Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich . Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten,
möchte ich Ihnen mitteilen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Tagesordnungspunkt 36 - hier
geht es um den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung
des Mutterschutzrechts - bereits heute als letzten Tagesordnungspunkt aufzurufen . Die Debatte darüber war für
diese Woche ohnehin vorgesehen . Sie wird aus nachvollziehbaren Gründen jetzt etwas vorgezogen .
Des Weiteren soll die Unterrichtung der Bundesregierung über die Stellungnahme des Bundesrates und
die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem bereits
überwiesenen Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes auf der Drucksache 18/8958 an
den federführenden Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie zur Mitberatung an den Innenausschuss,
den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie den
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit überwiesen werden .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich
der Fall . Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren
Energien und zu weiteren Änderungen des
Rechts der erneuerbaren Energien
({0})
Drucksachen 18/8832, 18/8972
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Eine Aussprache dazu ist für heute nicht vorgesehen;
also können wir gleich die Überweisung beschließen . Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes
auf den Drucksachen 18/8832 und 18/8972 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Gibt es andere Vorschläge zur Überweisung? - Das ist
nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Für diejenigen, die sich fragen, warum dies nicht
diskutiert wird: Wir haben über dieses Thema natürlich
vielfach diskutiert . Jetzt reden wir über eine gesetzliche
Konstruktion, die wir selbstverständlich in zweiter und
dritter Lesung, wenn der Gesetzentwurf die endgültige
Ausgestaltung in den Ausschussberatungen gefunden
hat, hier noch einmal diskutieren werden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zum Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015. Hier geht
es um Klimaschutzfragen und -vereinbarungen .
Das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit, Frau Hendricks . - Bitte sehr .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Bundeskabinett hat heute den Gesetzentwurf zum Übereinkommen von Paris beschlossen . Wir bekennen uns damit ganz klar zu den Zielen dieses Abkommens und sind
bereit, die Verantwortung für einen möglichst zügigen
Ratifikationsprozess zu übernehmen.
Deutschland kann mit der zügigen Annahme des Vertragsgesetzes zur Ratifikation ein klares Zeichen setzen,
nämlich dass wir den Klimaschutz vorantreiben . Wir haben gerade in den vergangenen Tagen beim Petersberger
Klimadialog mit unseren Partnerländern darüber diskutiert . Im letzten Jahr haben wir beim Klimadialog noch
überlegt, wie ein anspruchsvolles Klimaabkommen erreicht werden könnte . Dieses Jahr konnten wir uns gemeinsam darüber freuen, dass sich die Anstrengungen
gelohnt haben . Das Pariser Abkommen ist schließlich ein
großer Erfolg der internationalen Zusammenarbeit . Die
Welt ist in der Tat ein Stück zusammengerückt . Die Diskussionen beim diesjährigen Petersberger Klimadialog
standen selbstverständlich ganz im Zeichen von Paris . Es
geht um nicht weniger als den weltweiten Wandel hin zu
einer treibhausgasneutralen Wirtschafts- und Lebensweise .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Paris-Abkommen und die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung
sind Leitlinien . Und wir sehen bereits, dass die Herausforderungen in allen Teilen der Welt angepackt werden:
Indien hat mit seinen Zielen für den Ausbau von erneuerbaren Energien neue Maßstäbe gesetzt . China wird seine
Ziele wahrscheinlich übererfüllen . Länder wie Äthiopien
und Marokko gehen mit ambitionierten Plänen und Maßnahmen in ihren Regionen voran .
Auch aus Ländern mit großen Ölreserven hören wir
interessante Pläne: Norwegen überlegt zum Beispiel,
bereits bis zum Jahr 2030 treibhausgasneutral zu werden, 20 Jahre früher als bisher geplant . Und selbst in
Saudi-Arabien wird über Reformen nachgedacht, um
unabhängiger vom Öl zu werden . Die drei Länder Nordamerikas, Kanada, USA und Mexiko, haben sich das Ziel
gesetzt, bis zum Jahr 2025 die Hälfte ihres Stroms aus
nichtfossilen Quellen zu generieren .
Auch wenn diese Maßnahmen insgesamt noch nicht
ausreichen, sind das alles doch ermutigende Signale .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, üblich ist, dass alle
EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig ihre Ratifikationsurkunden hinterlegen, da wir das Abkommen ja auch gemeinsam umsetzen wollen . Die Bundesregierung hat das
Ziel, dass das Ratifikationsgesetz noch vor der nächsten
Klimakonferenz in Marrakesch im November beschlossen wird . Wir glauben, dass das ein starkes Signal an die
Konferenz wäre . Dafür ist allerdings ein straffer Zeitplan
einzuhalten, was wiederum nur mit der Unterstützung
des Deutschen Bundestages und des Bundesrates möglich sein wird . Ich möchte Sie an dieser Stelle herzlich
um Ihre Unterstützung bitten, damit wir mit Ratifikationsbeschluss nach Marrakesch fahren können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben beim Petersberger Klimadialog auch über Langfriststrategien gesprochen . Es hat sich gezeigt, dass ein reges Interesse an
unserem Klimaschutzplan besteht . Wir werden noch in
diesem Herbst den Klimaschutzplan 2050 beschließen,
der darlegt, wie wir die vereinbarten 80 bis 95 Prozent
Treibhausgasreduzierung in Deutschland erreichen wollen . Es geht um den schrittweisen Ausstieg aus Kohle, Öl
und Gas . Und es geht darum, dass wirklich alle Sektoren
in vollem Umfang zum Erreichen dieses Ziels beitragen .
Weltweit wird beachtet, wie ein großes Industrieland
diese Herausforderungen meistert . Natürlich teilen wir
gerne alle Erfahrungen, die wir auf diesem Weg machen
und gemacht haben, die guten wie auch die schlechten .
Wir führen zum Beispiel mit den USA Gespräche auf
Arbeitsebene darüber, wie wir unseren Plan entwickelt
haben . Mit dem Klimaschutzplan haben wir die Möglichkeit, ein Referenzwerk vorzulegen, an dem sich andere
Länder orientieren . Diese Chance sollten wir nutzen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland wird
auch die Entwicklungsländer bei der Umsetzung ihrer
nationalen Ziele, der sogenannten NDCs, und bei der Anpassung an den Klimawandel noch stärker unterstützen .
Dazu streben wir an, unsere Klimafinanzierung bis zum
Jahr 2020 zu verdoppeln . Außerdem werden wir gemeinsam mit anderen Partnerländern eine NDC-Partnerschaft
gründen, mit der wir die Umsetzung der in Paris angekündigten Beiträge unterstützen . Das war auch ein wichtiges Thema beim Klimadialog . Ministerkollege Müller
und ich haben die Partnerschaft dort vorgestellt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das Paris-Abkommen ernst nehmen, dann müssen wir ein
schnelles Inkrafttreten ermöglichen . Die Bundesregierung ist dazu entschlossen . Der Kabinettsbeschluss zum
Ratifikationsgesetz war auf diesem Weg ein wichtiger
Schritt .
Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Frau Ministerin, auch für die vorbildliche Einhaltung der Redezeit . Das gelingt nicht allen
Mitgliedern der Regierung in ähnlich überzeugender
Weise . - Die erste Nachfrage hat die Kollegin Baerbock .
Vielen Dank, Frau Ministerin . - Vielen Dank auch für
den Petersberger Klimadialog . Das Motto war ja „Making the Paris Agreement a reality“, also das Paris-Abkommen mit Leben zu füllen . Sie haben gerade die zahlreichen positiven Beispiele angesprochen: Sie haben den
Ausbau der Erneuerbaren in Indien dargestellt . Sie haben
auch den Einsatz von CO2-armen Technologien in Nordamerika erwähnt; bis zum Jahr 2025 soll deren Anteil
mindestens 50 Prozent betragen . Wie passt dazu aus Ihrer
Sicht die am Freitag hier im Parlament zu treffende Entscheidung über den Vorschlag der Bundesregierung, den
Ausbau der erneuerbaren Energien im ehemaligen Vorzeigeland Deutschland im Jahr 2025 bei 45 Prozent zu
deckeln, was deutlich unter den Vorgaben des Fahrplans
von Paris liegt und was auch - Sie haben Vergleichsbeispiele ja gerade aufgezeigt - unter dem liegt, was andere
Länder weltweit derzeit tun?
Frau Kollegin Baerbock, ja, Sie haben recht: Es entspricht der Koalitionsvereinbarung, dass der Ausbau der
erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2025 bei 45 Prozent
gedeckelt werden soll . Dies ist Gegenstand der Novelle
zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, deren Verabschiedung in dieser Woche ansteht . Meine Einschätzung ist,
dass wir uns in der nächsten Legislaturperiode dieses
Themas noch einmal annehmen, sodass wir nicht bei
45 Prozent im Jahr 2025 stehen bleiben werden .
Frau Bulling-Schröter .
Danke schön, Frau Ministerin . - Vor uns liegt ja die
Aufgabe, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen . Das ist das Ziel, das wir dringend erreichen müssen .
Meine Frage an Sie lautet: Wie bewerten Sie unser Klimaschutzziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent
zu reduzieren, im Hinblick auf das 1,5-Grad-Ziel? Ist es
nicht so, dass wir hier noch nachschärfen müssen?
Sehen Sie: Wir haben das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ im Dezember des Jahres 2014 verabschiedet . Wir sind auch zuversichtlich, dass wir die vereinbarten Ziele einhalten werden . Mit unserem Ziel von minus
40 Prozent CO2-Ausstoß im Jahr 2020 sind wir innerhalb
Europas durchaus führend; denn auf europäischer Ebene wurde eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in dieser
Höhe erst für das Jahr 2030 vereinbart, allerdings mindestens minus 40 Prozent CO2-Ausstoß . Ich habe immer
gesagt: Wir sind in Deutschland im Prinzip zehn Jahre
ehrgeiziger als die übrige Europäische Union zusammen .
Insofern denke ich, dass wir auf einem guten Wege sind .
Was das Zwischenziel 2020 anbelangt, wollen wir Ihnen im November sozusagen als Zwischenschritt vorlegen, was erreicht worden ist . Ich bin zuversichtlich, dass
es uns gelingt, das im November dem Parlament vorzulegen .
Der große Vorteil, den wir jetzt schon haben, aber den
wir natürlich noch ausbauen müssen, ist, dass es uns gelungen ist, die CO2-Belastung seit 1990 um 27 Prozent
zurückzuführen, obwohl im gleichen Zeitraum unsere
Wirtschaft um 39 Prozent gewachsen ist . Das heißt, wir
haben schon jetzt den Nachweis erbracht, dass wir das
Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß abkoppeln können, und zwar mit positiven Wirkungen auf den CO2-Ausstoß . Das gibt uns die Sicherheit, unseren Bürgerinnen
und Bürgern sagen zu können, dass sie vor Klimaschutz
keine Angst haben müssen, sondern dass Klimaschutz im
Gegenteil ein Innovationstreiber ist .
Frau Höhn .
Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie die vielen positiven Beispiele aus anderen Ländern, die aus fossilen
Energien herauswollen, aufgezeigt haben . Aber das gilt
ja für uns auch .
Sie haben eben die Ziele für 2020 angesprochen .
Wir haben uns verpflichtet, den CO2-Ausstoß bis 2020
um 40 Prozent zu reduzieren, bezogen auf das Basisjahr 1990 . Wir haben in 26 Jahren 27 Prozent erreicht, die
restlichen 13 Prozent müssen wir in den letzten 5 Jahren
schaffen . Wir müssen also dreimal so ehrgeizig sein wie
bisher . Wir erleben aber, dass es beim Bundesverkehrswegeplan vorrangig um Straßenbau geht . Wir erleben,
dass im Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Deckel für erneuerbare Energien vorgesehen ist . Wir erleben, dass im
Wohnungsbau zu wenig passiert; dabei könnten wir uns
für Mieterstrom einsetzen und auch sektorübergreifend
tätig werden . Wie wollen Sie die ausstehenden 13 Prozent in den letzten 5 Jahren überhaupt noch schaffen?
Zunächst möchte ich auf das eingehen, was Sie als
letztes Beispiel nannten, nämlich Mieterstrom und Sektorkoppelung . Hier werden wir mit der Novelle zum
Erneuerbare-Energien-Gesetz, deren Verabschiedung ja
diese Woche ansteht, vorankommen . Dafür bin ich sehr
dankbar . Das halte ich für einen großen Erfolg; darüber
wird ja dann am Freitag noch eingehend debattiert werden . Ich bin wirklich sehr zufrieden, dass es uns gelungen ist, dafür zu sorgen, dass diese Punkte in der Novelle
berücksichtigt werden .
Darüber hinaus möchte ich Ihnen sagen, dass wir
schon beschlossen haben, bis zum Jahr 2020 einige Kohlekraftwerke in Reserve zu nehmen, das heißt, dass wir
sie mindestens vorübergehend abschalten mit dem Ziel,
sie endgültig vom Markt zu nehmen . Auch das wird helfen, das für 2020 gesteckte Ziel zu erreichen .
Im Übrigen sind wir dabei, das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und die EnEV zu überarbeiten . Wir
wollen gleichsam eine einheitliche Regelung schaffen,
die einerseits die Energieeffizienz im Neubau in den
Blick nimmt, auf der anderen Seite aber auch in den
Blick nimmt, welche Art von Energie in den Gebäuden
verbraucht wird . Auch in diesem Zusammenhang ist das
Stichwort „Mieterstrom“ nicht zu verachten .
Oliver Krischer .
Herzlichen Dank, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen . Auch ich freue mich darüber, dass Sie viele positive Beispiele aus anderen Ländern angeführt haben . Das
zeigt, Deutschland ist nicht mehr alleine . Aber - das sage
ich einschränkend - es ist leider auch nicht mehr Vorreiter . Das war einmal . Andere gehen inzwischen voran .
Ich möchte den Verkehrsbereich beleuchten . Ich habe
mir Ihren Klimaschutzplan, Stand 21 . Juni 2016, angeschaut . Darin las ich den vor dem Hintergrund Ihrer
sonstigen Äußerungen, die ich wahrgenommen habe,
interessanten Hinweis, dass der Dieselantrieb - ich zitiere wörtlich - weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der CO2-Ziele leisten soll . Worauf stützen Sie
diese Annahme, was ist die Politik dahinter, und wie soll
ich angesichts dessen andere Äußerungen von Ihnen verstehen, nach denen der Dieselantrieb ein Auslaufmodell
ist? Könnten Sie mich bitte aufklären, wie die Politik Ihres Hauses in Bezug auf Klimaschutz im Verkehrsbereich
aussieht?
Herr Kollege Krischer, es gibt natürlich auch so etwas wie eine Brückenfunktion . Die muss man dem Dieselantrieb durchaus zubilligen; denn klar ist, dass der
Dieselantrieb deswegen, weil er einfach sparsamer im
Verbrauch ist, CO2-freundlicher ist als der Benzinantrieb . Gleichwohl kann der Dieselantrieb auf Dauer nicht
mehr als eine Brückenfunktion wahrnehmen . Ansonsten
würden die in Deutschland hergestellten Automobilflotten auf Dauer nicht die Anforderungen der Europäischen
Union erfüllen . Der Anteil der Elektromobilität muss
selbstverständlich zunehmen . Zu diesem Zweck hat die
Bundesregierung ja auch ein Förderprogramm aufgelegt .
Herr Lenkert .
Frau Ministerin, wie Sie sicherlich wissen, zielt das
Klimaschutzabkommen nicht nur auf CO2, sondern auch
auf andere Klimagase wie Schwefelhexafluorid, das
22 000-mal schädlicher ist für das Klima als CO2 . Die
ausgestoßene Menge von solchen Superklimagasen ist in
Deutschland im letzten Jahr um 22 Prozent gestiegen . In
Ihrem Klimaschutzplan liest man nichts darüber, wie Sie
gerade bei diesen - so nenne ich sie mal - Superklimagasen vorgehen wollen, um zukünftig eine Reduzierung zu
erreichen . Deswegen frage ich Sie: Welche Maßnahmen
sehen Sie vor? Wenn Sie Maßnahmen vorsehen, vielleicht auch das teilweise Verbot der industriellen Nutzung
solcher Gase, frage ich ergänzend: Sind solche Verbote
überhaupt noch aussprechbar, sollten die Freihandelsabkommen mit den USA oder mit Kanada in Kraft treten?
Herr Kollege, wir sehen in unserem Klimaschutzplan
keine Verbote in dieser Hinsicht vor - das haben Sie richtig dargestellt -; aber wir sind selbstverständlich zusammen mit der deutschen Industrie daran interessiert - und
dabei durchaus auch erfolgreich -, den Ausstoß auch
anderer klimaschädlicher Gase zurückzuführen . Das gilt
auch für andere Bereiche wie zum Beispiel die Landwirtschaft .
Frau Kotting-Uhl .
Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Antwort auf die
Frage von Frau Baerbock gesagt, Sie seien sich bewusst,
dass man das Ziel für den Ausbau der Erneuerbaren, also
45 Prozent Anteil bis 2025, das wir am Freitag beschließen werden, wird nachschärfen müssen . Nun wurde uns
eine, wie ich finde, sehr gut formulierte Studie, die im
Auftrag von Greenpeace erstellt wurde, zur Kenntnis
gegeben, in der dargestellt wird, dass wir, wenn wir die
Sektorkopplung wirklich ernst nehmen und die Dekarbonisierung der Wirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts in
Deutschland erreichen wollen, bis 2040 mit dem doppelten Strombedarf von heute rechnen müssen, und zwar
unter Berücksichtigung erreichter Effizienzsteigerungen;
die wurden dabei also nicht außen vor gelassen . „Nachschärfen“ ist angesichts der vor uns stehenden Herausforderung also eine milde Formulierung . Wir brauchen das
Vier-, Fünf-, Sechsfache in den einzelnen Sektoren der
erneuerbaren Energien, wenn wir auch in den Bereichen
Wärme und Verkehr alles über Strom aus Erneuerbaren
laufen lassen wollen . Wie wollen Sie da nachschärfen,
bzw . was für Größenordnungen schweben Ihnen für das
Nachschärfen vor?
Frau Kollegin, ich will dazu jetzt keine Zahlen nennen . Es wird Gegenstand der Koalitionsverhandlungen
am Ende des Jahres 2017 sein - mit welchen Beteiligten
auch immer -, dass man mit 45 Prozent bis 2025 nicht auskommt . Ich will jetzt auch nicht die Greenpeace-Studie
kommentieren, sondern, wenn Sie erlauben, mich selbst
zitieren . Ich habe bei mehreren Gelegenheiten schon gesagt: Die Zukunft wird elektrisch sein . - Wir werden also
erneuerbare Energien nicht nur für den Stromverbrauch,
wie wir ihn kennen, brauchen, sondern wir werden erneuerbare Energien auch in den Bereichen Verkehr, also
Mobilität allgemein, und Wärme benötigen . Das bedeutet, dass diejenigen, die sich heute um Stromproduktion
kümmern, dies auch in den Blick nehmen sollten; denn
dort liegen in der Tat die Geschäftsfelder der Zukunft,
einschließlich natürlich der Umwandlung von erneuerbaren Energien in Power-to-X, wie man es allgemein
nennt, also die Umwandlung in flüssige oder gasförmige
Antriebsstoffe .
Peter Meiwald .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, ich
will noch einmal auf das zurückkommen, was Kollegin
Kotting-Uhl gerade gesagt hat . Sie selbst haben ja gesagt,
dass Sie schon heute wissen, dass wir 2025 mit diesem
Ausbaudeckel, den wir am Freitag in einem verkürzten
parlamentarischen Verfahren beschließen sollen, nicht
hinkommen . Daneben ist das Kabinett gerade dabei, einen Bundesverkehrswegeplan vorzubereiten, über den
selbst das Umweltbundesamt sagt, dass damit die Klimaziele auf keinen Fall erreicht werden . Für mich stellt sich
daher die Frage: Warum beschließen Sie als Regierung
solche Dinge, obwohl Sie als Klimaschutzministerin
heute schon wissen, dass sie eigentlich nicht ausreichend
sind, um sich den Herausforderungen zu stellen? Und
wie sollen wir den Bürgern vermitteln, dass ein Parlament dazu genötigt wird, etwas zu beschließen, von dem
selbst die zuständige Ministerin schon weiß, dass es eigentlich nicht ausreicht?
Herr Kollege, jedes Parlament ist frei, ein Gesetz in
einem, zwei oder drei Jahren wieder zu novellieren . Ich
bin sehr zuversichtlich, dass das so oder so für das Erneuerbare-Energien-Gesetz wieder notwendig sein wird . Wir
müssen sowieso Anpassungsmechanismen, zum Beispiel
auch bei der Vergütung, vorsehen . Dass wir dem zukünftigen Parlament, das im Jahr 2017 gewählt wird, durchaus noch ein bisschen Arbeit übrig lassen, ist überhaupt
nicht schlimm .
Das, was wir jetzt beschließen, zeigt den richtigen
Weg . Gleichwohl bin ich der Auffassung: Ja, wir werden
in den nächsten Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich
nachschärfen müssen, auch im Interesse der Produzenten
von Strom . Denn auch sie brauchen natürlich verlässliche
Rahmenbedingungen, um Investitionen vorzubereiten
und entsprechende Entscheidungen zu treffen . Deswegen
gehen wir einen richtigen Schritt; aber es wird, was das
anbelangt, selbstverständlich nicht der letzte Schritt sein .
Was den Bundesverkehrswegeplan anbelangt, so bin
ich in der Tat mit dem Kollegen Dobrindt noch im Gespräch . Wir werden uns hier oder da sicherlich noch auf
einiges verständigen, das im Interesse des Umweltschutzes ist .
Herr Kollege Kühn .
Frau Ministerin, wir wissen jetzt, dass das EEG nicht
auf dem Klimaschutzpfad ist . Wir wissen, dass der Bundesverkehrswegeplan nicht auf dem Klimaschutzpfad ist .
Wir wissen, dass der Kohleausstieg, der viel zu langsam
vonstattengeht, auch nicht auf dem Klimaschutzpfad ist .
Ich komme jetzt zum Gebäudebereich; als Bauministerin
kennen Sie sich damit sehr gut aus . Auch von dort - das
ist doch ganz klar - kommt im Augenblick kein Impuls,
der dazu beiträgt, dass wir die Energiewende schaffen .
40 Prozent unserer Endenergie verbrauchen wir in Gebäuden . Wir sehen, dass wir bei der Sanierungsrate nicht
vorankommen und immer noch unter 1 Prozent liegen .
Im Gebäudebereich liegt der Anteil der erneuerbaren
Energien unter 10 Prozent . Daher ist für mich nicht klar,
wie Sie jetzt nach Paris den Gebäudebereich auf den Klimaschutzpfad setzen wollen .
In diesem Zusammenhang stellen sich mir zwei Fragen: Wie wollen Sie die erneuerbaren Energien im Gebäudebereich stärker voranbringen? Müssen wir die
EnEV, wenn wir sie jetzt schon reformieren, nicht eigentlich noch einmal deutlich verschärfen, um dafür zu sorgen, dass dieser Sektor endlich mehr zum Klimaschutz
beiträgt und so wirklich 1,5 Grad erreicht werden können?
Herr Kollege, zunächst möchte ich die in der Einleitung Ihrer Frage enthaltenen Behauptungen, wir seien
nirgendwo auf dem Klimaschutzpfad, zurückweisen . Wir
sind selbstverständlich auf dem Klimaschutzpfad . Vielleicht geht es Ihnen nicht schnell genug, aber wir sind
in allen Sektoren, die Sie angesprochen haben, auf dem
Klimaschutzpfad . Ich möchte doch darum bitten, dass
Sie das zur Kenntnis nehmen . Es kann sein, dass es Ihnen
nicht schnell genug geht, aber es ist nicht so, als wären
wir neben der Spur . Das will ich ganz deutlich sagen .
({0})
Im Übrigen hatte ich gerade schon angedeutet, dass
wir dabei sind, die EnEV zusammen mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz zu überarbeiten . Ja, es ist
richtig, 40 Prozent des Endenergieverbrauches entfällt
auf Gebäude . Deswegen liegt darauf ein besonderes Augenmerk. In der Tat reicht es nicht aus, die Energieeffizienz in den Blick zu nehmen . Vielmehr muss auch der
Anteil der erneuerbaren Energien, zum Beispiel bei der
Wärmeerzeugung in Gebäuden, erhöht werden . Dies bedeutet, dass wir dort einen neuen Ansatz brauchen . An
diesem arbeiten wir gerade zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium . Ich bin sicher, dass wir Ihnen
dazu im Herbst einen vernünftigen Vorschlag werden
vorlegen können .
Wenn wir das so neu auf die Füße gestellt haben, muss
selbstverständlich auch die Förderpolitik der KfW daran
angepasst werden . Auch hier bin ich zuversichtlich, dass
uns das gelingen wird .
Frau Bulling-Schröter .
Danke schön . - Bei meiner Frage geht es um den Entwurf des Klimaschutzplanes 2050 . Darin ist auch von
einer Veränderung im Steuersystem die Rede; das heißt,
ökologisch kontraproduktive Dinge sollen abgeschafft
und klimafreundliche Anreize gesetzt werden . Mich würde interessieren, an was hier gedacht ist und in welchem
Zeitraum das geschehen soll .
Frau Kollegin, in dem Entwurf des Klimaschutzplanes 2050 steht, dass dies zu prüfen sei; und das wird sicherlich nicht mehr in dieser Legislaturperiode geschehen .
Frau Baerbock .
Vielen Dank . - Wir haben jetzt gehört, dass das EEG
nachgeschärft werden muss . Zeitgleich zum Petersberger
Klimadialog wurde der Entwurf des Klimaschutzplanes
für das Jahr 2050 aus Ihrem Hause an das Wirtschaftsministerium und an das Kanzleramt übergeben . Eine der
entscheidenden Stellschrauben darin - das wurde auch
in Paris immer wieder gesagt - ist der Ausstieg aus den
fossilen Energieträgern . Für Deutschland ist damit insbesondere der Kohleausstieg gemeint . Rund um die Pariser
Klimakonferenz haben Sie sehr deutlich gesagt, dass er
in 20 Jahren möglich und in 25 Jahren nötig ist . Auf dem
Weg ins Kanzleramt ist nun der Zeitplan für den Kohleausstieg aus dem Entwurf des Klimaschutzplanes 2050
gänzlich herausgeflogen. Darin steht nicht einmal mehr,
dass dies vor 2050 geschehen soll . Wie passt es zu dem
Pariser Klimaabkommen, das wir hier ratifizieren wollen, dass Deutschland in diesem Bereich jetzt keinen
grundsätzlichen Fahrplan mehr hat?
Frau Kollegin Baerbock, Sie haben mich nicht ganz
richtig zitiert . Bevor wir nach Paris gefahren sind, habe
ich gesagt: Ich halte einen Ausstieg aus der Kohleverstromung in 20 bis 25 Jahren für sozialverträglich möglich . Ich habe niemals angekündigt, dass wir das in 20
bis 25 Jahren tun, sondern ich habe Ihnen nur gesagt: Ich
halte das in 20 bis 25 Jahren für sozialverträglich möglich .
Wir haben uns im Entwurf des Klimaschutzplanes 2050, der Ihnen ja so weit bekannt ist, darauf verständigt, dass wir eine Kommission einsetzen wollen, die
eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für den Weg aus
den fossilen Energieträgern heraus zu finden versucht;
und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das auch gelingen wird . Ich denke, wir brauchen dafür etwa zwei Jahre,
also so viel Zeit, wie wir uns auch bei der Endlagersuchkommission genommen haben .
Mir ist wichtig, dass wir den Klimaschutz in der Bevölkerung weiterhin als - ich sage es einmal so - wirklich nötig und gerne akzeptiert absichern, auch für die
Zukunft . Es hilft nicht, den Bürgerinnen und Bürgern
etwas überzustülpen und sie so zu der Annahme zu verleiten, dass wir an ihren Lebensinteressen vorbei arbeiten
würden . Deswegen müssen wir einen Pfad aufzeichnen,
der gesellschaftlich akzeptiert ist und uns in absehbarer
Zeit zu einem Ende der Verstromung von fossilen Energieträgern führt . Klar ist, dass wir bis zur Mitte des Jahrhunderts weitgehend klima- bzw . treibhausgasneutral
leben und wirtschaften wollen .
Frau Höhn .
Erster Punkt . Frau Ministerin, wir haben eben über
den Bundesverkehrswegeplan gesprochen . Den kann
man nicht so leicht innerhalb von zwei Jahren wieder ändern . In ihm werden jetzt die Investitionen für die nächsten 10 bis 15 Jahre festgelegt . In ihm ist der Bau von
über 500 neuen Ortsumgehungen enthalten . Das heißt, es
wird in neue Straßen und nicht ausreichend in die Bahn
investiert . Alle Experten sagen: Damit sind die Klimaschutzziele nicht zu erfüllen . Das heißt, wir entscheiden
jetzt, in diesem Jahr, darüber, wie es im Verkehrsbereich
weitergeht . Meinen Sie, dass es ausreichend ist, hier nur
noch die eine oder andere Stellschraube zu verändern?
Zweiter Punkt . Im Bundesland Berlin ist jetzt das erste
Mal ein Divestment beschlossen worden . Auch, um das
Geld zu sichern und kein Risiko mehr bei der Anlage
von Geld einzugehen, sollen keine Investitionen mehr in
Unternehmen getätigt werden, die in fossilen Energien
engagiert sind . Das war ursprünglich auch in Ihrem Entwurf des Klimaschutzplanes 2050 vorgesehen . Nun ist
das herausgefallen . Warum soll hier weiterhin ein Risiko
für die Bevölkerung, für den Staat, für die Pensionsfonds,
für die Rücklagen auch unseres Staatskapitals eingegangen werden? Sieht so Ihr Risikomanagement aus?
Frau Kollegin Höhn, auf Ihre letzte Frage reagiere
ich etwas unsicher . Nach meinem Kenntnisstand ist die
Bundesrepublik Deutschland in fossile Energieträger
überhaupt nicht investiert, sodass wir kein Divestment
ankündigen müssen . Aber das müsste ich überprüfen .
Nach meiner Einschätzung - das kann man dem Beteiligungsbericht des Bundesfinanzministers entnehmen, den
ich nicht vollständig im Kopf habe - können die Investitionen in fossile Energieträger, wenn es sie denn gibt,
nicht von großer Bedeutung sein . Ich wüsste nicht, in
welche . Das will ich zunächst dazu sagen .
Zu Ihrer ersten Frage nach dem Bundesverkehrswegeplan . Ich will wirklich würdigen, dass wir den Anteil
der Investitionen in Schiene und Wasserstraßen im Verhältnis zum noch geltenden Bundesverkehrswegeplan
deutlich erhöhen . Die Relation wird also zugunsten von
Schiene und Wasserstraßen deutlich verbessert . Gleichwohl kann man sich da noch mehr wünschen . Ich hatte
Ihnen ja gesagt, dass ich mit dem Kollegen Dobrindt weiter im Gespräch bin .
Herr Kollege Lenkert .
Frau Ministerin, Sie sprachen vorhin von der Dieseltechnologie bei Pkw als „Brückentechnologie“ . Jetzt ist
zwischenzeitlich bekannt geworden, dass es bei Dieselfahrzeugen nicht nur einen höheren Verbrauch gibt als
angegeben, sondern auch die Feinstaubbelastung in den
Innenstädten deutlich höher ist als angenommen . Unter
diesem Aspekt sehe ich es ausgesprochen kritisch, eine
solche Technologie, die sich wahrscheinlich nicht so
ohne Weiteres korrigieren lässt, als „Brückentechnologie“ zu bezeichnen .
Ich frage Sie daher: Wäre es nicht klüger, statt Milliarden in E-Autos zu stecken, in die Bahn zu investieren?
Das könnte uns kurzfristig helfen . Ich denke hier an die
Elektrifizierung von Bahnstrecken durch eine weitere
Erhöhung der Regionalisierungsmittel, damit eben mehr
Personennahverkehr erfolgen kann . Wäre es nicht klüger, die Milliarden, die man jetzt für E-Autos vorsieht,
in den öffentlichen Personennahverkehr und in die Elektrifizierung von Bahnstrecken zu investieren, um einen
schnellen Effekt sowohl beim Klima als auch gegen die
Feinstaubbelastung in unseren Städten zu erreichen?
Die Elektrifizierung von Bahnstrecken ist sicherlich
wünschenswert . Gleichwohl muss man auch dort ein
Kosten-Nutzen-Verhältnis ins Auge fassen . Es gibt Bahnstrecken, die so befahren werden und bei denen geprüft
werden sollte, ob das Investment - ich sage es einmal
so - zu verantworten ist . Trotzdem haben Sie im Prinzip
natürlich recht .
Ich will aber den Vorwurf zurückweisen, dass wir
Milliarden in die Elektromobilität stecken . Wir haben
ein Zuschussprogramm von 600 Millionen Euro bis zum
Ende des Jahres 2019 aufgelegt .
Ich will mit Blick auf unser Zeitmanagement darauf
aufmerksam machen, dass ich den Wunsch nach Nachfragen der Kolleginnen und Kollegen Krischer, KottingUhl, Verlinden, Meiwald, Baerbock und Höhn registriert
habe . Mehr werden wir in diesem Zeitrahmen nicht schaffen, wenn wir auch noch Gelegenheit für sonstige Fragen
an die Bundesregierung haben wollen . - Herr Krischer .
Frau Ministerin, ich möchte erst einmal Ihrer Aussage
widersprechen, dass wir beim Klimaschutz auf dem Zielpfad sind . Von den 27 Prozent, die wir an CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 reduziert haben, gehen knapp
20 Prozent auf den Niedergang der DDR-Wirtschaft zurück . Das heißt, das, was sonst noch an Maßnahmen verbleibt, ist minimal in der Wirkung . Im Verkehrsbereich
gehen die Emissionen nach oben . Im Bereich der Energieerzeugung gibt es bestenfalls eine Stagnation, tendenziell gehen auch dort die Emissionen nach oben . Da kann
ich nicht davon sprechen, dass wir auf dem Zielpfad sind,
zumal wir im europäischen Vergleich nach wie vor mit
die höchsten Emissionen pro Kopf haben . Ich kann nicht
erkennen, dass wir uns konsequent auf die Erreichung
der Ziele zubewegen .
Meine Frage bezieht sich auf den Klimaschutzplan 2050 . Ich habe gelesen, dass im Entwurf die Aussage stand, der Ausstieg aus der Kohle solle deutlich vor
2050 erfolgen . Ich nehme jetzt wahr, dass diese Aussage im Entwurf nicht mehr enthalten ist . Sie haben sich
auch gerade dazu nicht geäußert . Meine Frage an Sie
ist: Beabsichtigt die Bundesregierung tatsächlich - das
wäre aus meiner Sicht eine völlige Entwertung -, einen
Klimaschutzplan 2050 zu verabschieden, der keine klare
Aussage zu einem Kohleausstieg oder zur Kohle enthält?
Ich hatte Sie eben schon darüber unterrichtet, dass in
dem Entwurf des Klimaschutzplans die Einrichtung einer
Kommission vorgesehen ist, die innerhalb von zwei Jahren einen gesellschaftlichen Konsens mit herbeiführen
soll, der dann zu den Maßnahmen führt, den Ausstieg aus
der Kohle oder vielmehr den Ausstieg aus fossilen Energieträgern sozialverträglich und regional wirtschaftlich
verantwortlich voranzubringen .
Frau Kotting-Uhl .
Frau Ministerin, noch einmal zum Ausbau der erneuerbaren Energien - ich frage Sie das auch als Ministerin
für Reaktorsicherheit, das heißt als Hüterin des Atomausstiegs -: Können wir uns tatsächlich leisten, in dieser
Legislatur den Plan zu beschließen, bis zum Jahr 2020
einen Anteil von 40 Prozent erneuerbarer Energien an
der Stromversorgung zu erreichen? Woraus wollen wir
dann die restlichen 60 Prozent Strom beziehen? Ich rede
jetzt nur von Strom für die Stromnutzung; es geht nicht
um Sektorkopplung . Woraus beziehen wir die restlichen
60 Prozent des Stroms, den wir dann brauchen? Wird das
alles aus fossilen Energieträgern kommen, oder soll dann
der Atomausstieg aufgeweicht werden?
Wie Sie wissen, betrug der Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland im letzten Jahr
32,5 Prozent . Bis zum Jahr 2020 streben wir 40 Prozent an . Dies ist sicherlich problemfrei möglich, und Sie
können sicher sein, dass der Atomausstieg, wie geplant,
sukzessive vorangeht und das letzte Atomkraftwerk 2022
vom Netz geht .
Frau Verlinden .
Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum Stromverbrauch in der Zukunft, und zwar würde ich gerne wissen, von welchem Stromverbrauch die Bundesregierung
für die Jahre 2020, 2030 und 2050 ausgeht . Sie haben
die Sektorkopplung angesprochen . Auch das Stichwort
„Elektromobilität“ ist heute schon mehrfach gefallen .
Ich wüsste gerne: Gibt es einen Wert, mit dem Sie
rechnen und an dem Sie Ihre Prognosen und vor allen
Dingen auch Ihre Politik orientieren? Wenn ja, sind Sie
sich in der Bundesregierung einig, oder geht man da
von unterschiedlichen Szenarien aus? Wenn man davon spricht, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 40 bis
45 Prozent beim Strom aus erneuerbaren Energien zu erreichen - wir Grünen finden, das ist viel zu wenig; aber
nehmen wir an, Sie wollen dieses Ziel erreichen -, dann
ist, wenn Sie am Freitag im Plenum mit dem EEG die
Megawattausbauzahlen beschließen, die Frage ganz essenziell, ob das überhaupt erreichbar ist . Denn viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Stromverbrauch
steigen wird . Die Frage ist deshalb, ob Sie Ihre eigenen
Ziele erreichen, wenn Sie nur diese geringen Mengen an
Photovoltaik und Windkraft ausbauen wollen .
Frau Kollegin, ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass nach meiner Ansicht in der nächsten Legislaturperiode das Erneuerbare-Energien-Gesetz wiederum
einer Novellierung zugänglich sein wird .
({0})
Peter Meiwald .
Vielen Dank . - Ich habe auch eine Nachfrage . Sie haben eben wieder betont, dass das EEG in der nächsten
Legislaturperiode weiterentwickelt werden soll . Aber
für die Herausforderungen, die sich zurzeit im Zusammenhang mit der Installation von Energieanlagen, mit
Offshoreanlagen, aber auch mit dem Netzausbau und
dem Thema Sektorkopplung stellen, gilt: Das sind alles
Prozesse, die lange Planungsvorläufe haben . Aus meiner
Sicht ist es sehr schwierig, den Investoren zu vermitteln,
dass sie die nächsten Koalitionsverhandlungen abwarten
müssen, wo doch die Entscheidungen eigentlich heute
getroffen werden müssen . Wir alle wissen, dass gerade in
diesen Sektoren die Zeit sehr drängt .
Ich frage mich, wie Sie als Bundesregierung es den
Menschen vor Ort, den Investoren und im Übrigen auch
den Betreibern von fossilen Kraftwerken vermitteln
wollen, dass Sie eine neue Hängepartie bis zu einem
EEG 2019 machen .
Herr Kollege, wir machen keine Hängepartie . Jeder
kann sich darauf einstellen, dass wir die erneuerbaren
Energien ausbauen . Der Netzausbauplan liegt fest und
wird abgearbeitet .
Frau Baerbock .
Ich möchte auf den Punkt Divestment zurückkommen . Sie haben gesagt, Ihnen sei nicht bekannt, dass die
Bundesrepublik an Anlagen im fossilen Bereich beteiligt
ist . Das ist aber so . Das sind sowohl die Bundesländer Berlin steigt ja aus - als auch der Bund über die Bundesbank . Die Anlagen für die Pensionsrückstellungen oder
auch die der gesetzlichen Rentenversicherungen sind im
EURO-STOXX-50-Index enthalten .
Habe ich Sie deshalb richtig verstanden, dass die
Bundesregierung diesem Beispiel folgen - das hat die
Bundeskanzlerin in ihrer Rede angesprochen, Stichwort
„mehr Verantwortung des Finanzsektors“ -, sich auch im
Klimaschutzplan aktiv für ein Divestment einsetzen wird
und entsprechend die Anlagenrichtlinien der Bundesbank
und die Pensionsrückstellungen anpassen und keine Anlagen in fossile Energieunternehmen mehr kaufen wird?
Frau Kollegin, das ist im Klimaschutzplan bisher nicht
vorgesehen . Es ist allerdings eine interessante Anregung .
Frau Höhn, letzte Frage .
Frau Ministerin, wir haben zwar jetzt die Entscheidung zum Brexit in Großbritannien, aber als Folge davon
ist der Preis für CO2-Zertifikate sogar noch einmal massiv unter ein Niveau gesackt, das vorher schon viel zu
niedrig war . Nun planen die Franzosen, im nächsten Jahr
einen Mindestpreis einzuführen, der immerhin bei 28 bis
30 Euro pro Tonne CO2 liegen soll . Auch Großbritannien, das in den nächsten Jahren beim Klimaschutz der EU
noch aktiv sein wird, hat einen CO2-Preis in Höhe von
23 Euro . Andere Länder haben eine Kohlesteuer .
Um hier zu Veränderungen zu kommen und die
CO2-Ziele zu erreichen: Ist es nicht notwendig, dass auch
Deutschland einen solchen Mindestpreis einführt, damit
wir ihn am Ende mit den notwendigen Mehrheiten auch
auf EU-Ebene einführen können?
Frau Kollegin, wir sind auf der europäischen Ebene
im Überarbeitungsprozess . Wie Sie wissen, haben wir
uns bereits auf eine Marktstabilitätsreserve verständigt,
und wir werden den tatsächlich notwendigen Neuanfang,
was die CO2-Bepreisung betrifft, in den nächsten Monaten auf der europäischen Ebene einvernehmlich regeln
können .
Damit schließen wir diesen Teil der Befragung ab .
Gibt es sonstige Fragen zur heutigen Kabinettssitzung?
Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? - Es
hatte sich bereits die Frau Kollegin Werner gemeldet,
und dann notiere ich einige weitere Meldungen .
Meine Frage bezieht sich auf den Kabinettsbeschluss
der letzten Woche . Dort wurde vom Ministerium für
Arbeit und Soziales ganz groß verkündet, dass jetzt die
Inklusion vorangebracht und Selbstbestimmung und
Teilhabe für die betroffenen Menschen ermöglicht werden . Anfang der Woche gab es noch die Nachricht, dass
die Österreicher in ihr Bundesgesetzblatt die korrigierte deutsche Übersetzung aufgenommen haben . Insofern
stellt sich die Nachfrage, ob das Ministerium doch noch
einmal darüber nachdenkt, eine Korrektur der Gesetzesvorlage vorzunehmen; denn es gäbe noch weitere Auswirkungen auf den Haushaltsentwurf für 2017 und auf
den Finanzplan bis 2020, die heute vom Bundesfinanzminister vorgestellt werden .
Herr Präsident, sind Sie damit einverstanden, wenn
die Kollegin Lösekrug-Möller die Antwort gibt? - Herzlichen Dank .
Vielen Dank für die Frage, Frau Abgeordnete
Werner . - Ja, in der Tat, diese Nachricht hat uns natürlich
auch ereilt, dass sich in Österreich in der Übersetzungsfrage etwas getan hat . Wir haben dieses Thema bereits in
der letzten Legislaturperiode in der Bundesregierung behandelt und eine deutsche Fassung bei der Übersetzung
akzeptiert . Es gibt im Augenblick, soweit mir bekannt ist,
keine Diskussion und keine Überlegung, dies noch einmal infrage zu stellen .
Frau Haßelmann .
Ich habe eine Frage an das Innenministerium . Dieses
hat sich jetzt auch öffentlich über die Presse geäußert noch nicht in der Fragestunde - und seine Kritik am Verhalten des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie an
den Verfehlungen von dessen Präsident Herrn Maaßen
vorgebracht .
Deshalb möchte ich gern fragen: Wie werden Sie von
der Regierung damit umgehen, wenn Sie feststellen, dass
es dort massive Defizite gegeben hat? Welche Rückwirkungen hat dies auf das Vertrauen, das Sie in Herrn
Maaßen stecken, und welche Konsequenzen hat das für
Ihre Fach- und Rechtsaufsicht?
Herr Krings, bitte .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Haßelmann, wir haben uns, glaube ich,
schon einmal in einer früheren Fragestunde darüber unterhalten . Ich hatte damals angekündigt, dass ein Bericht
eines Beauftragten des Innenministeriums erstellt wird .
Dies ist inzwischen erfolgt, und der Bericht wird ausgewertet .
Natürlich haben wir - das haben Sie zu Recht angemerkt - Mängel festgestellt, dass beispielsweise
SIM-Karten und Telefone zu spät gefunden worden sind .
Diese müssen nun nicht nur ausgelesen, sondern auch
ausgewertet werden . Um es einmal praktisch deutlich zu
machen: Wenn es sich - hypothetisch - um 1 000 Bilder handelt, dann reicht es nicht aus, diese von einer
SIM-Karte oder einem Handy herunterzuziehen . Vielmehr muss man dann auch schauen, wer auf den Fotos
abgebildet ist und ob es Verbindungen gibt, die wir bislang nicht gesehen haben . Davon wird viel abhängen .
Es ist jetzt jedenfalls noch nicht an der Zeit, irgendwelche hypothetischen Betrachtungen anzustellen und
Konsequenzen zu ziehen . Wichtig und richtig ist - das
Stichwort haben Sie bereits genannt -, dass wir die
Rechts- und Fachaufsicht sehr ernst nehmen . Dass wir
das tun, zeigt die nun eingeleitete Untersuchung . Aber
wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen .
Frau Dröge .
Ich habe eine Frage an die Bundesregierung hinsichtlich des Rüstungsexportberichts 2015; dieser war meines
Wissens nach ebenfalls Thema der heutigen Kabinettssitzung . Wir haben erfahren, dass sich die Rüstungsexporte
gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt haben . Damit ist
Herr Gabriel seinem selbst erklärten Ziel, die Rüstungsexporte zu reduzieren, nicht gerecht geworden . Das ist
eine sehr problematische Nachricht .
Wir haben außerdem erfahren, dass ein Großteil der
Lieferungen bei den Kleinwaffen in die Region Katar
geht und dass auch die Lieferung eines Panzers an das
Land Katar genehmigt wurde . Herr Gabriel hat das damit
begründet, dass es sich hier um Genehmigungen der Vorgängerregierung handele, die er nicht mehr rückgängig
machen könne . Trifft es zu, dass diese Genehmigungen
durchaus rückgängig gemacht werden könnten, wenn
man bereit wäre, Schadensersatzforderungen in Kauf zu
nehmen? Was ist aus Ihrer Sicht die inhaltliche Begründung dafür? Ist es wirklich besser, Panzer und Kleinwaffen in ein Land wie Katar zu liefern, als Schadensersatzforderungen in Kauf zu nehmen?
Das Bundeskabinett hat sich heute mit dem Rüstungsexportbericht befasst . Zur Verbesserung der Transparenz
bei Rüstungsexporten legt die Bundesregierung, wie zugesagt, diesen Bericht zum dritten Mal vor . Es ist richtig,
dass der Export von Kleinwaffen zurückgegangen ist .
Genau diese Waffen sind bei nicht regulären Truppen und
Terroristen das Mittel der Wahl . Das Bundeskabinett hat
sich nicht mit der Abgrenzung von Rüstungsexport und
denkbaren Schadensersatzforderungen befasst .
Kollege Beck .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich habe in der letzten
Woche in der Fragestunde das Bundeswirtschaftsministerium nach Proliferationsversuchen und Proliferationserfolgen des Iran im Zusammenhang mit dem Atomprogramm gefragt . Gestern erreichte mich schließlich die
finale Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums: Der
Bundesregierung ist kein Verstoß im Zusammenhang mit
dem Iran seit dem Wiener Abkommen bekannt .
Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt in seinem Bericht von 2015:
Die vom BfV festgestellten illegalen iranischen Beschaffungsversuche in Deutschland befanden sich
2015 weiterhin auf einem auch im internationalen
Vergleich quantitativ hohen Niveau . Dies galt vor
allem für Güter, die im Bereich Nukleartechnik eingesetzt werden können .
Das BfV konstatiert auch „im Bereich des ambitionierten iranischen Trägertechnologieprogramms, das unter
anderem dem Einsatz von Kernwaffen dienen könnte,
eine steigende Tendenz der ohnehin schon erheblichen
Beschaffungsbemühungen“ .
Das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen sagte nach dem Abschluss des Wiener
Abkommens: Nichtsdestoweniger stellt der Iran weiterhin den Bearbeitungsschwerpunkt in der Proliferationsabwehr dar . Knapp zwei Drittel der indizierten Einkaufsversuche sind dem iranischen Programm zuzuordnen .
Ich frage die Bundesregierung: Lügt der Verfassungsschutz, oder hat die Bundesregierung doch Erkenntnisse
darüber, dass seit der Unterzeichnung des Wiener Abkommens durch den Iran Proliferationsversuche im Zusammenhang mit dem Atomprogramm festgestellt wurden, und wenn ja, wie möchte die Bundesregierung das
Parlament hierüber wahrheitsgemäß unterrichten?
Herr Staatssekretär Beckmeyer .
Herr Abgeordneter Beck, herzlichen Dank für die Frage . - Wir werden immer wahrheitsgemäß antworten . Wir
werden diesen in der Presse zu lesenden Aussagen der
verschiedenen Verfassungsschutzämter nachgehen .
({0})
- Keine Entrüstung . - Wir werden diesen Dingen nachgehen und sie aufklären .
Sie sprachen zu Recht von Beschaffungsversuchen . Es
ist zu hinterfragen, bei wem das versucht worden ist und
ob es mit Erfolg versucht worden ist . Diese Frage werden
wir ebenfalls aufklären .
Frau Höhn .
Der Kommissionspräsident Juncker und die Handelskommissarin haben ihre Meinung revidiert und wollen
jetzt über CETA den Bundestag und die anderen nationalen Parlamente abstimmen lassen . Die Bundesregierung hat mehrmals dazu Position bezogen und sich dafür
starkgemacht . Das war auch gut, und damit hat sie sicher
zu dieser Änderung beigetragen .
Nun soll aber dieses Handelsabkommen schon vorläufig in Kraft treten, und zwar bevor die Einzelparlamente, also auch der Bundestag, darüber abgestimmt haben .
Wie ist die Haltung der Bundesregierung dazu? Denn es
ist doch eine Farce, auf der einen Seite auf der Mitbestimmung des Bundestages zu bestehen, während auf der
anderen Seite das Abkommen schon in Kraft ist . Wird
sich die Bundesregierung auch dafür einsetzen, dass die
vorläufige Inkraftsetzung von CETA nicht stattfindet?
Dazu haben wir, Frau Kollegin, gleich eine Aktuelle
Stunde, in der das intensiv erläutert werden kann .
Aber das wird nicht beantwortet . Ich frage, damit das
beantwortet werden kann .
Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist bei beiden Versuchsanordnungen ziemlich gleich groß, scheint mir .
Aber wir können es einmal testen . - Herr Beckmeyer,
bitte schön .
({0})
Ich würde in der Tat den Kollegen Beckmeyer bitten,
darauf zu antworten, sofern er dazu heute in der Lage ist .
Frau Kollegin, Ihre Frage zielt auf die Debatte zu
CETA im Rahmen der Aktuellen Stunde ab . Wir haben
gestern die Entscheidung der Kommission zur Kenntnis
nehmen dürfen, dass entgegen ihrer bisherigen Haltung
es kein EU-only-Abkommen werden soll, sondern ein
gemischtes . Wir werden uns also auch hier in Deutschland auf einen Abstimmungsprozess zubewegen . Es werden sicherlich entsprechende Vorklärungen in Richtung
des Handelsministerrates auch hier im Parlament stattfinden. Auf diese Art und Weise wird es, so denke ich,
eine Meinungsbildung des Deutschen Bundestages und
vielleicht auch des Bundesrats geben . Das wird sicherlich auch ein Fingerzeig für das entsprechende Verhalten
der Bundesregierung im jeweiligen Rat sein .
Dann wird das Europäische Parlament über diesen
Vorgang zu entscheiden haben . Damit haben wir ein
Verhalten des Europaparlaments zu dem gesamten Abkommen . Danach wird darüber in den entsprechenden
Parlamenten der Mitgliedstaaten entschieden . Das ist
ein längerfristiger Prozess, an dem wir uns sicherlich in
Deutschland beteiligen werden .
Jedenfalls, Frau Höhn, bedarf es nicht der Genehmigung der Europäischen Kommission, dass sich der Deutsche Bundestag mit diesem Thema beschäftigt . Wenn es
zu der jetzt absehbaren Prozedur kommt, setzt die denkbare Zustimmung der Bundesregierung zur vorläufigen
Inkraftsetzung dieses Vertrages die Zustimmung des
Volker Beck ({0})
Bundestages voraus - Punkt . Völlig eindeutige Rechtslage .
({1})
Ich habe jetzt noch drei Wortmeldungen, die ich aufrufen will . Das sind der Kollege Ströbele, die Kollegin
Mihalic und der Kollege Beck, die ich bitte, sich im
Rahmen der vorgesehen Zeitfristen zu bewegen . - Herr
Ströbele .
Danke, Herr Präsident . - Ich habe mich vorhin gemeldet - leider bin ich erst jetzt an der Reihe -, als der Herr
Staatssekretär auf die Frage nach Herrn Maaßen geantwortet hat . Sie sagen, Sie könnten noch nichts Endgültiges sagen . Deshalb meine klare Frage: Sehen Sie eine
Verantwortlichkeit von einem Behördenleiter, wie das
Herr Maaßen als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist, die unabhängig davon ist, ob er an den einzelnen Vorgängen beteiligt war? Das ist die sogenannte
Organisationsverantwortung . Das heißt, dass der Chef
auch für Vorgänge in seinem Amt geradestehen und die
Verantwortung übernehmen muss, bei denen er direkt
und konkret gar nicht involviert gewesen ist .
Das möchte ich gern für die ganze Bundesregierung
beantworten: Ja, selbstverständlich sieht die Bundesregierung das so für alle Behördenleiter .
Frau Mihalic .
Frau Ministerin Hendricks, ich finde es gut, dass Sie
für die gesamte Bundesregierung die Antwort gegeben
haben, dass ein Behördenleiter selbstverständlich die
Verantwortung trägt, wenn es in seiner Behörde offensichtlich Defizite gibt.
Herr Krings, Sie sagen, man könne jetzt noch keinerlei
voreilige Schlüsse dahin gehend ziehen, was das Ergebnis dieser Untersuchung betrifft . Der Bericht liegt ja nunmehr vor . Sie haben uns diesen Bericht sozusagen vertraulich bei der Geheimschutzstelle vorgelegt, und wir
konnten diesen Bericht auch einsehen. Aber ich finde, es
ist schon ein merkwürdiger Vorgang, dass Sie selbst, das
Bundesinnenministerium, Teile dieses Berichts in einer
Pressemitteilung an die Öffentlichkeit bringen . Deswegen möchte ich an Sie die Fragen richten: Warum ist dieser Bericht überhaupt als vertraulich eingestuft? Welche
Punkte sind es ganz konkret, die die Öffentlichkeit nicht
erfahren soll? Das Handeln, das Sie da an den Tag legen - einerseits stufen Sie als vertraulich ein, andererseits gehen Sie selbst damit an die Öffentlichkeit -, finde
ich schon bemerkenswert .
Vielen Dank .
({0})
Es liegt im Wesen der Geheimhaltungsvorschriften,
dass man diese nicht offenbaren kann .
Das hätte ich natürlich unmöglich schöner formulieren können, Frau Ministerin .
Wir arbeiten nach der Maßgabe - das habe ich hier an
anderer Stelle schon des Öfteren gesagt, und das nehme
ich sehr ernst -: So viel Transparenz wie möglich, so viel
Geheimhaltung wie notwendig . - Wenn ein Bericht Teile
enthält, über die man sagen kann: „Das kann man der Öffentlichkeit ohne die Verletzung von Interessen Dritter,
ohne die Verletzung von Staatsinteressen und Geheimschutzinteressen mitteilen“, dann wäre es geradezu fatal,
wenn wir die entsprechenden Teile nicht veröffentlichten . Insofern können Sie als eine von wenigen, die das in
der Geheimschutzstelle gelesen haben, beurteilen, wo die
Differenz an dieser Stelle liegt . Das gilt übrigens nicht
für den ganzen Bericht; das ist ja doch ein Unterschied .
Sie kennen den Bericht offensichtlich in Gänze und können selbst sehen, wo die Grenzen gezogen worden sind .
({0})
Ich kann nur ganz deutlich sagen: In der Tat ist die
Aussage von mir zu unterstreichen; das gilt für alle Behörden, selbst für Ministerien . Natürlich stellt sich dort,
wo in einer Behörde Fehler passieren, die Frage nach ihrer Organisation . Aber die Konsequenzen daraus - falls
Sie darauf abzielen - hängen von der Schwere der Fehler
ab . Darum bleibe ich dabei: Es wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös, einschätzen zu wollen, wie schwerwiegend der begangene Fehler ist . Insofern wären weitere Aussagen zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Ordnung .
Letzte Frage: Volker Beck .
Ich möchte meine Frage an Ihre Antwort anknüpfen .
Ich hatte die Bundesregierung letzte Woche schon nach
Proliferationsversuchen des Iran gefragt . Ich frage Sie
jetzt: Hat die Bundesregierung Kenntnis von Proliferationsversuchen des Iran nach dem Abschluss des Wiener
Abkommens, die im Zusammenhang mit dem Atomprogramm des Iran stehen können? Es reicht eigentlich ein
Ja oder ein Nein .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Das hätte den Vorzug, dass die Antwort leicht in
höchstens 60 Sekunden zu beantworten ist .
Ich habe eben zum Ausdruck gebracht, dass wir uns
um den Verfassungsschutzbericht, den Sie zitiert haben,
kümmern werden; wir werden dem nachgehen .
Der entscheidende Punkt ist, dass nach meinem
Kenntnisstand die Aussagen von Verfassungsschützern
rückwärtsgewandt waren . Diesen Punkt werden wir aufklären . Einige Abgeordnete dieses Hauses haben sich
dazu auch in den letzten Tagen öffentlich geäußert . Ich
bin nicht in den Gremien, in denen dies besprochen worden ist . Wir werden dieser Sachlage nachgehen, und wir
werden sie auch aufklären . Wenn dieser Aufklärungsprozess abgeschlossen ist, werde ich Ihnen schriftlich auf
Ihre Frage antworten .
Herzlichen Dank .
Ich schließe damit die Regierungsbefragung .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/8998, 18/9024
Zu Beginn rufe ich gemäß Nummer 10 Absatz 2 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen
auf Drucksache 18/9024 auf .
Ich will mit zwei Vorbemerkungen beginnen:
Erste Vorbemerkung . Wenn wir aufseiten des Parlaments wie der Regierung die Regierungsbefragung so
ernst nähmen, wie sie eigentlich gedacht ist, brauchten
wir das Institut der dringlichen Fragen nicht, weil jeder
in der Lage ist, wie wir das heute gerade demonstriert
haben, auch unabhängig von den angekündigten Themen
dringliche Fragen zu stellen .
Zweite Vorbemerkung . Solange wir dieses Institut haben, ist es eine gelegentlich schwierige Abwägung, ob
eine Frage wirklich dringlich ist oder nicht . Gelegentlich entscheide ich selbst entgegen den plausiblen formalen Hinweisen der Bundestagsverwaltung zugunsten
der Fragesteller . Wenn mir dann jemand eine dringliche
Frage vorlegt, ich sie auch als dringlich genehmige, ich
unmittelbar vor Beginn der Sitzung aber die Mitteilung
bekomme, dass eine schriftliche Antwort eigentlich auch
genüge, persifliert sich das Anliegen selbst.
({0})
So, finde ich, können wir nicht miteinander verfahren.
Deswegen bitte ich, das künftig bei entsprechenden Anfragen möglichst zu berücksichtigen .
({1})
Mit dieser Begründung entfällt nun die Behandlung
der zugelassenen dringlichen Frage 1 der Kollegin Jelpke
an das Bundesministerium des Innern .
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes .
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen Movassat
auf:
Inwiefern war die Bundesregierung in die geplante Änderung des sogenannten Instruments für Stabilität und Frieden
({2}), die die Europäische Kommission am Dienstag, dem
5 . Juli 2016, beschließen wollte, eingebunden, und inwiefern
teilt sie die Einschätzung des Rechtsdienstes der Europäischen Kommission, dass die Finanzierung des Militärs „nicht
gleichzeitig Teil der Entwicklungszusammenarbeit der EU
und ihrer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik sein“
kann ({3})?
Die Kollegin Frau Staatsministerin Böhmer wird diese
dringliche Frage liebenswürdigerweise beantworten .
Danke, Herr Präsident . - Herr Kollege Movassat, ich
darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Worum geht es?
Mit dem Instrument für Stabilität und Frieden will die
EU - ich zitiere jetzt aus dem Text - „spezifische globale
und transregionale Bedrohungen des Friedens, der internationalen Sicherheit und der Stabilität“ bewältigen . In
der EU ist Konsens, dass Partner zur Krisenprävention
und Krisenbewältigung befähigt werden müssen, auch
durch konkrete Projekte . Das läuft unter dem Thema
„Capacity building in support of security and development“, kurz: CBSD . - Im April 2015 haben der Europäische Auswärtige Dienst und die Kommission dazu
eine gemeinsame Mitteilung vorgelegt . Der Rat hat diese
Mitteilung am 18 . Mai 2015 begrüßt und den Auftrag gegeben, Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen . Es geht
nicht um sogenannte letale Ausrüstung - das möchte ich
betonen -, und das ist auch in der gemeinsamen Mitteilung klargestellt .
Zur Einbindung der Bundesregierung . Die Bundesregierung wurde kontinuierlich unterrichtet, unter anderem
in den zuständigen Ratsgremien und im Verwaltungsrat
für das Instrument für Stabilität und Frieden . Das Initiativrecht zur Vorlage eines Änderungsvorschlags zu der
Verordnung für das IfS liegt bei der EU-Kommission .
Daher war die Bundesregierung nicht an der Formulierung beteiligt . Die EU-Kommission hat zur Vorbereitung
in der Zeit vom 1 . April bis zum 27 . Mai 2016 eine öffentliche Anhörung durchgeführt .
Nun zur Rechtsauslegung . Das Instrument für Stabilität und Frieden dient zur Krisenbewältigung . Die EU
soll durch eine wirksame Reaktion rasch zur Stabilität
beitragen können . Die vom Rechtsdienst der Kommission vertretene Rechtsansicht teilt die Bundesregierung
nicht . Die Finanzierung von militärischen Aufgaben in
Krisenlagen durch die EU ist nicht ausgeschlossen . Das
sehen auch der Rat und das Europäische Parlament so .
Die Kommission selbst hat nun das Verfahren zur Änderung des Instruments für Stabilität und Frieden in Gang
http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-militaer-mit-entwicklungshilfe-staerken-a-1101301.html
gesetzt, und damit zeigt sie, dass sie jetzt keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit einer solchen Finanzierung durch Anpassung des IfS hat .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Herzlichen Dank . - In dem Spiegel-Artikel vom
4 . Juli, der sozusagen die Grundlage für die Frage ist,
steht nicht, dass Deutschland eigentlich nur unterrichtet
worden ist, kein Initiativrecht hat, sich nur zurückgelehnt
hat, sondern darin steht: Deutschland war eine treibende
Kraft dieser Änderung . - Die Änderung läuft darauf hinaus, dass Gelder, die bisher eigentlich für die Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen waren, für militärische
Ausbildung und militärische Ausrüstung ausgegeben
werden sollen . Deshalb frage ich Sie, ob Deutschland
nur sozusagen passiver Teilnehmer war oder ob Deutschland, also die Bundesregierung, in den Gremien der EU
eine treibende Kraft war und dieses Vorhaben - Entwicklungsgelder für Militärisches auszugeben - politisch unterstützt .
Bitte schön .
Danke schön . - Herr Kollege Movassat, ich habe diesen Artikel von Spiegel Online vor mir . Sie kennen den ja
auch . Ich kenne auch Ihre Pressemeldung, die Sie gestern
abgesetzt haben .
({0})
Ich finde schon bemerkenswert, dass Sie sich zwar auf
die Überschrift des Artikels gestützt, sich aber nicht den
weiteren Text vorgenommen haben . Denn im weiteren
Text steht:
Wie viel Geld für die Militärhilfe ausgegeben wird
und woher es kommen soll, steht in dem Entwurf
nicht .
In diesem Artikel ist lediglich von „Ideen“ die Rede . Die
Überschrift suggeriert also etwas Definitives - so auch
Ihre Pressemeldung -, während im weiteren Verlauf dieses Artikels von „Ideen“ die Rede ist .
Ich darf Ihnen sagen, dass es inzwischen - und das gilt
nicht nur für die Bundesregierung -, insbesondere seit
wir die Agenda 2030 beschlossen haben, eine sehr viel
umfassendere Sichtweise dessen gibt, was notwendig
ist . Wer sich mit Entwicklungshilfe beschäftigt - Sie tun
das ja sehr ausführlich -, der weiß ganz genau, dass wir
dann, wenn wir Entwicklungshilfe in fragilen Staaten,
in schwierigen Staaten auch wirklich zu den Menschen
bringen wollen, für Stabilität sorgen müssen . Das bedeutet, dass eine zielführende Entwicklungshilfe nur durch
Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten ist .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Sie haben jetzt sehr viele Allgemeinplätze formuliert
und gesagt, was alles nicht ist . Das ist irgendwie nicht
sehr hilfreich . Wir haben heute im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Unterrichtung durch die Bundesregierung beantragt, damit
wir überhaupt einmal wissen, was Fakt ist . Die Koalition
hat jedoch eine Unterrichtung im Fachausschuss, der für
dieses Thema zuständig ist, abgelehnt . Jetzt sagen Sie
mir, in dem Artikel sei sozusagen das und das falsch oder
nur punktuell wiedergegeben . Aber Sie sagen mir nicht,
welches die „Ideen“ sind .
Aber es soll ja gestern einen Beschluss gegeben haben . Mich würde jetzt interessieren: Was wurde da ganz
konkret beschlossen? Was soll passieren? Sie sagten, es
soll nicht letale Ausrüstung sein . Welche Ausrüstung ist
es, die geliefert werden soll? Woher kommen die Mittel?
Wir bekommen hier keine Informationen, und dann werfen Sie mir vor, sozusagen eine falsche Angabe zu machen. Aber Sie sagen mir nicht, was Tatsache ist. Das finde ich von der Bundesregierung schon ziemlich schwach .
Bitte .
Herr Kollege, ich habe gesagt, Sie haben nur einen
Teil des Beitrags von Spiegel Online zum Gegenstand
gemacht, und den anderen Teil, in dem von „Ideen“ die
Rede ist, haben Sie - so sage ich jetzt einmal - hintenan
gelassen; ich könnte auch sagen: unter den Tisch fallen
lassen . Es ist Ihre Sache, wie Sie mit einem solchen Artikel umgehen . Genauso ist es meine Sache, den Artikel in
den entsprechenden Passagen zu zitieren .
Ich finde es sehr gut, dass Sie das Thema bereits heute Morgen angeschnitten haben und wir nun durch Ihre
dringliche Frage Gelegenheit zum Austausch haben . Gestern gab es in der Tat einen entsprechenden Beschluss .
Das ist völlig unbestritten . Der Vorschlag wurde heute
Morgen als offizielles Arbeitsdokument „zirkuliert“. Ich
kann Ihnen auch sagen, wann . Es war um 10 .45 Uhr .
Ich darf Ihnen in aller Klarheit sagen, dass er dem
Bundestag im üblichen Verfahren so schnell wie möglich
zugeleitet werden wird . Sie werden also ausführlich Gelegenheit haben, sich den Text in Ihrem Ausschuss und
möglicherweise auch in anderen Ausschüssen vorzunehmen . - Jetzt gerade habe ich den Text auch bekommen .
Ich darf einmal sagen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Auswärtigen Amt waren sehr hilfreich
und haben sich darum bemüht . Denn ich will ja nicht vor
Ihnen stehen und sagen: Ich kenne den nicht . - Aber ich
bitte angesichts des Textumfanges um Verständnis, dass
ich den Text, den ich erst vor wenigen Minuten erhalten
habe, noch nicht studieren konnte; denn ich glaube, es ist
wichtig, dass man ihn gründlich studiert .
Sie können auch auf einen Zeitungsartikel zurückgreifen, der heute in der FAZ erschienen ist . In diesem Zeitungsartikel wird davon gesprochen, was ausgeschlossen
ist und was nicht . Aber ich bin dafür, dass das dann im
entsprechenden Ausschuss ausführlich erörtert wird .
({0})
Bevor ich jetzt das Wort zu weiteren Nachfragen zu
dieser Frage erteile, mache ich alle darauf aufmerksam:
Wir haben hier eine optische Unterstützung, und wenn
die Signallampe auf Rot springt, ist entweder die Fragezeit abgelaufen oder die Antwortzeit . Ich bitte, sich daran
ein wenig zu orientieren .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Hänsel das Wort .
Danke schön . - Frau Staatsministerin, Sie sagten jetzt,
bezüglich der „Ideen“ usw . könnten Sie noch nicht so
viel sagen . Aber wenn man sich jetzt Berichte aus der
Ratsarbeitsgruppe Entwicklungszusammenarbeit anschaut, dann sieht man: Die Kommission schreibt, dass
gerade die Partner in Afrika besonders an einer Ausstattung bezüglich Countering Violent Extremism - also
bezüglich irgendwie gearteter Terrorismusbekämpfung interessiert seien . In dem Zusammenhang taucht auch
wieder dieses Instrument für Stabilität und Frieden auf .
Man müsste sich allerdings zumindest an die Menschenrechtsrichtlinien halten . Ebenso taucht das Instrument
für Stabilität und Frieden im Zusammenhang mit einer
EU-Krisenübung auf, „Multilayer 2016“, die für Oktober
geplant ist . Hier wird es genannt im Rahmen von Überlegungen, verschiedene Finanzierungsinstrumente zu
testen . Dann gibt es einen Bericht der Kommission zu
Cyber Capacity Building, also Cyber Security, und auch
da taucht dieses Instrument auf .
Meine Frage: Unterstützen Sie diese Instrumentalisierung von Entwicklungsgeldern und die Umwidmung in
immer mehr militärische und zivil-militärische Maßnahmen? Ist das die Position der Bundesregierung?
Ich versuche, es kurz zu machen, Frau Präsidentin . Frau Kollegin, ich will einmal daran erinnern, um was
es sich bei diesem Instrument für Stabilität und Frieden
handelt . Es ist eben kein ausschließliches Entwicklungshilfeinstrument, sondern es ist ein Stabilisierungsinstrument .
({0})
Ich betone noch einmal - das ist auch der Erkenntnisfortschritt, der sich niedergeschlagen hat in den SDGs, über
die Sie sich ja auch sehr gebeugt haben und die ich selbst
in New York verhandelt habe -, dass wir einen umfassenden Ansatz brauchen und dass wir selbstverständlich
in derart gebeutelten Regionen, wo Terrorismus herrscht,
wo Konflikte überschäumen, den Menschen Sicherheit
geben müssen . Dem dienen entsprechende EU-Missionen . Ich glaube, es ist wichtig, mit Blick auf dieses Instrument zu betonen, dass die Mittel nicht daran gebunden
sind, als ODA-Mittel anrechenbar zu sein . Das ist eine
besondere Qualifizierung.
Wenn ich jetzt noch Zeit hätte, würde ich Ihnen gerne
ein Beispiel geben; aber das können wir vielleicht bei der
nächsten Antwort ergänzen .
Das ergibt sich ja vielleicht gleich noch . - Das Wort zu
einer Nachfrage hat die Kollegin Brantner .
Herzlichen Dank . - Sie sprachen gerade von Verhandlungen . Ich kenne das Instrument für Stabilität und Frieden sehr gut; denn ich war Berichterstatterin für dieses
Instrument im Europaparlament und habe es in der letzten Legislaturperiode federführend verhandelt . Von daher
weiß ich sehr gut, was damit möglich ist und was nicht .
Ich möchte daran erinnern: Es handelt sich um einen
eher kleinen Geldtopf mit etwas mehr als 2 Milliarden
Euro über sieben Jahre . Im Rahmen der Krisenbewältigung ist es ein politisches Instrument . Es ist vorgesehen
für Mediation, Dialog, die Unterstützung von Aussöhnungsprozessen, Friedensförderung, Peace Buildung,
die klassische Versöhnungsarbeit . Schon damals ist hart
darum gerungen worden, ob die Militärausrüstung in diesen Topf aufgenommen wird . Das wurde damals mehrheitlich nicht so gesehen, weil man gesagt hat: Es ist ein
kleiner Topf, dessen politische Aufgabe Krisenintervention ist, Verhinderung von Gewalt, wenn möglich, und
Nachsorge hin zur Versöhnung .
Deswegen ist es für mich wirklich nicht erklärlich,
warum man jetzt für Militärausrüstung, nur weil man
keinen anderen Geldtopf dafür findet - vielleicht ist sie
sogar sinnvoll, aber doch bitte nicht aus diesem Topf -,
aus diesem kleinen Instrument, das für den Frieden vor
Ort so viel bewirken kann, diese großen Summen herausnehmen möchte .
Ich möchte Sie fragen: Werden Sie dem zustimmen,
wenn das jetzt ins Verfahren kommt?
Bitte, Frau Staatsministerin .
Ich bin sehr froh, dass Sie sich so intensiv mit diesem
Instrument beschäftigt haben . Das hilft uns auch, um in
der Diskussion hier im Deutschen Bundestag den Blick
zu schärfen .
Ein Betrag von 2 Milliarden Euro ist ja nicht gerade
ein Kleckerbetrag; es ist schon eine stattliche Summe .
Bei EU-Mitteln müssen wir manchmal in anderen Dimensionen denken .
Aber ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch einmal
sagen: Man hat - das Ringen darum haben Sie selbst erlebt im EU-Parlament, und das Thema ist nach wie vor
Gegenstand der Diskussionen - früher immer sehr genau
getrennt zwischen zivilen und militärischen Ansätzen .
Heute sehen wir, dass wir im Zusammenhang mit der
Krisenbewältigung vor Problemen stehen, die sehr viel
mehr im Bereich der Stabilisierung erfordern .
Als ich die SDGs in New York verhandelt habe, war
das auch ein Thema . Das Ziel Nummer 16 der Sustainable Development Goals sagt uns - ich darf zitieren -:
Strengthen relevant national institutions, including
through international cooperation, for building capacity at all levels, in particular in developing countries, to prevent violence and combat terrorism and
crime .
Hier haben wir den Ansatzpunkt, auf den sich die
Kommission stützt . Ich glaube, es ist wichtig, jetzt einen
solch umfassenden Ansatz zu haben und damit auch die
Mittel für Entwicklungshilfe an die Menschen zu bringen . Es ist eine humanitäre Aufgabe von uns, damit die
Gelder nicht brachliegen, verpuffen und den Menschen
vor Ort nicht dienen .
({0})
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kekeritz das Wort .
Herzlichen Dank. - Ich finde es sehr interessant, wie
Sie plötzlich Stabilität, Sicherheit und militärische Maßnahmen in Verbindung bringen . Ich denke, wir haben 40,
50 Jahre lang Erfahrung im Bereich der Entwicklungspolitik . Hier ist deutlich geworden, dass wirkliche Stabilität
nicht auf militärischen Maßnahmen basiert, sondern auf
sozioökonomischen Entwicklungen, die den Menschen
eine Perspektive für ihre Zukunft liefern . Aber das ist
eine andere Frage .
Ich weiß nicht, ob Sie den Kollegen Müller gut kennen, aber Sie kennen sicher die zentralen Aussagen, die
er getroffen hat . Er sagte noch vor zwei Jahren:
Keine Entwicklungsgelder für militärische Einsätze, Waffen und Material . . .
Er ergänzt noch:
Das wäre ein Anschlag auf die Entwicklungspolitik
Europas .
Ich weiß nicht, ob Sie meine Frage beantworten .
Gerne .
Wie würden Sie das heute sehen?
Darf ich?
Bitte, Frau Staatsministerin .
Gerne . - Wir stimmen hier doch völlig überein . Das
schlägt sich auch in dem Änderungsvorschlag nieder,
dass solche letalen Ausrüstungen ausgeschlossen sind .
Dahinter stehen wir auch, und wir setzen uns dafür ein:
keine Waffen, keine Munition . Dafür sind die Gelder
nicht vorgesehen . Dafür dürfen sie auch nicht verwendet
werden .
Ich will Ihnen dies einmal an einem Beispiel deutlich
machen; denn wir wollen hier die Dinge ausräumen . Wir
wollen alles daransetzen, dass in den Ländern, in denen
die Menschen Hilfe zur Selbsthilfe brauchen, dies auch
wirklich funktioniert . Ich nehme einmal das Beispiel
Mali . Das habe ich im Haus viel diskutiert . Wenn malische Soldaten, die dort ausgebildet worden sind - Sie wissen, wir haben vor kurzem die EU-Mission EUTM Mali
hier im Deutschen Bundestag verlängert -, nicht über die
notwendige Kommunikationsausrüstung verfügen, sie
also nicht über Funkgeräte verfügen, oder wenn sie keine Schutzwesten gegen Minen und Sprengfallen haben,
wenn sie nicht einmal die notwendigen Krankenwagen,
Wasserbehälter und Tankfahrzeuge haben oder wenn es
an Unterkünften, Verpflegung und medizinischer Versorgung mangelt, dann funktioniert es nicht . Es geht darum,
dass im Sicherheitsbereich nicht nur ausgebildet wird,
sondern dass die Betreffenden ihrer Aufgabe unter den
gegebenen Bedingungen nachkommen können, sodass
sie den Menschen helfen können . Wenn ein Bauer von
Terroristen bedroht wird, wenn er nicht mehr ernten und
somit nicht mehr für sein Leben sorgen kann, dann müssen wir vor Ort Hilfe geben . Um nichts anderes geht es .
Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beantwortet wurde, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf
Drucksache 18/8998 in der üblichen Reihenfolge auf .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings zur
Verfügung .
Frage 1 der Abgeordneten Erika Steinbach, Frage 2
des Abgeordneten Dr . André Hahn, Frage 3 der Abgeordneten Sevim Dağdelen sowie Frage 4 der Abgeordneten
Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele auf:
Was teilt die Bundesregierung über ihre Aufklärungsbemühungen sowie deren Ergebnisse dazu mit, dass die
griechische Küstenwache zusammen mit Frontex-Schiffen
Flüchtlinge schon in EU- bzw . ostägäischen Gewässern mit
Waffendrohung gezwungen haben soll, auf herbeigerufene
türkische Grenzschutzboote am 13 . Juni 2016 ({0}) überzuwechseln, bevor
sie Asylanträge stellen konnten, insbesondere dazu, ob Hinweise deutscher Stellen oder des deutsch geführten dortigen
NATO-Flottenverbands dazu beitrugen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Ströbele, herzlichen Dank, dass ich
Ihre Frage mündlich beantworten darf . Sie zeigen damit
mehr Standfestigkeit als die meisten anderen Kollegen
Fragesteller .
Ich beantworte Ihre Frage gerne wie folgt: Der Bundesregierung liegen zum Gegenstand der Frage keine
eigenen Erkenntnisse vor . Im besagten Zeitraum wurden weder durch die Bundespolizei noch durch den
NATO-Flottenverband derartige Ereignisse beobachtet .
Frontex wurde dennoch noch einmal um Aufklärung gebeten . Die Überprüfung dauert hier noch an . Es ist davon
auszugehen, dass die unabhängige Grundrechtsbeauftragte der Agentur im Rahmen ihrer regelmäßigen Berichterstattung dem Frontex-Verwaltungsrat auch hierzu
berichten wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich danke . - Herr Staatssekretär, das habe ich befürchtet .
Befürchtet hoffentlich nicht . Das ist eine gute Nachricht, finde ich.
Nein, das ist keine gute Nachricht; denn der Vorgang
ist empörend .
Hat die Bundesregierung oder hat das Ministerium
denn auch einmal bei den Menschenrechtsorganisationen
nachgefragt, die das veröffentlicht haben, und zwar unter
genauer Protokollierung sogar der Minuten, wann was in
der Ägäis passiert ist, nämlich dass am 11 . Juni 2016 um
4 Uhr früh eine solche Rückführung stattgefunden hat,
bei der die Flüchtlinge, darunter 14 Kinder, sogar mit
Waffen bedroht worden sein sollen, damit sie direkt von
den griechischen Schiffen auf die türkischen Schiffe gehen, die sie dann zurückbrachten? Haben Sie sich darum
bemüht? Ich kann Ihnen diesbezüglich mehrere Fundstellen nennen. Die haben das sogar fotografiert, offenbar
aus der Entfernung - ich weiß auch nicht, von woher .
Herr Staatssekretär, bitte .
Danke, Frau Präsidentin . - Herr Ströbele, wie es unsere Aufgabe ist, haben wir natürlich zunächst einmal in
unserem Geschäftsbereich und bei Frontex nachgefragt .
Wenn ich Ihnen sage, dass wir dazu keine Erkenntnisse haben, dass es einen solchen Vorfall unseres Wissens
nicht gegeben hat, würde ich das erst einmal als eine
positive Nachricht bewerten, weil damit die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch ist, dass die Meldung vielleicht
nicht stimmt .
Allerdings kann ich nicht beurteilen, wo im Einzelnen
Informationen abgerufen worden sind . Wenn Sie weitere Informationen haben, dann kann ich Sie nur herzlich
bitten, sie mir zu geben . Dann werde ich im Hause veranlassen, dass man auch diesen Informationen nachgeht .
Damit haben Sie das Wort zur zweiten Nachfrage . Bitte .
Geben Sie mir in der Bewertung recht, dass, wenn es
stimmt, dass 53 Flüchtlinge im griechischen Gewässer
von einem griechischen Militärschiff aufgegriffen worden sind und dann ein türkisches Schiff gerufen wurde,
dass die Flüchtlinge - darunter, wie gesagt, 14 Kinder
und auch mehrere sehr alte Menschen - gezwungen wurden, auf das türkische Schiff zu gehen, um in die Türkei
zurückgebracht zu werden, damit alles widerlegt würde,
was die Bundesregierung bisher behauptet, nämlich dass
diese Aufgreifmaßnahmen der Stellung von Schleusern
dienen? Das würde doch zeigen, dass es eigentlich darum geht, einen Wall gegen die Flüchtlinge auf dem Meer
aufzubauen und durchzusetzen . Geben Sie mir mit dieser
Bewertung recht?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Danke, Frau Präsidentin . - Wenn Flüchtlinge oder
andere Personen in griechischen Hoheitsgewässern entdeckt und aufgenommen werden, dann sind erst einmal
griechische oder EU-Behörden dafür zuständig und keine Behörden anderer Staaten . Eine weitere Bewertung
eines für mich derzeit noch hypothetischen Sachverhalts
kann ich hier nicht vornehmen .
Es gibt noch eine weitere Nachfrage . Die Kollegin
Corinna Rüffer, bitte .
Sie sagen, dass es hier um hypothetische Vorfälle geht .
Herr Ströbele hatte ja nachgefragt, ob Sie sich darum bemühen, aufzuklären, ob diese Vorwürfe tatsächlich hypothetisch sind . Sie haben geantwortet, dass Sie bei Frontex
Vizepräsidentin Petra Pau
nachgefragt hätten . Herr Ströbele fragte aber auch, ob Sie
sich um Informationen von Menschenrechtsorganisationen bemüht haben, die, wie wir wissen, oft auch sehr
gute Informationen haben .
Bitte, Herr Staatssekretär .
Ich habe das eben meines Erachtens schon - wenn
vielleicht auch nur inzident - beantwortet . Natürlich nutzen wir auch andere Quellen . Ich kann nichts zum konkreten Sachverhalt sagen, dazu, wer dort außerhalb von
Behörden konkret gefragt worden ist . Ich kann nur meine
Einladung an den Kollegen Ströbele erneuern, dass ich
die Unterlagen, die er hat und über das hinausgehen, was
wir bisher schon haben, gerne mitnehme und zum Gegenstand weiterer Nachfragen mache . Wieweit das bisher
schon erfolgt ist, kann ich en détail nicht sagen .
Der Kollege Wunderlich hat noch eine Nachfrage .
Weil ich dann doch gereizt wurde . - Herr Staatssekretär, gehe ich fehl in der Annahme, dass Ihren Aussagen
zufolge das Aufklärungsbemühen der Bundesregierung
diesbezüglich genauso intensiv ist wie das Aufklärungsbemühen hinsichtlich der Toten an der türkisch-syrischen
Grenze? In der letzten Fragestunde konnten wir nämlich
feststellen: Das Verteidigungsministerium war nicht zuständig, das Kanzleramt war nicht zuständig, dieser war
nicht zuständig, jener war nicht zuständig . Es ging im
Grunde keinen etwas an .
Herr Staatssekretär, bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ich lasse die polemische Einkleidung Ihrer Frage einmal weg . Ich möchte betonen, dass wir uns um Aufklärung in erster Linie
durch unsere eigenen Behörden und auch durch die europäischen Behörden bemühen, die zu Recht dazu berufen
sind, dass wir aber natürlich auch weiteren Hinweisen
nachgehen .
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums des Innern . - Danke, Herr Staatssekretär .
Die Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz - es handelt
sich um die Frage 6 des Abgeordneten Andrej Hunko soll schriftlich beantwortet werden .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen . Auch hier sollen die Fragen - es
handelt sich um die Fragen 7 und 8 des Abgeordneten
Klaus Ernst - schriftlich beantwortet werden .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales . Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller zur Verfügung .
Die Fragen 9 und 10 der Abgeordneten Sabine
Zimmermann werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Katrin Werner auf:
Wie hoch wären nach Kenntnis der Bundesregierung die
Kosten, wenn das in Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschriebene Menschenrecht auf freie Wahl von
Wohnort und Wohnform durch entsprechende Änderungen des
Bundesteilhabegesetzes ({0}) sowohl in § 116 als auch in
§ 104 SGB IX vollständig umgesetzt würde?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kollegin
Werner, hierzu liegen der Bundesregierung keine Angaben vor . Die Vielzahl aller denkbaren individuellen Wünsche, wo, in welcher Wohnform und mit wem leistungsberechtigte Menschen mit Behinderungen wohnen und
leben möchten, übersteigt die Möglichkeiten fundierter
Berechnungen . Selbst Schätzungen sind nicht möglich .
Ein uneingeschränktes Wunsch- und Wahlrecht ist im
Übrigen vor dem Hintergrund des Gebotes der Wirtschaftlichkeit, das unverzichtbarer Gegenstand aller Sozialleistungsgesetze ist, nicht möglich .
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage .
Die Nachfrage wurde schon fast provoziert . Sie haben
auf das Gebot der Wirtschaftlichkeit im Bundesteilhabegesetz hingewiesen . Insofern frage ich mich schon, ob die
Bundesregierung der Meinung ist, dass gerade die angesprochenen §§ 104 und 116 des Bundesteilhabegesetzes
wirklich garantieren, dass die Umsetzung von Artikel 19
der UN-Behindertenrechtskonvention gegeben ist, durch
den das Wunsch- und Wahlrecht für ein selbstbestimmtes
Leben garantiert werden soll .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Darauf antworte ich gerne . In der Tat: Das Kernstück
von Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention ist
das Wunsch- und Wahlrecht . Wir sagen: Ja, dem entsprechen wir auch . Trotzdem müssen wir in unseren Sozialleistungsgesetzen - das gilt im Übrigen für alle Sozialleistungsgesetze - das Gebot der Wirtschaftlichkeit
berücksichtigen . Wir sind hinsichtlich der Erfüllung von
Wünschen und hinsichtlich der Gewährung der Wahlfreiheit also nicht absolut frei .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Über die Leistungen wird in den Verwaltungen der
Kommunen entschieden . Wenn Sie Entscheidungen an
den wirtschaftlichen Grundlagen festmachen, dann heißt
das doch, dass die Wirtschaftskraft der jeweiligen Stadt
oder Gemeinde eine Rolle spielt bei der Entscheidung,
ob Teilhabeleistungen genehmigt werden oder nicht . Bei
den angesprochenen Paragrafen geht es auch um das
Pooling beim Erbringen von Leistungen, auch Zwangspooling genannt .
Das alles erzeugt in mir die Vorstellung, dass in einer Gemeinde, die ein bisschen mehr Geld hat, bessere
Leistungen erbracht werden bzw . andere Entscheidungen
getroffen werden als in einer Gemeinde, die hoch verschuldet ist . Man würde also zulassen, dass mindestens
16 unterschiedliche, landesspezifische Entscheidungen
möglich sind, weil die Länder unterschiedlich aufgestellt
sind . Die Anzahl der unterschiedlichen Entscheidungen
erhöht sich noch, wenn ich die Anzahl der Städte und Gemeinden hinzuzähle .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Frau Präsidentin, ich antworte gerne, aber ich werde
diese Frage nicht in der Kürze beantworten können, in
der ich die beiden ersten Fragen beantwortet habe . - Frau
Kollegin Werner, es ist natürlich nicht so, dass der Haushalt einer Gemeinde darüber entscheidet . Wir haben als
Erstes selbstverständlich immer ein pflichtgemäßes Ausüben des Ermessens . Das ist nicht in die Beliebigkeit der
einzelnen örtlichen Sozialämter oder anderer Behörden
gestellt .
Die Intention Ihrer Frage ist aber, dass es gar keine
Leitplanken für das Ausüben des Wunsch- und Wahlrechts geben dürfte . Darauf habe ich geantwortet, dass
bei steuerfinanzierten Sozialleistungen insgesamt sehr
wohl auch die Frage der Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen ist. Grundsätzlich gilt pflichtgemäßes Ermessen immer . Auch die Frage der Zumutbarkeit ist relevant .
Auch nach dem Entwurf des Bundesteilhabegesetzes,
über den wir zurzeit sprechen, soll als Erstes immer
geschaut werden - zum Beispiel bei der gemeinsamen
Inanspruchnahme von Leistungen, auf die auch andere
heute zu behandelnde Fragen zielen -: Ist das der Person
zumutbar? Kommt man nach dieser ersten Prüfung zu
dem Ergebnis, dass das nicht der Fall ist, werden weitere
Wirtschaftlichkeits- oder Kostenrechnungen nicht angestellt .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Klein-Schmeink
das Wort .
Danke schön . - In meiner Nachfrage geht es auch
um den Paragrafen zur Wirtschaftlichkeit der Wohnform . Warum hat die Bundesregierung nicht direkt im
Gesetzestext, sondern nur in der Begründung zum § 104
Bundesteilhabegesetz beschrieben, welche Angebote bei
einem Kostenvergleich verglichen werden können? Erwarten Sie nicht aufgrund der Tatsache, dass das eben
nicht Teil des Gesetzeswortlauts ist, vermehrt Rechtsstreitigkeiten hinsichtlich der Frage, was wirtschaftlich
ist und was nicht?
Frau Kollegin Klein-Schmeink, nein, die erwarten wir
nicht . Wir wissen, dass bei der Anwendung der Gesetze
auch die Begründung von großer Bedeutung ist . Sie dient
ja dazu, zu interpretieren . Insofern teile ich Ihre Befürchtung nicht .
Zu einer weiteren Nachfrage hat Kollegin Rüffer das
Wort .
Vielen Dank . - Frau Lösekrug-Möller, mit Ihrer Ansicht stehen Sie relativ allein . Wenn Sie sich die Stellungnahmen der Verbände anschauen, stellen Sie fest, dass
sie anderer Meinung sind . Die Anwender der Gesetze, in
diesem Fall die Städte und Gemeinden, schauen in der
Regel nicht in die Begründung, sondern in den Gesetzestext, und versuchen, die Gesetze anzuwenden . Gesetze
sollten auch mit Blick auf die Arbeitsbedingungen der
Mitarbeiter in den Behörden klar formuliert sein, aber
vor allen Dingen mit Blick auf die Menschen .
Sie verfolgen mit dem Bundesteilhabegesetz das Ziel,
das Wunsch- und Wahlrecht zu stärken . Ein Punkt, der
immer wieder angegriffen worden ist, ist der Mehrkostenvorbehalt im Zusammenhang mit dem Prinzip „ambulant vor stationär“ . Alle Verbände haben gesagt, dass
der Mehrkostenvorbehalt ein Problem ist . Sie hingegen
sagen, dass es generelle Leitplanken gibt und die Wirtschaftlichkeit die wesentliche Leitplanke ist . Warum
braucht man beim Wunsch- und Wahlrecht Ihrer Ansicht
nach eine weitere Leitplanke? Warum reicht die allgemeine nicht aus?
Bitte .
Vielen Dank . - Frau Kollegin Rüffer, wir haben darüber schon mehrfach diskutiert . Ich fühle mich mit meiner
Position überhaupt nicht alleine; die Sorge möchte ich
Ihnen nehmen . Wir haben sehr differenzierte Stellungnahmen der Verbände erhalten . Wie Sie wissen, sind viele der Empfehlungen der Verbände in die Fassung eingeflossen, die das Kabinett verabschiedet hat. Das wissen
Sie ebenso wie viele andere, die sich mit dem Entwurf
intensiv beschäftigt haben .
Ich habe auch nicht die Sorge, dass wir die Menschen,
die über Eingliederungshilfen entscheiden, überlasten,
wenn wir ihnen zumuten, eine Gesetzesbegründung zu
lesen . Sie wissen, dass es zu den meisten Gesetzen weitere Hinweise gibt . Das ist gar nicht meine Sorge . Ich habe
eher die Hoffnung und den großen Wunsch, dass viele,
die sich mit der reformierten Eingliederungshilfe beschäftigen werden, hinreichend gute Fortbildungsangebote bekommen und nutzen - dafür sorgen wir gemeinsam mit dem Deutschen Verein -, damit die Grundidee
der neuen Eingliederungshilfe auch wirklich Anwendung
findet. Genau aus diesem Grund sagen wir ja auch, dass
diese wesentlichen Regelungen erst zum Januar 2020
in Kraft treten, damit hinreichend Zeit ist, diesen Umdenkungsprozess und diese Neugestaltung wirklich so
festzumachen, dass sie zum Wohle der Betroffenen ihre
Wirksamkeit entfalten kann .
Wir kommen damit zur Frage 12 der Kollegin Katrin
Werner:
Auf welcher fachlichen Begründung basiert die Regelung,
nach der eine Person in fünf bzw . drei Lebensbereichen der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit ({0}) eingeschränkt sein muss, um zum
leistungsberechtigten Personenkreis zu gehören?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ich antworte gerne . Frau Kollegin Werner, Ziel der
Bundesregierung ist es, den Kreis der bisher leistungsberechtigten Personen der Eingliederungshilfe beizubehalten . Er soll weder eingeschränkt noch ausgeweitet
werden .
Dies vorweggestellt, erlaube ich mir die folgende Anmerkung: Die Frage gibt die Regelung zum Zugang zu
Leistungen nur teilweise wieder . Deshalb antworte ich:
Die Regelung des neuen § 99 SGB IX im Entwurf des
Bundesteilhabegesetzes, auf die Sie sich beziehen, bildet
das gewandelte fachliche Verständnis von Behinderung
ab, das sich unter anderem in der ICF - das ist die International Classification of Functioning, Disability and
Health - und der UN-Behindertenrechtskonvention widerspiegelt . Die Regelung verbindet dieses gewandelte
fachliche Verständnis mit der für die Eingliederungshilfe
unabdingbaren Notwendigkeit, eine - ich zitiere - in erheblichem Maße eingeschränkte Fähigkeit am Leben in
der Gesellschaft im Einzelfall festzustellen . Mit der Regelung wird zudem auch die heutige Praxis abgebildet,
in der der Begriff der wesentlichen Behinderung bereits
entsprechend ausgelegt wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Nun ist ja das, was Sie als Antwort geben, Ihre Darstellung und die der Bundesregierung bzw . des Ministeriums .
Ich möchte ganz gezielt wissen, welche Maßnahmen die
Bundesregierung unternimmt, dass die Sachbearbeiter
vor Ort oder die jeweiligen Behörden genau so entscheiden, wie Sie es darstellen - so wurde es auch schon am
22 . Juni in der Beantwortung dargestellt -, dass es also
keine Verschlechterung, keine Benachteiligung gibt .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Sehr gerne . Ich kann als Erstes die Antwort geben,
dass wir in der Kabinettsfassung eine Ergänzung haben .
Dort heißt es: Es gibt ergänzend eine Ermessensleistung .
Des Weiteren wird sichergestellt, dass die Gewährung
von Leistungen der Eingliederungshilfe, wie sie jetzt besteht, zweifelsfrei auch zukünftig gegeben ist . Das gilt
für jede einzelne Leistungsberechtigte und jeden einzelnen Leistungsberechtigten . Ich habe schon ausgeführt,
dass wir als Bundesebene viel Wert darauf legen, auf dem
Weg zu der in der Reform intendierten Gleichstellung
und sozusagen besseren Gewährung von Leistungen zu
unterstützen und zu helfen . Deshalb wird es in den kommenden zwei Jahren sehr viele Aktivitäten dazu geben .
Sie finden im Gesetzentwurf einen Paragrafen, in dem
sich die Bundesregierung dazu verpflichtet, die Umsetzung des Gesetzes zusätzlich mit Forschung und Evaluierung zu unterstützen . Wir werden gemeinsam mit den
Ländern ganz sicher einen guten Weg finden; denn das
können wir nicht allein . Sie wissen, Kommunen sind Bestandteile der Länder . So wollen wir dafür Sorge tragen,
dass dies ab Januar 2020 zum Wohle der Betroffenen gut
gelingt .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
In unseren Büros oder bei den Fraktionen wird oft
nachgefragt, wie sich das neue Gesetz auf gewisse Bereiche auswirken wird . Daher mache ich es ganz konkret
an einem Beispiel fest; zu diesem Fall wurden wir auch
gefragt . Es geht um eine gehörlose Person, die praktisch
nur im Bereich Kommunikation eine Teilhabeeinschränkung hat . Hat diese Person nach dem jetzt vorgesehenen
Referentenentwurf kompletten Anspruch auf Gebärdensprachdolmetscher im Rahmen der Eingliederungshilfe
oder nicht?
Bitte .
Da natürlich ein Einzelfall häufig ein bisschen komplizierter ist, als man ihn in einem Satz darstellen kann,
unterstelle ich jetzt einmal, dass diese Person bereits jetzt
Leistungen der Eingliederungshilfe - Gebärdensprachdolmetschen ist eine solche Hilfe - bekommt . Dies wird
dann auch zukünftig so sein .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Klein-Schmeink
das Wort .
Ich bin Berichterstatterin für den Bereich der Menschen mit einer psychischen Erkrankung . Es gibt ja auch
die Menschen, bei denen eine psychische Behinderung
besteht . Aktuell stellt sich die Frage, ob diese unter die
neuen Kriterien fallen .
Mir liegen jedenfalls Zuschriften von Fachgesellschaften vor, die die große Sorge haben, dass die Personengruppen, die von ihnen vertreten werden, eben nicht
mehr unter den neuen Begriff fallen . Werden Sie darauf
reagieren und hier Veränderungen vornehmen?
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .
Ich darf Ihnen als Fachfrau sagen: Darauf haben wir
bereits reagiert . Solche Sorgen wurden natürlich auch an
uns herangetragen . Wir nehmen jede Sorge sehr ernst,
dass betroffene Personen, welche Art der Einschränkung
bzw . Beeinträchtigung sie auch immer haben, zukünftig
vielleicht von Leistungen ausgeschlossen werden könnten .
Deshalb sage ich: Wenn diese Personen heute Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen können, dann werden sie dies zukünftig auch dürfen . Genau
das ist die Ergänzung, die wir in der aktuellen Fassung
vorgenommen haben .
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Rüffer .
Sehr gerne . - Sie berufen sich jetzt immer wieder auf
den Bestandsschutz; bei Ihnen geht es um Personen, die
heute schon Leistungen in Anspruch nehmen . Es wird
aber auch zukünftig Personen geben, die eine psychische
Beeinträchtigung erleiden oder gehörlos werden . Auch
für diese Personengruppe ist es natürlich wichtig, dass
Sie heute Regelungen schaffen, die auch zukünftig noch
tragen . Hier ist die Frage: Können Sie das gewährleisten?
Ja, das kann ich, Frau Kollegin Rüffer, weil auch für
die Zukunft der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt . Wir
haben Standards gesetzt, indem wir sagen: „Das heutige Leistungsangebot wird es auch zukünftig geben“, und
deshalb ist dieser Übergang in Zukunft stabil .
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Wunderlich .
Vielen Dank, Frau Lösekrug-Möller, dass Sie den Betroffenen, die gegenwärtig schon Leistungen beziehen,
die Ängste nehmen, indem Sie sagen: Es gibt einen Bestandsschutz .
Ich möchte an die Frage der Kollegin Rüffer anschließen . - In drei bzw . fünf Teilbereichen der insgesamt neun
Bereiche muss eine Beeinträchtigung vorhanden sein .
Besteht hier nicht die Gefahr - diese Befürchtung wird ja
auch von den Verbänden, von den Trägern der Pflegeheime und von Betroffenen geäußert -, dass der sogenannte
Zwillingseffekt eintreten kann?
Man sagt: Es gibt einen Bestandsschutz . Die Leistungen bleiben erhalten, egal in welcher Gruppe jemand
ist . - Eine Person mit genau den gleichen Symptomen,
die neu unter diese Kategorie fällt und Leistungen beantragt, erhält im Schnitt aber zwischen 6 und 8 Prozent
weniger Leistungen, worüber sich der Finanzminister
natürlich freut, während die Betroffenen natürlich nur
wenig davon haben .
Sehen Sie diese Gefahr hier auch? Sie wird von den
Verbänden zum Beispiel auch hinsichtlich des Pflegestärkungsgesetzes gesehen .
Bitte .
Darauf antworte ich gerne . - Herr Kollege Wunderlich,
dieser Prozentsatz ist mir nicht bekannt, und wir machen
Gesetze auch nicht zur Freude oder zum Ärger des Finanzministers,
({0})
sondern wir machen fachlich gute Gesetze .
Ich habe gerade ausgeführt, dass die Leistungsgewährung nach aktuellem Stand mindestens Maßstab für die
zukünftige Leistungsgewährung ist . Sie sprechen eine
Personengruppe an, die jetzt noch keine Leistungen bezieht, möglicherweise aber zukünftig, wenn ich Sie richtig verstanden habe . Ich teile nicht die Sorge, dass dann
weniger Leistungen gewährt werden; denn unter das jetzige Niveau werden wir nicht fallen .
Ich will noch einmal etwas zu diesem Katalog - fünf
aus neun oder drei aus neun; das sind ja die drei Zahlen, die hier immer relevant sind - sagen: Das haben
wir in diesem Gesetzentwurf so geregelt, weil wir uns
ausdrücklich dazu verpflichtet sahen und weil wir damit
auch viele Wünsche der Betroffenenverbände aufgenommen haben, ICF- und UN-BRK-konform zu definieren.
Hiernach ist nämlich nicht das entscheidend, was einer
Person fehlt, sondern das, was sie braucht, um an allen
gesellschaftlichen Lebensbereichen teilhaben zu können .
Daraus resultieren diese neun Kategorien . Von einer
erheblichen Teilhabebeeinträchtigung spricht man dann,
wenn eine Teilhabe in mindestens fünf - wenn keine personelle oder technische Hilfe gewährt wird - oder drei wenn personelle oder technische Hilfe gewährt wird Lebensbereichen nicht möglich ist .
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kurth .
Frau Staatssekretärin, nach meinem Verständnis der
ICF-Kategorien geht es darum, ganz allgemein und unabhängig von der Frage, in wie vielen Bereichen Unterstützungsbedarf benötigt wird, den Teilhabebedarf zu
ermitteln und nicht ex negativo Ausschlusskriterien festzulegen und zu sagen: Wenn man in weniger als fünf von
neun Bereichen Hilfe braucht, dann bekommt man diese
Hilfe nicht .
Mich interessiert jetzt vor allen Dingen: Wie wollen
Sie denn bei diesen ganzen unbestimmten Rechtsbegriffen ausschließen, dass die Träger der Eingliederungshilfe, also Landschaftsverbände, die Kommunen, in manchen Bereichen auch die Länder, nicht den Klageweg
beschreiten bzw . die Betroffenen den Klageweg beschreiten lassen? Bereits jetzt gibt es den Versuch, Menschen,
die im Leistungsbezug sind, Leistungen vorzuenthalten .
Wenn man im Gesetz derart unbestimmte Lebensbereiche festlegt, dann fordert das die Kostenträger geradezu
heraus, erst einmal die Grenzen auszutesten . Wie wollen
Sie das denn ausschließen?
Herr Kollege Kurth, ich glaube, wir müssen als Erstes festhalten, dass wir bei der Eingliederungshilfe nach
wie vor über einen Personenkreis mit einer wesentlichen
Einschränkung und Beeinträchtigung sprechen . Nicht
jede Beeinträchtigung ist eine Berechtigung für den Zugang zur Eingliederungshilfe . Dabei ist die Frage: „Was
ist wesentlich?“, näher zu bestimmen . Da hilft genau die
Auswahl, die wir vorgenommen haben .
Jenseits Ihrer Frage - ich glaube, auch Sie wollen
nicht, dass wir als Rechtsstaat Leistungsempfängern den
Weg versperren, Leistungen einzuklagen und sich so den
Zugang zur Leistung zu verschaffen; so habe ich Ihre
Einlassung nicht verstanden - ist es auch zukünftig nicht
ausgeschlossen - das gelingt mit keinem Gesetz -, dass
eine Klärung in einem Rechtsstreit erfolgt .
Zu der Frage der unbestimmten Rechtsbegriffe . Das
hat viel mit der Lebenswirklichkeit zu tun . Schauen Sie
sich die neun Kategorien an, die im Wesentlichen herangezogen werden, um zu sehen: Handelt es sich um eine
wesentliche Beeinträchtigung? Diese Kategorien orientieren sich sehr stark an der Idee der Teilhabe und an Bereichen des Lebens, in denen Teilhabe relevant ist .
Danke . - Damit kommen wir zur Frage 13 der Kollegin Jutta Krellmann:
Was war das Ziel des Gesprächs, das die Bundesministerin Andrea Nahles zusammen mit der Parlamentarischen
Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller und 15 geladenen
Bürgerinnen am 30 . Juni 2016 von 9 .30 bis 11 .30 Uhr, also
zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss zum Bundesteilhabegesetz, führte?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Sehr gerne . - Frau Präsidentin! Liebe Kollegin
Krellmann, Ziel des Gesprächs war es, sich mit Menschen mit Behinderungen in unterschiedlichen Lebenslagen aus verschiedenen Teilen des Landes über den am
28 . Juni vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf
eines Teilhabegesetzes auszutauschen . Im Mittelpunkt
des Gespräches standen die Anliegen, Überlegungen und
Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund
ihrer eigenen Behinderung oder ihres persönlichen Engagements für die Belange von Menschen mit Behinderungen diesen Prozess mit besonderer Aufmerksamkeit
begleiten .
Sie haben das Wort zu ersten Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . - Meine Nachfrage lautet: Warum haben Sie die Betroffenen erst
zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss eingeladen? Im
Grunde liegt doch die Vermutung nahe, dass mögliche
Erkenntnisse, die Sie in dem Gespräch gewonnen haben,
gar keine Berücksichtigung mehr finden konnten.
Wir haben die Stellungnahmen von Betroffenenverbänden, von Verbänden und Projekten aller Art schon bei
der Erarbeitung des Gesetzentwurfes einbezogen . Bevor
der Referentenentwurf vorlag, haben wir bereits einen
sehr intensiven gemeinsamen Bearbeitungsprozess unter
ausgesprochen starker Beteiligung Betroffener und ihrer
Verbände durchgeführt . Insofern hat es im gesamten Entstehungsprozess dieses Gesetzentwurfs eine sehr hohe
Betroffenenbeteiligung gegeben . Ich denke, dass eine
Ministerin gut beraten ist, diesen Austausch auch nach
einem Kabinettstermin fortzusetzen .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Vielen Dank . - Für mich bleibt trotzdem der Eindruck,
dass das eine Art Showveranstaltung gewesen ist . Die
Frage ist: Nach welchen Kriterien wurden denn die Teilnehmer dafür ausgewählt?
Ihre Einschätzung des Charakters der Veranstaltung
teile ich nicht . Das Ministerbüro hat entschieden, wer
eingeladen wurde, und diese Freiheit steht der Ministerin
und ihrem Büro auch zu .
Für eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Rüffer
das Wort .
Frau Lösekrug-Möller, Sie haben gerade erwähnt,
dass Sie einen sehr umfangreichen Beteiligungsprozess
durchgeführt haben, der sich in der Tat über ein Jahr erstreckte . Ihnen ist aber auch bekannt, dass die Verbände und betroffene Personen am Ende mit dem, was an
Anregungen in den Gesetzentwurf eingeflossen ist, in
wesentlichen Punkten nicht zufrieden gewesen sind . Im
Gegenteil: Wir haben über Wochen erlebt, dass jeden Tag
betroffene Menschen stundenlang vor dem BMAS ausgeharrt haben, um ihren Protest kundzutun . Am letzten
Wochenende gab es wieder eine große Aktion am Berliner Hauptbahnhof, bei der Betroffene darum gebeten
haben, dieses Gesetz nicht in Kraft zu setzen . Der Hashtag #NichtMeinGesetz war zeitweise der am häufigsten
benutzte in der Bundesrepublik Deutschland .
Hat dieses Treffen nicht auch damit zu tun gehabt,
dass Sie versuchen, mit den Protestierenden in Kontakt
zu treten und hoffentlich gegebenenfalls an den entscheidenden Stellen zu Nachbesserungen zu kommen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ja, gerne . - Frau Kollegin Rüffer, ich will gerne darauf
hinweisen, dass wir zahlreiche Anregungen aus der Verbändeanhörung wie auch aus der Länderanhörung aufgenommen haben . Wenn Sie die beiden Texte vergleichen,
werden Sie das erkennen .
Bei den Verbänden handelt es sich mitnichten nur
um Verbände, die Leistungsanbieter vertreten, sondern
darunter waren auch sehr wohl Betroffenenverbände,
die hinreichend Gelegenheit hatten, all das noch einmal mündlich vorzutragen . Alle Anregungen lagen auch
schriftlich vor .
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Werner
das Wort .
Ich möchte mich noch einmal auf den 30 . Juni beziehen. Ich finde es zwar gut, wenn die Ministerin die Gespräche fortsetzt . Aber so, wie Sie es dargestellt haben,
hörte es sich an, als ob das Teil eines langen Konzeptes
und eines Marketingplans wäre . Das provoziert mich zu
der Frage, ob Sie mir recht geben könnten, dass das Gespräch, das am 30 . Juni stattfand, vielmehr die Antwort
auf Demos oder Mahnwachen war, die drei Wochen lang
vor dem Ministerium stattgefunden haben . Wie Sie wissen, gab es am 4 . Mai, also am Vortag des Protesttags zur
Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, in Berlin
eine große Demo . Seit diesem Tag fanden immer wieder
Demos vor dem Ministerium statt . Das Gespräch wurde
den Teilnehmern an diesen Demos oder an den Aufrufen
#NichtMeinGesetz - zwei von ihnen sind heute auf der
Tribüne anwesend - genau in diesem Rahmen zugesagt .
Insofern ärgert es mich ein Stück weit: Wenn so etwas
zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss gemacht wird,
wird es von vielen Betroffenen eher als Alibiveranstaltung verstanden .
Frau Kollegin .
Sorry . - Denn zwei Tage vorher gab es am Bahnhof
einen großen Protest zu Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention .
Bitte .
Frau Kollegin Werner, das BMAS hat in dieser Sache
kein Marketingkonzept . Mir ist überhaupt kein Marketingkonzept meines Ministeriums, das ich hier vertrete,
bekannt .
Ich weise gerne darauf hin, dass es nach einer Veranstaltung am Brandenburger Tor den Wunsch von Demonstrierenden gab, mit der Ministerin oder Vertretern
des Hauses zu sprechen . Dem sind wir wenige Tage
später nachgekommen . Nicht die Ministerin, sondern
ich habe, begleitet vom zuständigen Abteilungsleiter, an
dem Gespräch teilgenommen . Wir haben den Anwesenden das Angebot gemacht, in einen Dialog einzutreten .
Sie hatten die Chance, darüber nachzudenken und sich
zu entscheiden, und sie sind zu der Entscheidung gekommen, dass sie den Dialog zu diesem Zeitpunkt nicht fortsetzen wollten .
Wir kommen zur Frage 14 der Kollegin Jutta
Krellmann:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus,
dass bei der beim Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH in Auftrag gegebenen Studie ({0}) zur Ermittlung der Verwaltungskosten in der Eingliederungshilfe, die zum Ziel hatte,
den Aufwand der Träger der Eingliederungshilfe für die mit
dem Bundesteilhabegesetz einhergehende Qualifizierung des
Personals zu schätzen, nur fünf Sozialämter beteiligt waren?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
http://nichtmeingesetz.de/
http://nichtmeingesetz.de/
Die in der Frage zitierte Studie befasst sich mit der
Praxis der Einkommensanrechnung in der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und geht der Frage
nach den Einnahmeausfällen bei einem Verzicht auf den
Einkommensrückgriff nach .
Die Studie hatte nicht zum Ziel, den Aufwand der
Träger der Eingliederungshilfe für die mit dem Bundesteilhabegesetz einhergehende Qualifizierung zu schätzen . Die geringe Anzahl der beteiligten örtlichen Sozialhilfeträger erklärt sich daraus, dass nach den Rückläufen
aus den Ländern die Verwaltung der Eingliederungshilfe
für behinderte Menschen einschließlich der Durchführung des Einkommensrückgriffes häufig von überörtlichen Trägern der Sozialhilfe wahrgenommen wird .
Ich weise darauf hin, da das Stichwort schon einmal
gefallen war: In Nordrhein-Westfalen gibt es zwei Landschaftsverbände, die dies für das gesamte Bundesland
wahrnehmen . Deshalb wurden ergänzende Daten bei den
überörtlichen Trägern der Sozialhilfe erhoben .
Sie haben das Wort zur Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . - Wie bewertet
die Bundesregierung die Ergebnisse dieser Studie und
die politische Entscheidung, die auf der Grundlage dieser
Studie getroffen wurde, besonders im Hinblick darauf,
dass ambulant lebende Menschen mit Behinderung nicht
berücksichtigt wurden?
Bitte .
Dazu muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich würde Ihnen
die Antwort darauf gern schriftlich zukommen lassen, da
Ihre ursprüngliche Fragestellung ja eine andere Zielrichtung hatte . Wenn Sie einverstanden sind, liefern wir Ihnen das gern schriftlich nach .
Das halten wir erst einmal fest, und Sie stellen nun die
zweite Nachfrage .
Vielen Dank . - Zur zweiten Frage: Warum verlässt sich
die Bundesregierung allein auf die Aussagen der BAGüS
hinsichtlich der Verwaltungskosten im IGES-Gutachten,
nachdem sich an der Umfrage nur fünf Sozialämter also sehr wenige - beteiligt haben? Im Grunde ist dies ja
eine Frage der Überwachung der eigenen Effizienz einer
Behörde, und diese kann man ja immer nur damit beantworten: Jawohl, natürlich sind wir effizient.
Bitte .
Ja . Ich darf vielleicht noch einmal allen, die uns heute zuhören und zuschauen, erklären, was die BAGüS ist .
Das ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen
Sozialhilfeträger, und ich erwähnte schon: Zwei dieser
Träger decken zum Beispiel das gesamte Land Nordrhein-Westfalen ab, deshalb muss man Zahlen auch relativieren .
Meines Erachtens ist es so, dass hier sehr seriöse statistische Daten erhoben werden, auf die man sich auch
als Ministerium verlassen kann .
Die Kollegin Klein-Schmeink hat das Wort zu einer
Nachfrage .
Danke schön . - Meine Frage richtet sich auf die
Freibeträge für die Renten- und Alterssicherung . Wir
sprechen ja gerade über die Einkommens- und Vermögensanrechnung . Dabei bleiben Sie in § 136 unterhalb
der durchschnittlichen Verdienste von rentenversicherten
Personen . Das wird immer entlang einer Bezugsgröße
festgelegt .
Welchen Hintergrund hat es, dass Sie darunter bleiben, und glauben Sie, dass damit eine vernünftige Alterssicherung für diesen Personenkreis sichergestellt werden
kann?
Bitte .
Die Frage, welche Alterssicherung vernünftig ist,
müssen andere beantworten . Ich glaube, dass es darum
geht, die Chance für eine angemessene Alterssicherung
zu gewährleisten, und dies halten wir für gegeben .
Die Frage 15 des Kollegen Strengmann-Kuhn soll
schriftlich beantwortet werden .
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Corinna Rüffer auf:
Warum möchte die Bundesregierung mit § 116 Absatz 2
des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IX-E ({0}) den Trägern der Eingliederungshilfe die Möglichkeit eröffnen, Leistungen unter der
Bedingung zu erbringen, dass sie von mehreren Leistungsberechtigten gemeinsam in Anspruch genommen werden, und
warum reicht aus ihrer Sicht die Möglichkeit nach § 116 Absatz 3 SGB IX-E, Leistungen auf Antrag des Leistungsberechtigten gemeinsam zu erbringen, nicht aus?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Gerne . Frau Präsidentin . - Liebe Kollegin Rüffer,
bereits heute hat sich in der Eingliederungshilfe in Einzelfällen die Praxis entwickelt, Leistungen gemeinsam
in Anspruch zu nehmen . Hierfür wird jetzt in § 116 die
rechtliche Grundlage geschaffen . Ich zitiere aus dem Gesetzentwurf:
Die Leistungen zur Assistenz …, zur Heilpädagogik …, zum Erwerb und Erhalt praktischer Fähigkeiten und Kenntnisse …, zur Förderung der Verständigung …, zur Beförderung im Rahmen der
Leistungen zur Mobilität … und zur Erreichbarkeit
einer Ansprechperson unabhängig von einer konkreten Inanspruchnahme … können an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden …
Die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen
kann fachlich geboten sein, zum Beispiel, wenn Ziele im
Bereich des sozialen Lernens verfolgt werden . Ob dabei
eine gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen erfolgt, wird nicht allein in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt . Der oder die Leistungsberechtigte muss
auf Augenhöhe an der Entscheidung beteiligt werden .
Die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen muss
für die Leistungsberechtigten zumutbar sein . Ist sie nicht
zumutbar, ist diese - auch bei Berücksichtigung der Kostengesichtspunkte - unzulässig .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Wir haben es hier mit einer Wortneuschöpfung zu tun .
„Zwangspoolen“ wird der Sachverhalt, der in diesem Paragrafen geregelt wird, von den betroffenen Menschen
genannt . Es ist richtig, dass es sinnvoll sein kann, Leistungen gemeinschaftlich in Anspruch zu nehmen; das ist
ja heute auch schon gängige Praxis . Das kann der Sache
angemessen sein und ist sicherlich auch unter fiskalischen Gesichtspunkten in vielen Fällen nicht dumm . Die
Frage ist aber: Warum müssen Sie die gemeinschaftliche
Inanspruchnahme in § 116 Absatz 2 gesetzlich regeln,
wenn das heute schon gemacht wird, und warum halten
Sie die bestehenden Regelungen, die das ermöglichen,
für nicht ausreichend?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ja, sehr gerne . - Frau Kollegin Rüffer, wenn Sie mir
den Paragrafen zeigen, in dem die gemeinschaftliche
Inanspruchnahme von Leistungen geregelt ist, wäre ich
Ihnen sehr dankbar . Tatsächlich gibt es einen solchen
Paragrafen nicht . Wir regeln das nun in dem gebotenen
Umfang . Ich möchte meine Antwort nicht wiederholen,
deshalb nur so viel: Wenn es nicht zumutbar ist, Leistungen gemeinschaftlich in Anspruch zu nehmen, dann darf
das nicht stattfinden; das ist recht deutlich. Das ist eine
klare Regelung . Die Bereiche, für die das gilt - ich habe
sie bereits aufgezählt -, finden sich in § 116.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Besonders große Bedenken bestehen hinsichtlich der
gemeinschaftlichen Inanspruchnahme von Assistenzleistungen; das ist Ihnen bekannt . Die Betroffenen befürchten, dass ihre Privatsphäre und ihr Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt werden . Diese Argumente
kennen Sie alle . Wenn man Assistenzleistungen gemeinschaftlich in Anspruch nimmt, kann das bedeuten, dass
man - um das einmal für diejenigen plastisch zu machen,
die das vielleicht noch nicht so intensiv beleuchtet haben - gemeinschaftlich entscheiden muss, ob man am
Wochenende als Gruppe auf einen Hundeplatz oder zu
einem Fußballspiel geht . Das hat mit Selbstbestimmung
und der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention natürlich überhaupt nichts zu tun . Aber das ist ein
Bereich, den Sie explizit nennen, wenn es darum geht,
dass die Träger der Eingliederungshilfe auf eine gemeinschaftliche Inanspruchnahme hinwirken sollen . Das ist
für mich ein großes Fragezeichen . Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Sie zu bitten, mir zu erklären, warum Sie
das in den Gesetzentwurf hineingeschrieben haben, der
vom Bundestag verabschiedet werden soll .
Bitte .
Kollegin Rüffer, ich gehe davon aus bzw . ich habe die
starke Hoffnung, dass dieser Gesetzentwurf vom Bundestag verabschiedet wird . Bei sozialer Teilhabe und Assistenz gibt es erstmalig sehr aufgefächerte Regelungen .
Was Sie gerade als gemeinschaftliche Inanspruchnahme
von Leistungen beschrieben haben, bildet eher ein Problem ab, das wir heutzutage haben . Meines Erachtens
habe ich sehr deutlich gemacht, dass der oder die Leistungsberechtigte von Anfang an an den Entscheidungen
beteiligt werden muss . Das ist nach geltendem Recht bislang nicht möglich . Wir sehen zukünftig ein großes Verfahren der Beteiligung vor . Das kann begleitet werden
durch unabhängige Beratung . Das halte ich persönlich
für einen sehr großen Fortschritt . Das stärkt die Rechte der Betroffenen . In diesem Zusammenhang kann ich
die umfängliche Sorge, die Sie ausgedrückt haben, nicht
teilen .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Scharfenberg das
Wort .
Vielen Dank . - Meine Nachfrage richtet sich ebenfalls auf die gemeinsame Inanspruchnahme . Plant denn
die Bundesregierung, die Regelung zur gemeinsamen
Inanspruchnahme von Leistungen auch auf die Hilfe zur
Pflege zu übertragen? Sollte dies nicht der Fall sein: Wie
stellt sich die Regierung die praktische Umsetzung der
verschiedenen Regelungen bei Menschen vor, die auf
beide Leistungen angewiesen sind?
Vielen Dank . - Ich beziehe mich heute auf das Bundesteilhabegesetz. Wir haben, was die Hilfe zur Pflege
betrifft, ein Pflegestärkungsgesetz III, das nach meinem
Wissensstand noch nicht das Parlament erreicht hat . Ich
kann hier nur sagen: Bei den Regelungen der gemeinsamen Inanspruchnahme von Leistungen beziehe ich mich
hier ausschließlich auf den Teil der Eingliederungshilfe .
Der Kollege Wunderlich hat das Wort zu einer Nachfrage .
Frau Lösekrug-Möller, ich glaube Ihnen gerne, dass
Sie wirklich engagiert sind, das Beste für die Menschen
wollen und Sie diese Sorge, was künftige Leistungseinschränkungen betrifft, nicht teilen . Sie sagten sinngemäß:
Es ist nicht die Absicht der Bundesregierung, Leistungen
zu verhindern - in Klammern: um den Finanzminister zu
bespaßen .
Ist Ihnen bewusst, dass am morgigen Sitzungstag,
planmäßig um 4 .20 Uhr, ein Gesetz hier im Bundestag
verabschiedet wird, das Hürden für Klagen vor den Sozialgerichten dergestalt errichtet, dass Klagen erst zugestellt werden, wenn der Kostenvorschuss eingegangen
ist? Der Staat baut also Hürden auf, um sich vor Ansprüchen gegen sich selbst zu schützen . Das betrifft vieles,
was Frau Rüffer schon gesagt hat . Es gibt viele unbestimmte Rechtsbegriffe, und es ist daher möglicherweise
eine Vielzahl von Klagen zu erwarten, die mit der Regelung zu dem Kostenvorschuss eventuell abgewendet
werden sollen .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ich will unserer gemeinsamen Hoffnung Ausdruck
geben, dass es nicht 4 .20 Uhr Freitagfrüh sein wird .
Das wäre dann ja schon Freitag . Aber wie auch immer:
Dieses Gesetz ist parlamentarisch zu beraten . Ich gehe
davon aus, dass viele, die Anspruch auf Leistungen der
Eingliederungshilfe haben, nicht nur ihre Rechte kennen,
sondern sie auch nutzen . Ich gehe auch davon aus, dass
sie nicht in die schwierige Lage kommen, dass sie durch
eine Gesetzgebung, wie Sie sie gerade geschildert haben,
einen eingeschränkten Zugang zu ihren Rechten haben .
({0})
Wir kommen zur Frage 17 der Kollegin Rüffer:
Wie erklärt die Bundesregierung die in der Begründung
zum Vertragsrechtskapitel der neuen Eingliederungshilfe ({0}) enthaltene Aussage,
Leistungen müssten nicht ausgeschrieben werden, obwohl das
Vergaberechtsmodernisierungsgesetz lediglich Leistungen im
sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis von der Pflicht zur
Ausschreibung ausnimmt, und wie soll so das angestrebte Ziel
der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe
erreicht werden?
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .
Ja, sehr gern . - Frau Kollegin Rüffer, die Eingliederungshilfe wird durch das Bundesteilhabegesetz aus
dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch herausgelöst,
wie wir wissen, reformiert und im Neunten Buch Sozialgesetzbuch, in Teil 2, als besondere Leistung zur
selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit
Behinderungen geregelt . Vom Leistungsrecht der Eingliederungshilfe losgelöst ist das neue Vertragsrecht zu
sehen, das die Leistungsabwicklung regelt . Trotz der
Herauslösung aus der Sozialhilfe bleibt es bezüglich der
rechtlichen Beziehungen zwischen Leistungsberechtigten, Leistungsträgern und Leistungserbringern bei einem
Dreiecksverhältnis .
Die Träger der Eingliederungshilfe werden, wie bisher schon die Träger der Sozialhilfe, weder öffentliche
Aufträge noch Konzessionen im Sinne der EU-Richtlinie
vergeben . Der Abschluss einer Vereinbarung nach dem
Kapitel 8 des Teils 2 des SGB IX wird auch künftig kein
vergaberechtlich relevanter Beschaffungsvorgang sein,
da es wie schon jetzt in der Sozialhilfe an der hierfür erforderlichen Konkurrentenauswahl und einer definitiven
Entgeltzuweisung fehlt .
Danke . - Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Vielen Dank . - Es ist nicht so einfach, das nachzuvollziehen, wenn gesagt wird: Die leistungsberechtigten
Menschen werden aus dem Fürsorgesystem herausgenommen, während die Leistung darin bleibt . - Wir haben
schon an anderer Stelle über das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz diskutiert . Wir haben eigene Vorschläge
eingebracht und kritisiert, dass lediglich Leistungen, die
sich im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis befinden, aus der Pflicht zur Vergabe herausgenommen werden . Es zeigt sich hier wieder: Wenn man eine saubere
Lösung will, dann wäre es möglich gewesen, es zu tun .
Ich hätte von Ihnen jetzt gerne eine nachvollziehbare
Erläuterung, wie ich zu verstehen habe, dass einerseits
die Personen herausgelöst sein sollen - was bedeutet das
dann? -, andererseits die Leistungen aber Bestandteil der
Sozialhilfe bleiben . Das ist schwierig zu vermitteln . Für
die betroffenen Menschen selber ist es von großer Bedeutung, nicht mehr Teil der Sozialhilfe zu sein . Es war
ein Versprechen der Bundesregierung, das Sie offensichtElisabeth Scharfenberg
lich nicht einlösen wollen . Oder habe ich Sie missverstanden?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Frau Kollegin Rüffer, mit dem Entwurf zum Bundesteilhabegesetz erfüllen wir vollumfänglich das im
Koalitionsvertrag Verabredete: dass wir aus der Fürsorge herausführen . Gemeint ist das System der Eingliederungshilfe; ich habe es erläutert .
Wie ich Ihnen gerade gesagt habe - es tut mir leid,
wenn ich mich wiederhole; das meine ich jetzt weder pädagogisch noch böse -, werden wir das Leistungsrecht
im Teil 2 vom Sozialgesetzbuch IX verankern . Gleichwohl besteht dieses Dreieck sozialhilferechtlicher Leistungen fort; das ist gar kein Widerspruch . Wir alle, die
wir einschlägig studiert haben - Sozialpädagogik, Sozialwissenschaften oder Sozialarbeit -, wissen, wie wichtig das ist . Dazu habe ich ausgeführt, und dem habe ich
gar nichts mehr hinzuzufügen . Wir glauben, dass das
nicht nur sachgerecht ist; vielmehr besteht weiterhin ein
logischer Zusammenhang, den wir nicht infrage stellen .
Frau Rüffer, Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Ich kann nach wie vor nicht nachvollziehen, dass man
zwischen Person und Leistung in dieser Weise trennt .
Meine feste Überzeugung ist, dass es sinnvoll wäre, bei
der Vergabe Nachbesserungen vorzunehmen, um zukünftig Ausschreibungen auch in anderen Bereichen zu verhindern .
Ändert es bei ähnlichen Regelungen materiell, also am
Inhalt, etwas, ob sie im SGB XII stehen oder Teil des
Bundesteilhabegesetzes sind? Ist die Frage, in welchem
Gesetz etwas geregelt wird, maßgeblich, oder ist der
Inhalt maßgeblich? Die Herauslösung aus der Fürsorge
würde im Kern bedeuten, auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen zu verzichten . Das tun Sie aber
augenscheinlich nicht .
Ich darf darauf mit mehreren Anmerkungen reagieren;
ich darf ja keine Rückfrage stellen, glaube ich .
Wir erzielen bei Einkommen und Vermögen sehr wohl
deutliche - wirklich deutliche - Verbesserungen . Das ist,
glaube ich, allen erkennbar, die den Gesetzestext gelesen
haben . Wir haben zahlreiche Verbesserungen, was die
totale Freistellung und die Nichtanrechnung anbelangt,
zum Beispiel bei Einkommen und Vermögen, wenn es
um Ehepartner oder um Lebensgefährten geht . Aber das
wissen Sie eigentlich alles .
Was ich bei Ihnen gerade herausgehört habe, ist, dass
Sie offenbar präferieren, Leistungen der Eingliederungshilfe auszuschreiben; vielleicht habe ich das auch missverstanden . Wir glauben, dass wir nach wie vor richtig
liegen, wenn wir in diesem Dreieck bleiben .
Ich will des Weiteren auf eine Sache hinweisen, die
in diesem Bundesteilhabegesetz ebenfalls geregelt ist:
Wenn das gewünscht ist, dann kann der Anspruch auf
Eingliederungshilfe auch als eine Geldleistung ausgezahlt werden . Ich will das nachtragen, weil es illustriert,
wie weitgehend Möglichkeiten von Betroffenen sind, zu
sagen: Ich kann mir das so gestalten, wie ich es möchte .
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kurth das Wort .
Da die Ausführungen - sowohl ein Teil der Fragen als
auch ein Teil der Antworten - komplex waren, stelle ich
die ganz einfache Frage: Können Sie garantieren, dass
zukünftig aufgrund dieses Gesetzentwurfs Leistungen
der Eingliederungshilfe nicht ausgeschrieben werden?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Vielleicht sollten Sie sich untereinander austauschen .
Ich sage das, weil sich gerade zwei aus meiner Sicht etwas widersprüchliche Positionen in Ihrer Fraktion zeigen .
({0})
Wir behalten das sozialhilferechtliche Leistungsdreieck bei . Wir haben eine Debatte darüber im Ausschuss
für Arbeit und Soziales gehabt - Herr Kollege Kurth, Sie
waren dabei, und auch ich war dabei -, als wir über das
neue Recht gesprochen haben . Wir haben gesagt, dass
es zielführend und richtig ist . Ich kann nicht erkennen weil wir davon nicht abweichen -, dass es ein Risiko einer Ausschreibung gäbe .
({1})
- Ich habe geantwortet .
Wir kommen damit zur Frage 18 der Kollegin Maria
Klein-Schmeink:
Aufgrund welcher fachlichen Begründung plant die Bundesregierung, beim Bundesteilhabegesetz ({0}) in § 99
Absatz 1 Satz 2 SGB IX die Schwere oder Erheblichkeit von
Behinderung durch die Anzahl der durch Teilhabebeschränkungen betroffenen Lebensbereiche zu begründen?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ja, gerne . - Frau Klein-Schmeink, die Frage gibt die
Regelung zum Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe nur teilweise wieder . Die Regelung des § 99
SGB IX im Entwurf des Bundesteilhabegesetzes, auf die
wir uns beziehen, bildet in der Gesamtheit das gewandelte fachliche Verständnis von Behinderung ab . Wir haben
darüber ja schon gesprochen . Sie haben die Gelegenheit
zu Nachfragen bei anderen Fragen genutzt .
Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass diese Regelung ICF-basiert ist - ich spare mir jetzt die ausführliche Benennung - und dass sie auch das Wording der
UN-Behindertenrechtskonvention widerspiegelt . Sie verbindet dieses gewandelte fachliche Verständnis mit der
für die Eingliederungshilfe unabdingbaren Notwendigkeit, eine in erheblichem Maß eingeschränkte Fähigkeit,
am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben, im Einzelfall
festzustellen . Mit der Regelung wird auch die heutige
Praxis abgebildet, in der der Begriff der wesentlichen
Behinderung - auch das ist heute schon Gegenstand der
Fragen und Antworten gewesen - bereits entsprechend
ausgelegt wird .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Auch wenn ich schon mehrere Nachfragen gestellt
habe, ist mir immer noch nicht deutlich geworden, ob die
Befürchtungen gerechtfertigt sind, die von den psychiatrischen Fachverbänden sehr deutlich geäußert worden
sind, nämlich dass diese Gruppe von Menschen in Zukunft, weil sie nicht so viele Einschränkungen in so vielen Lebensbereichen haben, dass sie unter Ihre Definition
fallen, aus zahlreichen heutigen Eingliederungsleistungen ausgegliedert würde . Noch einmal die Frage: Wie bewerten Sie diese Befürchtungen der Fachgesellschaften,
und wie wollen Sie darauf reagieren? Ich habe einen Abgleich des Referentenentwurfs und des Gesetzentwurfs
gemacht . Ich kann da keine Veränderung sehen .
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin .
Gerne . - Ich weise Sie darauf hin, dass in dem durch
das Kabinett verabschiedeten Text eine Ergänzung im
Sinne einer Ermessensleistung enthalten ist . Wenn Sie in
die Begründung schauen, dann werden Sie sehen, dass
der Stand der Leistungsgewährung heute sozusagen das
ist, woran man sich bei der Leistungsgewährung zukünftig mindestens - niemand kann dahinter zurückbleiben orientieren muss .
Aus den von Ihnen genannten Stellungnahmen habe
ich noch ein anderes Bedenken in Erinnerung; das will
ich hier ansprechen, Frau Klein-Schmeink: Das hat damit zu tun, dass es um einen Kreis von Personen geht,
deren Einschränkungen im Zeitablauf stark schwanken
können . Sie werden mir sicher recht darin geben, dass
das gerade bei dieser Personengruppe der Fall ist . Das
ist einer der Gründe, warum die Sorge besteht, dass sie
den Kriterien mal entsprechen könnten und mal nicht . Es
ist aber heute schon so, dass zugrunde gelegt wird, dass
diese Erkrankungen und Beeinträchtigungen, für die das
elementar ist, so gewertet werden, dass es keinen Leistungsausschluss zur Folge hat, wenn es den Menschen
einmal, was wir jedem wünschen, vorübergehend besser
geht .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Ich möchte nachfragen, ob ich Sie so verstehen muss,
dass Sie sagen, dass die Regelung nicht zu einer Verschlechterung gegenüber dem jetzigen Stand führen
wird . Meinen Sie das bezogen auf diejenigen, die jetzt
schon unter diese Rechtsbereiche fallen? Wie wird es für
neu Betroffene sein? Müssen die mit Einschränkungen,
zum Beispiel beim Zugang zu Rehaleistungen bezogen
auf Erwerbstätigkeit, rechnen?
Sie müssen nicht, aber Sie können mich so verstehen,
dass die, die heute in der Leistungsgewährung sind, darin bleiben und dass für zukünftig Betroffene genau die
Maßstäbe gelten, die heute bestehen .
Damit kommen wir zur Frage 19 der Kollegin KleinSchmeink:
Aus welchen Gründen plant die Bundesregierung, gemäß
§ 109 SGB IX ({0}) die Leistungen der medizinischen
Rehabilitation auf Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung zu beschränken und damit den Umfang
der Leistungen im Vergleich zur heutigen Situation einzuschränken?
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Sehr gerne . - Frau Kollegin, die vorgesehene Regelung entspricht dem heutigen § 54 Absatz 1 Satz 2
SGB XII - das kennen Sie bestimmt - und entspricht somit aktuellem Recht. Es findet sich folglich in dem neuen
§ 109 SGB IX keine Leistungseinschränkung .
Die weitere Anbindung der medizinischen Rehabilitationsleistung der Eingliederungshilfe an die entsprechenden Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
gewährleistet, dass nichtkrankenversicherte Menschen
mit Behinderung unverändert die gleiche behinderungsspezifische medizinische Versorgung erhalten wie Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung .
Sie haben das Wort zur Nachfrage . - Sie verzichten
darauf .
Dann kommen wir zur Frage 20 des Kollegen Markus
Kurth:
Warum müssen Menschen, die mit dem Budget für Arbeit
von einer Werkstatt für behinderte Menschen ({0}) auf den
ersten Arbeitsmarkt wechseln wollen, im Gegensatz zu Werkstattbeschäftigten ihr Einkommen und Vermögen einsetzen
({1}), und
welche Anreizeffekte erwartet die Bundesregierung hinsichtlich der Regelungen und der Bereitschaft zum Wechsel von
der WfbM auf den ersten Arbeitsmarkt?
Herr Kollege Kurth, mit Einführung des Budgets für
Arbeit erhalten besonders stark in ihrem Leistungsvermögen eingeschränkte Menschen mit Behinderung die
Gelegenheit, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt mit einer tariflichen oder ortsüblichen Entlohnung aufzunehmen . Sie stehen damit anderen Menschen mit Behinderung gleich, die eine Erwerbstätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben und aus ihrem Einkommen einen Beitrag zu den Aufwendungen
der von ihnen in Anspruch genommenen Eingliederungshilfe leisten. Sie profitieren aber auch von verbesserten
Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei Bezug von Erwerbseinkommen . Wir erhoffen
uns davon eine Anreizwirkung .
Sie haben das Wort zur Nachfrage .
Das Budget für Arbeit haben wir in den Fachdiskussionen ja immer als Nachteilsausgleich verstanden, um
mit Blick auf die Produktivität eine Wettbewerbsgleichheit zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderung herzustellen . Das Budget für Arbeit stellt also in
dieser Hinsicht keinen ungerechtfertigten besonderen
ökonomischen Vorteil dar, sondern soll eine gleichberechtigte Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen . Insofern wäre die Anrechnung von Einkommen
und Vermögen auf einen Betrag, der als reiner Nachteilsausgleich gedacht ist, gleichbedeutend mit einer negativen Anreizwirkung . Stimmen Sie mir zu, dass mit den
im Kabinettsentwurf genannten Zahlen von wenigen
Tausend potenziellen Personen, die das in Anspruch nehmen könnten, die Bundesregierung aufgrund ihres Designs dieses Budgets für Arbeit selbst hier sehr niedrige
Erwartungen hat?
Bitte .
Ja, ich antworte gern . - Mit Blick auf die Personengruppen, die heute im Erwerbsleben sind und Eingliederungshilfe beziehen, kennen Sie, Herr Kollege Kurth, die
Anrechnung bei Einkommen und Vermögen für Leistungen der Eingliederungshilfe . Mit Blick auf den anderen
Personenkreis, von dem wir sehr hoffen, dass er größer
werden wird, der nämlich zukünftig das Budget für Arbeit in Anspruch nehmen kann, gehen wir von Personen
aus, die vielleicht gar nicht oder kurze Zeit - oder wie
auch immer - zum Beispiel in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gearbeitet haben, die sich aber
mehr zutrauen als einen Außenarbeitsplatz . Sagen wir
das einmal ganz konkret so .
Deshalb sagen wir: Die wollen wir einerseits mit einer
„Rückfahrkarte“ ausstatten, sodass es jederzeit möglich
ist, zurück in die Werkstatt zu kommen, aber wir wollen andererseits auch bestmöglich sicherstellen, dass sie
mit dem Budget für Arbeit mit diesem Versuch, auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt doch auch Platz zu finden und
damit mittendrin in Arbeit zu sein, hoffentlich erfolgreich
sind . Deshalb gibt es ja beim Budget für Arbeit auch die
zusätzlichen Leistungen, die Ihnen bekannt sind .
Wir gehen also davon aus, dass wir damit einen Anreiz
schaffen und eine gute Unterstützung geben, damit - ich
will nicht sagen: viele - die, die sich das zutrauen, es
ausprobieren und - ich hoffe auch - damit Erfolg haben .
Denn es streben schon viele an, auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt dabei zu sein . Dafür soll dieses Instrument
hilfreich sein .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Dann sehe ich es doch wohl richtig, Frau Staatssekretärin, wenn Sie von denen sprechen, die sich mehr als
einen Außenarbeitsplatz zutrauen, dass Sie sich mit dem
Budget für Arbeit hauptsächlich an die Personen richten,
die einen eher geringeren Unterstützungsbedarf haben .
Sie setzen ja auch Obergrenzen, Deckel für das Budget
für Arbeit im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst,
was bei höherem Unterstützungsbedarf natürlich nicht
ausreichen wird, um als Nachteilsausgleich zu dienen .
Sehe ich es also richtig, dass die Bundesregierung das
Budget für Arbeit nicht für alle Menschen mit Behinderung vorsehen möchte, sondern nur für die mit einem
geringen Unterstützungsbedarf, und sehe ich es richtig,
dass die Bundesregierung kein Interesse daran hat, dass
Personen mit einem besonders hohen Unterstützungsbedarf ebenfalls die Möglichkeit haben, das Budget für Arbeit in Anspruch zu nehmen?
Bitte .
In beiden Fällen kann ich Ihnen nicht zustimmen, Herr
Kurth, und ich verstehe auch nicht, wie Sie zu diesen
Einschätzungen kommen können . Wenn wir im Grunde
genommen einen Minderleistungsausgleich von bis zu
75 Prozent haben, finde ich das nicht gering. Aber es ist
ja Ihrer Einschätzung vorbehalten, das zu bewerten .
Wir wollen viele ermutigen . Diese Ermutigung unterlegen wir mit dem Instrument des Budgets für Arbeit .
Wenn die Regelung in Kraft tritt, werden wir sehen, ob
viele davon Gebrauch machen werden . Ja, das hängt
auch stark von den Unterstützungsleistungen ab; da bin
ich ganz bei Ihnen . Aber wir meinen, dass wir auch das
hinreichend ausgestaltet haben .
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Brantner das
Wort .
({0})
- Die Kollegin Rüffer . Offensichtlich sehe ich heute bei
der Grünenfraktion einiges völlig neu .
Ich glaube, Sie wollen gerne die Kollegin Brantner
noch einmal hören; denn Sie sagen das jetzt schon zum
zweiten Mal . Ich kann sie rufen, wenn Sie wünschen .
Zum Budget für Arbeit . Sie sagen, die Ausgestaltung
sei so, dass hoffentlich hohe Anreize geschaffen werden,
damit die Leute aus der Werkstatt in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechseln. Da kann ich aus meiner rheinland-pfälzischen Perspektive sagen: Dann hätten
Sie sich an dem dortigen Modell orientieren sollen; denn
das ist deutlich großzügiger ausgestaltet . Das vielleicht
als Hinweis . Wir sind ja noch im parlamentarischen Verfahren und können da einiges ändern; da könnte ich noch
ein paar weitere Hinweise geben .
Zu meiner eigentlichen Frage . Derzeit sind
300 000 Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen tätig; sehr viele - und mit hoher Steigerungsrate - befinden sich in Werkstätten für Menschen mit
psychischen Beeinträchtigungen . Das sind in der Regel
Menschen, die eine schulische und berufliche Ausbildung
gemacht haben und häufig eine jahrzehntelange Erwerbstätigkeit hinter sich haben, dann aber aufgrund privater
Probleme oder von Stress im Job zum Beispiel ein Burnout erlitten haben und jetzt in der Werkstatt sind . Sie haben aber durchaus vorher Vermögen angesammelt . Für
diese Personengruppe gilt jetzt Folgendes: Solange die
Menschen in der Werkstatt bleiben, wird ihr Vermögen
nicht auf die Leistung angerechnet . Beim Persönlichen
Budget aber, das den Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit ermöglichen soll, gehen Sie einen anderen Weg . Das
ist das Gegenteil von Unterstützung beim Zugang zum
Regelarbeitsmarkt .
Ich hätte gerne von Ihnen gehört, wie Sie dazu stehen
und ob Sie da vielleicht noch etwas verändern möchten .
Ich weiß, Frau Kollegin Rüffer, dass das parlamentarische Beratungsverfahren auch dazu dient, weitere Verbesserungen einzubringen . Sie werden sicherlich auf Ihre
Weise dazu beitragen .
Ich finde Rheinland-Pfalz auch klasse; es ist nach Niedersachsen das zweitschönste Land .
({0})
- Herr Beck, wahrscheinlich war das ein Antrag, ein weiteres Bundesland in diese Reihe aufzunehmen .
Zurzeit hat die Parlamentarische Staatssekretärin das
Wort; sollte es Nachfragen geben, bitte melden .
Ich will das gerne machen . Sie können das auch gerne
noch einmal schriftlich haben .
Beim Budget für Arbeit denken wir nicht nur an die
Personengruppe, die Sie gerade beschrieben haben . Sie
haben zutreffend beschrieben, dass diese Personengruppe in den letzten Jahren sehr, sehr stark gewachsen ist,
Personen, die vollqualifiziert über lange Zeit im Berufsleben waren und dann aufgrund welcher Ereignisse auch
immer ihre Erwerbsfähigkeit verloren haben . Wir suchen
sehr nach guten Antworten . Ich weiß, dass das auch in
den Werkstätten viele tun . Wir haben jetzt im BTHG
auch noch die Chance, mit anderen Leistungsanbietern
ganz spezielle Antworten zu liefern . Auch dieser Personengruppe ist es dann unbenommen, das Budget für
Arbeit in Anspruch zu nehmen . Eine andere Option ist
natürlich, bei Genesung vollständig in den Arbeitsmarkt
zurückzukehren . Das Budget für Arbeit ist ja nicht der
einzige Ausweg; es ist aber, wie ich finde, ein gutes Angebot .
Dabei müssen die Regeln gelten, die bei der Aufnahme von Erwerbstätigkeit gelten, Frau Rüffer; da können
wir nicht von unterschiedlichen Zielgruppen ausgehen .
Vielmehr gilt, dass man, wenn man Leistungen der Eingliederungshilfe beansprucht, aus dem Einkommen aus
Arbeit gegebenenfalls einen Eigenbeitrag leisten muss .
Gleichwohl will ich Sie darauf hinweisen, dass in der
Regel bei den monatlichen Einkommen nicht die Grenze
erreicht wird, bei der ein Eigenbeitrag fällig wird .
Kollege Beck zu einer Nachfrage .
Ich möchte das Bundeskanzleramt fragen, ob es eine
abgestimmte Position der Bundesregierung ist, dass
ihr nicht alle Länder gleichermaßen am Herzen liegen .
Wollen Sie, falls Sie hierarchisieren, nicht prüfen, Nordrhein-Westfalen auf Platz 1 zu setzen?
Kann die Bundesregierung dazu eine Aussage treffen?
Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, haben wir 16 begeisternde Bundesländer . Ich würde sagen, Hessen müssen wir als das heimliche Herz Deutschlands in jedem
Fall hinzufügen und die restlichen natürlich auch .
Nachdem wir diese Frage geklärt haben, rufe ich Frage 21 des Kollegen Markus Kurth auf:
Wodurch unterscheiden sich die nur für besondere Anlässe zu gewährenden Hilfen zur Kommunikation nach § 82
SGB IX-E ({0}) in der
praktischen Umsetzung, zum Beispiel in Hinblick auf die
Qualifikation der Leistungserbringer und den Umfang der zu
erbringenden Leistungen ({1}), von den Assistenzleistungen zur Verständigung nach § 78 Absatz 1 SGB IX-E, und aus welchen
Gründen hält die Bundesregierung diese Unterscheidung für
angebracht?
Wir sind noch immer im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales . Deshalb hat
wieder die Parlamentarische Staatssekretärin LösekrugMöller das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Kurth,
Leistungen zur Verständigung können nach dem Entwurf
des Bundesteilhabegesetzes sowohl nach dem neuen § 78
Absatz 1 als auch nach dem neuen § 82 SGB IX erbracht
werden, allerdings mit unterschiedlichen Zielsetzungen .
Diesem Umstand tragen jeweils eigenständige rechtliche
Regelungen Rechnung . § 82 SGB IX übernimmt dabei
die derzeit bewährten Regelungen des heutigen § 57
SGB IX .
Die nach § 78 Absatz 1 vorgesehenen Assistenzleistungen, die in Einzelfällen Leistungen zur Verständigung
einschließen, nehmen die Bewältigung des Alltags eines Menschen mit einer Behinderung in den Blick . Eine
Leistung zur Verständigung nach § 82 SGB IX hingegen
zielt darauf ab, den Leistungsberechtigten in besonderen,
nicht alltäglichen Situationen zu unterstützen . In Einzelfällen können Leistungen nach den genannten Rechtsvorschriften auch kumulativ erbracht werden .
Ein Unterschied zwischen den beiden Regelungen
von grundsätzlicher Art im Hinblick auf die Qualifikation der Leistungserbringer besteht nicht . Beiden Anwendungsfällen ist gemein, dass Verständigungsleistungen,
wie zum Beispiel der Einsatz der Gebärdensprache oder
des Lorm-Alphabets bei Taubblinden, unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse des Einzelfalls erbracht werden .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Ich will an dieser Stelle nicht wertend, sondern der
Information halber nachfragen . Gebärdensprachdolmetscher werden also nicht unterschiedlich vergütet oder bekommen unterschiedliche Zeitvorgaben, je nach Bereich,
in dem sie eingesetzt werden . Das dient sozusagen nur
der Bewilligung gegenüber dem Leistungsberechtigten .
Die Unterscheidungen haben für Gebärdensprachdolmetscher hinsichtlich ihrer Vergütung keinerlei Bedeutung . Sehe ich das richtig?
Bitte .
Herr Kollege Kurth, wir reden hier natürlich nicht nur
über Gebärdensprachdolmetscher . Ich habe schon das
Stichwort „Lormen“ erwähnt . Es gibt bei Taubblinden,
denen noch weniger kommunikative Kanäle zur Verfügung stehen, diese andere Möglichkeit .
Ich will Ihnen aber sagen: Wir haben eher das praktisch alltägliche Problem, dass wir zurzeit in Deutschland
über keine auskömmliche Zahl an Gebärdensprachdolmetschern verfügen . Das erleben wir selbst in der Bundeshauptstadt, wo sich die Gebärdensprachdolmetscher
konzentrieren . Es wird eine Frage der praktischen Umsetzung sein, dass hoffentlich noch viele weitere Studiengänge beginnen, damit wir hinreichend Gebärdensprachdolmetscher haben . Ihre Vergütung wird aber immer
gleich sein .
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage .
Um das noch einmal festzuhalten: Wir haben nicht
genügend Gebärdensprachdolmetscher . Beim Lormen
sieht es besonders dramatisch aus, weil dies ein spät entdeckter Bereich ist . Sie sagten, die Vergütung ist gleich,
die Arbeitsbedingungen sind es auch . - Ich frage noch
einmal mit Blick auf die Gebärdensprachdolmetscher,
weil sich diese Form der Übersetzung trotz der geringen
Zahl etabliert hat: Bei den Arbeitsbedingungen und den
Vergütungen gibt es keinen Unterschied, egal ob Assistenzleistungen oder Kommunikationsleistungen gemeint
sind? Das will ich nur noch einmal klargestellt haben .
Bitte, Frau Staatssekretärin .
Ihre Nachfrage, Herr Kollege Kurth, gibt mir Gelegenheit zu einer ergänzenden Klarstellung . Sie wissen,
dass auf Bundesebene nicht Kostensätze pro Stunde
verhandelt werden, weil Sie als Sozialpolitiker lange im
Geschäft sind . Wir gehen aber davon aus, dass die beiden genannten Leistungen, obwohl sie unterschiedliche
Anspruchskerne haben, zu einer gleichen Entlohnung
führen müssen, sofern sie von Gleichqualifizierten wahrgenommen werden .
Danke, Frau Staatssekretärin . - Wir sind damit am
Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft . Die
Fragen 22 und 23 des Kollegen Harald Ebner werden
schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung . Die Frage 24 der Kollegin
Katrin Kunert wird schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Die
Fragen 25 und 26 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer
und die Frage 27 der Kollegin Dr . Franziska Brantner
werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit . Die Frage 28 des Kollegen Kai
Gehring wird ebenfalls schriftlich beantwortet .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung .
Die Fragen 29 und 30 des Kollegen Matthias Gastel,
die Fragen 31 und 32 des Kollegen Stephan Kühn, die
Fragen 33 und 34 des Kollegen Herbert Behrens und die
Fragen 35 und 36 des Kollegen Oliver Krischer werden
schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 37 des Kollegen Christian Kühn
auf:
Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung mittlerweile
ein Bauunternehmen, das den Interimsregierungsterminal des
BER ({0}) errichten wird, und falls
nicht, wie will die Bundesregierung eine rechtzeitige Fertigstellung sicherstellen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Danke, Frau Präsidentin . - Ich beantworte die Frage
wie folgt: Nach Kenntnis der Bundesregierung ist das
Vergabeverfahren der Flughafengesellschaft für eine
schlüsselfertige Errichtung dieses Abfertigungsgebäudes
nicht abgeschlossen .
Die Flughafengesellschaft ist verpflichtet, die Funktion des Regierungsflughafens unterbrechungsfrei sicherzustellen .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Danke, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der
Frage . - Meine weitere Frage ist: Mit welchen Kosten
für den Interimsterminal rechnen Sie insgesamt, wenn
es zu weiteren Verzögerungen und Mehrkosten kommt,
wie setzen sie sich zusammen, und welchen Anteil davon
muss der Bund übernehmen?
Bitte .
Diese Frage kann ich Ihnen so nicht beantworten, weil
das dem Aufsichtsrat noch nicht vorgelegen hat .
Ich bitte, hier vorne die Bedingungen dafür zu schaffen, dass wir die Antworten des Staatssekretärs verstehen, Kollege Gabriel . - Gut .
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage .
Ist der Fertigstellungstermin, der jetzt bekannt ist, zu
halten, oder rechnen Sie mit weiteren zeitlichen Verzögerungen?
Ich interpretiere Ihre Frage so, dass Sie jetzt den Regierungsterminal meinen .
Ja .
Es gibt eine Interimslösung, die für eine Zeit von fünf
Jahren vorgesehen ist . Das ist nach unserer Kenntnis
nach derzeitigem Stand haltbar . Anschließend wird es zur
Nutzung des endgültigen Terminals kommen .
Wir kommen damit zur Frage 38 des Kollegen
Christian Kühn:
Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der jährliche Zinsaufwand, der für die FBB ({0}) insgesamt nach der weiteren Kreditaufnahme
und den zusätzlichen Gesellschafterdarlehen anfällt, und kann
die FBB diesen nach Kenntnis der Bundesregierung allein tragen?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Sehr geehrter Herr Kollege, die Frage beantworte ich
Ihnen wie folgt: Angaben zu zukünftigen Zinsaufwendungen der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH unterliegen den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der
Gesellschaft .
Die FBB ist nach erfolgtem Abschluss der Finanzierungsvereinbarungen mit Gesellschaftern und Banken
nach eigenen Angaben und nach Maßgabe ihres der Finanzierung zugrundeliegenden Businessplans ausfinanziert .
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage .
Man konnte jetzt lesen, dass der Flughafengesellschaft
eine Art Blankoscheck für den Fall weiterer Kostensteigerungen ausgestellt wird . Ist das der Fall? Hat der Bund
sozusagen eine Art Blankoscheck ausgestellt für den
Fall, dass es zu weiteren Kostensteigerungen kommt?
Blankoschecks kann auch die Bundesregierung nicht
ausstellen .
Sie haben jetzt das Wort zur zweiten Nachfrage .
Können Sie mir dann sagen, wie es in den Berichterstattungen zu dem Begriff kommt, wonach auch der
Bund bereit ist, weiteres Geld nachzuschießen? Ich beziehe mich auf den Artikel im Tagesspiegel.
Es steht viel in Artikeln . Blankoschecks gibt es nicht,
auch nicht von einer Bundesregierung . Als Eigentümer
sind wir natürlich gefordert, wenn Nachfinanzierungsbedarf besteht . Ob es dazu kommt, entzieht sich derzeit
meiner Kenntnis .
Danke, Herr Staatssekretär . - Wir sind damit am Ende
der Fragestunde .
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Keine CETA-Ratifizierung ohne Beteiligung
von Bundestag und Bundesrat
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Welche Geschichte hat das Handelsabkommen CETA,
das jetzt fertig auf dem Tisch liegt? Die Verhandlungen
liefen hinter dem Rücken der Menschen; nicht einmal
das Verhandlungsmandat war bekannt . Es wurden große
Vorteile für die Wirtschaften Europas beschrieben; diese
Behauptung hielt jedoch keiner wissenschaftlichen Betrachtung stand . Es wurden Falschbehauptungen in den
Raum gestellt, etwa dass nur Deutschland Widerstand
gegen TTIP und CETA leisten würde . Was ist mit Österreich, mit Belgien, mit Frankreich, mit Luxemburg?
Hierzulande wurden Kritiker diskreditiert . Herr Gabriel
sagte, die Deutschen seien „reich und hysterisch“, und
Herr Pfeiffer sprach von „Empörungsindustrie“ .
({0})
Rückblickend betrachtet kann man also sagen: Bei CETA
kann man weder der Europäischen Kommission noch der
Bundesregierung trauen;
({1})
die Bevölkerung tut das übrigens auch nicht . Die Handelspolitik der Europäischen Kommission erinnert mich
an die Fernsehserie Vorsicht Falle! mit dem Untertitel
„Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ .
({2})
Genau das ist es, was wir hier erleben .
Diese Politik soll nun fortgesetzt werden . Um CETA
gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen, wollte die Kommission eine Abstimmung in den nationalen
Parlamenten verhindern . Jetzt rudert sie zurück . Welch
ein Schmierentheater! Die Kehrtwende erklärt sich am
besten anhand eines Zitats von Kommissionspräsident
Juncker . Dieses Zitat - ich habe es kaum glauben können - lautet folgendermaßen:
Wir beschließen etwas, stellen das dann in den
Raum und warten einige Zeit ab, was passiert . Wenn
es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was
da beschlossen wurde, dann machen wir weiter Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt .
Dieses Zitat beschreibt wunderbar, wie die Kommission
bei diesen Handelsabkommen vorgeht . Diesmal war der
Aufschrei offensichtlich zu groß .
Die Methode hat sich aber nur scheinbar geändert .
Mit List und Tücke will man CETA weiter vorantreiben .
Zwar ist jetzt klar, dass die Zustimmung des Bundestages
und auch des Bundesrates notwendig ist . Wir hoffen, dass
es auch dabei bleibt; das war ja nicht immer so . Aber nun
geht es darum, dass der Rat und die Kommission Teile
von CETA schon vor der Abstimmung in den nationalen
Parlamenten vorläufig in Kraft setzen wollen.
({3})
Das soll möglicherweise schon am 23 . September beschlossen werden . Welch ein Unfug! Wenn das gesamte
Abkommen durch die nationalen Parlamente abgesegnet
werden muss, dann verbietet es sich von selbst, dass Teile
davon vorläufig in Kraft gesetzt werden.
({4})
Das ist Logik, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Abkommen
mindestens an einem nationalen Parlament scheitern .
Deshalb macht die Politik der Europäischen Union nach
dem Motto „Bauernfänger“ natürlich Sinn . Man macht
eine ähnliche Politik und will Fakten schaffen, die kaum
mehr rückholbar sind . Im Übrigen ist vollkommen offen,
welche Teile des Abkommens EU-only, also nur auf europäischer Ebene verantwortlich, sein sollen . Welche das
sind und welche es nicht sind, das ist völlig offen . Auch
eine Abstimmung im Europäischen Parlament reicht
nicht aus, entsprechende Teile des Abkommens in Kraft
zu setzen . Das Handelsabkommen ist eben kein normales
Abkommen . Es ist äußerst umstritten, und zwar inzwischen in vielen Ländern Europas . Wenn man Europa stärken will, muss man die Parlamente beteiligen und darf
sie nicht durch vorläufige Inkraftsetzung wieder außer
Kraft setzen .
({5})
Das würde bedeuten, dass man die Europäische Union
und die Zustimmung der Menschen zur Europäischen
Union weiter infrage stellt . Ich kann nur raten, das nicht
zu tun .
Wir wollen weder ein Sonderklagerecht für Konzerne
noch eine Aushöhlung des Vorsorgeprinzips . Wir wollen
keine Schwächung der Standards durch regulatorische
Kooperationen, keine Einschränkung der kommunalen
Selbstbestimmung und auch keine Öffnung für gentechnisch veränderte Organismen, weder vorläufig noch endgültig .
({6})
Deshalb fordere ich unseren Wirtschaftsminister auf,
die vorläufige Anwendung auch nur von Teilen des Abkommens im Rat abzulehnen - auch nur von Teilen!
Wenn hinterher sowieso über das gesamte Abkommen
hier im Parlament und im Bundesrat abgestimmt werden
muss, macht eine vorläufige Anwendung überhaupt keinen Sinn, wenn man nicht wieder die Parlamente aushebeln will . Hören Sie auf mit diesen Tricksereien!
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr . Michael Fuchs für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Diese Aktuelle Stunde hat den Titel „Keine CETA-Ratifizierung ohne Beteiligung von Bundestag und Bundesrat“ . Erstens . Der Bundestag wird in jedem Fall beteiligt .
Zweitens . Den Bundesrat werden wir nicht beteiligen .
Das ist Sache dieses Parlaments und nicht des Bundesrates . Deswegen sehen wir das auch gar nicht ein .
({0})
Die Wirtschaftsleistung, die Beschäftigungslage und
der soziale Wohlstand Deutschlands hängen massiv vom
Außenhandel ab . Machen wir uns bitte nichts vor: Rund
40 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften
wir im Außenhandel . Ohne diese 40 Prozent - ich habe
das Gefühl, dass Ihnen, Herr Ernst, Arbeitsplätze nicht
wichtig sind ({1})
würden wir ein riesiges Problem bekommen; denn gerade der Außenhandel trägt erheblich zu unserem Wohlstand bei .
({2})
Nach Kanada exportieren wir Waren im Wert von
9,9 Milliarden Euro, und aus Kanada importieren wir
Waren im Wert von 4 Milliarden Euro . Das zeigt, wie
stark die deutsche Wirtschaft ist . Das funktioniert aber
nur mit vernünftigen Außenhandelsabkommen, sonst
eben nicht .
({3})
Jahrzehntelang hat sich in diesem Hohen Hause niemand - Sie erst recht nicht - um Freihandelsabkommen
gekümmert . Das war Ihnen immer völlig egal . Ich bin ja
nun Außenhändler von Berufs wegen und mache das seit
Jahrzehnten . Ich habe an all den Runden teilgenommen .
Ich habe es überhaupt nicht erlebt, dass sich die Linke
mit diesen Sachen beschäftigt hat,
({4})
schon gar nicht, als es um Korea gegangen ist . Wir haben 2005 mit den Verhandlungen über das Korea-Abkommen begonnen . Rund fünf Jahre später war es fertig,
im Jahr 2011 . Kein Mensch hat sich darum gekümmert .
Es gab einen Einzigen, der bei mir war und gesagt hat:
Da müssen wir vorsichtig sein; das ist gefährlich . - Ich
will in diesem Hohen Hause keinen Namen nennen, aber
ich kann sagen, dass es ein Vertreter der Vereinigung der
Automobilindustrie war . Diese Vereinigung hatte Angst,
dass zu viele koreanische Autos nach Deutschland importiert werden . Es kann sein, dass ein paar mehr importiert wurden . Diese Hyundais und Daewoos haben aber
französische und italienische Autos verdrängt . Unsere
Industrie hat von dem Abkommen erheblich profitiert:
55 Prozent Zuwachs an Exporten nach Korea . Das ist
die Folge dieses Abkommens. Davon profitiert nicht nur
unsere Industrie . Dadurch werden auch Arbeitsplätze gesichert, und genau das wollen wir mit diesen Abkommen
erreichen .
({5})
Den Linken und den Grünen ist anscheinend völlig
unbekannt, dass wir über 200 aktive Freihandelsabkommen in der WTO haben . Allein die EU hat bereits 35 Abkommen abgeschlossen, seitdem wir dieses Mandat an
die EU übertragen haben, was jetzt ja zum Teil wieder
zurückgenommen werden soll; daran mache ich einmal
ein Fragezeichen . Dann haben wir auch noch 130 Investitionsschutzabkommen abgeschlossen . - Oh Grauen!
Nichts funktioniert! - Oh Wunder, natürlich funktioniert
es . Es funktioniert bestens, Herr Ernst . Sie haben das nur
nicht gemerkt .
({6})
Lassen Sie mich kurz noch einiges zu dem CETA-Abkommen sagen . Wenn Sie behaupten, das sei nicht
transparent, dann sind Sie des Lesens englischer Texte
anscheinend nicht mächtig . Seit Herbst 2014 gibt es ein
fertig ausgehandeltes Abkommen in englischer Sprache, das zu 100 Prozent vorliegt . Das sogenannte Legal
Scrubbing, die rechtsförmliche Bereinigung, ist seit April
dieses Jahres fertig und liegt vor . Die deutsche Variante dann wird es für Sie deutlicher und einfacher - wird Ende
dieses Monats vorliegen .
({7})
Wer jetzt behauptet, das sei nicht transparent, der erzählt
schlicht Märchen . Das ist das, was Sie die ganze Zeit bei
den Freihandelsabkommen machen, und das ärgert mich .
({8})
Wer dann behauptet, das Recht beider Vertragsseiten, eigene Regulierungen zum Schutz von öffentlicher
Sicherheit, Umwelt etc . zu treffen, würde verändert, der
bleibt wirklich außerhalb der Wahrheit; denn das bleibt
völlig unangerührt . Gar nichts wird da verändert . Auch
das ist Ihnen bekannt . Sie sind schlau genug, um all das
zu wissen, Herr Ernst . Ich ärgere mich darüber, dass Sie
so tun, als wäre das nicht wahr .
({9})
Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige Sätze
dazu sagen, warum diese Abkommen so wichtig sind . Sie
sind wichtig, weil wir dadurch Klarheit haben und Standards gegenseitig anerkennen . Wenn Sie Zweifel an den
Umweltstandards haben, dann schlage ich vor, dass Sie
einmal bei VW anrufen; denn die amerikanischen Umweltstandards sind die kanadischen Umweltstandards,
und die sind in der Automobilindustrie wesentlich deutlicher und schärfer als in Deutschland und in Europa . Ich
empfehle also ein Telefongespräch mit Ihren Gewerkschaftskollegen bei VW . Die werden Sie darüber aufklären . Ich denke, das wird Ihnen vielleicht ein Stück weit
erläutern, wie wichtig solche Abkommen für uns sind .
({10})
Die Kollegin Katharina Dröge hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Tatsächlich haben wir seit gestern Klarheit darüber, dass der Deutsche Bundestag über CETA entscheiden wird .
({0})
Ich hatte bis zu der Rede von Herrn Kollegen Fuchs gedacht, dass wir auch Klarheit darüber haben, dass der
Bundesrat darüber entscheiden wird . Das haben Sie jetzt
infrage gestellt . Vielleicht können Sie, Herr Minister
Gabriel, zu dieser Frage in der Debatte noch etwas sagen;
denn es ist natürlich eine wichtige Frage, ob unsere Länderkammer beteiligt wird oder ob es Bestrebungen der
Unionsfraktion gibt, die Länderkammer bei der Beratung
außen vor zu halten .
({1})
Ich muss schon sagen, dass es eine eigentümliche Situation ist, dass wir jetzt, zwei Jahre nachdem die Verhandlungen über CETA abgeschlossen sind, überhaupt
eine Aktuelle Stunde darüber durchführen müssen, dass
wir jetzt wissen, wer über CETA abstimmen darf .
({2})
Die Debatte darüber hat uns in den letzten Monaten in
der Europäischen Union nicht wirklich geholfen . Ich bin
sehr froh, dass Herr Juncker seine Ankündigung der letzten Woche nicht wahr gemacht hat, dieses so wichtige
Abkommen ohne Beteiligung des Deutschen Bundestages durchdrücken zu wollen .
Ich sage Ihnen ganz klar: Es geht dabei nicht um die
Frage, ob nicht auch das Europäische Parlament ein demokratisch richtiger und legitimer Ort ist, um über solche Abkommen abzustimmen . Es geht darum, dass es
in der EU Spielregeln gibt, auf die wir uns verständigt
haben . Diese Spielregeln kann man nicht einfach dann
umgehen, wenn sie einem nicht passen . Man kann sie
nicht einfach dann umgehen, wenn man Angst davor hat,
dass solch ein Abkommen in den nationalen Parlamenten
scheitert .
({3})
Man kann nicht auf einmal sagen: Ein Abkommen, das
ganz klar ein gemischtes Abkommen ist, deklariere ich
jetzt einfach als EU-only-Abkommen, weil ich Angst vor
den Beratungen in den nationalen Parlamenten habe . Diese Art von Verfahrenstricks verstehen die Menschen
nicht .
({4})
Auf dieselbe Art und Weise - da muss ich Ihnen ganz
explizit widersprechen, Herr Fuchs - werden CETA und
auch TTIP behandelt . Die Geheimhaltung dieser AbkomDr. Michael Fuchs
men und auch die Geheimhaltung des Mandates haben
nicht allein die Europäische Kommission zu verantworten, sondern auch Sie als Bundesregierung . Diese Geheimhaltung ist auf derselben Ebene .
({5})
Es ist ziemlich billig von Ihnen, Herr Fuchs, sich hierhinzustellen und zu sagen, dass dieses Abkommen vor zwei
Jahren veröffentlicht wurde und damit total transparent
sei . Damit sagen Sie, dass das Abkommen dann veröffentlicht werden muss, wenn es fertig ist . Genau das ist
das Problem an diesen Abkommen .
({6})
Im gesamten Verhandlungsprozess wird niemand an
den Verhandlungen beteiligt; niemand kann wissen, was
verhandelt wird . Wenn ein Abkommen fertig ist - das haben wir über die letzten zwei Jahre erlebt -, stellt sich
die Bundesregierung hin und sagt: Ich kann daran nichts
mehr ändern . Das Abkommen ist ausverhandelt . Das ist
mit den Vertragspartnern so vereinbart worden . - Es ist
ein Riesenärger und ein Riesengezerre, zumindest noch
Kleinigkeiten in diesem Abkommen zu verändern . An einer einzigen Stelle haben wir es geschafft, Nachverhandlungen durchzusetzen . In allen anderen Bereichen haben
wir es nicht mehr geschafft, über dieses Abkommen zu
reden . Das ist genau der Grund dafür, warum wir transparente und offene Verhandlungen brauchen .
Ich sage Ihnen, Herr Fuchs: Gerade in der Zeit, in der
wir uns aktuell in Europa befinden, in der Rechtspopulisten in sehr vielen europäischen Ländern Verschwörungstheorien und auch Unfug auf die Europäische Union
projizieren, sollten wir nicht durch Verfahrenstricks und
Hinterzimmerpolitik eine reale Angriffsfläche bieten.
({7})
Gerade in dieser Zeit ist es aus meiner Sicht notwendig,
dass wir eine demokratische Politik machen, dass wir
transparente und klare Regeln haben und sie auch einhalten .
Wenn Sie CETA durchsetzen wollen, Herr Fuchs,
dann müssen Sie auch etwas zu der Kritik an diesem Vertragstext sagen, dann können Sie nicht allgemeine blumige Sonntagsreden darüber halten, dass Sie Außenhändler
sind, weswegen der Außenhandel ganz grundsätzlich super ist,
({8})
sondern dann müssen Sie sich mit diesem Vertragstext in
der Sache auseinandersetzen .
({9})
Ich möchte Ihnen nur drei Beispiele dafür nennen, warum dieser Vertragstext abgelehnt werden muss .
Das erste Beispiel sind die Schiedsgerichte, die unsere etablierten rechtsstaatlichen Prinzipien infrage stellen
und massiven Druck auf eine fortschrittliche Umweltund Sozialgesetzgebung ausüben werden . Sie haben hier
ein bisschen nachverhandeln können, aber trotzdem sind
es die Schiedsgerichte im alten Gewand . Ich habe in Ihrer Rede kein einziges Argument dazu gehört, warum Sie
diese Schiedsgerichte für richtig und unproblematisch
halten
({10})
und warum die fachliche Kritik, die wir jetzt seit zwei
Jahren im Deutschen Bundestag daran formulieren, nicht
zutreffend ist .
({11})
Zu diesem Punkt kam kein einziges Argument von Ihnen .
({12})
Das zweite Beispiel ist das Thema Vorsorgeprinzip,
der Grundpfeiler unseres europäischen Verbraucherschutzes . Es steht nicht im Vertrag .
({13})
Mehrere Experten haben schon bescheinigt, dass mit
CETA die Gefahr einer deutlichen Schwächung des europäischen Vorsorgeprinzips gegeben ist . Sie haben diese
Gutachten vielleicht nicht gelesen . Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt . Von Ihnen kam kein einziges Argument in dieser Sache .
({14})
- Sie sind eingeladen, hier gleich noch zu reden, um dieses Argument zu widerlegen . - Wir haben von der SPD
und von der CDU/CSU noch nie etwas zum europäischen
Vorsorgeprinzip in der Sache gehört . Es wäre jetzt endlich an der Zeit, sich diesen Fachargumenten zu stellen,
wenn Sie irgendwie überzeugend darlegen wollen, warum Sie diesem Abkommen zustimmen .
Das dritte und letzte Beispiel ist die Beeinträchtigung
der Handlungsfähigkeit der Kommunen . Auch dazu gibt
es Gutachten . Es gibt Kritik daran, dass mit Negativlisten
und unklaren Rechtsbegriffen, die die Handlungsfähigkeit der Kommunen einschränken, gearbeitet wird . Auch
dazu, warum das unproblematisch sein soll, gibt es von
Ihnen in keiner Debatte im Deutschen Bundestag auch
nur eine einzige konkrete Begründung .
Meine Botschaft an Sie ist daher: Jetzt ist endlich
Schluss mit dieser Hinterzimmerpolitik, mit dem Verschieben von Argumenten, mit dem „Wir warten noch;
wir müssen den Vertragstext erst bekommen“ .
({15})
Sie sind jetzt gefordert, ein Argument dafür zu liefern,
warum es in der Sache vernünftig sein sollte, dass Sie
dieses Abkommen durchdrücken wollen .
({16})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Dröge, lieber Herr Ernst, das, was Sie hier
betreiben, ist Desinformation .
({0})
Hier wird kein Parlament ausgehebelt . Das Parlament
redet mit bei CETA - das war Ihre Forderung, und das
war auch unsere Forderung, die der Sozialdemokraten in
Deutschland und in Europa . Wir haben uns immer dafür
eingesetzt, dass das Parlament, der Deutsche Bundestag,
und der Bundesrat darüber beraten und beschließen, und
jetzt passiert es .
({1})
Ihre Aufregung über das, was Sie hier als „Hinterzimmerpolitik“ beschreiben, ist absolut unsinnig .
({2})
Sie desinformieren die Leute im Lande in einer Art und
Weise, dass das Selbstverständnis dieses Parlamentes darunter leidet .
Der Bundesrat - das war Ihr Vorwurf an den Kollegen,
liebe Frau Dröge - hat ein eigenes Selbstverständnis . Er
wird sich zu Worte melden und ebenfalls darüber beraten
und beschließen . Glauben Sie mir das . Wenn Sie einmal
im Bundesrat gesessen haben,
({3})
dann wissen Sie, mit welchem Selbstverständnis die Damen und Herren aus den Bundesländern dort arbeiten .
Dazu brauchen sie keinen Hinweis von Ihnen .
({4})
Zur Geheimhaltung . Ich habe bisher nichts von Geheimhaltung gespürt . Die Punkte, die Sie beispielhaft
vorgetragen haben, sind in den letzten Wochen und Monaten nachverhandelt worden . Gott sei Dank hat es einen
Regierungswechsel in Kanada gegeben, der dazu beigetragen hat, dass die Signale der Sozialdemokratie aus Europa aufgenommen worden sind .
Zum Thema Vorsorgeprinzip . Ich sage es Ihnen ganz
deutlich: Es gilt . Daran wird gar nichts verändert . Das
Vorsorgeprinzip in Deutschland und in Europa gilt . Glauben Sie mir das . Wenn Sie mir das nicht glauben, dann
sollten Sie sich daran orientieren, was von der Fachwelt
aktuell dazu geschrieben wird .
({5})
Zu den Investitionsgerichten . Wir sind weg von privaten Gerichten . Wir haben nachverhandelt und sie abgeschafft . Das ganze Thema ist inzwischen erledigt . Wenn
Sie der Bevölkerung immer wieder die alten Kamellen,
die Sie sich irgendwann zurechtgelegt haben, präsentieren, wird das langsam langweilig und dröge .
({6})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Abkommen ist ein gutes Abkommen . Es geht darum, in der
Weltwirtschaft gemeinsame Spielregeln zu schaffen . Gemeinsame Spielregeln sind nämlich besser als gar keine Regeln . Wenn wir kein Abkommen haben, haben wir
keine Regeln .
({7})
Dann wird die Situation schlechter sein als die, die wir
erreichen könnten . Ich denke, wir wollen die wirtschaftliche Globalisierung in der Welt politisch mitgestalten .
Wer diesen Anspruch aufgibt, der sollte überlegen, sich
aus diesem Parlament zu verabschieden .
({8})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sagen
„Freihandel“, aber wir wollen dafür fortschrittliche Regeln . Ich denke, die letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass wir uns bei dem CETA-Abkommen auch in
schwierigen Zeiten durchsetzen können . Dies ist eine
beachtliche Leistung, die in den letzten Monaten auch
durch Druck aus Deutschland zustande gekommen ist .
Die Initiativen, die von Sigmar Gabriel und anderen Sozialdemokraten in Europa gestartet worden sind, waren
zielführend und haben dazu beigetragen, dass diese gemeinsamen historischen Ziele, die wir in Europa haben,
angestrebt werden und dass sich die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, von Freiheit, von sozialer Marktwirtschaft, von Respekt vor Individuen in
diesem Vertragstext wiederfinden.
Ich glaube, dass uns die nächste Generation dafür
dankbar sein wird, dass wir mit CETA eine solche Orientierung hinbekommen haben . Ob uns das mit TTIP gelingt, weiß ich nicht . Aber wir werden es erleben, wenn
wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen werden .
Wir wollen - auf diesen Punkt komme ich zurück die Globalisierung gestalten . Unsere zentralen Anliegen
sind: Menschenrechte anerkennen, sozial-ökologische
Standards verankern, Europäerinnen und Europäern
Zugang zum Jobmarkt in Kanada zu verschaffen und
umgekehrt . Wir machen Schluss mit privaten Schiedsgerichten . Wir geben ein, denke ich, richtiges Signal in
die Welt, was wir aus europäischer Sicht unter neuen und
modernen Handelsabkommen verstehen .
Die Themen, die in diesem Handelsabkommen verankert sind, wie Gestaltung der Globalisierung, Investitionsschutz, aber auch die ILO-Kernarbeitsnormen, werden beachtet . Tun wir doch bitte nicht so und weisen mit
dem Finger auf die angeblich so dummen Kanadier, dass
die die Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen nicht
auf die Reihe bekommen . Der Mindestlohn gilt dort,
glaube ich, seit 100 Jahren .
({9})
Daran möchte ich nur einmal erinnern . Die Kanadier
sind in diesem Punkt schon viel weiter, als wir es noch
bis vor ein paar Jahren waren . Als die deutschen Industriegewerkschaften noch darüber gestritten haben, ob sie
den Mindestlohn haben wollten, hatten die Kanadier ihn
schon .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte
an dieser Stelle auch hinzufügen: Wir haben bei der Wirtschaft gute Entwicklungen erreicht . Wir haben bei dem
Thema Zolllinien gute Ergebnisse erzielt . Wir kommen
dazu, dass wir im Bereich der Exporte pro Jahr eine halbe
Milliarde Euro einsparen können . Wir werden bei dem
Thema Staatsunternehmen Regelungen bekommen und
bei öffentlichen Aufträgen Zugang zu ungefähr 100 Milliarden kanadische Dollar Auftragsvolumen bekommen .
Diese Chancen sollten wir nicht ausschlagen . Umgekehrt
gilt das allerdings auch . Dabei wahren wir aber unsere
individuellen und auch gesellschaftlichen Rechte . „Right
to regulate“ gilt, aber für beide Seiten . Das, denke ich,
müssen wir akzeptieren . Die Kanadier sind Demokraten,
wir sind Demokraten . Daran sollten wir uns orientieren .
Die Errungenschaften der Daseinsvorsorge, die wir
hochhalten, werden in keiner Weise beeinträchtigt . Das
ist eine Mär . Mit dieser Mär sollten wir endlich einmal
Schluss machen . Sie sollten nicht immer diese falschen
Behauptungen wie Fackeln vor sich hertragen und mit
Desinformationen arbeiten . Machen Sie endlich Schluss
mit solchen orientierungslosen Politikinhalten! Diese
helfen uns nicht weiter . Die Menschen wollen Orientierung und Klarheit . Aber was Sie mit manchen Redebeiträgen, aber auch mit manchen Veröffentlichungen erreichen, ist genau das Gegenteil . Es tut mir leid, Ihnen das
ins Stammbuch schreiben zu müssen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({10})
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion
Dr . Joachim Pfeiffer .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist es eine Aktuelle Stunde; sonst sind es reguläre
Debatten, und auch in jeder Ausschusssitzung wird das
Thema seit Jahren diskutiert .
({0})
Worum geht es? Kollege Beckmeyer, Michael Fuchs
und andere Redner haben es gerade angesprochen . Es
geht um das bisher modernste Handels- und Investitionsschutzabkommen, das es weltweit gibt, zwischen der Europäischen Union und Kanada als einen ersten Schritt hin
zu einem transatlantischen Binnenmarkt, dem nach unserem gemeinsamen Wunsch auch die USA folgen sollen
und werden - wir haben hier im Deutschen Bundestag
ein entsprechendes Verhandlungsmandat erteilt -, und
das die Globalisierung gestaltet . Das ist unser Wunsch;
das ist unser Ziel . Wenn wir das nicht tun, bleibt es nicht
ungeregelt: Dann werden es andere tun .
Wir haben die historische Chance, die Globalisierung
zu gestalten und Regeln zu finden, die Vorbildcharakter
haben und später für andere Abkommen mit China, mit
ASEAN-Staaten oder vielleicht sogar, was hoffentlich
immer noch unser gemeinsames Ziel ist, statt bilateralen Abkommen multilaterale Abkommen im Rahmen der
WTO zu erreichen . Ich hoffe, dass wir uns in dieser Frage einig sind .
Deshalb finde ich es, ehrlich gesagt, schade, dass wir
auch heute - Kollege Beckmeyer hat es schon angesprochen - wenig über inhaltliche Fragen sprechen, sondern
nur über Verfahrensfragen, und dass reflexhaft Dinge wie
Paralleljustiz, Geheimhaltung, Verschwörungstheorien
und Hinterzimmer aufgenommen werden . Das ist der
Popanz, den Sie hier aufzubauen versuchen . Sie sagen,
dass eine demokratische Legitimation dessen, was hier
erarbeitet wurde, fehlt, verweigert wird oder was auch
immer .
({1})
Ich glaube, ehrlich gesagt, dass Sie mit dem, was Sie,
insbesondere die Opposition, tun, der Demokratie in Europa einen Bärendienst erweisen .
({2})
Sie liefern nämlich diese Fragen dem politischen Populismus und den Geschäftsmodellen der EmpörungsindusParl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
trie von Campact, Foodwatch und wie sie alle heißen aus
und beteiligen sich auch noch daran .
({3})
Wir haben eine Arbeitsteilung .
({4})
In Handelsfragen gab es schon einmal zersplitterte Staaten in Deutschland . Dann wurden der Deutsche Zollverein und das Deutsche Reich gegründet, und es wurde beschlossen, die Handelsfragen gemeinsam zu lösen
statt jeder für sich in Württemberg, Bayern und wie auch
immer die einzelnen Staaten früher hießen . Wir haben
dann einen Rechtsstaat mit einer föderalen Arbeitsteilung
bekommen: Die Kommunen haben die Zuständigkeit für
die örtlichen Belange . Die Länder haben die Zuständigkeit für Bildung, und der Bund hat die Zuständigkeiten,
über die wir hier diskutieren .
Im Zuge der europäischen Integration haben wir
gesagt: Wir wollen bestimmte Bereiche an Europa
übertragen, und zwar die Landwirtschaft, im Wettbewerbsbereich Stahl und Kohle - schon früh - und auch
Klimafragen . Für die Europäische Union verhandelt
nicht Deutschland, sondern der EU-Kommissar bzw . die
EU-Kommissarin . So haben wir uns entschlossen, dies
auch in Handelsfragen zu machen . Dem Vertrag von Lissabon - insofern sind die Linken halbwegs konsequent haben Sie nicht zugestimmt .
({5})
Aber 92 Prozent der Grünen haben dem Vertrag von
Lissabon zugestimmt . In den Artikeln 207 und 216 des
Vertrags von Lissabon sind genau diese Fragen geregelt .
Wenn wir sagen: „Es gibt Dinge, die wir an Europa
übertragen wollen“, und der Europäischen Union ein
Mandat erteilen,
({6})
dann ist die Frage, wie wir damit umgehen . Was Sie jetzt
machen, ist das Gegenteil dessen . Schön, dass Sie da
sind, Herr Trittin . Ich habe mir nämlich die Mühe gemacht, nachzulesen, wer damals was zum Lissabon-Vertrag gesagt hat . Jürgen Trittin hat in der zweiten Lesung
zum Lissabon-Vertrag am 24 . April 2008 Folgendes gesagt, dem ich eigentlich nichts hinzufügen kann:
Wenn wir die Europaskepsis überwinden wollen,
müssen wir mit dieser Politik, europäisch zu reden
und national zu blockieren, aufhören .
({7})
Damit haben Sie vollkommen recht .
Deshalb kann ich nur hoffen, dass wir in diesen zentralen europäischen Fragen zu der Aufgabenverteilung,
die wir gemeinsam vorgenommen haben, stehen und uns
nicht in die Büsche schlagen und mit vermeintlich kleiner politischer Münze, die wir national daraus ziehen zu
können meinen, dem billigen Populismus anheimgeben .
Wo das endet, das haben wir vor zwei Wochen in Großbritannien gesehen .
({8})
Enden müssen Sie auch .
Sie werden sehen, dass Sie das, was Sie hier sehen, im
Ergebnis nicht ernten wollen . Insofern kann ich nur alle
auffordern, diese Dinge in diesem Haus mit Maß und Ziel
in dem weiteren Verfahren, das wir haben, zu behandeln .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank, Herr Pfeiffer . - Nächster Redner für die
Linke: Alexander Ulrich .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Pfeiffer, Sie haben es richtig beendet: Was sind die
Schlussfolgerungen aus dem Brexit in Großbritannien?
Ich glaube, wenn es einer Schlussfolgerung bedarf, dann
jener, dass dieses unsoziale und antidemokratische Europa endlich beendet werden muss, deshalb müssen auch
TTIP und CETA gestoppt werden .
({0})
Man hat ja wirklich den Eindruck, dass Herr Juncker den
Schuss des Brexit nicht gehört hat . Wer nur wenige Tage
nach dieser Entscheidung zum europäischen Rat geht und
dort verkündet, das würde ein EU-only-Abkommen, der
ist als EU-Kommissionspräsident völlig fehl am Platz .
({1})
Ein Neustart Europas ist mit Juncker nicht möglich .
Was wir auch sagen können, ist: Die „Stop TTIP und
CETA“-Kampagne hat gestern einen ersten großen Erfolg erzielt . Deshalb kann man nur die vielen, vielen
Proteste beglückwünschen - 3,5 Millionen, die sich an
der europäischen Bürgerinitiative beteiligt haben . Es ist
ein erster großer Erfolg, dass die Nationalparlamente nun
mitbestimmen können . Das ist ein großer Erfolg auf dem
Weg, TTIP und CETA zu Fall zu bringen . Herzlichen
Glückwunsch an die außerparlamentarische Bewegung!
({2})
Herr Pfeiffer, wenn Sie hier abwertend sagen, was
diese Menschen für Sorgen haben - das tun Sie ja in jeder Rede -, dann sollten Sie sich auch einmal mit diesen Argumenten beschäftigen . Warum gehen denn diese
Menschen auf die Straße? Weil sie Angst haben, dass
unter dem Deckmantel freien Handels und scheinbarer
Arbeitsplätze Arbeitnehmerrechte abgebaut werden, Verbraucherschutzstandards abgesenkt werden und die Demokratie gefährdet wird . Dies alles treibt die Menschen
um . Und ich bin beschämt, dass hier Parlamentarier sitzen, denen es offensichtlich egal ist, was mit der Demokratie passiert . Solche Leute wie Sie, Herr Pfeiffer, und
andere sind die Sargnägel dieser Europäischen Union
und der Menschen in diesem Land .
({3})
Aber auch wenn wir einen Zwischenerfolg haben, ist
der nächste Schritt schon wieder geplant; denn natürlich
ist schon das Nächste vorbereitet: dass man dieses Abkommen vorläufig anwenden will. Auch dazu sagen wir
klipp und klar: Das lehnen wir als Linke ab . Herr Gabriel,
Sie haben auch eine Stimme im Ministerrat . Wir erwarten
von Ihnen, dass Sie im Ministerrat deutlich sagen: Es gibt
keine vorläufige Anwendung, ohne dass dies die Nationalparlamente ratifiziert haben.
({4})
Wir brauchen keine Einschränkungen in diesen Bereichen, deshalb muss die vorläufige Anwendung gestoppt
werden .
Ich glaube, Herr Gabriel, Sie haben jetzt auch ein
Stück weit eine Verantwortung . Sie haben letzte Woche
großartig gesagt, Sie wollen die progressiven Kräfte Europas wecken .
({5})
Wer die progressiven Kräfte Europas wecken will, darf
TTIP und CETA nicht die Tür öffnen .
({6})
Wer die progressiven Kräfte Europas tatsächlich vereinen will, muss Nein sagen zu TTIP und CETA, muss
sofort die Verhandlungen stoppen und möglicherweise
die Handelsabkommen fairer verhandeln als das, was in
den Verträgen steht .
({7})
Herr Beckmeyer, ich weiß nicht, ob Sie nicht auch ein
wenig beschämt über Ihre Worte sind, als Sie vorhin zu
dem, was Abgeordnete der Grünen oder der Linken gesagt haben, sagten: Wer solche Argumente liefert, gehört
nicht in dieses Haus .
({8})
- Man kann es so verstehen . Er hat es so ausgedrückt . Sie
können sich die Rede noch einmal durchlesen . - Ich will
es noch einmal sagen: Ich glaube, es ist unsere Aufgabe,
deutlich den Finger zu erheben, wenn durch die privaten
Schiedsgerichte oder durch die Neufassung dessen, wie
es jetzt ist, eine Paralleljustiz eingeführt wird, die es in
Zukunft verhindert, dass sozialer Fortschritt oder Fortschritt im Verbraucherschutz noch möglich ist, ohne dass
man verklagt wird .
Es ist unsere Aufgabe im Parlament, den Finger zu heben . Deshalb gehören Sie vielleicht nicht in dieses Parlament, wenn Sie eine andere Auffassung haben .
({9})
- Die Wähler haben es entschieden .
({10})
Es wäre schön, wenn die Wählerinnen und Wähler in
Deutschland über solche Verträge abstimmen könnten .
({11})
Ich bin mir sicher: Hätten wir eine Volksabstimmung
über TTIP und CETA, dann hätten wir das Thema schnell
beendet . Aber Sie haben Angst davor, die Wählerinnen
und Wähler zu fragen . Wir glauben, dass gerade TTIP
und CETA ein Beweis dafür sind, warum wir Volksabstimmungen über solche Verträge brauchen . Dann wären
TTIP und CETA schnell erledigt .
({12})
Ich komme zum Schluss . Die „Stop TTIP und
CETA“-Bewegung hat einen Zwischenerfolg zu verzeichnen, der nicht geringzuschätzen ist . Wir haben nun
durch die Grünen und ihre Beteiligungen an Landesregierungen im Bundesrat die Chance, das Thema in Deutschland zu beenden . Wir rufen alle auf - auch in den anderen
Staaten -, nun die Chancen zu nutzen . Aber wir müssen
den Druck erhöhen, um die vorläufige Anwendung zu
verhindern . Wir müssen weiterhin deutlich machen, warum wir gegen diese Verträge sind . Am 17 . September
gibt es wieder Großdemonstrationen in sieben deutschen
Städten . Wir rufen dazu auf, sich daran zu beteiligen, damit Herr Gabriel zwei Tage später auf der Konferenz der
SPD, die am 19. September stattfinden soll, sagen kann:
Jawohl, wir haben verstanden . - Der Druck muss weiter
erhöht werden .
Vielen Dank .
({13})
Vielen Dank, Alexander Ulrich . - Nächster Redner in
der Debatte: Bernd Westphal für die SPD .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit gestern ist klar: Die EU-Kommission bewertet in ihrem Beschlussvorschlag das CETA-Abkommen aus politischen Motiven als gemischtes Abkommen .
Kommissarin Malmström bleibt aber bei ihrer juristischen Bewertung, dass CETA anders einzustufen sei . Wir
begrüßen die Entscheidung sehr, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt . Herr Kollege Ulrich, wenn
Sie das demokratisch gewählte Europaparlament als undemokratisch diffamieren, dann ist das keine vernünftige
Europapolitik .
({0})
Das Abkommen tritt nur in Kraft, wenn das Parlament zustimmt . Das ist eine ganz normale demokratische Übung .
Im Übrigen haben wir immer dafür plädiert, dass es
sich um ein gemischtes Abkommen handelt . Der Juristische Dienst des Rates hat sich dieser Betrachtung
angeschlossen . Die Bewertung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war sicherlich in einigen Phasen nicht hilfreich . Aber der politische Druck
der Bundesregierung und insbesondere unseres Wirtschaftsministers sowie einiger Parlamentarier und unseres Parlamentspräsidenten hat zu einem Einlenken der
Kommission geführt . Nun wird CETA als gemischtes
Abkommen nicht nur vom Ministerrat und vom EU-Parlament, sondern auch von allen nationalen Parlamenten
der Mitgliedstaaten - ebenso wie vom Bundesrat - ratifiziert. Nach der Vorlage der übersetzten Texte liegt nun
die Phase vor uns, die Texte zu prüfen .
Im Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung ist es gelungen, die wesentlichen Elemente des EU-Vorschlags
für einen modernen Investitionsschutz in CETA festzuschreiben . Nach dem Freihandelsabkommen mit Vietnam
ist dies das zweite Abkommen, in dem die EU-Kommission einen modernen Investitionsschutz und Investitionsgerichte vereinbaren konnte . Wir haben in engem Dialog
mit der Handelsministerin von Kanada, Madame Freeland, über diese Themen diskutiert . Auch sie kommt zu
der Bewertung, dass wir mit den gefundenen Formulierungen betreffend einen internationalen Handelsgerichtshof eine Modernisierung der Freihandelsabkommen erzielen können . Das ist eine gute Entwicklung .
({1})
Wir haben ein fortschrittliches Abkommen, weil
wir - das wollten wir immer - fairen Handel sowie die
Standards und Normen, die in Kanada und der EU gelten, verankern können . Dieses Abkommen ist so wichtig,
weil wir damit eine Chance haben, die hohen Standards
von EU und Kanada als globale Richtschnur zu setzen .
Das kann man nur machen, wenn man sich an den Verhandlungstisch begibt und verhandelt . Deshalb sind Forderungen, TTIP und CETA sofort zu stoppen, völliger
Blödsinn .
({2})
Wir müssen uns an den Tisch setzen und verhandeln . Nur
dann können wir etwas erreichen und verbessern .
({3})
Mit Kanada haben wir bisher kein Handelsabkommen
abgeschlossen, obwohl es zu unseren engsten Partnerländern weltweit gehört . Leider gab es viele Missverständnisse, da zu wenig zwischen TTIP und CETA differenziert
wurde . Damit ist nun Schluss . Der deutsche Vertragstext
liegt in dieser Woche vor . Er ermöglicht es, eine Analyse und Bewertung vorzunehmen . Ich glaube ganz sicher,
dass wir es mit dem vorliegenden Text schaffen, einige
Mythen, die einige Politiker draußen in Diskussionen
verbreiten, zu entkräften .
Sigmar Gabriel hat Vorschläge unterbreitet, die in die
Kommissionsvorschläge eingeflossen sind. Ich bin ihm
ausdrücklich dankbar dafür, dass nun endlich mit geheimen, in Hinterzimmern stattfindenden Schiedsverfahren
Schluss ist und dass wir mit einem internationalen Handelsgerichtshof die Modernisierung der Handelsabkommen beschleunigen . Dafür sind wir ihm sehr dankbar .
Wir haben Standards im Umweltschutzbereich und im
Verbraucherschutz, wir haben die Möglichkeit, Arbeitnehmerrechte in Form von ILO-Kernarbeitsnormen zu
verankern . Selbst die kanadische Regierung hat letzten
Monat von den acht ILO-Kernarbeitsnormen das siebte
ratifiziert und macht sich auf den Weg, die Standards
zu erhöhen . Auch das Vorsorgeprinzip konnte verankert
werden . Frau Dröge, was Sie in Ihrer Rede zitiert haben,
sind vielleicht wissenschaftliche Gutachten, das steht
aber so nicht im Verhandlungstext .
({4})
Daher kann ich Ihnen empfehlen, wenn der Text diese
Woche vorliegt, genau das nachzulesen . Es ist dort verankert . Deshalb ist das eine wichtige Entwicklung, was
Freihandel angeht .
Fest steht jetzt: Mit der Vorlage des Textes können wir
viele Dinge beweisen und erklären . Wir können draußen
für mehr Transparenz in der Debatte sorgen . Bundestag
und Bundesrat können ihre Beteiligungsrechte wahrnehmen . Die EU und Kanada haben die Chance, diese Standards weltweit als Orientierung für andere Abkommen
zu etablieren . Deshalb ist das ein gutes Zeichen .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Westphal . - Nächster Redner: Jürgen Trittin für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
wusste gar nicht, dass Uwe Beckmeyer so ein Ökologe
ist, dass er jetzt die Einführung der US-Stickstoffnormen
für Europa fordert . Wir können ihn dabei nur unterstützen und warten auf die entsprechende Gesetzesinitiative
der Bundesregierung .
({0})
Nur, das wird sie nicht tun . Damit sind wir bei dem
Kern des Problems . Wenn man über Handelsabkommen
redet und sich Handelsabkommen vorstellen würde, bei
denen sich beide Seiten auf die höheren sozialen und
ökologischen Standards einigen würden, dann würden
Sie aufseiten der Linken und der Grünen niemanden finden, der gegen ein solches Abkommen ist .
({1})
Aber darum geht es hier überhaupt nicht . Das, was Sie
hier praktizieren, ist nichts anderes, als dass Sie die Möglichkeiten der Bundesländer, der Kommunen, des Deutschen Bundestags, des Europäischen Parlaments und der
Europäischen Kommission über ein ausgefeiltes System
der regulatorischen Kooperation erschweren wollen . Sie
wollen die Standardsetzung künftig schwerer machen .
Wer sich die einzelnen Regulierungen anschaut, der wird
sehr schnell sehen, wozu das führt, nämlich dazu, dass
der Lobbydruck auf demokratisch gewählte Volksvertreter in den Kommunen, in den Bundesländern, im Bundestag und im Europäischen Parlament erhöht wird . Das
ist das Problem, und das ist übrigens das Problem, das
wir in ganz Europa haben .
({2})
Aus diesem Grunde, weil dieses Abkommen so umfassend eingreift, ist das ein gemischtes Abkommen . Ich
habe mich schon gewundert, Herr Pfeiffer: Jetzt sind wir
einmal mit der Bundesregierung einer Meinung . Es ist
die Auffassung der Bundesregierung, dass es sich um
ein gemischtes Abkommen handelt . Daran können auch
allgemeine Ausführungen über den Lissaboner Vertrag
nichts ändern .
Völlig klar im Lissaboner Vertrag geregelt - deswegen habe ich für seine Annahme hier plädiert - ist, dass,
wenn in Kompetenzen nationaler oder subnationaler Gesetzgebung eingegriffen wird, ein solches Abkommen
nicht nur von der Mehrheit des demokratisch gewählten
Parlamentes, nicht nur von der qualifizierten Mehrheit
demokratisch gewählter Regierungen in Europa, sondern
auch von den nationalen und gelegentlich regionalen Parlamenten mit ratifiziert werden muss. Das ist die Rechtslage . Ein guter Europäer sollte zu dieser Rechtslage stehen und das hier nicht verunklaren, wie Sie das gemacht
haben .
({3})
Ich will aber anhand eines Punktes eine nachdenkliche
Anmerkung über die Lesefähigkeit der Kollegen machen .
Ja, das Vorsorgeprinzip steht drin, vorne in der Präambel .
Ich glaube, es ist aus der Rio-Konvention übernommen .
Aber schauen Sie sich einmal die einzelnen Fachkapitel
an . Dort ist überall vom „wissenschaftsbasierten Ansatz“
die Rede .
({4})
Das ist das Gegenteil von dem, was behauptet worden
ist . In Richtung der Sozialdemokraten sage ich: Mich
erinnert das an den 18. Brumaire des Louis Bonaparte.
Dessen Autor hat einmal geschrieben: Die Freiheit wird
in der Phrase beschrieben, und die Aufhebung der Freiheit steht in der Fußnote . - Sie vertuschen, was in der
Fußnote steht .
Der Unterschied zwischen dem wissenschaftsbasierten Ansatz und dem Vorsorgeprinzip ist ziemlich einfach - ich sage das für die auf der rechten Seite des Hauses, die es nicht wissen -: Beim wissenschaftsbasierten
Ansatz muss man am Ende nachweisen, ob irgendeine
Chemikalie Krebs erzeugt . Erst am Ende eines solchen
Prozesses wird sie verboten . - Ich rede nicht von Glyphosat . Ich rede von den Zuständen, die in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts zum Holzschutzmittelskandal geführt haben .
({5})
Dem haben wir gemeinsam ein Ende gesetzt, und seitdem gilt in Deutschland das Vorsorgeprinzip . Das wollen
wir nicht durch Handelsabkommen an dieser Stelle aushebeln lassen .
({6})
Letzte Bemerkungen . Auch ich habe mich gestern
kurz gefreut, als ich gehört habe, dass die Kommission
ihre Haltung zum Inkraftsetzen von CETA geändert hat .
Nur, ich glaube, zur Freude besteht gar kein Anlass .
({7})
Die Kommission hat gesagt, was passiert, wenn sie auf
ihrer Rechtsposition beharrt: Dann passiert gar nichts .
Sie will aber, dass dieses Abkommen schnell in Kraft
tritt . Also hat sie ihre vermeintlich sichere Rechtsposition
geräumt . Sie hat CETA zu einem gemischten Abkommen
erklärt und setzt alles daran, dieses Abkommen, auch den
Investitionsteil, vor einer Ratifizierung vorläufig in Kraft
zu setzen .
({8})
Wenn Sie, lieber Herr Ulrich, sagen, die hätten den
Schuss nicht gehört: Die haben mehrere Schüsse nicht
gehört . Die sind auch nicht willens, an dieser Stelle weitere Schüsse zu hören .
Ich glaube, dass die Bundesregierung gut beraten
wäre, an dieser Stelle klar zu sagen: Wir sind nicht bereit, ein vorläufiges Inkraftsetzen dieses Abkommens, die
Errichtung neuer Hürden für demokratische Regulierung
zu akzeptieren . - Wir sind der festen Überzeugung, dass
die Bundesregierung ein vorläufiges Inkraftsetzen im Rat
ablehnen muss . Wir sagen Ihnen auch: Wenn wir dahin
kommen wollen, wohin Herr Beckmeyer wollte, dann
brauchen wir einen Neustart, nicht nur in Europa, sonJürgen Trittin
dern insbesondere auch in der Handelspolitik . Denn am
Ende bleibt richtig: Nur fairer Handel ist freier Handel .
({9})
Vielen Dank, Jürgen Trittin . - Der nächste Redner:
Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Was wir hier erleben, ist sozusagen der Vorgeschmack auf die Debatten, die uns in den nächsten Monaten ereilen werden .
({0})
Die gestrige Entscheidung der Europäischen Kommission, CETA als gemischtes Abkommen zu behandeln,
war schon überraschend; schließlich hat der Kommissionspräsident noch letzte Woche kraftvoll getönt, dass es
überhaupt keine Chance dafür gebe . Mittlerweile ist der
erste Jubel hier im Saale verhallt . Wenn man die öffentliche Meinung verfolgt, stellt man fest, dass ein Nachdenken darüber einsetzt, ob sich die Entscheidung, die jetzt
unter gewissem politischen Druck getroffen worden ist,
letztendlich im Sinne der europäischen Handelspolitik
auszahlen wird .
Diskutiert wird jetzt in 28 Parlamenten; das ist erst
einmal gut . Wir haben hier immer die Haltung vertreten,
dass es dann, wenn ein Abkommen fertig ist, genügend
Raum vorhanden ist, über die Inhalte zu diskutieren . Das
heißt nicht, dass wir an jedem Freitag einer Sitzungswoche um 15 Uhr eine linke Debatte führen, in der wir immer wieder das Gleiche durchkauen .
({1})
Letzte Woche haben wir hier im Deutschen Bundestag eine Sondersitzung zum Brexit durchgeführt, also zur
Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreiches, dass ihr Land aus der EU austritt . Gerade die Grünen, die Linken, eigentlich alle haben davor
gewarnt, den Populisten in Europa Raum zu geben und
ihnen auf den Leim zu gehen . Ich bin wirklich gespannt,
wie diese Debatte verlaufen wird . Das, was von Frau
Dröge und von der linken Seite abgeliefert worden ist,
geht genau in diese Richtung . Das heißt, es wird hier populistischst mit einfachsten Parolen Angst gemacht .
({2})
Schauen Sie sich einmal die Webseiten der Organisationen an, die vor allem den Grünen und den Linken nahestehen, Campact zum Beispiel! Ich lese Ihnen einmal
vor, was auf einer Webseite steht:
Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern Campact
und Foodwatch bringen wir CETA, das Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU, vor das
Bundesverfassungsgericht . Mit unserer Klage wollen wir überprüfen lassen, ob die vorläufige Anwendung . . . mit dem Grundgesetz vereinbar sind . CETA
ist nicht nur demokratiepolitisch gefährlich, sondern
auch verfassungsrechtlich bedenklich .
({3})
Weiter heißt es - jetzt kommt der entscheidende Satz -:
Kippen wir CETA, dann ist wahrscheinlich auch
TTIP erledigt .
({4})
Meine Damen und Herren, das ist der Geist .
Wenn Sie dann einmal auf diesen Seiten nachforschen: „Wo sind eigentlich Argumente dafür? Was wird
eigentlich dazu geliefert, warum das so ist?“,
({5})
finden Sie gar nichts.
({6})
Sie finden nicht einmal ein paar Zeilen, in denen erklärt
wird, was CETA ist, was eigentlich die Hauptinhalte
sind . Nichts! Das ist der blanke Populismus, meine Damen und Herren .
({7})
Das hat in Großbritannien zum Erfolg der Populisten
geführt . Das Geschrei ist jetzt überall groß . Man kann
nur davor warnen, hier in Deutschland so eine Diskussion über die Handelsabkommen zu führen .
({8})
Es hat niemand etwas dagegen, dass man sich mit Argumenten auseinandersetzt . Aber, Herr Ernst, ich habe
von Ihnen kein einziges Argument gehört - nur die üblichen Parolen . Frau Dröge, bei Ihnen ist genau das Gleiche .
({9})
Sie erzählen das schon seit Jahren . Sie haben einfach ignoriert, dass es in den ganzen Verfahren bereits Fortschritte gegeben hat . Sie ignorieren das, weil Sie überhaupt
nicht darüber diskutieren wollen, weil Sie überhaupt keine Aufklärung der Menschen wollen . Sie schüren ganz
einfach Angst, und das werden Sie auch weiter betreiben .
({10})
Das Ergebnis könnte sein, dass die EU in ihrer Handelspolitik völlig unbeweglich wird, dass keine internationalen Abkommen mehr zustande kommen
({11})
und dass sich die Welt fragt: Was ist denn eigentlich diese
EU noch? Kann man mit denen überhaupt noch reden?
Hat es überhaupt Sinn, in Verhandlungen einzutreten,
wenn in 28 Parlamenten letztendlich die Dinge zerredet
werden? Das ist eine ganz grundsätzliche Frage, und es
ist eine ganz grundsätzliche Verantwortung, die wir Politiker hier im Deutschen Bundestag jetzt tragen . Das sollte
jede Partei für sich einmal diskutieren .
Ich glaube, an dieser Diskussion über CETA wird sich
entscheiden, ob wir in der Lage sind, die Dinge den Menschen wirklich nahezubringen, aber mit Argumenten und
nicht mit Parolen .
({12})
Ich kann nur eine Überschrift aus einer Zeitung von heute
zitieren: „Mitsprache nach Stimmungslage“ - Fragezeichen . Die Zukunft wird zeigen, ob die Zeitung recht hat .
Vielen Dank .
({13})
Vielen Dank, Herr Lämmel . - Nächster Redner: Klaus
Barthel für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir wären nicht hier, um zu
diskutieren, wenn wir diese Abkommen, auch CETA, um
das es heute gehen soll, nicht auch differenziert betrachten würden . Das fehlt mir in der Debatte etwas . Die einen
werben mit großem Einsatz dafür, und die anderen argumentieren dagegen; die Argumente sind ganz widersprüchlich .
Auch bei uns in der Sozialdemokratie und in der Gewerkschaftsbewegung gibt es erhebliche Bedenken gegen bestimmte Formulierungen, die darin enthalten sind .
Wir haben jetzt die Möglichkeit, weil wir endlich eine
deutsche Fassung haben, uns gründlich damit zu beschäftigen, was es zum Beispiel auf sich hat mit gerechter und
billiger Behandlung - „fair and equitable treatment“ -,
mit legitimen Erwartungen von Investoren, mit legitimen
Politikzielen, was vom „right to regulate“ übrig bleibt,
warum man in so einem Abkommen überhaupt braucht,
was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist . Wir werden hinterfragen, wie es sein kann, dass Investorenrechte
mit Schiedsgerichtbarkeit geschützt werden, während es
mit der Durchsetzung von Umweltstandards, Arbeitnehmerrechten und Nachhaltigkeit so schwierig ist . Wir werden den Negativlistenansatz hinterfragen, dass es nämlich heißt „Liberalisierung generell“ und dann Hunderte
von Seiten mit Ausnahmen kommen .
Also, Diskussionsbedarf gibt es da genug, und wir
sollten uns jetzt dieser inhaltlichen Debatte stellen und
wirklich schauen, was darin steht . Dazu haben wir jetzt
genügend Gelegenheit . Deswegen will ich das Verfahren
noch einmal deutlich machen; denn hier werden tatsächlich Popanze aufgebaut, die der Sache nicht gerecht werden .
Wir haben heute im Wirtschaftsausschuss diskutiert,
wie das alles weitergeht . Es ist deutlich geworden, dass
sich der Deutsche Bundestag in einem zweistufigen
Verfahren damit befassen wird, nämlich einmal vor der
Befassung durch die Europäischen Räte und durch das
Europäische Parlament . Die Bundesregierung hat hier zu
Protokoll gegeben - ich will das zitieren -:
Die Bundeskanzlerin und Bundesminister Gabriel
haben deutlich gemacht, dass ein Votum des Bundestags vor der Beschlussfassung im Rat aus Sicht
der Bundesregierung wünschenswert wäre . Die
Bundesregierung wird dem Bundestag eine Stellungnahme ermöglichen, indem sie ihn gemäß ihrer
gesetzlichen Verpflichtungen
- das ist Artikel 23 Grundgesetz weiter frühestmöglich und fortlaufend über die Beratungen zu CETA und den weiteren Zeitplan unterrichtet . Die Ausgestaltung der parlamentarischen
Befassung mit CETA liegt in der Organisationshoheit des Deutschen Bundestags und kann nicht
durch die Bundesregierung festgelegt werden .
Deswegen haben wir heute im Wirtschaftsausschuss
noch einmal eine Anhörung beschlossen, und wir werden
dann in den Gremien, in den verschiedenen Ausschüssen und sicherlich auch im Plenum beraten, bevor es zu
Entscheidungen auf europäischer Ebene kommt . Wer das
noch einmal nachlesen will, findet in Artikel 23 Absatz 2
und 3 des Grundgesetzes, welche Rechte der Bundestag
hier hat . Dazu braucht man hier keinen Popanz - von wegen Geheimnistuerei, am Parlament vorbei usw . - aufzubauen . Das ist alles ganz transparent . Deswegen: Hören
Sie endlich damit auf, und diskutieren Sie über den Inhalt!
Wir sagen aber auch dazu, dass es rechtliche Regelungen gibt, die eben auf europäischer Ebene zu entscheiden
sind . Wir müssen damit aufhören, so zu tun, als wäre das
Europäische Parlament keine demokratisch legitimierte
Veranstaltung .
({0})
Die haben darüber zu entscheiden . So ist es nun einmal .
Dafür werden sie gewählt . Das kann man nicht dadurch
entwerten, dass man ständig so tut, als wären nur wir hier
demokratisch legitimiert und könnten dazu irgendetwas
entscheiden .
Die zweite Stufe wird dann nach der Entscheidung der
europäischen Gremien ein Ratifizierungsgesetz sein, das
die Bundesregierung dem Parlament vorlegt . Wir haben
dafür gesorgt, dass es ein solches Verfahren gibt und dass
sich hiermit der Deutsche Bundestag und auch der Bundesrat sorgfältig befassen können .
Ich will aber auch sagen: Wir machen das nicht als
Selbstzweck . Ich glaube, man kann schon sehen, dass
sich dort auch etwas bewegt hat . Es ist eben nicht mehr mit Verlaub, Kollege Fuchs - dieselbe Fassung des Vertrags wie im November 2014, sondern da hat es wesentliche Veränderungen gegeben . Das ist ein Riesenerfolg aus
einem gesellschaftlichen und demokratischen Beratungsprozess heraus . Den sollten wir nicht einfach unter den
Tisch fallen lassen .
({1})
Zu den Schiedsgerichten ist ja schon gesagt worden,
dass es keine privaten Schiedsgerichte mehr gibt . Aber
einen Punkt will ich schon noch erwähnen: Ich glaube
nicht, dass jetzt in Kanada Gesetzgebungsverfahren laufen würden, die ILO-Kernarbeitsnormen umzusetzen Verbot von Kinderarbeit und volle Wiederherstellung der
Gewerkschaftsrechte gegenüber den Anschlägen, die die
konservative Regierung gegen die Gewerkschaften in
Kanada gemacht hat -, wenn es nicht den Druck aus diesen Verhandlungen über CETA und über internationale
Handelsverträge gäbe .
({2})
Ich glaube, auf diesem Weg muss man weitergehen .
Und da sind solche Verträge, solche Fair-Handelsverträge, wie wir sie anstreben, ein Weg, um international
vorwärtszukommen . Wer diesen Weg nicht beschreiten
will, vergibt eine riesige Chance bei der Gestaltung der
Globalisierung .
Danke, Frau Präsidentin .
({3})
Bitte, Herr Kollege . Danke schön, Klaus Barthel .
Der nächste Redner ist Hansjörg Durz für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Die EU-Kommission hat am gestrigen Tag zweifellos
eine wichtige und bemerkenswerte Entscheidung gefällt . Nach dem Vertrag von Lissabon - Kollege Pfeiffer
hat vorhin darauf hingewiesen - war die Kommission
ermächtigt, das Freihandelsabkommen mit Kanada zu
verhandeln, und wurde dazu mit einem starken Mandat
durch die Mitgliedstaaten ausgestattet . Nun haben wir
seit einiger Zeit das Verhandlungsergebnis vorliegen . In
Kürze wird uns die deutsche Übersetzung vorgelegt werden, und in den nächsten Monaten wird sich der Bundestag mit dem Text auseinandersetzen .
Ganz unabhängig von der rechtlichen Frage, ob es sich
bei CETA um ein gemischtes oder um ein EU-only-Abkommen handelt - diese Auseinandersetzung und intensive Befassung des Deutschen Bundestages wäre ohnehin erfolgt und dringend notwendig, einerseits wegen
unserer Beteiligungsgesetze und andererseits, weil wir es
zum Teil mit einer zutiefst verunsicherten Bevölkerung
zu tun haben, deren Verunsicherung in hohem Maße auf
Fehlinformationen und Vorurteilen beruht .
({0})
Daher halte ich es neben der nun geklärten rechtlichen Frage vor allem für politisch zwingend erforderlich,
den Bürgerinnen und Bürgern in unserer Eigenschaft als
Volksvertreter zu erklären, warum es als Bundesrepublik
Deutschland sinnvoll und in unserem ureigenen Interesse
ist, für freien Handel einzutreten .
({1})
Würden wir nicht so verfahren, würden wir die intensive
öffentliche Debatte einfach ignorieren und damit genau
jenen Vorurteilen Vorschub leisten, die einer technokratischen Entrücktheit und Bürgerferne der politischen Klasse das Wort reden .
Stattdessen lohnt es sich, nach dem, was mir bisher
bekannt ist, sich für den Abschluss des Abkommens offensiv einzusetzen . Wir müssen den Bürgerinnen und
Bürgern die Verunsicherung nehmen und verdeutlichen:
Wir haben es bei CETA mit einem guten Verhandlungsergebnis zu tun . Das müssen wir erklären, und das können
wir auch erklären .
({2})
Ich möchte drei Beispiele herausgreifen, um zu verdeutlichen, was bei CETA erreicht werden konnte; es ist
zum Teil schon erwähnt worden .
Erstens . Die EU hat sich mit Kanada darauf geeinigt,
technische Handelshemmnisse abzubauen, die den gegenseitigen Handel behindern . Der Mechanismus zur
gegenseitigen Konformitätsbewertung wird bestehende
technische Handelsbarrieren abbauen . Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen werden von der
neuen Regelung profitieren und leichter auf dem kanadischen Markt Fuß fassen . Ausfuhrabgaben oder sonstige Beschränkungen werden zudem untersagt . Besonders
unsere Elektroindustrie und der Maschinenbau werden
von CETA profitieren.
({3})
Zweitens . CETA stellt den Schutz der öffentlichen
Dienstleistungen und damit der Daseinsvorsorge sicher .
Die öffentliche Versorgung mit Wasser, Energie, Bildung
oder Gesundheitsleistungen liegt weiterhin in der Hand
der Mitgliedstaaten . CETA schränkt die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht darin ein, Maßnahmen im öffentlichen
Interesse zu ergreifen . CETA beinhaltet zudem keine
Verpflichtung zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen; auch Rekommunalisierungen sind mit CETA
weiterhin möglich .
({4})
Drittens . Es ist gelungen, mit Kanada eine Einigung
auf ein reformiertes System zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zu erzielen; das ist schon mehrfach
angeklungen . Es handelt sich eben nicht um die alten
Schiedsgerichte, sondern um ein sehr innovatives Konzept . Private Schiedsgerichte gehören damit der Vergangenheit an .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Freihandel ist gerade für Deutschland von überragender Bedeutung . Ein Blick auf die einschlägigen Statistiken verdeutlicht dies . Sie zeigen, in welch hohem Maße die deutsche
Wirtschaft exportorientiert und damit auch exportabhängig ist . Schon der Aufstieg der deutschen Wirtschaft vor
bald 200 Jahren war untrennbar mit der Schaffung von
Freihandelszonen und Zollunionen verbunden . Gleiches
galt später für die Wirtschafts- und Währungsunion, und
heute hängt jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland am
Export .
Nun stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter . Die globalen Kräfteverhältnisse werden neu bestimmt . Neue Akteure formieren sich, und neue Allianzen
werden gebildet . Welches Gewicht hat die EU gegenüber
Ländern wie China und Indien in Zukunft? Von den Kritikern des Abkommens höre ich dazu keine konstruktiven Vorschläge . Wir müssen unsere Handelsbeziehungen
ausweiten und pflegen, um langfristig wettbewerbsfähig
zu bleiben . Eine Exportnation braucht Märkte .
Das Freihandelsabkommen mit Kanada ist eine große Chance für Deutschland wie die gesamte EU, sich
in diesem Geflecht neu zu positionieren. CETA bildet
dafür einen modernen Rahmen, um unsere hohen europäischen Standards zu Weltstandards auszuweiten . Mit
CETA können wir weltweit neue Maßstäbe für Freihandelsabkommen setzen . Wir müssen und wir werden uns
in den nächsten Monaten sachlich mit den tatsächlichen
Inhalten von CETA auseinandersetzen, und dabei werden
wir unsere Bevölkerung mitnehmen und verdeutlichen,
weshalb es eine gute Idee ist, auf Freihandel zwischen
Europa und Kanada zu setzen .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Hansjörg Durz . - Der nächste Redner:
Dirk Wiese für die SPD .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich glaube, als wir in der vergangenen Woche
das Statement von Jean-Claude Juncker in Brüssel gehört
haben, ist der eine oder andere fassungslos geworden .
Man muss das einmal deutlich sagen . Ich habe gedacht,
dass die Zeiten von Karel De Gucht in Brüssel der Vergangenheit angehören, aber diese Aussage hat der ganzen
Debatte Schaden zugefügt . Ich bin Sigmar Gabriel dankbar, dass er umgehend reagiert hat und deutlich gemacht
hat, dass dieses Verhalten nichts anderes als töricht war
und nicht hinnehmbar gewesen ist .
({0})
Ich will auf die Pressekonferenz von Cecilia
Malmström eingehen, die sie am gestrigen Tage gehalten
hat . Wir haben uns alle darüber gefreut, dass sie die Abkehr von der ursprünglichen Äußerung von Jean-Claude
Juncker deutlich gemacht hat, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt . Allerdings hat Malmström
in einem Punkt unrecht . Sie hat gesagt: Rechtlich ist es
ein EU-only-Abkommen, aber aus politischen Gründen
würde sie ein gemischtes Abkommen vorlegen . - Nein,
Frau Malmström, das ist falsch . Es ist auch rechtlich eindeutig ein gemischtes Abkommen .
({1})
Das hat die Rechtsauffassung des Juristischen Dienstes bestätigt, das haben Gutachter für das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt und das haben auch Vertreter der EU-Kommission in Anhörungen bestätigt, die
wir im Wirtschaftsausschuss bereits durchgeführt haben .
Ich will auch deutlich machen: Es gibt ein Verfahren
EU-Singapur, wo diese Frage geklärt werden soll . Dieses Verfahren - das hat Cecilia Malmström eindeutig im
Wirtschaftsausschuss gesagt - hat keinen Einfluss auf
irgendwelche Einstufungen der Zuständigkeiten im Rahmen EU-Kanada . Egal wie der EuGH im nächsten Jahr
in dieser Frage entscheidet: Das Abkommen EU-Kanada
ist ein gemischtes Abkommen . Diese Position ist auch
rechtlich fundiert .
({2})
Ich war auch ein bisschen erstaunt, Herr Pfeiffer - hier
muss ich Sie heute kritisieren -, dass Sie letzte Woche
entgegen allem juristischen Sachverstand gesagt haben,
dass Juncker recht habe . Das ist falsch . Ich hoffe, dass
Sie diese Position noch einmal überdacht haben .
({3})
Das hat sich heute an der einen oder anderen Stelle noch
einmal dargestellt .
Wir als Bundestag werden uns jedenfalls die Zeit
nehmen, diesen Prozess zu begleiten, zu entscheiden, zu
beraten . Das halte ich auch für richtig . Für die SPD-Bundestagsfraktion will ich noch einmal deutlich machen:
Was ist, wenn wir zur Frage des vorläufigen Inkrafttretens kommen? Darum spielt das gemischte Abkommen
eine so wichtige Rolle . Die Zuständigkeiten, die in die
mitgliedstaatliche Kompetenz fallen, können nicht vorläufig in Kraft treten. Zu diesen Punkten gehören eindeutig die Regelungen des gesamten Investitionsschutzkapitels, weil es eine Differenzierung gibt zwischen
Portfolioinvestitionen und Direktinvestitionen . Hier sind
mitgliedstaatliche Kompetenzen berührt . Darum wird bei
einem vorläufigen Inkrafttreten, wenn es im Herbst dazu
kommen sollte, die Schiedsgerichtsbarkeit nicht davon
betroffen sein. Sie wird nicht vorläufig in Kraft treten.
Bis sie in Kraft tritt, bedarf es einer Entscheidung des
Deutschen Bundestages, also von uns allen . Darauf werden wir auch hinarbeiten .
({4})
Ich bin ein bisschen erstaunt darüber - ich habe gestern
die Presselandschaft interessiert verfolgt und geschaut,
wer sich alles geäußert hat -, wo die Stellungnahmen des
hessischen Wirtschaftsministers Tarek Al-Wazir und des
baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried
Kretschmann sind .
({5})
Schweigen im Walde . Ich verstehe auch nicht die Position der Grünen, die hier vorgetragen wurde . Alle, die sich
für die Spitzenkandidatur der Grünen bewerben, haben
sich hier geäußert . Aber warum haben Sie denn nicht auf
die Anfragen von Campact reagiert? Warum schweigen
Sie denn? Warum beantworten Sie die Fragen von Campact nicht, wenn Sie als Grüne vermeintlich eine klare
Haltung haben? Nein zu CETA . Nein, das ist bei Ihnen
nicht der Fall . Sie haben gar keine klare Haltung zu diesem Abkommen, weil Ihre Länderminister im Bundesrat
zustimmen werden .
({6})
Der zweite Punkt, der mich gerade sprachlos gemacht
hat: Herr Trittin, ich weiß nicht, ob Sie jetzt auch Ihren
Hut in den Ring werfen für die grüne Spitzenkandidatur .
Sie haben davon gesprochen, dass die regulatorische Kooperation im CETA-Abkommen dazu führt, dass Standards abgesenkt werden . Jetzt, wo wir den deutschen Text
haben und man kein Gutachten mehr lesen muss, das die
eigene Meinung bestätigt, können wir am Text arbeiten .
Die regulatorische Kooperation im CETA-Abkommen
ist auf rein freiwilliger Basis . Die Amerikaner würden
niemals unterschreiben, was in diesem Abkommen steht .
Wenn es um die Frage der Standards geht, dann geht es in
diesem Punkt nicht um die Frage der Standardabsenkung;
denn Sie haben Umweltstandards abgesprochen . Darum
geht es an diesem Punkt nicht . Ich bin auch erstaunt, dass
Sie heute Ihre Stimme erheben . Ich habe gerade einmal
nachgeschaut . Als Sie Bundesumweltminister gewesen
sind, sind Handelsabkommen mit Chile, Ägypten, Jordanien, Mazedonien, Mexiko, Marokko und San Marino
abgeschlossen worden . Sie haben nie etwas gesagt . Ich
glaube nicht, dass in diesen Ländern die Standards durch
diese Abkommen gestiegen sind . Darum sollten Sie vielleicht an der einen oder anderen Stelle mal überlegen,
warum man sich heute so äußert, wenn man damals anders gehandelt hat .
({7})
Ich nehme die Anregung von Frau Dröge sehr gerne
auf . Ich hoffe, dass Sie dann beim nächsten Mal einen
sachlichen Beitrag zum Text leisten und nicht wieder das
Übliche sagen, was Sie in allen Versammlungen sagen .
Zum Abschluss müssen wir feststellen, dass wir zwei
Grundsätze in den Debatten der nächsten Monate nicht
auflösen können. Der erste Grundsatz: Zwei Juristen,
drei Meinungen . Zweiter Grundsatz: Wir bekommen
morgens ein Gutachten auf den Tisch, das besagt: „Links
abbiegen!“, und nachmittags sagt ein anderes Gutachten:
„Rechts abbiegen!“ .
({8})
Das werden wir nicht auflösen können.
Trotzdem freue ich mich auf die intensive Debatte
über den deutschen Text in den nächsten Wochen und
Monaten . Ich hoffe, dass Sie dann auch einmal inhaltlich
dazu reden werden .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Dirk Wiese . - Der letzte Redner in der
Aktuellen Stunde: Dr . Matthias Heider für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Als letzter Redner
in der Aktuellen Stunde hat man immer die Gelegenheit, Revue passieren zu lassen, worum es eigentlich
ging . Weil die Opposition bis gestern noch der Annahme
war, dass der Bundestag an der Abstimmung über das
CETA-Abkommen nicht beteiligt werden würde,
({0})
haben die Linken diese Aktuelle Stunde beantragt . Das
war heute falsch, das war gestern falsch, und das war
auch in der letzten Woche schon falsch .
({1})
Denn die Bundeskanzlerin hat schon in der letzten Woche eindeutig gesagt, dass sie ein Votum des Bundestages
über CETA einholen möchte, und das noch bevor der Rat
im Herbst über CETA entscheidet .
({2})
Seit gestern wissen wir, dass die EU-Kommission
CETA als ein gemischtes Abkommen behandelt . Das ist
für Juristen jetzt nicht so ganz überraschend, wenngleich
es da auch die ein oder andere abweichende Rechtsmeinung geben mag . Man könnte annehmen, liebe Opposition, Kollege Ernst von den Linken, damit wären Sie
jetzt zufriedengestellt - Thema erledigt . Aber nein, jetzt
kochen Sie das nächste Thema hoch:
({3})
die vorläufige Anwendbarkeit dieses Abkommens.
({4})
Ich will Ihnen an dieser Stelle einmal sagen, auch angesichts der fragwürdigen Anmerkungen des Kollegen
Ulrich zu den Aufgaben frei gewählter Abgeordneter:
Was Sie hier heute im Deutschen Bundestag mit der von
Ihnen beantragten Aktuellen Stunde machen, das ist eher
wie im Schnellrestaurant - reingehen, irgendetwas bestellen, zweimal fünf Minuten kurz Dampf ablassen und
dann rausgehen und draußen schlecht über das Essen reden . Genau so ist es .
({5})
„Draußen schlecht über das Essen reden“ bedeutet: Sie
verunsichern die Bürger .
({6})
Sie versuchen, die Chancen der deutschen Landwirtschaft, der deutschen Industrie und des deutschen Handwerks zu beschädigen .
({7})
Sie versuchen - das ist mir besonders wichtig -, Europa
auseinanderzudividieren . Das ist das Problem .
({8})
Was verbirgt sich jetzt eigentlich hinter dem Thema
der vorläufigen Anwendbarkeit? Nichts anderes als etwas, was bei Abkommen der EU mit Drittstaaten gängige
Praxis ist .
({9})
Die vorläufige Anwendbarkeit eines Abkommens bedeutet, dass die Teile eines Abkommens, für die die EU
originär zuständig ist, bereits vor der Entscheidung über
das Abkommen durch die Mitgliedstaaten angewendet
werden können . Das ist geltendes Recht des Lissaboner
Vertrages, den Sie ja ablehnen; Artikel 218 Absatz 5 sollten Sie trotzdem mal nachlesen .
Ein demokratisches Problem - so haben Sie es dargestellt - sehe ich dabei nicht; denn die Möglichkeit, ein
Abkommen für vorläufig anwendbar zu erklären, ist so
in diesem Vertrag geregelt . Wir Parlamentarier haben
die Möglichkeit, dazu im Herbst Stellung zu nehmen .
Wir werden hier im Deutschen Bundestag noch vor dem
Ratsbeschluss im Herbst einen Antrag zu CETA und zur
vorläufigen Anwendbarkeit beschließen. Damit geben
wir der Regierung unsere Vorstellungen vom Abkommen
mit auf den Weg. Zusammen mit dem Ratifizierungsverfahren bedeutet das sogar eine doppelte parlamentarische
Befassung unseres Hauses. Zudem wird die vorläufige
Anwendbarkeit natürlich auch vom Europäischen Parlament beschlossen, also gleich dreimal . Und dann sagen
Sie noch mal, das Verfahren bei CETA wäre nicht parlamentarisch legitimiert . Das nimmt Ihnen doch keiner ab .
({10})
Egal wie über die juristischen Fragestellungen entschieden wird, wir Parlamentarier werden die Möglichkeit haben, uns für dieses Abkommen auszusprechen . Das ist
auch richtig .
CETA ist ein gutes Abkommen . Es wird in Deutschland und in Europa zu wirtschaftlichem Wachstum, zu
Beschäftigung und zu sinkenden Preisen führen . Es wird
Arbeitsplätze sichern, und es wird vor allen Dingen die
partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Kanada weiter
fördern . Wenn CETA erfolgreich abgeschlossen ist, dann
fallen Zölle, es fallen nichttarifäre Handelshemmnisse,
und der Marktzugang für kleine und mittlere Unternehmen wird dadurch stark verbessert .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kanada und Europa
verbindet mehr . Uns verbinden gemeinsame Werte; ich
sage das mit Blick auf die etwas antiamerikanischen Haltungen, die gerade durchschimmerten .
({11})
Auch politisch setzen wir ein richtiges Signal . Wir bündeln unsere Märkte und setzen damit auf gemeinsame
Standards für die Zukunft . Lassen Sie uns deshalb dafür eintreten, dass CETA erfolgreich verabschiedet wird .
Lassen Sie uns der Bundesregierung im Herbst ein Ja
mit auf den Weg geben . Lassen Sie uns vor allen Dingen
dafür sorgen, dass etwas Positives für Deutschland und
für Kanada entsteht und dass Europa mit einer Stimme
spricht .
Vielen Dank .
({12})
Vielen Dank, Dr . Heider . - Damit ist die Aktuelle
Stunde beendet .
Ich darf die Kolleginnen und Kollegen bitten, für den
nächsten Tagesordnungspunkt, den ich jetzt aufrufe, die
Plätze einzunehmen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts
Drucksache 18/8963
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Erste Rednerin ist Manuela
Schwesig für die Bundesregierung .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Ich freue mich, dass wir vor
der parlamentarischen Sommerpause den Entwurf eines
Gesetzes zur Reform des Mutterschutzrechts beraten .
Diese Reform ist wichtig . Wir wollen den Mutterschutz
stärken . Wir wollen werdende Mütter und Mütter, die es
gerade geworden sind, besser schützen . Wir wollen den
Mutterschutz ausweiten, verbessern, und wir wollen ihn
auch modernisieren; denn das Mutterschutzgesetz ist aus
dem Jahr 1952, und seit 1952 hat sich die Arbeitswelt
natürlich massiv verändert . Deshalb ist es wichtig, auf
die neuen Bedingungen Rücksicht zu nehmen .
Mir sind drei Punkte bei diesem Gesetz besonders
wichtig .
Erstens . Wir verbessern den Mutterschutz für Mütter
mit Kindern mit Behinderung . Sie werden zukünftig länger Mutterschutz beanspruchen können . Ich glaube, wir
sind uns alle einig, dass eine solche Situation eine besondere Herausforderung darstellt . Es ist daher gut, dass
Mütter mehr Schutz erhalten .
Zweitens . Zukünftig können auch Studentinnen und
Praktikantinnen, die bisher nicht von diesem Gesetz profitiert haben, Mutterschutz in Anspruch nehmen. Das ist
für diese Frauen ebenso wichtig wie für andere .
Drittens. Wir wollen Regeln finden, die verhindern,
dass Frauen, wie das derzeit der Fall ist, Arbeitsverbote auferlegt bekommen, die sie eigentlich nicht wollen .
Gleichzeitig müssen wir dafür Sorge tragen, dass Lockerungen nicht ausgenutzt werden .
Ich möchte ein Beispiel aus dem Gesundheitswesen
nennen . Immer mehr Frauen, die im Gesundheitsbereich
arbeiten, gerade junge Ärztinnen, sagen: Kaum bin ich
schwanger, bekomme ich ein Arbeitsverbot, und das will
ich gar nicht . Deshalb sollen Arbeitgeber zukünftig viel
genauer die Situation betrachten und gemeinsam mit der
Frau beraten: Was ist denn die konkrete Gefährdungssituation? Kann man sie beseitigen? Wie kann man das
regeln? Wir wollen nicht, dass Frauen durch ein Gesetz
eingeengt werden, aber wir wollen, dass der Schutz auch
weiterhin gewährleistet wird .
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich hatte das große Glück, in den letzten Monaten selbst noch
einmal im Mutterschutz zu sein . Ich habe wieder erlebt,
wie wichtig die Zeit ist, bevor das Kind zur Welt kommt,
aber insbesondere, wie wichtig es ist, dass man, wenn das
Kind da ist, gemeinsame Zeit hat . Dieser Schutz dient
der Mutter, aber insbesondere natürlich zunächst dem
ungeborenen und dann dem neugeborenen Leben . Es
ist eine große Errungenschaft, dass dieses Gesetz 1952
eingeführt worden ist . Deshalb ist es wichtig, dass wir
am Mutterschutz festhalten und jetzt den Mutterschutz
weiter verbessern .
Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen
und hoffe, dass wir dieses Gesetz zügig verabschieden
können, damit die zukünftigen Mütter in unserem Land es werden ja zum Glück immer mehr Kinder geboren;
auch das ist eine gute Nachricht - noch mehr Schutz bekommen .
Zum Abschluss möchte ich mich ganz persönlich dafür bedanken, dass Sie alle es unterstützt haben, dass ich
als Ministerin eine persönliche Auszeit nehmen konnte .
Das ist im politischen Betrieb nicht selbstverständlich .
Selbst von der Opposition - ich darf an dieser Stelle Frau
Dr . Brantner erwähnen - gab es öffentlich positive Rückendeckung in der Form, dass sie gesagt hat, dass es
richtig ist, dass die Familienministerin im Mutterschutz
Anrecht auf eine Auszeit hat und sich nicht zu Wort melden muss . Das fand ich sehr positiv . Ich glaube, es ist
wichtig, dass wir Politiker nicht nur über die Dinge reden, sondern sie auch gemeinsam tun . In diesem Sinne
sei es mir erlaubt, zum Schluss dieses persönliche Dankeschön auch für meine Mutterschutzzeit zu sagen .
({0})
Vielen Dank, Manuela Schwesig . - Nächste Rednerin:
Sabine Zimmermann für die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll - das
sagt zumindest die Bundesregierung - der bestmögliche
Gesundheitsschutz für schwangere und stillende Frauen
gewährleistet werden . Sagen Sie einmal, meine Damen
und Herren von der Regierung, und auch Sie, Frau Ministerin Schwesig, meinen Sie das wirklich ernst? Ich
habe da so meine Zweifel . Ich will Ihnen auch erklären,
warum: Kürzlich haben Sie der Rechtsverschärfung für
Alleinerziehende im Hartz-IV-Bezug zugestimmt .
({0})
Dass es nicht dazu gekommen ist und dieses Thema erst
einmal abgesetzt worden ist, haben wir nur dem massiven Protest der Verbände und der Linken zu verdanken .
({1})
Jetzt wollen Sie den Mutterschutz für schwangere und
stillende Frauen lockern . Da versteht man doch die Welt
nicht mehr, wenn Sie den alltäglichen Überlebenskampf
von Alleinerziehenden noch schwerer machen wollen und schwangere und stillende Frauen noch weniger
schützen wollen . Was Sie hier machen, ist ein Angriff auf
die Mütter und unsere Kinder . Sie sollten sich schämen,
so etwas hier in den Bundestag einzubringen .
({2})
Nun werden Sie sagen, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beziehen Sie Schülerinnen, Studentinnen und
Praktikantinnen in den Mutterschutz ein . Ich sage Ihnen:
Das war schon längst notwendig und überfällig .
({3})
Gleichzeitig schaffen Sie aber - hören Sie mir bitte einmal zu - bestehende Schutzvorschriften faktisch ab . Das
Verbot der Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit soll nach
Ihren Vorstellungen nämlich dann nicht mehr gelten,
wenn die Frau sich ausdrücklich dazu bereit erklärt . Man
fragt sich ja: Welchen Bezug haben Sie zur Lebenswirklichkeit? Was glauben Sie denn, wie eine junge Frau, die
von ihrem Job abhängig ist, auf die Frage ihres Chefs
reagieren wird, ob sie denn ausnahmsweise eventuell
spätabends oder am Feiertag arbeiten würde? Sie hat
doch gar keine Alternative . Sie wird natürlich diesem
Ansinnen zustimmen .
Dem Chef vehement zu widersprechen, das wird wohl
die absolute Ausnahme sein, sofern der Chef überhaupt
fragt und die Freiwilligkeit im Gesetz nicht ohnehin als
Freibrief ansieht .
({4})
Diese angebliche Verbesserung ist nichts anderes als eine
Aufweichung von Schutzvorschriften . Und das ist mit
der Linken nicht zu machen .
({5})
Das ist Handeln getreu dem Motto: Wenn die Beschäftigte sich vermeintlich freiwillig bereit erklärt, ist alles
erlaubt .
({6})
Und das aus einem sozialdemokratisch geführten Hause!
Das macht einen wirklich fassungslos .
Aber es geht noch weiter: Faktisch wollen Sie eine
Unterscheidung in unverantwortbare und verantwortbare
Gefährdung für schwangere und stillende Frauen einführen . Entweder ist eine Arbeit gefährdend, oder sie ist es
nicht . Der Begriff „unverantwortbar“ lässt doch mehr offen, als er tatsächlich regelt . Das geht zulasten des Schutzes von schwangeren und stillenden Frauen . Auch das ist
für die Linke völlig inakzeptabel .
({7})
Meine Damen und Herren, seit Jahren wird auf europäischer Ebene über die Ausweitung des Mutterschutzes
diskutiert. Deutschland befindet sich mit seinen Regelungen im Vergleich zu anderen EU-Staaten am unteren Ende . Deutschland hat auch immer einen längeren
Mutterschutz blockiert . Dabei zeigen Studien, dass ein
längerer Mutterschaftsurlaub die Wiedereinstiegsquote
ins Berufsleben fördert und Frauen gestärkter und motivierter wieder arbeiten gehen . Sie zeigen auch, dass ein
verbesserter Mutterschutz bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hilft . Außerdem steigert er die Chancen
von Frauen im Berufsleben .
Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen: Nutzen Sie die Sommerpause, um sich vor allen Dingen mit
einer echten Stärkung des Mutterschutzes zu beschäftigen, sofern Sie das wirklich möchten . Ich kann nicht erkennen, dass das bislang der Fall ist .
Danke schön .
({8})
Vielen Dank, Sabine Zimmermann . - Nächste Rednerin: Bettina Hornhues für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! In dieser Legislaturperiode haben wir bereits viele wichtige familienpolitische Themen und Vorhaben umgesetzt . Nun kümmern
wir uns um ein weiteres Ziel aus unserem Koalitionsvertrag: die Novellierung des Mutterschutzgesetzes . Es
ist unbestritten, dass aus frauenpolitischer Sicht seit der
Entstehung des Gesetzes 1952 und einer ersten wichtigen
Reform im Jahre 1966 viel in unserer Gesellschaft passiert ist: Familienmodelle sind vielfältiger und flexibler
geworden, Frauen sind ein selbstverständlicher Bestandteil der Arbeitswelt, und die Arbeitswelt als solche hat
sich in den letzten 60 Jahren natürlich auch verändert .
Diesen Veränderungen müssen wir nun Rechnung tragen
und die schwangere und stillende Frau und ihr Kind bzw .
ihr ungeborenes Kind besser schützen .
Dies gelingt uns mit dem vorgelegten Gesetzentwurf
meiner Meinung nach ganz gut . Eines müssen wir uns ja
vor Augen halten: Das novellierte Mutterschutzgesetz ist
ein Gesetz für die Praxis . Sobald eine berufstätige Frau
von ihrer Schwangerschaft erfährt, kommen viele Fragen
auf, gerade bei jungen Frauen, die ihr erstes Kind erwarten . Aber nicht nur aufseiten der Arbeitnehmer, sondern
auch bei den Arbeitgebern bestehen bisher noch zu viele
Unsicherheiten im Umgang miteinander . Die alten Regelungen und Verordnungen waren undurchsichtig und für
viele schwer verständlich, was in der Praxis dazu geführt
hat, dass Frauen häufig voreilig aufgrund von Unsicherheit in das Beschäftigungsverbot geschickt worden sind
und der Arbeitgeber die Stelle nachbesetzt hat . An dieser
Stelle müssen wir nun nachbessern .
Um mehr Transparenz zu schaffen und Frauen eine
längere Teilhabe am Erwerbsleben auch während der
Schwangerschaft zu ermöglichen, wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf unter anderem die Verordnung zum
Schutze der Mütter am Arbeitsplatz in das Mutterschutzgesetz integriert . Dies ist ein erster großer Fortschritt,
womit die Regelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber sowie für die Aufsichtsbehörden klarer und
verständlicher werden .
Heutzutage wollen ja viele Frauen nicht neun Monate zu Hause sitzen, sondern auch während der Schwangerschaft ihrer gewohnten Arbeit nachgehen . Damit dies
funktionieren kann, müssen bestimmte Mechanismen
und Schutzmaßnahmen greifen, welche in dem neuen
Mutterschutzgesetz neu definiert werden.
So wurde beispielsweise der Begriff der „unverantwortbaren Gefährdung“ mit einer klaren Rangfolge der
Schutzmaßnahmen eingeführt . Dadurch wird der Schutz
Sabine Zimmermann ({0})
am Arbeitsplatz deutlich verbessert . Es werden frühzeitig Schutzmaßnahmen getroffen, um Unsicherheiten
zu vermeiden und Rechtssicherheit auf allen Seiten zu
schaffen . Die Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes
dient als Grundlage und hat nicht nur an dieser Stelle eine
zentrale Bedeutung .
({1})
Arbeitsschutz kann nur funktionieren, wenn die potenziellen Gefährdungen im Voraus definiert sind und so
für die Schwangere analysiert werden können . Wird nun
eine unverantwortbare Gefährdung festgestellt, definiert
das neue Mutterschutzgesetz eine klare Rangfolge von
Schutzmaßnahmen:
Erstens . Umgestaltung der Arbeitsbedingungen .
Zweitens . Ist dies nicht möglich, hat der Arbeitgeber
die Frau an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen .
Drittens . Erst dann, wenn die unverantwortbare Gefährdung weder durch Schutzmaßnahmen noch durch
einen Arbeitsplatzwechsel behoben werden kann, erfolgt
das individuelle Beschäftigungsverbot .
Frauen, die nun während ihrer Schwangerschaft arbeiten möchten, werden zukünftig nicht nur besser geschützt, sondern sie können ihre Arbeitszeit auch flexibler
und zeitgemäßer gestalten . Dabei achten wir ganz besonders auf die Einhaltung der besonderen Bedürfnisse einer
Schwangeren . Sollte einer Änderung der Arbeitszeiten
durch die Landesaufsichtbehörden zugestimmt werden,
geht das nicht mehr ohne ein ärztliches Attest, welches
die Unbedenklichkeit bestätigt .
Der neue Gesetzentwurf legt dabei ganz klar die
Selbstbestimmung der Frau in den Fokus, was eine moderne und zeitgemäße Familienpolitik widerspiegelt und
dabei einen verantwortungsvollen Gesundheitsschutz für
die schwangere und stillende Frau und ihr Kind sicherstellt . Als Politikerin, Frau und Mutter begrüße ich dieses
sehr .
Dazu trägt auch die Neueinrichtung eines Ausschusses für Mutterschutz bei . Zum einen wird er Arbeitgebern
und Behörden bei der Umsetzung der neuen Regelungen
helfen . Zugleich wird der Ausschuss im Sinne des Arbeitsschutzes sicherheitstechnische, arbeitsmedizinische
und hygienische Regeln zum Schutze der Frauen erstellen . Somit werden mögliche Gefährdungen von schwangeren und stillenden Frauen qualifiziert ermittelt und
begründet .
({2})
Zum anderen wird uns der Ausschuss im Rahmen seiner
Beratertätigkeit helfen, den Mutterschutz stetig weiterzuentwickeln und zu aktualisieren .
Wichtig ist, dass am Ende der parlamentarischen
Beratungen ein Gesetz vorgelegt wird, welches für die
Schwangeren und deren Arbeitgeber gleichermaßen klare Regeln für die weitere Zusammenarbeit vor, während
und direkt nach der Schwangerschaft setzt und Grundlage für eine offene Kommunikation ist . Damit schaffen
wir nicht nur die besten Voraussetzungen für einen zeitgemäßen Mutterschutz, sondern auch für einen gelungenen Wiedereinstieg in das Erwerbsleben .
Unsere Aufgabe ist es nun, erwerbstätige Frauen
während der Schwangerschaft und nach der Geburt des
Kindes bestmöglich zu schützen, damit sie sich auf die
wirklich wichtigen Dinge konzentrieren können und insbesondere auf die Geburt ihres Kindes .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank, Bettina Hornhues . - Nächste Rednerin:
Dr . Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen .
Danke, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Damen und
Herren! Wir diskutieren heute über die Reform des
Mutterschutzgesetzes, um es etwas zu entstauben . Zum
Glück kommt es zur Ausweitung des Geltungsbereichs
auf Schülerinnen, Studentinnen und Praktikantinnen, zur
Verlängerung der Schutzfrist bei der Geburt eines behinderten Kindes und zur Verlängerung der Kündigungsfrist
bei einer Fehlgeburt . Das sind wichtige Verbesserungen,
die auch den Bedürfnissen der aktuellen Situation entsprechen .
Bei den anderen Punkten, die wir jetzt schon diskutiert
haben, gibt es natürlich ein Ringen zwischen dem Schutz
und der Selbstbestimmung der Frau darüber, wann sie
wie viel arbeiten möchte . Es geht darum, das in einen
guten Einklang zu bringen . Für mich muss hier die Regel sein: Schwangerschaft ist keine Krankheit . Deswegen
muss erst einmal alles möglich gemacht werden, damit
die Frau weiter arbeiten kann .
({0})
Manche Unternehmen machen es sich heute häufig einfach und erteilen sofort ein Beschäftigungsverbot, obwohl es vielleicht durch Anpassungen möglich wäre,
eine Schwangere weiterhin zu beschäftigen . Andererseits
muss man aufpassen, dass die Regelungen nicht dazu
führen, dass viele Frauen am Ende vielleicht keine Wahl
mehr haben und sich gezwungen sehen, doch arbeiten zu
gehen . Hier muss eine entsprechende Balance eingehalten werden .
({1})
Ich finde es aber traurig, dass dieses Entstauben jetzt
national geschieht . Es gibt nämlich nicht nur in Deutschland ein Mutterschutzgesetz aus den 50ern, sondern auch
eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 1992 . Frau Reding,
die EU-Kommissarin, hatte mit ähnlichen Maßnahmen
wie denen, die wir jetzt hier auf dem Tisch haben, vorgeschlagen, diese auch einmal zu entstauben . Sie wollte
es vielleicht sogar noch etwas moderner machen; sie hat
nämlich erkannt, dass die Rolle der Partnerinnen bzw .
Partner nach der Geburt extrem wichtig ist, sie also da
sind - auch für die Gesundheit der Mutter; ich nenne nur
das Stichwort „postnatale Depression“ -, man nicht alleine ist . Deswegen sah die europäische Ebene auch etwas
für die Väter bzw . Partnerinnen nach der Geburt vor . Diesen Vorschlag auf europäischer Ebene haben die Vorgängerregierung und auch diese Regierung zusammen mit
der britischen Regierung über Jahre so blockiert, dass die
Kommission ihn zurückgezogen hat .
Weil wir in diesen Wochen immer viel über Europa
und den Brexit reden, möchte ich das hier doch noch
einmal ansprechen: Was war eines der Argumente dagegen? Es hieß immer, Mutterschutz, da ginge es bloß
um bürokratische Regelungen . Dazu sage ich ganz klar
Nein . Worum geht es wirklich? Ein guter Mutterschutz
ist natürlich eine Einschränkung der Arbeitskraft . Das ist
auch ein Kostenfaktor . In einem offenen Binnenmarkt
mit mobilem Kapital und mobilen Waren und nicht ganz
so flexiblen Menschen geht es darum, dass ein guter Mutterschutz kein Standortnachteil ist, dass die Unternehmen
nicht an die Orte mit einem schlechten Mutterschutz gehen, um davon zu profitieren.
({2})
Deswegen sind eine europäische Mutterschutzrichtlinie
und ein guter europaweiter Mutterschutz keine bürokratischen Regelungen, sondern Ausdruck eines sozialen
Europas .
({3})
Es ist sehr schade, dass wir es nicht geschafft haben,
in diesem Bereich für Millionen von Frauen europaweit
eine Verbesserung hinzubekommen, weil diese Initiative
aus Deutschland blockiert wurde . Es ist schön, dass wir
heute für die deutschen Frauen eine Verbesserung voranbringen . Ich würde mir wünschen, Frau Schwesig, dass
Sie, sobald wir dieses Gesetz verabschiedet haben, Brüssel anrufen und sagen: Übrigens, wir sind jetzt bereit, gemeinsam für ein stärkeres soziales Europa zu kämpfen,
für eine europaweite Modernisierung des Mutterschutzes . - Vielleicht werden auch wir dann noch ein bisschen
moderner und nehmen die Väter und Partnerinnen mit in
den Blick . Das könnte uns auch nicht schaden .
({4})
Vielen Dank, Franziska Brantner . - Die nächste Rednerin: Gülistan Yüksel für die SPD .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mutter werden und Mutter sein gehört für viele Frauen zu
den schönsten Erfahrungen im Leben . In Deutschland
genießen werdende Mütter zum Glück schon lange gesetzlichen Mutterschutz . Die Arbeitswelt und das Bild
von Frauen und Müttern am Arbeitsplatz haben sich aber
seit 1952 grundlegend verändert . Das seit fast 65 Jahren
geltende Mutterschutzgesetz kommt langsam ins Rentenalter . Wir als SPD-Fraktion begrüßen deshalb sehr,
dass Ministerin Schwesig die Modernisierung des Mutterschutzrechts in Angriff genommen und einen Entwurf
vorgelegt hat, der den Gegebenheiten einer modernen
Arbeitswelt gerecht wird .
({0})
Die geplanten Neuregelungen des Mutterschutzrechts
passen das Gesetz an den neusten Stand wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse an . Sie machen den
Mutterschutz übersichtlicher, transparenter und verständlicher . Das Gesetz stellt sich außerdem dem Anspruch,
die Akzeptanz für den Mutterschutz insgesamt zu steigern, Diskriminierung vorzubeugen und Teilhabe von
Frauen zu stärken . Gleichzeitig bleibt das oberste Ziel
der Gesundheitsschutz von schwangeren und stillenden
Frauen und ihren Kindern .
Sehr geehrte Damen und Herren, nach monatelanger
Blockade gilt der Mutterschutz nun erstmals auch für
Schülerinnen und Studentinnen; das ist ja hier schon
mehrmals erwähnt worden . Ich möchte mich bei unserer
Frauenministerin ausdrücklich bedanken, dass sie sich
dafür starkgemacht hat .
({1})
Weiterhin profitieren vom Mutterschutz nun auch arbeitnehmerähnliche Personen sowie Frauen mit Behinderung, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung
arbeiten, ebenso Auszubildende, Praktikantinnen, Teilnehmerinnen des Bundesfreiwilligendienstes und Entwicklungshelferinnen . Das ist gut und richtig; denn egal
ob Schülerin oder Chefin, egal in welcher Lebensphase
oder Lebenslage eine schwangere Frau sich auch befindet: In erster Linie ist sie werdende Mutter . Sie verdient
deshalb den bestmöglichen Schutz für sich und das ungeborene Kind .
({2})
Auch für selbstständige Frauen müssen Lösungen gefunden werden; das ist heute noch nicht erwähnt worden . Hier ist es aber mit einer einfachen Ausweitung des
Mutterschutzes nicht getan; denn diese Frauen brauchen
auch einen Ersatz für ihren Einkommensausfall während
der Schutzfristen . Wir sind auch hier im Gespräch und
versuchen, eine Lösung zu finden.
Eine weitere wesentliche Änderung, die schon von unserer Ministerin Schwesig angesprochen wurde, die auch
ich für sehr wichtig halte und die mir sehr am Herzen
liegt, ist die Verlängerung des Mutterschutzes von acht
auf zwölf Wochen für Mütter, die ein Kind mit Behinderung gebären . Gerade hier ist es wichtig, Frauen nicht
alleine zu lassen, sondern ihnen mehr Zeit und Ruhe für
sich und ihr Kind zu geben, damit sie die neue Situation
nicht als Belastung, sondern als Glück erleben .
Auch die Einführung eines Kündigungsschutzes von
vier Monaten nach einer Fehlgeburt, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche auftritt, ist von besonderer
Bedeutung . Die Bindung der Mutter an ihr ungeborenes
Kind ist bereits zu diesem Zeitpunkt sehr intensiv . Deshalb braucht die Frau in dieser für sie schwierigen Phase
mehr Zeit zur Regeneration und Verarbeitung .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen des veralteten Mutterschutzgesetzes kommt es verstärkt zu ungewollten Beschäftigungsverboten, was vor allem von
Frauen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, oft zu Recht
beanstandet wird . Denn viele Frauen möchten auch in
der Schwangerschaft ihrem Beruf nachgehen . Die klareren Vorgaben für Arbeitgeber bei der Beurteilung der
Arbeitsbedingungen sowie bei der Rangfolge der Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz vermeiden ein vorschnelles
Arbeitsverbot . Der neue Ausschuss für Mutterschutz - er
ist heute noch nicht erwähnt worden - beim Familienministerium wird hierbei Betriebe und Behörden mit seinen
Empfehlungen unterstützen und beraten .
Auch die neuen Regelungen zu Mehr- und Nachtarbeit
gewährleisten ein hohes Maß an Selbstbestimmung . Die
Regelungen werden branchenunabhängig und zeitgemäß
gefasst . Nachtarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit
bleiben auch weiterhin generell verboten, aber Frauen
dürfen nun auf ausdrücklichen Wunsch und bei der Erfüllung weiterer Voraussetzungen zwischen 20 und 22 Uhr
oder an Sonn- und Feiertagen arbeiten . Hier bekommen
Frauen mehr Mitsprache . Es muss aber klar sein, dass es
hier um den Wunsch der Frau geht und sie nicht unter
Druck gesetzt wird .
Die Kollegin Zimmermann sagte ja, dass die Schutzvorschriften ausgehebelt werden . Ich habe das noch einmal nachgelesen . Also: Die Frauen müssen ausdrücklich
dazu bereit sein, es muss ein ärztliches Attest vorgelegt
werden, und Alleinarbeit ist ausgeschlossen . Der Schutz
wird also nicht ausgehebelt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Berücksichtigung individueller Wünsche und Bedürfnisse von Frauen, gepaart mit dem obersten Ziel, dem Schutz der werdenden Mutter und des ungeborenen Lebens - das ist die
Stärke dieser Reform . Sie ermöglicht Flexibilität und
schafft mehr Transparenz . Sie nimmt eine verantwortungsvolle Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und
Erwerbstätigkeit vor .
Sehr geehrte Damen und Herren, die SPD steht für
eine zeitgemäße und wirksame Frauen- und Familienpolitik . Wir setzen uns für eine bessere Vereinbarkeit von
Mutterschaft, Familie und Beruf ein . Wir kämpfen für
gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Arbeitswelt, sei es bei der Frauenquote oder der Lohngerechtigkeit . Die Reform des Mutterschutzgesetzes ist dabei nur
ein wichtiger Baustein hin zu mehr Selbstbestimmung
und mehr Mitsprache . Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die bestmöglichen Voraussetzungen für die
vielfältigen Lebensentwürfe der Menschen zu schaffen!
Zum Vorteil der Frauen und ihrer Kinder, zum Vorteil der
Männer und zum Vorteil der ganzen Gesellschaft .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank, Kollegin Yüksel . - Nächster Redner:
Maik Beermann für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Schon beim Lesen einiger Vorschriften im
Mutterschutzgesetz wird eines sofort klar: Das Gesetz
ist schon etwas in die Jahre gekommen, und es wurde
langsam Zeit, insbesondere sprachlich, Veränderungen
vorzunehmen . Insofern ist es gut und wichtig, dass wir
das Gesetz in dieser Legislaturperiode grundlegend anpacken . Begriffe wie „Lustbarkeiten“ - ich musste erst
einmal nachlesen, was Lustbarkeiten mit Mutterschutz
zu tun haben - gehören dann nämlich der Vergangenheit
an .
Die ersten mutterschutzrechtlichen Vorschriften aus
dem Jahr 1878 sahen zum ersten Mal für Frauen ein sogenanntes Beschäftigungsverbot von drei Wochen nach
der Geburt ihres Kindes vor .
({0})
- Ich merke gerade, mit dem Begriff „Lustbarkeiten“
habe ich etwas Unbekanntes in die Debatte gebracht .
({1})
- Das machen wir gleich bilateral .
Nein, das machen wir nicht bilateral . Sie kriegen eine
Minute mehr Redezeit, wenn Sie es uns erklären .
Das machen wir nachher . - In einer Novelle der Gewerbeordnung wurde somit der Grundstein für den heute
bekannten Mutterschutz gelegt . Mit dem Mutterschutzgesetz vom 24 . Januar 1952 - wir haben es eben schon
gehört - ist wirklich ein Meilenstein geschafft worden .
Der Mutterschutz erhielt Einzug ins Grundgesetz, indem
in Artikel 6 jeder Mutter Schutz und Fürsorge garantiert
wird . Wichtige Schutzregeln, die bis heute unverändert
gelten, traten in Kraft .
Heute, über 60 Jahre später, in denen wir den Mutterschutz zwar kontinuierlich verbessert haben, wissen
wir aber auch, dass die Arbeits- und Lebensrealität nicht
mehr mit den Umständen von vor 60 Jahren übereinstimmen . Die Rolle und das Selbstverständnis von Frauen in
unserer Gesellschaft haben sich grundlegend verändert .
Was wir brauchen, ist eine verantwortungsvolle Abwägung zwischen dem Gesundheitsschutz für die stillende
oder schwangere Frau und ihr Kind auf der einen Seite .
Zugleich müssen wir aber auch Möglichkeiten schaffen,
dass Frauen selbstbestimmte Entscheidungen über ihre
Erwerbstätigkeit treffen können .
({0})
Dabei ist es unsere Intention, die Chancen der Frauen
zu verbessern und ihre Rechte zu stärken, damit sie ihrem
Beruf während der Schwangerschaft und Stillzeit ohne
Beeinträchtigung ihrer Gesundheit und der ihres Kindes
weiter nachgehen können . Die Gefährdungen einer modernen Arbeitswelt für Schwangere und stillende Mütter
stehen dabei ebenso im Fokus wie die mutterschutzrechtlichen Arbeitgeberpflichten.
Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig, das Gesetz an die heutige Zeit anzupassen - wie beim mutterschutzrechtlichen Nachtarbeitsverbot, das in der Zeit von
20 Uhr bis 6 Uhr besteht . Momentan kann eine werdende Mutter in den ersten vier Schwangerschaftsmonaten
in einzelnen Branchen, wie in der Schankwirtschaft
oder auch im Beherbergungswesen, ausnahmsweise bis
22 Uhr arbeiten .
({1})
Nach dem vierten Schwangerschaftsmonat ist eine Ausnahmegenehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde
notwendig, die überwiegend auch erteilt wird . Die Aufsichtsbehörde muss zwar die Frau anhören; ein ärztliches Attest ist bis dato jedenfalls noch nicht vorgesehen .
Künftig soll es möglich sein, dass eine werdende oder
stillende Mutter dann bis 22 Uhr tätig sein darf, wenn
sie sich - Frau Yüksel hat es eben schon gesagt - erstens
ausdrücklich dazu bereit erklärt, zweitens aus ärztlicher
Sicht nichts gegen die Beschäftigung spricht und drittens
eine Alleinarbeit ausgeschlossen ist . Mit diesen Kriterien
stellen wir hohe Hürden zum Schutz der Frau auf .
Behauptungen, der Arbeitgeber könne Druck auf die
Frau ausüben, um sie zur Arbeit nach 20 Uhr zu zwingen
oder zu bewegen, kann ich persönlich nicht nachvollziehen .
({2})
Wir haben hier sowohl das Schutzkriterium in Form der
Einbeziehung eines Arztes sowie die Aufsichtsbehörde
als Hüterin des Mutterschutzgesetzes, die jederzeit ihrerseits eingreifen kann .
({3})
Ich habe im Übrigen auch noch nicht davon gehört, dass
eine Frau in der vorgeburtlichen Mutterschutzfrist von
sechs Wochen vor der Geburt auf Druck des Arbeitgebers
hätte weiterarbeiten sollen . Ich bin davon überzeugt, dass
auch die Arbeitgeber den Schutz von Mutter und Kind
ernst nehmen; denn kein Arbeitgeber will sich vorwerfen
lassen, dass er Mutter und Kind bewusst einer Gefährdung ausgesetzt hat . Frau Kollegin Zimmermann, Politik
beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit, und wir
sollten hier nicht immer irgendwelche Generalverdachte
aussprechen .
({4})
Es gibt noch weitere Neuregelungen, die bereits in der
letzten Legislaturperiode von der damaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder angestoßen wurden, wie
beispielsweise den mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz für Frauen, die eine Fehlgeburt nach der zwölften
Schwangerschaftswoche erlitten haben . Bislang - das ist
für mich persönlich unbegreiflich - hängt der nachgeburtliche Mutterschutz davon ab, wie schwer das totgeborene Kind ist: Wiegt das Kind über 500 Gramm, ist die
Frau vom Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes voll
erfasst; wiegt es aber nur 499 Gramm, fällt die Frau sofort vollständig aus dem mutterschutzrechtlichen Schutz
heraus . Mit der vorgesehenen Änderung senden wir an
die Frauen, die diese schreckliche Erfahrung machen
mussten, ein ganz wichtiges Signal: Auch ihr seid künftig genauso wie alle anderen Mütter nach der Geburt vom
mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutz voll erfasst .
({5})
Wie Sie sehen, werden wir den Mutterschutz auf diese
Art und Weise zeitgemäß reformieren, ohne den besonderen Schutz zu verringern .
Bei allen Überlegungen für die Überarbeitung der Mutterschutzregelungen müssen wir Folgendes im Blick haben: So viel Mutterschutz, wie zum Schutz der werdenden
Mutter und des Kindes erforderlich, und so wenig Mutterschutz, wie verantwortbar möglich . Wir sollten also keine
Überregulierung auf den Weg bringen, die dann eine Diskriminierung der Frauen zur Folge haben könnte .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich spreche auch als junger Vater
zu Ihnen . Wenn ich das so beurteile, sind Mütter doch
etwas Besonderes . Jeder von uns hat oder hatte eine Mutter und weiß sicherlich auch, was sie oder er an ihr hat
bzw . gehabt hat - bei mir ist es jedenfalls so . Ich selbst
bin mit einer Mutter verheiratet, nämlich mit der Mutter
meiner zweijährigen Tochter Ida . Wenn ich an diesen für
mich besonderen Tag der Geburt zurückdenke, dann fällt
mir eines dazu ein - Frau Präsidentin, ich bitte darum,
dies noch ausführen zu dürfen -: Kleines Wunder, großes Glück! So kann man es, denke ich, definieren. Die
Geburt eines Kindes ist wohl das Unglaublichste und
Schönste, was man miterleben darf . Frauen sind während
der Geburt einfach göttlich . Sie schenken Leben, entwickeln übermenschliche Kräfte und machen die Welt zu
einer besseren . Wir Männer stehen daneben und denken,
wir hätten noch Größeres vollbracht, weil wir während
der Geburt nicht umgekippt sind .
({6})
Es ist doch ein unglaublich schönes und überwältigendes
Gefühl, bei einer Geburt dabei sein zu dürfen . Nach einem so wunderbaren Erlebnis weiß man wirklich, wofür
es sich zu leben lohnt .
Lassen Sie uns im parlamentarischen Verfahren die
Dinge nun so auf den Weg bringen, dass von der Gesetzgebung viele Frauen profitieren und wir dazu beitragen
können, dass unser Land ein Stück weit besser wird .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Beermann . - Als letzter
Redner in der Debatte: Paul Lehrieder . Vielleicht kann
uns der Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufklären, wie es sich mit der
Lustbarkeit verhält . Ich habe schon einmal nachgeschlagen . Dort steht - das geht nicht von Ihrer Redezeit ab,
Herr Vorsitzender -: Lustbarkeit - eine Veranstaltung,
die vergnügen und unterhalten soll .
({0})
In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihre Rede uns nun Lustbarkeit verschafft .
Letzter Redner in der Debatte: Paul Lehrieder für die
CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Werte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben die Hürde sehr hochgelegt, wenn Sie nun
von mir Lustbarkeit von diesem Rednerpult aus erwarten .
({0})
Gleichzeitig sind die salbungsvollen Ausführungen des
Kollegen Maik Beermann für die werdende Mutter ebenfalls eine hohe Hürde . Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass Frauen auch nach der Geburt hübsch, schön
und ausdrucksvoll sind . - Maik, Frauen sind sowohl vor
der Geburt, also als werdende Mütter, als auch nach der
Geburt betrachtenswert .
Der gesetzliche Mutterschutz hat die Aufgabe, Mütter
bzw . werdende Mütter sowie deren Kinder während der
Schwangerschaft und einige Zeit danach vor Gefährdungen, Überforderung, Gesundheitsschädigungen, finanziellen Einbußen und dem Verlust des Arbeitsplatzes zu
schützen .
Frau Zimmermann und Frau Brantner, Sie haben auf
die europäische Mutterschutzrichtlinie Bezug genommen . Es ist sicherlich richtig, dass auf europäischer Ebene über einen Mutterschutz diskutiert wurde, der weiter
ging als das, was wir bisher haben . Aber verkennen Sie
bitte nicht, dass wir in Deutschland mit dem Elterngeld
und der Elternzeit 12 Monate nachgeburtlichen Mutterschutz und zwei Drittel Lohnersatzleistungen gewähren .
In dieser Breite hat das kein anderes Land in Europa .
({1})
Bei uns gibt es sogar zusätzlich zwei Monate Väterschutz . Dieses Niveau müssen die anderen Länder in
Europa erst einmal erreichen . Sie sollten den Status quo
und die Realität nicht ganz ausblenden, wenn Sie über
den Mutterschutz sprechen . Man sollte durchaus darauf
hinweisen, was wir in Deutschland schon erreicht haben .
({2})
Herr Lehrieder, erlauben Sie eine Bemerkung oder
Frage von Frau Dr . Brantner?
Ja, selbstverständlich .
Herr Lehrieder, da Sie gerade darauf verwiesen haben,
dass die Forderungen auf europäischer Ebene weitgehender waren: Das Elterngeld wäre darauf eins zu eins anrechenbar gewesen . Für Deutschland hätte sich in diesem
Bereich nicht viel verändert, wohl aber zum Beispiel bei
den Kündigungsfristen . Die Dauer des Mutterschutzes
hätte sich jedenfalls für sehr viele Frauen europaweit
verbessert . Bei uns wäre es, wie gesagt, anrechenbar gewesen .
Verbesserungen für sehr viele Frauen europaweit haben wir aber verhindert . Das ist schade; denn das hätte
das soziale Europa gestärkt . Schließlich kämpfen wir im
Moment täglich dafür, den Menschen zu erklären, was
ihnen Europa bringt . Wenn ich einer Frau sagen kann:
„Durch Europa hast du einen vernünftigen Mutterschutz“, dann ist das etwas Konkretes . Wären Sie bereit,
zusammen mit Frau Schwesig nachher das Signal nach
Europa zu senden: „Wir haben es national geschafft; nun
darf die EU auch weiter gehen“?
({0})
Frau Kollegin Brantner, herzlichen Dank für die Frage . - In den nächsten Wochen und Monaten werden sehr
viele Signale nach Brüssel zu senden sein . Es wird bereits darüber diskutiert, wie es mit Europa weitergehen
soll, welche Befugnisse und Aufgaben die Europäische
Kommission in Zukunft haben soll, ob die Europäische
Kommission eine europäische Regierung mit allen Aufgaben werden soll . Da gibt es viel zu tun . - Bleiben Sie
stehen, Frau Brantner . Ich bin noch nicht fertig .
({0})
Natürlich ist die Weiterentwicklung des Mutterschutzes ein großes Thema auf europäischer Ebene . Aber mit
der alten Mutterschutzrichtlinie wird es nicht weitergehen; denn sie wurde zurückgezogen . Ob sich Europa an
Deutschland und seinen Erfahrungen, die es in den letzten Jahren mit dem Elterngeld gemacht hat, ein Beispiel
nimmt, bleibt abzuwarten . Erst vor einem Jahr haben wir
das Elterngeld Plus eingeführt . Wir entwickeln das Elterngeld und die Schutzzeit für beide Partner, für Vater
und Mutter, nach der Geburt weiter . Selbstverständlich
werden wir darauf achten . Ich weiß die Frau Ministerin
auf unserer Seite, wenn wir geschwind weitere VorschläMaik Beermann
ge Richtung Brüssel schicken . - Wie ich sehe, hat sich
Frau Kollegin Brantner gesetzt . Dann muss ich mit meiner Rede fortfahren .
Das Mutterschutzgesetz gilt für alle werdenden Mütter, die in einem Arbeitsverhältnis stehen . Weitere Regelungen zum gesundheitlichen Schutz werdender Mütter
vor Gefahren, Überforderung oder der Einwirkung von
Gefahrenstoffen am Arbeitsplatz sind in der dazugehörigen Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz
geregelt .
Nach den geltenden Mutterschutzfristen dürfen werdende Mütter in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nur mit Einwilligung und bis zum Ablauf von
acht Wochen, bei Früh- und Mehrlingsgeburten bis zum
Ablauf von zwölf Wochen, nach der Entbindung gar
nicht beschäftigt werden . Zusätzlich sieht das Gesetz
beispielsweise bei Akkord-, Fließband-, Mehr-, Sonntags- und Nachtarbeit generelle Beschäftigungsverbote
vor. Zum Schutz vor finanziellen Nachteilen regelt das
Mutterschutzgesetz verschiedene Leistungen, wie zum
Beispiel das Mutterschaftsgeld .
Jetzt käme der Passus über die Lustbarkeiten . Um die
Frau Präsidentin nicht zu verwirren, lasse ich diesen jetzt
weg .
({1})
Im gemeinsamen Koalitionsvertrag mit der SPD haben wir uns darauf verständigt, eine Reform des Mutterschutzgesetzes zu erarbeiten, die einen umfassenden
Schutz, mehr Transparenz und weniger Bürokratie vorsieht . Mit der Neuregelung des Anwendungsbereichs
wird der gesundheitliche Mutterschutz künftig auch
Frauen in Studium, Ausbildung und Schule einbeziehen .
Auch für sie gilt die sechswöchige Schutzfrist vor der
Geburt, in der die werdende Mutter nicht mehr arbeiten
muss, genauso wie das achtwöchige Beschäftigungsverbot nach der Entbindung .
Im Rahmen der Neuregelung des Mutterschutzrechts
war uns als Union besonders wichtig, dass Schülerinnen
und Studentinnen jedoch selbst entscheiden können, ob
sie freiwillig an einer wichtigen Klausur, Prüfung oder
Hausarbeit kurz nach der Entbindung teilnehmen oder
nicht . Für sie gilt der Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes, wir ermöglichen ihnen jedoch gleichzeitig Raum
für die Flexibilität, von der nachgeburtlichen Mutterschutzfrist keinen Gebrauch zu machen, um beispielsweise keine Nachteile in der Schule oder im Studium zu
erfahren . So müssen beispielsweise die Studentinnen, die
sich fit fühlen, die Klausur doch zu schreiben, nicht ein
oder zwei Semester verlieren, nur weil die Geburt erst
wenige Wochen zurückliegt .
Wir bieten hiermit ein Stück Wahlfreiheit, den Zeitpunkt der Rückkehr selbst bestimmen zu können . Ich bin
der Auffassung, dass wir Studentinnen und Schülerinnen, die sich körperlich dazu in der Lage sehen, nicht
auferlegen sollten, eine Prüfung aufgrund der Geburt
zu verschieben und das Studium somit in die Länge zu
ziehen oder sonstige Nachteile im Rahmen ihrer Ausbildung zu erfahren . Künftig wird es darüber hinaus allen
Frauen möglich sein, in den Abendstunden - hier ist ein
ärztliches Attest notwendig; die Vorredner haben zum
Teil schon darauf hingewiesen - und sonn- und feiertags
arbeiten zu können, wenn sie dies möchten und ausgeschlossen ist, dass die werdenden Mütter sich alleine an
ihrem Arbeitsplatz aufhalten .
Die neuen mutterschutzrechtlichen Regelungen werden des Weiteren auch für die Arbeitgeber praxistauglicher gestaltet, indem wir den Begriff der unverantwortbaren Gefährdung einführen und die klare Festlegung
der Rangfolge der Schutzmaßnahmen festlegen . Arbeitgeber, werdende Mütter und Aufsichtsbehörden werden
hier durch den neu geschaffenen Ausschuss für Mutterschutz bei der Umsetzung der neuen mutterschutzrechtlichen Regelungen unterstützt . Zudem verbessern wir
den Schutz für Mütter von Kindern mit Behinderungen .
Darauf haben die Kolleginnen und Kollegen bereits hingewiesen .
Mit der Reform des Mutterschutzrechts sorgen wir für
den notwendigen Schutz für Mütter und deren Kinder,
ohne dass wir mit zu starren Maßnahmen und Überregulierung die Interessen und Perspektiven unserer Arbeitnehmerinnen gefährden. Die beruflichen Chancen und
Ziele können auch während der Schwangerschaft und
nach der Entbindung ohne Beeinträchtigung der eigenen
Gesundheit und der Gesundheit des Kindes weiter verfolgt werden; denn viele Frauen möchten gerne länger
bis zur Geburt arbeiten . Sie müssen es nicht, Frau Kollegin Zimmermann, sondern sie wollen es aus freien Stücken . Auch das gibt es gelegentlich noch .
Ich freue mich auf die Beratungen und auf die Sachverständigenanhörung im September . Ich wünsche Ihnen
einen schönen Abend .
Danke schön .
({2})
Vielen Dank, Herr Kollege Lehrieder . - Ich schließe
die Aussprache und danke Ihnen für die sehr angenehme
Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8963 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 7 . Juli 2016, pünktlich um
9 Uhr, ein; denn wir wollen morgen pünktlich zu einer
bestimmten Uhrzeit fertig sein .
Einen schönen Abend; für die, die Fußball schauen
wollen, eine gute Beobachtung des möglicherweise übernächsten Gegners .
Die Sitzung ist geschlossen .