Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/22/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Grüß Gott! Die Sitzung ist eröffnet . Vor Eintritt in die Tagesordnung dieser 178 . Sitzung des Deutschen Bundestages darf ich folgende amtliche Mitteilung verlesen: Interfraktionell ist vereinbart worden, die Unterrichtung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates auf der Drucksache 18/8840 zu dem bereits überwiesenen Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Richtlinien 2015/566 und 2015/565 zur Einfuhr und zur Kodierung menschlicher Gewebe und Gewebezubereitungen an den federführenden Ausschuss für Gesundheit sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung zu überweisen . Des Weiteren sollen die Mitberatungen des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem bereits überwiesenen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auf der Drucksache 18/8273 aufgehoben werden . Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist das so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus Drucksache 18/8824, 18/8881 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen . Wir kommen daher gleich zur Überweisung . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/8824 und 18/8881 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Bevor wir zur Befragung der Bundesregierung kommen, habe ich eine Bitte an die Parlamentarischen Geschäftsführer: Wenn Sie uns die Namen der Fragesteller vorab geben könnten, dann können wir unverzüglich mit den Fragen beginnen . Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung für die Siebte Überprüfungstagung zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit im März/April 2017. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Frau Dr . Barbara Hendricks . Frau Ministerin, Sie haben das Wort .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den Bericht für die Siebte Überprüfungstagung zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit beschlossen, die im März/April 2017 in Wien stattfinden wird. Die nukleare Sicherheit ist eine zentrale Aufgabe, die auch nicht dadurch geschmälert wird, dass Deutschland bis 2022 aus der Nutzung der Kernenergie aussteigt . Die Sicherheit der Atomkraftwerke muss bis zum letzten Betriebstag und auch anschließend bei der Stilllegung und beim Rückbau vollständig gewährleistet bleiben . Die Sicherheit der Nuklearanlagen steht auch im Zentrum des Übereinkommens . Es handelt sich um einen wichtigen Vertrag, der in den 1990er-Jahren unter maßgeblicher Beteiligung der damaligen Bundesregierung zustande gekommen ist . Die Vertragsstaaten verpflichten sich darin zur Erfüllung eines international hohen Standards der nuklearen Sicherheit von Kernanlagen sowohl durch innerstaatliche Maßnahmen wie auch durch internationale Zusammenarbeit, zur Schaffung und Beibehaltung wirksamer Abwehrvorkehrungen in Kernanlagen gegen mögliche radiologische Gefahren und zur Verhütung von Unfällen mit radiologischen Folgen bzw . zur Milderung dieser Folgen . Dem Übereinkommen gehören gegenwärtig 78 Vertragsparteien an, die alle drei Jahre einen nationalen Bericht für die Überprüfungskonferenz vorlegen sollen . Eine Reihe von Vertragsstaaten hat das im Jahr 2014 nicht getan und auch nicht an der Konferenz teilgenommen . Wir sind überzeugt, dass die Vertragsziele viel zur internationalen Sicherheit beitragen können . Deshalb unterstützt Deutschland die kanadische Präsidentschaft dabei, diese Vertragsstaaten von der Notwendigkeit einer aktiven Mitarbeit zu überzeugen . Darüber hinaus ist es aus deutscher Sicht notwendig, weitere Staaten, die bislang keine Vertragsstaaten sind, in den Überprüfungsprozess einzubinden . Deutschland wird alle Bemühungen in diese Richtung unterstützen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Wiener Deklaration zum Übereinkommen hat die internationale Staatengemeinschaft ein weiteres Signal zur Verbesserung der Sicherheit in Atomkraftwerken nach den Reaktorunfällen in Fukushima gesetzt . Danach sollen in zahlreichen anderen Staaten Kernanlagen sicherheitstechnisch nachgerüstet werden . Ob dies tatsächlich geschieht, liegt in der souveränen Entscheidung des Betreiberstaates bzw . der jeweiligen atomrechtlichen Aufsichtsbehörden . Hier hätte sich Deutschland ganz klar rechtsverbindlichere Regelungen gewünscht . Das ist aber leider am Widerstand einiger Betreiberstaaten gescheitert . Immerhin wird ein gewisser Druck durch die so erweiterten Berichtspflichten ausgeübt, und man wird aus den nationalen Berichten ersehen, ob Verbesserungen vorgenommen werden . Wir werden die Berichte der anderen Vertragsstaaten, insbesondere die unserer Nachbarn mit Atomkraftwerken, auswerten . Die Überprüfungstagung vom 27 . März bis zum 7 . April 2017 in Wien gibt dann den Rahmen, um alle kritischen Fragen zur nuklearen Sicherheit zu stellen . Mit dem nationalen Bericht stellen wir fest, dass die Bundesrepublik Deutschland alle Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über nukleare Sicherheit erfüllt . Deutschland bleibt darüber hinaus Ansprechpartner in allen Sicherheitsfragen und wird sich auch zukünftig aktiv für Sicherheitsverbesserungen in den Staaten einsetzen, die weiter an der Atomenergie festhalten . Wir werden insbesondere die Sicherheit der Kernanlagen in unseren Nachbarstaaten weiter kritisch hinterfragen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der nationale Bericht wird jetzt in englischer Sprache bei der IAEO hinterlegt . Alle Vertragsstaaten haben die Möglichkeit, Fragen zum Bericht zu stellen, die wir dann beantworten werden . Umgekehrt können wir auch Fragen zu den übrigen nationalen Berichten stellen . Das Ziel dieses Verfahrens sind eine transparente Bewertung der nationalen Berichte durch andere sowie das gemeinsame Lernen aus den Erfahrungen der anderen . Außerdem werden wir den Bericht noch heute an die Ausschüsse für Umwelt und Bau des Deutschen Bundestages sowie des Bundesrates versenden . Abschließend möchte ich allen danken, die an der Erstellung des Berichtes beteiligt waren . Das sind das Bundesamt für Strahlenschutz, die Bundesländer mit Kernanlagen, die Genehmigungsinhaber, die beteiligten Bundesressorts und das Bundeskanzleramt . Herzlichen Dank .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Frau Bundesministerin . - Mir liegen jetzt bereits einige Fragen vor, die sich mit dem Themenbereich beschäftigen, über den Frau Bundesministerin soeben berichtet hat . Als Erstes erteile ich dem Kollegen Hubertus Zdebel von den Linken das Wort für eine Frage .

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident . - Frau Ministerin, meine Frage bezieht sich auf den Themenkomplex AVR Jülich . Ich beziehe mich auf den Bericht für die Überprüfungstagung 2014, in dem der Standort AVR Jülich im Anhang 1-2 als Kernkraftwerk in Stilllegung klassifiziert ist. Meine Frage lautet, ob das im neuen Bericht immer noch so ist; denn da stellen sich natürlich Fragen bezüglich des Exports der Brennelemente in die USA . Darüber wird ja immer noch verhandelt, obwohl das nach dem Atomgesetz gar nicht zulässig wäre, wenn es sich um ein Kernkraftwerk handelte und nicht um einen Forschungsreaktor .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ich stimme Ihnen zu: Wenn es sich um Brennelemente aus einem Kernkraftwerk handelte, dann können wir diese gemäß Atomgesetz nicht exportieren; das ist vollkommen richtig . Die Position meines Hauses ist, dass wir Exporte vermeiden wollen . Dies ist noch nicht die Position der Bundesregierung . Ich bin aber zuversichtlich, dass wir eine gute, alternative Lösung im Inland finden werden.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die nächste Frage stellt Kollegin Sylvia Kotting-Uhl vom Bündnis 90/Die Grünen .

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, ich möchte anschließen an Ihre Aussage - Zitat -: „Die Sicherheit … muss bis zum letzten Betriebstag … gewährleistet bleiben .“ Sie stimmen wahrscheinlich mit mir überein - zumindest was die belgischen Atomkraftwerke betrifft -, dass es an unseren Grenzen Atomkraftwerke gibt, auf die sich die Frage nach der Sicherheit stärker bezieht als auf Atomkraftwerke bei uns in Deutschland . Wir haben das Paradoxon: Auf der einen Seite steht die souveräne Entscheidung des Betreiberstaates über allem Sie haben es eben angesprochen -, auf der anderen Seite wissen wir alle, dass Strahlung und Risiko an Landesgrenzen nicht haltmachen . Meine Frage lautet: Wann wird sich die Bundesregierung aus dieser Erkenntnis heraus endlich dafür einsetzen, zum Beispiel bei der nächsten Tagung im Jahr 2017, dass zumindest die von einem GAU direkt beBundesministerin Dr. Barbara Hendricks troffenen Nachbarländer ein Mitspracherecht in Bezug auf die Sicherheitsanforderungen von grenznahen Atomkraftwerken bekommen? Man könnte das zum Beispiel über Euratom installieren . Wird sich die Bundesregierung für eine solche Regelung starkmachen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, ich hatte eben gesagt, dass wir zunächst die Berichte der Länder mit Atomenergieanlagen, insbesondere die Berichte unserer Nachbarländer, besonders sorgfältig prüfen werden . Wenn das Ergebnis der Prüfung einen Anhaltspunkt ergibt, genau in dieser Richtung auf der Konferenz in Wien voranzuschreiten, dann werden wir dies tun . Im Übrigen haben wir mittlerweile Wege der Zusammenarbeit mit Belgien gefunden, die es bisher so nicht gab . Im Ergebnis ist das alles aber noch nicht befriedigend; da sind wir uns sicherlich einig .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die nächste Frage stellt die Kollegin Inge Höger von der Fraktion Die Linke .

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Unsicherheit geht nicht nur von Atomkraftwerken aus, sondern auch von den nach wie vor in Deutschland gelagerten Atomwaffen in Büchel . Diese sollen jetzt sogar modernisiert werden . Wie steht die Bundesregierung dazu?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, dazu kann ich keine Aussage treffen, weil das nicht in meinem Verantwortungsbereich liegt . Der Kollege Brauksiepe aus dem Bundesverteidigungsministerium wäre vielleicht in der Lage, darauf eine Antwort zu geben .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Möchte Herr Staatssekretär Brauksiepe für die Bundesregierung spontan eine Antwort auf diese Frage geben?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Er muss nicht; das ist klar .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort .

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Präsident, es ist wohlgeübte Praxis der Bundesregierung, darüber nicht öffentlich Auskunft zu geben, und diese bewährte Praxis wird auch fortgeführt werden . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit ist eine Antwort auf die Frage gegeben worden . - Die nächste Frage stellt der Kollege Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, die Kollegin Kotting-Uhl hat die grenznahen AKWs schon angesprochen . Das Problem betrifft mehrere Staaten, nicht nur Belgien, aber ich möchte konkret nach Belgien fragen . Sie haben ein Atomabkommen mit Belgien in Aussicht gestellt . Sie haben eben davon gesprochen, es gebe eine Zusammenarbeit, die aber noch unbefriedigend sei; so habe ich Sie jedenfalls verstanden . Meine Frage lautet: Sind Sie in konkreten Verhandlungen mit Belgien über ein Sicherheitsabkommen mit Deutschland, und wenn ja, wann können wir mit einem solchen Abkommen rechnen, und welche Inhalte wird ein solches Abkommen haben?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Krischer, auf Basis der Beratungen der Reaktor-Sicherheitskommission und der Bewertungen der Experten des Bundesumweltministeriums hatte ich die belgische Regierung gebeten, bis zur abschließenden Klärung von noch notwendigen weiter gehenden Untersuchungen die Reaktorblöcke Tihange 2 und Doel 3 vorübergehend stillzulegen . Bei einem bilateralen Gespräch, das auf meine Initiative hin zwischen dem BMUB und der Atombehörde FANC am 5 . und 6 . April 2016 stattfand, haben sowohl die deutschen als auch die belgischen Experten weiteren Untersuchungsbedarf festgestellt . Erste Vorschläge für ein weiteres Untersuchungsprogramm wurden von belgischer Seite bereits erarbeitet . Das Bundesumweltministerium begrüßt die Initiative und ist bereit, das Untersuchungsprogramm gemeinsam mit den belgischen Experten auf internationaler Ebene zu begleiten . Dies haben meine Experten gegenüber der zuständigen Atombehörde in Belgien kommuniziert . Ich halte es weiterhin für richtig, die Anlagen vorübergehend vom Netz zu nehmen, jedenfalls so lange, bis die weiteren Untersuchungen abgeschlossen sind . Ich habe mich mit dem belgischen Innenminister Jambon auf den baldigen Abschluss eines bilateralen Nuklearabkommens, welches Sie ansprechen, Herr Kollege Krischer, geeinigt . Dieses Abkommen wird eine bilaterale Nuklearkommission vorsehen, keine gemeinsame Sicherheitspolitik, sondern eine bilaterale Nuklearkommission, wie wir sie mit allen anderen Nachbarländern, in denen es AKWs gibt, schon gebildet haben . In diesem Rahmen sollen regelmäßig Gespräche über Themen der Reaktorsicherheit stattfinden. Die Arbeiten an diesem Abkommen schreiten voran . Ich bin allerdings heute nicht in der Lage, zu sagen, wann wir damit fertig sein werden . Wir bemühen uns um einen raschen Abschluss .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Hubertus Zdebel von der Fraktion Die Linke stellt die nächste Frage .

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident . - Frau Ministerin, ich habe eine Nachfrage zum Einsatz von sogenannten MOX-Brennelementen, also von Plutonium-Uran-Mischbrennelementen . Ich beziehe mich auf den Bericht von März/April 2014, in dem in groben Eckdaten die Genehmigungssituation für den Einsatz dieser MOX-Brennelemente beschrieben wird . Danach wurde der Einsatz von MOX-Brennelementen in sieben der noch in Betrieb befindlichen Reaktoren genehmigt. Angaben zum tatsächlichen Einsatz und der Anzahl der MOX-Brennelemente fehlten allerdings völlig . Meine Frage an Sie lautet: Werden in dem neuen Bericht bessere Angaben dazu gemacht, und können Sie, Frau Ministerin, sagen, wie sich der Einsatz von MOX-Brennelementen in den verbliebenen Reaktoren seitdem entwickelt hat und ob dem Bericht zu entnehmen sein wird, wann der Einsatz von MOX-Brennelementen in den Reaktoren abgeschlossen sein wird?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, das kann ich im Moment nicht beantworten . Ich werde Ihnen die Antwort aber gerne schriftlich nachreichen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die nächste Frage stellt die Kollegin Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen .

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch wenn Staatssekretär Brauksiepe jetzt nichts zu Atomwaffen sagen will, stellt sich natürlich die Frage, ob auf der Überprüfungskonferenz im nächsten Jahr auch die Gefährdungen durch militärische Nutzungen der Nuklearenergie auf der Tagesordnung stehen . Es geht ja nicht nur um moderne Waffen wie in Büchel, sondern auch um die ganz erhebliche Gefahr durch Proliferation von Altlasten . Deswegen frage ich mich, ob das auf dieser Überprüfungskonferenz zumindest Thema sein wird .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Nein, dies wird nicht Thema auf der Überprüfungskonferenz sein, weil auf dieser Überprüfungskonferenz die kommerzielle Nutzung von Kernenergie im Vordergrund stehen wird .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege OIiver Krischer stellt die nächste Frage für Bündnis 90/Die Grünen .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, vor einigen Tagen waren 60 Landräte, Bürgermeister und Oberbürgermeister in Brüssel, um einen Fragen- und Forderungskatalog bezüglich des Betriebs von Tihange 2 und Doel 3 an den Präsidenten des Europäischen Parlaments und eine Reihe von Europaabgeordneten zu übergeben . Es wurden Fragen und Forderungen an die Europäische Kommission formuliert, auch mit Blick auf Klagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz . Meine Frage an Sie lautet: Ist die Bundesregierung bereit, die Kommunen, die sich gegen den Weiterbetrieb dieser Reaktoren aussprechen und dabei viel Know-how und finanzielles Engagement aufbringen, zu unterstützen und insbesondere die Befriedigung ihres Informationsbedürfnisses mit Mitteln der Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission durchzusetzen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Die Bundesregierung hat selbstverständlich großes Verständnis dafür, dass die Menschen in der Region Aachen - sei es auf deutscher, belgischer, niederländischer oder luxemburgischer Seite - ein Informationsbedürfnis haben . Dieses wird bisher nicht befriedigt . Das liegt auf der Hand . Wir sind gerne bereit, mit unseren Möglichkeiten bilateral - im Verhältnis zu Belgien -, aber auch gegenüber der Europäischen Union darauf hinzuwirken, dass der Befriedigung dieses Informationsbedürfnisses möglichst nachgekommen wird . Wir sehen das auch so . Sofern Fragen von uns zu beantworten sind, werden wir das natürlich gern tun .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Höger, Sie möchten eine weitere Frage stellen .

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Bundesministerin, ich habe eine Frage zum Thema Nuklearterrorismus . Dazu stand im Bericht von 2014 geschrieben, dass Sie Vorkehrungen gegen Sicherheitsstörungen in einem separaten Sicherheitsbericht zusammenstellen, der vertraulich ist . Unabhängig davon lautet die Frage: Wird das Thema bei der nuklearen Überprüfungskonferenz sein, und welche Vorkehrungen hat die Bundesregierung da getroffen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, das wird Thema sein, weil es sich auf die kommerzielle Nutzung von Atomenergie bezieht . Aber es wird vertraulich behandelt werden . Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich in der Öffentlichkeit nicht über die Vorkehrungen sprechen kann, die die Bundesregierung getroffen hat .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie wollten noch eine Frage stellen .

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich muss noch einmal auf die grenznahen Atomkraftwerke zurückkommen . Wir haben es nicht nur mit Auffälligkeiten oder Löchern im Herzen des Reaktors, wie ich es gern nenne, in Belgien, sondern auch mit dem Problem der Überalterung der Atomkraftwerke in Europa und vor allem an unseren Grenzen zu tun . Ich nenne nur das AKW in Beznau, das dienstälteste der Welt, oder das AKW Fessenheim direkt an der Grenze zu Baden-Württemberg, das älteste Frankreichs, als Beispiele . Hat die Bundesregierung denn vor, auf der nächsten Konferenz 2017 wenigstens die Notwendigkeit für ein strengeres Regelwerk für überalterte Atomkraftwerke deutlich zu machen, oder hat die Bundesregierung bzw . haben Sie vielleicht sogar vor - das würde mir noch besser gefallen -, mit einem konkreten Vorschlag im CNS-Bericht auf der nächsten Tagung aufzutreten?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, wir sehen die Verlängerung der Laufzeiten älterer Atomkraftwerke auch mit Sorge . Als Erstes versuchen wir, mindestens eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung durchzusetzen, sofern Verlängerungen vorgenommen werden . Dies ist bisher fakultativ; das Recht ist nicht eindeutig . Es ist nicht zwingend . Wir haben diesen Wunsch durchaus als Forderung formuliert - auch gegenüber unseren Nachbarn -, sofern es um Laufzeitverlängerungen bei bestehenden AKWs geht . Bisher sind unsere Nachbarn uns dabei nicht entgegengekommen, aber das ist einer der Punkte, den wir auf der Konferenz in Wien voranbringen wollen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Zdebel, Sie hatten noch eine Frage .

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident . - Frau Ministerin, ich habe eine Nachfrage zum Thema Zwischenlagerung . In dem Bericht von 2014, den ich schon mehrere Male erwähnt habe, war nur eine kurze Notiz auf Seite 179 über die Genehmigungssituation der Zwischenlager zu lesen, ohne dass Details genannt worden sind . Wird das in dem neuen Bericht anders sein? Ich frage insbesondere vor dem Hintergrund der Situation im AVR-Lager in Jülich und der aufgehobenen Genehmigung für das Zwischenlager in Brunsbüttel . Beide Zwischenlager verfügen derzeit nicht mehr über die erforderlichen atomrechtlichen Genehmigungen, sondern werden nur noch geduldet . Werden Sie darauf in Ihrem neuen Bericht ausführlicher eingehen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ja, wir gehen darauf ausführlicher ein . Wir haben natürlich genauso wie Sie auch zur Kenntnis genommen, dass insbesondere Brunsbüttel nur noch eine vorübergehende Genehmigung hat, die tatsächlich im Wege der Ersatzvornahme - so will ich es bezeichnen - durch den zuständigen Landesminister erteilt worden ist . Selbstverständlich sind wir uns dieser Tatsache bewusst . ({0}) - Was Jülich anbelangt, so sind wir mit dem Land Nordrhein-Westfalen im Gespräch . Da geht es um die Frage: Wohin werden die Kernbrennstäbe verbracht? Das ist noch nicht endgültig geklärt, aber auf gutem Weg . Es geht insbesondere auch um die Frage: Auf welche Art und Weise wird der dafür notwendige Transport am besten durchgeführt? Das ist ja eine Frage, die von großem Interesse ist . Nach meinem Kenntnisstand ist aus Sicht der Landesregierung nicht vorgesehen, ein eigenes Zwischenlager am Standort in Jülich zu errichten . Ich weiß, dass es dazu unterschiedliche politische Auffassungen im Land Nordrhein-Westfalen gibt . Ich weise allerdings darauf hin, dass Jülich durchaus in einem erdbebengefährdeten Gebiet liegt, sodass man genau genommen den Forschungsreaktor dort schon gar nicht hätte errichten dürfen . Infolgedessen muss man dafür sorgen, dass die Kernbrennstäbe so zügig, aber natürlich auch so sicher wie möglich an einen anderen Ort verbracht werden .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie werden die nächste Frage stellen .

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Frau Ministerin, da sich die Umweltministerkonferenz gerade wieder mit Gronau und Lingen befasst hat, möchte ich Ihnen dazu gerne eine Frage stellen . Im CNS-Bericht von 2014 - als er erstellt wurde, waren Sie noch nicht Ministerin - wird lediglich die Existenz dieser beiden Atomfabriken, also der Urananreicherungsanlage und der Brennelementefabrik, festgestellt . Ich fand das schon damals etwas verwunderlich, weil es einen Bundesratsbeschluss gab, aus dem hervorging, dass man ein Konzept für ein rechtssicheres Ende dieser beiden Anlagen vorlegen sollte . Inzwischen ist dies von verschiedenen Seiten immer wieder gefordert worden . Wie wollen Sie in dem neuen CNS-Bericht mit der Existenz dieser Anlage und den vielen Forderungen, sie zu einem rechtssicheren Ende zu führen, umgehen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Selbstverständlich sind die beiden Anlagen Teil unserer Berichterstattung . Es ist klar, dass wir zu allem, was relevant ist, Bericht erstatten werden . Es gibt allerdings auf der Ebene des Bundes nicht die Absicht, dort zu einem Ende zu kommen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Volker Beck wird die nächste Frage stellen . ({0}) - Okay . - Dann ist der Kollege Krischer mit der nächsten Frage dran .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, ich möchte noch einmal auf das Thema grenznahe AKWs zurückkommen und insbesondere auf einen Bericht, der vor einigen Wochen Aufmerksamkeit erregt hat . Dort stand, dass es in der EU-Kommission Überlegungen betreffend Neubau und Förderung von Atomkraftwerken gibt. Dort war auch ein Passus zu finden, dass die nächste grundsätzliche Sicherheitsüberprüfung in Form eines Stresstests erst im Jahr 2025 stattfinden soll. Dieser Zeitpunkt liegt in deutlicher Ferne und ist sicherlich nicht mit der Problematik der Reaktoren in Einklang zu bringen . Deshalb lautet meine Frage an Sie: Sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, dass Stresstests und Sicherheitsüberprüfungen - auch im Hinblick auf die Reaktoren in Belgien, die Risse aufweisen - grundsätzlich deutlich früher stattfinden, und zwar generell, also nicht nur für diese Reaktoren, sondern für alle in Europa laufenden Atomkraftwerke, und wenn ja, welche konkreten Schritte unternehmen Sie?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, zunächst einmal: Die Unterlage, auf die Sie sich beziehen, war eine nicht abgestimmte Vorlage aus dem Bereich der Kommission . Es war keine abgestimmte Vorlage, die sozusagen schon über den Kommissar, über den Rat oder ähnliche Wege gelaufen wäre . Anschließend wurde durch die Kommission das, was als besonders kritisch angesehen wurde, nämlich der Vorschlag dieser unautorisierten Stelle, zukünftig europäisches Geld in neue Kernkraftwerke zu stecken, deutlich zurückgewiesen . Es ist einvernehmlich, dass auch Forschung von der Europäischen Union nur insofern mitfinanziert wird, als es sich um Sicherheitsforschung handelt . Atomforschung in engerem Sinn wird nicht mitfinanziert, sondern ausschließlich Sicherheitsforschung. Was die grenznahen AKWs anbelangt, so sind wir, wie ich meine, auf einem guten Weg, da es bald, nachdem wir das auch mit Belgien vereinbart haben, mit allen Nachbarn bilaterale Überprüfungsmechanismen geben wird, also gemeinsame Kommissionen, die sich auf Grundlage von wissenschaftlich basierten Auskünften auf der Ebene von Fachleuten regelmäßig austauschen . Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist . Allerdings haben Sie recht: Stresstests nur alle zehn Jahre sind wahrscheinlich nicht zielführend . Bezogen auf Belgien müssen wir bis jetzt davon ausgehen - jedenfalls gibt es keine anderslautende Aussage -, dass das Land bis zum Jahr 2025 aus der Atomenergie aussteigen will . Dann wäre Belgien beim nächsten Stresstest also nicht mehr dabei .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Zdebel hat für die nächste Frage das Wort .

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident . - Frau Ministerin, auch ich möchte noch einmal kurz auf die Urananreicherungsanlage Gronau zu sprechen kommen, allerdings unter einem anderen Aspekt, nämlich vor dem Hintergrund der möglicherweise anstehenden Verkaufsverhandlungen . Sie wissen ja, dass es da Gespräche gibt, und zwar zwischen Großbritannien, den Niederlanden und den deutschen Firmen, an denen wegen des Vertrages von Almelo natürlich auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist . Wie bewerten Sie das? Wie wir wissen, gibt es Hinweise, dass möglicherweise ein komplett privatisiertes Unternehmen, nämlich Urenco, mit der Urananreicherungsanlage in Gronau, aber auch in Almelo an die Börse gebracht werden soll . Wie schätzen Sie es vor dem Hintergrund der Nonproliferation ein, wenn eine solch hochsensible Technologie sie ist ja nicht nur dazu fähig, Uran für Atomkraftwerke anzureichern, sondern mit ein paar Umdrehungen mehr wäre man durchaus auch in der Lage, Uran zumindest für eine schmutzige Atombombe zu produzieren - an ein börsennotiertes Unternehmen gehen würde?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Sie haben vollkommen recht: Es handelt sich nicht um ein ganz normales und übliches Unternehmen . Deswegen wird die Bundesregierung ihre Rechte nicht aufgeben, und deswegen wird die Bundesregierung Sicherheitsaspekte immer beachten .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Höger, Sie haben als nächste Kollegin das Fragerecht .

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin Hendricks, ich möchte auf die Pannenreaktoren in Belgien zurückkommen . Sie sagten, Sie führen Sicherheitsüberprüfungen durch und Sie seien auf einem guten Weg . Es gibt ja nun die Forderung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens und der anliegenden Gemeinden nach sofortiger Stilllegung bzw . Nicht-wieder-Inbetriebnahme, weil die Reaktoren nach einer neuerlichen Inbetriebnahme immer wieder stillgelegt werden müssten . Wie wollen Sie das umsetzen? Bis 2025 ist es ja, auch wenn es eine entsprechende Zusage gibt, noch ein langer Zeitraum .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Sehen Sie, Frau Kollegin: Es handelt sich um zwei AKWs mit insgesamt sieben Kraftwerksblöcken . Zwei von ihnen sind - sagen wir es einmal so - besonders auffällig: Doel 3 und Tihange 2 . Wie Sie wissen, habe ich die belgische Regierung im Namen der Bundesregierung gebeten - unter diplomatischen Gesichtspunkten gebeten, also keine Forderung gestellt -, man möge diese beiden Blöcke mindestens so lange nicht wieder in Betrieb nehmen, bis alle Fragen restlos geklärt sind . Die zwei Reaktorblöcke, die ich genannt habe, haben eine andere Bauart als die übrigen fünf; sie sind zu unterschiedlichen Zeiten errichtet worden . Diese beiden haben die gleiche Bauart, aber eine andere als die übrigen fünf . Es gibt in der Tat eine große Zahl von Rissen im Reaktordruckbehälter . Dabei handelt es sich um feine Haarrisse . Man darf sich das nicht so vorstellen, als seien da dicke Löcher zu sehen . Vielmehr geht es um feine Haarrisse, die im Reaktordruckbehälter allerdings in großer Zahl festgestellt worden sind . Hier brauchen wir in der Tat noch weiter gehende Untersuchungen, weil unsere Fachleute in der Reaktor-Sicherheitskommission, die uns in diesem Zusammenhang wissenschaftlich zur Seite steht, gesagt haben, dass sie nicht ganz sicher seien, ob diese Reaktordruckbehälter unter Nichtnormalbetrieb, also dann, wenn tatsächlich etwas passiert, noch standhalten würden . Für den Normalbetrieb hat auch unsere Reaktor-Sicherheitskommission keine Bedenken . Da man aber natürlich doch damit rechnen muss, dass es irgendwann einmal so etwas wie einen Nichtnormalbetrieb geben könnte, haben wir unsere Bedenken selbstverständlich deutlich gemacht . Meine Einschätzung ist, dass es ganz sinnvoll wäre, die sieben Reaktoren, über die man verfügt, nach und nach stillzulegen; denn wenn man eine Energiepolitik verändern will, dann geht das nicht von heute auf morgen, und es kann eben nicht sinnvoll sein, alle Reaktoren 2025 stillzulegen, während bis dahin keine andere Energiepolitik auf den Weg gebracht wurde . Das kann nicht funktionieren . So ähnlich habe ich das auch in meinem Gespräch in Brüssel Anfang Februar dieses Jahres zum Ausdruck gebracht . Meine belgische Kollegin Umweltministerin hat mir geantwortet, dass wir ja auch nicht gefragt würden, ob wir unsere Kohlekraftwerke länger weiterbetreiben oder nicht . Man hätte hier noch mit der allgemeinen Windrichtung argumentieren können, aber so sehen die Einflussmöglichkeiten manchmal eben aus.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Kotting-Uhl .

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich möchte Sie gerne noch zur Atomhaftung fragen . In den bisherigen CNS-Berichten ist immer nur die Rede davon, wie das bei uns in Deutschland geregelt ist . Man kann sich sicher darüber streiten, ob das bei uns angemessen geregelt ist, aber es ist hier jedenfalls definitiv weit besser geregelt als im Rest der Welt. Deshalb lautet meine Frage: Sind Sie bereit, mit einem konkreten Vorschlag dafür, wie die Atomhaftung besser geregelt werden könnte, auf die nächste CNS-Tagung zu gehen? Wir sind uns spätestens seit Fukushima sicher einig, dass die entsprechenden Regelungen in den verschiedenen Ländern lächerlich bis katastrophal sind .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kotting-Uhl, Sie haben vollkommen recht, dass das im konkreten Fall sicherlich nicht ausreichen kann, und wenn das nicht ausreicht, ist die logische Folge, dass der Staat eintritt . Das heißt, wenn ein Land seine Atomhaftung unzureichend per Gesetz geregelt hat, dann wird der Staat, wenn tatsächlich etwas Schlimmes passiert, im Zweifelsfall haften müssen . Das geschieht zum Beispiel auch in Fukushima . Tepco arbeitet dort zwar weiterhin und versucht, die Folgen dieses GAU zu beseitigen, aber das Unternehmen gehört mittlerweile zu 100 Prozent dem japanischen Staat . Auf diese Weise tritt dort also die Staatshaftung ein . Das ist die logische Folge bei einer unzureichenden Haftung der Betreiber .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Krischer, Sie haben das Wort für die nächste Frage .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, ich habe Sie eben so verstanden, dass Sie sich nicht für deutlich vor 2025 generell stattfindende Stresstests in Europa einsetzen, sondern versuchen, das über bilaterale Vereinbarungen zu erreichen . Das ist sicherlich eine interessante Auskunft . Ich habe noch einmal eine konkrete Frage zu den belgischen AKWs . Anders als Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz unterstützt die Bundesregierung die Klagen der Kommunen gegen den Weiterbetrieb dieser AKWs zu meinem großen Bedauern nicht . Dort sind übrigens nicht nur zwei Blöcke problematisch, nämlich die beiden mit den Rissen, sondern auch die anderen fünf dort sind nicht ganz unproblematisch . Jetzt gibt es einen umfänglichen Fragenkatalog, den die Kommunen erarbeitet haben . Sie haben eben gesagt, dass Sie das alles gut finden und auch unterstützen werden . Weil sich diese Fragen nicht an die belgische Regierung, sondern an die EU-Kommission richten, ist meine ganz konkrete Frage: Ist die Bundesregierung bereit, diese Fragen stellvertretend für die Kommunen auch der EU-Kommission zu stellen, um dann auch substanzielle Antworten zu bekommen?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Diesen Sachverhalt haben wir noch nicht geprüft . Ich gehe allerdings davon aus, dass die EU-Kommission die Fragen auf Wunsch der Kommunen bzw . auf das geäußerte Petitum der Kommunen hin auch beantworten wird . Sollte dies nicht der Fall sein, so bin ich gerne bereit, mit den Möglichkeiten, die wir haben, auf die EU-Kommission zuzugehen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Frau Bundesministerin . - Zu diesem Themenbereich, über den die Bundesregierung berichtet hat, liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor . Die Zeit ist auch schon ziemlich weit fortgeschritten . Es gibt aber noch vier Kolleginnen und Kollegen, die zu weiteren Themen der Kabinettssitzung eine Nachfrage haben . Diese vier Wortmeldungen, die bei mir eingegangen sind, möchte ich gerne auch noch zulassen . - Wir beginnen mit dem Kollegen Harald Ebner .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Herr Präsident . - Frau Ministerin Hendricks, am Freitag findet in Brüssel die vorläufig endgültige Abstimmung über die Zulassungsverlängerung von Glyphosat statt; ein Stichwort, von dem alle schon gehört haben . Die Bundesregierung ist in ihrer Position bekanntlich gespalten: die Union dafür, die SPD dagegen . Ich habe großen Respekt vor Ihrer Haltung, Frau Bundesministerin, wenn ich das an dieser Stelle saBundesministerin Dr. Barbara Hendricks gen darf, dass Sie dem Vorsorgeprinzip die Treue halten . So muss sich die Bundesregierung am Freitag enthalten . Jetzt hat das Magazin Politico letzte Woche berichtet, dass die Bundesregierung den EU-Gesundheitskommissar Andriukaitis am 6 . Juni vertraulich kontaktiert und dazu gedrängt habe, die Neuzulassung für Glyphosat auch ohne ihre Unterstützung voranzutreiben . Das ist ein sehr unglaublicher Vorgang: Ein Mitgliedstaat versagt der Kommission die Zustimmung zu ihrem Vorschlag und bittet gleichzeitig darum, diesen dennoch umzusetzen . Mich interessiert, ob der beschriebene Sachverhalt zutrifft und ob es sich dabei um eine Initiative der gesamten Bundesregierung handelt, also einschließlich der SPD-geführten Ressorts und damit auch des Umweltministeriums .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, zunächst will ich vorwegschicken: Das war nicht Gegenstand der heutigen Beratung im Kabinett . Ich könnte also auf eine Antwort verzichten; denn nur unter diesem Rubrum bin ich zur Beantwortung der Frage aufgerufen worden . Ich kann dazu allerdings sagen, Herr Kollege: Es kann keinesfalls eine Initiative der ganzen Bundesregierung sein; denn dann müsste ich davon wissen . Aber ich gehe davon aus, dass darüber hinaus dieser Sachverhalt nicht zutrifft . Er ist mir nicht bekannt .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Julia Verlinden .

Dr. Julia Verlinden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004429, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Umweltministerin, ich möchte gern fragen, inwiefern es zu der Klimaschutzpolitik und zu den Energiewendezielen der Bundesregierung passt, dass diese Woche im Bundestag Fracking im Sandstein, also das sogenannte Tight-Gas-Fracking, explizit erlaubt werden soll . Diese Art des Frackings war bisher gar nicht geregelt . Sie wurde praktiziert, aber es gab dazu keine rechtlichen Regelungen . Jetzt soll dieses Fracking explizit erlaubt werden, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ein Fracking-Verbot möchte . Ihr Ministerium ist auch eine Schnittstelle für Umwelt und Gesundheit . Als Ministerin haben Sie damals bei der Einbringung des Gesetzentwurfs zum Fracking letztes Jahr gesagt, Sie hielten Fracking für unnötig und Sie bezweifelten, dass Fracking jemals umweltverträglich hinzubekommen sei. Ich finde, dass Sie da sehr wichtige Worte gesagt haben, und möchte Sie, wie gesagt, fragen, wie die Bundesregierung diesen Vorschlag, der am Freitag vermutlich beschlossen werden soll, in Einklang mit der Klimaschutzpolitik und den Energiewendezielen bringt .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Zunächst, Frau Kollegin Verlinden, möchte ich vorwegschicken: Fracking soll jetzt nicht neuerdings erlaubt werden, sondern Fracking in Sandstein, wie es das schon seit etwas mehr als 50 Jahren in Niedersachsen gibt, ist nach dem Bergrecht durchgeführt worden . Es gab dafür also schon immer eine Rechtsgrundlage . Jetzt wird dieser Regelung das Wasserhaushaltsrecht und das Umweltverträglichkeitsrecht an die Seite gestellt, sodass das, was bisher schon gemacht und lediglich nach dem Bergrecht durchgeführt worden ist, jetzt sehr strengen Regeln unterliegen soll . Es wird damit nicht neu erlaubt . Es hat auch nicht einfach so stattgefunden, sondern es wurde nach den Regelungen des Bergrechts durchgeführt . Daher ist das keine neue Erlaubnis, sondern die Anwendung von sehr strengen Regeln . Die Aussage von mir, die Sie zitieren, hat sich natürlich auf das sogenannte unkonventionelle Fracking bezogen . ({0}) - Nun, Sie müssen schon richtig zitieren . - Wir haben die Debatte über das konventionelle Fracking geführt, also über das, was schon seit langem durchgeführt wird . Das unkonventionelle Fracking wird verboten, und zwar unbefristet verboten; es sei denn, ein anderer Gesetzgeber würde das demnächst ändern . Das kann ein Gesetzgeber natürlich immer tun . Das Einzige, was erlaubt wird, sind zum Zwecke der wissenschaftlichen Erforschung bundesweit vier Probebohrungen, die allerdings nur dann erlaubt sind, wenn das jeweilige Bundesland zustimmt . Insofern kann ich Ihre Frage, bezogen auf die Klimaschutzpolitik, eigentlich nicht beantworten . Es wird nämlich nicht mehr oder weniger Fracking geben als früher . Deswegen hat es auch keine neuen oder anderen Auswirkungen auf die Klimapolitik, sondern es wird strengere Regeln für das schon seit mehr als 50 Jahren stattfindende Fracking geben .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Volker Beck stellt die nächste Frage .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Frage, die sich eher an das Kanzleramt oder an das Finanzministerium richtet . Aber Sie als ehemalige Staatssekretärin des Finanzministeriums sind sicher auch in der Lage, sie zu beantworten . Mir liegt der Entwurf einer Richtlinie für eine Anerkennungsleistung an ehemalige deutsche Zwangsarbeiter vor, die ADZ-Anerkennungsrichtlinie. Bei der Definition des Berechtigtenkreises fiel mir auf, dass Regelungen, die wir ansonsten für deutsche Opfer aus dieser Zeit vorgesehen haben, wie zum Beispiel im Bundesversorgungsgesetz, hier nicht zur Anwendung kommen . In § 1a des Bundesversorgungsgesetzes haben wir geregelt, dass Kriegsverbrecher bzw . Personen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit begangen haben, von Entschädigungsleistungen oder Versorgungsleistungen nach diesem Gesetz ausgeschlossen sind . Ein Hinweis darauf, dass ein Ausschlussgrund vorliegen könnte - das könnte bei der von der Richtlinie betroffenen Gruppe einschlägig sein -, ist insbesondere eine freiwillige Mitgliedschaft in der SS . Warum ist der Ausschlussgrund aus § 1a Bundesversorgungsgesetz in die Richtlinie nicht aufgenommen, bzw . erwägt die Bundesregierung, dies noch zu prüfen?

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Herr Kollege Beck . - Bevor Sie, Frau Ministerin, antworten, darf ich darauf hinweisen, dass wir jetzt bei einem Punkt sind, bei dem es um andere Themen geht .

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Ich kenne den Entwurf nicht, Herr Kollege Beck, aber der Kollege Spahn wäre bereit, die Frage zu beantworten . Herr Präsident, ich weiß nicht, ob man das so machen kann . Allerdings muss ich gleich ins Kanzleramt zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen . Könnten wir vielleicht die Fragen, die sich an mich richten, vorziehen, und der Kollege Spahn beantwortet anschließend die Frage von Herrn Beck? Wäre das möglich? ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich denke, dass wir das so machen können . - Es gibt noch eine Frage der Kollegin Dağdelen. Wenn Sie jetzt Ihre Frage stellen wollen, dann könnten wir, glaube ich, so verfahren .

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident . - Verehrte Frau Ministerin, seit letzter Woche gibt es die Aktion „Flüchtlinge fressen - Not und Spiele“ der Künstlergruppe „Zentrum für Politische Schönheit“ . Sie hat einen Flug für 100 Schutzsuchende aus Syrien, die Familienangehörige in Deutschland haben, von der Türkei nach Deutschland organisiert . Meine Frage ist, ob das Thema der Kabinettssitzung war und inwieweit die Bundesregierung der Bitte und Forderung nachkommen möchte, dass das Flugzeug Joachim 1 der „Flugbereitschaft der deutschen Zivilgesellschaft“ ungehindert nach Deutschland kommen kann - ich frage das auch mit Blick auf § 63 Absatz 3 Aufenthaltsgesetz, wonach es Sanktionen gegen Beförderungsunternehmen geben kann -, sodass die Menschen sicher zu ihren Familienangehörigen in Deutschland gelangen können, statt die lebensgefährliche Route über das Mittelmeer zu nutzen . War das Thema, und wie positioniert sich die Bundesregierung?

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin, das war nicht Thema der Kabinettssitzung . Die Bundesregierung ist aber prinzipiell der Auffassung, dass eine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland mit den notwendigen Erlaubnissen über die deutschen Konsulate erfolgen sollte .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Frau Bundesministerin . Ich danke auch für die Beantwortung der Fragen und für den Bericht . Für die Beantwortung der Frage des Kollegen Beck hat jetzt Herr Staatssekretär Spahn das Wort .

Jens Spahn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003638

Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kollege Beck, auch wenn es nicht Thema der Kabinettssitzung war, ist es eigentlich in Richtlinien wie der, die Sie angesprochen haben, regelmäßig der Fall, dass wir eine ähnliche Regelung haben wie im Bundesversorgungsgesetz, dass insbesondere Kriegsverbrecher nicht von entsprechenden Entschädigungsleistungen profitieren können. Aber ich nehme Ihre Frage gerne zum Anlass, das noch einmal intensiv zu prüfen . Aber wir sehen das, wie gesagt, regelmäßig vor, weil es sonst der eigentlichen Intention widersprechen würde .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär . - Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde Drucksachen 18/8816, 18/8852 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nummer 10 Absatz 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 18/8852 auf . Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts . Ich rufe die dringliche Frage 1 der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt auf: Was hat die Bundesregierung unternommen, um eigene Erkenntnisse über die übereinstimmenden Berichte mehrerer Beobachter, darunter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, in der Nacht zum 19 . Juni 2016 seien an der syrisch-türkischen Grenze wiederum mindestens acht Menschen erschossen worden, darunter vier Kinder, und weitere acht Menschen seien teilweise schwer verletzt worden, zu erlangen ({0})? Für die Beantwortung steht Herr Staatsminister Michael Roth zur Verfügung, dem ich das Wort geben darf . - Der Herr Staatsminister wird noch gesucht . Er war jedenfalls - das habe ich gesehen - vor wenigen Augenblicken noch anwesend . ({1}) Deshalb vermute ich, dass er auch gleich wieder hier im Plenum sein wird . - Vielleicht kann ein Kollege der Bundesregierung den Herrn Staatsminister, der sich vermutlich unweit hinter der Säulenwand aufhält, bitten, dass er nach vorne tritt . ({2}) Volker Beck ({3}) Herr Staatsminister, wir hatten vermutet, dass Sie nicht allzu weit weg sind . Ich darf Ihnen nun für die Beantwortung der dringlichen Frage das Wort erteilen .

Not found (Gast)

Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Göring-Eckardt, ich bitte um Entschuldigung . Das ist für mich das erste Mal, dass ich eine dringliche Frage zu beantworten habe . Mir waren die Usancen nicht ganz vertraut; deshalb bin ich einem ganz persönlichen Bedürfnis nachgegangen . ({0}) Frau Abgeordnete, jetzt auf Ihre sehr ernste Frage eine sehr ernste Antwort . Selbstverständlich hat die Bundesregierung unmittelbar nach Bekanntwerden der Berichte über die jüngsten Schüsse an der türkisch-syrischen Grenze, auf die Sie sich ja in Ihrer Frage beziehen, verschiedenste Kontakte bemüht, um weitere Informationen zu erhalten . Wir haben uns dabei mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen, mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, dem UNHCR, sowie mit verschiedenen Gewährspersonen im türkisch-syrischen Grenzgebiet in Verbindung gesetzt . Darüber hinaus haben wir verschiedene türkische Quellen - unter anderem Stellungnahmen des türkischen Außenministeriums sowie des türkischen Militärs - ausgewertet .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Göring-Eckardt, haben Sie zu dieser Ihrer ersten gestellten dringlichen Frage noch eine Nachfrage?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja . Meine Frage lautet: Was ist das Ergebnis dieser Nachfragen gewesen, und mit welchen Nichtregierungsorganisationen haben Sie gesprochen? Sind insbesondere Human Rights Watch und Amnesty International dabei gewesen, die ja schon seit vielen Monaten auf entsprechende Aktivitäten an der türkisch-syrischen Grenze verweisen?

Not found (Gast)

Herr Präsident, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, würde ich versuchen, das zusammen mit der zweiten dringlichen Frage zu beantworten; denn die Beantwortung der zweiten dringlichen Frage gibt Aufschluss über die Bereiche, die Sie in Ihrer Nachfrage angesprochen haben .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Staatsminister, bei der Beantwortung der Fragen haben Sie völlige Freiheit . Ich rufe deshalb nun auch die dringliche Frage 2 auf: Hat das Auswärtige Amt bzw . die deutsche Botschaft in der Türkei das Gespräch mit der türkischen Regierung aufgrund der erneuten Schüsse auf Flüchtende in der Nacht zum 19 . Juni 2016 gesucht, und was hat dieses ergeben?

Not found (Gast)

Ich komme jetzt also zur Beantwortung Ihrer zweiten dringlichen Frage . Es gibt ja dann die Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen . Selbstverständlich nehmen wir die Berichte, die Sie eben auch genannt haben, nämlich die von Human Rights Watch und von Amnesty International, sehr ernst . Auch ich selbst habe vor geraumer Zeit mit den Institutionen persönliche Gespräche geführt . Wir haben verabredet, dass wir uns eng austauschen . Für entsprechende Informationen sind wir natürlich dankbar . Wir versuchen, ihnen bestmöglich nachzugehen . Anders als bei bisherigen vergleichbaren Vorfällen in der Vergangenheit, über die ja die von Ihnen genannten Institutionen bzw . NGOs schon berichtet haben, hat das türkische Außenministerium diesmal unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine Stellungnahme abgegeben, in der die Vorwürfe dementiert worden sind, türkische Sicherheitskräfte hätten absichtlich das Feuer auf syrische Zivilisten eröffnet, die versucht hätten, die Grenze illegal zu überqueren . Zudem hat die türkische Armee eine ausführliche Schilderung des gesamten Vorgangs - ich darf das jetzt berichten - veröffentlicht . Demnach habe eine Gruppe von circa 60 Personen versucht, die Grenze zu überqueren . Zunächst sei das Gelände ausgeleuchtet worden, und dann habe es Warnrufe gegeben . Erst dann seien Warnschüsse abgegeben worden, die jedoch nicht auf die Personen gerichtet worden seien . Die Bundesregierung selbst ist nicht vor Ort präsent . Wir haben trotz intensiver Recherchen, über die ich Sie schon informiert habe, keine eigenen gesicherten Erkenntnisse, ob und, falls ja, wie es zu den Todesfällen kam und wer hierfür letztendlich die Verantwortung trägt . Sie wissen selbst: Die Lage im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist sehr volatil, und das ist eine sehr diplomatische Formulierung . Wir haben es in Syrien mit einem Bürgerkrieg zu tun, mit terroristischen Aktivitäten, und selbstverständlich hat die Türkei ein berechtigtes Interesse daran, ihre Grenze vor möglichen Sicherheitsgefahren zu schützen . Sie kommt damit natürlich auch dringlichen Forderungen der internationalen Staatengemeinschaft nach . Die Bundesregierung - jetzt komme ich zu Ihrer Zusatzfrage - betont in all ihren Gesprächen mit Vertretern der türkischen Regierung - zuletzt haben solche Gespräche am 1 . Juni im Rahmen der sogenannten Staatssekretärskonsultationen in Istanbul stattgefunden - immer ihre Erwartung, dass die Türkei trotz der sehr volatilen, gefährlichen Lage beim Schutz ihrer eigenen Grenze zu Syrien umsichtig und verantwortungsvoll vorgehen muss . Selbstverständlich wird die Bundesregierung dieses Thema gegenüber der Türkei weiter ansprechen, sooft uns die Möglichkeit dazu gegeben ist .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Göring-Eckardt, weil wir die beiden Fragen zusammengefasst haben, haben Sie jetzt die Möglichkeit, drei weitere Nachfragen zu stellen, wenn Sie das wünschen . Vizepräsident Johannes Singhammer

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich fange noch einmal an und nehme Bezug auf das, was Sie quasi zwischen der Beantwortung der beiden Fragen gesagt haben, nämlich dass Sie schon verschiedene Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen geführt haben . Als ich in der letzten Sitzungswoche nach den Selbstschussanlagen fragte, gab es den konkreten Fall, von dem hier berichtet worden ist, noch nicht . Da hat die Bundesregierung geantwortet, sie hätte Informationen bei den türkischen Behörden, der türkischen Regierung eingeholt . Offensichtlich haben parallel Ihrerseits, die Sie auch Teil der Bundesregierung sind, Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen stattgefunden . Deswegen will ich gern meine Frage wiederholen: Haben Sie in dem Fall von diesem Wochenende mit den Nichtregierungsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International, die ja offensichtlich sehr gut informiert sind, über das, was konkret an der Grenze passiert, gesprochen, und welche Auskünfte haben Sie darüber, was geschehen ist, bekommen, über das hinaus, was die türkische Seite veröffentlicht hat?

Not found (Gast)

Ich darf Ihnen noch einmal versichern, Frau Abgeordnete, dass es im Interesse der Bundesregierung, auch im Interesse unseres Landes, liegt, diese schwerwiegenden Vorwürfe aufzuklären . Wir gehen allen Informationen verantwortungsbewusst nach . Ich kann Ihnen, weil ich solche Gespräche nicht persönlich geführt habe, nicht sagen, ob es in den vergangenen Tagen, also nach diesen möglichen Ereignissen, zu direkten Gesprächen oder zu einem direkten Austausch zwischen meinem Haus, der Bundesregierung und den von Ihnen genannten Nichtregierungsorganisationen gekommen ist .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, vielen Dank . Ich gehe dann davon aus, dass Sie sicherlich nachfragen können und mir das nachreichen können, ob und mit welchem Ergebnis mit diesen Nichtregierungsorganisationen gesprochen worden ist . Ich schließe deswegen meine dritte - und vielleicht brauche ich dann keine vierte - Nachfrage an . Sie lautet: Hat das, was Sie dort über diese schwierige Situation an der Grenze erfahren und schon erfahren haben, irgendwelche Auswirkungen auf den EU-Türkei-Deal in der Frage der Unterbringung und des Austauschs von Geflüchteten?

Not found (Gast)

Wir sind über die Erklärung zwischen der Europäischen Union und der Türkei selbstverständlich in einem regelmäßigen Austausch, auch mit türkischen Regierungsvertretern . Wir alle wissen, dass die Türkei in den vergangenen Jahren circa 2,75 Millionen Flüchtlinge, insbesondere aus Syrien, aufgenommen hat . Wir wissen auch, dass diese Flüchtlinge in der Regel gut und anständig behandelt werden . Das wird uns auch in unseren Gesprächen mit dem UNHCR und anderen Nichtregierungsorganisationen bestätigt . Wir sind dafür sehr dankbar, und es ist unser Bestreben, dass sich die Lage der Flüchtlinge in der Türkei weiter verbessert . Deshalb stellen wir auch seitens der Europäischen Union insgesamt mehrere Milliarden Euro zur Verfügung, die wir insbesondere in Bildung, Qualifizierung und bessere Unterbringung der Flüchtlinge investieren wollen, insbesondere der Flüchtlinge - das ist der übergroße Teil -, die sich eben nicht in den Flüchtlingscamps aufhalten, sondern die in Dörfern und in Städten leben .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, dann muss ich doch noch die vierte Nachfrage stellen . Ich gehe davon aus, dass Ihre Dankbarkeit steigt, wenn Sie von solchen Vorkommnissen an der türkisch-syrischen Grenze erfahren . So muss ich Sie verstehen, wenn Sie sagen, Sie seien der Türkei sehr dankbar, und wenn Sie auf meine Frage, ob das irgendwelche Auswirkungen auf den EU-Türkei-Deal habe, Ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen . Deswegen frage ich Sie noch einmal: Ihre Dankbarkeit steigt, wenn Sie von solchen Vorkommnissen an der türkisch-syrischen Grenze erfahren?

Not found (Gast)

Meine Dankbarkeit gegenüber der Türkei ist deshalb vorhanden, weil die Türkei 2,7 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat und diese anständig behandelt . Das sind nicht nur meine persönlichen Wahrnehmungen . Ich darf das so sagen, weil ich mit vielen Menschen spreche - möglicherweise genauso wie Sie -, die selbst in diese Arbeit aufs Engste eingebunden sind . Aus Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen nehmen wir selbstverständlich jeden Bericht sehr ernst und gehen diesen Vorwürfen nach; denn es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass die Flüchtlinge in der Türkei bestmöglich behandelt werden .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Roth . - Einen herzlichen schönen Nachmittag von meiner Seite . Die Fragen von Frau Göring-Eckardt sind damit gestellt, und jetzt kommen die anderen . Zu den dringlichen Fragen haben sich einige Kolleginnen und Kollegen gemeldet. Die erste Kollegin ist Sevim Dağdelen. Da die zwei Fragen zusammen beantwortet wurden, sind jetzt zwei Nachfragen möglich .

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das heißt, ich kann zwei Fragen sofort nacheinander stellen oder eine Frage jeweils?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Eine jeweils . Das macht Sinn .

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich melde mich also jetzt und gleich noch einmal . Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Staatsminister Roth, mich erstaunt schon, dass Sie sagen, die Grenze sei volatil und die Türkei müsse die Grenze schützen . Eine 100 Kilometer lange Grenze zu Syrien, auf deren anderer Seite der IS ist, wird nicht geschützt, sondern sie wird offen gelassen . Sie sagen, es herrsche Terrorismus im Nachbarland . Auch die Bundesregierung weiß aus Geheimdienstinformationen, die letztes Jahr öffentlich geworden sind, dass die Türkei selbst Terrorbanden in Syrien bewaffnet und dadurch Menschen in Syrien in die Flucht treibt . Ich würde aber gerne etwas anderes wissen . Es ist jetzt nicht das erste Mal, dass berichtet wurde, dass die türkischen Sicherheitskräfte auf schutzsuchende Menschen an der Grenze schießen . Eine Meldung ist im Mai gewesen . Wir hatten im Innenausschuss mit Staatssekretär Schröder darüber beraten . Es kam auch im Vorfeld der Reise von Bundeskanzlerin Merkel zu solchen Vorfällen . Deshalb würde ich gerne wissen, ob die Bundesregierung bereit ist, eine unabhängige Untersuchungskommission auf den Weg zu bringen, damit diese Vorkommnisse unabhängig geprüft werden und die Bundesregierung nicht auf Informationen seitens der türkischen Regierung angewiesen ist, die natürlich kein Interesse an Aufklärung hat .

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat allergrößtes Interesse an der Aufklärung dieser Vorwürfe, auch im Interesse der Türkei und im Interesse der Zusammenarbeit, vor allem aber im Interesse der Menschen und der Flüchtlinge, die Sie eben genannt haben . Welche konkreten Mittel dies umfasst, dazu gibt es noch keine abschließende Auffassung der Bundesregierung . Aber wir sind hier nicht nur im engen Dialog und im kritischen Austausch mit der Türkei, sondern wir stimmen so etwas natürlich auch mit unseren Partnern in der Europäischen Union und mit der internationalen Gemeinschaft ab .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Dağdelen, wenn Sie wollen: zweite Frage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Offensichtlich dauert es ganz schön lange, bis die Bundesregierung zu einer Entscheidung kommt, mit welchen Mitteln sie diese Vorkommnisse untersuchen will . Deshalb möchte ich gerne fragen: Wie viele Menschen müssen noch an der türkisch-syrischen Grenze durch türkische Sicherheitskräfte, die auf Schutzsuchende schießen, sterben, damit die Bundesregierung zu der Entscheidung kommt, eine unabhängige Untersuchungskommission einsetzen zu lassen, vielleicht sogar unter der Leitung der Vereinten Nationen, um diesem Töten von Schutzsuchenden an der türkisch-syrischen Grenze ein Ende zu bereiten?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Dağdelen, Sie haben selber auf die Vereinten Nationen hingewiesen . Es sollte hier nicht der Eindruck erweckt werden, als läge es ausschließlich in den Händen der deutschen Bundesregierung, eine unabhängige Institution ins Leben zu rufen und sie zu beauftragen, diese Vorwürfe aufzuklären . Ich will aber wiederholen: Die Bundesregierung hat trotz intensiver Recherche - ich habe hier schon einige Recherchebemühungen aufgezählt - keine eigenen gesicherten Erkenntnisse zu den behaupteten Vorfällen . Deswegen kann ich hier auch nicht die Behauptung bestätigen, dass Menschen an der türkisch-syrischen Grenze durch Schüsse des türkischen Militärs oder türkischer Institutionen zu Tode gekommen sind . Ich wiederhole: Ich kann dies nach den mir vorliegenden Erkenntnissen nicht bestätigen; denn solche Erkenntnisse habe ich gar nicht .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Staatsminister . - Die nächste Fragestellerin: Katja Keul .

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Herr Staatsminister, Sie haben jetzt mehrfach gesagt, dass die Bundesregierung selbst keinerlei Erkenntnisse über Vorfälle im syrisch-türkischen Grenzgebiet hat . Es gibt einiges, was ich nicht so ganz verstehe, wenn ich mir anschaue, was wir vor Ort zur Verfügung haben: in der Türkei die AWACS-Flugzeuge, in Syrien die Tornados und zusätzlich die Aufklärungsflugzeuge unserer Bündnispartner. Angesichts so einer Aufklärungsdichte frage ich mich schon, wie es eigentlich sein kann, dass es keine Erkenntnisse über das Geschehen im türkisch-syrischen Grenzgebiet gibt . ({0}) Wie kann das sein? Was machen wir da eigentlich? Werden die Informationen, die da zusammengetragen werden, auch im Hinblick auf die Aufklärung solcher Vorfälle verwendet und ausgewertet?

Not found (Gast)

Ich kann nur wiederholen, dass die Bundesregierung allergrößtes Interesse daran hat, dass diese Vorwürfe, die sehr schwerwiegend sind, aufgeklärt werden . Wir versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten, einen Beitrag zu leisten . Ich kann Ihnen versichern, dass wir alle Möglichkeiten nutzen - einige habe ich beschrieben -; bislang konnten diese Vorwürfe aber nicht bestätigt werden .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Keul, zweite Frage .

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn die Bundesregierung also alles tut, um die vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen, dann bleibt immer noch die Frage: Was ist denn mit den Informationen, die all unsere, salopp gesagt, Aufklärungsgeräte dort sammeln? Wo und von wem werden sie ausgewertet? Warum stehen diese Informationen der Bundesregierung offensichtlich nicht zur Verfügung?

Not found (Gast)

Derzeit liegen mir keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse vor; womöglich beziehen Sie sich darauf . Wir nutzen selbstverständlich den gesamten Instrumentenkasten, der der Bundesregierung zur Verfügung steht .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Staatsminister . - Die nächste Fragestellerin: Inge Höger .

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, die Hinweise auf Zwischenfälle an der türkisch-syrischen Grenze, etwa Hinweise auf Schüsse auf Flüchtlinge, sind nicht neu . Sie kommen von NGOs; sie kommen über die Medien . Wenn die türkische Regierung das nicht bestätigt, muss das ja nicht heißen, dass das nicht stimmt; vielmehr kann man - ganz im Gegenteil - von dieser türkischen Regierung kaum erwarten, dass sie dazu richtig Auskunft gibt . Wir haben in der letzten Sitzung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe über die Vorwürfe von Pro Asyl gesprochen - da waren Sie anwesend -, durch die türkische Regierung werde im Grunde die Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt . Die Rede war von Schüssen auf Flüchtlinge, von Rückführungen von Kriegsflüchtlingen und von der Nichtöffnung der Grenze für Flüchtlinge . Wie sind Sie diesen Vorwürfen bisher nachgegangen?

Not found (Gast)

Ich weise die Unterstellung noch einmal zurück, Frau Abgeordnete Höger, wir bezögen uns ausschließlich auf die uns durch die türkische Regierung zur Verfügung gestellten Informationen . Wir haben uns gerade eben intensiv über die Informationen ausgetauscht, die Ihnen, die der Öffentlichkeit, die uns von Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung gestellt worden sind . Ich habe auf weitere Informationsquellen hingewiesen . Ich habe eben noch einmal dargestellt, dass es bei den jüngsten Vorfällen so war, dass sich die türkische Regierung unmittelbar nach Erhebung dieser schwerwiegenden Vorwürfe mit einer eigenen Stellungnahme an die Öffentlichkeit gewandt hat . Darin hat sie dementiert, sie hat den Vorgang beschrieben und noch einmal dezidiert bestritten, dass es zu gezielten Schüssen auf Menschen gekommen ist . Ich habe dies nur zitiert, und ich habe darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine, aber nicht um die ausschließliche, die einzige Informationsquelle handelt .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Höger, Ihre zweite Nachfrage .

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dann haben Sie also hoffentlich weitere Informationen, die vielleicht doch belegen, dass auf Flüchtlinge geschossen wurde und dass Flüchtlingen der Zugang in die Türkei verwehrt wurde . Wie stehen Sie dann zu den Forderungen der Nichtregierungsorganisationen, den Flüchtlingsdeal mit der Türkei endlich auszusetzen?

Not found (Gast)

Das Abkommen mit der Türkei dient vor allem dem Ziel, die Lage der Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern . ({0}) Ich habe bislang keinen Anlass, daran zu zweifeln . Wir leisten unser Möglichstes - in einem engen Austausch, in dem wir immer wieder auch unsere Erwartungshaltung formulieren und in dem wir auch Finanzmittel und Expertise zur Verfügung stellen sowie die Nichtregierungsorganisationen bei ihrer schwierigen, aber so unendlich wichtigen Arbeit unterstützen . Noch einmal: Es liegen mir keinerlei Erkenntnisse vor, dass es in den vergangenen Wochen und Monaten wirklich zu gezielten Schüssen auf Flüchtlinge gekommen ist . Ich habe diese Erkenntnisse nicht .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Höger . - Nächster Fragesteller: HansChristian Ströbele .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin . - Herr Staatsminister, mir hat sich auch die Frage der Kollegin Keul aufgedrängt, und ich erweitere sie etwas . Vor einigen Wochen gab es Berichte und Bilder - das ist unstreitig - zu Angriffen aus der Luft oder möglicherweise auch durch Beschuss mit Kanonen auf ein Flüchtlingslager an der syrisch-türkischen Grenze . Die Bundesregierung hat mir auf meine Frage dazu geantwortet, ihr lägen bisher keine Erkenntnisse darüber vor, wer da aus der Luft bombardiert oder wer da am Boden geschossen hat . Angeblich soll gerade dieser Raum - Syrien/Irak/ Grenze zur Türkei - der militärisch am besten überwachte Raum auf der ganzen Erde sein . Ich frage mich allen Ernstes: Was machen eigentlich die deutschen Flugzeuge, die nur zur Aufklärung da sind? Was machen eigentlich die ganzen Aufklärer der USA, wenn sie nicht einmal feststellen können, wer da ein Flüchtlingslager bombardiert oder eine Schießerei veranstaltet, sodass Flüchtlinge zu Tode kommen? Haben Sie mal ganz gezielt bei der Bundeswehr und bei den US-Verbündeten nachgefragt?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, ich bin Ihnen erst einmal dankbar, dass Sie auf die dramatische Lage im türkisch-syrischen Grenzgebiet hingewiesen und noch einmal klargestellt haben: Wir haben es in Syrien mit einem furchtbaren Bürgerkrieg zu tun . Die Lage ist ausgesprochen volatil, unsicher und gefährlich - das will ich hier einfach noch einmal unterstreichen -; darin stimmen wir überein . Selbstverständlich informieren wir uns bestmöglich . Wenn ich hier spreche, dann tue ich das nicht nur für mein Haus und nicht nur auf der Grundlage der Informationen, die mir über mein Haus zur Verfügung gestellt werden, sondern dann tue ich das natürlich stellvertretend auch für andere Ressorts . Ein Ressort haben Sie schon genannt, das Bundesverteidigungsministerium; ich könnte auch andere Häuser nennen, die mich in der Beantwortung der Fragen hier selbstverständlich unterstützen . Über die Informationsquellen der Bundesregierung hinaus nutzen wir natürlich noch die Quellen, die uns im Dialog mit unseren Partnern in der Europäischen Union und mit der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung stehen, und selbstverständlich auch die Informationen der Nichtregierungsorganisationen . Ich kann aber hier nichts bestätigen, wovon wir derzeit nichts wissen und was uns auch noch keine sichere Quelle selbstverantwortlich bestätigen konnte .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Ströbele, die zweite Frage .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, Sie haben meine Fragen leider nicht beantwortet . Wenn Sie sagen: „Das Verteidigungsministerium beispielsweise hat nichts herausbekommen“, stellt sich immer noch die Frage: Was klären die dort auf? Klären die in ganz anderen Gegenden auf? Klären die nur Ziele auf, die anschließend bombardiert werden sollen? Nach meinen bisherigen Kenntnissen und nach meinem bisherigen Verständnis sind die allgemein für die Aufklärung des Gebiets in Syrien zuständig . Oder lassen die diesen Teil an der Grenze aus? Können Sie nähere Auskünfte darüber geben, oder können Sie vielleicht noch einmal beim Kollegen nachfragen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, Sie wissen, dass wir das allergrößte Interesse haben, Ihre Fragen bestmöglich zu beantworten . Wenn Sie ein Interesse daran haben, zu erfahren, wie genau die Arbeit bei den Aufklärungsflügen ausschaut und wie die Ergebnisse sich bislang darstellen, dann wäre mein Angebot, dass wir noch einmal intensiv recherchieren und Ihnen eine entsprechende Antwort schriftlich zukommen lassen - sofern Sie damit einverstanden sind . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Christian Ströbele . - Nächster Fragesteller: Omid Nouripour .

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Staatsminister, ich bin ein bisschen verwirrt . Ich dachte, Sie recherchieren, bevor Sie die Fragen beantworten . Aber wir freuen uns immer über gute Antworten .

Not found (Gast)

Ja, habe ich das - - Entschuldigung .

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gesagt, Sie würden ja noch einmal recherchieren .

Not found (Gast)

Ja .

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was die Dankbarkeit der Türkei gegenüber betrifft, ist es ja richtig: Die Türkei hat sehr viele Leute aufgenommen und sehr gut behandelt. Das entpflichtet aber weder uns als Parlamentarier noch Sie als Bundesregierung, auch Dinge anzusprechen, bei denen die Türkei gegen das Völkerrecht verstößt . Dazu gehört natürlich, wenn auf Flüchtlinge geschossen wird, dazu gehört aber auch die Rückführung in ein Kriegsgebiet . Nun gibt es Human Rights Watch, Amnesty International, die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und viele andere, die Studien vorlegen mit klarer, transparenter Methodik, in denen sie das nachweisen . Sie sagen, das ist nur eine Quelle . Das ist mir neu, dass die Bundesregierung mit solchen Organisationen so umgeht . Denn im Falle von Nordkorea beispielsweise haben wir nur sie, um festzustellen, dass es dort Arbeitslager und Folter gibt . Deshalb ist es ein bisschen skurril, dass diese auf einmal nur noch „Quellen“ sind, deren Glaubwürdigkeit damit unmittelbar infrage gestellt wird . Eine weitere solche Quelle ist der Norwegische Flüchtlingsrat - weltweit renommiert . Er weist jetzt darauf hin, dass es an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei über 140 000 Menschen gibt - an der Südgrenze zu Jordanien sind es über 63 000 Menschen -, die von der Türkei nicht ins Land gelassen werden . Aber die Türkei verweigert ihnen genauso den Zugang zu humanitärer Hilfe . Es gibt NGOs, die würden diesen Menschen helfen, aber die Türkei lässt die NGOs nicht . Meine Frage ist: In welchem Rahmen und wie hat die Bundesregierung dieses Thema der Türkei gegenüber angesprochen, damit, wenn die Leute schon nicht hineingelassen werden, wenigstens Hilfsgüter zu ihnen gelangen können?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Roth .

Not found (Gast)

In den regelmäßigen Konsultationen mit der türkischen Regierung, auch in der Umsetzung des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei, werden all die von Ihnen genannten Punkte sehr deutlich angesprochen, vor allem auch im Interesse der Flüchtlinge . Wir gehen - ich kann das nur wiederholen - allen Vorwürfen nach, besprechen dies mit den verantwortlichen Stellen . Sollte dies geschehen sein - Sie haben eben das Non-Refoulement-Prinzip angesprochen -, sollten also Menschen aus Syrien, die sich in der Türkei aufgeStaatsminister Michael Roth halten haben, wieder in ihre syrische Heimat zurückgeschickt worden sein, wäre dies nicht nur ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die die Türkei selbstverständlich ratifiziert hat, es wäre auch ein Verstoß gegen die nationale Gesetzgebung der Türkei . Gemäß dem türkischen Ausländergesetz ist die Türkei verpflichtet, Flüchtlinge nicht dorthin zu schicken, wo ihnen Gefahr für Leib und Leben droht .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Nouripour, zweite Frage .

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Bundesregierung tatsächlich das Thema derjenigen, die an der türkisch-syrischen Grenze festsitzen und nicht ins Land dürfen, der Türkei gegenüber angesprochen hat und auch weiterhin ansprechen wird? Und habe ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit, wenn ich Sie frage, was denn eigentlich mit den Leuten passiert, die zurzeit aus Falludscha fliehen? Es sind bisher 80 000, Tendenz steigend . Viele versuchen natürlich, nach Norden zu kommen, aus dem Irak herauszukommen . Die Iraki sind wenn ich es richtig verstanden habe - nicht unbedingt Teil des Deals mit der Türkei . Was passiert eigentlich mit diesen Leuten?

Not found (Gast)

Wir haben allergrößtes Interesse daran, dass die Flüchtlinge ordentlich behandelt werden, und wir unterstützen die Türkei dabei . Sie haben jetzt einen konkreten Fall angesprochen . Ich würde auch dazu, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, noch einmal Rücksprache nehmen und Ihnen dann eine schriftliche Antwort zukommen lassen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . - Nächste Fragestellerin: Heike Hänsel für die Linke .

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön . - Herr Staatsminister, ich möchte einfach noch einmal nachhaken, weil Sie sagten, Sie hätten keine eigenen Erkenntnisse darüber, dass auf Flüchtlinge geschossen wird . Der aktuelle Fall liegt erst sehr kurze Zeit zurück, aber die Meldungen häufen sich ja seit Monaten . Dazu würde ich von Ihnen gern noch einmal hören - das habe ich noch nicht so richtig gehört -: Was haben Sie in den letzten Monaten alles unternommen, um zu Erkenntnissen zu gelangen, was sich an der türkisch-syrischen Grenze abspielt? Welche Stellen haben Sie konkret gefragt und wen alles kontaktiert? Waren Sie auch selber vor Ort?

Not found (Gast)

Ich habe in meiner Antwort auf die zweite Nachfrage der Kollegin Göring-Eckardt schon detailliert geschildert, mit wem alles wir uns in Verbindung gesetzt haben . Ich habe dabei auf unsere Staatssekretärskonsultationen hingewiesen . Unser Staatssekretär, der für den Bereich zuständig ist, war am 1 . Juni in Istanbul und hat diese Punkte selbstverständlich angesprochen . Darüber hinaus sind immer wieder die Berichte von Menschenrechtsorganisationen und anderen Nichtregierungsorganisationen angesprochen worden . Wir haben mit den Verantwortlichen gesprochen, die selbst in der Region präsent sind . Weil die Vorwürfe - nicht nur die jüngsten -, Frau Abgeordnete Hänsel, so schwerwiegend sind, haben wir ein allergrößtes Interesse, mit all denjenigen in Kontakt zu treten, die möglicherweise mehr wissen als wir . Ich kann nur wiederholen: Diese vielfältigen Kontakte, Gespräche und der Versuch, weitere Informationen zu erhalten, haben nicht zu dem Ergebnis geführt, dass ich diese sehr schwerwiegenden Vorwürfe bestätigen kann .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Zweite Frage, Frau Hänsel?

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, danke . - Sollten sich die Vorwürfe, also die Rückführungen, der Verstoß gegen das Refoulement-Verbot, Schüsse auf Flüchtlinge - all das bricht internationales Recht - bewahrheiten: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus? Stellt die Bundesregierung dann auch das Abkommen mit Erdogan infrage? Oder wäre es kein Hindernis, das Abkommen mit Erdogan aufrechtzuerhalten, wenn auf Flüchtlinge geschossen wird?

Not found (Gast)

Dieses Abkommen mit der Türkei beruht auf einer festen Verankerung im Völkerrecht und auf rechtsstaatlichen Prinzipien . Ich kann Ihnen nur noch einmal versichern, dass wir davon ausgehen und dies in unseren Gesprächen selbstverständlich immer wieder formulieren, dass diesen rechtsstaatlichen Prinzipien vollumfänglich Geltung verschafft wird . Das ist die Grundlage dieser Vereinbarung .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . - Nächster Fragesteller: Uwe Kekeritz .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin, herzlichen Dank . - Im Prinzip ist die Frage, die ich stellen wollte, schon drei- oder viermal gestellt worden . Sie ist immer in der gleichen Weise beantwortet worden . Ich weiß nicht, ob das Sinn macht . Ich habe noch eine Frage, die hier bisher nur einmal gestellt worden ist . Sie selbst sagten, dass Sie keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse haben . Haben Sie bei Ihrem Nachrichtendienst diesbezüglich nachgefragt? Inwieweit arbeiten die Nachrichtendienste zusammen? Es ist wohl wirklich so, wie der Kollege Christian Ströbele sagte: Es ist die bestüberwachte Grenze, die wir auf der Welt haben . Hier ist es völlig unglaubwürdig, zu sagen, dass wir nichts wissen, obwohl Sie zugeben, dass Sie sehr wohl Quellen haben, die Sie über die Vorfälle informieren, nur würden Sie sie so nicht akzeptieren .

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Kekeritz, es steht Ihnen völlig frei, mich hart und scharf zu kritisieren . Wo mich Ihre Kritik, die Sie insinuieren, etwas verwundert, ist, dass ich auf gleiche Fragen gleich antworte . Es würde mich hingegen sehr verwundern, wenn ich auf gleiche Fragen verschiedenartig antworten würde . Insofern ist es nur konsequent . Ich habe darauf hingewiesen, dass zu unseren Quellen selbstverständlich auch nachrichtendienstliche Quellen gehören, sollten sie vorhanden sein . Wir werden die Informationen natürlich entsprechend auswerten . Wenn mir diese Informationen vorlägen oder wenn ich nachrichtendienstliche Erkenntnisse hätte, ich hier aber eine Aussage treffen würde, die nicht der Wahrheit entspricht, dann hätte das für mich letztendlich Folgen und Konsequenzen, die ich mir nicht wünsche .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kekeritz, zweite Frage .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da die Fragen schon alle beantwortet worden sind, verzichte ich darauf . Ich möchte nur noch darauf eingehen, dass Sie natürlich auf die gleiche Frage gleich antworten . Das Problem bestand nicht in der gleichen Antwort, das Problem liegt darin, dass die gleiche Antwort immer nicht glaubwürdig ist . Das wollte ich nur sagen .

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, es ist Ihr gutes Recht, meine Antworten als nicht glaubwürdig einzustufen . Aber ich darf allen Abgeordneten noch einmal versichern, dass ich hier nach bestem Wissen und Gewissen versuche, Ihre ehrenwerten Fragen zu beantworten . - Danke schön .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Staatsminister . - Wir haben jetzt noch einen Fragesteller . Das ist der Kollege Mutlu .

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin . - Herr Staatsminister, ich möchte Ihnen hier nicht unterstellen, dass Sie Amnesty International und Human Rights Watch der Lüge bezichtigen . Aber Sie zweifeln in Ihren Antworten durchaus die Aussagen und Berichte dieser weltweit anerkannten Organisationen mehrfach an . Diese Informationen und die Studien sind nicht von gestern, sondern liegen schon seit Wochen vor . Wenn Sie schon nicht auf diese Quellen vertrauen, frage ich Sie angesichts all der Aufklärungsmaßnahmen des Militärs in der Zuständigkeit unseres Verteidigungsministeriums - AWACS, Tornados sind vor Ort - und der Tatsache, dass Sie bisher keinerlei Aussagen zu deren konkreten Auftrag treffen konnten: Wer von der Bundesregierung kann uns denn dazu Auskunft geben, wenn Sie nicht Auskunft geben können? Wie wäre es mit Informationen aus dem Verteidigungsministerium?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Mutlu, ich gehe fest davon aus, dass andere Vertreterinnen und Vertreter unserer Bundesregierung gleiche Antworten geben würden - es ist unabhängig von meiner Person -, weil ihnen allen nur die Informationen zur Verfügung stehen, die auch mir zur Verfügung stehen . Ansonsten kann ich Ihnen nur zustimmen, dass es sich bei den von Ihnen genannten Nichtregierungsorganisationen um weltweit anerkannte Organisationen handelt, mit denen wir eng zusammenarbeiten . Aber es ist selbstverständlich auch unsere Pflicht, dass wir den schwerwiegenden Vorwürfen entsprechend nachgehen . Ich habe Ihnen heute hier mehrfach zum Ausdruck zu bringen versucht, dass uns keine eigenen Erkenntnisse dazu vorliegen, dass diese schwerwiegenden Vorwürfe zutreffend sind .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Haben Sie eine Rückfrage?

Özcan Mutlu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004360, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich brauche keine weitere Frage zu stellen, weil wir immer dieselbe Antwort kriegen . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin Keul .

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vor dem Hintergrund, dass wir jetzt mehrfach gefragt haben, was mit den Informationen ist, die dem militärischen Bereich zur Verfügung stehen, und sich der Staatsminister jetzt hier nicht in der Lage sah, aus eigener Kenntnis die Frage zu beantworten, welche Erkenntnisse es dort gibt, würde ich jetzt mit Verweis auf unsere Geschäftsordnung die Verteidigungsministerin herbeirufen, damit wir sie fragen können, welche Informationen denn tatsächlich dort vorliegen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gehe ich recht in der Annahme, dass das jetzt der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist? - Dann muss ich darüber abstimmen lassen . Wer stimmt dem Antrag auf Herbeirufung der Verteidigungsministerin zu? - Wer stimmt dagegen? - Nach unserer Einschätzung ist die Mehrheit dafür . ({0}) - Ja, dann zählen wir es jetzt aus . Gut . ({1}) - Oh . ({2}) - Ich sage ja nichts . Ich habe nur „Oh“ gesagt . - Wir kommen hier auf 19 Stimmen für den Antrag und auf 18 Stimmen dagegen . ({3}) Damit gibt es eine knappe Mehrheit für den Antrag . ({4}) - Möchten Sie infrage stellen, dass wir hier richtig gezählt haben? ({5}) - Ich gehe nicht davon aus . Wir haben gemeinsam ausgezählt . Es ist so abgestimmt worden, und so ist es jetzt . ({6}) Dann unterbreche ich die Sitzung, bis die Frau Verteidigungsministerin hier anwesend ist . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet . Herzlich willkommen, Frau Ministerin . Wir sind in der Fragestunde und behandeln gerade die dringlichen Fragen auf Drucksache 18/8852 . Es geht um die Reaktionen der Bundesregierung auf Berichte über Todesopfer an der türkisch-syrischen Grenze . Dazu gibt es Wortmeldungen von einigen Kolleginnen und Kollegen, die Ihnen jetzt Fragen stellen wollen . Die erste Frage hat Katrin Göring-Eckardt .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, vielen Dank, dass Sie es einrichten konnten, hierherzukommen, was aus Ihrer Sicht ja sicherlich selbstverständlich ist, wenn Fragen offen bleiben . Hier geht es speziell um Fragen, die offensichtlich nur Sie als Verteidigungsministerin beantworten können; denn das Auswärtige Amt hat uns hier nur gesagt, man würde alle Erkenntnisse aufnehmen . Für uns war die konkrete Frage, inwieweit die Aufklärungsflugzeuge, die an der syrisch-türkischen Grenze sind und von denen wir ja Informationen darüber bekommen, was dort gerade stattfindet, ausgewertete Informationen über die Selbstschussanlagen haben, die dort stationiert sein sollen . Darüber hatten Nichtregierungsorganisationen berichtet . Die deutsche Bundesregierung hat seitens des Auswärtigen Amtes in der letzten Woche schon einmal darauf hingewiesen, dass sie versucht hat, von der türkischen Regierung dazu Informationen zu bekommen . Darüber hinaus ist die Frage, inwieweit diese Aufklärungsflugzeuge Informationen, die Sie auswerten können, zu einem Fall von diesem Wochenende haben, wonach offensichtlich eine Familie mit vier Kindern erschossen worden ist .

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Göring-Eckardt, zunächst einmal danke ich für die Geduld des Parlamentes . Ich war gerade in den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen . Ich bin sehr dankbar, dass ich die gemeinsamen Ergebnisse mit dem polnischen Kollegen noch vorstellen konnte . Ich bin dann aber selbstverständlich so schnell wie möglich hierhergekommen . Zu dem Sachverhalt, den Sie soeben geschildert haben: Aus dem gesamten militärischen Nachrichtenwesen - das ist das, was ich überblicken kann - liegen uns keinerlei Erkenntnisse vor, die diesen Sachverhalt bestätigen können . Wir haben nach Bekanntwerden unverzüglich mit dem Militärattachéstab in der Türkei Kontakt aufgenommen . Auch dort liegen keine Erkenntnisse vor, die diesen Sachverhalt bestätigen könnten . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Ministerin . - Nächste Fragestellerin: Katja Dörner .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Frau Ministerin, ich möchte Sie ganz konkret fragen, wenn Sie sagen, Ihnen liegen keine Erkenntnisse zu dem von Frau Göring-Eckardt thematisierten Sachverhalt vor: Welche Erkenntnisse liegen Ihnen denn seitens AWACS und der Tornados, die in diesem Grenzgebiet im Einsatz sind oder sein sollen, zur Situation von Flüchtlingen in diesem Gebiet generell vor?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Es ist nicht Aufgabe der Tornados und auch nicht Aufgabe von AWACS, solche Erkenntnisse zu sammeln . Insofern liegen mir keine spezifischen Erkenntnisse vor, die die Thematik, die Sie zurzeit in der Fragestunde besprechen, betreffen . Noch einmal: Wir haben bewusst das gesamte militärische Nachrichtenwesen auf diesen spezifischen Sachverhalt hin befragt, und es liegen keinerlei Erkenntnisse vor .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Eine zweite Frage, Frau Dörner .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vor dem Hintergrund Ihrer Antwort möchte ich gerne fragen, welche Erkenntnisse Ihnen denn seitens der Aufklärungsflugzeuge in diesem Gebiet vorliegen. Und zwar nicht allgemein, sondern konkret: Was machen die da? ({0}) Vizepräsidentin Claudia Roth

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Es gibt einen klar beschriebenen Auftrag von AWACS, den Luftraum - den Luftraum! - über der Türkei aufzuklären . Genau das tun die AWACS-Flugzeuge . Die Tornados haben innerhalb der Koalition gegen den Terror spezifische Aufträge, bestimmte Regionen aufzuklären. Diese Aufgaben kommen in unterschiedlicher Weise täglich, um dann von den Tornados umgesetzt zu werden .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . - Nächste Fragestellerin: Renate Künast .

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich zucke - sehen Sie mir das nach immer zusammen, wenn ich höre, dass militärische Aufklärungsdienste keinerlei Erkenntnisse haben . Wenn ich in den Kategorien von Herrn Maaßen denken würde, wäre ich jetzt hundertprozentig sicher, dass doch etwas im Busch ist . Er sagte auch immer: Wir wissen nichts . Und dann sind die Tresore voll . Deshalb versuche ich einmal, hinter Ihren Begriff „keinerlei Erkenntnisse“ zu kommen . Was haben diese militärischen Dienste angestellt, um zu dem Stand „keine Erkenntnisse“ zu kommen? Haben sie und die Militärattachés sich einfach gefragt: „Wissen wir schon etwas?“? Haben sie, weil sie logischerweise auch wissen wollen, ob der EU-Türkei-Vertrag seitens der Türkei eingehalten wird, nachgefragt oder selber Befragungen von Geflüchteten vorgenommen, ob diese Hinweise stimmen? Haben die militärischen Dienste bei Human Rights Watch oder bei Amnesty International, einer Organisation mit hohem internationalem Ansehen - ich kenne keinen Vorwurf, sie würden lügen -, die eine ganze Menge Wissen sammelt, recherchiert, um auf dieser Basis zu dem Ergebnis zu kommen, sie wüssten nichts, oder um, umgekehrt, auf dieser Basis genauer nachzusehen, um zum Beispiel in Zukunft in der Region Idlib, um die es geht, Obacht auf das zu geben, was da passiert?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich habe Ihnen über die Thematik berichtet, die meine Zuständigkeit betrifft, und das ist das militärische Nachrichtenwesen . Sie haben breitere Facetten und Themen, zum Beispiel Human Rights Watch, angesprochen, die nicht innerhalb der Zuständigkeit des militärischen Nachrichtenwesens liegen . Das, wozu ich gebeten worden bin vorzutragen, ist der Bereich, den ich - innerhalb des militärischen Nachrichtenwesens - überblicken kann . Dort liegen zu dem spezifischen Sachverhalt keine weiteren Erkenntnisse vor .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Künast, Nachfrage?

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe mich nicht deshalb auf Human Rights Watch oder Amnesty bezogen, weil ich nach dem gesamten Menschenrechtsgeschehen in dieser Region fragen wollte; die Frage ist vielmehr, inwiefern die militärischen Dienste vor Ort Wissen darüber haben, dass Menschen erschossen oder verletzt wurden . Dann kann man die Augen zumachen und sagen: „Ich habe keine Erkenntnisse“, oder man kann sagen: Ich recherchiere erst einmal eine gewisse Basis, um diese Frage zu beantworten . Wir bräuchten die Dienste übrigens nicht, wenn sie nur weggucken und dann sagen, was sie nicht wissen . Das könnte ich auch hinkriegen; weggucken könnte ich auch . Seit Dezember wissen diese Dienste von den Vorwürfen und Hinweisen, zum Beispiel von Amnesty und anderen, dass dort geschossen wird und dass es dort entsprechende Vorrichtungen gibt . Da muss es doch ein Aufklärungsinteresse oder einen Aufklärungswillen geben . Dazu sind doch Dienste da . Deshalb frage ich: Was haben die militärischen Dienste ganz konkret seit Dezember letzten Jahres unternommen, um zu recherchieren? Wenn Sie es nicht mündlich beantworten können, nehme ich auch gerne eine schriftliche Antwort entgegen . Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Ungeheuerlichkeiten seitens der Türkei auf die Agenda gesetzt werden und bekannt sind, ohne dass das jemand recherchiert .

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Zunächst einmal möchte ich auf das Schärfste Ihre Unterstellung zurückweisen, das militärische Nachrichtenwesen würde die Augen schließen und weggucken . All das, was Sie eben geschildert haben, ist ja schon ein erheblicher Vorwurf, den Sie da aussprechen . Den weise ich auf das Schärfste zurück . Ich möchte noch einmal klar aufzeigen, dass die Aufgabe des militärischen Nachrichtenwesens begrenzt ist und einen bestimmten Fokus hat . Wenn Sie in einer breiteren Form das gesamte Nachrichtenwesen der Bundesregierung abfragen möchten, dann müsste ich sicherlich mit den zuständigen Ressorts Kontakt aufnehmen und könnte Ihnen das dann gerne schriftlich zukommen lassen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Ministerin . - Nächster Fragesteller: Dr . Alexander Neu .

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, Human Rights Watch ist eine Menschenrechtsorganisation mit einer hohen Reputation . Seit vielen Monaten wird immer wieder über Vorfälle mit tödlichem Ausgang berichtet, dass also angeblich Menschen bzw . Flüchtlinge aufgrund des Waffeneinsatzes der türkischen Sicherheitskräfte ums Leben kommen . Sie sagen, es gebe seitens des Nachrichtenwesens der Bundeswehr keine gesicherten Erkenntnisse . Wenn Sie Human Rights Watch nicht glauben, frage ich Sie: Welche Quelle ist erforderlich, damit Sie es glauben? Ist es das Erdogan-Regime, der türkische Verteidigungsminister oder der türkische Geheimdienst, damit Sie es irgendwann einräumen? Wenn Sie sich nicht einmal auf eine Quelle wie Human Rights Watch verlassen, stelle ich mir die Frage: Auf welche Quelle verlassen Sie sich?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Es geht nicht darum, was ich glaube, sondern darum, welche Erkenntnisse das Nachrichtenwesen, für das ich zuständig bin, hat .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Neu .

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Bewegt sich das Nachrichtenwesen der Bundeswehr denn genau an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei und überwacht diese Grenze lückenlos?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Das militärische Nachrichtenwesen bezieht sich auf den Schutz der militärischen Einrichtungen, die wir dort betreiben, und das ist die Aufgabe des militärischen Nachrichtenwesens . Für weitere Fragen, die Nachrichtenwesen im Allgemeinen betreffen, würde ich das Kanzleramt bitten, zu übernehmen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Herr Neu . - Dann hat jetzt Frau KleinSchmeink die nächste Frage .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben vorhin darauf abgehoben, dass Sie Ihre militärischen Nachrichtendienste befragt hätten . Wann war das ganz konkret? Soweit ich das sehe, gibt es hier über AWACS eine Zuständigkeit für den Bereich der Türkei und über die Tornados für den syrischen Raum . Haben Sie da auch ganz konkret - und wann zuletzt - nach Informationen gefragt? Haben Sie auch ganz konkret nach den Vorfällen gefragt, die hier in Rede stehen?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Direkt nach Bekanntwerden der Vorfälle sind in den üblichen Kanälen und Gremien diese Erkenntnisse breit abgefragt worden . Es sind potenzielle Erkenntnisse gesammelt worden, aber es stellte sich heraus, dass zu dem spezifischen Sachverhalt keine Erkenntnisse vorliegen. Das ist ein standardisiertes Verfahren; das sind Prozeduren, die fixiert angelegt sind. Das ist auch richtig so; denn es muss mit einer gewissen Regelmäßigkeit und im Rahmen einer gewissen Qualitätssicherung erfolgen . In diesen standardisierten Verfahren verdichten sich die abgefragten Elemente . Dann wird zum Schluss auf den hochspezifischen Fall gesehen; der ist ja erst kürzlich als Nachricht präsentiert worden; dabei war also kein langer Zeitraum zu überblicken . Dann hat man ein gesichertes Lagebild . Und das habe ich Ihnen eben im Rahmen der ersten Beantwortung der Frage erläutert .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Rückfrage?

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich darf nachfragen . Sie haben mir nicht beantwortet, ob anlässlich dieses konkreten Falles tatsächlich in den letzten Tagen bzw . in der letzten Woche eine solche Konsultation erfolgt ist .

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich darf Sie darauf hinweisen, dass ich bei einer der früheren Beantwortungen der Fragen bereits gesagt habe, dass das gesamte Nachrichtenwesen befragt worden ist, ob Erkenntnisse vorliegen . Sie liegen nicht vor . Und ich habe gesagt, dass Kontakt mit unserem Militärattachéstab in der Türkei aufgenommen worden ist . Das ist ein aktives Vorgehen . Auch dort gab es keinerlei Bestätigung des von Ihnen eben spezifisch abgefragten Sachverhaltes.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Ministerin . - Nächste Fragestellerin: Tabea Rößner .

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben gesagt, Sie hätten jetzt keine Informationen bekommen; aber die türkisch-syrische Grenze - das muss man ja einmal feststellen - ist die best überwachte Grenze auf der ganzen Welt . Deshalb ist es schon sehr erstaunlich, dass es da keine Informationen gibt . Deshalb frage ich Sie, was Ihr Ministerium bzw . die Bundesregierung in Gänze zu tun gedenkt, um tatsächlich an weitere Informationen - gerade auch über den militärischen Nachrichtendienst - zu kommen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wer antwortet? - Das Kanzleramt .

Not found (Gast)

Ich glaube, der Kollege Roth hat eingangs sehr ausführlich geschildert, dass die Bundesregierung hier über keine spezifischen Kenntnisse verfügt und dass die Mittel, die wir als Bundesregierung haben, auch an der Stelle keinerlei Erkenntnisse gebracht haben . Und darüber hinaus können wir als Bundesregierung dazu jetzt auch keine Stellung mehr nehmen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Rößner .

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also, das erstaunt mich schon sehr; denn es ist ja die Frage, was für Konsequenzen es gibt, wenn alle diese ErDr. Alexander S. Neu eignisse bestätigt werden . Von daher müsste die Bundesregierung doch ein großes Interesse haben, Erkenntnisse über den Sachverhalt zu bekommen . Deshalb auch noch diese Frage an Sie, Frau Ministerin: Welche Konsequenzen hätte es denn im militärischen Bereich, wenn diese Ereignisse alle bestätigt werden?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Wir müssten bestätigte Erkenntnisse haben . Ich kann nicht allgemein auf hypothetische Situationen antworten . Im Übrigen sind „militärische Folgen“ bzw . - habe ich es richtig verstanden, dass Sie das so genannt haben? „militärische Konsequenzen“ sehr schwierige Begriffe, die ich hier niemals so benutzen würde . Vielmehr sage ich noch einmal: Man muss sehr genau wissen, was vorliegt, und man muss genau wissen, auf welchem Grund und Boden man sich bewegt und was die Tatsachen sind . Anhand der Tatsachen kann man dann analysieren und entscheiden, aber nicht anhand von hypothetischen Vorstellungen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Es gab eine Rückfrage, und ich will das für alle noch einmal deutlich machen . Herr Brauksiepe, glaube ich, hat sich dafür interessiert, warum jeweils zwei Nachfragen möglich sind . Das liegt daran, dass es zwei dringliche Fragen sind . ({0}) Jetzt haben wir Kordula Schulz-Asche .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich glaube, wir sind uns einig, dass die Zivilgesellschaft und die Nichtregierungsorganisationen gerade in Gebieten, in denen Krieg herrscht oder in denen die Situation von großer Unsicherheit geprägt ist, bei der Beobachtung von Menschenrechtsverletzungen oder der Menschenrechtssituation insgesamt eine sehr große Rolle spielen . Wir haben mit drei Organisationen, die ich hier beispielhaft nennen möchte, nämlich Amnesty International, Human Rights Watch und der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, sehr renommierte Nichtregierungsorganisationen, die in der Region, in der die Vorfälle stattgefunden haben sollen, arbeiten und von daher nicht nur renommiert sind, sondern, wie ich finde, auch eine hohe Glaubwürdigkeit haben, was ihre Berichte angeht . Jetzt ist meine Frage: Wenn Sie als Bundesregierung keine militärischen Erkenntnisse oder keine Sicherheitserkenntnisse haben, warum akzeptieren Sie dann nicht die Zivilgesellschaft als glaubwürdige Quelle?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich kann Sie auf die im Laufe dieser Fragerunde gegebenen Antworten verweisen . Insofern entbehrt die Frage, die Sie mir gestellt haben, einer Grundlage; denn sie unterstellt mir eine bestimmte Annahme bezüglich der von Ihnen genannten Organisationen, und das ist nicht der Fall .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die zweite Frage .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielleicht muss ich dann einmal das Kanzleramt fragen . Ich frage, warum, wenn es keine militärischen oder nachrichtendienstlichen Erkenntnisse gibt, die Bundesregierung nicht die Aussagen renommierter Nichtregierungsorganisationen bzw . der Zivilgesellschaft als glaubwürdige Quellen anerkennt, sondern diese in Ermangelung anderer Quellen infrage stellt und keine weiteren Maßnahmen ergreift .

Not found (Gast)

Frau Kollegin, im Hinblick auf die Einschätzung der Lage und der gewonnenen Erkenntnisse durch die Bundesregierung verweise ich auf die ausführlichen Antworten zu den gestellten Fragen durch den Kollegen Roth und auch Frau Bundesminister von der Leyen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Braun . - Wir haben jetzt noch zwei Fragestellerinnen, und zwar zunächst die „Fragestellerin“ Jörn Wunderlich .

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich wollte gerade sagen: kodiert . - Vielen Dank . Human Rights Watch und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte stellen so etwas fest . Wenn Sie, Frau von der Leyen, angesichts der Meldung derartiger Vorfälle sagen, das liegt nicht in Ihrer Zuständigkeit, weil die von Ihnen befehligten Truppenteile dafür zuständig sind, militärische Objekte zu schützen und den Luftraum klar zu halten, zeigt das, dass von Ihrer Seite mangels Zuständigkeit ja offensichtlich doch nichts unternommen wird, obwohl Sie das strikt zurückweisen . Andererseits sagen Sie - das haben Sie gerade eben gesagt; ich zitiere -: „Man muss sehr genau wissen, was vorliegt .“ Deswegen meine Frage an das Kanzleramt: Wenn über solche Dinge berichtet wird, diese Vorfälle durch die Zivilorganisationen bekannt werden und Frau von der Leyen als Verteidigungsministerin sagt: „Im Rahmen der Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung bin ich nicht zuständig“, was unternimmt dann das Kanzleramt als in der Bundesregierung zuständige Stelle, auch für die übrigen Dienste, um eben die von Frau von der Leyen geforderte Zuverlässigkeit des Wissens - „man muss sehr genau wissen, was vorliegt“ - zu erlangen? Was hat die Bundesregierung bisher unternommen? In welcher Form hat sie nachgeforscht: „Gab es da die Toten? Gab es da die Schüsse? Oder lügen die Organisationen alle?“? Ist mit der türkischen Regierung Kontakt aufgenommen worden? Was ist konkret unternommen worden, um diesen Sachverhalt aufzuklären?

Not found (Gast)

Lieber Herr Kollege, schon daran, dass wir diese dringliche Frage heute durch das Auswärtige Amt haben beantworten lassen, wird deutlich, dass diese Angelegenheit aus dem Bereich des Auswärtigen, was die Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung angeht, zunächst einmal beim Auswärtigen Amt liegt . ({0}) Deshalb haben Sie die Auskünfte von da bekommen . Wir haben darüber hinaus jetzt auf Ihren Wunsch hin von der Bundesverteidigungsministerin zusätzliche Informationen über die Rolle der Bundeswehr in der Region bekommen . Bezüglich der Einschätzung, die die Bundesregierung im Hinblick auf das Handeln der von Ihnen genannten Organisationen hat, verweise ich Sie auf die bereits gegebenen Antworten des Auswärtigen Amts .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Braun . - Herr Wunderlich, eine zweite Frage, wenn Sie mögen .

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Immerhin freut es mich, dass Sie heute wissen, was die eigentliche Aufgabe dieses im Dezember beschlossenen Einsatzes ist . ({0}) Gleichwohl sind Sie mir die Antwort schuldig geblieben, was konkret unternommen worden ist . Dazu haben Sie keine Aussage getroffen . Daraus kann ich nur schließen: Sie haben nichts unternommen . Deshalb kann ich den Vorwurf, den Frau von der Leyen hier der Fraktion der Grünen gemacht hat - sie hat es ja zurückgewiesen, weggeguckt zu haben -, nur ebenfalls aufs Schärfste zurückweisen; denn es scheint doch den Tatsachen zu entsprechen . Hier werden Zuständigkeiten hin- und hergeschoben, aber die Antwort auf die Frage, was konkret unternommen wird, um zu verhindern, dass es möglicherweise weitere Tote an der Grenze gibt, bleibt diese Regierung schuldig, nicht nur diesem Parlament, sondern auch der Öffentlichkeit . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Staatsminister Roth, bitte .

Not found (Gast)

Bei allem Respekt, Herr Abgeordneter, vor einer lebendigen Debattenkultur möchte ich Sie aber auch um ein Mindestmaß an Fairness bitten . ({0}) Wir diskutieren diesen Sachverhalt aufgrund einer dringlichen Frage der Abgeordneten Göring-Eckardt seit ungefähr anderthalb Stunden, mit einer Unterbrechung . Ich habe den Abgeordneten detailliert Auskunft erteilt . Ich kann auch gerne, damit Sie einen anderen Eindruck bekommen, diese Antworten noch einmal vortragen; denn inzwischen hat sich das Publikum hier deutlich verändert . Es nehmen inzwischen Abgeordnete an der Diskussion teil, ({1}) die den ersten, ausführlichen Teil der Beantwortung nicht mitbekommen haben . Daraus können Sie doch nicht den Vorwurf konstruieren, dass die Bundesregierung nicht bestmöglich informiert habe . Ich habe dies für die Bundesregierung getan . ({2}) - Da waren auch Sie, Frau Abgeordnete, nicht dabei . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Können wir jetzt bitte wieder in Ruhe diskutieren? Die letzte Fragestellerin zu den dringlichen Fragen ist Frau Lemke . ({0})

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ob es die Aufgabe der Regierung ist, von der Regierungsbank aus die Arbeit der Abgeordneten zu bewerten, lasse ich für den Moment einmal dahingestellt; ({0}) denn ich glaube, dass wir gerade andere Dinge zu tun haben . Herr Roth, wir diskutieren diesen Sachverhalt aufgrund der Tatsache, dass seit Dezember, das heißt seit sechs Monaten, der Vorwurf von Nichtregierungsorganisationen im Raum steht, dass via Selbstschussanlagen oder auf andere Art und Weise dort Menschen zu Tode kommen, und die Bundesregierung - ich zitiere Frau von der Leyen - keinerlei Erkenntnisse darüber hat, ob diese Aussagen richtig oder falsch sind . Dieses Spiel haben Sie hier in der Tat anderthalb Stunden aufgeführt und gesagt, dass Sie keinerlei Erkenntnisse darüber haben . In diesen sechs Monaten sind entscheidende Abkommen mit der Türkei, die auch die Sicherheitslage in Deutschland durchaus tangieren, getroffen worden . Ich lasse jetzt einmal das Schwarze-Peter-Spiel, das Sie innerhalb der Bundesregierung gerade aufgeführt haben, beiseite und möchte das Kanzleramt fragen: Was passiert denn in den nächsten sechs Monaten? Wann können Sie uns Erkenntnisse mitteilen, ob die Vorwürfe von Amnesty und Human Rights Watch richtig oder falsch sind?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Braun, bitte .

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass Sie in Ihrer Frage eine Reihe von Unterstellungen machen . Die Bundesministerin hat eben deutlich gesagt, dass aus dem Nachrichtenbereich des Militärs keine Erkenntnisse vorliegen . Das ist etwas anderes als das, was Sie in Ihrer Aussage zusammengefasst haben . Über die Frage, welche zukünftigen Erkenntnisse die Bundesregierung noch gewinnen wird, kann ich nicht spekulieren . ({0}) Sie haben durch die Aussagen, die wir getroffen haben, erfahren, was wir in der Vergangenheit unternommen haben . Wir haben auch deutlich gemacht, dass uns die Situation der Flüchtlinge in der Türkei insgesamt sehr wichtig ist und wir deshalb sehr genau da hinschauen . Aber welche zukünftigen Erkenntnisse wir gewinnen können, darüber kann ich hier nicht spekulieren .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Lemke, zweite Frage .

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Den Sachverhalt, den Sie eben angedeutet haben dass nur der militärische Nachrichtendienst keine Erkenntnisse hat, und darin ist intendiert, dass andere Nachrichtendienste Erkenntnisse haben -, lasse ich jetzt aus Zeitgründen beiseite . Dazu werden wir schriftlich an anderer Stelle nachfragen . ({0}) - Da brauchen Sie gar nicht zu lachen . Wenn Sie für die Zukunft keine Aussage treffen können, möchte ich bezüglich Erkenntnissen wissen, auf welche Art und Weise Sie diesem Sachverhalt politisch nachgehen werden, um der deutschen Öffentlichkeit und dem deutschen Parlament sagen zu können, ob die Aussagen von Amnesty und Human Rights Watch richtig oder falsch sind . Wann werden Sie diesbezüglich zu Erkenntnissen gelangt sein? Das ist eine politische Bewertung und keine nachrichtendienstliche . Wenn Sie sagen: „Diese Aussagen stimmen nicht“ oder: „Wir haben keinerlei Erkenntnisse darüber“, dann wäre der Umkehrschluss, dass sie falsch sind . Ich möchte dazu von Ihnen eine klare Aussage haben . Wenn Sie diese heute nicht treffen können, dann möchte ich gerne wissen, bis wann Sie politisch gedenken diese Aussagen bewerten zu können: Braucht das noch sechs Monate, drei Monate oder zwölf Monate? Denn ansonsten kann ich Ihnen Ihre behauptete Sorge um die Flüchtlinge in diesem Grenzgebiet leider nicht abnehmen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Braun .

Not found (Gast)

Frau Kollegin, in der Frage waren zweimal Dinge enthalten, mit denen Sie eine implizierte Unterstellung vornehmen, die so nicht Gegenstand meiner Antwort war . Das Erste war, dass ich die Antwort der Bundesministerin klargestellt habe . Das, was Sie eben daraus geschlossen haben - was das implizit für andere Dienste heißt -, ist ausdrücklich nicht Gegenstand meiner Antwort gewesen . Das Zweite ist, dass Sie eben gesagt haben, dass die Tatsache, dass die Bundesregierung keine Erkenntnisse hat, implizit bedeutet, dass die Aussagen falsch wären . Genau diese Bewertung hat die Bundesregierung an der Stelle nicht vorgenommen . ({0}) Insofern kann ich über die zukünftigen Erkenntnisse nichts sagen, möchte aber die beiden Unterstellungen, die in Ihrer Frage enthalten sind, zurückweisen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Braun . - Jetzt wirklich die allerletzte Fragestellerin: Frau Werner .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön . - Ich möchte nachhaken; ich bin in dieser Debatte von Anfang an dabei . Ich gehe hier eigentlich mit noch mehr Fragen heraus, wobei wir das ja anscheinend nicht klären können . Insofern vielleicht ganz einfach: Für mich war jetzt so ein bisschen das Problem, dass mir nicht ganz klar ist, wer jetzt wem die Zuständigkeiten zuschieben möchte . Könnten wir uns vielleicht darauf verständigen, dass in dieser öffentlichen Debatte viele Fragen gestellt wurden, viele Hinweise gegeben wurden, dass es Organisationen gibt, die einfach Berichte veröffentlicht haben, die von Toten an Grenzen gesprochen haben, und dass diese Berichte oder diese Debatte, welches Ministerium auch immer zuständig wäre, von den zuständigen Ministerien zum Anlass genommen werden, um schnellstmöglich die offenen Fragen aufzuklären? Wenn dem so ist - es ist ja jetzt bekannt, dass es jetzt im Raum steht, zumindest nach der Debatte -, dann würde ich die Frage anschließen, wie lange Sie denn bräuchten, um zu überprüfen, ob diese Berichte stimmen, und, wenn Sie sie dann überprüft haben, zu welchen Konsequenzen oder Initiativen Sie dann kommen würden . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Braun .

Not found (Gast)

Frau Kollegin, das hat man schon am Konjunktiv Ihrer Frage gemerkt, dass Sie auch hier wieder wollen, dass wir spekulieren . Das tun wir nicht . Wir haben Sie über die Erkenntnislage der Bundesregierung informiert . Über die Frage, welche zukünftigen Erkenntnisse wir noch gewinnen, kann ich hier nicht spekulieren . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Werner .

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich mache das dann, auch wenn Sie mir die gleiche Antwort dann noch einmal geben . Für mich ist eigentlich das, was ich hier mitnehme, dass wir nicht die richtigen Antworten bekommen - es sind ja Ihre Antworten -, dass andere Erkenntnisse vorhanden sind . Also: Es gab Antworten, denen ich entnehme, dass es keine Erkenntnisse gibt, und es gibt die Berichte . Ich möchte Ihnen oder den anderen Organisationen nicht unterstellen, dass die Berichte nicht stimmen, sondern ich möchte wissen, ob Sie aufgrund der Debatte heute Initiativen ergreifen, ob Sie den Raum hier verlassen und ob diese Debatte für Sie erledigt ist oder ob Sie eventuell irgendwelche Initiativen starten, Gespräche haben werden und ob Sie in der Lage sind, uns vielleicht in der nächsten Sitzungswoche detaillierter Antworten zu geben .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Staatsminister Braun, bitte .

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich bewundere Ihre hellseherischen Fähigkeiten . Ich kann heute keine Aussage darüber machen, welche Erkenntnisse es zukünftig noch geben wird, und deshalb kann ich Ihnen auch nicht sagen, ob wir in der nächsten Woche zusätzliche Informationen liefern können . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und vonseiten der Regierung beantwortet worden sind - vielen Dank, Frau Ministerin, vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen -, rufe ich jetzt die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/8816 in der üblichen Reihenfolge auf . Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Die Frage 1 von Frau Kollegin Beate WalterRosenheimer wird schriftlich beantwortet . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit . Beantworten wird Staatssekretärin Ingrid Fischbach . Die Fragen 2 und 3 von Frau Kollegin Sabine Zimmermann werden schriftlich beantwortet . Die Frage 4 von Frau Kollegin Kordula Schulz-Asche kann leibhaftig beantwortet werden: Welche konkreten Regelungen zur gruppennützigen Forschung an nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen plant die Bundesregierung, nachdem in den letzten Wochen einerseits von verschiedenen Akteuren wie den Kirchen und Patientenorganisationen eine Ausweitung des Schutzniveaus bei nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen bei Arzneimittelstudien abgelehnt wurde und andererseits von Dr . Karl Lauterbach, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, weitere mögliche Änderungen zur geplanten Ausweitung von klinischen Studien vorgeschlagen wurden ({0})?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin Schulz-Asche, gern beantworte ich Ihre Frage: Maßgebliche Bestimmung für die gruppennützige Teilnahme an einer klinischen Prüfung ist Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe g Ziffer ii der EU-Verordnung Nummer 536/2014 . Die Bundesregierung hat in dem von ihr beschlossenen Vierten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften in Artikel 2 Nummer 11 für die Einbeziehung nichteinwilligungsfähiger Erwachsener zu gruppennützigen Forschungszwecken noch strengere Voraussetzungen vorgesehen . Mögliche Änderungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung werden derzeit im parlamentarischen Verfahren beraten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin Kordula Schulz-Asche .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zunächst einmal herzlichen Dank für die Beantwortung . - Sie sagten gerade, dass Änderungen derzeit beraten werden . Dazu möchte ich Sie gleich als Erstes fragen, wie Sie mir erklären können, dass die Änderungsanträge, die im Parlament offensichtlich beraten werden, zurzeit nur einigen Verbänden und einigen Pressepersonen vorliegen, nicht aber der Opposition dieses Hauses, die sie bräuchte, um tatsächlich darüber beraten zu können .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Wie es im parlamentarischen Verfahren üblich ist, beraten zunächst die Regierungsfraktionen diese Änderungsanträge, um dann ein gemeinsames Paket an die Opposition weitergeben zu können .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Schulz-Asche .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie mir dann beantworten, über welche der Varianten, die in der letzten Zeit von den Koalitionsfraktionen diskutiert wurden, gerade diskutiert wird? Ist es die Version von dem SPD-Kollegen Lauterbach, die vorsieht, dass eine Vorabeinwilligung der Patientin oder des Patienten mit einer Vorsorgevollmacht oder auch mit einer Betreuungsverfügung möglich ist, oder wird derzeit der Vorschlag von Herrn Minister Gröhe diskutiert, der vorsieht, dass man die klinischen Prüfungen nach einer ärztlichen Aufklärung machen kann? Dann gleich meine fachliche Frage, die sich daran anschließt: Wenn Sie dem Vorschlag von Herrn Minister Gröhe folgen, ist die Frage, wie es möglich sein soll, dass ein Arzt einen Patienten, der noch einwilligungsfähig ist, über eine Studie aufklärt, die noch gar nicht konzipiert wurde . Wie kann ein Arzt überhaupt über eine solche Studie aufklären? Ist das die Konstruktion, die Sie jetzt vorsehen, oder über welche konkrete Vorlage wird gerade diskutiert? Es gab gestern Fraktionssitzungen . Deswegen frage ich Sie: Über welchen konkreten Vorschlag diskutieren Sie gerade?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, welche Vorlage das Parlament und die einzelnen Fraktionen diskutieren, liegt in der Hand der Fraktionen; es ist ihnen überlassen . Ich kann Ihnen nicht sagen, worüber die SPD-Fraktion diskutiert hat . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Frau Schulz-Asche . - Dann hat die nächste Frage dazu Frau Dörner .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Frau Staatssekretärin, ich würde gern wissen, auf welche Initiative diese umstrittene Regelung Eingang in den Regierungsentwurf gefunden hat .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, vielleicht können Sie noch einmal genau sagen, welche umstrittene Regelung Sie meinen .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich meine die umstrittene Regelung bezogen auf die gruppennützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen . Ich dachte, das wäre deutlich . ({0})

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich habe mich nicht zur Wand umgedreht; aber ich habe einige Fragen zu beantworten und weiß, wie sie lauten, Frau Kollegin Künast . Aber wenn Sie jetzt mit mir diskutieren wollen, ist das auch in Ordnung . Ich antworte Frau Kollegin Dörner gerne auf ihre Frage . - Frau Kollegin Dörner, es gibt eine EU-Verordnung, die wir umsetzen . Im Rahmen dieser Vorlage ist die klinische Prüfung mit Nichteinwilligungsfähigen ein Thema . Deswegen ist das in unserem Gesetzentwurf enthalten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächste Frage, Maria Klein-Schmeink .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage zur letzten Antwort . Inwiefern haben Sie den Gestaltungsspielraum, den die EU in dieser Frage durchaus lässt, genutzt, und warum haben Sie die Variante gewählt, eine Ausweitung in Richtung gruppennütziger Forschung vorzuschlagen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, ich möchte noch einmal sehr deutlich feststellen, dass auf Druck Deutschlands in der damaligen Verhandlungsrunde der Ratsarbeitsgruppe überhaupt eine nationale Abweichungsregel in die EU-Verordnung aufgenommen wurde . Das war unser persönliches Anliegen, weil wir wissen, dass wir Vorgaben des Bundestages haben und diese nicht aufweichen wollen . Danach bleiben strengere nationale Regelungen in den Mitgliedstaaten davon unberührt . Diese können wir durchsetzen, und das werden wir auch tun . Wir haben in den Beratungen festgestellt, dass wir volle Unterstützung lediglich von Österreich bekommen haben und dass alle anderen Mitgliedstaaten die Ermöglichung gruppennütziger klinischer Prüfungen mit nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen wollten . Uns war wichtig, an der Stelle noch einmal deutlich zu machen, dass wir an dem Prinzip festhalten, dass mit nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen nicht geforscht werden kann . Uns geht es darum, die Möglichkeit zu schaffen, dass im Vollbesitz der geistigen Fähigkeiten Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden können, von denen andere Menschen und vor allen Dingen die gruppennützige Forschung profitieren.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Corinna Rüffer .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

War die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen bei Ihren Konsultationen und Beratungen einbezogen? Gab es von ihrer Seite oder vonseiten ihres Beraterstabes eine Stellungnahme?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Wie im normalen parlamentarischen Verfahren üblich, bekommen alle beteiligten Ressorts die Vorlagen . Entsprechende Rückmeldungen fließen in die Beratungen ein .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Hubert Hüppe .

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich hätte die Frage doch gern genauer beantwortet bekommen . Es gab ja einen Referentenentwurf, der die fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen entsprechend dem Beschluss des Bundestags aus dem Jahr 2013 nicht vorsah . Auf welche Veranlassung hin ist diese umstrittene Passage dann doch in den Referentenentwurf hineingekommen, um dem Kabinett vorgelegt zu werden?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege Hüppe, es gab natürlich die ersten Beratungen, wie es in einem parlamentarischen Verfahren üblich ist . Uns ist gerade vonseiten der Wissenschaft und anderer Vereinigungen und Verbände deutlich gemacht worden, dass wir diese Forschung brauchen . Ich möchte daran erinnern, dass gerade im Bereich der demenziell erkrankten Menschen deutlich wurde, dass sich alle Forschungsergebnisse, die wir haben, auf das Frühstadium der Erkrankung beziehen und nicht auf das Ende . Hier besteht Forschungsbedarf; das ist sehr deutlich signalisiert worden . Deswegen haben wir diese Vorgaben aufgenommen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Fischbach, wir kommen jetzt zur Frage 5 der Kollegin Kordula Schulz-Asche: Welche klinischen Studien konnten aufgrund der derzeitigen Rechtslage, die gruppennützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen verbietet, nicht durchgeführt werden?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, gern antworte ich Ihnen auf Ihre Frage: Die Verordnung findet noch keine Anwendung. Konkrete Forschungsvorhaben in Europa konnten daher noch nicht durchgeführt und deshalb auch noch nicht benannt werden .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Schulz-Asche .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin Fischbach, der Kollege Hüppe hat eben zu Recht darauf hingewiesen, dass der Deutsche Bundestag im Jahr 2013 fast einstimmig einem Antrag zugestimmt hat, der die heute geltende Regelung enthält, dass nur bei eigennützigen Studien nichteinwilligungsfähige Personen einbezogen werden dürfen, dass hier also ganz strenge Vorgaben gemacht werden . Deswegen frage ich Sie: Welche Studien konnten nicht durchgeführt werden, weil nichteinwilligungsfähige Personen ohne Eigennutz nicht teilnehmen durften? Gibt es konkrete Beispiele, welche Forschungseinrichtungen im Bereich der Demenz bestimmte Studien nicht durchführen konnten, die es nun notwendig machen, dass sich die Bundesregierung bzw . die sie tragenden Fraktionen von dem gemeinsamen Beschluss aus dem Jahre 2013 verabschieden, noch dazu in einem sehr kurzen und fragwürdigen Verfahren?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, ich hatte gerade deutlich gemacht, dass die EU-Verordnung noch keine Anwendung findet. Insofern sind auch keine Anträge auf Studien eingegangen . Wie Sie sich vorstellen können, werden, wenn der rechtliche Rahmen noch gar nicht gegeben ist, auch keine entsprechenden Anträge gestellt .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Schulz-Asche .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir können gerne auf dem Niveau weiterdiskutieren . Aber wir wissen, dass es Anfragen vonseiten der Forschung gegeben hat, sich nicht mehr an die Regelungen zu halten, die vom Bundestag im Jahr 2013 beschlossen wurden . Dafür muss es ja Anlässe geben . Deswegen frage ich Sie noch einmal konkret: Welche Studien sind von der Wissenschaft benannt worden, die aufgrund der jetziParl. Staatssekretärin Ingrid Fischbach gen Rechtslage nicht durchgeführt werden konnten, was die Bundesregierung jetzt veranlasst, sehr kurzfristig und in einer die parlamentarischen Rechte sehr einschränkenden Art und Weise Änderungen vorzunehmen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, ich denke, uns geht es um den Schutz Nichteinwilligungsfähiger . Da sind wir auf einer Linie . Deswegen bitte ich Sie, die Fragen vernünftig miteinander zu diskutieren . Ich gebe Ihnen gerne Antwort . Uns wurde im Rahmen des Gesetzgebungsvorhabens in vielen Gesprächen gerade vonseiten des KKS-Netzwerks und des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen, in dem 50 der 52 landesrechtlich gebildeten öffentlich-rechtlichen Ethikkommissionen in Deutschland Mitglied sind, deutlich gemacht: Wir brauchen Forschung im Bereich demenziell Erkrankter gerade im Spätstadium . Hier reichen uns die Studien, die wir haben, nicht; denn sie beziehen sich alle auf den Anfang des Verlaufs . Wir haben festgestellt, dass wir zum Beispiel aufgrund der Veränderung der Verstoffwechselung im Körper der Menschen neue Studien brauchen . Deswegen haben wir den Wunsch des KKS und des Arbeitskreises aufgenommen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön . - Frau Kollegin Dörner .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . - Sie haben selber ausgeführt, dass es die Bundesregierung war, die sich auf EU-Ebene dafür eingesetzt hat, dass es überhaupt Ausnahmeregelungen geben soll, und den Auftrag des Bundestages an die Bundesregierung in der Frage selbst genannt . Ich schließe daraus, dass Sie den Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2013 zu dem Sachverhalt meinen . Deshalb meine Frage: Warum setzen Sie jetzt den Beschluss des Bundestages von 2013 nicht vollständig um und nutzen damit die Spielräume auf EU-Ebene, die Sie angeblich als Bundesregierung erst ermöglicht haben?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, ich möchte deutlich machen: Das haben wir nicht angeblich getan, sondern mit vollem Nachdruck getan, weil bei uns wie bei Ihnen - hier lasse ich keine andere Deutung zu - der Schutz Nichteinwilligungsfähiger oberste Priorität hat . Deswegen wird sich an der Gesetzeslage und an der bisherigen Position nichts ändern, dass die gruppennützige Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen grundsätzlich verboten ist . Daran ändert sich nichts . Wir wollen eine Ausnahme unter ganz engen Voraussetzungen möglich machen; das sollte auch in Ihrem Sinne sein . Ich glaube, wir sollten nicht nur an uns selber denken, sondern haben auch der Allgemeinheit gegenüber eine Verantwortung . Altruismus steht nicht nur auf dem Papier . Deswegen haben wir gesagt: Unter ganz engen Voraussetzungen dürfen Menschen, die im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten sind - wir reden nicht über Nichteinwilligungsfähige, sondern über Menschen, die im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten sind -, für sich eine Entscheidung treffen, was passieren könnte, wenn sie im Alter an Demenz erkranken . Ich denke, das ist eine Möglichkeit, die im Rahmen unseres Grundgesetzes vertretbar ist .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Hubert Hüppe .

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade gesagt, dass das KKS offensichtlich die einzige Institution ist, die eine solche Möglichkeit fordert . Das KKS konnte auf meine Anfrage hin keine einzige Studie aus dem Ausland vorlegen - dort, wo es schon seit vielen Jahren erlaubt ist, eine solche Forschung zu betreiben -, bei der die Möglichkeit genutzt wurde, fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen zu betreiben, und die irgendeinen Nutzen für irgendeinen Patienten gehabt hat . Wie können Sie sich das erklären?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege, da liegen Ihnen andere Unterlagen vor als uns . Das KKS-Netzwerk hat noch einmal recherchiert und zum Beispiel auf eine Prüfung hingewiesen, die im Juni 2007 in den USA durchgeführt wurde . Das war eine Prüfung, bei der gemeinnützige klinische Forschung an nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen durchgeführt wurde . Parallel wurde an Erwachsenen geforscht, die einwilligungsfähig waren . Das ist eine Studie, die in den USA durchgeführt wurde, und sie ist uns auch vom KKS genannt worden . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin Klein-Schmeink .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte einen ergänzenden Sachverhalt ansprechen . Die Bundesregierung plant, dass für die Genehmigung klinischer Studien eine positive Stellungnahme der zuständigen unabhängigen Ethikkommission zukünftig nicht mehr zwingend erforderlich sein soll . Da stellt sich die Frage, ob damit nicht die Unabhängigkeit der Ethikkommission ausgehebelt wird und Sie gleichzeitig in die Steuerungsmöglichkeiten im Rahmen des Bewertungsverfahrens eingreifen .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Ich muss feststellen, Frau Kollegin, dass wir formuliert haben, dass die Stellungnahme der Ethikkommission eine maßgebliche Berücksichtigung finden muss. Wir haben aufgrund der EU-Verordnung das Problem, dass wir eine Stellungnahme abgeben müssen . Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen . Ich sage noch einmal: Die Stellungnahmen der Ethikkommission müssen „maßgeblich berücksichtigt“ werden - das ist ein Fachbegriff, den alle Experten entsprechend anwenden .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Rudolf Henke, bitte .

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, es ist jetzt mehrfach auf den Beschluss verwiesen worden, den der Deutsche Bundestag in der 17 . Legislaturperiode auf Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 17/12183, gefasst hat . Ist es auch nach Ihrer Auffassung so, dass sich dieser Text auf den damals in den EU-Verhandlungen befindlichen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates bezog und auf die Frage, wie die Bundesregierung Einfluss auf diese Beratungen nehmen sollte, nicht dagegen auf ein vom Deutschen Bundestag zu beschließendes Gesetz?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege, ich danke Ihnen sehr für die Frage . Ich kann Ihre Ausführungen nur bestätigen . Ich war seinerzeit selber im Parlament und habe den Auftrag an der Stelle genau so verstanden . Ich schließe mich also der von Ihnen ausgeführten Bewertung an .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin Fischbach, jetzt kommen wir zur Frage 6 der Kollegin Dörner: Wie viele bedeutsame klinische Studien zur Demenz wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im außereuropäischen Ausland ausschließlich an Nichteinwilligungsfähigen bisher durchgeführt?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin Dörner, der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor . Auch eine Auswertung der amerikanischen Datenbank zu klinischen Studien, bei der es sich um eine Sammlung freiwilliger Dateneinträge handelt, ermöglicht nur eine Suche nach Studien mit Erwachsenen . Eine Einschränkung auf Nichteinwilligungsfähige ist in dieser Datenbank nicht möglich .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Dörner, bitte .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . - Ich würde meine Frage gerne ausweiten, und zwar mit Blick auf die Fremdnützigkeit: Wie viele bedeutsame klinische Studien zur Demenz an Nichteinwilligungsfähigen, die ausschließlich fremdnützig sind, wurden bisher im außereuropäischen Ausland durchgeführt?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Auch dazu habe ich gerade schon etwas gesagt: Wir können dazu keine Aussagen machen, weil es in dem Bereich keine Statistik gibt . Ich möchte noch einmal deutlich machen, Frau Kollegin Dörner, dass es nicht um fremdnützige Forschung geht . Es geht um gruppennützige Forschung . Es ist schon etwas anderes, ob man die Zustimmung gibt, der Forschung in irgendeinem Bereich zur Verfügung zu stehen, oder ob man selber einer Gruppe von Betroffenen zugehört, deren Krankheit erforscht werden soll, und dann im altruistischen Sinne sagt: Ich habe zwar im Moment vielleicht keinen Eigennutzen, aber die nachfolgende Generation kann daraus einen Nutzen ziehen . - Deswegen unterscheiden wir schon zwischen fremd- und gruppennütziger Forschung .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin Dörner? - Gut, dann Herr Hüppe .

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, zu der von Ihnen eben genannten Studie aus dem Jahr 2007: Ist Ihnen bekannt, dass an dieser Studie sowohl einwilligungsfähige wie nichteinwilligungsfähige Patienten teilgenommen haben, die in randomisierte Gruppen aufgeteilt wurden, was nach Artikel 31 EU-Verordnung auch zukünftig in Europa nicht zulässig wäre, und dass damit dem Subsidiaritätsgedanken widersprochen wird, dass, wo Forschung mit Einwilligungsfähigen stattfinden kann, dies nicht mit Nichteinwilligungsfähigen stattfinden darf?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Herr Kollege, Sie haben bei meiner Antwort nicht deutlich genug zugehört . ({0}) Ich habe sehr wohl gesagt, dass die Studie mit Nichteinwilligungsfähigen, aber auch mit Einwilligungsfähigen durchgeführt wurde; das können Sie nachlesen . Sie haben nach Studien gefragt, und ich habe Ihnen das Studienmodell sowie beide beteiligten Gruppen genannt .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kordula Schulz-Asche .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, wir erleben, dass die Bundesregierung seit Wochen über dieses Thema diskutiert und immer wieder neue Vorschläge auf den Tisch kommen . Wir reden hier über Studien, die mit Menschen durchgeführt werden sollen, die selber nicht mehr einwilligungsfähig sind und wahrscheinlich auch keinen Eigennutzen aus dieser Studie ziehen können . Ich gehe davon aus, dass die verschiedenen Vorschläge, die sowohl aus SPD-Fraktion und CDU/CSU-Fraktion als auch von der Regierung gekommen sind, von der Justizabteilung Ihres Ministeriums geprüft und entsprechend bewertet wurden . Deswegen würde ich Sie bitten, uns die verschiedenen Varianten kurz vorzustellen und zu erläutern, welche Empfehlungen Ihr Ministerium in Bezug auf die verschiedenen Vorschläge ausspricht .

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Frau Kollegin, da die Beratungen in beiden Fraktionen noch andauern und unterschiedliche Vorlagen auf dem Tisch liegen, ist es mir im Moment nicht möglich, zu bewerten, was zum Beispiel in der SPD-Fraktion beraten wurde . ({0}) Ich kann Ihnen nur für unser Haus sagen, dass wir sehr strenge Vorgaben haben und all die Vorschläge, die aus den Fraktionen kommen - jetzt ist das Parlament am Zuge -, aufnehmen werden . Wir warten auf die Rückmeldung und werden dementsprechend reagieren .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die Fragestellerin hat die Möglichkeit, zwei Fragen zu stellen . - Frau Dörner .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte anschließen an die Antwort, die Sie auf die Frage von Herrn Henke gegeben haben . Ich muss sagen: Ich wundere mich ein bisschen . Herr Henke hat ausgeführt, dass sich der Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2013 auf die auf EU-Ebene getroffene Beschlussfassung bezogen hat . Würden Sie mir darin zustimmen, dass es ziemlich unsinnig ist, eine Regelung auf EU-Ebene festzuschreiben, die einen sehr umfassenden Schutz ermöglicht, das aber dann im nationalen Parlament nicht umzusetzen?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Die Beschlüsse des Parlaments kann ich nicht bewerten, und ich will es auch nicht tun . Das Parlament hat damals stark mehrheitlich über die Beschlussvorlage entschieden . Ich möchte diesen Beschluss nicht bewerten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . - Herr Henke .

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich habe großes Verständnis dafür, dass Sie auf eine Bewertung der Meinungsbildung des Parlaments verzichten wollen, aber würden Sie mir trotzdem zustimmen, dass folgender Gedanke logisch ist: Um andere Staaten davon zu überzeugen, dass sie Deutschland den Freiraum strengerer Regelungen einräumen sollten, musste es gelingen, ihnen klarzumachen, dass sie auch Regelungen, die sie selbst nicht so streng treffen wollten, möglich machen müssten . Glauben Sie nicht, dass das eine vernünftige Haltung gegenüber der Europäischen Kommission ist, um sie für unterschiedliche nationale Regelungen zu gewinnen, ohne dass eine Zustimmung zu einer solchen Freiheit in den einzelnen Staaten automatisch dazu führt, dass man eine nationale Regelung determiniert?

Ingrid Fischbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003117

Als Parlamentarierin, die damals zugestimmt hat, kann ich Ihnen nur voll zustimmen . Ansonsten beziehe ich mich auf meine gerade gegebene Antwort: Das Ministerium wird parlamentarische Entscheidungen nicht bewerten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . - Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Die Frage 7 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird schriftlich beantwortet . Die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Stephan Kühn muss Herr Barthle nicht beantworten, weil der Fragesteller nicht anwesend ist . Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen . Die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Herbert Behrens werden schriftlich beantwortet . Die Fragen 12 und 13 der Abgeordneten Tabea Rößner werden schriftlich beantwortet, da die Kollegin nicht anwesend ist . Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen . Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Matthias Gastel auf: Unterstützt die Bundesregierung die Inbetriebnahme der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm unmittelbar nach deren Fertigstellung über die eingleisige Güterzugkurve vom und ins Neckartal unabhängig vom möglicherweise verschobenen Fertigstellungstermin von Stuttgart 21, um den Fahrgästen eine deutliche Fahrzeitreduzierung zu ermöglichen? Herr Barthle, Sie sind dran .

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Gastel, es ist nach Aussage des Vorhabenträgers DB AG davon auszugehen, dass das Projekt Stuttgart 21 gemeinsam mit der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm 2021 in Betrieb gehen kann . Das hat im Übrigen der Vorstandsvorsitzende der DB AG, Dr . Grube, heute früh im Verkehrsausschuss nochmals bestätigt .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Herr Staatssekretär . - Herr Gastel .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Barthle, ich gehe davon aus, dass auch im Bundesverkehrsministerium Zeitung gelesen wird und NachKordula Schulz-Asche richten geschaut werden und deswegen wahrgenommen wurde, dass die Deutsche Bahn gesagt hat, dass es gut sein kann, dass das Projekt Stuttgart 21, also der Tiefbahnhof, erst im Jahr 2023 fertig wird . Gleichzeitig ist zu lesen, dass der Bau der Neubaustrecke WendlingenUlm zügig voranschreitet . Insoweit ist es nicht allzu wahrscheinlich, dass sich die formulierte Hoffnung erfüllt . Es stellt sich die Frage, ob Sie es riskieren wollen, dass Fahrzeitverkürzungen, die auf der Strecke zwischen Stuttgart und Ulm oder zwischen Mannheim und München möglich sind und von denen die Fahrgäste profitieren würden, nicht realisiert werden, weil man beides gleichzeitig in Betrieb nehmen möchte . Deswegen noch einmal die Frage: Wenn es so kommt, wie es sich abzeichnet, dass also beide Projekte nicht gleichzeitig fertig werden, sondern die Neubaustrecke ein, zwei oder mehr Jahre vorher fertig wird, werden Sie dann dafür sorgen, dass die Neubaustrecke in Betrieb geht und die Fahrgäste von kürzeren Fahrzeiten auf den genannten Relationen profitieren?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Gastel, die Bundesregierung geht nach wie vor davon aus, dass die Aussagen des Vorhabenträgers DB AG ernst zu nehmen sind . Die DB AG sagt, dass sie sich unter eventueller Nutzung von Beschleunigungsmaßnahmen in der Lage sieht, die Strecke WendlingenUlm gemeinsam mit dem Bahnhof Stuttgart 21 in Betrieb zu nehmen . Sollte sich das anders erweisen, müsste das bei der nächsten Aufsichtsratssitzung im September beschlossen werden . Diese Aufsichtsratssitzung müssen wir abwarten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Gastel, bitte .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie trotz aller anderen Aussagen der Deutschen Bahn zum Baufortschritt bezüglich Stuttgart 21 immer noch davon ausgehen, dass beide Projekte gleichzeitig fertig werden, drängt sich die Vermutung auf, dass die Baugeschwindigkeit für die Neubaustrecke WendlingenUlm so weit verlangsamt wird, dass sich deren Fertigstellung der Fertigstellung von Stuttgart 21 angleicht . Können Sie ausschließen, dass das Bautempo für die Neubaustrecke künstlich verlangsamt wird, damit die Neubaustrecke gleichzeitig fertig wird? Andernfalls, also wenn die Neubaustrecke zügig weitergebaut, aber nicht in Betrieb genommen wird, müsste die Strecke belüftet werden . Das würde bedeuten, dass leere Züge täglich mehrmals durch diese Tunnelanlage fahren müssten, damit nichts rostet und nichts schimmelt . Das genau ist die Situation an der Zufahrt zum BER, also an der Zufahrt zum Bahnhof unter dem geplanten Flughafen . Es müssen Züge durch diesen Tunnel fahren, nur um ihn zu belüften; Fahrgäste profitieren davon nicht. Können Sie eine Verlangsamung des Bautempos oder eine Belüftung der Tunnelanlage durch das Fahren leerer Züge ausschließen?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Gastel, die Bundesregierung nimmt zunächst einmal erfreut zur Kenntnis, dass die Bauvorhaben an der Bahnstrecke Wendlingen-Ulm im Zeitplan liegen . Da geht es sehr gut voran . Ein großer Teil der Tunnelbauwerke ist bereits vollendet . Insofern ist es eine sehr erfreuliche Erkenntnis, dass auch so große Projekte innerhalb des Zeitrahmens realisiert werden können . Darüber hinaus macht sich die Bundesregierung eher die Auffassung des Vorstandsvorsitzenden der Bahn zu eigen, der sagt, es sei falsch, von einer Verlangsamung zu reden, im Gegenteil sei es wichtig, dass man auch bei Stuttgart 21 den Druck auf die Projektträger aufrechterhalte und dafür sorge, dass dort eine Beschleunigung stattfindet.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Barthle . - Dann kommen wir zu Frage 15 des Kollegen Matthias Gastel: Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass der bundeseigene Konzern Deutsche Bahn AG durch etwaige zusätzliche Baukosten beim Projekt Stuttgart 21 und hierdurch erforderliche investive Eigenmittel keinen höheren Schuldenstand erreicht und keine Einsparungen bei notwendigen Investitionen für die Instandhaltung der Schienenwege des Bundes vornimmt?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Die Antwort lautet: Der Bund nimmt seine Kontrollaufgaben über den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG wahr .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Gastel .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es überrascht mich jetzt, dass sich das auch so kurz ausdrücken lässt . ({0}) Aber das ist trotzdem noch immer keine wirkliche Antwort . Denn der Deutschen Bahn steht das Wasser bis zum Hals - unter anderem wegen des Projekts Stuttgart 21, das Sie als Bund der Deutschen Bahn aufs Auge gedrückt haben, obwohl es die Bahn gar nicht wollte . Jetzt wird es immer teurer . Die Projektpartner beharren darauf, dass sie ihren gedeckelten Beitrag zugesagt haben und dass sie sich nicht an den steigenden Kosten beteiligen . Es ist das Unternehmen des Bundes, der auf den Bau dieses Projektes gedrängt hat, der aber auch für andere schwierige wirtschaftliche Einflüsse beim Bahnkonzern Mitverantwortung trägt . Deswegen ist die Frage: Wie gehen Sie damit um? Werden Sie beispielsweise als Bund akzeptieren, dass die Deutsche Bahn die Dividende nicht in der Höhe in den nächsten Jahren wird bezahlen können, wie Sie sie im Haushaltsplan eingestellt haben, weil das die wirtschaftliche Lage der DB unter anderem wegen Stuttgart 21 kaum mehr zulässt?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Gastel, Sie wissen so gut wie ich, dass der Bund nicht Projektbeteiligter bei Stuttgart 21 ist . Deshalb halten wir uns an das, was wir bezüglich der Kostenübernahmen vereinbart haben . Wie die Kostensteigerungen aufgeteilt werden, müssen die Projektträger verabreden . Die Bundesregierung hat einen Festbetrag zugesagt, an dem wir auch festhalten wollen . Alles Weitere entscheidet der Vorstand der DB AG . Deshalb gehen wir davon aus, dass auch die übrigen von der DB AG zu erbringenden Leistungen, die durch die LuFV bzw . durch die LuFV II festgelegt sind, entsprechend eingehalten werden . Deshalb halte ich Ihre Vermutungen zunächst einmal für Vermutungen, zu denen ich keine Stellungnahme abgebe .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Gastel .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also noch einmal: Die wirtschaftliche Lage des DB Konzerns ist extrem schwierig . Es handelt sich um ein Bundesunternehmen . Da können Sie nicht einfach sagen, die sollten sich selbst mal darum kümmern . Wenn ein Unternehmen seine Dividende mangels Gewinnen nicht mehr zahlen kann, muss sich natürlich auch der Bund als Eigentümer, der auch für den Haushalt des Bundes und damit für die Einnahmen verantwortlich ist, damit auseinandersetzen: Wie verhält er sich? Erwartet er die Dividende oder nicht? Ich versuche es jetzt anders . Die Deutsche Bahn steht auch wegen des schwierigen Marktes in den Bereichen Schienengüterverkehr, Regionalverkehr, Fernverkehr usw . massiv unter Druck . Die Gewinne schmelzen auch deswegen, aber auch wegen Stuttgart 21 . Das habe ich schon ausgeführt . Inwieweit wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass sich die wirtschaftliche Situation des Systems Schiene insgesamt, aber auch der Deutschen Bahn ganz konkret verbessert, sodass wieder mehr Güter und Personen auf der Schiene unterwegs sind, damit sich die wirtschaftliche Lage insgesamt wieder verbessert?

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Herr Kollege Gastel, Sie waren heute früh dabei, als der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Dr . Grube, ausführlich dargelegt hat, wie sich die Finanzsituation der Deutschen Bahn darstellt . Er hat auch die verschiedenen Faktoren genannt, auf die Ertragsminderungen zurückzuführen sind . Meiner Erinnerung nach ist dabei Stuttgart 21 nicht thematisiert und nicht als einer der Faktoren genannt worden, die für weniger Erträge bei der Bahn verantwortlich sind . Die Bahn ist dabei, ein Konzept zu entwickeln, wie die Ertragslage wieder verbessert werden kann . Ich gehe aber nicht davon aus, dass das im direkten Zusammenhang mit Stuttgart 21 steht .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Barthle . - Die Fragen 16 und 17 der Abgeordneten Sabine Leidig und die Frage 18 des Kollegen Dr . André Hahn werden schriftlich beantwortet . Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit . Die Frage 19 des Abgeordneten Dr . André Hahn und die Frage 20 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet . Die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Christian Kühn ({0}), die Fragen 23 und 24 der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden sowie die Frage 25 des Abgeordneten Oliver Krischer werden allesamt schriftlich beantwortet . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . Zur Beantwortung begrüße ich Hans-Joachim Fuchtel . Die Frage 26 des Abgeordneten Niema Movassat wird schriftlich beantwortet . Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Uwe Kekeritz auf: Welche Maßnahmen wurden von deutscher Seite im Projektvorschlag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ({1}) GmbH, der im Rahmen des „EU Trust Fund for Migration“ zur Unterstützung von libyschen Kommunen auf der Migrationsroute eingebracht wurde, vorgeschlagen ({2}), und mit welchen einheimischen Partnerorganisationen und -institutionen sollen die Projekte umgesetzt werden? Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Kollege, der Vorschlag befindet sich derzeit noch in der Ausarbeitung und soll voraussichtlich im Oktober 2016 beim EU Trust Fund for Migration eingereicht werden . Soweit man schon jetzt Konturen andeuten kann, kann ich sagen: Es geht darum, dass die Träger vor allem die libyschen Kommunen sein werden, die auf der Migrationsroute von Flüchtlingen aus Subsahara-Afrika liegen und bei der Aufnahme von Migranten unterstützt werden sollen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kekeritz .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön . - Herr Staatssekretär, wir haben ja schon eine lange Beziehung zu Libyen . Insbesondere erinnere ich mich an die Beziehungen zu Libyen noch zu Gaddafis Zeiten. Damals hat die EU in Zusammenarbeit mit Gaddafi dafür gesorgt, dass Auffanglager errichtet worden sind . Meine Frage ist: Ist geplant, zusammen mit den libyschen Kommunen entlang der Flüchtlingsroute Gefängnisse, Lager und dergleichen zu errichten, und wenn ja, wie stellen Sie sicher, dass dort die menschenrechtlichen Aspekte berücksichtigt werden? Inwieweit ist das überhaupt mit Entwicklungspolitik vereinbar? Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ich habe vermutet, worauf Sie hinauswollen, und kann Ihnen dazu folgende Antwort geben: Eine Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden bzw . eine Lieferung von Ausrüstungsgegenständen für Grenzüberwachung oder Fortbildungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte sind nicht vorgesehen . Damit verdünnt sich schon sehr stark Ihre Vermutung .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kekeritz .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir können dann zur nächsten Frage kommen . Das reicht mir .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Einen Moment .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich verzichte auf die Nachfrage .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, aber Kollege Ströbele hat noch eine Nachfrage .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigung .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke . - Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, dass auf diesen Migrationsrouten, wenn man das einmal beschönigend so benennen will, sowohl in Libyen selber als auch vor Libyen von Kommunen und von verschiedenen libyschen Gruppierungen schon heute von den Flüchtlingen Gelder in Höhe von vielen Hundert Dollar pro Flüchtling erpresst werden, dass sie überhaupt durchgelassen werden? Was macht dann die Unterstützung dieser Kommunen mit Entwicklungshilfegeldern sinnvoll? Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Wir wollen erreichen, Herr Kollege Ströbele, dass Libyen in Zukunft nicht Durchgangsland wird, sondern ein Land, wo die Migranten Arbeit finden und sie eine Destination haben .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Dann kommen wir jetzt zur Frage 28 des Kollegen Kekeritz: Wie erklärt die Bundesregierung ihre widersprüchlichen Antworten zum Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und den westafrikanischen Staaten, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft - ECOWAS - und der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion - UEMOA - ({0}), in denen sie einerseits in der Antwort auf die schriftliche Frage 106 auf Bundestagsdrucksache 18/8127 vom 11 . April 2016 die verfassungsrechtliche Prüfung des ECOWAS-WPA durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit dem Ergebnis bestätigte, dass kein Vertragsgesetz erforderlich sei ({1}) und andererseits in der Fragestunde am 1 . Juni 2016 in ihrer Antwort auf meine mündliche Frage 19 ({2}) mitteilte, dass noch keine verfassungsrechtliche Prüfung erfolgt sei, da der offizielle Ratifikationsprozess noch nicht eingeleitet sei und somit noch keine Entscheidung bezüglich eines Vertragsgesetzes vorliege ({3}), und inwieweit hat nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen der Verhandlungen und Unterzeichnung der WPAs die Kooperationsbereitschaft der afrikanischen Staaten in Migrationsfragen ({4}) eine Rolle gespielt ({5})? Herr Fuchtel . Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Ich könnte es jetzt für den Kollegen Kekeritz spannend machen, der dieser Frage schon sehr lange Aufmerksamkeit zuwendet, oder ich kann gleich zum Ergebnis kommen . Es geht darum, ob der Vertragstext Gegenstand eines Vertragsgesetzes werden soll und dieses Vertragsgesetz dann auch dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorgelegt wird . Der Kollege Kekeritz hat ja darauf hingewiesen, dass die Prüfungen hier schon etwas länger andauern und dass sie nicht abgeschlossen worden sind . Ich darf Ihnen aber jetzt sagen: Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit wird die Bundesregierung den Entwurf für ein Vertragsgesetz vorbereiten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kekeritz .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie glauben es kaum: Die Botschaft hör ich wohl . Aber Sie haben richtig darauf hingewiesen, dass ich mit Ihrem Kollegen, dem Staatssekretär Silberhorn, diese Frage dreimal bearbeitet habe, und dreimal habe ich unterschiedliche Antworten bekommen . Es wäre mir sehr recht, wenn dies die finale Antwort ist. Aber ich bin jetzt etwas irritiert; das ist nämlich die vierte Antwort . Ist die jetzt rechtsverbindlich, und was kann ich tun, um die Rechtsverbindlichkeit tatsächlich endgültig zu überprüfen? Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Zunächst einmal habe ich auf die Vorläufigkeit jeder bisherigen Beurteilung hingewiesen . Ein kluger GesetzUwe Kekeritz geber prüft auf jeden Fall zunächst einmal gründlich . Das haben Sie auch akzeptiert; deswegen haben Sie ja dreimal nachgefragt . Ich darf Sie an die Aussage von Konrad Adenauer erinnern, der einmal gesagt hat: Mich kann niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden . - Wie Sie dieser Aussage von mir entnehmen können, ist dieser Fall bei diesem Vorgang hier offensichtlich eingetreten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ihre Frage noch .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja . - Nur noch einmal zum endgültigen Verständnis das können Sie mit Ja oder Nein beantworten -: Es wird im Deutschen Bundestag ein Ratifizierungsgesetz bezüglich des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens ECOWAS/EU geben? Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Es hat eine Abstimmung zwischen dem Bundesjustizminister und dem Bundeminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegeben, und da ist dies vereinbart worden .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Fuchtel . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie . Die Frage 29 des Kollegen Beck ({0}), die Frage 30 der Kollegin Kotting-Uhl, die Frage 31 der Kollegin Höhn, die Fragen 32 und 33 des Kollegen Ernst, die Frage 34 des Kollegen Krischer und die Fragen 35 und 36 der Kollegin Baerbock werden schriftlich beantwortet . Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts . Kollege Roth ist immer noch da, was uns freut . ({1}) Die Frage 37 des Kollegen Hunko, die Frage 38 der Kollegin Dağdelen, die Frage 39 des Kollegen Movassat, die Fragen 40 und 41 der Kollegin Brantner, die Frage 42 der Kollegin Höger und die Fragen 43 und 44 des Kollegen Nouripour werden schriftlich beantwortet . Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern . Ich begrüße den Parlamentarischen Staatssekretär Dr . Krings . Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Ströbele auf: Welche Auskunft gibt die Bundesregierung über Befragungen Inhaftierter im Ausland durch Mitarbeiter deutscher Nachrichtendienste, nachdem die Gefangenen Murat Kurnaz in Guantánamo und Mohammed Haydar Zammar in Bagdad vernommen worden waren, nach dem diesbezüglichen Erlass des Bundeskanzleramts vom 6 . März 2006 ({2}), und welche Angaben macht die Bundesregierung über die Zahl von Abbrüchen solcher Befragungen wegen Folterindizien und der Unterrichtungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums über die Befragungen, die nach dem Erlass im Anschluss des Abschlusses der Befragungen bzw . vierteljährlich erfolgen sollen? Herr Krings, bitte .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Mehr sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ströbele, das, was jetzt kommt, haben Sie sich wahrscheinlich fast schon gedacht: Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kann die Beantwortung dieser Frage nicht offen, sondern nur eingestuft erfolgen . Sie bekommen die Antwort also, aber nicht in hiesiger offener Sitzung . Richtig ist natürlich: Der parlamentarische Informationsanspruch ist grundsätzlich auf die Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit angelegt . Demgegenüber sind indes nach § 4 Absatz 1 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, SÜG, im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit einzustufen . Die Ausführungen zu Ihrer mündlichen Frage sind daher als Verschlusssache gemäß § 4 Absatz 2 Nummer 2 SÜG bzw . § 3 Nummer 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen sogar mit dem Geheimhaltungsgrad Geheim eingestuft . Die Angaben sind daher in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehbar . Sie weisen ja in Ihrer Frage schon darauf hin - wenn ich das noch ergänzen darf, lieber Herr Ströbele -, dass es hier um Themen geht, die auch das Parlamentarische Kontrollgremium beschäftigen . Die Beratungen dieses Gremiums finden ja bekanntermaßen auch in nichtöffentlicher oder geheimer Sitzung statt . Insofern haben Sie wahrscheinlich schon damit gerechnet, dass wir diese Frage in dieser Sitzung nicht beantworten können .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Ströbele .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich rechne bei der Bundesregierung immer mit dem Schlimmsten; aber ganz so habe ich mir Ihre Antwort doch nicht gedacht . Ich habe ja nach der Anzahl gefragt . Es geht also um Informationen darüber, wie häufig das geschehen ist. Dann kann man in die Einzelheiten gehen . Aber erst einmal geht es darum, wie häufig das Bundesamt für Verfassungsschutz, also der Inlandsgeheimdienst, und der Bundesnachrichtendienst, also der Auslandsgeheimdienst, in Foltergefängnissen wie Guantánamo oder in Damaskus - das sind bekannte Fälle, über die in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist - Befragungen deutscher Staatsbürger oder von Leuten mit Deutschlandbezug durchgeführt haben . Ich sage Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel es einmal ganz vorsichtig: Es wäre eine knifflige Sache, wenn man in Foltergefängnissen befragt und damit rechnen muss, dass vor der Befragung gefoltert worden ist . Ich habe natürlich Anlass zu dieser Frage . Sie können doch wenigstens sagen, ob das fünfmal oder hundertmal geschehen ist - was weiß ich . Das weiß ich tatsächlich nicht .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Krings, bitte .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Lieber Herr Ströbele, dass Sie das nicht wissen, ist bei dem, was Sie sonst immer von Dingen wissen, die an sich geheimschutzbedürftig sind, kaum zu glauben . ({0}) Ich habe schon verstanden, was Sie in öffentlicher Sitzung gerne erfahren und hören wollen . Es geht hier um Zahlen, um Größenordnungen und um die Frage, ob es überhaupt dazu gekommen ist, wobei ich den Begriff „Foltergefängnis“ hier zwar stehen lasse, aber normalerweise gibt es Befragungen in Gefängnissen im Ausland, die man auch bei böswilliger Art sicherlich nicht mit diesem Begriff belegen kann . All das, was Sie hier ansprechen und in Erfahrung bringen wollen, berührt natürlich die Zusammenarbeit deutscher Nachrichtendienste mit ausländischen Nachrichtendiensten . Es dürfte nun wirklich nicht neu sein, dass das hochsicherheitsrelevante Fragen sind . Es steht gar nicht in unserer Macht . Selbst wenn wir etwas transparenter sein wollten als die Dienste, Parlamente und Regierungen anderer Länder, würde das die Möglichkeit der Zusammenarbeit natürlich erheblich beeinträchtigen . Gerade deshalb gibt es andere Instrumente dafür, zum Beispiel das Parlamentarische Kontrollgremium, in dem Sie - das habe ich mir erzählen lassen - einer der eifrigsten Mitstreiter sind . Daneben gibt es die Möglichkeit das haben wir jetzt hier auch angeboten -, Informationen in der Geheimschutzstelle auszulegen, um das Informationsbedürfnis des Parlaments, das existiert und das wir sehr ernst nehmen, zu befriedigen . Dieses Informationsbedürfnis war mit den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland abzuwägen, und diese Abwägung hat zu dem eben vorgetragenen Ergebnis geführt .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Eine letzte Nachfrage, Herr Ströbele .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, das überzeugt mich auch deshalb nicht, weil solche Fragen in öffentlicher Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses durchaus erörtert werden - auch in Einzelfällen . Sie werden zwar nicht im Detail behandelt - dann geht es in eine geheime Sitzung -, aber ich frage mich, warum Sie nicht einmal die Zahl sagen können, damit man sich unter anderem auch im NSA-Untersuchungsausschuss darauf stützen und damit argumentieren kann . Das sehe ich nicht ein . Sind Sie bereit, diese Auffassung der Bundesregierung noch einmal zu überprüfen? Vielleicht machen Sie sich einmal darüber kundig - ich nehme an, Sie wissen das nicht -, dass das im NSA-Untersuchungsausschuss Thema gewesen ist .

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin, Herr Kollege, ich nehme diesen Hinweis auf den Untersuchungsausschuss, an dessen Sitzungen ich nicht teilnehme, natürlich ernst, und zwar in mehrfacher Hinsicht . Zum Ersten zeigt das, dass Sie dort offenbar auch eine öffentliche Informationsquelle haben, durch die Sie mehr zu erfahren meinen . Insofern ist die Dringlichkeit, das hier auch noch zu erörtern, vielleicht nicht ganz so groß, selbst wenn Sie das nachher öffentlich verwerten wollen . Zum Zweiten werde ich sowohl prüfen, ob wir hier vielleicht zu streng oder im NSA-Untersuchungsausschuss zu liberal sind, wenn es um öffentliche Informationen geht . In beide Richtungen müssen wir unser Verhalten noch einmal überprüfen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit für die Fragestunde ist um über zehn Minuten überzogen . Das war heute eine sehr intensive Frage- und Antwortrunde . Ich schließe hiermit die Fragestunde . Die restlichen Fragen fallen nicht weg, sondern werden, wie vorhin verabredet, schriftlich beantwortet . Die Sitzung ist unterbrochen und wird um 16 .30 Uhr wieder eröffnet . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet . Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 4 auf: Vereinbarte Debatte 75. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion Ich begrüße auf der Ehrentribüne die Botschafter Russlands, Armeniens und Tadschikistans, ({0}) Vertreter der Botschaften von Belarus und der Ukraine sowie anderer Botschaften unserer Nachbar- und Partnerländer . Wir freuen uns über Ihr Interesse an dieser Debatte . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Debatte erinnern wir an den deutschen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion, einen beispiellosen Vernichtungsfeldzug im Osten Europas, der in der menschenverachtenden nationalsozialistischen Rassenideologie wurzelte, an das unvorstellbare Leid so vieler Russen, Weißrussen und Ukrainer sowie von Millionen von Soldaten und von noch mehr Zivilisten, die Opfer nationalsozialistischen Unrechts geworden sind . Vor allem aber sehen wir heute unsere Verantwortung, mit all unseren Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass etwas Vergleichbares nie wieder geschieht . ({1}) Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung Europas wurde in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gemeinsam nach Wegen gesucht, die eine geregelte friedliche Entwicklung auf unserem Kontinent ermöglichen . Die KSZE-Schlussakte von 1975 schwor einer Konfrontationspolitik ab . Sie war die Lehre aus einer furchtbaren historischen Gewalterfahrung vor 1945 . Nach Überwindung der Teilung Europas fanden deren Leitprinzipien Eingang in die Charta von Paris, darunter Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker, Unverletzlichkeit der Grenzen, territoriale Integrität der Staaten und friedliche Regelung von Streitfällen . Mit dieser Charta haben im November 1990 34 Staatsund Regierungschefs innerhalb und außerhalb Europas - darunter die der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion - ihr „unerschütterliches Bekenntnis zu einer auf Menschenrechten und Grundfreiheiten beruhenden Demokratie, Wohlstand durch wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit und gleiche Sicherheit für alle unsere Länder“ zum Ausdruck gebracht . Wenn wir heute an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion erinnern, bekräftigen wir unseren Willen, diesen Lehren einer Geschichte, für die unser Land mehr Verantwortung trägt als alle anderen, gerecht zu werden und nie und nirgends zu dulden, dass diese unumstößlichen Prinzipien von Freiheit und Frieden in Europa infrage gestellt werden . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich stelle fest, dass dazu Einvernehmen besteht . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, FrankWalter Steinmeier . ({3})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den frühen Morgenstunden des 22 . Juni 1941, heute vor 75 Jahren, brach die Hölle los . Millionen deutsche Soldaten, Hunderttausende Fahrzeuge und Pferde, Tausende Panzer, Flugzeuge und Geschütze wurden auf Befehl Hitlers mit aller Kraft gen Osten geworfen . Über 25 Millionen Menschen in der Sowjetunion, Weißrussen, Ukrainer, Russen und andere, sollten in diesem Angriffskrieg ihr Leben verlieren . Das Ausmaß des Leidens ist nicht in Worte zu fassen . Mir persönlich ist kaum ein Moment der letzten Jahre so tief in Erinnerung, kaum ein Moment inmitten der vielen aktuellen Turbulenzen hat mich so bewegt wie der Besuch in der Kriegswüste von Stalingrad vor einem Jahr . Am 70 . Jahrestag des Kriegsendes stand ich mit meinem russischen Kollegen Lawrow auf den öden Flächen vor den Toren der Stadt . Bis zum grauen Horizont reichen die Kreuze der Kriegsgräber, russische und deutsche darunter; stumm stehen die Kreuze dort, wo unter furchtbaren Qualen Abertausende Menschen ihr Leben verloren . Und Stalingrad - das wissen wir - ist nur ein Ort des Grauens . Was Deutsche in der Sowjetunion angerichtet haben, dürfen wir niemals vergessen, und genau deshalb sind wir hier, meine Damen und Herren . ({0}) Wir sind hier, um zu erinnern, und wir sind hier, um uns im Erinnern der Verantwortung zu vergewissern, die wir Deutsche für den Frieden auf diesem Kontinent tragen . Denn unserem Land, von dem so viel Unheil ausgegangen ist, ist es über die Jahrzehnte nach dem Krieg vergönnt gewesen, Schritt um Schritt wieder hineinzuwachsen ins Herz der internationalen Gemeinschaft: zunächst als Bundesrepublik in das Bündnis der westlichen Demokratien, auch der NATO, dann in das großartige Friedensprojekt der europäischen Einigung, in die Europäische Union, die morgen bei unseren britischen Freunden vor einer historischen Bewährungsprobe steht, und schließlich als wiedervereintes Land in eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur, die Ost und West umfasst und deren Prinzipien über die Schlussakte von Helsinki in der OSZE verankert sind, deren Vorsitz wir Deutsche in diesem Jahr innehaben . Viel Gutes also ist uns in Deutschland und Europa seit jenen Schreckenszeiten widerfahren, vieles, was es zu bewahren gilt, vieles, für das wir Deutsche bis heute dankbar sind: für den Fall der Berliner Mauer, für die deutsche Einheit als Ergebnis der friedlichen Revolution in der DDR, ermöglicht von den ehemaligen Siegermächten, und für den friedlichen Abzug Hunderttausender russischer Soldaten aus Deutschland . Und dennoch: Von einem Zeitalter des Friedens sind wir heute weit entfernt, weiter, leider, als wir jemals seit dem Ende des Kalten Krieges waren. Blutige Konflikte toben in Europas Nachbarschaft . Doch auch mitten durch Europa geht ein tiefer Riss . Mit der Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine hat sich erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges ein Unterzeichnerstaat der Schlussakte von Helsinki offen gegen eines der leitenden Prinzipien der europäischen Friedensordnung gestellt, die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Souveränität eines anderen Staates . Gerade weil wir unsere historische Verantwortung für die europäische Friedensordnung ernst nehmen, war es diese deutsche Bundesregierung, die auf diesen Prinzipienbruch klar und unmissverständlich reagiert hat und die unsere Partner in diese Reaktion eingebunden hat . Das Gefühl der Bedrohung, das insbesondere im Baltikum, aber auch in anderen Teilen Ost- und Mitteleuropas entstanden ist, nehmen wir ernst . Ich bin vermutlich Präsident Dr. Norbert Lammert in keiner anderen Region in dieser Amtsperiode so häufig gewesen wie bei den östlichen Partnern in Europa und dort wiederum in den baltischen Staaten . Dort unterstützen wir nicht nur den Aufbau eines russischsprachigen Programms im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, von Anfang an waren wir auch bei den Rückversicherungsmaßnahmen der NATO dabei . Wir haben die Wales-Beschlüsse mit vorbereitet und getragen, wir haben Verantwortung in der Umsetzung der Beschlüsse übernommen und tragen sie jetzt bei der Vorbereitung des Gipfels in Warschau . Worauf es ankommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist, dass wir bei all dem nicht aus den Augen verlieren, dass wir uns im Bündnis spätestens seit dem Harmel-Bericht von 1967 von zwei gleichrangigen Prinzipien haben leiten lassen: Deterrence and Détente . Oder in Deutsch: Abschreckung und Entspannung durch Dialog - Grundsätze, die uns später zur NATO-Russland-Akte geführt haben und die wir gerade jetzt nicht zur Disposition stellen sollten, wie manche es fordern . ({1}) Denn zur Verantwortung für den Frieden auf diesem Kontinent gehört auch, die richtigen Lehren aus dem blutigen 20 . Jahrhundert zu ziehen . Zu diesen Lehren gehört, sich nicht in einer endlosen Spirale der Eskalation zu verlieren . Zu diesen Lehren gehört die Bereitschaft, und zwar auf allen Seiten, immer wieder Auswege aus der Konfrontation zu suchen, und zu diesen Lehren gehört: so viel Verteidigungsbereitschaft wie nötig, so viel Dialog und Zusammenarbeit wie möglich . Beide Säulen müssen stark sein . ({2}) Deshalb sage ich heute ebenso wie in den letzten Jahren: Wenn sich die Sicherheitslage verändert - und das hat sie -, dann müssen wir unsere militärischen Fähigkeiten anpassen, aber wir dürfen nicht gleichzeitig der Illusion anheimfallen, dass militärische Stärke allein schon zur Sicherheit führt . ({3}) Es ist vielmehr zugleich unsere Pflicht, die Gesprächsfäden nicht zu kappen, nicht etwa, weil alles fröhlich so weitergehen soll, als wäre nichts geschehen, sondern allein schon, um das Risiko von militärischen Missverständnissen zu minimieren, aber noch mehr, um den Prozess der Vertrauensbildung und hoffentlich langfristig auch Wiederannäherung möglich zu machen . ({4}) Ich gebe zu: All das sind keine neuen Einsichten, sondern diese Prinzipien erwachsen tief aus unserer gemeinsamen Geschichte . Dauerhafte Sicherheit in Europa kann es nur mit und nicht gegen Russland geben . Seien Sie gewiss, ich sage in Russland genauso: Es kann dauerhafte Sicherheit für Russland nur mit und nicht gegen Europa geben . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte unserer Völker, Deutsche und Russen, war in den vergangenen Jahrhunderten allzu oft eine Geschichte der Extreme . Wo sich zwischen uns Entfremdung und Feindschaft breitgemacht haben, da waren die Folgen verheerend für uns selbst, aber auch für andere in Europa . Gerade deshalb müssen wir verhindern, dass aus den aktuellen politischen Differenzen und Konflikten, die wir mit der russischen Regierung haben, eine Entfremdung zwischen unseren Völkern wird . Wir dürfen nicht zulassen, dass Vorurteile und Reflexe aus längst vergangenen Zeiten so auferstehen, als wären sie nie weg gewesen . Auch dazu brauchen wir den Dialog - nicht um Störendes zu übertünchen oder Widersprüche unter den Teppich zu kehren . Ich glaube, nur wenn wir vielmehr die Gräben, die uns trennen, auch im Dialog klar benennen, haben wir die Möglichkeit, sie in der Zukunft irgendwann zu überwinden . Wir brauchen den doppelten Dialog: Wir brauchen den Dialog über Trennendes, und hoffentlich haben wir auch die Möglichkeit des Dialogs über Gemeinsames . ({6}) Auf politischer Ebene nutzen wir gerade in diesem Jahr die Foren, die Instrumente der OSZE . Aber auch ganz jenseits von OSZE gilt: Wir brauchen Formen der Zusammenarbeit mit Russland, um Lösungen für die vielen anderen Konflikte jenseits von Europa zu finden, die in unserer Nachbarschaft toben, sei es in Syrien, sei es in Libyen, sei es im Irak . Dass die Zusammenarbeit mit Russland funktionieren kann, dass sie jedenfalls nicht aussichtslos ist, das hat uns das Abkommen mit dem Iran im vergangenen Jahr gezeigt . Aber neben der politischen Ebene kommt es in diesen spannungsgeladenen Zeiten, in denen wir sind, aus meiner Sicht umso mehr auf den Draht zwischen den Menschen an, und den müssen wir verstärken . Deshalb habe ich vor wenigen Tagen mit dem russischen Amtskollegen das Deutsch-Russische Jahr des Jugendaustausches eingeläutet . Ja, gerade jetzt wollen wir junge Menschen zueinanderbringen, sozusagen kontrafaktisch zur drohenden Sprachlosigkeit in der Politik . ({7}) Noch eins ist mir gerade am heutigen Tage wichtig: Gemeinsam mit der russischen Regierung haben wir eine neue Initiative beschlossen, in der wir die Archivmaterialien über sowjetische und deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges lokalisieren, systematisch erfassen und digital zugänglich machen . Wir rufen die deutschen und russischen Fachbehörden, alle Archive, Forscher und Experten zur Mitarbeit auf . Wir wollen den Nachfahren ein würdiges Andenken ermöglichen . Wir wollen, kurz gesagt, den vielen Gefangenen und Verstorbenen schlicht und einfach ihren Namen zurückgeben . ({8}) Vor einem Jahr, am Abend nach dem Besuch auf den Schlachtfeldern von Stalingrad, kamen der Kollege Lawrow und ich in die Stadt, die heute Wolgograd heißt . Auf dem Paradeplatz gaben russische und deutsche Musiker gemeinsam ein Friedenskonzert . Als wir eintrafen, begrüßten uns Tausende Bürgerinnen und Bürger von Wolgograd, viele von ihnen Veteranen, alte, stolze Menschen in Uniform, die, die die Hölle von Stalingrad überlebt haben . Was mich berührt hat: Sie begrüßten den deutschen Außenminister, den Vertreter des Volkes, das ihnen so viel Leid über die Stadt und über die Familien gebracht hat, nicht mit Ablehnung, sondern mit Herzlichkeit, mit Beifall und mit tränenreichen Umarmungen . Da war kein Vorwurf, sondern das Signal der Menschen an uns beide war: Gut, dass ihr zusammen hier seid . Nehmt eure Verantwortung ernst, gerade in dieser Zeit . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verantwortung für den Frieden in Europa ist untrennbar verbunden mit der Verantwortung für die deutsch-russischen Beziehungen . Wir müssen dafür Sorge tragen, dass einer Geschichte der Extreme nicht eine Zukunft der Extreme folgt . ({10}) Dies zu verhindern, das ist vor allem Verantwortung derjenigen, die die europäische Friedensordnung durch Verletzung der Souveränität der Ukraine beschädigt haben, aber es ist auch unsere Verantwortung . Vielen Dank . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zwei kritische Bemerkungen zum politischen Umgang mit dem 75 . Jahrestag des Überfalls von Nazideutschland auf die Sowjetunion: Die erste Anmerkung . Die deutsch-sowjetischen und danach die deutsch-russischen Beziehungen durchliefen gute, weniger gute und auch schlechte Phasen . Aber völlig unabhängig davon bleibt diese vertrags- und völkerrechtswidrige Aggression, die 27 Millionen sowjetischer Opfer zur Folge hatte . Diese Opfer - der größte Teil waren Russinnen und Russen; das Ganze traf aber auch sehr viele Weißrussinnen und Weißrussen, Ukrainerinnen und Ukrainer - verlangen einen würdigen Rahmen des Gedenkens . ({0}) Ohne die Linksfraktion hätte es hier auch nicht die vereinbarte Debatte gegeben . ({1}) Unter den 27 Millionen Opfern waren 8,4 Millionen gefallene Soldaten, 3,3 Millionen in deutscher Kriegsgefangenschaft umgekommene oder ermordete Soldaten und über 15 Millionen sowjetische Zivilistinnen und Zivilisten, darunter Millionen Jüdinnen und Juden, die erschossen, ermordet wurden. Auf deutscher Seite fielen 2,7 Millionen Soldaten, und 1,1 Millionen Soldaten kamen in sowjetischer Kriegsgefangenschaft um; sie starben an Hunger, an Krankheiten . Eine Gedenkveranstaltung des Bundestages wäre angemessen gewesen; ({2}) denn die Opfer eignen sich nun wahrlich nicht für eine Instrumentalisierung in Abhängigkeit von der Qualität der deutsch-russischen Beziehungen . Die zweite Anmerkung . Zum 75 . Jahrestag des Überfalls reist Bundespräsident Gauck durch verschiedene Länder, nur nicht nach Russland . Ich hoffe, dass bald ein Besuch des Bundespräsidenten in Russland nachgeholt wird . Mit der Weisung Nummer 21 vom 18 . Dezember 1940 befahl Hitler das sogenannte „Unternehmen Barbarossa“, den Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion . Am 22 . Juni 1941 begann der Krieg, nachdem die Nazis meinten, in Westeuropa ihre wesentlichen Kriegsziele erreicht zu haben . Der Überfall auf die Sowjetunion und auf andere osteuropäische Staaten unterschied sich in der Qualität erheblich von den Überfällen auf die westeuropäischen Staaten . Der Krieg gegen die Sowjetunion war ein Vernichtungskrieg . Die Vernichtungsziele richteten sich gegen die sowjetischen Jüdinnen und Juden, gegen die politischen Kommissare und gegen die, wie es die Nazis nannten, slawischen Untermenschen . Selbst der Hungertod der Slawinnen und Slawen wurde geplant und war beabsichtigt . Zu den ökonomischen Interessen kamen ein einzigartiger Antisemitismus und Rassismus hinzu . Die Jüdinnen und Juden mit insgesamt 6 Millionen Opfern und die sowjetischen Völker mit über 27 Millionen Toten, darunter auch ein großer Teil der genannten Jüdinnen und Juden, waren die Hauptleidtragenden dieses verbrecherischen, historisch einzigartigen Krieges, der mit äußerster Brutalität und Grausamkeit geführt wurde . Man ist heute übrigens immer noch sprachlos angesichts dessen, dass der Überfall der Nazis die Sowjetunion so unvorbereitet traf . Nach dem sogenannten Hitler-Stalin-Pakt glaubte Stalin sich sicher zu sein, von den Nazis nicht angegriffen zu werden . Über das „Unternehmen Barbarossa“ - das weiß man inzwischen aus der historischen Forschung - gab es 267 Meldungen nach Moskau, darunter auch die des damaligen sowjetischen Spions Richard Sorge . Aber Stalin glaubte ihm nicht, er glaubte Hitler . Später war Stalin nicht bereit, Richard Sorge auszutauschen - wohl nur, weil Sorge recht hatte und nicht er, und Sorge es auch noch wusste und hätte verbreiten können . Nach schweren Verlusten und unermesslichem Leid in nahezu jeder Familie in Russland und in anderen Völkern der früheren Sowjetunion und auch nach großem Leid im deutschen Volk konnte die Wehrmacht letztlich zurückgedrängt und besiegt werden . Die Schlacht bei Stalingrad mit Abertausenden Toten, auch Hungertoten, führte zur Wende . Die Hauptlast des Krieges trugen - auch das ist unumstritten - die Völker der Sowjetunion, wobei die Leistungen des amerikanischen, des britischen und des französischen Volkes und der anderen Völker, darunter gerade auch die des polnischen Volkes, nicht unterschätzt werden dürfen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutigen Beziehungen des Westens - der USA, der Europäischen Union, darunter auch Deutschland - zur Russischen Föderation könnten wahrlich besser sein . Es gab die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland, aber es gab vorher auch einen völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Jugoslawien, und es gab eine völkerrechtswidrige Lostrennung des Kosovo . Russland hat sich strikt dagegen gewandt, hatte jedoch keine Chance . Aber Russland reagierte nicht mit dem Rasseln von Säbeln, sondern hat im Kosovo bei der Befriedung noch mitgewirkt . Die USA und die EU reagieren dagegen auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim mit Sanktionen gegen Russland, die NATO mit der Verlegung von Soldaten nach Osten an die russische Grenze, mit groß angelegten Militärmanövern gegen Russland . Was sollen diese Gebärden des Westens? Wenn sich die Russen eingekreist fühlen, reagieren sie äußerst nervös . Den für sie überraschenden Überfall durch Hitler-Deutschland haben sie bis heute nicht vergessen . Bringt das militärische Gebaren der NATO uns dem Frieden und der Sicherheit in Europa nur einen Schritt näher, hilft das der Ukraine? Nein, im Gegenteil . ({3}) Sie, Herr Außenminister, haben kürzlich gesagt: Was wir jetzt nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anheizen . Das ist Ihr Zitat, und Sie haben völlig recht . Nur, weshalb nimmt die Bundeswehr dann an dem Säbelrasseln teil? Weshalb haben auch Sie als Außenminister dem Treiben der NATO zuvor zugestimmt? 250 Soldaten der Bundeswehr werden an die russische Grenze verlegt, weil sich Nachbarstaaten durch Russland bedroht fühlen . Was heißt das? Bedeutet das erstens, dass ab jetzt Soldaten entsandt werden wegen eines Gefühls? ({4}) Bedeutet das zweitens, wenn es eine wirkliche Gefahr gäbe, reichen 250 Soldaten? Die halten nicht einmal einen Tag . Drittens . Meinen Sie, es ist die richtige Symbolik, 75 Jahre nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion deutsche Soldaten an die russische Grenze zu entsenden? ({5}) Ich finde das völlig falsch. Wir wissen doch, dass dieses Säbelrasseln nur zu einem neuen Wettrüsten in Europa nach Überwindung des Kalten Krieges führt, bei dem außer den Rüstungskonzernen niemand gewinnen wird, aber alle in Europa verlieren werden . ({6}) Wir haben morgen die Entscheidung zum Brexit in Großbritannien . Wenn das negativ ausgehen sollte, was ich nicht hoffe, dann könnten doch Länder wie Ungarn und Polen versuchen, zu folgen, dann hätte Ungarn Verluste . Ich könnte mir vorstellen, dass Russland dann bereit ist, die Verluste auszugleichen . Und warum? Weil die EU gegen Russland Sanktionen beschlossen hat, sehen die gar keinen Grund mehr, die EU zu stärken . Ganz im Gegenteil . Es ist doch ganz deutlich zu spüren: Die USA haben in Bezug auf Russland andere Interessen als die Europäische Union und Deutschland . Und dieses andere Interesse müssen Sie endlich auch durchsetzen, und dafür müssen Sie endlich einstehen . Und Sie müssen endlich begreifen, dass es nichts bringt, militärisch und wirtschaftlich - hinsichtlich der Sanktionen - den USA nur hörig zu folgen . Dieser Weg ist falsch . ({7}) 75 Jahre nach dem Überfall sollten wir innehalten, der Opfer des Vernichtungskrieges Deutschlands gedenken und mindestens folgende Lehre daraus ziehen: Wir haben in Europa nur eine friedliche, sichere Zukunft mit, nicht ohne Russland und schon gar nicht gegen Russland . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jürgen Hardt ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf der Ehrentribüne! Als vor 75 Jahren Hitler-Deutschland über die Sowjetunion herfiel - der bis heute vielleicht brutalste Feldzug der Weltgeschichte: weit über 3 Millionen Soldaten, 600 000 Fahrzeuge von der Ostsee bis zu den Karpaten - mit dem Ziel, das Land vollständig zu unterwerfen, das Land freizuräumen, damit die Hybris vom Volk ohne Raum neuen Platz bekommt, die Menschen in der Sowjetunion als Arbeitssklaven zu unterwerfen, die politisch Andersdenkenden zu vernichten, haben wir die vielleicht tiefste und dunkelste Stunde der deutschen Geschichte erlebt . Deswegen ist es gut, dass der Deutsche Bundestag 75 Jahre nach diesem Tag der vielen Opfer, der 27 Millionen Bürger der Sowjetunion gedenkt, die Opfer dieses von Deutschland entfesselten, brutalen Krieges geworden sind . Jedes zweite Opfer des Zweiten Weltkrieges war ein Bürger der Sowjetunion . Wir können uns 75 Jahre danach vor den Opfern nur verneigen . ({0}) Es war als Überfall geplant, der nach wenigen Wochen zur Niederwerfung der Sowjetunion führen sollte . Dann sollte der Blick gewendet werden Richtung England . In einem dritten Schritt sollte der große Konflikt um die Weltherrschaft mit Amerika gesucht werden . Welch eine schaurige Vorstellung, wenn das in irgendeiner Weise in Erfüllung gegangen wäre! Es ist dem Volk der Sowjetunion zu verdanken, dass es trotz der unsäglichen Opfer und Entbehrungen, die es auf sich nehmen musste, der Übermacht der deutschen Wehrmacht und der SS standgehalten hat und dass es es geschafft hat, diesen Angriff zurückzuwerfen . Die Menschen in der Sowjetunion haben wesentlich dazu beigetragen, dass Deutschland im Jahre 1945 von der Nazidiktatur befreit wurde . Dafür danken wir den Bürgerinnen und Bürgern der Sowjetunion, die daran mitgewirkt haben . Auch das darf hier genannt werden . ({1}) Herr Gysi, Sie haben einige Dinge aus der Geschichte angesprochen und diese sicherlich richtig dargelegt . Allerdings möchte ich Ihnen an einem Punkt massiv widersprechen . Dass Sie das Gedenken an den Überfall auf die Sowjetunion in Zusammenhang mit NATO-Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien bringen, die zum Ziel hatten, massenweises Ermorden von Menschen und ethnische Säuberungen zu verhindern, finde ich, offen gesagt, weder der Geschichte noch Ihrem Intellekt angemessen . Das möchte ich in aller Klarheit zurückweisen . ({2}) Lassen Sie mich den Blick auf die Gegenwart und die Zukunft lenken . Wir haben leider die Situation, dass die Völker der ehemaligen Sowjetunion nicht in Frieden und Eintracht miteinander leben, dass einige im Konflikt zueinander stehen . Das ist anders als bei uns im vereinigten Europa, wo wir mit unseren Kriegsgegnern ausgesöhnt sind, wo wir uns vierteljährlich auf der Ebene der Regierungschefs treffen und im Europäischen Parlament, im Rat und in der Kommission unsere politische Zukunft gemeinsam gestalten . Wir haben unter den Völkern der Sowjetunion Konflikte wie zum Beispiel den Konflikt Russlands mit der Ukraine, den Konflikt Russlands mit Georgien, den Konflikt Armeniens mit Aserbaidschan. Über andere Dinge möchte ich hier nicht weiter reden . Das ist eine Belastung nicht nur für die Menschen im Osten Europas, sondern auch für Europa insgesamt . Der Bundesaußenminister hat das richtig ausgeführt: Der große gemeinsame Bogen aller Europäer ist, dass Konflikte friedlich entschieden werden müssen. Gewaltsame Grenzverletzungen sind kein Mittel der Politik . Leider hat Russland - konkret im Fall Ukraine, Krimbesetzung und Einmischung in der Ostukraine - gegen diesen Grundsatz verstoßen . Darauf müssen wir angemessen reagieren . ({3}) Es hat am Wochenende missverständliche Äußerungen gegeben, durch die der Eindruck erweckt wurde, wir hätten in Deutschland oder bei der NATO ein Defizit im Hinblick auf die Bereitschaft, diese Konflikte auf dem Wege des Dialogs mit Russland zu überwinden . Ich finde, der Außenminister sollte sein eigenes Licht nicht unter den Scheffel stellen; denn er ist einer derjenigen, die maßgeblich den Dialog mit Russland führen, auch im Namen der NATO und im Namen zahlreicher anderer Formate, in denen wir uns um die Bewältigung der Konflikte in der Welt bemühen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass die NATO auf Russland zugeht . ({4}) Ich erwähne die Wiederaufnahme der Gespräche im NATO-Russland-Rat und das konkrete Angebot, auch vor dem Warschauer Gipfel mit Russland zu sprechen . Die Russen haben jetzt gesagt, sie würden das gerne nach dem Gipfel machen . Ich sehe es als positives Zeichen, dass die NATO gesprächsbereit ist und die NATO-Mitgliedstaaten auch in vielen anderen Formaten mit den Russen im Dialog sind . Insofern sind wir zuversichtlich, dass der Konflikt letztendlich auf diesem Wege zu lösen ist . Dass wir uns auf der anderen Seite rückversichern müssen, dass wir unseren Partnern Rückendeckung geben müssen, ist auch richtig - wenngleich das Bild des Säbelrasselns meines Erachtens im Zusammenhang mit der NATO völlig unangemessen ist . ({5}) Ich habe zuerst gedacht, ich sei vielleicht zu empfindlich. Aber wenn man im Internet einmal schaut, was Säbelrasseln bedeutet, dann liest man: Es ist aggressives Angriffsgehabe . ({6}) Das ist im Zusammenhang mit der NATO völlig unangemessen . Das Bild des Igels wäre besser . Herr Außenminister, wenn Sie das Bild verwendet hätten, dass sich die NATO nicht einigeln, sondern gesprächsbereit bleiben soll, dann hätten Sie für diese Äußerungen vielleicht auch den Beifall der Union bekommen . Aber Sie haben ja heute einiges dazu gesagt, um die Sache klarzustellen . Ich glaube, dass wir auf dem Weg fortfahren sollten . Ich glaube, dass wir die Hand gegenüber Russland und den Völkern der ehemaligen Sowjetunion ausgestreckt lassen sollten . Ich glaube, dass uns die Zusammenarbeit mit Osteuropa in eine gute Zukunft führt und dass der Deutsche Bundestag mit der heutigen Debatte einen kleinen Beitrag dazu leistet, dass wir die Folgen des Krieges endgültig überwinden . Danke schön . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun die Kollegin Marieluise Beck das Wort .

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute an dem Tag, an dem vor 75 Jahren der Krieg, der ein erklärter Vernichtungskrieg war, gegen die Sowjetunion begann . Der Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion war jedoch kein Überfall allein auf Russland, sondern eben auf den Vielvölkerstaat Sowjetunion . Die 27 Millionen sowjetischen Kriegsopfer stammten aus allen Teilen des sowjetischen Vielvölkerstaates, von der Steppe Zentralasiens bis in den Fernen Osten . Sie alle schickten ihre Männer und Frauen zur Verteidigung der Sowjetunion gegen den deutschen Vernichtungskrieg . Viele - die meisten von ihnen - kehrten nicht zurück . Ihnen allen sind wir unseren Respekt schuldig . ({0}) Der Zweite Weltkrieg begann jedoch nicht mit dem Ostfeldzug . Dem hinterhältigen Überfall auf die Sowjetunion ging ein Nichtangriffspakt voraus, den Molotow und Ribbentrop mit Datum vom 23 . August 1939 in Moskau unterzeichneten . Diesem Abkommen war ein geheimes Zusatzprotokoll angeheftet, in dem die Aufteilung Mittel- und Osteuropas zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion vereinbart wurde . Das begründet auch die Empfindlichkeit der „Zwischenländer“, wie Timothy Snyder sie nennt . Am 1 . September folgte dann der deutsche Angriff auf Polen, der den Beginn des Zweiten Weltkriegs markiert . Am 17 . September marschierte die Rote Armee von Osten in Polen ein . Damit war Polen von zwei Seiten besetzt, und in beiden Teilen des Landes errichteten die totalitären Regime eine Schreckensherrschaft mit Hunderttausenden Toten . Stalin hatte die Belastbarkeit seines Paktes mit Hitler überschätzt . Herr Gysi hat eben darauf hingewiesen, wie überrascht Stalin war, als Hitler sich gegen ihn wandte . Der Angriff vom Sommer 1941 traf ihn weitgehend unvorbereitet und kostete damit vielen sowjetischen Soldaten das Leben . Die Wehrmacht walzte durch den sowjetisch gehaltenen Teil Polens, in die Ukraine, nach Belarus, in das Baltikum und durch Russland bis vor die Tore Moskaus mit unvorstellbaren Verwüstungen und Opfern vor allem unter der Zivilbevölkerung . Die Vernichtung des europäischen Judentums fand im Zuge dieses Feuersturms durch Osteuropa statt . In der deutschen Erinnerungskultur steht Auschwitz als Synonym für diese Vernichtung . Der Historiker Timothy Snyder lehrt uns jedoch, dass der weit größere Teil der Vernichtung durch Massenerschießungen während des deutschen Angriffs geschah . Das heißt, SS und Wehrmacht waren stärker an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung des Ostens beteiligt, als lange wahrgenommen worden ist . Als diese Gräuel des Krieges in der Wehrmachtsausstellung 1995 gezeigt wurden, gab es wütende Reaktionen in Deutschland, was zeigte, wie schmerzhaft die Auseinandersetzung der deutschen Gesellschaft mit diesen Verbrechen der Wehrmacht war und immer noch ist . Weit über 5 Millionen Soldaten der Roten Armee gerieten in Gefangenschaft . Wie die gesamte slawische Bevölkerung wurden auch sie als sogenannte Untermenschen entwürdigt . Der Schutzstatus von Kriegsgefangenen nach der Genfer Konvention wurde ihnen versagt . Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den sogenannten Russenlagern ähnelten denen in Konzentrationslagern . Über die Hälfte der sowjetischen Kriegsgefangenen starb in der Gefangenschaft . Heute leben nur noch wenige von ihnen . Es ist an der Zeit, dass das schwere Unrecht, das an diesen Kriegsgefangenen begangen wurde, von unserem Parlament als nationalsozialistisches Unrecht anerkannt wird . ({1}) Der Vernichtungskrieg wandte sich unbarmherzig gegen die slawische Bevölkerung. In Belarus fiel jeder vierte Zivilist dem Krieg zum Opfer . Fast 3 Millionen Menschen wurden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt . Der weitaus größte Teil von ihnen stammte aus der Ukraine . Bei der Rückkehr in die Sowjetunion drohte sowohl den Kriegsgefangenen als auch den Zwangsarbeitern ein dramatisches Schicksal . Viele von ihnen kamen als angebliche Kollaborateure in den Gulag . Das Aushungern war eine gezielte Strategie der deutschen Kriegsführung gegen die Sowjetunion . Mehr als 4 Millionen Sowjetbürgerinnen und -bürger starben den qualvollen Hungertod, davon mehr als 1 Million im belagerten Leningrad . Für die deutsche Kriegsführung war die Ukraine, die sogenannte Kornkammer, von strategischer Bedeutung . Aus dem Land wurden rücksichtslos Lebensmittel herausgepresst, ohne die der Angriffskrieg nicht hätte geführt werden können . Unzählige Menschen mussten deshalb verhungern . Im Zuge des deutschen Angriffs wurden mehrere Völker der Sowjetunion auf Befehl Stalins deportiert . Hunderttausende kamen während der Transporte ums Leben oder verhungerten und verdursteten, nachdem man sie in der kasachischen Steppe oder in Sibirien sich selbst überlassen hatte . Viele konnten erst nach dem Tod Stalins wieder zurückkehren, die Krimtataren erst 1989 . Die Sowjetunion existiert nicht mehr . Die historische Schuld, die das Deutsche Reich auf sich geladen hat, und die Verantwortung, die uns bis heute daraus erwächst, gelten also allen Menschen der Nachfolgestaaten, das heißt, den Menschen in Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Lettland, Litauen, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, in der Ukraine und Usbekistan . All diesen Ländern müssen wir in dem Wissen gegenübertreten, dass wir ihnen gegenüber eine historische Verantwortung tragen, und für ihre Freundschaft dankbar sein . ({2}) Ich wünsche mir, dass wir irgendwann einmal in den Hauptstädten all dieser Länder diesen Tag mit unseren Parlamentskollegen als Gedenktag gemeinsam gestalten . Schönen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Franz Thönnes ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen bin ich aus Sankt Petersburg nach einem zweitägigen Termin der Ostseeparlamentarierkonferenz in der Hauptstadt Kareliens, Petrosawodsk, nach Berlin gekommen . In der letzten Woche war ich drei Tage lang zu politischen Gesprächen in der Hauptstadt der Ukraine, in Kiew . Wenige Wochen nach dem 22 . Juni 1941 hat die Belagerung Leningrads, dem heutigen Sankt Petersburg, durch deutsche Truppen begonnen . Sie folgte der geheimen Weisung des Oberkommandos der Wehrmacht, die lautete: Der Führer ist entschlossen, die Stadt Petersburg vom Erdboden verschwinden zu lassen . Es besteht nach der Niederwerfung Sowjetrusslands keinerlei Interesse an dem Fortbestand dieser Großsiedlung . Hieran wurde die für den gesamten rassistischen Eliminierungskrieg geltende Ideologie, mit der der lange geplante neue Lebensraum im Osten erobert werden sollte, deutlich . Am Morgen des 22 . Juni 1941 kreisten auch deutsche Flugzeuge über Kiew und brachten mit ihren Bomben Tod, Leid und Zerstörung . Drei Monate nach Kriegsbeginn wurden in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew 33 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder erschossen . Persönlich hat die heutige Generation der Deutschen keine Schuld an diesem schändlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit; aber wir haben Verantwortung, Verantwortung dafür, dass Derartiges nie wieder geschieht . Wir haben Verantwortung für den Frieden . Das sind wir den Opfern schuldig . ({0}) Der 22 . Juni 1941, der Tag des Angriffs auf die Sowjetunion, wird für die Menschen in Russland, in Weißrussland und der Ukraine unauslöschbar in Erinnerung bleiben . Dennoch haben wir in den letzten Jahrzehnten vielfältigste gute Beziehungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt . Wie selbstverständlich haben wir in den letzten beiden Tagen über eine Intensivierung der Ostseekooperation in Petrosawodsk diskutiert . Deutsche waren auf dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg gern gesehene Gäste, und in der Ukraine arbeiten wir unterstützend an der Stabilisierung des Landes und für eine friedliche Lösung des russisch-ukrainischen Konfliktes. Wenn ich an die letzten Stunden in Kiew, in Petrosawodsk und Sankt Petersburg zurückdenke, bin ich als Teil der deutschen Nachfolgegenerationen von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt, einer Dankbarkeit für die Hand der Vergebung und Versöhnung, die uns Deutschen gereicht wurde . ({1}) Doch gerade der russisch-ukrainische Konflikt hat uns deutlich gemacht, dass nichts von Dauer ist . Der russische Verstoß gegen die Prinzipien der Schlussakte von Helsinki und damit gegen die europäische Sicherheitsordnung hat zur schwersten außenpolitischen Krise in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geführt . Ja, wir haben im Bündnis Sicherheit zu leisten, auch gegenüber unseren NATO-Partnern und den EU-Mitgliedern im Osten Europas; aber wir haben auch darauf zu achten, dass die Balance und das Risiko, erneut in eine Rüstungsspirale hineinzugeraten, bedacht werden, wenn zu sehr in militärischen Konzeptionen und Kategorien gedacht wird . Wenn genau das Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier anmahnt, so sind mir manche Kritiken unverständlich . ({2}) Zuhören, den anderen verstehen, heißt noch lange nicht, dessen Ansichten oder Handlungen zu teilen; es ist für eine gute Außenpolitik aber unabdingbar . Es gibt nicht nur Artikel 5 des NATO-Vertrages, sondern auch Artikel 1 . Dieser enthält das maßgebliche Verpflichtungscredo, jeden Streitfall, an dem Mitgliedstaaten beteiligt sein mögen, durch friedliche Mittel in der Weise zu regeln, dass Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit unter den Völkern nicht gefährdet sind . Ich frage mich dann schon, ob „Saber Strike“, also Säbelangriff, der richtige Name für das bis gestern laufende NATO-Manöver war . ({3}) Deswegen will ich deutlich sagen: Lehren aus der Geschichte zu ziehen, heißt, dass Sicherheitspolitik im Inneren wie im Äußeren eine Abrüstung in der Rhetorik braucht . Sie braucht den Willen zur Verteidigungsbereitschaft und zur gemeinsamen Sicherheit genauso wie den Willen zum Dialog, zum Kompromiss und zur Herstellung neuen Vertrauens . Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, heißt, das nun wirklich in Angriff zu nehmen und gemeinsam umzusetzen, was die Bundeskanzlerin mit den Präsidenten Frankreichs, Russlands und der Ukraine in Minsk im Februar 2015 unterschrieben hat: Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis Marieluise Beck ({4}) zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE . Das gilt es, jetzt in Angriff zu nehmen, und zwar auf Grundlage dieser Prinzipien . Auch Putins Unterschrift steht unter diesem Satz . ({5}) Lehren aus der Geschichte zu ziehen, heißt auch, über Rüstungskontrolle, Abrüstung und Transparenz zu sprechen . Auch das ist dringend notwendig . ({6}) Abschließend: Lehren aus der Geschichte zu ziehen, heißt ebenso mehr Jugendaustausch . Die Jugend unserer Länder soll nicht mit neuen Feindbildern, sondern in einem friedlichen Miteinander aufwachsen . ({7}) Dazu gehören Begegnungen, wie sie von Frank-Walter Steinmeier vorhin mit Blick auf das Deutsch-Russische Jugendaustauschjahr genannt worden sind . Doch sie dürfen nicht durch organisatorische Schengen-Schwierigkeiten wie bei den biometrischen Pässen erschwert werden . ({8}) Am ehesten kann man einer Entwicklung von Scheinrealitäten und Missverständnissen entgegenwirken, wenn Visafreiheit für die Jugendlichen unserer Länder besteht . Das wäre ein guter Anfang für den schrittweisen Aufbau neuen Vertrauens, eines neuen Fundaments für ein friedliches Miteinander, bei dem wir gemeinsam zeigen können, dass wir aus den dunklen Tagen unserer Geschichte gelernt haben . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Bernhard Kastner für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute, am 22 . Juni, in diesen Tagen und in dieser Debatte sprechen wir über die deutsch-russischen Beziehungen, über die Besonderheiten, aber auch über die Tragik der gemeinsamen Geschichte, und wir sprechen über Verantwortung, ja auch über besondere Verantwortung . Wer ein Gefühl dafür bekommen will und es förmlich physisch sowie mental spüren will, was mit dieser Verantwortung gemeint ist bzw . gemeint sein sollte, dem empfehle ich den Besuch von zwei Orten . Erstens empfehle ich den Besuch des Gedenkfriedhofs Piskarjowskoje in Sankt Petersburg, der auf erschütternde Weise daran erinnert, wie man in dieser Stadt, dem damaligen Leningrad, in einer über zweijährigen Blockade die Menschen, Alte und Junge, Frauen und Kinder, schlichtweg elendig hat verhungern lassen - über 1 Million Tote . Unmenschlich! Jeder, der da war oder die Bilder gesehen hat, wird das mitempfinden können. Zweitens empfehle ich einen Besuch des Soldatenfriedhofs Sologubowka, ebenfalls in der Nähe von Sankt Petersburg, wo die sterblichen Überreste Tausender gefallener deutscher Soldaten ruhen - ein Friedhof, der in dieser Form erst Ende der 1990er-Jahre angelegt wurde . Das ist eine ganz besondere, nicht zu unterschätzende Geste Russlands in dieser Stadt . An dieser Stelle richte ich einen besonderen Dank auch an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und seine russischen Partner, dass sie dort die Gedenkstätte eingerichtet haben . ({0}) Wenn wir von Soldatenfriedhöfen und Soldaten sprechen, muss uns immer bewusst sein: Wir sprechen vor allem von jungen Menschen, von Söhnen, jungen Ehemännern, Familienvätern, Brüdern und Freunden, die gern noch eine Lebensperspektive gehabt hätten . Das muss uns immer ganz klar sein . ({1}) Die Kriegsgräberstätten und die Gedenkfriedhöfe in Russland und in Deutschland sind letztlich Narben unserer Geschichte . Narben können verheilen, aber sie bleiben für immer . Sie sind in diesem Fall Narben der Mahnung . Einer der Hauptkriegsschauplätze - das ist schon gesagt worden - war damals die Ukraine - da, wo heute Krieg ist . Ich sage nur: Vor drei Jahren war Donezk eine blühende Stadt . Schauen wir heute auf das Elend in Donezk . Ebenso waren das Baltikum und Weißrussland Hauptkriegsschauplätze . Herr Gysi, sprechen Sie einmal in Estland in der Grenzstadt Narwa mit den Menschen über ihre Besorgnisse, und hören Sie zu, wie konkret sie sich äußern . Das ist mehr als ein Gefühl . ({2}) Das, was wir heute, 2016, brauchen, sind vor allem Vertrauen und Verstehen . Hier heißt Verstehen nicht immer gleichsam Verständnis . Wir brauchen besonders Vertrauen in der Spitze . Es muss gelten: Wenn zwischen Ministern Abkommen oder Vereinbarungen getroffen werden, dürfen sie nicht wenige Tage später wieder zur Disposition gestellt werden . Wir brauchen vor allem ein gegenseitiges Verstehen . Was meine ich damit? Russland muss Europa verstehen . Europa muss Russland verstehen . Wir brauchen ein Verstehen in Russland, was für uns eigentlich die europäische Idee bedeutet: die strikte Unverletzlichkeit von Grenzen und die Werte der Charta von Paris . Umgekehrt gilt es, schlicht Interessen zu verstehen, sie zu kennen, sie letztendlich nicht immer zu teilen, aber bei Interessenskonflikten gefährliche Missverständnisse frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden . Wenn man wie ich Russland bald 20 Jahre regelmäßig besucht, ob als Bürgermeister, privat oder als AbFranz Thönnes geordneter, trifft man auf ein sehr faszinierendes und vor allem gastfreundliches Land . Ich war auch mit der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe unseres Bundestages dort . Man trifft dort auch Menschen außerhalb der Politik - das ist guter Brauch in den Parlamentariergruppen -, also aus der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kultur, den über 80 Städtepartnerschaften und den NGOs . Bei diesen Begegnungen spürt man viel Sympathie für Deutschland . Ich denke, es ist wichtig, an einem Tag wie dem 22 . Juni zu sagen, dass einem dort Sympathie entgegenschlägt, wenngleich die Gräuel voll im Bewusstsein der Bevölkerung verankert sind . Aber man spürt diese Sympathie . Und man spürt sehr emotional bei seinen Gesprächspartnern in der russischen Gesellschaft, dass ein Miteinander mit Europa und besonders mit Deutschland gewünscht und auch eingefordert wird . Ich kann mich beispielsweise an Gespräche mit Wissenschaftlern erinnern, die uns, den Abgeordneten, gesagt haben: Wir brauchen dringend die Zusammenarbeit mit Deutschland, mit Europa, mit dem Max-Planck-Institut und mit den Universitäten . In großen Teilen war die russische Gesellschaft in den vergangenen Jahren schon immer weiter als die politische Führung . ({3}) Lassen Sie mich zum Schluss betonen, wie wichtig das Deutsch-Russische Jahr des Jugendaustausches ist . Ich habe über Verstehen gesprochen . Verstehen, kennenlernen, lernen - es ist ganz wichtig, der Jugend diese Möglichkeiten zu bieten . Auf der letzten Sicherheitskonferenz in München sprach Ministerpräsident Dimitrij Medwedew wieder vom Kalten Krieg . Angesichts der weltweiten Herausforderungen in unserem 21 . Jahrhundert ist das sicherlich da sind wir uns einig - das Letzte, was wir gebrauchen können . ({4}) Aber wir brauchen auch mehr als einen kalten Frieden . Vielen Dank . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Alois Karl . ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Sehr geehrte Herren Botschafter! Wir gedenken heute des 75 . Jahrestages des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion . Dies bringt unsere Gedanken zurück an die schlimmsten Niederungen der Aggressionspolitik des Zweiten Weltkrieges: an das Unternehmen Barbarossa . Sehr vieles ist über diesen Überfall gesprochen worden . Die historischen Daten sind bekannt . Den Historikern kann nicht viel Neues hinzugefügt werden; aber die Schlussfolgerungen für die Ankerpunkte unserer Politik - die doch . Die Furie des Krieges und der Wahnsinn des Vernichtungskrieges haben Millionen, Abermillionen Menschen den Tod gebracht . Sie wurden in ihrer Gesundheit geschädigt, und sie wurden verwundet . Ich denke auch zurück an meinen eigenen Vater, der damals in Stalingrad als einer der Letzten ausgeflogen worden ist, schwerstverwundet und völlig erblindet . Ich denke auch an diejenigen, die gesehen haben, wie ihre Heimat vernichtet worden ist, die obdachlos geworden sind und die vertrieben wurden . Mit ohnmächtigem Schmerz denken wir an die 26,6 Millionen Toten, die die Sowjetunion am Ende des Zweiten Weltkrieges beklagen musste - etwa 11,4 Millionen gefallene Soldaten, etwa 15,2 Millionen zivile Opfer -, eine völlig unfassbare, unglaubliche Zahl . Dies hat es in der Weltgeschichte, meine Damen und Herren, bis dahin nie gegeben . Wir denken voll Entsetzen auch an die 2,5 Millionen Menschen jüdischen Glaubens zurück, die während der deutschen Besatzungszeit in der Sowjetunion ums Leben kamen . In der gleichen Weise trauern wir auch um die deutschen Soldaten: knapp 6 Millionen, die Hälfte davon an der Ostfront . Ich denke auch an die 2 Millionen Toten, die während der Flüchtlingszüge nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Leben gelassen haben . All dies waren Ereignisse des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion . Dieser hatte verbrecherische Ziele . Es war der ungeheuerlichste Eroberungs-, Versklavungsund Vernichtungskrieg, den die moderne Geschichte je gesehen hat . Aber blieben wir beim Erinnern an diese historischen Fakten stehen, dann würden wir unsere Aufgabe nicht erfüllen . Bei der bloßen Aufzählung kann es nicht bleiben . Die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges sind weder beschreibbar noch fassbar . Gewiss haben wir keine individuelle Schuld; das ist ja schon aufgrund unseres Lebensalters nicht möglich . Aber ich greife ein Wort des früheren Bundespräsidenten Professor Dr . Theodor Heuss auf, der für Deutschland eine kollektive Schuld verneint hat . Im gleichen Atemzug hat er aber von der kollektiven Scham der Deutschen gesprochen . Vielleicht ist der Mensch nie so sehr Mensch wie in dem Augenblick, wo er sagt: Ich schäme mich . - Dieses Wort von Bertolt Brecht ist in der Tat richtig, und er hat recht . Niemand außer dem Menschen selbst kann Scham empfinden. Scham ist eine zutiefst menschliche Regung. Theodor Heuss hat dies für die Deutschen akzeptiert und es so ausgesprochen . Der Überfall auf die Sowjetunion durch die deutsche Wehrmacht hatte eine Vorgeschichte . Ihm ging der Hitler-Stalin-Pakt voraus; Herr Gysi hat es angesprochen . Die Außenminister Joachim von Ribbentrop und Molotow haben den Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion geschlossen - mit geheimen Zusatzabkommen -, später dann den Deutsch-Sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag . Die beiden totalitären Regime, das nationalsozialistische Regime in Deutschland und das kommunistische Sowjetsystem, waren sich einig: Große Teile Ost- und Nordeuropas sollten in ihre Interessensphären aufgeteilt werden . Fünf Länder Europas sollten ihrer Freiheitsrechte, ihrer Souveränität, ihrer Selbstbestimmungsrechte beraubt werden . Litauen, Lettland, Estland und Finnland sollten unter die sowjetische Interessenssphäre kommen; Polen sollte entlang der Linien der Flüsse Narew und Weichsel in deutsche und sowjetische Interessensphären geteilt werden . Die Länder waren Spielball der Aggressoren . Entsprechend diesem Abkommen besetzte die Rote Armee 1940 die baltischen Staaten, 1941 dann die Deutschen, und 1944 wurden sie wieder von russischen Truppen besetzt . 45 Jahre lang blieben die baltischen Staaten dann in Unfreiheit, und erst vor 25 Jahren konnten sie ihre Freiheit nach blutigen Kämpfen wiedererlangen . Ich führe das deshalb etwas näher aus, weil ich erst vor einer Woche mit einer Delegationsreise im Baltikum war . Auch die Balten haben in der letzten Woche eines 75 . Jahrestages gedacht . Staatspräsident Vejonis und die hohen Vertreter des Landes, viele Diplomaten und Hunderte von Bürgern haben an diesem Gedenktag Kränze und Blumen niedergelegt und daran gedacht, dass exakt vor 75 Jahren Tausende Letten vom sowjetischen Geheimdienst in die Gulags und später von den Deutschen in die Vernichtungslager von Auschwitz und Birkenau abtransportiert worden sind . Eine alte Frau hielt ein Schild hoch und hat auf die Opfer von beiden Regimen hingewiesen . Diese Frau wollte nicht aufrechnen - womit hätte sie auch aufrechnen sollen? -, aber sie hat darauf verwiesen, dass es die Opfer in ihrem Heimatland aufgrund der beiden aggressiven Regime gegeben hat . Zum Schluss bleibt die Frage: Welche Konsequenzen ziehen wir? Nachkriegsdeutschland hat von Anfang an die richtigen und guten Schlüsse gezogen . Jeglichem Krieg und jeglicher Aggression haben wir abgeschworen, und um das Beispiel Baltikum noch einmal anzusprechen: Aus früheren Gegnern und Feinden sind Freunde geworden . Wir wissen: Die Millionen von Toten dürfen nicht das letzte Wort sein . Die Aggression, die blindwütige Hybris der Menschenverachtung, die Ideologie, wonach sich die eine Rasse über eine andere Rasse erhöht, der Wahnsinn, wonach es der einen Rasse gestattet sein soll, sich als Herrenrasse aufzuspielen: Aus all dem haben wir unsere nachhaltigen Lektionen gelernt . Meine sehr geehrten Damen und Herren, dauerhafte Ankerpunkte unserer Politik sind die Freundschaften mit den früheren Gegnern und Feinden . In den letzten 70 Jahren ist dies in Deutschland in der Tat Gegenstand der Politik gewesen . Es war bzw . ist das Credo der Politik von Konrad Adenauer, von Willy Brandt, von Helmut Kohl und von Angela Merkel, dass wir aus diesen schlimmen Auseinandersetzungen und Niederungen vor 75 Jahren unsere Schlüsse gezogen haben . Ich bin sehr dankbar, dass wir auch in kleinen Schritten die deutsch-russische Freundschaft miteinander pflegen. Außenminister Steinmeier hat auf die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch hingewiesen, und der Kollege Kastner wies darauf hin, dass wir in diesem Jahr das Jahr des Jugendaustausches zwischen uns und Russland begehen . Ich danke all denen, die in diesem Jahr Veranstaltungen durchführen - sei es beispielsweise das Deutsche Historische Museum oder das Deutsch-Russische Museum -, zum Beispiel am Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten . Ich danke auch denen, die mit vielen kleinen Schritten dazu beitragen, dass die großen Linien der Politik fortgetragen werden . Ich danke Ihnen sehr herzlich . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin ist die Kollegin Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit insgesamt 60 bis 70 Millionen Toten steht der Zweite Weltkrieg für die Tragödie des 20 . Jahrhunderts schlechthin . 27 Millionen Tote - das ist wiederholt genannt worden - musste allein die Sowjetunion beklagen, die wir vor 75 Jahren überfallen haben . Nicht einbezogen in diese Zahlen der Toten sind die Männer und Frauen, Kinder und Alte, die unter diesem Krieg massiv zu leiden hatten . Hunger, Kälte, Krankheit, Flucht und Vertreibung zählen zur traurigen Bilanz dieses Krieges . Ebenfalls zur Bilanz dieses Krieges zählt ein grausamer Rassismus und Antisemitismus . Deutschland hat diesen Krieg 1941 - eigentlich aber schon 1939 - begonnen . Unser Volk hat damals große Schuld auf sich geladen und großes Leid über ganz Europa gebracht . Das steht vor der Klammer jeder Diskussion und Erinnerung an diese Zeit . Diese Vergangenheit verjährt nicht . Die Grausamkeit dieses Krieges stand mir schon als Kind deutlich vor Augen . Mein Vater hat als ganz junger Soldat - leider! - an diesem Krieg teilgenommen; vielleicht musste er teilnehmen . Er wurde mit 27 Jahren schwer verwundet: Ein Bein wurde amputiert . - Die Kriegsschuldfrage stellt sich einem Kind noch nicht . Aber eines hat sich fest in meine Seele eingebrannt: Krieg darf es niemals wieder geben, schon gar nicht von deutschem Boden aus . ({0}) Krieg kann kein Mittel zur Lösung von Konflikten zwischen Völkern sein . Hierin liegt die Mahnung für uns heute . Krieg ist kein Mittel der Politik . Wenn das richtig ist, darf der Gesprächsfaden, der Dialog zwischen den Völkern niemals abreißen . Das gilt unabhängig davon, ob uns ein Regime, ein StaatsoberAlois Karl haupt gefällt oder nicht . Politische Verhandlungen sind tatsächlich alternativlos, und das, Herr Außenminister, bestreitet, glaube ich, niemand hier im Raum . Diese Balance zwischen Dialog und Abschreckung muss gehalten werden . Hierfür wird von unserer Seite viel getan . Mit Blick auf die Zukunft kann die Vergangenheitsbewältigung - auch das will ich hier noch einmal deutlich sagen - durch den Austausch von Studenten und Schülern gut vorangebracht werden; denn das trägt zur Völkerverständigung bei . Unsere kommenden Generationen werden es dann im Dialog leichter haben . Krieg ist kein Mittel der Politik . Leider sehen das nicht alle so . Die vielen Krisen und Kriege in der Welt zeigen, dass Präsidenten, Diktatoren und Despoten immer wieder Kriege zur Durchsetzung ihrer Interessen führen . Assad, der IS, aber auch Putin, wenn ich an die Krim und den Donbass denke, führen uns dies täglich vor Augen . Deshalb ist es wichtig, dass wir verteidigungsbereit bleiben . Deshalb brauchen wir unsere Bundeswehr und die NATO . Deshalb müssen wir unseren Soldaten jede Unterstützung zukommen lassen . Sie sind bereit, notfalls mit ihrem Leben unseren Frieden, unsere Freiheit, unser Land und unsere Partner zu verteidigen . Deshalb habe ich das Wort „Säbelrasseln“ nicht verstanden . Das ist kein Säbelrasseln . ({1}) Ich möchte mir nicht ausdenken, wie sich ein Soldat im Manöver fühlt, wenn das, was er tut, was er für uns tut, als „Säbelrasseln“ bezeichnet wird . Ich möchte mir auch nicht vorstellen, wie die osteuropäischen Länder Polen, Lettland, Estland oder Litauen reagieren, wenn sie den Eindruck bekommen, dass ihre Verteidigung als „Säbelrasseln“ bezeichnet wird . Diese schätzen Sie, Herr Bundesaußenminister . Sie zählen, wie oft Sie da waren: Sie waren in dieser Legislatur sechsmal im Baltikum . Ich glaube, Ihre Bemerkung hat leider Irritationen ausgelöst . Diese Länder bauen auf uns, auf die NATO, auf die EU . Sie haben Angst, dass auch sie Opfer des Machtstrebens ihres russischen Nachbarn werden können . Wir haben es in der letzten Woche hautnah in Narva erlebt, wo es nur diese Brücke zwischen der einen oder der anderen Seite gibt . Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg fiel vielen Menschen die Aufarbeitung zunächst schwer . Sie waren vielleicht zu sehr selbst betroffen und verstrickt in das Naziregime, als dass sie zu einer verantwortungsvollen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit hätten finden können . Inzwischen hat sich das grundlegend verändert . Deutschland hat sich dieser Verantwortung gestellt . Wir haben diesen Teil unserer Geschichte sorgfältig aufgearbeitet . Deshalb ist sie uns sehr präsent und muss sie uns und nachfolgenden Generationen präsent bleiben . Das zeigen unter anderem die vielen Erinnerungsorte, Veranstaltungen und Publikationen . Das zeigt sich in unserer wissenschaftlichen Aufarbeitung und Forschung . Das zeigt sich im Geschichtsunterricht in unseren Schulen . Aber so wichtig es ist, die Vergangenheit als Mahnung - jetzt mahnt mich der Präsident mit Blick auf meine Redezeit - für die Zukunft wachzuhalten, so sehr gilt das Wort des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, mit dem ich hier schließen möchte: Das Leben kann nur mit dem Blick zurück verstanden werden, aber gelebt werden kann es nur mit dem Blick nach vorn . Vielen Dank . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 23 . Juni 2016, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch einen hoffentlich angenehmen, vielleicht sogar gemütlichen Abend .