Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung .
Großbritannien hat gestern darüber befunden, aus der
Europäischen Union auszutreten . Dennoch ist die Sonne
heute Morgen wieder aufgegangen .
({0})
So bedauerlich das eine ist, so beruhigend ist das andere .
Jedenfalls müssen wir uns nun ebenso ruhig wie zügig
mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen auseinandersetzen . Das wird Folgen für den Ablauf der heutigen
Termine und auch für die nächste Woche haben .
Um 13 Uhr werden wir die Plenarsitzung für Sondersitzungen der Fraktionen unterbrechen . Und wenn es
nicht im Laufe des Vormittags noch zu anderen Vereinbarungen kommt, wird es voraussichtlich am Dienstag
der nächsten Woche eine Sondersitzung des Bundestages
mit einer Regierungserklärung zur Vorbereitung des dann
unmittelbar folgenden europäischen Gipfels geben . Falls
es zu Terminen oder Uhrzeiten noch Änderungen geben
sollte, werden wir Sie darüber natürlich unverzüglich unterrichten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, dass der Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des GAK-Gesetzes auf der
Drucksache 18/8578 dem Ausschuss für Wirtschaft und
Energie zur Mitberatung überwiesen werden soll . Das
gehört, glaube ich, zu unseren kleineren Problemen . - Ich
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
({1})
Es gibt aber andere Gegenstände, bei denen es eine
Spur komplizierter ist . Deswegen müssen wir vor Eintritt
in die Tagesordnung zwei Geschäftsordnungsanträge zur
Ergänzung der Tagesordnung behandeln, bei denen es
kein Einvernehmen gibt .
Mit ihrem ersten Geschäftsordnungsantrag beantragen die Fraktionen der CDU/CSU und SPD fristgerecht, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte
Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an
die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu
erweitern und im Anschluss mit einer Debattenzeit von
60 Minuten zu beraten .
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege Michael Grosse-Brömer . - Mach das doch vom Platz aus!
Dann geht alles schneller .
({2})
Jetzt war ich schon auf dem Weg . Herr Präsident, dass
Sie mir im fortgeschrittenen Alter nicht zutrauen, relativ
zügig dieses Pult zu erreichen, irritiert mich schon .
Ich bin beruhigt, dass Sie es geschafft haben .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Hochachtung: Am heutigen Tag gibt es weiß Gott wichtigere Debatten als die über eine Geschäftsordnung . Ich will aber
darauf hinweisen, dass den Koalitionsfraktionen häufiger
vorgeworfen wird, dass sie etwas verzögern, wenn sie
ein Thema nicht auf die Tagesordnung setzen . Wenn wir
etwas aufsetzen, heißt es wiederum oft, wir peitschen es
durch das Parlament . Aber lassen wir das außen vor .
Ich will nur darauf hinweisen, dass es um zwei Tagesordnungspunkte geht . Einen hatten wir am Donnerstag auf die Tagesordnung gesetzt; er soll heute debattiert
werden . Der andere ist kurzfristig aufgesetzt worden .
Keiner - auch die Oppositionsfraktionen nicht - bestreitet, dass das rechtlich einwandfrei ist . Das nur zur Information . Deswegen glaube ich: Wir müssen uns wirklich
nicht intensiv mit der Tagesordnung befassen . Lassen Sie
uns angesichts der Gespräche, die am heutigen Tag noch
erforderlich sind, schnell abstimmen und an die Arbeit
gehen .
({0})
Frau Sitte .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz so
einfach ist es eben nicht, Herr Grosse-Brömer .
({0})
Auch die Entscheidung in Großbritannien kann man nicht
punktuell betrachten . Es geht nicht nur um den 23 . Juni .
Das hat eine lange Vorgeschichte, und dafür sind Parlament und Politik genauso verantwortlich wie außerhalb
der Parlamente auch die Wirtschaftsentwicklung, die
Bankenentwicklung bzw . die Finanzmärkte .
({1})
- Ja, das gehört alles dazu, Herr Kauder .
({2})
- Selbstverständlich gehört das dazu . Es ist auch eine
Bankrotterklärung der parlamentarischen Demokratie,
wenn sie eine solche Absage bekommt . Deshalb ist es
eben auch wichtig, dass wir über solche Fragen wie die
Erbschaftsteuer - dabei geht es um ein zentrales Gerechtigkeitsproblem in diesem Land - vernünftig reden und
beraten .
({3})
Dazu ist es wichtig, Ausschusssitzungen und Anhörungen durchzuführen .
({4})
Sie wissen, dass es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gibt . Diese Entscheidung ist im Dezember 2014 gefallen . Sie haben seit 2014, also eineinhalb Jahre, Zeit gehabt, Regelungen zur Erbschaftsteuer
zu treffen, und sind nicht zu Potte gekommen . Aber heute, kurz bevor die Frist ausläuft, die uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, wollen Sie die Reform innerhalb einer Woche durch den Bundestag schleusen .
({5})
- Sie können sich gerne aufregen . Ich bin da bei Ihnen;
ich rege mich ja auch auf .
({6})
In der Union hatten Sie am 25 . September des letzten
Jahres einen Kompromiss ausgehandelt . Es gab auch einen Kompromiss in der Koalition . Nun konnte man ja
davon ausgehen, dass die Geschichte relativ schnell ins
Parlament kommt . Der Kompromiss war eh sehr zaghaft
und schaumgebremst . Nein, da kam ein bayerischer Ministerpräsident daher und hat diesen Kompromiss plötzlich infrage gestellt .
({7})
Man könnte ja nun annehmen, dass die CSU nicht in dieser Koalition sitzt . Jedenfalls ist dieser Kompromiss erst
in den letzten Tagen aufgeschnürt und um erhebliche Elemente erweitert worden . Es sind neue Dinge eingeführt
worden, die ursprünglich nicht in der Diskussion waren,
({8})
beispielsweise die Investitionsklausel .
({9})
All diese Dinge hätten im Ausschuss vernünftig beraten
werden müssen . Das haben Sie versäumt .
({10})
Die erste Lesung fand vor fünf Monaten statt; aber erst
in den letzten Tagen sind diese neuen Elemente in den
Ausschuss gelangt, wo sie vernünftig diskutiert werden
sollten .
({11})
Oppositionsfraktionen haben darüber beraten und sind zu
dem Ergebnis gekommen, dass es - so wie es im Rahmen
der Ausschussarbeit üblich ist und wie es dem Minderheitenrecht der Opposition im Parlament entspricht wieder eine Anhörung von externen Sachverständigen
geben müsse .
({12})
Das haben Sie abgelehnt .
Ich sage Ihnen eines - das habe ich bereits gestern im
Ältestenrat gesagt -: Solche wichtigen, schwerwiegenden Gesetze, bei denen es um das Zusammenleben in
einer Gesellschaft und um das Funktionieren der Wirtschaft geht, innerhalb weniger Tage durch das Parlament
zu drücken, bedeutet, sich vor öffentlicher Kritik zu drücken .
({13})
Es bedeutet aber auch, dass Sie weder die mediale Kritik noch die von den Betroffenen ausgesprochene Kritik
aufnehmen .
Nun hat es einen Parallelentwurf der Bundesregierung
gegeben .
({14})
Der ist erst am Mittwoch ins Parlament eingebracht worden . Warum ist das erwähnenswert? Weil in diesem Gesetzentwurf überaus kritische Meinungen und Stimmungen wiedergegeben wurden . Die sind aber im Ausschuss
gar nicht besprochen worden .
({15})
Es ist symptomatisch, dass Sie das bei einem Gesetz
tun, das verfassungsrechtlich bedenklich ist; denn das
Vorgängergesetz hat schon vonseiten des Bundesverfassungsgerichts eine Absage bekommen . Man muss davon
ausgehen, dass Ihr Vorhaben dazu führt, dass es wieder
Kläger gegen das Gesetz geben wird und dass wir uns
wieder vor dem Bundesverfassungsgericht treffen .
({16})
Ihr beschleunigtes Verfahren und Ihre Absage an reguläre
parlamentarische Abläufe helfen hier überhaupt nicht .
({17})
Ich will abschließend sagen: Es geht um eine zentrale
Gerechtigkeitsfrage in diesem Land . Dieser müssen Sie
sich stellen . Es geht darum, dass alle diejenigen, die im
Land vom Erbschaftsteuerrecht betroffen sind, gleichbehandelt werden .
Frau Kollegin, genau das wird gleich in der Debatte
inhaltlich besprochen .
Ich bin auch schon am Ende . Das zentrale Gerechtigkeitsproblem musste hier abschließend noch einmal ganz
deutlich hervorgehoben werden .
({0})
Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich habe ich gedacht, angesichts der Tagesordnung
und auch der Bedeutung der Themen, die jetzt zusätzlich
auf die Tagesordnung gekommen sind, müsste ich nicht
in der GO-Debatte reden . Aber einen Begriff, liebe Frau
Sitte, lasse ich hier nicht stehen . Wir „schleusen“ hier
nichts durchs Parlament .
({0})
Wir beantragen die Aufsetzung eines Tagesordnungspunktes an einem Freitagmorgen, zur Primetime; also,
besser geht es nicht . Ich verwahre mich gegen solche Begriffe und gegen die Behauptung, dass hier irgendetwas
gemauschelt werden soll .
({1})
Das ist eine Unverschämtheit, eine bodenlose Unverschämtheit .
Sie wollen verhindern, dass wir heute sprechen . Sie
wollen die Absetzung des Tagesordnungspunkts . Sie
wollen, dass heute nicht darüber debattiert werden kann .
({2})
Ich sage Ihnen auch, warum: weil Sie weder im Ausschuss noch irgendwo sonst auch nur einen einzigen Änderungsantrag eingebracht haben .
({3})
Wissen Sie, was Sie stört? Sie stört, dass diese Große Koalition einen Vorschlag auf den Tisch gelegt hat, der die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt,
({4})
der dafür sorgt, dass keine Arbeitsplätze abgebaut werden, und der noch dazu dafür sorgt, dass das Steueraufkommen steigen wird . Deswegen: Hören Sie auf mit
diesen Geschäftsordnungsgeschichten, und erwecken Sie
nicht den Eindruck, als ob hier etwas durchgepeitscht
werden soll .
Nur eine Ergänzung noch zu der Behauptung, die Investitionsklausel sei nie ein Thema gewesen . Selbstverständlich war sie Thema in der Anhörung . Ich nenne Ihnen die Namen der beiden Sachverständigen - vielleicht
lesen Sie es dann nach -: Herr Rödder und Herr Jorde
sind ausdrücklich darauf eingegangen . Aber wenn man
nicht zuhört, kann man natürlich auch nicht wissen, was
sie dazu gesagt haben .
({5})
Lassen Sie uns jetzt endlich zur inhaltlichen Debatte
kommen . Wir haben heute eine ganze Menge Wichtiges
zu beschließen, und die Erbschaftsteuer gehört dazu .
({6})
Dass jedenfalls der Parlamentarismus nicht zusammenbricht, wissen wir jetzt schon einmal .
Nun hat die Kollegin Haßelmann das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ja, in der Tat, heute gibt
es viele andere Themen - Stichwort „Europa“ -, die wir
zu diskutieren haben . Die Britinnen und Briten haben
über den Verbleib in der EU abgestimmt und sich mehrheitlich für den Austritt ihres Landes ausgesprochen .
Konsequenzen und Ausmaß werden uns alle hier im nationalen Parlament und auch auf europäischer Ebene in
den nächsten Wochen und Monaten intensiv beschäftigen . Wir alle wissen eigentlich noch nicht so genau, wie
sich diese Entscheidung auf Europa und die Zukunftsfähigkeit Europas auswirken wird .
Dennoch ist es wichtig, da wir heute inhaltliche Entscheidungen im nationalen Parlament, hier im Deutschen
Bundestag, treffen, und zwar weitreichende Entscheidungen, dass wir eine Geschäftsordnungsdebatte über
Themen führen, von denen wir den Eindruck haben, dass
sie noch längst nicht entscheidungsreif sind .
({0})
Da geht es zum Beispiel um den jetzt diskutierten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Erbschaftsteuer .
Herr Grosse-Brömer, ich kann Sie überhaupt nicht
verstehen angesichts Ihrer lapidaren Einlassung nach
dem Motto: Das ist doch jetzt lange genug diskutiert
worden . Außerdem ist heute der Brexit beschlossen, und
deshalb müssen wir hier jetzt schnell entscheiden . Alles
andere stört . - Was für eine Wahrnehmung vom Parlament haben Sie eigentlich?
({1})
Im Dezember 2014 hat das Bundesverfassungsgericht
eine wichtige Entscheidung zur Erbschaftsteuer getroffen . Sie wird nicht die letzte in Sachen Erbschaftsteuer
sein, wenn die Große Koalition heute diesem Gesetzentwurf ihre Zustimmung erteilt .
({2})
Das Schlimme ist: Die Hälfte dieses Hauses weiß das
ganz genau . Viele von Ihnen, den Abgeordneten, Frau
Lambrecht, die davon etwas verstehen,
({3})
wissen ganz genau, dass die Erbschaftsteuerreform, die
heute beschlossen werden soll, nicht verfassungsgemäß
ist .
({4})
Das war letztlich der Grund, weshalb Sie uns eine Anhörung verweigert haben .
({5})
Sie hätten in der ganzen Republik keinen Sachverständigen gefunden, der Ihnen belegt hätte, dass dieser Gesetzentwurf und diese Eckpunkte der Erbschaftsteuer verfassungsgemäß sind . Deshalb haben Sie lieber gesagt: Im
Gesetzentwurf sind gar nicht so viele Änderungen; nur
keine neue Anhörung . Am Ende erkennt der gesammelte wissenschaftliche Sachverstand, dass auch dieser Gesetzentwurf verfassungswidrig ist . Das war der Grund,
weshalb Sie uns ein ordentliches Beratungsverfahren und
eine weitere Anhörung verweigert haben .
({6})
Jetzt einmal etwas zu der Behauptung, wir hätten so
viel Zeit gehabt, zu beraten . Ich bin selber Finanzausschussmitglied .
({7})
Im Finanzausschuss haben wir uns ziemlich viel Zeit genommen; da sitzt die Vorsitzende . Eine Anhörung haben
Sie uns verweigert .
({8})
Aber wissen Sie, wie viel Zeit wir hatten, den kompletten
Umdruck, den neuen Gesetzentwurf, überhaupt zu lesen?
Wir haben am Dienstagabend um 17 .58 Uhr die Vorlage
mit ganz umfangreichen und weitgehenden Änderungen
des Erbschaftsteuergesetzentwurfes bekommen, und am
nächsten Morgen um 9 Uhr begann die Fachausschusssitzung . So viel dazu, dass es angeblich ein ordentliches
Beratungsverfahren gegeben habe .
({9})
Es geht hier gar nicht nur um die sogenannte Investitionsklausel; es geht auch um den Wertabschlag von bis zu
30 Prozent . Es geht um den Wegfall der Lohnsummenprüfung bei Unternehmen bis zu fünf Mitarbeitern . All
das sind hochwichtige Fragen, wenn es um die Verfassungsmäßigkeit geht .
Sie hatten über ein Jahr Zeit . Das Problem an dieser
Stelle ist einfach: Wir hatten keine ordentlichen Beratungen . Wir konnten die Verfassungsmäßigkeit nicht sorgfältig prüfen . Das Schlimmste ist: Sie als Parlamentarier
der Großen Koalition merken den Wandel des Politikverständnisses gar nicht . Dieser Wandel hat damit zu tun,
dass Menschen Politik nicht mehr nachvollziehen können .
Nur weil sich am Montag, dem 20 . Juni 2016,
Seehofer, Gabriel und Merkel auf einen Gesetzentwurf
verständigt haben, heißt das doch nicht, dass wir ihn heute verabschieden müssen .
({10})
Wo sind sie denn, wo sind denn die selbstbewussten Parlamentarierinnen und Parlamentarier? Sie geben Ihre
Aufgabe doch an die Regierung und an die KoalitionsBritta Haßelmann
spitzen ab, wenn Sie das ständig mit sich machen lassen .
Merken Sie das eigentlich nicht?
({11})
Am meisten treibt mich auf die Palme, wenn ich sehe:
Wir diskutieren das nicht mit Sorgfalt . Wir nehmen uns
an dieser Stelle nicht ernst, und zwar nicht nur die Opposition nicht, sondern wir allesamt nicht .
Frau Kollegin .
Das ist doch ein Trauerspiel .
({0})
Wir kommen zur Abstimmung . Wer dem Aufsetzungsantrag der Koalitionsfraktionen zustimmen möchte, den
bitte ich um sein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist die Aufsetzung mit der
Mehrheit der Koalition so beschlossen .
Es gibt nun einen zweiten Geschäftsordnungsantrag,
in dem die Koalitionsfraktionen beantragen, den gestern
abgesetzten Tagesordnungspunkt 14 - hier geht es um die
zweite und dritte Beratung der von den Koalitionsfraktionen sowie der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe
eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei
der Bekämpfung des internationalen Terrorismus - auf
die heutige Tagesordnung aufzusetzen und nach dem Tagesordnungspunkt 24 unter Beibehaltung der dafür vorgesehenen Redezeit von 38 Minuten zu beraten .
Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag
liegen mir nicht vor, sodass wir darüber gleich abstimmen können . Wer dem Aufsetzungsantrag zustimmt, den
bitte ich um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist auch dieser Aufsetzungsantrag mit Mehrheit angenommen .
Die Tagesordnung ist damit um folgende Punkte erweitert:
ZP 9 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Drucksachen 18/5923, 18/6279, 18/6410
Nr. 4
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0})
Drucksache 18/8911
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/8912
14 . - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus
Drucksache 18/8702
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
Drucksachen 18/8824, 18/8881
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
Drucksache 18/8917
Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass später
zu den beiden aufgesetzten Punkten jeweils eine namentliche Abstimmung durchgeführt wird .
Ich rufe nun den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 9
auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Drucksachen 18/5923, 18/6279, 18/6410
Nr. 4
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
Drucksache 18/8911
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/8912
Über diesen Gesetzentwurf werden wir, wie gerade
angekündigt, später namentlich abstimmen .
Für die Aussprache sind 60 Minuten vorgesehen . Dazu höre ich jetzt keinen Widerspruch mehr .
Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner ist der Kollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion .
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
heute leider zur Tatsache gewordene Brexit ist auch eine
große Herausforderung für die deutsche Wirtschaft . Es
geht jetzt um die internationale Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit - natürlich auch mit einem reformierten
Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, das wir heute
verabschieden, meine Damen und Herren . Denn in den
nächsten drei Jahren stehen allein 135 000 Familienunternehmen zur Übergabe an, und davon sind über 2 Millionen Beschäftigte betroffen . Das ist der Ernst der Lage,
und deswegen müssen wir heute handeln .
({0})
Unser Leitgedanke bei der Anpassung der Erbschaftund Schenkungsteuer war die Erhaltung der Generationenbrücke in unseren deutschen Betrieben mit der Sicherung von Arbeitsplätzen . Mit der Einigung auf die nun
vorliegende Reform ist uns eine verfassungskonforme,
praxistaugliche und vor allem arbeitsplatzsichernde
Lösung gelungen . Dieser tragfähige Kompromiss zeigt
die Handlungsfähigkeit unserer Koalition . Uns ist es am
Ende gelungen, vor allem eine mittelstandsfreundliche
Lösung zu finden, die Sicherheit für viele Betriebe bedeutet und zu keinen weiteren Belastungen führen wird .
Dies ist ein Beitrag zur Sicherung und Stärkung unserer weltweit einzigartigen, vom Mittelstand und von
Familienunternehmen geprägten Wirtschaftsstruktur in
Deutschland . Das ist das Erfolgsmodell, meine Damen
und Herren, um das uns viele Länder beneiden . Diese
Mittelstandsstruktur ist das Erfolgsmodell für die erfolgreiche Wirtschaftsnation Deutschland .
({1})
Es ist eine Wirtschaftsstruktur - das sollten wir nicht
vergessen -, die in der Finanz- und Wirtschaftskrise
maßgeblich zur Stabilität und Beschäftigungssicherung
beigetragen hat, und diese Struktur dürfen wir nicht zerschlagen .
({2})
Ich stelle ausdrücklich fest: Es geht hier nicht um Geschenke für ein paar reiche Erben mit Privatvermögen,
({3})
sondern um den Erhalt von Arbeitsplätzen und Betrieben,
um das Wohl von Arbeitnehmern und ihren Familien .
Das steht ganz vorn, meine Damen und Herren .
({4})
Wir sprechen hier von denjenigen, die den Wohlstand
in Deutschland erwirtschaften, den Sie, meine Damen
und Herren von den Linken, so gern verteilen . Erwirtschaften geht vor verteilen; aber das wollen Sie nie
begreifen . Gerade Ihnen von den Linken sind die ideologischen Feindbilder und Scheuklappen näher als die
Menschen in diesem Land und eine ordentliche, arbeitsplatzsichernde Erbschaft- und Schenkungsteuer . Ich habe
in der Diskussion um die Erbschaftsteuer immer wieder
das Wort „Verteilungsgerechtigkeit“ gehört . Verteilungsgerechtigkeit ist wichtig . Das hört sich gut an .
({5})
Verteilungsgerechtigkeit kann es aber nur dann geben,
wenn es etwas zu verteilen gibt . Das ist eine Binsenwahrheit . Ihre Vorstellungen würden dazu führen, dass es
ziemlich bald nichts mehr zu verteilen gibt .
Für uns ist die soziale Bindung des Eigentums die
Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft . Deshalb
verbinden wir in diesem Gesetzentwurf das Eigentum
mit der Verpflichtung zur Erhaltung der Betriebe und
Arbeitsplätze . Das ist die Grundlage unseres Gesetzentwurfs .
({6})
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil unsere Verschonungsregelung, die Sie immer kritisiert haben,
ausdrücklich bestätigt . Das muss noch einmal verdeutlicht werden: Das Bundesverfassungsgericht hat unsere
Verschonungsregelung bestätigt; das ist der wesentliche
Grundsatz . Deswegen ist dieser Gesetzentwurf verfassungskonform .
({7})
Die Einwände, die das Bundesverfassungsgericht erhoben hat, haben wir in den Beratungen und Anhörungen
der Sachverständigen sehr ernst genommen . Im Protokoll ist nachgewiesen, dass alle Punkte dieses Gesetzentwurfs mit den Sachverständigen erörtert wurden . Es ist
einfach nicht die Wahrheit, wenn Sie hier etwas anderes
verkünden . Wir haben einen Gesetzentwurf, der an die
Gemeinwohlverpflichtung angepasst ist. Auch deshalb
kann ich mit Fug und Recht sagen: Wir haben ein gutes
Ergebnis erzielt, mit mehr Sicherheit für Unternehmen
und Arbeitsplätze . Natürlich kann man sich noch mehr
vorstellen; aber es ist ein Kompromiss, der es ermöglicht
hat, das Ganze bei allen Schwierigkeiten positiv abzuschließen .
({8})
Lassen Sie mich einige wichtige Punkte hervorheben:
Die Freistellung von Betrieben mit bis zu fünf Beschäftigten von der Lohnsummenprüfung war ein Anliegen
der CSU, weil wir uns mit den kleinen Handwerks- und
Dienstleistungsbetrieben ganz eng verbunden fühlen .
Diese werden damit in der Zukunft weniger durch Bürokratie belastet . Das Totschlagargument der Opposition
ist falsch . Die größte Zahl von Einmannbetrieben wird
überhaupt nicht übergeben oder vererbt . Das sollte man
aus der Unternehmensstatistik einmal herauslesen, bevor
man die Lohnsummen- und Verschonungsregelung kritisiert . Das ist die Grundlage . Insofern ist die Größenordnung von fünf Beschäftigten absolut entbürokratisierend
und auch die richtige Zahl .
({9})
Hervorzuheben ist auch die marktwirtschaftlich realistische Unternehmensbewertung . Wir kürzen den Kapitalisierungsfaktor von knapp 18 auf einen Wert im Korridor von 10 bis 12,5 . Dadurch vermeiden wir - das ist
wichtig - eine Überbewertung, die sich aus dem anhaltenden Niedrigzinsumfeld ergibt, und erhalten gleichzeitig einen akzeptablen Unternehmenswert, der im vereinfachten Ertragswertverfahren auch weniger streitanfällig
ist . Das ist im Vollzug ein wichtiges Thema; denn die
Marktfähigkeit eines Unternehmenswertes liegt in der
Regel beim etwa 7- bis 9-Fachen des Jahresertrages . Wir
haben jetzt einen Korridor vom 10- bis zum 12,5-Fachen .
Das trägt dazu bei, dass der Mittelstand nicht unverhältnismäßig durch eine Substanzbesteuerung belastet wird .
Insofern ist dieser Punkt ein Erfolg für die Wirtschaft und
letzten Endes auch für die Finanzämter, die das administrieren müssen .
Ein ebenfalls großer Erfolg ist die erweiterte Regelung zur Stundung, die zinslos für maximal zehn Jahre
gewährt wird . Damit zeigen wir deutlich, dass für uns
die Erhaltung von Betrieben und Arbeitsplätzen das Allerwichtigste ist . Es muss kein Betrieb wegen der Erbschaft- und Schenkungsteuer zerschlagen werden . Das ist
die Botschaft, die wir heute verkünden, und das ist eine
wichtige Botschaft, meine Damen und Herren .
({10})
Darüber hinaus haben wir eine sogenannte Investitionsklausel im Gesetz verankert . Dadurch kann nach dem
Erbfall nichtbegünstigtes Vermögen durch eine Investition in begünstigtes Vermögen gewissermaßen umgewandelt werden . So stellen wir Planungssicherheit her und
setzen zugleich starke Zukunftsanreize für notwendige
Investitionen . Wir bekämpfen damit auch den Investitionsstau in Deutschland . Dieser Anreiz ist wichtig . So hat
man letzten Endes, wenn man in die Zukunft des Betriebes und den Erhalt der Arbeitsplätze investiert, auch eine
Anerkennung des Gesetzgebers .
Als letzten Punkt möchte ich erwähnen, dass wir größeren Familienunternehmen, also Betrieben mit vielen
Beschäftigten und Eigentümerbindungen über Generationen hinweg, die oftmals eine Verfügungsbeschränkung
der Anteilseigner haben, mit einer Steuerbefreiung von
maximal 30 Prozent entgegenkommen .
Meine Damen und Herren, das ist gerecht, weil Verfügungsbeschränkungen bei der Anteilsweitergabe natürlich den Wert erheblich reduzieren . Sie können doch
nicht etwas besteuern, was in dem Wert nicht als Bemessungsgrundlage beinhaltet ist . Auch damit leisten wir einen elementaren Beitrag zum Erhalt unserer arbeitsplatzsichernden Wirtschaftsstruktur .
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss das Fazit ziehen: Wir haben erreicht, dass auch in
Zukunft der Wirtschaftsstandort Deutschland erfolgreich
gestaltet werden kann . Unsere kleinen und größeren mittelständischen Familienunternehmen werden auch dank
dieser Reform das Rückgrat der deutschen Wirtschaft
und Beschäftigungsmotor Nummer eins bleiben . Vor
diesem Hintergrund appelliere ich an dieser Stelle auch
an die Grünen, dass sie es im Bundesrat letzten Endes
nicht blockieren . Geben Sie diesem Wirtschaftsstandort
mit diesem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz
eine Chance .
Herr Kollege .
Das ist gerade heute im Zeichen des Brexit ein wichtiges Anliegen .
Vielen Dank .
({0})
Mit Blick auf die besonderen Bedingungen, unter
denen wir heute die Tagesordnung abwickeln, bitte ich
noch einmal alle Rednerinnen und Redner, die Redezeit
möglichst einzuhalten .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sahra Wagenknecht
für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss wirklich noch einmal sagen: Ich finde es ungeheuerlich,
({0})
dass Sie ein derart grundlegendes und möglicherweise
erneut verfassungswidriges Gesetz hier im Eilverfahren
und noch dazu heute im Schatten einer solchen Abstimmung wie der in Großbritannien gestern durchpeitschen
wollen .
({1})
Ich finde, das ist völlig unangemessen und genau die Politik, die die Leute abstößt . Machen Sie so weiter, dann
machen Sie alles kaputt .
({2})
Natürlich geht es bei der Erbschaftsteuer um die Frage:
In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Zwei Ökonomen der italienischen Notenbank haben kürzlich die Liste der Steuerzahler der Stadt Florenz aus dem Jahr 2011
mit der aus dem Jahr 1427 verglichen . Das erstaunliche
Ergebnis war: Die reichsten und einflussreichsten Familien der Stadt waren immer noch die gleichen wie vor
fast 600 Jahren . Die gleichen Studien gibt es auch für
Großbritannien . Auch für Deutschland lassen sich solche
Kontinuitäten mindestens bis ins 19 . Jahrhundert zurückverfolgen . An der Spitze der Einkommens- und Vermögenspyramide hatten wir nie eine Leistungsgesellschaft .
Da hatten und haben wir eine Erbengesellschaft mit langen, generationenübergreifenden Familiendynastien, die
sich von dem alten Feudaladel nur dadurch unterscheiden, dass ihre Vermögen noch um einiges größer sind .
({3})
Um genau diese Vermögen geht es überwiegend,
wenn wir über Betriebsvermögen reden . Über 90 Prozent des Betriebsvermögens in Deutschland befindet sich
in den Händen der reichsten 10 Prozent aller Familien .
Den Löwenanteil hat das reichste 1 Prozent . Ein gutes
Zehntel aus jeder Generation erbt mehr, als die untere
Hälfte der Bevölkerung im ganzen langen Arbeitsleben
verdienen kann . Das heißt, wer reich geboren wird, bleibt
reich . Wer arm geboren wird, der hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Armut zu sterben . Das sind die gesellschaftlichen Realitäten in Deutschland zu Beginn des
21. Jahrhunderts. Wir finden das unerträglich.
({4})
Als der Liberalismus noch eine lebendige Strömung
in der Tradition der Aufklärung war, gehörte der Kampf
gegen erbliche Vorrechte zum liberalen Markenkern .
Der große Liberale John Stuart Mill forderte explizit,
„eine stark belastende Steuer auf jede Erbschaft“ zu legen, die einen moderaten Betrag übersteigt . Auch der
Ordoliberale Alexander Rüstow attackierte das, was er
das „feudal-plutokratische“ Erbrecht nannte, das nach
seiner Auffassung die Marktwirtschaft zur „Plutokratie,
zur Reichtumsherrschaft“ verkommen lässt. Ich finde es
wirklich traurig, dass solche Traditionen in der heutigen
Union keine Heimat und nicht den geringsten Rückhalt
mehr haben .
({5})
Wir reden also nicht über sauer erarbeitete Spargroschen, und wir reden auch nicht über Oma ihr klein
Häuschen und auch nicht über kleine Unternehmen . In
all diesen Fällen kann der Fiskus sich tatsächlich zurückhalten . Aber die Realität ist: Das tut er gar nicht .
Wer zum Beispiel von seinen Eltern ein Haus im Wert
von 1 Million Euro erbt - das sind in Städten wie München oder Düsseldorf keine prunkvollen Villen -, bei
dem werden 90 000 Euro Erbschaftsteuer fällig; keine
Kleinigkeit .
({6})
Wer dagegen ein Unternehmen im Wert von 25 Millionen Euro erbt, der zahlt keinen einzigen Euro Erbschaftsteuer .
({7})
Selbst für Unternehmen mit einem Wert im dreistelligen
Millionen- oder sogar im Milliardenbereich sind so viele
Ausnahmen und Sonderregelungen im neuen Gesetz versteckt, dass selbst Sprösslinge aus Familien, die man in
Russland oder in Griechenland als Oligarchen bezeichnen würde, gute Chancen haben, ihr Erbe anzutreten,
ohne der Allgemeinheit irgendeinen relevanten Beitrag
zu zahlen. Ich finde, das ist ein Skandal.
({8})
Ich weiß auch nicht, wie Sie das mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbaren wollen. Ich finde, das Gesetz ist auch eine ziemliche Unverschämtheit
gegenüber dem Verfassungsgericht - um das auch deutlich zu sagen -; denn es hat genau diese Gleichbehandlung eingefordert .
Insgesamt 300 bis 400 Milliarden Euro, und zwar überwiegend Großvermögen jenseits der Milliardenschwelle,
werden Jahr für Jahr von einer Generation zur nächsten
weitergereicht . Trotzdem haben Sie die Erbschaftsteuer
zu einer Bagatellsteuer verkommen lassen, die weniger
als 1 Prozent zum gesamten Steueraufkommen beiträgt .
Das war vor der Reform so, und das wird nach der Reform so bleiben .
({9})
Ich finde, das ist der eigentliche Skandal.
({10})
Diese zartfühlende Rücksichtnahme, mit der in der
Erbschaftsteuerdebatte immer wieder vor Überbelastungen gewarnt wird - wohlgemerkt, wir reden hier von
Multimillionären -, hätte ich mir einmal gewünscht,
wenn es um die Belastung normaler Arbeitnehmer geht .
Welche Verschonungsregeln haben Sie etwa für Kinder
von armen Eltern, wenn diese im Alter ins Pflegeheim
müssen? Ab einem Einkommen von gut 3 000 Euro pro
Haushalt verlangt das Sozialamt von jedem verdienten
Euro 50 Cent für die Pflege der Eltern, ohne Verschonungsregeln .
Jetzt kommen Sie mir nicht mit der angeblichen Gefährdung von Arbeitsplätzen . Selbst der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat
festgestellt, dass es wenige Hinweise darauf gibt, dass
die steuerliche Schonung von Betriebsvermögen Arbeitsplätze sichert . Dass immer mehr Unternehmen an
Finanz investoren und Konzerne verkauft werden, hat
mehr damit zu tun, dass geeignete Nachfolger fehlen,
und es hat natürlich auch mit Herrn Draghis Billiggeld
und dem dadurch ausgelösten Übernahmefieber zu tun.
({11})
Aber bis heute gibt es keinen einzigen dokumentierten
Fall eines Unternehmens, das aufgrund der Zahlung von
Erbschaftsteuer pleitegegangen wäre .
({12})
8 000 Millionen Euro Mehreinnahmen im Jahr wären zu erwarten, wenn einfach nur die aktuellen, relativ
niedrigen Sätze auch auf große Betriebsvermögen angewandt würden . Aber durch Ihre tolle Reform sollen sich
die Einnahmen gerade mal um lächerliche 235 Millionen
Euro erhöhen . Selbst das ist fraglich: Experten, wie etwa
Norbert Walter-Borjans, der NRW-Finanzminister,
({13})
fürchten sogar zusätzliche Steuerausfälle. Ich finde, das
ist doch wirklich ein Hohn . Verdammt noch mal, muss
das nicht Ihnen von der SPD zu denken geben, was Sie
hier heute für ein Gesetz durchwinken? Das ist doch unglaublich .
({14})
Mit 8 Milliarden Euro Mehreinnahmen wäre es übrigens kein Problem, die Zuzahlungen der Kinder für Eltern im Pflegeheim komplett abzuschaffen und natürlich
auch die personelle Ausstattung der Heime deutlich zu
verbessern . Aber so etwas kommt Ihnen leider offenbar
gar nicht in den Sinn .
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD,
({16})
wer soll denn Ihre Politik noch nachvollziehen können?
({17})
An einem Tag ruft Ihr Vorsitzender den linken Bündnisfall zur Rettung des Landes aus,
({18})
und am nächsten Tagen winken Sie dieses Oligarchenpflegegesetz hier im Bundestag durch.
({19})
Das bringt doch keiner mehr zusammen .
({20})
Ich finde, wer der Konzentration derart riesiger Vermögen so tatenlos zuschaut, der sollte sich Sonntagsreden
über Chancengleichheit und Gerechtigkeit auch sparen .
Ich muss noch eines sagen: Besondere Ignoranz gegenüber verfassungsmäßigen Grundsätzen muss man
nun wirklich der CSU bescheinigen .
({21})
Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die
Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen
einzelner zu verhindern .
Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor, sehr geehrte
Kolleginnen und Kollegen von der CSU? Schon mal irgendwo gehört?
({22})
- Ja, das ist die bayerische Verfassung . Na, Sie wissen es
doch sogar . Aber es scheint überhaupt keine Relevanz zu
haben, dass die bayerische Regierung auf diese Verfassung ihren Amtseid geschworen hat .
({23})
Gebrochene Eide scheinen Sie für eine politische Selbstverständlichkeit zu halten .
({24})
Auch das ist ein Punkt, weshalb Sie sich nicht wundern
müssen, dass die Menschen sich von so einer Politik abwenden .
({25})
Inzwischen hat die Ansammlung von Riesenvermögen in Deutschland Ausmaße angenommen, die mit einer
Demokratie nicht mehr vereinbar sind . Gerade das Gesetz, das Sie hier durchwinken, ist ein lebendiger Beleg
dafür . Das ist keine Reform, das ist eine Kapitulation vor
der Macht und dem Einfluss steinreicher Firmenerben.
Die Linke wird auf jeden Fall ihren Anteil dazu beitragen, dieses Gesetz im Bundesrat zu stoppen . Wenn die
Grünen das Gleiche tun, dann werden wir auch Erfolg
haben . Ich hoffe sehr, dass es dazu kommt .
({26})
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede etwas zum Verfahren sagen . Die Opposition hat kritisiert, dass sie zu
spät über die Änderungen im parlamentarischen Verfahren informiert wurde .
({0})
Das finde ich bemerkenswert; denn der Kern dessen, was
Ihnen heute vorliegt, ist seit Februar klar . Seit Februar
hatten Sie die Chance, sich damit auseinanderzusetzen .
Es gibt jetzt noch ein, zwei marginale Änderungen,
({1})
die zu einer Verbesserung des Erbschaftsteuergesetzes
führen .
({2})
Sie müssen sich überlegen, wie Sie Ihre Oppositionsarbeit hier wahrnehmen;
({3})
denn nur zu opponieren und Nein zu sagen, reicht nicht .
Sie hatten anderthalb Jahre Zeit, dem Deutschen Bundestag ein eigenes Modell zur Erbschaftsteuer vorzulegen,
aber weder von der Linkspartei noch von den Grünen
liegt auch nur ein Änderungsantrag vor .
({4})
Ich kann ja verstehen, dass Sie nicht zustimmen - Sie
sind in der Opposition, das müssen Sie tun! Aber zur Opposition gehört nicht nur, Nein zu sagen, es gehört auch
dazu, Alternativen aufzuzeigen . Sie haben keine einzige
Alternative aufgezeigt .
({5})
Ich vermute, bei den Grünen ist das der Fall, weil Sie
sich nicht entscheiden können, welcher Flügel bei den
Grünen sich nun durchsetzt: der aus Baden-Württemberg, der alle verschonen will, die sehr reich sind, oder
der von Herrn Hofreiter . Aber das können Sie doch nicht
uns vorwerfen . Wir als Koalition müssen hier und heute
Entscheidungen treffen .
({6})
Herr Kollege Schneider, die Kollegin Göring-Eckardt
möchte Ihnen das gerne erklären . Darf sie das?
Gern .
Bitte .
Ich möchte sehr gern die Möglichkeit einer Zwischenfrage in Anspruch nehmen . Ich möchte Sie, Herr
Schneider, gerne fragen, ob es wirklich so ist, dass sich
Frau Merkel, Herr Seehofer und Herr Gabriel wegen
Marginalien treffen . - So haben Sie es gerade dargestellt .
({0})
Liebe Frau Kollegin Göring-Eckardt, die vorgesehenen Änderungen an dem Kompromiss, der im parlamentarischen Verfahren von dem Kollegen Brinkhaus, Frau
Hasselfeldt und mir vereinbart wurde und seit Februar
steht, sind marginal . Das ist meine Auffassung .
({0})
- Ja, Sie müssen die Änderungen nur mit dem Forderungskatalog vergleichen, den die CSU aufgestellt hat,
dann sehen Sie, was davon übrig geblieben ist .
({1})
Im Kern ist die Erbschaftsteuer eine der letzten und
wenigen vermögensbezogenen Steuern in Deutschland .
Wir haben nur zwei . Frau Wagenknecht, ein Punkt, den
sie eben angesprochen haben, war richtig: Die Vermögensverteilung ist nicht gerecht . Aus diesem Grund ist
die Erbschaftsteuer eine Kernsteuer, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen .
({2})
Die SPD, liebe Frau Wagenknecht, setzt sich dafür ein
und bringt heute durch, dass das Steueraufkommen gesichert wird, dass die Regelung dauerhaft verfassungsfest
ist und dass die Arbeitsplätze erhalten werden . Es ist der
Erfolg der SPD, dass wir eine gerechte Steuer bekommen . Sie haben nichts Eigenes dazu vorgelegt .
({3})
Nun möchte der Kollege Troost noch eine Zwischenfrage stellen . Das wäre allerdings, wenn Sie sie zulassen,
die letzte, die ich zulassen würde .
Gerne .
Bitte schön, Herr Kollege Troost .
({0})
Kollege Schneider, Sie sind nicht Mitglied des Finanzausschusses . Deswegen frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen,
({0})
dass wir am letzten Dienstag im Berichterstattergespräch
gesagt haben, wir wollen noch eine Anhörung durchführen, weil bereits in der ersten Anhörung auch Ihre
Sachverständigen gesagt haben, dass der Entwurf eher
Carsten Schneider ({1})
nicht verfassungskonform ist, und Sie jetzt noch eine
Ausweitung der Regelung auf Betriebe mit fünf statt drei
Mitarbeitern vorgenommen haben . Die Antwort Ihres
Kollegen war: Wir brauchen keine Anhörung, die haben
uns sowieso schon alle gesagt, dass der Gesetzentwurf
nicht verfassungskonform ist, und da die Regelung sogar noch ausgeweitet worden ist, werden wir die gleiche
Antwort wieder bekommen . Dafür brauchen wir keine
Anhörung . - Das ist aus unserer Sicht skandalös, weil
wir wissen, dass dieser Gesetzentwurf, wenn er nicht im
Bundesrat gestoppt wird, am Ende wieder vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wird .
({2})
Noch einen Satz zu der Frage: Ist das jetzt Bürokratieabbau? Wir reden doch nicht von der monatlichen Umsatzsteuererklärung . Wir reden davon, dass in 20, 30 Jahren einmal ein Fall von Schenkung oder ein Erbübergang
stattfindet. Da ist es doch wohl gerechtfertigt, dass man
einmal die Vermögensverhältnisse offenlegen muss, um
festzustellen, was an Substanz zur Versteuerung vorhanden ist .
Danke schön .
({3})
Sehr geehrter Herr Troost, zunächst einmal sage ich:
In der Anhörung gab es zustimmende und kritische Stimmen . Darauf sind wir eingegangen .
({0})
Nehmen Sie den Abschmelzbetrag . Ein Hauptkritikpunkt bezog sich auf die Frage: Wie ist das mit der
Verschonung bei besonders hohen Vermögen? Das war
auch einer der Kritikpunkte der SPD . Zum Hintergrund:
Wer einen Unternehmensanteil im Wert von über 26 Millionen Euro erbt - das ist der Erbschaftswert -, hat jetzt
zwei Möglichkeiten: Erstens kann er die Bedürfnisprüfung wählen .
({1})
- Warten Sie . - Das war eine Vorgabe des Verfassungsgerichts . Diese Bedürfnisprüfung haben wir eingeführt .
Zweitens kann er aber auch ein Abschmelzmodell wählen . Dann muss er das Privatvermögen nicht offenlegen
und bis zu einer Summe von weit über 100 Millionen
Euro - so stand es im ursprünglichen Gesetzentwurf einen niedrigeren Steuersatz zahlen . Das haben wir als
Sozialdemokraten immer kritisiert; der Bundesrat im
Übrigen auch . Deswegen haben wir das geändert . Dieser Abschmelzbetrag - das ist die Verschonung - ist um
die Hälfte reduziert worden, sodass wir jetzt ein deutlich
höheres Steueraufkommen und ein sichereres Erbschaftsteuerrecht haben .
({2})
Was die verfassungsrechtlichen Fragen betrifft, kann
ich Ihnen nur Folgendes sagen: Im Kern Ihrer Frage geht
es ja darum, ob es drei oder fünf Arbeitnehmer sind .
({3})
Dabei geht es nicht um das Aufkommen . Wir sind uns
alle einig, dass es bei Unternehmen mit fünf Arbeitnehmern nicht um große Vermögen geht .
({4})
Das ist auch eine Frage der Bürokratie . Für die Eigentümer bedeutet das einen hohen Aufwand .
({5})
Das Bundesfinanzministerium und das Bundesjustizministerium haben das geprüft . Sie sind der Auffassung,
dass eine Regelung mit fünf Arbeitnehmern möglich ist
und dass eine solche Regelung verfassungskonform ist .
({6})
Dieser Auffassung haben wir uns angeschlossen . Das bedeutet nicht, dass es zu einem geringeren Steueraufkommen kommt, sondern, dass weniger Bürokratieaufwand
entsteht . Genau deswegen haben wir das übernommen .
({7})
Sie hätten Gelegenheit gehabt, im Ausschuss oder
heute im Plenum eigene Vorschläge vorzulegen . Ich stelle fest: Von Ihnen liegt nichts Eigenes vor .
Jetzt blicken wir einmal auf die Länder: Wir sind auf
die Punkte eingegangen, die die Länder mit Blick auf
den Gesetzentwurf beschlossen haben . Wir haben diese
Punkte aufgegriffen . Dabei geht es erstens um die Änderung beim Verwaltungsvermögen: Wie definiert man
Verwaltungsvermögen? Wir haben die Position der Länder zu 100 Prozent übernommen . Diese Position haben
im Übrigen auch Länder vertreten, in denen Linke und
Grüne mitregieren . Die Konsequenz dieser Regelung ist
aber, dass das Aufkommen um 70 Millionen Euro sinkt .
Ist Ihnen das bewusst? Wir haben das gemacht; aber ich
verbitte mir Kritik an einem geringeren Aufkommen,
weil das daraus resultiert, dass wir die Position der Länder übernommen haben .
({8})
Der zweite Punkt betrifft den Abschmelzbetrag . Das
ist der große Erfolg der SPD . Wir haben jetzt eine Regelung für die wirklich Superreichen, für das 1 Prozent, das
Sie, Frau Wagenknecht, angesprochen haben . Ich sehe
auch, dass wir hier ansetzen müssen, weil es aufgrund
des Zins- und Zinseszinseffekts Menschen gibt, die gar
nicht mehr arbeiten müssen und quasi wie im Schlaraffenland leben . Das widerspricht auch meinem VerständDr. Axel Troost
nis von Leistung . Deswegen müssen diese Leute, wenn
sie mehr als 26 Millionen Euro erben, jetzt tatsächlich
Steuern zahlen .
({9})
Das mussten sie bisher nicht . Jetzt müssen sie Steuern
zahlen . Ich halte das für gerecht . Auch deswegen sind wir
als Sozialdemokraten der Auffassung, dass das ein guter
Entwurf eines Erbschaftsteuergesetzes ist .
({10})
Ich möchte noch darauf eingehen, dass eventuell der
Vermittlungsausschuss angerufen wird . Ich habe überhaupt kein Problem damit . Es ist sogar gut, wenn die Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat ihre normalen
Instrumente nutzen . Ich bin gespannt, wie man mit diesem Gesetzentwurf umgehen wird, ob es eine Mehrheit
dafür gibt, ob die Mehrheit den Vermittlungsausschuss
anrufen will etc . Man kann ja nur schlauer werden . Dann
hätten wir endlich eine geschlossene Position der Länder
bezüglich ihrer eigenen Steuer .
({11})
Diese Verantwortung müssen die Länder wahrnehmen .
Wir jedenfalls sind bereit, uns darauf einzulassen . Das
ist kein Beinbruch, sondern ein ganz normales Verfahren
in Deutschland .
Ich will noch kurz auf das Beispiel von Frau
Wagenknecht mit dem Häuschen in München eingehen .
Sie haben hier, wie gesagt, keinen einzigen Änderungsantrag eingebracht .
({12})
Zum Hintergrund muss man Folgendes wissen: Wenn Sie
privat erben, gilt ein Kinderfreibetrag von 400 000 Euro
und ein Ehegattenfreibetrag von 500 000 Euro . Das ist
schon sehr viel . Das Durchschnittsvermögen in Deutschland beträgt 200 000 Euro . Die ganzen Superreichen sind
dabei eingerechnet . Viele werden also ein Vermögen von
30 000, 40 000 oder 50 000 Euro haben . Das heißt, wir
sehen als Freibetrag das Zehnfache des durchschnittlichen Vermögens der meisten vor . Jetzt kommen Sie heute
und sagen, dass Sie diesen Freibetrag auf 1 Million Euro
erhöhen wollen . Liebe Frau Wagenknecht, das ist das Gegenteil von einer sozialen Politik . Das ist letztendlich der
Schutz der Millionäre in München .
({13})
Genau das haben wir verhindert .
({14})
Dass die Linke jetzt darauf einschwenkt, ist eine besondere Quintessenz dieses Tages .
({15})
Zum Schluss noch ein Punkt an die Kollegen von der
CSU . Es war schon ein spannendes Verfahren, das wir
hier anderthalb Jahre hatten . Ich habe mich manchmal
gefragt: Welcher Partei gehört eigentlich der Bundesfinanzminister an? Denn die Kritik an dem Vorschlag, den
er ausgearbeitet hatte, kam vor allen Dingen vonseiten
der CSU .
({16})
Ich muss Ihnen ganz klar sagen, dass wir als Sozialdemokraten die Forderung, die Ministerpräsident Seehofer
jetzt aufgestellt hat, nämlich eine Regionalisierung der
Erbschaftsteuer anzustreben, ganz klar ablehnen . Das
Verfassungsgericht ist da ganz eindeutig .
({17})
Wir haben es verhindert, liebe Kollegen der Grünen .
Das war eine der Forderungen . Was bedeutet das? Es
bedeutet Steuerdumping in Deutschland . Natürlich ist
das Vermögen bei mir in Thüringen viel geringer als das
in Bayern . In Bayern hatte man ja auch viel mehr Zeit,
es zu erarbeiten . Wenn wir unterschiedliche Steuersätze
hätten - vielleicht in Thüringen 10 Prozent und in Bayern
nur 3 Prozent -, dann würde es zu einer extremen Verlagerung kommen, wie wir sie im europäischen Bereich
leider schon haben; denn in Österreich wird keine Erbschaftsteuer gezahlt . Es wurden sogar Anzeigen geschaltet: Kommt nach Österreich . - Das wollen wir weder in
Deutschland und schon gar nicht in Europa .
Deswegen, liebe Kollegen der CSU, ist das mit uns
nicht zu machen, weder vor einer Bundestagswahl noch
nach einer Bundestagswahl . Das gehört zur Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und zu einer gerechten Gesellschaft; ihr habt doch eigentlich das Soziale in eurem
Namen . Schreibt diese Forderung ab . Das wird sowieso
nichts .
Vielen Dank .
({18})
Lisa Paus hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es
gleich ganz klar zu sagen:
({0})
Wenn wir als Gesetzgeber noch ernst genommen werden
wollen, Herr Kauder, und nicht nur als Erfüllungsgehilfe von Lobbyisten, dann darf dieser Gesetzentwurf den
Deutschen Bundestag heute nicht passieren .
({1})
Carsten Schneider ({2})
Der Gesetzentwurf ist verfassungswidrig .
({3})
Er ist ungerecht, er ist unfassbar kompliziert und ein
Konjunkturprogramm für Steuerberater . Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf hier heute ablehnen .
({4})
Dabei ist es eigentlich ganz einfach . Das Bundesverfassungsgericht - wir haben es schon gehört - hat im Dezember 2014 verkündet: Eine pauschale Befreiung von
der Erbschaftsteuer für Unternehmenserben, wie es sie
bisher gab, darf es zukünftig nicht mehr geben . Es darf
sie für Erben von kleinen und mittleren Unternehmen
geben, wenn sie Arbeitsplätze erhalten, aber für alle anderen Fälle, so das Gericht, müsse zukünftig eine individuelle Bedürfnisprüfung des Unternehmenserben stattfinden, um festzustellen, ob er nicht doch - und wenn ja,
wie viel - Erbschaftsteuer zahlen kann . So weit, so klar .
Was passierte dann? Minister Schäuble legte vor genau einem Jahr einen Referentenentwurf vor, nach dem
weiterhin 99 Prozent der Unternehmenserben pauschal
von der Erbschaftsteuer befreit sein sollten . Das heißt,
dass im Schnitt ganze 95 Personen pro Jahr - ich wiederhole: 95 Personen; das sind nicht meine Zahlen, sondern
die Zahlen der Bundesregierung - von der Erbschaftsteuer nicht mehr pauschal befreit werden sollten, weil sie
ein Betriebsvermögen von mehr als 20 Millionen Euro
geerbt haben . 95 Personen! Ich fand das schon damals
zu wenig .
({5})
Aber was passierte dann? Ein Jahr lang wurde zwischen CDU, CSU und SPD verhandelt, aber nicht etwa
darüber, wie die Basis der Steuerzahlenden verbreitert
werden könnte . Nein, es wurde zwölf Monate lang daran
gearbeitet, dass auch diese 95 Personen weiterhin keine
Erbschaftsteuer zahlen müssen . Dazu kann man heute
nur sagen: Dieses Ziel haben Sie fast bis auf den letzten
Erbfall erreicht . Das war aber nicht die Forderung des
Bundesverfassungsgerichts .
({6})
So wird es bei diesem Gesetzentwurf dabei bleiben,
dass die, die mehr als 20 Millionen Euro in Deutschland erben, effektiv 3 Prozent Steuern zahlen, während
diejenigen, die zum Beispiel zwischen 100 000 und
200 000 Euro erben, effektiv das Fünffache an Erbschaftsteuer zahlen müssen, nämlich 15 Prozent . Das nenne ich
ungerecht, meine Damen und Herren und Herr Schneider .
({7})
Deshalb, Herr Schneider, wäre eine Flat Tax, zum Beispiel 15 Prozent für alle und nicht nur für die Mittelschicht, jedenfalls im Vergleich zu diesem Gesetzentwurf
deutlich gerechter .
({8})
- Er war ja vorher da . - Dieses Gesetz wird in den nächsten Jahren übrigens auch zu weniger Einnahmen führen
und nicht zu mehr . Auch das ist völlig klar .
Jetzt gibt es das Argument, man müsse das Gesetz
trotzdem unbedingt wegen der ansonsten drohenden
Rechtsunsicherheit beschließen . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, zunächst hat das Bundesverfassungsgericht selbst schon klargestellt, dass das nicht der Fall
ist . Im Übrigen: Was kann es Rechtsunsichereres geben
als ein neu beschlossenes Gesetz, von dem alle eines
ganz genau wissen, nämlich dass es verfassungswidrig
ist? Das Einzige, was wir nicht wissen, ist, wann genau
was wie für verfassungswidrig erklärt wird . Das ist wirklich die Königsdisziplin der Rechtsunsicherheit, meine
Damen und Herren .
({9})
Um es noch einmal konkret zu erläutern - auch für
Herrn Schneider -, dass doch mehr Änderungen gekommen sind, als Sie es eben behauptet haben: Dieses
Gesetz ist verfassungswidrig, insbesondere weil Sie auf
den letzten Metern Bewertungsregeln eingeführt haben,
durch die Betriebsvermögen im Vergleich zu sonstigem
Vermögen deutlich gesenkt werden . Dabei war genau das
schon 2006 vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden .
({10})
Das heißt konkret: War ein Familienunternehmen
nach den Regeln des Ursprungsgesetzes noch 80 Millionen Euro wert, so ist es nach dem vorliegenden Entwurf plötzlich bis zu 60 Prozent weniger wert, also nur
noch 32 Millionen Euro . Auf die darauf fälligen Steuern
gibt es dann auch noch einen mindestens 30-prozentigen
Rabatt, weil die Steuer bei Betriebsvermögen zehn Jahre zinslos gestundet werden kann . Dann gilt noch eine
Extraregelung für Investitionen . Und dann kommt noch
durch die pauschale Verschonung nach dem sogenannten Abschmelzmodell für Vermögen zwischen 26 und
90 Millionen Euro ein reduzierter Steuersatz dazu .
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns diesen Irrsinn heute nicht beschließen . Lassen Sie das nicht zu .
Lehnen Sie den Gesetzentwurf ab, sonst wird es der Bundesrat tun .
({11})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian von
Stetten für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben uns tatsächlich über ein Jahr mit der Änderung des
Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts beschäftigt . Ich
sage: Diese Diskussion hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eigentlich nicht gewollt .
Wir haben gute Erfahrungen mit dem noch heute gültigen Gesetz gemacht . Es war zwar schon vorher kompliziert, aber es konnte bei der Vererbung des Familienunternehmens folgendermaßen zusammengefasst werden:
Wenn ein Vater oder eine Mutter ein Unternehmen an die
Tochter oder den Sohn vererbt hat und diese oder dieser dann das Unternehmen verkauft hat, muss auch heute
schon die volle Erbschaftsteuer gezahlt werden . Das ist
auch richtig so .
Aber wenn der Erbe in das Unternehmen eintritt, ins
Risiko geht, die Arbeitsplätze eine Zeit lang erhält und
eine Zeit lang das Unternehmen nicht verkauft, hat er
heute die Möglichkeit, diesen Unternehmensteil erbschaftsteuerfrei in die nächste Generation zu überführen . Das war ein sinnvolles System . Ich glaube, das hat
viele Tausende Arbeitsplätze in der Vergangenheit gesichert und dazu geführt, dass die ganze Welt auf unsere
Unternehmen, die Familienunternehmen, unsere Hidden
Champions schaut . Egal wo wir sind: Wir werden beneidet um diese einmaligen Unternehmensstrukturen in den
Familienbetrieben . Deswegen war das bisherige Gesetz
kein schlechtes Gesetz .
({0})
Dann hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014
ein Urteil gefällt . Das Positive daran ist: Die Richter haben klargestellt, dass eine Verschonung zu 100 Prozent
auch heute noch möglich ist . Gleichzeitig haben sie aber
auch klargestellt, dass Erben größerer Familienunternehmen zusätzlich noch nachweisen müssen, dass sie
bestimmte Voraussetzungen erfüllen, etwa dass sie die
Erbschaftsteuer nicht zahlen können, um auch in Zukunft
eine Verschonung zu bekommen .
Also mussten wir einen Weg finden, der dem Verfassungsgericht gerecht wurde, der aber auch dafür gesorgt
hat, dass die einmalige Struktur erhalten bleibt . Denn
wenn Sie in der Krise vor einigen Jahren geschaut haben,
welche Unternehmen die Mitarbeiter behalten haben, sahen Sie: Es waren die Familienunternehmen, bei denen
der Sohn oder die Tochter des Unternehmers mit den
Kindern der Mitarbeiter zum Fußball oder in die Schule
geht, wo man sich beim Gesangsverein, beim Einkaufen
oder in der Kneipe trifft . Das waren nicht die anonymen,
börsennotierten Unternehmen, keine anonymen ausländischen Gesellschaften, bei denen der Eigentümer in
Chicago oder New York sitzt . Nicht da wurden die Arbeitsplätze in der Krise erhalten, sondern im Prinzip bei
uns .
({1})
Wir dürfen es nicht zulassen - dem haben wir mit
diesem Gesetzentwurf entsprochen -, dass deutsche
Familienunternehmen jetzt einen Wettbewerbsnachteil
aufgrund der Erbschaftsteuer haben . Wenn DAX-Unternehmen keine Erbschaftsteuer zahlen und ausländische
Gesellschaften, die in Deutschland ihre Produkte verkaufen, auch keine Erbschaftsteuer an den Fiskus abführen,
aber wenn im internationalen Wettbewerb - wir merken,
welche Konkurrenzsituationen bei Ausschreibungen
bestehen - in Zukunft diese Familienunternehmen einen Erbschaftsteuerzuschlag auf ihre Produkte erheben
müssten, wäre das sicherlich der falsche Weg . Deswegen
haben wir uns in den letzten eineinhalb Jahren bei diesem Gesetzentwurf von der Maxime leiten lassen: Kein
deutsches Unternehmen und kein deutscher Unternehmer
darf dieses Land wegen der Erbschaftsteuer verlassen .
Ich glaube, das ist mit diesem Gesetzentwurf auch gelungen .
({2})
Liebe Kollegin Wagenknecht, Sie haben völlig recht:
Nicht nur kein deutscher Unternehmer und kein deutsches Unternehmen darf Deutschland deswegen verlassen, sondern auch kein Erbe eines Häuschens darf
aufgrund der Erbschaftsteuer gezwungen sein, sein Elternhaus zu verlassen . Sie haben angeführt, dass dies eine
Ungerechtigkeit sei, denn wenn jemand in München sein
Haus vererben würde, dann sei es, auch wenn es nicht
besonders groß sei, aufgrund der besonderen Lage zum
Beispiel 1 Million Euro wert . Ein Arbeiter oder eine Arbeiterin müsste dann 80 000 Euro Erbschaftsteuer aufbringen und könnte es sich daher eventuell nicht leisten,
weiter im Elternhaus zu leben . Die Wahrheit ist: Wir sehen das genauso wie Sie . Deswegen ist dieses Problem
längst gelöst . Wir haben schon im jetzigen Erbschaftsteuerrecht eine klare Regelung für den Fall, dass ein Erbe in
das Haus seiner Eltern, das maximal 190 Quadratmeter
groß ist, einzieht; da haben wir wahrscheinlich sogar auf
Sie Rücksicht genommen, weil es hier ja nicht etwa um
Riesenvillen geht .
({3})
Wenn ein Haus also maximal 190 Quadratmeter groß
ist, der Erbe in das Haus einzieht und zehn Jahre in dem
Haus wohnen bleibt, dann ist es völlig egal, wie hoch der
Verkehrswert ist und wo der Standort ist . Dann ist das
schon heute erbschaftsteuerfrei . Das ist richtig und bleibt
auch so .
({4})
Ich gebe zu - das ist vorhin bei meinen Vorrednern angeklungen und auch bestätigt worden -, dass vorauszusehen war, dass die Verhandlungen in der Großen Koalition
zum Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht aufgrund der
unterschiedlichen Wahlprogramme nicht besonders einfach werden . Auch ich hätte mir ein etwas einfacheres
Erbschaftsteuerrecht vorstellen können . Aber jetzt haben
wir einen Kompromiss gefunden, den wir auch nach außen tragen .
Ich darf alle beruhigen: Es geht in diesem Gesetzentwurf nicht nur um Unternehmen und Unternehmer . Wenn
wir in den letzten eineinhalb Jahren mit Betriebsräten
und mit gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesprochen haben, dann haben
sie uns gebeten, einen Gesetzentwurf zu verabschieden,
der es auch in Zukunft möglich macht, dass Familienunternehmen, auch wenn sie groß sind, in der Hand eines
Familienunternehmers bleiben .
Denn auch Gewerkschaftler, auch solche, die gerne demonstrieren - das ist ein Grundrecht in Deutschland und
bleibt auch erhalten -, würden gerne wissen: Wo ist denn
der Eigentümer des Unternehmens? Wo kann ich meine
Forderung vortragen? Wo kann ich meine berechtigten
Interessen vorbringen? - Auch die machen das nämlich
lieber bei einem Unternehmer, der in Deutschland wohnt,
als bei einem Unternehmer aus Chicago, New York oder
London, von dem sie überhaupt keine Adresse finden.
Deswegen ist dieses Gesetz auch ein Gesetz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für den Erhalt der
Arbeitsplätze in Deutschland . Auf diese Strukturen können wir stolz sein .
Herr Kollege von Stetten, darf Ihnen der Kollege
Gambke - dann aber bitte ganz kurz - eine Zwischenfrage stellen?
Selbstverständlich .
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . Ich habe zwei Fragen, die ich verbinden
muss .
Erstens . Sie sagten, dass Sie das heutige Steueraufkommen gerade der Familienunternehmen für angemessen und auch für bezahlbar erachten . Es liegt - Kollegin Paus hat heute darauf hingewiesen - bei aktiven
Schenkungen unter 1 Prozent und im Durchschnitt bei
4 Prozent . Sie selber führen aber in einer Veröffentlichung aus, dass Sie eine Flatrate von 12,5 Prozent für
absolut bezahlbar halten und dass Sie es als ein Märchen
betrachten, dass Familienunternehmer dann ins Ausland
abwandern würden . Stehen Sie nun zu der Aussage, die
Sie in Ihrer Veröffentlichung gemacht haben, oder zu der
Aussage, die Sie heute im Plenum gemacht haben?
Zweite Frage . Sie haben über Bürokratie und Verlässlichkeit gesprochen . Das, was ich von den Unternehmen
höre, ist - dazu stehen auch wir -: Wir brauchen verlässliche Regelungen . - Ist Ihnen bewusst, dass die jetzige
Regelung die Folge bereits eines dritten Spruchs des
Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer ist, wir
fest davon ausgehen müssen, dass Sie hier eine Regelung
vorlegen, die ein viertes Mal vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird, und damit eben keine Rechtssicherheit und kein Vertrauen in die Politik geschaffen
wird?
Vielen Dank für die Frage . Grundsätzlich kann ich
Ihnen sagen: Ich bin immer für Steuervereinfachungen .
Mir wäre es aber völlig neu - ich bin seit 13 Jahren hier
im Parlament -, dass die Grünen bisher auch nur einen
einzigen Beitrag zur Steuervereinfachung geleistet haben . Insofern kann ich Ihnen sagen: In den letzten eineinhalb Jahren haben wir in dieser Diskussion natürlich
alle Möglichkeiten, ein neues Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht zu beschließen, durchgespielt . Wir haben es
vorhin ja schon gehört: Sie hätten Möglichkeiten en masse gehabt, Ihre eigenen Gesetzentwürfe einzubringen . Da
ist aber überhaupt nichts gekommen .
Zur Wahrheit gehört auch, dass die Umsetzung der
Diskussionsbeiträge, die ich zu diesem Thema von der
Opposition in den letzten eineinhalb Jahren gehört habe,
die Situation der Erben und die Arbeitsplätze in Deutschland nicht sicherer gemacht hätten . Ich kann nur sagen,
dass die Wichtigkeit einer Regierungsbeteiligung der
CDU/CSU in diesem Zusammenhang noch einmal völlig
deutlich geworden ist .
Ich möchte jetzt nicht aufzählen, was passiert ist und
welche Forderungen aus Ihren Fraktionen gekommen
sind .
({0})
Das ist zwar technisch innovativ, trifft aber leider
nicht zu,
({0})
sodass diejenigen, die es vorgezogen haben, diese Plenarsitzung live und in Farbe zu verfolgen, genauer über
die Zeitabläufe informiert sind als diejenigen, die das auf
diesem Wege zugerufen bekommen haben .
({1})
Bitte schön, Herr Kollege .
Ich hatte gedacht, Herr Präsident, Sie lassen nur
noch eine Zwischenfrage zu . - Um das abzuschließen:
Ich habe in den Diskussionen schon den Eindruck gehabt, dass die Kolleginnen und Kollegen der Opposition
überhaupt keinen Einblick haben, wie Entscheidungen Strukturentscheidungen, Investitionsentscheidungen - in
Familienunternehmen in Deutschland getroffen werden .
Wenn wir die Vorschläge vonseiten der Linken, aber
auch vonseiten der Grünen, die Sie in den letzten Monaten gemacht haben, so umgesetzt hätten, wie Sie sie in
den Wahlprogrammen beschrieben haben - Sie fordern
eine deutliche Erhöhung der Erbschaftsteuer -, dann hätte uns das in den nächsten 15 Jahren mindestens 3 Millionen Arbeitsplätze gekostet .
({0})
Das haben wir verhindert, und deswegen glaube ich, dass
wir hier jetzt auf dem richtigen Weg sind,
({1})
ein verlässliches Erbschaftsteuerrecht für die Bürgerinnen und Bürger, die als Erben betroffen sind, aber auch
für die Arbeitsplätze - die Arbeitnehmerinnen und ArChristian Freiherr von Stetten
beitnehmer, die lieber in Familienunternehmen arbeiten - zu schaffen .
Ganze Regionen sind übrigens von Familienunternehmen geprägt . Wo gehen denn die Mitarbeiter hin, die im
Sport- oder im Gesangsverein aktiv sind, wenn ein neues
Klavier gebraucht wird oder Anschaffungen im Jugendbereich anstehen? Es gibt einen direkten Zugang zum
Unternehmer, die in diesen Bereichen auch großzügig
sind .
Diese Strukturen, die weltweit nicht nur geachtet sind,
sondern auch kopiert werden wollen, wollen wir nicht
zerstören . Wenn wir dazu in den nächsten Jahren sinnvolle Vorschläge von Ihnen bekommen, dann sind wir hier
auf einem guten Weg .
Herzlichen Dank .
({2})
Für den Bundesrat erhält nun die Finanzministerin
von Schleswig-Holstein, Monika Heinold, das Wort .
Monika Heinold, Ministerin ({0}):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Besteuerung von Einkommen und Vermögen nach Leistungsfähigkeit ist kein ideologischer Unsinn . Es geht
hier, wie gesagt, nicht um ideologische Scheuklappen,
sondern darum - es ist traurig, dass wir die CSU immer
wieder an ihre eigene Verfassung erinnern müssen ({1})
- Ihre Verfassung! -, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zu verhindern .
({2})
- Schön, dass Sie wach sind; guten Morgen!
({3})
Meine Damen und Herren, was darf die Länderkammer erwarten, wenn ihr am 8 . Juli 2016 ein neues Regelwerk für die Erbschaftbesteuerung von Unternehmen
vorgelegt wird?
({4})
- Ich habe zugehört . - Die Länderkammer darf erwarten,
dass es einen Vorschlag gibt, der eindeutig verfassungsund gestaltungsfest ist .
({5})
Die Länderkammer darf erwarten, dass die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichtes berücksichtigt werden .
({6})
- Dazu komme ich gleich . Der Bundesrat hat sich sehr
wohl positioniert .
Einen Augenblick! Im Augenblick hat Frau Heinold
das Wort . Es gibt ja noch weitere Redner . - Bitte schön .
({0})
Monika Heinold, Ministerin ({1}):
Die Länderkammer darf erwarten, dass die Einnahmesituation und die finanziellen Auswirkungen auf die Länder klar und nachvollziehbar benannt werden, und zwar
nicht erst im Jahr 2040, sondern jetzt .
({2})
Wir dürfen auch erwarten, dass es ein Gesetz gibt, das die
Erben tatsächlich nach ihrer Leistungsfähigkeit gerecht
besteuert .
({3})
- Ich komme dazu .
Meine Damen und Herren, das, was Sie uns vorlegen,
wird all diesen Ansprüchen nicht gerecht .
({4})
- Das ist falsch - ein bisschen Geduld -; dazu komme
ich noch .
Meine Damen und Herren, der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung ist von Tag zu Tag verwässert worden . Das waren keine kleinen Änderungen . Ich
habe den Bericht des Finanzausschusses gelesen . Dort
ist unter einer Tabelle zu den Finanzen von einer „Vielzahl komplexer Änderungen“ die Rede; so komplex, dass
Sie uns noch nicht einmal sagen können, was das für die
Länder finanziell bedeutet.
({5})
Diese Änderungen wurden von der CSU in letzter Minute durchgedrückt . Das ist Ihr Problem, meine Damen
und Herren .
({6})
Beibehaltung der Privilegien, Verschonungsregelungen: ein Ritt auf der Rasierklinge der Verfassungswidrigkeit .
({7})
Die Messlatte der Steuergerechtigkeit wird gerissen . Die
Länder können knobeln, wie viel ihnen an Einnahmen für
Bildung, Teilhabe und all das, was wir finanzieren müssen, bleibt .
({8})
Ich sage Ihnen: Als grüne Finanzministerin kann ich dem
nicht zustimmen . Ich freue mich, dass ich damit nicht alleine bin .
({9})
Meine Damen und Herren, Ihr eigener Bundesfinanzminister hatte am Anfang der Debatte einen Eckpunkteplan vorgelegt, von dem Lisa Paus sagt: Das war schon
schwierig genug . - Ich sage über diesen Plan: Das wäre
ein Kompromiss, damit Bundestag und Bundesrat zueinanderkommen
({10})
Natürlich haben die Länder gearbeitet, und zwar nicht
wie Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion,
({11})
sondern ordnungsgemäß über den Bundesrat . Wir haben
Ihren Regierungsentwurf genommen und ihn um die
Stellungnahme der Länder ergänzt .
({12})
Dem ist im Bundesrat mit Mehrheit zugestimmt worden .
Wo ist denn Ihr Problem? Ihr Problem ist, dass Sie die
CSU an Bord haben und dass diese alles blockiert, was
verfassungskonform wäre .
({13})
Meine Damen und Herren, sowohl der Eckpunktekatalog von Schäuble als auch der Regierungsentwurf, ergänzt um die Stellungnahme der Länder,
({14})
wäre eine Grundlage, um bei einer Erbschaft auch den
Fortbestand der Betriebe zu gewährleisten . Kein normaler Mensch bezweifelt das, glaube ich . Damit würde der
Erhalt der Arbeitsplätze gesichert . Er wäre auch im Vergleich zur geltenden Rechtslage eine leistungsgerechtere
Besteuerung .
Das wäre nicht das, was ich mir wünsche und was
auch viele Experten sagen, die davon sprechen, dass wir
die Erbschaftsteuer im Grundsatz vom Kopf auf die Füße
stellen sollen; Stichwort Flat Tax . Aber Bundestag und
Bundesrat müssen aufeinander zugehen . Wir brauchen
ein verfassungskonformes Gesetz . Wir brauchen Rechtssicherheit für die Betriebe .
({15})
Meine Damen und Herren, noch einmal mit Blick auf
die SPD: Wir müssen der Reinigungskraft Frau Neumann
aus Gelsenkirchen aufrichtigen Herzens versichern können, dass es in unserem Staat gerecht zugeht .
({16})
In diesem Sinne hoffe ich, meine Damen und Herren,
dass es der Bundesrat besser macht, als Sie es heute vermutlich machen werden .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({17})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kiziltepe für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber den klaren Auftrag erteilt, die steuerfreie Übertragung von größten Vermögen
ohne Prüfung einer Verschonungsbedürftigkeit zu beenden . Warum? Weil das bisherige Gesetz ungerecht war .
Das war ein schlechtes Gesetz, Herr von Stetten . Diesen
Auftrag umzusetzen, ohne das Steueraufkommen zu erhöhen, wie von der Union verlangt, kommt einer Quadratur des Kreises gleich .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, herausgekommen
ist ein politischer Kompromiss, der kleinste gemeinsame
Nenner; nicht mehr und nicht weniger . Sollte das Gesetz
in Karlsruhe erneut scheitern, dann trägt hierfür einzig
und allein die Union die Verantwortung . Ein Gerechtigkeitsempfinden bei der Christlich-Sozialen Union zu verlangen, war wahrlich zu viel verlangt . Horst Seehofer hat
sich hier als der größte Bremsklotz erwiesen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zukünftig wird das
Betriebsvermögen ab 90 Millionen Euro, also bei den Superreichen, ohne Nachweis einer Bedürfnisprüfung nicht
mehr verschont werden . Das ist ein großer Erfolg, den
ich nicht kleinreden werde . Die Bedürfnisprüfung ist ein
großer Schritt nach vorne . Wer in Zukunft eine Verschonung von der Erbschaftsteuer erreichen will, der muss
seine privaten Vermögensverhältnisse endlich offenlegen . Das ist auch ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit .
Hierfür werden wir Sozialdemokraten uns auch in Zukunft einsetzen . Wenn es um eine zukünftige Reform der
Erbschaftsteuer geht, werden wir daran anknüpfen . Statt
Ministerin Monika Heinold ({0})
90 Millionen Euro wären beispielsweise 20 Millionen
Euro ein vernünftiger Schwellenwert gewesen .
({1})
Das war in den Eckwerten, die Herr Finanzminister
Schäuble vorgelegt hat, auch ursprünglich vorgesehen .
Herr Dr . Meister weiß das nur zu gut . Allerdings haben
im Rahmen der Beratungen die Lobbyvereine, die Familienunternehmer wohl dermaßen intensiv an die Tür geklopft, dass diese Eckwerte entschärft wurden .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich befürchte, dass
Unternehmen auch in Zukunft Gestaltungsspielraum haben . Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt . Ich
habe auch Bedenken, ob diese Regelungen in Karlsruhe
Bestand haben werden . Die Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen teilen meine Einschätzung .
Wir Sozialdemokraten wollen eine Erbschaftsteuer,
die einen signifikanten Beitrag zum Abbau der enormen Vermögensungleichheit in diesem Land leistet . Das
bleibt auch in Zukunft auf unserer politischen Agenda .
Auch hätten wir das Steueraufkommen erhöhen können, ohne Arbeitsplätze zu gefährden . Hierfür lagen
Konzepte vor . Das hat beispielsweise das Institut für
Makroökonomie und Konjunkturforschung vorgerechnet . Von 2009 bis 2014 wurden über 170 Milliarden Euro
Betriebsvermögen steuerfrei übertragen . Dadurch sind
unserem Gemeinwesen 43 Milliarden Euro entgangen .
Das hing mit der Überprivilegierung der größten Vermögen zusammen . Das wollen wir mit der Einführung der
Bedürfnisprüfung jetzt abschaffen .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erbschaftsteuer
ist keine Bagatellsteuer . Wenn man sie gerecht gestaltet,
führt sie auch zu Mehreinnahmen . In der Vergangenheit
haben die Vergünstigungen dazu geführt, dass die Einnahmen nicht sehr hoch waren . Das wollen wir ändern,
indem wir das eine Prozent der Superreichen belasten
wollen .
Ich kann leider nicht verhehlen, dass ich mir eine andere Lösung gewünscht hätte . Das ist auch die Meinung
vieler meiner Kollegen . Umso mehr bedauere ich, dass es
in den anderthalb Jahren der Beratungen keinen Gesetzentwurf der Länder zu dieser Frage gab .
({4})
Das wäre wirklich sinnvoll gewesen, weil die Einnahmen den Ländern zufließen. Ich bin auf die Haltung Baden-Württembergs zu dieser Frage in der Sitzung des
Bundesrates gespannt .
Von Linken und Grünen war heute nur unqualifizierte
Kritik zu hören . Daher wüsste ich gerne: Was sind eure
Konzepte? Wo sind eure Anträge und Änderungsanträge?
Ich habe bisher noch keine gesehen .
({5})
Im Übrigen, Frau Paus, schafft das, was Ihre Kollegen von den Grünen vorgeschlagen haben, nämlich
eine Flat Tax von 15 Prozent, wahrlich kein relevantes
Mehraufkommen, und es ist auch nicht gerecht . Große
Betriebsvermögen müssen angemessen besteuert werden . Hoffentlich gelingt das in der nächsten Legislatur
unter anderen Mehrheitsverhältnissen besser . Das geht
aber nur mit progressiven Steuersätzen; es geht nicht mit
Flat-Tax-Modellen, die Sie aus der neoliberalen Mottenkiste herausgekramt haben .
({6})
Vielen Dank .
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege
Fritz Güntzler das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute
das Erbschaftsteuerrecht . Ich glaube, kein Steuergesetz
ist so dafür geeignet, ideologische Debatten zu führen .
Frau Wagenknecht, Sie haben das auch bewiesen. Ich finde es interessant, dass nicht die Fachpolitiker der Linken
gesprochen haben, sondern dass Sie eine ideologische
Rede gehalten haben .
({0})
Es hätte mich schon interessiert, wie Sie am Gesetzentwurf entlang argumentiert hätten .
({1})
Erstaunt bin ich auch über Ihren Beitrag, Frau Ministerin Heinold . Der Bundesrat hat, glaube ich, nicht gerade bewiesen, dass er in diesem Punkt leistungsstark ist .
({2})
Die Erbschaftsteuer ist eine Ländersteuer . Von daher
wäre es auch Aufgabe der Länder gewesen, sich zu einigen und einen Gesetzentwurf vorzulegen, über den wir
gerne debattiert hätten .
({3})
Sie aber haben die Verantwortung auf den Bund geschoben, und wir mussten Ihnen etwas vorlegen . Jetzt kritisieren Sie daran herum, ohne einen eigenen konkreten
Vorschlag vorzulegen .
({4})
Meine Damen und Herren, zum Thema Beratung: Das
Urteil stammt vom 17 . Dezember 2014 . Herr Minister
Schäuble hat zügig ein Eckpunktepapier vorlegt . Wir
haben dann im September letzten Jahres hier die erste
Lesung gehabt . Wir haben alle Punkte umfassend diskutiert und angesprochen . Wir haben im Ausschuss auch
dargelegt, dass die Dinge, die von den Grünen und von
den Linken bemängelt worden sind, in der Anhörung besprochen und andiskutiert worden sind . Von daher kann
ich überhaupt nicht verstehen, dass man kurz vor Toresschluss sagt: Wir haben gar nicht mitberaten . - Dann
haben Sie, Herr Pitterle, die ganze Zeit über Ihre Arbeit
nicht gemacht . Das ist die Wahrheit!
({5})
Meine Damen und Herren, über das Urteil ist ja viel
geschrieben worden . Die Überschriften lauteten immer:
„Das Erbschaftsteuerrecht ist verfassungswidrig .“ Das
ist zu kurz gegriffen . Das Bundesverfassungsgericht hat
festgestellt, dass die Steuerbefreiung und die Verschonungsregelung grundsätzlich verfassungskonform sind .
Es hat sogar gesagt, dass wir Unternehmensvermögen bis
zu 100 Prozent freistellen können, wenn wir die richtige
Begründung dafür geben . Das bisherige System wurde
im Grundsatz durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt . Das war ein Erfolg . Der Erfolg hat auch sozusagen einen Sohn, das ist der Staatssekretär Dr . Michael
Meister, der uns in Karlsruhe hervorragend vertreten hat .
({6})
Worum geht es? Es geht um etwas, was hier in der Debatte meines Erachtens viel zu kurz gekommen ist, nämlich um die Sicherung von Arbeitsplätzen und der Investitionsfähigkeit von Unternehmen . Denn es ist so: Wenn
ein Unternehmen in die nächste Generation übertragen
wird, kommt es zu Erbschaftsteuerzahlungen, die - über
Ausschüttungen oder Entnahmen - aus dem Unternehmen genommen werden müssen . Dies gefährdet das Unternehmen . Von daher gefährdet es auch Arbeitsplätze,
meine Damen und Herren . Deshalb ist es kein Geschenk
an die Unternehmer, sondern aus volkswirtschaftlichen
Gründen sinnvoll, diese Unternehmensübergaben steuerfrei zu stellen, um die Arbeitsplätze in Deutschland zu
sichern .
({7})
Natürlich befinden wir uns in einem Spannungsfeld,
wenn wir verschonen . Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ja auch ausgeführt . Es hat gefordert, das vernünftig zu begründen . Frau Paus, Sie
haben auch wieder ausgeführt - auch die Linken haben
das getan -, alles sei verfassungswidrig . Sie sind aber das
einzelne Argument dafür schuldig geblieben, an welcher
Stelle es verfassungswidrig ist .
Das Bundesverfassungsgericht hat uns einen klaren
Auftrag gegeben, was wir zu ändern haben . Dabei geht
es darum, dass wir bis jetzt bis zu 50 Prozent Verwaltungsvermögen - sozusagen schlechtes Vermögen - in
Zukunft nicht mitübertragen dürfen . Diesen Satz senken
wir auf 10 Prozent . Damit haben wir dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen .
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass wir
die Gestaltungsanfälligkeit des Erbschaftsteuerrechts
minimieren müssen . Auch das haben wir sogar schon
vorher getan . Für die Cash-GmbHs haben wir eine Lösung über den Finanzmitteltest herbeigeführt . Herr Kollege Gambke, Sie müssten mir einmal neue Gestaltungen
nennen . Ich bin ja beratend tätig . In diesem Gesetz habe
ich keine neuen Gestaltungen gefunden, Sie anscheinend
solche . Sie könnten uns diese ja dann verraten .
Dann hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dass
wir in Bezug auf die Lohnsummenregelung bei den
kleinen Unternehmen mit über 20 Arbeitnehmern keine
Befreiung von der Bürokratie vornehmen, wir müssten
darunter gehen . Nun haben wir uns auf fünf Arbeitnehmer geeinigt, ursprünglich waren es ja drei Arbeitnehmer . Es wurde diskutiert, wie viele Unternehmen davon
betroffen sind . Das weiß eigentlich keiner . Wir können
das Statistische Bundesamt befragen . Dann sehen wir die
Grundgesamtheit der Unternehmen in Deutschland, die
davon betroffen sind . Die eigentliche Frage aber, die wir
uns stellen müssen, lautet ja, wie viele von diesen Unternehmen tatsächlich in die nächste Generation übertragen
werden . Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen das kann man aber auch nachlesen -, dass gerade bei
kleineren Unternehmen eine Übertragung in die nächste
Generation gar nicht stattfindet. Von daher müssen Sie
das richtige Vergleichspaar suchen . Ich sage Ihnen noch
einmal sehr deutlich: Ein Großteil dieser Übertragungen
unterliegen den persönlichen Freibeträgen der Erbschaftsteuer, sodass es gar nicht zu einer Steuerbelastung käme .
Von daher glaube ich, dass wir auch bei diesem Punkt auf
einem guten Weg sind .
({8})
Letztlich hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen, die deutsche Wirtschaft in kleine, mittlere und
große Unternehmen einzuteilen . Wir haben heftig darüber diskutiert, ab wann ein großes Unternehmen beginnt .
Da gibt es unterschiedliche Definitionen. Wir haben uns
jetzt an die Steuerklasse gehalten und sind bei 26 Millionen Euro gelandet . Ich verweise gerne auf die schöne Textziffer 175 des Bundesverfassungsgerichtsurteils,
wo sogar auf einen rot-grünen Gesetzentwurf verwiesen
wird, nach dem sogar eine Grenze von 100 Millionen
Euro möglich gewesen wäre . Wir haben uns aber auf
26 Millionen Euro verständigt, um auch hier auf einem
sicheren Weg zu gehen . Ich glaube, das ist eine vernünftige Lösung .
Danach werden wir die Bedürfnisprüfung haben, die
wir uns auch nicht ausgedacht haben . Zum einen geht es
um die Verschonungsbedürftigkeit . Da beziehen wir sogar das Privatvermögen mit ein, und wir schauen, ob das
Bedürfnis der Verschonung gegeben ist, weil vielleicht
genug privates Vermögen vorhanden ist, um 50 Prozent
davon zur Bezahlung der Erbschaftsteuerschuld einzusetzen .
Parallel wird es ein Abschmelzmodell geben, was
leider aus meiner Sicht etwas gemindert wurde; Herr
Schneider hat darauf hingewiesen . Wir hatten uns das
etwas anders vorgestellt. Ich finde es richtig, dass wir
mit der Grenze von 26 Millionen Euro nicht quasi ein
Fallbeil haben und wir von einer 85-prozentigen oder
100-prozentigen Verschonung auf eine Nullverschonung
gehen, sondern wir einen gleitenden Übergang haben .
({9})
Das waren die Aufgaben, die uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen hat . Die haben wir gelöst . Wir
haben sogar noch eine Verbesserung erreicht, indem wir
mit der Investitionsklausel den Unternehmern die Möglichkeit geben, Liquidität, die zu viel im Unternehmen
ist, zum begünstigten Vermögen zu machen; denn es ist
so, Frau Paus, dass sich die Unternehmer nicht nur auf
die Kreditinstitute verlassen, sondern das Geld auch im
Unternehmen ansammeln, um dann die Investition zu tätigen .
Es wäre nun wirklich dumm, wenn der Unternehmer
gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem die Liquidität angesammelt ist, verstirbt und der Sohn oder die Tochter darauf Steuern zu zahlen hätten . Vielmehr müssen sie dann
die Investition tätigen können, damit das Unternehmen
weiterhin in der bisherigen Form erhalten bleibt und auch
die Arbeitsplätze erhalten werden können . Von daher ist
die Investitionsklausel eine gute Lösung .
({10})
Wir haben uns auch mit der Bewertung beschäftigt .
Sie haben ein Zahlenbeispiel gebracht . Sie sind von einer utopischen Bewertung ausgegangen . Wir haben mittlerweile im vereinfachten Ertragswertverfahren einen
Faktor von 18 . Alle Unternehmer, die ich kenne, würden
für den Faktor von 18 ihr Unternehmen wahrscheinlich
sofort veräußern, weil das völlig irreal ist . Wir haben
deshalb jetzt eine Lösung gefunden, sodass das vereinfachte Ertragswertverfahren zu halbwegs vernünftigen
Ergebnissen führt . Es steht übrigens im Gesetz, dass das
Verfahren nur anzuwenden ist, wenn es nicht zu unrealistischen Ergebnissen führt . Wir hätten es eigentlich schon
jetzt gar nicht mehr anwenden dürfen, weil der Faktor
von 18 völlig unrealistisch ist . Ich sage Ihnen: Auch ein
Faktor von 10 ist unrealistisch .
({11})
Von daher sind viele gut beraten, vielleicht ein Gutachten
bei einem Wirtschaftsprüfer in Auftrag zu geben, um zu
einem niedrigeren Wert zu kommen .
Meine Damen und Herren, ich glaube, in der Kürze
hätten Sie die Möglichkeit gehabt, zu zeigen, warum das
Gesetz verfassungswidrig ist . Ich fand Ihre Argumente wenig überzeugend . Ich glaube, dass wir angesichts
des Rahmens, der hier mehrfach geschildert worden ist,
einen guten Kompromiss erzielt haben . Ich würde mir
wünschen, dass der Bundesrat nicht blockiert, sondern
dieses Gesetz mit beschließt, damit wir zügig Rechtssicherheit für die Unternehmerinnen und Unternehmer in
Deutschland bekommen .
Zum Schluss - damit ich in meiner Redezeit bleibe,
Herr Präsident - erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung . In diesem Prozess zur Erarbeitung des Erbschaftsteuergesetzes habe ich mich sehr ausgiebig mit
unserem Kollegen Philipp Graf Lerchenfeld auseinandergesetzt . Wir haben gemeinsam diskutiert . Ich weiß,
dass Graf Lerchenfeld am Fernseher die Debatte verfolgt, weil er gesundheitlich ein wenig angeschlagen ist .
Ich wünsche ihm gute Besserung . Lieber Philipp, alles
Gute von hier!
({12})
Danke .
({13})
Letzter Redner ist der Kollege Lothar Binding für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte zunächst
eine Bemerkung zu Ministerin Heinold machen; denn
ich kann ihre Kritik in Teilen verstehen . Aber dann irritiert wirklich, dass die Länder für eine Ländersteuer kein
eigenes Gesetz vorgelegt haben . Die Möglichkeit hätte
bestanden .
({0})
In diesem Gesetz hätten Sie all die Punkte, die Sie berechtigterweise ansprechen, regeln können . Insofern fand
ich das ein bisschen gewagt .
Ich habe vorhin applaudiert, als Carsten Schneider gesagt hat, wir hätten ein gutes Gesetz gemacht .
({1})
Ich meine auch, dass wir im Rahmen der Möglichkeiten, die wir haben, ein gutes Gesetz gemacht haben . Nun
muss man sagen: Der Rahmen ist nicht ganz einfach . Das
Bundesverfassungsgericht hat uns eine Reihe von Bedingungen diktiert, die aber doch unspezifisch sind. Wir
hatten viele Möglichkeiten, über die einzelnen Grenzen
zu streiten .
Etwas hat mich sehr gestört . Da spreche ich Ralph
Brinkhaus, Gerda Hasselfeldt und Carsten Schneider an;
denn die haben einen sehr guten Kompromiss erarbeitet .
({2})
Wenn man so etwas erreicht hat und alle unterschreiben das - vielen Dank für den Applaus -, dann frage ich
mich, wie es möglich ist, dass die CSU nach Hause geht,
anschließend zurückkommt und dann sagt: Wir machen
doch nicht mit . - Diese Art der Unzuverlässigkeit mindert das Vertrauen in die Politik .
({3})
Ich meine, an Vereinbarungen muss man sich halten .
Dann sind alle auf einem verlässlichen Pfad . Ich glaube,
was da passiert ist, hat große Verwerfungen zur Folge
gehabt .
Insofern ist das, was Sigmar Gabriel, die Kanzlerin
und Herr Seehofer verhandelt haben, fachlich marginal,
aber politisch wichtig . Ich bin Sigmar Gabriel dankbar,
dass es ihm in diesem Dreiecksverhältnis gelungen ist,
den Streit zwischen CDU und CSU zu schlichten . Interessant ist, dass das Aufgabe der SPD geworden ist .
({4})
Das ist tatsächlich bemerkenswert .
Wir sind für eine weitere Randbedingung: Wir wollten das Aufkommen erhalten und sogar erhöhen . Das
mag nicht ganz leicht sein . An meinem Platz stehen
zwei Gläser . Am Inhalt dieser Gläser spiegelt sich all das
wider, was in Deutschland erarbeitet wird . Das, was in
dem einen Glas ist, entspricht fast allem; es gehört ganz
wenigen . In dem anderen Glas ist nichts; das entspricht
dem, was allen anderen gehört . Das Bruttovermögen je
Haushalt in Deutschland liegt bei 240 000 Euro . Ich bitte
Sie, die Zuhörerschaft, einmal zu prüfen, wer von Ihnen
ein Vermögen von 240 000 Euro hat und wie viele ein
Vermögen haben, das darunter liegt . Unabhängig davon,
wer nun ein Handzeichen gibt, weiß ich: Das Vermögen
der meisten liegt darunter . Übrigens beträgt das durchschnittliche Nettovermögen 215 000 Euro . 10 Prozent
der Menschen verfügen über 60 Prozent des Vermögens .
Der Gini-Koeffizient liegt bei 76 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich sehr hoch .
80 Prozent der Vermögen stammen aus Erbschaften .
Nun haben wir heute von Hans Michelbach gelernt: Erwirtschaften geht vor Verteilen . Ich sage es noch einmal:
Erwirtschaften geht vor Verteilen . Ich kenne ganz viele
Töchter und Söhne, an die wurde zuerst verteilt, und anschließend wurde das Unternehmen, das sie erbten, ruiniert . Was Hans Michelbach gesagt hat, ist also eigentlich falsch . Die meisten Vermögen entstehen nicht durch
Erwirtschaften, sondern durch Verteilen, bevor etwas erwirtschaftet worden ist . Das ist die Realität .
({5})
- Ich beschreibe eigentlich nur die jetzigen Verhältnisse .
Wenn das Sozialismus ist, dann ist das eine interessante
Sache, was die Unternehmen angeht .
({6})
Insofern ist es wichtig, dass wir Konzentrationsprozessen begegnen . Dazu muss man sagen: Obwohl es im
Rahmen unserer Möglichkeiten ein guter Gesetzentwurf
ist, werden wir das Ziel, diesen Prozessen zu begegnen, mit Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs nicht
erreichen . Sie fragten: Warum verabschieden wir ihn
trotzdem? Die Antwort ist einfach: Wir wollen die Erbschaftsteuer natürlich erhalten, die sonst infrage gestellt
worden wäre, und wir wollen die Arbeitsplätze erhalten .
Das sind zwei wichtige Kriterien, derentwegen wir diesem Gesetzentwurf natürlich zustimmen .
({7})
Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass das
Bundesverfassungsgericht gesagt hat, wir überprivilegierten . Die Überprivilegierung haben wir zurückgenommen . Insofern wird das Gesetz verfassungsfester sein .
Herr Kollege .
Eine Sekunde noch . - Allerdings muss man feststellen:
In den Anhörungen haben die Sachverständigen zum Teil
gesagt, das Gesetz sei zulässig . Andere Sachverständige
haben gesagt: Es ist unzulässig . Im Spannungsfeld dieses Urteils ist es klug, dass sich Norbert Walter- Borjans
eine Prüfung vorbehalten hat . Das ist nicht nur sein gutes
Recht, sondern auch seine Pflicht. Das entspricht unserem Umgang mit einer guten Gesetzgebung . Deshalb
kann man diesem Gesetzentwurf heute zustimmen . Alles
andere obliegt der Zukunft .
Schönen Dank .
({0})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkung-
steuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts . Ich mache darauf aufmerksam, dass
ich inzwischen über 30 persönliche Erklärungen zur Ab-
stimmung vorliegen habe, die wir wie immer in solchen
Fällen dem Protokoll beifügen .1)
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf der Drucksache 18/8911, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5923
und 18/6279 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion bei einzelnen Gegenstimmen und Enthaltungen aus
den Reihen der Koalition angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen hat namentliche Abstimmung verlangt . Ich darf
deswegen die Schriftführerinnen und Schriftführer bit-
ten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir zu
signalisieren, wenn die Abstimmungsurnen komplett
besetzt sind . - Wunderbar . Ich eröffne die Abstimmung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich frage noch einmal, ob
jemand im Saal und abstimmungsberechtigt ist, der seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat . - Das ist offensichtlich
1) Anlagen 2 und 3
Lothar Binding ({0})
nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen . Ich gebe Ihnen das Ergebnis
der Abstimmung während des nächsten Tagesordnungs-
punktes bekannt, sobald es vorliegt .1)
Jetzt wäre es schön, wenn diejenigen, die beim nächsten Tagesordnungspunkt mitwirken wollen oder müssen,
ihre Plätze einnähmen und die anderen ihre noch wichtigeren Geschäfte außerhalb des Plenarsaals weiterverfolgten .
Ich rufe nun die Zusatzpunkte 10 und 11 auf:
ZP 10 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung und
zur Risikominimierung bei den Verfahren der
Fracking-Technologie
Drucksachen 18/4713, 18/4949
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1})
Drucksache 18/8916
ZP 11 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausdehnung der Bergschadenshaftung
auf den Bohrlochbergbau und Kavernen
Drucksachen 18/4714, 18/4952
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({2})
Drucksache 18/8907
Zu dem Gesetzentwurf zur Fracking-Technologie liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Zu dem Gesetzentwurf zur Bergschadenshaftung liegt
ebenfalls ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fracking-Technologie werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Das ist offensichtlich einvernehmlich . Dann können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Matthias Miersch für die SPD-Fraktion .
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, nach einem Jahr intensiver Beratung können wir
1) Ergebnis Seite 17791 D
feststellen, dass das, was hier heute vorliegt, ein Riesenerfolg für dieses deutsche Parlament ist .
({0})
Vor einem Jahr haben wir hier miteinander gestritten .
Es lag ein Entwurf der Bundesregierung vor, und wir
haben viele Punkte angesprochen: Reicht dieses Verbot,
weil es auf den Bereich oberhalb von 3 000 Metern Tiefe begrenzt war? Wie ist das mit dem unkonventionellen
Erdöl? Wie ist das mit einer Expertenkommission? Es
haben viele Demonstrationen stattgefunden . Viele Organisationen und viele Bürgerinnen und Bürger haben
sich eingebracht . Auch die Länder, die vor allen Dingen
betroffen sind, haben sich zu Wort gemeldet . Das Land
Niedersachen, dessen Anteil an der deutschen Erdgasförderung bei über 90 Prozent liegt, hat uns über seinen
Landtag vor gut einem Jahr einen rot-grünen Entschließungsantrag zur Kenntnis gegeben . Der energiepolitische
Sprecher der grünen Landtagsfraktion in Niedersachsen
hat in seiner Rede zu diesem Entschließungsantrag vor
einem Jahr Folgendes zu Protokoll gegeben:
Die entscheidenden Fragen sind doch: Wie gehen
wir mit der unkonventionellen Erdgasförderung
um? … Wird es bei uns auch massives Fracking
wie in den USA geben?
Weiter heißt es - er kritisiert -:
Statt klarer Ansage gibt es nun vom Bund die
schlichte Ankündigung, dass über den Einstieg ins
kommerzielle Fracking nach 2018 eine Expertenkommission entscheiden soll .
… Das ist aus meiner Sicht politische Arbeitsverweigerung, ein Sich-Wegducken vor Verantwortung . Bei so weit reichenden Entscheidungen darf
man sich nicht hinter Experten verstecken .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheimnis, dass wir über genau diese Punkte lange gestritten haben . Aber heute beschließen wir in Deutschland erstmals
ein klares Verbot für unkonventionelles Fracking . Das ist
ein Riesenerfolg .
({2})
Dieses Verbot, auch wenn man dazu anderes lesen kann,
ist unbefristet und gilt bundesweit . Davon kann nicht abgewichen werden .
({3})
Darüber hinaus haben wir diskutiert, ob auf dem Umweg über Probebohrungen dieses Verbot umgangen werden kann . Hierzu haben wir festgelegt, dass keine unbegrenzte Zahl von Probebohrungen möglich ist, sondern
maximal vier . Diese stehen unter dem Vorbehalt, dass die
jeweilige Landesregierung zustimmt . Auch das ist ein
deutlicher Erfolg .
({4})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Der zentralste Punkt - ich will das an dieser Stelle sagen - war natürlich auch der umstrittenste: Die Expertenkommission kann keinen Übergang ins kommerzielle
Fracking erlauben, sondern sie monitort die Probebohrungen und berichtet dem Bundestag . Der Bundestag hat
dann die Möglichkeit, 2021 zu überlegen, wie er mit dem
Verbot umgeht . Macht er nichts, bleibt dieses Verbot bestehen, und das ist das Entscheidende .
({5})
Ich glaube, dass wir damit auch ein Signal für andere
Felder gesendet haben, weil es eine Tendenz gibt, wichtige Entscheidungen vom Parlament in Expertengremien
zu verlagern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was
der energiepolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion Niedersachsen gesagt hat, finde ich richtig. Dieses
Parlament darf sich nicht vor wichtigen Entscheidungen
drücken . „Fracking, ja oder nein?“ ist keine Frage für Experten .
({6})
Aber wir machen darüber hinaus noch viel mehr .
Meine Kollegen werden darauf eingehen . Ich weiß, dass
viele in Niedersachsen sehr skeptisch sind, weil es um
die Technik von vielen Jahrzehnten geht . Aber auch hier
führen wir hohe Umweltstandards ein . Der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel hat vor wenigen Tagen erklärt, dass es langwierige Genehmigungsverfahren
geben wird . Diese Aussage resultiert aus der Erkenntnis,
dass man nicht alles einfach durchwinken kann . Es wird
um eine Abwägung gehen . Die Umwelt wird dabei einen
großen Stellenwert bekommen .
({7})
Wir als Parlament werden sorgfältig darauf achten und
fragen müssen: Wie geht die Industrie und wie gehen die
Genehmigungsbehörden mit dem neuen Gesetz um? Ist
das, was wir uns versprechen, ein wirklicher Fortschritt,
wenn es auch um Kommunikation geht? Wenn die Industrie jetzt schon wieder Krokodilstränen weint, dann muss
man doch sagen: Wenn ihr die Leute mitnehmen wollt,
dann könnt ihr es nicht so machen wie bisher, sondern
ihr müsst kommunizieren, ihr müsst Daten offenlegen,
ihr müsst miteinander ins Gespräch kommen . Dazu, liebe
Kolleginnen und Kollegen, haben wir heute, glaube ich,
auch was die konventionelle Förderung angeht, einen
großen Beitrag geleistet . Ich bedanke mich bei allen, die
hieran konstruktiv mitgewirkt haben .
Vielen Dank .
({8})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe
ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 569 . Mit Ja haben gestimmt
447, mit Nein haben gestimmt 119 . 3 Kolleginnen und
Kollegen haben sich enthalten . Damit ist dieser Gesetzentwurf angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 568;
davon
ja: 446
nein: 119
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Katrin Albsteiger
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({1})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({2})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({3})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({4})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h . c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
({5})
Stefan Müller ({6})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({7})
Gabriele Schmidt ({8})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({9})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({10})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
({11})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({12})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Dr . h . c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({13})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({14})
Sabine Weiss ({15})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({16})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({17})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h . c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({18})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({19})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({20})
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({22})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({23})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Axel Schäfer ({25})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({30})
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Dirk Wiese
Waltraud Wolff
({31})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Marco Bülow
Christian Petry
DIE LINKE
Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Dr . Gregor Gysi
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Norbert Müller ({32})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({33})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({34})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({35})
Volker Beck ({36})
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({37})
Christian Kühn ({38})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({39})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Ewald Schurer
Peer Steinbrück
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Zdebel für
die Fraktion Die Linke .
({40})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Fracking ist eine Gefahr für Mensch und
Natur . Fracking ist eine teure und unbeherrschbare Risikotechnologie .
({0})
Es geht um Grund- und Trinkwasserverseuchung durch
Chemikalien, aufsteigendes Methan und Lagerstättenwasser . Fracking und die Verpressung von Lagerstättenwasser können Erdbeben hervorrufen, wie wir sie jetzt
schon in Niedersachsen erleben . Die Entsorgung der
Bohrschlämme, die in der Regel Giftmüll darstellen, ist
angesichts sinkender Deponiekapazitäten ungeklärt, wie
wir es im Moment auch in Niedersachsen erleben . Die
Versenkung von Lagerstättenwasser, das insbesondere
radioaktive Isotope, Quecksilber und Benzol enthält, erfüllt nicht die Anforderungen an eine geordnete Abfallentsorgung . Die Klimabilanz von gefracktem Erdgas ist
miserabel, insbesondere wegen zahlreicher Lecks und
diffuser Quellen bei der Förderung . Auch das muss gesagt werden .
({1})
Wir steigen in eine neue Runde der Karbonisierung ein,
anstatt weiter auf die Dekarbonisierung zu setzen .
({2})
Es werden Mondlandschaften hinterlassen . Solange die
Ursachen der erhöhten Krebsraten an Gasförderstandorten in Niedersachsen nicht aufgeklärt sind, ist es unverantwortlich, an Fracking auch nur zu denken .
({3})
Daher fordert die Linke ein gesetzliches Fracking-Verbot ohne Ausnahmen .
({4})
Dazu liegt Ihnen heute ein Entschließungsantrag unserer
Fraktion vor . Die Bundesregierung hat hingegen überfallartig ein Pro-Fracking-Recht auf den Tisch gelegt .
({5})
Ein durch Anträge der Großen Koalition leicht modifiziertes Fracking-Regelungspaket soll das gefährliche
Gasbohren ermöglichen . Zur Aufsuchung und Gewinnung von Gas und Öl in bestimmten Sandgesteinsarten,
sogenannten Tight-Gas-Reservoirs, soll problemlos gefrackt werden können . Legen Sie nicht wieder die alte
Platte von konventionellem und unkonventionellem Fracking auf, wie ich es gerade gehört habe . Das ist völlig
unhaltbar . Es geht um konventionelle Lagerstätten und
unkonventionelle Lagerstätten .
({6})
Tight-Gas-Reservoirs gehören deutlich zu den unkonventionellen Lagerstätten. Das ist die Definition der
BGR, der ich mich an dieser Stelle ausdrücklich anschließe .
({7})
Dies soll jetzt in jeder Tiefe möglich sein, also auch bis
zur Oberfläche. Damit sind Grundwasserverseuchungen
vorprogrammiert . Ein genereller Ausschluss von TightGas-Fracking in einem Bundesland ist nicht möglich, da
hierfür im Gesetz keine Länderklausel existiert . Auch
das gehört zur Wahrheit . Fracking soll auf weiten Teilen der Fläche Deutschlands möglich sein . Selbst vor
Natura-2000-Gebieten schrecken Sie nicht zurück . Das
Verbot von Förderanlagen in diesen Gebieten gilt nicht
bei der Ausbeutung von Tight-Gas-Lagerstätten . Damit
können die Bohrtürme zukünftig auf den sensibelsten
Flächen errichtet werden . Das ist ein absoluter Skandal .
({8})
Außerdem gibt es in dem neuen Gesetzentwurf keine
Stärkung der Wasserbehörden . Dazu hätten Sie klarstellen müssen, dass Fracking und das Verpressen von Lagerstättenwasser eine echte Gewässerbenutzung mit der
Charakterisierung „Einbringen und Einleiten von Stoffen
in Gewässer“ darstellen .
({9})
Denn damit würde auch der Besorgnisgrundsatz des
Wasserhaushaltsgesetzes Anwendung finden. Aus Wortlaut und Begründung des Gesetzentwurfes ergibt sich
jedoch, dass dieser für Fracking und Verpressung nicht
gelten soll . Wasserbehörden, die ihn bisher herangezogen
haben, werden empfindlich geschwächt.
Mit der heutigen Beratung über das Pro-FrackingRecht erleben wir eine weitere Phase eines abgekarteten
Spiels .
({10})
Das muss an dieser Stelle auch sehr deutlich gesagt werden .
({11})
Mehr als ein Jahr hat das Fracking-Erlaubnisgesetz der
Bundesregierung vor sich hin geschmort, ohne dass irgendetwas beschlossen wurde . Wir haben immer wieder
entsprechende Kleine Anfragen und schriftliche Fragen
gestellt . Wir mussten uns dann sogar von Ihnen noch
vorwerfen lassen, wir würden hier ohne Debatte im Bundestag über irgendetwas diskutieren wollen . Dann kam
am 15 . Juni Martin Bachmann, der Vorsitzende des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie, und hat mit
seiner Ankündigung, das faktische Fracking-Moratorium
in Niedersachsen aufzukündigen, SPD und CDU unter
Druck gesetzt .
({12})
Der niedersächsische Wirtschaftsminister, der Sozialdemokrat Olaf Lies, wies dies nicht zurück, sondern unterstützte Bachmann per Videobotschaft an den Verband .
Lies drohte, die Voraussetzungen für Fracking in Niedersachsen selbst zu schaffen, falls kein bundesweites Fracking-Recht kommt .
Dies haben dann die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen willig aufgegriffen, um die Voraussetzungen für Fracking im Windschatten der Fußballeuropameisterschaft durchzupeitschen . Genau das passiert
hier jetzt .
({13})
Erst Dienstagabend, wohlgemerkt, erhielten wir die entsprechenden Änderungsanträge . Bereits am Mittwoch
wurde in den Ausschüssen abgestimmt . Sie wissen ganz
genau, dass ich um zwei Wochen Verlängerung gebeten
habe; wir hätten es möglicherweise noch vor der Sommerpause beschließen können, aber wir, die Opposition,
hätten tatsächlich die Möglichkeit gehabt, diese Sachen
vernünftig zu prüfen .
({14})
Das haben Sie abgelehnt. Deswegen findet hier heute
schon die dritte Lesung statt . Es ist meines Erachtens
klar, dass so die Demokratie ausgehebelt wird . Was hat
das denn damit noch zu tun?
({15})
Was auch bezeichnend ist: Die angeblichen Fracking-Gegner aus der SPD, wie zum Beispiel Herr
Klingbeil, die vor Wochen noch lautstark eine seriöse
und intensive Debatte zum Thema gefordert haben, sind
plötzlich verstummt . Es ist vor allem das Ergebnis dieses doppelten Spiels der SPD, die sich nach außen gerne
frackingkritisch gibt, aber entgegengesetzt handelt, wenn
heute überfallartig ein Pro-Fracking-Recht verabschiedet
werden soll .
({16})
Wenn Sie gegen Fracking sind, wie Sie es vorgeben, haben Sie heute die Möglichkeit, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen .
Die Gasindustrie erhält jetzt genau das, was sie vehement gefordert hat - dem beugt sich die Große Koalition -:
({17})
Rechtssicherheit für eine verstärkte Gasgewinnung mit
der Fracking-Technik in Tight-Gas-Reservoirs, die es
bisher nicht gegeben hat, und eine Option auf Schiefergasförderung für andere Zeiten, wenn sich das teure
Fracking nach Gas und Öl in diesen Gesteinsschichten
wieder rechnen sollte .
Im Gewand von vier wissenschaftlichen Erprobungsmaßnahmen in Schiefer-, Ton-, Mergel- oder Kohleflözgestein können die Gaskonzerne mit ersten Aufsuchungsmaßnahmen beginnen . Die einseitig besetzte
Expertenkommission zur Begleitung der Erprobungsmaßnahmen, aus der die Zivilgesellschaft ferngehalten wird, soll weiterhin installiert werden - zwar abgeschwächt, aber sie wird es geben .
Um eine sichere Energieversorgung geht es bei diesem
Gesetz sowieso nicht . Tight Gas trägt etwa zu 1 Prozent
zur Energieversorgung in Deutschland bei . Dies könnte
durch eine forcierte Energiewende schnell aufgefangen
werden .
({18})
Es geht vor allem um Profite in Niedersachsen, wo sich
ein Großteil der Tight-Gas-Vorkommen befindet. Ein
ganzes Bundesland soll den Interessen der Gaskonzerne
geopfert werden, die rechtssicher fracken wollen . Die
Gasindustrie kommandiert, und die Große Koalition pariert - unter diesem Motto kann man es zusammenfassen .
Das ist unerträglich und untergräbt die Demokratie .
({19})
Doch es hätte noch schlimmer kommen können: Ursprünglich sollte mit diesem Gesetz auch der unverzügliche großflächige Einstieg in die Schiefergasförderung
erfolgen . Dies geschieht jetzt nicht . Das ist der Erfolg der
zahlreichen Bürgerinitiativen und Umweltverbände, die
sich immer dagegen gewehrt haben .
({20})
Es ist ein kleiner Fortschritt - das räume ich ein, Herr
Schwabe -, dass die Restriktionen bei der Schiefergasförderung statt bis 2013 nun bis 2021 gelten sollen . Aber
in den kommenden fünf Jahren wird die Gasindustrie intensiv nach Tight Gas fracken und Lobbyarbeit für Schiefergas-Fracking betreiben .
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident .
({21})
Deshalb fordern wir Sie auf: Beenden Sie jetzt alle Hoffnung auf Schiefergas . Streichen Sie die Probebohrungen,
die Expertenkommission und die Überprüfung des Verbots des Schiefergas-Frackings . Geben Sie sich keinen
Illusionen hin: Mit einer Entscheidung für Tight-GasFracking ist die Auseinandersetzung nicht beendet . Sie
provozieren lediglich einen Kampf um jedes Bohrloch .
Dabei stehen wir an der Seite der Bürgerinitiativen vor
Ort für ein Fracking-Verbot ohne Ausnahmen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({22})
Das Wort erhält nun die Kollegin Herlind Gundelach
für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße sehr, dass wir heute für die konventionelle Erdgasförderung endlich einen tragfähigen rechtlichen Rahmen festlegen können, der Mensch und Umwelt sorgfältig schützt . Seit über fünf Jahren ist in Deutschland
kein Antrag auf konventionelle Erdgasförderung mit der
Anwendung der Fracking-Technologie mehr beschieden
worden . Die Gasförderung in Deutschland ist kontinuierlich zurückgegangen . Ganze angegliederte Wirtschaftszweige sind bereits weggefallen . Wir haben auch einige
Arbeitsplätze verloren, und qualifizierte Fachkräfte sind
ins Ausland abgewandert .
Ich denke, gerade nach der zuletzt gehörten Rede ist
es notwendig, einiges klarzustellen, was an Fehlinformationen gegeben wurde .
Es gab nie ein verbindliches Moratorium, auch wenn
das häufig behauptet wird. Insofern gab es auch keine Erpressungsmöglichkeiten und auch keine Erpressungsversuche, wie den erdgas- und erdölfördernden Unternehmen dauernd und auch heute wieder unterstellt wird . Die
Wahrheit ist: Es wurden auf freiwilliger Basis schlichtweg von den Unternehmen keine Anträge mehr gestellt,
da die Politik zugesagt hatte, einen neuen ordnungsrechtlichen Rahmen für die Fracking-Technologie festzulegen, der den heutigen Anforderungen gerecht wird . Und
so haben wir es damals auch im Koalitionsvertrag festgehalten: Wir wollen einen Gesetzesrahmen, mit dem wir
Erdgas in Deutschland unter ökologisch verantwortbaren
und wirtschaftlich vertretbaren Voraussetzungen fördern
können, bei dem - und das betone ich ganz besonders der Schutz des Menschen, seine Gesundheit und die Belange der Umwelt im Vordergrund stehen .
({0})
Diesen ordnungsrechtlichen Rahmen für die konventionelle Förderung, also für die Förderung des sogenannten
Tight Gas, haben wir gefunden. Er findet sich in dem vorliegenden Gesetzentwurf wieder, und er ist gut .
So haben wir beispielsweise festgelegt - jetzt kommen ein paar Fakten und keine Behauptungen -, dass die
sogenannten Frack-Fluide, also die für das Offenhalten
der Förderwege benötigten Flüssigkeiten, maximal die
Wassergefährdungsklasse 1 haben dürfen. Das ist definitiv nicht giftig . Zum Vergleich: Shampoos enthalten häufig Inhaltsstoffe der Wassergefährdungsklasse 2, und die
empfinden Sie vermutlich auch nicht als giftig.
Wir weisen ausdrücklich Schutzgebiete aus, in denen
keine Erdgas- und Erdölförderung in Zukunft erlaubt sein
soll . Diese Regelung dient vor allem dem Schutz unseres
Trinkwassers - das war ein besonderes Anliegen - bzw .
des zur Herstellung von Lebensmitteln benötigten Wassers . Die Wasserbehörden haben künftig ein Vetorecht
bei Genehmigungen; so viel zu dieser Fehlinformation .
Wir verbieten die Errichtung von Anlagen zum Einsatz von Fracking-Maßnahmen in Nationalparks und
Naturschutzgebieten . Das gilt selbstverständlich auch für
die Tight-Gas-Förderung; die nächste Fehlinformation .
({1})
Wir führen außerdem zum ersten Mal umfangreiche
Umweltverträglichkeitsprüfungspflichten ein, sodass
schon bei der Aufsuchung, also dem Schritt vor der Förderung, eine erste UVP-Prüfung durchgeführt werden
muss . So kann der gesamte Prozess der Förderung überwacht werden .
Wir regeln den Umgang mit Lagerstättenwasser neu .
Es darf künftig nur noch in jene Schichten zurückgeführt
werden, aus denen es kommt . Auch dieser Rückführung
muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschaltet
werden .
Ferner fordern wir die Länder auf, gemeinsam mit
den Unternehmen Schlichtungsstellen zu schaffen, wie
wir sie schon aus dem Kohlebergbau kennen, wo sie sich
sehr bewährt haben, damit Schäden, die möglicherweise
an Gebäuden in Fördergebieten entstehen, schnell und
unproblematisch beseitigt werden können . Wir brauchen
dazu die Länder; denn der Bund hat hier keine Gesetzgebungsbefugnis .
Wir verschärfen außerdem das Bergschadensrecht . So
wird die Beweislast für mögliche Bergschäden auch bei
der Erdgas- und Erdölförderung sowie bei Kavernenspeichern den Unternehmen auferlegt .
({2})
Wir haben uns die Beratung dieses Gesetzentwurfs in
den Koalitionsfraktionen - Herr Miersch hat es gerade
schon gesagt - weiß Gott nicht leicht gemacht . Ich kann
mich an kein Gesetz erinnern, bei dem ich in so vielen
Sitzungen und Gesprächen mitgewirkt habe . Viele der
neuen Regelungen, die wir heute verabschieden werden,
sind in diesen Gesprächen entstanden und von der Regierung zum Teil schon im Kabinettsbeschluss aufgenommen worden . Dafür möchte ich mich bei beiden Ressorts
ganz herzlich bedanken .
({3})
Wir haben uns dieser Mühe unterzogen, weil wir die
Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst genommen haben . Wir wollten ihnen ein Gesetzeswerk liefern, das ihre
Ängste und Befürchtungen zerstreut . Aber wir mussten
während der ganzen Beratungen feststellen, bis heute die gerade gehaltene Rede war das beste Beispiel dafür -,
dass es wohl nur wenige Themen gibt, die politisch so
aufgeladen sind und bei denen es so viele Fehlinformationen gibt, bis hinein in die öffentlichen Medien .
({4})
Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Das Gesetz,
dessen Entwurf heute verabschiedet wird, regelt ausschließlich den Bereich der sogenannten konventionellen Förderung, nicht den der Gasförderung im Schiefer-,
Ton-, Mergel- oder Kohleflözgestein. Für diese Art der
Förderung sieht der Gesetzentwurf ein unbefristetes Verbot vor . Allerdings sollen bis zu vier Probebohrungen
zugelassen sein, sofern die jeweiligen Landesregierungen diesen zustimmen . Ob es angesichts der Rahmenbedingungen dazu überhaupt kommt, muss nach heutiger
Kenntnis erst einmal offen bleiben . Sollten jedoch Probebohrungen beantragt werden, wird zu deren Beobachtung eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt . Diese soll dann bis 2020/2021 einen Bericht vorlegen, der
wiederum Grundlage für eine Überprüfung der Verbotsentscheidung durch den Bundestag im Jahre 2020/2021
sein soll .
Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede eine persönliche Bemerkung machen . Unser Ursprungsvorschlag
sah ebenfalls Probebohrungen und eine wissenschaftliche Kommission vor, die über die Machbarkeit von Fracking im unkonventionellen Bereich urteilen und ebenfalls einen Bericht vorlegen sollte . Wäre dieser positiv
ausgefallen, hätte danach nach unserer Auffassung die
kommerzielle Förderung erfolgen können . Das heißt, der
Bundestag hätte in dieser Legislaturperiode abschließend
entschieden und wäre seiner Verantwortung nachgekommen, wie wir es im Koalitionsvertrag ja auch festgehalten haben . Ich möchte aus meiner Einbringungsrede im
Rahmen der ersten Lesung eine Passage zitieren, aus der
hervorgeht, weshalb ich schon damals für eine solche Regelung eingetreten bin - ich zitiere -:
Der zweite Punkt, warum meines Erachtens die
Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wichtig ist,
hängt damit zusammen, dass wir auch ein Signal
nach draußen setzen: dass sich Deutschland auch
in schwierigen Feldern bewegen kann, dass wir
uns nach wie vor technologieoffen zeigen und nicht
ausschließlich an Verteilungsprozessen interessiert
sind . Wir zeigen damit, dass wir
- in Deutschland noch immer in der Lage sind, Innovationen anzustoßen und diese auch umzusetzen .
Diesen Beweis sind wir nun leider nicht angetreten . Das
bedauere ich persönlich ganz außerordentlich .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Frau Kollegin Gundelach . - Schönen
guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von meiner Seite aus . - Die nächste Rednerin: Dr . Julia Verlinden
für Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Auch ich muss darauf hinweisen,
dass ich das Verfahren so nicht okay finde. Erst passiert
bei Ihnen zwölf Monate lang gar nichts - zumindest kriegen wir nichts mit -, und dann lässt man uns nur wenige
Stunden vor der Beschlussfassung im Ausschuss die Vorlagen zukommen, über die abgestimmt werden soll, und
das bei einem so wichtigen Thema, das wirklich viele
Menschen in unserem Land beschäftigt .
({0})
Offenbar denken Sie: Es reicht doch, wenn unsere
GroKo-Abgeordneten die Anträge kennen; wir haben ja
die Mehrheit . - Aber ich sage Ihnen: Das ist kein sauberes parlamentarisches Verfahren .
({1})
Leider ist ein so kurzfristiges Agieren keine Ausnahme
bei Ihnen, sondern wird jetzt anscheinend zur Regel . Ich
finde das höchst undemokratisch.
({2})
Nun zum Thema . Der Fracking-Gesetzentwurf der
Bundesregierung aus dem letzten Jahr wurde zu Recht
von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Kirchen als nicht ausreichend kritisiert .
({3})
Auch der Bundesrat hat zahlreiche Änderungen gefordert . Ja, gerade den Bundesländern, in denen die Grünen
mitregieren, ging der Gesetzentwurf wahrlich nicht weit
genug .
({4})
- Umso besser . - Die Ablehnung von Fracking in der Bevölkerung war schon letztes Jahr sehr groß, und sie nahm
mit der Zeit immer weiter zu . Ohne unser beharrliches
Kämpfen für ein echtes Fracking-Verbot und ohne die
Initiativen der Umweltverbände und der Aktiven vor Ort
wäre im Bundestag wohl nichts passiert .
({5})
Es ist allerhöchste Zeit, dass etwas passiert - da sind wir
uns einig -; denn bisher war Fracking gar nicht geregelt .
Das musste endlich, und zwar auf Bundesebene, geschehen .
({6})
Dieser gesellschaftliche Druck war also richtig und
wichtig . Er hat auch dafür gesorgt, dass Sie jetzt manche
Punkte zusätzlich umgesetzt haben, um den Gesetzentwurf weiter zu verschärfen . Zum Teil sind Sie schon darauf eingegangen; Sie werden das mit Sicherheit weiterhin in der Debatte tun . So weit, so gut . Offenbar hat die
SPD also genau das durchgesetzt, was sie immer wollte;
jedenfalls feiert sie das Ergebnis . Okay, geschenkt . Die
Erdgasindustrie sieht es ja auch so - ich zitiere aus der
Pressemitteilung des Branchenverbandes von vor ein
paar Tagen - und bezeichnet es als „positives Signal“ .
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung des Kollegen Mattfeldt?
Ja, der Name des armen Kollegen steht ja heute auch
gar nicht auf der Rednerliste . Da muss er ja irgendwie
noch zu Wort kommen .
({0})
Es war jetzt nicht meine Frage, ob sein Name auf der
Rednerliste steht, sondern, ob Sie eine Zwischenfrage
zulassen .
Ja, bitte .
Ganz herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage
zulassen . - Frau Kollegin Verlinden, auch Sie haben ja
etwas zum heutigen Gesetzentwurf eingebracht . Sie wissen, dass ich aus der, was Erdgasförderung anbelangt, am
stärksten krisengeschüttelten Region komme . Ich führe
innerhalb der Unionsfraktion eine Gruppe - ich habe
diese ins Leben gerufen -, der sich mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion angeschlossen
haben . Diese Gruppe fordert genau das, was Sie eben
angesprochen haben, nämlich Verschärfungen des eingebrachten Gesetzentwurfes . Einige Verschärfungen haben
wir in dieser Unionsgruppe formuliert, erarbeitet und in
den Gesetzentwurf eingebracht .
({0})
Lieber Kollege Miersch, auch Sie lobe ich noch .
({1})
Denn wir haben ja in dieser Sache - auch mit dem Kollegen Schwabe - sehr eng und sehr gut zusammengearbeitet . Aber nicht in dieser Angelegenheit mitgearbeitet deshalb finde ich, dass Sie sich hier jetzt ein wenig mit
fremden Federn schmücken - haben Sie von den Grünen .
({2})
Bitte?
Das sehen Sie auch, wenn Sie Ihren Antrag lesen . Ich
wundere mich sehr, dass Sie Ihre gesamte Argumentation
ausschließlich auf die Fracking-Technologie abstellen .
Das ist -
Frau Verlinden, er darf erst einmal reden, und dann
können Sie entsprechend mit Empathie antworten . - So,
bitte .
Dabei blenden Sie vollkommen aus, dass zwei Drittel
aller derzeitigen Erdgasförderungen in Deutschland auf
konventionelle Art und Weise, also ohne Einsatz der Fracking-Technologie, durchgeführt werden . Ich habe mich
sehr gewundert, dass Sie in Ihrem Antrag ausschließlich
schreiben, dass es durch den Einsatz der Fracking-Technologie zu Verunreinigungen des Grundwassers kommt,
Bodenabsenkungen und Erdbeben auftreten können und
dass auch die Entsorgung des Lagerstättenwassers, die
damit einhergeht, ungeklärt ist . Deshalb lautet meine
Frage: Tritt so etwas bei der konventionellen Förderung,
bei der die Fracking-Technologie nicht eingesetzt wird,
nicht auch auf?
({0})
Haben wir bei den anderen Formen der Förderung, die
zwei Drittel ausmachen, nicht auch diese Probleme?
Müssen wir nicht auch diese Probleme hier im Deutschen
Bundestag lösen? Genau das tut dieser Gesetzentwurf
jetzt . Er löst diese Probleme . Er löst die Probleme von
Erdbebengeschädigten durch Beweislastumkehr . Das ist
vernünftig . Vielleicht können Sie hierzu einmal Stellung
nehmen .
({1})
Sehr gerne, Herr Kollege Mattfeldt . Ich bin, ehrlich
gesagt, enttäuscht, dass Sie, obwohl Sie sich scheinbar
so für das Thema interessieren, nicht alle vorliegenden
Anträge zur Kenntnis genommen haben, über die heute
abgestimmt wird .
({0})
Es gibt von der Bundestagsfraktion der Grünen zwei
Entschließungsanträge und einen Änderungsantrag . In
diesen Anträgen gehen wir ausführlich auf all die Punkte ein, die Sie gerade genannt haben . Sie können den
Anträgen gerne zustimmen, wenn Sie das unterstützen .
Insbesondere geht es um den Punkt, den Sie angesprochen haben, nämlich dass die Erdgasförderung ohne
Fracking auch zu Problemen führt . Damit haben wir uns
sehr intensiv befasst . Dazu haben wir hier sehr ausführliche Entschließungsanträge vorgelegt . Ich kann Ihnen
die Drucksachennummern jetzt nicht auswendig sagen,
aber die finden Sie ja in der Tagesordnung. Diese Anträge
können Sie sich gerne anschauen .
Darin fordern wir unter anderem - ich kann Ihnen jetzt
noch ein bisschen Nachhilfe geben, wenn Sie es, wie
gesagt, nicht gelesen haben -, dass Erdgasförderung in
Wasserschutzgebieten verboten sein soll . Das heißt, wir
haben zum Lagerstättenwasser und zum Verpressen zusätzliche Forderungen aufgestellt, die über das hinausgehen, was in dem vorliegenden Gesetzentwurf steht, über
den heute abgestimmt werden soll . Sie können unseren
Entschließungsanträgen, wie gesagt, sehr gerne zustimmen . Ich glaube, Sie haben nur den Änderungsantrag gelesen; auf diesen haben Sie gerade Bezug genommen . Ich
würde mich über Ihre Unterstützung freuen .
({1})
Die Grünen stellt das Gesetzespaket, wie es jetzt auf
dem Tisch liegt, nicht zufrieden; denn wir haben mehr
gefordert . Es ist klar, dass eine schwarz-rote Bundesregierung keine grüne Politik macht . Das hätte auch niemand erwartet .
({2})
Aber noch eine andere Sache verärgert mich, nämlich
dass man den Menschen nur die halbe Wahrheit erzählt .
So hieß es vor ein paar Tagen von den SPD-Kollegen bei
Twitter wörtlich: In der Konsequenz gibt es ein komplettes Fracking-Verbot . - Das stimmt einfach nicht .
({3})
Sie verbieten nur das Schiefergas-Fracking und lassen
hier Probemaßnahmen zu . Aber das Tight-Gas-Fracking,
was in Niedersachsen zu einer breiten gesellschaftlichen
Debatte geführt hat, weil die Menschen die zahlreichen
Auswirkungen der Erdgasförderung direkt erleben, wollen Sie weiterhin erlauben . Das mag aus Ihrer Sicht richtig sein . Es mag sein, dass Sie das so rechtfertigen und
dass das für Sie die richtige politische Position ist . Aber
dann sagen Sie den Menschen doch auch, dass Sie diese
Form des Frackings weiterhin erlauben . Das wäre ehrlich .
({4})
Unter einem kompletten Verbot, wie Sie das am
Dienstag bei Twitter genannt haben, verstehe ich wirklich etwas anderes. Inzwischen spezifizieren Sie und
sagen auch, dass Sie das sogenannte unkonventionelle
Fracking verbieten wollen .
Aber wenn Sie diese Unterscheidung begründen: Wollen Sie den Menschen wirklich weismachen, es gäbe
gutes und böses Fracking? Dabei ist die Technik doch
dieselbe . Die Risiken sind ähnlich . Deswegen wollen die
Menschen ein echtes Verbot aller Formen von Fracking .
Warum wollen die Menschen das? Weil Risiken und gesellschaftliche Kosten von Fracking in überhaupt keiner
Relation zum fragwürdigen Nutzen stehen . Wir haben
bessere Alternativen und wollen doch perspektivisch die
Dekarbonisierung, also den Verzicht auf fossile Energieträger .
({5})
Alle, die sich intensiver mit der Thematik befasst haben, wissen - das war gerade Thema -, dass auch die
Erdgasförderung ohne Fracking strengere Umweltauflagen bekommen sollte .
({6})
Wir nehmen das Vorsorgeprinzip ernst . Auch hier können
wir im Gesetzespaket der Bundesregierung zwar das eine
oder andere erkennen, das in die richtige Richtung geht .
({7})
Zum Beispiel ist die Beweislastumkehr bei Bergschäden
ein erster Schritt . Aber dass Sie den bestehenden Lagerstättenverpressstellen Bestandsschutz geben, wird die
Menschen in den betroffenen Regionen wohl kaum zufriedenstellen .
Innerhalb von nur zwei Plenarwochen bremsen Sie
den Ausbau der erneuerbaren Energien . Sie subventionieren alte Kohlekraftwerke, und Sie sorgen dafür, dass die
Erdgasindustrie weiter fracken kann . Diese schwarz-rote
Energiepolitik ist wie Weihnachten und Ostern zusammen für die Aktionäre des fossilen Zeitalters sowie für
die Öl- und Gasbarone .
({8})
Es ist die volle Breitseite gegen Klimaschutz und Bürgerenergien . Für uns Grüne sieht Energiewende anders aus .
({9})
Mit diesem Fracking-Gesetz haben Sie vielleicht Ihren Koalitionsfrieden gerettet, und Sie haben einiges bei
der rechtlichen Situation - auch dank der Vorarbeit in der
gesellschaftlichen Debatte und der Vorarbeit im Bundesrat - verbessert . Aber das reicht uns Grünen nicht .
({10})
Denn genauso wie 80 Prozent der Menschen in Deutschland wollen wir ein echtes Fracking-Verbot, und zwar im
Bergrecht . Daher stimmen wir gegen Ihren Gesetzentwurf .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank, Julia Verlinden . - Nächster Redner in
der Debatte: Frank Schwabe für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Mit diesem Gesetzespaket wird es das Fracking im Schiefergestein - das kennen wir aus den USA - in Deutschland nicht geben . Das
sage nicht nur ich, sondern das sagen auch der BDI und
die Verbände der Erdgaswirtschaft . Wenn Sie uns schon
nicht glauben, Hubertus Zdebel, wäre es gut, wenn Sie
denen wenigstens glauben . Fracking im Schiefergestein
wird es deshalb nicht geben, weil wir gleich zwei Mechanismen eingeführt haben, die das verhindern . Meine
Mutter würde sagen: Doppelt hält besser . - Das eine ist
ein bundeseinheitliches Verbot, das fortlaufend gilt und
das 2021 überprüft werden soll . Das ist vernünftig; man
kann alles überprüfen . Das könnten wir im Übrigen auch,
ohne dass wir das in den Gesetzentwurf schreiben .
({0})
- Genau, das kann man immer überprüfen .
Ich komme nun zum zentralen Punkt . Das muss man
im Deutschen Bundestag feststellen . Darauf können wir
alle stolz sein . Wir sollten das nicht skandalisieren und
irgendetwas von der EM erzählen .
({1})
Man kann festhalten - Frau Dr . Gundelach hat das erfrischenderweise gesagt -: Da haben wir definitiv einen
Dissens . Wir von der SPD sind froh, dass wir uns durchgesetzt haben . Wir wollen nicht unsere bei demokratischen Wahlen übertragene Verantwortung an der Garderobe des Bundestages abgeben .
({2})
Wir haben nichts dagegen, dass Expertenkommissionen
beraten, prüfen usw . Aber die Entscheidung muss am
Ende der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber treffen .
Das ist in diesem Gesetzentwurf klargestellt .
({3})
Es gibt eine zweite Absicherung, und zwar im Rahmen der sogenannten Länderklausel . Zwar kann es vier
Probebohrungen geben . Aber faktisch - wenn wir uns die
aktuelle Debatte anhören, muss uns das klar sein - wird
am Ende jedes Bundesland die Länderklausel ziehen und
damit Probebohrungen verhindern . Für Nordrhein-Westfalen hat meine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das
bereits erklärt .
({4})
Was wir nicht verbieten, liebe Kolleginnen und Kollegen - das war auch nicht unsere Absicht -, ist die herkömmliche Erdgasförderung, die es in Deutschland schon
seit vielen Jahren - seit 100 Jahren oder ich weiß nicht,
wie lange; einige werden das besser wissen als ich - gibt .
({5})
Es ist völlig klar: Auch das hätten wir machen können,
weil mit jeder Erdgasförderung Risiken verbunden sind .
Es gibt sie, und wir wollen sie auch nicht negieren .
({6})
Aber wir haben eben nicht gesagt, dass es das Ziel der
Koalition oder das Ziel der SPD ist, die Erdgasförderung
zu unterbinden .
Wir haben etwas geschafft, was sich die Betroffenen
in der Region vor fünf Jahren, glaube ich, nicht hätten
vorstellen können . Im Zuge der Fracking-Debatte haben
wir es geschafft, neue - wenn vielleicht auch noch nicht
für alle Fälle ausreichende - und bessere Regelungen zu
treffen als die, die bisher gelten . Nun gibt es neue Regelungen im Hinblick auf die UmweltverträglichkeitsprüDr. Julia Verlinden
fung und neue Regelungen, was das Bergschadensrecht
angeht. Ich finde, das sollte man positiv zur Kenntnis
nehmen .
({7})
Ich begrüße, dass Julia Verlinden einen zumindest
abwägenderen Ton als in mancher Pressemitteilung
angeschlagen hat . Ich will mich ausdrücklich bei den
Bürgerinnen und Bürgern und bei der lebendigen Zivilgesellschaft bedanken, die natürlich großen Druck auf
uns ausgeübt haben . Mein Dank gilt aber auch allen Abgeordneten dieses Parlaments. Ich finde, das sollte man
mitnehmen und sagen: Jawohl, wir haben heftig gerungen . Am Ende haben wir ein Ergebnis gefunden, von dem
wir sagen, dass es gut ist, und von dem Sie sagen, dass
es zwar gute Teile enthält, aber noch besser hätte sein
können . - So sollte man sich verabreden . Ich erwarte gar
nicht, dass die Opposition zustimmt . Ich erwarte aber,
dass man zumindest zugesteht, dass es zu Verbesserungen gekommen ist, und vor allen Dingen nicht versucht,
das Ganze zu skandalisieren .
({8})
Denn das hilft niemandem in diesem Parlament, und das
hilft auch nicht dem Parlamentarismus und der Demokratie .
In der SPD-Fraktion reden wir häufig vom
Struck’schen Gesetz . Ich habe es immer für einen rhetorisch gemeinten Satz von Peter Struck gehalten, mit dem
er uns Abgeordneten ein gewisses Selbstbewusstsein geben wollte, wenn er gesagt hat: Kein Gesetz geht so aus
dem Deutschen Bundestag heraus, wie es hereingekommen ist. - Ich finde, in diesem Fall und in dieser Situation trifft aber genau das zu . Ich will allen, insbesondere
aber meiner Fraktion, die wirklich zusammengestanden
und gekämpft hat, ganz herzlich danken, vor allem Frau
Jantz-Herrmann und Herrn Klingbeil, aber auch den anderen. Ich finde, man sollte das vorliegende Ergebnis
nicht skandalisieren . Vielmehr ist es eine Sternstunde des
Parlaments, das so erkämpft zu haben . Dafür danke ich,
wie gesagt, herzlich .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank, Frank Schwabe . - Nächste Rednerin:
Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Ich glaube, gerade an einem Tag wie dem heutigen sollten nicht
die einen reflexartig draufhauen und die anderen alles
verteidigen . Deswegen verstehe ich nicht, warum jetzt
von einigen Seiten Pappkameraden aufgebaut werden .
Wir als Bündnis 90/Die Grünen haben ganz klar gesagt,
dass dies ein Erfolg des letzten Jahres war . Beteiligt waren viele Akteure, Abgeordnete aus allen Fraktionen dieses Parlaments und Vertreter der Zivilgesellschaft, die ja
öfter als böse Campact-Schreiber verunglimpft worden
sind . Dass wir Verbesserungen des Gesetzentwurfes erreicht haben, stellt doch niemand infrage . Darauf können
wir natürlich auch stolz sein .
({0})
Sie haben zu Recht gesagt: Es ist richtig, dass das
Schiefergas raus ist . - Sie haben zu Recht gesagt: Es ist
richtig, dass die Kommission raus ist . - Sie haben zu
Recht gesagt: Es ist richtig, dass Trinkwassergebiete jetzt
komplett ausgenommen werden . - Aber wenn Sie von
uns einfordern, nicht reflexartig draufzuhauen, dann dürfen wir doch auch von Ihnen einfordern, die Punkte, die
weiterhin problematisch sind, hier kritisch zu benennen .
Das ist nämlich die Aufgabe einer Opposition in einem
gewählten Parlament, meine sehr verehrten Damen und
Herren .
({1})
Dazu gehört das verkürzte Verfahren . Dass Sie Herrn
Zdebel so sehr angehen, finde ich, ehrlich gesagt, nicht
in Ordnung .
({2})
Ein Jahr lang lag das auf Eis . Aber das, worüber wir jetzt
abstimmen, ist der finale Gesetzentwurf. Diesen Gesetzentwurf haben wir am Montag erhalten .
Sie haben hier hineingeschrien, ob wir ihn überhaupt
gelesen haben . Wenn Sie uns keine Chance geben, Ihren Gesetzentwurf zu lesen, dann können Sie uns das am
Ende doch nicht vorhalten .
({3})
- Ja, wir haben ihn gelesen . Wir haben eine Nachtschicht
eingelegt, damit wir diesen Gesetzentwurf lesen konnten .
({4})
- Ich erinnere noch einmal daran: Sie haben davon gesprochen, nicht reflexartig zu handeln. Dann rufen Sie
jetzt auch nicht: „Oh!“
Wir haben diesen Gesetzentwurf gelesen, und wir hätten mit den Fachpolitikern - nicht mit denen, die hier
jetzt einfach einmal populistisch hineinrufen - sehr gerne
darüber diskutiert: Warum ist Fracking in Naturschutzgebieten ausgeschlossen, in Natura-2000-Gebieten aber
nicht? Warum schließen Sie Fracking in Schiefergestein
aus, in Sandstein aber nicht?
Herr Mattfeldt, Sie haben es gerade ja selber beschrieben: Die Regionen, in denen Fracking bisher schon stattfindet - in Sandstein; ich habe es notiert und zitiert -,
„sind krisengeschüttelt“, und deswegen müssen wir doch
über das Fracking in Sandstein reden . Das können wir
jetzt nicht mehr tun, weil das von diesem Gesetzentwurf
ausgenommen ist .
({5})
Wir hätten auch gerne mit Ihnen darüber diskutiert,
warum wir auf der einen Seite einen Klimavertrag unterschreiben, in dem steht, dass zwei Drittel der fossilen
Vorräte unter der Erde bleiben, während auf der anderen
Seite die herkömmliche Erdgasförderung weiterbetrieben wird und Sie parallel dazu mit Fracking in Sandstein
auch noch die letzten Krümelchen Gas und Öl - wie aus
einer Zitrone - aus der Erde pressen . Das entspricht nicht
dem Pariser Klimavertrag .
({6})
Zum Bergrecht . Auch darüber hätten wir gerne diskutiert . Frau Gundelach, Sie wissen, dass ich sehr gerne
über das Bergrecht diskutiere . Sie haben hier mit dem
Gesetzentwurf zur Bergschadenshaftung einen guten
Vorschlag gemacht, um die Rechte der Betroffenen zu
stärken. Das finden wir super. Wir hätten aber gerne mit
Ihnen darüber diskutiert, warum dieser Gesetzentwurf,
mit dem die Rechte der Betroffenen von Bergschäden
gestärkt werden sollen, nur für die durch den Betrieb von
Kavernenspeichern Betroffenen und beispielsweise nicht
für die vom Tagebau Betroffenen gilt . Das ist doch ungerecht .
({7})
Wir hätten mit Ihnen auch gerne über Ihren Vorschlag
zur Einrichtung einer Schlichtungsstelle diskutiert, die
wir seit langem fordern und die es in Nordrhein-Westfalen auch schon gibt .
({8})
Eine solche Schlichtungsstelle ist absolut richtig . Warum
schreiben Sie aber in Ihrem Vorschlag, dass die Länder
einmal prüfen sollen, ob sie eine solche Schlichtungsstelle, die so wichtig ist - das teilen wir alle -, einrichten
werden? Wir beschließen hier über das Bundesberggesetz . Wir sind die Gesetzgeber und können in das
Bundesberggesetz schreiben, dass es verpflichtend ist,
Schlichtungsstellen einzurichten .
({9})
Frau Kollegin .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Dass
die Länder das nicht automatisch machen, sieht man an
Brandenburg und Sachsen . Dort wurde letztes Jahr ein
Jahr lang darüber diskutiert, ob es eine Schlichtungsstelle
gibt . Die Länder haben sich letztendlich dagegen ausgesprochen .
Im Übrigen hat sich auch der Bund dagegen ausgesprochen. Die LMBV, die an das Bundesfinanzministerium angegliederte Stelle für Bergschäden aus DDR-Tagebauzeiten, hat gesagt: Wir wollen eine Schlichtungsstelle
für Bergschäden nicht finanzieren. - Deswegen hätten
wir das hier in das Bundesgesetz hineinschreiben müssen .
Ich hätte mir gewünscht, dass wir in den Ausschüssen
darüber gestritten hätten . So ist es nicht gewesen . Wir
haben jetzt nur einen halbguten Gesetzentwurf . Deswegen werden Sie von uns weiter Änderungsvorschläge bekommen .
Aber nicht mehr jetzt .
Dann können wir hoffentlich weiter diskutieren .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Der nächste Redner in
der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich gehöre zu den Abgeordneten, die mittlerweile seit
Jahren immer wieder gesagt haben - sie sind heute hier
auch schon zu Wort gekommen -: Wir können diesen
Gesetzentwurf noch nicht abschließen, weil noch Fragen
offen sind; es gibt noch Risiken, die geklärt werden müssen . Wir müssen dem noch nachgehen und können das so
nicht beschließen . - Wir haben jahrelang gerungen und
gerade in dieser Legislaturperiode besonders intensiv gekämpft . Es ist gelungen, ein immer höheres Schutzniveau
zu erreichen und immer wieder neue Verschärfungen zu
normieren . Jetzt ist es gelungen, ein Gesetzespaket vorzulegen, von dem ich sage: Das ist kein Fracking-Gesetz,
sondern ein Wasserschutzgesetz .
({0})
Es ist ein Gesetz, mit dem die absolute Priorität des
Trinkwasserschutzes und der Gesundheitsvorsorge
durchgesetzt wird . Deshalb kann ich sagen: Ich stimme
dem aus voller Überzeugung zu .
({1})
Ich will zum Ausgangspunkt unserer Debatte zurückkommen . Es ist eine gemeinsame Einschätzung, dass
die jetzige Rechtslage nicht in Ordnung ist . Die jetzige
Rechtslage sieht vor, dass dann, wenn ein Antrag gestellt
und auf Grundlage der bisher geltenden Regelung beschieden wird, gefrackt werden kann .
({2})
Das ändern wir heute . Bis heute ist der Zustand weitgehend unreguliert . Wer fracken will, könnte das ohne UVP,
ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, ohne andere Hürden
machen . Das ändern wir heute mit diesem Gesetzespaket . Deshalb ist das ein richtig guter Schritt nach vorne .
({3})
Einer der ersten Schritte in diesem Prozess war das
Gutachten, das das Umweltbundesamt in Auftrag gegeben hat . In diesem Gutachten hatten die Gutachter darauf
hingewiesen: Der jetzige Zustand ist unreguliert . Es muss
etwas gemacht werden . - Die Gutachter haben Vorschläge für eine Umweltverträglichkeitsprüfung, Öffentlichkeitsanhörung und teilweise auch für Verbote gemacht .
All das, was damals vorgeschlagen wurde, machen
wir . Insgesamt gilt der Grundsatz: Mit dem Gesetz, dessen Entwurf wir heute beschließen, wird nichts erlaubt,
was bislang verboten ist, sondern es werden nur Dinge
verboten, die bislang erlaubt sind . Aber für mich ist das
Entscheidende: Wir machen viel mehr als das, was damals die Gutachter des Umweltbundesamtes vorgeschlagen haben . Wir sind einen Quantensprung weiter und
haben eine viel bessere Regelung für Trinkwasserschutz
und Gesundheitsvorsorge gefunden .
({4})
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, das
in meiner Region am Bodensee für besonders viele Diskussionen gesorgt hat, aber mit der Situation in fast allen
anderen Regionen in Deutschland vergleichbar ist . In der
Empfehlung des Umweltbundesamtes stand ursprünglich
nur: Verbietet Fracking in Wasserschutzgebieten . - Dann
stellten wir fest, dass bei uns - genauso wie an anderen
Seen - eben nur eine Minderheit der Gebiete, selbst an
Trinkwasserseen, Wasserschutzgebiete sind . Deshalb
haben wir gesagt: Das reicht nicht . Da bleiben Fragen
offen . Da sind viele Risiken ungeklärt . Wir brauchen ein
umfassendes Verbot von Fracking in der Nähe von allen
Trinkwasserseen und Talsperren sowie in der Nähe von
Brauereien und Brunnen, und zwar nicht nur im engeren, sondern auch im weiten Einzugsbereich . Vor mehr
als einem Jahr war es der erste politische Schritt, sich
darauf zu einigen: Ja, der Trinkwasserschutz kommt . Wir
nehmen diesen Schutz in die Gesetzesvorlage auf, unbedingt, unbefristet, für jegliche Art von Fracking . Trinkwasser hat Vorrang . Das war der erste Schritt, und das
war schon ein Fortschritt .
({5})
Dann haben wir gesagt: Auch damit ist die Gesetzesberatung nicht beendet, sondern wir müssen noch weiter
gehen . Fragen stellen sich nicht nur dort, wo Trinkwasser
gewonnen wird und wo etwa Brauereien Brunnen Wasser
entnehmen - das sind ganz sensible Gebiete -, sondern
auch anderswo und müssen auch dort beantwortet werden . Es ist anerkennenswert, dass wir in dieser Woche
eine Einigung erzielt haben . Das ist ein Durchbruch, mit
der ganz klaren Botschaft: Unkonventionelles Fracking
wird in ganz Deutschland verboten, unbedingt und unbefristet . Trinkwasser hat Vorrang . Wir schließen Risiken
aus . - Ich freue mich, dass das so gelungen ist .
({6})
Zurück zu den Debatten der letzten Jahre . Wir sind an
dem Punkt, der uns am Ende der letzten Legislaturperiode dazu geführt hat, zu sagen: Wir nehmen die Beratung
dieses Gesetzentwurfs von der Tagesordnung . Wir nehmen uns die Zeit für eine ausführliche Beratung . - Wir
als Union haben in unser Wahlprogramm geschrieben:
Trinkwasserschutz und Gesundheitsvorsorge haben für
uns absolute Priorität . - Wir haben dann gemeinsam
mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD, Matthias
Miersch, Frank Schwabe, Ute Vogt und anderen, in den
Koalitionsverhandlungen um Formulierungen gerungen
und haben uns auf genau die Grundsätze geeinigt, die
nicht nur unsere Fraktionen, sondern auch andere Fraktionen in diesem Hause vertreten, und haben sie in unserer
Koalitionsvereinbarung niedergelegt . Auf dieser Grundlage sind die Gesetzesberatungen durchgeführt worden .
Wir haben immer wieder den Finger auf die Wunde
gelegt und immer wieder Verbesserungen angemahnt .
Diese haben wir jetzt erreicht, sodass ich sagen kann:
Das, was wir in unserem Programm stehen haben, und
das, was wir im Koalitionsvertrag niedergelegt haben,
setzen wir jetzt um . Wir setzen den Trinkwasserschutz
durch . Wir setzen die Gesundheitsvorsorge durch . Wir
beschließen damit ein Wasserschutzgesetz .
Ich werde dem Gesetzentwurf zustimmen, und auch
meine Fraktion wird ihm zustimmen. Ich finde, er ist ein
wichtiger Fortschritt in unserem Eintreten für den Wasserschutz und die Sicherung der Qualität des Wassers in
Deutschland .
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank, Andreas Jung . - Nächster Redner: Bernd
Westphal für die SPD .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich, dass wir den vorliegenden
Gesetzentwurf zur Erdgasförderung in Deutschland mit
den vorgesehenen Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz und im Berggesetz endlich zum Abschluss bringen
können . Frau Baerbock und Frau Verlinden, wir haben
nie ein komplettes Verbot der Erdgasförderung und des
Fracking in Deutschland gefordert . Übrigens machen Sie
das dort, wo Sie in Landesregierungen politische Verantwortung tragen, auch nicht .
({0})
Die Grünen in Niedersachsen haben das gemeinsam mit
der SPD genauso vertreten wie wir .
Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium hatten bereits im Mai des vergangenen Jahres ein Regelungspaket vorgelegt . Von daher
kann von Durchpeitschen überhaupt keine Rede sein .
Ziel war von Anfang an, die strengsten Rahmenbedingungen für Erdgasförderung zu beschließen . Es ging uns
immer darum, mit den Sicherheits- und Umweltstandards
den Schutz der Menschen, der Gesundheit, der Umwelt
und vor allen Dingen des Lebensmittels Nummer eins,
des Trinkwassers, zu gewährleisten .
Wir mussten im letzten Jahr viel Kritik einstecken von Unternehmen, aus der Wirtschaft, von Bürgerinitiativen, von Umweltschutzverbänden und aus der Wasserwirtschaft - und wurden gefragt, warum wir so lange für
diese Entscheidung brauchen . Ja, es war ein intensiver
Dialog notwendig, um den Gesetzentwurf letztendlich
durchzubringen . Aber wir als SPD haben es immer für
wichtig und richtig befunden, dass wir mit dieser Gesetzesvorlage als Basis an vielen Stellen noch Nachbesserungsbedarf gesehen haben . Auch mussten wir - damit
verrate ich kein Geheimnis - mit unserem Koalitionspartner viele Punkte intensiv beraten .
Deshalb freut es mich umso mehr, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Union in intensiven Gesprächen zu den wichtigen Punkten, insbesondere beim unkonventionellen Gas, überzeugt werden konnten . Dieser
Gesetzentwurf ist allemal besser als gar keine Regelung .
Diese Regierungskoalition zeigt mit dem Gesetzentwurf, dass wir auch bei schwierigen Themen Regelungen
hinbekommen . Das hat bisher keine Vorgängerregierung
geschafft . Deshalb bin ich auch Sigmar Gabriel und
Barbara Hendricks für den Vorschlag vom letzten Jahr
dankbar .
({1})
Die Regelungen zur Verschärfung und die Rahmenbedingungen - das haben meine Vorredner schon angesprochen - sind durchaus vorzeigbar . Auch dass das Parlament das letzte Wort hat, ist richtig, denke ich .
Aber wir brauchen - das will ich an dieser Stelle betonen - im Zusammenhang mit den vier Probebohrungen auch eine entsprechende Technologieoffenheit, um
bei dem Bodenschatz, den wir haben, den Unternehmen
die Chance zu geben, zu investieren und Erdgasförderung auch im Schiefergestein, im Kohleflöz und in anderen geologischen Formationen zumindest ausprobieren
zu können . Dann entscheiden wir im Parlament, ob die
Risiken beherrschbar sind und ob das eine Option für
Deutschland ist . Wir müssen doch in Deutschland zumindest in der Lage sein, so eine Technologie ausprobieren
zu können .
({2})
Aber auch im konventionellen Fracking, das in
Deutschland seit über 50 Jahren erfolgreich durchgeführt
wird, gibt es jetzt eine Öffentlichkeitsbeteiligung . Es gibt
Schutzgebiete, die davon ausgenommen werden, und vor
allen Dingen strengere Regelungen gerade bei der Entsorgung von Abfällen und eine Beweislastumkehr bei
Bergschäden . Um es auf den Punkt zu bringen: Oberstes
Ziel ist immer, Umwelt und Trinkwasser zu schützen .
Erdgas ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland
wichtig . Wir brauchen Erdgas als Energieträger, aber
auch als Rohstoff für die chemische Industrie . Es ist unser zweitgrößter Primärenergieträger . Deshalb brauchen
wir ihn auch als Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren
Energien . Erdgas wird wegen seiner günstigen Werte,
was den CO2-Ausstoß angeht, in Zukunft eine wichtige
Rolle einnehmen . Deshalb ist es wichtig, dass wir zusätzlich zu den Importen auch die heimischen Lagerstätten
zugänglich machen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir haben ein gutes Regelungspaket geschaffen, und ich bitte
Sie, diesem Regelungspaket zuzustimmen .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank, Bernd Westphal . - Nächster Redner:
Karsten Möring für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, dokumentiert, dass wir den Trinkwasserschutz und den Gesundheitsschutz an die allererste Stelle setzen . Symbolisch wird das dadurch deutlich, dass wir die Regelung
zur Erdgasförderung aus dem Bergrecht weitgehend herauslösen und in das Wasserhaushaltsgesetz überführen .
Das hat praktische Bedeutung . Zum Beispiel legen wir
im Gesetz fest, dass die Wasserbehörden im Verfahren
zur Genehmigung von Bohrungen nicht nur involviert
sind, sondern de facto ein Vetorecht haben . Es ist die
Verantwortung der Wasserbehörden, darauf zu achten,
dass die Trinkwasserversorgung gesichert ist und nicht
gefährdet wird . Das wird dadurch sichergestellt, dass wir
im Gesetz den Wasserbehörden diese Rolle zuweisen .
Das ist uns ein großes Anliegen gewesen .
({0})
Wir haben es mit einem sehr komplexen Gesetz zu
tun . Deswegen gibt es Grund, vielen Beteiligten zu danken - nicht nur den Kolleginnen und Kollegen, die sich
hier im Haus damit befasst haben . Es ist auch - das sage
ich ausdrücklich - den vielen Mitarbeitern der Abgeordneten zu danken, die sich Stunde um Stunde um die OhBernd Westphal
ren geschlagen haben, um mit fein ziselierten Formulierungen Ergebnisse zu produzieren, auf die wir uns hier
heute verständigen werden . Und das ist einen Dank wert .
({1})
In den Dank schließe ich auch die Mitarbeiter der beteiligten Ministerien ein, die uns vor einem Jahr einen
aus zwei SPD-Ministerien stammenden Gesetzentwurf
vorgelegt haben, den wir in dem einen Jahr im parlamentarischen Verfahren in erheblichen Punkten deutlich verändert haben, und zwar im Sinne von mehr Sicherheit,
mehr Öffentlichkeitsbeteiligung und mehr Zukunftsaussichten, als ursprünglich vorgesehen war .
({2})
Der eine oder andere hat vorhin angesprochen, dass
es in den Fraktionen sehr unterschiedliche Auffassungen
darüber gab, wie wir das im Konkreten gestalten sollten .
Ich will nicht sagen, dass der eine oder andere hieran
mehr beteiligt war, von Anfang an auf der richtigen Linie
lag oder erst später . Ich will nur - da ich beim Danken
bin - eines sagen: Es gibt auch bei uns jemanden, dem ich
zu danken habe: Der CDU-Vorsitzende in NRW, Armin
Laschet, hat mit seiner Einwirkung auf unsere Fraktion
entscheidend dazu beigetragen,
({3})
dass bei uns ein Meinungsbild zustande kam, das bei der
heutigen Verabschiedung eine wesentliche Rolle spielt .
({4})
Wie führen wir die Trinkwassersicherung durch? Ich
will in diesem Zusammenhang drei zentrale Punkte aus
den vielen Einzelmaßnahmen nennen, die zum Teil auch
schon erwähnt worden sind .
Erster Punkt . Ein Ziel war: Das Frack-Fluid darf nicht
giftig sein . Ich ärgere mich über die Kampagnen, in denen immer noch behauptet wird, wir würden Gift in der
Erde platzieren . Das ist kein Gift . Ein weiterer Punkt
ist in diesem Zusammenhang wichtig: Das Frack-Fluid
muss zurückgewonnen werden . Beide Dinge sind ein wesentlicher Bestandteil zur Sicherung unserer Trinkwasservorräte .
Der zweite Punkt hat erst im Laufe des Verfahrens
eine immer größere Bedeutung bekommen . Dabei geht
es um die Frage des Umgangs mit den Lagerstätten . Das
Wasser, das aus großen Tiefen kommt, ist stark belastet .
Es wurde bisher zum Teil oberflächennah in geeigneten
Formationen wieder entsorgt . Dieses Lagerstättenwasser
wird jetzt dorthin zurückgehen, wo es hergekommen ist,
nämlich in die Tiefen, aus denen es ursprünglich stammt .
Es gehört da auch hin . Da es zum Teil sogar an der Oberfläche aufbereitet wird - einige Stoffe werden entfernt -,
kann man sagen: Es geht sauberer in die Tiefe zurück, als
es herausgekommen ist .
({5})
Der entscheidende Punkt ist: Es wird sicher entsorgt .
Beim dritten Punkt geht es um die Frage: Wie gehen
wir mit dem Schiefergas um? Die Regelung zum Schiefergas, die wir getroffen haben - das ist mehrmals gesagt
worden -, enthält ein unbefristetes Verbot . Das heißt - ich
gebe jetzt eine kleine Nachhilfe in Parlamentarismus ganz einfach: Wenn nicht irgendein zukünftiger Bundestag hingeht und ein Gesetz verabschiedet, durch welches
dieses Verbot aufgehoben wird, bleibt es auf Dauer so .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen ich spreche jetzt auch die anderen Kritiker an -: Selbst
wenn wir Ihrem Gesetz, das zu einem absoluten Verbot
von Fracking führen würde, zugestimmt hätten, hätte es
der nächste Bundestag wieder aufheben können .
Jetzt muss ich Sie fragen: Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Herrn Behrens?
Bitte .
Gut .
Vielen Dank, Herr Kollege Möring, dass ich die Zwischenfrage stellen kann . - Sie haben eben darauf hingewiesen, dass die Fracking-Flüssigkeiten wieder an die
gleiche Stelle zurückgepresst werden, von der sie gekommen sind . Sie wissen, dass diese Flüssigkeiten nach
diesem Vorgang eine unterschiedliche Qualität haben .
Sie sagen, alles sei ungefährlich und es gebe keine
Probleme . Wie erklären Sie sich, dass die Ergebnisse des
Monitorings, das gerade diese Frage untersuchen sollte,
bislang in Niedersachsen nicht veröffentlicht worden
sind?
Herr Kollege, ich vermute, Sie meinen Lagerstättenwasser und nicht Frack-Fluid in Ihrer Frage .
({0})
Ich kann über die niedersächsischen Verhältnisse im
Detail nichts sagen .
({1})
Ich weiß nur, dass es natürlich den einen oder anderen
Störfall gegeben hat, der damit zu tun hat, dass wir an
der Oberfläche zum Teil falsche Rohre und Materialien
und Ähnliches mehr benutzt haben . Es ist aber Sache der
Genehmigungsbehörden, darauf zu achten, dass die Vorschriften eingehalten werden .
({2})
Ich komme zurück zu dem Punkt: Auch wenn wir jetzt
kein Fracking-Verbot haben, könnte der nächste BunKarsten Möring
destag ein solches beschließen . Gesetzgebung ist immer
frei . Auch wenn in diesem Gesetz steht, dass bis 2021 der
Bericht vorgelegt werden soll und der Bundestag dann
darüber beschließen kann, so kann er auch 2020 oder
2025 darüber beschließen . Das ist alles offen . Aber wir
beschließen hier und jetzt ein unbefristetes Verbot mit
Ausnahme von vier Probebohrungen, mit denen wir Erkenntnisse gewinnen wollen . Das haben wir in unserem
Koalitionsvertrag schon von vornherein so festgelegt .
Betrachten wir die Tatsachen und befassen wir uns
nicht mit Schlagworten oder falschen Behauptungen;
denn wer keine Argumente hat, der neigt dazu, Angstkampagnen zu produzieren und auf diese Weise zu versuchen, ein öffentliches Klima herbeizuführen, in dem eine
sachliche Lösung keinen Platz hat .
({3})
Wir haben hier eine sachliche Lösung . Auf dieser Feststellung bestehen wir . Die Bevölkerung kann sehr beruhigt sein, wie wir mit dem Thema umgehen .
({4})
Wir wollen den Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung . Es wird uns entgegengehalten, wir sollten doch
das Gas dann in der Erde belassen . Das Gas, das wir in
Deutschland fördern können, entspricht der Menge, die
unsere chemische Industrie als Rohstoff braucht . Wir
brauchen das Gas nicht zur Energieerzeugung . Wenn wir
eine vollständig dekarbonisierte Energieversorgung hätten, dann könnten wir immer noch dieses Gas gebrauchen, um uns selbst zu versorgen .
Woher kommt denn unser Gas jetzt? Es kommt aus
Holland, aus Norwegen, aus Russland und zu einem kleinen Teil aus der Eigenproduktion . Schauen wir uns die
Situation an, wie sie ist . Die Förderung in Holland und
Norwegen sinkt . Alles, was wir zusätzlich brauchen - das
sind jedes Jahr 1 bis 2 Prozent mehr -, importieren wir
aus Russland .
({5})
Wer sich die Förderbedingungen anschaut und sieht,
dass über eine Strecke von 5 000 Kilometern eine Gaspipeline unterhalten werden muss, der weiß, wie viele
Verluste von Erdgas es auf diesem Wege gibt . Dazu kann
ich nur sagen: Wenn der globale Umweltschutz gilt, dann
muss auch an dieses Problem herangegangen werden .
Die Versorgung, die wir unter völlig anderen Bedingungen selber organisieren, ist wesentlich besser . Deswegen
sage ich schlicht und einfach: Mir ist jeder Kubikmeter
Gas, der in Deutschland unter Einhaltung deutscher Umweltstandards gefördert wird, lieber als jeder aus Russland importierte Kubikmeter Gas, von der Versorgungssicherheit einmal ganz abgesehen .
({6})
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen
Sie diesem Gesetzentwurf heute zu . Dann sind Sie auf
der sicheren Seite . Wir sind es .
({7})
Vielen Dank, Karsten Möring . - Nächster Redner für
die SPD: Johann Saathoff .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Dat wurr hochnödig Tied, würde man in
Ostfriesland sagen . Also, es wird dringend Zeit, dass wir
Fracking endlich gesetzlich regeln .
({0})
- Keine Sorgen um die Stenografen . Die bekommen anschließend eine Übersetzung von mir .
Wir wollen die Übersetzung aber auch . Ich komme
aus Schwaben . Das war mir jetzt erst einmal fremd .
Frau Präsidentin, Sie haben ein Übersetzungsabo bei
mir .
Im Koalitionsvertrag wollten wir eigentlich nur höhere Anforderungen an unkonventionelles Fracking formulieren . Wir haben Fracking mit diesem Gesetz nun zwar
nicht kurzfristig geregelt - das kann man nicht behaupten -, dafür aber besonders gründlich und besonders sicher im Sinne der Bürgerinnen und Bürger .
Ich möchte an dieser Stelle meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, wem hier alles in der Debatte gedankt wurde. Ich finde, über den Dank an Herrn
Laschet muss man nachdenken . Ich habe ein Zitat von
ihm in Erinnerung, dass Fracking zugelassen werden
müsse, weil es Arbeitsplätze schaffe . Ich glaube, es ist
vor allen Dingen Hannelore Kraft zu verdanken, dass wir
diesen Gesetzesstand haben .
({0})
Unkonventionelles Fracking, wie in den USA praktiziert, wird bei uns verboten . Die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger werden berücksichtigt und werden ernst
genommen . Es gibt derzeit keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber - das muss man sagen -, ob unkonventionelles Fracking, also Fracking in
unkonventionellen Lagerstätten, wirklich verantwortet
werden kann . Deswegen ist es schön, dass wir das mit
diesem Gesetz jetzt klarstellen und festzurren können,
und zwar dauerhaft und rechtssicher .
({1})
Lange haben wir uns damit beschäftigt . Wir haben uns
darüber beraten, wie eine Expertenkommission zusammengesetzt werden muss, wie die Bundestagsbeteiligung
aussehen kann . Wir haben unzählige Gespräche darüber geführt . Jetzt herrscht Klarheit, und das ist die gute
Nachricht des Tages .
Bisher - ohne dieses Gesetz - war Fracking in
Deutschland grundsätzlich erlaubt .
({2})
Wir brauchen dieses Gesetz also dringend . Es ist gut,
dass wir uns heute so entscheiden wollen . Am Zustandekommen dieses Gesetzes hat aus meiner Sicht auch
der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies einen
entscheidenden Anteil . Er hat nämlich mit seiner Initiative am Wochenende genau den richtigen Punkt getroffen .
Nun ist endlich eine Lösung möglich .
Laut Gesetz können vier wissenschaftlich begleitete
Probebohrungen erlaubt werden, dies allerdings nur mit
ausdrücklicher Erlaubnis des betroffenen Bundeslandes .
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein entsprechender Antrag
gestellt wird, ist schon sehr gering; aber die Wahrscheinlichkeit, dass das betroffene Bundesland dann auch noch
zustimmt, ist noch viel geringer . Wenn dem so wäre,
dann würden wir uns spätestens 2021 im Bundestag noch
einmal damit beschäftigen .
In diesem Zusammenhang davon zu sprechen, dass
mit diesem Gesetz Fracking ermöglicht werden soll,
stellt die Realität auf den Kopf .
({3})
In Wahrheit handelt es sich um ein Fracking-Verbotsgesetz . Das ist eine gute Botschaft, die von diesem Gesetz ausgeht . Die zweite gute Botschaft ist, dass wir mit
diesem Gesetz die Voraussetzungen für konventionelles
Fracking deutlich verschärfen. Es wird verpflichtend die
Umweltverträglichkeitsprüfung eingeführt . Dadurch sind
die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger bei den
geplanten Vorhaben künftig wesentlich besser informiert
und vor allen Dingen auch beteiligt .
Die Menschen haben Sorgen um ihr Trinkwasser . Der
Schutz des Trinkwassers ist ein hohes Gut, keine Frage .
Aber dieser Sorge der Bürgerinnen und Bürger wird mit
diesem Gesetz entgegengewirkt . In und unter Wasserschutzgebieten, Heilquellenschutzgebieten, Einzugsgebieten von Brunnen und Wasserentnahmestellen für die
öffentliche Trinkwasserversorgung wird es kein Fracking
geben .
({4})
Im Falle von durch Erdgasförderung entstandenen
Erdbeben wird mit diesem Gesetz erstmals die Beweislast umgekehrt .
({5})
Künftig muss nicht mehr der Hauseigentümer beweisen,
dass die Schäden an seinem Haus von der Erdgasförderung herrühren, sondern das Förderunternehmen muss
beweisen, dass die Schäden mit der Erdgasförderung
nichts zu tun haben .
({6})
Ich betone: Das Unternehmen muss es beweisen . Behaupten reicht nicht .
Wiederholung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
die Mutter der Pädagogik . Dies ist ein Fracking-Verbotsgesetz, ein gutes Gesetz im Sinne der Sorgen der Bürgerinnen und Bürger . Deswegen ist es absolut zustimmungsfähig .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Herr Kollege, jetzt übersetzen Sie bitte noch den ersten Satz Ihrer Rede .
Frau Präsidentin, sehr gerne: „Dat wurr hochnödig
Tied“ kommt aus dem Altostfriesischen und bedeutet:
Das wurde aber auch dringend Zeit .
({0})
Vielen herzlichen Dank für diesen Erkenntnisgewinn . - Der letzte Redner in dieser Debatte, dem bitte
alle ihre Aufmerksamkeit schenken mögen - das hat er
nämlich verdient; wenn das heute eine Sternstunde ist,
dann hat das letzte Sternchen auch noch einmal - - Oh,
jetzt muss ich aufpassen .
({0})
Also, Dr . Andreas Lenz verdient jetzt Ihre Aufmerksamkeit . Für die CDU/CSU ist er der letzte Redner in
dieser Debatte .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Präsidentin, herzlichen Dank für diese
charmante Einführung . - Wenn etwas notwendigerweise zu regeln ist, dann haben wir hier im Parlament die
Verantwortung, die Verpflichtung, die entsprechende Regelung auch herbeizuführen . Genauso verhält es sich hinsichtlich der Regelungen der Fracking-Technologie . Hier
brauchen wir eine staatliche Regelung zur Sicherheit von
Bürgerinnen und Bürgern, zur Sicherheit der Umwelt,
aber auch für die Planungssicherheit der Unternehmen .
Diese Sicherheit ist jetzt gegeben . Das Regelungspaket, das wir heute beraten - man kann es nicht oft genug
sagen; Wiederholung festigt -, sieht ein unbefristetes
Verbot unkonventionellen Frackings vor . Das heißt, die
Fracking-Technologie wird in unkonventionellen Lagerstätten, Schiefer-, Ton- und Mergelgestein sowie Kohleflözgestein, zur Gewinnung von Erdgas und Erdöl vollständig verboten .
Im Jahr 2021 überprüft der Deutsche Bundestag - in
welcher Zusammensetzung auch immer - auf Grundlage des bis dahin vorliegenden Standes von Wissenschaft
und Technik das Verbot .
Auch für das konventionelle Fracking gelten zukünftig sehr strenge Vorgaben . Das konventionelle Fracking
wird in sensiblen Gebieten wie Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebieten und Seen zur Trinkwassergewinnung vollständig untersagt . Grundwasserschutz hat absoluten Vorrang .
Mit dem Ergebnis dieser Woche wird der Koalitionsvertrag umgesetzt . Darin heißt es: Fracking ist „eine
Technologie mit erheblichem Risikopotenzial“, deren
Auswirkungen noch nicht hinreichend geklärt sind . Und
weiter:
Trinkwasser und Gesundheit haben für uns absoluten Vorrang .
Diese Aussage ist Maßstab . Diese Aussage war aber auch
schon während der Beratungen im gesamten letzten Jahr
unser Maßstab .
Um es noch einmal klar zu sagen: Aktuell sind sowohl
konventionelles als auch unkonventionelles Fracking
grundsätzlich zulässig . Der Anspruch auf Genehmigung
auch unkonventionellen Frackings wäre nach dem jetzigen Stand also einklagbar . Wir schaffen jetzt einen strengen, klaren und transparenten Rechtsrahmen für diese
Technologie .
Seit Jahrzehnten wird vor allem in Niedersachsen gefrackt . 95 Prozent des in Deutschland geförderten Erdgases werden in Niedersachsen gefördert . Vom Erlös der
Erdgasförderung erhält das Land einen Anteil von rund
37 Prozent . Das entspricht in Niedersachsen 700 Millionen Euro - bei einer, ich glaube, rot-grünen Landesregierung . Auch deshalb ist die Länderöffnungsklausel
absolut sachgemäß .
Die geologischen Voraussetzungen für Fracking sind
bundesweit unterschiedlich . In Bayern wird die konventionelle Fracking-Technologie lediglich bei der Erschließung und Sanierung von Heilwasserquellen eingesetzt .
Außerdem spielt die Technologie bei Geothermieprojekten eine wichtige Rolle, und das soll auch so bleiben .
Unkonventionelles Fracking war und ist in Bayern
kein Thema . Deswegen wollen wir aus Bayern uns gar
nicht an den Versuchen der Geschichtsfälschung - ob
jetzt Laschet oder Kraft die Regelung noch forciert haben - beteiligen . Wichtig ist, dass wir jetzt eine sichere
und strenge Regelung haben .
Wenn nun wieder Serienmails kommen, in denen es
heißt: „Fracking wird erlaubt“, dann muss man ganz klar
sagen: Das ist politische Propaganda und eine bewusste
Verunsicherung der Bürger .
({0})
Aber ich glaube, die Debatte der letzten Jahre hat zu
einer Versachlichung beigetragen . Gerade für ein Land
wie Deutschland sind Technologieoffenheit, ja Technologiefreundlichkeit wichtig, auch für die Zukunftsfähigkeit insgesamt . Aber wir dürfen nicht zu falschen
Wenn-dann-Schlussfolgerungen kommen . Das heißt,
wir dürfen nicht glauben, dass wir nicht mehr technologiefreundlich sind oder sein können, wenn wir bei einer
Technologie - jetzt beim unkonventionellen Fracking strenge Restriktionen setzen . Es gibt zahlreiche andere
Bereiche von Forschung und Hochtechnologie, bei denen
es wichtig ist und wichtig bleibt, dass wir international an
der Spitze sind .
({1})
Es ist wichtig, dass wir insgesamt ein technologiefreundliches Land bleiben . Dafür stehen wir als Union
insgesamt - genauso wie wir für den Schutz von Mensch
und Umwelt stehen; das steht für uns an vorderster Stelle .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen herzlichen Dank, Dr . Andreas Lenz .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung wasser- und naturschutzrechtlicher Vorschriften zur
Untersagung und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8916,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/4713 und 18/4949 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8925 vor . Wer
stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die
Linke . Dagegen waren große Teile von CDU/CSU und
SPD . Nicht abgestimmt haben die, die wollen, dass es an
den Abstimmungsurnen besonders schnell geht .
({0})
- Ich bin ein Traum? Das hat mir ja noch niemand gesagt .
Manche sagen: ein Albtraum . Aber das ist ein anderes
Thema .
({1})
Ich glaube, an einem Tag wie heute braucht man ziemlich
viel Humor .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen
waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung .
Es liegen uns zahlreiche Erklärungen nach § 31 der
Geschäftsordnung vor .1)
Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Ver-
langen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich
ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . Darf ich fragen, ob
die Plätze an den Urnen besetzt sind? - Das ist der Fall .
Dann eröffne ich die Abstimmung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Niemand mehr, der noch
nicht abgestimmt hat . Dann schließe ich die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis wird Ihnen
wie immer später bekannt gegeben .2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/8931 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Dage-
gengestimmt haben die CDU/CSU und die SPD, dafür-
gestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8926 . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsan-
trag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke, abgelehnt haben ihn CDU/CSU
und SPD .
Zusatzpunkt 11 . Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Ausdehnung der Bergschadenshaftung auf den Bohrloch-
bergbau und Kavernen . Der Ausschuss für Wirtschaft und
Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/8907, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/4714 und
18/4952 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich . - Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zuge-
1) Anlagen 4 bis 6
2) Ergebnis Seite 17811 C
stimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat
die Linke, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/CSU
und SPD, bei Gegenstimmen der Linken und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/8907 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
CDU/CSU und SPD waren dafür, Linke und Bündnis 90/
Die Grünen waren dagegen .
Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8927 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen waren CDU/
CSU und die SPD .
Ich möchte Ihnen mitteilen, dass nach dem Ende der
Debatte zum nächsten Tagesordnungspunkt die Fraktionssitzungen stattfinden. Dies wird früher als 13 Uhr
sein, es sei denn, Klaus Ernst stellt dauernd Zwischenfragen, aber die werde ich dann nicht zulassen .
({2})
Stellen Sie sich bitte darauf ein, dass wir vor 13 Uhr zu
den Fraktionssitzungen gehen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Sabine Zimmermann ({3}),
Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Mindestlohn für die Beschäftigung von Lang-
zeiterwerbslosen
Drucksache 18/8864
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Susanna
Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Mindestlohn sichern - Umgehungen verhindern
Drucksachen 18/4183, 18/8278
Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Debatte 38 Minuten vorgesehen . - Es gibt keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache, und besagter Klaus Ernst
hat für die Linke das Wort .
({5})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Seit 1 . Januar 2015 haben wir den Mindestlohn .
({0})
Für viele bedeutet er mehr Geld . Aber das Gesetz über
den Mindestlohn hat deutliche Mängel: Viele sind vom
Mindestlohn ausgenommen . Der Mindestlohn ist deutlich zu niedrig . Das Gesetz ist schlampig formuliert .
({1})
- Es ist schlampig formuliert, Kollege Rützel .
({2})
Unsere Argumente, die wir damals vorgebracht haben,
waren richtig . Wir haben nämlich von Anfang an gesagt - Kollege Rützel, jetzt wird es spannend -, dass definiert werden muss, was der Mindestlohn ist, wie er sich
zusammensetzt, wie er sich berechnet . Die Regierung ihr von den Sozialdemokraten habt da mitgemacht - hat
das ignoriert .
Jetzt haben wir den Salat: Das Bundesarbeitsgericht
hat entschieden, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf
den Mindestlohn angerechnet werden können .
({3})
Das Problem ist nicht, dass das Gericht so entschieden
hat; das Gericht hat nach der Gesetzeslage entschieden .
Aber Sie haben ein Gesetz definiert, das es möglich
macht, dass Weihnachts- und Urlaubsgeld auf den Mindestlohn angerechnet werden können . Das ist Unfug, das
muss geändert werden .
({4})
Das ist der Inhalt unseres Antrags, Kollege Rützel .
Ich zitiere, damit man es nicht vergisst, aus unserem
Antrag vom 3 . März 2015 . Da haben wir gefordert - ich
zitiere -:
Das Mindestlohngesetz dahingehend zu präzisieren,
dass der Mindestlohn dem reinen Stundenentgelt
ohne Zuschläge entspricht . Darüber hinausgehende
Entgeltbestandteile, wie zusätzliches Monatsgehalt
oder Urlaubsgeld … sind neben dem Mindestlohn
zu zahlen …
Das haben Sie im Gesetz nicht definiert, und jetzt haben
wir die Probleme . Korrigieren Sie Ihren Fehler, und stimmen Sie unserem Antrag zu . Dann ist wenigstens dieser
Mangel beseitigt .
({5})
In dem Zusammenhang können Sie dann auch gleich
Ihre Ausnahme für Langzeitarbeitslose streichen . Für
Langzeitarbeitslose ist der Mindestlohn in den ersten
sechs Monaten nach einer Einstellung nicht zwingend .
Laut Gesetz hätte die Bundesregierung spätestens zum
1 . Juni 2016 diese Regelung auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen müssen, sie hat es aber nicht gemacht . Es steht
aber so im Gesetz .
({6})
- Ach, geh, jetzt hört’s doch auf! Nichts habt ihr gemacht .
Wir haben im Ausschuss darüber diskutiert . Die Bundesregierung hat nichts vorgelegt . Das ist doch Fakt . Das
bedeutet, dass die Bundesregierung die Gesetze, die sie
selbst macht, nicht mehr ernst nimmt, und das Parlament
auch nicht . Sonst hätte zumindest ein Bericht vorgelegen .
Jetzt gibt es einen Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu diesem Thema . Das Institut hat Folgendes festgestellt: Die Ausnahmen für
Langzeitarbeitslose haben schlichtweg keine positive
Wirkung - null positive Wirkung .
({7})
Im Gegenteil: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung spricht von diskriminierenden und demotivierenden Regelungen . Betroffene müssen trotz Arbeit weiter über das Hartz-System ihren Lohn aufstocken .
Meine Damen und Herren von der SPD, ich weiß ja,
dass nicht all das, was im Gesetz steht, von euch gewollt
war . Aber jetzt habt ihr die Chance, mit einer Zustimmung zu unserem Antrag diesen Fehler zu korrigieren .
({8})
Nehmt sie doch wahr!
({9})
Darum geht es . Wenn ihr es nicht macht, muss ich annehmen, ihr wollt es so, ihr wollt, dass die Arbeitslosen
weiterhin sechs Monate vom Mindestlohn ausgenommen
werden können, und das ohne jeden Sinn .
({10})
Jetzt kommen wir zur Höhe des Mindestlohns . Das
ist vor dem Hintergrund der Debatten der letzten Tage
auch nicht ganz uninteressant . Ein Grund, warum wir gegen den Mindestlohn gestimmt haben, war seine Höhe .
8,50 Euro sind deutlich zu wenig .
({11})
Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, aber
auch von der CDU/CSU, bestätigt uns das Ministerium
selber, dass wir recht hatten, dass der Lohn zu niedrig ist .
Wir haben gefragt, wie hoch der Mindestlohn sein müsste, damit er das anerkannte durchschnittliche Existenzminimum nach dem Hartz-System für einen Single ohne
Kinder abdeckt . Es ist ja das Mindeste, dass der Mindestlohn das abdeckt, was ein Single mindestens zum Leben
braucht - deswegen heißt er ja auch Mindestlohn . Was
hat uns nun das Ministerium bestätigt? Es hat uns bestätigt, dass der Mindestlohn nicht einmal für das Mindeste
reicht - für die Mehrheit derer, die im Westen wohnen
und sehr hohe Mieten zahlen müssen . Aber es ist ja wohl
der Sinn, dass der Lohn so hoch ist, dass man noch die
Miete zahlen kann . Auch als Mindestlöhner muss man
doch noch anständig wohnen können, oder nicht?
({12})
Insofern sage ich: Die geringe Höhe des Mindestlohns
führt dazu, dass auch hier die Betroffenen weiter aufstocken müssen, und zwar nicht nur in Mietpreishochburgen wie München oder Hamburg, sondern in den meisten
Kommunen der westlichen Bundesländer .
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir haben, ist
nicht ein Mindestlohn; es ist ein Mangellohn . Es wird
Zeit, dass wir das ändern .
({14})
Wir wollen, dass der Mindestlohn deutlich angehoben
wird, und zwar unabhängig von den ungefähr 30 Cent,
die gerade im Gespräch sind . Es wäre notwendig, dass
wir per Gesetz die Basis erhöhen, an der die Mindestlohnkommission dann ansetzen kann, wenn sie über die
Erhöhung entscheidet .
Auch angesichts der Tatsache, dass die Rente der
Rentnerinnen und Rentner, die vorher den Mindestlohn
erhalten haben, weit unterhalb der Grundsicherung im
Alter liegt - wir wissen, dass der Mindestlohn bei über
11 Euro liegen müsste, damit wir das ausgleichen können -,
({15})
sage ich: Sie haben zwar einen Mindestlohn vereinbart,
aber er ist leider ein Mangellohn geblieben . Mit unseren
Anträgen haben Sie jetzt die Chance, die Mängel zu beseitigen .
Ich danke Ihnen fürs Zuhören .
({16})
Bevor ich Herrn Dr . Linnemann das Wort erteile,
möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zum Gesetz zur Änderung wasser- und
naturschutzrechtlicher Vorschriften zur Untersagung
und zur Risikominimierung bei den Verfahren der Fracking-Technologie bekannt geben: abgegebene Stimmen 564, mit Ja haben gestimmt 436, mit Nein haben
gestimmt 119, Enthaltungen 9 . Der Gesetzentwurf ist
damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 553;
davon
ja: 435
nein: 109
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Katrin Albsteiger
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({1})
Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Olav Gutting
Christian Haase
Dr . Stephan Harbarth
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({2})
Mark Helfrich
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann
({3})
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Stephan Mayer ({4})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h . c . Hans Michelbach
Dietrich Monstadt
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
({5})
Stefan Müller ({6})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({7})
Gabriele Schmidt ({8})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({9})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({10})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
({11})
Christina Schwarzer
Johannes Selle
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({12})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Dr . h . c . Albert Weiler
Marcus Weinberg ({13})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({14})
Sabine Weiss ({15})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({16})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding ({17})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h . c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann
({18})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({19})
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({20})
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christian Lange ({21})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({22})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir ({23})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({24})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({25})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({26})
Matthias Schmidt ({27})
Dagmar Schmidt ({28})
Carsten Schneider ({29})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({30})
Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Dirk Wiese
Waltraud Wolff
({31})
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
Nein
CDU/CSU
Dr . Michael Fuchs
DIE LINKE
Jan van Aken
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({32})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({33})
Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({34})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({35})
Volker Beck ({36})
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({37})
Christian Kühn ({38})
Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({39})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Hans-Georg von der Marwitz
Dr . Mathias Middelberg
Detlef Seif
Reinhold Sendker
SPD
Marco Bülow
Christina Jantz-Herrmann
Lars Klingbeil
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Detlev Pilger
Jetzt geht es weiter mit dem Mindestlohn . Dr . Carsten
Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste
Redner .
({40})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Ernst, wir haben es im Gesetz bewusst so
formuliert, dass nicht die Partei Die Linke die Löhne
in Deutschland festlegt . Seit Jahrzehnten handeln in
Deutschland die Tarifpartner die Löhne aus . Deswegen
gibt es auch eine Mindestlohnkommission der Tarifpartner, die die Löhne festlegt . Ich glaube, die Koalition aus
CDU, CSU und SPD hat es richtig gemacht, dass nicht
die Linke, sondern die Tarifpartner in Deutschland Mindestlöhne festlegen .
({0})
Herr Ernst, mir geht es eigentlich um einen anderen
Punkt . Es ist ganz interessant: In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dass sich die Kritik des Mittelstands
in Deutschland am Mindestlohn an den hohen bürokratischen Hürden festmacht . Ich habe mir die Umfragen
des Deutschen Industrie- und Handelskammertags angesehen . Es stimmt: 60 bis 70 Prozent der Betriebe in
Deutschland sagen: Es gibt zu viel Bürokratie . Aber interessant ist, Herr Ernst, die Schlussfolgerung, die Sie in
Ihrem Antrag daraus ziehen . Ich zitiere:
Die Behauptung einer vermeintlich überbordenden
Bürokratie hat einzig den Zweck, den Mindestlohn
zu unterlaufen .
Damit unterstellen Sie diesen 60 bis 70 Prozent Mittelständlern in Deutschland, die bei den Umfragen der Industrie- und Handelskammern mitgemacht haben, dass
sie das Thema Bürokratie ansprechen, um den Mindestlohn auszuhebeln . Sie stellen die Mittelständler in
Deutschland einmal mehr unter Generalverdacht
({1})
und sorgen so dafür, dass es eine Kultur des Misstrauens
gibt . Dafür darf es keinen Platz geben in Deutschland .
Da müssen wir aufpassen . Das kritisiere ich an Ihrem
Antrag .
({2})
Wenn ich so etwas lese, dann frage ich mich: Was denken Sie eigentlich über die Unternehmer in Deutschland,
über den ganz normalen Mittelstand? Ich kann nicht in
Ihren Kopf schauen,
({3})
aber ich kann Ihnen sagen: Ich habe viele Mittelständler
in Deutschland besucht . Das sind Familienunternehmen,
Gott sei Dank, sie sind oft in der Fläche, im ländlichen
Raum, angesiedelt . Sie kennen ihre Mitarbeiter persönlich . Sie haben nicht nur ein Interesse an der Zukunft des
Unternehmens, sondern auch ein Interesse am Wohl der
Mitarbeiter selbst . Sie sehen den Menschen . Sie möchten, dass auch er eine Zukunft hat .
Sie sehen den Unterschied, wenn Sie zum Beispiel
nach Frankreich schauen . Dort gibt es nur noch die Großindustrie konzentriert auf Paris . Der Mittelstand bricht
weg . Deswegen bin ich froh, dass wir die Familienunternehmen in Deutschland noch haben . Sie dürfen sie nicht
unter Generalverdacht stellen .
({4})
Lassen Sie mich auf einen konkreten Punkt eingehen,
Stichwort Bürokratie und Dokumentationspflichten. Ich
will Ihnen das Beispiel Praktikum nennen . Das ist sehr
interessant . Es gibt eine aktuelle Umfrage des ifo-Institutes . Dort heißt es: Vor Einführung des Mindestlohns
im Januar 2015 haben noch 70 Prozent der Unternehmen
angegeben, sie böten freiwillig Praktika an, heute sind
es nur noch 34 Prozent . - Jetzt wird es interessant: Ähnlich sieht die Entwicklung bei den Pflichtpraktika aus,
die von Schulen oder Hochschulen im Rahmen der Ausbildung vorgesehen sind; Klammer auf: Sie sind nicht
mindestlohnpflichtig. Hier sank der Anteil von 62 auf
34 Prozent . Als Gründe gaben sie an: Unsicherheit, Dokumentationspflichten usw. Diese Unsicherheit müssen
wir den Firmen nehmen .
Dieses Beispiel zeigt, dass diese Bürokratie nicht die
Generation Praktikum abschafft, was wir alle wollen,
sondern in vielen Bereichen das Praktikum selbst . Deswegen brauchen wir Planungssicherheit und Bürokratieabbau . Wir sollten diese Bedenken ernst nehmen .
({5})
Herr Linnemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin beim letzten Satz . Danach kann er gerne fragen .
Das wäre die einzige Zwischenfrage in dieser Debatte .
Erlauben Sie, dass Klaus Ernst die einzige Zwischenfrage in dieser Debatte stellt?
Ja, jetzt muss ich sie ja erlauben .
Ich will erklären, warum das die einzige Zwischenfrage ist: Wir haben heute noch eine lange Tagesordnung
und Fraktionssitzungen vor uns, und nach aktuellem
Stand tagen wir heute bis 17 Uhr .
({0})
Eine Zwischenfrage lasse ich zu, und das war es dann .
({1})
Danke, dass Sie die Frage bzw . Bemerkung zulassen . - Herr Linnemann, Sie haben gesagt, dass Sie nicht
in meinen Kopf schauen können. Danach fiel die Bemerkung: „Ein Glück!“ Ich weiß auch nicht, was in Ihrem
Kopf vorgeht und warum Sie auf unsere Anträge bis jetzt
mit keinem Satz eingegangen sind . Es geht um ganz konkrete Dinge, nämlich um die Ausnahmeregelungen, und
nicht allgemein um den Mittelstand . Ich würde gerne von
Ihnen hören, ob Sie dem Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung widersprechen, das zu dem Ergebnis
gekommen ist, dass die Ausnahmeregelungen bei den
Langzeitarbeitslosen Unfug sind . Es wäre schön, wenn
wir dazu noch was hören würden .
Dann haben Sie gefragt, welches Bild von den Unternehmern wir haben . Herr Linnemann, wenn es um
Kontrollen in Sachen Schwarzarbeit geht, äußern sich
Vertreter Ihrer Fraktion in übelster Weise und polemisch
über die Kontrolleure . Ich kann mich erinnern, dass Herr
Fuchs hier gesagt hat: Es kommen bewaffnete Zöllnertruppen in die Betriebe und kontrollieren die Einhaltung
des Mindestlohns . - Wenn man in der Öffentlichkeit so
über den Mindestlohn debattiert, ist klar, dass Ihre Klientel auf die Idee kommt, zu fragen: Warum wird das
eigentlich kontrolliert? Das ist doch bloß Bürokratie! Wissen Sie, was in diesem Zusammenhang bürokratisch
ist? Die Ausnahmeregelungen sind bürokratisch . Wenn
Sie die Ausführungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung lesen, kommen Sie zu der Erkenntnis,
dass wir weniger Bürokratie hätten, wenn wir die Ausnahmeregelungen abschaffen würden .
({0})
Ich bin der Meinung, Sie sollten dazu einmal etwas sagen; denn es wäre ein echter Abbau der Bürokratie, wenn
man die Ausnahmeregelungen beenden würde .
({1})
Herr Ernst, das war eine Stellungnahme von Ihnen .
Ja, das sieht die Geschäftsordnung aber vor . Man kann
fragen oder eine Stellungnahme abgeben .
Ja . - Herr Ernst, wir können uns gerne über alle Änderungen unterhalten . Es ist aber nicht in Ordnung, dass
Sie sich nur eine oder zwei Änderungen herausnehmen .
Wenn wir uns über Änderungen unterhalten, dann müssen wir auch über die Auftraggeberhaftung, die Praktikanten usw . reden .
({0})
- Nein, überhaupt nicht . Wenn, dann müssen Sie konsequent bleiben .
Was mich gestört hat, ist der Ton, ist diese rote Linie . Sie stellen die Unternehmen unter Generalverdacht .
Sie müssen einfach wissen, dass das nicht gut für dieses
Land ist, auch nicht für das soziale Klima . Es ist einfach
so, dass der deutsche Mittelstand den Sozialstaat trägt .
Nur mit ihm ist er möglich .
Herzlichen Dank .
({1})
Sind Sie schon fertig? - Gut . Sechs Minuten verschenkt . Danke schön, Herr Dr . Linnemann .
({0})
Die nächste Rednerin: Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass die Redezeit, die Herr Linnemann nicht in Anspruch genommen
hat, mir gutgeschrieben wird .
({0})
Ich bin mir nicht sicher, ob die Geschäftsführer dem
zustimmen würden, aber bitte .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Linnemann, es hätte Ihnen nach der vielen Kritik, die Sie
am Mindestlohn und dessen Einführung geäußert haben,
gut angestanden, jetzt einmal zu sagen: Dieser Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte .
({0})
Trotz aller Unkenrufe sind die Arbeitsplatzverluste, die
Sie prognostiziert haben, ausgeblieben .
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Der Kollege
Linnemann hat nichts prognostiziert und die
CDU/CSU-Fraktion auch nicht! Das ist Unfug! Wenn Sie ein Feindbild brauchen, müssen
Sie es pflegen! Aber das ist falsch!
Minijobs sind in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden . Preisexplosionen haben nicht stattgefunden . Dafür haben Millionen
Menschen mehr Geld in der Tasche .
Der Mindestlohn ist in Deutschland gut angekommen;
({1})
aber leider eben nicht bei allen . Unter dem Vorwand,
Langzeitarbeitslose durch Billiglöhne schneller in den
Arbeitsmarkt integrieren zu können, wurden Langzeitarbeitslose für sechs Monate vom Mindestlohn ausgenommen .
Schon damals hat es sehr viel Kritik an diesem Vorschlag gegeben . Alle Arbeitsmarktexperten haben darauf
hingewiesen, dass Langzeitarbeitslose eine sehr heterogene Gruppe sind, die keinesfalls über einen Kamm geschoren werden darf . Sie haben auch darauf hingewiesen,
dass es weitaus bessere und zielgenauere Instrumente
gibt, um Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt zu integrieren . Leider hat sich die Union zum Schaden der
Langzeitarbeitslosen gegen jeden Sachverstand dickköpfig durchgesetzt.
({2})
Die Langzeitarbeitslosen sind das Bauernopfer im Streit
um den Mindestlohn, die auf dem Altar des Koalitionsfriedens geopfert worden sind . Es ist Ihnen nie um die
Menschen gegangen .
({3})
Jetzt ist dieser Vorwand nun wirklich wie ein Kartenhaus zusammengebrochen . Der Evaluationsbericht des
IAB liegt vor, und die Ergebnisse sind wahrlich vernichtend .
({4})
Dort steht: Die Ausnahme ist in jeder Hinsicht in Bezug
auf die erwarteten Effekte wirkungslos . Sie geht an den
Herausforderungen bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen vorbei . Die Regelung wirkt diskriminierend .
Last, but not least ist diese Regelung auch noch extrem
teuer . Für 2 000 Bescheinigungen wurde über eine Viertel Million Euro ausgegeben . So gehen Sie mit Steuergeldern um .
({5})
Mit anderen Worten: Diese Regelung ist teuer und
schlecht . Sie hat keinerlei Daseinsberechtigung . Sie
muss weg, und zwar sofort .
({6})
- Das ist vollkommen falsch . Dafür gibt es überhaupt
keinen Hinweis, ganz im Gegenteil .
({7})
Die Ausstellung von Bescheinigungen gibt noch keinen
Hinweis darauf, dass die Menschen in den Arbeitsmarkt
integriert worden sind . Das können Sie im IAB-Gutachten nachlesen, Herr Schiewerling .
({8})
Diese Regelung ist wirkungslos . Sie ist diskriminierend . Sie muss sofort weg . Wenn Sie, nachdem das nun
endgültig unter Beweis gestellt worden ist, immer noch
an dieser Regelung festhalten, dann machen Sie wirklich deutlich, dass es Ihnen zu keinem Zeitpunkt um die
Langzeitarbeitslosen gegangen ist und dass Ihre Politik
mit Sachpolitik nichts zu tun hat, sondern pure Ideologie
ist .
({9})
Sie entwerten damit natürlich auch die Arbeit von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern . Ich frage
Sie: Warum machen wir so teure und aufwendige Untersuchungen, wenn deren Ergebnisse in der Politik überhaupt keinen Niederschlag finden?
({10})
- Das ist es wert . - Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Union, Herr Schiewerling, ich bitte jetzt wirklich einmal um Ihre Aufmerksamkeit .
({11})
Das muss aber schnell gehen .
Herr Schiewerling, ich hoffe, dass Sie dabei auch etwas lernen .
({0})
Ich nehme jetzt einmal keinen Geringeren als Epikur
zur Hilfe, der einmal gesagt hat - ich zitiere -: „Der
Beginn des Heils ist die Erkenntnis des Fehlers .“ Herr
Schiewerling, carpe diem, nutzen Sie diesen Tag, und
stimmen Sie heute dafür, dass diese diskriminierende und
wirkungslose Regelung endgültig abgeschafft wird .
({1})
Vielleicht abschließend noch ein kleiner Hinweis an
die SPD: Ich gehe davon aus, dass Sie heute für diesen
Antrag, also für die Abschaffung der Sonderregelung für
Langzeitarbeitslose, stimmen werden . Frau Mast hat ja
bereits öffentlich erklärt, dass diese Regelung weg muss,
dass sie gestrichen werden muss . Ich kann mir einfach
nicht vorstellen, dass die SPD ihre arbeitsmarktpolitische
Sprecherin im Regen stehen lässt .
({2})
Liebe SPD, es gibt nichts Gutes, außer man tut es .
Ich danke Ihnen .
({3})
Vielen Dank, Brigitte Pothmer . - Das Wort hat jetzt
Katja Mast für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich habe zwar nicht Epikur im Gepäck,
aber Heribert Prantl . Er hat zur Einführung des Mindestlohns gesagt: Der Mindestlohn zählt zu den größten sozialpolitischen Errungenschaften der Nachkriegszeit . - Ich
finde: Er hat recht.
({0})
Herr Ernst, genau das ist das Problem Ihrer Fraktion .
Sie haben versäumt, dieser großen sozialpolitischen Errungenschaft der Nachkriegszeit zuzustimmen .
({1})
Wir sind stolz darauf, dass wir den Mindestlohn nach
zehn Jahren Kampf an der Seite der Gewerkschaften eingeführt haben . Das ist ein Leidenschaftsthema der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands .
({2})
Der Mindestlohn schützt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Niedriglöhnen - im Übrigen über 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .
({3})
Der Mindestlohn schützt die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in dieser Republik, weil sie nicht mehr Dumpinglöhne durch Steuermittel subventionieren müssen .
({4})
Der Mindestlohn schützt die ehrlichen und anständigen
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, weil sie sich auch gegen Schmutzkonkurrenz besser wehren können .
({5})
Das ist die ethische Frage, die Frage nach der Würde der
Arbeit und danach, was soziale Marktwirtschaft heute
bedeutet .
({6})
Aber der Mindestlohn hat auf der anderen Seite auch
andere Auswirkungen . Wie viele Unkenrufe haben wir
gehört, dass es durch den Mindestlohn zu bis zu 1,2 Millionen Arbeitslosen zusätzlich komme .
({7})
Unkenruf widerlegt: geringste Arbeitslosenquote seit
24 Jahren in Deutschland .
Unkenruf zwei: Die Zahl der sogenannten Aufstockerinnen und Aufstocker bleibt gleich oder steigt gar an . Fakt ist: Es gibt Hunderttausende Aufstockerinnen und
Aufstocker weniger in der Bundesrepublik Deutschland .
Unkenruf widerlegt .
({8})
Unkenruf drei: Der Mindestlohn wird der Wirtschaft
schaden . - Im Gegenteil: Er nutzt der Wirtschaft . Selten
war die Kaufkraft in Deutschland so hoch wie heute . Geringverdiener haben einen Lohnzuwachs von 5 Prozent
durch den Mindestlohn . Unkenruf widerlegt .
({9})
Unkenruf vier war immer: Der Mindestlohn ist ein unverhältnismäßiger Preistreiber . - Ja, es gab ganz wenige
moderat angestiegene Preise . Wir fahren weiterhin Taxi,
wir gehen weiterhin zum Friseur, und wir nehmen andere
Dienstleistungen in Anspruch . Auch dieser Unkenruf ist
widerlegt. - Ich finde: Heribert Prantl hatte recht.
Ihre Anträge geben mir die Möglichkeit, etwas zu ein
paar aktuellen Entwicklungen zu sagen .
({10})
Wir können heute über den IAB-Bericht reden, dessen
Überschrift übrigens „Mindestlohnbegleitforschung Überprüfung der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose“ lautet und der diese Woche dem Parlament zugegangen ist .
({11})
Dass er nach 18 Monaten dem Parlament zugegangen ist,
ist ein Erfolg der Koalitionspartner in den Verhandlungen
zu diesem Gesetzentwurf im Parlament, weil vorgesehen
war, ihn nach 24 Monaten zu erstellen . Wir sind froh,
dass wir das heute machen können .
({12})
Die Regelung hat sich aus Sicht der SPD - Frau
Pothmer, ich wiederhole gerne meine Aussagen, die ich
schon öffentlich gemacht habe - nicht bewährt .
({13})
Wir waren von Anfang an der Meinung: Sie ist stigmatisierend .
({14})
Wir wissen jetzt, dass sie kaum genutzt wird . Sie verfehlt
damit aus Sicht der Sozialdemokraten das Ziel, Menschen in Arbeit zu bringen . Aus unserer Sicht kann sie
gestrichen werden .
({15})
Die eigentliche Botschaft dieser Absenkung des Mindestlohns ist nämlich: Arbeit lohnt sich für dich nicht . Das ist nicht die Haltung der SPD .
({16})
Aber wie in jeder ordentlichen Koalition brauchen wir
auch in unserer Koalition Bündnispartner,
({17})
weil wir gemeinsam verabredet haben - das müssten die
Grünen, die mal irgendwo in Regierungsverantwortung
waren, auch wissen -: In der Koalition gibt es nur gemeinsame Mehrheiten im Deutschen Bundestag . Deshalb müssen wir das mit unserem Koalitionspartner besprechen .
({18})
Übrigens: Auch Frau Nahles ist der Meinung, dass
diese Ausnahme beim Mindestlohn gestrichen werden
kann . Ich will noch einmal sachlich etwas erläutern .
Wenn es tatsächlich notwendig ist, dass jemand nach
langer Arbeitslosigkeit zu Beginn seiner Beschäftigung
unterhalb des Mindestlohnniveaus bezahlt werden soll,
so stehen dafür bereits bewährte Instrumente der Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung, die übrigens im Gegensatz
zu dieser Absenkung auch angewandt werden, etwa der
Eingliederungszuschuss . Bei der Absenkung des Mindestlohns geht es um sechs Monate; der Eingliederungszuschuss kann für Langzeitarbeitslose bis zu zwölf Monate gewährt werden - er wird übrigens auch recht oft
gewährt -, und man kann bis zu 50 Prozent der Lohnkosten bis zu einer Höhe von 657 Euro vom Jobcenter
bekommen . Diese Absenkung des Mindestlohns passt
auch gar nicht in die Instrumentenlandschaft, mit der wir
Langzeitarbeitslose in Beschäftigung bringen . Deshalb
sind wir ganz klar für eine Abschaffung . - Das war das
erste aktuelle Thema .
Das zweite Thema - auch darüber wurde heute gesprochen - betrifft die Anrechnung von Sonderzahlungen
auf den Mindestlohn . Die Frage war, wie wir damit umgehen . Ja, es gibt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts,
das uns alle beunruhigt . Es beunruhigt uns deshalb, weil
wir glauben, dass es dazu kommen könnte, dass selbst
13 . Monatsgehälter auf den Mindestlohn angerechnet
werden . Das war bisher nie unsere Auffassung und auch
nicht die Auffassung der Bundesregierung . Allerdings:
Im Gegensatz zu den Antragstellern mache ich da keinen Schnellschuss; denn die Begründung des Urteils liegt
noch nicht vor . Deshalb bin ich auch froh, dass wir heute
nicht darüber abstimmen, sondern uns Zeit nehmen,
({19})
um gemeinsam darüber zu diskutieren .
Zum Dritten: zur Debatte um die Mindestlohnkommission und die Erhöhung des Mindestlohns . Ich bin mir
sicher, dass die Mindestlohnkommission nächste Woche
eine gute Empfehlung abgeben wird .
({20})
Wir haben bewusst die Tarifvertragsparteien in die Mindestlohnkommission geholt, damit die Lohnfindung
nicht im Parlament stattfindet, sondern mit den Tarifvertragspartnern .
({21})
Damit haben wir historisch sehr gute Erfahrungen gemacht . Wir wollen nicht zurück zu den Verhältnissen der
Weimarer Republik, in der das anders war .
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit?
Ich komme gleich zum Schluss .
Sie kommen bitte zum Schluss!
Die Mindestlohnkommission wird, wie gesagt, eine
gute Entscheidung treffen . Ich will ihr mit auf den Weg
geben,
({0})
dass sie eine Gesamtabwägung vorzunehmen hat und
sich nicht ausschließlich am Tarifindex orientieren darf;
das steht so im Gesetz .
In diesem Sinne: Der Mindestlohn ist ein großer Erfolg . Er zählt zu den größten sozialpolitischen Errungenschaften der Nachkriegszeit . Wir freuen uns, dass es uns
2015 gelungen ist, ihn einzuführen .
Vielen Dank .
({1})
Nächster Redner: Matthäus Strebl für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Der gesetzliche Mindestlohn hat seit seiner
Einführung 4 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern höhere Löhne beschert . Zusätzlich wurden viele
geringfügige in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt . Wenn wir heute, nach
eineinhalb Jahren, fraktionsübergreifend Bilanz ziehen,
kann schon jetzt ohne Übertreibung gesagt werden - ich
wiederhole es -: Es ist ein Erfolg, dass der Mindestlohn
eingeführt worden ist .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, besonders
im Einzelhandel und in der Gastronomie, um zwei Branchen zu nennen, profitieren viele Menschen vom gesetzlichen Mindestlohn . Dies bestätigen auch die Zahlen: In
der Gastronomie stieg die Zahl der Vollbeschäftigten um
1,5 Prozent, die Zahl der Teilzeitbeschäftigten sogar um
1,8 Prozent . Von einem befürchteten Abbau von Arbeitsplätzen, besonders in der Gastronomie, wenn ich dabei
bleiben darf, kann nicht die Rede sein . Der Mindestlohn
bringt in erster Linie Gerechtigkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Besonders Frauen, die häufig im Niedriglohnsektor arbeiten, profitieren davon. Sie
haben einen Anteil von 62 Prozent an den vom Mindestlohn geschützten gering bezahlten Tätigkeiten .
Entgegen der ersten Vermutung profitieren nicht nur
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Mindestlohn .
Nein, er ermöglicht auch Gerechtigkeit für die Unternehmen . Wettbewerbsverzerrungen und Lohndumping
werden verhindert . Benachteiligt wurden in der Vergangenheit ausgerechnet die Unternehmen, die ihren Beschäftigten angemessene Löhne gezahlt haben .
Werte Kolleginnen und Kollegen, über den Mindestlohn wurde vor seiner Einführung über Jahre hinweg
kontrovers diskutiert . Die Meinungen hierzu gehen weit
auseinander: Für die einen ist er ein unerlaubter Eingriff
in die unternehmerische Freiheit und für die anderen ein
soziales Wundermittel . Beide Ansichten halte ich für
übertrieben .
Vor der Einführung des Mindestlohns wurde vor den
Gefahren des Mindestlohns gewarnt . Ich nenne nur einige Beispiele aus der Zeit: Verlust von Arbeitsplätzen, unnötige Bürokratie oder nicht zu rechtfertigende Eingriffe
in die Privat- und Tarifautonomie . Eingetreten sind die
Befürchtungen nicht .
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die gute Konjunktur und der positive Arbeitsmarkt für den Mindestlohn hilfreich sind . Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist
so gut wie lange nicht . Nach den Prognosen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages wird die Zahl
der Beschäftigten in Deutschland in diesem Jahr zum elften Mal in Folge steigen .
Allein im April dieses Jahres gab es über 43 Millionen Erwerbstätige, und die deutsche Wirtschaft befindet
sich weiterhin in einer robusten Verfassung . Das ist vor
allem durch höhere Investitionen und Konsumausgaben
bedingt . Natürlich sind die meisten Arbeitgeber bereit,
ihr gutes und qualifiziertes Personal angemessen zu entlohnen .
Ich sage aber auch: Gleichwohl muss der Mindestlohn
im Einklang mit der Wettbewerbsfähigkeit stehen . Sonst
würden wir hier auch Arbeitsplätze vernichten .
In den Regelungen zum Mindestlohn haben wir sowohl Übergangsregelungen für einige Branchen als auch
Ausnahmen verankert . Ich möchte hier einige nennen:
Insbesondere die Ausnahme vom Mindestlohn für Beschäftigte unter 18 Jahren halte ich für besonders sinnvoll . Damit wollen wir verhindern - das ist der Punkt -,
dass junge Menschen wegen besser bezahlten Hilfstätigkeiten auf eine Ausbildung verzichten; denn eine Ausbildung hat für die späteren Berufsjahre einen ungemein
hohen Wert .
({1})
Mit der Ausnahme vom Mindestlohn für Langzeitarbeitslose
({2})
wollten wir Anreize schaffen, Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien wieder einzustellen. Ich sagte:
„wollten wir“ .
Im Ausschuss wurde uns in dieser Woche von der
Parlamentarischen Staatssekretärin Lösekrug-Möller ein
Bericht der Bundesregierung über die Wirksamkeit dieser Regelung angekündigt, und ich begrüße es, dass die
Vorlage zeitnah erfolgen soll . Ich denke schon, dass wir
uns so lange gedulden sollten .
({3})
Meine Damen und Herren, 8,77 Euro oder 10 Euro:
Über die Anpassung des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission kursieren in den Medien unterschiedlichste Zahlen .
({4})
Viele Forderungen halte ich für überhöht; denn sie dienen nur der Stimmungsmache bei den Wählerinnen und
Wählern . Ich halte es für wichtig, das Thema nicht zu
instrumentalisieren .
Oft wird das Argument genannt, dass ein Gehalt auf
Mindestlohnniveau auch nach 45 Beitragsjahren nicht
für eine Rente oberhalb der Grundsicherung ausreicht .
({5})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, dabei werden hier aber bestimmte Punkte übersehen:
Die meisten Beschäftigten werden in ihrem Arbeitsleben nicht ausschließlich nur einen Mindestlohn verdienen .
({6})
Der Mindestlohn definiert, wie uns allen bekannt ist, eine
Lohnuntergrenze . Bedingt durch Erfahrung und Qualifikation steigt bei vielen Beschäftigten im Laufe des
Berufslebens der Lohn . Auch wird unterschlagen, dass
Menschen oft eine zusätzliche Altersvorsorge oder ein
weiteres Einkommen haben .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich abschließend und zusammenfassend sagen: Sowohl
Beschäftigte als auch Arbeitgeber bewerten den Mindestlohn durchweg positiv . Warten wir den Bericht des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ab, um dann
weitere Schritte zu gehen und Entscheidungen zu fällen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank, Herr Strebl . - Letzter Redner in der Debatte: Bernd Rützel .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Der Weg bis zur Einführung des Mindestlohns war lang, schwierig und äußerst erfolgreich .
({0})
Deswegen bin ich sehr froh, dass wir fast auf den Tag genau vor zwei Jahren diesen Mindestlohn auf den Weg gebracht haben. Seit dem 1. Januar 2015 profitieren 4 Millionen Menschen von diesem Mindestlohn .
Keines der Horrorszenarien ist eingetreten . Es wurde
vieles prophezeit,
({1})
aber die Minijobs sind in sozialversicherungspflichtige
Jobs umgewandelt worden,
({2})
und das ist wichtig für unsere ganze Volkswirtschaft und
für jeden Einzelnen .
({3})
- Es langt immer „nie“ . Aber man muss auch gucken:
Was ist realistisch umsetzbar? Ich glaube, wir haben genau das Richtige getan . Es ist schön, dass wir das gewesen sind und dass wir nach so einem langen Weg dabei
waren, diesen Mindestlohn einzuführen .
({4})
Die Anhörung am 14 . März dieses Jahres hat deutlich
gezeigt, dass die Einführung in den Betrieben meistens
problemlos verlaufen ist . Ich will hier die Stellungnahme
des Kommissariats der Deutschen Bischöfe zu der Anhörung zitieren, in der es heißt - ich zitiere -:
Erhebliche Probleme sind im kirchlichen einschließlich des sozial-karitativen Bereichs mit der
Einführung des Mindestlohns in der Praxis nicht
aufgetreten .
Ich könnte hier noch einige Beispiele aufzählen . Aber
ich will jetzt etwas zu Ihren Anträgen sagen . Es ist bekannt, dass die SPD bei der Verabschiedung des Gesetzes
damals kein Freund der Ausnahmen vom Mindestlohn
gewesen ist und auch heute nicht ist, weder derer für die
unter 18-Jährigen noch derer für Langzeitarbeitslose;
denn die Lohnuntergrenze sollte für alle gelten . Aber wir
sind auch nicht alleine auf der Welt . Wir mussten Kompromisse eingehen . Das ist so, wenn man regiert . In der
Opposition ist das vielleicht leichter .
({5})
Die Sonderregel für die Langzeitarbeitslosen ist, wie
Sie es beschrieben haben und wie wir das auch in dem
Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und BerufsforMatthäus Strebl
schung, des IAB, gelesen haben, als nutzlos und als sinnlos bezeichnet worden .
({6})
Es hieß in dem Bericht auch, dass die befürchteten Drehtüreffekte, wonach viele Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit herausgeholt, für sechs Monate eingestellt
und dann entlassen werden, überhaupt nicht eingetreten
sind . Darüber hinaus hätten die Ausnahmeregelungen bei
den Arbeitsvermittlern unnötige Arbeit verursacht, und
sie erschwerten die Kontrolle des Mindestlohns .
({7})
Daher sollte man diese Ausnahmen im Prinzip aus dem
Gesetz streichen .
({8})
Das hat auch unsere Bundesministerin Andrea Nahles
vorgeschlagen . Allerdings wird niemandem entgangen
sein, dass es seit der Einführung des Mindestlohnes immer wieder bis heute die heftigsten Forderungen nach
Ausnahmen, nach Rücknahme und nach der Einschränkung von Kontrollen gab . Ich könnte mir vorstellen, dass
einige Gruppen nur darauf warten, hier Verschlechterungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erreichen .
({9})
Das wird die SPD nicht zulassen .
({10})
Zum Thema bessere Werkzeuge . Meine Kollegin
Katja Mast, unsere Sprecherin, die wir, Frau Pothmer,
niemals im Regen stehen lassen - wir stehen nämlich zusammen, wenn es darauf ankommt; deswegen sind wir
erfolgreich -,
({11})
hat darauf hingewiesen, dass wir gute Programme haben .
Ich erinnere an das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“, bei dem es auch immer heißt, das sei zu wenig, das aber in der Wirklichkeit seine Wirkung entfaltet .
Ich erinnere an den ESF .
({12})
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir weiterhin alles daransetzen müssen, die beruflichen Perspektiven gerade von Langzeitarbeitslosen immer wieder auf
die Tagesordnung zu setzen und täglich etwas dafür zu
tun . Aber das ist schwierig; das steht auch im IAB-Bericht .
Was den Mindestlohn angeht, will ich zusammenfassend sagen, dass dies eine sehr große Erfolgsgeschichte
war und ist und sein wird . Wir haben diesen Mindestlohn
politisch nur einmal festgelegt - wir waren damals in
London und haben uns das angeguckt ({13})
und überlassen ansonsten die Festlegung des Mindestlohns der Kommission . Diese Kommission wird bei ihrer Festlegung des Mindestlohns alle Punkte ordentlich
berücksichtigen, bekannt gegeben wird er am nächsten
Dienstag . Ich bin sicher: Der Mindestlohn wirkt . Er ist
eine Erfolgsgeschichte .
Danke schön .
({14})
Vielen Dank, Kollege Rützel .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8864 mit dem
Titel „Mindestlohn für die Beschäftigung von Langzeiterwerbslosen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine . Der Antrag
ist abgelehnt . Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt haben CDU/CSU
und die SPD .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 26 b . Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Arbeit und Soziales zum Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Mindestlohn sichern - Umgehungen verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8278, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4183 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Dagegengestimmt hat die Linke . Enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen .
Interfraktionell ist vereinbart worden, jetzt die Sitzung
zu unterbrechen . Voraussichtlich werden die Sondersitzungen eine Stunde dauern, also bis gegen 13 .45 Uhr .
Der Wiederbeginn wird Ihnen aber rechtzeitig durch
Klingelsignal angekündigt . Ich wünsche Ihnen eine gute
Beratung in den Fraktionen zu einem sehr schwierigen
Thema .
Die Sitzung ist jetzt unterbrochen .
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaBernd Rützel
ren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Energien
({0})
Drucksache 18/8860
Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Hubertus Heil für die SPD-Fraktion .
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich gebe zu, dass es nicht ganz leicht fällt, an
diesem Tag zur Tagesordnung überzugehen, die wir heute im Plenum haben . Ich persönlich fühle mich Großbritannien von Kindesbeinen an sehr verbunden . Wir alle
haben nicht vergessen, dass dieses Land auch von britischen Soldaten vom Nationalsozialismus befreit wurde .
({0})
Diese Entscheidung darf und wird nicht das Ende von
Europa sein . Mir ist wichtig, das deutlich zu machen . Das
heißt auch, dass wir in dieser Situation nicht in Angststarre verfallen dürfen, sondern dafür sorgen müssen, dass
wir unsere Arbeit weitermachen . Deshalb ist es dann
doch folgerichtig, dass wir die Dinge, die wir heute im
Bundestag zu beraten haben, abschließen . Das betrifft
auch das zentrale Projekt der Energiewende, meine Damen und Herren .
Ich sage vorweg: Wir wollen und wir werden die
Energiewende in Deutschland zum Erfolg führen . Oder
besser: Sie ist schon heute ein Erfolg .
({1})
Wir haben in den letzten Jahren mit zwei zentralen gesellschaftlichen Entscheidungen die Energiewende eingeleitet: mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, der nicht
erst nach Fukushima begann, sondern 1998/2000 vereinbart wurde, kurzzeitig unterbrochen war, und mit der
Entscheidung, sich in einer industrialisierten Gesellschaft
sehr ehrgeizige Klimaschutzziele zu stecken . Wir haben
mittlerweile einen Anteil der erneuerbaren Energien an
der Stromproduktion in Deutschland von 33 Prozent . Das
ist eine lange Strecke, eine lange Lernkurve . Ich will daran erinnern, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das
wir heute anfangen, grundlegend zu reformieren, eingeführt wurde zur Markteinführung erneuerbarer Energien .
Aber bei 33 Prozent Marktanteil kann man nicht mehr
von Markteinführung reden . Vielmehr werden die Erneuerbaren jetzt Stück für Stück zur tragenden Säule der
Energieproduktion in Deutschland .
Deshalb müssen wir mit diesem Gesetz zwei Dinge
auf den Weg bringen . Zum einen gilt es, mit einem neuen
System dafür zu sorgen, dass wir von einer Preissteuerung zu einer Mengensteuerung kommen, das heißt, dass
wir über das marktwirtschaftliche Instrument der Ausschreibung für mehr Kosteneffizienz beim Ausbau auf
der nächsten Strecke bis 2025 sorgen; denn es geht jetzt
von 33 Prozent Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion in Deutschland in Richtung 45 Prozent in den
nächsten Jahren . Zum anderen müssen wir dafür sorgen,
dass das systemintegriert geschieht, das heißt, dass der
Ausbau der Netze mit dem Ausbau der Erneuerbaren
Schritt halten kann . Dafür sorgt dieses Gesetz, meine Damen und Herren .
({2})
Wir haben nach wie vor - ich sage das auch den Kollegen der Grünen, weil ich mir lebhaft vorstellen kann,
dass die Reden, die sie schon 2014 zum Gesetz gehalten
haben, jetzt wieder aufgetischt werden ({3})
sehr ambitionierte Ausbauziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien . Wie gesagt: Das Ziel ist 45 Prozent im
Jahr 2025 .
Aber mit dem Paradigmenwechsel, den wir jetzt vollziehen, von festen Einspeisevergütungen für den Ausbau
hin zu Ausschreibungen, bei denen das kosteneffizienteste Angebot zum Zuge kommen kann, sorgen wir dafür,
dass die Korridore auch eingehalten werden, die wir uns
vorgenommen haben . Damit die Systemintegration stattfinden kann, weisen wir den richtigen Weg.
Ich bin dankbar und froh, dass es gelungen ist, den
Bundesminister Sigmar Gabriel 2014 und jetzt erst recht
dafür zu gewinnen, mit diesem Gesetz dafür zu sorgen,
dass wir nicht mehr 16 verschiedene Energiewenden in
Deutschland haben . Es ist in intensiven Verhandlungen
gelungen, zu einer Verständigung mit allen Regierungschefs der Länder auf das Grundgerüst dieser EEG-Reform
zu kommen . Aus den Ländern waren Regierungschefs
der SPD, der CDU, einer von der CSU - sehr bekannt -,
einer von den Grünen und einer von der Linkspartei dabei . Deshalb sage ich der Opposition: Tun Sie uns den
Gefallen und versuchen Sie, im Bundestag nicht weniger
Klugheit an den Tag zu legen, als Ihre Kollegen es aus
den Ländern getan haben, die diesen Weg mitgehen .
({4})
Wir haben jetzt ein ambitioniertes parlamentarisches
Verfahren vor uns . Für meine Fraktion, für die SPD-Bundestagsfraktion, will ich sagen, dass es neben vielen
Details zumindest drei größere Themen gibt, die wir im
parlamentarischen Verfahren mit dem Koalitionspartner,
mit der Opposition, mit Experten in der Anhörung disVizepräsidentin Petra Pau
kutieren wollen, ob es noch zu Änderungen am Entwurf
kommt . Es gilt das Struck’sche Gesetz: Keine Regierungsvorlage verlässt das Parlament so, wie sie eingebracht wurde . - Wir sind selbstbewusste Parlamentarier .
Wir tragen als Fraktion die Grundlinie mit . Aber es gibt
drei Dinge, über die wir reden wollen:
Erstens die Frage, wie wir es hinbekommen, in diesem System die Akteursvielfalt zu erhalten . Das Thema
Bürgerenergie ist uns sehr wichtig . Da hat das Bundeswirtschaftsministerium einen Vorschlag entwickelt, der
in die richtige Richtung geht, damit auch Bürgerenergie
zum Zuge kommt . Wir wollen darüber reden, ob wir weitere Maßnahmen ergreifen können, um die Hürden bei
der Teilnahme an den Ausschreibungen abzusenken . Da
geht es nicht um eine Regelung, die die Ausschreibung
aushöhlt - da sollte sich keiner Illusionen machen -, sondern um eine Regelung, die faire Chancen zur Teilnahme
an der Ausschreibung schafft .
Zweitens . Wir wollen darüber reden, ob im Übergang
zu den Ausschreibungen die sogenannte Einmaldegression im Jahre 2017, die vorgesehen und vernünftig ist, ein
Stück weit gestreckt werden kann, damit wir dann keinen
Stop-and-go-Effekt haben . Das werden wir in der Anhörung diskutieren und entsprechend behandeln .
Drittens . Wir sind der festen Überzeugung, dass wir
noch einmal über das Thema der zuschaltbaren Lasten
reden müssen, nämlich über die Frage, ob das, was an
überschüssigem Strom da ist, volkswirtschaftlich sinnvoller verwendet werden kann . Dazu gibt es einen Vorschlag: Wir wollen untersuchen, ob wir in diesem Bereich - im Sinne einer Speicherung des überschüssigen
Stroms - einen Schritt weiter gehen und zumindest eine
Experimentierklausel in das Gesetz aufnehmen können .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe es
eingangs gesagt: Wir wollen und wir werden mit diesem Gesetz die Energiewende zum Erfolg führen . Dies
ist eine energieintensive Woche: Wir haben hier gestern
das Strommarktgesetz und das Gesetz zur Digitalisierung
der Energiewende in zweiter und dritter Lesung beraten
und dann beschlossen, jedenfalls viele Kollegen, die im
Saal waren . Heute wurde hier im Bundestag das Thema
Gasförderung mithilfe von Fracking diskutiert und das
Verbot von unkonventionellem Fracking beschlossen .
Wir werden versuchen, in zügigen, aber grundlegenden
Beratungen dafür zu sorgen, dass dieses Gesetz noch vor
der Sommerpause über die parlamentarischen Hürden
kommt . Wer sagt, das wäre Durchpeitschen, sagt nicht
die Wahrheit . Die Themen sind lange bekannt . Es ist Zeit
zu handeln, und das werden wir tun .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
einen Hinweis: Wir werden die Tagesordnung genau
so, wie sie im Ältestenrat und zwischen den Fraktionen
vereinbart war, gemeinsam abarbeiten . Das Einzige, was
heute entfällt, ist eine namentliche Abstimmung, die für
den Nachmittag angekündigt war . Alle anderen Dinge
werden wie geplant hier stattfinden.
Wir fahren in der Debatte zur EEG-Novelle fort . Das
Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die
Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
beraten hier über eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes . Ehrlicher wäre gewesen, von einem Energiewendeverhinderungsgesetz zu sprechen .
({0})
Denn das, was Schwarz-Rot vorgelegt hat, befördert die
notwendige Energiewende nicht; es bremst sie aus .
({1})
Schwarz-Rot, die Regierung Merkel/Gabriel wird zum
Bremsklotz für die Energiewende . Damit versündigen
Sie sich nicht nur an einer Zukunftsbranche, sondern
auch an nachkommenden Generationen .
({2})
Nehmen wir nur die Bürgerenergie . Die Hälfte der
Ökostromerzeugung kommt aus dem Bereich der Bürgerenergie . Das meint Genossenschaften, Bioenergiedörfer
oder Menschen, die sich zusammenschließen und gemeinsam in eine Anlage investieren . Bürgerenergie steht
für eine Nähe zu Verbrauchern und bedeutet eben auch
eine wachsende Unabhängigkeit von großen Konzernen .
Diese Unabhängigkeit von großen Konzernen ist wichtig; denn wir müssen weg von diesen Megaanlagen, hin
zu kleinen, intelligenten Anlagen - dezentral und erneuerbar . So geht Energiewende .
({3})
Da gibt es nun die Ausschreibungspflicht. Für den
Laien klingt das erst einmal harmlos, zumal es ja auch
gewisse Ausnahmen geben soll .
({4})
Aber in der Praxis bedeutet die Ausschreibungspflicht
eine Benachteiligung für die Bürgerenergie; denn die
großen Konzerne - da braucht man sich nichts vorzumachen, Herr Heil - bezahlen Planungskosten natürlich
eher aus der Portokasse . Kleine Bioenergiedörfer oder
Genossenschaften können es sich nicht leisten,
({5})
in Planungen zu investieren, dann womöglich die Ausschreibung zu verlieren und auf den Kosten sitzen zu
Hubertus Heil ({6})
bleiben . Insofern bricht dieses schwarz-rote Gesetz der
Bürgerenergie das Genick . Sie rollen den großen Finanzinvestoren den roten Teppich aus . Das ist die falsche Prioritätensetzung .
({7})
- Frau Präsidentin, Herr Heil möchte mir eine Frage stellen . Er will mich bestimmt nach den Ausnahmeregelungen für den Bereich der Bürgerenergie fragen .
({8})
Zuerst halte ich mal die Uhr an .
Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden .
Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie bereit sind, auf
eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Heil zu reagieren . - Bitte, Kollege Heil .
Ganz herzlichen Dank, Frau Kipping . Sie haben es
schon erahnt: Ich habe eine ganz grundsätzliche Frage .
Wir wälzen pro Jahr 24 Milliarden Euro um
({0})
- 25 Milliarden Euro um -, um erneuerbare Energien über die EEG-Umlage auszubauen . Das ist auch mit
bestimmten sozialen Fragen verknüpft . Wir wollen das
auch weiterhin tun .
Wir wechseln jetzt aber zum System der Ausschreibungen . Mir ist Folgendes nicht ganz klar: Sind Sie
grundsätzlich gegen Ausschreibungen - das kann man
vertreten -, oder sind Sie der Meinung, es sollte für die
Bürgerenergien Ausnahmen geben, sodass die Planungskosten, die Sie für ein Haupthindernis halten, kein Problem sind?
Ich habe vorhin in meiner Rede gesagt: Es gibt einen
Vorschlag, die sogenannte BImSchG-Genehmigung, die
erhebliche finanzielle Vorleistungen nach sich zieht, für
Bürgerenergien zunächst nicht zu fordern . Wir diskutieren im Verfahren weitere Möglichkeiten .
Sind Sie der Meinung, dass wir am Gesetzentwurf
etwas reformieren sollten, oder sind Sie einfach für Revolution im Sinne von: keine Ausschreibung, nie und
nimmer! Das würde ich gerne wissen . Ich bitte Sie, das
klarzustellen .
Über die Frage „Reform oder Revolution?“ könnte
man trefflich streiten.
({0})
Ich bin ein großer Fan von revolutionärer Realpolitik,
({1})
aber das ist nicht das Thema des Tagesordnungspunktes .
Die konkrete Fachfrage, die dahintersteht, ist doch die:
Die ursprüngliche Idee des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - das ist das große Erbe von Hermann Scheer, der
leider viel zu früh gestorben ist - war doch, Menschen zu
ermuntern, von sich aus die Energiewende in die Hand
zu nehmen, sodass man nicht abhängig ist von den Entscheidungen, die an der Spitze irgendwelcher Konzerne
getroffen werden, und alles zu tun, um für eine deutlich
bessere Wettbewerbssituation der Bürgerenergien zu sorgen. Deswegen finden wir die ursprüngliche Anlage des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes deutlich besser als das,
was Sie jetzt probieren . Die Ausnahmeregelungen mildern das Problem nur ab, sie beseitigen das Problem aber
nicht .
({2})
Ich kann ganz grundsätzlich sagen: Ja, es gibt eine
Konkurrenz zwischen den kleinen Energiegenossenschaften und den großen Konzernen . Es ist quasi ein
Kampf vieler kleiner Davids gegen einige wenige große
Goliaths . Ganz offensichtlich stehen Sie eher auf der Seite der Goliaths . Wir jedoch meinen: Verantwortungsvolle
Energiepolitik heißt ganz klar, auf der Seite der Bürgerenergie zu sein .
({3})
Ja, Ihre Entscheidung ist nicht nur unökologisch, ich
finde, sie ist auch energieindustriepolitisch eine falsche
Weichenstellung . Nehmen wir nur einmal die Deckelung
der Windkraft an Land . Angeblich geht es bei der Deckelung der Windkraft darum, die Strompreise niedrig zu
halten .
({4})
Das ist eine Forderung, die uns Linken sehr wichtig ist;
denn natürlich sagen wir: Strom darf kein Luxusgut werden . Deswegen setzen wir uns für einen Gratissockel und
für Sozialtarife ein . Aber wenn Sie auf die Strompreise
verweisen, dann wirkt das immer wie eine faule Ausrede .
Es ist doch auffällig: Die Windkraft an Land soll gedeckelt werden, bei den Offshoreanlagen hingegen ist man
deutlich großzügiger . Dabei wissen wir doch, dass die
Offshoreanlagen, also die Anlagen im Meer, den Stromkunden doppelt so viel kosten . Außerdem wissen wir,
dass große Offshoreanlagen solche Dimensionen haben,
dass sie eben nicht von Bürgerenergienmodellen getragen werden können, sondern nur von großen Konzernen
umgesetzt werden können . Auch bei der Energiewende
zeigt sich wieder einmal: Schwarz-Rot ist der Kumpel
der großen Konzerne; denn die großen Konzerne können sich viele Lobbyisten leisten . Ihnen bescheren Sie
Profitmöglichkeiten, während Sie der Bürgerenergie das
Genick brechen, und das ist beschämend .
({5})
Wir als Linke meinen hingegen: Weg mit dem Deckel
bei der Windkraft an Land, her mit der Energiewende in
Bürgerhand . So geht Zukunftsfähigkeit!
Vielen Dank .
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr . Michael Fuchs für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Eigentlich habe ich mir fest vorgenommen, auf so etwas
gar nicht mehr einzugehen, weil es immer dieselbe Platte, immer dieselbe Leier ist, Frau Kipping .
({0})
Sie wollen einfach nicht wahrhaben, dass wir reformieren müssen . Wir geben mittlerweile 25 Milliarden Euro
pro Jahr an Subventionen für erneuerbare Energien aus,
und das 20 Jahre lang .
({1})
Die erneuerbaren Energien sind uns also 500 Milliarden
Euro wert . Wer dann davon redet, dass wir etwas kaputtmachen wollen, der versündigt sich an denjenigen, die
das zu bezahlen haben, und das sind vor allen Dingen
die kleinen Leute, das sind Ihre „Kunden“, die das zu
bezahlen haben .
({2})
Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die mit jedem Jahr
mehr für das EEG etc . zu bezahlen haben . Zurzeit sind
das 6,35 Cent pro Kilowattstunde .
Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Meiwald?
Von mir aus .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Vielen Dank, Herr
Fuchs . Sie haben gerade wieder von den 25 Milliarden
Euro Subventionen gesprochen . Das hören wir seit Jahren immer wieder .
Ich kann sie doch nicht wegdiskutieren .
Wenn Sie den Bürgern erzählen, dass sie 25 Milliarden Euro für die Erneuerbaren als Subventionen bezahlen, dann müssen Sie auch zwei weitere Fragen beantworten, worum ich Sie bitte:
Die eine Frage lautet: Wer bezahlt Ihrer Meinung nach
die 100 Milliarden Euro für die fossilen Brennstoffe, die
wir jedes Jahr importieren? Die muss ja auch jemand bezahlen . Wer bezahlt das Ihrer Meinung nach?
Die zweite Frage schließt sich daran an: Die EEG-Umlage ist im Grunde die Differenz zwischen dem Börsenstrompreis und der Einspeisevergütung . Wenn jetzt der
Börsenstrompreis sinkt und die EEG-Umlage steigt,
dann bleibt die Differenz, also der Preis, in der Summe
doch tendenziell gleich . Wie begründen Sie angesichts
dessen Ihre Aussage, dass wir dafür sorgen müssen, dass
der Strompreis aufgrund der Steigerung der EEG-Umlage nicht immer weiter steigt?
Erstens . Den Brennstoff für konventionelle Stromerzeugung müssen Sie natürlich bezahlen . Fossile Energien
sind Brennstoffe und entsprechend zu bezahlen . Das ist
aber keine Subvention,
({0})
sondern das ist der Preis für das Betreiben der Anlage .
Sie können den Kauf von Brennstoffen doch nicht als
Subvention bezeichnen .
({1})
Zweiter Punkt . Dieses Delta ist es ja nicht alleine . Der
Netzausbau - auf dieses Thema komme ich gleich noch
zu sprechen - wird ja auch ins Geld gehen, und zwar gerade jetzt und gewaltig .
Zurzeit fließen also 500 Milliarden Euro an Subventionen . Ich meine, es ist an der Zeit, dass wir eine generelle
Bremse einführen, dass wir dafür sorgen, dass das nicht
mehr so weitergeht .
({2})
Es ist ja interessant, dass mittlerweile in vielen Gegenden
darüber nachgedacht wird, dass es mit dem exorbitanten
Ausbau des Bereichs Windenergie so nicht weitergehen
kann . Der schleswig-holsteinische Energieminister, ein
Grüner, hat sich gerade von der Idee verabschiedet, den
Windenergieausbau wie bisher weiterzubetreiben . Jetzt
gibt es Vorranggebiete und einen wesentlich geringeren
Ausbau .
({3})
Der Ausbau des Bereichs Windenergie soll zurückgeführt werden, weil er weiß, dass Schleswig-Holstein
wesentlich mehr Windenergie produziert, als jemals in
Schleswig-Holstein verbraucht wird . Das gilt, nebenbei
bemerkt, auch für Niedersachsen . Herr Wenzel hat festgestellt, dass zurzeit in Niedersachsen eine Spitzenlast
von 8,8 Gigawatt aus Windenergie gewonnen wird . Doch
was wird kommen? Im Jahr 2020 sollen über 20 Gigawatt Strom aus Windenergie - On- und Offshore - stammen . Das ist einfach zu viel . Das kann nur funktionieren,
wenn wir parallel dazu in vernünftige Netze investieren .
Das tun wir aber nicht .
Viele Bürger sind mittlerweile auf einem anderen Trip .
Einer, der den BUND mitgegründet hat, Enoch von und
zu Guttenberg, ist wegen der exorbitanten Differenz aus
dem BUND ausgetreten: Es sollen in Wälder Windmühlen gestellt werden, aber gleichzeitig wird gefordert, dass
um Himmels willen nirgendwo ein Baum gefällt wird . Das ist schon ein bisschen ärgerlich. Ich finde es mittlerweile sogar unerträglich, was an manchen Stellen in
deutschen Wäldern passiert . Ich komme aus dem Hunsrück . Das ist eine wunderschöne Region . Ich kann Ihnen
nur empfehlen, da mal durchzufahren und zu schauen,
was dort passiert . Dort werden hektarweise Wälder abgeholzt . Aber wenn in der Stadt Koblenz einer einen Baum
absägen will, dann muss er 24 Anträge dafür stellen . Das,
was Sie da veranstalten, ist nicht konsequent, und das ist
schon gar nicht ökologisch . Das wissen Sie ganz genau
und der Herr Trittin erst recht .
({4})
Ich komme zu einem weiteren Punkt, den wir in diesem Gesetzgebungsprozess mit berücksichtigen . Lieber
Hubertus Heil, Sie haben drei, vier Punkte genannt, die
wir im Gesetzgebungsverfahren noch zu bearbeiten haben . Einen Punkt möchte ich noch erwähnen: die Synchronisation von Netzausbau und Ausbau des Bereichs
der erneuerbaren Energien . Wer A sagt, erneuerbare
Energien, der muss auch B sagen, Leitungsbau .
({5})
Es ist sehr interessant, dass dieselben Leute, die überall
den Ausbau erneuerbarer Energien fordern, sich parallel
dazu dagegen wenden, dass irgendwo eine neue Leitung
gebaut wird .
({6})
In meinem Wahlkreis wird gerade eine alte Leitung ertüchtigt . Sie muss ertüchtigt werden, weil eine HGÜ-Leitung obendrauf kommt - drei zusätzliche Kabel . Die
Grünen haben eine Bürgerinitiative gegründet und sagen:
Das muss weg, das muss unter die Erde . - Das ist eine
prima Idee . Jeder von uns weiß, dass eine Erdverkabelung ungefähr achtmal so teuer ist wie eine Überlandverkabelung .
({7})
Das geht so nicht; denn damit steigen die Netzkosten immer weiter .
Dann kommt die Krönung des Ganzen: Das sind die
berühmten Offshoreanlagen . Die Offshoreanlagen sollen
schnell gebaut werden, sie sollen möglichst heute fertiggestellt werden . Man spricht von Fadenriss usw ., wenn
nicht jeden Tag eine neue Anlage gebaut wird . Parallel
dazu sind die Leitungen nicht da . Dazu haben wir ein
wunderbares Beispiel in Niedersachsen . Niedersachsen
ist sowieso am weitesten hinterher, was den Leitungsausbau angeht .
({8})
In den EnLAG-Projekten - der ehemalige Minister
Trittin, der sie damals mit angeschoben hat, nickt mit
dem Kopf - haben wir rund 1 800 Kilometer geplant;
davon sind knapp 600 Kilometer, also ein Drittel, gebaut .
In Niedersachsen sind 405 Kilometer geplant . Davon ist
noch nichts gebaut . Planfestgestellt sind noch nicht einmal 100 Kilometer .
So geht das nicht . So können wir den Strom aus erneuerbaren Energien nicht dahin bringen, wo er gebraucht
wird . So kann das nicht funktionieren . Wenn wegen jedes Vogelschutzgebietes gesagt wird, dass dort gar nichts
geht - das macht Herr Wenzel ja gerade -, dann kann ich
nur sagen: So können wir nicht miteinander umgehen .
Wenn wir die erneuerbaren Energien haben wollen, dann
müssen wir auch bereit sein, den Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird .
Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Lenkert?
Von mir aus . Das gibt alles mehr Redezeit für mich .
Herr Kollege Fuchs, wir waren beide in der Anhörung
zu den Erdkabeln . Die Firma ABB hat in dieser Anhörung dargestellt, dass ihr Kabelsystem das Anderthalbbis Zweifache von Freileitungen kostet . Auf die Einwendungen, die dann von Ihrem Sachverständigen kamen,
dieses System sei nicht erprobt, antwortete der Vertreter von ABB mit: Nicht in Deutschland, aber weltweit
liegen bereits 5 000 Kilometer dieses Systems unter der
Erde und funktionieren, 2 000 Kilometer davon alleine
von ABB . - Nur in Deutschland soll dieses System nicht
ausgereift sein, nicht funktionieren . Wie begründen Sie
das? Wie sehen Sie das in dem Zusammenhang, dass
Deutschland eigentlich Vorreiter sein will? Das ist meine
erste Frage .
Die zweite Frage bezieht sich auf Ihren Entwurf zum
EEG . Sie begründen hier ausgiebig, dass Stromleitungen
in Niedersachsen fehlen, insbesondere zum Anschließen
von Offshorewindparks . Mir erschließt sich aber nicht,
wieso Sie einen Deckel für Windkraft an Land machen,
die diese fehlenden Leitungen überhaupt nicht benötigt,
weil sie sozusagen dahinter einsteigt, und ausgerechnet
die Offshorewindkraft nicht deckeln .
({0})
Also, das ist völlig unlogisch .
({0})
Wissen Sie, wo die meisten Windanlagen stehen?
5 600 Anlagen sind bereits allein in Niedersachsen in
Betrieb . Ich rede jetzt nicht von Offshore-, sondern von
Onshoreanlagen . Sie stehen an der Küste in Niedersachsen . Es ist ziemlich wurscht, ob Sie von der Küste oder
vom Meer den Strom nach Süden transportieren . Das,
was Sie sagen, ist ziemlich unlogisch; aber das kennen
wir ja von den Linken .
({1})
Im Übrigen bin ich kein Techniker von ABB . Mir liegen Gutachten vor, nach denen der Ausbau der Kabeltechnik eben nicht sicher genug ist . TenneT hat uns bestätigt, dass sie nicht so sicher sind, ob das funktioniert .
Solange uns die Übertragungsnetzbetreiber keine Garantie dafür geben, kann ich nicht sagen, dass es eine sichere
Technik ist, die wir jetzt einführen können . Wenn Sie das
besser wissen, soll es mir egal sein . Dass ABB ein Interesse hat, Kabel zu verkaufen, das kann ich verstehen .
Ich bleibe beim Thema Offshoreanlagen . Dass Offshore anlagen nötig sind, glaube ich sogar; denn damit
haben wir fast grundlastfähige Möglichkeiten . Sie haben
bis zu 5 000 Stunden Laufzeit; an manchen windhöffigen
Stellen vielleicht sogar 5 500 . Das ist schon ganz gut .
Es ist aber eine sehr teure Technologie . Das wissen wir .
Denn nach dem Stauchungsmodell bekommen sie - allerdings nur für acht Jahre - 19,4 Cent Einspeisevergütung . Das ist auch der Grund, warum die Industrie da so
schnell wie möglich bauen will . Aber es muss sichergestellt sein, dass der Strom dann auch dahin kommt, wo er
gebraucht wird .
Jetzt bleibe ich einmal bei BorWin3; so heißt das
Ding. Diese Plattform befindet sich in der Nähe von Borkum . Dort soll eine 900-MW-Anlage gebaut werden . Die
Industrie ist schneller, als wir es gedacht haben . Sie sollten eigentlich erst Ende 2019 fertig werden; sie werden
jetzt Mitte 2018 fertig . Das Stromkabel liegt schon an
Land, aber da endet es auch, und zwar im Sand . Wenn die
Anlage läuft, dann bedeutet das, dass rund 900 Millionen
Euro im Jahr für Strom vergütet werden müssen, den wir
nirgendwo, auch nicht mit neuen Technologien, verwenden können . Erst dann, wenn die Leitung von Emden/Ost
nach Conneforde und weiter nach Merzen gebaut ist, ist
der Strom verwendbar .
Wir haben mit Herrn Ministerpräsident Weil und auch
mit dem Umweltminister Wenzel mittlerweile x-mal darüber gesprochen und überlegt, wie wir das beschleunigen können . Wir wollen das beschleunigen . Aber schneller - nach Aussage von Herrn Wenzel - geht es nicht . Ich
kann ihn völlig unbefangen hier zitieren; er gehört nicht
meiner Partei an . Er hat mir gesagt: Wir müssen erst die
Sache mit dem Vogelschutzgebiet lösen . Dann müssen
wir da und dort eine Lösung finden. Das ist eine Notifizierungsfrage in Brüssel . - Aber wenn wir das doch wissen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, können wir die
Genehmigungen für solche Offshoreanlagen erst dann
erteilen, wenn wir sicher sein können, dass der Strom
verwendet werden kann .
Das hat für mich eine gewisse Logik . Dafür werbe
ich . Wir sind dabei, das ein Stück weit in den Griff zu
bekommen . Wir haben im Gesetzgebungsverfahren - da
bin ich völlig einig mit Hubertus Heil - noch einiges zu
verändern . Aber wir sind auf dem richtigen Weg . Die
Ausschreibung ist der richtige Weg . Wir wollen am Ende
des Tages erneuerbare Energien haben, aber zu Preisen,
die die Bürgerinnen und Bürger sowie vor allen Dingen
die mittelständischen Unternehmen in Deutschland bezahlen können .
Danke .
({2})
Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Fuchs,
({0})
ich bewundere immer Ihre Kollegen Andreas Jung,
Ingbert Liebing, Josef Göppel und andere engagierte
Kollegen . Ich muss das hier nur alle paar Wochen hören,
aber die müssen sich diesen Unsinn, den Sie zur Energiepolitik erzählen,
({1})
wahrscheinlich jede Woche anhören .
({2})
Jeder Siebtklässler kann dazu qualifizierter reden, als
Sie es hier tun. Ich finde, das muss mal gesagt werden.
Ich habe der Zeitung entnommen, dass Sie demnächst
nicht mehr dem Deutschen Bundestag angehören wollen .
({3})
Ich habe den Erleichterungsseufzer aus der CDU-Fraktion gehört, dass das endlich ein Ende hat, Herr Fuchs .
({4})
Ich will Ihnen das an einer Stelle fachlich belegen:
Sie haben eben Schleswig-Holstein dafür kritisiert, dass
es Windstrom exportiert . Was Sie vergessen, ist, dass
Schleswig-Holstein zu den Hochzeiten der Atomkraft
die dreifache Menge Strom produziert und exportiert hat .
Das haben Sie aber nie problematisiert . Warum nicht?
Warum machen Sie das nur beim Windstrom? Dazu würde ich mir irgendwann einmal eine Aussage wünschen .
({5})
Ich habe jetzt gelesen: Der Wirtschaftsrat der CDU,
dem Sie angehören, macht eine Kampagne gegen erneuerbare Energien .
({6})
Da zeigen Sie Ihr wahres Gesicht und offenbaren, worum
es geht . Wen haben Sie als Leiter für diese Kampagne
genommen? Johannes Lambertz, der Manager bei RWE
war und für den Niedergang dieses Konzerns sowie für
die vielen Fehlentscheidungen verantwortlich ist . Das
sind also die Leute, die Sie wieder an die Front setzen .
Das ist doch wohl das Rückwärtsgewandteste, was man
sich überhaupt vorstellen kann . Ich glaube, das kann niemand abstreiten .
({7})
Nachdem Sie die Photovoltaikförderung 2012 und die
Förderung der Bioenergien 2014 reduziert haben, soll
jetzt der Windenergieausbau um mindestens die Hälfte 2020 sogar noch mehr - reduziert werden .
Man kann das alles irgendwie begründen . Aber die
eine Konsequenz ist klar . Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der unverdächtig
ist, hat ganz klar gesagt: Diese EEG-Novelle bedeutet,
dass wir die Klimaschutzziele 2020 definitiv und endgültig nicht mehr erreichen können . Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie das hier sagen und den Menschen reinen
Wein einschenken, dass Sie den Klimaschutz aufgeben .
({8})
Ein Unding ist doch, dass die Welt auf Erneuerbare setzt,
dass immer mehr in Erneuerbare investiert wird, aber wir
in Deutschland, meine Damen und Herren, in die andere
Richtung fahren .
({9})
Das ist nicht in Ordnung .
Schauen wir uns an, welche Begründungen Sie liefern . Die Begründung mit den Kosten, Herr Fuchs, läuft
überhaupt nicht mehr .
({10})
Für die 20 Milliarden Euro bekommen wir ein Drittel
nachhaltige Stromversorgung; der Kollege Meiwald hat
es eben angesprochen . Was wäre denn die Alternative,
Herr Fuchs? Man kann heute in einem anderen Zusammenhang nach Großbritannien schauen . Dort hat man
ausgeschrieben, und man sieht, was das für ein neues
Atomkraftwerk bedeuten würde . Das ist alles viel, viel
teurer und nicht mehr wirtschaftlich . Kein einziges neues Kohlekraftwerk rechnet sich . Es würde uns viel teurer
zu stehen kommen - die Folgekosten nicht einmal mit
eingerechnet . Deshalb ist das auch ein volkswirtschaftlich effizienter Weg, den wir an der Stelle gehen, meine
Damen und Herren .
Jetzt möchte ich etwas zu dem neuen Argument, das
immer wieder angeführt wird, sagen: Beim Netzausbau
haben wir Probleme . - Ja, da haben wir in der Tat Probleme, aber nicht, weil da irgendwelche Grünen oder sonst
wer unterwegs ist, sondern weil Herr Seehofer blockiert .
({11})
Er hat nicht nur dafür gesorgt, dass auf Bundesebene
noch kein Kilometer gebaut wurde - davon reden wir
doch gar nicht -, sondern auch dafür, dass Sie noch gar
nicht mit den Planungen angefangen haben .
({12})
Wir sind drei Jahre zurück . Sie produzieren das Problem
und nehmen es dann als Begründung dafür, die Erneuerbaren auszubremsen .
({13})
Ich sage Ihnen: Sie sind nicht einmal in der Lage, eine
vernünftige Fehlerdiagnose vorzunehmen .
({14})
Sie sagen, die Erneuerbaren seien schuld . Dabei ist es
aber so: Kohle und Atomstrom verstopfen die Netze .
({15})
Denn dann, wenn Erneuerbare viel produzieren, werden
Moorburg und Brokdorf nicht abgeregelt, sondern die
laufen weiter . Wenn Sie die Netze entlasten wollen, dann
schalten Sie Moorburg und Brokdorf ab! Das wäre die
richtige Antwort, nicht aber das Ausbremsen der Erneuerbaren .
({16})
Zum Schluss möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen; da fand ich das, was der Kollege Heil gesagt hat,
gut .
({17})
- Ja, ja .
({18})
Sie sagen, auf Ausschreibungen könnten wir verzichten;
außerdem gebe es ja die De-minimis-Regelung . Das alles
wollen Sie aber nicht hören . Auch das Stichwort „Bürger energie“ ist, wenn es konkret wird, immer gut für
Sonntagsreden . Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass
Sie an dieser EEG-Novelle noch etwas ändern werden .
({19})
Heute Morgen habe ich aber gehört: Die Sektorkopplung ist ein Thema, bei dem wir erneuerbare Erzeugung
und Verbrauch zusammenbringen wollen; dazu gibt es
gute Vorschläge, etwa eine Experimentierklausel . - Gestern habe ich gehört, dass alle beim Strommarktgesetz
für Speicher sind . Nur: Sie haben einen Gesetzentwurf
beschlossen, in dem sie nicht drinstehen . Lassen Sie uns
doch diesen Aspekt in diesem wenn auch sehr kurzen
Verfahren ernst nehmen und ihn in den Gesetzentwurf
einfügen, um diesen schlechten Gesetzentwurf zumindest an ein paar kleinen Stellen, an denen Sie über Ihren
Schatten springen können, zu verbessern . Das wäre doch
etwas, wenn Sie schon die Energiewende nicht richtig
voranbringen wollen .
Kollege Krischer, Sie müssen zum Ende kommen .
Aber ich fürchte, in einer Woche stehen wir wieder
hier und stellen fest, dass Sektorkopplung und Speicher
wieder nicht im EEG enthalten sein werden . Das ist meine große Sorge . Denn am Ende will man gar keine Erneuerbaren haben - das hört man ja in den Reden von Herrn
Fuchs -, sondern man will sie ausbremsen .
({0})
Das ist der falsche Weg . Wir brauchen mehr statt weniger
Erneuerbare . Das ist die Antwort auf Paris .
Ich danke Ihnen .
({1})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und
Energie, Sigmar Gabriel .
({0})
Sie müssen nicht schon schimpfen, bevor ich das erste
Wort gesagt habe .
({0})
- Sie sind gespannt?
({1})
- Das glaube ich Ihnen auch nicht .
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht können wir in dieser hitzigen Debatte, Herr Kollege Krischer, versuchen, zumindest eine Sache zu vermeiden: persönliche Angriffe auf Kollegen .
({3})
Ich bin mit Michael Fuchs nicht immer einer Meinung .
Aber ihm Redlichkeit zuzusprechen, finde ich, ist selbstverständlich . Übrigens: Auch die, die anderer Meinung
sind, machen einen gelegentlich auf Probleme aufmerksam. Ich finde, man kann über das Ganze auch in etwas
ruhigerer Form diskutieren, zumal dann, wenn es einem
um die Sache geht . Deswegen würde ich gerne ein paar
Bemerkungen zu Ihren Behauptungen machen .
({4})
Hubertus Heil hat völlig recht: Die gleichen Reden fast wortgleich; nachher kommt ja noch so eine - haben
Sie in der Debatte zur Reform des EEG 2014 schon einmal gehalten:
({5})
„Bremsklotz“, „Untergang der Energiewende“, „kein
Klimaschutz mehr“, „Beendigung der Energiewende“ .
({6})
Sie haben beim letzten Mal auch einen Begriff wie „Kulturrevolution“, „Konterrevolution“ oder so benutzt .
Die Wahrheit ist, dass wir mit dem EEG 2014 - übrigens auch mit Zustimmung der von den Grünen mitregierten Länder - in der Tat die Kosten gesenkt haben .
Was war das Ergebnis? Das Ergebnis war, dass wir in
den letzten zwei Jahren den größten Zubau erneuerbarer
Energien in der Geschichte des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes hatten .
({7})
Nichts von dem, was Sie damals befürchtet haben, ist
eingetreten .
({8})
- Warten Sie, Herr Krischer! Seien Sie sich sicher: Ich
antworte Ihnen .
Sie sagen dann: Das war aber nur bei der Windenergie so . - Gleichzeitig geben Sie aber zu, dass wir hier
2 500 Megawatt geplant und mit knapp 4 000 Megawatt
eine weite Überschreitung erreicht haben .
Dann sagen Sie: Ja, aber bei der Photovoltaik hat nichts
mehr stattgefunden . - Sie müssen aber auch hier redlich
bleiben . Das liegt nämlich daran, dass in der Tat wegen
einer zu häufig wechselnden Finanzierung drei Jahre lang
davor jedes Jahr mehr als 7 000 Megawatt ausgebaut
wurden . Der Markt ist hinterher zusammengebrochen,
weil die wechselnden Rahmenbedingungen zunächst zu
gigantischen und danach zu relativ geringen Zubauten
geführt haben, was übrigens dazu führt, dass wir jetzt bei
dem von Ihnen damals kritisierten EEG 2014 die Kostendegression lockern, damit wieder mehr zugebaut wird .
Sie sagen immer nur die halbe Wahrheit, und ich finde,
das tut der Energiewende nicht gut . Ich komme zu noch
ein paar solcher Beispiele .
Biomasse zum Beispiel: Die Biomasse ist eine Technologie, die in den letzten 20 Jahren jedes Jahr teurer
geworden ist . Das Technologiefördergesetz hatte das
Ziel, die erneuerbaren Energien preiswerter zu machen .
Ich kann der Öffentlichkeit doch nicht jahrelang erklären, dass sie über den Strompreis mithelfen muss, die
Technologie, die irgendwann billiger wird, zu fördern,
und nach 20 Jahren sagen: „Das hat in dieser Form nicht
stattgefunden, aber macht euch keine Sorgen, ihr müsst
das weiter bezahlen“, zumal dann nicht, wenn sie sie in
dem Umfang nicht brauchen . Wir bauen sie jetzt weiter
aus, aber nicht so, dass das ein erheblicher Kostenblock
bleibt, weil wir mehr nicht brauchen . Wir können doch
nicht einfach die Augen davor verschließen .
Nun zu dem Argument, das würde die Energiewende ausbremsen: Die erneuerbaren Energien haben jetzt
einen Anteil von 33 Prozent . Bis 2025 werden wir den
Anteil auf vermutlich über 45 Prozent steigern . Das ist
doch kein Ausbremsen, kein Abwürgen . Sie können sagen, dass sie sich 50 oder 60 Prozent wünschen .
({9})
- Ja, das ist ganz einfach: Die Behauptung, diese Entwicklung der erneuerbaren Energien würde die Klimaschutzziele in Deutschland beschädigen, ist schlicht
falsch .
({10})
- Herr Krischer, ich habe Ihnen zugehört; hören Sie mir
einfach auch zu . Es ist ganz einfach . Das müssen Sie ertragen; ich muss es ja auch ertragen . - Sie haben für Ihre
Behauptung übrigens auch keinerlei Belege; aber das ist
ja üblich .
Ich finde, Sie tun damit auch denjenigen keinen Gefallen, die sich für erneuerbare Energien einsetzen, weil
sie den Eindruck haben, ihr ganzes Engagement würde
in den Wind geschrieben . Das Gegenteil ist der Fall: Es
geht weiter . Wenn Sie jetzt mehr ausbauen wollen, dann
müssen Sie allerdings auch die Frage nach dem Stromnetz beantworten .
Ich höre jetzt: Das ist doch bei Offshorewind das eigentliche Problem . - Ja, das stimmt . Demnächst bekommen wir etwas, was wir nie hatten - und was Sie übrigens
wollten -, nämlich jedes Jahr zusätzliche Offshorewindparks, die eine weit höhere Windausbeute weit besser
und stabiler liefern als Anlagen an Land .
Wir werden 200 circa 7 000 Megawatt erreichen .
Jürgen Trittin hat einmal einen Plan zum Ausbau im Bereich Offshore an mich übergeben, der das Ziel hatte,
2030 mehr als 20 000 Megawatt zu erreichen . Ich habe
schon in meiner Zeit als Umweltminister das Ziel heruntergesetzt . Diskreditieren Sie die Offshorewindenergie,
die Sie noch vor ein paar Jahren aus einem guten Grund
für richtig gehalten haben, jetzt doch nicht in der Öffentlichkeit .
({11})
Aus welchem guten Grund?
Ich werde mir einmal den Spaß machen, der IG Metall
Küste die Position der Vorsitzenden der Linkspartei zu
übermitteln . Frau Kipping, die Linke ist doch eine den
Gewerkschaften offenstehende Partei . Niedersachsen
und Norddeutschland haben 30 Jahre Deindustrialisierung hinter sich . Zum ersten Mal seit langer Zeit entstehen dort neue industrielle Arbeitsplätze, und zwar nicht
nur im Bereich Onshore, sondern insbesondere auch an
den Küstenstandorten, im Bereich Offshore . Sie sagen
jetzt: Ihr dürft nicht so viel Offshore zubauen . - Sagen
Sie das einmal den Facharbeiterinnen und Facharbeitern
in den Einrichtungen dort!
({12})
Nein, man kann nicht immer an unterschiedlichen
Stellen das jeweilige Gegenteil sagen . Auf der einen Sei-
te sagen Sie: „Das ist wunderbar, wir kämpfen für euch“,
während Sie auf der anderen Seite deren Arbeitsplätze
infrage stellen .
Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist doch genau Ihr Programm!)
- Bitte? Stellen Sie einfach eine Frage; ich kann Sie nicht
hören . Sie trauen sich nicht, eine Frage zu stellen, weil
ich dann antworte; das verstehe ich .
({13})
Wenn es um die Netze geht, dann geht es nicht nur
um Süddeutschland, sondern auch darum, dass sie in
Norddeutschland nicht ausreichend ausgebaut worden
sind, und zwar aus unterschiedlichen Gründen . Einer der
Gründe war, dass den Forderungen der Grünen und auch
unseren Forderungen, die Erdverkabelung möglich zu
machen, viel zu lange nicht nachgekommen wurde . Das
haben Sie immer zu Recht gefordert, und wir auch . Gott
sei Dank ist es jetzt endlich gelungen .
({14})
Es stimmt auch nicht, dass die Erdverkabelung teurer ist .
Noch teurer ist es nämlich, keine Kabel zu legen und sich
ständig vor Verwaltungsgerichten zu bewegen . Das ist
noch viel teurer .
({15})
Deswegen ist die Erdverkabelung absolut richtig . Aber
sie ist eben noch nicht da .
Jetzt geht es nicht darum, Onshorewindanlagen zu
deckeln; denn Onshorewindanlagen sind die preiswerteste Form der erneuerbaren Energien . Vielmehr geht es
darum, dass wir derzeit, da wir keine Netze haben, Anlagen abregeln und den Strom zweimal bezahlen müssen: Einmal müssen wir den Windmüller und einmal das
Kraftwerk in Österreich bezahlen, damit es den Strom
nach Süddeutschland liefert . Das nennt man - das wissen
Sie - Redispatch-Kosten . Diese betragen derzeit 1 Milliarde Euro, wenn wir nicht aufpassen, über 4 Milliarden Euro .
Dann kommt von Ihnen: Ja, dann müsst ihr die Atomkraftwerke schneller abstellen . - Sagen Sie einmal: Für
wie fahrlässig halten Sie uns? Glauben Sie wirklich, wir
hätten bei der Berechnung der Netzkapazitäten nicht berücksichtigt, dass Atomkraftwerke vom Netz gehen? Natürlich haben wir das gemacht .
({16})
- Mensch, Maestro, nun hör doch einfach einmal zu!
({17})
Sie haben eben gesagt, Sie würden es aufgeben, Argumente vorzutragen . Das setzt so einen aufklärerischen
Impetus und vermittelt den Eindruck, Sie seien sonst an
Argumenten interessiert . Dann möchte ich Ihnen sagen:
Hören Sie einmal zu . - Jetzt geht es darum, dass wir die
Kapazitäten des Netzes so berechnet haben, dass Atomkraftwerke abgeschaltet werden . Klar haben wir das gemacht . Übrigens haben wir auch berücksichtigt, dass ein
Stromkabel nach Norwegen gelegt wird . Trotzdem - das
ist ein gutes Argument - ist der Zubau Erneuerbarer so
groß, auch in Zukunft im Norden, dass wir auf jeden Fall
neue Netze brauchen, um diesen Erfolg der Erneuerbaren in wirtschaftliche Praxis umzusetzen . Das ist doch
nichts Schlimmes . Das machen wir übrigens schon ein
paar Jahre .
Ich erinnere an die Tatsache, dass alle Bundesländer
diesem Kompromiss zugestimmt haben . Ich weiß, dass
sie im Bundesrat Änderungen beantragen; das ist okay .
({18})
- Mensch, ich glaube, sie haben beim letzten Mal 80 Änderungen beantragt . Aber hinterher haben sie dem Kompromiss zugestimmt .
({19})
- Das ist doch nicht wahr . Passen Sie einmal auf: Das
können Sie gerne sich selbst und anderen erzählen . Aber
wer dabei war - ich habe die Verhandlungen mit geleitet -,
({20})
der weiß, dass Ihr Staatssekretär im Auftrag von Herrn
Kretschmann gesagt hat: Ich könnte mir mehr vorstellen,
aber ich stimme diesem Kompromiss zu, weil hier jeder
Kompromisse machen muss . - Auch Sie sollten so klug
sein . Man kann nicht mit dem Kopf durch die Wand . Das
waren Grüne, die so argumentiert haben .
({21})
Übrigens hat der Ministerpräsident von Thüringen
diesen Kompromiss am Ende dieser Veranstaltung ausdrücklich gelobt, und er ist ein Mitglied der Linkspartei .
Sie machen hier im Deutschen Bundestag ein Theater um
dieses Thema, das all diejenigen, die sich in der Sache
bemühen, zu Lösungen zu kommen, schwer nachvollziehen können .
({22})
Letzte Bemerkung von Ihnen, auf die ich eingehen
möchte: Wir machen das nur für die Konzerne . - Jetzt
will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Frau Kipping, es
wäre nicht schlecht, wenn Sie das Gesetz zur Kenntnis
nehmen würden, anstatt Dinge zu behaupten, bei denen
das Gegenteil richtig ist und die im Gesetz stehen . Sie haben gerade gesagt: Wie wollen wir es erreichen, dass die
kleinen Bürgerenergiegenossenschaften die Planungskosten bezahlen? Das können sie doch gar nicht . - Das
haben Sie hier fast wörtlich gesagt . Schauen Sie einmal
ins Gesetz: Diese Genossenschaften haben gar keine Planungskosten . - Wissen Sie, was eine Bürgerenergiegenossenschaft braucht, um sich an einer Ausschreibung
zu beteiligen? Erstens ein Grundstück - das ist nicht
schlecht, wenn man eine Windenergieanlage aufstellen
will - und zweitens ein Windgutachten; das war es . Das
Risiko der Planungskosten von 100 000 Euro pro Anlage
müssen eben nur die Unternehmen tragen, nicht die Bürgerenergiegenossenschaften . Das ist eine Privilegierung .
Behaupten Sie doch nichts Falsches . Sie schrecken mit
solchen Argumenten die Leute ab, sich für Windenergie
zu engagieren, die wegen der Kosten keine Angst zu haben brauchen . Warum betreiben Sie eine solche Propaganda?
Wo haben sich bei einer Ausschreibung für Photovoltaikanlagen die meisten Energiegenossenschaften gemeldet? Als der Ausschreibungspreis am niedrigsten war!
Das war nach drei Ausschreibungsrunden, als der Preis
nicht mehr bei 11 Cent, 9 Cent, sondern bei zum Teil unter 7 Cent pro Kilowattstunde lag .
({23})
Warum kommt man zu solchen Preisreduzierungen? Das
ist ganz einfach . Wenn der Deutsche Bundestag, wenn
der Staat die Preise festlegt, dann rechnet sich doch jeder
aus, wie hoch er gehen kann, damit er sich eine Scheibe
vom Kuchen abschneiden kann . Dabei kommen Sie auf
Einnahmen von 30 000 bis 40 000 Euro pro Hektar im
Jahr . Das ist ein wunderbares Einkommen . Ein paar Arbeitnehmer in Deutschland würden sich freuen, wenn sie
so viel hätten . Diese Summe kommt dadurch zustande,
dass der Staat die Preise festsetzt .
Jetzt gehen wir in die Ausschreibung . In der Ausschreibung kann man dieses Spiel nicht mehr weitertreiben . Deswegen haben die Bürgerenergiegenossenschaften bei Photovoltaikanlagen genau da die Chance gehabt,
als die Preise am niedrigsten waren . Das hilft den Genossenschaften, aber das hilft eben auch den Menschen .
Meine Bitte ist, dass wir versuchen, uns von Weltuntergangsszenarien zu verabschieden, sowohl bei den
Preisen als auch bei der Energiewende . Es wäre besser,
sich anzuschauen, was im Gesetz steht, und sich darüber zu freuen, dass der Erfolg der Energiewende nicht zu
bremsen ist und übrigens auch die Erneuerbaren nicht .
Dies muss jedoch in einer Art und Weise geschehen,
dass uns die Leute nicht einen Vogel dafür zeigen, dass
wir Anlagen bauen, aber den Strom nicht transportieren
können . Dann halten uns die Leute schlicht für bekloppt .
Ich finde, der Ruf der Politik sollte nicht dadurch noch
schlechter werden, dass dieser Eindruck durch die Gesetzgebung bestätigt wird .
Vielen Dank .
({24})
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielleicht werden wir unseren Enkelinnen und Enkeln
in einigen Jahren nur die kurze Geschichte der Bürgerenergie erzählen können, die einst vier großen Konzernen die Energieversorgung abgetrotzt hat . Denn mit
dieser EEG-Novelle zertrümmern Bundesregierung und
Koalition alles, was die Energiewende demokratisch und
dezentral macht, sie machen sich zu Lakaien der Konzerne und Großinvestoren . Ich verstehe, dass Sie das nicht
hören wollen . Aber es ist so .
Die Energiewende ist eigentlich ein linkes Thema .
Das wundert Sie vielleicht; deshalb sage ich Ihnen, warum: Es geht um das Eigentum an einem Gut der Daseinsvorsorge . Jeder braucht Strom und Wärme, und es
geht hier um die Frage, wer darüber bestimmen darf . Wir
sagen: Energie gehört in die Hände der Bürgerinnen und
Bürger .
({0})
Das historische EEG hatte dafür den Weg freigemacht .
Es hat nämlich eine doppelte Wende eingeleitet: nicht nur
bei der Energieerzeugung, sondern auch beim Eigentum
an Energieerzeugungsanlagen . Hunderttausende sind zu
Miteigentümern am Gemeingut Elektrizität geworden .
Eine ganze Struktur ist verändert worden . Ich meine, das
war eine tolle Entwicklung .
({1})
Jetzt, im Jahr 16 des EEG, wird das alles zertrümmert .
Die Bürgerenergie wird abgeschafft und der demokratischen und dezentralen Energiewende eine Absage erteilt .
Den fossilen Energiekonzernen, die mit ihren Auslaufprodukten Atom- und Kohlestrom Probleme bekommen,
werfen Sie jetzt einen Rettungsring nach dem anderen zu .
Wenn wir über Kosten reden, dann muss man den
Leuten auch sagen, dass wir gerade einen Gesetzentwurf
beschlossen haben, mit dem allein für die Braunkohlereserve 1,6 Milliarden Euro vorgesehen sind . Das bekommen nicht die Beschäftigten, sondern die Konzerne .
Und da reden Sie immer davon, dass durch das EEG der
Strompreis so hoch ist .
In meiner Heimat Bayern werden etwa 50 Prozent des
Ökostroms von den Bürgerenergiegesellschaften produziert . Ich möchte in diesem Zusammenhang den Chef der
Bürgerenergie, Markus Käser, zitieren:
Durch die aktuelle Gesetzgebung wird Bürgern
und unseren Kommunen der Gestaltungsspielraum
regelrecht aus den Händen gerissen! Die europaweiten Ausschreibungen, wie sie von der Koalition
derzeit geplant sind, sind der Sargnagel für den dezentralen Ausbau und die regionale Wertschöpfung
von erneuerbarer Energieproduktion in unseren Gemeinden!
Er ist Praktiker und weiß, wovon er spricht .
({2})
Im Übrigen hat die Bürgerenergie auch Bavariastrom
gegründet . Auch dieser regionale Strom wird jetzt vermarktet. Das finde ich toll. Es geht der Linken nicht um
die Bürgerenergie, weil wir sie so niedlich finden. Sie
passt einfach zu aufgeklärten Demokraten des 21 . Jahrhunderts .
({3})
Denn Entscheidungen über Großprojekte - die Energiewende ist ein Großprojekt - werden nicht mehr von den
Eliten getroffen . Nein, die Menschen reden mit, und sie
wollen mitreden . Sie wollen auch mitbestimmen, und das
ist gut so . Das sollte man nicht kaputtmachen .
({4})
Lassen Sie uns über Arbeitsplätze reden . Sie legen
immer dieselbe Platte auf und behaupten, wir wollten
Arbeitsplätze vernichten . Dann schauen wir einmal, was
bei den regenerativen Energien los ist . Es gab heute eine
Demonstration für die Bioenergie, und die Kollegen aus
den Betrieben haben erzählt, dass sie schon jetzt keine
Aufträge mehr haben und nicht wissen, wie es weitergeht . Aus diesem Grund müssen wir etwas tun .
Sie haben immer nur bestimmte Arbeitsplätze im
Blick . Es gibt aber viele kleine Betriebe im Bereich der
regenerativen Energien, die tolle Arbeitsplätze bieten
und sogar nach Tarif bezahlen . Es wäre uns zwar lieber,
wenn alle nach Tarif bezahlen würden . Aber ich meine,
hier muss etwas getan werden . Sie können das nicht einfach so deckeln .
({5})
Noch einmal zur Beteiligung: Wir brauchen die Akzeptanz . Wir alle kennen die Windkraftgegner, die mit
allen möglichen Argumenten versuchen, Windenergie zu
verhindern . Akzeptanz kann nur durch eine breite Beteiligung - durch Bürgerbeteiligung und durch eine finanzielle Beteiligung - entstehen . Das wollen die Leute . Sie
wollen mehr mitreden . Das sehen wir auch an einigen
Memoranden . Sie wollen mitreden . Und wenn sie nicht
mitreden können, dann lehnen sie das ab und wollen das
nicht . Dann lehnen sie auch unsere Politik ab .
({6})
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter! Lieber Oliver
Krischer! Mir fiele jetzt viel zu den Themen ein, die ihr
immer ansprecht . Ihr redet immer von der Braunkohlereserve und davon, dass Braunkohle und Kernenergie
die Netze verstopfen . Auch das Wort „Energieverhinderungsgesetz“ wurde vorhin genannt . Die Großkonzerne
werden gegeißelt . - Ihr wisst es besser: Das sind nicht die
Probleme der Energiewende, es sind nicht die Themen,
die uns derzeit bewegen, sondern wir haben andere Probleme . Die werden mit dem Gesetz, das wir jetzt vorgelegt haben, auch adressiert .
Ich wünsche mir manchmal - gerade auch vonseiten
der Grünen - eine etwas sachlichere Debatte . Schließlich
hat auch euer Ministerpräsident Winfried Kretschmann
bei der MPK mitgemacht .
({0})
Schließlich gibt es ja auch den einen oder anderen Mitarbeiter an führender Stelle im Ministerium, der am Gesetz
mitgeschrieben hat . Auch in dieser Hinsicht würde ich
mir ganz gerne etwas mehr Sachlichkeit und mehr Mitarbeit von den Grünen hier im Parlament wünschen, meine
sehr verehrten Damen und Herren .
({1})
Ich will noch einmal die Erfolge der Energiewende
darstellen; denn ich glaube, dass die gerade vonseiten der
Grünen und der Linken hier immer wieder kaputtgeredet
wird . Wir haben schon heute einen Riesenerfolg zu verzeichnen, was den Ausbau erneuerbarer Energien angeht .
33 Prozent unserer Stromversorgung basieren auf erneuerbaren Energien . Wir haben uns Ziele wie sonst keine
andere Industrienation der Welt vorgenommen .
Wir sind erfolgreich . Ich möchte in diesem Zusammenhang drei kleine Bereiche herausgreifen: Im Bereich
Offshore haben wir das Ziel, bis 2020 7,5 Gigawatt zu
erreichen . Bis 2030 wollen wir auf 15 Gigawatt kommen .
Das heißt, dass wir hier in Deutschland, was Offshore
anbelangt, einen Anteil von 50 Prozent am europäischen
Markt haben werden . Das ist ein Riesenerfolg . Wir sind
der Marktführer in Europa und damit auch Schrittmacher
für die Welt .
Auch den Exportanteil im Offshorebereich haben wir
enorm erhöht . Derzeit liegen wir bei 20 Prozent . Wir
wollen da im nächsten Jahr weiter vorankommen . Auch
hier werden wir mit unserer Technologie anderen Ländern bei der Energiewende helfen .
Bei der Onshorewindenergie - dabei geht es um Windräder auf dem Land - hatten wir in Deutschland 2014 einen Zubau, der rund ein Drittel des gesamteuropäischen
Ausbaus ausmachte . Auch hier sind wir Marktführer in
Europa . Der Exportanteil bei Windonshore liegt übrigens
bei 60 Prozent . Also 60 Prozent der Windräder, die hier
gebaut werden, werden exportiert . Auch das beweist,
dass wir erfolgreich sind und die Produkte, die wir hier
bauen, nicht nur für uns nutzen, sondern sie auch anderen
Ländern, die damit Erfolg haben, zur Verfügung stellen .
Auch bei der Photovoltaik - dabei geht es um Solarenergie, die von vielen im Rahmen der Energiewende
abgelehnt wird - produzieren wir von 100 Gigawatt,
die in Europa erzeugt werden, 40 Gigawatt . Auch hier
sind wir, was den Ausbau erneuerbarer Energien angeht,
Weltmarktführer . Ich glaube, dass auch das etwas ist, was
man herausstellen kann .
Andere Länder haben in den letzten Jahren anders auf
die Herausforderung reagiert . Tschechien hat beispielsweise die Vergütung für Bestandsanlagen komplett eingestellt, Spanien hat seit Juli 2013 Einspeisevergütungen
faktisch abgeschafft, und die Briten wollen seit dem letzten Jahr Windkraft an Land nicht mehr fördern .
Das beweist, dass wir im Hinblick auf erneuerbare
Energien andere Schlagzeilen produzieren . Ich glaube,
auch darauf sollten alle hier im Hause stolz sein . Wir
sollten stolz darauf sein, dass wir die Energiewende
Stück für Stück voranbringen, meine sehr verehrten Damen und Herren .
Ich möchte noch zwei wichtige Punkte aus dem Gesetz erwähnen .
Kollege Bareiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Verlinden?
Sehr gerne, ja .
Bitte .
Herr Bareiß, Sie haben ja davon gesprochen, dass die
Energiewende Schritt für Schritt vorangebracht werden
soll . Sie sprechen hier im Plenum auch immer gerne das
Thema Energieeffizienz an. Sie sei wichtig, damit das
Ganze gelingt . Ich möchte rückfragen, wie das Thema
der besonderen Ausgleichsregelungen jetzt in der Koalition weiter diskutiert wird . Wir haben ja aus den Medien
erfahren, dass es eine große Debatte darüber gibt, dass
privilegierte Unternehmen lieber absichtlich Energie
verschwenden, damit der Stromverbrauch entsprechend
hoch ist, um weiter die Befreiungen in Anspruch nehmen
zu können, anstatt eben vernünftig in Energieeffizienz zu
investieren . Das wird von den anderen Stromkunden also auch von den kleinen Unternehmen, die eben nicht
befreit sind, sowie von den privaten Verbrauchern - quersubventioniert .
Ich habe jetzt mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass das Land Baden-Württemberg - Sie kommen
ja aus Baden-Württemberg - im Bundesrat zur Abstimmung gestellt hat, genau an diesem Punkt, also was die
besondere Ausgleichsregelung angeht, nachzubessern,
um nämlich genau den Anreiz für Unternehmen zu erhöhen, tatsächlich in Energieeffizienzmaßnahmen zu investieren . Werden Sie sich dafür einsetzen, dass dieser
Vorschlag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat
hier umgesetzt werden kann?
Frau Verlinden, ich bin Ihnen dankbar für die Frage .
Der Bereich der Energieeffizienz verhält sich wie andere Bereiche . Auch da sind wir Weltmarktführer . Wir
haben es als einzige Industrienation der Welt geschafft,
den Wohlstand unserer Nation von dem zusätzlichen
Energieverbrauch zu entkoppeln . Das hat keine andere
Nation geschafft . Wir haben es in den letzten 20 Jahren geschafft, unseren Energieverbrauch um 6 Prozent
zu reduzieren, während unser Bruttoinlandsprodukt um
30 Prozent gestiegen ist . Auch das ist ein großer Erfolg
unserer Industrie und unserer Wirtschaft .
Deshalb wollen wir auch diejenigen Unternehmen,
die in Energieeffizienz investieren und die es geschafft
haben, ihren Energieverbrauch Stück für Stück zu reduzieren, nicht bestrafen, sondern wir wollen, dass diese
von der besonderen Ausgleichsregelung profitieren können . Das war der Grund dieses Änderungsgesetzes . Das
haben wir auch geschafft, und ich glaube, wir sind auf
einem richtigen Weg . Das werden wir auch entsprechend
umsetzen .
({0})
- Den werden wir prüfen .
Ich will zu zwei Themen in diesem Gesetzentwurf
kommen, die mir sehr wichtig sind, weil ich glaube, dass
diese für die nächsten Jahre etwas Neues bieten werden,
was entscheidend für das Gelingen der Energiewende
sein wird .
Das erste Thema betrifft die Ausschreibungen . Wir
werden einen Systemwechsel einleiten . Das heißt, wir
werden von der starren EEG-Umlage wegkommen . Wir
werden zu einer Ausschreibung übergehen, die dazu
führt, dass wir erstens die Mengensteuerung in den
nächsten Jahren konsequenter umsetzen können und dass
wir wirklich nur dort investieren, wo wir Bedarf sehen .
Zweitens werden wir die Preise für erneuerbare Energien
nicht mehr hier im Deutschen Bundestag festsetzen, sondern wir werden per Ausschreibung dafür sorgen, dass
sich die erneuerbaren Energien dem Markt stellen müssen . Damit werden wir enorme Potenziale für uns heben .
Ich glaube, wir haben hiermit einen großen Schritt gemacht . Wir haben schon lange diese Ausschreibung gefordert . Wir haben immer wieder Kritik an der Ausschreibung gehört . Ich kann nur sagen: Die Ausschreibung
funktioniert . In Dänemark funktioniert sie einwandfrei .
Sie hat dazu geführt, dass Offshorestrom in Dänemark
5 Cent günstiger als beispielsweise in Deutschland ist .
Wir haben auch in Deutschland Pilotprojekte im Bereich
von PV-Freiflächen gemacht. Auch in diesem Fall haben
wir gesehen, dass die Ausschreibung funktioniert . Hier
gehen wir also einen großen Schritt voran und bringen
die erneuerbaren Energien in den Markt . Sie können sich
schon heute dem Markt stellen, was für uns einen großen
Schritt nach vorne bedeutet .
Der zweite Punkt betrifft die Synchronisation von
Netzausbau und erneuerbaren Energien . Auch hier wollen wir den Anforderungen, die wir haben, besser gerecht
werden . Einerseits erfolgt der Ausbau der erneuerbaren
Energien schneller als gedacht, andererseits erreicht
leider der Netzausbau - auch das haben wir schon gehört - derzeit noch nicht die Geschwindigkeit, die wir
brauchen .
Oli Krischer, du hast eben gesagt, in Bayern säßen die
großen Verhinderer . Ich kann dir sagen: In Niedersachsen wurde seit sieben Jahren keine einzige neue Leitung
genehmigt . Man sieht, dass auch andere Bundesländer
das genauso restriktiv handhaben . Ich glaube, alle müssen an einem Strang ziehen, um die Netze auszubauen .
Wir brauchen 8 000 Kilometer in den nächsten Jahren,
700 davon haben wir gebaut . Das sind gerade einmal
9 Prozent . Das ist zu wenig . Da müssen wir mehr tun,
weil sonst die erneuerbaren Energien nicht auf den Markt
kommen . Das wäre ein ganz großer Fehler .
Wir müssen das tun, um Kosten einzudämmen, wir
müssen das tun, damit wir die Versorgungssicherheit in
den nächsten Jahren weiter auf hohem Niveau halten
können . Deshalb brauchen wir die richtigen Instrumente .
Ein Instrument ist die Netzengpassgebietszone, die
wir ausrufen wollen . Diese Netzengpassgebiete werden
dafür sorgen, dass dort eher weniger Windräder aufgebaut werden . Ich glaube, das ist wichtig, damit wir die
Geschwindigkeit etwas drosseln und das Netz in den
Vordergrund stellen . Ich glaube, es wäre ein Fehler,
wenn wir das, was die EU-Kommission vorgeschlagen
hat, nämlich die zwei Preiszonen, umsetzen würden . Das
wäre nicht das, was wir hier in Deutschland wollen . Das
würde den Binnenmarkt konterkarieren . Deshalb sind
wir ganz klar für die Instrumente, die dafür sorgen, dass
wir den Netzausbau mit den erneuerbaren Energien wirklich synchronisieren .
Wir sehen ebenfalls Veränderungsbedarf im parlamentarischen Verfahren . Da sind einige Punkte für mich
und uns wichtig . Der eine Punkt ist die Akteursvielfalt im
Bereich der Energieträger . Ich glaube, wir brauchen einen breiten Mix von erneuerbaren Energien . Es ist wichtig, dass wir in Wind- und Sonnenenergie investieren .
Wir brauchen aber auch die Wasserkraft, die Geothermie
und die Biomasse . Bei der Biomasse wird es uns wichtig
sein, dass wir gerade auch die Kleinanlagen zukünftig
in die Ausschreibung hereinholen, damit auch die eine
Chance haben, am Markt zu bestehen . Wir wollen auch
bestehenden Biogasanlagen eine verlässliche Zukunftsperspektive bieten .
Das Thema Eigenstrom ist für uns von so großer Bedeutung, dass wir es noch einbringen wollen . Das Gleiche gilt für das Thema Akteursvielfalt . Auch das wurde
von den Kollegen der SPD schon adressiert .
Meine Damen und Herren, das EEG 2016 ist ein wirklich großer Schritt . Wir werden die erneuerbaren Energien in den Markt bringen . Wir werden für Verlässlichkeit
im EEG sorgen, und wir werden den Netzausbau mit dem
Ausbau von erneuerbaren Energien synchronisieren . Ich
glaube, das ist ein großer Schritt . Wir müssen es anpacken . Die nächsten zwei Wochen erfordern ambitionierte
Arbeit . Ich glaube, wir werden sie gemeinsam bewältigen .
Herzlichen Dank .
({1})
Die Kollegin Dr . Julia Verlinden hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ich frage mich manchmal, was die Bundesregierung und die Regierungskoalition eigentlich unter
Energiewende verstehen . Wir haben gestern Subventionen für Braunkohle beschlossen, genauer: Sie haben diese Subventionen beschlossen . Heute Morgen haben Sie
dafür gesorgt, dass die Erdgasindustrie weiter frackt, und
jetzt sprechen wir über ein Ausbremsen der erneuerbaren
Energien . Das ist aus unserer Sicht keine Energiewende .
({0})
Die von Ihnen so oft genannte Sektorkoppelung bedeutet, dass wir weniger fossile Treibstoffe und weniger
fossile Heizstoffe verwenden, dafür aber mehr Strom,
und zwar Erneuerbarenstrom . Welche Bedeutung das für
den Ausbau der erneuerbaren Energien hat, das scheinen
Sie noch nicht ganz zu begreifen .
Sie sagen immer: Wir schaffen bis 2025 unser Ziel 40
bis 45 Prozent erneuerbare Energien im Stromsektor . Wir
Grünen finden: Das ist viel zu wenig. Aber lassen wir das
einmal dahingestellt sein . Sagen wir einmal, Sie wollen
dieses Ziel erreichen . Dann kann das Ganze doch nicht
funktionieren, wenn Sie diese 40 oder 45 Prozent auf den
aktuellen Stromverbrauch in Deutschland beziehen, also
auf die augenblicklich 600 Terawattstunden . Sie müssen
sich doch fragen: Wie viele Elektrofahrzeuge haben wir
bis dahin? Wie viel Strom wird, etwa über die Technologien PtX oder PtH, in Wärme umgewandelt? Wie viel
nutzen wir davon?
Das heißt, der Strombedarf wird in den nächsten
Jahren immer steigen, wenn das, was Sie wollen, nämlich Sektorkoppelung, zur Realität wird . Das wiederum
heißt - das ist ein einfacher Dreisatz -: Wenn man 40 oder
45 Prozent EE-Strom haben will, dann muss der Ausbau
der erneuerbaren Energien Jahr für Jahr umfangreicher
sein als das, was Sie jetzt vorgesehen haben; schließlich
kommen Sie sonst angesichts des zusätzlichen Strombedarfs ja nicht hin .
({1})
Anfang der Woche wurde dazu eine Studie von der
HTW Berlin vorgestellt . Darin wird vorgerechnet, dass
wir bei der Umstellung des Strom-, des Verkehrs- und
des Wärmesektors bis zum Jahr 2040 doppelt so viel
Strom verbrauchen wie heute . Das klappt übrigens nur,
wenn wir zusätzlich alle Energieeffizienzpotenziale nutzen . Auch da gibt es im Moment Handlungsbedarf . Ansonsten werden wir womöglich eine Verfünffachung des
Stromverbrauchs erleben .
Wenn wir die Energiewende im gleichen Tempo wie in
den letzten Jahren fortführen, dann wird sie im Jahr 2150
abgeschlossen sein . Die Bundesregierung hat in Elmau
und Paris etwas ganz anderes zugesagt: Wir wollen die
Energiewende bis spätestens 2050 vollzogen haben . Das heißt, wenn wir jetzt nicht an Tempo zulegen, dann
kommen wir ganze 100 Jahre zu spät . Leider wollen Sie
den Ausbau der Erneuerbaren aber nicht voranbringen;
Sie wollen nicht einmal das bisherige Tempo beibehalten . Stattdessen treten Sie auf die Bremse und legen erst
einmal eine Energiewendepause ein .
Lassen Sie mich Ihnen das kurz vor Augen führen .
({2})
- Herr Gabriel, Sie haben eben gesagt, dass es gut ist,
wenn andere eine andere Meinung haben; denn dann
kann man sie auf ein Problem aufmerksam machen . Mein
Anliegen eben war, auf die Bereiche Sektorkoppelung,
Stromverbrauch usw . einzugehen .
Zwischen 2021 und 2025 gehen Windenergieanlagen
mit einer Leistung von über 16 000 Megawatt vom Netz .
Dagegen sollen im gleichen Zeitraum im besten Fall nur
14 500 Megawatt Energie neu aufgebaut werden . Das
heißt unter dem Strich in dem Zeitraum 2021 bis 2025
ein Minus von 1 500 Megawatt Windenergie . Ich frage
Sie: Ist das ein Ausbau? Ausbau heißt doch mehr und
nicht weniger .
Mit diesem Gesetzentwurf bremsen Sie aber nicht
nur die Energiewende an sich aus, sondern Sie schließen
auch die Bürgerinnen und Bürger von ihr aus . Eine Energiewende gegen die Bürgerinnen und Bürger wird aber
keinen Erfolg haben .
Wir haben im Ausschuss noch die Möglichkeit, dieses
Gesetz in vernünftige Bahnen zu lenken . Lassen Sie uns
ein Gesetz verabschieden, mit dem wir einen echten Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen und die Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende teilhaben lassen .
Vielen Dank .
({3})
Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben gestern das Strommarktgesetz beschlossen; das haben wir heute schön öfter gehört . Da
ging es mit Blick auf unsere Zieltrias in allererster Linie
um Versorgungssicherheit . Jetzt höre ich, Frau Verlinden,
dass Sie behaupten, wir hätten gestern beschlossen, die
Braunkohle zu subventionieren . Das ist, glaube ich, nicht
richtig .
({0})
Wir überführen 13 Prozent der Braunkohleleistung in
eine Sicherheitsbereitschaft
({1})
und legen sie danach still . Darauf kommt es an .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst die taz nannte
das einen Durchbruch in der Kohlefrage .
({3})
Ich finde, daran kann man an dieser Stelle einmal erinnern .
Heute beraten wir über die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes . „All hangt mit all tausamen“, würde man in Ostfriesland sagen, also „Alles hängt mit allem
zusammen“, und ist gemeinsam wichtig für unseren Weg
in der Energiewende . Wir sind unaufhaltbar auf dem Weg
des Ausstiegs aus den fossilen Energieträgern . Der Ausstieg kann aber nicht zufällig erfolgen, sondern muss mit
Blick auf unsere Zieltrias „sicher, sauber und bezahlbar“
geplant werden . Alle drei Ziele müssen gemeinsam betrachtet werden, und das Dreieck der Ziele darf nicht aus
dem Gleichgewicht gebracht werden . Übrigens: Auch bei
den jeweiligen Energieträgern müssen wir darauf achten,
dass wir es sozial vernünftig umsetzen können, dass der
Strukturwandel entsprechend organisiert wird .
Gestern lag der Schwerpunkt mit dem Strommarktgesetz auf dem Ziel „sicher“ . Mit dem EEG liegt der
Schwerpunkt auf „sauber“, aber auch mit einem deutlichen Blick auf das Ziel „bezahlbar“ . Wir wollen, nein,
wir werden mit dieser EEG-Novelle unser Ausbauziel
aus dem Koalitionsvertrag - 40 bis 45 Prozent erneuerbare Energien in 2025 - eher an der oberen Marke erreichen . Bereits jetzt haben wir über 33 Prozent erneuerbare
Energien im Stromnetz .
Wir wollen die Akteursvielfalt . Deswegen begrüßen
wir ausdrücklich den Vorschlag des Ministers zur Akteursvielfalt . Ich als ehemaliger Bürgermeister kann mir
allerdings auch noch eine ein bisschen stärkere kommunale Beteiligung vorstellen;
({4})
denn, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir die
Kommunen beteiligen, dann beteiligen wir nicht nur einige, sondern alle Bürger direkt .
({5})
Das gilt auch für solche Sachen wie Mieterstrom, die wir
sicher noch miteinander zu diskutieren haben .
Im EEG 2016 wird darauf reagiert, dass der Netzausbau nicht wie erhofft stattgefunden hat, also eigentlich
auf den Netznichtausbau . Dazu werden erstmals Netzausbaugebiete definiert. Das darf kein Dauerzustand
werden . Wir brauchen in der Zukunft auch Diskussionen über Netzausbauvarianten, über Alternativen, technischer Art, aber auch von der Bewältigung der Lasten
her . Wir brauchen eine viel stärkere Zusammenarbeit als
bisher in der Frage: Wie gehen eigentlich ÜNBs, Übertragungsnetzbetreiber, mit Verteilnetzbetreibern um, und
wie kann eigentlich die Branche der erneuerbaren Energien mit den Netzbetreibern Lösungen in dieser Frage
finden?
Wir brauchen dringend Antworten hinsichtlich der
Nutzung der Potenziale in der Sektorkopplung . Zu dieser
Thematik gibt es im Wirtschaftsministerium eine ArbeitsDr. Julia Verlinden
gruppe . Ich glaube, dass wir uns nach der Sommerpause,
nachdem wir viele energiepolitisch wichtige Gesetze
beschlossen haben werden, intensiv damit beschäftigen
müssen, welche Ergebnisse aus dieser Arbeitsgruppe
kommen . Wir werden uns auf den Weg machen, zur Sektorkopplung auch die richtigen Lösungen zu finden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Der Kollege Dr . Andreas Lenz hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
beraten heute in erster Lesung das EEG 2016 . Es ist in
der Tat so, dass die Untergangsgesänge, die wir heute
wieder hören mussten, sehr stark an die Diskussion zum
EEG 2014 erinnern . Aber um was geht es im Kern beim
EEG 2016? Die Einspeisevergütung wird künftig nicht
mehr von der Politik oder dem Ministerium festgelegt,
sondern im Wettbewerb ermittelt . Dies ist ein Systemwechsel . Es ist ein richtiger Systemwechsel - und übrigens auch europarechtskonform oder im Hinblick auf die
Europarechtskonformität geboten . Strom aus erneuerbaren Energien soll in der Höhe vergütet werden, die für
einen wirtschaftlichen Anlagenbetrieb erforderlich ist .
Wir schaffen damit mehr Kosteneffizienz beim Ausbau
der Erneuerbaren .
Gerade die Synchronisierung von Netzausbau und
Ausbau der Erneuerbaren ist von kaum zu überschätzender Bedeutung . Es hilft uns nichts, wenn wir zwar einen
hohen Zuwachs an erneuerbaren Energien im Strombereich haben, aber keine Leitungen, die den Strom abtransportieren können . Übrigens kommen wir gerade im
rot-grün regierten Niedersachsen beim Netzausbau nicht
voran . Laut Übertragungsnetzbetreibern ist es so, dass in
Bayern der Netzausbau mittlerweile sehr gut läuft . Hier
wird nicht nur geplant, sondern hier wird auch umgesetzt .
Der Unterschied ist: Wir reden nicht nur, wir machen .
Regionen mit besonders großen Netzengpässen werden
als Netzengpassgebiete ausgewiesen, in denen der Ausbau der Windenergie begrenzt wird . Hier wird der Zubau
auf 58 Prozent des durchschnittlichen Zubaus von 2013
bis 2015 begrenzt . Insgesamt darf in den Netzengpassgebieten nur ein Zubau auf 900 Megawatt von den insgesamt 2 800 Megawatt erfolgen . Das ist ein wichtiger
Schritt, um die Problematik der Netzengpässe zu berücksichtigen .
Auch die Akteursvielfalt ist uns wichtig . Wir haben
hier schon viel erreicht . Es gibt den Vorschlag des Ministeriums - der Minister hat es ausgeführt -, bei Bürgerenergiegenossenschaften auf das Emissionsschutzgutachten zu verzichten . Wir sind hier im Gespräch, und
ich denke, wir werden auch noch Modelle entwickeln,
wie wir die Bürgerenergie mit dem neuen EEG stärker
fördern können .
Bei der Photovoltaik gibt es eine Bagatellgrenze
von 750 Kilowattstunden . Aus Praktikabilitätsgründen
ist diese Grenze sicherlich angemessen . Sie ermöglicht
auch den Betrieb von Bürgerenergiegenossenschaften .
Wir werden bei der Flächenkulisse für Photovoltaikfreiflächen die berechtigten Interessen der Landwirtschaft
berücksichtigen .
Gerade der Bestand an Biogasanlagen kann dazu beitragen, die stark fluktuierenden Erneuerbaren wie Wind
und Photovoltaik in den Spitzen auszugleichen . Für
diese Anlagen ist in den nächsten sechs Jahren ein Ausschreibungsvolumen von 1 050 Megawatt vorgesehen .
Übrigens bestehen auch bei Biogasanlagen Kostensenkungspotenziale, weil auch dort die Einspeisevergütung
wettbewerblich ermittelt wird . Die Stärken der Biomasse
liegen in der Flexibilität, aber auch in der Steuerbarkeit
und der netzstabilisierenden Wirkung . Man muss fairerweise sagen, dass bei der Biomasse, die dezentral ist,
ganz Deutschland betroffen ist . Ich habe hier eine Karte
mitgebracht - damit man auch sieht, dass das kein rein
bayerisches Thema ist -,
({0})
auf der die Biomassestandorte aufgeführt sind . Man sieht
hier, dass ganz Deutschland betroffen ist .
({1})
Das gilt es bei den Beratungen zu berücksichtigen .
({2})
Dass das eben kein spezifisch bayerisches Thema ist,
muss man ganz klar zum Ausdruck bringen . Die Biomasse trägt 27 Millionen Tonnen jährlich zur CO2-Einsparung bei . Wenn ich überlege, wie wir letztes Jahr über
die Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO2 diskutiert
haben, dann denke ich, dass das nicht zu verachten ist .
Wir brauchen Perspektiven, gerade für die kleinen
Anlagen unter 150 Kilowattstunden . Ich bin der Meinung, wir sollten auch bei Altholz und der Dicklauge
nach Regelungen suchen, die nicht zu Verwerfungen an
den Märkten führen . Solche Regelungen sind ja teilweise
schon bei der Schwarzlauge gefunden worden .
Auch bei der Wasserkraft gilt es, gewisse Probleme
zu bedenken, gerade bei den großen Anlagen . Wir haben
ja in Süddeutschland Anlagen mit mehr als 5 Megawatt
Leistung . Es ist im Moment so, dass durch den im EEG
festgelegten Einspeisevorrang der Erneuerbaren diese Anlagen, die nicht gefördert werden, nicht mehr am
Markt bestehen können . Es droht, dass diese nicht mehr
bestehen können . Es wäre ja sozusagen ein Treppenwitz,
wenn gerade die älteste Form der erneuerbaren Energien
durch das EEG nicht mehr wettbewerbsfähig wäre . Auch
hier müssen wir nach Lösungen suchen .
Natürlich müssen wir uns zukünftig noch um ganz andere Herausforderungen kümmern . Ich glaube übrigens,
dass der bisherige Zubau bei den Erneuerbaren auf einen
Wert von 33 Prozent an der Stromproduktion leichter
war, als es der zukünftige Zubau auf 45, 55 oder 60 Prozent sein wird . Wir stehen vor der Herausforderung, dass
wir auch die Speicher am Markt beteiligen müssen . Wir
stehen vor der großen Herausforderung des Netzausbaus .
Wir müssen weiterhin auf mehr Systemdienlichkeit bei
den Erneuerbaren achten, und wir müssen auch - heute
ganz aktuell - die europäische Komponente der Energiewende stärker in den Blick nehmen .
Die Reform des EEGs 2016 stellt zusammen mit dem
Strommarktgesetz einen wichtigen Teil bei der Weiterentwicklung der Energiewende dar . Wir werden schauen, dass auch die Beschlüsse des Koalitionsausschusses
zum Strommarkt tatsächlich umgesetzt werden . Das
EEG 2016 führt insgesamt zu mehr Kosteneffizienz bei
gleichzeitiger Wahrung ökologischer Ziele und einer
Beibehaltung der hohen Versorgungssicherheit von kaum
zu überschätzender Bedeutung . Ein Mehr an Markt hilft,
richtig umgesetzt, allen . Wir würgen die Energiewende
nicht ab, wir machen sie zukunftsfest .
Herzlichen Dank .
({3})
Der Kollege Ingbert Liebing aus der CDU/CSU-Fraktion hat das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Ende dieser Debatte zum EEG können wir Bilanz
ziehen . Das Fazit ist: Die Opposition hat sich redlich
bemüht, ein Bild zu zeichnen, die Energiewende werde
ausgebremst . Aber die Argumente waren dafür herzlich
schwach .
({0})
Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass wir ein
klares Ziel miteinander haben . Wir, die Koalition, wollen
die Energiewende zum Erfolg führen . Das war, das ist
und das bleibt unsere Zielsetzung .
Es ist vor allem eine Zahl, mit der ich dies zum Abschluss dieser Debatte belegen möchte . Es geht um das
Ausbauziel . Wir haben im geltenden EEG das Ausbauziel, dass wir bis zum Jahr 2025 40 bis 45 Prozent des
Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen wollen . An
diesem Ausbauziel ändert sich nichts, gar nichts . Im
Gegenteil: Wir bestätigen dieses Ausbauziel . Aber die
Situation ist nicht so, dass wir im Moment Gefahr laufen, dass wir dieses Ziel unterschreiten würden . Ganz
im Gegenteil: In den letzten Jahren war der Ausbau der
erneuerbaren Energien stärker, schneller forciert, als wir
es staatlicherseits von der Politik - Sie in der Opposition
oder wir in der Regierung - erwartet und prognostiziert
hätten . Wenn wir so weitermachen, dann überschreiten
wir diese Zielsetzung .
Darüber kann man sich freuen, wenn denn die Rahmenbedingungen das auch ermöglichen . Aber genau darin liegt das Problem . Die Rahmenbedingungen dafür
stimmen nicht . Deswegen gilt doch: Es geht nicht darum,
so schnell wie möglich so viel Strom wie möglich aus
erneuerbaren Energien zu erzeugen, sondern es geht um
den Umbau des Gesamtsystems, wo wir am Ende des
Tages die Stromerzeugung vollständig auf erneuerbare Energien umstellen wollen . Das ist die Zielsetzung .
Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen:
vom Netzausbau über die Speichertechnologien . Auch
der weiterhin notwendige intelligente Zusammenklang
zwischen erneuerbaren Energien und konventionellen
Kapazitäten, die wir vorübergehend brauchen, gehört genauso mit dazu . Wenn uns das gelingt, dann führen wir
die Energiewende zum Erfolg . Aber deswegen ist Nachsteuerungsbedarf, deswegen ist Handlungsbedarf da .
Dem entsprechen wir mit unserem Gesetzentwurf .
({1})
Die Bundesregierung hat sich mit den Ministerpräsidenten auf wesentliche Änderungen verständigt . Aber
das heißt nicht, dass wir nicht auch etwas zu entscheiden
hätten . So möchte ich drei Punkte nennen, die mir am
Herzen liegen, über die wir in den nächsten zwei Wochen
noch einmal sprechen müssen, um zu anderen, vielleicht,
nein, sicherlich besseren Ergebnissen zu kommen .
Der erste Punkt ist: Akteursvielfalt und Bürgerenergieprojekte . Ich komme aus einer nordfriesischen Region, wo über 90 Prozent der Windparks Bürgerwindparks
sind . Bürger einer Gemeinde sind Eigentümer ihres eigenen Bürgerwindparks . Vor über 25 Jahren ist dieses Modell dort entstanden - eine Erfolgsgeschichte .
({2})
Ich möchte, dass diese Erfolgsgeschichte auch unter
den Bedingungen der Ausschreibungen fortgeschrieben
wird . Das Ministerium hat einen Vorschlag gemacht . Ich
glaube, dass es noch weiterführende Vorschläge gibt, die
wir prüfen sollten, um genau diese Bürgerenergieprojekte in Zukunft abzusichern, ein klares Ziel .
Der zweite Punkt ist: Es ist extrem ärgerlich, dass
Strom abgeriegelt wird, aber vergütet und nicht genutzt
wird .
({3})
Besonders ärgerlich finde ich, dass es nach aktueller
Rechtslage auch verboten ist, diesen abgeriegelten, aber
vergüteten Strom zu nutzen . Das möchte ich ändern .
({4})
Wir diskutieren jetzt darüber, in welcher Form dies geht .
Es gibt die Konzepte der zuschaltbaren Lasten, die man
nutzen kann . Mir ist dieser Vorschlag noch zu starr im
alten System verhaftet . Hier gibt es intelligentere, weiterführende Möglichkeiten, die Erzeuger von Strom aus
erneuerbaren Energien auch in die Verantwortung zu
nehmen, ihnen Geschäftsmodelle, direkte Geschäftsbeziehungen zu ermöglichen . Wenn der Mehrerlös daraus
gleichzeitig zu einem wesentlichen Teil in das Härtefallkonto zurückfließt, dann entlastet es finanziell auch das
Gesamtsystem; ein guter Vorschlag, den wir uns in den
Ausschussberatungen noch einmal genauer ansehen sollten . Es ergibt Sinn, jetzt die Umsetzung der Ergebnisse
der konkreten Projekte in den SINTEG-Regionen, die
vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert und mit
initiiert wurden, auf den Weg zu bringen . Diese Chance
sollten wir allemal miteinander nutzen .
({5})
Ein dritter Punkt, der mir am Herzen liegt, ist das Thema Referenzertragsmodell . Es sieht vor, dass an windschwächeren Standorten eine höhere Vergütung gezahlt
wird . Das haben wir heute schon . Aber wenn mit dem
Gesetzentwurf jetzt vorgeschlagen wird, dies zu verstärken, also für schwächere Standorte noch mehr Geld
einzusetzen, dann ist das nach meiner Auffassung das
Gegenteil dessen, was wir jetzt mit dem Systemwechsel
erreichen wollen: Über Ausschreibungen wollen wir die
effizienteren Projekte nach vorne bringen. Insofern ergibt
die Stärkung des Referenzertragsmodells keinen Sinn .
Wir müssen uns hier einmal ansehen, Herr Minister, ob
all das Sinn ergibt, was angesichts der Interessenlage einzelner Bundesländer in den Gesetzentwurf eingeflossen
ist . Wir müssen miteinander ein Interesse daran haben,
die effizientesten Standorte voranzubringen. Das senkt
dann die Kosten; das ist die Zielsetzung, um die es hier
geht .
Ich möchte mich zuletzt an unsere grünen Kolleginnen und Kollegen richten, die hier mit viel Verve unseren
Gesetzentwurf kritisiert haben . Mein Rat ist: Schauen Sie
einmal nach Schleswig-Holstein . Der schleswig-holsteinische grüne Umweltminister Robert Habeck hat gerade
seine Form der Energiewende vorgelegt . Er verschiebt
seine Ausbauziele mal eben um zehn Jahre, von 2020 auf
2030 . Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das kritisiere ich nicht .
({6})
- Ja, das Ziel ist ja auch in Ordnung .
({7})
Da sind wir uns völlig einig . Das entspricht der Menge an
Energie, die wir bisher in drei Kernkraftwerken produziert haben . Wir wollen sie durch erneuerbare Energien
ersetzen . Da werden Sie nichts dagegen haben; ich habe
auch nichts dagegen .
({8})
- Entschuldigung, Oliver, hör doch mal zu .
({9})
- Zuhören ist nicht seine Stärke . Das haben wir den Tag
über schon erlebt . Ist so .
Ich mache darauf aufmerksam, dass Sie das bitte jetzt
in einen Satz packen sollten .
Genau . - Also, schauen Sie sich an, was Herr Habeck
da macht . Offensichtlich führt Regierungsverantwortung
dazu, dass man sich schrittweise ein bisschen der Realität annähert . Das, was dort geschieht, kritisiere ich nicht .
Aber Sie sollten sich daran einmal orientieren und erkennen, dass es vielleicht tatsächlich Sinn ergibt, etwas zu
ordnen und zu steuern, was aus dem Lot geraten ist . Das
tun wir mit diesem Gesetzentwurf . Damit werden wir uns
jetzt in den Ausschussberatungen beschäftigen, damit daraus am Ende ein gutes Gesetz wird .
Vielen Dank .
({0})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8860 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des
internationalen Terrorismus
Drucksache 18/8702
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum besseren Informationsaustausch
bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus
Drucksachen 18/8824, 18/8881
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0})
Drucksache 18/8917
Für die Aussprache hatten wir heute Morgen 38 Minuten vereinbart . - Auch dazu gab es keinen Widerspruch .
Ich warte noch, bis sich die Reihen in den Fraktionen
neu sortiert haben .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings .
({1})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Terroranschläge in Paris und Brüssel haben
jüngst in erschütternder Deutlichkeit gezeigt: Die Sicherheitsbehörden in Europa stehen nicht nur vor einer nationalen, sondern auch vor einer internationalen Aufgabe .
Wenn sich Terroristen weltweit in ihrem menschenverachtenden Tun vernetzen, dann darf polizeiliche und
nachrichtendienstliche Arbeit ebenfalls nicht an Staatsgrenzen haltmachen .
({0})
Eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen haben wir
deshalb bereits vor längerem vorangebracht . Ich denke
auch an die Fluggastdatenrichtlinie, die PNR-Richtlinie, die wir bald auf nationaler Ebene umsetzen werden .
Ich denke an die hervorragende Arbeit von Europol und
des daran angegliederten Europäischen Zentrums für
Terrorismusbekämpfung . Es ist gut, dass Deutschland
einer der größten Zulieferer dieser Datenbank ist . Beim
Auswerteschwerpunkt „islamistischer Extremismus“
sind etwa 80 Prozent aller Personendaten EU-weit aus
Deutschland .
Auch auf nationaler Ebene haben wir gehandelt, durch
Gesetzgebung, aber eben auch durch die Bereitstellung
von mehr Personal für unsere Sicherheitsbehörden, vom
Bundeskriminalamt bis zum Verfassungsschutz . Deshalb
galt und gilt: Bei CDU und CSU ist die innere Sicherheit unseres Landes in guten Händen . Ich darf ergänzen:
Auch bei der Großen Koalition ist sie in guten Händen .
({1})
Wir nehmen die Freiheitsrechte der Bürger und die
Schutzpflichten des Staates gleichermaßen ernst. Oder
um es auf den Punkt zu bringen: Wir halten das Grundrecht auf Datenschutz für wichtig, aber nicht weniger
wichtig ist für uns das Menschenrecht, nicht von einem
Terroristen in die Luft gesprengt zu werden .
({2})
Auf dieser Linie liegt auch das Gesetz, das wir heute abschließend beraten . Es ist ein Gesetz zur Stärkung
unserer inneren Sicherheit und zur Stärkung unserer
Abwehrkraft gegen den dschihadistischen Terrorismus .
Deshalb ist die Kernregelung des Gesetzentwurfs die
Schaffung klarer Rechtsgrundlagen für gemeinsame
Dateien, die das Bundesamt für Verfassungsschutz mit
wichtigen ausländischen Nachrichtendiensten einrichten
und betreiben kann . Selbstverständlich ist die Voraussetzung für solche gemeinsamen Dateien die Gewährleistung rechtsstaatlicher Standards, einschließlich des nötigen Datenschutzniveaus .
Wir schließen heute ebenfalls eine für die Terrorbekämpfung relevante Sicherheitslücke, wenn es um den
Erwerb vorausbezahlter Telefonkarten, sogenannter Prepaidkarten, geht . Telekommunikationsunternehmen müssen schon jetzt die Namen und Daten der Käufer von vorausbezahlten Handykarten speichern, nur verzichten sie
derzeit leider darauf, sich den Ausweis zeigen zu lassen,
was naheliegend wäre .
({3})
Das führt dann dazu, dass bei vielen Verträgen „Donald
Duck aus Entenhausen“ als Kunde registriert wurde;
Ihnen mag das lustig vorkommen, aber dadurch entstehen Sicherheitslücken . Ganz vertrackt wird es, wenn der
Name einer anderen Person angegeben wird . So gerät
auf einmal ein Unbescholtener ins Visier eines Staatsanwaltes . Deshalb wollen wir die Qualität der ohnehin
gespeicherten Daten verbessern und dafür sorgen, dass
man seinen Ausweis vorzeigen muss, wenn man einen
solchen Vertrag abschließt . Das ist eine kleine Belastung
im Moment des Verkaufs, aber ein großer Sicherheitsgewinn .
({4})
Aus der Opposition kommt der Vorwurf: Es gibt Ausweichmöglichkeiten . Die gibt es derzeit noch, aber immer mehr Staaten in Europa haben erkannt, dass hier eine
Sicherheitslücke besteht . Es gibt immer mehr Staaten um
uns herum, die die Ausweispflicht einführen. Wir sind
nicht mehr an der Spitze der Bewegung, aber weitere
Staaten werden dem Vorbild Deutschlands folgen, damit
wir in dem Bereich einen gemeinsamen europäischen Sicherheitsraum schaffen . Das ist selten so nötig gewesen
wie in diesen Tagen .
Ich will einen weiteren wichtigen Punkt ansprechen .
Es geht darum, dass es verdeckte Ermittler, die zur Gefahrenabwehr in fast allen Landespolizeibehörden eingesetzt werden, künftig auch bei der Bundespolizei gibt .
Das ist ein wichtiges Werkzeug, um die brutalen und
abgeschotteten Strukturen der Schleuser und Menschenhändler aufzubrechen .
({5})
Auch dieses Instrument ist wichtig für unsere Sicherheit .
Ich will abschließend noch ein paar Bemerkungen zu
den Vorwürfen der Opposition machen, das Ganze sei
viel zu schnell durch die parlamentarischen Beratungen
gegangen. Das ist ein reflexhafter Vorwurf. Wenn man in
der Sache nicht viele Argumente vorzuweisen hat, dann
sagt man: Das Verfahren war nicht in Ordnung . In der
Tat, ich gebe gerne zu: Es ist immer schöner, wenn man
viel Zeit hat, Gesetze im Parlament zu beraten .
({6})
Aber ich sage ganz klar: Wir haben dieses Verfahren
nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch vernünftig
durchgeführt, inklusive einer Anhörung, an der Sie nicht
teilnehmen wollten . Das ist Ihre Entscheidung . Wir haben uns die Arbeit nicht leicht gemacht . Man kann zügig
Vizepräsidentin Petra Pau
und gründlich arbeiten . Das haben wir an dieser Stelle
gezeigt .
({7})
Ich sage Ihnen noch eines: Von den Sicherheitsbehörden erwarten Sie und erwarten wir, dass sie 24 Stunden
am Tag, 7 Tage die Woche und 365 Tage für unsere Sicherheit da sind, zur Verfügung stehen, uns schützen . Da
finde ich es schon blamabel, wenn es aus der Opposition heißt: Man will die Verabschiedung des Gesetzes
am liebsten bis auf die Zeit nach der parlamentarischen
Sommerpause verschieben, also noch mindestens zwei
Monate ins Land gehen lassen .
({8})
Das Bundesministerium des Innern rät von einem solchen Spiel auf Zeit, weil man keine guten Sachargumente
hat, dringend ab . Aber zum Glück kennen Polizei, Verfassungsschutz und unsere anderen Sicherheitsbehörden
keine Sommerpause .
Vielen Dank .
({9})
Die Kollegin Ulla Jelpke hat für die Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Staatssekretär, um es gleich klarzustellen: Das, was Sie
uns hier gerade vorgeworfen haben, nämlich dass wir
den Kampf gegen den Terrorismus verzögern und notwendige Maßnahmen weder diskutieren noch ergreifen
wollten, ist eine demagogische Unterstellung und eine
wirklich unverschämte Provokation .
({0})
Ich kann gleich noch etwas mit abhandeln: Wenn das
Bundesinnenministerium die Präsidenten von BKA,
Bundespolizei und Bundesverfassungsschutz als sogenannte unabhängige Sachverständige zu einer Anhörung
zitiert, ist das - das muss man einfach sagen - eine glatte
Provokation; denn das sind weisungsgebundene Behördenleiter, die im Gesetzgebungsverfahren beratend dabei
waren . Natürlich reden die Ihnen nach dem Munde . Das
machen wir einfach nicht mit . Deswegen haben Linke
und Grüne die Anhörung verlassen .
({1})
Bislang durften internationale Geheimdienste nur im
Einzelfall und auf Ersuchen untereinander Daten austauschen . Künftig - so will es die Regierung laut Gesetzentwurf - sollen sie einen internationalen Datenpool schaffen, aus dem sie sich nach Gutdünken bedienen können,
und zwar automatisiert und ohne Einzelfallprüfung . Das
ist wirklich eine bedenkliche Zäsur . Sensible Daten werden von Geheimdiensten künftig auf dem Präsentierteller serviert - auf Kosten des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung . Dazu sagt die Linke ganz klar und
deutlich: Wir haben verfassungsrechtliche Bedenken .
({2})
Der Gesetzentwurf besteht aus lauter Gummiparagrafen . Er sieht den Informationsaustausch über - ich zitiere - „bestimmte Ereignisse oder Personenkreise“ vor,
wenn die Erforschung „von erheblichem Sicherheitsinteresse“ ist . Was das konkret heißt, können die beteiligten
Geheimdienste laut Gesetzentwurf unter sich vereinbaren . Sie erhalten eine Vollmacht, können grenzenlos vermeintliche Gefährder bespitzeln, was mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nichts zu tun hat .
Erst im April gab es ein Urteil, in dem es heißt: „Keinesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen der
Menschenwürde reichen .“ Genau das wird mit diesem
Gesetzentwurf aber gemacht .
Meine Damen und Herren, durch den Aufbau einer
globalen Geheimdienstbank kann der Verfassungsschutz
an Daten kommen, die er nach eigenem Recht gar nicht
erheben dürfte . Betroffene sind neben sogenannten Gefährdern unbescholtene Kontakt- oder Begleitpersonen,
in diesem Fall sogar 14- bis 15-Jährige, wenn es nach
dem Willen der Regierung geht . Den Betroffenen drohen
gravierende Folgen, wenn Daten über sie zum Beispiel
beim türkischen Geheimdienst landen . Zwar erklärt die
Koalition im Moment, dass die Türkei vorerst nicht mitmachen soll; aber im Gesetzentwurf steht das nicht . Im
Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD heißt es sogar,
dass bei Partnern aus der NATO „das Vertrauen in die
Zuverlässigkeit“ menschlichen Handelns grundsätzlich
begründet sei . Ab wann Sie der Meinung sein könnten,
dass die Türkei sich rechtsstaatlich verhält, sagen Sie
nicht, und wir als Parlamentarier haben keine Kontrollmöglichkeit . Das halten wir für blanken Hohn . Die Türkei führt gegenwärtig Krieg gegen die Kurden; sie unterstützt den „Islamischen Staat“ und schränkt Schritt für
Schritt Presse- und Meinungsfreiheit ein . Und Sie wollen
möglicherweise irgendwann wieder mit der Türkei kooperieren?
Und was ist mit den USA? Werden in diesem Land,
das ein Sonderlager wie Guantánamo unterhält und Tausende Verdächtige durch Killerdrohnen umbringt, die
rechtsstaatlichen Prinzipien gewahrt? Wir meinen: Nein .
({3})
Was die anderen Punkte des Gesetzentwurfes angeht,
muss ich aus Zeitgründen auf die Ausführungen der Datenschutzbeauftragten verweisen, die ich sehr gut finde.
Die Bevollmächtigung der Bundespolizei zu Einsätzen
mit verdeckten Ermittlern ist vom Grundgesetz schlicht
und einfach nicht gedeckt . Die Zweckbindungen bleiben
unberührt; so steht es im Gesetzentwurf . Wenn es Ihnen
nur darum geht, Schleuserbanden zu bekämpfen, hätte
ich einen anderen Vorschlag: Schaffen Sie legale Fluchtwege für Flüchtlinge . Dann erledigt sich die Schleuserkriminalität von selbst .
({4})
Ganz nebenbei haben Sie noch in letzter Minute einen
Änderungsantrag im Ausschuss vorgelegt, demzufolge
der Inlandsgeheimdienst jetzt auch Dateien über 14- und
15-Jährige anlegen darf . Akten aus Papier konnte der
Verfassungsschutz bereits führen . Aber jetzt sollen es
auch Dateien sein . In der Antwort auf eine Kleine Anfrage haben wir erfahren, dass es sich um gerade einmal vier
Minderjährige im Alter von 14 bis 15 Jahren handelt . Es
gibt also überhaupt gar keinen Bedarf, hier eine solche
Ausweitung vorzunehmen . Deswegen sagen wir: Kinder
gehören in die Kinderhilfe, dorthin, wo man ihnen auch
auf anderer Ebene helfen kann, aber nicht in Dateien des
Verfassungsschutzes .
({5})
Vergessen wir nicht: Es ist schon unmöglich, den Geheimdienst auf nationaler Ebene zu kontrollieren . Auf
internationaler Ebene kann man das zurzeit meines Erachtens vergessen . Auch die Datenschutzbeauftragte hat
darauf hingewiesen
Kollegin Jelpke, achten Sie bitte auf die Redezeit .
- ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin -, dass
ihre Kontrollbefugnisse bei weitem nicht ausreichen . Der
Gesetzentwurf ist nichts weiter als ein weiterer Angriff
auf die Grundrechte . Er wird unter dem Deckmantel der
Terrorbekämpfung hier eben einmal so durchgepuscht .
({0})
Das Wort hat der Kollege Burkhard Lischka für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel, der Anschlag auf Charlie Hebdo, Anschläge auf europäische
Urlauber in Tunesien und der Türkei, der Terrorakt im
Thalys in Belgien, die Anschläge in Kopenhagen, der
Sprengstoffanschlag auf ein russisches Passagierflugzeug in Ägypten, die Anschlagsserie in Paris im vergangenen November mit fast 500 Toten und Verletzten, die
Terroranschläge von Brüssel mit 400 Toten und Verletzten, die Messerattacke in Hannover, der Anschlag auf den
Sikh-Tempel in Essen - die Liste des Terrors ist lang, viel
länger als meine Aufzählung . Wissen Sie, Frau Kollegin
Jelpke, wenn man diese grausame Liste des Terrors einmal zum Ausgangspunkt unserer heutigen Debatte über
das Antiterrorgesetz nimmt, dann stelle ich mir hin und
wieder schon die Frage, ob diese Bedrohungslage wirklich bei Ihnen angekommen ist .
({0})
Die Lage ist ernst . Uns gemeinsam muss doch, neben
der Brutalität der Fanatiker, dem internationalen Milieu
und der Mobilität dieser Terroristen, der Umstand beunruhigen, dass es dem IS offensichtlich gelungen ist,
zumindest über einige europäische Staaten so etwas wie
eine Befehls- und Kommandostruktur zu legen, die bereits Hunderte Menschen das Leben gekostet hat . Eine
solche grenzüberschreitende Vernetzung wünsche ich
mir das eine oder andere Mal auch von unseren Sicherheitsbehörden .
Wir haben bis zum heutigen Tag nicht eine Datenbank,
in der beispielsweise die Namen aller Syrienkämpfer und
terroristischen Gefährder in Europa allen europäischen
Sicherheitsbehörden zugänglich sind . Das ist ein schweres Versäumnis, das dringend behoben werden muss .
Dazu leisten wir heute einen ersten wichtigen Beitrag .
Ich finde, das kann nicht Gegenstand einer ernsthaften
und ernstgemeinten Kritik sein . Wenn sich Terroristen
vernetzen, müssen sich auch Sicherheitsbehörden vernetzen . So einfach ist das .
({1})
Ich gehe für die SPD-Bundestagsfraktion sogar noch
einen Schritt weiter . Der internationale Datenaustausch,
den wir in diesem Gesetzentwurf vorsehen, kann nur ein
erster Schritt sein . Ich sage das ganz bewusst einen Tag
nach dem Referendum in Großbritannien . Wir brauchen
ein gemeinsames europäisches Antiterrorzentrum,
({2})
in dem die europäischen Sicherheitsbehörden eng und
koordiniert zusammenarbeiten, um dem Terror die Stirn
zu bieten .
Ich finde, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, das wir in Deutschland haben, ist in diesem Fall
wirklich ein gutes Vorbild - auch für Europa . Herr Minister de Maizière, nur Mut! Setzen Sie sich auf europäischer Ebene für die Schaffung eines solchen Antiterrorzentrums ein . Europa darf nicht zum Aktionsfeld
gut vernetzter Terroristen werden . Wir brauchen einen
europäischen Verbund gegen diesen Terror . Die bessere
Kooperation gerade der europäischen Sicherheitsbehörden muss energisch vorangetrieben werden . Da ist jedes
Zaudern, wie ich finde, fehl am Platz.
({3})
Meine Damen und Herren, es ist ein großes Privileg,
dass wir in Freiheit leben können . Diese Freiheit ist den
Terroristen ein Dorn im Auge . Es ist unsere Welt, gegen
die seit vielen Monaten gebombt und geschossen wird .
Freiheit und Offenheit brauchen gerade in diesen Tagen
unseren Schutz . Dazu leisten wir mit dem heutigen Gesetz einen wichtigen und einen, wie ich finde, notwendigen Beitrag .
Recht herzlichen Dank .
({4})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr . Konstantin von Notz das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Lischka, in den letzten elf Jahren hat elf Jahre lang die
Union die Verantwortung für die innere Sicherheit getragen . Sie sind jetzt im siebten Jahr dabei . Und Sie wollen
uns erzählen, es komme genau auf den Tag an, an dem
Sie diesen Gesetzentwurf durch das Parlament puschen?
({0})
Was Sie betreiben, ist wirklich Volksverdummung, und
das ist unseriös . Ich weise das aufs Schärfste zurück .
Dass wir heute in der letzten Kurve dieser Sitzungswoche einen so grundrechtssensiblen Gesetzentwurf in
einem völlig unzureichenden parlamentarischen Verfahren einfach so durch das Parlament puschen, ist ein parlamentarisches Armutszeugnis für diese Große Koalition,
meine Damen und Herren .
({1})
Mit Ihren Mehrheiten bekommen Sie das alles durch .
Quantitativ sind Sie eine Große Koalition, qualitativ sind
Sie eine ganz kleine .
({2})
Dieses Paket ist der erste Teil von insgesamt vier tief
in die Grundrechte eingreifenden Initiativen . Neben dem
Paket kommt ein Gesetz zum Abbau der parlamentarischen Kontrolle . Es kommt ein BND-Gesetz . Seit der
Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung von gestern wissen wir, dass Sie offensichtlich parallel zu alledem eine Behörde zur Zerstörung von Verschlüsselung
schaffen . Es geht Ihnen um die grundlegende Veränderung der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur . Wir
alle zahlen hier im Eilverfahren den Preis mit dem Verlust unserer Freiheitsräume und der Einschränkung unserer Grundrechte .
({3})
Sie verfahren nach dem Motto: Je sensibler das ist, was
wir anfassen, desto schlampiger und schneller peitschen
Sie es durch das Parlament . So geht es einfach nicht, meine Damen und Herren .
({4})
Es kommt massive Kritik hinzu . Das sehen nicht nur
die Grünen und die Opposition insgesamt so, sondern das
sieht auch der Normenkontrollrat so . Er sagt, dieser Gesetzentwurf sei keine adäquate Entscheidungsgrundlage
für die Politik . Genau so ist es .
({5})
Jetzt zum Inhalt Ihres Pakets . Es ist eine Mogelpackung . Sie schreiben - und auch deswegen dieses ganze Tremolo, Herr Lischka - „Antiterror“ drüber, aber es
steckt eben alles Mögliche in Ihrem Paket drin .
({6})
„Sicherheitsinteressen des Landes“ ist - Frau Jelpke hat
das angesprochen - ein unbestimmter Rechtsbegriff, unter dem praktisch alles zu subsumieren ist . Deswegen ist
dieses Antiterrorpaket, als das Sie es in der Öffentlichkeit
verkaufen, eine Irreführung der Öffentlichkeit .
({7})
Der Gesetzentwurf enthält den Versuch einer offenkundig verfassungswidrigen Legalisierung beim internationalen Datenringtausch der Geheimdienste . Niemand
bestreitet - wir als Letzte -, dass wir nicht eine bessere
Kooperation in Europa beim Austausch von Daten brauchen . Aber dafür benötigen wir einheitliche Gefährderbegriffe, und es muss rechtsstaatlich sein . Das ist Ihr Entwurf leider nicht .
({8})
Sie haben Mitte und Maß verloren und schließen es
nicht aus, dass wir uns mit den Geheimdiensten von Folterstaaten gemein machen oder Teil eines völkerrechtswidrigen Drohnenkriegs werden . Zum Schluss dokumentieren Sie auch noch, dass Ihnen die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt das BKA-Urteil,
herzlich egal ist .
Die im Gesetzespaket enthaltenen Abgriffe an der
Glasfaser sind verfassungsrechtlich hoch bedenklich;
denn Sie ermöglichen sie hier und heute ohne aufsichtliche Anordnung . Das ist ein weiterer Affront gegenüber
unserem Untersuchungsausschuss, der noch läuft, aber
vor allen Dingen gegenüber der G-10-Kommission, die
ja in Karlsruhe gegen Sie klagt, weil Sie sich so ignorant
verhalten .
({9})
Statt klarer Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten
weiten Sie die sicherheitsstrategisch fragwürdigen überlappenden Kompetenzen von Polizeidiensten und Geheimdiensten weiter aus . Ein Irrsinn! Selbst bei der PreBurkhard Lischka
paidkarte frage ich mich: Warum ein solcher Vorstoß, der
in der Praxis als nationaler Alleingang absehbar ins Leere
laufen wird, mehr als 30 Millionen Deutsche - mehr als
30 Millionen! - betrifft und gegen den Datenschützer
und Wirtschaft in nie gekannter Einigkeit gemeinsam
Sturm laufen? Sie schaffen maximale Bürokratie bei
minimalem Effekt angesichts der vielen Möglichkeiten,
weiterhin anonym zu kommunizieren . Deswegen ist auch
dieser Vorschlag unverhältnismäßig und unbrauchbar .
({10})
Dieser Gesetzentwurf ist die ganz große Wundertüte für
die Sicherheitsbehörden . Mit Antiterror hat er ganz wenig zu tun .
Gerade in Richtung der SPD darf ich sagen: Es hilft
uns überhaupt nichts, wenn Kolleginnen und Kollegen
der Sozialdemokratie morgens im Deutschlandfunk Krokodilstränen über diesen schlimmen Gesetzentwurf der
Bundesregierung vergießen, bei der Verschärfung dieses
Gesetzentwurfes durch den Änderungsantrag aber völlig
willenlos mitmachen . Das geht so nicht, liebe Genossinnen und Genossen .
({11})
Insofern sind, wenn ich das sagen darf, die Bürgerrechte
und der ganze Bereich der inneren Sicherheit bei Ihnen in
ganz schlechten Händen, nicht in guten .
({12})
Statt endlich die Vorgaben aus Karlsruhe zu berücksichtigen, begehen Sie hier einen weiteren groben Affront
gegenüber dem höchsten deutschen Gericht . Herr de
Maizière - Sie sind ja da -, Sie haben deutlich gemacht,
dass Sie dieses Gericht eher als störend empfinden. Ich
darf sagen: Ich rate strengstens dazu, sich das BKA-Urteil erst einmal anzusehen und dann einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen .
Zum Schluss . Sie setzen die unheilige Tradition kurzfristiger innenpolitischer Profilierung - ob mit Blick auf
die AfD oder was weiß ich - fort . Sie suggerieren - auch
mit Ihrer Sprache -, Sie würden mordswas tun . Tatsächlich aber sind die Mittel, denen Sie hier das Wort reden,
unbrauchbar, sie sind massiv grundrechtsgefährdend,
und sie bringen keinen relevanten Gewinn für die innere
Sicherheit .
Herr Kollege .
Das sieht auch die Bundesbeauftragte für den Datenschutz so . Insofern sind wir sehr irritiert und werden das
nicht mittragen .
Ganz herzlichen Dank .
({0})
Lieber Kollege von Notz, die Ankündigung des
Schlusses einer Rede ersetzt den Schlusspunkt nicht . Ich
bitte, das in Zukunft zu beachten .
({0})
Das Wort hat der Kollege Dr . Stephan Harbarth für die
CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte kein
Problem damit, wenn Herr Kollege von Notz einen kleinen Moment länger sprechen würde, wenn er sich wenigstens mit der Sicherheitslage auf unserem Planeten
befassen würde,
({0})
statt Schilderungen vorzutragen, die mit Deutschland
und Europa schlicht und ergreifend nichts gemein haben .
Ich möchte gar nicht mehr in aller Ausführlichkeit
auf den Inhalt des Gesetzentwurfes, über den wir heute
abschließend debattieren, eingehen; das hat Herr Staatssekretär Krings bereits getan . Ich möchte meinen Blick
vielmehr auf die Fragen richten: Wo stehen wir eigentlich
bei der Terrorismusbekämpfung? Was tut not?
Wir haben eine sehr ernste Bedrohungslage . Die
Zahl der Gefährder in Deutschland ist in den vergangenen Jahren sehr stark gestiegen; derzeit sind es rund
500 . Über 100 Bürgerinnen und Bürger unseres Landes
sind seit 2001 Opfer terroristischer Straftaten geworden . Auch Deutschland ist im Visier des internationalen
Terrorismus . Wir sollten nicht den Fehler begehen, auf
ein rasches Ende dieser Bedrohung zu setzen . Denn alle
Hoffnungen, die wir in den vergangenen 15 Jahren darauf gerichtet haben, haben sich als trügerisch erwiesen .
Rund 4 500 Personen aus ganz Europa sind bislang
nach Syrien und in den Irak gereist, um sich dem Krieg
des „Islamischen Staates“ anzuschließen . Wenn der militärische Kampf gegen den IS erfolgreich ist und seine
Zurückdrängung gelingt: Was werden diese Personen
tun? Mancher wird sein Leben verloren haben, mancher
wird sich im Ausland einen neuen Dschihad suchen .
Doch viele werden hoch radikalisiert und hoch brutalisiert nach Europa zurückkehren, und sie werden sich in
einer Auseinandersetzung - ja, in einem Krieg - mit dem
Westen sehen . Wenn diese Einschätzung zutrifft, dann
sinkt die terroristische Bedrohung leider nicht, sondern
sie wächst . Wir werden es dann europaweit mehr denn je
mit dezentralen Netzwerken zu tun haben, auf die es nur
in einzelnen Staaten Hinweise gibt . Deshalb wird es in
Zukunft mehr denn je auf eine umfassende Kooperation
mit den Sicherheitsbehörden anderer Staaten, insbesondere mit unseren Partnern in der EU und in der NATO,
ankommen . Genau dafür legen wir mit diesem Gesetzentwurf die Grundlage . Die Nachrichtendienste sollen
ihre Erkenntnisse mithilfe gemeinsamer Dateien teilen
und noch enger zusammenarbeiten können . Dies ist mitnichten ein Schritt in die Massenüberwachung, sondern
angesichts der Bedrohungslage dringend geboten und tut
not .
({1})
Die Große Koalition hat in den vergangenen Jahren
viel für die Sicherheit der Menschen in Deutschland
und in Europa getan . Ich möchte dafür auch dem Bundesinnenministerium sehr herzlich danken, insbesondere
Herrn Bundesinnenminister de Maizière, der in diesem
Bereich ganz Herausragendes geleistet hat . Herzlichen
Dank!
({2})
Wir haben in dieser Wahlperiode im Kernbereich der
inneren Sicherheit mehr als ein halbes Dutzend Gesetze
verabschiedet . Die Opposition hat in jedem dieser Gesetze einen Anschlag auf die Freiheitsrechte erkannt - sie
hat heute auch wieder von einem „Angriff auf die Grundrechte“ gesprochen - und gegen jedes einzelne dieser
Gesetze gestimmt . Wir haben das Reisen in terroristischer Absicht unter Strafe gestellt und einen Ersatzpersonalausweis für potenzielle terroristische Gewalttäter
eingeführt, der nicht zu Reisen befähigt . Die Opposition
war dagegen . Wir haben die Geltungsdauer des Terrorismusbekämpfungsgesetzes verlängert . Die Opposition
war dagegen . Wir haben die Mindestspeicherfristen in
maßvoller Weise wieder eingeführt . Die Opposition war
dagegen .
Nun spricht die Linke im Zusammenhang mit diesem
Gesetzentwurf erneut von Massenüberwachung, und für
die Bundestagsfraktion der Grünen gilt beim Datenaustausch laut ihrem Papier zur inneren Sicherheit: „Weniger ist mehr“ .
({3})
Daran schließt sie die Forderung nach einem radikalen
Umbau des Verfassungsschutzes in ein „stark reduziertes Bundesamt“ mit einem „sehr schmalen Aufgabenbereich“ an, das „stark reduzierte Befugnisse“ hat .
({4})
Wenn das in Zeiten einer ernsten terroristischen Bedrohung Ihre Antwort ist, dann kann ich nur sagen: Es ist
gut, dass in diesen Zeiten nicht Sie regieren,
({5})
sondern diese Koalition . Bei uns ist die innere Sicherheit
in guten Händen .
({6})
Ich rate Ihnen auch: Schauen Sie ruhig einmal dorthin,
wo keine grünen Ideologen regieren, sondern gemäßigte
Kräfte der Grünen, beispielsweise nach Baden-Württemberg .
({7})
Dort hat der Ministerpräsident vorgesehen, dass der Verfassungsschutz ausgebaut und das Landesamt für Verfassungsschutz gestärkt wird .
({8})
Sie wollen das reduzieren . Vielleicht sprechen Sie einfach einmal mit Herrn Kretschmann .
({9})
Uns ist die Balance von Freiheit und Sicherheit gut
gelungen . Ich weiß, dass Sie oft sagen, der islamistische
Terrorismus wolle nur, dass der Staat beim Schutz seiner
Bürger überreagiert . Das ist richtig und zugleich falsch,
weil es ihm wohl kaum um eine Solidarisierung mit und
um einen Aufstand der Bevölkerung gegen eine vorgebliche Massenüberwachung geht .
({10})
- Hören Sie doch einmal zu . Sie können manches lernen .
({11})
Ganz anders als die RAF richten islamistische Terroristen ihre Anschläge nicht gegen eine eingrenzbare
Gruppe von Repräsentanten einer bestehenden Ordnung .
Für islamistische Terroristen ist die westliche Kultur als
solche der Feind . Sie richten ihre Anschläge bewusst gegen Zivilisten und wollen möglichst viele Menschen ermorden . Ihre Methode ist nicht das Attentat, sondern das
Massaker . Diese Entgrenzung zielt auf nichts anderes,
als das Vertrauen der Bürger in den Staat als Garanten
der Sicherheit umfassend und restlos zu untergraben, in
der Erwartung, dass in einer Gesellschaft, in der sich niemand mehr sicher fühlt, der innere Zusammenhalt zerbricht . Dem IS geht es um nichts Geringeres als um die
Spaltung unserer Gesellschaft, um die Konfrontation von
Einheimischen und Zugewanderten, von Christen und
Muslimen . Es geht ihm um die Ausweitung der Kampfzone . Deshalb wird diese Koalition den islamistischen
Terrorismus mit aller Entschlossenheit und aller Härte
bekämpfen . Nicht von der internationalen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden wird unsere Freiheit bedroht, sondern durch den Verlust des gesellschaftlichen
Zusammenhalts, dessen Wurzeln „Unsicherheit“ und
„Angst“ heißen . Weil es ohne Sicherheit keine Freiheit
geben wird, werden wir diesen Gesetzentwurf heute beschließen .
Herzlichen Dank .
({12})
Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, dass der IS
über Europa ein Terrornetz aufgespannt hat . Was die
allgegenwärtige Terrorbedrohung angeht, so waren wir
noch nie so gefordert wie heute . Großereignisse wie die
Fußballeuropameisterschaft sind eine enorme Herausforderung für die Sicherheitsbehörden in ganz Europa .
Das ist vielleicht so etwas wie die schlechte Nachricht .
Die gute Nachricht aber ist: Wir in Deutschland sind gut
aufgestellt . Wir konnten durch die sehr gute Arbeit der
Sicherheits- und Ermittlungsbehörden bislang alle Anschlagsversuche vereiteln . Ich sage: Es zahlt sich aus,
auf einen starken und damit handlungsfähigen Staat zu
setzen .
({0})
- Ganz bestimmt und ohne Zweifel . - Deshalb wird die
personelle Konsolidierung der Sicherheitsbehörden auch
in Zukunft elementarer Bestandteil sozialdemokratischer
Sicherheitspolitik sein . Aber wir wollen im Hier und
Jetzt noch besser werden . Das tun wir mit diesem Gesetz .
Wir schaffen die Grundlage für die Errichtung gemeinsamer Dateien mit Partnerdiensten . Bislang gab es eben
keine gemeinsamen Datenbanken, und der momentane
Datenaustausch dauert einfach viel zu lange . Während
also Terroristen längst bestens vernetzt sind, sind es die
Sicherheitsbehörden bisher nicht .
({1})
Die Ereignisse überschlagen sich . Erst am letzten
Wochenende haben die Brüsseler Behörden Terrorverdächtige festgenommen . Ständig gewinnen die Nachrichtendienste unserer internationalen Partner neue Erkenntnisse über Gefährder, die bei uns Anschläge planen .
An die müssen wir herankommen können,
({2})
um unser Land im Antiterrorkampf zu schützen . Deshalb
brauchen wir gemeinsame Datenbanken .
({3})
Kollege Grötsch, ich habe die Uhr angehalten . Der
Kollege Ströbele wünscht, eine Frage zu stellen oder seine Meinung zu äußern . Lassen Sie das zu?
Selbstverständlich . - Bitte schön .
Herr Kollege Grötsch, danke, dass Sie meine Frage
zulassen . Ich freue mich, dass gerade Sie sie zulassen,
weil auch Sie Jurist sind .
Sie wollen also den Datenaustausch mit dem Ausland
fördern . Nun wissen wir beide, dass das Bundesverfassungsgericht am 20 . April dieses Jahres zum BKA-Gesetz eine ganze Reihe von sehr wichtigen Anmerkungen
gemacht hat und dieses Gesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat . Das Verfassungsgericht hat insbesondere zum Datenaustausch mit dem Ausland viele
wichtige Sätze gesagt . Ich will Ihnen davon zwei Sätze
vorhalten .
Das Bundesverfassungsgericht meint nämlich:
Eine Übermittlung von Daten ins Ausland verlangt . . ., dass ein hinreichend rechtsstaatlicher Umgang mit den Daten im Empfängerstaat zu erwarten
ist . . . . Geboten ist in diesem Sinne die Gewährleistung eines angemessenen materiellen datenschutzrechtlichen Niveaus für den Umgang mit den übermittelten Daten im Empfängerstaat . . .
Ich weiß, dass der Minister von diesem Urteil nicht viel
hält . Aber da steht nun einmal für Sie alle bindend als
Schlussfolgerung auf Seite 112:
Der Gesetzgeber hat insgesamt Sorge zu tragen,
dass der Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention und der anderen internationalen Menschenrechtsverträge … durch eine Übermittlung der
von deutschen Behörden erhobenen Daten ins Ausland … nicht ausgehöhlt wird .
Jetzt sagen Sie mir bitte, wo dieser Schutz in den Paragrafen zur Einrichtung von Dateien im Ausland, in die
auch deutsche Daten aufgenommen werden sollen, geregelt ist .
({0})
Ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Gesetzentwurf gelesen haben . Wir gehen im Gesetzentwurf ganz explizit
auf das ein, was Sie gerade angesprochen haben .
({0})
Wir haben in dem Gesetzentwurf eine klare Regelung .
Wenn es etwa um den Datenaustausch mit Staaten geht,
die keine EU-Mitgliedstaaten oder NATO-Partner sind,
dann ist sogar der Bundesinnenminister höchst persönlich gefordert, grünes Licht für den Datenaustausch mit
diesen Staaten zu geben .
({1})
Ansonsten ist das BMI bei der Einrichtung jeder Datenbank mit Partnerdiensten gefordert, das im Einzelfall
zu prüfen .
({2})
Ich glaube auch, dass das gut ist . Ich glaube nämlich ganz
und gar nicht, dass man die Bekämpfung des internationalen Terrorismus - dazu komme ich gleich noch - nur
nationalstaatlich sehen kann . Ich glaube zudem - auch
das gehört zur Wahrheit -, dass man sich seine Partner
in der Zusammenarbeit dahin gehend nicht im Einzelnen
aussuchen kann .
Aber um das, was Sie angesprochen haben, auszuschließen, haben wir zwei ganz deutliche Regelungen in
den Gesetzentwurf aufgenommen .
({3})
Der Gesetzentwurf bedeutet auch eine Befugniserweiterung für die Nachrichtendienste, liebe Kolleginnen und
Kollegen . Das Bundesamt für Verfassungsschutz zum
Beispiel macht in der letzten Zeit nicht immer eine gute
Figur, um das am Ende der Woche vorsichtig auszudrücken . Woche für Woche überschlagen sich die Ereignisse
und Versäumnisse des Bundesamtes im Zusammenhang
mit dem ehemaligen V-Mann „Corelli“ . Trotzdem dürfen
wir nicht das ganze Amt über einen Kamm scheren und
alle zusammen für die Versäumnisse und Fehltritte Einzelner verantwortlich machen .
({4})
Ich komme gerne noch einmal auf das Thema Datenschutz zu sprechen und wiederhole: Wir als SPD-Bundestagsfraktion meinen, dass für den Datenaustausch ein
angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet werden
muss .
({5})
Das ist völlig unstrittig, völlig richtig und natürlich auch
wichtig .
Ich glaube aber wirklich, dass es völlig unrealistisch
ist, zu erwarten, dass wir uns nur mit den Ländern im
Antiterrorkampf vernetzen, die genau unseren deutschen
Datenschutzstandards entsprechen . Ich glaube nämlich,
dass am deutschen Wesen die Welt auch dahin gehend
nicht genesen wird, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({6})
Das wird nicht gehen . Das liegt in der Natur der Sache,
mit der wir uns hier beschäftigen .
Genau deshalb nimmt die Datenschutzbeauftragte
ihre vom Bundesverfassungsgericht angedachte Kompensationsfunktion wahr, und wir erwarten von der Datenschutzbeauftragten, Frau Voßhoff, auch klipp und klar
eine aktive Rolle bei der Kontrolle dieser Standards .
({7})
Es steht für mich weiterhin völlig außer Frage, dass auch
wir als Parlamentarier unserer Kontrollbefugnis gegenüber der Bundesregierung nachkommen werden .
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
trotzdem noch einen weiteren Aspekt des Gesetzentwurfs
ansprechen, weil er mir wichtig ist: Die Schleuserkriminalität ist vielleicht die abscheulichste und menschenverachtendste Form der organisierten Kriminalität .
({9})
Wir reden heute noch über die Fortsetzung und Erweiterung der EU-Mission EUNAVFOR MED Operation
Sophia . Ich ziehe meinen Hut vor den 950 Soldatinnen
und Soldaten, die im Rahmen dieser Mission Menschen
in Seenot retten, gegen Schleuserbanden vor Ort vorgehen und das Elend auf dem Mittelmeer - den Sündenfall
Europas; ich will so weit gehen, das so auszudrücken jeden Tag hautnah miterleben müssen .
({10})
Wir wollen aber insbesondere die Netzwerke zerschlagen und die großen Fische hinter Gitter bringen . Sie sitzen aber nicht mit in den Booten . Unter anderem dafür
wird daher künftig auch die Bundespolizei wie bisher
schon die anderen Polizeien bereits zur Gefahrenabwehr
statt erst zur Strafverfolgung verdeckte Ermittler einsetzen können .
Mit diesem Gesetzentwurf haben wir an mehreren
Stellschrauben gedreht, um bestehende Sicherheitslücken
im Land weiter zu schließen . Dazu gehört auch, dass die
Telekommunikationsdienstleister künftig die Identität
von Prepaidkunden eindeutig feststellen müssen . Dafür
haben sie selbstverständlich auch ausreichend Zeit . Ich
erwarte von den Telekommunikationsdienstleistern, dass
diese Zeit insbesondere auch dafür genutzt wird, dass das
mit der Prüfung betraute Personal durch entsprechende
Schulungen in die Lage versetzt wird, solche Ausweispapiere prüfen zu können . In meinen Gesprächen mit den
Verbänden habe ich hierzu auch die Bereitschaft gesehen, das zu machen . Auch die von uns gesetzten Fristen
stießen auf Zustimmung .
Ich glaube - damit komme ich zum Schluss -, dass es
mit diesem Gesetz darum geht, auf der Höhe der Zeit zu
bleiben . Es geht darum, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf Augenhöhe mit unseren Partnern zu sein . Deshalb werbe ich um Zustimmung .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Armin Schuster,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich als letzter Redner zusammenfassen .
({0})
- Doch, doch!
({1})
Sie kommen noch dran, keine Sorge .
({2})
- Jeder Kunde wird bedient, keine Angst .
Meine Damen und Herren, für die Unionsfraktion ich glaube, das gilt auch für die Regierungskoalition darf ich sagen: Wir sind sehr froh, dass dieses Gesetz
vor der Sommerpause hier im Deutschen Bundestag beschlossen wird .
({3})
Burkhard Lischka hat ja die Reihe der Anschläge aufgezählt . Wann, wenn nicht jetzt, müssen wir in diesem Parlament Handlungsfähigkeit bei der Terrorabwehr beweisen . Unsere Aufgabe ist es, die Bürger vor Gefahren zu
schützen . Und da spielt eine Sommerpause eventuell eine
große Rolle . Ich nenne Ihnen gleich ein Beispiel dazu .
Vorher will ich aber die Kritik der Opposition aufgreifen, was die Form des Durchlaufens des Gesetzesweges anbelangt . Ich kann Ihre Kritik nachvollziehen .
Auch ich fand, dass die Zeitabläufe nicht unbedingt den
normalen parlamentarischen Weg darstellen . Von der
ersten Lesung über eine Anhörung bis hin zur zweiten
und dritten Lesung dauerte es zwei Sitzungswochen . Es
ist nur so, meine Damen und Herren, dass wir von den
Sicherheitsbehörden verlangen, dass sie bei Gefahr im
Verzug außergewöhnlich schnell reagieren . Wir haben
als Parlamentarier zu erkennen, wann Gefahr im Verzug
ist . Es muss dann auch möglich sein, einmal von parlamentarischen Gepflogenheiten herunterzukommen, dass
wir die Wege zwar einhalten, sie aber verdammt schnell
beschreiten . Das ist notwendig; denn es ist Gefahr im
Verzug . Deswegen haben wir diese Geschwindigkeit an
den Tag gelegt .
({4})
Ich finde, dass Sie das akzeptieren können.
Ich komme jetzt - Sie waren ja nicht bei der Anhörung
dabei - zu meinem Beispiel, von dem ich glaube, dass
es Bände spricht . Wir haben bisher keine gesamteuropäische Datenbank für Terroristen und Gefährder in allen
Mitgliedstaaten . Das sorgt für extrem unterschiedliche
Kenntnisstände in allen Ländern, was ein Riesenvorteil
für die Terroristen und Gefährder ist .
Jetzt plant die Counter Terrorist Group - das ist ein
Zusammenschluss der europäischen Nachrichtendienste - unter niederländischer Führung, dieses Problem - es
wird seit Monaten nach jedem Anschlag heftig beklagt zum 1 . Juli zu beseitigen . Das wollen wir jetzt abräumen .
Die Holländer haben die Führung übernommen und machen das . Ab 1 . Juli gibt es Wirkbetrieb, nur Deutschland
ist, weil die gesetzlichen Grundlagen dafür nicht vorhanden sind, nicht mit dabei . Jetzt frage ich Sie allen Ernstes:
Wollen wir jetzt bis September warten, bis wir uns an
diesem unglaublich wichtigen Projekt beteiligen?
({5})
Die Union will das nicht . Für uns sind diese drei Monate
wichtig .
({6})
Und deswegen machen wir das Gesetz jetzt . Der Vorteil
ist mit Händen zu greifen .
({7})
Es ist gut, wenn man einmal Innenpolitik innerhalb
einer Regierung gemacht hat . Herr Dr . von Notz, Sie
klingen halt immer wie so ein rhetorischer Pappkamerad,
weil Sie diese Erfahrung nicht haben . Es tut mir leid . Das
ist vielleicht für eine Universität geeignet .
({8})
Ich empfehle Ihnen die Universität von Professor
Castellucci . Die veranstaltet Vorlesungen, bei denen die
Studenten ihre Professoren anhimmeln . Das wäre vielleicht etwas für Sie .
({9})
Meine Damen und Herren, dass wir die Anonymität
von Prepaidkunden - das ist eine Sicherheitslücke - nicht
mehr lange akzeptieren dürfen, ist eine wichtige Forderung des BKA-Präsidenten .
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, ich lasse sie nicht zu . Das hat keinen Zweck mit
Herrn Dr . von Notz .
({0})
- Gut, ich lasse sie zu .
Ausnahmsweise .
Herr Kollege Schuster, ich versuche, die Debatte zu
versachlichen .
({0})
Ich will das nicht auf eine persönliche Ebene bringen .
Vielleicht helfen Sie mir kurz weiter: Wo haben Sie Regierungsverantwortung im Innenbereich getragen, Sie
persönlich?
({1})
Herr Dr. von Notz, ich persönlich profitiere seit Jahren
von hervorragenden Innenministern der CDU in diesem
Land, weil ich in deren Geschäftsbereich lange gearbeitet
habe .
({0})
Da sitzt übrigens einer . Wenn Sie Mitarbeiter eines Geschäftsbereichs sind, in dem starke Innenminister arbeiten, dann wissen Sie, wie im Innenbereich regiert wird .
Es ist vielleicht eine schwere Woche auch für einen Innenminister . Wir haben viele Themen .
({1})
- Ich bin noch bei meiner Antwort . Der liebe Kollege
soll noch stehen bleiben . - Wir in der Union haben seit
Jahrzehnten in der Innenpolitik Typen zu bieten, die
eine Marke darstellen . Dazu gehört Thomas de Maizière
zweifelsfrei .
({2})
Ich bin unglaublich dankbar, dass wir einen Innenminister haben, der nicht Politikersprech macht und herumschwurbelt, sondern das sagt, was zur inneren Sicherheit
in diesem Land notwendig ist . Von solchen Personen zu
lernen, würde ich Ihnen gönnen . Das können Sie aber in
Ihrer Fraktion nicht . Stellen Sie irgendwann einmal einen
Innenminister in diesem Land, damit Sie etwas lernen .
Das würde Ihnen sehr viel helfen .
({3})
Jetzt mache ich gleich weiter mit euch . Das Manuskript ist sowieso zum Teufel . Dieses Land hat - da haben
Sie richtig gerechnet - eine unglaublich lange Zeit einer
CDU-Regierung hinter sich . Wir haben die deutsche Sicherheitsarchitektur nicht zerstört, wie Sie meinen, sondern wir haben sie seit elf Jahren genau für diese Lagen
fit gemacht. Was glauben Sie, warum die Menschen in
diesem Land so sicher leben?
({4})
- Jetzt habe ich euch die ganze Zeit geschont . Riskier
das nicht .
Aber die Zeit ist begrenzt, jetzt noch weiter auszuteilen .
Die CDU/CSU hat in diesem Land tatsächlich die Sicherheitsarchitektur genau für die Lagen fit gemacht, die
wir heute haben . Die Deutschen leben jetzt sicher . Dieses
Gesetz, das wir heute beschließen, wird sehr stark dazu
beitragen, dass sie das weiter tun werden .
Um den Kollegen Ströbele noch zu bedienen: Das von
Ihnen so sehnlich erwartete Umarbeiten unserer Gesetze
unter Berücksichtigung des Verfassungsgerichtsurteils
zum BKA werden wir Ihnen - natürlich verspricht Ihnen
das die Regierungskoalition - noch dieses Jahr liefern, so
wie diese Koalition in diesem Land immer liefert, wenn
es darauf ankommt . Machen Sie sich keine Sorgen . Wir
werden alles umsetzen, was Karlsruhe sagt, und zwar
sinnvoll .
({0})
Ich danke Ihnen .
({1})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei
der Bekämpfung des internationalen Terrorismus . Der
Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/8917, den Ge-
setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/8702 in der Ausschussfassung anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .
Damit kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Innenausschusses zu dem von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum
besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung
des internationalen Terrorismus . Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/8917, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf den Drucksachen 18/8824 und 18/8881 für
erledigt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Die Beschlussempfehlung ist bei einer Enthaltung eines
Kollegen der Fraktion Die Linke angenommen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Annalena Baerbock, Volker Beck
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Seenotrettung im Mittelmeer - Menschen
schützen, humanitäre Verantwortung über-
nehmen, solidarisch handeln
Drucksache 18/8875
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Das Mittelmeer darf nicht zum Massengrab
werden - Für eine Umkehr in der EU-Asyl-
politik
- zu dem Antrag der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Manuel Sarrazin, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Flüchtlingsschutz und faire Verantwor-
tungsteilung in einer geeinten Europäi-
schen Union
Drucksachen 18/4838, 18/8244, 18/8918
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({2}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen, insbesondere Flug- und Schiffsunternehmen, abschaffen
Drucksachen 18/8701, 18/8905
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute ist vermutlich einer der traurigsten, aber vielleicht
auch wichtigsten Tage, um über die Zukunft der Europäischen Union zu sprechen . Ich denke mir, dass es vielen
hier im Parlament ähnlich geht, wenn ich sage, dass wir
heute Morgen alle einen ziemlich großen Kloß im Hals
hatten, als wir von dem Ergebnis des Referendums gehört haben, als wir erfahren haben, dass Großbritannien
die Europäische Union verlassen wird .
Mich macht es besonders betroffen, dass die Zustimmung zu Europa unter den jüngeren Menschen besonders
hoch war . Drei Viertel der unter 40-Jährigen wollten den
Verbleib in der Europäischen Union . Viele von diesen
jungen Europäerinnen und Europäern wollten für sich
eine andere Zukunft; aber sie haben diese Abstimmung
verloren .
Es stimmt mich auf der anderen Seite aber auch hoffnungsvoll, dass gerade die jungen Menschen ihre Hoffnung in die Europäische Union setzen . Es zeigt, welche
Verantwortung wir und die Regierungen der einzelnen
Mitgliedstaaten den kommenden Generationen gegenüber haben .
({0})
Auf die Fragen von heute, aber auch der Zukunft gibt es
eben keine Antworten mit nationalstaatlicher Kleingeisterei . Die Herausforderungen, die wir am dringendsten
angehen müssen, sind global und kennen keine nationalen Grenzen .
Was führt uns das besser vor Augen als die europäische Flüchtlingspolitik? Meine Fraktion hat sich lang
und ausführlich mit dieser Frage beschäftigt, auch unbequeme Fragen aufgegriffen, vielleicht sogar für Grüne
unbequeme Antworten gefunden . Das war aber auch notwendig; denn was uns vollkommen klar ist - das haben
wir auch hier im Parlament mehrfach angemahnt -, ist,
dass die Vereinbarung mit der Türkei zwar zu weniger
Flüchtlingen in Europa geführt hat - manch einer von Ihnen findet das gut -, dass sie aber mitnichten eine Lösung
für und in Europa darstellt . Diese Vereinbarung hat nicht
zu mehr Solidarität in Europa geführt, sondern das Thema vor unsere Grenzen verlagert . Diese Vereinbarung
trifft vor allen Dingen Schutzsuchende, die damit vor den
Toren Europas stehen gelassen werden, im Stich gelassen
werden . Für sie heißt es: Aus den Augen, aus dem Sinn .
Deshalb ist es für uns vollkommen unverständlich,
dass die Bundesregierung diese Vereinbarung, diesen
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Deal als langfristige europäische Lösung verkaufen will,
sogar - das macht es ganz besonders absurd - als Stärkung der Politik der legalen Zugangswege . Wahr ist: Die
Vereinbarung mit der Türkei schafft täglich neue Probleme, nicht nur wegen der Politik eines Erdogan, der Oppositionelle wegsperren lässt, einen blutigen Krieg gegen
die eigene Bevölkerung führt und den Staat mehr und
mehr autokratisch regiert und in dessen Abhängigkeit
wir uns begeben, sondern auch, weil wir wiederholt von
Schüssen auf Flüchtlinge, sogar auf Flüchtlingskinder,
hören, weil ein Großteil der syrischen Flüchtlingskinder
dort im Land nicht beschult wird, weil die Zukunft vieler
Menschen dort ungewiss ist und die Lebensverhältnisse
prekär sind . Wir wissen, dass Erdogan die Rolle, die wir
ihm zugeschrieben haben, nicht ewig so konditionslos
weiterspielen wird .
Die Vereinbarung mit der Türkei hat aber auch dazu
geführt, dass wichtige Schritte - das macht es wirklich
ganz besonders dramatisch -, die Europa im vergangenen Jahr gegangen ist und zu durchdenken angefangen
hat, nicht weiterverfolgt werden . Die europäischen Hotspots in Griechenland sind zu Haftzentren geworden .
Wenn nun Frau Kollegin Lindholz im Innenausschuss
behauptet, dass die Menschen in den Hotspots nicht inhaftiert werden - das habe ihr der griechische Integrationsminister gesagt -, dann beruhigt das vielleicht sie,
mich aber nicht; denn ich war vor Ort, und ich weiß, wie
die Realität dort ist . In Europa wird jetzt akzeptiert, dass
Frauen, Kinder und Kranke wochen- und monatelang inhaftiert werden .
({1})
Das wussten wir auch vorher . Das gibt diesen Menschen
keine Perspektive; denn das griechische Asylsystem ist
nicht in der Lage, die Asylverfahren adäquat und in absehbarer Zeit zu bearbeiten .
Eine europäische Umverteilung von Flüchtlingen das ist das andere - ist nicht gelungen . Der Europäische
Rat hat im September des letzten Jahres die verbindliche
Umverteilung von 160 000 Flüchtlingen beschlossen .
Von den rund 28 000 Schutzsuchenden, die hierbei auf
Deutschland entfallen, wurden bisher - es beschämt mich
wirklich, das zu sagen - keine 60 Personen umgesiedelt .
Deswegen haben wir einen Antrag gestellt; das ist genau der Grund . Wir sagen: Hier fehlt ein Konzept . Die
Bundesregierung hat keine Idee, wie sie auf die europäischen Staaten zugehen möchte, wie sie alle wieder an
einen Tisch holen kann .
({2})
Wir haben in unserem Konzept dargestellt, dass legale Wege der richtige Weg sind, nämlich: Familienzusammenführung stärken, nicht abbauen; das Resettlement-Programm ausbauen, damit Menschen nicht den
Weg über das Mittelmeer nehmen müssen . Wir wollen
einen echten Seenotrettungsdienst . Wir wollen die Aufgabe nicht von anderen Agenturen und Institutionen
nebenbei erledigen lassen . Wir wollen europäische Erstaufnahmeeinrichtungen - keine Hotspots, liebe Linke -,
in denen Menschen nach ihren Zielstaatsvorstellungen
befragt werden und über ihre familiären Bindungen in
europäische Länder berichten können, sodass wir als
Europäische Union in der Lage sind, auf der einen Seite
diesen Wünschen Rechnung zu tragen, auf der anderen
Seite aber auch für eine solidarische Verteilung innerhalb
der Europäischen Union zu streiten .
({3})
Wir wollen, dass die Menschen bezüglich ihrer eigenen
Zukunft eingebunden werden und beteiligt werden; es
soll nicht durch Zwang, sondern unter Beteiligung und
Information erfolgen .
Wir wollen flexible Lösungen. Wir wollen, dass die
Beiträge von Staaten nicht nach Schema F funktionieren und daran gemessen werden . Wenn Griechenland die
Verteilung von allen Flüchtlingen, die in Europa ankommen, übernimmt und organisiert und sie im eigenen Land
adäquat und menschenwürdig unterbringt, dann ist das
ein starker Beitrag zur europäischen Flüchtlingspolitik .
Dann braucht man am Ende des Tages nicht zu zählen,
wie viele Flüchtlinge Griechenland dauerhaft aufnimmt .
({4})
Es ist auch ein eigenständiger Beitrag, wenn ein europäisches Land sagt: Wir bauen unser Resettlement-Programm aus . - Die europäische Verteilung wird daran
gemessen, wie viele Flüchtlinge wir im Rahmen dieses
Programms aufnehmen, um den Menschen zu ersparen,
über das Mittelmeer zu kommen .
Es ist auch in Ordnung, wenn Deutschland am Ende
sagt: Wir nehmen mehr Flüchtlinge auf als andere
EU-Mitgliedstaaten . Wir, die wir diese Geschichte haben
und diese Verantwortung empfinden, nehmen verhältnismäßig mehr Flüchtlinge auf als beispielsweise Polen
oder Ungarn .
Es ist auch eine große Chance für die Europäische
Union, in dieser Auseinandersetzung die europäischen
Institutionen wie das EASO oder die Grundrechteagentur zu stärken . Hier liegt auch eine große Chance, Europa
dahin zu bringen, wo es wirklich wehtut, wo Menschen
Europa brauchen .
Sie kommen jetzt bitte zum Schluss, Frau Amtsberg .
Mein letzter Gedanke . - Dass es nicht leicht ist, die
Verfehlungen der Vergangenheit rückgängig zu machen
und alle wieder an einen Tisch zu holen, ist uns vollkommen klar . Aber es braucht einen Plan, und vor allen Dingen - davon ist meine Fraktion überzeugt - braucht Europa eines, nämlich Menschen, die die europäische Idee
und die Solidarität verteidigen . Damit sollten wir in der
Flüchtlingspolitik möglichst schnell beginnen .
Haben Sie herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Barbara Woltmann ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich glaube, es treibt uns alle um,
wenn die Flucht über das Mittelmeer auf seeuntauglichen Booten angetreten wird, wenn dort Menschen sterben . Allein in diesem Jahr sind bereits 3 000 Menschen
auf diesem Weg ertrunken . Das berührt uns alle . Es ist
wirklich schwer zu ertragen, was sich in den überfüllten Schiffen und in den Schlauchbooten an Tragödien
abspielt, natürlich erst recht, wenn diese Boote sinken .
Wir sind uns sicherlich einig darüber, dass das so nicht
weitergehen darf . Das sind wir sicherlich auch den Menschen schuldig . Niemand soll im Mittelmeer ertrinken .
Aber - das muss ich an dieser Stelle auch ganz deutlich
sagen -: Wir sind uns über die Methoden nicht einig, wie
wir das verhindern können, bzw . über die zu ergreifenden
Maßnahmen nicht einig . Wir verfolgen da unterschiedliche Ansätze . Das ist mir gestern Morgen, Frau Jelpke,
auch wieder klar geworden, als wir mit einer Delegation
italienischer Abgeordneter des Senats zusammengesessen haben und Sie dort von „Krieg gegen Flüchtlinge“
gesprochen haben . Das haben Sie auch in Ihren Antrag
hineingeschrieben. Ich finde es hochnotpeinlich, von
„Krieg gegen Flüchtlinge“ zu sprechen - das haben Sie
gestern und auch in Ihrem Antrag getan -, wenn gegen
Schleuser vorgegangen wird, wenn Boote am Auslaufen
gehindert werden . Was Sie tun, kann nicht der richtige
Weg sein .
({0})
Frau Kollegin Woltmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dağdelen?
Nein, jetzt nicht . - Mit solchen Äußerungen verunglimpfen Sie alle, die sich um Lösungen bemühen, und
auch alle, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren . Die Rettung von in Seenot geratenen Menschen ist
in der Tat eine völkerrechtliche Pflicht, der viele, zum
Beispiel unsere Marine - sie ist mit zwei Schiffen vor
Libyen im Mittelmeer vertreten; auch die Bundespolizei
hat ein Schiff im Mittelmeer -, Handelsschiffe, aber auch
die europäische Grenzschutzagentur Frontex, selbstverständlich nachkommen . Allein in diesem Jahr wurden im
Rahmen der Mission Triton, bei der der Mittelmeerraum
vor Italien überwacht wird, rund 15 000 Migranten aus
Seenot gerettet .
Aber die Tatsache, dass sich so viele Menschen auf
einen solch gefährlichen Weg begeben, erfordert die Ergreifung von geeigneten Maßnahmen . Ich halte die Bekämpfung der Schlepper- und Schleuserbanden, deren
Gewinnmargen weltweit bei circa 6 Milliarden Euro liegen, wie Bundespolizeipräsident Romann in der öffentlichen Anhörung am vergangenen Montag sagte, für die
oberste Priorität in dem Bemühen, die Flucht über das
Mittelmeer und das Sterben zu beenden . Was Schlepper
und Schleuser, also Personen, die Menschen gegen Bezahlung illegal von einem Land in ein anderes Land bringen, mit den oft überfüllten und seeuntauglichen Booten
tun, ist menschenverachtend . Diese Schlepperbanden
bewegen sich schon lange im Bereich der organisierten
Kriminalität und haben längst mafiöse Strukturen angenommen . Deswegen ist es richtig, diese Schlepperbanden zu bekämpfen, und falsch, in diesem Zusammenhang
von Krieg zu sprechen .
Liebe Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag
„Seenotrettung im Mittelmeer“ legen Sie Ihren Fokus
auf eine systematisierte Priorität für in Seenot geratene
Flüchtlinge und Migranten . Die Bekämpfung des Schlepper- und Schleusertums rückt dabei völlig in den Hintergrund . Ja nicht nur das: Das spielt doch den Schleppern
geradezu in die Hände . Wir dagegen wollen Maßnahmen
unterstützen, die verhindern, dass Schlepper einen Anreiz haben, ihre Geschäfte mit der Not anderer fortzuführen . Zur Bewältigung dieser riesigen Aufgabe ist, wie Sie
in Ihrem Antrag zu Recht erläutern, aber auch die Solidarität aller europäischen Staaten gefordert, insbesondere
dann, wenn es darum geht, Resettlement-Flüchtlinge fair
zu verteilen .
Es ist richtig, Frau Amtsberg: Die Hotspots in Griechenland und Italien sind längst überfüllt . Kein Land
kann das alleine schaffen . Ich erinnere dabei an das erste
Legislativpaket der EU-Kommission vom 9 . Mai 2016,
mit dem die partnerschaftliche Zusammenarbeit vorangebracht werden soll . Ich hoffe, dass die Europäische
Union da auch zu Lösungen kommen wird . Das Abkommen mit der Türkei, Frau Amtsberg, zeigt Wirkung . Auch
ich bin bei der Reise dabei gewesen . Wir haben in Griechenland gesehen, wie dort mittlerweile mit der NATO
und zwischen den Küstenwachen zusammengearbeitet
wird . Ich denke, es ist eine gute Zusammenarbeit, die wir
dort jetzt feststellen können .
Nach Aussage des Exekutivdirektors von Frontex, Fabrice Leggeri, der ja am Mittwoch hier bei uns im Innenausschuss gewesen ist, kommen täglich nur noch 50 bis
60 Personen in Griechenland an . Das zeigt, dass der Zuzug über die östliche Mittelmeerroute abgenommen hat .
Wir können also Flüchtlingsströme steuern .
Die Menschen suchen sich nun allerdings andere
Wege, und die Schleuser bieten ihre Dienste über Libyen
an . Die logische Folge war, dass die europäischen Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik vor Libyen erweitert wurden, um
richtigerweise ein Signal gegen Schlepper und Schleuser
zu senden . Auch im Rahmen der Operation Sophia, über
die wir ja nachher hier noch zu beschließen haben, wird
der Kampf gegen Schlepper im Mittelmeer fortgesetzt
und erweitert . Die Schiffe der Deutschen Marine sollen
zukünftig auch den Waffenschmuggel von hoher See aus
nach Libyen unterbinden und die libysche Küstenwache
unterstützen . Ja, der Weg ist schwierig, weil die Solidarität einiger Mitgliedstaaten zu wünschen übrig lässt . Insofern möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich unserer
Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihren unermüdlichen
Einsatz bei der Suche nach gemeinsamen europäischen
Lösungen danken .
Das war jetzt ein schönes Schlusswort, Frau Woltmann .
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss . Wir müssen sehr viel tun, um die Flucht über das Mittelmeer zu beenden . Aber die Maßnahmen, die Sie vorschlagen, sind nicht die richtigen . Da haben wir andere
Ansätze .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die
Kollegin Ulla Jelpke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Woltmann, erst vor wenigen Tagen hat die Europäische Union ihre Militärmission im Mittelmeer verstärkt, nicht die Seenotrettung, um das einmal ganz klar
zu sagen .
({0})
Außerdem soll sie ausgerechnet vor der libyschen Küste
stattfinden. Der Außenminister hat ganz deutlich gesagt:
Es geht darum, den Übertritt von Flüchtlingen über die
libysche Grenze Richtung Mittelmeer, Richtung Europa
zu verhindern .
({1})
Wenn man Flüchtlinge daran hindert, aus einem Land zu
fliehen, das kriegszerrissen ist, wo Folter herrscht, wo
die Flüchtlinge in Gefängnissen sitzen, wo man sie dort
festhalten will, dann ist es Krieg, wenn man das Militär
gegen diese Flüchtlinge einsetzt und nichts anderes; denn
die Menschen können keinen Schutz mehr suchen und
finden.
({2})
Deswegen ist es auch eine unglaubliche Provokation,
dass Sie das so nicht sehen wollen, die Grenzen überall
dicht machen und für legale Wege überhaupt keine Möglichkeiten mehr aufzeigen . Wir alle, insbesondere Ihre
Fraktion, haben Krokodilstränen vergossen, als es vor
einigen Jahren immer wieder zu riesengroßen Katastrophen im Mittelmeer gekommen ist . Tausende sind inzwischen dort ertrunken . Auch in diesem Jahr sind wieder
2 500 Menschen ums Leben gekommen . Ich sage in aller
Deutlichkeit: Die Bundesregierung ist mit schuld daran,
weil sie sich weigert, sichere und legale Fluchtwege zu
schaffen . Sie haben dafür bisher nichts getan .
({3})
Warum fliegen Flüchtlinge nicht einfach mit dem
Flugzeug?
So lautet die simple Frage einer Künstlerinitiative in Berlin . Die Antwort: Weil die EU und die Bundesregierung
das verhindern . Fluggesellschaften müssen drakonische
Strafen bezahlen, wenn sie Schutzsuchende ohne gültige
Visa befördern . Deswegen müssen sich Flüchtlinge zum
Teil kriminellen Schleppern und Schleusern ausliefern .
({4})
Die Künstler vom Zentrum für Politische Schönheit
haben mitten in Berlin eine Arena mit vier Tigern aufgebaut und angekündigt, diese Raubtiere würden ab
kommenden Dienstag Flüchtlinge fressen . Diese Aktion
wird von einigen als zynisch bezeichnet . Die Wahrheit
ist aber: Nicht die Tiger sind die tödliche Gefahr, sie sind
vielmehr nur ein Symbol für eine tödliche Abschottungspolitik der EU, die Tag für Tag Flüchtlingen das Leben
kostet .
({5})
Zudem schaffen Europa und die NATO seit Jahren
selbst Fluchtursachen, die Menschen aus den Ländern
vertreiben . Ich nenne nur die Bombardierung von Syrien,
Waffenexporte, neoliberale Wirtschaftspolitik, insbesondere gegenüber Ländern der sogenannten Dritten Welt .
Das ist der eigentliche Zynismus, den es anzuprangern
gilt, meine Damen und Herren .
({6})
Ich sage Ihnen: Deswegen fordert die Linke in einem
Antrag, endlich für legale und sichere Wege zu sorgen .
Sanktionen gegen Transportunternehmen gehören ersatzlos gestrichen .
({7})
So, jetzt können Sie es wieder herunternehmen, Frau
Jelpke .
Das ist nur ein Flugzeug, Frau Präsidentin . Es steht
nicht einmal etwas darauf .
Aber trotzdem halten wir hier keine Plakate hoch .
({0})
Sie kennen die Geschäftsordnung .
Es sollte im Grunde symbolisieren, dass man legale
Wege sehr leicht schaffen kann, indem man die SankBarbara Woltmann
tionen gegen Transportunternehmen ersatzlos streicht .
Dann könnten Flüchtlinge auch Fähren und Flugzeuge
benutzen; denn sie müssen sowieso ein Asylverfahren
durchlaufen . So könnten wir dafür sorgen, dass es keine
Toten mehr gibt, und vor allen Dingen - das finde ich besonders gut - wären die Schlepperbanden arbeitslos und
hätten nichts mehr zu tun .
({0})
Es wurde heute hier schon angesprochen: Natürlich
hat die Linke immer wieder in weiteren Anträgen gefordert, Italien und Griechenland kräftig zu unterstützen . Das sind die Länder, die gegenwärtig am meisten
Flüchtlinge aufnehmen, insbesondere Griechenland . Da
nützt es nichts, nur Beamte hinzuschicken . Wir fordern
schon lange, dass das Dublin-System endlich aufgehoben
wird; denn - das muss man nach wie vor sagen - es ist
gescheitert .
Es ist doch wirklich ein Armutszeugnis: Die Bundesregierung hat letztes Jahr versprochen, 27 500 Flüchtlinge aus den beiden Ländern zu übernehmen, und bis heute
sind nur 57 hier angekommen . Na, wo sind wir denn?
Wo ist denn die Solidarität gegenüber solchen Ländern in
Europa? Das ist doch wirklich ein Skandal .
({1})
Um es ganz klar zu sagen, meine Damen und Herren:
Lassen Sie nicht Krokodilstränen fließen, sondern tun Sie
endlich etwas! Sie haben damals, nach der Katastrophe
von Lampedusa, versprochen, so etwas dürfe nie wieder
in Europa passieren . Alle haben das gesagt: die Politiker auf europäischer Ebene und insbesondere auch hier .
Insofern sagen wir: Machen Sie Nägel mit Köpfen, beenden Sie das Massensterben, indem Sie endlich legale
Wege schaffen .
Ich danke Ihnen .
({2})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der
Kollege Professor Dr . Lars Castellucci das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir heute
Morgen erlebt haben, zeigt uns, dass den Menschen der
Sinn für Europa verloren gegangen ist . Wenn ich überlege, was in meinem Wahlkreis, in den vielen Gesprächen,
gesagt wird, dann erkenne ich: Das ist eine Sache, die
nicht nur in Großbritannien stattfindet, sondern auch hier.
Es wird gefragt: Wozu Europa? Die alte Geschichte von
Krieg und Frieden, von Wohlstandssicherung und Binnenmarkt zieht so nicht mehr .
Also muss sich Europa besinnen; wir müssen den Sinn
Europas mit den Bürgerinnen und Bürgern wieder klären .
Der Zusammenhang mit unserem Thema ist, dass ein Europa, das ein Massensterben an seinen Grenzen zulässt,
sinnlos ist . Im vergangenen Jahr kam es zu 3 800 Toten
auf dem Mittelmeer . Ich hatte Anfang dieses Jahres die
Hoffnung, dass wir die Zahl in diesem Jahr wenigstens
halbieren könnten . Jetzt sind wir nach einem halben Jahr
schon deutlich darüber .
Jetzt ist es ja nicht so, dass nichts passiert . Wir haben eine Militärmission, die natürlich auch den Auftrag
der Seenotrettung hat . Wir diskutieren über Frontex, haben dafür deutlich mehr Ressourcen bereitgestellt . Zum
Auftrag von Frontex gehört eben auch die Seenotrettung .
Es gibt privates Engagement, zum Teil Boote, die aus
Deutschland losfahren . Wir haben das Abkommen mit
der Türkei, dessen konkrete Umsetzung immer noch eine
Katastrophe ist, das aber auch einen wesentlichen Beitrag dazu leisten soll, den Schleppern das Handwerk zu
legen, und damit helfen soll, weitere Todesfälle zu verhindern . Aber es ist richtig - vielleicht kann diesem Satz
sogar jeder hier in diesem Parlament zustimmen -: Es ist
schon viel passiert, aber es reicht nicht .
({0})
Frau Kollegin Woltmann, Sie haben jetzt gesagt, so
dürfe es nicht weitergehen . Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu . Die Argumente, die wir hier im Haus - auf
den Gängen oder auch mal in den Ausschüssen - hören,
sprechen nicht dafür, dass alle der Meinung sind, hier
müsste jetzt viel mehr gemacht werden . Es sind die Argumente, die jetzt vielleicht in der Diskussion hier im
Parlament nicht kommen, aber ich will sie mal vortragen:
Es gab die Operation Mare Nostrum der Italiener . Ein
Argument, das ich hier gehört habe, war: Na ja, trotz
Mare Nostrum sind Menschen auf dem Meer gestorben . - Das stimmt .
({1})
Dann habe ich gehört, es sei schwierig, das ganze Mittelmeer zu überwachen . Auch das ist richtig .
Dann habe ich das Argument gehört: Wenn wir mehr
tun, dann kommen vielleicht noch mehr, das heißt, wir
setzen mit einer größeren Hilfsaktion auch noch Anreize
dafür, dass mehr Flüchtlinge nach Europa kommen . Da wird es schwierig, weil das so gar nicht stimmt: Wir
haben bei den italienischen Missionen gelernt, dass das
größere Engagement in der Seenotrettung in Wahrheit
zur Schleuserbekämpfung beigetragen hat und nicht zur
Erhöhung der Zahl der Menschen, die versuchen, überzusetzen .
Damit ist völlig klar: Vielleicht ist allgemein davon
die Rede, dass es so nicht weitergehen darf, aber es gibt
in den parlamentarischen Diskussionen klare Argumente,
die sich gegen mehr Engagement richten . Ich halte die
Argumente, die ich eben vorgetragen habe, alle für nicht
erträglich;
({2})
denn diese Argumente nehmen den Tod in Kauf .
Jetzt ist die Frage: Was kann darüber hinaus noch
passieren? Ich glaube, das Wesentliche ist, dass wir so
etwas wie ein europäisches Programm zur Seenotrettung
auflegen. Hier gibt es Bewegung. Wir arbeiten daran,
den Auftrag von Frontex in dieser Hinsicht zu erweitern .
Wenn Frontex diesen Auftrag nicht übernimmt, dann ist
tatsächlich die Frage, ob wir einer anderen Institution
diesen Auftrag geben .
Ein zweiter Vorschlag ist, die unterschiedlichen Bereiche, die es gibt, besser zu koordinieren . Es gibt eine Militäraktion . Allein in diesem Jahr sind bereits 16 000 Menschen allein von unseren Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr gerettet worden . Dafür muss man sehr
dankbar sein . An dieser Stelle: Hochachtung vor der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten!
({3})
Es gibt weitere nationale Missionen, die im Mittelmeer
tätig sind . Die Frage ist, ob sie besser koordiniert werden
können .
Ein dritter Aspekt, der mir sehr wichtig ist . Eigentlich
kann man heutzutage alles überwachen . Kann man dann
über satellitengestützte Instrumente oder mit Drohnen
nicht auch das Mittelmeer besser überwachen, sodass
man weiß, wann ein Schiff mit Geflüchteten die Häfen
an der afrikanischen Küste verlässt, um rechtzeitig vor
Ort zu sein, um zu helfen?
Die Punkte, die die Wurzeln der ganzen Problematik
betreffen, habe ich noch gar nicht angesprochen; sie sind
teilweise von meinen Vorrednerinnen genannt worden .
Natürlich wäre es das Beste, die Menschen setzten erst
gar nicht über, wir könnten die Fluchtursachen noch stärker bekämpfen . Das sind die eigentlichen Herausforderungen . Es geht auch darum, legale Zugangswege nach
Europa zu eröffnen, Stichwort Einwanderungsgesetz, das
wir in Deutschland brauchen . Aber in Wahrheit braucht
ganz Europa bessere Einwanderungsregeln; denn die
Migration trifft auf unseren Kontinent .
Die größte Gefahr, die ich für uns alle sehe, ist die
Gefahr der Gewöhnung, die Gefahr, dass uns die Bilder
nicht mehr erreichen . Das Bild des angeschwemmten
Jungen ging um die ganze Welt, aber das Bild des Jungen,
der auf dem Arm eines Seemanns war, hat kaum mehr
jemanden erreicht . Die Gefahr ist, dass wir abstumpfen .
Dagegen müssen wir uns alle zur Wehr setzen . Es darf
nicht passieren, dass wir abstumpfen .
({4})
Deswegen möchte ich meine Rede mit einer Frage schließen - die Frage mag jeder für sich beantworten -, und die
Frage lautet: Wie fühlt es sich wohl an, ein totes Kind auf
dem Arm zu tragen?
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist jeder Tote im Mittelmeer ein Toter
zu viel .
({0})
- Jetzt hören Sie doch bitte erst einmal zu .
({1})
- Das werde ich Ihnen sofort erklären, liebe Frau
Hänsel . - Natürlich bedrückt uns die Tatsache, dass seit
Beginn des Jahres 2014 10 000 Menschen im Mittelmeer gestorben sind . Deswegen haben wir die Anträge
von Grünen und Linken sehr aufmerksam gelesen .
({2})
Aber ich muss Ihnen sagen, dass Sie sowohl in der Analyse als auch in den Schlussfolgerungen, die Sie daraus
ziehen, danebenliegen .
Einige Punkte sind in dieser Debatte bereits genannt
worden . Erstens . Natürlich kann es nie gelingen, ein Netz
zu spannen, das alle, die im Mittelmeer in Lebensgefahr
sind, schützt . Zweitens . Damit setzt man natürlich auch
Fluchtanreize und unterstützt vor allen Dingen das dreckige Geschäft von Schleppern insoweit, als man Gefahr
läuft, das letzte Stück der schmutzigen Arbeit der Schleuser, die Menschen auf ihren Kähnen auf hohe See bringen und dort ihrem Schicksal überlassen, mitzuerledigen .
Deswegen glaube ich: Das, was wir tun, ist erstens gut
und zweitens richtig .
Ich bitte Folgendes zu bedenken: Die Frontex-Operationen Triton und Poseidon haben inzwischen qualitativ
und quantitativ das Ausmaß von Mare Nostrum angenommen . Darüber hinaus gibt es EUNAVFOR MED und
die NATO-Operation in der Ägäis . Fakt ist, dass Europa
noch nie so viel Personal, noch nie so viel Kapazitäten
und noch nie so viel Geld in die Waagschale geworfen
hat, damit wir am Ende erfolgreich sein können . Die
Zahlen bestätigen das: In den vergangenen zwölf Monaten wurden 60 000 Menschen von Frontex gerettet,
15 000 bis 16 000 Menschen sind alleine durch deutsche
Marinesoldaten im Rahmen von EUNAVFOR MED gerettet worden, und in der Ägäis ist überhaupt niemand
mehr gestorben, weil die Westbalkanroute zu ist und es
die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und
der Türkei gibt .
({3})
Herr Kollege Frei, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Dağdelen?
Bitte schön .
Bitte schön, Frau Kollegin .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Vielen Dank, Herr
Kollege Frei, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen
haben . Ich gehe davon aus, dass es aufrichtig gemeint
ist, dass man das Massensterben im Mittelmeer beenden
möchte, und es ist schön, dass es Maßnahmen gibt, die
dazu beigetragen haben, Flüchtlinge aus Seenot zu retten . Allerdings muss ich hinzufügen: Es gibt im Moment
kein Seenotrettungsprogramm im Mittelmeer, sondern
das wird nebenbei gemacht .
Insofern würde ich gerne Folgendes wissen: Wenn es
aufrichtig gemeint ist, wenn man sagt, dass man Menschenleben retten möchte, wäre es dann nicht sinnvoller,
eine einfache Maßnahme zu ergreifen und in § 63 Absatz 3
({0})
die Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen
abzuschaffen, damit ein Mensch beispielsweise auch dadurch vor Verfolgung und Krieg flüchten kann und Schutz
entsprechend der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Genfer Flüchtlingskonvention etc . pp . suchen
kann, dass er einfach ein Flugzeug besteigt, anstatt Tausende Euro an Schlepperbanden bezahlen zu müssen, die
ihn schlecht behandeln, anstatt in Todesschiffe steigen zu
müssen mit dem Risiko, dass er gar nicht lebendig ankommt? Das ist eine Maßnahme, die möglich wäre und
vor allen Dingen weniger kosten würde als alle Programme, die man mit Millionen und Milliarden Euro bestückt,
um zu verhindern, dass Menschen sterben . Fakt ist, dass
die Menschen weiterhin sterben . Allein in diesem Jahr
sind es bereits 2 500 Tote .
Frau Dağdelen.
Das wäre eine kleine, einfache, ganz konkrete Maßnahme, die zur Beendigung des Massensterbens im Mittelmeer beitragen könnte . Ist das nicht eine Möglichkeit?
Das würde weniger kosten als all Ihre Maßnahmen .
({0})
Nein, Frau Kollegin Dağdelen, das ist aus unserer
Sicht keine Möglichkeit . Ich werde gleich noch etwas
zum Thema „legale Migration“ sagen . Wenn Sie glauben, dass man 1,8 Millionen illegale Grenzübertritte nach
Deutschland im vergangenen Jahr zu legalen Grenzübertritten machen sollte, sage ich dazu klipp und klar Nein .
Es gibt andere Dinge, mit denen wir versuchen, dieses
Problem nachhaltig zu lösen .
Es ist falsch, wenn Sie sagen, dass EUNAVFOR MED
vor der Küste Libyens die Seenotrettung sozusagen nur
nebenbei erledigen würde .
({0})
Nein, es ist geradezu nachhaltig, wenn man darüber hinaus auch gegen Schlepper und Schmuggler vorgeht,
auch gegen Waffenschmuggler, und man einen Beitrag
dazu leistet, auf mittlere Sicht letztlich auch Marine und
Küstenschutz zu ertüchtigen, ihre Aufgaben zu erledigen .
({1})
Es geht doch darum, das Problem nachhaltig zu lösen,
und nicht darum, Strohfeuer zu löschen . Es ist richtig,
dass es eine humanitäre Pflicht zur Seenotrettung gibt.
Wer den Einsatz aber auf die Seenotrettung begrenzt das tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen auch -,
({2})
wer sagt, dass das Mandat, über das wir nachher sprechen
werden, kontraproduktiv und hochriskant ist, und alles
andere außer Acht lässt, der ist letztlich naiv . Das wollen
wir nicht . Deshalb ist das, was wir machen, richtig .
({3})
Sie haben einen richtigen Satz gesagt . Natürlich muss
es das Ziel sein, dass die Menschen gar nicht erst die
schwierige Fahrt über das Mittelmeer machen . Deswegen muss man an dieser Stelle auch sagen, dass man etwas tun muss, um Fluchtursachen zu bekämpfen .
({4})
In Ihrem Antrag werfen Sie uns aber vor, diesbezüglich
bliebe alles vage . Das ist doch überhaupt nicht so . Erst in
dieser Woche hat die Bundeskanzlerin in mehreren Reden darauf hingewiesen,
({5})
dass die Bekämpfung von Fluchtursachen und Migration
wahrscheinlich die größte Herausforderung in der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts sein wird .
Schauen Sie sich die Maßnahmen der Europäischen
Union an, beispielsweise die Tatsache, dass die Europäische Union im Rahmen eines Migrationspaktes 8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 zur Verfügung stellen
möchte; gehebelt durch private Folgeinvestitionen soll
diese Summe auf 64 Milliarden Euro anwachsen . Denken Sie daran, dass die Europäische Investitionsbank in
den nächsten fünf Jahren ihre Projektmittel verdoppeln
möchte und 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellt gehebelt durch private Mittel wächst dies letztlich auf
15 Milliarden Euro an -, um insbesondere Länder wie
Jordanien, den Libanon und die Türkei, aber auch afrikanische Länder zu unterstützen, um dort letztlich Perspektiven zum Bleiben zu stärken . Ich glaube, dass das der
richtige Ansatz ist und dass er im Übrigen auch lohnend
ist . Wir wissen, dass wir in Deutschland in diesem und im
nächsten Jahr insgesamt 50 Milliarden Euro aufzuwenden haben, um die Unterbringung und Integration von
Flüchtlingen zu gewährleisten . Ich glaube, dass dieses
Geld in den Herkunftsländern sehr viel besser angelegt
ist .
Ich will zuletzt sagen: Ja, es ist falsch, wenn Sie behaupten, dass wir nichts tun, um legale Migration zu
ermöglichen . Natürlich hat die Kommission einen Vorschlag vorgelegt, durch den die Bluecard reformiert werden soll . Aber wir verstehen vielleicht etwas anderes darunter . Wir können über ein Einwanderungsgesetz reden,
aber Einwanderung heißt, dass wir die zu uns holen, die
unsere Gesellschaft tatsächlich weiterbringen . Wir können im Rahmen der legalen Migration auch über Resettlement-Programme sprechen .
({6})
Aber wir können illegale Migration nicht wie in der Vergangenheit eins zu eins zu legaler Migration machen .
({7})
Deswegen muss man darüber sprechen, ob man die
Seenotrettung nicht anders vornehmen sollte . Man muss
auch überlegen, ob es nicht besser ist, Möglichkeiten zu
finden, Flüchtlinge erst gar nicht auf das europäische
Festland zu bringen . Diese Abschreckungseffekte sollen sich nicht gegen Flüchtlinge, sondern letztlich gegen
Schlepper richten . Darüber müssen wir uns Gedanken
machen . Wir dürfen uns durchaus anschauen, wie das in
anderen Ländern geschieht, die damit erfolgreich sind
und letztlich verhindern, dass es Tote auf See gibt .
Über all diese Themen sollten wir uns Gedanken machen . Dann wird eine nachhaltige Lösung daraus und
kein ideologisches Strohfeuer, wie wir es hier in Ihren
Reden erlebt haben .
Herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Dr . Birgit
Malecha-Nissen, SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns
ist der 20 . März ein wichtiges Datum, wir sprechen von
der Zeit davor und der Zeit danach . Das war der erste
Satz meiner Gesprächspartnerin des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen auf der griechischen Insel
Lesbos . Griechenland stand und steht vor einer riesigen
Herausforderung . Mit dem EU-Türkei-Abkommen am
20 . März 2016 hat sich die Situation grundlegend geändert . Vor dem 20 . März waren die griechischen Inseln
Durchgangsstation der vielen verzweifelten Menschen,
die Schutz vor Krieg und Verfolgung auf ihrem Weg nach
Nordeuropa suchten . Nun bleiben sie und wissen nicht,
wie es weitergeht .
Deshalb war es mir besonders wichtig, vor einem
Monat nach Lesbos zu reisen, um mir dort einen eigenen Eindruck von der Situation der Flüchtlinge und der
Seenotrettung vor Ort zu verschaffen . Besonders beeindruckt hat mich das großartige Engagement der Hilfsorganisationen, der ehrenamtlichen Freiwilligen und der
griechischen Kommune mit ihrer Verwaltung . Sie alle
leisten unermüdliche Arbeit, um den Menschen das Leben in den Flüchtlingslagern zu erleichtern . Trotzdem
sind die Verhältnisse bedrückend, so auch im Flüchtlingslager Kara Tepe, das ich besucht habe . Es sind vor
allem die Enge, die keine Privatsphäre zulässt, und seit
dem 20 . März die Ungewissheit, wie es weitergeht . Griechenland ist weder finanziell noch personell genügend
ausgestattet und braucht dringend weitere Unterstützung
aus Europa .
Retter helfen Rettern - das ist der zeitlich befristete
Unterstützungseinsatz der nordeuropäischen Seenotrettungsgesellschaften auf Anforderung ihrer griechischen
Kollegen . Aus Deutschland ist der Seenotrettungskreuzer
„Minden“ im Einsatz . Zwei ehrenamtliche Einsatzgruppen mit je 16 Frauen und Männern sind jede Nacht bis
zum Morgengrauen unterwegs, um Menschen aus Seenot
in Sicherheit zu bringen . Vielen Dank für dieses außerordentliche Engagement und diesen Einsatz .
({0})
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass sich die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger rein aus
Spenden finanziert. An dieser Stelle ein großes Dankeschön allen Menschen, die diese wertvolle lebensrettende
Arbeit unterstützen .
({1})
Jetzt ist es ruhig, wurde mir vor Ort auf Lesbos gesagt .
Das heißt jedoch mitnichten, dass sich keine Menschen
mehr auf den gefährlichen Seeweg machen .
({2})
Denn die Flüchtlingsbewegungen haben sich wieder über
das Mittelmeer mit dem Ziel Italien verschoben . In den
ersten fünf Monaten dieses Jahres sind fast 3 000 Geflüchtete auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen, in
der letzten Maiwoche 880 . Das ist bereits eine humanitäre Katastrophe . Dafür müssen wir uns alle schämen .
({3})
Damit dürfen wir uns auch nicht abfinden.
({4})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal nach Italien blicken
und auf die Operation Mare Nostrum der italienischen
Regierung in den Jahren 2013 und 2014 hinweisen, die
vielen Menschen das Leben gerettet hat . Sie wurde im
Oktober 2014 eingestellt, verbunden mit der Forderung
Italiens, die Seenotrettung auf europäische Ebene zu heben .
Die seit 2005 eingesetzte EU-Grenzschutzagentur
Frontex kann und konnte dieser Aufgabe nicht gerecht
werden, da sie eben nur in Küstengewässern unterwegs
ist . Täglich erreichen uns seit 2015 die dramatischen
Bilder vom Mittelmeer . Handelsschiffe wurden vermehrt von der internationalen Leitstelle zur Koordinierung der Seenotrettung angefordert und haben insgesamt
großartige Arbeit geleistet . Mit ihrer Hilfe wurden fast
60 000 Menschen gerettet . Das ist eine außerordentliche
und unvorstellbare Leistung . Unseren herzlichen Dank
dafür . Das hat jedoch die Seeleute auch an ihre körperlichen und psychischen Grenzen gebracht . Seenotrettung
kann und darf nicht Aufgabe der Handelsschifffahrt sein .
Zu den Forderungen im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte ich klarstellen: Die finanzielle
Belastung der Reedereien existiert faktisch nicht, weil
die operativen Kosten der Seerettungseinsätze durch die
Schiffsversicherer nahezu vollständig abgedeckt sind .
Auch die strafrechtliche Verfolgung von Kapitänen wegen des Absetzens von Drittstaatsangehörigen aus Seenot hat nach Aussagen des Verbandes Deutscher Reeder
nicht stattgefunden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gehandelt
worden . Seit Mai letzten Jahres werden deutsche Marineschiffe der Bundeswehr für die Seenotrettung eingesetzt .
Sie sind seither in unermüdlichem Einsatz . Vielen Dank
an die Soldatinnen und Soldaten . Das hat die Handelsschifffahrt massiv entlastet . Sie wird heute kaum mehr
dazu aufgefordert .
Ich möchte auch noch auf den Antrag der Linken
eingehen . Sie fordern darin die Abschaffung der Sanktionsregeln für Beförderungsunternehmen, insbesondere
für die Schifffahrt. Ich finde das nicht zielführend. Der
Antrag ist im Ausschuss abgelehnt worden . Das würde
in der Praxis eine Verlagerung der Verantwortung auf die
Schiffsgesellschaften, auf die Menschen, auf die Seeleute
bedeuten . Dabei haben wir gerade festgestellt, dass die
Handelsschiffe entlastet worden sind . Um das klarzustellen, sage ich: Bisher sind keine Zwangsgelder an Schifffahrtsunternehmen verhängt worden .
Frau Kollegin, die Redezeit .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe gerade:
Meine Zeit läuft ab .
({0})
- Ja, die Redezeit . - Wir brauchen dringend einen verstetigten Ausbau der Seenotrettung . Das können wir nur
gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union tun .
Die Schritte, die wir bis dahin machen, kann ich nicht
mehr alle nennen . Ich bedanke mich trotzdem ganz herzlich und wünsche noch einen weiteren guten Verlauf .
Danke schön .
({1})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Alexander
Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich spreche für das ganze Haus, wenn ich
sage, dass uns die Bilder, die wir vom Mittelmehr sehen,
nicht loslassen . Ich spreche in meinem Wahlkreis oft mit
Grundschülern . Selbst die Grundschüler berichten von
den Bildern, die sie sehen . Sie berichten von ertrunkenen
Menschen, darunter Kinder .
Ich will Ihnen von der Opposition sagen: Ich empfinde
es an einem Tag wie heute ein Stück weit fast schon unredlich, wenn Sie auch bei dieser Debatte wieder dieses
Zerrbild von zwei Lagern skizzieren .
Da ist das eine Lager . Da sind Sie drin . Das sind die
Guten . Das sind diejenigen, die die ganze Zeit unentwegt
Vorschläge unterbreiten, wie man das Massensterben im
Mittelmeer unterbinden kann .
Im anderen Lager sind die Unmenschen . Da sitzt
selbstverständlich auch die Bundesregierung drin .
({0})
Da sind diejenigen drin, die nach Ihrer Einschätzung für
Abschottungspolitik stehen, und diejenigen - so ist es
heute wieder gesagt worden -, die Schuld oder Mitschuld
daran tragen .
({1})
Das mündet dann in Ihren Vorschlag, dass wir mit sicheren Einreisewegen von Nordafrika nach Europa und mit
einer weiteren Ausdehnung von Frontex bis an die libysche Küste - das ist Ihre Quintessenz - das Sterben im
Mittelmeer werden verhindern können .
Ich sage Ihnen: Das hört sich einfach an . Aber so einfach, wie es sich anhört, so naiv ist es auch . Denn Sie
haben in beiden Reden zu diesem Thema zwei große Realitäten ausgeblendet .
({2})
Die erste Realität ist, dass in Afrika schon heute 15 Millionen Menschen auf der Flucht sind . Es gibt SchätzunDr. Birgit Malecha-Nissen
gen, nach denen 50 Millionen Menschen aus Afrika nach
Europa wollen .
({3})
Die zweite - fast tragische - Erkenntnis ist, dass das
größte Flüchtlingsgrab nicht das Mittelmeer, sondern
vermutlich die Sahara ist . Es gibt Schätzungen, dass dort
womöglich schon bis zu 1 Million Flüchtlinge ums Leben gekommen sind, Menschen, die getötet wurden, die
verdurstet oder verhungert sind; dort werden Kinder verschleppt und Frauen vergewaltigt .
Wenn man sich einmal konkret mit der Situation in
Agadez auseinandersetzt - Agadez ist eine Stadt im Niger, die Hauptstadt der gleichnamigen Region; sie liegt
genau an der Route von Westafrika nach Libyen und
ist der Ausgangspunkt für Fahrten in die Wüste -, dann
muss es einen beschäftigen, dass dort im letzten Jahr täglich teilweise bis zu 15 000 Flüchtlinge durchgeschleust
wurden . Dort sind das Schleusen bzw . der Transport von
Flüchtlingen und alles, was dazugehört, ein großer Wirtschaftszweig . Menschen, die es geschafft haben, nach
Libyen oder Ägypten zu kommen, berichten von Leichen
am Wegesrand .
Wenn ich mir die Frage stelle, was passieren würde,
wenn wir legale Einreisewege von Nordafrika etablieren würden, dann wage ich die Behauptung, wir würden
Gefahr laufen, dass wir in Agadez nicht mehr Tausende, sondern Zehntausende und in der Sahara nicht mehr
Zehntausende, sondern Hunderttausende Flüchtlinge haben würden .
Ähnliche Erfahrungen haben wir im Hinblick auf
Ihren zweiten Vorschlag gemacht . Es gab ja schon den
Versuch, diverse Operationen weiter in den Mittelmeerraum hinein agieren zu lassen . Die Erkenntnis, würde ich
sagen, war eher ernüchternd .
Was ist passiert? Die Schleuserbanden haben die
Flüchtlingsboote noch viel voller gepackt, haben noch
viel jämmerlichere Nussschalen - so möchte man fast
sagen - genommen, haben die Menschen auf das Mittelmeer hinausgeschickt und ihnen gesagt - bitte nicht
falsch verstehen! -: Ihr werdet ja jetzt früher herausgefischt.
({4})
Ich glaube, dass wir uns bei allem, was wir tun, natürlich auch die Frage stellen müssen: Schaffen wir damit nicht falsche Anreize? Das ist, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, letztendlich auch der
Punkt, an dem Sie unvollständig agieren, weil Sie nur auf
das Mittelmeer schauen .
({5})
Wenn wir nämlich über Anreize reden, dann müssen
wir auch darüber sprechen, warum im Bundesrat nach
wie vor über die Einstufung als sichere Herkunftsländer
diskutiert wird . Solange diese Länder nicht als sichere
Herkunftsländer deklariert sind, solange nicht das klare
Signal ausgesandt wird: „Ihr müsst euch nicht auf den
Weg, auf die gefährliche Reise nach Europa machen“, so
lange werden sich auch Menschen aus diesen Ländern
auf diesen lebensgefährlichen Weg machen . Deswegen
müssen auch Sie sich an dieser Stelle die Frage der Mitverantwortung stellen .
({6})
Meine Damen, meine Herren, die Aufgabe ist viel umfassender, und wir dürfen nicht nur auf das Mittelmeer
blicken . Ich bin dem Kollegen Frei sehr dankbar, dass
er umfassend beleuchtet hat, was wir machen müssen,
um die Situation vor Ort zu verbessern . Denn eines ist
sicher: Unsere humanitäre Verantwortung endet nicht an
unseren EU-Außengrenzen .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Wir kommen jetzt zu vier Abstimmungen zu diesem
Tagesordnungspunkt .
Zunächst stimmen wir über den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8875 mit
dem Titel „Seenotrettung im Mittelmeer - Menschen
schützen, humanitäre Verantwortung übernehmen, solidarisch handeln“ ab . Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke abgelehnt .
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/8918 ab .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4838 mit dem Titel
„Das Mittelmeer darf nicht zum Massengrab werden Für eine Umkehr in der EU-Asylpolitik“ . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen .
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8244 mit dem Titel „Flüchtlingsschutz und faire Verantwortungsteilung in einer geeinten
Europäischen Union“ . Wer stimmt für diese BeschlussAlexander Hoffmann
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zur letzten Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt, und zwar zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen, insbesondere Flug- und Schiffsunternehmen, abschaffen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/8905, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8701 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
EUNAVFOR MED Operation SOPHIA
Drucksache 18/8878
Überweisungsvorschlag
Auswärtiger Ausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen, damit ich die
Aussprache eröffnen kann .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe für die
Bundesregierung .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie alle kennen die Tragödien, die sich vor der libyschen
Küste abspielen, wo völlig überfüllte und gänzlich ungeeignete Flüchtlingsboote von skrupellosen Menschenschleusern auf das Mittelmeer geschickt werden . Im Zusammenhang mit dem vorherigen Tagesordnungspunkt
haben wir bereits darüber diskutiert .
Es ist wahr: Unter Ausnutzung der Hoffnung auf
eine bessere Zukunft in Europa missbrauchen die Menschenschmuggler die Notlage der Flüchtlinge weiterhin,
schlicht um sich selbst zu bereichern . Das ist und bleibt
unmoralisch und für uns absolut inakzeptabel .
Trotz allen Unglücks: Es konnte glücklicherweise wenigstens ein Teil der Schiffbrüchigen - zum Teil in letzter
Minute - gerettet werden .
Davon ist hier auch schon die Rede gewesen, und ich
betone das noch einmal: Es ist eine selbstverständliche
völkerrechtliche Pflicht für alle Schiffe, die Menschen zu
retten, die in Seenot sind und die sie aufgreifen können .
Das ist nicht nur Theorie, sondern nicht zuletzt deshalb,
weil die Bundesregierung im Frühjahr 2015 schnell und
entschlossen zwei Schiffe der deutschen Marine in das
Mittelmeer entsandt hat, ist dies auch in vielen Tausenden Fällen erfolgreich geschehen .
Ich will hier nur den Stand vom letzten Freitag, dem
17 . Juni 2016, nennen: Über 15 700 Menschen sind insgesamt gerettet worden, davon 9 346 durch deutsche Kräfte . Gestern sind zum Glück 84 weitere hinzugekommen .
Weit mehr als die Hälfte aller, die gerettet worden sind,
sind also von deutschen Marinekräften gerettet worden .
Ich finde, darüber können wir glücklich und darauf können wir stolz sein . Dafür sollten wir unseren Soldatinnen
und Soldaten herzlichen Dank sagen .
({0})
Uns ist klar, dass die Ursachen für dieses Flüchtlingsdrama sich nur mit langfristig ausgerichteten und
ganzheitlichen europäischen Ansätzen an den Wurzeln
bekämpfen lassen . Seit der Sondersitzung des Europäischen Rates zur Migrationsproblematik im April letzten
Jahres gehen wir im Rahmen der EU dabei Hand in Hand
vor . Unser gemeinsam erklärtes Ziel ist es, den kriminellen Schleusern das Handwerk zu legen und ihre Netzwerke in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Sicherheitsinstitutionen Libyens zu zerschlagen .
Deshalb haben wir in der EU beschlossen, die Kernaufgabe von EUNAVFOR MED Operation Sophia, die
eindeutig darin liegt, diesen Schleusern das Handwerk
zu legen, zu ergänzen und zwei weitere Zusatzaufgaben
zu übernehmen . Zum einen soll die Unterstützung der
libyschen Küstenwache und der Marine durch Informationsaustausch, Ausbildung und Kapazitätsaufbau erhöht
werden; denn eine funktionierende libysche Küstenwache und Marine sind eine wichtige Voraussetzung dafür,
dass der Menschenschmuggel in den Küstengewässern
wirkungsvoll unterbunden werden kann .
Zum Zweiten werden wir auf der Grundlage der einstimmig angenommenen Resolution des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen vom 14 . Juni dieses Jahres Maßnahmen auf hoher See umsetzen, um Verstöße gegen das
VN-Waffenembargo in Bezug auf Libyen zu unterbinden .
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll der Waffenschmuggel nach und von Libyen, bei dem der sogenannte
„Islamische Staat“ eine Schlüsselrolle innehat - er profitiert davon am meisten -, entscheidend verhindert werden; eine Maßnahme, die dringend geboten ist .
Mit diesen Maßnahmen erfährt zugleich die sich etablierende libysche Einheitsregierung eine wesentliche
Stärkung . Uns allen ist dabei klar, dass dieser Prozess
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
nicht von heute auf morgen funktioniert . Es gilt weiterhin, viele innerlibysche Widerstände zu überwinden . Wir
müssen helfen, die libysche Einheitsregierung beim Aufbau eigenständiger und belastbarer Sicherheitsstrukturen
zu unterstützen und die Stabilisierung des Landes sowie
indirekt der weiteren Region, so gut es geht, voranzubringen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, EUNAVFOR
MED Operation Sophia wird zu dieser Unterstützung der
neuen Regierung auch weiterhin einen wertvollen Beitrag leisten . Daher prüfen wir wie auch die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union aktuell die Bereitstellung von weiteren Einheiten und Ausbildungskräften,
um Libyen auf diesen Feldern aktiv eine wirksame Starthilfe zu geben .
Mit unserem Mandat, das die Bundesregierung dem
Hohen Hause vorlegt, setzen wir die jetzige Beschlusslage der EU für den Einstieg in die ergänzenden Aufgaben
um . Die EU beschränkt zunächst weiterhin ihr Handeln
auf die hohe See . Das gilt auch für die jetzt zu übernehmende Aufgabe der Ausbildung . Ich sage gleichzeitig für
die Bundesregierung in aller Deutlichkeit: Wenn sich die
EU, was natürlich weitere Voraussetzungen und auch das
Zusammenwirken mit der libyschen Regierung erfordert,
im weiteren Verlauf der Operation zum Handeln in libyschen Territorialgewässern und an Land entschließen
sollte, werden auch wir gefordert sein, uns zu entscheiden . Aber wie schnell das der Fall sein wird, kann derzeit
niemand voraussagen . Klar ist nur für diese Mission wie
auch für andere: Wir Deutsche können uns nicht einfach
wegducken, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({1})
Unsere Beteiligung an EUNAVFOR MED Operation
Sophia soll bis zum 30 . Juni 2017 mit einer unveränderten personellen Obergrenze von 950 Soldatinnen und
Soldaten durchgeführt werden . Wir haben damit ausreichende operative Flexibilität, um gemeinsam mit unseren europäischen Partnern jetzt handeln zu können . Wir
liegen in der Praxis zurzeit sehr weit unter dieser Mandatsobergrenze .
Wir werden vorerst bei der Operation weiterhin mit
zwei Einheiten vertreten sein . Deutschland ist nach Italien schon jetzt der mit Abstand größte Truppensteller .
Ich sage es noch einmal: Die deutschen Kräfte sind diejenigen, die besonders viele Menschen aus Seenot gerettet haben . Das zeigt, für wie wichtig wir diesen Beitrag
erachten .
Es gilt jetzt, gemeinsam mit unseren europäischen
Partnern das konkrete Handeln auszuplanen und Libyen
zu helfen . Eins ist klar: Diese Entwicklung braucht nicht
nur Zeit, sondern auch eine handlungsfähige und international anerkannte libysche Regierung, die ihren Teil der
internationalen Verantwortung verlässlich und berechenbar wahrnimmt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Unterstützen Sie den Antrag der Bundesregierung! Denn
das deutsche Engagement im Rahmen von EUNAVFOR
MED ist richtig und wichtig . Es ist politisch richtig und
wichtig, und es ist auch aus humanitärer Sicht richtig,
wichtig und geboten .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Dr . Alexander Neu ist jetzt der nächste
Redner für die Linksfraktion .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Heute geht es um die erste Verlängerung der
Mission EUNAVFOR MED, ironischerweise „Sophia“
genannt. Offiziell geht es um die Schleuserbekämpfung.
De facto handelt es sich um eine Flüchtlingsabwehrmission .
Die gute Nachricht ist - das räumen wir ein; das wird
auch von NGOs eingeräumt -: 16 000 Menschenleben
wurden gerettet . Hervorragend!
Wie viele Menschen gerettet wurden, wissen wir . Wie
viele ertrunken sind, können wir nur schätzen . Die Zahlen belegen laut UNHCR und Ärzte ohne Grenzen, dass
zwischen Januar und Mai 2016 etwa 3 000 Menschen im
Mittelmeer ertrunken sind, umgerechnet alle 80 Minuten
ein Mensch . Es müssten aber keine Kinder, Frauen und
Männer im Mittelmeer ertrinken, wenn sie legal und auf
sicheren Wegen Europa erreichen könnten .
({0})
Kommen wir aber zurück zum eigentlichen Auftrag so lautet er zumindest offiziell -: die Schleuserbekämpfung . Die Bundesregierung hat uns keine Bilanzierung
des Dreivierteljahres vorgelegt, seitdem EUNAVFOR
MED läuft . Es gibt aber eine Bilanzierung - das kann
man im Internet einsehen -, die der EU-Unterausschuss
des britischen Oberhauses Anfang Mai, also vor wenigen Wochen, unter dem Titel „Operation Sophia, die
EU-Mission im Mittelmeer: eine unlösbare Aufgabe“ zu
EUNAVFOR MED vorgelegt hat . Das Fazit lautete: Das
Geschäftsmodell des Schleusertums - dessen Bekämpfung ja eine Kernaufgabe der Mission ist - konnte nicht
beeinträchtigt werden, und die Operation kann ihr Mandat nicht erfüllen .
Sie kann zwar ihr Mandat nicht erfüllen, aber nun
sollen zwei neue Aufträge hinzukommen, nämlich zum
einen die Unterbindung von Waffenschmuggel auf hoher
See und zum anderen der Aufbau des Küstenschutzes .
Interessant ist die Unterbindung des Waffenschmuggels
auf hoher See . Der Waffenschmuggel in Libyen läuft im
Wesentlichen nicht über die hohe See; er läuft über die
Landgrenzen - wenn er überhaupt über den Seeweg erfolgt, dann läuft er über das Küstenmeer, und genau dort
wird EUNAVFOR derzeit nicht agieren . Das heißt, diese
Aufgabe wird wahrscheinlich, ähnlich wie die Schleuserbekämpfung, ins Leere laufen . Also: Das läuft so nicht .
Abgesehen davon: Wenn Waffenschmuggel bekämpft
werden soll, dann sollten die Europäer und auch Deutschland aufhören, Waffen in die Region zu liefern .
({1})
Es ist doch zynisch, den Waffenschmuggel nach Libyen
unterbinden zu wollen und gleichzeitig Waffen dorthin
zu liefern . Das verstehe ich nicht .
Der andere Ansatz lautet „Aufbau eines Küstenschutzes“ . Mir ist nicht klar, wer ausgebildet werden soll und
welche Kriminellen oder Islamisten darunter sein werden . Das ist alles nicht geklärt, aber der Auftrag steht .
Ich bin gespannt, was dabei herauskommt . Die „Erfolgsstory“ anderer Ausbildungsmissionen lässt nichts Gutes
erahnen .
Aber was den Begriff „Küstenschutz“ angeht: Es ist
doch der eigentliche Auftrag eines Küstenschutzes, Gefahren von außen abzuwehren . Hier geht es nicht primär
darum - das wurde gerade noch einmal deutlich -, Gefahren von außen abzuwehren; es geht vielmehr darum,
Flüchtende, Menschen daran zu hindern, über Libyen
und das Mittelmeer nach Europa zu kommen . Das ist
eine recht seltsame Aufgabenstellung, und das hat nichts
mit Küstenschutz zu tun, meine Damen und Herren .
({2})
Wenn die Seenotrettung nicht der eigentliche Auftrag
ist - und das ist er auch nach dem neuen Mandat nicht -,
die Schleuserbekämpfung nicht erfolgreich ist und die
Bekämpfung des Waffenschmuggels nicht erfolgreich
sein wird, stellt sich die Frage, warum EUNAVFOR
MED, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der
NATO - das steht ja immer noch im Raum -, verlängert
werden soll .
Offensichtlich geht es um Raumkontrolle des südlichen Mittelmeers durch die Europäische Union und
durch die NATO . Anders kann man das nicht erklären .
Sie machen auf diese Weise das südliche Mittelmeer und
Nordafrika zum europäischen Hinterhof . Das ist primitive Geopolitik, sehr geehrte Damen und Herren .
({3})
Wir alle haben heute Morgen die Nachricht bekommen, dass das Referendum über den Brexit erfolgreich
war . Ich kann nur davor warnen, dass die Rest-EU versucht, über außen- und sicherheitspolitische, militärpolitische Abenteuer diese EU in irgendeiner Weise so zusammenzuhalten, wie sie ist .
({4})
Was wir brauchen, ist ein Umdenken . Gerade wurde
gesagt: Wir müssen verhindern, dass die Menschen nach
Europa kommen . - Aber sehr auffällig war, dass vor allem in den Reihen der CDU/CSU die Ursachen nicht angesprochen worden sind . Manchmal werden sie mit dem
Begriff „Ursachenbekämpfung“ angesprochen, aber sie
werden nicht qualifiziert.
Fluchtursachen ernsthaft bekämpfen, heißt eben auch,
die Handelsliberalisierung gegenüber dem globalen Süden einzustellen und Agrarexportsubventionen und somit
die Armutsspirale in Afrika zu beenden . Es heißt: Stopp
von Regime Changes, von militärischer Gewalt gegen
die Region .
({5})
Das ist genau das, was das Friedensgutachten 2016 festgestellt hat . Die Damen und Herren sind hier gewesen .
Die Informationen, die diese uns gegeben haben, sind
bei Ihnen aber zum einen Ohr rein-, zum anderen wieder
rausgegangen, weil das nicht in Ihr Konzept passt .
Es ist wichtig, Fluchtwege zu legalisieren bzw .
Flüchtenden zu helfen . Ärzte ohne Grenzen und SeaWatch fordern genau das; aber es geht an Ihnen vorbei .
Wir haben vorhin darüber debattiert . Unser Antrag und
auch der Antrag der Grünen wurde abgelehnt . Sie sind
also nicht willens, den Menschen einen legalen Weg nach
Europa zu ermöglichen .
Es ist, sehr geehrte Damen und Herren, eine Schande, dass das angeblich so zivilisierte Europa vorwiegend
militärische Antworten liefert . Es ist eine Schande, dass
beabsichtigt wird, flüchtende Menschen zurück in libysche Lager zu schicken . Man muss sich die Zustände
dort einmal vor Augen halten. Dort finden Vergewaltigung, Mord, Hunger und Folter statt . Und Sie wollen die
Menschen zurückschicken! Das ist wirklich ein Skandal .
({6})
Herr Kollege Neu, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern .
Ich komme zum Ende . - Es ist - das sage ich abschließend - eine Schande, dass Privatinitiativen wie SeaWatch oder Ärzte ohne Grenzen das übernehmen, was
eigentlich Aufgabe der Europäischen Union und ihrer
Mitgliedstaaten wäre, nämlich Menschen zu einem legalen Weg nach Europa zu verhelfen .
Danke .
({0})
Vielen Dank . - Niels Annen ist jetzt der nächste Redner für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es ist uns allen bewusst, wie sehr uns
die Krisen im Nahen und Mittleren Osten hier bei den
Debatten im Parlament und in der Öffentlichkeit beschäftigen . Längst haben die Kriege in Syrien und im Irak zu
einer regionalen Instabilität geführt . Und Libyen - das
Land, über das wir heute hier reden - spielt dabei schon
aufgrund seiner Größe, aber auch seiner geografischen
Lage eine zentrale Rolle .
Wir alle kennen die Ausgangsposition . Es gibt zwei
Parlamente und zwei Regierungen bzw . zwei Machtzentren. Und in der Mitte befindet sich - wenn man das so
sagen darf - die Terrormiliz IS . Das ist eine Situation, die
für die internationale Staatengemeinschaft auch deswegen nur sehr schwer zu bewältigen ist, weil Herr Gaddafi
nach den vielen Jahrzehnten seiner Diktatur - anders als
es in vergleichbaren Ländern der Fall war - letztlich keine staatlichen Strukturen hinterlassen hat . Die Situation
ist also fragil . Aber ich glaube, man kann schon feststellen: Es hat Fortschritte in Libyen gegeben . Das wurde
nicht zuletzt durch den Einsatz des VN-Sondergesandten
erreicht . Das ist, wie Sie alle wissen, ein deutscher Diplomat, Martin Kobler, dem ich an dieser Stelle für seine
herausragende Arbeit noch einmal ganz herzlich danken
möchte .
({0})
Es ist ihm gelungen, eine Einheitsregierung zu stabilisieren und dafür zu sorgen, dass sie von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt und unterstützt wird .
Ich glaube zwar, dass es ein Fortschritt ist, es ist aber keine Garantie dafür, dass wir auf diesem Weg weitergehen
können . Die Kollegen der Linken haben es sich ja zur
Angewohnheit werden lassen, zu erklären, wir seien der
Ansicht, die Mandate, über die wir hier diskutieren, seien
quasi so eine Art Blaupause für die Lösung der Konflikte.
Darum geht es hier nicht, sondern es geht um ein Element
der Stabilisierung . Wir wissen, dass die Situation fragil
ist, dass wir Herrn as-Sarradsch und seine Regierung in
Tripolis unterstützen müssen . Diese Ausbildungsmission
ist eben ein Element davon . Ich glaube, dass es deswegen
richtig ist, sie hier zu unterstützen . Ich darf auch darauf
hinweisen, dass es eine Bitte des Präsidialrates bzw . eine
explizite Anfrage auch an uns gegeben hat, dieses zu tun .
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe es
schon erwähnt: Die Terrormiliz IS nutzt die Fragilität des
Landes, um ihren Machtbereich in der Region um Sirte
auszudehnen . Ja, es ist richtig - Sie alle haben das der
Presse entnehmen können -: Es gibt militärische Erfolge
beim Kampf gegen den IS . Dennoch kann man nicht davon sprechen, dass die Lage schon entspannt sei .
Es ist natürlich klar, dass auch hier die Operation Sophia allein nicht ausreicht . Sie allein wird - der Staatssekretär hat darauf hingewiesen - auch nicht ausreichen,
um die Schleuserkriminalität zu bekämpfen . Aber sie
leistet einen Beitrag, und sie hat auch eine abschreckende Funktion . Auch deswegen begrüßen wir das Mandat .
Meine Damen und Herren, ich möchte auf einen Aspekt der Rede von Herrn Dr . Neu hinweisen . Sie haben
hier ja so eine Form der Verschwörungstheorie - dabei
ging es um Stichworte wie „NATO“, „Raumkontrolle“,
„Geopolitik“ und „Hinterhofpolitik“ - in den Raum gestellt .
({2})
Ich will in diesem Zusammenhang ganz bewusst darauf
hinweisen - das ist schon interessant -, dass alle 15 Mitglieder des Sicherheitsrats, auch Russland, der entsprechenden Resolution zugestimmt haben .
({3})
Es ist mir nicht bekannt, dass Russland eine NATO-Operation zur europäischen Kontrolle des europäischen Hinterhofs legitimieren würde . Das ist ein wenig verwunderlich und unterstreicht, glaube ich, dass es sich bei dem,
was Sie vorgetragen haben, geschätzter Herr Kollege, im
Wesentlichen um Propaganda handelt .
({4})
Es ist auch deswegen bemerkenswert, dass Russland
zugestimmt hat, weil wir wissen, dass es eine ganz besondere Geschichte mit Libyen gibt . Die damalige Resolution, die den Militäreinsatz von NATO-Mitgliedstaaten legitimiert hat, ist sehr in der Kritik - wie ich finde,
durchaus zu Recht - und wird von der russischen Seite
bis heute als eine Art Missbrauch einer solchen Legitimation betrachtet .
({5})
Trotzdem hat Russland dieses Mal zugestimmt, weil davon gehe ich jedenfalls aus - es im Interesse Russlands
ist, dass diese fragile Region stabilisiert wird . Dass wir
das gemeinsam tun, ist gut . Das zeigt übrigens auch, dass
es sich lohnt, mit Russland über so schwierige Fragen
zu reden . Es scheint doch so zu sein, dass sich die Mühe
manchmal lohnt
({6})
und dass man in einigen Bereichen kooperative Lösungen mit Russland trotz all der Probleme, die wir haben,
erreichen kann .
Herr Kollege Annen, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Neu?
Das mache ich, Frau Präsidentin .
Bitte schön .
Herr Annen, Russland und China haben sich 2011
bei der Sicherheitsratsresolution darauf verlassen, dass
der Luftraum gesperrt wird . Man weiß heutzutage, dass
die NATO dieses Mandat genutzt hat, um einen Regime
Change durchzuführen . Nun haben Russland und China
wieder einmal einer Sicherheitsratsresolution im Vertrauen darauf, dass diese Mission eine EU-Mission bleiben
wird, zugestimmt .
Können Sie definitiv ausschließen, dass die NATO
daran nicht teilnehmen wird? NATO-Generalsekretär
Stoltenberg hat schon massiv angeboten, dass das auch
eine NATO-Mission werden könnte . Können Sie das ausschließen?
Herr Kollege Neu, ich finde es jedenfalls erstaunlich,
dass Sie hier offensichtlich die Position Russlands einnehmen .
({0})
Ich bin mir aber sicher, dass der russische NATO-Botschafter schon selber in der Lage ist, die Position seines
Landes vorzutragen .
Ich will aber gerne zu einem Punkt etwas sagen . Auch
ich bin der Meinung, dass die damalige Resolution in
einer Art und Weise ausgelegt worden ist, die der Legitimation der Vereinten Nationen nicht geholfen hat . Ich
bin ein großer Anhänger der relativ neuen UN-Norm der
sogenannten Schutzverantwortung, Responsibility to
Protect .
({1})
Ich glaube schon, dass wir sehr kritisch auf das schauen müssen, was damals geschehen ist . Sie sprechen von
einer NATO-Operation . Es haben sich aber nicht alle
NATO-Staaten daran beteiligt . Ich darf vielleicht für diejenigen, die uns hier zuhören, deutlich machen: Deutschland hat sich an dieser Operation damals nicht beteiligt,
so wie andere Länder auch . Ich glaube, das ist eine klare
Antwort auf Ihre Frage . - Vielen Dank .
Ich will in der verbleibenden Zeit noch auf einen
zweiten Staat eingehen, der als nicht ständiges Mitglied des Sicherheitsrates dieser Resolution zugestimmt
hat . Ich rede über Ägypten, ein Land, das - ich bin kein
Diplomat, aber ich will doch versuchen, mich diplomatisch auszudrücken - eine sehr ambivalente Rolle in Libyen spielt . Man muss zur Kenntnis nehmen, dass etwa
1 300 Kilometer Grenze aus Sicht Kairos natürlich ein
dramatisches Sicherheitsrisiko darstellen, eine Grenze zu
einem Land, das im Chaos zu versinken droht .
Trotzdem haben wir die einseitige Unterstützung von
General Haftar als nicht besonders konstruktiv wahrgenommen . Das haben wir mit den ägyptischen Kollegen
natürlich diskutiert . Umso bemerkenswerter ist es, dass
es auch hier eine Zustimmung und zumindest deklaratorisch eine Unterstützung gegeben hat . Insofern haben wir
eine legale politische internationale Grundlage, die von
allen Staaten, die zurzeit im Sicherheitsrat vertreten sind,
mitgetragen wird .
Ich hoffe sehr, dass das eine Botschaft an diejenigen
ist, die sich mit Herrn Kobler zusammen um eine politische Lösung für Libyen bemühen . Der Aspekt der Seenotrettung - auf den hat Herr Staatssekretär Brauksiepe
hingewiesen - liegt auch uns am Herzen . Aber ich wollte
diese Gelegenheit nutzen, um auf die politischen Zusammenhänge hinzuweisen .
Ich glaube nicht, dass wir uns selber helfen würden,
mit der Verabschiedung dieses Mandatsantrages jetzt
quasi die Botschaft zu verbreiten, das Thema Libyen
wäre damit abschließend von uns behandelt worden . Es
ist - ich kann das nur wiederholen - ein Baustein unserer
Politik, unsere Antwort auf eine Krise, die uns direkt angeht, auch aus humanitärer Verantwortung . Das Mandat
ist ein wichtiger Baustein, und deswegen unterstützen
wir diesen Antrag .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, da
diese Vorlage in die Ausschüsse überwiesen wird, würde
ich jetzt von der Genehmigung weiterer Zwischenfragen
absehen, auch da wir weit über der Zeit sind .
Jetzt hat die Kollegin Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ob das der Marinesoldat der Mission
EUNAVFOR MED ist oder ein Ehrenamtlicher, der sich
auf einem Schiff von Sea-Watch befindet, das mit Spendengeldern finanziert wurde - wir sind jedem Menschen
dankbar, der in den letzten Monaten dazu beigetragen
hat, dass weniger Menschen auf dramatische Weise im
Mittelmeer ertrinken müssen .
({0})
Eine Reihe von uns Abgeordneten hatte letztes Jahr
zusammen mit der Verteidigungsministerin Gelegenheit,
die Mittelmeermission der Bundeswehr zu besuchen .
({1})
Ich muss wirklich sagen: Ich habe selten Soldatinnen
und Soldaten gesehen, die unter so hohen physischen
und psychischen Belastungen so überzeugt von einem
Auftrag waren . Mir hat erst neulich jemand, der mehrere
Monate im Einsatz war, erzählt, dass man teilweise nach
14 Stunden den Befehl erteilen musste, wenigstens kurz
eine Pause zur Erholung zu machen . Dass aber die Bundeswehr und auch private Initiativen im Mittelmeer Seenotrettung betreiben, ist schon Ausdruck dessen, dass die
europäischen Mitgliedstaaten dabei versagt haben, eine
funktionierende, effektive und zivile Seenotrettung auf
den Weg zu bringen . Darüber haben wir in der Debatte
davor diskutiert .
({2})
Seenotrettung ist für jedes Schiff eine internationale
Verpflichtung. Das sollte aber nicht den Blick auf das verstellen, was der Kernauftrag der Mission EUNAVFOR
MED ist, nämlich die militärische SchlepperbekämpDr. Alexander S. Neu
fung . Nach wie vor treiben die Bundesregierung und die
anderen europäischen Mitgliedstaaten die Ausweitung
dieses Mandats voran, um auch in den libyschen Küstengewässern und in Libyen an Land militärisch gegen
Schlepper operieren zu können . Wir halten das für die
falsche Antwort auf die Dramen im Mittelmeer . Es ist gefährlich, es ist riskant, und es hilft den Flüchtlingen nicht,
sondern gefährdet sie nur noch mehr . Damit Sie mich
nicht falsch verstehen: Natürlich treiben viele Schlepper
ein sehr grausames Geschäft mit dem Leid der Flüchtlinge . Aber wenn Sie das wirklich abstellen wollen, und
zwar effektiv, dann geht es um polizeiliche Maßnahmen,
dann geht es um legale und sichere Einwanderungswege,
um den Schleppern die Geschäftsgrundlage kaputtzumachen .
({3})
Die Bundesregierung bringt jetzt ein neues Mandat
auf den Weg . Das ist aus zwei Gründen notwendig; denn
es gibt erweiterte Aufgaben . Es geht einerseits darum,
den Waffenschmuggel über den Seeweg zu unterbinden .
Das kann vielleicht den positiven Effekt haben, den Waffenstrom nach Libyen, der natürlich ein riesiges Problem
ist, einzudämmen . Aber dieser Effekt ist begrenzt, weil
die meisten Waffen über den Landweg nach Libyen kommen .
Viel problematischer aber ist die zweite Veränderung
des Mandats, bei der es um die Ausbildung der libyschen
Küstenwache geht . Seit Wochen fragen wir die Bundesregierung: Wer genau soll ausgebildet werden? Wo
soll das stattfinden? Wie sieht der genaue Auftrag aus?
Welche Geräte und welche Ausrüstung wollen Sie zur
Verfügung stellen? Wie ist eigentlich sichergestellt, dass
die Milizenstrukturen in irgendeiner Form der Kontrolle durch die Regierung unterliegen? Seit Wochen hat die
Bundesregierung dazu keine Antwort .
Sie jagen hier ein Mandat durch das Parlament, sind
dabei aber selber völlig plan- und kopflos in Bezug auf
das, was Sie wollen . Sie wollen von uns einen Blankoscheck für eine Operation, die sich am Ende des Tages
im Konkreten in dieser höchst fragilen Lage in Libyen
als sehr kontraproduktiv und gefährlich erweisen kann .
Da muss ich sagen: Das ist keine verantwortungsvolle
Sicherheitspolitik .
({4})
Gerade Libyen ist doch ein klassisches Beispiel dafür,
wie undurchdachter Aktivismus von außen sehr schnell
verheerende, natürlich nicht intendierte Folgen haben
kann .
Mir macht es große Sorgen, dass der Bundesregierung
angesichts der dramatischen Lage in Libyen selbst und
der schrecklichen Situation der Flüchtlinge dort nicht
mehr einfällt als eine Militärmission und ein dreckiger
Deal, der in die Richtung dessen geht, was Sie mit der
Türkei vereinbart haben; so haben sich Bundeskanzlerin
Merkel und Innenminister de Maizière schon geäußert .
Ich frage Sie: Wo ist eigentlich Ihre kluge, Ihre humanitäre Antwort auf die Lage der Menschen, die dort in
den Flüchtlingslagern eingepfercht sind? Wir hören von
Menschenrechtsverletzungen, von Menschen, die sterben . Flüchtlinge dürfen diese Lager nicht verlassen, sind
dort eingepfercht, verhungern teilweise . Wir reden hier
von 500 000 Menschen in einem Land, in dem teilweise
Bürgerkrieg herrscht .
Ich muss es so hart und zynisch sagen: Die Frage ist
doch nicht, wo die Menschen ihr Leben riskieren und
verlieren - in den Flüchtlingslagern in Libyen, in den
Haftanstalten oder im Mittelmeer . Es muss doch vielmehr darum gehen, wie wir ihr Leid lindern und Stabilisierung in Libyen erreichen können .
({5})
An dieser Stelle muss man sagen: Da hilft Ihre Abschottungs- und Abschreckungspolitik nicht . Sie verbessert
weder die Situation in Libyen, noch hilft sie den Flüchtlingen . Sie müssen stattdessen humanitäre und sicherheitspolitisch verantwortungsvolle Antworten für die
Menschen in Libyen und für die Flüchtlinge in Libyen
auf den Weg bringen .
({6})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU spricht jetzt der
Kollege Jürgen Hardt .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Neufassung des deutschen Bundeswehrmandats für
EUNAVFOR MED ist in erster Linie notwendig, weil es
eine neue UN-Resolution gibt, die ein wirkungsvolleres
Vorgehen gegen Waffenschmuggel Richtung Libyen zulässt . Es soll zukünftig möglich sein, Schiffe nicht mehr
nur mit Einwilligung des sogenannten Flaggenstaates,
also des Landes, dessen Flagge dort gehisst ist, zu kontrollieren . Schiffe sollen auch gegen den Willen des sogenannten Flaggenstaates durchsucht werden können . Das
ist natürlich eine andere Herausforderung, weil man im
Zweifel davon ausgehen muss, dass in dem einen oder
anderen Fall auch Widerstand zu brechen ist, wenn man
diese Durchsuchung durchführen will . Die Soldaten der
Bundeswehr sind auf einen solchen Auftrag gut vorbereitet, und sie werden auf einen solchen Auftrag gut vorbereitet; aber das ist schon eine neue Dimension . Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung das Mandat
erneuert .
Das zweite Element, das hinzukommt, ist die Ausbildung von Küstenwachsoldaten auf hoher See . Wir tun
das ausdrücklich nicht in Hoheitsgewässern .
({0})
Zur Klarstellung möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen: Als wir EUNAVFOR MED auf den Weg gebracht haben, hatte das Projekt im Prinzip vier angedachte
Stufen . Stufe 1 war die Aufklärungs- und Seenotrettungsmission . Dann kam die Stufe 2 mit der Überwachung des
Waffenembargos in der leichteren Form . Wir würden eines Tages gern in die Stufe 2b übergehen: Bekämpfung
der Schleuser auch in den Küstengewässern . Aber das,
was jetzt hier beantragt wird, ist eher eine Variante 2a++,
würde ich mal sagen, also die Ausbildungsmission und
die veränderte Bekämpfung des Waffenschmuggels .
Es ist vorhin hier angeklungen, die Seenotrettung sei
quasi eine Aufgabe nebenbei . Ich möchte ganz klipp und
klar sagen: Für jeden Seemann, auch für die Deutsche
Marine, ist das Retten aus Seenot eine der vornehmsten und edelsten Aufgaben . Dass nahezu 16 000 schiffbrüchige Flüchtlinge auf diese Weise geborgen werden
konnten, ist ein eindeutiger Beweis dafür, dass es mehr
als nur eine Nebenaufgabe ist; was die tägliche Arbeit
angeht, steht das sicherlich im Mittelpunkt . Das ist auch
gut so . Dafür verdienen der Einsatz und die Soldaten, die
ihn leisten, unsere volle Anerkennung .
({1})
Die Bekämpfung des Waffenschmuggels Richtung
Libyen ist eine enorm wichtige Aufgabe . Herr Kobler
schätzt, dass es in Libyen dreimal so viel Waffen wie
Menschen gibt,
({2})
also dass dieses Land quasi bis an die Zähne gerüstet ist,
dass rund 300 Kilometer der Küste in der Hand des IS
sind . Eine Befriedung des Landes in irgendeiner Weise
setzt natürlich voraus, dass wir verhindern, dass Waffen und Munition dort ankommen . Das ist eine enorm
schwierige Aufgabe . Wir machen uns auch keine Illusion
darüber, dass EUNAFVOR MED die Situation maßgeblich oder grundlegend ändern kann . Aber wir glauben,
dass es ein wichtiger, ein notwendiger Beitrag ist .
Auch die Bekämpfung des Schlepperunwesens ist bei
EUNAFVOR MED gut aufgehoben . Es hat immerhin
71 Überstellungen von Menschenschmugglern gegeben,
ich glaube, überwiegend an die italienischen Behörden .
Weit über 100 Schmugglerboote konnten unbrauchbar
gemacht werden, sodass sie weder eine Behinderung für
die Seewege darstellen noch für weitere Schlepperaktionen zur Verfügung stehen . Von daher ist das ein richtiger
und wichtiger Einsatz .
Es ist hier angeklungen, wir müssten mehr an Land
tun . Ja, das stimmt . Auch ich bin der Meinung, dass wir
die gegenwärtig sich etablierende Regierung in Tripolis
unterstützen müssen . Der Bundesaußenminister hat Finanzmittel zugesagt . Insgesamt haben wir die Finanzmittel für die Entwicklungshilfe und für die humanitäre Soforthilfe in einer Art und Weise aufgestockt - insgesamt
rund 1,5 Milliarden Euro beträgt allein die Steigerung für
beide zusammen, die wir beschlossen haben -, dass man
nun wirklich nicht sagen kann, dass Deutschland dort ein
erhebliches Defizit hat.
Ich würde mir aber wünschen, dass wir über diese Mission, über die Zusammenarbeit der Völkergemeinschaft
und auch über die Auflösung des Konfliktes zwischen der
Regierung in Tripolis und denjenigen, die in Tobruk sitzen und andere Vorstellungen über die Entwicklung des
Landes haben, zu einer Annäherung kommen und dass es
uns dann Schritt für Schritt gelingt, auf dem langen und
mühsamen Weg der Befriedung Libyens voranzukommen . Dadurch könnten wir eines der größten außenpolitischen Probleme lösen, die wir gegenwärtig haben .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Sophia heißt sie .
Am 24 . August 2015 hat sie das Licht der Welt erblickt .
Sie wirkt wie jedes Kind ein wenig zerknittert, ist aber in
Sicherheit; denn Sophia wurde auf der Fregatte „Schleswig-Holstein“ geboren . Mit dem Namen Sophia steht im
wahrsten Sinne des Wortes, wie es der griechische Name
sagt, die Tugend im Mittelpunkt; denn ein Stabsarzt und
ein Obermaat halfen der somalischen Mutter bei der
Entbindung auf hoher See . Für dieses kleine Menschlein ist die Welt noch recht übersichtlich . Doch sie hat
im Moment ihrer Geburt bereits mehr erlebt als viele
andere Menschen . Sie trägt die Hoffnung und die Angst
von Hunderttausenden auf den Schultern, die nach dem
Sehnsuchtsort Europa fliehen, diesem Sehnsuchtsort,
dem gestern unsere britischen Nachbarn die kalte Schulter gezeigt haben . Sie wird in eine Welt geboren, die, wie
es unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagt,
aus den Fugen geraten ist .
Sophia gab der Operation, die wir heute beraten, ihren Namen, und sie wird sich irgendwann einmal fragen:
Was war da los? Was war das für eine Welt, in der meine
Mutter unser Leben aufs Spiel gesetzt hat? Wer waren
diese Menschen, die uns geholfen haben? Warum wollten
andere Menschen nicht helfen? Ich sage Ihnen ganz klar,
meine Damen und Herren: Ich möchte eines Tages nicht
zu denen gehören, die ihre Augen verschlossen oder mit
Zynismus reagiert haben . Ich will zu denen gehören, die
sich den Herausforderungen unserer Zeit stellen, die nicht
abwarten und Tee trinken, sondern tatsächlich handeln .
({0})
Zu diesen Herausforderungen gehören nun einmal flächendeckender Terror, Waffenschmuggel, Menschenhandel, fragile Staaten, durchgeknallte mordende Gewalttäter .
Ich bin froh, dass wir Soldatinnen und Soldaten haben, die hier ganz konkret etwas tun, und ich meine
damit nicht nur die zuvor zitierte Geburtshilfe . Sie kontrollieren im Mittelmeer das VN-Waffenembargo gegenüber Libyen, sie bilden die libysche Küstenwache aus,
sie versuchen, den Menschenschmuggel zu bekämpfen .
Im Detail haben das meine Vorredner bereits genau beschrieben . Diese Frauen und Männer in Uniform, so sehe
ich es zumindest, stehen für mich für die Guten unserer
Gesellschaft, denen es eben nicht reicht, empört auf die
Politik zu zeigen und wegzuschauen, sondern die tatsächlich etwas tun . Dafür herzlichen Dank!
({1})
Es ist nun einmal eine Tatsache: Libyen ist ein tief
gespaltenes Bürgerkriegsland . Es ist in Regionen zerfallen und geprägt von islamischen und säkularen Milizen .
Die Einheitsregierung kann kaum Löhne zahlen und tut
sich schwer, in der Bevölkerung überhaupt Vertrauen
zu schaffen . Rund 1 Million Flüchtlinge sind im Land,
von denen 100 000 bis 200 000 nach Italien oder nach
Ägypten wollen . Der Kampf gegen den IS ist im vollen
Gange . Da kann man nicht wegsehen . Man muss Einhalt
gebieten .
Natürlich wird auch der Einsatz EUNAVFOR MED
Operation Sophia diese Probleme nicht lösen; da bin ich
nicht blauäugig . Aber er wird einen konkreten Beitrag
leisten, dass sich der IS dort nicht weiter ausbreitet und
dass Menschenhändler abgeschreckt werden . Wir stocken jetzt die humanitäre Hilfe auf, unterstützen Krankenhäuser . Die zivile Hilfe läuft . Unser Außenminister
kämpft Tag und Nacht auf diplomatischer Ebene . Ich
glaube, die Hilfe greift - zaghaft zwar, aber sie greift . In
kleinen Schritten gewinnt die Regierung der Nationalen
Einheit langsam wieder etwas Handlungsfähigkeit . Es ist
gelungen, einzelne Gebiete zu befreien und Terroristen in
ihrem bisherigen Rückzugsort in Surt anzugreifen .
Es darf deshalb meiner Meinung nach nicht bei dem
heute Beschlossenen bleiben . Wenn wir konsequent bleiben wollen und ganzheitlich denken, könnten wir zum
Beispiel auch Grenzbeamte an Land ausbilden, meinetwegen in Tunesien . In jedem Fall sollten wir jetzt nicht
stehen bleiben .
Der kleinen Sophia wird das alles herzlich wenig helfen . Ihr wird es im Augenblick auch egal sein . Ihre Welt
besteht voller Hoffnung, nämlich der auf ein gutes Leben, und das Beste hat sie noch vor sich . Sie war mit ihren 3 000 Gramm und 49 Zentimetern nicht die Kräftigste, aber sie wird, so hoffe ich, in einer Welt groß werden,
in der Einsätze wie EUNAVOR MED Operation Sophia
nicht mehr nötig sein werden . Das, glaube ich, sind wir
Sophia schuldig . Das sind wir unseren eigenen Kindern
schuldig . Das sind wir uns selbst schuldig .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Der Kollege Florian Hahn, CDU/
CSU-Fraktion, ist jetzt der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Mission Sophia wird öffentlich vor allem durch die
Erfolge bei der Seenotrettung wahrgenommen . Sie soll
aber in erster Linie der Bekämpfung der Schleuseraktivitäten im Mittelmeer dienen durch Aufklärung, aber
gegebenenfalls auch mit robusten Mitteln . Jetzt erweitern wir, auch autorisiert durch ein einstimmiges Votum
des UN-Sicherheitsrates - immerhin sind Russland und
Ägypten mit dabei; das wurde schon gesagt -, das Mandat um die Durchsetzung des VN-Waffenembargos sowie
um die Hilfe bei Ausstattung und Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine . Wir entwickeln damit
den Einsatz sinnvoll weiter .
Seenotrettung ist moralische und völkerrechtliche
Pflicht. Wir werden sie weiter leisten. Aber wir alle wissen auch: Die Rettung der Menschen ist eng verknüpft
mit der Schleuserproblematik . Wir dürfen mit der Operation Sophia nicht integraler Teil des kriminellen Systems
der Schleusungen werden . Daher ist die gleichzeitige
Bekämpfung der organisierten Kriminalität so wichtig .
Zum einen sammelt die Operation Informationen über
Migrationsnetzwerke, zum anderen darf sie bei Verdacht
auf Menschenschmuggel Schiffe völkerrechtskonform
auf hoher See anhalten, durchsuchen, beschlagnahmen
und umleiten .
Unser langfristiges Ziel ist die Stabilisierung Libyens .
Nur ein funktionierender libyscher Staat kann eigenverantwortlich Küstenschutz, Flüchtlingsversorgung und
Kriminalitätsbekämpfung betreiben . Mit der Etablierung
der Einheitsregierung gibt es erstmals vorsichtige Perspektiven für eine Verbesserung der Lage . Wir müssen
diese fragile Regierung in jeder Hinsicht unterstützen .
Neben der Unterbindung der Waffenlieferungen an
Aufständische und Terroristen müssen wir beim Aufbau
eigener Sicherheitskräfte helfen, beginnend mit Marine
und Küstenwache . Wie beim UNIFIL-Mandat im Libanon, wo es auch um Kampf gegen Waffenschmuggel und
den Aufbau der Marine geht, müssen wir in langen Zeithorizonten denken . Die Qualitätsverbesserung bei der libanesischen Marine zeigt aber auch: Am Ende zahlt sich
solides, stetiges Arbeiten aus . Bei Sophia wird zunächst
wohl an Bord ausgebildet, Stichwort „schwimmendes
Klassenzimmer“ .
Das bringt mich zur allgemeinen Situation unserer
Marine . Die Marine hat bei Sophia bislang Großartiges
geleistet; darüber haben wir schon gesprochen . Die Rahmenbedingungen sind nicht einfach: Kriegsschiffe sind
für die Seenotrettung nicht optimiert; körperliche und
psychische Belastungen der Mannschaft sind enorm . Für
ihren aufopferungsvollen Einsatz möchte ich den Soldatinnen und Soldaten daher meinen Dank aussprechen .
Lassen Sie mich aber außerdem auf eines hinweisen:
Die Marine ist zurzeit in einer ganzen Reihe von Einsätzen gefordert . Sie musste als kleinste Teilstreitkraft
große Einsparungen hinnehmen . Andererseits wird sie in
NATO- und EU-Missionen so beansprucht wie nie . Bei
überdurchschnittlicher Verwendung operiert sie längst
an ihrer Belastungsgrenze . Die geplante Ausbildung libyscher Marineangehöriger auf deutschen Schiffen ist
daher ein zusätzlicher Kraftaufwand . Gleichzeitig führten Engpässe, auch bei den Verbündeten, zu einer Art
Verschiebebahnhof im Mittelmeer . Die Fregatte „Karlsruhe“ wurde im direkten Anschluss Richtung Ägäis gesteuert . Ich begrüße daher den Vorstoß der Kanzlerin, die
Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben bei den
anstehenden Haushaltsberatungen noch einmal anzusprechen . Die getroffenen Entscheidungen bei Haushalt,
Personal und Rüstungsinvestitionen sind aber nur ein erster von vielen notwendigen Schritten .
Meine Damen und Herren, die Erweiterung von
EUNAVOR MED ist richtig und konsequent .
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und am
Sonntag ein gutes Spiel .
({0})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 18/8878 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit
einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, 28 . Juni 2016, 10 .30 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein
angenehmes Wochenende .