Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/12/2014

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Fortschrittsbericht 2013 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau Andrea Nahles. Bitte.

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat heute den Fortschrittsbericht 2013 zum Fachkräftekonzept der Bundesregierung beschlossen. Der Kampf gegen den Fachkräftemangel ist, das ist sicherlich unstrittig, eines der wichtigsten Zukunftsthemen unseres Landes. Ich halte fest, dass wir keinen flächendeckenden Fachkräftemangel haben. Allerdings gibt es Engpässe in einzelnen Berufszweigen, Tendenz leicht steigend. Im letzten Fortschrittsbericht wurden 15 Berufe benannt, in denen es Engpässe gab. Diese Zahl hat sich auf 20 erhöht. Ich will einige Beispiele nennen: Ärzte, Ingenieure, Informatiker, aber eben auch Lokführerinnen und Lokführer, Pflegekräfte, Energietechniker. An diesem Spektrum kann man sehr schön erkennen, worum es geht: Es gibt auf allen Qualifikationsniveaus Engpässe; es fehlen sowohl Facharbeiter als auch Akademiker. Schon in der letzten Großen Koalition haben wir uns deswegen drei große Bereiche vorgenommen, auf die sich unsere Maßnahmen konzentrieren: die Erwerbsbeteiligung von Älteren, die bessere Nutzung des Potenzials von Frauen und die Verbesserung der Bildung und Qualifizierung sowohl der Jungen als auch derer, die schon im Job sind. Der Fortschrittsbericht, den wir heute besprechen, zeigt, dass wir hier deutliche Fortschritte erzielt haben; es sind also erfolgreiche Entwicklungen zu vermelden. Ich nenne das Stichwort „junge Menschen“: Wir haben den Anteil der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss von 17,8 Prozent im Jahr 2005 auf 14,5 Prozent im Jahr 2012 senken können. Das ist zwar sehr gut, aber es kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer noch 1,4 Millionen junge Menschen ohne Abschluss sind. Das ist entschieden zu viel, und deswegen müssen wir auch weiterhin alle unsere Kräfte bündeln, um dafür zu sorgen, dass 25- bis 34-Jährige ohne Berufsabschluss nachqualifiziert werden, um eine Ausbildung zu vollenden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang unser Programm „Schulverweigerung - Die 2. Chance“. Für 100 000 jüngere Arbeitslose ohne Berufsabschluss stehen dadurch Ausbildungsplätze zur Verfügung. Circa ein Drittel davon wurde bisher in Anspruch genommen. Wir werden dieses Programm weiter bewerben, es nutzen und im Zweifel da, wo es notwendig ist, auch optimieren. Ich möchte hinzufügen: Um zukünftig zu verhindern, dass junge Leute ohne Abschluss ins Erwerbsleben treten, sollten wir meiner Auffassung nach immer häufiger bereits in der Schule ansetzen und die vorhandenen Hilfeleistungen besser verzahnen. Ich war in der letzten Woche in Hamburg und habe mir dort die Jugendberufsagentur angeguckt. Dort werden die Schnittstellen von Schule und Beruf sehr schön zusammengeführt, und es wird Hilfe aus einer Hand angeboten. Das finde ich sehr vorbildlich. Das Hamburger Modell werden wir vielleicht nicht eins zu eins überall in Deutschland umsetzen können, aber wir können die Schnittstellenproblematik überall angehen. Deswegen will ich diese Grundidee deutschlandweit verankern. Stichwort „Frauen“: Hier können wir eine sehr gute Entwicklung vermelden. Für das Jahr 2020 haben wir uns eine Erwerbstätigenquote von Frauen von 73 Prozent vorgenommen. Wir haben im dritten Quartal 2013 bereits eine Quote von 72,7 Prozent erreicht. Aber: Der Anteil der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, ist mit fast der Hälfte zu hoch. Die Frauen selber sagen, sie würden gern mehr Stunden arbeiten wollen, als sie derzeit können. Offensichtlich brauchen wir für die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, in Stunden gerechnet, mehr Hilfsangebote. Wir sind überzeugt, dass ein weiterer Ausbau von Ganztagsangeboten für die Kinderbetreuung ein wichtiger Weg ist. Dazu werden den Ländern gemäß Koalitionsvertrag zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, damit sie weiter investieren können. Viele Frauen wollen zeitweise in Teilzeit arbeiten, aber sie beklagen, dass die Rückkehr zur Vollzeit in Deutschland ein Problem ist. Deswegen haben wir uns vorgenommen, eine gesetzlich befristete Teilzeit vorzusehen und das Recht auf die Rückkehr zur Vollzeit einzuführen. Das werden wir anpacken, sobald andere Gesetzesvorhaben abgeschlossen sind. Dritter und letzter Schwerpunkt, den ich benennen will, ist die Beschäftigungsquote Älterer. Auch hier gibt es eine sehr erfreuliche Entwicklung. Das hat sicherlich damit zu tun, dass wir keine Möglichkeiten der Frühverrentung wie die 58er-Regelung mehr haben, dass die geförderte Altersteilzeit ausläuft. Wir haben also umgesteuert. Über diesen Weg ist es gelungen, dass wir bei den über 55 Jahre alten Menschen die Erwerbsquote von 37,4 Prozent im Jahr 2000 auf 64 Prozent steigern konnten. In der Altersgruppe der 55- bis 59-Jährigen ist eine enorm gute Quote erreicht: Drei Viertel der Menschen sind in Beschäftigung. Wir streben mindestens 90 Prozent an. Aber das ist schon eine sehr gute Entwicklung. Anders sieht es bei den 60- bis 64-Jährigen aus. Hier fällt die Quote deutlich ab. Aus dieser Altersgruppe arbeitet nur jeder Zweite. Es ist an dieser Stelle wichtig, zu sagen, dass wir noch einiges tun können - ich bin mir hier einig mit den Wirtschaftsverbänden -: Über Alterszeitmodelle, über altersgerechte Arbeitsplätze, über Gesundheitsmanagement und anderes können wir anstreben, auch die über 60-Jährigen fit im Job zu halten. Dieses Ziel unterstützen wir vonseiten der BA mit Programmen wie WeGebAU und anderen. Wir haben also einiges erreicht. Im Übrigen hat uns der positive Zuwanderungssaldo geholfen. Die Bundesregierung hätte heute mehr Berufe als Engpassberufe ausweisen müssen, wenn es uns nicht gelungen wäre - wir haben immer gesagt, wie wichtig das ist -, einen positiven Zuwanderungssaldo zu erreichen. Den brauchen wir auch für die Zukunft. Ich füge hinzu: Zuwanderung alleine kann die Fachkräftesicherung nicht gewährleisten. Wir müssen auch auf das eigene Erwerbspersonenpotenzial setzen und Ältere, Frauen und vor allem die jungen Menschen ansprechen. In diesem Sinne hoffe ich, beim nächsten Fortschrittsbericht weitere Fortschritte vermelden zu können. Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Ministerin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Zur ersten Frage hat die Kollegin Schimke das Wort.

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Ministerin, das Fachkräftekonzept der Bundesregierung spricht für die gute Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft bei der Sicherung unseres Fachkräftebedarfs. Wie schätzen Sie die Aktivitäten, insbesondere der Wirtschaft, ein, ältere Arbeitnehmer und Frauen in Erwerbstätigkeit zu bringen?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Danke, dass Sie fragen. Im Ticker wurde ein Satz aus dem Berichtszusammenhang gerissen. Natürlich kann man immer noch mehr machen. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Es passiert hier sehr viel. Das hat auch damit zu tun, dass über die Hälfte der Mittelständler schon jetzt Umsatzeinbußen haben, weil sie nicht über genügend Fachkräfte verfügen. Gerade der Mittelstand arbeitet sehr intensiv auf der Baustelle „Aus- und Weiterbildung“. Da ist er, ehrlich gesagt, besser als andere Teile der Wirtschaft. Das ist sehr gut. Allerdings sehe ich noch an anderer Stelle Potenzial: Nur ein Drittel der Unternehmen macht Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In Großbetrieben ist das schon häufiger ein Thema als im Mittelstand. Das ist ja auch typisch und normal, weil die Mittelständler oft nicht über die nötigen Strukturen verfügen; sie haben keine eigene Personalabteilung und anderes. Diese Unternehmen müssen da durch die Kammern, durch den Deutschen Industrie- und Handelskammertag und die Handwerkskammern vor Ort unterstützt werden. Ich kann aber wirklich von einem klaren Bewusstseinswandel sprechen. Hier wird heute sehr viel mehr gemacht. Wir als BMAS haben gute Kooperationspartner. Wir koordinieren die Fachkräfteinitiative der Bundesregierung, und wir haben in den letzten Jahren überall offene Ohren und offene Türen angetroffen. Ich kann also nur sagen: Weiter so! Denn diejenigen, die das jetzt angehen, sind schlau. Ich kann sie nur beglückwünschen, weil sie für die Zukunft ihres eigenen Unternehmens genau das Richtige tun.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir jetzt fortfahren, gestatten Sie mir den Hinweis, dass sich die Fragen und Antworten in der Befragung der Bundesregierung auf jeweils eine Minute beschränken sollen. Das wird durch ein optisches Zeichen unterstützt. Das heißt, wenn die Farbe Rot aufleuchtet, ist die Minute definitiv zu Ende. Da ich hier eine große Anzahl an Wortmeldungen habe, bitte ich, die Zeit aus Rücksicht auf die Kolleginnen und Kollegen einzuhalten, sodass wir hier möglichst alle zu Wort kommen lassen können. Die nächste Frage stellt die Kollegin Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben darauf hingewiesen, dass sich der Beschäftigungsanteil Älterer am Arbeitsmarkt deutlich erhöht hat. Jetzt müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, dass Ihre Pläne in Sachen Rente dieser positiven Entwicklung eindeutig entgegenwirken. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: Der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Metallindustriellen Niedersachsens gibt zu bedenken, dass Ihre Rentenpläne allein in seinem Bereich, in Niedersachsen, dazu führen würden, dass mindestens 6 000 Arbeitskräfte fehlen. Er selber nennt das - wie ich finde, zu Recht - eine „Katastrophe“, und zwar auch deswegen, weil in der Elektro- und Metallindustrie in Niedersachsen derzeitig schon 18 000 Arbeitsplätze unbesetzt sind. Er braucht diese Leute also in jeder Hinsicht dringend. Sehen Sie nicht das Problem, dass Sie mit der Rentenpolitik, die Sie angekündigt haben, Ihrem eigenen Ziel, den Anteil Älterer am Arbeitsmarkt zu erhöhen, entgegenwirken?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Nein, das sehe ich nicht. Sollte es aber die Gefahr geben - das habe ich schon mehrfach öffentlich gesagt -, dass es im Einzelfall ausgenutzt wird, bin ich bereit, im Laufe der parlamentarischen Beratungen wirksame Gegenmaßnahmen zu verankern. Das wird sehr bald möglich sein: Der Bundesrat befasst sich jetzt mit dem Rentenpaket, danach kommt es hier ins Parlament; dann können wir uns gerne intensiver darüber austauschen. Generell möchte ich Ihnen aber klar sagen, dass es sehr viel Mühe gekostet hat, ein Umdenken zu erwirken in der Richtung, dass Ältere nicht zum alten Eisen gezählt werden. Wenn wir heute hören, dass 50 Prozent der über 60-Jährigen in Arbeit sind, dann erkennen wir, dass noch deutlich Luft nach oben ist. Da würde ich mich natürlich sehr freuen, wenn sich auch der Verband der Metallindustrie Niedersachsens weiter für altersgerechte Arbeitsplätze einsetzen würde, sodass die Quote gesteigert werden kann. Insbesondere ist es so, dass die Erwerbsbeteiligung bei den 62- und 63-Jährigen schon jetzt deutlich nach unten geht. Das bedeutet: Die Verantwortung jetzt auf ein Gesetz zu schieben, das die zu erwartende Entwicklung berücksichtigt, dass die Erwerbsbeteiligung der 63- bis 65-Jährigen langsam aufwächst, es also zu einer Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Älteren kommt, das ist für mich ein Delegieren von Verantwortung. Das halte ich nicht für angemessen, und deswegen weise ich diesen Vorwurf zurück.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Krellmann.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, Sie haben richtigerweise festgestellt, dass man nicht in allen Bereichen von Fachkräftemangel sprechen kann. Ich sage aber: Die Bereiche der Altenpflege und der Gastronomie gehören ausdrücklich dazu. Das sind in der Regel auch die Bereiche, in denen es die niedrigsten Löhne gibt. Das Thema Mindestlohn ist eine Sache. Die Frage ist aber: Was wollen Sie tun, um die Arbeitsbedingungen einschließlich der Löhne so zu stabilisieren, dass es interessant ist, in diesen Bereichen zu arbeiten? Das Gleiche gilt im Grunde auch für die Pflegeberufe. Denn im Bereich der sozialen Dienstleistungen gibt es so etwas wie eine chronische Unterfinanzierung. Die Gewerkschaft Verdi fordert einen einheitlichen Pflegemindestlohn von mindestens 12,50 Euro für die dort Beschäftigten. Auf diese Weise soll es attraktiv werden, in dieser Branche zu arbeiten und nicht darauf zu verzichten, weil man dort nicht genügend verdienen kann.

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Wie Sie wissen, sind wir auf dem Weg, einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn zu verankern. Das wird sicherlich insbesondere dazu beitragen, dass Berufe in der Gastronomie attraktiver werden. Auch im Bereich der Pflege hat es in der Vergangenheit schon Bemühungen gegeben. Es gibt bereits eine entsprechende Mindestlinie in der Vergütung. Ich gebe aber gerne zu, dass der Wettbewerb die Arbeitsbedingungen in der Pflege für viele verschlechtert hat. Ich sehe einen weiteren Ansatzpunkt. Wir wollen wenigstens erreichen, dass die Auszubildenden nicht selbst für ihre Ausbildung zahlen müssen. Diese noch immer bestehende Hürde zu beseitigen, ist neben der Einführung des Mindestlohns eines unserer Ziele. Dies kann ich nicht alleine anschieben. Das ist ein Punkt, der dringend reformiert werden muss. Wenn wir einen Pflegenotstand haben, muss der Zugang zum Pflegeberuf möglichst ohne Hürden sein. Das ist ein Punkt, bei dem wir ansetzen wollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Wolff, Sie haben das Wort.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für die Darstellung der aktuellen Situation. Ich würde von Ihnen gerne wissen, um welche Engpässe es sich handelt. Wir haben eben gehört, dass der Bereich der Pflege dazugehört. Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Engpässe und vielleicht sogar einen Arbeitskräftemangel in Deutschland? Meine zweite Frage lautet: Wenn dem so ist, wie gedenken Sie, das Programm zur Fachkräftesicherung inhaltlich auszugestalten?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Es gibt diese Engpässe in den Bereichen, die ich eben schon genannt habe. Das Auffällige ist: Es gibt sie auf allen Qualifikationsniveaus. Es gibt aber vor allem eine Tendenz: Wenn wir zum Beispiel bei den Pflegekräften einen Engpass haben, dann ist dies nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern oder in Rheinland-Pfalz, sondern überall der Fall. Wenn es beim Beruf des Mechatronikers und im gesamten Bereich des Maschinenbaus einen Engpass gibt, dann gibt es diesen bundesweit. Wir können das nicht innerhalb Deutschlands ausgleichen. Wir machen zwei auffällige Beobachtungen: Erstens. Es gibt diese Engpässe zunehmend. Sie wachsen von Bericht zu Bericht an - wenn auch leicht. Sie werden ein bisschen durch die Zuwanderung und die Erhöhung des Erwerbspersonenpotenzials abgemildert. Die Tendenz bleibt aber. Zweitens. Diese Tendenz ist flächendeckend und tritt nicht nur in einzelnen Bundesländern auf. Wir können also nicht nur kurzfristige und punktuelle Maßnahmen ergreifen, sondern müssen das Erwerbspersonenpotenzial langfristig steigern. Wir müssen die, die nicht qualifiziert sind, nachqualifizieren. Wir müssen bei der Zuwanderung weiter auf verbesserte Integration setzen. Das ist ein ganzes Maßnahmenbündel. Mit einer punktuellen Maßnahme können wir dieses Problem nicht kurzfristig lösen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Oellers.

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, meine Frage zielt auf die flexible Beschäftigung ab. Wie wirkt sich nach Ihren Erkenntnissen die starke Nachfrage nach Fachkräften auf die Struktur des Arbeitsmarktes, insbesondere auf die flexible Beschäftigung aus?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Das ist ein interessanter Punkt. Der Fachkräftemangel wirkt sich tatsächlich - wenn auch zunächst nur leicht; ich will das noch nicht zu einem großen Trend erklären insoweit positiv aus, als die atypische, die prekäre Beschäftigung zurückgeht. Ich habe mir die Zahlen angeguckt. Die Zahl der atypischen Arbeitsverhältnisse ist im Zeitraum von 2011 bis 2012 gesunken. Ich prognostiziere, dass sich der Trend in den Jahren 2013 und 2014 möglicherweise fortsetzt. Die Gründe für den leichten Rückgang liegen unter anderem in der gesunkenen geringfügigen Beschäftigung, aber auch in der rückläufigen Befristung von Beschäftigungsverhältnissen. Es ist interessant, dass den Unternehmen offensichtlich mittlerweile klar ist: Wer langfristig Beschäftigung sichern will, der muss darauf setzen, die Arbeitskräfte an sich zu binden. Es gibt also eine positive Entwicklung, allerdings in einem geringen Umfang. Ich würde zwar noch nicht von einem starken Trend sprechen, aber wir haben eine positive Entwicklung beobachten können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Lenkert, Sie haben das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Fachkräftesicherung bedeutet für die Linke, dass Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber ausbilden und dass man vor allen Dingen nach der Ausbildung die Chance hat, in seinem erlernten Beruf zu arbeiten. So kann die Sicherung des Fachkräftebedarfs langfristig vorbereitet werden. Jetzt haben wir in Thüringen und in vielen anderen Bundesländern das Problem, dass die Lehrkörper an den Schulen überaltert sind. Die Schule meines Sohnes hat einen jungen Lehrkörper - mit einem Durchschnittsalter von 55 Jahren. ({0}) Das zeigt, dass in absehbarer Zeit ein Problem auf uns zurollt. Nun ist die Situation so: Die Stellenpläne im öffentlichen Dienst sind ausgeschöpft, aber die Kassen sind leer. Das Problem ist, dass keine Chance besteht, schon jetzt Lehrerinnen und Lehrer einzustellen. Meine Frage ist: Arbeiten Sie an einer Lösung für dieses Problem, damit wir in fünf oder zehn Jahren nicht mit einem Schlag ganze Lehrkörper verlieren? Welche Unterstützung kann die Bundesregierung den entsprechenden Bundesländern gewähren, um eine solche Entwicklung zu verhindern?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Es ist immer wieder unangenehm, gerade wenn junge Leute hier auf der Tribüne zuhören, darauf hinzuweisen, dass es schlicht nicht die Aufgabe des Bundes ist, für ausreichend Lehrer in den Ländern zu sorgen. Trotzdem nehme ich Ihren Hinweis mit, weil wir beim Thema Fachkräftesicherung interministeriell zusammenarbeiten. In Thüringen gibt es einen interessanten Ansatz in Bezug auf Nachqualifizierung. Es geht darum, passgenaue Lösungen zu finden. Das wiederum ist die Baustelle der Arbeitsministerin. Gerade in Thüringen sind wir da sehr aktiv. Ich weise darauf hin, dass wir zusätzliche Mittel für Bildung und Hochschulbildung in die Länderhaushalte geben. Die Länder haben sich aber in der Frage, wie sie diese Mittel einsetzen, jede Einmischung von Bundesseite ausdrücklich verbeten. ({0}) Ich verspreche, dass wir darüber im Einzelfall noch einmal diskutieren werden. Aber tatsächlich müssten Sie Ihre Frage an eine andere Ebene adressieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Gehring, Sie haben das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für Ihre Ausführungen, gerade auch weil viele junge Menschen auf der Besuchertribüne sitzen und die Befragung verfolgen. Ein ehemaliger SPD-Kulturstaatsminister warnt vor einem - Zitat - „Akademisierungswahn“. Mitglieder des Bundestages mit CSU-Parteibuch fordern „Meister statt Master“, wenn es um den künftigen Bildungsabschluss geht. Die Konsequenz wäre ja, dass der Zugang zu Hochschulen massiv verengt bzw. sogar verbaut wird. Ich wüsste gerne von Ihnen: Finden Sie den Ansatz richtig, berufliche und akademische Bildung gegeneinander auszuspielen? Oder finden Sie es in einer freiheitlichen Gesellschaft wie der unseren nicht besser, die jungen Leute selber entscheiden zu lassen, ob sie eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Ich freue mich über jeden, der in Deutschland einen akademischen Abschluss macht. Wir haben jahrelang darum gekämpft, dass die Quote steigt. Insoweit ist das erst einmal eine gute Nachricht. Ich glaube auch nicht, dass das der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schadet. Allerdings will ich auch sagen, dass ich in der dualen Ausbildung, die noch vor zehn Jahren als altmodisch und überholt dargestellt wurde - es wurde gesagt, Deutschland sei hinten dran und wir brauchten eine stärkere Akademisierung; das haben wir teilweise auch geschafft -, eine wesentliche Stütze unserer gesamten Wirtschaft sehe. Ich bin der Auffassung, dass die duale Ausbildung sogar ein Exportschlager ist. Am Montag in Brüssel habe ich wieder einmal gemerkt, dass andere Länder sich das zurzeit bei uns abschauen und sich ein solches System wünschen. Insoweit würde ich die beiden Bereiche ungern gegeneinander ausspielen. Wir müssen beides machen: Die Leute, die das Talent dazu haben und das gerne wollen, sollen eine akademische Ausbildung machen. Wir sollen auf der anderen Seite aber auch die duale Ausbildung wieder stärker in den Blick nehmen. Aus meiner Sicht müssen wir hierauf in den nächsten Jahren einen Schwerpunkt legen. Ich glaube, dass die duale Ausbildung zurzeit ein Imageproblem hat. Ich würde gerne helfen, das Image der dualen Ausbildung zum Positiven hin zu verändern. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Mast stellt die nächste Frage.

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem aktuellen Fortschrittsbericht zwei Zielgruppen für die Zukunft benannt: Geringqualifizierte und Mütter mit Migrationshintergrund. Meine Frage ist: Warum haben Sie sich auf diese Zielgruppen fokussiert, und welche Potenziale sehen Sie darin?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Mütter mit Migrationshintergrund fallen in der Statistik dadurch auf, dass sie eine besonders niedrige Erwerbsbeteiligung haben. Das wird teilweise wie ein Naturgesetz hingenommen. Ich bin deswegen dankbar, dass das Bundesfamilienministerium vor zwei Jahren die Initiative ergriffen und sich mit Modellprojekten um genau diese Gruppe gekümmert hat. Die Ergebnisse dieser Modellprojekte, die im Fortschrittsbericht ausgewiesen wurden, sind sehr ermutigend. Ein Teil dieser Frauen hat auf diese Ansprache geradezu gewartet. Sie freuen sich. Die Abbrecherquote ist im Verhältnis zu anderen Projekten sehr gering. Deswegen werden wir mit ESF-Mitteln, die wir jetzt bekommen, für genau diese Zielgruppe bundesweit Angebote vorhalten. Das ist Ergebnis der positiven Erfahrung mit diesen Modellprojekten. Zu den Geringqualifizierten kann ich ganz simpel sagen: Sie sind für den Rest ihres Lebens schlichtweg häufiger von Arbeitslosigkeit bedroht. Wer es versäumt, am Anfang seines Berufslebens eine Ausbildung zu machen, muss damit rechnen, auf Dauer Kunde der Bundesagentur für Arbeit zu bleiben oder zumindest immer wieder deren Kunde zu werden. Das muss nicht so sein. Deswegen darf eigentlich kein junger Mensch ohne Ausbildung in das Erwerbsleben geschickt werden. Das muss bei uns oberste Priorität haben. Deswegen haben wir auch die Initiative „Spätstarter“ für 100 000 junge Erwachsene ohne Berufsabschluss aufgelegt. Wir haben auch andere Maßnahmen, um das zu verhindern. Früher anzufangen, schon in den Schulen, ist auch ein Erfolgsrezept. Mein Eindruck ist, dass das angekommen ist, auch in den Ländern, die auf diesem Gebiet sehr aktiv sind und kooperieren. Spätestens in der achten Klasse werden junge Leute motiviert, eine Ausbildung zu machen, auch wenn sie keine guten Noten haben. Am Ende zahlt es sich aus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vor, alle bis jetzt gemeldeten Fragen zum Gegenstand des Berichts der Frau Ministerin zuzulassen. Das setzt aber voraus, dass wir uns an die selbstgegebenen Regeln halten und die Zeit von einer Minute für jede Frage und jede Antwort einhalten. Das heißt, ich verlängere die Regierungsbefragung und kürze die danach folgende Fragestunde. Ich bitte Sie aber, auch Rücksicht auf die nachfolgenden fragenden Kolleginnen und Kollegen zu nehmen. Die nächste Frage stellt die Kollegin Eckenbach.

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, vieles wurde heute Morgen schon gefragt. Wenn es um Fachkräfte geht, geht es immer um die wichtigen Fragen des demografischen Wandels, des Zeitmanagements, das heißt um die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nun sagt dieser Bericht eine Menge dazu, was es bereits gibt. Trotzdem würde ich gerne von Ihnen hören, worauf Sie Ihre Schwerpunkte hinsichtlich des Zeitmanagements, also der Vereinbarkeit von Familie und Beruf legen. Meiner Ansicht nach geht es dabei nicht nur um die Erziehung von Kindern, sondern auch um die Pflege alter Menschen. Das ist ganz wichtig, um Fachkräfte länger im Betrieb zu halten, aber auch, um Mütter dazu zu bewegen, früher wieder in den Beruf einzusteigen.

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Vielen Dank. - Es gibt nicht immer die glückliche Situation, dass die Wünsche der Betroffenen mit den Bedürfnissen der Wirtschaft übereinstimmen. In diesem Fall ist das aber so. Die Arbeitszeitwünsche der Frauen zeigen, dass sie länger arbeiten wollen. 45 Prozent arbeiten Teilzeit; das ist eine sehr hohe Quote. Sie wollen nicht unbedingt 38,5 Stunden in der Woche arbeiten, aber mehr als 18,6 Stunden, welches der Durchschnitt ist. Umgekehrt handelt es sich bei diesen Frauen um ein Potenzial von gut ausgebildeten und qualifizierten Erwerbspersonen, die freiwillig und aus guten Gründen für eine bestimmte Zeit Teilzeit arbeiten - das finde ich absolut in Ordnung - und dann sagen: Wir wollen jetzt langsam wieder ein Stück weit zurück. - Wir müssen Möglichkeiten schaffen, befristet Teilzeit zu arbeiten, und die Chancen verbessern, nach einigen Jahren auch wieder voll berufstätig sein zu können. Dafür ist eine gesetzliche Leitplanke notwendig. Die Schaffung dieser Möglichkeiten haben wir im Koalitionsvertrag verabredet. Das werden wir, sobald es geht, anpacken. Das ist einer der Punkte, wo es eine Deckungsgleichheit gibt: Wettbewerbsfähigkeit steigern und Arbeitszeitwünsche der betroffenen Frauen realisieren. Das kommt hier sehr gut zusammen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Tack.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie hatten als Potenzial für die künftige Sicherung von Fachkräften Frauen, junge Menschen und ältere Menschen in den Fokus genommen. Wir meinen aber auch, dass wir noch ein immenses Potenzial an Fachkräften unter den Menschen mit Behinderungen haben, insbesondere auch den schwerbehinderten Akademikerinnen und Akademikern. Wir sehen, dass es nach wie vor eine große Anzahl von Betrieben gibt, die zwar eine Verpflichtung zur Einstellung hätten, sich ihrer Verpflichtung aber zunehmend durch das Freikaufen, durch die Abgabe entziehen. Ich glaube, wir haben hier ein Potenzial, das wir nicht vernachlässigen dürfen. Meine Frage ist: Sehen Sie seitens der Bundesregierung Möglichkeiten, für eine stärkere Beteiligung von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt zu sorgen, indem auch die Firmen, die ihrer Verpflichtung im Moment nicht nachkommen, eingebunden werden?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Zunächst, Frau Tack, weist der Bericht klar aus: Das Qualifikationsniveau der Menschen mit Behinderungen ist überdurchschnittlich hoch und wird unterdurchschnittlich genutzt. Der Befund ist eindeutig. Ich finde das sehr bedauerlich. Wir werden in dieser Legislaturperiode im Zusammenhang mit dem Teilhabegesetz noch intensiv über Inklusion reden. Für mich gehört dieser Punkt der stärkeren Erwerbsbeteiligung von behinderten Menschen sowohl zum Thema Fachkräftepotenzial - das Potenzial wird hier nicht ausgeschöpft - als auch zum Thema Inklusion und Teilhabe. Deswegen werden wir uns dem widmen. Ich will heute keine Ankündigungen machen, was im Einzelnen erfolgen wird, aber ich kann Ihnen versprechen, dass wir das anpacken werden. Auch mir ist beim Lesen des Berichtes aufgefallen, dass es hier offensichtlich immer noch zu große Hemmnisse gibt und zu große Zurückhaltung besteht. Das darf in einem Land wie Deutschland nicht so sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben davon gesprochen, dass Sie bei der Rente mit 63, wenn sie als Möglichkeit zur Frühverrentung ausgenutzt würde, nachsteuern würden. Darum geht es aber gar nicht. Die Rente mit 63 ist ja schon an sich ein Frühverrentungsprogramm. Die Arbeitgeber in der Metallbranche haben gar nicht vor, die Personen mit 61 zu entlassen und sie bis zum 63. Lebensjahr arbeitslos sein zu lassen, sondern sie fürchten, dass sehr viele die Rente mit 63 in Anspruch nehmen werden. Auf meine Frage zu diesem Thema hat die Bundesregierung geantwortet, dass von den 200 000 Personen, die im Einführungsjahr von der neuen Reglung profitieren, rund 50 000 ohne die Neuregelung nicht mit 63 in Rente gehen würden. Das heißt, Sie entziehen dem Arbeitsmarkt bis zu 50 000 Fachkräfte. Glauben Sie nicht, dass damit die Anstrengungen, die die Unternehmen jetzt unternommen haben, um Bedingungen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen, konterkariert werden, weil diese Unternehmen nicht mehr davon ausgehen können, dass sie dann auch davon profitieren, dass sie die Arbeitsbedingungen für Ältere verbessern?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Nein, das sehe ich nicht so. Wir führen die Debatte dann in den nächsten Wochen weiter. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Paschke.

Markus Paschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004371, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie haben vorhin das Hamburger Modell und in dem Zusammenhang die Schnittstellenproblematik, die da gelöst wird, angesprochen. Ich glaube, ein wesentlicher Bestandteil des Hamburger Modells ist auch der Perspektivwechsel, der stattgefunden hat, dass nämlich die Bedürfnisse der Jugendlichen im Mittelpunkt stehen und mit einer hohen positiven Motivation nach Lösungen gesucht wird und weniger mit einer negativen, wie wir es ansonsten im Bereich des SGB II kennen. Halten Sie das Hamburger Modell insMarkus Paschke besondere auch hinsichtlich dieser positiven Motivationsvorlage für übertragbar?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

In meiner Tätigkeit als Abgeordnete habe ich nicht selten mitbekommen, dass junge Leute, die es nicht geschafft haben, eine Ausbildung zu beenden, fünf, sechs Betreuer hatten: Drogenberater, Jugendamt, berufsbegleitende Hilfen, alles Mögliche; von der Jugendgerichtshilfe will ich gar nicht erst anfangen. Das ist dann aber nebeneinander gelaufen, und es ist oft nicht verzahnt worden. Und nicht nur das: Auf dem Weg von einer Behörde zur anderen, bei der man Hilfe bekommt, verschwand der eine oder andere Jugendliche auch schon mal vom Radar, weil er zum Beispiel den Aufwand gescheut hat. Was jetzt in Hamburg und auch an anderen Orten gemacht wird, ist: Es wird sichergestellt, dass die Beratung aus einer Hand und an einem Ort erfolgt. Die jungen Leute merken gar nicht, ob sie auf einmal in der Zuständigkeit der Kommune gelandet sind, wenn sie beispielsweise von der Bundesagentur zum Jugendamt hinübergehen; sie gehen nur von einem Büro ins andere. Das ist eine optimale Situation. Im ländlichen Raum ist das in der Form, wie es rein räumlich gelöst wurde, so vielleicht nicht umsetzbar. Trotzdem ist das für alle Regionen in Deutschland der richtige Ansatz. Positiv ist dieses Vorgehen, weil man mit der Betreuung bereits in der Schule beginnt und die jungen Leute auf dem Weg in eine Ausbildung dann nicht mehr verliert. Der große Vorteil ist, dass die jungen Leute eine positive Ansprache bekommen und dann begleitet werden, bis sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Ich habe mir das selber vor Ort angeguckt. Ich empfehle diesen Ansatz und werde ihn als Botschafterin in dieser Sache weiter vorantreiben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Kolbe fragt nun.

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie sich für dieses wichtige Thema so viel Zeit nehmen. Meine Wahrnehmung ist, dass wir es, wenn es um das Thema Fachkräftesicherung geht, zunehmend auch mit einer Konkurrenz unter den Regionen zu tun haben. Dabei gibt es insbesondere eine Konkurrenz um qualifizierte Zuwanderer. Viele ostdeutsche Unternehmer, gerade aus dem Handwerk, beklagen mir gegenüber, dass sie schon jetzt kaum mehr ausreichend Fachkräfte finden. Aus meiner Sicht geht es deswegen auch um den Sicherungspfad der Lohnpolitik und der Tarifpolitik, zum Beispiel um Demografietarifverträge. Die Bundesregierung plant ja die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Mich würde Ihre Einschätzung interessieren, inwiefern dieser positive Auswirkungen auf die Tarifbindung haben kann, auch und gerade in Ostdeutschland.

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Ich glaube, wir sind hier an einem Wendepunkt. Es ist über viele Jahrzehnte die Philosophie verfolgt worden: Es ist richtig, dass die Löhne in Ostdeutschland niedriger sind; denn auch die Lebenshaltungskosten sind dort niedriger. - Man muss sehen, dass dies mittlerweile zu einer wirklichen Abwanderung geführt hat, innerhalb Deutschlands, aber auch nach Österreich und in die Schweiz. Was die Schweiz betrifft, wissen wir ja nicht, wie lange das noch geht. ({0}) Aber die Abwanderung nach Österreich ist sehr klar zu erkennen. Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Man muss überlegen, ob man hier nicht einen Strategiewechsel braucht. Der Mindestlohn kann dazu einen Beitrag leisten. Das kann man natürlich nicht von heute auf morgen machen. Man kann nicht einfach per Verordnung sagen: Jetzt gehen wir einen anderen Weg, nämlich den der moderaten Anhebung der Löhne. - Das würde dann möglicherweise zu einer Steigerung der Lebenshaltungskosten in vielen Bereichen führen. Das wird man Stufe für Stufe machen. Aber der Mindestlohn hilft mit Sicherheit dabei, es attraktiver zu machen, seine Perspektive auch in Ostdeutschland vor Ort zu suchen; da bin ich mir sicher.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Pothmer.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, der Fortschrittsbericht weist ja aus, was wir schon längst wussten, nämlich dass der Anteil von Frauen an der Zahl der Erwerbstätigen deutlich angestiegen ist. Gleichzeitig müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, dass das Erwerbsvolumen, das Frauen für sich in Anspruch nehmen, bei weitem nicht genauso stark angestiegen ist. Das führt dazu, dass sich immer mehr Frauen das mehr oder weniger gleiche Erwerbsvolumen teilen. Die durchschnittliche Dauer der Erwerbstätigkeit von Frauen beläuft sich auf 18,6 Stunden pro Woche. Deutschland liegt damit nur kurz vor Portugal. Ich behaupte: Das ist kein Zufall, sondern wir haben in Deutschland Anreizsysteme, die verhindern, dass Frauen über dieses Stundendeputat deutlich hinauskommen. Ich spreche damit insbesondere die Kopplung von Ehegattensplitting und Minijobs an. Hinzu kommt noch das Betreuungsgeld, das auch nicht gerade dafür Sorge trägt, dass Frauen auf den Erwerbsarbeitsmarkt drängen. Die OECD hat das ja in der Vergangenheit immer wieder kritisiert und hat Deutschland aufgefordert, genau diese Anreizsysteme zu korrigieren. Ich frage Sie als zuständige Ministerin: Was haben wir da von Ihnen zu erwarten, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erleichtern?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Einer der Hauptgründe ist sicherlich immer noch eine mangelhafte Betreuungssituation. Hier in Berlin kann man sich das kaum noch vorstellen. Kommen Sie einmal zu mir in die Eifel: Die Kita, die meine Tochter besucht, macht um halb zwei zu. Da ist es, wenn man pendelt - was für meine Region ebenfalls typisch ist -, fast nicht möglich, erwerbstätig zu sein. Selbst ein Halbtagsjob wird da schwierig. Das heißt, aus meiner Sicht ist das immer noch ein Kernproblem, bei dem wir noch nicht in der notwendigen Weise vorangekommen sind. Deswegen ist es wichtig, dass wir zusätzliche Mittel für den Ausbau von Ganztagsangeboten und Kitas in das 6-Milliarden-Paket, das an die Länder geht, integriert haben. Der zweite Punkt ist aus meiner Sicht ganz klar die Teilzeitfalle als solche. Da sind auch die Unternehmer immer noch nicht an dem Punkt, an dem ich sie gerne hätte. Da muss ein Umdenken stattfinden. Sicherlich werden auch zu viele Frauen auf Minijobs verwiesen. Das ist aber ein Problem, bei dem wir uns auch in der Koalition nicht einig geworden sind, was wir konkret dagegen unternehmen. Bei den anderen Punkten allerdings haben wir eine Grundlage. Da werde ich auch Entsprechendes in die Wege leiten. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kurz und knapp.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann frage ich noch einmal nach, Frau Ministerin. Ich habe ja ausdrücklich auf das Anreizsystem Ehegattensplitting in Kombination mit Minijobs abgehoben, also das, was die OECD massiv kritisiert. Teilen Sie diese Kritik, und werden Sie dem, was dem zugrunde liegt, entgegenwirken?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Ich teile die Ansicht, dass es, insbesondere in Deutschland, eine ungünstige Konstellation von verschiedenen Faktoren gibt. Ich teile aber nicht unbedingt die Priorisierung dieser beiden Punkte. Ich hab Ihnen ja eben klar gesagt, dass ich immer noch die Betreuungsfrage für den entscheidenden Punkt halte. Zu den anderen Punkten - Sie haben mich ja danach gefragt, was ich unternehmen werde -, nämlich bei der Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit und auch beim Ausbau von Betreuung, haben wir im Koalitionsvertrag konkrete Verabredungen, die die Situation für Frauen am deutschen Arbeitsmarkt verbessern. Bei dem Punkt Ehegattensplitting in Verbindung mit Minijobs haben wir solche Verabredungen nicht. Deswegen wird es in dieser Legislaturperiode schwierig sein, diesen Punkt anzupacken.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Rosemann.

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, Sie haben ja mehrfach die Bedeutung der Zuwanderung für die Fachkräftesicherung in Deutschland angesprochen. Ich würde daher zum einen gerne wissen, wie Sie im Rückblick die Zunahme der Zuwanderung in den letzten Jahren im Hinblick auf die Fachkräftesicherung bewerten, und vor allem, aus welchen Ländern die qualifizierten Fachkräfte zu uns gekommen sind, und zum anderen, wie Sie im Blick nach vorne die Bedeutung von Zuwanderung und auch das vorhandene Potenzial durch bereits in Deutschland lebende Migranten im Hinblick darauf einschätzen, dass es laut einer Studie des IAB eine Fachkräftelücke vor allem im Bereich der Lehrberufe geben wird?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Deutschland konnte im Jahr 2012 den höchsten Wanderungsüberschuss seit 1995 verzeichnen. Das ist gut. Das entspannt die Lage beim Thema Fachkräfte. Das ist erst einmal der Befund. Ich kann - auch schon zu Beginn dieses Jahres - erkennen: Dieser Trend hält weiter an. Ich will hinzufügen, welches die Länder sind, aus denen vor allem die Zuwanderer in 2012 - die Daten liegen uns jetzt vor - kamen. Die Hälfte des Wanderungssaldos von 369 000 entfällt auf die acht in 2004 der EU beigetretenen Staaten, insbesondere Polen und Ungarn, sowie die in 2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien. Ich möchte ausdrücklich sagen: Es handelt sich in der Mehrzahl um qualifizierte Zuwanderung. Daneben hat in den letzten Jahren die Zuwanderung aus den von der Wirtschaftskrise betroffenen Ländern entsprechend zugenommen, wie zum Beispiel Griechenland, Italien, Portugal und Spanien. Ich will hinzufügen, dass wir uns über diese Zuwanderung insgesamt nur freuen können. Wir brauchen sie auch für die Zukunft. Wir müssen schauen, dass die Integration gelingt und dass allen hier in Deutschland bewusst wird, wie stark wir darauf angewiesen sind. Natürlich muss man auch schauen, dass kein Missbrauch passiert an einigen Stellen; diese Debatte haben wir ja auch. Wir brauchen vor allem, damit Zuwanderung insgesamt weiter akzeptiert wird, gute Lösungen. Ich jedenfalls möchte Ihnen sagen: Wenn wir nicht dieses hohe Niveau an Zuwanderung halten, würde es angesichts unserer demografischen Entwicklung sehr schwierig werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Krellmann.

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Ministerin, die Klage vieler Arbeitgeber über den Fachkräftemangel drückt sich nicht automatisch, dem Prinzip „Angebot und Nachfrage“ entsprechend, darin aus, dass man auch bereit wäre, höhere Löhne zu zahlen. Würden Sie mir recht geben, dass sich sachgrundlose Befristung, Leiharbeit und Werkverträge in diesem Zusammenhang als Lohnbremsen herausstellen? Herr Kurth, ich kenne niemanden in der Metall- und Elektroindustrie in Niedersachsen, der in der Produktion ist und dort noch bis 63 arbeitet. ({0})

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Also, ich bin wirklich dafür, dass wir nicht alle Themen, die wir für wichtig erklären und wo wir Handlungsbedarf sehen, jetzt - Entschuldigung! - vermuddeln mit dem Thema Fachkräftesicherung. Das wäre mein Kommentar zu Ihrer Frage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Lezius stellt die nächste Frage.

Antje Lezius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004341, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich komme aus einem kleinen mittelständischen Unternehmen. Sie haben schon angesprochen, dass diese Unternehmen eben nicht genügend Ressourcen haben, um sich entsprechend um die Gewinnung von Fachkräften zu kümmern. Meine Frage wäre: Welche Hilfestellungen gibt die Bundesregierung diesen Unternehmen, um Fachkräfte zu gewinnen und auch zu sichern, und welche Maßnahmen sind von Ihrer Seite her geplant?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Ich habe mir einmal aufgeschrieben, was wir alles machen - das ist eine ganze Menge -: Da gibt es die Initiative Neue Qualität der Arbeit, das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung, die Qualifizierungsberatung durch den Arbeitgeber-Service der BA - der in diesem Bereich übrigens sehr viel mehr macht als noch vor einigen Jahren -, das ESF-Modellprogramm „unternehmensWert: Mensch“ und das Programm „Erfolgsfaktor Familie“ mit dem entsprechenden Netzwerkbüro. Was ich hier aufgezählt habe, liegt keinesfalls nur in der Zuständigkeit des BMAS, sondern geht quer durch alle Ressorts. Der DIHK hat in Hamburg ein Welcome-Center eröffnet, demnächst wird eines in Berlin folgen. Er geht aktiv vor und bietet auch Beratung an. Nicht nur vonseiten der Politik, sondern auch von den Unternehmen selber geht ein Impuls aus. Vieles ist da in Bewegung gekommen. Wir haben mittlerweile eine sehr gute, vielfältige Förderlandschaft. ({0}) - Was ich gerade aufgezählt habe, sind flächendeckende Angebote. Ich komme selber aus dem ländlichen Raum.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die letzte Nachfrage zu diesem Bericht stellt der Kollege Gehring.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, als ich Sie vorhin nach dem Verhältnis von beruflicher und akademischer Bildung gefragt habe, haben Sie im Kern geantwortet, das Image des dualen Systems müsse verbessert werden. Das fand ich ein bisschen unterkomplex. Könnten Sie vielleicht noch einmal sagen, welche konkreten Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der beruflichen Bildung Sie vorsehen, aber auch im Bereich des Studiums? Ist heute im Kabinett auch über die Zukunft des Hochschulpaktes von Bund und Ländern geredet worden? Laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind an den Hochschulen 33 000 Studienanfänger mehr gestartet als im laufenden Hochschulpakt verabredet. Das heißt, bundesseitig ist dieser Pakt mit 430 Millionen Euro unterfinanziert. Das ist etwas, was zwischen Bund und Ländern austariert werden muss. Die Zukunft, die Schaffung von Studienplätzen, war das ein Thema, auch im Rahmen des Beschlusses der Eckwerte für den Haushalt?

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Um zunächst zu Ihrer letzten Frage zu kommen: Nein, das war heute nicht Thema; es wird aber sicherlich Gegenstand der Erörterungen in den nächsten Wochen sein. Darüber hinaus weiten wir die Veranstaltungen und Maßnahmen zur Berufsorientierung in den Schulen, die insbesondere das Ziel hat, noch einmal deutlich zu machen, wo die Chancen und Potenziale einer dualen Ausbildung liegen, sehr stark aus. Wir haben wesentlich flächendeckender als noch vor wenigen Jahren, als das einzelne Modellprojekte waren - zum Beispiel ESF-Programme -, versucht, diese Berufsorientierungsmaßnahmen über Mittel der BA, aber auch über Mittel, die die Bildungsministerin vorhält, auszuweiten. Das ist ein Schlüssel, um in der Phase, in der sich junge Leute noch nicht festgelegt haben und sich orientieren, deren Interesse zu wecken. An dieser Stelle setzen wir an, um die Attraktivität der dualen Ausbildung zu stärken und den Weg dahin aufzuzeigen. Ich werde Ihnen aber gerne noch einmal schriftlich alle möglichen Maßnahmen, die wir in diesem Bereich auf den Weg gebracht haben und noch zusätzlich anpacken, zukommen lassen, die dann auch nicht der Ein-Minuten-Grenze zum Opfer fallen müssen, damit ich mir nicht Unterkomplexheit - das ist ein schöner Begriff ({0}) vorhalten lassen muss, wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

So geht die Befragung versöhnlich und mit einer Verabredung zu Ende. Vizepräsidentin Petra Pau Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor - auch nicht zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung. Ich beende die Regierungsbefragung und danke der Frau Ministerin.

Andrea Nahles (Minister:in)

Politiker ID: 11003196

Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde Drucksache 18/728 Ein Hinweis sei mir gestattet: Die Fragen 15, 16, 17 und 18 der Kolleginnen und Kollegen Kathrin Vogler, Birgit Wöllert und Harald Weinberg wurden nachträglich durch die Bundesregierung dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zugeordnet und werden nach Frage 34 aufgerufen. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Karin Binder auf: Bedeutet die gegenseitige Anerkennung von geltenden Verbraucherschutzstandards, die derzeit Maßstab für den Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen bei den TTIP-Verhandlungen sind, dass die US-Unternehmen zum Beispiel ihre mit Chlor behandelten Hühnchen zukünftig ohne Einschränkung in Europa verkaufen dürfen? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Binder, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die pauschale gegenseitige Anerkennung von Verbraucherschutzstandards ist keinesfalls Maßstab für den Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen bei den TTIPVerhandlungen. Vielmehr kommt eine solche Anerkennung nur im Einzelfall und nur nach gründlicher Prüfung der Gleichwertigkeit der Standards infrage. Hierfür kann die TTIP durch eine bessere Information über den Inhalt der jeweiligen Regelungen beider Seiten die Voraussetzung schaffen. Hinsichtlich der Oberflächenbehandlung von Fleisch mit desinfizierenden Mitteln hat das BML stets die Position vertreten, dass die Hygienestandards bei der Fleischerzeugung in jedem Produktionsschritt gewahrt werden müssen. Keinesfalls dürfen chemische Oberflächenbehandlungen dazu dienen, anderweitige Hygienemängel zu kaschieren. Im Übrigen gilt, dass Stoffe nur dann zugelassen werden, wenn sie in vollem Umfang gesundheitlich und auch unter Umweltschutzgesichtspunkten unbedenklich sind. Daran wird sich auch durch die TTIP nichts ändern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, wie kann die Anwendung oder die Nichtanwendung von Chlor zur Nachbehandlung und Keimabtötung bei Geflügel anerkannt oder harmonisiert werden? Es gibt hier ein Entweder-oder. Wo treffen Sie sich da tatsächlich mit den Verhandlungspartnern der USA?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Staatssekretärin.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Binder, wir werden uns da überhaupt nicht treffen. Die Anwendung von Chlor zur Oberflächenbehandlung von Schlachtkörpern ist bei uns nicht erlaubt, und von daher wird auch der Import von solchen Produkten nicht erlaubt sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ich muss jetzt trotzdem noch einmal nachfragen: Führt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Standards nicht zwangsläufig zu einer Absenkung des Schutzniveaus und der Verbraucherschutzstandards auf beiden Seiten des Atlantiks? Ich kann mir ganz schlecht vorstellen, dass sich die bestmöglichen und höchsten Standards in beiden Fällen tatsächlich durchsetzen können.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin, es geht bei diesen Verhandlungen nicht um die Anerkennung einzelner Standards oder gar einer pauschalen Genehmigung von Standards oder Verfahrenstechniken. Vielmehr ist ja Gegenstand der Gespräche, zu versuchen, Verfahren zu vereinbaren, wie beide Seiten besser über die Regelungsvorhaben der anderen Seite informiert werden können und wie man dann möglicherweise eine gemeinsame Ebene finden kann. Das ist letztendlich Sinn und Zweck.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Lenkert das Wort.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie sagten eben, dass die Standards nicht abgesenkt werden. Ich fragte die Bundesregierung im Herbst letzten Jahres, ob es irgendwelche Sektoren und Bereiche, unter anderem eben auch im Lebensmittelbereich, gibt, in denen keine Schiedsgerichtsverfahren möglich sind, also Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren. Wenn Sie jetzt die europäischen Standards hochhalten und gleichzeitig in allen Sektoren SchiedsgerichtsverRalph Lenkert fahren zulassen, dann könnte ja ein amerikanischer Investor wegen Nichtzulassung seiner Behandlungsmethoden, zum Beispiel für Geflügel, auf Schadenersatz klagen, so wie das Vattenfall bei uns macht. Ich fragen Sie: Können Sie sicher ausschließen, dass es nicht zu solchen Klagen kommen wird und über diesen Umweg die europäischen Standards ausgehebelt werden? Ich wiederhole: Die Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Frage von mir war, dass bei den Schiedsgerichtsverfahren kein Sektor ausgenommen ist. Vielen Dank.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Herr Kollege Lenkert, dazu, zu welchen Klagen es in der Zukunft von wem auch immer kommen möge, kann ich mich jetzt selbstverständlich nicht äußern, weil ich genauso wenig wie Sie in die Zukunft sehen kann. Was ich sagen kann, ist, dass die Verhandlungen längst noch nicht zu einem Abschluss gekommen sind und wir auch über besonders sensible Produkte verhandeln. Diese besonders sensiblen Produkte umfassen unter anderem Lebensmittel und Produkte aus dem Agrarbereich. Was ich Ihnen noch versichern kann, ist, dass unsere Standards nicht abgesenkt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 2 der Kollegin Binder: Welche Unterschiede zwischen der EU und den USA bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung bezüglich des Vorsorgeprinzips bei Verbraucherschutz- und Umweltstandards, der Kennzeichnung und der Zulassung von Produkten, Lebensmitteln und Chemikalien? Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Die Unterschiede zwischen den Regelungen der EU und der USA in den Bereichen Verbraucherschutz- und Umweltstandards hinsichtlich der Kennzeichnung und Zulassung von Produkten, Lebensmitteln und Chemikalien sind vielfältig und lassen sich deshalb nicht in einer kurzen Antwort zusammenfassen. Darüber hinaus sind beim Vergleich der Regelungen auch noch das regulatorische Umfeld, die Umsetzung und die praktischen Auswirkungen zu berücksichtigen. Dadurch verbietet sich eine pauschale Gegenüberstellung. Ein sinnvoller Vergleich kann daher nur im Einzelfall und unter Berücksichtigung aller Umstände erfolgen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es geht mir in diesem Fall tatsächlich um die Frage des Vorsorgeprinzips. Müssen wir damit rechnen, dass künftig das Vorsorgeprinzip außer Kraft gesetzt wird, das für uns im gesamten Verbraucherschutz und in der Produktsicherheit eine wesentliche Rolle spielt?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Binder, aus Sicht der Bundesregierung müssen wir selbstverständlich nicht darauf verzichten. Wir können es auch geradezu nicht, weil ja das Vorsorgeprinzip die gesetzlichen Regeln auf nationaler, aber auch auf EU-Ebene durchzieht und eben der starke Unterbau ist, auf dem unsere gesetzlichen Regulierungen stehen. Diesen werden wir nicht aufgeben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diese nutze ich gern. - Mir geht es zum Beispiel um neuartige Lebensmittel. Wird es künftig erforderlich sein, dass die nationale oder auch die europäische Zulassungsbehörde wissenschaftlich nachweist, dass die Produkte schädlich sind, um die Nichtzulassung zu begründen, oder reicht auch künftig ein Verdacht bzw. gesundheitliche Bedenken aus, um ein neues Produkt abzulehnen?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Binder, es ist schon heute so, dass die EFSA als europäische Kontrollbehörde umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen vor der Neuzulassung von neuartigen Lebensmitteln, unter anderem auch im Bereich der gentechnisch veränderten Futter- oder Lebensmittel, durchführen muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann kommen wir zur Frage 3 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann: Wenn die Bundesregierung die EU-Lebensmittelstandards insbesondere hinsichtlich des Prinzips des vorbeugenden Verbraucherschutzes als im TTIP nicht verhandelbar ansieht, inwieweit setzt sie sich dann im Rat dafür ein, das Agrarkapitel aus dem Verhandlungsmandat auszuschließen? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Tackmann, die Bundesregierung setzt sich für ein umfassendes Abkommen unter Einschluss des Agrarsektors ein. Dies ergibt sich schon aus WTOrechtlichen Vorgaben und ist darüber hinaus auch im Interesse der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, für die freier Handel neue Exportchancen sowie Zugang zu benötigten Rohstoffen eröffnet. Die Wahrung der europäischen Lebensmittelstandards steht dazu nicht im Widerspruch. Auch die USA haben in gleicher Weise ein Interesse an freiem Handel bei Wahrung ihrer eigenen Lebensmittelstandards.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, wir haben diese Frage auch mit dem EU-Kommissar erörtert, und er sagte, dass, wenn es in Deutschland bezüglich der Sicherung des Vorsorgeprinzips und anderer Prinzipien der Lebensmittelsicherheit Bedenken gibt, der Agrarbereich sehr wohl aus dem Verhandlungsmandat herausgenommen werden kann. Es gibt - das haben Sie vielleicht heute im Ausschuss bemerkt - auch überfraktionell Bedenken gegen die Art und Weise, wie die Verhandlungen jetzt laufen, und ziemliche Übereinstimmung bezüglich der Gefahren, die wir darin sehen. Deswegen ist meine Frage: Wären Sie bereit, eine entsprechende Beschlussfassung des Agrarausschusses zur Kenntnis zu nehmen und sich gegebenenfalls, wenn sich die Risiken bewahrheiten, dafür einzusetzen, das vom Mandat auszunehmen?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Tackmann, selbstverständlich wird die Bundesregierung mit großem Interesse jedwede Beschlussfassung eines Ausschusses zur Kenntnis nehmen und in ihre politische Meinungsbildung mit einbeziehen. Dennoch ist es aus der Sicht meines Hauses aufgrund von WTO-Bestimmungen ausgeschlossen, einen gesamten Bereich wie zum Beispiel den Agrarsektor aus diesem Verfahren bzw. aus den Verhandlungen zum TTIP auszunehmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ein Problem ist, dass wir im Moment mit Vermutungen arbeiten. Sie vermuten, dass alles gut wird. Wir vermuten, dass das nicht der Fall sein wird. Deswegen frage ich Sie, ob es die Bereitschaft der Bundesregierung gibt, dafür zu sorgen, dass eine öffentliche Konsultation zum Fortgang der Verhandlungen insbesondere im Lebensmittelbereich bzw. im Agrarbereich eingeleitet wird.

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Tackmann, die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag längst umfangreiche Unterlagen zur Verfügung gestellt, damit der Deutsche Bundestag über den Stand der Verhandlungen auf dem Laufenden gehalten wird. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das müssen Sie an anderer Stelle miteinander weiter debattieren. Wir kommen zur Frage 4 der Kollegin Tackmann: Welche konkreten Verhandlungsangebote sind im EUVerhandlungsmandat im Agrar- und Lebensmittelkapitel enthalten, und welche positiven oder negativen Auswirkungen erwartet die Bundesregierung für die EU-Agrar- und -Lebensmittelwirtschaft aus den Verhandlungen?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin, nach dem Verhandlungsmandat strebt die EU danach, sämtliche Zölle im bilateralen Handel schrittweise zu beseitigen, wobei für die sensibelsten Produkte Ausnahmen vorgesehen werden können. Dies gilt für alle Produkte einschließlich der Agrargüter und Lebensmittel. Der Text des Verhandlungsmandats ist - ich sagte es bereits - den Mitgliedern des Deutschen Bundestags zur Verfügung gestellt worden. Bezüglich der positiven bzw. negativen Auswirkungen lässt sich sagen, dass hierzu Berechnungen des Thünen-Institutes aus dem Jahr 2012 vorliegen, basierend auf dem allgemeinen Gleichgewichtsmodell GTAP, mit dem eine vollständige Liberalisierung des Handels, das heißt der Abbau aller Zölle, zwischen der EU und den USA modelliert wurde. Auf dieser Basis werden für die Land- und Ernährungswirtschaft in der EU-27 aufgrund geringer Produktionswertänderungen im Modellfehlerbereich für primäre Agrarprodukte und für verarbeitete Nahrungsmittel - einmal minus 0,9 Prozent und einmal plus 0,3 Prozent - keine nennenswerten wirtschaftlichen Auswirkungen erwartet. Die Produktionsmengen für ausgewählte Produktgruppen primärer Agrarprodukte ändern sich bei der Simulation des vTI für die EU-27 wie folgt: Weizen minus 1,5 Prozent, andere Getreide minus 0,1 Prozent, Ölsaaten plus 0,6 Prozent, Zuckerrüben, Zucker, Obst und Gemüse sowie pflanzliche Fette 0 Prozent, andere Feldfrüchte minus 0,6 Prozent, Rindfleisch minus 0,2 Prozent, andere tierische Produkte wie Schweine und Geflügel minus 0,2 Prozent, Milch plus 0,2 Prozent, Milchprodukte plus 0,4 Prozent und weitere verarbeitete Nahrungsmittel minus 0,2 Prozent.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nun unterscheidet sich das Rechtsprinzip der USA von dem der EU an zwei entscheidenden Stellen: auf der einen Seite beim Vorsorgeprinzip und auf der anderen Seite bei der Haftungsregelung. Deswegen lautet meine Frage: Wie wollen Sie verhindern, dass es, wenn hier bestimmte Standards gehalten werden, Schadensersatzklagen von den Konzernen gibt, die aus einem anderen Rechtssystem kommen?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Tackmann, die Verhandlungen sind tatsächlich noch nicht an ihr Ende gekommen. Wir befinden uns sozusagen mittendrin. Wir werden die Verhandlungen auch hier im Deutschen Bundestag nicht im Detail führen können. Ihnen als Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages ist ja der Text des Verhandlungsmandates zur Verfügung gestellt worden. Auf dieser Grundlage werden wir weiter miteinander diskutieren können. Die Bundesregierung hat ein Interesse daran, dass das VerParl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth fahren transparent ist und dass selbstverständlich auch das Parlament immer wieder über den Stand der Verhandlungen in Kenntnis gesetzt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nun bedeutet Verhandlungsmandat ja, dass man ein Angebot machen muss. Deswegen lautet meine konkrete Nachfrage: Wie sieht zu gentechnisch veränderten Pflanzen und möglicherweise gentechnisch veränderten Tieren das Angebot der EU aus? An irgendeiner Stelle müssen Sie ja auch Ihre Standards in den Verhandlungen zur Disposition stellen. Sie können nicht einfach sagen: Wir machen all das so weiter, wie es die EU bisher gehandhabt hat, während sich die Amerikaner ändern müssen. Beide Seiten müssen doch aufeinander zugehen. Also konkret: Welches Verhandlungsangebot würden Sie bei der Agrogentechnik machen?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Tackmann, weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission werden für das Inverkehrbringen auf dem europäischen Markt von den Standards bezüglich Anbau und Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen abweichen. Wir werden diese Standards halten. Aber es ist eine andere Frage, wie man miteinander sozusagen zu einem verbesserten Dialog und zu einer verbesserten Zusammenarbeit zum Beispiel im Bereich der sanitären und phytosanitären Vorsorgemaßnahmen kommen kann. Neben dem Bereich Zölle - diesen habe ich bereits angesprochen - gibt es viele Bereiche, wo eine vertiefte Zusammenarbeit tatsächlich möglich ist und wo nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Vogler das Wort.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade in Ihrer Antwort an die Kollegin erwähnt, dass es die Möglichkeit geben soll, sensibelste Güter zu definieren, welche dann von den Vereinbarungen ausgeschlossen würden. Was sind nach Auffassung der Bundesregierung Beispiele für solche sensibelsten Güter, und nach welchen Kriterien legen die Bundesregierung bzw. die EU-Staaten gemeinsam fest, was sensible Güter in diesem Sinne sind?

Dr. Maria Flachsbarth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003527

Frau Kollegin Vogler, ich kann Ihnen Beispiele nennen. Das betrifft Tee, Milchprodukte und Fleisch. Über eine allgemeine Definition sensibler Güter verfüge ich im Moment leider nicht. Das kann ich Ihnen aber gerne nachreichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich sehe, dass dieses Angebot angenommen wird. Die Fragen 5 und 6 der Kollegin Höhn sollen schriftlich beantwortet werden. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe zur Verfügung. Wir kommen zu Frage 7 der Kollegin Katja Keul: Inwiefern wurde zum Zeitpunkt des Munitionsdiebstahls in der Bundeswehrkaserne in Seedorf am 7. Februar 2014 zur Sicherung der Liegenschaften der Kaserne privates Sicherheitspersonal eingesetzt, oder oblag die Sicherung der Anlagen allein Bundeswehrpersonal? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank. - Frau Kollegin, ich antworte Ihnen wie folgt: Die Kaserne Seedorf wurde im Jahr 2005 von den niederländischen Streitkräften übernommen und Ende 2006 durch Truppen der Luftlandebrigade 31 bezogen. Seit dem 2. Januar 2007 wird die Kaserne durch Soldatinnen und Soldaten der Luftlandebrigade 31 militärisch bewacht. Die Bewachung der Fallschirmjägerkaserne Seedorf unterlag auch am 7. Februar 2014 ausschließlich militärischem Personal.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Dieser Diebstahl ist ja relativ spektakulär. Es wurden nach Ihren Auskünften insgesamt 32 981 Patronen Handwaffenmunition verschiedener Kaliber gestohlen. Ein Munitionsdiebstahl in vergleichbarer Größenordnung kam bisher in der Bundeswehr nicht vor. Gibt es seit der Beantwortung vom 5. März neue Erkenntnisse? Sie wollten außerdem prüfen, ob sich die Sicherheit der Munitionslager erhöhen lässt. Gibt es irgendwelche Erkenntnisse aus diesem Prüfungsauftrag?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, die Ermittlungen dauern an. Ich kann Ihnen in Aktualisierung der von Ihnen genannten Zahlen mitteilen, dass nach bisherigen Erkenntnissen insgesamt 34 881 Patronen Handwaffenmunition verschiedener Kaliber aus zehn Munitionsbehältern innerhalb der Kaserne gestohlen wurden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da Sie nun beruhigenderweise mitgeteilt haben, dass es sich nicht um private Sicherheitskräfte handelt, frage ich mich dennoch: Wie konnte es sein, dass bei militärischer Bewachung morgens um 7 Uhr der Verlust einer Menge festgestellt wurde, die immerhin den Abtransport mindestens durch Lkws - es geht um Tonnen von Munition - erforderlich gemacht hätte? Gibt es dafür irgendeine Erklärung?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich kann nur wiederholen, dass dies Gegenstand laufender Ermittlungen ist. Uns ist gestern der folgende Vorfall gemeldet worden: Zwei Soldaten hatten am 7. Februar zwischen 2 Uhr und 6 Uhr ihren befohlenen Streifenweg verlassen und ihren Streifenauftrag nicht weisungsgemäß wahrgenommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 8 der Kollegin Inge Höger: Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den „besonderen Auftrag“ und das „besondere Waffensystem“ des Flottendienstbootes „Alster“ vor, den bzw. das das Boot nach Aussagen des stellvertretenden Kommandeurs Frederic Strauch hat, das nach Presseangaben ({0}) in Richtung südliches bzw. östliches Mittelmeer aufgebrochen ist?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich antworte Ihnen wie folgt: Mit den Aussagen „besonderer Auftrag“ und „besonderes Waffensystem“ wollte der stellvertretende Kommandeur den generell gegenüber anderen Schiffen der Marine einzigartigen Auftrag und somit die Charakteristik dieses Flottendienstbootes hervorheben. Es handelt sich um eine nationale Aufklärungsfahrt ins Mittelmeer, die der üblichen Routine entspricht, die in der vergangenen Legislaturperiode ausführlich im Verteidigungsausschuss erörtert wurde.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Es ist aber so gewesen, dass der Flottendienstbootkommandeur beim Auslaufen des Schiffes wirklich damit geprahlt hat, dass er einen besonderen Auftrag habe und sich auch ein besonderes Waffensystem an Bord befinde. Von daher befriedigt mich Ihre Frage nicht vollständig. Fährt dieses Schiff ins Mittelmeer? Fährt es weiter ins Schwarze Meer? Wir haben da im Moment eine ziemliche Konfliktsituation. Wenn vor diesem Hintergrund ein Spionageboot ausläuft, müssen Sie schon ein bisschen mehr dazu sagen.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich habe Ihnen keine Frage gestellt, sondern eine Antwort gegeben. Von daher konnte Sie meine Frage natürlich nicht befriedigen, weil ich Ihnen gar keine gestellt habe. Zur Sache will ich auf Folgendes hinweisen: Diese Äußerung ist anlässlich einer Verabschiedung von Soldatinnen und Soldaten für einen monatelangen Einsatz erfolgt, und zwar nicht nur vor den Soldatinnen und Soldaten, sondern auch vor deren Angehörigen. Dass da auch deutlich gemacht wird, dass dies ein sinnvoller und wichtiger Einsatz ist, halte ich für verständlich. Ich kann Ihnen ansonsten sagen: Die Entwicklungen in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten sind aufgrund ihrer Nähe zu Europa und ihren möglichen Auswirkungen auch auf die Bundesrepublik Deutschland weiter von hoher Bedeutung. Die Flottendienstboote tragen mit ihren Aufklärungsergebnissen wie in den vergangenen Jahren zu einem unabhängigen nationalen Gesamtlagebild bei. Es geht darum, dass die „Alster“ in entsprechende internationale Gewässer ins Mittelmeer fährt. Das ist ihr Auftrag.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dieses Flottendienstboot sammelt ja in großem Ausmaß Daten. Sie haben gesagt, es gehe darum, ein Lagebild zu schaffen. Das heißt also, es werden Daten gesammelt. An wen werden diese Daten übermittelt?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich habe bereits gesagt, dass es um einen nationalen Auftrag geht. Es ist eine nationale Aufklärungsfahrt ins Mittelmeer. Das heißt, wir sammeln Daten, die für uns aus unserer Sicht wichtig sind, in internationalen Gewässern, außerhalb der Hoheitsgewässer von Anrainerstaaten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 9 der Kollegin Höger: Welche Informationen hat die Bundesregierung bezüglich eines Luftangriffs der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, ISAF, bei dem nach Angaben der afghanischen Regierung am 6. März 2014 in der Provinz Logar fünf afghanische Soldaten im Verlauf eines US-Drohnenangriffs getötet wurden ({0}), und erwägt die Bundesregierung infolge dieses Vorfalls und ähnlicher Vorfälle, die Forderung nach einem Ende des Einsatzes von Kampfdrohnen zu unterstützen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich antworte Ihnen wie folgt: Verschiedenen Pressemitteilungen zufolge sind am 6. März 2014 bei einem ISAF-Luftangriff im Regionalkommando Ost fünf afghanische Soldaten gefallen und zehn weitere verwundet worden. ISAF bestätigte den Vorfall und drückte ihr Bedauern aus. Nach Kenntnis der Bundesregierung dauern die Untersuchungen zu diesem tragischen Vorfall noch an. Erste Pressemitteilungen, wonach dieser Beschuss durch ein unbemanntes US-amerikanisches Luftfahrzeug erfolgte, sind nicht zutreffend. Nach hier vorliegenden bisherigen Informationen fand in den frühen Morgenstunden des 6. März 2014 eine Spezialkräfteoperation der afghanischen Armee mit Unterstützung durch USamerikanische Kräfte und Hubschrauber in der Provinz Logar statt. Dabei wurde eine Gruppe von bewaffneten Personen auf einem Bergrücken aufgeklärt. Mehrere Nachfragen der US-amerikanischen Hubschrauberbesatzungen, ob sich eigene Kräfte auf dieser Position befinden, wurden auch von der afghanischen Seite verneint. Daraufhin eröffnete der Pilot eines US-amerikanischen Hubschraubers das Feuer gemäß den Einsatzvorschriften gegen die zu diesem Zeitpunkt vermeintlich regierungsfeindlichen Kräfte. Die afghanische Armee gab kurz darauf an, dass ein eigener Posten bzw. eigene Kräfte durch den Hubschrauber beschossen wurden. Einer späteren Meldung zufolge sind dabei fünf afghanische Soldaten gefallen und zehn weitere verwundet worden. Nach gemeinsamem Verständnis der afghanischen Armeeführung und von ISAF wurden die afghanischen Soldaten bedauerlicherweise versehentlich beschossen. Den Gefallenen und Verwundeten sowie ihren Angehörigen gilt unser Mitgefühl.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Höger, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie können also wirklich ausschließen, dass es sich um einen Drohnenangriff gehandelt hat? Die Medienberichte lauten ja anders.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zweite Nachfrage.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Haben Sie einen Überblick darüber, wie viele Todesopfer es unter Zivilisten, afghanischen Soldaten und afghanischen Polizisten bei Auseinandersetzungen in Afghanistan in diesem Jahr gab?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich weiß jetzt nicht, ob sich Ihre Frage auf sogenannte Drohnenangriffe bezieht. Ich beziehe sie jetzt einmal darauf. Ich denke, Sie wissen, dass die Bundeswehr nicht über bewaffnete Drohnen verfügt. Insofern hat eine unmittelbare Beteiligung der Bundeswehr an deren Einsätzen im Rahmen von ISAF nicht stattgefunden. Wie bereits in der Unterrichtung des Parlaments über die Auslandseinsätze der Bundeswehr 11/12 vom 14. März 2012 mitgeteilt, liegen den deutschen Stellen unverändert keine Informationen über Anzahl oder Ziele von Drohneneinsätzen anderer Nationen in Afghanistan vor. Diese werden zentral für den gesamten ISAF-Einsatz durch das ISAF Joint Command gesteuert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir bleiben beim Thema. Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Angesichts der Meldung über zahlreiche durch einen USDrohneneinsatz der ISAF-Streitkräfte in Afghanistan getötete und verwundete Menschen ({0}) frage ich, welche Erkenntnisse die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden für die Zeit seit Anfang 2013 über Drohnen- und Kommandoeinsätze mit Getöteten oder Verwundeten und über eine deutsche Beteiligung daran, insbesondere im Norden des Landes, wo die Bundeswehr die Verantwortung trägt ({1}), haben, und warum wird die Operation ISAF mit vielen afghanischen Opfern im Jahr des Abzuges der NATO aus Afghanistan fortgesetzt, obwohl dadurch vor Ende dieses NATO-Einsatzes zusätzlich Gewalt und Hass in der Bevölkerung geschürt werden und die Regierung von Hamid Karzai immer wieder dagegen protestiert hat? Bitte, Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Ströbele, ich antworte Ihnen zum gleichen Sachverhalt wie folgt: Zu dem in der Fragestellung aufgeführten Luftschlag im Regionalkommando Ost mit fünf gefallenen und zehn verwundeten afghanischen Soldaten sind erste Pressemeldungen, wonach der Beschuss durch ein unbemanntes US-amerikanisches Luftfahrzeug erfolgte, nicht zutreffend. Im Rahmen einer Spezialkräfteoperation der afghanischen Armee mit Unterstützung durch US-amerikanische Kräfte und Hubschrauber in der Provinz Logar kam es zu einem tragischen Zwischenfall, bei dem durch den Einsatz eines US-amerikanischen Hubschraubers fünf afghanische Soldaten fielen und zehn verwundet wurden. Nach gemeinsamem Verständnis der afghanischen Armeeführung und von ISAF wurden die afghanischen Soldaten bedauerlicherweise versehentlich beschossen. Nach Kenntnis der Bundesregierung dauern die Untersuchungen zu diesem tragischen Vorfall noch an. Den Gefallenen und Verwundeten sowie ihren Angehörigen gilt unser Mitgefühl. Auf die Frage nach Anzahl, Ort und Opferzahlen bei sogenannten Drohnen- und Kommandoeinsätzen insbesondere im Norden Afghanistans nehme ich wie folgt Stellung: Die Bundeswehr verfügt nicht über bewaffnete Drohnen. Insofern hat eine unmittelbare Beteiligung der Bundeswehr an deren Einsätzen im Rahmen von ISAF nicht stattgefunden. Wie bereits in der Unterrichtung des Parlamentes über die Auslandseinsätze der Bundeswehr 11/12 vom 14. März 2012 mitgeteilt, liegen den deutschen Stellen unverändert keine Informationen über Anzahl oder Ziele von Drohneneinsätzen anderer Nationen in Afghanistan vor. Diese werden zentral für den gesamten ISAF-Einsatz durch das ISAF Joint Command gesteuert. Zum Einsatz der Spezialkräfte der Bundeswehr wird auf die regelmäßig durchgeführten Unterrichtungen der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden sowie der Obleute des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages verwiesen. Letztmals erfolgte diese am 14. Februar 2014. ISAF basiert auf den entsprechenden Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Die Menschen in Afghanistan und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan haben bereits viel Positives erreicht. Wie aber auch der jüngste Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Afghanistan vom Januar 2014 aufzeigt, stellen die landesweiten Bedrohungspotenziale unverändert eine ernstzunehmende Herausforderung für die afghanischen Sicherheitskräfte dar. Es darf deshalb nicht verkannt werden, dass die gemeinschaftlichen Anstrengungen bis zum Abschluss der Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanischen Sicherheitskräfte fortgesetzt werden müssen, um das bisher Erreichte zu verstetigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich bin über Ihre Antwort doch sehr enttäuscht. Zuerst haben Sie nur das vorgelesen, was Sie der Kollegin schon vorgelesen haben. Dann haben Sie allgemeine Ausführungen gemacht und auf Unterrichtungen an anderer Stelle hingewiesen. Ich habe Sie doch klar gefragt, wie viele Drohnen- bzw. Kommandoeinsätze mit wie vielen Toten und Verletzten es im Verantwortungsbereich der Bundeswehr und nicht allgemein in Afghanistan im Jahr 2013 und in den ersten Monaten des Jahres 2014 gab. Das war eine klare Frage. Wo steht - ob Sie es schon woanders mitgeteilt haben, kann ich ja nicht wissen -, dass Sie mir die Frage nicht beantworten wollen und dürfen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege, ich will und darf Ihre Frage beantworten. Ich habe sie beantwortet. Ich bitte um Verständnis, wenn Sie mit der Antwort nicht zufrieden sind. Ich bitte auch um Verständnis dafür, dass, wenn zwei nahezu gleiche Fragen gestellt werden, die Antworten naheliegenderweise ziemlich ähnlich sind. Ich wiederhole gerne auch ein drittes Mal, dass den deutschen Stellen unverändert keine Informationen darüber vorliegen, wonach Sie im Zusammenhang mit Drohneneinsätzen fragen. Und ich wiederhole noch einmal, dass die Bundeswehr nicht über bewaffnete Drohnen verfügt und dementsprechend auch nicht an solchen Einsätzen beteiligt ist. Da Sie in Ihrer Frage auch angesprochen haben, dass die afghanische Regierung immer wieder gegen das, was dort geschieht, protestiert, füge ich noch einmal sehr deutlich hinzu und weise Sie darauf hin, dass die Sicherheitsverantwortung für diese Einsätze in fünf Tranchen an die afghanischen Streitkräfte übergegangen ist; die letzte Tranche im letzten Sommer. Das heißt, Einsätze wie diese, über die wir hier reden und nach denen Sie gefragt haben, erfolgen inzwischen unter afghanischer Führung und Verantwortung, nicht unter Protest der afghanischen Regierung, sondern unter ihrer Führung und Verantwortung. Lediglich im Osten und Süden des Landes erfolgen sie aufgrund der besonderen Sicherheitslage mit US-Unterstützung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zu dem zweiten Teil meiner Frage haben Sie nur ganz allgemeine Ausführungen gemacht. Ich frage Sie ganz konkret, wieso bei einem Abzugsmandat nun weiterhin gezielte Tötungen, sei es durch Kommandoeinheiten oder durch Drohnen, stattfinden. Wie wird dies gerechtfertigt? Steht dahinter der Gedanke, noch möglichst viele Taliban oder andere Aufständische zu töten, bevor man abzieht? Oder warum wird das weiter so gehandhabt wie bisher, trotz der Ankündigung, dass man abziehen möchte?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Ströbele, mein Amt verbietet mir, diese Frage zu kommentieren. Dies verkneife ich mir jetzt mit Mühe. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Das ISAF-Mandat ist verlängert worden bis zum Ende dieses Jahres. Es ist vollumfänglich gültig bis zum Ende dieses Jahres. Es ist das gemeinsame Ziel derer, die dort entsprechend mandatiert ihre Arbeit tun, zumindest eine ausreichend kontrollierbare Sicherheitslage in Afghanistan herzustellen. Dies erfordert in ganz besonderen Situationen und in ganz bestimmten Regionen auch diese Einsätze, die unter afghanischer Verantwortung stattgefunden haben und gegebenenfalls auch in Zukunft stattfinden. Die Unterstellung, dass irgendwer, der dort mit entsprechendem Mandat tätig ist, die verbleibende Zeit dieses Mandates nutzen will, um möglichst viele Menschen zu töten, weise ich in aller Entschiedenheit zurück. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Höger das Wort.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im Koalitionsvertrag haben Sie niedergeschrieben, dass Sie extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen kategorisch ablehnen. Bedeutet das auch, dass Sie den USA in Zukunft keine Informationen mehr über Drohnenziele liefern werden?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin Höger, selbst der Kollege Ströbele hat eingeräumt, dass es hier ein völkerrechtliches Mandat gibt. Er hat in diesem Zusammenhang von einem „Abzugsmandat“ gesprochen. Ich habe davon gesprochen, dass das ISAF-Mandat fortgesetzt wird. Es geht hier nicht um extralegale Tötungen, sondern um einen Einsatz, der unter afghanischer Führung und Verantwortung aus gegebenem Anlass zu diesem Zeitpunkt in dieser Region stattgefunden hat. Dies ist eine Region mit einer - zumindest umgangssprachlich gesprochen - sehr schwierigen Sicherheitslage. Es sind dort entsprechende Kräfte aufgeklärt worden, bei denen man zum Zeitpunkt dieses Einsatzes davon ausging, dass es regierungsfeindliche Kräfte sind. Das heißt nicht, dass es sich hier um eine extralegale Tötung handelt. ({0}) Insofern geht Ihre Frage von falschen Voraussetzungen aus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Keul das Wort.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, ich war jetzt doch etwas überrascht: Bei der Beantwortung der Frage des Kollegen Ströbele haben Sie gesagt: Die Drohnenangriffe - darum ging es ja in der Frage - finden ausschließlich unter Kommando und in Verantwortung der Afghanen statt. Jetzt habe ich, wenn ich bedenke, wie die Abläufe bei Drohnenangriffen sind, doch etwas Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass die Amerikaner den afghanischen Streitkräften ihre Drohnen überlassen, zumal der Einsatz von Drohnen zu Angriffszwecken zentral und, wie wir wissen, teilweise aus Washington von höchster Stelle abgesegnet wird. Können Sie mir erklären, wie die afghanischen Sicherheitskräfte die volle Verantwortung und das Kommando über amerikanische Drohneneinsätze haben sollen? ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin, ich wiederhole noch einmal, dass der Prozess der Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanischen Sicherheitskräfte seit Mitte 2010 in fünf Phasen erfolgte und dass im Rahmen der letzten Übernahmephase, der fünften Tranche, im Sommer 2013 insbesondere Räume in den traditionellen Hochburgen der regierungsfeindlichen Kräfte im Osten und Süden des Landes berücksichtigt wurden. ({0}) Ich bin davon ausgegangen, dass bekannt ist, dass das Ziel des ISAF-Mandates darin besteht, dass es zu einer Übertragung der entsprechenden Verantwortung auf die afghanischen Sicherheitskräfte kommt. Das bezieht sich nicht nur, aber auch auf Einsätze wie diejenigen, über die wir hier sprechen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Fragen 11 und 12 der Kollegin Buchholz sollen schriftlich beantwortet werden. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Danke, Herr Staatssekretär. Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Möhring zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz zur Verfügung. Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Maria KleinSchmeink auf: Wie schätzt die Bundesregierung die Entwicklung der Ausgaben- und Einnahmesituation sowie die Zusatzbeitragssatzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung jeweils in den Jahren 2014 bis 2017 vor dem Hintergrund der geplanten Kürzung des Bundeszuschusses ein, und wann wird nach Schätzung der Bundesregierung die Liquiditätsreserve aufgebraucht sein? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Klein-Schmeink, die gesetzliche Krankenversicherung steht auf einem soliden finanziellen Fundament. Zum Ende des Jahres 2013 verfügte die gesetzliche Krankenversicherung über Finanzreserven in Höhe von insgesamt rund 30 Milliarden Euro, davon rund 16,7 Milliarden Euro bei den Krankenkassen und rund 13,6 Milliarden Euro beim Gesundheitsfonds. Auch im Jahr 2014 werden die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Krankenkassen ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben zu decken. Eine aktualisierte Schätzung der Einnahmen und Ausgaben des Jahres 2014 und eine erstmalige Schätzung der Finanzent1464 wicklung sowie des durchschnittlichen Zusatzbeitrags auf der Basis der für das Jahr 2015 vorgesehenen GKVFinanzierungsstruktur wird der GKV-Schätzerkreis im Oktober 2014 vornehmen. Die im Haushaltsentwurf und im Haushaltsbegleitgesetz vorgesehenen Kürzungen des Bundeszuschusses haben in den Jahren 2014 und 2015 keine Auswirkungen auf die Zusatzbeiträge der Krankenkassen, da entsprechende Entnahmen aus der Liquiditätsreserve vorgesehen sind. Ab dem Jahr 2017 wird der Bundeszuschuss auf 14,5 Milliarden Euro erhöht. Damit stehen dem Gesundheitsfonds und den Kassen höhere Einnahmen zur Verfügung. Dies kann sich positiv auf die Zusatzbeiträge der Krankenversicherten auswirken. Es gibt darüber hinaus auch keinen Grund zu der Annahme, dass die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds aufgebraucht wird. Vielmehr bleibt die gesetzliche Mindestreserve von 20 Prozent einer Monatsausgabe bestehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Nachfrage.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vor dem Hintergrund Ihrer Antwort habe ich eine Nachfrage: Ab wann rechnet die Bundesregierung mit Zusatzbeitragssätzen über der bisherigen Mehrbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von 0,9 Prozent?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Klein-Schmeink, ich habe gerade ausgeführt, dass die Schätzungen zur künftigen Beitragssatzentwicklung im Oktober dieses Jahres vom Schätzerkreis vorgenommen werden, insbesondere was die Einnahme- und die Ausgabenentwicklung und damit auch den Finanzbedarf, der über den allgemeinen Beitragssatz hinausgeht, anbelangt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Klein-Schmeink, bitte.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine weitere Nachfrage: Es gibt sehr viele Experten, die davon sprechen, dass es bis 2017 zu einem Zusatzbeitragssatz von mindestens 0,9 bis 1,5 Prozent kommen wird. Wie schätzen Sie diese Zahlen ein?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Wir gehen zunächst einmal davon aus, dass durch die Umstellung der GKV-Finanzierungsstruktur ab dem nächsten Jahr viele Versicherte von dem neuen Zusatzbeitrag profitieren können und geringere Kosten haben werden. Wir gehen davon aus, dass 20 Millionen Versicherte davon profitieren können. Wir gehen außerdem davon aus, dass eine größere Anzahl von Kassen unter dem Zusatzbeitragssatz von 0,9 Prozent liegen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Vogler hat eine Zusatzfrage.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, ich muss einmal nachfragen: Sie haben vor, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Finanzierung neu regelt. Dies soll zum 1. Januar 2015 in Kraft treten, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Sie erklären uns hier nun aber, dass Sie die Datenbasis, die notwendig ist, um die Auswirkungen wirklich beurteilen zu können, eigentlich erst im Oktober dieses Jahres bekommen. Gleichzeitig versprechen Sie den Menschen hier, dass bis zu 20 Millionen Versicherte demnächst niedrigere Kassenbeiträge bezahlen müssen. Wie geht das zusammen? Das scheint mir höhere Mathematik zu sein. Das ist ein bisschen wie Stochern im Nebel. Sie scheinen sich das herauszusuchen, was zu Ihren Plänen am besten passt. So richtig Hand und Fuß hat das nicht.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Vogler, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir derzeit die vorläufigen Finanzergebnisse des Jahres 2013 vorliegen haben. Die entsprechenden Zahlen habe ich bei der Beantwortung der ersten Frage von Kollegin Klein-Schmeink genannt. Wenn wir uns die Finanzergebnisse der Krankenkassen für das letzte Jahr anschauen, dann können wir daraus schließen, dass entsprechende Rücklagen bei den Krankenkassen vorhanden sind; dabei stützen wir uns auch auf die Abschätzungen der Kassen selbst. Deshalb können wir auch davon ausgehen, dass bei einem Volumen von über 16,7 Milliarden Euro - das habe ich bereits erwähnt eine erhebliche Anzahl der Krankenkassen eine derart gute Finanzausstattung hat, dass sie nicht nur wie im Moment in der Lage sind, zum Teil erhebliche Prämienausschüttungen zu leisten, sondern im kommenden Jahr auch in der Lage sein werden, einen niedrigeren kassenindividuellen Zusatzbeitrag als den derzeitigen Arbeitnehmersonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent zu verlangen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Weinberg das Wort.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, ich möchte an dieser Stelle nachfragen: Trifft es zu, dass im Referentenentwurf, der zum GKV-Finanzierungsgesetz vorliegt, durch den Wegfall von 0,9 Prozent bei den Einnahmen zumindest rechnerisch eine Unterdeckung von 11 Milliarden Euro angenommen wird?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Durch die Einführung eines Zusatzbeitrags und die Absenkung des allgemeinen durchschnittlichen Beitrags auf 14,6 Beitragspunkte fehlt der gesetzlichen Krankenversicherung ein Volumen in Höhe von entsprechend 0,9 Beitragssatzpunkten. Das muss ausgeglichen werden. Das ist die Umstellung auf das neue System. Die genauen Beträge kann ich Ihnen, solange die konkreten Schätzungen nicht vorliegen, nicht bestätigen. Aber wir gehen von einer entsprechenden Größenordnung aus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Klein-Schmeink auf: Wird die Bundesregierung im Rahmen des Entwurfs eines GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetzes festlegen, dass die 6 Milliarden Euro, die beim Bundeszuschuss zur Sanierung des Bundeshaushalts gekürzt werden, den Einnahmen des Gesundheitsfonds aus der Liquiditätsreserve zugeführt werden, wie dies bei der Abschaffung der Praxisgebühr auch verbindlich geregelt wurde, oder wie will sie sonst sicherstellen, dass der gesetzlichen Krankenversicherung, wie vom Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe, zugesagt, auch in den Jahren 2014 und 2015 14 Milliarden Euro aus den Fondsreserven zur Verfügung stehen? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin, die Entwicklung und die konkrete Höhe des Bundeszuschusses werden mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2014 und nicht mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz geregelt. Im Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 2014, der heute vom Kabinett beschlossen worden ist, ist vorgesehen, dass der Bund zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen 10,5 Milliarden Euro für das Jahr 2014, 11,5 Milliarden Euro für das Jahr 2015, 14 Milliarden Euro für das Jahr 2016 und ab dem Jahr 2017 jährlich 14,5 Milliarden Euro in monatlich zum ersten Bankarbeitstag zu überweisenden Teilbeträgen an den Gesundheitsfonds leistet. Die vorübergehende Absenkung des Bundeszuschusses in den Jahren 2014 und 2015 ist aufgrund der weiterhin positiven Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung und der bis Ende 2013 aufgebauten Liquiditätsreserve möglich. Dadurch wird abermals ein erheblicher Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes geleistet. Die Mindereinnahmen können in beiden Jahren durch entsprechende Entnahmen aus der Liquiditätsreserve ausgeglichen werden. Diese Entnahme aus der Liquiditätsreserve ist auch im Haushaltsbegleitgesetz geregelt. Die Zuweisungen an die Krankenkassen und die Versorgung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung werden dadurch nicht berührt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mit mir überein, dass im Rahmen der Kürzungen insgesamt 6 Milliarden Euro entnommen werden und diese eben nicht wieder vollständig, also im gesamten Umfang, bereitgestellt werden und es damit eher als zuvor dazu kommt, dass die Rücklagen aufgebraucht sein werden und wir eine Erhöhung der Zusatzbeitragssätze zu verzeichnen haben werden?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Klein-Schmeink, ich stimme Ihrer Aussage so nicht zu. Sie haben heute Vormittag im Rahmen der Ausschusssitzung die Erhöhung der Zuführung von Bundesmitteln an den Gesundheitsfonds ab dem Jahr 2017, also den Ausgleich auf der zeitlichen Schiene, sogar als einen löblichen Akt bezeichnet, wenn ich mich recht entsinne. ({0}) Ich kann mich der Einschätzung in Ihrer Frage nicht anschließen. Im Gegenteil: Die Entnahmen gehen nicht zulasten der Versicherten, sondern sie werden den Krankenkassen aus der Finanzreserve wiederum zur Verfügung gestellt. Dieser Betrag wird ab dem Jahr 2015 wieder schrittweise ausgeglichen. Dies haben wir gesetzgeberisch zum ersten Mal im Haushaltsbegleitgesetz festgelegt. Das ist eine gute Praxis, die im Hinblick auf den Gesundheitsfonds Schule machen sollte. Das heißt, wenn etwas entnommen wurde, dann wird es auch wieder zurückgeführt. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen der Gesundheitsfonds aufgrund einer Konjunkturkrise Zuschüsse aus Bundesmitteln zur Abfederung entsprechender Risiken erhalten hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einmal nachfragen: Handelt es sich um eine vollständige Kompensation oder nur um eine teilweise erfolgende Kompensation? Das habe ich in der Tat heute Morgen als einen ersten kleinen Schritt positiv vermerkt. Aber es handelt sich, wie gesagt, nur um einen kleinen Schritt und eben nicht um eine vollständige Kompensation.

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Frau Kollegin Klein-Schmeink, die Bundesregierung und insbesondere auch der Bundesgesundheitsminister streben sicherlich gerne eine längere Amtszeit als diese Legislaturperiode an. Da wir aber nur für diese Legislaturperiode Gesetze planen können, ist der jetzt vorgesehene Einstieg in diesem Bereich sicherlich sehr hilfreich und, wie Sie selbst gesagt haben, sehr löblich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Weinberg das Wort.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Bundeszuschussmittel sind Steuermittel. Sie sollten eigentlich dazu dienen, versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren, zum Beispiel die Mitversicherung von Familienangehörigen und Ähnliches. Jetzt wird der Bundeszuschuss um den Betrag, den Sie genannt haben, gesenkt. Der Ausgleich erfolgt aus der Liquiditätsreserve. Trifft meine Einschätzung zu, dass etwas, was eigentlich aus Steuermitteln zu finanzieren wäre, in Zukunft de facto aus Versicherungsbeiträgen finanziert wird?

Annette Widmann-Mauz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003259

Sehr geehrter Herr Kollege Weinberg, zunächst einmal will ich noch einmal deutlich machen, dass es ein Bundeszuschuss und keine Spitzabrechnung für versicherungsfremde Leistungen ist. Sie erinnern sich sicherlich gerne mit mir an das Jahr 2008, als der Bundeszuschuss gerade einmal 2,5 Milliarden Euro betragen hat. Deshalb ist die Perspektive - 14,5 Milliarden Euro ab dem Jahr 2017 - sehr positiv. Das zeugt von einer guten Entwicklung, die wir in Angriff genommen haben. Noch einmal weise ich darauf hin, dass die Zuführung aus der Liquiditätsreserve eine Maßnahme ist, die nicht zulasten der Versicherten geht; denn dies ist ein Mittelzufluss, der zur Deckung der Ausgaben benötigt wird. Damit wird der Zufluss an den Bundeshaushalt komplett kompensiert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Dr. Valerie Wilms auf: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem am 28. Februar 2014 vorgelegten Untersuchungsbericht 255/12 der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung zum sehr schweren Seeunfall des Containerschiffes „MSC Flaminia“, und welche bestehenden bzw. zu schließenden Lücken sieht sie in der europäischen Gesetzgebung? Bitte, Herr Staatssekretär.

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin, ich beantworte Ihre Frage gerne wie folgt: Die Bundesregierung wird den 181-seitigen Untersuchungsbericht sorgfältig auswerten und sodann dem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur des Deutschen Bundestages berichten, welche Folgerungen aus dem Bericht zu ziehen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist interessant, Herr Kollege Staatssekretär: Sie wollen das also irgendwann einmal auswerten. Ich glaube, eine etwas präzisere Antwort auf meine Frage wäre schon heute möglich gewesen. Insofern die Nachfrage: Inwieweit wird die Bundesregierung auf die Europäische Kommission einwirken, das EU-Nothafenkonzept in dem Sinne anzupassen, dass havarierte Schiffe grundsätzlich vom nächstgelegenen Nothafen aufgenommen werden?

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Frau Kollegin, ich weise darauf hin, dass uns der Bericht erst am 28. Februar 2014 zugegangen ist. Daher konnte der Bericht nicht in allen Einzelheiten ausgewertet und umgesetzt werden. Es geht dabei um komplizierteste Vorgänge im Rahmen des EU-Rechts, aber natürlich auch der IMO und anderer mehr. Die Schlussfolgerung, die Sie erwarten, kann eine mögliche Konsequenz des Berichts sein, muss es aber nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich würde die Möglichkeit zur zweiten Nachfrage gerne nutzen: Welche europäische oder nationale Institution wäre denn nach Ansicht der Bundesregierung geeignet, zukünftig einen Nothafen zuzuweisen? Können Sie sich vorstellen, dass das eine Aufgabe für die EMSA ist?

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Frau Kollegin, man kann sicherlich an die EMSA denken. Man kann sich auch vieles andere denken. Das, was wir vorschlagen, werden Sie unserem Bericht entnehmen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Peter Meiwald, die Fragen 24 und 25 des Kollegen Christian Kühn und die Fragen 26 und 27 der Kollegin Annalena Baerbock werden schriftlich beantwortet. Ebenso wird die Frage 28 des Kollegen Niema Movassat zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries zur Verfügung. Vizepräsidentin Petra Pau Die Frage 29 des Kollegen Dr. André Hahn wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Manfred Grund auf: Besitzt die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA, künftig Kunststoffrecyclingunternehmen von der Befreiung zur Zahlung der EEG-Umlage auszuschließen plant ({0}), und wenn ja, wie bewertet sie die Folgen für die deutschen Recyclingunternehmen mit ihren mehr als 100 000 Beschäftigten? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Kollege Grund, mit der EEG-Novelle 2012, die erstmals im Antragsjahr 2012 für die Begrenzung der EEG-Umlage in 2013 galt, wurde die Antragsbefugnis von Unternehmen des produzierenden Gewerbes bei der besonderen Ausgleichsregelung eingeschränkt. Nach geltender Rechtslage können nur Unternehmen privilegiert werden, die in entsprechender Anwendung den Abschnitten B und C angehören. Das ist einmal „Bergbau, Gewinnung von Steinen und Erden“ und zum anderen „Verarbeitendes Gewerbe“. Recyclingunternehmen, nach denen Sie fragen, sind in Abschnitt E „Sammlung, Behandlung und Beseitigung von Abfällen; Rückgewinnung“ eingestuft und somit grundsätzlich nicht anspruchsberechtigt. Trotz dieser Neuregelung hatte das BAFA die beantragte Begrenzung für das Jahr 2013 einigen Recyclingunternehmen erteilt, die ihre Umsätze hauptsächlich aus dem Verkauf der hergestellten Recyclingprodukte erzielten, die auf dem Markt wie aus Primärrohstoffen hergestellte Produkte vertrieben wurden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle hat somit diese Unternehmen dem verarbeitenden Gewerbe im Verwaltungsvollzug gleichgestellt. Für das Jahr 2014 hat das BAFA seine Verwaltungspraxis geändert. Grund dafür ist, dass nicht die Umsätze des Unternehmens entscheidend für die Einstufung sind, sondern die ausgeübte Tätigkeit. In der Folge wurden Anträge von Recyclingunternehmen abgelehnt, die aufgrund dessen nicht Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes gleichgestellt werden können. Die Bescheide für 2013 bleiben davon unberührt. Aufgrund des laufenden Beihilfeverfahrens der EUKommission gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die besondere Ausgleichsregelung darf das BAFA jedoch ohnehin zurzeit keine positiven Bescheide für das Begrenzungsjahr 2014 erlassen. Die insgesamt zu erwartenden Mehrkosten können insbesondere kleine und mittlere Recyclingunternehmen finanziell belasten. Die Bundesregierung wird diese Auswirkung im Rahmen der anstehenden EEG-Novelle prüfen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Das bedeutet ja, dass sich die Verwaltungspraxis grundlegend geändert hat und dass Unternehmen, die bisher dem produzierenden Bereich zugeordnet waren, aus diesem Bereich herausgenommen worden sind, und zwar Unternehmen in der Branche Kunststoffrecycling, in der Kreislaufwirtschaft; Stichwort CO2-Reduktion. Ich finde es äußerst problematisch, diese Branche, die auch in einem internationalen Wettbewerb steht, derart zu belasten. Sie sagen, dass Sie die daraus resultierenden Belastungen im Auge behalten werden. Ich weise darauf hin, dass Zahlen vorliegen, die zeigen, dass erstens 100 000 Arbeitnehmer davon betroffen sind und dass zweitens gerade kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten in einer Weise belastet werden könnten, die über den Gewinn hinausgeht, sodass es an die Substanz der Unternehmen geht und damit Betriebe und Arbeitsplätze massiv gefährdet werden. Hat die Bundesregierung diesen Gesichtspunkt ausreichend im Blick?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Kollege, ich denke, nicht zuletzt Ihre Frage wird dazu führen, dass wir das ausreichend im Blick haben. Wir sind im Moment dabei, mit der EU-Kommission darüber zu verhandeln, dass die Kunststoffrecycler zukünftig von der besonderen Ausgleichsregelung profitieren können. Wir sehen das. Wenn Sie noch Material haben, das unsere gemeinsame Position stützen kann, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie es dem Hause überlassen würden. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie verzichten auf die zweite Frage? - Ja. Aber der Kollege Meiwald hat eine Nachfrage.

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für diese Möglichkeit. - Wir als Grüne sind nicht verdächtig, einer Ausweitung der Befreiung von der EEG-Umlage das Wort zu reden. In der Tat führt die Situation, die jetzt durch diese Veränderung der Verwaltungsarbeit eingetreten ist, zu einer Wettbewerbsverzerrung, die den Vorstellungen eines Ausbaus der Kreislaufwirtschaft mit all ihren ökologischen Vorzügen eindeutig entgegensteht. Deswegen konkret die Frage: Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um dieser Fehlsteuerung entgegenzuwirken, sowohl im ökonomischen als auch im ökologischen Bereich? Das Thema Arbeitsplätze hat der Kollege gerade schon angesprochen. Vielen Dank.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Kollege, ich hatte gerade schon gesagt, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Verhandlungen mit der Europäischen Kommission ist mit dem Ziel, dass die Kunststoffrecycler zukünftig von den besonderen Ausgleichsregelungen profitieren können. Wir haben diese Unternehmen bei der Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Blick. Wenn Sie noch weitere Gesichtspunkte haben, sind auch diese sehr willkommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. - Die Fragen 31 und 32 des Kollegen Krischer sollen schriftlich beantwortet werden. Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Ralph Lenkert auf: Wie hoch belaufen sich die bereits angefallenen Verfahrenskosten im ICSID-Schiedsgerichtsverfahren Vattenfall gegen Deutschland für die Bundesregierung ({0}), und mit welchen zukünftigen Verfahrenskosten rechnet die Bundesregierung ({1})? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Kollege Lenkert, im Zusammenhang mit dem anhängigen ICSID-Schiedsverfahren von Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland wurden bisher, bis zum 7. März 2014, Mittel in Höhe von 695 796,89 Euro für Prozess- und Mandatskosten verausgabt. Im ersten Regierungsentwurf zum Bundeshaushaltsplan 2014 ist ein Titelansatz in Höhe von 2,2 Millionen Euro vorgesehen. Für die Folgejahre sind in der geltenden Finanzplanung Mittel in Höhe von 2 Millionen Euro für 2015 bzw. 1,6 Millionen Euro für 2016 veranschlagt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, die Klage von Vattenfall bezog sich ja bisher auf 3,7 Milliarden Euro; das war in der Presse zu lesen. Ich frage Sie: Hat sich da zwischenzeitlich eine Erhöhung der Klagesumme ergeben? Wenn ja, würde sich dies auf die Höhe der Verfahrenskosten auswirken?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Kollege Lenkert, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich muss sie Ihnen schriftlich beantworten. Das weiß ich schlicht nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann ist das so verabredet. - Haben Sie noch eine zweite Nachfrage?

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, im Hinblick auf eine Ausweitung der Bereiche, in denen Investitionsschiedsverfahren anwendbar sind, zum Beispiel über TTIP und CETA, frage ich Sie: Wie schützt sich die Bundesregierung davor, dass durch eine Ausweitung der Klagemöglichkeiten das Risiko steigt, verklagt zu werden? Ein normales Unternehmen muss Risikovorsorge betreiben; das heißt, es muss Rückstellungen bilden. Dies wirkt sich dann im Allgemeinen auf den Aktienkurs bzw. auf das Zinsniveau bei Krediten aus. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass dadurch das Zinsniveau für den Bund und die öffentliche Hand höher wird, und was möchte sie dagegen unternehmen?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Kollege Lenkert, die Frage nach den konkreten Auswirkungen der Zahl der Schiedsverfahren auf das Zinsniveau kann ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht beantworten. Ich glaube, dass wir eher ansetzen sollten. Wir sollten sehen, dass wir so wenige Schiedsverfahren wie möglich bekommen. Ich bin dankbar dafür, dass die Europäische Kommission die derzeitigen Verhandlungen zu TTIP gerade wegen der Frage der Schiedsverfahren für drei Monate ausgesetzt hat und eine öffentliche Anhörung durchführen wird, an der auch Sie sich hoffentlich beteiligen werden. Die Anhörung fängt ja erst nächste oder übernächste Woche an und dauert dann drei Monate. Jeder Mann und jede Frau ist aufgerufen, sich daran zu beteiligen. Selbstverständlich gilt das auch für jeden Abgeordneten und jede Abgeordnete des Deutschen Bundestages.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Höhn das Wort.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben zu Recht die Risiken durch private Schiedsverfahren ins Spiel gebracht. Insbesondere geht es ja darum, dass die Gerichtsbarkeit, die wir haben, ausgehebelt und durch - ich sage es einmal so - fast willkürlich zusammengesetzte private Schiedsgerichte ersetzt wird, gegen deren Entscheidungen man noch nicht einmal Revision einlegen kann. Das wäre ein dramatischer, massiver Nachteil auch für den Staat Deutschland. Sie haben eben gesagt: Wir können uns als Abgeordnete einbringen. - Inwieweit bringt sich die Bundesregierung ein, um genau diese Fälle, die ja vermehrt auftreten würden, wenn man das in einem Freihandelsabkommen, zum Beispiel mit Kanada oder den USA, festschreibt, zu verhindern? Was tut die Bundesregierung, um diese Bereiche aus Freihandelsabkommen auszuklammern?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Im Rahmen der Verhandlungen auf der europäischen Ebene setzt sich die Bundesregierung natürlich dafür ein, dass so weit wie möglich eine Begrenzung der Zahl der Schiedsgerichtsverfahren erfolgt. Wir wollen also möglichst wenige davon. Sie sehen in mir als ehemaliger Justizministerin auch eine Person, die sich sieben Jahre lang auf internationaler Ebene dafür eingesetzt hat, dass unsere deutsche Gerichtsbarkeit stark und gut bleibt und auch von den Ländern finanziell hinreichend unterstützt wird, damit sie schnell und sachgerecht entscheiden kann. In vielen Fällen ist das, was von manchen Unternehmen immer wieder behauptet wird, auch gar nicht richtig: dass solche Verfahren schneller verlaufen als Gerichtsverfahren. So haben wir in Deutschland beispielsweise im Bereich des Patentrechts einen Stand erreicht, angesichts dessen wir sagen können: Deutschland ist international vorbildlich. Viele Firmen aus anderen Ländern kommen nach Deutschland, um ihre Verfahren hier durchzuführen. Von daher denke ich, gerade wir in Deutschland stehen gut da. Das werden wir selbstverständlich auch auf der europäischen Ebene deutlich machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Dröge das Wort.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Möglichkeit, noch eine Nachfrage zu stellen. - Sie haben gerade gesagt, Sie wollen möglichst wenig Schiedsgerichtsverfahren haben. Da wäre die konkrete Frage an Sie: Wie wollen Sie das denn technisch machen, dass es bei uns möglichst wenig Schiedsgerichtsverfahren gibt? Wenn man sich die Analysen zu den Urteilen anschaut, die es vor Schiedsgerichten schon gibt, dann fällt auf, dass Unternehmen besonders die Klausel im Investitionsschutzabkommen zum Fair and Equal Treatment nutzen, um gegen Länderbestimmungen zu klagen. Da wäre die Frage an Sie: Hat die Bundesregierung schon eine Position, eine Rechtsauffassung, wie so etwas in bestehenden Investitionsschutzabkommen verbessert oder sogar gestrichen werden kann, damit solche Verfahren, wie wir sie hier gerade diskutieren, in Zukunft nicht mehr passieren?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Kollegin Dröge, wir sind ja im Moment in dem Stadium, dass wir uns überhaupt fragen, inwieweit Schiedgerichtsbarkeitsvereinbarungen in das Abkommen aufgenommen werden. Deswegen haben wir jetzt selbstverständlich noch kein abgestuftes Programm. Wie gesagt, das Verfahren ist ausgesetzt. Es gibt eine dreimonatige Konsultationsfrist. Die Bundesregierung wird sich daran beteiligen, wie hoffentlich auch viele Kolleginnen und Kollegen des Parlaments, die ihre Meinung sagen werden. Dann wird man sehen, wie sich das auf europäischer Ebene insgesamt entwickelt. Da ist die Bundesregierung natürlich auch nur einer von 28 Mitspielern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich habe zwei weitere Meldungen für Nachfragen zur Frage 33. Zuerst hat der Kollege Klaus Ernst das Wort.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, wenn ich Ihre Aussage richtig verstanden habe, dann stellen Sie solche Schiedsgerichtsverfahren eigentlich infrage und wollen möglichst wenig davon. Heißt das, dass die Bundesregierung keiner Vereinbarung zustimmen wird, die dazu führt, dass es eine Ausweitung von Verfahren oder Verfahren auf einem ähnlichen Stand wie heute geben wird?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Nein, Herr Kollege, das heißt es natürlich nicht; ({0}) denn ein solcher Umkehrschluss ist nicht zulässig. Vielmehr - ich wiederhole gerne, was ich eben schon einmal gesagt habe - sind wir im Moment dabei, zu verhandeln, inwieweit Schiedsgerichtsverfahren überhaupt in dieses konkrete Abkommen, dieses TTIP-Abkommen, von dem wir gerade reden, aufgenommen werden. Da gilt: Wir wollen deutlich machen, dass Schiedsgerichtsverfahren nicht der Weisheit letzter Schluss sind, sondern dass man diese Dinge auch sehr gut anders regeln kann. Wir haben als deutscher Staat ja auch ein Interesse daran, einen guten deutschen Rechtsstandort zu vertreten; das ist doch völlig klar. Nichts anderes habe ich gesagt. Das werden wir deutlich machen. Aber selbstverständlich geht es bei den Verhandlungen zu TTIP um Verhandlungen der Europäischen Kommission. Deutschland ist, wie Sie wissen, ein Land in der Europäischen Union. Selbstverständlich bedarf die Kommission einer abgestimmten Verhandlungsstrategie aller Mitglieder der Europäischen Union. Deswegen kann man keine endgültige Aussage treffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Vogler hat das Wort.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie werden mir doch sicherlich zustimmen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein gewichtiges Wort mitzureden hat und dass wir hier im Deutschen Bundestag natürlich ein berechtigtes Interesse daran haben, zu erfahren und auch den Wählerinnen und Wählern mitzuteilen, welche konkrete Position die Bundesregierung in dieser wichtigen Frage einnimmt. Denn schließlich geht es ja um nichts Geringeres als um eine Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit und unter Umständen auch um eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der parlamentarischen Demokratie. Denn wenn das, was wir hier an Gesetzen beschließen, sozusagen immer vor der Folie diskutiert werden muss, dass uns da unter Umständen umfangreiche Klageverfahren drohen, dann sind wir auch als Abgeordnete nicht mehr frei, unserer Gesetzgebungstätigkeit nachzukommen. Insofern frage ich Sie jetzt noch einmal: Welche Position nimmt die Bundesregierung in der Auseinandersetzung um die Frage der Schiedsgerichte denn konkret ein?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Kollegin, Ihre Nachfrage gibt mir die Gelegenheit und vor allen Dingen auch den Anlass, einige grund1470 sätzliche Ausführungen zu den Verhandlungen zu TTIP zu machen. Wenn ich es richtig sehe, ist das jetzt auch einer der ersten Momente, in dem das hier im Parlament in offener Runde behandelt wird. Wir sind derzeit in der vierten Verhandlungsrunde. Es ist aber die erste Verhandlungsrunde, die sich mit konkreten Themen befasst. Die drei Verhandlungsrunden zuvor waren ein allgemeiner Austausch von Positionen über mögliche Gebiete, über die man dann verhandeln will. Im Moment findet, wie gesagt, die erste konkrete Verhandlungsrunde statt; dabei geht es um die Themenfelder Marktzugang, regulatorische Fragen und Handelsregeln. Es gab am 10. Februar schon einen Austausch von Angeboten zum Abbau von Zöllen auf Industrie- und Agrargüter; das Thema Zölle ist aber nicht Gegenstand der jetzigen Verhandlungsrunde, sondern wird später wieder aufgerufen. Ich habe eben schon gesagt, dass Kommissar De Gucht zu der Frage der Schiedsgerichtsbarkeit ein dreimonatiges Konsultationsverfahren angestoßen hat. Die Kommission wird dazu einen Vertragstext vorlegen, der durch Erläuterungen oder Annotationen für die Allgemeinheit verständlich gemacht werden soll. Die Bundesregierung begrüßt diesen Schritt ausdrücklich und erwartet eine breite Beteiligung an den Konsultationen. Wir wollen die Transparenz und die Einbindung der Öffentlichkeit insgesamt verbessern. Ich würde Ihnen gern kurz sagen, was wir dazu schon getan haben: Wir vertreten auf europäischer Ebene die Auffassung, dass die Verhandlungen auf der Basis von vertraulichen Unterlagen natürlich vertraulich geführt werden müssen; aber wir wollen nichtsdestotrotz, dass die EU-Mitgliedstaaten in die Lage versetzt werden - das gilt vor allen Dingen für die nationalen Parlamente, aber auch für die Bürger -, Auskunft über den jeweils aktuellen Stand der Verhandlungen zu erhalten. Wir wollen, dass den Mitgliedstaaten zu diesem Zweck der Zugang zu US-Dokumenten ermöglicht wird. Dafür setzt sich das Bundeswirtschaftsministerium ein. Mit Blick auf die Information von Bundestag und Bundesrat sind wir im europäischen Vergleich sicherlich führend, aber auch im Vergleich zum Europäischen Parlament. Der Bundestag hat alle Dokumente erhalten, die es bis jetzt gibt: alle Drahtberichte, alle EU-Positionspapiere, alle Berichte der Bundesregierung zu den Verhandlungen. Wir haben zu TTIP bislang 220 parlamentarische Fragen beantwortet, weitere 125 Fragen sind zurzeit in Bearbeitung. Die Beteiligung des Deutschen Bundestages richtet sich nach dem EUZBBG. Das Bundeswirtschaftsministerium hat neben diesen umfassenden Informationen des Parlaments jetzt auch angefangen, einen Austausch zu TTIP zu führen, unter anderem mit allen Ressorts, mit den Bundesländern, mit den Bundestagsausschüssen - eben wurde ja deutlich, dass TTIP schon Gegenstand von Ausschussberatungen war -, mit Verbänden, mit NGOs, mit Gewerkschaften. Wir richten Veranstaltungen dazu aus und haben auch schon einige durchgeführt. Für den 5. Mai ist eine große TTIP-Konferenz im Ministerium geplant. Die EU-Kommission hat in Aussicht gestellt, nach der vierten Verhandlungsrunde weitere EU-Positionspapiere auf ihrer Website für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. ({0}) - Die Antwort auf Ihre Frage ergibt sich doch aus meinen Darlegungen, verehrte Frau Kollegin: Wenn wir im Moment in der ersten Verhandlungsrunde sind, wo das Schiedsgerichtsverfahren überhaupt noch keine Rolle spielt, dann kann ich Ihnen auch noch nicht sagen, welche fünfte Auffangposition die Bundesregierung in den Verhandlungen vertreten wird - wie sollte es anders sein?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank, Frau Staatssekretärin. - Die nächste Zusatzfrage hat Frau Kollegin Paus, Bündnis 90/Die Grünen, danach die Kollegin Leidig von der Fraktion Die Linke.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber, Frau Zypries, vielleicht können Sie mir trotzdem sagen, ob es die Position der Bundesregierung ist, dass private Schiedsgerichtsverfahren nicht Bestandteil eines entsprechenden Freihandelsabkommens mit den USA sein sollten.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Wir wollen die Schiedsgerichtsverfahren, wenn es möglich ist, aus dem Verfahren heraushalten; aber wir wissen nicht - das habe ich schon gesagt -, ob wir das mit allen Staaten endgültig werden durchsetzen können. Deswegen ist es wichtig, dass es jetzt Konsultationen gibt und wir hören, was insgesamt darüber gedacht wird. Noch einmal: Deutschland ist ein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bestimmt den Verhandlungsgang nicht allein. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Leidig. Bitte.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin Zypries, ich möchte an diesem Punkt weiterfragen, weil ich glaube, dass es sich hier um eine sehr entscheidende Verhandlungsposition handelt, die die Bundesregierung einnimmt oder eben nicht einnimmt. Deshalb noch einmal ganz konkret die Frage: Wird die Bundesregierung diesem Abkommen zustimmen, wenn ein solches Schiedsgerichtsverfahren mehrheitlich beschlossen wird, oder wird die Bundesregierung einem solchen Freihandelsabkommen die Zustimmung verweigern, wenn die Rechtsstaatlichkeit sozusagen an Schiedsgerichte abgegeben werden soll?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Die Bundesregierung setzt im Moment alles daran, dass es erst gar nicht so weit kommt. Wir sind zurzeit im Konsultationsverfahren und setzen uns dafür ein, dass die Schiedsgerichtsverfahren nicht in den Vertrag aufgenommen werden. Dafür arbeiten wir, und wir wären für Unterstützung dankbar.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege Hunko, die Linke. Bitte.

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Kollegin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sehen Sie die Schiedsgerichte im Rahmen der TTIP mit den USA durchaus kritisch. Bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit Kanada, dem CETA, befinden wir uns ja bereits im Endstadium. Hier ist meine Frage: Wie haben Sie sich da bezüglich der Schiedsgerichte positioniert? Sehen Sie, dass es dort eine Ausweitung von Schiedsgerichtsverfahren geben kann, und wie haben Sie darauf hingewirkt, dass es eben nicht zu einer solchen Ausweitung kommt? Vielen Dank.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Die Antwort muss ich Ihnen schriftlich nachreichen. Ich weiß es nicht genau.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Kollegin Klein-Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen, bitte.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade gesagt, dass Sie als Bundesregierung darauf hinwirken wollen, dass es gar nicht erst so weit kommt, dass es diese Schiedsverfahren gibt. Haben Sie denn auf europäischer Ebene ernsthafte Verbündete in dieser Frage, oder müssen wir damit rechnen, dass die Bundesregierung hier eher alleine auf weiter Flur steht? Wie wahrscheinlich ist es, sich damit durchsetzen zu können?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Nach meinem Kenntnisstand gibt es einige andere Staaten, die auch der Auffassung sind, wir sollten das nicht machen. Das hat ja oft auch etwas mit den jeweiligen Rechtssystemen zu tun. In der Europäischen Union haben wir zwei unterschiedliche Rechtssysteme, nämlich das kontinentaleuropäische und das angloamerikanische. Die Vertreter des kontinentaleuropäischen sind in der Regel der Auffassung, dass man Schiedsverfahren nicht umfänglich durchführen sollte. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Wir kommen zur Frage 34 des Kollegen Ralph Lenkert, die Linke: Wie viele Streitverfahren vor internationalen Schiedsgerichten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren auf welche Art und mit welchen Zahlungen von Staaten an Investoren beendet ({0})? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Die Bundesregierung hat keine Informationen darüber, wie viele Verfahren insgesamt von deutschen oder ausländischen Unternehmen gegen Drittländer angestrengt wurden. Deutsche Unternehmen sind nämlich nicht verpflichtet, der Bundesregierung ihre Klagen gegen andere Staaten mitzuteilen. Der Bundesregierung sind allerdings die Schiedsverfahren von deutschen Unternehmen gegen andere Staaten bekannt, bei denen die Investitionen durch Investitionsgarantien des Bundes gegen politische Risiken abgesichert waren und bei denen die Unternehmen nach der Entschädigung durch den Bund in Abstimmung mit dem Bund Schiedsverfahren eingeleitet haben. Das ist zum einen die Klage der Hochtief AG gegen Argentinien und zum anderen die Klage der Fraport AG gegen die Philippinen, und aus der Presse ist auch die Klage von Walter Bau gegen Thailand bekannt. Frühere Klagen ausländischer Unternehmen gegen Deutschland gibt es nur zwei: In den 90er-Jahren klagte ein indischer Unternehmer, dessen Klage aber schon nicht angenommen wurde, weil er die Prozesskosten nicht bezahlte, und 2009 klagte Vattenfall wegen des Steinkohlekraftwerkes in Hamburg-Moorburg. Dieses Verfahren wurde durch einen Vergleich beendet - ohne Entschädigungszahlung seitens der öffentlichen Hand.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Mögen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Kollege Lenkert?

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, es verwundert mich, dass es der Bundesregierung nicht möglich ist, die Ergebnisse von Schiedsgerichtsverfahren zu ermitteln, obwohl sie vom Internationalen Schiedsgerichtshof veröffentlicht werden. Ich komme jetzt zu der Frage, die ich nachschieben möchte: Im letzten Jahr sind 70 Prozent der Klagen mit einer Zahlung an Investoren ausgegangen, 30 Prozent der Klagen wurden abgewiesen. Sie sagten eben im Zusammenhang mit dem TTIP, dass Sie in den Konsultationen zum Thema Schiedsgerichtsbarkeit Transparenz herstellen wollen. Die Verhandlungen mit Kanada zum CETA befinden sich de facto in der Endphase; sie sind fast abgeschlossen. Die Schiedsgerichtsverfahren sind dort integriert, das heißt, jedes Unternehmen, das eine Zweigniederlassung in Kanada hat, kann die Rechte in Anspruch nehmen, die wir jetzt vielleicht aus dem TTIP heraushalten können. Das heißt, die Schiedsgerichtsbarkeit würde sozusagen durch die Hintertür eingeführt. Ich frage Sie jetzt als Vertreterin des Wirtschaftsministeriums - noch ist das Abkommen mit Kanada nicht unterzeichnet -: Werden Sie darauf drängen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit ähnlich wie im TTIP auf den Prüfstand kommt? Ich sage noch einmal: Wir als Linke lehnen Vereinbarungen und Verträge mit internationaler Schiedsgerichtsbarkeit komplett ab. Denn wir sind der Meinung: Das Rechtssystem in der Bundesrepublik Deutschland ist zur Sicherung der Rechte von Investoren und von Staaten ausreichend.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Ja, das haben wir verstanden. Ich habe Ihnen vorhin schon einmal gesagt, dass ich Ihre Meinung im Grundsatz teile. Ich kann Ihnen aber im Moment zu dem Stand der Verhandlungen mit Kanada keine Auskünfte geben. Ich habe eben schon gesagt, dass ich Ihnen das nachreichen muss; es tut mir leid. Ich bin da nicht im Stoff; dafür bitte ich um Nachsicht. Das ist nicht Gegenstand dieser Fragen gewesen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Keine Frage mehr? - Gut, dann gibt es eine erste Frage aus dem übrigen Kollegenkreis. ({0}) - Entschuldigung. Sie machten so einen resignierten Eindruck. ({1})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich war von der Antwort enttäuscht; denn die Position der Bundesregierung sollte bei solchen Abkommen eigentlich dieselbe sein. Wenn man bei den Verhandlungen mit den USA hinsichtlich eines Schiedsgerichtsverfahrens kritisch ist, dann sollte das bei Verhandlungen mit Kanada genauso sein.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Nein, Sie haben mich doch gerade gefragt, ob ich dafür sorgen werde, dass die Verhandlungen mit Kanada ausgesetzt werden und ein entsprechendes Verfahren vereinbart wird. Ich kann Ihnen aber nicht genau sagen, wie der Verhandlungsstand ist und ob so etwas überhaupt geht. Sie müssen bitte meine Antworten auf Ihre Fragen beziehen.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Jetzt habe ich eine weitere Nachfrage.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine haben Sie noch, ja.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es besteht bei Verträgen, die zwischen der EU und Drittstaaten abgeschlossen werden, die Möglichkeit, dass diese Verträge, wenn es gemischte Abkommen sind - das bedeutet ja, dass auch die Länderparlamente zustimmen müssen -, vorläufig in Kraft gesetzt werden. Jetzt frage ich Sie: Wäre es möglich, dass Investoren auf Investitionsschutz klagen können, wenn zum Beispiel der Vertrag der EU mit Kanada vorläufig in Kraft gesetzt würde, bevor der Bundestag überhaupt ratifiziert hat?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Ich verstehe Ihre Frage nicht.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich versuche es noch einmal.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Bitte.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die EU ist in der Lage, Verträge bei gemischten Abkommen - sprich: bei Abkommen, die vom EU-Parlament und von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden müssen - vorläufig in Kraft zu setzen, bevor die zeitaufwendigen Prozesse der nationalen Ratifizierungen abgeschlossen sind. Das wäre auch bei CETA oder TTIP möglich. Wenn dieser Fall eintritt: Kann es dann aus Ihrer Kenntnis heraus möglich sein, dass noch vor einer Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag Investitionsschutzklagen gegen die Bundesrepublik eingereicht werden, weil diese Verträge durch die EU vorläufig in Kraft gesetzt werden?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Kollege, wir sind im Moment bei dem Verfahrensstand, dass es Konsultationen dazu gibt, ob überhaupt Schiedsgerichtsverfahren in das TTIP aufgenommen werden sollen. Ich kann Ihnen deshalb keine Antwort auf die Frage geben, was sein würde, wenn in mehreren Jahren vielleicht die Verhandlungen zu einem Abkommen abgeschlossen sein sollten, das dann womöglich auch noch vorzeitig in Kraft gesetzt werden würde.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Die nächste Frage kommt von Frau Höhn, Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, für Sie ist die Schiedsgerichtsbarkeit ein ganz wichtiger Punkt; das haben wir festgestellt. Gleichzeitig ist es in der Tat so, dass durch dieses CETA-Abkommen mit Kanada die Frage, Schiedsgerichtsverfahren ja oder nein, vorentschieden wird; denn es wird schwer sein, bei TTIP Schiedsgerichtsverfahren zu verweigern, wenn sie im Rahmen des Abkommens mit Kanada möglich sind. Erstens. Habe ich es richtig verstanden, dass die Staatssekretärin über den Stand des CETA-Verfahrens momentan keine Auskunft geben kann? Zweitens. Drängt die Bundesregierung darauf, dass es überhaupt ein Mischverfahren wird? Es könnte theoretisch sogar sein, dass die EU das Abkommen allein abschließt, ohne dass der Bundestag zustimmen muss. Können Sie hier bestätigen, dass es sich um ein Mischverfahren handelt und der Bundestag zustimmen muss, oder wissen Sie das nicht genau?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Nach meiner Kenntnis muss der Bundestag zustimmen. Die Frage war doch eben: Wie geht das mit dem Verfahren ganz genau weiter?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, die Frage ist eine andere. Ist das ein Mischverfahren, ja oder nein? Wenn das nämlich kein Mischverfahren ist, müsste der Bundestag gar nicht zustimmen.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Nach meiner Kenntnis, Frau Abgeordnete, muss der Bundestag zustimmen. Aber ich bin gerne bereit, in meinem Hause nachzufragen und Ihnen dazu eine schriftliche Stellungnahme zu geben. Sie werden es mir nachsehen, dass ich hier nicht jede Frage hundertprozentig beantworten kann. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage stellt die Frau Kollegin Dröge von den Grünen. Danach folgt der Kollege Ernst von der Fraktion Die Linke. - Frau Kollegin Dröge, bitte schön.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Zypries, Sie haben mehrfach gesagt, Ihr erstes Ziel sei, dass Investitionsschutzabkommen nicht in TTIP aufgenommen werden. Gleichzeitig haben Sie gesagt, dass Sie nicht sicher sein können, dass das der Fall sein wird. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die TTIP-Verhandlungen, zumindest wenn es nach den Wünschen der USA geht, nicht in ferner Zukunft beendet werden sollen, sondern schon 2015 zu einem Abschluss gebracht werden sollen. Das heißt, wenn Sie Ihre Position nicht durchsetzen können und wir doch mit einem Investitionsschutzkapitel in TTIP rechnen müssen, muss man sich damit auseinandersetzen, welche Position die Bundesregierung einnimmt. Sie haben nicht mehr viel Zeit, um in einer rechtlich schwierigen Frage zu einer Antwort zu kommen. Deswegen ist die Frage des Kollegen von den Linken nach den vorhandenen Kenntnissen absolut richtig. Zum Beispiel ist vor zwei Tagen eine Studie des Corporate Europe Observatory herausgekommen, der zufolge es Unternehmen gibt, die in Europa Krisenländer wie Griechenland und Spanien beispielsweise auf entgangene Fördermittel verklagen, die diese Krisenländer nicht mehr zahlen können, weil die Troika dort Sparmaßnahmen zur Haushaltskonsolidierung durchgesetzt hat. Ich finde, es sind relevante Erkenntnisse für die Bundesregierung, da sie zeigen, welcher Missbrauch schon mit bestehenden Investitionsschutzklauseln getrieben wird. Es gibt auch eine UN-Studie, die sich damit auseinandersetzt, welche Schiedsgerichtsverfahren es gibt. Ich frage mich, wie die Bundesregierung zu einer Position kommen will, wenn sie bestehende Investitionsschutzklauseln nicht analysiert.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Sie können sicher sein: Die Bundesregierung analysiert bestehende Investitionsschutzklauseln, und die Bundesregierung informiert sich auch umfassend. Ich bin dankbar für Ihren Hinweis auf diese neuen Studien, die von meinem Haus selbstverständlich auch in die Überlegungen mit einbezogen werden. Wir gehen nicht davon aus, dass das TTIP 2015 abgeschlossen wird.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Kollege Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, würden Sie mir zustimmen, dass dann, wenn in dem CETA-Abkommen ein solches Schiedsverfahren mit Zustimmung der Bundesregierung vereinbart wird, Ihre Haltung, in einem Abkommen mit den USA ein solches Verfahren nicht aufzunehmen, deutlich geschwächt würde? Können Sie mir die Frage beantworten, ob Ihre Ablehnung eines solchen Schiedsverfahrens in den Verträgen - die uns freut - auch die einhellige Meinung der Bundesregierung ist?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Abgeordneter, ich habe jetzt schon mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Moment darum geht, die Haltung Deutschlands, aber auch aller anderen EU-Staaten zu diesem Schiedsverfahren zu bestimmen und die Europäische Kommission als Verhandlungsführerin bei diesen Verhandlungen mit zu beeinflussen. Deswegen ist es im Moment an der Zeit, zu sagen: Alle diejenigen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Staaten, die meinen, wir brauchen keine Schiedsgerichtsbarkeit, sollten sich an dieser Anhörung beteiligen. Eine solche Beteiligung, die das Verhalten der EU-Kommission beeinflussen kann, wird immer massiv eingefordert. Es geht sehr vielen Menschen darum, darauf hinzuweisen, dass es auf europäischer Ebene mangelnde Transparenz gibt und dass man stattdessen die europäi1474 schen Bürgerinnen und Bürger stärker beteiligen sollte. Hier ergibt sich jetzt die wirklich gute Möglichkeit, so etwas zu tun. Ich finde, unser aller Sinnen und Trachten - auch das Ihrer Partei und Fraktion - sollte darauf gerichtet sein, Unterstützung dafür zu mobilisieren. Wir haben auch ein positives Beispiel auf europäischer Ebene, wo das sehr gut funktioniert hat. Ich denke, das sollten wir jetzt tun. Wir sollten uns nicht darauf beschränken, zu überlegen: Was passiert eigentlich, wenn es uns nicht gelingt? Denn wenn man etwas bewegen will, aber nicht ins Gelingen verliebt ist, dann kommt es auch nicht dazu, dass man etwas erreicht. Deswegen kann ich Ihnen auf Ihre Frage „Was passiert, wenn …?“ leider keine Antwort geben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine weitere Frage der Frau Kollegin Leidig, Fraktion Die Linke.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin Zypries, ich habe eine Nachfrage zu dem Konsultationsprozess. Mein Eindruck ist, dass die Bundesregierung, wenn es stimmt, dass sie in einem bereits sehr weit fortgeschrittenen Freihandelsabkommen kein Veto gegen ein solches Schiedsverfahren eingelegt hat, im jetzigen, noch relativ am Anfang stehenden Konsultationsverfahren zu TTIP sehr wenig Glaubwürdigkeit hat. Deshalb finde ich es unumgänglich, zu erfahren, wie sich die Bundesregierung in dem weit fortgeschrittenen Verfahren eigentlich positioniert hat und wie der Verhandlungsstand aussieht.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Kollegin Leidig, es ist wirklich schade, dass wir hier im Deutschen Bundestag ständig aneinander vorbeireden. Ich hatte Ihnen schon hinlänglich dargelegt, dass wir keineswegs in einem weit fortgeschrittenen Verhandlungsverfahren zu TTIP sind. ({0}) - Entschuldigung, es geht Ihnen offenbar um das Verfahren mit Kanada. Dann habe ich Ihre Frage nicht verstanden.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich versuche, Ihnen die Frage verständlich zu machen. Die Frage lautet: Wie steht es nach Ihrer Meinung um die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, wenn auf der einen Seite im CETA-Verfahren bereits im Grunde ein Schiedsverfahren akzeptiert ist und auf der anderen Seite nun im TTIP-Verfahren so getan wird, als sei die Bundesregierung offen im Konsultationsprozess.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Wir tun nicht so, als sei die Bundesregierung offen im Konsultationsprozess. Dieser Konsultationsprozess ist von der Europäischen Kommission angestoßen worden, und zwar im Einvernehmen mit der Bundesregierung. Wir finden, dass das ein sehr gutes Verfahren ist. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion Die Linke beantragt, Minister Gabriel herbeizuzitieren. Möchte jemand das Wort zu diesem Geschäftsordnungsantrag ergreifen? - Kollege Grund, CDU/CSU-Fraktion.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gab hinreichend Gelegenheit, Fragen zu stellen und darauf zu antworten. Ich sehe überhaupt keinen Bedarf, neben der Staatssekretärin Frau Zypries, die die Fragen hervorragend beantwortet hat, ({0}) den Minister herbeizuzitieren. Wir lehnen diesen Antrag daher ab. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Ziegler von der SPD möchte das Wort ergreifen. Bitte.

Dagmar Ziegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann meinen Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion nur unterstützen. Wir haben mehrfach die gleichen Fragen und die gleichen Antworten gehört. Im Ausschuss kann man ausreichend und intensiv darüber diskutieren, welches der Sachstand zu diesen Fragen und Themen ist. Die Staatssekretärin hat wirklich jede Frage ordentlich beantwortet und klargemacht, wie sich der Sachstand zum heutigen Zeitpunkt darstellt. Aus diesem Grunde sehen wir keine Notwendigkeit, außerhalb des Ausschusses dies im Plenum weiterzuverfolgen und darüber zu diskutieren. Danke. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Gibt es weitere Wortmeldungen? ({0}) - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich abstimmen. Wer dafür ist, dass Bundesminister Gabriel in das Plenum zitiert wird, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? ({1}) - Bedauerlicherweise nicht, Herr Kollege Grund. Daher müssen wir einen Hammelsprung durchführen. Vizepräsident Peter Hintze Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Plenarsaal zu verlassen, damit die Abstimmung durchgeführt werden kann. Das führt zur Verschiebung der Aktuellen Stunde. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe, dass das Plenum ein angenehmer Ort ist, auch wenn es Schwieriges zu besprechen gibt. ({2}) - Das ist sehr nett. Die beiden Schriftführer machen das solidarisch auch so. Aber ich darf Sie bitten, jetzt den Plenarsaal zu verlassen, damit wir die Regeln einhalten. Ich gehe davon aus, dass die Türen besetzt sind und wir jetzt mit der Abstimmung beginnen können. Die Abstimmung ist eröffnet. Darf ich fragen, ob alle Kolleginnen und Kollegen, die vor der Tür standen, den Plenarsaal betreten haben? Können mir die Schriftführer das bitte mal signalisieren? Von denen, die im Gang stehen, wäre es nett, wenn sie jetzt zumindest die Sitzplätze einnähmen. Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte die Stimmzähler, mir das Stimmergebnis zu übermitteln. Ich bitte auch, die Türen zu schließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich einen Moment hinzusetzen und die Kommunikation untereinander einzustellen. Der erste Hammelsprung in der 18. Wahlperiode ist erfolgreich abgeschlossen. ({3}) Für den Antrag, also mit Ja, haben gestimmt 77 Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Enthalten hat sich kein Kollege und keine Kollegin. Mit Nein haben gestimmt 350 Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Damit ist der Antrag abgelehnt. Wir treten wieder in die Fragestunde ein, für die wir noch - das sage ich informell - 14 Minuten und 34 Sekunden haben. Danach haben wir die Aktuelle Stunde auf Antrag der Grünen. ({6}) Die Fragestunde ist sehr interessant. ({7}) Es dürfen alle im Plenum bleiben; so ist das nicht. Die Fragen 15, 16, 17 und 18 der Abgeordneten Kathrin Vogler, Birgit Wöllert und Harald Weinberg sind nachträglich durch die Bundesregierung dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zugeordnet wurden. Zur Beantwortung steht auch hier die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries zur Verfügung. Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke, auf: Welche Konsequenzen könnte das Freihandelsabkommen TTIP nach derzeitigem Kenntnisstand der Bundesregierung auf die Zulassung von Arzneimitteln innerhalb der EU haben, und welche Auswirkungen könnte das Freihandelsabkommen nach Einschätzung der Bundesregierung für die Hersteller von patentgeschützten Präparaten haben, was sowohl die Laufzeit der Patente als auch Art und Umfang von Patent- und Unterlagenschutz anbelangt? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank, Herr Präsident. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Einen kleinen Moment mal. ({0}) Es ist eine Frage der Fairness und der Disziplin, dass die, die jetzt nicht zuhören wollen, ganz ruhig herausgehen und sich nicht hier im Saal unterhalten. ({1})

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Kollegin Vogler, nach dem derzeitigen Kenntnisstand wird im Arzneimittelbereich keine gegenseitige Anerkennung von Zulassungsentscheidungen vorgeschlagen. Über die Auswirkungen von TTIP auf Patentrecht oder gar auf Änderungen des Patentrechts liegen der Bundesregierung keinerlei Informationen vor.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, wenn Ihnen über mögliche Auswirkungen auf das Patentrecht oder auf die Patentierung von Arzneimitteln keine Erkenntnisse vorliegen, dann würde mich interessieren, auf welche Art und Weise die Bundesregierung denn gedenkt, sich diese Erkenntnisse zu verschaffen, und in welchem Zeitrahmen Sie sich in der Lage sehen, diese Erkenntnisse dem Deutschen Bundestag zuzuleiten?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Im Rahmen der anstehenden Verhandlungen der Europäischen Kommission wird sich die Bundesregierung sukzessive Meinungen bilden und im Rahmen der Europäischen Kommission abstimmen. Ich hatte Ihnen das Verfahren bereits erklärt: Wir befinden uns derzeit in der ersten Beratungsrunde, in der die angesprochenen Themen gar nicht Gegenstand sind. Es läuft so ab, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu regelmäßigen Konsultationsverfahren mit der Kommission in Brüssel zusammenkommen und man gemeinsam diskutiert, wie man weiter vorgeht. Wenn es so weit ist, werden Sie hinreichend rechtzeitig informiert - genauso, wie der Deutsche Bundestag bis jetzt alle Veröffentlichungen zu den Verhandlungen über TTIP zugänglich gemacht bekommen hat.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine zweite Zusatzfrage. Bitte schön.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Frau Staatssekretärin, würde eine eventuelle Unterzeichnung von TTIP nach Einschätzung der Bundesregierung möglicherweise auch Auswirkungen auf die in Deutschland geltenden Regelungen zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln und anderen Therapieverfahren insgesamt haben, und wie würden diese unter Umständen aussehen?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Abgeordnete, das kann ich mir nicht vorstellen. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist für den Arzneimittelbereich keinerlei gegenseitige Anerkennung von Zulassungsentscheidungen oder sonstigen Bewertungen vorgesehen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank. - Ich rufe die Frage 16 der Abgeordneten Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke, auf: Kann die Bundesregierung ausschließen, dass durch das Freihandelsabkommen TTIP im Bereich der Palliativversorgung bzw. der Sterbebegleitung eine stärkere Markt- bzw. Wettbewerbsorientierung zum Tragen kommt und auf diese Weise bisher aktive, gemeinnützige Träger von privaten, gewinnorientierten Anbietern verdrängt werden? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Kollegin Wöllert, aus Sicht der Bundesregierung gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass durch TTIP im Bereich der Palliativversorgung und Sterbebegleitung eine stärkere Markt- bzw. Wettbewerbsorientierung zum Tragen kommen könnte oder gemeinnützige Träger von privaten Trägern verdrängt werden könnten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.

Birgit Wöllert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004446, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie sagen: keine Erkenntnisse. - Heißt das, Sie können es ausschließen?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Wir gehen wenigstens nicht davon aus, dass dieser Bereich überhaupt von TTIP betroffen sein wird.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Harald Weinberg auf: Kann die Bundesregierung ausschließen, dass sie ein TTIP-Abkommen ratifizieren wird, das die Möglichkeit beinhaltet, dass Krankenhausleistungen zukünftig ausgeschrieben werden müssen oder multinationale Unternehmen sich einen Zugang in die derzeit noch öffentlich und gemeinnützig dominierte Krankenhauslandschaft einklagen können? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Abgeordneter Weinberg, es bestehen aus der Sicht der Bundesregierung keine Anhaltspunkte dafür, dass TTIP Auswirkungen auf die Ausschreibungspflicht von Krankenhausleistungen haben könnte oder die Klagemöglichkeiten multinationaler Unternehmen im Krankenhausbereich erweitern könnte.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte schön.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Das interpretiere ich jetzt so, dass dieses Thema nicht Gegenstand der Verhandlungen ist und auch in Zukunft nicht sein wird.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Davon gehen wir aus, ja.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie noch eine Zusatzfrage dazu? - Nicht. Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Harald Weinberg auf: Kann die Bundesregierung ausschließen, dass sie ein TTIP-Abkommen ratifizieren wird, das die Möglichkeit beinhaltet, dass Versicherungsunternehmen Zugang in das System der gesetzlichen Krankenkassen erhalten, oder das die Möglichkeit beinhaltet, dass gesetzliche Krankenkassen Privatisierungstendenzen ausgesetzt werden?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Es bestehen aus Sicht der Bundesregierung am Ende keine Anhaltspunkte dafür, dass TTIP Auswirkungen auf den Zugang von Versicherungsunternehmen zum System der gesetzlichen Krankenversicherung haben wird oder eventuelle Privatisierungstendenzen gesetzlicher Krankenkassen zur Folge haben könnte.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, auch das interpretiere ich so, dass dieses Thema überhaupt nicht Gegenstand der Verhandlungen sein wird. Es wird also auszuschließen sein, dass internationale Versicherungsunternehmen, für die der deutsche Krankenversicherungsmarkt durchaus ein attraktiver Markt wäre, sich über den Weg von TTIP einen Zugang verschaffen.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Nur über diesen Weg - ja, das interpretieren Sie richtig.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir kommen nun zu weiteren ursprünglich im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gestellten Fragen. Ich rufe die Frage 35 der Kollegin Susanna Karawanskij der Fraktion Die Linke auf: Wie positioniert sich die Bundesregierung in den Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, TTIP, zu der potenziellen Problematik, dass in Deutschland über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, ein Finanzinstrument, das für volkswirtschaftlich und verbraucherschutzpolitisch schädlich gehalten wird - beispielsweise bestimmte Genussrechte -, zukünftig möglicherweise vom Markt genommen werden kann, daraufhin jedoch der betroffene Finanzdienstleister, der diese Genussrechte emittiert, gemäß der TTIP eine Schadenersatzforderung erheben könnte, weil durch das Verbot durch die BaFin seine Gewinnerwartungen deutlich zurückgehen? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Über die Einbeziehung des Investitionsschutzes in TTIP haben wir ja nun hinreichend gesprochen. Laut Verhandlungsmandat wird erst nach Vorlage des Verhandlungsergebnisses überhaupt darüber entschieden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? - Bitte schön.

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Bei TTIP geht es ja nicht nur um eventuell geschmälerte Gewinnerwartungen oder vermeintliche Handelsbarrieren, sondern auch darum, dass Regulierungsanstrengungen blockiert werden könnten. Nun zu meiner Frage: Wie will die Bundesregierung zukünftig sicherstellen, dass das Thema Finanzmarktregulierung in den Verhandlungen nicht von vornherein außen vor gelassen wird oder Finanzmarktregulierungen nur auf einem niedrigen Niveau erfolgen, weil sie als Handelshemmnis bzw. als Handelsbarriere aufgefasst werden könnten?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Abgeordnete, ich verstehe Ihre Frage so, dass Sie wissen wollen, wie das mit dem Investitionsschutz ist. Dann gilt dieselbe Antwort: Darüber wird erst nach vollständigem Abschluss der Verhandlungen entschieden. Gerade Deutschland hatte sich ja sehr dafür eingesetzt, dass über den Investitionsschutz erst am Ende aller Verhandlungen entschieden wird. Das ist auf der Verhandlungslinie also ganz nach hinten gerutscht, und wir befinden uns in dieser Woche ja auch erst in der ersten Verhandlungsrunde.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine zweite Nachfrage? - Bitte.

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Frage ist: Welche Möglichkeiten gibt es im Rahmen der TTIP-Verhandlungen, Finanzinstrumente einzuschränken, die volkswirtschaftlich bzw. für die Verbraucherinnen und Verbraucher für schädlich gehalten werden? Wie wird in den Verhandlungen darauf reagiert?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Noch einmal: Das steht ganz am Ende der Verhandlungen. Wir gehen davon aus, dass man über solche Finanzinstrumente zunächst einmal dort verhandelt, wo schon im Moment darüber verhandelt wird. Das ist ja Gegenstand anderer internationaler Verhandlungsrunden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin Leidig hat dazu eine Frage.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin Zypries, ich möchte fragen, was der Grund dafür ist, dass über das Investitionsschutzabkommen erst am Ende des gesamten Verhandlungsprozesses gesprochen werden soll, da es doch laut Bundesregierung eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dem gesamten Paket zuzustimmen, dass ein solcher Investorenschutz nicht verankert wird. Um es umgekehrt zu sagen: Wäre es nicht richtiger, die Bundesregierung würde von vornherein klären, dass es keinen Investorenschutz mit ausgelagertem Schiedsverfahren gibt, und dann erst Verabredungen zu den einzelnen Bereichen treffen, die in einem solchen Handelsabkommen verhandelt werden?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Kollegin Leidig, wir haben in dieser Fragestunde ja schon über zahlreiche Gebiete gesprochen, bei denen sich die Frage stellt: Werden sie mit aufgenommen, in welchem Umfang werden sie mit aufgenommen? Usw., usf. Unsere Auffassung war, dass wir zunächst einmal die Verhandlungen angehen sollten. Über das Thema Investitionsschutz wollten wir ganz am Ende sprechen. Dabei wird es bleiben. Dafür haben wir uns eingesetzt. Wir glauben, dass das der richtige Weg ist. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatznachfrage ist nicht zulässig. - Jetzt hat der Kollege Dr. Troost das Wort. ({0}) - Darf ich darauf hinweisen: Die Bundesregierung entscheidet nach gängiger Parlamentspraxis, wie sie antwortet, und die Kollegen entscheiden, wie sie fragen. Kollege Dr. Troost, bitte.

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich ergreife die Chance, weil ich befürchte, dass meine Fragen 43 und 44 nicht mehr aufgerufen werden. Wir waren gerade bei Finanzdienstleistungen. Sie haben gesagt, die würden nicht erfasst. Der von mir sonst nicht sonderlich geschätzte Kollege Markus Söder hat im Spiegel jetzt noch einmal gesagt, dass er durchaus gewisse Befürchtungen hat, dass über TTIP Fragen wie Finanztransaktionsteuer, Sekundenhandel und anderes mehr möglicherweise doch Gegenstand werden könnten. Habe ich Ihre Antwort so richtig verstanden, dass Sie sagen, das wird nicht Gegenstand werden?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Genau. Ich habe nicht gesagt, dass das kein Gegenstand wird, sondern ich habe gesagt, dass wir der Auffassung sind, dass das in den dafür zuständigen Gremien geklärt werden sollte. Die Frage der Finanzdienstleistungen wird ja beispielsweise in den G-20-Gremien geklärt. Wir sind der Auffassung, dort sollte das zunächst geregelt werden.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Wir kommen zur Frage 36 der Abgeordneten Karawanskij: In welchem Umfang möchte die Bundesregierung im Rahmen der TTIP-Verhandlungen die Schutzrechte für öffentliche Sparkassen bewahren, wenn zukünftig die Regel greift, dass kein ausländischer Dienstleistungsanbieter schlechter behandelt werden darf als ein inländischer Anbieter - Inländerbehandlung - und in der Folge ausländische Dienstleistungsanbieter zum Beispiel aus dem Bankensektor genau diese Schutzrechte ebenfalls einfordern? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Die Bundesregierung möchte Sonderregelungen, welche für die Sparkassen in den Gesetzen des Bundes und der Länder bestehen, nicht in den Verhandlungen über TTIP preisgeben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Schönen Dank. - Haben Sie eine Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Ich kündige hiermit an, dass wir um 16.05 Uhr mit der Aktuellen Stunde beginnen, es sei denn, dass wir gerade mitten in einer Antwort sind. Also haben wir noch knapp fünf Minuten in der Fragestunde. Als Nächstes rufe ich die Frage 37 der Abgeordneten Birgit Wöllert auf: Kann die Bundesregierung ausschließen, dass durch das Freihandelsabkommen TTIP im Bereich des Rettungsdienstes Privatisierungen eingeleitet werden könnten und auf diese Weise bisherige kommunale Träger von privaten, gewinnorientierten Anbietern verdrängt werden? Frau Staatssekretärin.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Diese Antwort ist genauso wie die Antwort auf die anderen Fragen in dem vergleichbaren Sachzusammenhang zuvor: Es bestehen aus der Sicht der Bundesregierung keine Anhaltspunkte, dass durch TTIP im Bereich der Rettungsdienste Privatisierungen eingeleitet oder auf andere Weise befördert werden können.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?

Birgit Wöllert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004446, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte.

Birgit Wöllert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004446, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, Ihre Antworten hier zum Bereich der gesundheitlichen Daseinsvorsorge könnten uns ja ein bisschen beruhigen. Deshalb meine Nachfrage: Würden Sie mir bestätigen, dass der gesamte Bereich des Gesundheitswesens als öffentliche Daseinsvorsorge aus dem TTIP-Abkommen ausgenommen ist?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

In dem Verhandlungsmandat der Europäischen Kommission für das Freihandelsabkommen mit den USA ist verankert, dass die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der Europäischen Union erhalten bleiben soll. Sie, Frau Abgeordnete, haben das Verhandlungsmandat genauso wie alle anderen Informationen dazu vorliegen. Sie können sich gerne noch weiter darüber informieren. Nach Einschätzung der Bundesregierung wird das geplante Freihandelsabkommen auch die Entscheidungsfreiheit der regionalen Körperschaften über die Organisation der Daseinsvorsorge vor Ort unberührt lassen. Deswegen gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass durch das TTIP-Abkommen im Bereich der Vergabe von Rettungsdienstleistungen Privatisierungen befördert werden könnten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Noch eine Zusatzfrage?

Birgit Wöllert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004446, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, eine Nachfrage hätte ich noch.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte.

Birgit Wöllert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004446, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Sie sagten ja, dass Sie jetzt noch nicht über alle Regelungsbereiche verhandeln. Schließen Sie das dann auch bereits für den Regelungsbereich Marktzugänge aus?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden. Ich hatte gesagt, dass die Verhandlungen gestuft sind, dass die erste Verhandlungsrunde diese Woche stattfindet und dass der Bereich Marktzugänge dort noch nicht thematisiert wird.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Nachfrage hat der Kollege Lenkert. Bitte.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, ich wiederhole die Aussage von vorhin. Die Antwort auf meine Frage an die Bundesregierung, ob es für die Schiedsgerichtsverfahren irgendwelche Sektoreneingrenzungen gibt, lautete eindeutig: Nein, es gibt keine Beschränkung. - Das heißt, auch all die Bereiche, zu denen eben Fragen gestellt wurden, ehrenamtliche Tätigkeiten, Daseinsvorsorge, Medizin, wurden von der Bundesregierung in der Antwort an mich bezüglich des Investitionsschutzabkommens explizit nicht als ausgeklammert bezeichnet. Ich frage Sie jetzt, wie Sie, wenn Sie im Vorfeld in allen anderen Verhandlungen diese Bereiche ausklammern, aber dann Investitionsschutzklagen in diesen Bereichen zulassen, sicherstellen wollen, dass diese Wirkungen nicht doch durch die Hintertür eintreten. Ich möchte auch gerne von Ihnen wissen, wie Sie dann diese Sektoren schützen wollen. Ich habe anschließend eine weitere Frage zu diesem Bereich insgesamt.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Geschätzter Kollege, eine Frage bitte.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, okay.

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Abgeordneter, wir haben vorhin nicht über einzelne Bereiche gesprochen, die von irgendwelchen Schutzabkommen ausgenommen sind, sondern ich habe Ihnen immer gesagt, dass es eine Aussetzung der Verhandlungen gibt, dass wir eine Konsultation haben und dass jeder, jede, jedes Parlament, jedes Mitglied eines Parlaments, jede NGO und jeder andere Interessierte der Europäischen Kommission seine Auffassung innerhalb von drei Monaten mitteilen kann. Die Frage, welche einzelnen Bereiche davon gegebenenfalls ausgeschlossen sein könnten, war vorhin nicht Gegenstand der Debatte.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächste hat eine Nachfrage - das ist dann auch die letzte in dieser Fragestunde - die Frau Kollegin Vogler, Fraktion Die Linke.

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, wenn das bisher nicht Gegenstand der Debatte war, dann frage ich Sie hier und jetzt - ich frage Sie nicht nach der Meinung von NGOs oder der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern nach der Meinung der Bundesregierung -, welche Bereiche des öffentlichen Lebens, des Wirtschaftslebens und der Daseinsvorsorge nach Auffassung der Bundesregierung - womit geht sie in die Verhandlungen? - von einem solchen Handelsabkommen und dem damit möglicherweise verbundenen Investitionsschutz ausgeschlossen sein sollen. Ich frage hier ganz konkret auch nach den Bereichen Arzneimittel, Medizinprodukte, Gesundheitsdienstleistungen und Krankenhäuser, die hier schon angesprochen worden sind. Können Sie das alles verbindlich ausschließen oder nicht?

Brigitte Zypries (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Kollegin, in dem Verhandlungsmandat, das Ihnen bekannt sein müsste, ist verankert, dass die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der Europäischen Union erhalten bleiben soll. ({0}) - Ja, ich kann es nicht ändern; das ist nun einmal so. Das kann ich Ihnen nur so mitteilen. ({1}) Natürlich betrifft das geplante Freihandelsabkommen auch die Entscheidungsfreiheit der regionalen Körperschaften, in die ja ganz viele Zuständigkeiten für den Bereich, den Sie gerade angesprochen haben, fallen. Ich denke, genau das wird nicht Gegenstand der Verhandlungen sein. Insofern kann man Sie, glaube ich, in weiten Teilen beruhigen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Mit den übrigen Fragen wird gemäß der Geschäftsordnung verfahren. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Abschaffung des Optionszwangs im Staatsangehörigkeitsrecht Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland tut sich mit dem Staatsangehörigkeitsrecht seit jeher schwer. Bis 1999 hat es gedauert, dass wir neben das Blutsrecht, das Ausdruck einer spät gekommenen Nation im Staatsangehörigkeitsrecht war, endlich auch das Geburtsrecht gestellt haben. Dies geschah wegen des Bundesrates damals allerdings zu dem Preis, dass wir die doppelte Staatsangehörigkeit weitgehend vermieden und die Optionspflicht für hier geborene junge Deutsche, die ausländische Eltern haben, eingeführt haben. Noch in der letzten Wahlperiode hat die Bundesregierung das Dogma betont, die Vermeidung von Mehrstaatigkeit sei „eines der prägenden Elemente des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes“ - so in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion. Dagegen haben der andere Teil des Hauses und die nicht mehr existente FDP seit Jahren argumentiert und gesagt: Wir müssen bei der Einbürgerung liberalisieren. Wir müssen die Optionspflicht überwinden. - Die SPD hat in ihrem Regierungsprogramm geschrieben: Deshalb wollen wir die doppelte Staatsbürgerschaft von Bürgerinnen und Bürgern akzeptieren. ({0}) Als Sie sich dann für die Verhandlungen zur Großen Koalition zusammengesetzt haben, hat Ihr Parteivorsitzender den Mund ganz schön voll genommen: Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist. Na ja, ich habe auch schon Koalitionsverhandlungen geführt. Man kommt nicht immer eins zu eins mit dem ans Ziel, was man sich vorgenommen hat. ({1}) Dann hieß es: Die Optionspflicht wird fallen. - Herr Gabriel sah sich wenigstens in diesem Punkt bestätigt. Ehrlich gesagt, auch ich habe, wie die Sozialdemokraten, den Text Ihres Vertrages so verstanden, dass die Optionspflicht nun ein für alle Mal Geschichte ist. Da heißt es: Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Das ist eigentlich eine klare Ansage. Klar war sie bis zu dem Tag, als der Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium kam, der nicht ein Optionspflichtabschaffungsgesetz ist, sondern ein Optionspflichtverlängerungs- und -komplizierungsgesetz. ({2}) Wer mindestens zwölf Jahre in Deutschland lebt, davon vier Jahre im Alter zwischen 10 und 16, der darf Deutscher bleiben, wer hier im Inland einen Schulabschluss gemacht hat, auch, wer ihn in Paris gemacht hat, weil seine Eltern umgezogen sind, natürlich nicht. Wer 13 Jahre in Deutschland war, davon in den letzten Jahren aber nur drei Jahre hier war, verliert den deutschen Pass auch. Wer ein Melderechtsvergehen begangen hat bzw. wessen Eltern ein Melderechtsvergehen begangen haben, der verliert auch in Zukunft weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit. Das ist wirklich grober Unfug, ({3}) ein bürokratisches Monstrum und integrationspolitisch verfehlt, weil es den jungen Deutschen sagt: Ihr seid Deutsche auf Probe. - Das darf nicht sein. Wer hier geboren ist und hier aufwächst, der gehört zu uns, und zwar mit allen Rechten und Pflichten, den müssen wir nicht willkommen heißen, weil er schon da ist und Teil unserer Gesellschaft ist. ({4}) Im Bundesrat hat es Widerstand dagegen gegeben. Man hat gesagt: Wir wollen einen eigenen Vorschlag machen; denn wir als Länder müssen diesen Bürokratismus am Ende ausbaden. Es sind die Ausländerämter der Kommunen, also Behörden der Länder, die am Ende jeden einzelnen Fall der 40 000 Optionsfälle pro Jahr ab 2018 in die Hand nehmen und nach diesen absurden Kriterien durchprüfen müssen. - Die Länder haben daher zu Recht gesagt: Das wollen wir nicht machen. Wir brauchen die Verwaltungskapazitäten für eine bessere Einbürgerung und andere Fragen. So etwas darf aber offensichtlich im Zeitalter der Großen Koalition auf Länderseite nicht diskutiert werden. ({5}) Herr Strobl, der gleich nach mir reden wird, sagt, das gehe nicht. Wenn der Bundesrat an dieser Initiative festhalte, dann - das sei klar - werde hier in Berlin über das Staatsangehörigkeitsrecht überhaupt nicht geredet. Herr Strobl wirft der SPD vor, sich durch solche Geisterfahrten Koalitionsoptionen auch mit der Linkspartei warmhalten zu wollen, und sagt, das werde auf Dauer nicht gut gehen. Meine Damen und Herren, was auf Dauer nicht gut geht, ist, wenn Sie meinen, der Bundesrat und die Landesregierungen seien bloße Erfüllungsgehilfen der Großen Koalition und da werde an die Vasallen in den Ländern durchgestellt, was hier in Berlin im Kanzleramt oder im Koalitionsausschuss behandelt wird. ({6}) Nein, die Länder haben im föderalen Staat eine eigene Aufgabe, und sie haben Landesregierungen mit verschiedenen politischen Prioritäten. ({7}) Das ist gut so, und das muss auch so bleiben. Sie müssen Schluss damit machen - ich glaube, die Menschen draußen im Lande sind es satt, sich das anzuVolker Beck ({8}) hören -, dass darunter, dass Herr Friedrich geplappert hat und sich wie ein Minister in einer Bananenrepublik benommen hat und Herr Oppermann ausgeplaudert hat, dass er sich wie in einer Bananenrepublik benommen hat, ({9}) das Ausländerrecht, die Migranten und die Qualität der Politik für unser Land leiden müssen. Machen Sie Politik für unser Land! Machen Sie es länderfreundlich! Machen Sie es integrationsfreundlich und bürokratiearm! Dann können Sie unseren Gesetzentwurf oder den des Bundesrates zur Grundlage für die Abschaffung der Optionspflicht nehmen. Das wäre angemessen. Hören Sie auf mit den Kindereien zwischen den Koalitionspartnern, bei denen es nur um die Demütigung des Partners geht! Es geht um Respekt vor den Rechten der Länder, und es geht um den Respekt vor den Menschen in unserem Land. ({10})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident Hintze! Werte Kolleginnen und Kollegen! Selin ist in Deutschland, in der Nähe von Stuttgart, geboren. Ihre Mutter ist Türkin. Auch der Vater ist türkischer Staatsangehöriger. Sie ist nicht nur hier geboren. Als sie in die Schule gekommen ist, konnte sie schon ein bisschen rechnen. Sie ist zweisprachig aufgewachsen. Selin ist ein intelligentes, fleißiges Mädchen, gut vorankommend in der Schule. Deswegen geht sie auf ein baden-württembergisches Gymnasium. Dort macht sie Abitur. Sie möchte in Deutschland bleiben und Physik studieren. Wir haben mit den Sozialdemokraten vereinbart, dass wir sie nicht vor die Frage stellen wollen, ob sie sich für die türkische - weil natürlich ihre Eltern aus der Türkei kommen und ihre Großeltern dort noch leben - oder für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden will, sondern wir haben gesagt: In diesem Fall akzeptieren wir die deutsche Staatsbürgerschaft als Doppelstaatsbürgerschaft, damit Selin in Deutschland auch wählen kann und möglicherweise eines Tages Bundeskanzlerin wird. ({0}) Das ist unsere Vereinbarung. Jetzt gibt es aber leider nicht nur Selin, sondern es gibt auch Abida. Über diesen Fall sind von türkischen Frauen ganze Bücher geschrieben worden. Es ist nämlich so, dass Abida in Deutschland geboren wird und kurz nach ihrer Geburt in die Türkei verbracht wird; denn der Vater möchte nicht, dass sie in dieser dekadenten verweltlichten Republik aufwächst. Sie kommt ganz bewusst zu den Großeltern nach Anatolien, geht dort auf eine Koranschule. Mit 15 Jahren heiratet sie einen Mann, den sie vorher noch nie gesehen hat. Sie spricht kein Deutsch, sie hat Deutschland nie gesehen, sie hat mit Deutschland null Komma null Identifikation. Das möchte ihre Familie so. ({1}) Ich möchte das gar nicht bewerten; aber klar ist - jedenfalls für die Unionsfraktion -: Das ist nicht das, was wir uns unter einer gelungenen Integration vorstellen. ({2}) Jedenfalls wollen wir solche Fälle nicht auch noch mit einer deutschen Staatsbürgerschaft honorieren. ({3}) Was wollen wir, und was haben wir mit den Sozialdemokraten in den Koalitionsverhandlungen vereinbart? Wir haben gesagt: Wenn jemand mit ausländischen Eltern hier geboren und aufgewachsen ist, akzeptieren wir die Doppelstaatsbürgerschaft. - Der Kollege Beck hat hier auf die Länderinteressen verwiesen. Ich habe auch vonseiten der Länder den Vorwurf gehört, dass da eine ungeheure Bürokratie aufgebaut werde. ({4}) Zum Ersten möchte ich fragen: Wo waren eigentlich die Ländervertreter bei den Koalitionsverhandlungen? Ich habe keinen Einzigen bemerkt, der dieses Argument in den Koalitionsverhandlungen auch nur eine Sekunde lang vorgetragen hätte. Zum Zweiten, Herr Kollege Beck, wissen Sie ganz genau: Das Ganze ist doch eine politische Frage. Ich respektiere Ihre Meinung; aber ein Zeugnis vorzulegen, um einen Schulbesuch nachzuweisen, das ist doch kein Bürokratiemonstrum. Zeugnisse hat jeder, der eine Schule besucht hat. ({5}) Diesen minimalen bürokratischen Aufwand dürfen wir, glaube ich, schon verlangen. ({6}) Verstehen Sie: Es geht um die deutsche Staatsbürgerschaft. Ein Zeugnis vorzulegen, um einen Schulbesuch nachzuweisen, ist, glaube ich, nicht zu viel verlangt. ({7}) Thomas Strobl ({8}) Wir reden hier nicht über die Verlängerung einer Parkzonenerlaubnis. Es geht um die deutsche Staatsbürgerschaft. Es geht um die Frage: Wie definieren wir unser Staatsvolk? Es geht um die Frage: Wer ist hier Bürgerin, wer ist hier Bürger? Es geht um die Frage: Wer ist diesem Land lebenslang mit Rechten und Pflichten verbunden? Es geht nicht zuletzt um die Frage: Wer ist hier wahlberechtigt? Wer kann hier Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler wählen? ({9}) Das ist keine triviale Frage. Wir werden diese Frage, Herr Kollege Beck, auch nicht nach dem entscheiden, was jetzt drei Länder aus einem Wahlprogramm vom September 2013 abgeschrieben haben, sondern wir werden das, wie es diese wichtige Thematik verlangt, in aller Gründlichkeit mit den Sozialdemokraten beraten auf der Basis dessen, was wir im Koalitionsvertrag gemeinsam ausgehandelt haben. Ich bin ganz sicher, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden. Danke fürs Zuhören. ({10})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächster erteile ich das Wort der Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Optionspflicht geht es um eine Bestimmung des Staatsbürgerschaftsrechts, die seinerzeit unter der rotgrünen Bundesregierung eingeführt wurde und nun wieder abgeschafft werden soll. Ich darf hier daran erinnern, dass die Linke schon damals gegen die Optionspflicht und für eine generelle Hinnahme von doppelten Staatsbürgerschaften gestimmt hat. ({0}) Kollege Strobl, in Ihrer Rede wurde ganz deutlich, worum es im Kern geht. Im Kern geht es darum, dass junge Deutsche mit türkischen Wurzeln zwei Jahrzehnte lang die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft haben, sich dann aber entscheiden müssen, entweder für die deutsche und gegen die türkische Staatsbürgerschaft oder andersherum. Übersetzt müssen die jungen Leute zwischen Wir und Ihr entscheiden, ohne Not und würdelos. Das findet die Linke falsch. ({1}) Der politische Konflikt ist übersichtlich: Die CDU/ CSU spiegelt den einen Pol wider, die Linke den anderen. Die CDU/CSU will eigentlich gar keine doppelte Staatsbürgerschaft und wenn doch, dann mit möglichst hohen Hürden. Die Linke will grundsätzlich doppelte Staatsbürgerschaften, im Übrigen nicht nur deutsch-türkische. ({2}) Die Grundlagen des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts stammen übrigens aus einer Zeit, die nicht im Ansatz verlängert werden sollte. Wir wollen ein offenes Staatsbürgerschaftsrecht und kein ausgrenzendes. ({3}) Der anhaltende Streit dreht sich um Pässe und dazugehörige Rechte. Infrage steht aber zugleich das gesellschaftliche Klima hierzulande. Ein Beispiel möge das hier illustrieren. Es ist drastisch und hat Bezug zur Mordserie der NSU-Nazibande. Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken. Im Jahr 2001 wurde in Hamburg Süleyman Tasköprü hingerichtet. Aysen Tasköprü ist seine Schwester. 2013 schrieb sie an

Not found (Gast)

Noch im März 2011 konnte ich darüber lachen, als eine Sachbearbeiterin im Rathaus zu meinem Sohn sagte, er sei kein Deutscher. Der Kleine war ganz erstaunt und erklärte ihr sehr ernsthaft, dass er sehr wohl Deutscher sei, er habe schließlich einen deutschen Pass. … Heute kann ich darüber gar nicht mehr lachen. Ich hatte mal ein Leben und eine Heimat. Ich habe kein Leben mehr. … Ich habe auch keine Heimat mehr, denn Heimat bedeutet Sicherheit. Seitdem wir wissen, dass mein Bruder ermordet wurde, nur weil er Türke war, haben wir Angst. Was ist das für eine Heimat, in der du erschossen wirst, weil deine Wurzeln woanders waren? Nun reden wir heute nicht über das NSU-Desaster und natürlich auch nicht über Mord, wohl aber über Heimat, in der man sich wohl und auch sicher fühlen soll, auch mit fremden Wurzeln. Ein Doppelpass wäre hier hilfreich. ({0}) CDU/CSU und SPD haben eine Lösung versprochen. Wir warten auf Vorlage derselben, aber stattdessen gibt es Zoff. Aktueller Stein des Anstoßes ist eine Bundesratsinitiative zu diesem Thema, die von drei Bundesländern getragen wird, in denen die SPD mitregiert. Das wäre Wortbruch und wider die Große Koalition im Bund, schimpfen Unionspolitiker und drohen mit Boykott in der Sache. Ich empfehle Ihnen: Nehmen Sie die Bundesratsvorlage, und machen Sie sie bei allen Mängeln zum Bundesgesetz. Die Linke wäre dabei. ({1}) Abschließend sei noch gesagt: Wenn sich Teile der Großen Koalition im Bund so groß wähnen, dass sie Landesregierungen und Landesparlamenten vorschreiben wollen, was diese im Bundesrat dürfen und was nicht, dann streichen Sie den Föderalismus doch gleich aus dem Grundgesetz - und die Demokratie ebenso. Das wäre zwar grundfalsch, aber konsequent. Ich denke, von dieser Seite des Hauses sollten noch immer die wohlverstandenen Interessen der Bundesländer vertreten werden. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächste hat die Kollegin Dr. Eva Högl, SPDFraktion, das Wort. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es zu Beginn einmal ganz deutlich sagen: Diese Große Koalition wird den Optionszwang abschaffen. ({0}) Das werden wir als eine der ersten Maßnahmen dieser Großen Koalition tun. Wir haben eine Formulierung im Koalitionsvertrag, die schon zitiert worden ist ({1}) - Sie müssen gar nicht so aufgeregt sein; wir können das ruhig miteinander diskutieren -: ({2}) Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Das ist so weit klipp und klar; ich komme gleich zu den Schwierigkeiten. Wir bringen damit ganz deutlich zum Ausdruck, dass der Optionszwang abgeschafft wird. Ich sage es ganz deutlich: Die Optionspflicht schadet der Integration. Das stellen wir immer wieder fest. Sie belastet die Verwaltung, und sie passt nicht zu einem modernen Land wie Deutschland. ({3}) Deswegen schaffen wir sie für viele Menschen, die davon betroffen sind, ab. ({4}) Natürlich ist das in der Koalition ein umstrittenes Thema; das leugnet hier doch niemand. Das war eine schwere Entscheidungsfindung in der allerletzten Nacht der Koalitionsverhandlungen. Das wissen alle, die in diesem Haus sind, und das wissen alle, die diese Debatte verfolgen. ({5}) Das ist nicht unumstritten, und es ist auch richtig so, weil es nämlich ein wichtiges Thema ist, weil es um eine ganz grundsätzliche Frage geht, die viele Menschen in unserem Land betrifft. ({6}) Wir als SPD nehmen für uns in Anspruch, dass wir unsere Position bei den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt haben. Das ist für uns ein Erfolg. Auch das möchte ich hier sehr deutlich sagen. ({7}) Natürlich ist es kein Geheimnis - es ist ein offenes Geheimnis -, dass die beiden Wörter „und aufgewachsen“ nicht einfach zu definieren sind. Wir ringen darum, eine vernünftige Formulierung zu finden, was wir mit „und aufgewachsen“ meinen. ({8}) Unsere generelle Linie ist: Wir schaffen die Optionspflicht ab, und wir erleichtern die Möglichkeit, die doppelte Staatsangehörigkeit zu behalten, für viele Menschen in unserem Land. ({9}) Für uns soll es nicht länger Deutsche auf Probe geben. Wir wollen diejenigen nicht schlechterstellen, die bisher schon ein Recht darauf haben, eine deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen und eine andere zu behalten. Wir wollen nicht zu viel Bürokratie schaffen und selbstverständlich internationale Lebensläufe und die europäische Freizügigkeit berücksichtigen. Trotzdem - das besagt die Formulierung „und aufgewachsen“ - wollen wir sicherstellen, dass die betroffenen Personen einen Bezug zu Deutschland haben. Es ist gut, dass wir versuchen, das sicherzustellen. Das ist der Kompromiss, den wir in der Großen Koalition gefunden haben. ({10}) Deshalb rate ich zu ein bisschen weniger Aufregung und zu mehr sachlicher Diskussion. ({11}) Es gibt einen ersten Vorschlag des Bundesinnenministers - das ist eine ganz normale Verfahrensweise -, und darüber gibt es eine Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Für uns als SPD ist ganz klar, dass dieser Entwurf nicht das letzte Wort ist. Ich zitiere einmal einen früheren Fraktionsvorsitzenden von uns; auch das ist geübte Praxis im Deutschen Bundestag. Nach dem Struck’schen Gesetz verlässt ein Gesetzentwurf den Bundestag nicht so, wie er hineingekommen ist. Das wird vermutlich auch für diesen Gesetzentwurf gelten. ({12}) Für die SPD ist ganz klar - ich sage das noch einmal sehr deutlich -: Wir wollen selbstverständlich nicht, dass alle betroffenen Personen einzeln den Nachweis erbringen müssen, dass sie nicht optionspflichtig sind. Vielmehr sagen wir: Das ist ein falsches Signal. Wir wollen das Verfahren erleichtern. Wir wollen den Entscheidungszwang abschaffen. Wir werden - seien Sie dessen versichert, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition - eine vernünftige Lösung für genau diese Frage finden, eine gute und praktikable Lösung. ({13}) Jetzt noch etwas zu der Initiative der Bundesländer. Die Bundesländer haben das gute Recht, eine Initiative in den Bundesrat einzubringen. Das spricht ihnen überhaupt niemand ab; das ist ihr gutes Recht. ({14}) - Jetzt rede ich und nicht Herr Strobl. ({15}) Das drückt doch etwas aus, Herr Beck; das wissen Sie ganz genau, das wissen alle Beteiligten hier. Die SPD wollte mehr. Die SPD möchte die doppelte Staatsangehörigkeit für einen viel größeren Personenkreis, auch für Personen, die hier schon länger leben. Wir können den Bundesländern, in denen die SPD mitregiert, eine solche Bundesratsinitiative selbstverständlich nicht verwehren. Aber ich rate auch hier zu ein bisschen weniger Aufregung; denn für die gesamte SPD, im Bund und in den Ländern, gilt der geschlossene Koalitionsvertrag. Das sage ich hier unmissverständlich. ({16}) Deswegen werden wir hier gemeinsam partnerschaftlich und sachorientiert daran arbeiten, eine gute Lösung zu finden. ({17}) Wir ignorieren die Störungen von außen. Wir freuen uns über kluge Hinweise von Ihnen, Herr Beck, wie wir die Wörter „und aufgewachsen“ gut definieren können. Ich verspreche Ihnen, Herr Beck: Bei der nächsten Debatte zum Thema Optionszwang werden wir eine gute Regelung vorgelegt haben. Ich freue mich auf die Beratungen zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und auf Ihre Unterstützung bei der Abschaffung des Optionszwangs; denn darum geht es. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bisher haben wir von den Vertreterinnen und Vertretern der Regierungskoalition leider weder etwas Neues noch etwas Konkretes gehört. ({0}) Frau Eva Högl hat deutlich gemacht, dass sie auf die Einlösung ihrer Versprechen im Wahlkampf noch längst nicht verzichtet hat. Herrn Strobl ist das Thema so wichtig, dass er nach seinen Tiraden den Saal verlassen hat. ({1}) Eines ist aber erneut klar geworden: Sie von der Großen Koalition haben weder eine gemeinsame Haltung in dieser wichtigen Frage, noch wissen Sie überhaupt, wohin die Reise geht. Das ist ein Problem. Die Wahrheit ist doch: Die SPD konnte sich und kann sich nach wie vor nicht durchsetzen, und die CDU hat ihre weltoffene Maske schnell abgelegt. Das, was Sie als Entwurf vorlegen oder demnächst zur Diskussion stellen wollen, ist nicht die Abschaffung des Optionszwangs. Im Gegenteil: Sie perfektionieren ihn, indem Sie ihn zum einen mit Attributen versehen, die mehr Bürokratie bedeuten, und zum anderen den betroffenen Jugendlichen sagen: Wir wollen euch schon haben, aber wir wollen auch Hürden. - Genau das ist das Problem, und das machen wir nicht mit. ({2}) Anders sind der Hickhack in der GroKo und Ihre Hinhaltetaktik nicht zu verstehen. Sie ziehen sich auf die Interpretation von Nebensätzen im Koalitionsvertrag zurück; Sie versteigen sich und betreiben Wortklauberei. Für all die betroffenen jungen Menschen, die jetzt vielleicht unsere Debatte im Parlamentsfernsehen sehen, ist das keine Botschaft, die wir aus diesem Hohen Hause senden wollen. Es ist ein Skandal, wie Sie seit Monaten mit diesem gesellschaftlich wichtigen Thema umgehen. Ich finde Ihre Spielchen in dieser Auseinandersetzung einfach beschämend, weil Sie verkennen, dass diese jungen Menschen sich sehr wohl zu diesem Land bekennen können, auch wenn sie die Staatsbürgerschaft der Eltern oder Großeltern beibehalten. Wir reden inzwischen von hybriden Identitäten, und Sie bestehen darauf und verlangen, dass diese jungen Menschen ein einseitiges und alleiniges Bekenntnis zu Deutschland abgeben, im Wissen, wie schwierig das in vielen Fällen ist. Genau das ist das Problem in dieser Debatte. Es ist auch beschämend, weil Sie diese Auseinandersetzung auf dem Rücken dieser jungen Menschen austragen, die tagtäglich zwangsweise ausgebürgert werden. ({3}) Inzwischen sind schon 400 Menschen per Gesetz ausgebürgert worden. Es geht um 8 500 - das sind im Übrigen Zahlen aus den Statistiken des Bundesinnenministeriums -, die sich in den nächsten zwei Jahren entscheiden müssen. Wir Grünen sagen: Damit muss Schluss sein. Schluss mit diesem Optionszwang, ohne Wenn und Aber! ({4}) Sie reden von Integration - das hat auch Kollege Strobl gemacht -, wollen aber dieses integrationsfeindliche Instrument fortführen und ausbauen. Wir schaffen damit, wenn es - gegen unsere Stimmen - durchkommt, ein Bürokratiemonster, das Geld und Zeit kostet und unnötigen Ärger verursacht. Oliver Welke von der heute-show - er ist Ihnen allen bekannt - brauchte nur den Vorschlag von Bundesinnenminister de Maizière vorzulesen und hatte schon die Lacher auf seiner Seite. Aber das Schlimme an dieser Debatte ist, dass es keine Satire ist. Der Innenminister meint es ernst. Er will die Optionspflicht abschaffen, heißt es. Ich meine, er will sie nur neu interpretieren. Hier geboren und aufgewachsen muss man dann sein. Aber die Frage, was „aufgewachsen sein“ bedeutet, hat uns auch heute niemand beantwortet. Wie viele Jahre muss man Luft in Deutschland geatmet haben, damit man tatsächlich deutsch genug ist? Kann man nicht im Ausland aufwachsen und trotzdem wertvoller Teil dieser Gesellschaft sein, vor allem in einem immer stärker zusammenwachsenden Europa? Wie lässt sich der Entwurf des Innenministers mit der Freizügigkeit in Europa vereinbaren? Kollege Beck hat es bereits gesagt. Was ist denn, wenn meine Tochter tatsächlich nach Paris geht, dort ihren AbiBac macht und zurückkommt? Dann hat sie keinen deutschen Schulabschluss, und sie darf nicht die doppelte Staatsbürgerschaft behalten. Das ist ein Problem. Ein Problem ist es, dass Sie optionspflichtigen Kindern oder Jugendlichen, die einen ausländischen Abschluss machen, dies zum Verhängnis machen. Das passt weder hinten noch vorne zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deshalb werden wir Ihren Entwurf ablehnen. ({5}) Seien Sie vernünftig! Beenden Sie diese Interpretationsschlacht! Wir sagen: Chancengerechtigkeit für alle. Hören Sie auf, die Andersartigkeit mit irgendwelchen Interpretationen zu manifestieren und der Integration zu schaden! Aus diesem Grunde sagen wir, dass die Vorschläge aus den Ländern bzw. die Bundesratsinitiative der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein richtig sind. Begreifen Sie das als eine Unterstützung, liebe Kollegen von der SPD! Nehmen Sie das an, und setzen Sie sich endlich durch! Lassen Sie nicht zu, dass sich ein Herr Strobl und Gleichgesinnte in dieser für unsere Gesellschaft wichtigen Frage durchsetzen. Zuletzt möchte ich Herrn Gabriel und Frau Özoğuz an ihre Versprechen wenige Tage vor dem Mitgliederentscheid der SPD erinnern. Da stand es nämlich klar und deutlich: Der Optionszwang wird abgeschafft. - Da stand nicht: Wir interpretieren das neu. In diesem Sinne hoffe ich auf Ihre Vernunft. Auf Unterstützung von der rechten Seite brauche ich nicht zu hoffen. Aber Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben die Gelegenheit, ein gutes Gesetz zu machen. Ich danke Ihnen. ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich darf das Haus informieren, dass sich der Kollege Strobl entschuldigt hat - und zwar meiner Ansicht nach bei allen Fraktionen -, weil er als stellvertretender Fraktionsvorsitzender nun in verantwortlicher Funktion einer Vizepräsident Peter Hintze Anhörung beizuwohnen hat. Deswegen hat er seine Abwesenheit beim weiteren Fortgang der Debatte entschuldigt. Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Heinrich Zertik von der CDU/CSU-Fraktion das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herr Zertik, bitte. ({0})

Heinrich Zertik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004451, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Staatsangehörigkeit. Ich selber bin in Kasachstan geboren und mit meiner Familie Ende der 80er-Jahre nach Deutschland gekommen. Wir haben darum gekämpft, hierherzukommen. Es war schwierig und mühselig, die nötigen Papiere für zahlreiche Anträge zusammenzustellen und unsere Ausreise voranzutreiben. Warum haben wir es getan? Weil wir aus voller Überzeugung in Deutschland leben wollten. Für uns war es keine Frage, ob wir unsere alte Staatsbürgerschaft behalten oder nicht. Uns war klar, dass wir die deutsche Staatsbürgerschaft haben wollten, nicht nur um alle Rechte zu erlangen, sondern auch bewusst Pflichten als deutsche Staatsbürger zu übernehmen. ({0}) Es war nicht immer einfach, hier heimisch zu werden. Zu Hause haben wir Deutsch gesprochen, Alltagsdeutsch. ({1}) - Ich komme gleich darauf zurück. - In Deutschland stellten wir dann fest, dass wir nicht immer verstanden wurden. Aber wir hatten und haben den festen Willen, uns hier zu beheimaten. Inzwischen sind viele meiner Landsleute in Deutschland angekommen. Unter ihnen sind viele Beispiele für eine gelungene Integration. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat 2009 einen Index zur Messung von Integration vorgestellt. Demnach liegt der Anteil der Personen zwischen 20 und 64 Jahren, die weder einen schulischen noch einen beruflichen Abschluss erreicht haben, bei Aussiedlern unter 3 Prozent. Warum erzähle ich Ihnen das? Ein Bildungsabschluss ist ein Zeichen für eine gelungene Integration. Das lässt sich auch anhand der Zahlen für berufliche Bildungsabschlüsse belegen. 12 Prozent der Spätaussiedler haben einen Abschluss als Meistertechniker erworben bzw. eine Berufs- oder Fachhochschule abgeschlossen. Bei Personen ohne Migrationshintergrund liegt der Wert bei 14 Prozent, also geringfügig darüber. Bei Personen mit Migrationshintergrund liegt der Wert bei 9 Prozent. Das müssen wir noch verbessern. Ein Abschluss ist der Zugang zu einem Arbeitsplatz und damit zur Sicherung des Lebensunterhalts. Es geht also darum, Integrationsbemühungen zu fördern und Potenziale zu nutzen. Die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse, die 2011 beschlossen und in Gesetzesform gegossen wurde, ist dafür ein wichtiger Schritt. Leider haben einige SPD-regierte Länder dies noch immer nicht umgesetzt. Angela Merkel, unsere Bundeskanzlerin, hat von einer Willkommenskultur gesprochen. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Da gibt es noch Defizite und einiges zu tun. Keiner oder keine soll benachteiligt sein, weil er oder sie aus einem anderen Kulturkreis stammt. Unsere Aufgabe als Parlamentarier ist es, diese Willkommenskultur zu fördern und zu stärken. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sich alle Menschen, die sich bewusst entscheiden, hier zu leben, unsere Werte zu akzeptieren und hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gut aufgenommen fühlen. Da helfen mehrere Staatsbürgerschaften wenig. Es hilft aber, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass sie gewollt sind, dass ihre Person geschätzt wird, weil sie sich in die Gesellschaft einbringen. Wenn das der Fall ist, dann verspreche ich Ihnen: Diese Menschen werden nicht den Wunsch haben, mehrere Staatsbürgerschaften zu behalten, sondern sie werden sich aus vollem Herzen und aus voller Überzeugung für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. ({2}) Trotzdem werden sie ihre kulturellen Wurzeln nicht vergessen, trotzdem sprechen sie noch ihre Muttersprache. Das ist für Deutschland eine große Bereicherung; denn diese Menschen sind Kulturbotschafter ihrer Länder. Es ist notwendig, die deutsche Sprache zu beherrschen, um hier die Ausbildung zu absolvieren und sich in das Arbeitsleben produktiv einzubringen. Um eine zweite Sprache zu sprechen, um sich im Land ihrer Vorfahren zurechtzufinden, verwandtschaftliche Beziehungen zu pflegen und die dortige Kultur zu erleben und zu erfahren, dafür nutzen mehrere Staatsbürgerschaften auf dem Papier nichts. Es geht um die Identifikation, um die Identifikation mit Deutschland, mit unserer Kultur und unserer Geschichte. Es geht um die Identifikation mit unseren Grundwerten Demokratie und Freiheit. Vielen ausländischen Mitbürgern ist das bewusst. Das belegen auch Zahlen einer Einbürgerungsstudie, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Optionsregelung im Jahr 2011 erstellt hat. Demnach schaffen soziale und berufliche Einbettung starke alltagspraktische Bindungen. Dies gilt auch für die privaten und beruflichen Zukunftsplanungen, die sich bei den befragten Optionspflichtigen überwiegend auf Deutschland richten. Knapp 90 Prozent der Optionspflichtigen, die befragt wurden, haben sich für den deutschen Pass ausgesprochen, weil sie hier ihren Lebensmittelpunkt haben, weil sie die Rechte eines deutschen Staatsbürgers behalten wollen, weil sie auch die Vorteile nutzen möchten, als EU-Bürger zu reisen, zu leben und zu arbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Optionszwang hin oder her - das ist eine Formalität. In Deutschland kann jeder, der sich mit diesem Land und seinen Werten identifiziert, der die Sprache spricht und für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, hier eingebürgert werden und einen deutschen Pass erhalten. ({3}) Er oder sie kann deutscher Staatsbürger werden, ohne Wenn und Aber, mit allen Rechten und Pflichten. Das wollen wir fördern und unterstützen. Das verstehe ich unter Willkommenskultur. Das deutsche Staatsbürgerrecht ist nicht so schlecht, wie manche denken oder sagen. Wir sollten daran festhalten, dass der, der sich zur deutschen Staatsbürgerschaft bekennt, sich mit Deutschland identifiziert. Das sind die Menschen, die wir brauchen. Sie sind es, die Deutschland bereichern. Danke schön. ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wir gratulieren dem Kollegen Heinrich Zertik herzlich zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag zu diesem spannenden und herausfordernden Thema. ({0}) Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke. ({1})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir finden es gut, dass drei rot-grüne Bundesländer die Bundesratsinitiative gestartet haben, das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft für Kinder, die hier geboren sind, zu gewähren; denn damit würde der diskriminierende Optionszwang, nach dem sich diese Kinder zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden müssen, endlich bedingungslos abgeschafft. ({0}) Denn was bedeutet Optionszwang praktisch? Im Regierungsbezirk Darmstadt, in dem mein Wahlkreis liegt, haben bereits im ersten Halbjahr 2013 28 Jugendliche die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verloren, fast alle Kinder türkischer Eltern. Diese jungen Menschen besitzen jetzt nur noch die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. In Hanau verlor eine 23-Jährige ihren deutschen Pass, weil sie nicht rechtzeitig zwischen deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit gewählt hat. Dabei hätte sie lieber den deutschen Pass behalten. Sie hat keine Chance, das Versäumnis zu heilen; die Behörde sieht keinen Spielraum. 248 jungen Menschen wurde 2013 durch den Optionszwang bundesweit die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, der überwiegenden Mehrheit, weil sie Fristen versäumt hat. Was bedeutet das für diese jungen Menschen, die bereits 23 Jahre lang Deutsche waren? Wie fühlt sich das für sie an? Was bedeutet das für diese jungen Menschen, die in Deutschland eine Wohnung, eine Arbeit, einen Ausbildungsplatz oder einen Studienplatz finden wollen, da doch klar ist, dass es Diskriminierung gibt und das ohne eine deutsche Staatsbürgerschaft schwieriger ist? Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Kindern von Zuwanderern die doppelte Staatsangehörigkeit zu gewähren, sofern sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Man könnte es so verstehen, als ob der Optionszwang damit abgeschafft würde. Aber ich sage Ihnen: Ihr angeblicher Doppelpasskompromiss ist faul. Die Optionspflicht bleibt, und sie wird noch bürokratischer. Sogenannte Optionskinder müssen unter Beweis stellen, dass sie „richtige Deutsche“ sind. Als Nachweis sollten dafür die Betroffenen die Geburtsurkunde, eine deutsche Meldebescheinigung und ein deutsches Schulabschlusszeugnis vorlegen. Wenn Sie, Herr Kollege Strobl, sagen: „Das sollen sie doch machen“, dann ignorieren Sie bewusst und wissentlich, dass es eine Diskriminierung von Migranten im deutschen Bildungssystem gibt. Herr Strobl, damit erschweren Sie gerade diesen Jugendlichen die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft und damit des Doppelpasses. ({1}) Warum wollen CDU und CSU diese Optionspflicht unbedingt beibehalten, dieses bürokratische Monster, wie es der Kollege Veit in der vergangenen Legislatur richtigerweise bezeichnet hat? Eine Überprüfung von Hunderttausenden Lebensläufen wird damit verewigt. Selbst nach Angabe von Innenminister de Maizière werden 90 Prozent aller sogenannten Optionskinder beide Staatsangehörigkeiten behalten können. Warum dann diese Schikane? Ich sage es Ihnen: Die Optionspflicht gilt nicht für Kinder von EU-Bürgern oder Schweizern. Im Wesentlichen ist die Optionspflicht eine Diskriminierung von Kindern türkischer Eltern in Deutschland. ({2}) Sie ist in Gesetz gegossener Rassismus. Auch deshalb muss der Optionszwang dringend weg. Es ist eine Schande, dass die Bundestagsfraktion der SPD, die SPD-geführten Länder und auch die Grünen in Hessen nun dem Gesetzesantrag der drei rot-grün geführten Bundesländer in den Rücken fallen. ({3}) Selbst die Initiatoren dieses Antrags dieser drei Länder sind weichgekocht worden. Der Gesetzentwurf soll nun nach Aussage der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer nicht einmal im Plenum des Bundesrates diskutiert werden - eine Beerdigung erster Klasse. Es ist schade, dass die Grünen dazu nichts gesagt haben. Die hessischen Grünen lassen sich von der CDU am Nasenring durch die Manege führen. ({4}) Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün steht: Auf bundespolitischer Ebene werden wir die Aufhebung der Optionspflicht und die Akzeptanz von Mehrstaatigkeit im Staatsangehörigkeitsrecht für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern unterstützen. Selbstverständlich haben die Wählerinnen und Wähler und auch viele Betroffene gehofft, dass damit auf Bundesebene klare Kante gezeigt wird. Jetzt wollen sie sich enthalten. Gerade das macht die Entscheidung für die Betroffenen so bitter. ({5}) Außerdem zeigt es, dass die Geister, die Roland Koch 1999 im Hessen-Wahlkampf mit seiner Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft rief, immer noch spuken und wirksam sind. Leider ist der faule Kompromiss nicht der einzige, den die Große Koalition fabriziert hat. Die Große Koalition hat ausdrücklich vereinbart, dass es zu keiner Erleichterung der Einbürgerung kommt und dass es für Migranten auch weiterhin keine doppelte Staatsbürgerschaft und auch nicht die notwendige Reform des auf dem Blutsprinzip beruhenden Staatsbürgerschaftsrechtes geben wird. Die Linke fordert, Einbürgerungen endlich zu erleichtern, das Wahlrecht für alle, die mehr als fünf Jahre hier leben, einzuführen und die doppelte Staatsbürgerschaft für alle Migranten zu ermöglichen. Ich sage Ihnen: Die Integrationsverweigerer sitzen hier auf der Regierungsbank. Zeigen Sie den jungen Menschen aus Migrationsfamilien endlich, dass sie hier willkommen sind - ohne Wenn und Aber. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt der Kollege Uli Grötsch, SPD-Fraktion. ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Buchholz, ich weiß nicht, ob es Ihnen zusteht, die SPD-Bundestagsfraktion mit Schimpf und Schande zu überziehen. Ich weiß schon gar nicht, ob es Ihnen zusteht, unsere Integrationsministerin als Integrationsverweigerin zu bezeichnen. ({0}) Sie wissen ja, wer die Akteure sind, die sich um Integration in unserem Land verdient machen. Bevor Sie solche Worte benutzen, sollten Sie kurz einmal schauen, wer auf der Regierungsbank sitzt und wer nicht. Natürlich ist Deutschland ein Einwanderungsland, und das ist auch gut so. Natürlich braucht unser Land künftig ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Daran zweifeln nur die, die man da, woher ich komme, Hinterwäldler nennt. Auch ich meine, dass es gut ist, dass sich alle politischen Akteure in Deutschland auch außerhalb des Deutschen Bundestages und ausdrücklich auf allen Ebenen Gedanken darüber machen, wie dieses Recht in Zukunft aussehen soll. Niemand hier will doch den Ländern das Recht absprechen, ihre in der Verfassung verankerten Rechte zu nutzen und sich am politischen Diskurs aktiv zu beteiligen. Die Kollegin Högl hat schon darauf hingewiesen. Es ist natürlich auch kein Geheimnis, dass die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU bei der Haltung zur Abschaffung des Optionszwangs und darüber, wie ein künftiges Staatsangehörigkeitsrecht in Deutschland ausgestaltet wird, unterschiedlicher Meinung sind. Wir wissen, dass es schon lange gesellschaftliche Realität ist, dass das bis dahin geltende Staatsangehörigkeitsrecht überaltert ist und es einer Neuregelung bedarf. Es ist peinlich genug, dass wir mehr als 20 Jahre brauchen, um gesellschaftliche Realitäten mit Mehrheiten im Deutschen Bundestag abzubilden. Ich möchte ganz kurz auf den Kollegen Strobl zu sprechen kommen. Schade, dass er nicht mehr im Saal ist. Seine beiden Geschichten, die er vorgetragen hat, waren mit Pathos durchsetzt, so will ich es einmal sagen. Ich glaube ganz und gar nicht, dass man Deutscher werden kann. Ich glaube, dass das Deutschsein etwas ist, das man in sich spürt und weitertragen will. Ich glaube ausdrücklich ganz und gar nicht, dass es etwas damit zu tun hat, ob die Wurzeln der betreffenden Person in Deutschland oder einem anderen Land der Welt liegen. Mit dem aktuell geltenden Koalitionsvertrag ist der SPD wieder ein Schritt hin zum großen Ziel gelungen - ganz ohne Frage -; mehr nicht als ein weiterer Schritt, aber doch immerhin. Wir stehen kurz vor der Ziellinie, und glauben Sie mir, wir freuen uns darauf, dass wir dieses für uns so wichtige Projekt gemeinsam über die Ziellinie tragen können. Dahin geht die Reise, hin zu diesem großen Ziel, Herr Kollege Mutlu. Natürlich ist diese Reise kein Kurztrip, sondern eine ziemlich lange Reise, aber es lohnt sich auch, diese lange Reise zu machen, weil es zu dem wirklich erstrebenswerten Ziel führt. Für uns wird es eine große Errungenschaft sein, wenn wir das Ziel erreicht haben, weil wir mit der Abschaffung der Optionspflicht eines der ganz großen gesellschaftspolitischen Ziele erreicht haben. ({1}) - Dann scheinen Sie die Formulierungen des Koalitionsvertrages noch nicht ausführlich gelesen zu haben. Wenn wir sie abgeschafft haben, haben wir etwas umgesetzt, was längst Realität und eigentlich längst überfällig ist. Lassen Sie mich noch einmal an die Adresse der Unionsfraktion sagen: Wir sind vertragstreu, auch wenn es nicht immer Spaß macht. Für die SPD-Bundestagsfraktion ist der Koalitionsvertrag in all seinen Bereichen bindend. Diese Bindung erwarten wir als SPD mit Fug und Recht von unserem Koalitionspartner. Trotzdem will ich gegen Ende dieser Debatte nochmals betonen, dass es den Fraktionen im Bundestag nicht obliegt, darüber zu urteilen, ob sich die Bundesländer richtig oder falsch verhalten. Auch die Landesregierungen haben natürlich ihre Koalitionsverträge und sind daran gebunden. Von daher meine ich, dass man es gar nicht negativ bewerten sollte, wenn die Länder ihre Rolle wahrnehmen. Es bedarf schon gar nicht eines Sturms der Entrüstung im ganzen Land, um die SPD-Bundestagsfraktion auf ihre vertraglichen Verpflichtungen aufmerksam zu machen und hinzuweisen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, Sie wissen, dass es uns mit dem Koalitionsvertrag ernst ist. Sie wissen, dass wir den Vertrag bis 2017 so umsetzen wollen, wie er beschlossen und geschlossen wurde. Sie wissen, dass auf die Sozialdemokratie Verlass ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsparteien, Sie wissen das auch. Sie wissen außerdem, dass wir noch weit über die Legislaturperiode hinaus die Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht als Topthema haben werden. Rufen Sie doch nicht in den Saal, dass Sie den Entwurf ablehnen werden, bevor Sie ihn überhaupt kennen. ({3}) Ich komme zurück auf das Thema der Aktuellen Stunde: Die Position der SPD-Bundestagsfraktion ist schlichtweg unverändert. Vielen Dank. ({4}) - Unverändert.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Zitat des dänisch-deutsch-amerikanischen Psychoanalytikers Erik Erikson lautet: Identität, das ist der Schnittpunkt zwischen dem, was eine Person sein will, und dem, was die Welt ihr zu sein gestattet. In Deutschland liegt dieser Schnittpunkt nah bei der einzelnen Person. Bei uns kann man sich weitgehend frei entscheiden, womit man sich identifiziert und wovon man sich abgrenzen möchte. Das ist ein Aspekt unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates, auf den wir stolz sein können. Die offizielle Staatsangehörigkeit kann kaum beeinflussen, wie der Einzelne innerhalb einer Gesellschaft wahrgenommen wird. An dem sozialen Phänomen, dass zum Beispiel ein Deutsch-Türke in der Türkei eher als Deutscher und in Deutschland eher als Türke wahrgenommen wird, wird auch die doppelte Staatsbürgerschaft wenig ändern. Für die Integration des Einzelnen sind Aspekte wie Sprache, Sozialisation, Familie und Wohnort weitaus entscheidender als der Pass. Letztendlich läuft es also auf die eigene, individuelle Entscheidung hinaus, wo jemand seine Heimat und seinen Lebensmittelpunkt sucht und finden möchte. Das bisherige Optionsmodell ermöglicht jungen Migranten, genau diese Entscheidung im Alter zwischen 18 und 23 Jahren bewusst zu treffen. Die BAMF-Einbürgerungsstudie 2011 zeigt, dass diese Regelung vernünftig ist: 87 Prozent der Eingebürgerten sehen es als Vorteil, dass sie sich ihre Staatsbürgerschaft aussuchen durften. 76 Prozent sagen, dass diese Entscheidung sie in ihrer Lebensplanung nicht verunsichert hat. Rund 90 Prozent entscheiden sich für die deutsche Staatsbürgerschaft. - Angesichts solcher Werte ist der Vorwurf, es müssten hier unzumutbare Gewissensentscheidungen getroffen werden, nicht nachvollziehbar. ({0}) Die Union wollte daher an den bestehenden Regelungen festhalten, und ein großer Teil der Wählerinnen und Wähler - das zeigt das überzeugende Ergebnis - hat uns das Vertrauen geschenkt. ({1}) Allerdings sind wir uns bewusst - das muss nicht immer Spaß machen -, was Regierungsverantwortung in einer Koalition bedeutet. Wir haben nun mit der SPD im Koalitionsvertrag einen Kompromiss bei der doppelten Staatsbürgerschaft geschlossen, und diesen Kompromiss sollten wir auch umsetzen. ({2}) - Das mag Ihr fauler Kompromiss sein; es ist unser Kompromiss. ({3}) Im Koalitionsvertrag heißt es wörtlich: Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. ({4}) - Sie können es nachlesen. ({5}) Im Übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht. Der Bundesinnenminister hat nun mit dem Referentenentwurf eine gute, praktikable und wortgetreue Umsetzung, so wie man es von ihm erwarten kann, vor1490 geschlagen. Er befindet sich noch in der Ressortabstimmung. Es bleibt jedem überlassen, daran mitzuarbeiten. ({6}) Wer in Deutschland einen Schulabschluss erworben hat oder bis zum 23. Lebensjahr mindestens zwölf Jahre in Deutschland gelebt hat, davon vier Jahre im Alter zwischen 10 und 16, soll von der Optionspflicht befreit werden. Über 90 Prozent der heute Optionspflichtigen würden diese Kriterien erfüllen, und sie bekämen somit die doppelte Staatsbürgerschaft. ({7}) Wenn es Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, also wirklich um die jungen Migranten und nicht nur um polemische Diskussionen geht, dann helfen Sie doch mit, Herr Beck, diesen vernünftigen und vertraglich vereinbarten Kompromiss umzusetzen. ({8}) Es liegt nämlich nicht an unserem ehemaligen Minister Friedrich, dass wir dieses Vorhaben nicht weiter betreiben. Wir haben es im Übrigen mit einer Affäre Edathy, nicht mit einer Affäre Friedrich zu tun. ({9}) Diese Affäre kennt bisher nur ein einziges Opfer, und das ist das politische Opfer, Herr Friedrich. Es liegt an uns, an den Mitgliedern dieses Parlaments, die Regelungen, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind, auch umzusetzen. Die Frankfurter Rundschau hat heute berichtet, dass auch die SPD-Fraktion keine Bundesratsmehrheit mehr für die rot-grüne Initiative sieht. Ich schließe daraus, dass man sich in der SPD nun bewusst ist, dass solche Initiativen schlicht und einfach keine vertrauensbildenden Maßnahmen darstellen. ({10}) - Das mag sein, Herr Beck. ({11}) Trotzdem: Die SPD ist - davon gehe ich aus - eine in sich geschlossene Truppe, und das gilt auch für die SPD in den Bundesländern. Auch wenn es den Ländern unbenommen bleibt, sich dagegen zu positionieren, stellt dies nach unserer Auffassung keine vertrauensbildende Maßnahme dar. Ich hoffe daher, Frau Högl, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass wir uns jetzt an die Umsetzung der Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag machen und damit für die jungen Migranten - das müsste auch bei den Grünen ankommen - eine Verbesserung herbeiführen. Vielen Dank. ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Rüdiger Veit, SPD-Fraktion. ({0})

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Parlamentarische Geschäftsführerin hat mir eben noch mit auf den Weg gegeben: Denk dran, das sind jetzt Freunde! ({0}) Gemeint waren die Kollegen von der CDU/CSU. - Ich bitte um Verzeihung, Herr Kollege Strobl, wenn ich in dieser Hinsicht noch ein bisschen üben muss. ({1}) Trotzdem muss ich mich Ihnen in mindestens einem Punkt zuwenden. Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Drei rot-grün geführte Bundesländer haben nichts anderes gemacht, als das in einen Gesetzentwurf zu kleiden, was seit 20 und mehr Jahren die Position der Sozialdemokraten ist. ({2}) Was ist denn daran sensationell? Was ist daran neu? Neu und sensationell wäre es, wenn das Gegenteil von dem geschehen wäre. Aber in diesem Fall handelt es sich um ein selbstverständliches Bekenntnis zu unseren Grundsatzpositionen. Ich höre gerade den berechtigten Zwischenruf: So ist das jetzt nun einmal in einer Koalition. - Ich bin einer von denjenigen, die diese Formulierung des Koalitionsvertrages nicht gerade mit großem Entzücken gelesen haben, sondern mit großer Sorge. ({3}) Ich bin mir auch nicht hundertprozentig sicher, dass alle, die daran beteiligt waren, so genau wussten, was das möglicherweise in der gesetzestechnischen Umsetzung bedeutet. Das ist in Koalitionen nun einmal so, sowohl auf Bundesebene als auch auf Länderebene. Da ich gerade auf die Länderebene zu sprechen komme, lieber Volker Beck: Die gleiche Formulierung findet sich in Zeile 2 695 des schwarz-grünen Koalitionsvertrages in Hessen. ({4}) Ich hätte mir vorher nicht vorstellen können, dass ausgerechnet Tarek Al-Wazir diese Formulierung akzeptiert. ({5}) Wenn man - wie ich - gehört hat, lieber Volker, wie Tarek die Diskussion in seiner eigenen Familie beschreibt - da geht es um die Frage: Wer ist Jemenit, wer ist Jemenit und Deutscher, wer ist vielleicht nur Deutscher? -, dann kann man sich nur sehr schwer vorstellen, dass er eine solche Vereinbarung tatsächlich akzeptiert. ({6}) Die Formulierung finde ich mindestens so bedauerlich wie das, was wir in der Großen Koalition auf Bundesebene vereinbaren mussten. Aber wir werden nicht müde werden, das noch zu ändern. Auf ein paar Aspekte muss man immer wieder hinweisen, weil sie doch die Sichtweise verstellen. Herr Kollege Strobl, jetzt komme ich doch noch einmal zu meinen neuen Freunden; ich bitte um Nachsicht. Sie haben vorhin im Zusammenhang mit dem Beispiel von Abida so getan, als sei es ein besonderes Geschenk, dass jemand die deutsche Staatsbürgerschaft hat, obwohl er überwiegend in der Türkei gelebt hat. ({7}) Dabei übersehen Sie - wie so viele, die darüber diskutieren -, dass Abida selbstverständlich die deutsche Staatsbürgerschaft behalten ({8}) und weiterhin in Istanbul, Ankara oder in Anatolien leben könnte. ({9}) Es wird nämlich immer übersehen: Es ist keine Belohnung, die man jemandem sozusagen hinterherwirft, ({10}) sondern die betreffende Person hat kraft Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft und muss sich bis zum 23. Lebensjahr entscheiden, ob sie sie behalten möchte. Sie kann leben, wo immer sie will; wenn sie sagt: „Ich möchte die deutsche Staatsbürgerschaft behalten“, dann kann sie sich trotzdem weiterhin in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, oder in einem beliebigen anderen Land, in dem sie bisher gelebt hat, aufhalten. ({11}) Es geht deshalb nicht um Privilegierungen oder um Belohnungen, sondern es geht um die Frage vernünftiger Regelungen. Im Übrigen: Das Merkmal „aufgewachsen“ ist der Regelung aus dem Jahr 1999 immanent. Der heutige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Dr. Hans-Georg Maaßen, hat damals in der Abteilung M des Innenministeriums an der Gesetzgebung mitgewirkt. Er hat in der Kommentierung von Hailbronner, die jeder, der sich mit Ausländerrecht beschäftigt, kennt, niedergeschrieben, dass man davon ausgeht, dass die hier in Deutschland in zweiter und dritter Generation geborenen Kinder ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger einen verfestigten Aufenthalt haben, also bereits per se in Deutschland integriert sind. Das ist sozusagen systemimmanent; das folgt der Logik des Gesetzes. Das ist durch die Optionspflicht im Prinzip auch nicht geändert worden. Vor dem Hintergrund bitte ich sehr um Verständnis, dass wir mit Ihnen und selbstverständlich auch mit dem Ministerium versuchen werden, einen vernünftigen Weg zu finden. Wenn es um die Frage geht, ob das jemanden provoziert hat, kann ich nur sagen: Ach, nun seid doch nicht so empfindlich. Dass Bundesländer, egal welcher Couleur, im Bundesrat etwas anderes machen als die jeweils im Bund regierende Koalition, das ist doch nichts Neues; das ist Tagesgeschäft. ({12}) Wer das anders sieht, der hat dieses System nicht recht verstanden. Im Übrigen ist es - jetzt muss ich doch noch aus der Rolle, die mir Dagmar Ziegler empfohlen hat, fallen; aber nur ganz kurz - kein freundlicher Akt, einen Referentenentwurf auf den Weg zu bringen, ohne dem Koalitionspartner zuvor eine Lektüremöglichkeit eingeräumt zu haben. ({13}) Diese milde Rüge ist aber akzeptiert worden. Deswegen skandalisiere ich das nicht zu einem großen koalitionspolitischen Problem. Wir sind jetzt verpflichtet, nach bzw. in der Ressortabstimmung miteinander eine praktikable Regelung zu finden. ({14}) Daran werden wir mitwirken. Dass die Regelung möglichst verwaltungsfreundlich sein soll, darf ich bei der Gelegenheit ebenfalls betonen. ({15}) - Auf der Basis des Koalitionsvertrages.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. - Da kann man aber auch die Lesart von Volker Beck vertreten und sagen: Die Formulierung „und aufgewachsen“ passt ganz gut in die Kategorie derer - auf die § 40 b des Staatsangehörigkeitsgesetzes zielt -, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens unseres Gesetzes noch keine zehn Jahre waren. ({0}) Da kann man vielleicht noch sagen: Es ist sinnvoll, an „und aufgewachsen“ anzuknüpfen. Bei anderen gilt das vielleicht weniger. ({1}) - Gleich geraten wir in ein Koalitionsgespräch. Es ist vielleicht nicht so günstig, das öffentlich zu führen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Veit, meine Nachsicht ist jetzt zu Ende.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich schließe meinen Beitrag und bedanke mich für die Geduld. ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Cemile Giousouf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004279, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, das stimmt, lieber Özcan Mutlu. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir bitte eine Bemerkung: Von den Grünen und den Linken brauchen wir uns die Integrationspolitik und die Einbürgerungs- oder Staatsbürgerschaftspolitik wirklich nicht erklären zu lassen. ({0}) Auch wenn Sie sich das gerne auf die Fahne schreiben, ist es so: Die CDU hat sich stets für die Einbürgerung und Integration starkgemacht. ({1}) Unter der Regierungsverantwortung von Helmut Kohl in den Jahren 1991 und 1993 wurden fortwährend die Voraussetzungen für die Einbürgerung erleichtert. Erstmals konnten sogenannte Gastarbeiter deutsche Staatsbürger werden. ({2}) Lieber Herr Beck, im Jahr 2000 wurde das Staatsbürgerschaftsrecht grundsätzlich weiterentwickelt. ({3}) Das neue Recht verkürzte die notwendige Aufenthaltsdauer von 15 auf 8 Jahre. Das Geburtsortsprinzip wurde eingeführt, und das Optionsmodell wurde geschaffen. ({4}) Wir wissen alle, dass das ein schwieriger politischer Kompromiss war. Das geben wir auch gerne zu. ({5}) Für die Schwierigkeiten, die mit dem Optionsmodell verbunden sind, müssen wir in der neuen Regierung eine Lösung finden. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat zur Zeit der Koalitionsverhandlungen zur Staatsbürgerschaft folgende Position eingenommen: Das Gremium plädiert für die Abschaffung der Optionspflicht, weil sie junge Menschen zwingt, zwischen Staatsbürgerschaften zu entscheiden. Herr Beck, jetzt sollten Sie gut zuhören: Der Sachverständigenrat sah jedoch auch ein, dass ein Mechanismus erforderlich ist - ich zitiere -, der eine unbegrenzte Weitergabe der Staatsangehörigkeit über das … Abstammungsprinzip und damit eine Anhäufung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten verhindert. ({6}) Letzteres wirft nicht nur rechtstechnische, sondern auch demokratietheoretische Probleme auf, wenn etwa in großer Zahl Personen in Staaten wählen können, von deren Gesetzgebung sie kaum oder gar nicht betroffen sind … ({7}) Deshalb schlägt der Sachverständigenrat vor, für die Vergabe der Staatsangehörigkeit zusätzlich das Prinzip des Lebensmittelpunktes einzuführen. Lieber Herr Beck, unabhängige Experten schlagen einen Bezug zum Geburtsland vor! ({8}) Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die jungen Zuwandererkinder ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, war uns wichtig, als wir im Herbst 2013 die Optionsregelung verhandelten. ({9}) Beide Parteien haben vor dem Hintergrund unterschiedlicher Integrationskonzepte eine Annäherung geschafft. ({10}) Beiden Parteien war klar, dass man Kindern, die bislang optieren mussten, eine Tür öffnen wollte. Das haben wir mit einem unkomplizierten Nachweis des Geboren- und Aufgewachsenseins im neuen Gesetz etabliert. ({11}) Zukünftig werden junge Menschen nicht mehr in die schwierige Situation gebracht, sich zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden zu müssen, wenn sie hier geboren und aufgewachsen sind. Auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, können nicht leugnen, dass das eine deutliche Verbesserung der Situation dieser Kinder ist. Es ist eine klare Botschaft, dass sie mit den Wurzeln und der Herkunft ihrer Eltern zu Deutschland gehören. ({12}) Durch eine Geburtsurkunde, einen Schulabschluss oder eine Meldebescheinigung können sie ihren deutschen Pass beibehalten. Ich möchte gerne wissen, was da unüberwindbare Kriterien sind, Herr Beck. ({13}) Jedes Kind, das in Deutschland geboren ist, bekommt eine Geburtsurkunde. Wir haben in Deutschland eine Schulpflicht und eine Meldepflicht. Wenn Sie heute eine Ehe schließen wollen, müssen Sie mehr Dokumente einreichen als dann, wenn Sie die deutsche Staatsbürgerschaft beibehalten wollen. ({14}) Liebe Frau Buchholz, ich möchte noch eine Bemerkung an Sie richten. Innenminister de Maizière hat bereits gesagt, dass die Optionskinder, die bislang durch Gesetz den deutschen Pass verloren haben, diesen wiedererlangen können. In diesem Kontext von Rassismus zu sprechen, finde ich, mit Verlaub, wirklich ungeheuerlich. ({15}) Insgesamt würde ich Ihnen raten: Warten Sie erst einmal den Gesetzentwurf ab! Warten Sie einmal ab, was die Fachleute und die Ressorts zu dem Gesetzentwurf sagen! Sie zerreden einen Gesetzentwurf und führen eine Scheindebatte. ({16}) Meine Kolleginnen und Kollegen haben es bereits gesagt: Über 90 Prozent der betroffenen jungen Menschen erfüllen die Kriterien. ({17}) - Wir wollen uns an den Koalitionsvertrag halten, lieber Özcan Mutlu. Das ist der Unterschied. - Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen und/oder haben einen Schulabschluss. Von knapp 5 000 jungen Menschen, die sich 2013 zwischen der deutschen und einer anderen Staatsangehörigkeit entscheiden mussten, sind lediglich 140 im Ausland gemeldet. Wollen wir jetzt für diese 3 Prozent eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag infrage stellen? Soll man für die 3 Prozent der Kinder, die nämlich diese Kriterien nicht erfüllen, 97 Prozent der Kinder in Ungewissheit lassen? ({18}) In einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Mit jedem Tag wächst die Zahl der Optionskinder. Derzeit sind nicht die aufgestellten Kriterien für die jungen Betroffenen ein Hindernis, sondern das Hindernis besteht darin, dass es keine zügige Umsetzung gibt. Im Jahr 2014 gibt es über 5 000 Optionskinder, und in den nächsten drei Jahren werden es knapp 20 000 junge Menschen sein. ({19}) Sie haben ein Anrecht darauf, dass ihre Situation geklärt wird. ({20})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Giousouf, denken Sie an die Redezeit?

Cemile Giousouf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004279, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich beende meine Rede sofort. - Sie in der Opposition reden von einem bürokratischen Monstrum, aber die Opposition schafft hier ein parlamentarisches Monstrum, das nirgendwohin führt. ({0}) Das haben die Migrantinnen und Migranten wirklich nicht verdient. Sie verdienen eine zügige Umsetzung des Koalitionsvertrages. ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen, nach 55 Minuten dieser Aktuellen Stunde darf ich Ihnen vor allem eines sagen: Ihnen ist es wieder einmal gelungen, mit dieser Debatte dieses Haus von seiner eigentlichen Arbeit abzuhalten. ({0}) Das liegt im Wesentlichen an Folgendem: Wenn wir uns heute, Herr Mutlu, ganz ruhig und unaufgeregt die Situation anschauen, dann sehen wir: Die Fakten und die Tatsachen liegen auf dem Tisch. Wir haben eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die eindeutig ist. Die Koalitionspartner werden sie umsetzen. Ich habe volles Vertrauen in unseren Koalitionspartner, dass wir hier zu einem guten Ergebnis kommen. Parallel dazu gibt es eine Initiative im Bundesrat; das ist vollkommen legitim. Niemand will den Bundesländern durch die Koalitionsvereinbarung das verfassungsmäßig verbriefte Recht nehmen, im Bundesrat Initiativen einzubringen. ({1}) Lassen Sie uns doch - das sage ich ganz unaufgeregt die Entscheidung abwarten. Dann werden wir weitersehen. Allerdings werden Sie sich heute von mir sagen lassen müssen, dass ich der Meinung bin, dass Sie mit Debatten, wie wir sie heute wieder führen, mit Ihrer Aufgeregtheit, Ihrer Unsachlichkeit und Ihrer Hitzigkeit, ein so wichtiges Thema in meinen Augen eher nachhaltig beschädigen. Denn wenn wir über solche Themen diskutieren, dann wird das Bild eines Landes skizziert, in dem es Diskriminierung gibt, in dem Menschen mit Migrationshintergrund nicht willkommen sind. ({2}) Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich erlebe dieses Land so nicht. Sie skizzieren auch immer wieder falsche Realitäten. ({3}) Es wird suggeriert, dass jemand, der das Optionsrecht entsprechend ausgeübt hat, nie wieder deutscher Staatsbürger werden kann. Das ist nicht richtig. Es wird immer wieder suggeriert, dass jemand, der die Frist beim Optionszwang verstreichen lässt, gleich abgeschoben wird. Auch das geht vollkommen an der Realität vorbei. Als gute Demokraten tun wir alle gut daran, auch über schwierige Themen sachlich, vor allem aber auch differenziert zu diskutieren. ({4}) - Genau, Herr Mutlu, das wird gleich passieren. Der Gesichtspunkt, der doch inmitten dieser ganzen Diskussion steht, ist die Rechtssicherheit; jetzt hören Sie bitte gut zu. Die Staatsangehörigkeit zieht in allen Ländern der Erde vor allem die Entscheidung nach sich: Welches nationale Recht, welches Erbrecht, welches Familienrecht, welches Strafrecht kommt danach zur Anwendung? ({5}) Es geht also um Rechtssicherheit. Jetzt folgender Fall: Es gibt eine Ehe. Die Frau ist deutsche Staatsangehörige, und der Mann hat die doppelte Staatsbürgerschaft, so wie Sie es wollen. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Die beiden leben getrennt, und es geht um die Scheidung. Es geht konkret um die Frage: Wer bekommt die Kinder? Der Mann erkennt, dass er nach dem deutschen Recht relativ wenige Chancen hat, die Kinder zu behalten. ({6}) Er weiß aber auch, dass er nach dem Familienrecht seines Heimatlandes, weil dort ein anderer kultureller Hintergrund herrscht, die Kinder ohne Probleme bekäme. Also packt er die zwei Kinder ein, entzieht sie der Mutter und reist in sein Heimatland. ({7}) Meine Damen, meine Herren, Sie werden nicht mit politischen Mitteln, nicht mit juristischen Mitteln und auch nicht mit Mitteln der Diplomatie in der Lage sein, jemals wieder an diese Kinder heranzukommen. Natürlich können Sie jetzt sagen: Ja, aber wenn dort ihr Recht gewählt wird und der Vater seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit behält, dann kann er die Kinder auch entziehen. - Das mag sein. Aber mit der doppelten Staatsbürgerschaft schafft man ja überhaupt keine Grundlage, um im Interesse aller Beteiligten ein für alle Mal Rechtssicherheit herzustellen. ({8}) Rechtssicherheit wird geschaffen, indem sich der Vater zur deutschen Staatsbürgerschaft bekennt und damit für alle Beteiligten eindeutig und klar ist, welches Familienrecht zur Anwendung kommt. ({9}) - Kollege Beck, wir wollten ganz sachlich und unaufgeregt diskutieren; das war doch die Idee. ({10}) Gestatten Sie mir abschließend ein paar persönliche Sätze. Kollege Mutlu, ich habe Ihnen vor Weihnachten gut zugehört, als Sie über dieses Thema in Bezug auf Ihre eigene Person gesprochen und Begriffe wie „Heimat“ und „Wurzeln“ verwendet haben. Ich persönlich bin der Mann einer türkischen Frau. Ich bin stolz, Mitglied einer türkischen Großfamilie zu sein. Diese Großfamilie ist bunt zusammengewürfelt. ({11}) - Herr Mutlu, hören Sie mir zu! Vielleicht ist das ja auch für Sie ganz spannend. - Alle Familienangehörigen sind Muslime. Die einen haben sich entschieden, deutsche Staatsangehörige zu werden, und die anderen sind Türken geblieben. Da gibt es, Frau Pau, eben nicht diese Unterscheidung zwischen „wir“ und „ihr“, wenn wir bei einer Familienfeier zusammensitzen. Wenn wir da zusammensitzen und über das Modell der doppelten Staatsangehörigkeit reden, dann wundern die sich. Mein Schwiegervater sagt mir: Wo meine Wurzeln sind, wo meine Heimat ist, lese ich doch nicht in meinem Personalausweis. Das verbriefe ich doch nicht schwarz auf weiß auf einem Blatt Papier. Das ist schon gar nicht in einem Aktenvorgang bei der Staatsangehörigkeitsbehörde dokumentiert. Wo meine Wurzeln und meine Heimat sind, das behalte ich im Herzen. Vielen Dank. ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. März 2014, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.