkomplizierte Einbürgerung hier ansässiger Briten, weil es die ja derzeit angeblich nicht geben würde . Zu diesen drei Forderungen möchte ich in meinem Debattenbeitrag Stellung nehmen . Zunächst zur Mehrstaatlichkeit: Es wird Sie nicht überraschen - Stephan Mayer hat das auch schon zum Ausdruck gebracht -, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach wie vor ({0}) es konsequent ablehnt, die doppelte Staatsbürgerschaft zum Regelfall zu machen . ({1}) Ich möchte kurz auf die letzte Debatte - solche Debatten wurden in diesem Hause ja häufiger geführt - zu sprechen kommen, die wir zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht geführt haben . In dieser Debatte hat die damalige Kollegin Christina Kampmann - sie ist mittlerweile Landesministerin in NRW - gesagt, zugegebenermaßen mit einer anderen Intention: Für die meisten Menschen ist die Staatsangehörigkeit viel mehr als ein Pass . - Genau das ist der Punkt . Die Staatsangehörigkeit drückt die Loyalität zur Gesellschaft und den in ihr vorhandenen Werten und Regeln aus . Damit ist sie Ausdruck einer ganz besonderen Verbundenheit . Und diese Verbundenheit ist für uns als Union nicht teilbar . ({2}) Die Folge ist, dass wir Mehrstaatlichkeit zulassen, aber eben nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, die auch jetzt schon geregelt sind . Für eine Abkehr von diesem Prinzip stehen wir nicht zur Verfügung . Was die Aufweichung der Einbürgerungsregeln angeht, sind es vor allem zwei Dinge, mit denen Sie die Einbürgerung erleichtern wollen . Zum einen wollen Sie sämtliche Arten an Aufenthaltserlaubnissen gleichstellen . Das soll zum Beispiel auch für Fälle von vollziehbar Ausreisepflichtigen gelten, nachdem es also ein Verwaltungsverfahren gab, das BAMF festgestellt hat, dass es hier keinen Aufenthaltsstatus gibt, und Gerichte das meistens auch bestätigt haben . Selbst in den Fällen, wo es nur aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis gibt, soll eine Gleichstellung erfolgen . So etwas ist mit uns nicht zu machen . Sie sprachen die Einbürgerungstests an . Unter bestimmten Voraussetzungen soll das Erfordernis, einen solchen Test durchzuführen, wegfallen, etwa wenn in Deutschland ein Berufs- oder Schulabschluss gemacht worden ist . ({3}) - Das ist absolut nachvollziehbar und vernünftig . Darum wird das auch jetzt schon so gemacht, Herr Beck . Es ist auch jetzt schon so geregelt, dass bei einem Schulabschluss - dazu gehört ebenfalls ein Berufsschulabschluss, also eine abgeschlossene Berufsausbildung - auf den Einbürgerungstest verzichtet wird . Das ist gängige Praxis . Und darum ist Ihr Gesetzentwurf in diesem Punkt kalter Kaffee. ({4}) Ich komme zuletzt zu Ihrer Forderung nach Einbürgerung der in Deutschland lebenden Briten . Sie fordern ja, dass die Einbürgerung unkompliziert erfolgen müsse, und erwecken damit den Anschein, dass britische Bürger derzeit nicht schnell und unkompliziert eingebürgert würden . Das entspricht nicht den Tatsachen . Sie schreiben ja selbst in Ihrem Antrag, dass Großbritannien bis auf Weiteres Mitglied der Europäischen Union sein wird . Es ist noch kein Austrittsgesuch eingegangen . Hier in diesem Saal wird niemand sagen können, wann das der Fall sein wird, also wann es dieses Austrittsgesuch gibt und vor allem wann dieses Austrittsgesuch wirksam wird . Das ist in keiner Weise absehbar . Darum besteht für uns jetzt nicht der Bedarf, hier an dieser Stelle tätig zu werden . In meinem Wahlkreis - dem Kreis Herford und der Stadt Bad Oeynhausen - hat es viele britische Soldaten gegeben . Die Streitkräfte sind mittlerweile größtenteils abgezogen . Nicht wenige Soldaten sind trotzdem bei uns geblieben . Einige von ihnen interessieren sich - gerade nach dem Referendum in Großbritannien - dafür, eingebürgert zu werden . Ich habe bisher von keinem einzigen Betroffenen gehört, dass es hier Probleme - lange Wartezeiten usw . - gibt . Die Problemlage, auf die Sie versuchen hinzuweisen, gibt es einfach nicht . Darum sagen wir: Man muss nicht schon jetzt auf hypothetische Folgen eines in der Zukunft liegenden ungewissen Ereignisses reagieren . Bloßen Aktionismus halten zumindest wir in der Union selten für ein Erfolgsrezept . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf das Prinzip der Mehrstaatlichkeit in unserer Rechtsordnung verankern und die Voraussetzungen für den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft verbessern . Gleichzeitig greifen Sie mit Ihrem Antrag ein Problem auf, das es überhaupt nicht gibt . Daher wird es Sie nicht überraschen, dass wir als Union Ihren Antrag und auch Ihren Gesetzentwurf ablehnen werden . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht sollte man für die Öffentlichkeit noch einmal festhalten: Wir reden hier jetzt nicht über Geflüchtete, die im vergangenen oder im vorletzten Jahr gekommen sind, sondern wir reden hier über Menschen, die in diesem Land zum Teil viele Jahre leben und arbeiten und endlich das Recht haben müssen, eingebürgert zu werden, damit sie in dieser Gesellschaft wirklich gleichgestellt sind . Darum geht es . ({0}) Man muss einfach noch einmal festhalten, dass im vergangenen Jahrzehnt gerade einmal 2 Prozent der hier in Deutschland lebenden Migranten einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben . Diese blamabel geringe Quote kann und darf nicht, Herr Mayer, als Zeichen mangelnder Integrationsbereitschaft gewertet werden, sondern sie ist vielmehr die Folge - das gilt auch im Vergleich mit anderen EU-Staaten - besonders restriktiver Einbürgerungskriterien, hoher bürokratischer und vor allen Dingen auch finanzieller Hürden. Dass daran bisher nichts geändert wurde, daran sind vor allen Dingen Ihre Fraktion, die Union und die Regierung schuld . Das ist wirklich ein Skandal . ({1}) Ich will einfach einmal ein paar Unterschiede zu anderen EU-Staaten nennen . Im Unterschied zur Bundesrepublik akzeptieren 12 EU-Staaten grundsätzlich die Mehrstaatlichkeit . 11 verlangen keinen Nachweis auf eigenständige Lebensunterhaltssicherung . In 15 Staaten beträgt die Mindestaufenthaltsdauer fünf Jahre oder weniger . In 16 EU-Staaten gibt es keinen Einbürgerungstest . 7 verzichten auf Einbürgerungsgebühren oder verlangen nur einen symbolischen Beitrag . Die Kollegen von der Union sollten angesichts solcher Vergleichszahlen wirklich einmal einfach in sich gehen ({2}) und nicht immer auf angeblich einbürgerungsunwillige Migranten zeigen . Sie sollten sich vielmehr an ihren eigenen Kopf fassen und fragen, wie so etwas zustande kommt . Meine Damen und Herren, von den Betroffenen wird immer wieder gesagt, dass für sie die Kosten für die Einbürgerung ein großes Hemmnis sind . Diese betragen im Schnitt 500 Euro einschließlich der Gebühren für Übersetzungen, Urkunden usw ., die sie aus den Herkunftsländern beschaffen müssen. Das ist zum Beispiel für eine Familie nicht wenig . Die Senkung der Einbürgerungsgebühren wäre wirklich ein symbolisches Zeichen; so könnte man Familien, die wenig Geld haben, hier die Einbürgerung ermöglichen . Zwei Drittel derjenigen, die keinen Einbürgerungsantrag stellen, haben dafür zum Beispiel den Grund angegeben, dass sie ihre alte Staatsbürgerschaft nicht verlieren wollen, aber auch die deutsche gerne hätten . ({3}) - Herr Wendt, ich habe Ihren Zwischenruf leider nicht verstanden . ({4}) Das hat übrigens eine Studie des BAMF ergeben . Diese Entscheidung ist in der Regel eben keine Frage der Loyalität zu diesem oder jenem Staat . Vielmehr gibt es ganz pragmatische Hintergründe dafür, warum Menschen ihre alte Herkunftsstaatlichkeit behalten wollen . Es geht zum Beispiel um Rentenansprüche, um Vermögensansprüche . Es handelt sich also um ganz einfache Gründe . Diese Realität will die Union hier einfach nicht akzeptieren . Man muss wirklich sagen: Anstatt sich ständig mit Argumenten aus der Mottenkiste gegen die generelle Möglichkeit der Mehrstaatlichkeit zu sträuben, sollten Sie wirklich einfach einmal ein modernes Einbürgerungsrecht schaffen . ({5}) Die Grünen haben anlässlich ihres Antrags zur Einbürgerung britischer Staatsbürger darauf hingewiesen, dass das geltende Recht Handlungsmöglichkeiten für eine erleichterte Einbürgerung bietet . Das ist richtig . Die Linke hat bereits seit 2013 hier im Bundestag immer wieder gefordert, dass solche vorhandenen Handlungsspielräume konsequent umgesetzt werden . Aber auch dazu braucht es einfach den politischen Willen der Verantwortlichen in der Bundesregierung und in den entsprechenden Fraktionen . Dafür will ich gerne noch zwei Beispiele bringen . Hier geborene Flüchtlingskinder könnten im Regelfall ab dem dritten Lebensjahr eingebürgert werden, um ihnen ein gleichberechtigtes Leben, beispielsweise an den Schulen, in den Kitas usw ., zu ermöglichen . Das schreibt im Übrigen auch die UN-Kinderrechtskonvention vor . Aber die Bundesregierung hat sich in diesem Punkt schon immer über die UN-Kinderrechtskonvention hinweggesetzt, und es interessiert sie überhaupt nicht, welche Rechte die Kinder haben . Gerade hier fordere ich Sie auf, endlich etwas zu tun . ({6}) Wichtig wäre es beispielsweise auch, Menschen, die Sozialhilfeempfänger sind, hier aber seit vielen Jahren leben, großzügiger einzubürgern . Ich halte es wirklich für einen Skandal, dass man im Grunde genommen die Erlangung gleicher Rechte durch Einbürgerung vom Einkommen abhängig macht und die soziale Lage nicht berücksichtigt . Das kann einfach nicht gehen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich komme zu meinem letzten Satz . - Ich möchte abschließend einfach noch einmal sagen: Ein deutscher Pass ist weder ein Integrations- noch ein Demokratiezeugnis . Es geht hier schlicht um eine demokratische Selbstverständlichkeit . Deswegen: Erleichtern Sie endlich die Einbürgerung für Menschen, die hier seit vielen Jahren leben . Ich danke Ihnen . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Detlef Müller von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Detlef Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, natürlich erkennen wir die lobenswerte Zielrichtung Ihres Antrages zur raschen Einbürgerung britischer Staatsbürger . Sie wären nicht die Grünen und wir wären keine Sozialdemokraten, hätten wir im Rahmen der Brexit-Debatte nicht gerade auch das Los der Menschen im Auge, die von der unseligen Brexit­Entscheidung direkt betroffen sind, nämlich derjenigen, die darauf vertraut haben, dass sie sich auf Dauer in Europa frei bewegen und niederlassen können, derjenigen, die darauf vertraut haben, dass sie ihr Leben als Europäerinnen und Europäer planen und leben können . Von jetzt an gerechnet in etwa zwei Jahren hätten wir in diesem Hohen Haus einen Antrag von Ihnen in ähnlicher Form gerne unterstützt . Aber heute, am 23 . September 2016, ist Ihr Antrag, mit Verlaub, Theaterdonner und Beschäftigungstherapie . ({0}) Ihr Antrag ist außerdem handwerklich ungenau . Mit großer Geste schreiben Sie, die Bundesregierung solle darauf hinwirken, dass in Deutschland lebende britische Staatsangehörige rasch und unkompliziert eingebürgert werden, wenn sie es beantragen; … und dass britische Staatsangehörige auch bei einer Aufenthaltsdauer von weniger als sechs Jahren eingebürgert werden, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllen; … Weiterhin solle die Bundesregierung im Rahmen ihrer Informationspolitik verstärkt darauf aufmerksam … machen, dass die Einbürgerung britischer Staatsangehöriger unter Beibehaltung der britischen Staatsangehörigkeit erfolgt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst wenn wir diesen Antrag heute hier beschließen würden: Gut gemeint ist halt noch nicht gut gemacht . ({1}) Nur hinwirken und informieren würde bei einer so komplexen Materie eben nicht ausreichen . ({2}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, noch hat Großbritannien nicht einmal nach Artikel 50 EU-Vertrag seinen Austritt aus der Europäischen Union angezeigt . Wir stehen aber schon jetzt vor einem Berg von Fragen, die im kommenden Austrittsprozess geregelt werden müssen . Und dabei wissen wir noch nicht einmal, wann dieser mindestens zweijährige Prozess denn je beginnen wird . Sie wissen genau wie ich, dass erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Verhandlungen endgültig gelöst werden kann, wie mit der Staatsangehörigkeit und Einbürgerung britischer Staatsbürger umzugehen ist, die schon bisher in einem anderen EU-Mitgliedstaat lebten . Sie wissen genau wie ich, dass die SPD natürlich alles dafür tun wird, hier menschliche, europäische Lösungen im besten Sinne zu finden, nämlich den hier lebenden Britinnen und Briten zu ermöglichen, auch weiter mit weitestgehenden Rechten und Pflichten unter uns zu leben . ({3}) Wir würden gut daran tun, dieses Problem schon gleich zu Beginn der Verhandlungen auf den Tisch zu legen und möglichst früh zu lösen, und zwar im Sinne eines fairen Deals . Wenn unsere Bürger in Großbritannien bleiben können, dürfen Britinnen und Briten auch bei uns bleiben . Und Sie wissen genau wie ich, dass wir vor extrem komplizierten Verhandlungen stehen, in denen es darum gehen wird, Großbritannien möglichst eng an die EU und den Binnenmarkt zu binden, aber Großbritannien gleichzeitig auch Pflichten aufzuerlegen. Man hat den Eindruck, dass manche britischen Regierungsvertreter bzw . Austrittsbefürworter momentan mit großen Kinderaugen erkennen, wie unendlich kompliziert dieser Austrittsprozess werden wird, und wie schwierig es werden wird, die hochtrabenden Versprechen aus dem Referendumswahlkampf zu erfüllen, auch wenn das Boris Johnson, blond und blauäugig, anders sieht . Theresa May hat bisher nicht erkennen lassen, dass die britische Regierung überhaupt schon eine grundsätzliche Strategie für die Austrittsverhandlungen gefunden hat . Allerdings werden wir uns an dieser neuen „Eisernen Lady“ möglicherweise noch die Zähne ausbeißen . Es ist gut und richtig, dass Deutschland und die EU sich jetzt noch nicht auf Vorverhandlungen einlassen wollen . Die EU wird das Vereinigte Königreich kommen lassen; denn Großbritannien muss sich darüber klar werden, wie sein Verhältnis zur EU und zum Binnenmarkt sein soll . Großbritannien muss sich darüber klar werden, welchen Preis es bereit ist zu zahlen, dass es sich aus dem Geltungsbereich der Grundfreiheiten zurückzieht . Die Personenfreizügigkeit als eine der vier Grundfreiheiten bildet eine der Säulen des Binnenmarktes der Europäischen Union . Nimmt man diese Säule weg, bricht das Gebäude Europäische Union, wie wir es kennen, zusammen . Tun Sie uns also bitte den Gefallen und verschleudern Sie nicht Ihre parlamentarische Energie in Anträge, von denen Sie wissen, dass sie das Problem nicht lösen . Verschleudern Sie nicht Ihre Argumente, die Sie und wir noch dringend brauchen werden . Sparen Sie sich Ihre Energie für die schwierigen Verhandlungen und Debatten, die noch kommen werden . Wir wollen kein kaltes Europa mit neuen Grenzen . Wir wollen kein Europa, das sich nur über die Zollfreiheit definiert. ({4}) Wir wollen kein Europa aus eifersüchtigen Einzelstaaten, die sich nur deswegen regelmäßig an einen Tisch setzen, um über Handelsquoten und Fördermittel zu feilschen . Detlef Müller ({5}) Stichwort „Eifersucht“: Ja, der Brexit ist schon so etwas wie eine Ehescheidung . Wir sind enttäuscht, fühlen uns unverstanden, hintergangen . Wir wissen, dass wir uns scheiden lassen werden, dass wir uns scheiden lassen müssen . Aber der Scheidungsantrag ist noch nicht gestellt . Trotzdem darf es nicht zu einem Rosenkrieg kommen . Wir sollten also alles vermeiden, was den Scheidungsprozess beeinflussen, erschweren oder sogar vergiften könnte . Es waren 43 gute Ehejahre - mit Höhen und Tiefen und nicht ohne Konflikte; aber so ist das eben in einer Ehe . Und nun geht sie zu Ende, der Partner will sich trennen . Aber wir haben noch immer Respekt vor dem Partner, und, ja, wir schauen auch noch etwas wehmütig auf die gemeinsamen Jahre zurück . Deswegen sollten wir uns so trennen, dass wir uns danach trotzdem noch in die Augen schauen und sagen können: Ach komm, lass uns Freunde bleiben! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin - sorry -, als nächster Redner hat Özcan Mutlu von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das wird er verkraften, wie ich ihn kenne .

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das werden wir noch bereden müssen . Ich habe jetzt Gesprächsbedarf mit meiner Fraktionsvorsitzenden .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Nein, Sie haben einen Freibrief, mich einmal mit „Herr“ anzureden .

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahre 2000 haben wir unter Rot-Grün Schluss gemacht mit dem wilhelminischen Staatsangehörigkeitsrecht, das auf dem Blutsrecht aufgebaut war . Die damaligen rot-grünen Reformvorschläge zur Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts waren überfällig . Leider wurden damals aber unsere Reformvorschläge durch die Koch’sche „Ausländer raus!“-Unterschriftenkampagne und die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit in weiten Teilen verhindert . Seither haben wir auch die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft . Sie haben das im Jahr 2000 verhindert . Aber das ist heute für uns immer noch wichtig . ({0}) Heute, 16 Jahre danach, sehen wir alle, dass weiterhin großer Reformbedarf besteht . Daran hat auch die Mogelpackung der Großen Koalition aus dem Jahr 2014 nichts geändert, als Sie die leidige Optionspflicht leicht liberalisiert haben . Nach wie vor ist die doppelte Staatsbürgerschaft nur in Ausnahmefällen möglich . Deshalb verstehe ich auch die ganze Hysterie nicht, die Sie von der CDU/ CSU in Sachen doppelte Staatsbürgerschaft in diesem Sommer verbreitet haben . Ich verstehe nicht, wie die CDU/CSU etwas abschaffen will, was de jure gar nicht existiert . Wir haben keine doppelte Staatsbürgerschaft in diesem Land . Es gibt nur Ausnahmefälle . Das sollten Sie als Abgeordnete dieses Hohen Hauses, als Gesetzgeber, bestens wissen . Ich sage Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Hören Sie auf, Angst zu schüren! Hören Sie auf, das Klima des Zusammenlebens in diesem Land zu vergiften! ({1}) Mit dieser Kampagne, die Sie in diesem Sommer gefahren haben, fördern Sie nämlich nur eines: die Desintegration . Mit dieser Kampagne und Ihrem Kampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft verhindern Sie auch, dass Deutschland Heimat wird für Millionen von Migrantinnen und Migranten . Sie reden auch in diesem Zusammenhang ständig von den Türkinnen und Türken oder der Türkei und zeichnen ein Schreckensszenario nach dem anderen an die Wand . Sie schwadronieren von Loyalität und Loyalitätskonflikten und stellen Hunderttausende Menschen, die aus der Türkei stammen, die unserem Land gegenüber loyal sind und das Grundgesetz anerkennen, unter Generalverdacht . Im Übrigen: Ich stamme auch aus der Türkei und diene dem deutschen Volk und allen Menschen, die in diesem Land leben . Sie sollten das endlich mal akzeptieren ({2}) und damit aufhören, diese Menschen zu denunzieren und unter Generalverdacht zu stellen . ({3}) Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, erreichen mit diesen Kampagnen genau das, was Sie eigentlich verhindern wollen . Sie lassen nicht zu, dass diese Menschen in unserem Land ankommen . Sie treiben damit viele Türkinnen und Türken in die Hände von Erdogan, weil Sie nicht zulassen, dass diese Menschen sich endlich mit unserem Land identifizieren können. Das ist schädlich, und das ist schäbig, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({4}) Ich schaue insbesondere in die Reihen der CDU/CSU und sage nochmals: Es geht hier um staatsbürgerschaftliche Rechte . ({5}) Es geht zum Beispiel um das elementare Bürgerrecht des Wahlrechts . Hier in Berlin waren vor fünf Tagen Wahlen . Mein Vater, der seit 50 Jahren in diesem Land lebt, durfte nicht einmal mitentscheiden, wer im Bezirk Mitte, wer im Bezirk Kreuzberg den Bürgermeister oder die BürgerDetlef Müller ({6}) meisterin stellt . Im Übrigen sind es demnächst in beiden Fällen Grüne . Darauf sind wir stolz . ({7}) Sie haben mit Ihren Restriktionen verhindert, dass mein Vater, der eine besondere Identifikation auch mit der Türkei hat, obwohl sein Sohn die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und MdB ist, die deutsche Staatsbürgerschaft kriegen kann . ({8}) - Sie haben verhindert, dass er Deutscher werden kann, ({9}) weil Sie fordern, dass er die türkische Staatsbürgerschaft aufgibt . ({10}) Er will sie nicht aufgeben . Akzeptieren Sie, dass für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe die doppelte Staatsbürgerschaft ein Angebot ist, und lassen Sie uns gemeinsam dieses Angebot machen . ({11}) Mein Appell an Sie: Hören Sie mit den Scheindebatten auf! Hören Sie auf, mit populistischen Forderungen der AfD nachzueifern! Lassen Sie uns stattdessen ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht für unser Land etablieren, damit sich jeder hier zu Hause fühlen kann und damit jeder in unserem Land, der schon eine bestimmte Zahl an Jahren in unserem Land lebt, endlich staatsbürgerschaftliche Rechte bekommt! Um nicht mehr und nicht weniger geht es hierbei . ({12})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Marian Wendt von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit den zwei Ehefrauen . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was nichts kostet, ist auch nichts wert . ({0}) Wenn die deutsche Staatsangehörigkeit immer leichter zu haben ist, dann ist auch ihr Inhalt, die damit verbundene Verantwortung und die Identifikation damit nicht von Substanz . ({1}) Eine Staatsangehörigkeit ist kein Bonbon, das man einfach mal so nebenbei mitnimmt . ({2}) Auch wenn der Druck bzw . die Nachfrage danach groß sein mag, so sollten wir dies nicht als Grund sehen, unsere Standards für eine Einbürgerung zu senken . Es sollte eher Bestärkung sein, hohe Standards für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu setzen ({3}) und diesen wenigstens ein kleines bisschen zeremoniell zu gestalten . Die Beantragung und die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft sind für mich schließlich ein Symbol des finalen Ankommens in unserem Land. ({4}) Gegen die sehr pragmatische Überlegung „Ich nehme einfach den Pass, der mir die größte Freiheit bietet“ wehre ich mich . Denn das entspricht nicht dem, was eine Staatsbürgerschaft für mich ausmacht . Eine Staatsbürgerschaft ist ein Ausweis der Verantwortung, die man für ein Land - in diesem Fall für unser Land - übernimmt . Einbürgerung dient eben nicht nur der Herstellung einer größtmöglichen Übereinstimmung zwischen der in Deutschland lebenden Bevölkerung und dem wahlberechtigten Staatsvolk . Das Argument der Grünen, Menschen wären von politischer Teilhabe ausgeschlossen, obwohl sie hier schon lange leben, ist meiner Meinung nach Unsinn . ({5}) Es ist erstens auf vielen Ebenen möglich, sich direkt zu beteiligen . Zweitens ist politische Teilhabe, die eine Staatsbürgerschaft voraussetzt, auch mit Bedacht und mit Recht dieser Hürde unterworfen . Denn die notwendige Identifikation mit Deutschland, die mit der deutschen Staatsbürgerschaft einhergehen muss, und die entsprechende Verantwortung sind eben auch Voraussetzung für die Beteiligung an politischen Prozessen . ({6}) Denn nur wer unsere Grundwerte teilt und achtet, sollte auch politisch hier teilhaben . ({7}) Außerdem - und hier schließt sich der Kreis - besteht ja die Möglichkeit, sich um die Staatsbürgerschaft zu bemühen . Wenn sie dann erworben wurde - ich wiederhole für die Grünen: erworben -, dann ist sie die Eintrittskarte für Mitbestimmung auf größerer Ebene . Wer 20 Jahre in unserem Land lebt, der hätte schon seit 12 Jahren, wenn er möchte, deutscher Staatsbürger sein können . Wir schaffen ja die Voraussetzungen, aber er muss sich auch entscheiden und bekennen, zu welchem Land er gehört . ({8}) Die deutsche Staatsangehörigkeit ist ein Anreiz zur Integration gemäß unserer Philosophie des Förderns und Forderns gegenüber Menschen, die neu in unserem Land leben . Diesen Anreiz dürfen und wollen wir nicht aus der Hand geben . Eine weitere Vereinfachung des Erlangens wäre nämlich ein Vorschuss auf Integrationsleistungen, und einen solchen Vorschuss dürfen wir nicht geben . ({9}) Frau Präsidentin, der Kollege Mutlu möchte eine Zwischenfrage stellen . Bitte .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Mutlu, Sie dürfen .

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ach so, Entschuldigung!

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das macht nichts . Wenn Sie Ja sagen, dann kann der Kollege Mutlu seine Zwischenfrage stellen . ({0})

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Wendt, danke, dass Sie die Frage zulassen . Ich habe eine ganz simple Frage: Ist Ihnen bekannt, dass die Bundrepublik Deutschland mit 53 Ländern dieser Erde sogenannte Doppelstaatsbürgerschaftsabkommen abgeschlossen hat ({0}) und dass in unserem Land bereits über 4 Millionen Menschen eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, von denen keine Gefahr für unser Land ausgeht? Außer mit den 53 Partnerländern haben wir auch ein „Abkommen“ mit dem Iran . Hier müssen wir die doppelte Staatsbürgerschaft de facto akzeptieren, weil der Iran nicht ausbürgert . Ist Ihnen all das bekannt? Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die Gefahr für unser Land?

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, mir ist bekannt, dass es doppelte Staatsbürgerschaften in unserem Land gibt und dass es diese Abkommen gibt . Wir haben aber einen Grundsatz, und davon gibt es, wie es manchmal im Recht der Fall ist, Ausnahmen . Wir sollten aber erstens an dem Grundsatz festhalten, dass es grundsätzlich eine Staatsbürgerschaft geben sollte . Das ist, glaube ich, auch für die Menschen einfacher . Und der Iran - Sie haben es selber erwähnt - bürgert nicht aus, auch wenn Iraner nicht mehr Staatsbürger des Iran sein wollen . Solche Gegebenheiten müssen wir akzeptieren, auch wenn sie nicht unserer Rechtsauffassung entsprechen . Ich finde es zweitens wichtig, daran festzuhalten, dass die deutsche Staatsbürgerschaft etwas bedeutet, dass sie nicht nur ein Stück Papier ist, nicht nur ein Stück Reisefreiheit, sondern dass dahinter auch Werte stehen, eine Kultur, eine Idee . Ich werde dazu noch ausführen . ({0}) - Es geht bei der Idee um unsere Grundwerte . Ich werde gleich darauf eingehen, Herr Beck, immer mit der Ruhe . ({1}) Der Grundsatz des Förderns und Forderns, den wir im Integrationsgesetz als Prämisse unserer Bemühungen um eine bessere Integration festgelegt haben, ist genau deshalb so viel wert, weil sich eigene Leistung lohnt . Und Integration lohnt sich . Aktives persönliches Bemühen um Integration lohnt sich für jeden Menschen, der legal zu uns kommt . Für Menschen, die sich nicht integrieren, muss die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft unmöglich sein . Hier gibt es ein Abstandsgebot, schon allein aus Gründen der Gerechtigkeit . Mit dem Integrationsgesetz haben wir genau den richtigen Weg eingeschlagen, Anreize für Integration zu geben . Eine erfolgreiche Integration kann dann auch mit der deutschen Staatsbürgerschaft belohnt werden . Vereinfachungen bei der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft, wie hier gefordert - frei nach dem Motto: wir geben dir die Staatsbürgerschaft in der Hoffnung, dass du dich gut integrierst -, liefen diesem Zweck zuwider und sind daher schlicht abzulehnen . Das kann nicht unser Weg sein; denn wir müssen ja bedenken, dass die Einbürgerung unumkehrbar ist . Wenn sich jemand nach Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft nicht integriert hat, dann können wir nach zehn Jahren nicht sagen: Wir nehmen sie dir wieder weg . - Von daher wäre es fatal, so vorzugehen . ({2}) - Das ist vielleicht manchmal auch gut . Wir sollten die Verleihung unserer Staatsbürgerschaft also nicht als Vorschuss auf Integration handhaben, sondern genau andersherum . Denn sonst würde der Druck fehlen, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren . Und Integration bedeutet für mich dabei die Anerkennung unserer christlich-jüdischen Werte, die Anerkennung der besonderen Geschichte unseres Landes und die Annahme der Verantwortung, die wir mit ihr tragen, und selbstverständlich auch die Anerkennung unserer deutschen Leitkultur . ({3}) Noch ein paar Gedanken zu dem Antrag zur einfacheren Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft für britische Staatsangehörige . Jetzt für britische Bürger eine Sonderregelung, eine Lex Britannica, wie an verschiedenen Stellen zu lesen war, einzuführen, halte ich für einen Fehler . Erstens: Wie wäre diese Ungleichbehandlung gegenüber anderen EU-Bürgern zu rechtfertigen? ({4}) Zweitens gibt es bereits heute ausreichend rechtliche Möglichkeiten für alle Unionsbürger, sich um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bemühen . Der dritte Grund: Es kann nicht sein, dass der Wunsch, am Flughafen nicht in der langen Schlange derer stehen zu müssen, die nicht dem Schengen-Raum angehören, dazu führt, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen . Die Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens haben demokratisch darüber entschieden, dass sie nicht Teil dieser Europäischen Union bleiben möchten . Diese Entscheidung haben wir zu akzeptieren . Deswegen sind Ihre Anträge nicht zuvorderst und nicht in einfacher Weise zu behandeln . Der Antrag der Grünen und ihr Gesetzentwurf sind abzulehnen, nicht nur, weil sie eine vernünftige Überzeugung davon vermissen lassen, was Staatsangehörigkeit bedeutet . ({5}) Staatsangehörigkeit ist mehr als der deutsche Pass . Ihre Vorschläge laufen auch den Maßnahmen zuwider, die wir zur Bewältigung der Herausforderungen, die sich aus der Vielzahl von Flüchtlingen ergeben, beschlossen haben . Für die CDU/CSU-Fraktion ist Integration der Weg und Einbürgerung das Ziel, nicht andersherum . Vielen Dank . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Rüdiger Veit von der SPD-Fraktion das Wort .

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Das war eine vorsorgliche Wortmeldung für den Fall, dass sich die Notwendigkeit aus der weiteren Debatte ergeben hätte . Diese Notwendigkeit sehe ich nicht, sodass wir alle hier neun Minuten mehr von unserer Lebensarbeitszeit haben . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das ist ungewöhnlich, aber akzeptabel . ({0}) Frau Barbara Woltmann von der CDU/CSU-Fraktion hat dann das Wort . ({1})

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Präsidentin hat schon gesagt, dass das sehr ungewöhnlich war; aber ich fand es schon ungewöhnlich, dass Sie zweimal auf der Rednerliste standen, Herr Veit . Die Begründung war sehr interessant . Nun gut . Wir haben eine recht lange Debattenzeit für dieses Thema vorgesehen . 77 Minuten - ich bin die letzte Rednerin zu diesem Thema - sind schon eine lange Zeit . Wir diskutieren über das Einbürgerungsrecht hier nicht zum ersten Mal . Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass wir dabei nicht einer Meinung sind, dass die Opposition ein sehr viel offeneres Herangehen für richtig hält. ({0}) - Ja, in der Tat haben wir in den Koalitionsverhandlungen hart um die Optionsregelung gerungen . Wir haben dann eine Lösung gefunden und gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode, 2014, das Staatsangehörigkeitsrecht geändert . Wir sehen - das wird Sie von der Opposition nicht wundern - keine Notwendigkeit, jetzt wieder eine Änderung in Angriff zu nehmen. Die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, wer Deutscher im Sinne des Gesetzes ist . Wir haben im Staatsangehörigkeitsgesetz in immerhin 42 Paragrafen sehr detailliert geregelt, wie man deutscher Staatsbürger werden kann, wenn man es nicht von Geburt an ist . Das Optionsrecht hatte ich schon angesprochen . In der Tat hätten wir das, wenn wir alleine hätten entscheiden können, nicht so geändert . Wir hätten das nicht ins Gesetz geschrieben; aber wir hatten das mit der SPD so ausgehandelt, und wir verhalten uns - Herr Veit hat es schon gesagt - natürlich vertragstreu . Daher haben wir das Recht entsprechend geändert . Eine weitere Veränderung lehnen wir aber ab . Deswegen, liebe Kollegen von den Grünen, wird es Sie nicht wundern, dass wir Ihren Antrag und Ihren Gesetzentwurf ablehnen . Wir haben einfach eine ganz andere Vorstellung davon, wer wann wie deutscher Staatsbürger werden kann, der es noch nicht ist, der aber den Wunsch hat, Deutscher zu werden . Ihre Intention scheint mehr zu sein, die Türen für eine Einbürgerung für alle weit zu öffnen, indem Sie die Mindestaufenthaltsdauer bei der Anspruchseinbürgerung auf fünf Jahre senken; bei anerkannten Flüchtlingen wollen Sie die Mindestaufenthaltsdauer auf drei Jahre senken . ({1}) Sie machen auch keinen Unterschied mehr zwischen den verschiedenen Aufenthaltstiteln; Hauptsache, es gibt überhaupt einen Titel . Also, Sie wollen die Tür sehr weit öffnen. ({2}) Ihren Hinweis auf die globalisierte und mobile Welt, der sich unser Staatsangehörigkeitsgesetz anpassen müsse, halte ich für völlig fehl am Platze . Sie scheinen sich damit - so kommt mir das vor - einem Mainstream bestimmter Gruppen anschließen zu wollen, ihm vielleicht auch nachlaufen zu wollen - nach dem Motto: Wir alle sind Weltbürger und brauchen die Bindung an unseren Heimatstaat nicht mehr . - Da, glaube ich, verkennen Sie die Bindungswirkung einer Staatsangehörigkeit . Die meisten Menschen nennen das „Heimat“ . ({3}) Das ist ihnen auch sehr wichtig . Das sollte nicht der Beliebigkeit anheimgegeben werden . Von daher gesehen ich darf es wiederholen - lehnen wir das ab . Genau das Umgekehrte ist doch der Fall . In einer globalisierten Welt braucht man Bindung, Zugehörigkeitsgefühl ({4}) und nicht in allen Lebensbereichen grenzenlose Ungebundenheit . ({5}) Sie setzen mit der von Ihnen gewünschten Gesetzgebung ein völlig falsches Signal, gerade in der heutigen Zeit, da durch Ihre Vorschläge weitere Pull­Effekte, die wir nicht wollen, zu erwarten sind . Des Weiteren besteht auch keinerlei Notwendigkeit, britischen Staatsangehörigen - meine Vorredner haben schon auf Ihren Antrag dazu hingewiesen - eine Sonderbehandlung zuteilwerden zu lassen, weil sie auch jetzt schon alle Rechte genießen, die jedem europäischen oder Schweizer - Staatsbürger in Deutschland bezüglich einer Einbürgerung eingeräumt worden sind . Das gilt zumindest so lange, wie ihr Land Mitglied der Europäischen Union ist . Im Moment wissen wir auch noch gar nicht, wann der Antrag gestellt wird, wie er gestellt wird . Dass er gestellt wird, davon können wir ausgehen, weil die britische Premierministerin das noch einmal deutlich gemacht hat . Wenn der Antrag gestellt wird, schließen sich noch zweijährige Verhandlungen an. Auch insofern finde ich: Ihr Antrag ist überflüssig, vergebene Liebesmüh. ({6}) Es ist von Vorrednern schon darauf hingewiesen worden, dass es auch eine Ermessensentscheidung geben kann, um die Zeit von sechs Jahren, die ein Brite in Deutschland leben und arbeiten muss - das ist die Voraussetzung -, eventuell zu verkürzen; ({7}) er hätte dann nach § 12 Absatz 2 Staatsangehörigkeitsgesetz die Möglichkeit, Deutscher zu werden . Insofern sehen wir gar keinen Handlungsbedarf für eine Privilegierung in Europa; das wäre nur der Einstieg für eine generelle Öffnung, und das wollen wir nicht. ({8}) Wir halten das nicht für notwendig . Nur noch ein kleiner Einschub, wenn wir schon über den Brexit sprechen . Von der Opposition wurde schon vorgeschlagen, weitere direktdemokratische Elemente in die Verfassung einzuführen . Wir haben im Juni die entsprechende Debatte gehabt . Wir haben das seinerzeit abgelehnt . Wozu es führen kann, wenn man solche Elemente einführt - ich kann das hier nur noch einmal wiederholen -, haben wir gesehen . Scharlatane versuchen, auch mit falschen Informationen, die Leute zu einer Entscheidung zu bringen, die letztendlich nicht gut für das Land - in dem Fall für Großbritannien - und für die Menschen dort ist . Insofern bin ich froh, dass wir das in unserer Verfassung so haben, wie wir es haben . Unsere parlamentarische Demokratie ist da sehr stabil, und das wollen wir auch so erhalten . Das Staatsangehörigkeitsrecht haben wir, wie gesagt, durch eine maßvolle Anpassung der Optionspflicht für in Deutschland aufgewachsene Kinder geändert . Herr Mutlu, es ist auch nicht so - das möchte ich noch einmal deutlich sagen -, wie Sie es gerade geschildert haben, dass Ihr Vater nicht Deutscher werden kann . Er kann naBarbara Woltmann türlich Deutscher werden, aber das ist eben damit verknüpft, dass er dann seine türkische Staatsangehörigkeit abgeben muss . ({9}) Das wollen Sie nicht; das ist uns schon klar . Da haben wir eine ganz andere Auffassung von unserem Staatsangehörigkeitsrecht und sagen: Wer Deutscher werden möchte, sollte sich auch voll und ganz zu diesem Land bekennen . ({10}) Ich glaube auch nicht, dass es hilft, wenn wir sagen: Jeder darf eine doppelte Staatsbürgerschaft haben . - Für eine bestimmte Anzahl von Ländern ist das möglich; da haben wir das geregelt . Aber wir wollen - akzeptieren Sie es doch nun einfach einmal - nicht diese völlige Öffnung, sondern wir wollen bei der Einstaatlichkeit bleiben; denn die Staatsangehörigkeit ist ein besonderes Band zu dem Staat, dem ich angehöre . Die lege ich nicht einfach wie ein Kleidungsstück an oder auch wieder ab . ({11}) Es hat doch eine Bedeutung, ob ich sage, dass ich jetzt Deutsche werden möchte, oder ob ich sage, dass ich Schweizerin werden möchte . Das unterliegt doch nicht der Beliebigkeit . Vielmehr geht es um ein klares Bekenntnis zu dem Staat, in dem ich leben möchte, in dem ich Teil der Gesellschaft sein möchte, in dem ich wählen kann . Das alles gehört zusammen . Das unterliegt doch nicht der Beliebigkeit . ({12}) - Ja, wir haben einige . Das dann aber auch mit gutem Grund . Wir wollen eben nicht eine völlige Freigabe, sondern wir wollen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft weiterhin die Ausnahme bleibt . Die deutsche Staatsangehörigkeit soll ein klares Bekenntnis zur Bundesrepublik Deutschland beinhalten . Dadurch soll der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gestärkt werden . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die De- batte . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/9669 und 18/5631 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften ({0}) Drucksache 18/9518 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann ({2}), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Pflege teilhabeorientiert und wohnortnah gestalten Drucksache 18/8725 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pflege vor Ort gestalten - Bessere Bedingungen für eine nutzerorientierte Versorgung schaffen Drucksache 18/9668 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({4}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin in dieser Aussprache hat die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach für die Bundesregierung das Wort . ({5})

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, ich verkünde nichts Neues, wenn ich sage: Die Pflege steht in dieser Legislaturperiode prioritär ganz oben auf unserer Tagesordnung . Wir haben mit unseren Pflegestärkungsgesetzen schon einiges Gutes auf den Weg gebracht. Mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz haBarbara Woltmann ben wir die Pflegeleistungen erheblich ausgeweitet, die Leistungen - das war ein besonderer Punkt; das war uns ganz wichtig - flexibler nutzbar gemacht und natürlich die Hilfen für die pflegenden Angehörigen deutlich verbessert . ({0}) Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz haben wir dann den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das dazugehörige Begutachtungsverfahren eingeführt . Ab dem 1. Januar werden fünf Pflegegrade die überholten drei Pflegestufen ablösen. Niemand wird dabei benachteiligt. Im Gegenteil: Für sehr viele Menschen werden sich die Leistungen ab Januar nächsten Jahres erhöhen . Das PSG III, das Dritte Pflegestärkungsgesetz, das wir heute einbringen, ist sozusagen der letzte Baustein, um das Ganze abzurunden . Das heißt, wir müssen jetzt die Maßnahmen ergreifen, die vor Ort benötigt werden . Mit dem Dritten Pflegestärkungsgesetz stärken wir die Rolle der Kommunen in der Pflege. Die zu pflegenden Personen und ihre Angehörigen benötigen eine gute Unterstützung und vor allen Dingen eine, die maßgeschneidert ist . Die Strukturen und Rahmenbedingungen der Pflege müssen stimmen, damit sie für die Pflegenden und Angehörigen ein Leben gewährleisten, das in Selbstbestimmtheit und auch in Würde geführt werden kann . Dazu müssen die Länder und die Kommunen Handlungsspielräume haben . Diese geben wir ihnen mit dem PSG III . Wir sorgen dafür, dass wir ein gutes Miteinander von Pflegekassen und kommunalen Strukturen vor Ort haben . Das war auch die Empfehlung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die dazu getagt hat . Kommunen können künftig Beratungsleistungen in der Pflege selbst anbieten. Sie können die Einrichtung weiterer Pflegestützpunkte auf den Weg bringen, damit die Menschen, die Beratung brauchen, entsprechende Anlaufstellen haben . Die Kommunen haben die Möglichkeit, in 60 Modellvorhaben neue Formen der Beratung zu erproben, und sie erhalten die Möglichkeit, die Beratung der Pflegekassen selber zu erbringen . Das verlangt aber auch, dass die Zusammenarbeit aller Beteiligten vor Ort verbessert wird . Oft gibt es in den Kreisen und Kommunen bereits regionale Pflegeausschüsse . Wir werden mit dem PSG III dafür sorgen, dass die Kassen in diesen Pflegeausschüssen verpflichtend mitarbeiten, weil wir zum einen wollen, dass sie ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen, und weil wir zum anderen wollen, dass sie die Empfehlungen, die die Ausschüsse auf den Weg bringen, mittragen und umsetzen . Vor der Sommerpause, meine Damen und Herren, war der Abrechnungsbetrug in der Pflege ein wirklich ausschlaggebendes und bestimmendes Thema . Wenige schwarze Schafe - das möchte auch ich deutlich sagen haben eine ganze Branche in Misskredit gebracht . Betrug in der Pflege ist wirklich besonders verachtungswürdig, weil er nicht nur zulasten der Pflegebedürftigen, sondern auch zulasten der Beitragszahler und vor allen Dingen zulasten der vielen ehrlichen Anbieter, die wir haben, geht . Das, glaube ich, sollten wir deutlich sagen . Hier ist der Gesetzgeber gefordert . ({1}) Bereits im Rahmen des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes haben wir wichtige Maßnahmen zur Verhinderung und Entdeckung von Abrechnungsbetrug in der Pflege auf den Weg gebracht, insbesondere die Verpflichtung des Medizinischen Dienstes, neben der Qualität regelmäßig auch die Abrechnungen zu prüfen . Die Vorkommnisse im Frühjahr dieses Jahres haben aber gezeigt, dass dies nicht ausreicht . Deswegen wird es nun auch im SGB V ein systematisches Prüfrecht geben . Künftig werden alle Pflegedienste regelmäßig geprüft, auch jene, die nur Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen . Alle Patienten werden in die Stichproben mit einbezogen, also auch Menschen, die ausschließlich Leistungen der häuslichen Pflege beziehen. Darüber hinaus können Abrechnungsprüfungen in Zukunft auch unabhängig von Qualitätsprüfungen durchgeführt werden. Wir geben der Pflegeselbstverwaltung auf Landesebene vor, Regelungen zur Verhinderung von Abrechnungsbetrug in die Rahmenverträge aufzunehmen . Damit kann zum Beispiel vermieden werden, dass sich betrügerische Pflegedienste unter einem anderen Namen wieder neu auf den Markt begeben . Das sind die Dinge, die wir tun können . Aber es müssen weitere Schritte im Bereich des Strafrechts und der Kriminalitätsbekämpfung von den Ländern unternommen werden; auch da bitten wir um große Unterstützung . Das PSG III setzt den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff auch im Recht der Hilfe zur Pflege in der Sozialhilfe um. Denn Pflegebedürftige, die finanziell bedürftig sind, müssen auch nach Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes die Leistungen und Hilfen bekommen, die notwendig sind . Deshalb regeln wir im PSG III auch das Verhältnis von Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung. Dies ist notwendig, weil mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff die ambulanten Leistungen der Pflegeversicherung erweitert werden und wie die Eingliederungshilfe Aspekte der Betreuung beinhalten . Deshalb brauchen wir gute Regelungen zur Abgrenzung der beiden Systeme . Das hat der Expertenbeirat bereits in der letzten Wahlperiode deutlich gemacht . ({2}) Weitere Regelungen sind notwendig, weil durch die geplante Personenzentrierung im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes ein Anknüpfungspunkt für die Zahlung der Pauschalleistungen der Pflegeversicherung für Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe entfällt . Hier brauchen wir Anpassungen. Denn sonst würden wir die Pflegeversicherung mit Mehrausgaben in Milliardenhöhe belasten, ohne dass sich - das ist der ausschlaggebende Punkt auch nur etwas mehr an den Leistungen für die Menschen mit Behinderungen verbessern würde . Die zu Pflegenden und ihre Angehörigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen passgenaue Angebote, die gut abgestimmt sind und vor Ort von allen Beteiligten gemeinsam verantwortet werden . Sie müssen sicher sein können, dass sie bei der Suche nach der richtigen und wirksamen Unterstützung und Pflege nicht allein gelassen werden . Insofern bildet das PSG III den Abschluss einer, wie ich finde, wirklich guten Verbesserung für die Menschen, die Pflege benötigen. Lassen Sie uns jetzt gemeinsam in die parlamentarischen Beratungen gehen und sie zu einem vernünftigen Ergebnis bringen! Ich danke den Berichterstattern und den Sprechern der Fraktionen sehr herzlich - wie ich sehe, sind Mechthild Rawert, Erwin Rüddel und Erich Irlstorfer da -, ich danke dem Haus für die gute Zuarbeit, und ich wünsche uns allen, die wir an den Beratungen teilnehmen, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen . Danke schön . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Pia Zimmermann von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Fischbach, das, was Sie uns hier gerade vorgetragen haben, ist kein Paradigmenwechsel in der Pflege - auf jeden Fall nicht im positiven Sinne -; ({0}) denn mit dem Pflegestärkungsgesetz III manifestieren Sie einen weiteren Meilenstein in der Zweiklassenpflege, und das ist ein weiterer Schritt zur Aushöhlung des Sozialstaates . ({1}) Ihr Pflegegesetz verdient auch nicht den Zusatz „Stärkung“, weil es niemanden in der Pflege wirklich stärkt ({2}) nicht die Menschen mit einem Pflegebedarf, nicht die Pflegekräfte und nicht die pflegenden Angehörigen. Die Pflege wird noch immer nicht am tatsächlichen Bedarf und an den individuellen Wünschen, sondern ausschließlich an den zur Verfügung gestellten Mitteln orientiert. Die Pflege bleibt markt­ und profitorientiert. Alle Betroffenen gemeinsam sollen das Geld einsparen, das Sie den Betreibern und Investoren von Pflegeheimen und den Pflegeversicherungen versprochen haben. Dieses Gesetz wird auch niemandem nützen, der auf professionelle Unterstützung angewiesen ist und dessen Rente nicht ausreicht, um die Eigenbeteiligung in der Pflegeversicherung, die steigenden Investitionskosten für die Pflegeeinrichtungen, die Miete, die Lebenshaltungskosten oder was auch immer zu bezahlen . ({3}) Wer auf Hilfe zur Pflege angewiesen ist - das ist die schöne Umschreibung für Menschen, die eigentlich Sozialhilfe benötigen -, wird zukünftig noch stärker auf das Wohlwollen seiner Mitmenschen angewiesen sein, als es bisher der Fall gewesen ist . Durch dieses Gesetz werden Menschen, die Hilfe zur Pflege brauchen, gesetzlich gezwungen, ehrenamtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil ihnen sonst gar keine Unterstützung zusteht . Damit kommen die Angehörigen nicht nur finanziell für die Menschen mit Pflegebedarf auf, indem sie ihr Einkommen und ihr Vermögen zur Verfügung stellen müssen, sondern sie sollen auch die Pflegearbeit übernehmen, und zwar unentgeltlich, in ihrer Freizeit und ohne Anspruch auf irgendeine Sozialversicherung . Meine Damen und Herren, Sie können einwenden, dass es doch mehr Pflegegeld und mehr Sachleistungen gibt; Frau Fischbach, Sie haben es gesagt . Ich entgegne Ihnen aber, dass all das nicht gegen die Ohnmacht helfen wird, wenn der 90-jährige Vater 200 Kilometer entfernt allein in seiner Wohnung ist und dann vielleicht doch einmal vergisst, den Gasherd abzustellen . Hier würde es helfen, wenn sich die Angehörigen darauf verlassen könnten, dass es Strukturen gibt, innerhalb derer man sich um ihren Vater kümmert . Es würde helfen, wenn sie wüssten, dass die Menschen, die sich um ihren Vater kümmern, gut ausgebildet und anständig bezahlt werden . ({4}) Es würde helfen, zu wissen, dass ihr Vater selbst entscheiden kann, ob er zu Hause oder in einer Einrichtung versorgt wird, und dass seine Wünsche und Würde respektiert werden . ({5}) Dieses Gesetz verspricht solche Strukturen, aber diese Versprechen werden nicht gehalten . Die Kommunen sollen gestärkt werden . Sie sagen, dafür bekommen sie die Möglichkeit, mehr Beratungsangebote einzurichten . Aber gerade einmal 60 Modellkommunen von über 11 000 Kommunen kommen in den Genuss . Was für ein Hohn! Außerdem: Eine echte Entscheidung über die Versorgungsangebote dürfen die Kommunen gar nicht treffen, und Pflegesatzverhandlungen finden weiterhin hinter verschlossenen Türen statt . Der neue Pflegebegriff soll für alle Menschen gelten sagen Sie. Aber: Alle Menschen, die auf Hilfe zur Pflege angewiesen sind, werden durch dieses Gesetz strukturell benachteiligt, weil ihnen nicht die gleichen Leistungen zustehen . Das ist das, was ich am Anfang schon einmal gesagt habe: Mit diesem Gesetz verabschiedet sich die Bundesregierung vom Bedarfsdeckungsprinzip in der Sozialhilfe . Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag „Pflege teilhabeorientiert und wohnortnah gestalten“ legen wir realistische Handlungsoptionen vor, die für Gerechtigkeit in der Pflege sorgen können. Wir fordern gleichwertige Lebensbedingungen in der Pflege für alle Menschen mit Pflege­, Unterstützungs­ und Assistenzbedarf und gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in allen Regionen . ({6}) Wir wollen die Kommunen tatsächlich in die Lage versetzen, für Menschen, die Pflege und Unterstützung brauchen, wohnortnah und individuell passende Angebote bereitzustellen und auch zu finanzieren. Lassen Sie die Kommunen bitte nicht wieder auf den Kosten sitzen, wie es so gerne gemacht wird! Wir wollen vor allen Dingen die Mitbestimmung der Menschen mit Pflegebedarf und ihrer Angehörigen stärken . Denn diese Menschen wissen doch am besten, was gewünscht wird und was nötig ist . ({7}) Wir wollen den Pflegemindestlohn erhöhen und die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessern, weil nur so dem Fachkräftemangel entgegengetreten werden kann . Das ist absolut notwendig . Unser Ziel ist es auch, meine Damen und Herren, dass Menschen sich vor Pflege nicht fürchten müssen, weil sie wissen, dass sie gut versorgt werden . Sie dürfen nicht davor Angst haben, dass sie einmal auf die Unterstützung von anderen Menschen angewiesen sind, sondern es muss eine gute Versorgung geben . Es ist auch unser Ziel, dass sich Freunde, Nachbarn und Familien gerne um ihre Angehörigen kümmern und füreinander da sind, weil sie es wollen, und nicht, weil sie es müssen . ({8}) Unser Ziel ist es, dass Menschen so leben können, wie sie es sich wünschen, und nicht, wie es ihr Geldbeutel erlaubt . Herzlichen Dank . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Mechthild Rawert von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Ziel, die Vollendung einer großen Pflegereform mit ihren zahlreichen Gesetzen, ist in Sichtweite, und das ist auch gut so . An dieser Stelle, Frau Zimmermann, muss ich doch auf Ihren Beitrag eingehen . Erstens ist heute noch nicht die Zeit für großes Wahlkampfgetöse . Zweitens empfehle ich Ihnen, Ihr Recht als Versicherte auf Pflegeberatung das haben Sie seit 2009 - auch in Anspruch zu nehmen; denn dann würden Sie erfahren, wie viel Gutes im PSG I, wie viel Gutes im PSG II und auch im PSG III steht . Ich kann sagen: Beratung erhöht das Wissen - und das gilt für uns alle . ({0}) Mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III stellen wir uns den demografischen Herausforderungen in unserer immer älter werdenden Gesellschaft . Wir machen Ernst mit der Aussage „Gute Pflege ist ein Menschenrecht“. Und das ist auch gut so; denn wir brauchen eine zukunftsfeste Pflege im Interesse der heute schon über 2,5 Millionen pflegebedürftigen Menschen - mit stark steigender Tendenz -, im Interesse der pflegenden Angehörigen inklusive ihrer besseren sozialversicherungsrechtlichen Absicherung und im Interesse der Hauptamtlichen, die da, wo es einen Tariflohn gibt, tatsächlich den Tariflohn bezahlt bekommen . All das haben wir geregelt, und das ist gut so und stärkt die Pflege. Beim Pflegestärkungsgesetz III werden wir auf jeden Fall in diesem Jahr noch die Zielgerade erreichen - das garantiere ich hier -, obwohl wir im parlamentarischen Verfahren noch große Baustellen zu bearbeiten haben und das Struck’sche Gesetz auch hier gilt, das lautet: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist .“ Frau Fischbach hat schon ganz verschiedene Bereiche und Felder dieses Gesetzes erwähnt, auf die ich an dieser Stelle nicht mehr eingehen möchte . Neu ist - das wird also noch kommen -: Dieses Gesetz dient auch als ein Omnibusgesetz . Denn wir senden mit ihm berufspolitische Signale aus, indem wir vorhandene Modellklauseln für die Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, für die Hebammen und Entbindungspfleger, für die Logopädinnen und Logopäden, für die Masseure und Physiotherapeuten verlängern. Wir treffen Regelungen für die Verbesserung der Qualität unter den Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern . An dieser Stelle eine Anmerkung von mir als sozialdemokratische Gesundheits- und Gleichstellungspolitikerin: Ich verstehe nicht, dass wir den Medizinerinnen und Medizinern rund 1 Milliarde Euro Honorar mehr geben, aber für die vielen zumeist von Frauen ausgeübten Gesundheitsberufe keine professionelleren Strukturen von nachhaltigem Bestand schaffen. ({1}) Wir wollen eine Stärkung der Gesundheitsfachberufe . Das ist auf jeden Fall unser Credo . Dazu sage ich auch: Das sich ärgerlicherweise immer noch im parlamentarischen Verfahren befindliche Pflegeberufereformgesetz soll dazu dienen, dass wir auch hier zu einer besseren Qualität kommen. Hier hoffe ich doch auf professionelle Einsicht in Teilen der Reihen unseres Koalitionspartners . Eingehen will ich auf einige Punkte zum PSG III . Ein Thema sind die Hilfen zur Pflege. Das Ziel ist, dass die Regelungen aus dem PSG II, die wir bis jetzt beschlossen haben, auch für die Menschen Wirklichkeit werden, die Hilfen zur Pflege laut SGB XII, also dem Sozialhilferecht, erhalten. Das heißt, der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungsverfahren gelten auch hier . Weiterhin soll gelten: Körperlich, kognitiv und psychisch Pflegebedürftige werden gleichgestellt, mit dem Ergebnis, dass mehr Individualität und Gerechtigkeit für alle, unabhängig vom Geldbeutel, gelten . ({2}) Zum PSG III gehören auch die Stärkung der örtlichen Pflegeinfrastruktur und der Ausbau der Pflegeberatung; Fälle, in denen das notwendig ist, habe ich schon erwähnt . Mit diesen Punkten setzen wir Forderungen der SPD aus der letzten Legislaturperiode um . Wir stärken die kommunale Verantwortung . Wir stärken die Infrastruktur vor Ort . Auf eines möchte ich Sie hinweisen: Viele von Ihnen mögen den Begriff „Pflegestützpunkt“ noch gar nicht gehört haben, aber auch in Ihren Kommunen gibt es diese Pflegestützpunkte. ({3}) Aber es gibt noch nicht genug davon . Hier muss noch mehr Beratung erfolgen . Daher sind auch die 60 Modellvorhaben von so herausragender Bedeutung . Wir wollen die Vernetzung vor Ort stärken . ({4}) Wir wollen die individuellen Bedarfe besser abdecken . Wir wollen natürlich auch dazu beitragen, dass kulturelle Hintergründe berücksichtigt und alle Menschen über alle Möglichkeiten vor Ort umfassend informiert werden . Mit dem PSG III machen wir deutlich: Die Pflegeberatung spielt in der Politik eine zentrale Rolle . Wir wollen, wie gesagt, mehr Pflegeschutzpunkte vor Ort, initiiert von Kommunen . Wir wollen mehr Qualität durch bessere Beratung. Dabei soll nicht nur über Angebote der Pflege beraten werden, sondern auch über Angebote der Altenhilfe, der Eingliederungshilfe und auch über die der Pflegeversicherung . Es soll eine „Beratung aus einer Hand“ erfolgen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann zu?

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich, ja .

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Liebe Mechthild Rawert, ich mache kein Wahlkampfgetöse, wenn ich Wahrheiten ausspreche . Mir hätte es eigentlich schon gereicht, wenn die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten das umgesetzt hätten, was sie vor der letzten Wahl versprochen haben, statt sich durch die Koalition Fußfesseln anlegen zu lassen . ({0}) Aber meine Frage zielt ganz direkt auf die Beteiligung und auf die Beratungsangebote in den Kommunen . Wir wissen doch ganz genau - Mechthild, auch du weißt das -, dass viele von diesen Beratungsstellen gar nicht mehr geöffnet haben. Da muss man sich einmal fragen, woran das liegt . Jetzt sollen 60 Modellkommunen von insgesamt über 11 000 Kommunen in unserem Land verstärkt Beratungsangebote bereitstellen; das habe ich in meinem Redebeitrag gesagt . Da frage ich mich: Was ist das für ein Ansatz? Das ist ja Kleckern und nicht Klotzen . Wir müssen in der Pflege aber klotzen, um einen Paradigmenwechsel tatsächlich zu erreichen . Zudem ist für eine Pflegekampagne, mit der wir darauf aufmerksam machen könnten, was wir alles haben du hast es so schön gesagt: die Vernetzung soll wiederhergestellt werden -, im Haushalt kein Geld eingestellt . Im Haushalt steht an dieser Stelle eine Null . Wie soll ich das denn verstehen? ({1})

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es täte mir leid, wenn in Niedersachsen Pflegestützpunkte tatsächlich schließen . Ich kann nur sagen: Hier in Berlin eröffnen wir stetig welche. Ich bin erst vor kurzem bei der Eröffnung des dritten Pflegestützpunktes in meinem Bezirk gewesen . Zum Thema Wahlkampfgetöse . Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es nicht doch Wahlkampfgetöse gewesen ist . ({0}) Zum Thema Beratung und Vernetzung . Ja, ich fordere jede Kommune auf, sich hier starkzumachen . Wie man weiß, hatten wir hier in Berlin Wahlkampf und auch eine Wahl . Im Vorfeld habe ich zum Beispiel stetig versucht, für den Begriff „Ausbau der Pflegeinfrastruktur“ in meiner Partei zu werben, weil wir - dem Ziel stimme ich zu - eine stärkere Vernetzung brauchen . Wir brauchen eine Aufhebung der Unterteilung in Bereiche; denn das Ziel ist eine „Beratung aus einer Hand“ . Mit den Modellprojekten erproben wir diese Beratung . Sie sind dazu da, qualitativ bessere Schritte zu gehen und qualitativ bessere Strukturen zu etablieren . Das soll dann auf alle Kommunen übertragen werden . Ich wünsche mir, dass nach Abschluss der Modellvorhaben jede der 11 000 Kommunen in Deutschland über ein, zwei Pflegestützpunkte in guter bis hoher Qualität verfügt . Dazu sind die Modellvorhaben gut . ({1}) Die SPD will eine erstklassige Pflegeinfrastruktur. Mit den neu einzurichtenden Pflegeausschüssen verzahnen wir die ambulante und die stationäre, die medizinische und die pflegerische Versorgung besser miteinander - für eine lückenlose, wohnortnahe und effektive Versorgung. Das ist ein großer Fortschritt, liebe Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen eine gute und würdige Pflege für alle. Wir schaffen die Voraussetzungen, dass alle Verbesserungen auch für alle gelten; denn wir wollen in Deutschland gleiche Lebensverhältnisse für alle - unabhängig vom Wohnort - auch in der Pflege. Wir wollen eine hohe Versorgungsqualität überall und für jede und jeden, und das in allen Lebensbereichen, unabhängig davon, ob ein Mensch über ein eigenes Einkommen verfügt oder Hilfen zur Pflege empfängt. Dafür setzt sich die SPD im Rahmen dieses Dritten Pflegestärkungsgesetzes ein. Ich danke der Koalition, dass das im Wesentlichen gelungen ist . Die große Pflegereform greift. Über alles andere wird im weiteren parlamentarischen Verfahren entschieden . Danke für Ihre Aufmerksamkeit . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Elisabeth Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Fischbach! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Dritten Pflegestärkungsgesetz wird alles geregelt, was bisher noch nicht geregelt ist . Was zur Umsetzung des neuen Pflegebegriffs noch geändert werden muss, steht im PSG III . Was zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes parallel im Bereich der Pflege geändert werden muss, steht im PSG III . Es gibt zudem diverse Regelungen zur Bekämpfung des Abrechnungsbetrugs in der Pflege. Das sind viele Baustellen. Da kann man schon einmal das Wesentliche aus dem Blick verlieren . Das Wesentliche, also der Kern des Gesetzes, ist nämlich die Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege. Das liegt natürlich nahe; denn die Kommunen sind näher am Menschen als die Pflegeversicherungen. In den Kommunen weiß man, welche Angebote es vor Ort gibt, welche Angebote für ambulante und stationäre Pflege, welche Angebote für Betreuung und für ehrenamtliche Begleitung vorhanden sind, in welchen Quartieren es Nachbarschaftstreffs gibt, welche Kirchengemeinde Kaffeenachmittage für Ältere anbietet . Man weiß aber auch, welche Angebote fehlen . Diese Kompetenzen der Kommunen werden noch viel zu wenig genutzt . ({0}) Das PSG III will das ändern . Leider wurden bei diesem Gesetz mehrere Dinge nicht bedacht . Die Kommunen erhalten ein befristetes Initiativrecht bei der Einrichtung von Pflegestützpunkten. 60 Modellkommunen können neben der Beratung zur Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege und Altenpflege auch Pflegeberatung und Pflegekurse anbieten. Beratung rund um Alter und Pflege aus einer Hand, das sollte eigentlich selbstverständlich sein . ({1}) Angesichts der zahlreichen Angebote für pflegebedürftige und ältere Menschen, die zunehmend unübersichtlicher werden, gehört zur Beratung aus einer Hand eine individuelle Beraterin oder ein individueller Berater . Wir schlagen übrigens schon seit vielen Jahren vor, die rechtlichen Grundlagen für einen Anspruch auf ein individuelles Case Management zu schaffen, das Pflegebedürftige und Angehörige berät und gemeinsam mit ihnen die Angebote aussucht, die am besten zur jeweiligen Situation passen; denn jede Pflegesituation ist ganz individuell . Ein individueller Beratungsanspruch ist gesetzlich geregelt . Aber es fehlt an Verbindlichkeit . Die Länder legen das dementsprechend sehr unterschiedlich aus . Das muss anders werden . ({2}) Jeder muss die Möglichkeit haben, sich von einem unabhängigen Case Manager oder einer Case Managerin, die sich sehr gut mit den Angeboten vor Ort auskennen, umfassend beraten und begleiten zu lassen . Mehr Kompetenzen allein bei der Beratung aber reichen nicht aus . Die Kommunen brauchen auch mehr Kompetenzen bei der Pflegeplanung. Sie wissen, welche Angebote es vor Ort braucht und ob ein neues Pflegeheim in der Gemeinde wirklich gewünscht ist . Vielleicht sind barrierefreie Wohnungen in der jeweiligen Region sehr viel wichtiger . Kommunen sollen bestehende Angebote vernetzen und da, wo sie Lücken erkennen, Angebote anstoßen können . Das sind zusätzliche Aufgaben für die Kommunen, genau wie die im PSG III vorgesehene Übernahme der Beratung . Dafür ist aber kein zusätzliches Geld vorgesehen . So wird das nicht funktionieren . Kommunen brauchen eine Förderung, um etwas Neues aufzubauen . ({3}) Kommunen brauchen verlässliche Finanzhilfen für Beratung und Pflege sowie Leben und Wohnen im Alter. Es gibt viele Kommunen, die sich sehr gerne mehr in diesem Bereich engagieren würden, aber genau dafür Unterstützung und Beratung bräuchten, weil sie dem ganzen Pflegesetting noch relativ hilflos gegenüberstehen . In einigen Ländern gibt es bereits Beratungsangebote, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz . So kann man Kommunen gewinnen, die sich bisher noch nicht engagiert haben oder sich bisher noch nicht an dieses umfassende Thema herangetraut haben . Bei den Modellvorhaben im PSG III ist zwar vorgesehen, dass die Hälfte der 60 Modellkommunen keine mehrjährige Erfahrung in der Beratung haben sollen, aber ohne Unterstützung für diese Kommunen könnte es dazu kommen, dass diese Kommunen die statistische Performance verschlechtern und damit auch das Evaluationsergebnis verzerren werden . Dieses Ergebnis der Evaluation ist doch die Grundlage für die Überführung der Modellprojekte in die Regelversorgung . Besonders absurd bei diesen Modellprojekten finde ich übrigens die Tatsache, dass der Spitzenverband Bund der Pflegekassen über die konkreten Voraussetzungen, Ziele, Inhalte und Durchführung der Modellvorhaben beschließt . Keine Unterstützung der Kommunen, weder finanziell noch ideell, keine Definitionen der Ziele der Modellprojekte und keine Planungskompetenz: So stärkt man weder die Kommunen noch die Pflegebedürftigen. Mein Fazit ist: Es ist in den letzten Jahren sehr, sehr viel im Bereich Pflege gemacht worden - das stimmt -, aber Veränderungen bedeuten nicht gleichzeitig Verbesserungen . Ich denke, wir werden am Ende des Tages die Koalition nicht an den Veränderungen, sondern an den Verbesserungen messen . Danke schön . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Erwin Rüddel von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Erwin Rüddel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004139, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Rede, die Frau Zimmermann eben gehalten hat, hätte man, denke ich, Anfang der 90er-Jahre halten können, als es die Pflegeversicherung noch nicht gab . Jetzt haben wir seit über 20 Jahren den großen Segen einer Pflegeversicherung. Wir haben in dieser Legislaturperiode durch unsere bisherige Gesetzgebung die größte finanzielle Veränderung herbeigeführt, die es in Deutschland jemals in der Sozialversicherung gegeben hat . Ich denke, das muss man auch einmal anerkennen . ({0}) Wir haben die Leistungen deutlich verbessert . Wir haben sie flexibler gemacht. Wir haben Pflegebedürftigkeit neu definiert. Wir haben Demenzkranke gleichgestellt, eine große Gerechtigkeitslücke beseitigt und all denen Bestandsschutz zugesichert, die heute schon pflegebedürftig sind, sodass also niemand schlechtergestellt wird, aber sehr viele deutlich bessergestellt werden . Ich denke, wir sind dabei auf einem guten Weg, und ich möchte, bevor ich in die Details des PSG III einsteige, noch ein Bekenntnis zu den Gesundheitsberufen abgeben . Wir stehen hinter der Modellklausel . ({1}) Wir wollen die Gesundheitsberufe stärken . Ich bin der festen Überzeugung - und meine Fraktion mit mir -, dass Kern einer guten Gesundheitsversorgung in der Zukunft eine gute Vernetzung von Kompetenzen ist . Deshalb wollen wir die Gesundheitsberufe stärken, und wir vertrauen auch auf ihre Kompetenzen . ({2}) Das PSG II beinhaltet bereits Beratungsaufträge für die Kassen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eines PSG III übertragen wir den Kommunen zusätzliche Beratungsaufgaben, indem wir die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege umsetzen. Zusammen mit den Flexibilisierungen, die wir mit dem PSG I und dem PSG II bereits geschaffen haben, werden die zusätzlichen Angebote der Kommunen - hier denke ich an eine gute Vernetzung mit den Seniorenbeiräten, mit der Altenhilfe, mit den Mehrgenerationenhäusern und den Pflegestützpunkten - eine aufsuchende und umfassende Beratung für Pflegebedürftige und deren Familien sicherstellen . Auf diese Weise kann in jedem einzelnen Fall ein individuelles Paket geschnürt werden, das optimal auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und deren Familien zugeschnitten ist . Damit tragen wir zugleich dazu bei, pflegebedürftigen Menschen so lange wie irgend möglich ihre vertraute Umgebung zu erhalten . Ausdrücklich begrüße ich auch die zusätzlichen Anreize für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsleistungen . ({3}) Ein klares Wort zu Fragen der Qualitätskontrollen: Sie dürfen nicht zum Schaden der Pflegeversicherung verhindert werden. Wer Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung erhält, muss bereit sein, die erbrachten Leistungen auf ihre Qualität hin überprüfen zu lassen . Wer solchen Überprüfungen nicht zustimmt, hat sein Recht verwirkt, Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung zu erhalten. Wir verschärfen die Kontrollen, damit Pflegebedürftige, ihre Familien und die Pflegekräfte besser vor betrügerischen Pflegediensten geschützt werden. Im weiteren Verfahren werden wir ferner darauf zu achten haben, dass sich die kommunalen Haushalte nicht zulasten der Pflegeversicherung ihrer Aufgaben aus der Eingliederungshilfe entledigen . Die Beitragsgelder der Versicherten sind für gute Pflege gedacht und für nichts anderes, sie sind nicht dazu da, die kommunalen Haushalte zu entlasten . Deshalb bestehen wir auf eindeutigen Abgrenzungsregelungen an den Schnittstellen zwischen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe. Mit Blick auf die drei Pflegestärkungsgesetze soll nicht unerwähnt bleiben, dass wir bei allen Gesundheitsgesetzen in dieser Legislaturperiode flankierende Regelungen getroffen haben, um die Pflegelandschaft insgesamt zu verbessern und rundzuerneuern . Ich erinnere hier an den Bürokratieabbau, den Pflege­TÜV, die Medikamentensicherheit oder an das Palliativ- und Hospizgesetz . ({4}) Durch das E-Health-Gesetz haben gerade Senioren und Pflegebedürftige ab dem 1. Oktober, also in wenigen Tagen, einen verbrieften Anspruch auf einen einheitlichen Medikationsplan . ({5}) Die Menschen in Deutschland haben Zugang zu einer spürbar besseren Hospizarbeit und einer flächendeckenden Palliativversorgung . Wir halten unsere Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein . Mit den gesetzlichen Neuregelungen in Sachen Heilund Hilfsmittel stellen wir sicher, dass Pflegebedürftige Anspruch auf eine anständige Versorgung haben und nicht länger der schlechten Qualität von Windeln und Rollstühlen ausgesetzt sind . Wir haben in der Koalition zu Beginn der Legislaturperiode mehr Qualität, mehr Geld, mehr Betreuung und mehr Hände für gute Pflege in unserem Land versprochen, und wir halten Wort . ({6}) Ich wiederhole meine bereits früher getroffenen Feststellungen, dass wir in dieser Legislaturperiode mit allen Gesetzen im Gesundheitsbereich den Versuch unternommen haben - der uns auch gelungen ist -, eine Runderneuerung der Pflege sicherzustellen. Das ist eine große Kraftanstrengung gewesen. Ich finde, darauf können wir stolz sein; denn es handelt sich über 20 Jahre nach der Einführung bei dem Gesamtpaket, das wir abgeliefert haben, um nichts Geringeres als einen Quantensprung in der sozialen Pflegeversicherung. Ich danke hier auch dem Ministerium - und ganz besonders der Frau Staatssekretärin Ingrid Fischbach -, dass es diesen Quantensprung sozusagen auf den Weg gebracht hat . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Heike Baehrens für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Einführung der Pflegeversicherung hat es schon einige Gesetze zur Änderung und Weiterentwicklung gegeben; aber eine so umfassende Reform mit drei Gesetzen zur Stärkung der Pflege in drei Jahren auf den Weg gebracht zu haben, ist einzigartig . ({0}) Das ist gut für diejenigen, die auf Pflege und Zuwendung angewiesen sind, und diejenigen, die pflegen. Und es ist gut für alle, denen eine würdevolle Pflege und Versorgung ein Herzensanliegen ist . Es unterstreicht, dass es dieser Koalition mit der konsequenten Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Pflege ernst ist. ({1}) Umso trauriger ist es, dass wir mit dem heutigen Gesetz Regelungen verschärfen müssen, um schwarzen Schafen im Gesundheitswesen den Boden zu entziehen . Was vor einigen Monaten als Abrechnungsbetrug in der Pflege durch die Medien ging, hat sich als Form organisierter Kriminalität entpuppt, an der mehrere unlautere Partner beteiligt sind: einzelne Pflegedienste, intensivpflegebedürftige Patienten, Familienangehörige und sogar Ärzte . Das zeigt, dass wir mit dem kürzlich in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen einen richtigen Schritt gegangen sind . Mit den heute vorliegenden Regelungen machen wir einen weiteren Schritt, um Missbrauch und Betrug im konkreten Fall schneller aufdecken und konsequent verfolgen zu können . ({2}) Zukünftig werden auch jene Pflegedienste regelmäßig geprüft, die ausschließlich Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbringen. Wir werden als SPD besonders darauf achten, ob die neuen Regelungen zielgenau diejenigen treffen, die sich auf Kosten anderer bereichern. ({3}) Die allermeisten der rund 13 000 Pflegedienste in unserem Land leisten nämlich eine sehr gute Arbeit . Und es kann nicht sein, dass einige schwarze Schafe dafür sorgen, dass allen mit Misstrauen begegnet wird . ({4}) Im Gesundheitsausschuss haben wir uns am Mittwoch von Vertretern des Bundeskriminalamtes und der Staatsanwaltschaft sowie einem Berliner Sozialstadtrat berichten lassen . Dabei ist klar geworden, dass weitergehende Konsequenzen zu ziehen sind . Denn wer sich an kriminellen Machenschaften beteiligt, die auch zu einer Gefährdung von Leib und Leben führen können, dem muss der Versorgungsvertrag mit Kranken­ und Pflegekassen und dauerhaft auch die Gewerbezulassung entzogen werden . Meine Damen und Herren, parallel zum Dritten Pflegestärkungsgesetz beraten wir im Deutschen Bundestag auch über die große Reform der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, also das sogenannte Bundesteilhabegesetz . Es ist gut, dass beide Gesetze praktisch zeitgleich beraten werden; denn mit dem neuen Pflegebegriff, der noch mehr als bisher auf Selbstbestimmung und Teilhabe zielt, entstehen neue Abgrenzungsfragen . So müssen Regelungen, die Menschen mit Leistungsansprüchen aus beiden Gesetzbüchern betreffen, gut aufeinander abgestimmt werden . Dass dieses Thema Zündstoff enthält, bekommen wir gerade durch so manche Briefe und Stellungnahmen übermittelt . So wird in unserer Fraktion längst intensiv nach Lösungen gesucht . Leistungen der Pflegeversicherung und teilhabeorientierte Leistungen der Eingliederungshilfe dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden . ({5}) Denn erklärtes Ziel des Bundesteilhabegesetzes ist es, dass es für Menschen mit Behinderungen nicht zu Leistungseinschränkungen kommen darf . Dafür werden wir als SPD uns starkmachen . Ich bin sicher, dass wir da gute und tragfähige Lösungen finden werden. ({6}) Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf die Unkenrufe der Opposition eingehen . Mit der umfassenErwin Rüddel den Reform in drei Schritten und der noch anstehenden Pflegeberufereform setzen wir Maßstäbe für die Pflege in Deutschland. Wir laden alle ein, die sich in der Pflege engagieren: Lasst uns gemeinsam die Zukunft der Pflege gestalten . Vielen Dank . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Erich Irlstorfer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner in dieser Debatte muss ich feststellen, dass sich Opposition und Koalition in vielen Dingen einig sind . Ich glaube, wir sind uns vor allem darin einig, dass es in dieser Legislaturperiode viele Verbesserungen für pflegebedürftige Menschen, für ihre Angehörigen, aber auch für die Pflegekräfte gegeben hat. Ich glaube auch, dass wir uns einig sind, dass wir mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz die Leistungen der Pflegeversicherung deutlich ausgeweitet und noch passgenauer gemacht haben und dass wir mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz, dessen Kernstück der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff war, gute und richtige Dinge auf den Weg gebracht haben . Mit dem Entwurf eines Dritten Pflegestärkungsgesetzes, welches wir hier diskutieren, führen wir den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff nun auch in die Sozialhilfe ein . Damit stellen wir sicher, dass künftig auch finanziell schlechtergestellte Menschen pflegerische Leistungen nach diesen verbesserten Regelungen erhalten . Diese Ausweitung ist alles andere als trivial; vielmehr stellt sie eine weitreichende sozialpolitische Errungenschaft dar . Wir haben schon vom Abrechnungsbetrug gesprochen; ich möchte das nicht alles wiederholen . Neu in diesem Gesetzentwurf ist, dass ein Recht zur systematischen Prüfung durch die Krankenkassen auch im Bereich der häuslichen Krankenpflege gegeben ist. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen kann und soll auch hier künftig regelmäßig die Qualität und die Abrechnungen von Leistungserbringern kontrollieren . Damit stellen wir sicher, dass die Beitragsgelder der Versicherten dort ankommen, wo sie hingehören . Schließlich sind wir kein Selbstbedienungsladen . ({0}) Für mich sind hier noch drei weitere Punkte bedenkenswert . Erstens . Das Prüfrecht darf nicht einfach dadurch unterwandert werden können, dass Betroffene dazu gebracht werden, die Einwilligung zur Datenweitergabe zu verweigern . Zweitens . Wir sollten darüber nachdenken, ob wir nicht vielleicht sogar ein in gleicher Weise gestaltetes Recht zur Prüfung durch die Träger der Sozialhilfe ermöglichen . Drittens . Die Zulassungsvoraussetzungen für die Gründung von Pflegediensten müssen wir hier verschärfen . Ich möchte dem schon jetzt entgegnen, dass man hier gleich wieder sagt, das, was wir da vorhätten, sei schädlich für Investitionen und Innovationen . Ich kann Ihnen nur eins sagen: Es ist einfach unanständig, wenn Betreiber, denen bereits einschlägige Betrugsdelikte nachgewiesen wurden, einfach unter einem anderen Namen hier wieder Dienste anbieten . Das ist ein Etikettenschwindel, und den bekämpfen wir . ({1}) Ein weiteres Anliegen dieses Gesetzentwurfs ist es, die Pflegeberatung in Deutschland noch besser verfügbar zu machen . Frau Scharfenberg hat ausgeführt, dass hierbei die Kommunen unsere Spezialisten vor Ort sind; das sehen wir genauso . Einen Anfang machen wir mit 60 Modellkommunen . Das Ganze wird ordentlich evaluiert, und dann sehen wir auf jeden Fall weiter . Wichtig ist, dass sich die Länder in diesen Evaluierungsprozess einbringen, dass man diese Möglichkeiten nutzt . Wir werden sehen, inwieweit echte Verbesserungen bei der Beratung der Betroffenen eintreten. Von Betroffenen sowie von verschiedenen Organisationen und Verbänden wurde ich auch auf Befürchtungen aufmerksam gemacht, der heute diskutierte Gesetzentwurf führe im Verbund mit dem Bundesteilhabegesetz zu Nachteilen an den Schnittstellen zwischen Pflegeversicherung, Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe. Diese Hinweise nehmen wir sehr ernst . Laut Gesetzentwurf sollen die Leistungen der Pflegeversicherung im häuslichen Bereich den Eingliederungsleistungen vorgehen, es sei denn - das ist wichtig -, bei der Leistungserbringung steht die Erfüllung von Aufgaben der Eingliederungshilfe im Vordergrund . Im weiteren gesetzgeberischen Verfahren wird zu klären sein, ob der Blick auf das Ziel der pflegerischen Leistung - Eingliederung oder Pflege - ein ausreichendes Unterscheidungsmerkmal darstellt . Entscheidend ist für mich in diesem Zusammenhang das möchte ich zum Schluss noch einmal klar zum Ausdruck bringen - folgender Gedanke: Wir regeln, dass die betroffenen Menschen, also die Leistungsempfänger, keinen eigenen Abstimmungsaufwand zu betreiben haben . Die Abstimmungen zwischen der Pflegeversicherung und den Sozialhilfeträgern werden gewissermaßen geräuschlos ablaufen müssen, sozusagen hinter den Kulissen, was aber nichts mit mangelnder Transparenz zu tun hat; das möchte ich sofort in Richtung Opposition sagen . Neben der verbesserten Beratung ist es für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen entscheidend, dass sie bei der Beantragung keinem übermäßigen bürokratischen Mehraufwand ausgesetzt sind . ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, mit dem Dritten Pflegestärkungsgesetz machen wir heute vor allem einen Schritt in die richtige Richtung . Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen mit den Pflegebedürftigen, aber auch mit den Menschen mit Behinderung und mit all denjenigen, die ein Interesse daran haben, dass wir Verbesserungen schaffen. Herzlichen Dank . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/9518, 18/8725 und 18/9668 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 41 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutsches Engagement beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in internationalen Friedensmissionen stärken und ausbauen Drucksache 18/9662 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Wenn die Kolleginnen und Kollegen sich gesetzt haben, können wir mit der Aussprache beginnen . Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat Anita Schäfer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag wird eine Debatte zum Abschluss gebracht, die uns schon in der vergangenen Legislaturperiode beschäftigt hat . Aus meiner Sicht ist es erfreulich, dass sich die CDU/CSU mit der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf den gemeinsamen Text einigen konnte . Gerade unter dem Eindruck von weltweit 65 Millionen Flüchtlingen kann uns allen die Entwicklung in anderen Ländern nicht egal sein, vor allem, wenn eine Vielzahl instabiler Staaten vor unserer Haustür liegt . Welche Sprengkraft die Wanderungsund Fluchtbewegungen haben, mussten wir in der EU in den vergangenen Monaten leider erleben . Und die Zahl der Flüchtlinge wird sicherlich in den kommenden Jahren nicht weniger werden . Mauern werden die Menschen nicht von der Flucht abhalten . Wir müssen in den Heimatländern ansetzen und die Fluchtursachen bekämpfen . Meine Damen und Herren, für die friedliche und wirtschaftlich positive Entwicklung eines Landes und damit für eine Bekämpfung von Fluchtursachen ist die Rechtsstaatlichkeit von entscheidender Bedeutung . Dabei spielt insbesondere eine gut ausgebildete Polizei eine wichtige Rolle . Dies konnte ich unter anderem als Vorsitzende der Parlamentariergruppe Östliches Afrika bei meinen diversen Besuchen in afrikanischen Ländern immer wieder feststellen . Gerade deutsche Polizisten mit ihrem rechtsstaatlichen Selbstverständnis und ihren Erfahrungen in einem föderalen Staatssystem können im Rahmen von EU- und UNO-Einsätzen einen wichtigen Beitrag für eine Entwicklung von Staaten im Sinne eines demokratischen und rechtsstaatlichen Gemeinwesens leisten . Deutschland genießt in der internationalen Zusammen- und Aufbauarbeit ja bereits ein hohes Ansehen . Und das haben wir nicht zuletzt unseren Polizeibeamten zu verdanken, die sich über ihren Kernauftrag in der inneren Sicherheit hinaus für internationale Einsätze entscheiden, die nicht immer ungefährlich sind . Damit das aber den gewünschten langfristigen Erfolg hat, bedarf es aus meiner Sicht nicht nur einer guten Vorbereitung im Einsatzland und der uneingeschränkten Unterstützung unserer Polizeikräfte durch die dortige Regierung, sondern ebenso wichtig sind auch Ausbildungsstrukturen und ein positives politisches Klima für die Vorbereitung in Deutschland, damit die Polizisten guten Gewissens in den Einsatz gehen können . Damit befasst sich auch der vorliegende Antrag . Auf einige dieser Aspekte möchte ich gern näher eingehen . Grundlage eines jeden erfolgreichen Auslandseinsatzes ist eine exzellente, allumfassende Ausbildung . Dabei ist das polizeiliche Handwerkszeug eine Selbstverständlichkeit . Weitaus wichtiger aber dürften sprachliche und interkulturelle Kompetenzen sein . Dabei gilt es auch, aus den Erfahrungen von anderen Ländern, vor allem aber aus den Erfahrungen, die Beamte in vergangenen Einsätzen gemacht haben, zu lernen und darauf aufzubauen . Daher ist es begrüßenswert, wenn es zur Einrichtung eines Fachgebiets für internationale Polizeimissionen an der Deutschen Hochschule der Polizei kommt . Damit wären die Auswertung von Einsatzerfahrung, Forschung und Ausbildung zentral an einem Ort vereint . ({0}) In diesem Zusammenhang wäre es sicher nicht falsch, wenn es auch zu einem Erfahrungsaustausch mit der Bundeswehr kommen würde . Die Universitäten und Fachschulen der Bundeswehr wären sicher ein guter Ansprechpartner . Ein weiterer wichtiger Aspekt - gerade auch aufgrund der Erfahrungen mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr - ist das Thema Nachsorge . Trotz noch so guter Ausbildung können Polizisten im Einsatz körperliche Verwundungen und Verletzungen davontragen oder Erfahrungen im Einsatzland machen, die sie nicht so einfach wegstecken können . Als Stichwort möchte ich hier nur posttraumatische Belastungsstörungen nennen . Als Mitglied des Verteidigungsausschusses weiß ich, welche Probleme wir gerade in diesem Bereich hatten und zum Teil noch haben . Hier gilt es anzusetzen und ähnliche Lösungen wie bei der Bundeswehr zu finden. Uns allen muss klar sein: Polizisten gehen freiwillig in den Auslandseinsatz . Und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf Dauer Freiwillige finden, wenn es hier Versorgungslücken gibt . Auch in dieser Hinsicht ist der Antrag in seiner Forderung nach einer noch besseren Nachsorge erfreulicherweise eindeutig . Aber wir sollten nicht nur mögliche Probleme beseitigen . Vielmehr sollte ein Engagement in Auslandseinsätzen aktiv gefördert werden, indem man Vorteile, etwa bei Beförderungen, erlangt; denn die Beamten nehmen ja damit erhebliche Belastungen in Kauf . All das sollte auch im Interesse der Bundesländer sein, aus deren Polizeien ein großer Teil dieser Beamten kommt . Es wäre daher gut, wenn Bund und alle Bundesländer hier im Sinne der gemeinsamen Aufgabe an einem Strang zögen . ({1}) Zwischen beiden Seiten gibt es bereits eine intensive Zusammenarbeit, ohne die solche komplexen und in der Vorbereitung sehr aufwendigen Missionen überhaupt nicht durchzuführen wären . Unser gemeinsamer Antrag stellt nach meiner Überzeugung eine gute Grundlage für die weitere Verbesserung dar . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem nun zur Abstimmung stehenden Antrag werden wir sicherlich einen großen Schritt machen, um die zivile Unterstützung von fragilen Staaten durch deutsche Polizisten auf ein gutes Fundament zu stellen . Ich würde es begrüßen, wenn ihm das gesamte Haus zustimmen könnte, damit Bund und Länder mit der Umsetzung der angedachten Maßnahmen umgehend beginnen können . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um hier gleich Missverständnisse zu vermeiden: Die Linke lehnt internationale Polizeimissionen und bilaterale Einsätze nicht per se ab . ({0}) - Klatschen Sie nicht zu früh . - Natürlich wollen auch wir, dass im Ausland Straftaten effektiv verfolgt werden können, sich Polizisten menschenrechtskonform verhalten . Aber - das sage ich an alle Fraktionen, die diesen Antrag im Hause mitunterzeichnet haben; es waren alle außer die Linke -: Ihrem Antrag fehlt die klare Ansage, dass Regime, die systematisch Menschenrechte verletzen, von deutschen Polizisten künftig keine Unterstützung mehr zu erwarten haben . ({1}) Weil Sie hier von sogenannten Friedensmissionen reden, will ich eines gleich klarstellen: Es geht in dem vorliegenden Antrag um die Durchsetzung außenpolitischer Interessen Deutschlands mithilfe von Polizistinnen und Polizisten . Es geht darum, Bundeswehreinsätze im Ausland noch umfangreicher mittels Polizeieinsätze zu ergänzen . Da verlieren Sie kein Wort über Menschenrechte, schon gar nicht über die Befugnisse, die der Bundestag in diesem Zusammenhang hat . Deswegen wird die Linke diesen Antrag ablehnen . ({2}) Sie führen im Antrag aus, eine gut ausgebildete Polizei sei ein wichtiger Garant für Rechtsstaatlichkeit . Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit . Immer wieder stehen Auslandseinsätze der Polizei im Dienste von Diktatoren und tragen zum Aufbau der Festung Europa bei . Ich darf Sie zum Beispiel daran erinnern: Seit 2009 sind Bundespolizisten in Saudi-Arabien . Während der Rüstungskonzern EADS ein Milliardengeschäft mit dem Aufbau von Grenzanlagen macht, bilden Bundespolizisten den dortigen Grenzschutz aus . Falls Sie es nicht mitbekommen haben: Saudi-Arabien ist eine feudale Diktatur, in der Regimekritiker ausgepeitscht oder sogar geköpft werden . Im Krieg im Jemen werfen saudische Truppen blindlings Bomben, und einem solchen Regime helfen deutsche Polizisten; sie vermitteln den dortigen Sicherheitskräften den sicheren Umgang mit dem Sturmgewehr G3 . Das ist doch echt ein Skandal . ({3}) Deswegen fordert die Linke, diesen schändlichen Einsatz wirklich sofort zu beenden . ({4}) Auch in Afghanistan gibt es eine Polizeimission . Faktisch leisten dort deutsche Polizisten einen Beitrag zum Bürgerkrieg; denn die wichtigste Aufgabe afghanischer Polizisten ist es, als Kanonenfutter im Kampf gegen die Taliban zu dienen . ({5}) Unsere regelmäßigen Quartalsanfragen an die Bundesregierung zeigen, dass es häufig um Hilfe für Grenzschützer geht, insbesondere auf dem Balkan, aber auch in Nordafrika . Dort wird der Grenzschutz ausgebildet und technisch aufgerüstet, um Flüchtlinge an der Flucht nach Europa zu hindern . Ich muss vor diesem Hintergrund sagen, dass ich überhaupt nicht verstehe, warum die Grünen bei diesem Antrag mitmachen. Ich finde, das ist wirklich ein Armutszeugnis für eine Partei, die sich hier eigentlich immer sehr flüchtlingsfreundlich gibt. Es tut mir echt leid, aber das finde ich unmöglich. ({6}) Anita Schäfer ({7}) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen . Sie fordern, dass die Polizeieinsätze noch mehr zum Mittel der Außenpolitik werden, aber Sie wollen kein Mitspracherecht des Bundestages . ({8}) Die Linke hat hierzu schon vor Jahren den Antrag eingebracht, dass der Bundestag mitentscheiden soll, wenn bewaffnete Polizisten in die Welt geschickt werden - genauso wie bei Soldaten . Es geht hier, wie gesagt, vor allen Dingen um Bürgerkriegsszenarien wie in Afghanistan, aber auch um Kumpanei mit diktatorischen Regimen . Ich will an dieser Stelle nebenbei die Türkei nennen, auch wenn ich das jetzt nicht weiter ausführen kann . Wenn hier in aller Stille solche Einsätze durchgewinkt werden - wie es ja zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Einsatz in Saudi-Arabien geschehen ist -, dann können wir da nicht mitmachen . ({9}) Sie sagen in Ihrem Antrag, dass Sie einmal im Jahr eine Unterrichtung wünschen . Damit fallen Sie hinter die Position der Gewerkschaft der Polizei zurück, die ganz klar und zu Recht einen Parlamentsvorbehalt für solche Einsätze fordert . ({10}) Zum Schluss will ich noch einmal ganz klar die Forderungen der Linken nennen: Es müssen bei solchen Polizeieinsätzen ein Menschenrechtsvorbehalt, ein strikter ziviler Charakter und eine effektive Mitsprache des Bundestages gewährleistet sein . Das muss die Messlatte für solche Polizeieinsätze sein . Nichts anderes kann in einer demokratischen Gesellschaft funktionieren . Danke schön . ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Edelgard Bulmahn für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 1 . Juni, also vor knapp vier Monaten, fand im Auswärtigen Amt eine wirklich großartige Veranstaltung statt . Ich hätte mir gewünscht, liebe Frau Jelpke, dass Sie an dieser großartigen Veranstaltung teilgenommen hätten . Auf dieser Veranstaltung haben wir nämlich neun Menschen, Polizistinnen und Polizisten, Entwicklungshelfer und Juristen, für ihr ganz besonderes Friedensengagement ausgezeichnet und geehrt . Wir haben sie stellvertretend für 4 500 Deutsche ausgezeichnet, die sich in den Krisenregionen dieser Welt, oft unter Gefährdung ihres eigenen Lebens, einsetzen, engagieren und dafür arbeiten, dass Konflikte beigelegt und nicht mit Gewalt ausgetragen werden, dass Rechtsstaatlichkeit entwickelt und durchgesetzt wird . Sie setzen sich außerdem für bessere soziale und wirtschaftliche Bedingungen ein . Liebe Frau Jelpke, wenn Sie die Berichte dieser Menschen gehört hätten, dann hätten Sie heute etwas anderes gesagt . Ich bitte Sie, den Menschen einmal zuzuhören, dann wüssten Sie, dass diese Menschen unter härtesten Bedingungen mit ungeheurem Mut, mit ungeheurem Engagement und mit wahnsinnig viel Geduld und Beharrlichkeit ihre Arbeit leisten . ({0}) Darunter sind eben auch viele Polizistinnen und Polizisten. Ich finde, sie alle haben unsere Anerkennung und unseren Dank verdient . ({1}) Sie leisten nämlich eine ungeheuer wichtige Arbeit für die Menschen in den Krisenregionen, für den Aufbau und die Entwicklung einer hoffentlich dauerhaften Zivilgesellschaft . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich bei Ihrer Rede, Frau Jelpke, wirklich gefragt: Wie wollen Sie Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und Schutz durchsetzen, wenn Sie keine gut ausgebildete Polizei in den betreffenden Ländern haben? ({3}) In Mali, in Somalia, im Südsudan oder in Teilen der Ukraine zeigt sich doch überall ein vergleichbares Bild: Die staatlichen Strukturen sind verfallen, ({4}) unterschiedliche Gruppierungen kämpfen wirklich mit allen Mitteln der Macht um Privilegien und Besitz, Amtsmissbrauch und organisierte Kriminalität sind an der Tagesordnung. In diesen Ländern ist es häufig so, dass mächtige Clans ihre jeweiligen Regionen im wahrsten Sinne des Wortes ausplündern . Um die Rechte von Menschen kümmern sie sich überhaupt nicht . Das führt dazu, dass Sicherheit zu einem Privileg für ganz wenige wird; wenn sie überhaupt noch existiert . Es zeigt sich immer deutlicher - auch das kann man doch nicht verkennen -, dass die vielfältigen Konflikte und innerstaatlichen Auseinandersetzungen sich nicht allein mit militärischen Mitteln lösen lassen; da werden Sie mir wahrscheinlich zustimmen . Das geht nicht . Soldaten können einen Waffenstillstand erzwingen, sie können manchmal auch Volksgruppen schützen - das ist wichtig -, aber sie können keinen Frieden schaffen, und das wissen die Soldaten selbst am besten . Die Wiederherstellung staatlicher Strukturen, die Schaffung von Rechtsstaatlichkeit, gutes Regieren, das ist doch das, worüber wir hier reden . Die Etablierung von Zivilgesellschaften, der Schutz von Frauen und KinUlla Jelpke dern, die Wiederherstellung von Sicherheit und die nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen, das bedarf eben vielfältiger ziviler Anstrengungen . ({5}) Dazu gehört die Polizei, aber das wird sie nicht alleine leisten können . Deshalb unterstützen wir auch andere Gruppierungen . ({6}) Der Polizei, und zwar einer funktionierenden, dem Gesetz und dem Rechtsstaat verpflichteten Polizei und nicht einer einzelnen Machthabern verpflichteten Polizei, kommt eine ganz wichtige Bedeutung zu . Die Menschen können nämlich nur solchen Polizeiorganen wieder vertrauen, und das tun sie . Nur so ist es möglich, Korruption und organisierte Kriminalität effektiv zu bekämpfen. Dem kommt eine Schlüsselrolle zu . Es geht also nicht darum, dass Polizei militärische Aufgaben übernimmt das kann sie nicht, das soll sie auch nicht -, sondern es geht darum, Sicherheit in einem umfassenden Sinne für die Zivilbevölkerung zu schaffen und Rechtsstaatlichkeit herzustellen . ({7}) Sie haben in der Debatte das Beispiel Saudi-Arabien gebracht . Ich bitte Sie, unseren vorliegenden Antrag einmal zu lesen . Hätten Sie es getan, dann wüssten Sie, dass wir vorschlagen, dass wir uns in Zukunft jährlich umfassend über die Art der Einsätze berichten lassen und dass wir darüber hier an prominenter Stelle im Deutschen Bundestag diskutieren. Ich finde, genau das ist überfällig. ({8}) Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie den Antrag unterstützen, Frau Jelpke, und hier nicht so destruktiv einfach Nein sagen . Dann müssen Sie ihn unterstützen und sagen: Ja, genau diese Diskussion wollen wir im Bundestag führen . - Genau das wollen wir . ({9}) Die deutsche Polizei - Frau Schäfer hat das vorhin gesagt - genießt international ein großes Ansehen . Das hat Gründe: Die Polizistinnen und Polizisten - das erleben wir immer wieder, wenn wir vor Ort sind - sind hervorragend ausgebildet und bestens vorbereitet . Das sind Stärken, die in den Ländern, in die wir Polizistinnen und Polizisten entsenden, außerordentlich geschätzt werden . Darüber hinaus ist die deutsche Polizei - das habe ich vorhin schon gesagt; ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt - aufgrund ihres Selbstverständnisses und ihrer gesellschaftlichen Einbindung - sie versteht sich nämlich als Vertreter eines demokratischen Rechtsstaats und begreift sich nicht als Durchsetzer von Gewalt - in einer ganz besonderen Art und Weise geeignet, einen wichtigen Beitrag zu einer inklusiven Entwicklung in diesen Krisenländern zu leisten . Auch die wirksame Bekämpfung von Korruption, organisierter Kriminalität und Terrorismus ist zwingend verbunden mit Rechtsstaatlichkeit, mit der Schaffung und Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und damit einer gut arbeitenden Polizei und Justiz . Die Nachfrage nach Spezialisten - das erleben wir in Gesprächen immer wieder -, zum Beispiel nach Forensikern oder Spezialisten für Datensicherheit oder für die Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption, ist gerade in diesen Ländern ganz besonders groß, und sie wird wahrscheinlich auch nicht abnehmen . Wenn einige immer noch fragen - das könnte ja sein -: „Warum entsenden wir deutsche Polizei in diese Länder?“, dann sage ich, dass organisierte Kriminalität, Waffen­ und Drogenschmuggel und Menschenhandel inzwischen nicht mehr auf einen Staat begrenzt sind . Die Gruppen, die das tun, sind international vernetzt, und wir können sie nur international bekämpfen . Mit diesen Einsätzen helfen wir diesen Ländern; wir helfen auch uns selbst - das stimmt -, aber wir helfen vor allem diesen Ländern . ({10}) Kurz gesagt: Die Männer und Frauen, die wir gemeinsam am 1 . Juni 2016 geehrt haben, leisten wirklich etwas Großartiges . Aber ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es nicht ausreicht, die Polizistinnen und Polizisten einmal im Jahr für ihre Leistungen auszuzeichnen und deutlich zu machen, was hier geschafft wird, sondern es kommt darauf an, dass wir die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für diese so wichtigen Einsätze noch weiter verbessern . Ich bin deshalb sehr froh - ich möchte mich an dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen aus dem Innenausschuss und dem Auswärtigen Ausschuss ausdrücklich bedanken -, dass wir gemeinsam einen Antrag erarbeitet haben, der genau das zum Ziel hat . Ich will nicht alle Punkte dieses Antrags ansprechen, weil schon einige angesprochen worden sind . Einen Punkt, der mir ganz besonders wichtig zu sein scheint, will ich aber hervorheben: In einem Land wie unserem, in einem föderalen Staat, gibt es einerseits eine klare Zuständigkeit des Bundes für Außenpolitik, internationale Organisationen und zwischenstaatliche Vereinbarungen und andererseits eine klare Zuständigkeit der Länder für die Polizei, bis auf die Bundespolizei . Hieraus ergeben sich für die Entsendung deutscher Polizeikräfte, weil ein großer Teil von der Landespolizei entsendet werden muss und soll - auch in Zukunft -, einige strukturelle Hürden im Dienstrecht . Sie haben auf das Versorgungsrecht hingewiesen, auf die Nachsorge . Da haben wir ein Problem . Deshalb sagen wir: Da wollen wir Angleichungen . Wir wollen nicht zwei unterschiedliche Stufen haben . Wir wollen ein vergleichbares Recht herstellen, vor allem auch hinsichtlich der Finanzierung . Solange der vermehrte Einsatz von Polizistinnen und Polizisten im Ausland angesichts einer unzureichenden PersonalausEdelgard Bulmahn stattung im Inland, also in den Ländern selbst, mit einer großen zusätzlichen Belastung für die Kolleginnen und Kollegen vor Ort verbunden ist, wird es keine zufriedenstellenden Lösungen geben . Deshalb sagen wir: Der Bund muss bei dem Auslandseinsatz deutscher Polizeikräfte eine deutlich größere Verantwortung übernehmen, auch eine finanzielle Verantwortung, wenn wir unseren internationalen Verpflichtungen besser gerecht werden wollen . ({11}) Wir schlagen deshalb eine umfassende Bund-Länder-Vereinbarung vor, mit der die notwendigen dauerhaften finanziellen Voraussetzungen erfüllt und die organisatorischen Strukturen geschaffen werden. In dieser Vereinbarung soll neben der Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel auch die Schaffung eines neuen Finanzierungsmodells mit einem vom Bund finanzierten virtuellen Personalpool - Planstellen aufseiten der Landespolizei - geregelt werden . Wir wollen außerdem gemeinsame Entwicklungsformate und Inhalte erarbeiten und entsprechende Änderungen im Dienstrecht zur Gewährleistung der Vergleichbarkeit, die Sie angesprochen haben, vornehmen . Ich will einmal auf das Beispiel Schweden verweisen . Schweden entsendet 1 Prozent seiner Polizistinnen und Polizisten ins Ausland, nicht jedes Jahr; Schweden hält einen solchen Pool vor . Auf Deutschland übertragen hieße das: 3 000 Polizistinnen und Polizisten . Die Kosten für diesen Einsatz sollte unserer Auffassung nach entsprechend seiner Zuständigkeit - für die Außenpolitik ist der Bund zuständig - künftig der Bund übernehmen . Die Kostenübernahme darf sich nicht allein auf die sogenannten Mehrkosten für den Auslandseinsatz beziehen - das ist nämlich das Hauptproblem -, sondern sie muss sich auf die Vorhaltung dieses Personalpools insgesamt beziehen . Nur so kommen wir endlich aus dem Zwiespalt, aus der Zwickmühle heraus, die ich eben beschrieben habe . Deshalb ist es ein ganz wichtiger Schritt, den wir hier machen wollen . Wir wollen durch eine Vereinbarung genau das erreichen . Wir wollen sicherstellen, dass wir gut qualifizierte, gut versorgte Polizistinnen und Polizisten auf Länderebene in ausreichender Zahl haben, damit wir das Ziel, das wir uns selbst gesetzt haben - wir wollen nämlich bis zu 910 Polizistinnen und Polizisten, roundabout 1 000, zur Verfügung stellen -, erreichen . Wenn man Vorsorge und Nachsorge dazunimmt, dann ist man ungefähr bei einem Personalpool von 3 000 Stellen . Das ist also keine fiktive Größe, sondern eine sehr realitätsnahe Größe . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen darüber hinaus sicherstellen - das ist ein zweiter wichtiger Vorschlag; ich möchte ihn nur kurz anreißen -, dass die Erfahrungen, das Wissen, die Kompetenzen, die die Polizistinnen und Polizisten bei ihren Auslandseinsätzen gewinnen, nicht verloren gehen, sondern systematisch ausgewertet werden, systematisch gesichert werden und systematisch auch für die Weiterentwicklung der Konzepte genutzt werden . Deshalb wollen wir - auch da sind wir uns einig - ein Fachgebiet bei der Hochschule der Polizei schaffen, mit der entsprechenden personellen Unterstützung, damit die Wissens- und Kompetenzsicherung auch wirklich dauerhaft stattfindet. Das ist ein großer Wunsch der Polizistinnen und Polizisten, und ich finde, da sind wir in der Pflicht. Das werden wir machen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({12}) Wir werden bei den Haushaltsberatungen einen entsprechenden Antrag einbringen - das ist ein erster wichtiger Schritt -, und dann geht es in die Verhandlungen über die Bund-Länder-Arbeitsgruppe .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können so gemeinsam dazu beitragen, den berechtigten Wünschen und Anliegen der Polizistinnen und Polizisten endlich gerecht zu werden . Ich weiß, dass der Staatssekretär im Innenministerium und das Innenministerium da gute Verbündete sind . Das werden wir gemeinsam machen . Ich glaube, dass wir damit auch den Ansprüchen, die wir an uns selbst haben, den Ansprüchen des Parlaments, wirklich ein ganzes Stück besser gerecht werden, und darauf kommt es an . Das wollen wir . Wir wollen es wirklich besser machen . Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dr . Franziska Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte an dieser Stelle Frau Almut Wieland-Karimi begrüßen - Sie alle kennen sie -, die Vorsitzende des ZIF, des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, die in diesem Bereich sehr viel für Deutschland leistet . Schön, dass Sie heute bei uns sind! ({0}) Wir haben es schon gehört: Warum diskutieren wir dieses Thema heute? Uns geht es dabei um Frieden . Wir wollen in den Ländern der Welt, in denen es leider häufig nicht friedlich zugeht, einen Beitrag dazu leisten, dass ein staatliches Gewaltmonopol wieder aufgebaut werden kann . Das ist die Forderung, die wir damit inhaltlich hinterlegen . Es geht uns nicht darum, an sich mehr Polizistinnen und Polizisten ins Ausland zu schicken . Aber: Es gibt keine funktionierende Staatlichkeit ohne ein Gewaltmonopol . Wir wollen nicht, dass dieses nur militärisch gesichert wird, sondern wir wollen, dass es zivil, durch Polizistinnen und Polizisten, gesichert wird . Dafür brauEdelgard Bulmahn chen wir funktionierende Polizeistrukturen in den Ländern, die vom Zerfall bedroht sind oder in denen nach einem Konflikt mit großen Schwierigkeiten versucht wird, wieder eine Staatlichkeit aufzubauen . Das ist das Ziel . Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten . ({1}) Die Vereinten Nationen sind da momentan der größte Akteur . 13 200 Polizistinnen und Polizisten sind weltweit im Einsatz der Vereinten Nationen unterwegs . Deutschland stellt von diesen 13 200 genau 24 . 24 Polizistinnen und Polizisten - für ein großes und reiches Land wie Deutschland ist das blamabel . Anders kann man das nicht nennen . ({2}) Wir waren zusammen mit dem Unterausschuss bei den Vereinten Nationen in New York . Dort wurde uns stark und eindeutig signalisiert, wie sehr deutsche Polizistinnen und Polizisten geschätzt sind, auch weil wir einen besonderen Ansatz haben und vor Ort häufig präventiv arbeiten . Unsere Polizisten gehen auch anders mit Demonstrationen um . Das unterscheidet sich manchmal vom Vorgehen der Polizisten aus anderen Ländern . Da haben wir eine wichtige Rolle; darin sind wir uns alle einig . Deswegen ist es gut, dass wir heute diesen Antrag gemeinsam stellen . ({3}) Es ist gut, dass wir gemeinsame Antreiber sind, aber eigentlich auch traurig, dass wir überhaupt Antreiber sein müssen . Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag vom November 2013 - dort finden sich lesenswerte Passagen über die Vereinten Nationen -: Wir wollen die rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen für den Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in Friedensmissionen verbessern . Hierzu wird die Bundesregierung in der nächsten Legislaturperiode mit den Bundesländern eine umfassende Bund-Länder-Vereinbarung verhandeln, die der gemeinsamen Verantwortung gerecht wird . Jetzt haben wir das Jahr 2016, es ist nicht mehr ganz ein Jahr bis zur Wahl, und wir haben immer noch keine Bund-Länder-Vereinbarung . Da fragen wir uns schon: Warum kommt das nicht? Die Frage richtet sich auch an Sie, Herr Schröder . Woran hängt es denn? Wir glauben, dass dort dringend Handlungsbedarf besteht . Kommen Sie Ihren eigenen Zusagen endlich nach! Machen Sie das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition! Wir brauchen das . Deutschland leistet bis jetzt einfach zu wenig . ({4}) In dem Antrag werden richtige Forderungen zur strukturellen Verbesserung gestellt; wir haben es gerade schon gehört . Dabei geht es um die rechtliche Absicherung, finanzielle Fragen, Wissenstransfer und ­sicherung und eine stärkere Einbindung im Parlament . Frau Jelpke, Sicherheitsbedenken und Menschenrechte - die Sorge teilen wir doch alle . ({5}) Es ist aber auch ein schwieriges Umfeld, in dem diese Polizistinnen und Polizisten unterwegs sind . Klar ist: Wir müssen Einsätze in Zukunft auch abbrechen . Das ist gar nicht die Frage . Es wird Einsätze geben, und es gibt schon heute Einsätze, bei denen wir sagen: Da müssen wir aufhören . Dort ist es nicht mehr der richtige Weg . Dort unterstützen wir nicht Frieden und Rechtsstaatlichkeit, sondern Akteure, die den Menschenrechten zuwiderhandeln . Ja, wir werden Einsätze abbrechen müssen . Aber das ist doch kein Argument dagegen, strukturelle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir Polizistinnen und Polizisten in gute Einsätze entsenden können . Das kann doch kein Argument dagegen sein . ({6}) Falsche Einsätze können doch kein Argument gegen gute Einsätze sein . ({7}) Das ist das, worum es uns geht . Wir sagen jetzt nicht, dass wir alle schlechten Einsätze mittragen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, noch einmal: Wir alle wissen, dass eine gute Polizei auch eine gute Justiz braucht, dass wir ein gutes Umfeld brauchen, in dem die Polizei agieren kann . Deswegen hatten wir noch einen Antrag gestellt, der diesen Bereich behandelt . Schade, dass er nicht aufgesetzt wurde . Vielleicht können wir bei anderer Gelegenheit trotzdem über diesen Antrag diskutieren; denn wir wissen, dass es zusammengehört . Hier geht es jetzt um einen Teil; andere gehören dazu . ({8}) Wir alle wissen auch, dass das, was wir hier fordern, nicht für umme zu haben ist . Das kostet Geld . Wenn wir 1 Prozent zum Ziel haben, wenn wir einen Lehrstuhl an der Hochschule der Polizei zum Ziel haben, dann kostet das Geld . Ich würde mich sehr freuen, wenn wir es in dem Haushaltsverfahren, das gerade läuft, gemeinsam schaffen, diese Forderungen nicht auf dem Papier zu belassen, sondern umzusetzen und Geld für den Lehrstuhl, für das 1 Prozent zur Verfügung zu stellen . Dann haben wir wirklich etwas erreicht . Das ist der Schritt, den wir noch gehen können . Dabei brauchen wir nicht auf Sie zu warten . Das ist in unserer Verantwortung . Lassen Sie uns diesen Schritt gemeinsam gehen . Ich danke Ihnen . ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ole Schröder . ({0})

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich zunächst, dass der Unterausschuss für Zivile Krisenprävention einen fraktionsübergreifenden Beschlussantrag zum Einsatz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in internationalen Friedensmissionen vorgelegt hat . Die zehn Punkte des Antrags greifen wichtige Themen auf . Deren Umsetzung wird unser Polizeiengagement in mandatierten Friedensmissionen und bilateralen Polizeimissionen stärken . Gerade angesichts der aktuellen Migrationslage gewinnt der Antrag eine besondere Aktualität . Polizeimissionen leisten in den Krisenregionen einen Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen . Polizeiprojekte in Krisenstaaten legen die Basis für den Aufbau von Sicherheitsstrukturen; dort werden rechtsstaatliche Strukturen aufgebaut . Sicherheit ist eben auch die Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt wirtschaftliche Prosperität entwickeln kann. Sicherheit eröffnet den Menschen somit eine Bleibeperspektive, und damit werden auch die Fluchtursachen bekämpft . Ich bekenne mich an dieser Stelle eindeutig zu einem größeren Engagement Deutschlands in internationalen Polizeieinsätzen . Wir haben zurzeit - da möchte ich auf das eingehen, was Frau Brantner eben gesagt hat - 148 Beamtinnen und Beamte im Einsatz, also nicht nur 22 . ({0}) Es gibt zwischen Bund und Ländern vereinbarte Leitlinien; das ist also geübte Praxis . Aber natürlich kann man sich auch über konkrete Vereinbarungen unterhalten . Ich sage nur eines: Das wird an der geübten Praxis nicht viel ändern . Wichtig ist, dass auch die Länder bereit sind, solche Vereinbarungen einzugehen . An uns soll es jedenfalls nicht scheitern . Wenn jetzt allerdings mehr Engagement gefordert wird, dann müssen wir natürlich auch berücksichtigen, dass wir eine zivile Polizei haben ({1}) und eben keine Gendarmerie oder sonstige robuste Einheiten . Wenn die Grünen jetzt wild entschlossen sind und sagen: „Wir wollen viel mehr“, dann ist das eine Ansage . Dann müssen wir uns natürlich auch über die Ausrüstung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten Gedanken machen: Brauchen wir nicht robustere Einheiten, was bedeutet das für die Abgrenzung von Militär und Polizei in den Krisenregionen, und was kann unsere zivile Polizei überhaupt leisten? Man darf also nicht nur fordern, sondern muss auch die konkreten Schlussfolgerungen berücksichtigen . ({2}) Ich jedenfalls bedanke mich bei allen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für das großartige Engagement, das sie in vielen Staaten zeigen . Wir wissen, was das für jeden Einzelnen bedeutet . Wir wissen, dass die Akzeptanz der örtlichen Polizeidienststellen nicht immer so ist, wie wir sie uns vorstellen . Wir wissen, was das auch für das gesamte Umfeld und die Familien bedeutet . Vielen Dank für diesen Einsatz! ({3}) Unsere Polizeibeamten tragen dazu bei, dass die Sicherheitslage in den Regionen, die von Konflikten, Krisen und Chaos geprägt sind, stabilisiert wird . Damit sorgen sie nicht nur für Sicherheit und Ordnung in den Regionen, sondern mittelbar auch für Sicherheit hier in Deutschland . Ein Blick auf die Krisenherde der Welt zeigt, dass wir künftig noch mehr Friedensmissionen und bilaterale Polizeiprojekte brauchen . Wir müssen aber auch Rücksicht darauf nehmen, dass wir begrenzte Ressourcen haben und zurzeit über eine zivile Polizei verfügen, die dann natürlich auch die Ausrüstung hat, die gesetzlich vorgegeben ist . Wir müssen uns daher auf Schwerpunkte konzentrieren . Im Vordergrund stehen für uns solche Gebiete, in denen die Ursachen von Flucht, Vertreibung und Migration bekämpft werden können . Zwei Regionen genießen dabei unsere besondere Aufmerksamkeit . Zum Ersten geht es um Nordafrika und die Sahelzone . Wir haben unsere Beteiligung an der Mission der Vereinten Nationen in Mali bereits deutlich ausgebaut . Wir würden sie noch weiter ausbauen . Die Anforderungen, insbesondere an die Sprachkenntnisse, sind allerdings sehr, sehr hoch . Wir setzen uns dafür ein, dass sie realistischer ausgelegt werden, insbesondere was die französischen Sprachkenntnisse angeht . Wir stellen uns auch darauf ein, Polizisten nach Libyen zu entsenden, sobald die Sicherheitslage es zulässt . Die Vorbereitungen laufen bereits, und wir engagieren uns im Rahmen der Vorbereitungen . Wir legen großen Wert darauf, dass ein Kernauftrag dieser Mission die Stärkung des libyschen Grenz- und Küstenschutzes wird, damit die Tragödie auf dem Mittelmeer auch von dieser Seite her beendet werden kann, meine Damen und Herren . Zum Zweiten kommt nach wie vor Afghanistan eine besondere Bedeutung zu . Das bilaterale Polizeiprojekt in Afghanistan haben wir noch stärker auf die Bekämpfung der Schleuserkriminalität und auf die Bekämpfung der illegalen Migration ausgelegt . Unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten leisten - darauf möchte ich zum Schluss eingehen - auch einen wichtigen Beitrag in Europa . In der Ukraine sind wir an zwei Missionen der EU und an einer der OSZE beteiligt . Durch die Teilnahme an diesen Missionen tragen wir dazu bei, dass sich die Situation in der Ukraine stabilisiert und die Polizeibehörden bei ihren Reformen unterstützt werden . Das ist dringend erforderlich . Ich bin davon überzeugt, dass der gestellte Antrag uns bei unseren Bemühungen unterstützen wird, und bedanke mich für die konstruktive Begleitung aus dem parlamentarischen Raum . Die Linke ist hier natürlich ausgenommen . ({4}) Das, was wir von ihr erleben, ist eher destruktiv, aber ich denke, das sind wir auch sonst nicht anders gewohnt . Insofern freue ich mich auf die gemeinsamen Beratungen . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte am Ende der Debatte noch einmal zusammenfassend sagen, dass es aus meiner Sicht überhaupt nichts Verwerfliches ist, wenn wir mit der Entsendung deutscher Polizisten in internationale Friedensmissionen natürlich auch unsere eigenen Interessen vertreten . Es ist angesprochen worden: Es geht darum, dem internationalen, auch islamistischen, Terrorismus, den Nährboden zu entziehen und Fluchtursachen zu bekämpfen . Natürlich ist es richtig, dass eine so internationalisierte Gesellschaft und Volkswirtschaft wie unsere, die mehr als die Hälfte ihres Wohlstandes außerhalb unseres Landes erwirtschaftet, in besonderer Weise davon profitiert, wenn wir es schaffen, mehr Frieden, mehr Sicherheit und mehr Stabilität zu erreichen . Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte: Wir stehen hier in der Tat nicht an einem Nullpunkt, sondern wir haben in der Vergangenheit schon messbare Erfolge verzeichnen können . 1989 wurden deutsche Polizisten das erste Mal in einer internationalen Friedensmission eingesetzt, nämlich in Namibia . In der Zwischenzeit ist unheimlich viel passiert . Ein Meilenstein war hier mit Sicherheit auch der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ aus dem Jahr 2004, aus dem das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze und auch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik hervorgegangen sind . Das waren Meilensteine . Wir sind vorwärtsgekommen und haben messbare, nachvollziehbare Erfolge erzielen können . Heute sind wir der viertgrößte Geber für internationale Friedensmissionen der Vereinten Nationen . Trotzdem ist es richtig, dass wir noch nicht an dem Punkt angekommen sind, an dem wir sein könnten und auch sein sollten . Deswegen ist richtig, diese Debatte mit dem vom Auswärtigen Amt initiierten Leitlinienprozess und auch diesem interfraktionellen Antrag fortzusetzen, den wir heute hier beraten und hoffentlich auch beschließen werden . Es geht eben nicht nur um Geld - da sind wir schon sehr gut -, sondern es geht auch darum - das ist von Vorrednern einige Male erwähnt worden -, das spezielle Know-how und die speziellen Kenntnisse deutscher Polizistinnen und Polizisten mit den spezifischen Qualitäten, die sie haben, zum Einsatz zu bringen . Wenn ich mir einmal anschaue, was internationale Polizeimissionen bei den Vereinten Nationen heute leisten, dann, glaube ich, tut dies auch wirklich not . Wie sieht es derzeit aus? Es gibt einen deutlichen Aufwuchs an Polizisten in solchen Missionen . 1995 waren es noch 5 800, heute sind es mehr als 16 000 . Was sind das für Polizisten, und wo kommen sie her? Sie kommen aus Ruanda, Indien, Jordanien, Nepal, Burkina Faso . Das sind die Länder, die die meisten Polizisten stellen . Sie kommen überwiegend - zu mehr als der Hälfte - aus geschlossenen Verbänden . Das ist im Zweifel aber nicht das, was die Vereinten Nationen brauchen, und das ist auch nicht das, was wir für internationale Polizeieinsätze brauchen . Wir brauchen Spezialisten und spezielle Kenntnisse im Bereich der Beweissicherung, bei der Bekämpfung von Sexualstraftaten und im Bereich der organisierten Kriminalität . Solche Kompetenzen werden verlangt, und die können und die sollten wir liefern . Das ist mehr wert als Geld . ({0}) Es ist bereits angesprochen worden, dass wir eine Beschlusslage haben: Im Europäischen Rat haben wir im Jahr 2000 in Santa Maria da Feira gemeinsam vereinbart, EU-weit 5 000 und aus Deutschland 910 Polizisten bereitzustellen . Das muss die Richtgröße sein, an der wir uns orientieren . Wenn man sich den Entwurf des Bundeshaushalts für das kommende Jahr anschaut, kann man sehen, dass im Bereich des Innenministeriums zusätzliche Mittel für den Einsatz von Bundespolizisten außerhalb Deutschlands bereitgestellt sind . Wir haben hier einen Mittelaufwuchs . Und auch wenn es zwischen Bund und Ländern vereinbarte Leitlinien gibt, ist klar, dass ein Großteil der Kompetenzen, von denen ich gesprochen habe, nicht zwingend bei der Bundespolizei vorhanden ist, sondern in besonderem Maße bei den Länderpolizeien . Deswegen brauchen wir eine noch bessere Auflösung des Zielkonfliktes, dass einerseits der Bund für die außenpolitischen Belange zuständig ist, andererseits die Kompetenz der Polizeien, die in solchen Einsätzen erforderlich ist, bei den Ländern in sehr viel größerem Maße vorhanden ist . Dafür brauchen wir vernünftige Regelungen . Es ist zu wenig, wenn wir nur auf die Enthusiasten setzen, die in solche Einsätze gehen . Wir brauchen mehr Struktur; wir brauchen mehr Unterstützung; wir brauchen mehr rechtliche Rahmenbedingungen, die den Erfordernissen gerecht werden . Dann bin ich überzeugt, dass wir es schaffen können und einen effektiven Beitrag zu ziviler Krisenprävention leisten können . Polizei, Richter, Staatsanwälte als Rückgrat rechtsstaatlicher Verhältnisse helfen mit, dass wir Konflikte beilegen können, dass wir gescheiterte Staaten wiederaufbauen können, und vor alParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder len Dingen, dass die Menschen Vertrauen zu ihren Staaten und ihren Regierungen bekommen können: Das ist die beste Vorsorge, um Fluchtursachen an der Wurzel zu bekämpfen . Herzlichen Dank . ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9662 mit dem Titel „Deutsches Engagement beim Einsatz von Polizistinnen und Polizisten in internationalen Friedensmissionen stärken und ausbauen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen . ({0}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wochenhöchstarbeitszeit begrenzen und Arbeitsstress reduzieren Drucksache 18/8724 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . ({2}) - Wenn alle Kolleginnen und Kollegen, die jetzt noch herbeigeeilt sind, ein Plätzchen gefunden haben, können wir die Debatte eröffnen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke . ({3})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht um Arbeitszeiten, um Flexibilisierung der Arbeitszeiten, auch um weniger Stress durch vernünftige Arbeit . Wenn ich mich hier so umschaue, sehe ich: Es haben sich einige Kolleginnen und Kollegen sicher auch schon ins Wochenende verabschiedet . ({0}) Wir als Abgeordnete können das tun, andere nicht, weil sie sehr starre Arbeitszeitverhältnisse haben, die teilweise ganz anders aussehen . Aber genau über diese müssen wir reden . ({1}) Wir haben in der Bundesrepublik eine Entwicklung, die nicht in Ordnung ist . Wir haben die Bundesregierung gefragt, wie sich Arbeitszeiten entwickeln . Sie werden immer länger . 1,7 Millionen arbeiten inzwischen regelmäßig über 48 Stunden in der Woche . Diese Zahl hat dramatisch zugenommen . Das Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung hat ausgerechnet, dass 1,8 Milliarden Überstunden pro Jahr geleistet werden - im Übrigen würde das mehreren Hunderttausend Beschäftigten entsprechen -, von denen aber nur etwas mehr als die Hälfte bezahlt wurden . Immer mehr Beschäftigte müssen nachts arbeiten . 1995 waren noch 2,4 Millionen Beschäftigte nachts tätig, 2015 waren es 3,3 Millionen . Meine Damen und Herren, ich erinnere mich an eine Betriebsversammlung bei einem größeren Automobilkonzern . Dabei ging es um die Durchsetzung von Nachtarbeit . Die Beschäftigten haben sich dagegen gewehrt . Einer von den Kollegen ging aus der Betriebsversammlung raus und sagte: Wenn der Herrgott gewollt hätte, dass wir nachts arbeiten, dann hätte er uns mit den Augen auch Glühbirnen in den Kopf gegeben, damit wir etwas sehen können . ({2}) Da ist was dran, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wir wissen alle: Nachtarbeit ist gesundheitsschädlich, und zwar extrem . Immer mehr Beschäftigte arbeiten regelmäßig am Wochenende: 8,8 Millionen 2015, Tendenz steigend . Was auch zunimmt, ist die Sonn- und Feiertagsarbeit . Das ist deshalb bemerkenswert, weil wir im Grundgesetz die Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe besonders geschützt haben: Sonn- und Feiertagsarbeit ist eigentlich ausgeschlossen . Trotzdem hat sich die Zahl derer, die regelmäßig sonntags und feiertags arbeiten, drastisch erhöht . 1995 waren es 2,9 Millionen, 2015 knapp 5 Millionen Menschen; ein Zuwachs von mehr als 70 Prozent . Inzwischen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeitet jeder Sechste in Schichten . Ich möchte darauf hinweisen, was das insbesondere in Familien bedeutet, in denen beide Partner in Schichten arbeiten . Da spielt sich das Familienleben oft auf Zetteln ab . Wenn man sich die Betreuung der Kinder einteilt, versucht man, dafür zu sorgen, dass einer der Partner zu Hause ist, während der andere arbeitet . Da läuft das Familienleben oft so ab, dass der Mann auf einen Zettel schreibt: Ich komme heute später . - Wenn er dann nach Hause kommt, findet er einen Zettel seiner Partnerin vor, auf dem steht: Ich habe es gelesen . - Wir müssen also aufpassen, was in unserem Land passiert . Viele Hunderte von Studien belegen: Arbeitszeiten dieser Art machen krank . Wir haben es mit einer Zunahme von psychischen Erkrankungen durch Arbeit zu tun. Schichtarbeiter zum Beispiel sind häufiger von Herz­Kreislauf­Erkrankungen betroffen; das alles wissen Sie . Auf jeder Zigarettenschachtel stand früher: Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit . - Inzwischen ist diese Formulierung schärfer geworden . Eigentlich müsste auf manchem Arbeitsvertrag stehen: Diese Arbeit gefährdet Ihre Gesundheit . ({3}) Wir wissen das. Aber wir haben momentan offensichtlich Hemmungen, das zu ändern . Wir erleben auf der anderen Seite, dass unter dem Deckmantel von Industrie 4 .0 nun die Arbeitgeberverbände eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit wollen . Damit meinen sie - ich zitiere den Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Dulger -: mehr Arbeitszeitvolumen, Befristung und Zeitarbeit . - Das ist die Zukunftsvorstellung der Arbeitgeber in dieser Frage . Auch wir sind dafür, dass Arbeitnehmer flexibel arbeiten dürfen, wenn sie das wollen . Das bedeutet aber, dass wir regeln müssen, welche Rechte die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, um diese Flexibilität an ihrem Arbeitsplatz durchzusetzen . ({4}) Gegenwärtig haben sie diese Rechte kaum, wie wir wissen . Ich könnte Ihnen dazu noch viele Beispiele aus der Praxis erzählen . Meine Damen und Herren, die Realität sieht anders aus . Flexible Arbeitszeit heißt für die Beschäftigten oft Entgrenzung von Arbeit, Arbeit auf Abruf, übrigens auch keine Bezahlung mehr von Überstunden, Zunahme von Stress . Deshalb: Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, die von ihm gewünschte Zeitsouveränität selber durchzusetzen . Meine Damen und Herren, ein Schlüssel dafür ist das Arbeitszeitgesetz . Das Arbeitszeitgesetz beschränkt die tägliche Arbeitszeit eigentlich auf acht Stunden . Allerdings macht das bei sechs Tagen in der Woche 48 Arbeitsstunden . Das ist eindeutig zu viel . ({5}) Wir müssen über das Arbeitszeitgesetz die Dauer der Arbeitszeit ein Stück nach unten bekommen; deshalb unsere Forderung . Das Arbeitszeitgesetz selber ist löchrig wie ein Schweizer Käse . Da gibt es Ausnahmeregelungen für fast alles . Die Zunahme der Sonntagsarbeit ist dafür ein Beweis . Auch deshalb müssen wir diese Frage angehen . Um Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu schützen, braucht es auch ein Recht auf Nichterreichbarkeit während der Freizeit . ({6}) Wir brauchen eine Anti-Stress-Verordnung, mit der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschützt werden . Dringend erforderlich ist auch die Ausweitung des Mitbestimmungsrechts der Betriebsräte bei Fragen der Zeitsouveränität und des Arbeitsvolumens der Belegschaft . Nur ein kleiner Hinweis . Betriebsräte haben Kündigungsschutz und können sich gegen ihren Arbeitgeber leichter wehren als der Einzelne ohne Kündigungsschutz . ({7}) Dem Einzelnen drohen oft Nachteile, wenn er versucht, seine von ihm gewollte Flexibilität durchzusetzen . Als Parlamentarier haben wir die Pflicht, uns schützend vor die Beschäftigten zu stellen und dem Trend, dass Arbeit zunehmend krankmacht, entgegenzuwirken . Wir könnten damit anfangen. Ich hoffe, dass unsere Debatte dazu führt, dass diese Themen tatsächlich parlamentarisch aufgegriffen werden. Ich danke für die Aufmerksamkeit . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Uwe Lagosky für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Uwe Lagosky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Dauer der Arbeitszeit ist so zu bemessen, dass dem Arbeitnehmer ausreichend Zeit zur Erholung und zur Teilnahme am kulturellen Leben zur Verfügung steht . Normalarbeitszeit, Pausen, Freizeit und Urlaub bedürfen gesetzlicher und tariflicher Regelung nach Maßgabe neuzeitlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse . Sonntage und gesetzliche Feiertage gelten als Ruhetage . Ich glaube, darüber sind wir uns grundsätzlich einig . Bemerkenswert ist nur: Woher stammt das, was ich gerade verlesen habe? Diese Zeilen stammen aus den Düsseldorfer Leitsätzen, die die CDU 1949 auf den Weg gebracht hat . ({0}) Um es ganz deutlich zu sagen, meine Damen und Herren von der Linken: Da gab es Sie als Partei in dieser Form noch gar nicht . Wir sind schon weit vor Ihrer Zeit aktiv geworden . ({1}) Auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse - das ist bis heute so geblieben - wurde das Arbeitszeitgesetz gestaltet, das als Schutzgesetz im Wesentlichen der Gesundheit der Beschäftigten dient, und zwar sowohl bei tarifgebundenen als auch bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern . Das Arbeitszeitgesetz begrenzt die höchstzulässige Arbeitszeit auf acht Stunden täglich; das haben Sie ebenfalls gerade ausgeführt . In Ausnahmen dürfen es auch zehn Stunden sein, aber nur dann, wenn - das haben Sie nicht gesagt - innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Kalenderwochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden . Als weitere wesentliche Punkte werden die Ruhepausen und die Ruhezeiten geregelt . Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben . Darüber hinaus eröffnet das Arbeitszeitgesetz die Möglichkeit für abweichende Regelungen in Tarifverträgen - darauf haben Sie schon hingewiesen -, allerdings nur dann, wenn es um Arbeitsbereitschaft bzw . Bereitschaftsdienste geht . Es gibt eine Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf acht bis zehn Stunden, unter anderem deswegen, weil nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Unfallgefahr nach acht Stunden deutlich ansteigt . Deshalb werden Tagesgrenzwerte entsprechend festgelegt . Angesichts der Regelung, wonach die tägliche Arbeit auf acht bis zehn Stunden begrenzt wird, und dem genannten Ausgleichszeitraum ist es möglich, auf acht Stunden pro Tag zu kommen . Das ist das Ziel der Ausgleichsregelung . Man wird damit sowohl den Belangen der Gesundheit der Arbeitnehmer als auch den Ansprüchen der Betriebe gerecht, die bei wechselnden Auftrags- und Aufgabenlagen flexibel reagieren müssen. Das haben Sie in Ihrem Antrag völlig vergessen . Wenn Sie die Höchstarbeitszeit in der Woche von 48 auf 40 Stunden senken, sind die Betriebe nicht mehr flexibel. Wenn die Betriebe nicht mehr flexibel sind, gehen möglicherweise Arbeitsplätze in Deutschland verloren . Allein aus diesem Grund kann man das in der Form nicht machen . ({2}) Es geht erstens darum, den Beschäftigten bestmöglich vor gesundheitlichen Gefahren zu schützen, und zweitens darum, wirtschaftlich arbeitende Betriebe zu haben . Wenn die Höchstarbeitszeit in der Woche tatsächlich von 48 auf 40 Stunden gesenkt wird, dann sehe ich für unsere Wirtschaft in Deutschland im Vergleich zum Rest der Welt schwarz . Nun basiert Ihr Antrag auf einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage, in der es darum geht, wie viele abhängig Beschäftigte von überlangen Arbeitszeiten betroffen sind, also 49 Stunden und mehr in der Woche arbeiten . Darauf antwortete die Bundesregierung, dass das rund 2 Millionen abhängig Beschäftigte sind . Das entspricht einem Anteil von 5,6 Prozent . Die Daten stammen aus dem vom Statistischen Bundesamt durchgeführten Mikrozensus und beziehen sich auf das Jahr 2012 . Damals gab es 35 Millionen Beschäftigte in Deutschland . Man muss sich aber die Frage stellen, warum es bei den Regelungen im Arbeitszeitgesetz, die auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von acht Stunden pro Tag abzielen, zu solchen Ergebnissen kommt . Diese Frage stellen wir uns auch . Dabei geht es aber um Fragen, auf die der Mikrozensus keine Antworten liefert: Welche Berufsgruppen sind im Wesentlichen betroffen? Wird in Betrieben von Arbeitgebern und Beschäftigten genügend auf die Arbeitszeitgesetze geachtet? Achten die Aufsichtsbehörden der Länder ausreichend auf die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes? Welche Ausnahmeregelungen tragen zu diesem Ergebnis bei? - All diese Fragen sollten wir erst einmal beantworten, bevor wir solche Anträge einbringen . ({3}) Bedacht werden muss zudem, dass es für die Beschäftigten manchmal auch persönlich wichtig ist, eine Aufgabe zu erledigen . Das ist in einer Arbeitswoche mit 40 Stunden nicht immer möglich . Jedenfalls ist es mir in meinem Berufsleben so gegangen . Sich seine Arbeitszeit selbst einzuteilen und Aufgaben abzuschließen, kann durchaus motivierend wirken . Jedoch sollte das nicht über die Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes hinausgehen . Dafür Sorge zu tragen, ist insbesondere eine Frage der Betriebskultur . Weiterhin behaupten Sie von der Linksfraktion - das haben Sie eben wieder getan -, der Arbeitstag kenne für viele kein Ende mehr . Das mag für den einen oder anderen tatsächlich so sein - darin gebe ich Ihnen, wie schon gesagt, durchaus recht -; doch das ist schon eine sehr dramatische Interpretation dessen, was in Deutschland Realität ist . ({4}) Die Ergebnisse des Statistischen Bundesamts wurden schon angesprochen; ich möchte das auch tun, nur aus einem anderen Kontext heraus . 1996 hat ein Vollzeitbeschäftigter durchschnittlich 40 Stunden pro Woche gearbeitet . 2011 waren es 40,7 Stunden und 2015 40,5 Stunden . Damit liegen die deutschen Vollzeitbeschäftigten durchaus im europäischen Durchschnitt, der laut Eurostat 2015 bei 40,3 Wochenstunden lag . Damit liegen wir bezogen auf die Beschäftigten in Europa durchaus im Mittel . Zwischenfazit: Wir haben schon ein sehr ausgewogenes Gesetz . Es schützt die Gesundheit der Beschäftigten durch kluge Leitplanken, trägt in einem ausgewogenen Maß zur Wirtschaftlichkeit unserer Betriebe bei und eröffnet Möglichkeiten für sozialpartnerschaftliches Handeln . Letzteres führt zu vielen Arbeitszeitmodellen in den Betrieben, die auch die Zeitsouveränität der Beschäftigten verbessern . Im Bereich der Schichtarbeit werden ebenfalls längst Betriebsvereinbarungen abgeschlossen, die die Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigen . Das ergab unter anderem eine Kurzauswertung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2010 . Kurzum: Die Linksfraktion läuft nach unserer Auffassung mit ihrer Forderung dem Trend hinterher . Die Sozialpartnerschaften sorgen längst für mehr Zeitsouveränität der Beschäftigten . Nebenbei: Auch der Gesetzgeber leistet seinen Beitrag . Stichworte dazu sind das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf, das Teilzeit­ und Befristungsgesetz oder die Regelung im Vierten Buch Sozialgesetzbuch zu Wertguthaben . Eine Anti-Stress-Verordnung, wie sie in Ihrem Antrag gefordert wird, ist dagegen kein sinnvoller Beitrag . Sie mag öffentlichkeitswirksam sein und macht etwas her; das ist keine Frage . Aber bringt sie uns weiter, wenn es um die Gesundheit der Arbeitnehmer geht? Meine Erfahrung ist durchaus eine andere . Es geht in den Betrieben in erster Linie darum, Mitarbeitergespräche zu führen und gleichzeitig eine Gefährdungsbeurteilung auf den Weg zu bringen . Das bringt den besten Erfolg bei der Vermeidung von psychologischen Belastungen, die möglicherweise am Arbeitsplatz entstehen . Berufsbedingte Belastungen können so frühzeitig erkannt und abgebaut werden . Gesundes Arbeiten hat viel mit der Betriebskultur zu tun . Entscheidend also sind keine neuen Regelungen . Entscheidend ist, dass wir die bisherigen Regelungen umsetzen, und wir arbeiten daran, das zu tun . ({5}) Letzter Werbeblock: Die ehemalige Bundesarbeitsministerin Dr . Ursula von der Leyen gab bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ein Projekt in Auftrag, das Anfang 2014 unter dem Titel „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt - Wissenschaftliche Standortbestimmung“ startete . Seit Juli dieses Jahres liegen erste Zwischenberichte vor, die den jeweiligen Stand der Erkenntnis in vier Themenfeldern darlegen . Mit dem Abschlussbericht und den Handlungsempfehlungen für betriebliches Gesundheitsmanagement und den Arbeitsschutz ist für Mitte 2017 zu rechnen . Wir sind für eine wissenschaftliche Begleitung der Arbeitsschutzgesetze . Dazu zählt auch das Arbeitszeitgesetz . Hierfür treten wir als CDU/CSU-Fraktion entschieden ein . Herzlichen Dank . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitswelt verändert sich, die Wünsche der Beschäftigten aber auch. Arbeit wird flexibler, die Arbeitsintensität steigt . Es wurden schon viele Zahlen genannt . Gleichzeitig wünschen sich die Beschäftigten mehr Zeit für sich und für ihre Familie, um nicht ständig hetzen zu müssen . Die Beschäftigten brauchen mehr Zeitsouveränität; denn Arbeitszeit ist Lebenszeit . ({0}) Etwa in dieser Art habe ich im April meine Rede zu unserem Antrag „Mehr Zeitsouveränität - Damit Arbeit gut ins Leben passt“ begonnen . Es freut mich, dass die Fraktion Die Linke diesen Antrag aufmerksam gelesen hat und nun einen eigenen Antrag auf den Weg bringt . Das ist gut . Ich würde mir das auch von den Regierungsfraktionen wünschen; denn wir müssen die Entwicklungen in der Arbeitswelt und auch die Wünsche der Beschäftigten an die Arbeitswelt ernst nehmen und politische Antworten darauf finden. ({1}) Ein paar Aspekte, auch zum Antrag der Linken: Enorm wichtig gerade für Frauen ist natürlich das Rückkehrrecht auf Vollzeit, um befristete Teilzeitphasen zu ermöglichen . Da sind wir uns einig . Eigentlich steht das auch im Koalitionsvertrag . Da müssen Sie, die Regierungsfraktionen, endlich liefern . ({2}) Uns ist das aber zu wenig . Viele Beschäftigte wollen und können nicht vorübergehend ihre Arbeitszeit reduzieren . Aber auch sie brauchen Zeitsouveränität, und zwar in ihrem täglichen Arbeitsalltag - für die Kinder, für die alten Eltern . Vielleicht wollen sie einfach auch nur einmal einen Tag im Homeoffice arbeiten. Deshalb fordern wir, wie die Linke auch, Betriebsvereinbarungen zu Fragen der Vereinbarkeit und mehr Zeitsouveränität . Aber auch das reicht uns nicht aus . Wir wollen, dass auch die Beschäftigten ohne Betriebsrat gestärkt werden . Auch sie sollen mehr Einfluss darauf nehmen können, wann sie arbeiten und wo sie arbeiten . Flexibilität ist keine Einbahnstraße . Deshalb wollen wir die Arbeitszeit für die Menschen beweglicher gestalten . ({3}) Geht es um die Arbeitszeit, dann müssen wir natürlich auch die ganz schwierigen Arbeitsformen in den Blick nehmen . Da ist mir die Arbeit auf Abruf ein ganz besonderes Anliegen . Bei den Linken wird Arbeit auf Abruf zwar im Feststellungsteil erwähnt, aber im Forderungsteil kommt sie nicht mehr vor . Das hat mich ein bisschen irritiert, zumal der Punkt ganz fehlt . Wir Grüne stellen in unserem Antrag ganz konkrete Forderungen . Auch Beschäftigte, die auf Abruf arbeiten, brauchen Zeitsouveränität . Ihre Arbeitszeit muss deshalb berechenbarer werden . ({4}) Der Wunsch der Beschäftigten nach mehr Zeit wächst natürlich auch, weil das Arbeitsleben insgesamt Tempo macht . Notwendig sind Lösungen gegen den steigenden Stress am Arbeitsplatz . Hier sind wir uns einig . Spannend in diesem Zusammenhang sind auch die Auswirkungen der Digitalisierung . Hier wird es sehr ambivalent . In der digitalen Arbeitswelt erhalten die Menschen natürlich Freiheit; denn sie können arbeiten, wann und wo sie wollen. Aber so entsteht natürlich auch Mehrarbeit, häufig unbezahlt, und so verschwimmen noch mehr die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit . Wir fordern deshalb ein Mitbestimmungsrecht über die Menge der Arbeit, aber nur bei der Vertrauensarbeitszeit . Sie, die Linken, haben das jetzt übernommen, fordern dies aber ganz pauschal . Ich bin gespannt, zu erfahren, warum die bisherige Mitbestimmung da nicht mehr ausreichen soll . Das werden wir, glaube ich, im Ausschuss diskutieren müssen . Zudem fordern Sie das Recht auf Nichterreichbarkeit und verbindliche Ausgleichsregelungen bei Mehrarbeit . Sie schreiben aber nicht, wie das gehen soll . Wir setzen da vor allem auf betriebliche Lösungen . Im Ziel sind wir uns aber wohl einig . Wir wollen zwar Flexibilität ermöglichen, aber nicht grenzenlose Arbeit; denn Zeitsouveränität soll natürlich auch zu mehr Lebensqualität führen . ({5}) Ich komme zum Schluss zu der Forderung, die Wochenhöchstarbeitszeit auf 40 Stunden zu senken . Das lehnen wir ab . Mehr Zeitsouveränität und Flexibilität für die Beschäftigten würden in einem ganz engen und starren Rahmen nicht funktionieren . Die Beschäftigten brauchen die Freiheit, in der einen Woche einmal mehr zu arbeiten, um in der nächsten Woche mehr frei zu haben . Natürlich brauchen die Beschäftigten den Schutz einer verlässlichen Rahmengesetzgebung . Wir wollen die Menschen aber nicht einschränken, sondern ihnen individuelle Lösungen bei der Arbeitszeit ermöglichen; denn Arbeitszeit muss in das eigene Leben passen - und nicht umgekehrt . Vielen Dank . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Gerdes für die SPD-Fraktion . ({0})

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Erwerbsbiografien verlaufen heutzutage auf allen Qualifikationsebenen dynamischer und vielfältiger, als wir es gewohnt waren . Die Anforderungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ändern sich immer schneller . Die Digitalisierung - Sie sprachen es gerade an, Frau Müller-Gemmeke - sprengt klassische Arbeitszeitmodelle . Ob das allerdings mehr Freizeit bedeutet? Ich glaube das nicht . Unsicherheit und Dauerstress drohen . Darauf müssen Unternehmen, der Gesetzgeber und die Gesellschaft als Ganzes reagieren . Vor diesem Hintergrund bin ich unserer Ministerin Andrea Nahles sehr dankbar für den Dialogprozess Arbeiten 4 .0 . Die Abschlusskonferenz im Dezember wird sicherlich spannend werden . Der Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema Arbeitsstress enthält gute Analysen, Kollege Klaus Ernst . Es braucht unterschiedliche, gut durchdachte Ansätze, um Arbeit und sich wandelnde Lebensmodelle zu vereinen . Neben der zeitlichen Komponente wie Wochenarbeitszeit und Schichtarbeit - ich weiß im Übrigen aus eigener Erfahrung, was Schicht- sowie Sonn- und Feiertagsarbeit an Belastungen bringt - sollten wir aber auch auf die Arbeitsprozesse schauen . Arbeitsaufträge müssen angemessen und in der Arbeitszeit zu schaffen sein. Es ist nicht gut, wenn Anforderungen ständig steigen . ({0}) Wir als SPD-Fraktion befürworten einen gesetzlichen Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit zur Erleichterung der Rückkehr in Vollzeit . ({1}) Dazu wollen wir ein Teilzeitrecht entwickeln . Das wäre ein erster Schritt in Richtung Zeitsouveränität . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Arbeitsschutz hat in Deutschland eine lange und gute Tradition . Unsere technischen Standards sind hoch . Technische Hilfsmittel am Arbeitsplatz verringern die körperliche Belastung stetig . Es gelingt immer mehr, Unfälle in den Betrieben zu vermeiden . Sorgen muss uns dagegen die mentale Gesundheit der Erwerbstätigen machen . Seit Mitte der 90er-Jahre sind die psychischen Arbeitsanforderungen angestiegen . Sie haben sich auf hohem Niveau stabilisiert . Gleichzeitig ist eine Zunahme des frühzeitigen Erwerbsausstiegs und der Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Störungen und Erkrankungen zu beobachten . Stress entsteht zum Beispiel durch das Erledigen verschiedener Arbeiten zur gleichen Zeit, durch Termindruck, häufige Unterbrechungen bei der Arbeit, monotone Tätigkeiten, fehlende Erholungsmöglichkeiten, ständige Erreichbarkeit oder Informationsfluten auch in der Freizeit . Letzteres kennen wir als Abgeordnete auch sehr gut; lieber Klaus Ernst, du hast das ja schon angesprochen . Eine gute mentale Gesundheit wird immer mehr zur Voraussetzung einer dauerhaften sowie erfolgreichen Teilhabe am Erwerbsleben . Auch bei der Flexirente spielt die Gesundheit eine große Rolle . Deshalb stärken wir Präventions- und Rehaleistungen . ({2}) Wir als Parlament können gesunde Arbeitsprozesse nicht bis ins kleinste Detail regeln . Es bedarf praxistauglicher Ansätze direkt im Betrieb . Das Zusammenspiel zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie unter Kolleginnen und Kollegen ist gefragt . Trotzdem ist die Forderung nach einer Anti-Stress-Verordnung nicht vom Tisch . Die SPD-Fraktion ist nach wie vor von dieser Idee überzeugt, lieber Kollege Uwe Lagosky . ({3}) Unsere Arbeitswelt braucht Grundregeln zum Umgang mit mentalen Belastungen . Die vielzitierte Work-Life-Balance darf kein Modewort ohne Inhalt sein . Wir müssen anerkennen, dass Menschen unterschiedlich stark belastet sind und Herausforderungen unterschiedlich bewältigt werden . Beruf, Privatleben und auch das Ehrenamt sollen unter einen Hut passen, und dafür brauchen wir unterschiedliche Modelle der Arbeitsorganisation . Gutes Personalmanagement heißt auch betriebliches Gesundheitsmanagement . ({4}) Hierbei ist es wichtig, dass Gesundheitsmanagement nicht nachgelagert repariert, sondern vorausschauend Probleme erkennt . ({5}) So wie wir wissen, dass sitzende Tätigkeiten Probleme für Nacken und Rücken mit sich bringen, so muss in den Betrieben thematisiert werden, an welcher Stelle Mitarbeiter psychischem Druck ausgesetzt sind . Dabei sind Personal- und Betriebsräte als Sozialpartner gefordert . Mit ihrer Kompetenz spielen sie eine wichtige Rolle auch bei der Überwachung der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes . Unterm Strich geht es beim zeitgemäßen Personalund Gesundheitsmanagement um systematische Fürsorge . Psychische Belastungen im Erwerbsleben müssen raus aus der Tabuzone . Vielerorts werden stressbedingte Arbeitsausfälle unterschätzt . Deshalb wäre eine Anti-Stress-Verordnung auf jeden Fall das richtige Signal, um in den Betrieben und aufseiten der Erwerbstätigen einen professionellen, wertschätzenden Umgang mit Zeitund Leistungsdruck anzustoßen . Dabei haben Großbetriebe in puncto Prävention und Gefährdungsbeurteilung logischerweise andere Ressourcen zur Verfügung als kleine und mittlere Unternehmen . Deshalb müssen wir verstärkt überlegen, welche Hilfestellung wir Arbeitgebern und Arbeitnehmern in kleinen Betrieben anbieten können . Mit Blick auf Digitalisierung und Flexibilisierung kommt der allgemeinen Gesundheitskompetenz jedes Einzelnen eine höhere Bedeutung zu . Aufklärung und Sensibilisierung über mentale Gesundheitsgefährdungen machen Sinn . Einmal im Jahr für fünf Minuten vom Beauftragten für Arbeitsschutz Besuch zu bekommen, reicht sicherlich nicht aus . ({6}) Wir müssen Erwerbstätige zu gesunder Arbeit befähigen; auch das sollte Teil unserer Strategie sein . ({7}) Ein Letztes . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, dass beruflicher Stress anders wahrgenommen und überwunden wird, wenn der Arbeitsalltag gewisse Sicherheiten und Chancen mit sich bringt . Damit meine ich zum Beispiel ein unbefristetes Arbeitsverhältnis . Wer sicher ist, dass sein Job Perspektiven bietet, und sich eben nicht im Jahresrhythmus nach einer neuen Arbeitsstelle umschauen oder sich in immer neuen Probephasen beweisen muss, hat weniger Stress . ({8}) Auch deshalb sind neue Regeln bei Leiharbeit und Werkverträgen eine gute Sache . Herzlichen Dank und Glück auf! ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Schmidt für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir reden heute wieder einmal über Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Arbeitnehmerrechte . Es scheint überhaupt die Woche des unterdrückten, geknechteten Proletariats zu sein: ({0}) gestern die Leiharbeiter und die Menschen mit Behinderung, heute die Vielarbeiter und die Gestressten . ({1}) - Sachlich, gerne . - Wir haben zum Glück die Opposition, ({2}) die sich um kürzere Arbeitszeiten für alle kümmert . ({3}) So, jetzt schalte ich den Ironiemodus einmal aus . Der vorliegende Antrag ist einseitig und blendet die Realität der Arbeitswelt aus . ({4}) Arbeit ist keine Einbahnstraße - das versteht die Opposition eben nicht -; Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben naturgemäß unterschiedliche Wünsche und Vorstellungen . Um diese auszuhandeln, gibt es aus gutem Grund die Tarifpartner . Sie kommen ihrer Aufgabe seit fast 70 Jahren nach, mit dem Ergebnis einer florierenden Wirtschaft, eines partnerschaftlichen Verhältnisses der Akteure und weitestgehend zufriedener Arbeitnehmer . ({5}) Die Aufgabe der Politik ist es, Leitplanken zu schaffen, die für beide Seiten passen und den Bedürfnissen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gerecht werden . ({6}) Beide gehören untrennbar zusammen; aber das scheint die Opposition gerne zu ignorieren . ({7}) Der Gesetzgeber muss nur dort Schutzgesetze erlassen, wo Arbeitnehmerrechte verletzt werden . Schutzgesetze gibt es eine ganze Menge; davon haben wir durch den Kollegen Lagosky schon gehört . Eine zwangsweise Umverteilung der Arbeit und die Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten gehen an der Realität vorbei . Auch ich erinnere an die Debatte vom 28 . April dieses Jahres, bei der wir den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu mehr Zeitsouveränität diskutiert haben . Dort wurde zum Beispiel kritisiert, dass 1,35 Milliarden Stunden nicht geleistet werden, weil die Wünsche der Beschäftigten nach mehr Arbeit nicht berücksichtigt werden . Ja was denn nun? Was stimmt denn nun? Es gibt Leute, die mehr arbeiten wollen, und es gibt Menschen, die weniger arbeiten wollen . Wir brauchen also keine gesetzlichen Vorschriften, wie im Antrag der Fraktion Die Linke gefordert, sondern größtmögliche Flexibilität und eine gesunde Balance zwischen Arbeitsgestaltung und Lebensführung der Arbeitnehmer auf der einen Seite und den Arbeitgeberinteressen auf der anderen Seite . ({8}) Die Opposition unterschlägt - nicht nur heute - die bereits ergriffenen Maßnahmen, ({9}) die die Arbeitsbedingungen und damit die Lebenssituation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Freizeitgestaltung verbessern . Ich werde deshalb nicht müde, Sie an diese zu erinnern: an den Ausbau der Kindertagesstätten für die Versorgung der Kinder während der Arbeitszeiten, an die Milliarden Euro für Kitas und andere Familieninfrastrukturmaßnahmen, an das Elterngeld Plus, an die Familienpflegezeit. Das sind die richtigen Antworten. ({10}) - Warten Sie einmal, bis Sie ins Krankenhaus kommen, Herr Ernst . Dann sind Sie froh, wenn am Sonntag einer arbeitet . ({11}) - Ja, ich mache einfach weiter . Man kann nur warten, bis es vorbei ist . ({12}) Wir haben die richtigen Antworten auf die Herausforderungen, und wir haben die richtigen Maßnahmen, um auf individuelle Bedürfnisse der Arbeitnehmer zu reagieren. Wir schaffen den sozialen Ausgleich, ({13}) und der im Koalitionsvertrag vereinbarte Rechtsanspruch auf Rückkehr aus Teilzeit in die frühere Arbeitszeit wird folgen . In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Rede davon, dass insbesondere Frauen „sich oft unfreiwillig mit einer Teilzeitstelle begnügen“ müssen . Es scheint einfach nicht in Ihr Weltbild zu passen, dass sich ganz viele Arbeitnehmer und besonders viele Frauen freiwillig für Teilzeit entscheiden . ({14}) Sie reden von der Teilzeitfalle . Das wird durch ständiges Wiederholen nicht richtiger . ({15}) Was ist denn so schlecht daran, wenn sich Frauen und Männer auf freiwilliger Basis und in Absprache mit den Arbeitgebern für Teilzeitarbeit entscheiden, um mehr Zeit für die Familienarbeit zu haben? In Ihrem Antrag fordern Sie weiter ein definiertes Recht auf Nichterreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten . Sehr gut! Laut § 5 des Arbeitszeitgesetzes müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben; das haben wir heute schon gehört . Das ist gut und richtig . Deswegen braucht es keinen neuen Antrag . Vielleicht müssen wir uns auch einmal selbstkritisch an die eigene Nase fassen: Wer von uns packt das Smartphone am Wochenende weg oder checkt am Sonntag keine E­Mails? Diese Frage betrifft nicht nur MdBs, sondern auch Arbeitnehmer, vielleicht auch unsere eigenen Mitarbeiter . ({16}) Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, in seiner Freizeit erreichbar zu sein, von ganz wenigen begründeten Ausnahmen abgesehen . Und es gibt etliche Firmen, die ihren Angestellten geradezu verbieten, in der Freizeit zu arbeiten . Was mir an diesem Antrag zuwiderläuft, ist erneut diese Gleichmacherei . Man kann nicht alle über einen Kamm scheren . ({17}) Es gibt nicht die Wirtschaft und die Unternehmen . Vielmehr gibt es einige Millionen Familienbetriebe und Kleinunternehmen . Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft und stellt den größten Teil der Arbeitsplätze . Er behandelt seine Arbeitnehmer gut . Jeder Arbeitgeber hat ein Interesse daran, dass es seinen Arbeitnehmern gut geht . Die zwangsweise Umverteilung der Arbeit wäre ein Rückschritt . Über Stress haben wir heute auch schon sehr viel gehört . Stress lässt sich aber nicht verallgemeinern . ({18}) Gabriele Schmidt ({19}) Hier wollen die Linken Ungleiches gleich behandeln . Stress ist extrem subjektiv . Sie zum Beispiel, Herr Ernst, scheinen Stress zu haben, wenn ich rede . ({20}) - Ich freue mich, wenn ich Sie erfreuen kann . - Stress machen wir uns oft auch selbst. Einer empfindet schon Stress, wenn der Kollege noch locker weiterläuft . Stress ist übrigens nicht nur durch die Arbeit begründet . Ich halte eine Anti-Stress-Verordnung für wenig praktikabel . Sie löst das Problem nicht, sorgt aber für mehr Bürokratie und Belastung der Arbeitgeber . Damit wäre keinem geholfen . Schon das geltende Arbeitsschutzgesetz enthält Maßnahmen zum Schutz der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter: Arbeitgeber sind verpflichtet, solche Maßnahmen zu treffen; das entspricht § 3 des Arbeitsschutzgesetzes . Psychische Gesundheitsbeurteilung ist auch geltendes Recht, geregelt in § 5 des Arbeitsschutzgesetzes . Behörden sind in der Lage, gegenüber Arbeitgebern Anordnungen zu treffen und Bußgelder zu verhängen; das steht in den §§ 22 und 25 des Arbeitsschutzgesetzes . Außerdem gibt es bereits Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats . - Ich belasse es einmal dabei . Das Beste aber habe ich mir für den Schluss aufgehoben - Zitat aus dem Antrag -: Initiativen für mehr Zeitsouveränität und kollektive Arbeitszeitverkürzungen - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen müssen die Arbeitgeber bei der Finanzierung des Lohnausfalls in die Pflicht nehmen. Super, ehrlich! Was kommt als Nächstes? Null Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich? ({21}) Vor Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschützt werden . Mit Ihrer Politik zerstören Sie den Mittelstand, und damit ist niemandem geholfen . Ich wünsche allen ein stress- und arbeitsfreies Wochenende . Vielen Dank . ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Helga Kühn-Mengel für die SPD-Fraktion . ({0})

Helga Kühn-Mengel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Vorredner und Vorrednerinnen haben natürlich an vielen Stellen recht - Kollege Ernst, natürlich, an manchen -; Herr Gerdes hat auch schon viel Richtiges gesagt . Wir wissen aufgrund der guten Daten, wie es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht und dass der Markt an vielen Stellen in Unordnung geraten ist . Wenn man eines dieser Koalition nicht vorwerfen kann, dann das, dass sie nicht viel auf den Weg gebracht hat, was für mehr Sicherheit sorgt . ({0}) Die Verkürzung der Arbeitszeit alleine macht nicht gute Arbeit und gutes Leben aus . ({1}) Insofern ist mit dem Antrag ein wenig monokausal gedacht . Gesundheit setzt sich aus vielen Faktoren zusammen: dem Status der Bildung, dem Erholungsverhalten, den Lebensverhältnissen . Deswegen bleibt Verhältnisprävention eine Aufgabe . ({2}) Hier haben wir von der Bildung bis zum Thema „gute Arbeit“ eine Menge auf den Weg gebracht; die Kollegen haben das bereits erwähnt . Wir müssen uns immer wieder Gedanken darüber machen, warum das untere Fünftel der Einkommensbezieher nicht nur eine kürzere Lebenserwartung hat, sondern sich bei ihnen auch eine Reihe chronischer Erkrankungen einstellen, die die Lebensqualität beeinträchtigen . Es sind verlorene Jahre, über die wir hier reden . Das erwähne ich immer wieder, weil es wichtig ist, einen Blick auf diese Gruppe zu werfen . Hier setzt nicht zuletzt das Präventionsgesetz im Setting an . Ich komme nur kurz darauf zu sprechen . Ich habe nur schlappe fünf Minuten Redezeit; deswegen kann ich nicht alles kommentieren . Bezogen auf die Arbeitsdauer erleben wir natürlich beides, Mehrarbeit, die viele machen, auch unbezahlt, aber auch Teilzeitarbeit . Es gibt natürlich mehr Schichtarbeit, mehr Nachtarbeit, auch Frauen betreffend, bei denen durch die Rollenvielfalt ein gesundheitsgefährdender Faktor hinzukommt . Insofern: Wir haben schon viel gemacht; aber es ist auch noch viel zu tun . Durch den Mindestlohn zum Beispiel, der bei 3,6 Millionen Arbeitnehmern zu einer Verdoppelung ihres Einkommens geführt hat - das war nur der Anfang -, wird aufgrund der Dokumentationspflichten vieles aufgedeckt. Auch das sind Daten, mit denen wir zu arbeiten haben . ({3}) Wenn Sie die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen fragen, was für sie gute Arbeit ausmacht - das ist vom Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin abgefragt worden -, dann steht für sie an oberster Stelle die Sicherheit: der sichere Arbeitsplatz, das sichere, verlässliche Einkommen . Arbeit soll abwechslungsreich und sinnvoll sein . Es geht um die gegenseitige Förderung, das Miteinander, auch um den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz; darauf komme ich noch zu sprechen . Insofern Gabriele Schmidt ({4}) ist es wichtig, dass wir uns im Moment zum Beispiel mit der Leiharbeit und den Werkverträgen beschäftigen . ({5}) Gestern wurde ein Gesetz eingebracht, das den Betriebsräten hier mehr Verantwortung und mehr Mitspracherecht einräumt . All die anderen Gesetze - zur Zeitsouveränität, zur Flexirente - wurden schon erwähnt . Schade ist, dass wir die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen nicht im Koalitionsvertrag verankern konnten . Das bleibt eine Aufgabe ein ganz wichtiger Punkt -, und es deckt sich mit dem, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fordern . ({6}) - Ja, das sei Ihnen zugestanden . Ich will aber auch sagen, dass wir vieles schon haben . Dazu gehört nicht nur die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie von Bund, Ländern und der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern auch das Präventionsgesetz, mit dem wir die Betriebsräte und die Betriebsärzte gestärkt haben . Wir müssen uns natürlich mit den Ursachen von Frühverrentung befassen . Erwerbsunfähigkeitsrentner treten heute im Durchschnitt mit gut 50 Jahren in die Rente ein . Die Kosten für die Rentenversicherung liegen bei über 15 Milliarden Euro . Das ist eine hohe Summe . Damit es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besser geht, müssen wir den Betrieb als Setting - so sagt es das Präventionsgesetz - jetzt mit allen Möglichkeiten nutzen . Es gibt dafür mehr Geld . Diesen Bereich können wir stärken, und damit auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Vielen Dank . ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8724 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28 . September 2016, 13 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende .