Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/13/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung . Wir beginnen heute mit dem Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten Drucksache 18/8039 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) Drucksache 18/8311 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Über den Gesetzentwurf werden wir nach der Debatte namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Das ist offensichtlich unstreitig . Dann können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière . ({1})

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung kennt natürlich auch die kritischen Fragen und Themen, die mit der Menschenrechtslage in Algerien, Marokko und Tunesien verbunden sind . In Algerien sieht das Strafgesetzbuch vor, dass Männer, die ein Mädchen unter 18 Jahren vergewaltigt haben, dann straffrei ausgehen können, wenn sie ihr Opfer heiraten . In Marokko müssen Aktivisten mit staatlichem Druck rechnen, wenn sie den Anspruch Marokkos auf die Region Westsahara kritisieren . In Tunesien können Männer wegen homosexueller Handlungen strafrechtlich belangt werden . Das wissen wir . Deswegen wird unser Land Menschen aus diesen Herkunftsstaaten auch dann weiterhin Schutz gewähren, wenn ihnen ein individuelles Verfolgungsschicksal droht . ({0}) Das ist unsere Pflicht. Das ist richtig so, und dazu steht die Bundesregierung . So wichtig und berechtigt das Ansprechen der Probleme ist - das werden wir sicher gleich von der Opposition in der Debatte hören -, so gering allerdings sind die Erfolgsaussichten für Asylanträge von Antragstellern aus diesen Ländern . Warum ist das so? Ein Recht auf Asyl erhält man in Deutschland nicht allein dadurch, dass es in einem Herkunftsland eine sicher kritikwürdige Rechtslage gibt; es muss eine persönliche Verfolgung vorliegen . Die persönliche Verfolgung kann und muss der Antragsteller in seinem Asylverfahren vortragen . So sieht es das Asylrecht vor . Das Bundesverfassungsgericht stellt hohe Anforderungen an die Bestimmung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat . Es räumt dem Gesetzgeber jedoch einen breiten Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum für die Bestimmung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat ein . Davon hat der Gesetzgeber auch schon bei zwei afrikanischen Staaten Gebrauch gemacht . Im Fall Ghana hat das Verfassungsgericht diese Einstufung überprüft und bestätigt . Artikel 16 a Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz lautet: Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird . Gegenstand dieser Vermutung ist nicht, dass einem Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat dort keine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung droht . Es wird allein vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht politisch verfolgt wird . Die von der Opposition vorgetragenen und sicher gleich noch zu hörenden Argumente zur Menschenrechtslage in den Maghreb-Staaten werden und wurden berücksichtigt . Durch die abstrakte Androhung der Todesstrafe und die abstrakte Strafbarkeit von Homosexualität allein ergeben sich jedoch kein Asylgrund und auch kein Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention . Das ist ein Grundprinzip unseres Asylrechts, und an diesem Prinzip werden wir auch festhalten . ({1}) Zweiter Punkt - und der ist entscheidend -: Antragsteller aus diesen Ländern werden in der Regel nicht politisch verfolgt . Das belegen die Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im gesamten Jahr 2015, und das belegen auch die Entscheidungen in den ersten Monaten dieses Jahres . Seit Februar werden die Anträge von Menschen aus diesen Staaten vorrangig bearbeitet . Die ohnehin niedrige Gesamtschutzquote hat sich noch einmal gesenkt . 2015 betrug sie noch 2,1 Prozent . Im ersten Quartal dieses Jahres ist sie auf 0,7 Prozent gefallen . Daraus kann man schließen: Es werden auch solche Vermutungen widerlegt . Es gibt also Fälle, in denen Asyl gewährt wird . Aber über 99 Prozent der Antragsteller aus diesen Staaten wurde im Jahr 2016 kein Recht auf Asyl gewährt . Mit diesem Gesetz werden wir also den Zeitaufwand straffen, der mit der Prüfung dieser Anträge verbunden ist, und an die tatsächlichen Erfolgsaussichten anpassen . Das machen wir auch, um die Anreize zu senken, hier einen erfolglosen Asylantrag zu stellen, weil man in dieser Zeit vielleicht kostenlos untergebracht wird oder weil die Leistungen hier besser sind als die Lebensbedingungen im Herkunftsland . Das Bundesamt, aber auch die Länder und die Ausländerbehörden treffen immer wieder auf mangelnde Mitwirkungsbereitschaft von Staatsangehörigen aus diesen Staaten . Viele Asylsuchende aus diesen Ländern lassen sich mehrfach registrieren, stellen aber keinen Asylantrag oder erscheinen einfach nicht zu Anhörungsterminen . Die Zahl der Registrierungen in den letzten 15 Monaten war viermal so hoch wie die Zahl der Asylanträge . Diese Differenz ist im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten ganz besonders hoch . Mit den besonderen Aufnahmeeinrichtungen, die wir mit dem Asylpaket II geschaffen haben, der damit verbundenen Residenzpflicht und der deshalb möglichen schnelleren Rückführung beheben wir viele Mängel des bisherigen Asylverfahrens . Das ist ein weiterer wichtiger Schritt, um unser Asylsystem effizienter zu machen. Deutschland wird seiner humanitären Verantwortung gerecht, auch mit diesem Gesetz . Wer die Voraussetzungen für das Recht auf Asyl erfüllt, kann bleiben . Wer die Voraussetzungen nicht erfüllt, soll unser Land wieder verlassen . So einfach ist das . Am besten kommt er gar nicht erst, wenn von vornherein klar ist, dass er höchstwahrscheinlich zurückkehren muss . Zum Helfenkönnen gehört auch, Nein sagen zu können, nämlich dort, wo keine humanitäre Hilfe gebraucht wird . ({2}) Das ist legitim . Das zu sagen, ist fair und ehrlich . Schon die Diskussion über die Einführung des Gesetzes im Januar hat im Februar zu einem spürbaren Rückgang bei den Neuzugängen aus diesen Ländern geführt . Waren es im Januar noch deutlich über 3 000 Neuzugänge, so verzeichneten wir im Februar nur noch etwa 600 . Daraus sollte man aber nicht den Schluss ziehen, dass dieses Gesetz nun nicht mehr erforderlich ist, im Gegenteil . Umgekehrt wird ein Schuh daraus . Wir haben viele Gesetze leider - das gilt erst recht im Asylrecht - unter dem Druck der Ereignisse beschlossen . Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir ohne den Druck der Ereignisse, vorbeugend und ohne politischen Streit solche gesetzgeberischen Entscheidungen treffen würden, damit der Druck der Ereignisse erst gar nicht entsteht . ({3}) Wir stehen in engem Kontakt mit den Regierungen von Tunesien, Marokko und Algerien, um unsere Zusammenarbeit auch beim Thema Rückführung zu verbessern . Die Staaten selbst wollen übrigens, dass ihre Länder als sichere Herkunftsländer eingestuft werden . ({4}) Sie sollten sich einmal in die Lage des Landes Tunesien versetzen . Ich habe in letzter Zeit Tunesien dreimal besucht . Es handelt sich hier um eine fragile, sich entwickelnde Demokratie . Dann hören die dort lebenden Menschen aus Europa und insbesondere aus Deutschland, dass es sich bei diesem Staat um kein sicheres Herkunftsland handelt . Das ist für viele, die für Demokratie kämpfen, eine Beleidigung ihrer Anstrengungen in der letzten Zeit . ({5}) Bei meiner Reise Ende März haben wir Vereinbarungen über Möglichkeiten der Rückführungen erzielt . Die ersten Rückführungen sind erfolgt, und sie werden weitergehen . Wir setzen weiter auf die Hilfsbereitschaft gegenüber verfolgten Menschen, aber eben auch auf eine Begrenzung des Zuzugs von den Menschen, die keines Schutzes bedürfen . Wir nutzen jetzt - das ist meine abschließende Bemerkung - gemeinsam mit den Ländern, den Kommunen und der ganzen Bevölkerung die Gelegenheit, uns auf die Integration derer zu konzentrieren, die eine gute Bleibeperspektive haben, gerade auch weil die Zahl derer, die kommen, zurückgegangen ist . Wir werden diese Ziele mit dem Integrationsgesetz verfolgen . Fördern und Fordern werden hier die Prinzipien sein . Die Eckpunkte sind bekannt: Sprachkurse, Orientierungskurse, Arbeitsgelegenheiten, Arbeitsangebote, Bleibeperspektive während der Ausbildung genauso wie Wohnsitzzuweisung für anerkannte Flüchtlinge, solange sie noch keine Arbeit haben, Verpflichtung zu Integrationsleistungen, Ermöglichung der Leiharbeit für Geduldete und eine Bindung des dauerhaften Aufenthalts an die bisher erbrachten Integrationsleistungen . Fördern und Fordern - beides gehört zusammen . Einen entsprechenden Gesetzentwurf werden wir im Kabinett hoffentlich - vermutlich - noch im Mai beschließen und dann hier baldmöglichst beraten . ({6}) Mit dem heutigen Gesetzentwurf verfolgt die Bundesregierung einen konsequenten Kurs: Schutz für die, die Schutz brauchen, und rasche Beendigung des Aufenthalts in Deutschland für die, die keinen Schutz brauchen, und zwar insbesondere für diejenigen aus den sicheren Herkunftsstaaten . Das sind klare Ansagen nach innen und nach außen . Danke schön . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin Ulla Jelpke das Wort . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, Sie haben eigentlich am Anfang Ihrer Rede all die Argumente gebracht, warum Algerien, Marokko und Tunesien nicht als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden dürfen; denn Sie haben im Grunde genommen bestätigt, dass es in diesen Ländern erhebliche Menschenrechtsverletzungen gibt . ({0}) Deswegen sagen wir hier auch ganz klar: Das Asylrecht darf nicht eingeschränkt werden . ({1}) Schutzsuchende haben das volle Recht auf Asyl! ({2}) Was bedeutet es denn, wenn diese drei Staaten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden? Das bedeutet, dass die Asylsuchenden von dort aus Sicht hiesiger Behörden einen unbegründeten Asylantrag stellen, und zwar alle . Das bedeutet, dass sie in Sonderlagern untergebracht werden, dass sie einer verschärften Residenzpflicht unterliegen, dass sie von allen möglichen Integrationsmaßnahmen, die von Anfang an nötig wären, ausgeschlossen sind . Dieses Recht auf ein faires Asylverfahren, der Anspruch auf eine individuelle Beurteilung muss weiterhin voll anerkannt werden . Wir lehnen ein Asylrecht zweiter Klasse grundsätzlich ab . ({3}) Aus den Berichten von Amnesty International und dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, UNHCR, die der Bundesregierung vorliegen, geht eindeutig hervor, wie weitgehend diese Menschenrechtsverletzungen in den Maghreb-Staaten sind . An vielen Einzelbeispielen wird das dort beschrieben . Diese Organisationen lehnen es ebenfalls ab, dass wir bei diesen Ländern von sicheren Herkunftsstaaten reden . In allen drei Ländern gibt es schwere Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel die Verletzung von Frauenrechten . Sie selber haben eben das Beispiel genannt . Wenn eine Minderjährige vergewaltigt wird und der Vergewaltiger sie heiratet, geht er straffrei aus . Das ist doch ein Skandal . Stellen Sie sich das einmal vor! ({4}) Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit werden dort missachtet . Ich nenne weiterhin die Homosexuellenverfolgung . Homosexuelle müssen nach wie vor mit Strafverfolgung und Inhaftierung bis zu drei Jahren rechnen . Nicht zu vergessen: In allen Ländern wird gefoltert . In Marokko gibt es nicht die Unschuldsvermutung . Wer nicht geständig ist, kann nicht vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Also wird häufig ein Geständnis durch Folter erzwungen, damit eine Verurteilung stattfinden kann . Auch das sind Skandale . Wer zum Beispiel die völkerrechtswidrige Besatzung in der Westsahara in Marokko kritisiert, muss damit rechnen, inhaftiert zu werden . In Tunesien hat es mehrere Fälle gegeben, wo Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden beispielsweise auf protestierende Arbeitslose, auf Menschen, die für ihre Rechte eingetreten sind, geschossen haben . Auch in anderer Form sind dort Menschenrechte verletzt worden . All das sind relevante Asylgründe . Beispielsweise der Jurist Reinhard Marx, aber auch Amnesty International haben in der Anhörung sehr deutlich gemacht, dass es überhaupt keinen Grund gibt, diese Länder als sicher einzustufen . Auch wenn es sich nur um wenige Fälle und um keine Systematik handeln sollte, wie Sie sagen, ist das schon asylrelevant, und das darf nicht dazu führen, dass man diese Länder als sicher einstuft . Die Bundesregierung, aber auch wir hier im Parlament haben - das hat uns das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben - eine besondere Sorgfaltspflicht, zu prüfen, ob es Menschenrechtsverletzungen gibt . Hier ist nicht die Rede von Systematik . Es reicht, dass Gruppen diskriminiert oder verfolgt werden . Diskriminierung oder Verfolgung muss nicht die Masse der Menschen betreffen, die in diesen Ländern leben . Im Übrigen hat die Bundesregierung in der Begründung zum Gesetzentwurf nicht dargelegt, welche Stellungnahmen von welchen NGOs inwiefern berücksichtigt wurden . Zum Beispiel sagen die Kirchen, Pro Asyl, das Deutsche Institut für Menschenrechte und Amnesty International - deren Vertreter waren zur Sachverständigenanhörung eingeladen - Nein zur Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dass so wenige kämen - das ist Ihr Argument, das Sie immer wieder vorbringen -, hat das Bundesverfassungsgericht lediglich als ein Indiz bezeichnet, aber nicht als einen wirklichen Handlungsgrund, Staaten als sicher einzustufen . Das entscheidende Kriterium für eine solche Einstufung als sicherer Herkunftsstaat - Sie stellen ja immer wieder darauf ab, es kämen so wenige - ist vor allen Dingen die Lage dort in den Ländern . Entscheidend ist vor allem, ob die Menschen dort sicher sind vor Verfolgung, Folter und Diskriminierung . Genau das ist nicht gewährleistet . Deswegen fordern wir, dass es keine weiteren Einschnitte in das Grundrecht auf Asyl gibt . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie müssen nun zum Schluss kommen .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja . - Zum Schluss möchte ich einfach sagen: Wer diese Länder als sicher einstuft, ermutigt auch ihre Regierungen, weiterhin diese Menschenrechtsverletzungen zu praktizieren . Schon deswegen muss man ganz klar sagen: Nein, Menschenrechtsverletzungen der Art, wie sie hier vorgetragen wurden, können von uns nicht akzeptiert und nicht auch noch belohnt werden, indem man diese Länder als sicher einstuft . Ich danke Ihnen . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Burkhard Lischka ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Burkhard Lischka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stufen heute Tunesien, Marokko und Algerien als sichere Herkunftsstaaten ein, und zwar nicht, Frau Jelpke, um das Asylrecht zu schwächen, sondern um es zu stärken . ({0}) Unser Asylrecht soll all diejenigen schützen, die in ihren Heimatländern politisch verfolgt werden oder vor Krieg und Tod fliehen. In den Ländern Tunesien, Marokko und Algerien ist das eben nicht der Fall . Die Einwanderung aus diesen Staaten erfolgt gerade nicht überwiegend als Flucht vor Krieg und politischer Verfolgung . Bei über 99 Prozent der Menschen, die von dort kommen, ist die Motivlage eine vollkommen andere, zum Beispiel der Wunsch nach einem besseren Leben . Das halte ich für menschlich verständlich; aber es ist eben kein Asylgrund, und zwar nirgendwo auf der Welt . ({1}) Die wenigen, die von dort kommen, weil sie verfolgt oder diskriminiert werden, haben auch in Zukunft die Möglichkeit, Asyl hier in Deutschland zu bekommen . Daran ändert auch die Einstufung als sichere Herkunftsländer überhaupt nichts . ({2}) Aber für die übergroße Mehrzahl von 99 Prozent derjenigen, die aus den Maghreb-Staaten kommen, bedeutet diese Einstufung zügigere Verfahren . Die Ressourcen, die dadurch freigesetzt werden, kommen wiederum Menschen zugute, die aus Heimatländern fliehen, in denen sie tatsächlich, und zwar massenhaft, von Kriegshandlungen bedroht sind . Deswegen sage ich ganz deutlich - gerade auch an die Adresse der Opposition -: Wer in Deutschland auch in Zukunft zahlreiche politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge aufnehmen will, der kann daneben nicht auch noch unbegrenzt Menschen aufnehmen, die aus ganz anderen Motiven kommen . ({3}) Wer die Aufnahmebereitschaft in unserem Land, Herr Beck, für Flüchtlinge erhalten will, der sollte sie nicht überstrapazieren . ({4}) Ich finde, Begrenzungen und klare Regeln helfen, hier Akzeptanz zu erhalten . Herr Beck, wenn wir Demokraten solche klaren Grenzen nicht ziehen, dann überlassen wir das Feld tatsächlich den Rechtspopulisten und den Fremdenfeinden . Insofern ist natürlich Politik immer auch ein Ringen um Kompromisse zwischen dem, was vielleicht wünschenswert ist, und dem, was machbar ist . Vor diesem Hintergrund ist dieser Gesetzentwurf - so meine ich - ein ausgewogener, aber eben auch ein notwendiger Kompromiss . ({5}) Jetzt sollten wir uns vor allen Dingen an die Arbeit machen, um uns um die Menschen zu kümmern, die in unserem Land sind, weil sie vor Krieg und Verfolgung geflohen sind. Herr de Maizière, Sie haben das Integrationsgesetz angesprochen . Jetzt müssen wir unsere Kraft darauf konzentrieren, dass wir aus diesen Flüchtlingen Mitschüler und Arbeitskollegen machen . ({6}) Darauf sollten wir unsere Energie verwenden, Herr Beck . Recht herzlichen Dank . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Amtsberg hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass das Mittel der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten mittlerweile nur noch innenpolitisch von Interesse ist oder auch nur noch innenpolitisch begründet wird, ist aus den Redebeiträgen der regierungstragenden Fraktionen hervorgegangen . ({0}) Als wir damals in diesem Kontext über die Sicherheit von Menschen auf dem Westbalkan gesprochen haben, wurde immer wieder behauptet, es gebe keine systematische, keine staatliche Verfolgung . Die Diskriminierungen von Roma seien Einzelfälle, die vor allen Dingen aus der Gesellschaft kämen, eben nicht staatlicherseits betrieben würden . Dazu hatte meine Fraktion damals schon eine grundlegend andere Auffassung . Aber immerhin gab es hier eine Auseinandersetzung darüber, was Mehrfachdiskriminierung bedeutet, ob sich aus dieser auch ein Schutzanspruch oder das Recht auf Asyl ableitet . Diese Mühe machen Sie sich jetzt bei dieser Frage gar nicht mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen und Sie, Herr Innenminister . Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf über die vielen Menschenrechtsverletzungen und über Verfolgungen, kommen aber nicht zu dem richtigen Schluss . Kurzum, Sie erkennen, dass es diese Menschenrechtsverletzungen gibt, und trotzdem wollen Sie die Einstufung, weil es eben nicht um die Wahrung der Menschenrechte vor Ort geht, sondern rein um Innenpolitik . Das halten wir für falsch . ({1}) Menschenrechte sind nicht relativierbar . Wenn Verletzungen der Menschenwürde erkannt werden, dann müssen sie eben auch bekämpft werden und dürfen nicht totgeschwiegen werden . Herr Innenminister, eine abstrakte Androhung der Todesstrafe, eine abstrakte Verfolgung von Homosexuellen? Da kann man wirklich nur sagen: Abstrakt ist das vielleicht für uns hier, wenn wir von außen darauf gucken, aber doch nicht für die Menschen, die vor Ort leben und in dieser Situation bestehen müssen . ({2}) Immer wieder rechtfertigen Sie diesen Gesetzentwurf damit, dass durch ihn eine schnellere Abschiebung und eine schnellere Ablehnung gewährleistet werden sollen . Diese Argumentation ist extrem unehrlich; denn bereits jetzt gibt es die Möglichkeit, diese Staaten zu priorisieren, Anträge schneller zu bearbeiten, ohne diese scharfe Klinge anzusetzen . ({3}) Genau das ist es, was wir hier an dieser Stelle kritisieren . Denn es hat eben den Nachteil, dass man den Regierungen im Maghreb damit das Gefühl vermittelt, diese Menschenrechtsverletzungen, die vielen Defizite, die wir erkennen und sogar in der Gesetzesbegründung aufführen, seien in Ordnung . Das können wir so nicht machen . So funktioniert keine Menschenrechtspolitik . ({4}) In allen drei Ländern wird die Meinungs- und Pressefreiheit sicherlich in einem unterschiedlichen Maße, aber in vielen Fällen in schwerwiegender und unverhältnismäßiger Weise verletzt . In keinem der Staaten ist die Justiz tatsächlich unabhängig . Verletzungen des Folterverbots sind in allen drei Staaten generell und durchgängig verbreitet . Frauen und Mädchen sind in den drei Staaten nur unzureichend vor Vergewaltigung geschützt . Sexuelle Gewalt wird nicht ausreichend strafrechtlich verfolgt . In Algerien und Tunesien - darauf wurde schon hingewiesen - ist Vergewaltigung weiterhin nicht strafrechtlich zu ahnden, wenn der Vergewaltiger das Opfer heiratet . Diesem Umgang mit Frauen wird mit der Einstufung der drei Staaten als sichere Herkunftsstaaten ein Gütesiegel aufgedrückt . Das ist doch nicht das, was wir uns in der Vergangenheit gerade in diesem Kontext von Frauenrechten, von Schutz von Frauen in diesen Ländern gewünscht haben . ({5}) Da müssen wir doch viel schärfer hingucken und sagen: Mit diesen Menschenrechtsverletzungen können wir nicht leben, und wir verstehen es, wenn Menschen aus diesen Ländern aus diesen Gründen fliehen. Weil in der Debatte hier immer wieder kommt, dass weiterhin sozusagen eine individuelle Prüfung möglich ist, muss ich noch einmal sagen: Wenn man von der Grundvermutung ausgeht: „Es liegt keine Verfolgung vor“, dann wird es in der Praxis schwieriger - da können Sie jeden einzelnen Menschen fragen, der davon betroffen ist -, die Verfolgung nachzuweisen, glaubhaft zu machen . Man muss sich in die Menschen hineinversetzen, die keine Erfahrung damit haben, über ihr Schicksal, über die Erfahrungen, die sie in ihren Ländern gemacht haben, offen zu reden, diese zur Disposition zu stellen und darüber zu argumentieren . Sie müssen am Ende Menschen davon überzeugen, dass ihnen das tatsächlich passiert ist . Das ist die Realität, mit der wir uns auseinandersetzen wollen . Am Ende des Tages ist die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten mit genau diesem Vorwurf belastet, nämlich dass wir nicht genau prüfen, dass wir für diese Länder eine Vorvermutung haben und dass wir es nicht schaffen, die wenigen Fälle, in denen wirklich Verfolgung vorliegt, herauszufiltern, weil wir einen Deckel draufschieben und sagen: Da liegt eigentlich keine Verfolgung vor . - Man muss deutlicher und intensiver prüfen und mit weniger Vorverurteilungen arbeiten . Nur so kann man diese Menschen ausfindig machen und ihnen hier in Deutschland helfen . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Unsere Position dazu ist klar - wir haben sie in der Vergangenheit schon häufiger deutlich gemacht -: Wir glauben nicht, dass sichere Herkunftsstaaten zu sicheren Ländern werden, nur weil man sie als solche labelt . Man muss harte Menschenrechtsarbeit vor Ort leisten, und das ist die Aufgabe, die wir zu erledigen haben und der Sie leider nicht gerecht werden . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute schon zum wiederholten Mal über das Thema „sichere Herkunftsstaaten“, und es ist immer dieselbe Kritik, die hier vorgetragen wird; die Argumente sind genannt . Klar ist auch, dass einige Kolleginnen und Kollegen das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich ablehnen; das ist auch jetzt wieder klar geworden . Ich möchte gern noch einmal die Gelegenheit nutzen, um mit den wesentlichen Vorwürfen aufzuräumen . Erstens . Die Einstufung als sicheres Herkunftsland ist keine Maßnahme, um Schutzsuchende ungerecht zu behandeln oder um zu verhindern, dass sie in Deutschland Schutz suchen . Im Gegenteil: Die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten ist vielmehr eines der wenigen Instrumente, die wir auf nationaler Ebene haben, um gegen Asylmissbrauch und gegen illegale Migration vorzugehen . ({0}) Die Zahlen zeigen eindeutig, dass von den vielen Menschen, die aus den Maghreb-Staaten zu uns gekommen sind, nur ganz wenige wirklich schutzbedürftig sind . Von den rund 2 600 Asylanträgen, über die das BAMF 2015 entschieden hat, wurden nur ganze 41 positiv beschieden . Die Gerichte bestätigen uns, dass nur in ganz wenigen Einzelfällen ein Schutzbedarf besteht . Nur in 7 von über 700 Gerichtsentscheidungen wurde das BAMF korrigiert . Doch trotz dieser geringen Anerkennungschancen kamen letztes Jahr rund 26 000 Asylsuchende aus den Maghreb-Staaten, ein Viertel davon allein im Dezember . Alles spricht dafür, dass dieser Zustrom in Wirklichkeit nichts mit Verfolgung zu tun hat . Als Gesetzgeber ist es doch unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, etwas gegen eine solche Zweckentfremdung unseres Asylsystems zu tun . ({1}) Sorgen wir mit der Einstufung dafür, dass die Zahl der unbegründeten Asylanträge aus den Maghreb-Staaten zurückgeht; denn sie gehen zulasten unserer Kommunen und auch zulasten der Menschen, die unseren Schutz wirklich brauchen . Ich bin mir im Übrigen sicher: Viele der Migranten aus dem Maghreb wissen auch, dass sie nicht schutzbedürftig sind . Viele konnten zum Beispiel nur mithilfe der Polizei dazu gebracht werden, ihren Antrag beim BAMF zu stellen und zur Anhörung zu erscheinen. Häufig wurde auch versucht, durch Mehrfachregistrierungen an unterschiedlichen Orten das Verfahren künstlich in die Länge zu ziehen und zusätzliche Leistungen zu erhalten . Ein solches Verhalten - da geben Sie mir sicher recht lässt doch an der Ernsthaftigkeit dieser Asylanträge stark zweifeln und zeigt, wie notwendig die Einstufung der Maghreb-Staaten ist . ({2}) Aber klar ist auch: Für die wenigen Fälle, in denen tatsächlich ein Schutzgrund besteht, ändert sich mit der Einstufung nichts . Diese Anträge werden auch weiterhin positiv beschieden werden können . Zweitens, meine Damen und Herren, möchte ich mit einem Irrtum aufräumen: Von der Opposition wird immer wieder behauptet, die Einstufung als sicheres Herkunftsland würde nichts bringen . Lassen Sie mich deshalb den Gegenbeweis antreten: Die Zahl der unbegründeten Asylanträge aus den Balkanstaaten ist nach der Einstufung sehr deutlich zurückgegangen . Die Maßnahmen, die wir mit dem Asylpaket II eingeführt haben wie die Wohnpflicht in einer speziellen Aufnahmeeinrichtung, ein beschleunigtes Verfahren mit zügiger Abschiebung, ein generelles Arbeitsverbot und die Möglichkeit der Verhängung von Wiedereinreisesperren, haben eine deutliche Signalwirkung . Diese brauchen wir auch für die Maghreb-Länder, damit hier der falsche Anreiz wegfällt, aus rein wirtschaftlichen Gründen einen Asylantrag zu stellen . ({3}) Laut BAMF hat bereits die Tatsache, dass wir über diesen Gesetzentwurf beraten, zu einem Rückgang der Neuzugänge aus dem Maghreb geführt . Während im Januar dieses Jahres noch über 3 000 Menschen kamen, waren es im April nur noch knapp 400 . Wir sehen also, dass die Maßnahmen, die wir in der Asylpolitik ergreifen, in den Herkunftsländern sehr genau beobachtet werden . Es wäre deshalb ein großer Fehler, wenn wir bei diesem Gesetz jetzt wanken würden . Drittens ist es mir sehr wichtig, eine Sache ganz deutlich zu betonen: Deutschland hat sich die Einstufung als sicheres Herkunftsland bei keinem einzigen Staat leicht gemacht . Wir haben letztes Jahr bei den Balkanstaaten genau geprüft, ob die Voraussetzungen für die Einstufung vorliegen . Genauso haben wir das bei Marokko, Tunesien und Algerien getan . Dafür machen das Grundgesetz, das europäische Recht und die Gerichte klare Vorgaben: Der Gesetzgeber muss die Gesamtsituation im Land beurteilen . Keine Bevölkerungsgruppe darf systematisch, generell und durchgängig unterdrückt oder verfolgt werden . Das haben wir getan . Die Gesamtsituation wurde in allen drei Ländern anhand mehrerer Erkenntnisquellen gründlich beurteilt, darunter auch Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie dem UNHCR, Amnesty International oder Human Rights Watch . Auch in der Sachverständigenanhörung und in der Ausschussberatung haben wir uns über die Lage informiert und diese erörtert . Das Ergebnis ist eindeutig: Die Schwelle zu einer systematischen und durchgängigen Verletzung schwerwiegender Menschenrechte wird in Marokko, Algerien und Tunesien nicht überschritten . Daran ändern auch die Einzelfälle von Verfolgung, etwa wegen Homosexualität, nichts, auch wenn wir diese natürlich kritisieren . Wir stellen mit der Einstufung - das wurde uns auch immer wieder vorgeworfen - ganz bestimmt keinen Blankoscheck für Menschenrechtsverletzungen in den Maghreb-Staaten aus . In der Anhörung ging es auch darum, die rechtlichen Voraussetzungen und die bei der Bewertung anzulegenden Maßstäbe zu erörtern . Diesbezüglich hat die Anhörung Folgendes erbracht: Der Gesetzgeber hat einen Bewertungsspielraum, welche Erkenntnisquellen er für die Beurteilung heranzieht und wie er die einzelnen Quellen gewichtet . Am Ende muss er sich ein Gesamturteil bezüglich der Umstände im Land bilden . Es geht nicht darum, jeden Einzelfall zu betrachten; denn die Einstufung ist eine gesetzliche Regelvermutung, die explizit Ausnahmen zulässt und die vom Bundesamt und auch von den Gerichten im Einzelfall widerlegt werden kann . Es geht also gerade nicht um eine hundertprozentige Sicherheit, sondern um eine systematische Betrachtung . Liebe Kolleginnen und Kollegen, anhand all dieser Vorgaben, haben wir sehr sorgfältig geprüft, ob die Voraussetzungen für die Einstufung vorliegen . Ich will auch gar nicht bestreiten, dass es in den Maghreb-Ländern noch viele Probleme gibt, die bewältigt werden müssen . Fest steht aber: Das Asylrecht ist nicht das richtige Instrument, um diese Probleme anzugehen . Und selbst wenn wir wollten, können wir die Probleme in diesen Ländern doch nicht mit dem deutschen Asylrecht lösen . Das ist Aufgabe der Außen- und Entwicklungspolitik . ({4}) Deutschland tut ja auch eine ganze Menge und hilft den Maghreb-Staaten . Allein im letzten Jahr haben wir rund 700 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit mit Marokko, Algerien und Tunesien bereitgestellt . Diese Mittel wurden für die gezielte Verbesserung der Lebensbedingungen in diesen Ländern eingesetzt, unter anderem für Projekte zur Stärkung von Frauen- und Minderheitenrechten, guter Regierungsführung und der Zivilgesellschaft und für die Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz . Diese Maßnahmen zur Bekämpfung der Fluchtursachen müssen auf europäischer Ebene noch viel stärker gebündelt und intensiviert werden . Meine Damen und Herren, wenn eifrig kritisiert wird, ist es manchmal wichtig, die Dinge anhand der Fakten noch einmal geradezurücken . Deswegen fasse ich zusammen: Erstens . Die Einstufung der Maghreb-Staaten ist notwendig, um falsche Anreize und die Zahl der unbegründeten Asylanträge aus diesen Ländern zu reduzieren und um unsere Kommunen zu entlasten . Zweitens . Die Einstufung bedeutet nicht, dass keine Asylanträge aus diesen Ländern gestellt werden können . Drittens . Die rechtlichen Voraussetzungen für die Einstufung wurden sorgfältig geprüft und liegen vor . Lassen wir uns deshalb nicht von der Opposition mit ihrer Kritik in die Irre führen, sondern stimmen dem Gesetzentwurf mit breiter Mehrheit zu . Vielen Dank . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Andrej Hunko ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke . ({0})

Andrej Hunko (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004060, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister! Der russische Dichter Alexander Puschkin sagte einmal: Im Prinzip bin ich ja nicht abergläubisch, aber wenn wir heute Freitag den 13 . hätten, käme ich doch lieber ein andermal wieder . Das Gleiche habe ich heute Morgen gedacht, als ich den Gesetzentwurf der Bundesregierung noch einmal gelesen habe . Heute ist ein schwarzer Freitag für das Grundrecht auf Asyl in Deutschland . ({0}) Dieser Gesetzentwurf ist eine weitere Verstümmelung des Asylrechts in Deutschland . ({1}) Herr de Maizière, Sie haben die Menschenrechtsverletzungen in Algerien, Marokko und Tunesien angesprochen, die es offensichtlich gibt . Ich frage mich: Welche Signalwirkung geht in diesen Ländern von der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat aus? Ich glaube, dass diejenigen, die dort für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, sagen werden: Wir sind jetzt ein sicherer Herkunftsstaat . Der Druck ist sozusagen weg . Wir können noch weiter Homosexuelle zum Beispiel in Gefängnissen foltern oder Anhänger der Saharauis in der Westsahara in Marokko . Das ist ein falsches Signal für die Länder . ({2}) Zahlreiche Organisationen - Amnesty International, das Deutsche Institut für Menschenrechte, Pro Asyl, der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, auch die beiden großen Kirchen - haben sehr deutlich gesagt, dass sie diesen Gesetzentwurf ablehnen . Sie legen doch so viel Wert auf die Zivilgesellschaft, auch in anderen Ländern . Hier ignorieren Sie vollständig die Einschätzungen der von mir genannten Organisationen. Ich finde das arrogant . Ich frage die Bundesregierung: Warum hören Sie nicht auf diese Organisationen? Diese sagen klar: Sie verletzen hier Ihre Sorgfaltspflicht. ({3}) Ein Wort an die Grünen: Ich habe die Rede sehr wohl gehört . Ich teile auch die Punkte . Wir haben hier im Bundestag die missliche Situation: 80 Prozent Regierung, 20 Prozent Opposition . ({4}) Wir diskutieren hier . Es steht ohnehin alles fest . Aber im Bundesrat hätten wir die Möglichkeit, mit Linken und Grünen dieses Gesetz zu stoppen, ({5}) weil die Stimmen nicht ausreichen, wenn sich die Regierungen, an denen Grüne und Linke beteiligt sind, am Ende enthalten, können wir das Gesetz stoppen . Ich glaube, es wird wichtig sein, sehr genau hinzuschauen, wie der Bundesrat am Ende im Juni entscheidet . Lasst uns gemeinsam dieses Gesetz stoppen . Es ist ein unwürdiges Gesetz . Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ist Teil dieses schäbigen, so genannten Asylkompromisses von 1993 . Dieses Konzept ist ein falsches Konzept . Wir lehnen es grundsätzlich ab . Vielen Dank . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist und bleibt ein weltoffenes Land, das wie kein anderes in Europa international geachtet wird und seine internationale Verantwortung gerade auch in Krisenzeiten vorbildlich wahrnimmt . Daran wird auch die Einstufung dreier Staaten als sichere Herkunftsstaaten nichts ändern, meine Damen und Herren . ({0}) Reden wir nicht drum herum: Natürlich ist das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten umstritten . Auch in der SPD-Fraktion haben wir darum gerungen und darüber diskutiert, ob man diese Einstufung vornehmen kann . Wir haben im Innenausschuss beraten . Wir haben eine Anhörung durchgeführt . Aber wir werden heute diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil wir verschiedene gute Gründe dafür haben . Wichtig ist vor allen Dingen, dass man zwischen zwei Gruppen unterscheiden muss . Wir wollen ein effektives, ein effizientes Asylsystem - effektiv, weil wir das Asylrecht dem zuweisen, der es wirklich verdient, der als Flüchtling, als Asylsuchender darauf angewiesen ist, in unserem Rechtsstaat Asyl zu erhalten . Und er wird weiterhin Asyl erhalten . Davon zu unterscheiden ist derjenige, der dieses System nutzt, um ein Bleiberecht zu konstruieren, obwohl er eigentlich ein anderes Rechtssystem bräuchte, vielleicht aber auch ganz andere Gründe hat . Der wird - auch unabhängig von der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat - kein Bleiberecht über das Asylrecht konstruieren können . Der Verantwortung, hier zu unterscheiden, müssen wir gemeinsam gerecht werden . Man muss auch mit einem weiteren Punkt aufräumen . Insofern sage ich - das habe ich auch in erster Lesung gesagt -: Lassen Sie uns doch von mutmaßlich sicheren Herkunftsstaaten sprechen . ({1}) Es geht nämlich um eine widerlegbare Vermutung der Verfolgungsfreiheit . Es wird nach wie vor darum gehen, zu belegen, dass man verfolgt ist . Das ist genau der Punkt, den wir beachten werden . Wir haben uns die Punkte, die der Bundesrat eingebracht hat, zu eigen gemacht . Wir haben sie in der Anhörung thematisiert . Es sind bestimmte Gruppen benannt worden - ich benenne sie konkret: die Lesben und Schwulen -, die einer Verfolgung ausgesetzt sind . Wir Deutschen sollten uns die Einstufung da nicht zu einfach machen; denn wir selbst haben unser Strafrecht erst 1994 entsprechend angepasst und sind noch lange nicht am Punkt vollständiger Gleichberechtigung angekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({2}) Insofern werden wir das auch nicht schematisch machen . Es ist eine widerlegbare Vermutung . Wenn wir jetzt über das Verfassungsgerichtsurteil von 1996 sprechen, dann müssen wir es richtig einordnen und einen Unterschied erkennen: Wir haben nun eine veränderte Situation, weil wir im Oktober mit den Änderungen im Asylrecht eine Verfeinerung der Zusammenarbeit zwischen der Regierung auf der einen Seite und dem Parlament auf der anderen Seite vorgenommen haben . Das System der sicheren Herkunftsstaaten ist nicht mehr mit der Rechtslage zu vergleichen, die bestand, bevor wir die Asylverfahren beschleunigt haben . Denn die Liste der sicheren Herkunftsstaaten wird nun einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen, das erste Mal schon im Oktober 2017 . Die Hürde für die Aufnahme in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten liegt viel höher als die Hürde für die Streichung von dieser Liste; denn die Streichung ist ein einfacher Schritt seitens der Regierung . Es wird ein engeres Monitoring der Menschenrechtslage geben . Der Innenminister nickt . Das ist genau der Punkt, auf den wir gedrängt haben . Das Signal hinsichtlich der sicheren Herkunftsstaaten ist nun ein anderes; das Streichen von der Liste ist viel schneller geschehen als die Aufnahme in die Liste . Wir können darauf stolz sein, dass wir das als Parlament durchgesetzt haben, auch dank der Anhörung und der Diskussionen im Innenausschuss . ({3}) Man kann das nicht mehr so schematisch betrachten . Die SPD hat sich diese Diskussion nicht leicht gemacht . Wir unterscheiden zwischen den Gruppen und legen fest, wer Asyl bekommen muss . Wir wissen angesichts der Zahlen Folgendes - in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen wurde es sehr deutlich -: Es gab über 500 Fälle, in denen Menschen aus den Maghreb-Staaten gar nicht versucht haben, einen Asylantrag zu stellen, die bei der Überprüfung schon gesagt haben, das sei gar nicht der Punkt, den sie erreichen wollten . In diesen Fällen wurde sehr schnell eine Entscheidung gefällt . Es geht um eine Beschleunigung der Asylverfahren für diese Gruppe . Denn alle Menschen in diesem Land verlassen sich darauf - ich sage bewusst: alle Menschen -, dass wir ein effizientes System haben, bei dem schnell klar wird, ob man Recht auf Asyl hat oder nicht . Das gilt für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, aber es gilt auch für die Flüchtlinge, die schnell eine klare Aussage über ihr Bleiberecht und ihre Integrationschancen brauchen . Auch für diese Menschen beschleunigen wir das Asylverfahren; ({4}) um diese Menschen geht es doch auch . Es geht nicht um die Gruppe, die dieses Recht ausnutzen will, obwohl es ihnen nicht zusteht . Ein weiterer Punkt ist: Ich möchte mich ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei den Entscheidern des BAMF bedanken . Ich habe hohen Respekt vor den Menschen, die die Aufgabe haben, über Schicksale zu entscheiden . Diesen Punkt haben wir thematisiert . Wir haben gefragt: Wenn wir die Regelvermutung einführen, wie genau prüft ihr, dass keine Verfolgung vorliegt? Wie klärt ihr das mit dem Dolmetschen? Überprüft ihr die medizinischen Angaben? Die Aussagen der Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - das kann man im Protokoll nachlesen - sind sehr eindeutig: Es wird an dieser Stelle keine Verfahrensbeschleunigung geben, sondern eine schnellere Klärung in Gruppen, aber derjenige, der seine Gründe vorträgt, kann nach wie vor sein Schutzrecht beanspruchen . Ein Indikator in der Debatte über die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat war die Frage: Wie hoch ist die tatsächliche Schutzquote der Menschen, die aus den Maghreb-Staaten kommen? In absoluten Zahlen: 1, 22 oder auch um die 40, wenn wir uns die entschiedenen Fälle im Jahr 2015 anschauen . Aber erst wenn wir wissen, dass die Schutzquote in absoluten Zahlen nicht sinkt, obwohl die Zahl der Einreisen deutlich zurückgegangen ist, weil man nicht mehr den Umweg des Asylantrags gehen muss, wenn man keinen Asylgrund hat, um ein Bleiberecht in Deutschland zu konstruieren, dann haben wir ein Indiz dafür, dass die Einstufung richtig war . ({5}) Derjenige, der vorher in der Einstufung war, wird es dann auch bleiben . Das werden wir im Zuge des Monitoring prüfen . Wir verlassen uns darauf, dass die Bundesregierung den Prozess anders anlegt als bei der Einstufung; denn es ist viel einfacher, von der Liste gestrichen zu werden, als in sie aufgenommen zu werden . Daran werden wir als SPD-Fraktion dieses Verfahren messen . Denn die Einstufung zu einem sicheren Herkunftsstaat ist eine Einstufung auf Widerruf . Das ist der Unterschied bei dieser Änderung des Asylgesetzes . Wir haben das Zug um Zug gemacht . ({6}) Natürlich standen für die SPD-Fraktion auch andere Aspekte im Mittelpunkt, nämlich dass es rechtssichere Verfahren gibt, dass schnelle Entscheidungen getroffen werden und dass denjenigen, die eine Bleibeperspektive haben, ein schneller Zugang zu Integrationsmaßnahmen gewährt wird . Deswegen sagen wir immer: Wir brauchen ein Paket . Wir brauchen ein Integrationsgesetz, aber auch mehr Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, damit mehr Entscheidungen schnell und rechtssicher getroffen werden können . Wir haben eine Überprüfung durch unabhängige Gerichte . Deutschland ist ein Rechtsstaat - Russland ist erwähnt worden -, und wir verlassen uns darauf, dass die Entscheidungen entsprechend überprüft werden . ({7}) Wir haben uns die Überprüfungsquoten angesehen . Im Wesentlichen bestätigen sie die Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge . Das spricht für die Entscheidungsqualität . Auch das werden wir nach der Einstufung zum sicheren Herkunftsstaat weiter überprüfen . ({8}) Unser Fokus liegt klar auf effektiven und effizienten Verfahren . Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber wir werden sie heute treffen, weil wir der festen Überzeugung sind: Wir sorgen für eindeutige gesetzgeberische Grundlagen . Das Zusammenspiel zwischen Regierung und Parlament wird weiter verfeinert . Die Listen werden überprüft und gegebenenfalls gekürzt, wenn es sein muss . In diesem ausführlichen Prozess haben wir uns die Stellungnahme des Bundesrates zu eigen gemacht; denn der Bundesrat muss dem Ganzen auch noch zustimmen . Wir haben seine Rechte besonders betont, auch als Ergänzung zur Gegenäußerung der Bundesregierung . Wir haben gesagt: Genau darauf wollen wir den Fokus richten . Es geht darum, dass Menschen ein Recht auf Asyl haben, wenn sie seiner bedürfen . Wenn wir als SPD heute zustimmen, dann tun wir das erstens, weil die Vereinbarungen im Paket getroffen wurden und wir das Gesamtkonzept im Blick haben . Zweitens . Wir erhalten damit ein Mittel zur Verfahrensvereinfachung und Klärung, um den Menschen, die kein Asyl bedürfen, klar zu sagen: Ihr habt keine Chance . Ihr müsst in den Ankunftszentren verbleiben . Drittens . Zur Debatte über die sicheren Herkunftsstaaten gehört auch, festzustellen: Die Einstufung in sichere Herkunftsstaaten ist kein Allheilmittel . Es reicht nicht aus, die Liste durch weitere Staaten zu ergänzen . Vielmehr muss eine entsprechende Diskussion in den betroffenen Staaten geführt werden, damit die Menschen wissen, welche Chancen sie in Bezug auf das Einwanderungs- oder Asylrecht haben oder eben nicht . Vor allen Dingen - deswegen die Reise des Innenministers in die Maghreb-Staaten - müssen die Rückführungen organisiert werden . Wir haben damit in den jeweiligen Staaten eine entsprechende Debatte ausgelöst . Viertens . Wir verlassen uns darauf, dass das Monitoring der Bundesregierung weiter verfeinert und den von uns zugrundegelegten Anforderungen gerecht wird . Fünftens und abschließend . Lassen Sie uns die Vorlage des ersten Berichts der Bundesregierung über die Einstufung der sicheren Herkunftsstaaten im Oktober 2017 abwarten . Lassen Sie uns abwarten, ob das Instrument so wirkt, ob die Schutzquote in absoluten Zahlen nicht sinkt, ob die Zuerkennung nach wie vor rechtssicher erfolgt und ob das Instrument zu einer Verfahrensvereinfachung führt . ({9}) Wir müssen an dieser Stelle auch sagen: Ja, wir haben diese Liste ergänzt; aber damit ist es auch gut, weil wir jetzt andere Dinge in den Mittelpunkt rücken müssen, und zwar die Integration und die Entwicklungszusammenarbeit, die bereits angesprochen worden ist . Wir stellen uns ausdrücklich dahinter, weil wir Fluchtursachen vor Ort bekämpfen müssen . Wir werden als Bund unserer Verantwortung gerecht, wenn wir das Verfahren rechtssicher ergänzen und dafür sorgen, dass auch nach der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten die widerlegbare Vermutung in unserem Rechtsstaat im Einzelfall genutzt werden kann, sodass wir uns nicht zu scheuen brauchen, diesem Gesetzentwurf heute zuzustimmen . Vielen Dank . ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Volker Beck bekommt nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns einig hier im Haus: Wir wollen schnelle Verfahren, schnelle Entscheidungen von hoher rechtsstaatlicher Qualität . Aber wir wollen diese Verfahrensbeschleunigung nicht um den Preis falscher menschenrechtlicher Signale und schlechterer Chancen für die Asylrechtsgewährung bei wirklich Verfolgten . ({0}) Die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten erfolgt nicht im verfassungsrechtlichen Vakuum, sondern dabei sind die Vorgaben des Grundgesetzes und des europäischen Rechts zu beachten . Artikel 16 a Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz sagt: Aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse muss in Ländern, die als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, gewährleistet sein, „daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. - Ich will Ihnen an zwei Beispielen deutlich machen, dass das für diese drei Länder nicht gilt . Ein Beispiel ist die Westsahara, die seit Jahrzehnten von Marokko besetzt ist . Die Vereinten Nationen sind vor Ort, um den Waffenstillstand zu überwachen . Wir haben der Bundesregierung mehrere Beispiele für Demonstrationen in der Westsahara für die Unabhängigkeit benannt, bei denen die Demonstranten mit brutaler Polizeigewalt zusammengeprügelt wurden . Wir haben die Bundesregierung gefragt, ob sie eine Demonstration seit 1975 benennen kann, bei der das anders abgelaufen ist . Die Bundesregierung musste bekennen, dass es ihr nicht bekannt ist, dass eine Demonstration frei von Gewalt stattgefunden hat . Die Bundesregierung versucht, uns in Sicherheit zu wiegen, indem sie sagt: Bei Saharauis ist der Status der sicheren Herkunftsländer nur dann anzuwenden, wenn sie die marokkanische Staatsangehörigkeit haben . - Das hat man auf die Frage der Kollegin Luise Amtsberg geantwortet . Ja, wie kommt denn ein Saharaui nach Europa? Wenn er nicht durch Mauretanien flieht, muss er durch Marokko. Dazu muss er sich den marokkanischen Pass besorgen, und damit fällt er unter die Regelung der sicheren Herkunftsländer . Es kann doch nicht ernsthaft angenommen werden, dass die Vereinten Nationen in der Westsahara präsent sind, weil es dort keine politische Verfolgung, weil es dort keinen kalten BürSebastian Hartmann gerkrieg gibt . Wir treten die Menschenrechte mit Füßen, wenn wir diesen Blankoscheck ausstellen . ({1}) Das, was auf die Betroffenen zukommt, ist keine Petitesse . Es geht um verkürzte Klagefristen, es geht um Beschränkungen im Verfahren, es geht darum, dass man eine Vermutung widerlegen muss, also höhere Beweislasten hat, und nicht nur um die Fragen Lagerzwang, Residenzpflicht und Arbeitsverbot, was integrationspolitisch problematisch ist, weil die Leute im Zweifelsfall eben doch mehrere Monate hier bleiben . Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich gut, was Sie an diesem Punkt tun . Zweitens . Allein ein Blick auf die Situation der Homosexuellen in diesen drei Ländern würde ausreichen, um ihre Einstufung als sichere Herkunftsländer abzulehnen . In allen drei Ländern steht im Strafgesetzbuch explizit, dass gleichgeschlechtliche Handlungen unter Strafe stehen . Das steht nicht nur dort so, sondern das wird auch real angewandt . Amnesty International hat darauf hingewiesen, dass im Mai und im Juni 2015 in Oujda und Rabat fünf Männer unter anderem wegen unsittlichen Verhaltens und homosexueller Handlungen zu Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren verurteilt wurden . In Tunesien, dem Land, das wir durch Kritik an seiner Menschenrechtslage nicht beleidigen sollen, wie der Minister meint, wurden im Jahr 2015 mehrere Männer wegen homosexueller Handlungen zu Haftstrafen verurteilt . Die Männer wurden vorher gegen ihren Willen anal untersucht; das gilt nach der europäischen Rechtsprechung als Folter und unmenschliche Behandlung . - Das sind keine Petitessen . Herr Minister, das sollten wir nicht kleinreden . Da sollten wir klar sagen: Das verstößt gegen die Menschenrechte, das akzeptieren wir nicht, und das unterstützen wir nicht . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss . - Der Europäische Gerichtshof hat 2013 ausdrücklich festgestellt, dass Homosexualität als Verfolgungsgrund gilt, auch wenn man durch verstecktes Leben Verfolgungshandlungen womöglich minimieren oder abwenden kann . Man kann von Homosexuellen genauso wenig wie von Christen verlangen, dass sie ihre Identität verheimlichen . Wenn sie wegen ihrer Identität verfolgt werden, haben sie Anspruch auf Schutz . ({0}) Dass Sie von der Bundesregierung in Ihrer Gegenäußerung beim Thema Algerien das den Menschen nahelegen

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- und dass das BAMF jüngst in einem Einzelfall bei einem Syrer mit solch einer Begründung ablehnend entschieden hat, zeigt, dass wir ein Rollback beim Thema „homosexuelle Flüchtlinge und deren Schutz“ haben . Meine Damen und Herren von der SPD, machen Sie keine Veranstaltung zu Aktionsplänen gegen Homophobie, sondern stimmen Sie gegen diesen Gesetzentwurf . Dann tun Sie etwas gegen Homophobie . Das wäre glaubwürdig . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält der Kollege Michael Frieser das Wort für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht in keiner Weise darum, Menschenrechtsverletzungen kleinzureden . Das Gegenteil ist der Fall . Wer ein treffsicheres, ein funktionsfähiges, ein an Menschenrechten orientiertes Asylsystem braucht und erhalten möchte, der muss sich notwendigerweise darüber Gedanken machen, wie er dieses Asylsystem tatsächlich durchführbar und organisierbar hält . Deutschland muss sich bei dieser Frage wirklich vor niemandem auf der Welt verstecken . Wir haben ein Asylsystem, in dem alles so gründlich, so tief und so genau aufgearbeitet wird wie nirgendwo sonst in der Welt . Genau dabei soll es auch bleiben . Was wir heute machen, ist eben gerade keine Symbolpolitik nach innen, sondern es ist sehr wohl ein Signal . Denn wir sagen deutlich: Hier handelt es sich nur darum, dass wir eine Regelvermutung - ein fürchterliches Wort; was bedeutet es? - zulassen . Die eingängige, absolut gefestigte Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichtes als auch des Europäischen Gerichtshofes besagt, dass bei Ländern, in denen keine durchgängige und keine generelle Verfolgung herrscht, durchaus die Möglichkeit besteht, die Regelvermutung, dass es sich um sichere Herkunftsstaaten handelt, aufzustellen . Seien wir doch bitte einmal ehrlich: Die Zahlen zeigen, dass die Anerkennungsquoten gerade im Hinblick auf Algerien, Marokko und Tunesien von 0 Prozent bis gerade einmal 2 Prozent reichen . Was bedeutet das? Das bedeutet, dass tatsächlich Prüfungen der Einzelfälle stattfinden. Dadurch wird gewährleistet, dass eine Verfolgung, wenn es sie gibt, auch festgestellt wird . Eine Prüfung wird also definitiv auch nach der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat möglich sein . Das wollen wir . Das will unser Volker Beck ({0}) Rechtsstaat . Das sind wir unserem Asylrecht nach dem Grundgesetz auch schuldig . Dabei bleibt es . ({1}) Ich bin mir nicht ganz sicher, warum Sie aus der Opposition versuchen, die Öffentlichkeit darüber zu täuschen, und behaupten, dass es sich hier um eine Abschaffung des Asylverfahrens im Einzelfall handelt . Das Gegenteil ist der Fall . Wir müssen auch einmal sehen, was die Menschen, die aus diesen Ländern kommen, zu ihren Asylverfahren beitragen . In den seltensten Fällen wird überhaupt ein Verfolgungsgrund nach dem Asylrecht vorgetragen . In den seltensten Fällen erscheinen die jeweiligen Antragsteller in der Anhörung überhaupt . Das heißt natürlich - das ist menschlich verständlich -, dass sie einen anderen Zweck für ihre Reise bzw . Flucht nach Deutschland haben . Niemand will darüber den Stab brechen; aber eine Frage für das Asylverfahren ist das selbstverständlich nicht . Entscheidend war - das war mit Sicherheit nicht ganz leicht -, dass wir diese Länder in den Verhandlungen an eine Selbstverständlichkeit erinnert haben . Wir haben die Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien an die Pflicht zur Rücknahme ihrer Bürger erinnert. Man muss deutlich sagen, dass der Innenminister auf seiner Reise etwas sehr Unangenehmes getan hat: Er hat die Länder nämlich daran erinnert, dass es eine völkerrechtliche Verpflichtung gibt. Letztendlich war das aber auch entscheidend und wichtig, um diesen Ländern bewusst zu machen, dass es einen Prozess in Europa, in Deutschland gibt, bei dem man sich auch mit der Situation der Menschenrechte in diesen Ländern genau beschäftigt . Ich sage es an dieser Stelle noch einmal deutlich, Herr Innenminister: Unseren herzlichen Dank für Ihre nicht einfache Reise in diese Länder, die Sie unternommen haben, um die Menschen davon zu überzeugen, dass dieses Thema entscheidend und wichtig ist . ({2}) Und da bin ich bei der außenpolitischen Komponente . Es ist grundfalsch, zu glauben, es betreffe nur die Innenansicht, wenn sich die Politik mit dem Asylsystem beschäftigt . Wir haben über die Fehlanreize und die Signale nach außen schon diskutiert . Aber die Reise des Innenministers in diese Länder bedeutet doch, dass wir dort einen Prozess mit anstoßen und dafür sorgen, dass ohnehin unbestreitbare Menschenrechtsverletzungen im Einzelfall thematisiert werden . Hier wollen wir auch die deutsche Öffentlichkeit nicht täuschen . Genau darum geht es: Auch mit Blick auf unser Asylsystem wollen wir darauf hinweisen, dass wir die Entwicklung dieser Länder durchaus betrachten müssen . Unsere Hilfe und unsere Entwicklungspolitik müssen einen wesentlichen Anreiz darstellen, die Anstrengungen dieser Länder, die durchaus vorhanden sind, zu unterstützen . Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht eben gerade nicht darum, diese Länder in irgendeiner Art und Weise mit einem Qualitätsstempel für eine unverbrüchliche demokratische Entwicklung zu versehen . Es geht natürlich darum, unser Asylsystem funktionsfähig zu halten . Es geht aber auch darum, durch das Zusammenwirken der Politik aus unserem Land heraus deutlich zu machen, dass wir Fehlanreize und den Migrationsdruck reduzieren . Am Ende des Tages geht es natürlich auch darum, dass wir helfen bzw . Hilfestellung leisten . Wir haben uns diesen Gesetzentwurf nicht leicht gemacht . Ich glaube, auch diese Diskussion heute hat gezeigt, dass wir den Mitarbeitern beim BAMF und beim Innenministerium mit Blick auf die Verfahren sagen können: Es wird eine Einzelfallprüfung geben, und es wird nach wie vor eine Qualität des Verfahrens geben . - Aber am Ende des Tages müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass dieser Gesetzentwurf nicht nur angemessen, sondern auch notwendig, nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes verhältnismäßig und letztlich die einzig richtige Antwort ist, um unser Asylsystem treffsicher und, ja, auch human zu halten . Vielen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der drei Länder Volksrepublik Algerien, Königreich Marokko und Tunesische Republik als siche- re Herkunftsstaaten. Der Innenausschuss empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/8311, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Druck- sache 18/8039 anzunehmen . Ich darf diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen bitten . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom- men . Ich weise darauf hin, dass mir zahlreiche persönliche Erklärungen zur Abstimmung vorliegen, die wir wie üb- lich dem Protokoll beifügen .1) Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab, und ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Ich eröffne die Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf . Ist ein Mitglied im Hause anwesend, das seine Stimm- karte noch nicht abgegeben hat? - Da zeigt sich doch ge- legentlich der Vorzug der Mitgliedschaft in der Fußball- mannschaft des Bundestages, dass man auch für einen solchen Schlussspurt die nötige Kondition mitbringt . Vergleichbare Fälle sind nicht erkennbar . Dann schlie- ße ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung teilen wir dann später mit .2) 1) Anlagen 2 bis 4 2) Ergebnis Seite 16876 D Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/8425 . Wer stimmt für diesen Ent- schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Das hat nicht gereicht, Frau Haßelmann; der Entschließungsantrag ist abgelehnt . - Die Fraktion Die Linke legt allergrößten Wert darauf, dass ihre Zustim- mung zum nicht erfolgreichen Entschließungsantrag der Fraktion der Grünen im Protokoll vermerkt wird, was mit dieser Bemerkung sichergestellt ist, Frau Sitte . Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Karin Binder, Susanna Karawanskij, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Vorläufige Anwendung des CETA-Abkom- mens verweigern Drucksache 18/8391 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jan van Aken, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine lebendige Demokratie - Fairer Handel statt TTIP und CETA Drucksachen 18/6818, 18/8128 Auch für diese Aussprache sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 60 Minuten vorgesehen . - Das ist unbestritten . Dann verfahren wir so . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst . ({1})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist Freitag, der 13 ., und wir reden über das Gebaren der Bundesregierung zur Inkraftsetzung von CETA . Das passt irgendwie . CETA ist kein gutes Abkommen . Es ist ein Freihandelsabkommen, dessen oberstes Ziel die weitere Liberalisierung des Handels ist - Artikel 2 .1 . Es enthält eine Stillstandsklausel, nach der einmal Liberalisiertes nicht mehr zurückgenommen werden kann - Artikel 2 .6 . Im Übrigen: Es beinhaltet Sonderrechte für Unternehmen durch Schiedsgerichte . Egal ob sie privat oder öffentlich sind: Es sind Sonderrechte . ({0}) Meine Damen und Herren, wenn Sie wirklich höhere und bessere Standards wollen würden, dann würde es reichen, ein internationales Verbraucherschutzabkommen auf den Weg zu bringen . Aber das wollen Sie ja gerade nicht . ({1}) Heute geht es allerdings um die Frage, wie Sie das internationale Abkommen CETA gegen den Willen der Bürger - die Mehrheit ist inzwischen dagegen; das weiß man - durchsetzen wollen . ({2}) Gerade jetzt ist Wirtschaftsminister Gabriel im EU-Ministerrat in Brüssel . Er will das Signal an die Öffentlichkeit senden, dass dieses Abkommen als gemischtes Abkommen bewertet wird . Was wäre die Folge? Die Folge wäre, dass auch die nationalen Parlamente dem Abkommen CETA zustimmen müssten, bevor es in Kraft gesetzt wird . Es soll also der Eindruck erweckt werden, dass die nationalen Parlamente beteiligt werden, und alles ist gut . Leider - guckt genau hin, liebe Kolleginnen und Kollegen! - ist das alles nur Show; denn im selben Moment macht die Bundesregierung Druck, um das Abkommen CETA möglichst schnell vorläufig anzuwenden. Was bedeutet das? Das Abkommen soll angewendet werden, bevor die nationalen Parlamente diese Frage ausreichend beraten und abgestimmt haben . Das ist eine Aushebelung der Parlamente . ({3}) Der unerträglichen Geheimniskrämerei um dieses Abkommen, die einige von Ihnen mit Freude verteidigt haben, folgt also noch ein Schritt mehr, nämlich die Ausschaltung der nationalen Parlamente . Das ist nicht hinnehmbar . ({4}) Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass diese Umgehung der nationalen Parlamente verhindert wird . Eine Inkraftsetzung von CETA darf es erst geben, wenn die nationalen Parlamente darüber beraten haben . Sonst entmachten wir uns hier selber . Ich will das erklären. Durch eine vorläufige Anwendung sollen die Vertragsteile, die in den Kompetenzbereich der EU fallen, noch vor dem Ratifizierungsprozess durch die Mitgliedstaaten und allein durch Beschluss des Ministerrates in Kraft treten . Als Entgegenkommen darf das Europäische Parlament davor über CETA abstimmen . Übrigens: Ein Recht darauf hat es nicht . ({5}) Präsident Dr. Norbert Lammert Lesen Sie die entsprechenden Bestimmungen nach! Doch bisher ist äußerst umstritten, welche Bereiche in den Kompetenzbereich der Mitglieder fallen und welche nicht . Das ist vollkommen offen . Die EU sagt nach wie vor: „Das ist alles unser Ding“, und die Nationalstaaten haben eigentlich gar nichts zu melden . Auch die Bundesregierung kann dazu weiterhin keine klare Auskunft geben - und das, obwohl seit Ende Februar der endgültige Vertragstext vorliegt . Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass jedenfalls die CETA-Bestimmungen zum Investitionsschutz und zur Beseitigung von Investitionsstreitigkeiten auch die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten berühren . Der Juristische Dienst des Rates der Europäischen Union ist wiederum gegenteiliger Auffassung . Undurchsichtiger geht es wirklich kaum . Wir sehen: CETA ist ein äußerst kompliziertes und komplexes Abkommen . ({6}) Ein Aufsplitten in „EU only“-Teile und gemischte Teile ist weder sinnvoll noch möglich . ({7}) Auch Professor Mayer von der Universität Bielefeld schreibt in einem Gutachten, das übrigens im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt wurde: Wie ein Tropfen Pastis ein Glas Wasser trübt, machen schon einzelne Teilaspekte eines Abkommens das Abkommen als Ganzes von der Zustimmung der Mitgliedstaaten abhängig . Ein Gutachten für das Wirtschaftsministerium . - Wenn man dem folgt, ist vollkommen klar, dass die Bundesregierung im Rat keiner vorläufigen Anwendung eines solchen Abkommens zustimmen kann . ({8}) Aber es kommt noch dicker . Die EU-Kommission, die offenlässt, ob CETA als Ganzes nicht doch in alleiniger EU-Zuständigkeit liegt, will diese Frage mit einem Gutachten vom Europäischen Gerichtshof klären lassen, und zwar auf der Basis des Freihandelsabkommens mit Singapur . Dieses Gutachten soll es allerdings erst nächstes Jahr geben. Vorher jedoch soll über eine vorläufige Anwendung entschieden werden . Was ist das denn, meine Damen und Herren? Da merkt man doch, dass die Leute hier hinter die Fichte geführt werden . Wenn wir da mitmachen, dann muss ich wirklich sagen: Das versteht kein Mensch mehr . ({9}) Dieses Abkommen - das kommt hinzu - ist bei den Bürgern höchst umstritten . Es wird gerade nach der Geheimniskrämerei eine Mitwirkung der Parlamente erwartet. Aber die vorläufige Anwendung schafft Fakten, bevor die nationalen Parlamente entscheiden dürfen . Was würde passieren, wenn CETA nach einer vorläufigen Inkraftsetzung in den nationalen Abstimmungen durchfällt? Glauben Sie, dass dann die Abkommen wieder rückholbar sind? Wenn man eine Schleuse öffnet, fließt das Wasser durch; das bekommt man nicht mehr zurück . Genauso ist es bei einem solchen Abkommen . Meine Damen und Herren, wir erwarten eine klare Haltung der Bundesregierung, dass es keine vorläufige Anwendung von CETA gibt . Wir erwarten, dass das deutsche Parlament dem Minister in dieser Frage den Rücken stärkt und deshalb unserem Antrag zustimmt: Keine vorläufige Anwendung von CETA! ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor der nächste Redner das Wort erhält, will ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der drei genannten Länder als sichere Herkunftsstaaten bekannt geben: abgegebene Stimmen 570 . Mit Ja haben gestimmt 424, mit Nein haben gestimmt 143, und enthalten haben sich 3 Kolleginnen und Kollegen . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 572; davon ja: 424 nein: 145 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Cajus Caesar Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E . Fischer ({2}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({3}) Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr . Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({5}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({6}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Dr . Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller ({7}) Stefan Müller ({8}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Johannes Röring Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({9}) Dr . Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt ({10}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({11}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Strobl ({12}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({13}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({14}) Peter Weiß ({15}) Sabine Weiss ({16}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({17}) Klaus-Peter Willsch Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({18}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Metin Hakverdi Ulrich Hampel Michael Hartmann ({19}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({20}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({21}) Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Lars Klingbeil Birgit Kömpel Dr . Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Dr . Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({22}) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({23}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Detlev Pilger Sabine Poschmann Florian Post Achim Post ({24}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({25}) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({26}) Dr . Nina Scheer Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({27}) Matthias Schmidt ({28}) Carsten Schneider ({29}) Ursula Schulte Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Ulrike Bahr Marco Bülow Dr . Lars Castellucci Dr . Karamba Diaby Dr . Ute Finckh-Krämer Michael Groß Rita Hagl-Kehl Cansel Kiziltepe Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Hilde Mattheis Klaus Mindrup Sönke Rix Susann Rüthrich Sarah Ryglewski Dagmar Schmidt ({30}) Elfi Scho-Antwerpes Frank Schwabe Christoph Strässer Kerstin Tack Waltraud Wolff ({31}) DIE LINKE Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr . Gregor Gysi Dr . André Hahn Heike Hänsel Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Sigrid Hupach Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Norbert Müller ({32}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Harald Petzold ({33}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr . Axel Troost Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({34}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({35}) Volker Beck ({36}) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr . Anton Hofreiter Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({37}) Christian Kühn ({38}) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({39}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Enthalten SPD Andreas Rimkus Swen Schulz ({40}) Ewald Schurer Nächster Redner ist der Kollege Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion . ({41})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, manchmal besteht die Gefahr, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht . Freihandel ist seit über 200 Jahren unbestritten eine Formel für Wachstum, eine Formel für Wohlstand, eine Formel zur Schaffung von Arbeitsplätzen . ({0}) Die Absenkung von Zöllen führt dazu, dass es eine große Auswahl an Produkten zu niedrigen Preisen gibt und dass der Wettbewerb intensiviert wird . Das ist eben das Kernelement in der sozialen Marktwirtschaft . Der Wettbewerb führt dazu, dass Effizienzpotenziale gehoben werden, die dann den Menschen zum Vorteil gereichen . Das ist Freihandel . Diesen Erfolg leben wir in Deutschland jeden Tag . Es gibt kein Land in der Welt, das so sehr in die Globalisierung und in den weltweiten Handel eingebunden ist wie Deutschland: ({1}) nicht nur unsere leistungsfähige Industrie, sondern vor allem auch die mittelständischen Unternehmen in Deutschland . Ich komme aus der Region Stuttgart . Dort gibt es sehr viele mittelständische Unternehmen, sogenannte Hidden Champions, Weltmarktführer in bestimmten Bereichen . Ich nenne hier nur Stihl, Kärcher, Leibinger, Schnaithmann und wie sie alle heißen . Das sind kleine Unternehmen mit zum Teil 30, 40 oder 50 bis hin zu mehreren Hundert oder Tausend Beschäftigten . Alle diese Unternehmen haben heute einen Exportanteil von weit über 50 Prozent bis zum Teil 90 Prozent . Das bildet die Basis für unseren Wohlstand in diesem Land . ({2}) Da treten Sie an und sagen: Handel braucht ganz offensichtlich keine Regeln . Wir gestalten die Globalisierung nicht, oder wir überlassen sie anderen . - Das ist definitiv nicht unsere Politik. Wir wollen die Globalisierung gestalten . Deshalb brauchen wir Regeln . Die Globalisierung braucht Regeln und muss gestaltet werden . Worum geht es? Es geht um die Absenkung von Zöllen, und zwar auch bei CETA . ({3}) Wir haben nur noch 22 Prozent Zoll auf Baumaschinen, Züge und stromproduzierende Geräte und 11,5 Prozent auf Wein, Bier, Liköre und Schokolade . Damit sparen die EU-Exporteure selbst dann, wenn die Exporte nicht ansteigen würden, 500 Millionen Euro jährlich bei Exporten nach Kanada . Aber das ist keine statische Betrachtung . Schauen wir uns doch die Hunderte von Freihandelsabkommen an, die Deutschland in der Vergangenheit geschlossen hat oder die die EU abgeschlossen hat, seit die Zuständigkeit bei ihr liegt . Nehmen wir zum Beispiel das Freihandelsabkommen mit Südkorea . Damals gab es auch Befürchtungen, insbesondere seitens der Automobilindustrie, dass die Koreaner davon vielleicht stärker profitieren würden als wir . Was aber ist das Ergebnis dieses Abkommens? Die EU-Ausfuhren nach Südkorea sind insgesamt um 35 Prozent gestiegen . Bei den vollständig liberalisierten Gütern sind sie sogar um 46 Prozent gestiegen . Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea ist also ein Erfolgsrezept . Der Marktanteil der deutschen Premiummarken in Südkorea hat sich von 25 Prozent auf 75 Prozent erhöht, und dies in den Jahren der vorläufigen Anwendung dieses Abkommens . Die Zuständigkeit liegt bei der EU, und in der Tat besteht ein Wirrwarr . Man kann sich darüber unterhalten, ob man ihn vielleicht bereinigen sollte . Generell liegt die Zuständigkeit bei der EU . Die EU verhandelt die Freihandelsabkommen in einem Rahmen, den die nationalen Staaten - so auch wir - der EU vorgeben . Dann kommt man irgendwann zu einem Ergebnis, und dann wird es vom EU-Parlament genehmigt, das dafür die gleiche demokratische Legitimation hat wie wir im Deutschen Bundestag . Da diese Abkommen aber auch sogenannte gemischte Anteile enthalten, müssen auch die nationalen Parlamente zustimmen . Zum Teil sind aber nicht nur die nationalen Parlamente beteiligt: In Belgien stimmt zum Beispiel auch das Regionalparlament der 70 000 Mitglieder starken deutschsprachigen Gruppe darüber ab . Man kann sich darüber unterhalten, ob dieser Prozess sinnvoll ist, weil er sich zum Teil über Jahre hinzieht . ({4}) Deshalb hat es fast fünf Jahre gebraucht, bis das Abkommen mit Südkorea letztlich von allen 28 Mitgliedstaaten ratifiziert wurde. Als Letzte haben Italien und Griechenland es im letzten Jahr ratifiziert. Jetzt haben wir das Abkommen mit Kanada, das neben der Abschaffung von Zöllen Standards einführt und vereinheitlicht und damit insbesondere doppelte Standards beseitigt, was wiederum ein großer Vorteil insbesondere für unseren Mittelstand ist . Ein großes Thema von CETA ist das Vergaberecht . Mit CETA haben EU-Unternehmen in Kanada auf allen Verwaltungsebenen - also nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in den Provinzen - die Möglichkeit, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen . Das ist bisher nicht der Fall . Auch das bedeutet Wettbewerb und neue Chancen für Unternehmen aus der Europäischen Union und natürlich auch umgekehrt . Und da frage ich jetzt: Wo liegen die Gefahren? Wo liegen die Probleme? Ich kann überhaupt keine erkennen . Wir gestalten vielmehr gemeinsam mit anderen Partnern die Globalisierung . Es wäre in der Tat wünschenswert, wir könnten die Globalisierung im Rahmen der WTO, der Welthandelsorganisation, multilateral gestalten . Dann kommen wir aber leider nicht in der Geschwindigkeit voran, wie wir uns das wünschen . Deshalb hat sich die EU entschlossen - nachdem viele andere Regionen bzw . Länder dieser Welt bilaterale Abkommen geschlossen haben, um die Globalisierung in ihrem Sinne zu gestalten -, dass wir nicht abseits stehen sollten, sondern mitspielen und versuchen, unsere Standards zu Weltstandards zu machen, damit diese Standards dann hoffentlich wiederum in multilaterale Abkommen einfließen können. Das Gleiche gilt auch bei Fragen zu Investitionssicherheit und Schiedsgerichtshöfen . Das vorliegende Abkommen zwischen der EU und Kanada sieht zum ersten Mal ein neues Verfahren bei Schiedsgerichten vor . Richter entscheiden . Sie sind unabhängig, werden von den Vertragsparteien ernannt und dürfen keine Nebeneinkünfte haben . Auch Berufungsinstanzen sind vorgesehen . Verhandlungen sind öffentlich . Schriftsätze werden veröffentlicht . Es gibt vieles andere mehr, was es in der Vergangenheit nicht gab . Das ist das beste Abkommen, das wir jemals hatten . Wir haben vielleicht die Chance, die Punkte, die wir gemeinsam mit Kanada erarbeitet haben, in andere Abkommen hineinzuverhandeln . Auch bei TTIP wird darüber gesprochen und verhandelt . Die Amerikaner sehen das zum Teil anders . Aber deshalb wird ja verhandelt . Wir verhandeln des Weiteren mit den ASEAN-Staaten, Japan und China . Gerade im Hinblick auf die asiatischen Länder ist es wichtig, dass wir Investitions- und Planungssicherheit für unseren Mittelstand, unsere Wirtschaft, unsere Unternehmen und unsere Arbeitnehmer schaffen . Wir wollen all das, was wir im Abkommen mit Kanada erreicht haben, in zukünftige Handelsabkommen einfließen lassen. Nun müssen Sie mir einmal erklären - ich kann das beim besten Willen nicht erkennen -, wo hier Gefahren für den Verbraucherschutz und den Menschen - Sie sprechen von Paralleljustiz - bestehen . ({5}) Freihandel, der im Rahmen der Globalisierung von uns mitgestaltet wird, ist und bleibt die beste Formel für Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze . ({6}) Wir stimmen deshalb gerne dafür und sind froh, dass CETA nun endlich verabschiedet werden und in Kraft treten kann . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Darf ich mit Blick auf die besondere Verantwortung des Parlaments vielleicht eine Bitte für die weitere DisDr. Joachim Pfeiffer kussion und die Behandlung des Themas äußern? Wir sollten mit aller möglichen Sorgfalt zwei Dinge auseinanderhalten, nämlich zum einen die Frage, was von solchen Abkommen überhaupt zu halten ist - darüber gibt es Streit; dieser ist fraglos zulässig -, und zum anderen die Frage, ob für ein ausverhandeltes Abkommen eine mögliche Zustimmung der Bundesregierung zum vorläufigen Inkraftsetzen eines Teils dieses Abkommens ohne Zustimmung des Bundestages erfolgen kann und erfolgen soll . Diese beiden Dinge hängen eng miteinander zusammen, sind aber völlig unabhängig voneinander zu entscheiden . ({0}) Darauf bitte ich im Interesse des ganzen Hauses alle Beteiligten jede denkbare Sorgfalt zu verwenden . ({1}) Die Kollegin Katharina Dröge ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident, ich möchte mich erst einmal für diese klaren Worte zum parlamentarischen Beratungsprozess und zur Verantwortung, die wir im Abstimmungsprozess haben, bedanken . ({0}) Ich finde, dass das eine sehr wichtige Aussage Ihrerseits ist . Deswegen ist es wichtig, dass wir heute auch über die Frage der vorläufigen Anwendung dieser Abkommen sprechen . Zuvor möchte ich einen Schritt zurückgehen . Ich möchte über beides sprechen, nämlich sowohl über die Beratung des Inhalts als auch später über die Beratung des Verfahrens und in diesem Zusammenhang über unser parlamentarisches Selbstverständnis, also darüber, wie ernst wir das eigentlich nehmen, was wir hier im Parlament tun . Das Abkommen mit Kanada liegt seit fast zwei Jahren, seit Sommer 2014, in englischer Sprache vor . Wir haben darüber diskutiert, wann der richtige Zeitpunkt wäre, über dieses Abkommen zu beraten . Wir als Grüne und auch die Fraktion Die Linke haben immer wieder Anträge mit Kritik am Verhandlungstext in das Parlament eingebracht . Im Sommer letzten Jahres haben wir einen sehr ausführlichen Antrag in die Beratungen eingebracht . Sie als Koalitionsfraktionen haben uns immer wieder gesagt, dass Sie über das Abkommen genauso ernsthaft beraten wollen wie wir, aber erst dann, wenn das Abkommen in deutscher Sprache vorliegt, wenn eine fundierte Beratung des Textes möglich ist . Dieses Argument nehme ich durchaus ernst . Das Problem ist nur: Wir haben jetzt die Information bekommen, dass der Handelsministerrat im Oktober dieses Jahres über das Abkommen beschließen wird . Das Abkommen liegt aber immer noch nicht in deutscher Sprache vor . Höchstwahrscheinlich wird das erst Ende Juni/Anfang Juli, also zu Beginn unserer parlamentarischen Sommerpause, vorliegen . Es sind 500 Seiten Vertragstext und 1 500 Seiten Anhänge . Die Frage, die ich Ihnen ganz ernsthaft stellen möchte, ist: Wie stellen Sie sich dann ein geordnetes parlamentarisches Beratungsverfahren, von dem Sie immer gesprochen haben, vor? ({1}) Ich denke, es liegt in unserer Verantwortung, jetzt ein geordnetes parlamentarisches Beratungsverfahren sicherzustellen . Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass, wenn die Bundesregierung im Handelsministerrat sowohl über den Vertragstext als auch gegebenenfalls über die vorläufige Anwendung des Abkommens entschieden hat, danach noch eine parlamentarische Beratung erfolgen wird . ({2}) Sie als Regierungsfraktionen müssen, wenn Sie noch etwas an diesem Vertragstext ändern wollen oder wenn Sie Ihrer Bundesregierung noch etwas mit auf den Weg geben wollen, was das Abstimmungsverhalten betrifft, jetzt über das Abkommen reden . Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Egal, auch wenn das Abkommen in englischer Sprache vorliegt, die Analyse muss jetzt erfolgen . Die Schiedsgerichte - da müssten doch auch Sie mir zustimmen - sind das beste Beispiel dafür, dass es notwendig ist, jetzt über dieses Abkommen zu reden . ({3}) Sie haben gerade hier gefeiert, dass Sie Veränderungen in Bezug auf die Schiedsgerichte durchgesetzt haben . Wir sagen: Das reicht nicht; das ist immer noch das alte ISDS . Ich gebe Ihnen recht, dass es hier Veränderungen gegeben hat . Die hat es aber nur gegeben, weil wir uns dieses Vertragswerk im Sommer 2014 angeschaut haben und kritisiert haben, was daran schlecht ist . Wir haben Druck auf die Bundesregierung ausgeübt und gesagt, dass es mit uns keine Zustimmung zu solch einem Abkommen geben wird, wenn diese schlechten Regelungen enthalten sind . Nur durch diesen Druck ist überhaupt etwas passiert . Ich frage Sie: Wann kommt der Druck von Ihnen? Wenn wir mit der Beratung warten, bis es endlich einen deutschen Vertragstext gibt, was sollen wir dann im September 2016 noch machen? Einen Monat später soll das Abkommen beschlossen werden . Was sollen wir dann noch verändern? Ich gebe Ihnen ein zweites Beispiel, das zeigt, warum es so wichtig ist, jetzt darüber zu beraten . Es geht um die Regelungen zur regulatorischen Kooperation . Wir haben im letzten Sommer herausgefunden, dass im CETA-Vertragstext eine Regelung steht, wonach es Gremien geben wird, die über den Vertrag entscheiden können, ohne dass die Beteiligung der Parlamente sichergestellt ist . Die Bundesregierung hat mehrfach auf Präsident Dr. Norbert Lammert unsere Fragen geantwortet, das stimme nicht . Sie hatte es selber nicht gesehen . Irgendwann hat sie gemerkt: Oh, die Grünen haben recht . Da gibt es doch eine Formulierung, dass die Parlamente nicht eingebunden werden müssen . - Jetzt ist diese Regelung aus dem Vertragstext herausgenommen worden . Das geschah, weil wir so genau hingeschaut haben . Es gibt eine ganze Reihe weiterer problematischer Formulierungen, die immer noch im Vertragstext stehen . Deswegen kann ich nur an Sie appellieren: Nehmen Sie die Arbeit, die wir miteinander machen müssen, ernst! Das Zeitfenster schließt sich . Im Herbst 2016 ist das Ganze vorbei . ({4}) Das Thema Schiedsgerichte ist weiterhin im Vertragstext . Sie müssen sich mit unseren Argumenten auseinandersetzen . Es stehen weiterhin intransparente Beratungsgremien drin . Es ist weiterhin die richterliche Unabhängigkeit nicht gesichert . Es gibt weiterhin unpräzise Rechtsbegriffe . Es gibt weiterhin keine Begrenzung der Schadenssummen . Klagen wie die von Vattenfall oder die von Philip Morris gegen Australien oder auch die von TransCanada gegen die USA sind mit diesem System der Schiedsgerichte weiterhin möglich . Wenn Sie als SPD sagen, Sie wollten die Schiedsgerichte nicht, dann sage ich Ihnen: Jetzt ist der Zeitpunkt, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben, um noch irgendetwas zu bewegen . ({5}) Ebenso verhält es sich mit dem Vorsorgeprinzip, der Sicherung der kommunalen Daseinsvorsorge . Wir haben in verschiedenen Anträgen geschrieben, dass es da Probleme in diesen Abkommen geben wird . Die europäischen Verbraucherschutzstandards sind eben nicht gesichert, ebenso nicht die kommunale Daseinsvorsorge . Im ganzen Vertragstext gibt es Rechtsunklarheiten . Wann, wenn nicht jetzt, wollen wir dafür sorgen, dass sich etwas ändert? Ich kann nur an Sie appellieren: Setzen Sie sich gemeinsam mit uns dafür ein, dass es ein ordentliches parlamentarisches Beratungsverfahren gibt, dass es nicht zu einer vorläufigen Anwendung dieses Abkommens kommt, damit wir die Rechte, die das Parlament hat, auch tatsächlich nutzen können . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion . ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Dröge, genau das tun wir . ({0}) Zunächst einmal muss man festhalten, worüber wir heute beraten und entscheiden . Es geht um zwei Anträge der Linksfraktion, einen älteren mit dem Titel „Für eine lebendige Demokratie - Fairer Handel statt TTIP und CETA“ und einen neuen Antrag zum vorläufigen Inkrafttreten des Abkommens . Der Antrag der Grünen zu CETA ist zurückgezogen und heute von der Tagesordnung abgesetzt worden . Das ist auch zu begrüßen, weil auch dieser Antrag überholt war und wir jetzt in eine neue Phase eintreten . Den älteren Antrag der Linken von November 2015 können wir heute problemlos ablehnen . Das macht auch deutlich, was das Problem unserer Beratungen ist: Der Antrag bezieht sich nämlich auf einen CETA-Text, den es nicht mehr gibt . Er ist also überholt . ({1}) Auf die inhaltlichen Widersprüche und Probleme dieses Antrags der Linken zu CETA habe ich hier schon in der ersten Beratung hingewiesen . Was die Abstimmung über diese Anträge angeht, will ich vorsorglich noch einmal sagen - wir wissen ja, was in den Netzwerken passiert -: Wenn wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diese Anträge zu CETA heute ablehnen bzw . überweisen, heißt das noch lange nicht, dass wir am Ende für dieses Vertragswerk oder für TTIP sind - davon sind wir weiter entfernt denn je -; vielmehr sind wir jetzt in den Beratungen . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Barthel, darf die Kollegin Sitte eine Zwischenfrage stellen?

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber sicher .

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielleicht nur eine kurze Korrektur, Herr Kollege . Es ist das Schicksal von Anträgen, dass sie irgendwann eingebracht werden . Dann werden sie in den Ausschüssen beraten, und dann kommen sie, mit einer Beschlussempfehlung versehen, wieder zurück . In der Zwischenzeit passiert politisch natürlich etwas, unter anderem, weil solche Anträge gestellt worden sind . ({0}) Dieser Antrag ist älteren Datums, es hat sich etwas verändert, und wir schließen diese Debatte heute mit einer Beschlussempfehlung ab . Das heißt: Dieser Antrag ist nicht veraltet . Er ist vielmehr eingebracht worden und hat Wirkung gezeigt . ({1}) Heute wird die Behandlung dieses Antrags mit der Abstimmung über die Beschlussempfehlung abgeschlossen . Uns reicht das aber nicht; deshalb gibt es einen zweiten Antrag . Die Kollegen haben gerade erläutert, warum das nicht reicht . ({2})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darum war es ja klug, dass wir den ersten Antrag in die Ausschüsse überwiesen haben, was jetzt auch für den zweiten Antrag gilt . ({0}) Wir haben damals schon gesagt: Der Antrag bezieht sich auf einen Text, den wir nicht kennen und der sich zwischenzeitlich auch noch verändert hat . Das ist genau der Punkt . ({1}) Ihr aktueller Antrag zu CETA, den der Kollege Ernst vorgestellt hat, ist natürlich wesentlich spannender . In der Tat ist die Frage zu klären, wie ein vorläufig in Kraft getretener CETA-Vertrag durch nationale Parlamente gegebenenfalls rückholbar ist . Das müssen wir noch klären . Aber eine Entscheidung über diesen Antrag kann es doch erst geben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Erstens . Der Vertrag muss von der EU-Kommission vorgelegt sein, das heißt, er muss in die Landessprache übersetzt worden sein . Das wird voraussichtliche Ende Juni dieses Jahres der Fall sein . Vorher wird die EU-Kommission den Vertragsentwurf nicht in den Rat und nicht in die europäischen Gremien einbringen können . Zweitens . Der Europäische Rat muss sich mit der Frage, ob es sich um ein gemischtes oder nicht gemischtes Abkommen handelt, befasst und dazu einen Beschluss gefasst haben . Die Position der Bundesregierung dazu ist bekannt . Drittens . Der Rat muss dem Vertrag insgesamt zustimmen oder ihn ablehnen, und dann muss er noch durch das Europäische Parlament . Der zweite Teil des Entscheidungsprozesses findet im Herbst statt . Es gibt also überhaupt keinen Grund, heute über den Antrag der Linken zu entscheiden, und deswegen überweisen wir ihn . Wir haben uns schon darauf verständigt, Kollege Ernst, dass sich der Bundestag noch vor der Ratsbefassung, noch vor der Ratsentscheidung ausführlich mit CETA befassen wird und gegebenenfalls der Bundesregierung einen Auftrag mit auf den Weg geben kann . Das heißt für uns: Wir werden den Antrag überweisen . Dann können wir ihn im Wirtschaftsausschuss und in anderen Ausschüssen in Ruhe beraten, etwa in Form von Anhörungen . Für uns geht Sorgfalt vor Schnelligkeit, und deswegen wollen wir diesen Antrag an die Ausschüsse überweisen . Wir wollen jetzt eben nicht Knall auf Fall entscheiden müssen, bevor wir eine deutsche Fassung haben, sondern das Ganze in Ruhe im Parlament beraten . Das ist der Sinn der Übung . ({2}) Zum Inhalt nur ganz kurz noch: Einerseits sehen wir natürlich, dass es große Fortschritte gegeben hat . Meine Kolleginnen und Kollegen werden dazu in der Folge noch etwas sagen . Aber Fakt ist doch - das hat auch Frau Dröge zugegeben -: Im letzten halben Jahr hat diese Bundesregierung, hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in der Substanz mehr erreicht als in den letzten fünf Jahren, in denen verhandelt worden ist . ({3}) Frau Dröge hat gesagt, der Entwurf liege seit zwei Jahren in Englisch vor . Ich will nur einmal daran erinnern, dass Frau Malmström uns damals in Brüssel zu CETA erklärt hat - wir waren zusammen dort -: It is done . - Aber Tatsache ist: Es ist eben nicht „done“ . Wir müssen uns einfach einmal vorstellen, was es bedeutet hätte, wenn es von Anfang an die Transparenz, für die wir gesorgt haben, gegeben hätte, wenn es von Anfang an das öffentliche Interesse gegeben hätte, wenn es von Anfang an die qualifizierte Arbeit in den Parlamenten gegeben hätte und wenn es von Anfang an eine Regierungsbeteiligung der SPD gegeben hätte, die dafür gesorgt hat, dass sich etwas bewegt hat . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Barthel, der Kollege Ernst möchte Ihnen mit einer ganz kurzen Zwischenfrage Gelegenheit für eine ganz kurze Erweiterung Ihrer Redezeit geben . Das ist eine unwiderstehliche Versuchung, nicht?

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sagen es .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank . - Meine Frage ist wirklich ganz einfach . Wenn es hier darum geht, zu entscheiden, ob das Abkommen vorläufig in Kraft gesetzt werden kann ohne Parlament - oder nicht, ist es völlig unerheblich, ob der Text in Chinesisch, Französisch, Russisch oder sonstwie vorliegt . Würden Sie mir da zustimmen?

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Eine vorläufige Inkraftsetzung kann es doch nur geben, wenn sich der Rat damit beschäftigt hat und zum Beispiel die Frage des gemischten Abkommens entschieden ist und damit auch klar ist, wer die Zuständigkeiten hat . Wenn es nämlich kein gemischtes Abkommen sein sollte, wie die Kommission glaubt, dann wird es auch gar keine nationale Befassung geben können . ({0}) - Deswegen wird es auch keine vorläufige Zustimmung geben, ({1}) weil die Bundesregierung ja die Auffassung vertritt, dass es ein gemischtes Abkommen ist . - Die Frage, ob eine vorläufige Inkraftsetzung erfolgt, wird erst dann entschieden, wenn der Rat dem Vertrag insgesamt zustimmt oder eben nicht zustimmt . ({2}) - Das wird eben zu klären sein . ({3}) - Darum habe ich ja gesagt: Wir werden hier auch im Rahmen der Ausschüsse, etwa in Form von Anhörungen, beraten, wie sich die Sache verhält und welche Empfehlungen wir der Bundesregierung dann für die Zustimmung - gemischtes oder nicht gemischtes Verfahren, vorläufige Inkraftsetzung - mitgeben. Das ist jetzt nicht zu entscheiden . Der Eindruck, der hier erweckt wird, das wäre in den nächsten zwei, drei Wochen zu entscheiden, ist falsch . Das steht nicht an . ({4}) - Das ist in der Tat eine Grundsatzfrage; die wollen wir klären . Diese Frage können wir aber nicht heute klären . ({5}) Wir befinden uns mitten im Prozess, weil wir keine deutsche Textfassung haben und weil wir ständig darauf hingewiesen haben, hier nicht über etwas entscheiden zu wollen und zu können, das uns nicht vorliegt . Das beweisen auch Ihre Anträge dazu, die schon überholt sind, wenn sie hier in die dritte Beratung kommen . ({6}) Wir sehen aber an diesem Verlauf und an dem, was wir noch vorhaben, dass auch in der Handelspolitik Demokratie möglich ist und dass wir auch zu entsprechenden Verfahren der Beratung in den Parlamenten kommen können . Für uns bleiben in der Tat noch viele inhaltliche Probleme - Kollegin Dröge hat darauf hingewiesen -, zum Beispiel die rote Linie, dass Investoren eben nicht besser zu behandeln sind als Menschen, der Positivlistenansatz, die Sperrklinkenklausel für Rekommunalisierung usw . Das wollen wir anhand eines deutschen Textes, der schwer genug zu verstehen sein wird, den wir in Englisch aber nicht verstehen, im Detail beraten . ({7}) Wir werden der Bundesregierung auch etwas mit auf den Weg geben, was das vorläufige Inkrafttreten betrifft. Wir werden juristisch klären müssen, welche Rolle nationale Parlamente in diesem Prozess der Entscheidung spielen können . Das ist eine Frage, die in der Tat geklärt werden muss .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darin sind wir uns einig . Deswegen wollen wir heute nicht entscheiden, sondern erst beraten und uns mit der Substanz beschäftigen . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Peter Beyer erhält nun das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Peter Beyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vorhin schon gehört, dass wir es, wenn man zurückschaut, mit einer Reihe von Anträgen zu diesem Thema zu tun haben, die da formell entweder direkt oder indirekt mit hineinspielen . Ich bin dem Kollegen Joachim Pfeiffer ausdrücklich dankbar, dass er noch einmal die Vorteile von Freihandelsabkommen - auch vor dem geschichtlichen Hintergrund, wie sich das entwickelt hat - beleuchtet hat . ({0}) Ich glaube, das ist gerade für die Fraktion Die Linke doch ganz erquicklich, weil sie das immer noch nicht verstanden hat . ({1}) Freihandelsabkommen, meine Damen und Herren, werden zur wirtschaftlichen Verbesserung gerade auch für die EU und für Deutschland beitragen, so eben auch CETA, wie es entworfen ist, das Handelsabkommen mit den Kanadiern . Es ist vielleicht ganz gut, das anfangs noch einmal einzuordnen . Ich will ein paar Zahlen nennen, um die Dimension aufzuzeigen und klarzumachen, über was wir uns hier unterhalten: Kanada ist für die Europäische Union der zwölftwichtigste Handelspartner . 2014 belief sich das Volumen des Handels mit Waren und Dienstleistungen zwischen Kanada und der Europäischen Union auf 32 Milliarden Euro . Deutschland ist innerhalb der EU-Mitgliedstaaten für Kanada der wichtigste Handelspartner - mit einem Volumen im Jahr 2014 von 9 Milliarden Euro; das ist der Wert der Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen von Deutschland nach Kanada . Bei diesen Zahlen - sie sind schon für sich eindrücklich - sieht man: Da ist noch ganz schön Luft nach oben . Worum geht es bei CETA, in diesem ganz konkreten Fall? Es geht um den Wegfall von Zöllen . Es geht um den Abbau der sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse . Es geht um den Zugang zu Märkten, zu öffentlichen Aufträgen in Kanada, aber auch vice versa . Es geht um eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Regulierung . Das sind Inhalte, die hohes Potenzial haben, die Wirtschaftskraft zu verbessern . Schauen wir uns in den Anträgen einmal an, was die Opposition durch die Freihandelsabkommen alles befürchtet . Es heißt, es sei problematisch, dass sich CETA und TTIP - das möchte ich hier ausdrücklich mit in die Debatte einbringen - stärker als vorherige Abkommen auf Deregulierung, Liberalisierung, Wettbewerb und Kostensenkung konzentrieren . Ich sehe bei diesen angeblichen Problemen gar nichts Negatives, meine Damen und Herren; ganz im Gegenteil . Da müsste doch eigentlich ein Jubelschrei bei all jenen durch die Herzen gehen, ({2}) die wirtschaftspolitisch und auch mit Wirtschaftsverstand denken . Das liegt doch auf der Hand . ({3}) Das Problem liegt, glaube ich, ganz woanders, nämlich bei den Antragstellern selbst . ({4}) Denn sie setzen die positiven Auswirkungen von Freihandelsabkommen immer mit der Absenkung von Standards gleich . Aber da machen Sie einen Denkfehler . Sie haben Freihandel nicht verstanden . Ich möchte an der Stelle nicht noch einmal all das Richtige erzählen, was insbesondere Kollege Pfeiffer hier ausgeführt hat; es ist ja schon in die Debatte eingeführt worden . Deregulierung hat nichts mit geringeren Standards zu tun, sondern schlicht mit weniger Normen und Vorschriften des Staates, mit weniger staatlichem Eingreifen . Dagegen können Sie doch auch unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ überhaupt nichts haben . Wollen Sie mehr Bürokratie? Nein! ({5}) Wir müssen sie abbauen . Das schafft Wirtschaftskraft . Das stärkt die Wirtschaft . Das ist gut für Arbeitsplätze . Das ist gut für die Bürger . Deswegen können wir natürlich nicht empfehlen - das wird Sie nicht überraschen -, den Anträgen zuzustimmen . ({6}) Die Antragsteller sind vor allem immer gut im Schlechtreden . Da schwingt - das möchte ich hier auch ganz persönlich betonen - immer auch ein Stück Antiamerikanismus mit . ({7}) Auch - wie soll man das formulieren? - Antikanadismus spielt mit eine Rolle . Alles dies ist leider immer noch ablesbar, zum Teil explizit, zum Teil zwischen den Zeilen . Das ist etwas, was wir sicherlich auch mit bedenken müssen . Wie wollen wir in Zukunft leben? Wollen wir nicht unseren Wohlstand, den relativen Wohlstand in Deutschland, in Europa, halten? Ich meine: Ja . Wir müssen alles dafür tun, dass wir den Lebensstandard halten und möglichst noch ausbauen . Das geht eben nicht, indem wir uns der immer weiter zusammenrückenden Welt verschließen, indem wir versuchen, die Globalisierung zurückzudrehen, was schon im Ansatz ein untauglicher Versuch wäre . Wir haben es in der Hand, Globalisierung zu gestalten, zu regulieren . Das ist der Weg, der beschritten werden muss, meine Damen und Herren . ({8}) Von den vielen anderen Befürchtungen, die sich in den nach der Rechtsförmlichkeitsprüfung von CETA veröffentlichten Texten gar nicht mehr wiederfinden, möchte ich nur zwei benennen: Umweltschutz . Es hat sich nicht bestätigt, dass Umweltschutzstandards beeinträchtigt werden . Schiedsgerichte . Beim Aufbau der Schiedsgerichtsbarkeit ist einiges erreicht worden . Es stimmt nicht, dass das immer noch auf dem gleichen Stand ist, der zunächst in den Texten niedergeschrieben war . Da ist einiges verändert worden . Zu den Verbesserungen gehören zum Beispiel die genaue Definition, was Investitionsrechte sind, das Prinzip „Wer verliert, der zahlt“, die Unzulässigkeit der Klagen von Briefkastenfirmen und auch die Öffentlichkeit der Verfahren und von Dokumenten . Das sind wesentliche Fortschritte, die wir nicht negieren sollten . Was die Debatte über die Schiedsgerichte angeht, kommen noch einige wesentliche Vorschläge hinzu - das müssen wir auch bedenken -, die jetzt im Rahmen der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika von der EU-Kommission gemacht wurden . Die EU-Kommission wird nicht müde - sie hat es auch aktuell wieder getan -, das sogenannte „right to regulate“ für den nationalen Gesetzgeber zu betonen . Durch Investitionsschutzklagen können keine nationalen Gesetze ausgehebelt werden . Auch die Unabhängigkeit der Richter soll verbessert werden; Richter dürfen ab ihrer Ernennung nicht mehr parallel als Gutachter oder Anwälte in anderen Investitionsschutzverfahren tätig sein . Eine Berufungsinstanz wird eingeführt . - Bei all diesen wesentlichen Verbesserungen kann ich beim besten Willen nichts Negatives mehr erkennen . Deutschland geht ja auch nicht jungfräulich in Investitionsschutzdebatten hinein . Deutschland hat 130 ich betone es: 130 - Investitionsschutzabkommen mit Schiedsgerichtsklauseln abgeschlossen, ist zweimal verklagt und kein einziges Mal verurteilt worden . Vor diesem Hintergrund müssen wir nicht immer dann, wenn es um Schiedsgerichte geht, den Teufel an die Wand malen und den Untergang des Abendlandes einläuten . Das wird der Sache überhaupt nicht gerecht, meine Damen und Herren . Was die vorläufige Anwendbarkeit des CETA-Abkommens angeht, wurde ja schon vieles Richtiges gesagt . Es geht nur um Sachverhalte, die ausdrücklich und klar der Zuständigkeit der EU zugewiesen sind . Wir dürfen doch bei der ganzen Debatte nicht ausblenden, dass spätestens durch den Lissaboner Vertrag das Aushandeln und der Abschluss von Handelsabkommen der EU übertragen worden sind . Das ist geltende EU-Vertragsrechtslage . Punkt! Das können wir nicht einfach durch solche Debatten wegdiskutieren; das ist so . Natürlich - darauf haben auch alle anderen Redner hingewiesen - müssen wir als Abgeordnete sehr darauf achten, dass wir im Ratifizierungsprozess ein Wörtchen mitzureden haben, da es sich bei TTIP und CETA um gemischte Abkommen handeln wird; denn wir sind Volksvertreter im besten Sinne des Wortes und wollen die Bürger vertreten . Wir wollen mitreden und über diejenigen Punkte, die nationale Belange betreffen, mitdebattieren . Es ist sinnvoll, dass die Teile von CETA - später auch von TTIP -, die in der Tat der originären Zuständigkeit der EU zugewiesen sind, direkt anwendbar sind . Das ist gut und wichtig für die Marktteilnehmer . Dadurch kommt dieses Abkommen unmittelbar denjenigen zugute, für die es gemacht ist, und eröffnet ihnen neue Chancen . Meine Damen und Herren, mit CETA liegt ein ambitioniertes Abkommen vor, das insbesondere nach dem Regierungswechsel in Kanada - das dürfen wir nicht ausklammern - im Rahmen der Rechtsförmlichkeitsprüfung eine textliche Veränderung erfahren hat . Es ist ein ambitioniertes, es ist ein gutes Abkommen, das gut für uns alle ist: für die europäischen und auch für die deutschen Bürgerinnen und Bürger . Aus meiner Sicht ist es abschlussreif . Deswegen werbe ich dafür, dass wir die Anträge aus der Opposition nicht mittragen . Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Alexander Ulrich erhält das Wort für die Fraktion Die Linke . ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin eigentlich sehr dankbar, dass Sie, Herr Lammert, hier auf etwas hingewiesen haben, was, glaube ich, bei vielen der regierungstragenden Fraktionen immer noch nicht angekommen ist: Wenn wir es zulassen, dass CETA vorläufig zur Anwendung kommt, entmachtet sich der Bundestag selbst . ({0}) Dass der Bundestagspräsident Ihnen das vorhalten muss, ist eigentlich traurig . Aber bitte hören Sie doch einmal auf den Bundestagspräsidenten, auf Herrn Lammert . ({1}) Die heutige Debatte, die auf unserem Antrag vom November des letzten Jahres basiert, ist gut; denn es geht ja nicht nur um die vorläufige Anwendung von CETA, sondern um TTIP und CETA insgesamt . Wenn die Bevölkerung einen weiteren Beweis braucht, dass CDU/CSU und SPD diese Verträge offensichtlich gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchpauken wollen, dann hat ihn die heutige Debatte erbracht . Ich glaube daher, dass es zwingend notwendig ist, auch in Deutschland Volksabstimmungen zu wesentlichen Verträgen zuzulassen . ({2}) In anderen Ländern, etwa in den Niederlanden oder in Belgien, wird über die Verträge abgestimmt . Wenn die Ablehnung gegen TTIP und CETA in Deutschland riesengroß ist, die Bundesregierung diese aber mit den sie tragenden Fraktionen durchpauken will, dann brauchen wir endlich auch in Deutschland eine Volksabstimmung über solche Verträge . Wir Linke fordern das . ({3}) Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Wir haben im Bundestag schon sehr viele Debatten zu diesem Thema geführt . Immer wieder kommt der gleiche Vorwurf: Warum debattieren wir darüber, wenn doch noch nichts vorliegt? Ich sage: Diese Debatten waren richtig gut . Das verdeutlicht auch das gute Zusammenspiel zwischen der Opposition im Bundestag und der außerparlamentarischen Bewegung . ({4}) Mit jeder Debatte im Bundestag, mit jeder Aktion der außerparlamentarischen Bewegung ist der Widerstand größer geworden . Bitte schicken Sie noch öfter Herrn Pfeiffer an das Mikrofon . Dann haben wir bald hundert Prozent Ablehnung in Deutschland . ({5}) Aber, Herr Barthel, so einfach machen wir es Ihnen nicht . Wenn in einigen Jahren wieder einmal ein Kongress der SPD stattfindet und wieder eine Reinigungskraft Herrn Gabriel fragt, warum sie noch eine Partei wählen soll, die den Umweltschutz abgebaut hat, die Arbeitnehmerrechte abgebaut hat, die Sozialstandards abgebaut hat und das Primat der Politik weiter geschwächt hat, dann kann er sich nicht mehr hinstellen und sagen: Schuld sind die Schwatten . - Übrigens: Bei dem Thema, das in dieser Woche behandelt wurde, waren die Schwatten nicht schuld . An der Agenda 2010, an Hartz IV wart ihr alleine schuld . ({6}) Wenn das Thema wieder aufkommt, hat es Herr Gabriel in der Hand, in Brüssel deutlich zu machen: Wir sind gegen CETA und TTIP, und wir sind gegen eine vorläufige Anwendung des Abkommens. Genau das erwarten wir von Herrn Gabriel als Minister . ({7}) Deshalb fordern wir hier die Bundesregierung nochmals auf, die von der EU geplante vorläufige Anwendung von CETA zu verhindern . ({8}) Wir lassen auch nicht zu, dass der Ball immer über Brüssel gespielt wird . Sie sagen - Herr Lammert, ich bin gleich am Schluss -: Wir wollen das erst entscheiden, wenn wir den Auftrag bekommen . In der EU-Kommission, in den Räten passiert nichts ohne deutsche Beteiligung . Wir wissen, dass die EU-Kommission die vorläufige Anwendung vorbereitet. Sie haben es jetzt in der Hand, Nein zu sagen, statt nachher sagen zu müssen: Brüssel ist schuld . - Dieses Schwarze-Peter-Spiel mit Brüssel können Sie schon im Vorlauf verhindern . Entweder sagen Sie jetzt: „Wir machen da nicht mit“, oder Sie sind mit schuld, wenn es zur vorläufigen Anwendung kommt . ({9}) Noch einmal: TTIP und CETA werden von SPD und CDU/CSU durchgedrückt . Wir sind dagegen . Vielen Dank . ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dirk Wiese für die SPD-Fraktion . ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Anmerkung zu Ihnen, Herr Ulrich: Sie haben Susanne Neumann angesprochen, die auf unserer Wertekonferenz gewesen ist . Susanne Neumann ist der SPD beigetreten und nicht der Linkspartei, weil sie uns vertraut, die Probleme zu lösen . ({0}) Jetzt inhaltlich zu Ihrem Antrag . Der erste Punkt, den Sie heute mit Ihrem Antrag vorgelegt haben, bezieht sich auf die Frage des gemischten Abkommens . Herr Ernst, Sie behaupten immer wieder in Ihren Anträgen, das sei nicht eindeutig . Zahlreiche Gutachten, beantragt durch die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung, und der Juristische Dienst des Europäischen Rates haben eindeutig bestätigt, dass es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handelt . Sie haben immer wieder behauptet, dass die Kommission möglicherweise zu einer anderen Entscheidung kommt . In dem Fall, also wenn die EU sagen sollte, dass es kein gemischtes Abkommen ist, kann der Europäische Rat die Kommission mit qualifizierter Mehrheit überstimmen, und er hat schon signalisiert, dass er das tun wird . Das, was Sie hier immer wieder vorbringen, ist juristisch falsch . Es ist ein gemischtes Abkommen, und das wird im Oktober bestätigt werden . ({1}) Zweiter Punkt . Herr Präsident, Sie haben uns Abgeordneten noch einen Hinweis gegeben . Ich bin Ihnen auch dankbar, dass Sie einen Brief an den Rechtsausschuss geschrieben haben . Der Rechtsausschuss hat sich mit Ihrem Anliegen zu Fragen des gemischten Abkommens ausführlich befasst . Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass der Rechtsausschuss fraktionsübergreifend, also mit CDU/CSU, Grünen, SPD und Linkspartei - ich glaube, Sie wissen gar nicht, was sie beschlossen haben -, deutlich gemacht hat, dass wir die Parlamentsrechte gestärkt sehen wollen und generell von gemischten Abkommen ausgehen . Das haben die Sachverständigen auch bestätigt . Wir haben Ihnen diesen Brief zukommen lassen . Ich glaube, das waren sehr gute Beratungen, die wir fraktionsübergreifend geführt haben . Sie müssen den Brief nur auch mal lesen . ({2}) Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die vorläufige Anwendbarkeit. Die vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens tritt nur in Kraft, wenn sowohl der Europäische Rat als auch das Europäische Parlament dem zustimmen . ({3}) Ich weiß, dass es im Vertrag von Lissabon dazu Unklarheiten gibt; ({4}) man hätte sich an der einen oder anderen Stelle genauer ausdrücken können . Aber es ist mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt und von der EU-Kommission bestätigt, dass ohne die Zustimmung des Europäischen Parlamentes dieses Abkommen nicht vorläufig angewandt wird . Das bitte ich auch einmal zur Kenntnis zu nehmen . ({5}) Es ist richtig, dass hier Gewohnheitsrecht besteht . Darum wird da ohne die Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament nichts gehen . Sie werden sich bis Januar oder Februar Zeit für die Beratungen nehmen . Im Hinblick auf die vorläufige Anwendbarkeit will ich einen Punkt für die SPD-Bundestagsfraktion ganz deutlich machen . Es gibt im Lissabon-Vertrag im Bereich des Investitionsschutzes Unklarheiten hinsichtlich sogenannter Direktinvestitionen auf der einen Seite, die in der Alleinzuständigkeit der EU-Kommission liegen, und Portfolioinvestitionen auf der anderen Seite, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen . Ich sage für die SPD-Bundestagsfraktion ganz eindeutig: Aufgrund dieser gemischten Zuständigkeiten, die ich für eindeutig halte, muss das ganze Investitionsschutzkapitel in CETA von der vorläufigen Anwendbarkeit ausgenommen werden . Dafür werden wir uns als SPD-Bundestagsfraktion einsetzen, weil sonst eine Bindungswirkung ausgelöst würde, die wir an dieser Stelle - ich glaube, parteiübergreifend - nicht wollen . ({6}) Ich will einen dritten Punkt ansprechen . Herr Kollege Klaus Ernst, Sie zitieren bei Gutachten - das machen Sie ganz geschickt - immer die Überschriften . Sie nehmen die Kritik des Deutschen Richterbundes am Investitionsschutzgerichtshof auf Grundlage von CETA auf . Sie machen sich die Meinung des Deutschen Richterbundes zu eigen . Ich nenne einmal ein Beispiel: Der Deutsche Richterbund kritisiert, dass dort die Unabhängigkeit der Richter nicht gewährleistet ist . Die 15 öffentlich-rechtlich bestellten Richter bekommen dafür, dass sie sich in der ersten Instanz nur bereithalten, jeweils 2 000 Euro monatlich, ohne überhaupt ein Verfahren durchzuführen . Dafür, dass sie sich in der Berufungsinstanz nur bereithalten, bekommen sie 7 000 Euro . Wenn das Gehälter sind, die der Linkspartei nicht ausreichen, dann habe ich bis zum heutigen Tage etwas noch nicht mitbekommen . In diesem Sinne: Vielen Dank und allen schöne Pfingsten. ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Bärbel Höhn .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, diese Woche hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, auch hier im Bundestag über CETA und TTIP zu diskutieren, über die Inhalte und das Verfahren . Von daher: Danke an die Grünen und die Linken, dass wir die entsprechenden Tagesordnungspunkte haben . ({0}) Herr Barthel, Sie haben gesagt, man könne erst dann über diese Texte reden, wenn sie vorlägen, und die Anträge, die hier vorlägen, bezögen sich auf die alten Texte . Wir haben seit mehreren Wochen die neuen Texte von CETA; sie liegen vor . ({1}) - Ja gut, auf Englisch . Aber es gibt ja den einen oder anderen, der sich den Text aus dem Englischen übersetzen lassen kann oder Englisch kann . Die CDU/CSU sagt immer - das regt mich langsam auf -, dass die Standards des Verbraucherschutzes durch diese Verträge nicht abgesenkt werden . Das untermauern Sie nie mit Textpassagen . Ich möchte, dass endlich einmal ein Befürworter dieser Handelsverträge mit mir wirklich über Textpassagen diskutiert und nicht einfach immer allgemein sagt: Alles ist gut . ({2}) Dann machen wir das doch einmal . Der neue Text von CETA, der vorliegt, beinhaltet bis heute nicht einmal das Wort „Vorsorge“ . ({3}) Ich erwarte, dass in einem Vertrag, den wir mit Kanada abschließen, die Vorsorge inhaltlich berücksichtigt wird . Sonst können wir die Vorsorge auch nicht inhaltlich durchsetzen . ({4}) Der Begriff „Vorsorge“ fehlt, aber die Passagen, die regeln, wie die Kanadier ihre gentechnisch veränderten Produkte auf den europäischen Markt bringen können, was über Jahrzehnte bei der WTO kritisch diskutiert worden ist, stehen alle im Text . Das heißt, auf der einen Seite ist die Tür geöffnet, um Gentechnikprodukte nach Europa zu bringen, auf der anderen Seite sehen wir hier von der Vorsorge nichts . Das geht so nicht . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Höhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiese?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Na klar . Ich habe sowieso so wenig Redezeit, deshalb freue ich mich natürlich darüber . ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Höhn, vielen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Sie haben gesagt, dass wir in den Text einsteigen und inhaltlich diskutieren sollten . Das Angebot will ich gerne annehmen und in diesem Zusammenhang eine Frage stellen . Der CETA-Vertragstext steht bei mir schon lange in zwei Leitz-Ordnern auf dem Schreibtisch; mit den Anhängen sind das gut 1 500 Seiten . Ich nehme den Text sehr interessiert auseinander und hole mir die entsprechende Expertise . Meine konkrete Frage: In Artikel X .2 ist eindeutig festgelegt, dass die gesamte regulatorische Kooperation, die zwischen der kanadischen Seite und der Seite der Europäischen Union angedacht ist, wenn das Abkommen letztendlich in Kraft tritt - wir müssen an dieser Stelle ja noch im Konjunktiv reden -, auf einer freiwilligen Basis beruht . Gleichzeitig ist in Artikel X .6 - oder X .7 eindeutig festgelegt, dass sämtliche Beratungen und der Einigungsprozess, auf den man sich in Bezug auf die freiwillige Kooperation geeinigt hat, durch demokratisch legitimierte Gremien, abhängig von der EU-only-Zuständigkeit, der gemischten Zuständigkeit, gehen müssen und dass es kein Inkrafttreten durch ein irgendwie geartetes Gremium gibt . Vielmehr müssen die Prozesse demokratisch legitimiert sein . Stimmen Sie mir zu, dass das so im CETA-Text, der uns bis jetzt in der englischen Fassung vorliegt, drinsteht? ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Wiese, Sie sind Jurist . Der erste Punkt ist, dass in der neuen Fassung in Bezug auf die regulatorische Kooperation einige Punkte gegenüber der alten Fassung geändert worden sind . Es gibt aber immer noch Gremien, die nicht demokratisch legitimiert sind, aber die Anhänge mit wichtigen Details verändern können . Deshalb lehnen wir die Passagen über die regulatorische Kooperation im Vertrag eindeutig ab . So wollen wir das nicht . ({0}) Im Übrigen haben Sie überhaupt nichts zu den Gentechnikkapiteln gesagt, über die ich gerade rede . Hier ist nichts geändert worden . Bisher ist es so: Gegenüber Gentechnikpflanzen, deren Risiko noch nicht überprüft worden ist, gilt in Europa die Null-Toleranz . Das heißt, diese Produkte dürfen in anderen Produkten nicht auftauchen . In diesem Vertrag steht jetzt aber, dass es das gemeinsame Ziel ist, diese Null-Toleranz-Regelung abzuschaffen . Was ist das denn? Das ist doch eine Absenkung des Verbraucherschutzniveaus, nicht mehr und nicht weniger . Deswegen muss das da gestrichen werden . ({1}) Es gibt im Vorgriff auf den Vertrag sogar schon jetzt Veränderungen beim Verbraucherschutz . Letzte Woche haben sich Kanadas Sojahersteller bei der Europäischen Kommission beschwert, sie wollten endlich eine Zulassung für ihre gentechnisch veränderten Sojaprodukte haben; denn das sei ihnen in den Verhandlungen zu CETA zugesichert worden . Der Verbraucherschutz wird also schon im Voraus ausgehebelt, und das geht einfach nicht . Das dürfen wir nicht zulassen . ({2}) Wenn CETA vorläufig in Kraft tritt, dann heißt das doch de facto, dass sich die Gentechnikunternehmen aus den USA die Hände reiben; denn dann brauchen sie TTIP überhaupt nicht mehr . Die Unternehmen haben nicht nur Briefkastenfirmen, sondern sie haben richtige Tochtergesellschaften in Kanada und können dann über das CETA-Abkommen all ihre Gentechnikprodukte schön nach Europa bringen . Deshalb, meine Damen und Herren, dürfen wir einer vorläufigen Inkraftsetzung, aber auch einer Inkraftsetzung von CETA nicht zustimmen; denn sie würde Fakten schaffen, die wir dann nicht mehr ändern können . Vielen Dank . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für die CDU/CSU . ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über die beiden von der Linksfraktion vorgelegten Anträge zur Aussetzung des CETA-Verfahrens . Ich glaube, dass den Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion nicht bewusst ist, was es bedeutet, ein umfassendes Freihandelsabkommen zu erarbeiten und entsprechend mitzugestalten . Ich verstehe die ablehnende Haltung gegenüber CETA und auch gegenüber TTIP nicht; denn letztendlich beruht der Erfolg unserer Volkswirtschaft, vor allen Dingen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in unseren erfolgreichen Betrieben arbeiten, darauf, dass wir umfassenden Freihandel mit vielen Ländern betreiben . Unter diesem Gesichtspunkt sollte man diese Vereinbarungen bewerten . ({0}) Herr Kollege Ernst, Sie waren Betriebsrat, und zwar in einem international tätigen Unternehmen, und müssten daher wissen, was es bedeutet, Zugang zu anderen Märkten zu haben . ({1}) - Ja, aber den kann man immer verbessern . Herr Kollege Ernst, das kann man immer verbessern . ({2}) Die Vorteile von CETA liegen doch auf der Hand: 99 Prozent der Zölle und sonstigen Barrieren werden letztendlich abgebaut . Damit wird ein besserer Marktzugang für unsere Produkte geschaffen - zum Segen für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil sie dadurch dauerhaft krisenfeste Arbeitsplätze haben werden . Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, die Sie sich doch immer als Arbeitnehmervertreter bezeichnen, müssten doch eigentlich glühende Unterstützer von TTIP und CETA sein . ({3}) Auf Basis von CETA werden sich Firmen aus Deutschland und anderen EU-Ländern an Ausschreibungen der öffentlichen Hand in Kanada beteiligen können, was bisher nicht möglich ist . So wie in Amerika „Buy American“ gilt, gilt in Kanada „Buy Canadian“ . Für uns bedeuten diese Abkommen Marktzugänge; denn dann können sich unsere Firmen dort engagieren . Ich glaube, das muss unser Ziel sein . Wir müssen im Sinne unserer Exportwirtschaft arbeiten; denn 50 Prozent unserer Dienstleistungen, Waren und Güter gehen in den Export . Verehrter Herr Kollege Ernst und liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie brüsten sich zwar immer damit, für die Arbeitnehmer einzutreten, in diesem Fall sind Sie letztendlich aber nicht bereit, durch die Verträge einen gestaltenden Beitrag zu leisten . ({4}) Wir haben bei den Verträgen, die die EU ausgehandelt hat, darauf geachtet - das ist mitentscheidend -, dass unsere Daseinsvorsorge, dass vor allen Dingen unsere kommunalen Einrichtungen geschützt bleiben; denn das ist für uns eine wesentliche Grundlage . Dasselbe gilt für Urheberrechte, in besonderer Weise für regionale Herkunftsbezeichnungen; denn auch sie können ein wesentlicher Anreiz unserer Produkte sein . Das muss am Ende gesichert bleiben . Ich bin davon überzeugt, dass wir mit einer positiven Einstellung mit diesem Abkommen etwas Vernünftiges für die Menschen in unserem Land erreichen . Ich habe den Eindruck, dass es ständig um Grundsätzliches geht . Die Vertreter der Linken, aber auch von Bündnis 90/Die Grünen, die letztendlich auch Vertreter der Globalisierungskritiker sind, können sich mit solchen Vereinbarungen wie TTIP oder CETA in keiner Weise identifizieren.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vom Kollegen Ernst immer . ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank . - Herr Kollege Straubinger, oder Max, wir kennen uns ja doch ein bisschen ({0}) - ja, so ist die Welt; von Bayer zu Bayer -, ich will noch einmal darauf hinweisen, dass wir jetzt auch darüber diskutieren, ob man das vorläufig anwenden soll. Wärst du mit mir der Auffassung, dass es - selbst wenn man all das, was hier eingebracht wurde, akzeptieren würde, die „großen Chancen“ - angesichts der großen Zweifel in der Bevölkerung, ob es tatsächlich so wie dargestellt ist, sinnvoll wäre, eine entsprechende Debatte im Parlament mit einer Abstimmung über ein Ratifizierungsgesetz zu führen, bevor man die Verträge vorläufig in Kraft setzt? Schließlich sind sie dann nicht mehr zurückzuholen . Das wäre doch unabhängig von der Argumentation sinnvoll . Die zweite Frage, die ich habe: Die zusätzlichen Möglichkeiten für die Exportindustrie sind dargestellt worden . Ich weiß, dass die Exportindustrie, beispielsweise die Automobilindustrie, höchst erfolgreich ist, dass wir Exportweltmeister waren, es pro Kopf immer noch sind, also eigentlich gar keine Probleme haben, die gelöst werden müssen . In den Handelsabkommen soll aber geregelt werden, beispielsweise bei TTIP, dass es beim Zugang unserer Automobilindustrie zum Automobilmarkt in den USA nur dann einen Fortschritt gibt, wenn gleichzeitig eine Regelung gefunden wird, die zulasten unserer Bauern geht . Wir beide sind aus Bayern . Dort gibt es auch Bauern . Wie wollen wir das hinbekommen? Warum sollen die Bauern dafür bluten, dass wir im Bereich der Automobilindustrie noch mehr Exporte haben? Ist das nicht ein bisschen daneben? ({1})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Ernst, wenn Sie die Debatte aufmerksam verfolgt hätten, dann hätten Sie gehört, wie die verschiedenen Vorredner die Grundlagen für eine vorläufige Inkraftsetzung dargestellt haben . Kollege Beyer und auch Kollege Wiese haben sehr zutreffend dargestellt, welche Mechanismen wir auf der europäischen Ebene haben; wir haben sie im Lissabon-Vertrag vereinbart . An diese sollte man sich halten . Natürlich kann man wieder unterschiedlicher Rechtsauffassung sein - wie immer: zwei Juristen, drei Meinungen; Entschuldigung gegenüber den Juristen -, aber es ist auch immer darauf zu achten, was gültiges Recht ist. Das gültige Recht erlaubt eine vorläufige Inkraftsetzung in einzelnen Bereichen . Diese sind abgegrenzt . Jetzt kann man sich natürlich über die Abgrenzung trefflich streiten . Ich bin nicht der Meinung, die Kollege Wiese vertreten hat, dass wir zumindest die Investitionsschutzklausel ausnehmen sollten; denn das ist ein wesentlicher Bestandteil . Firmen müssen sich darauf verlassen können, bei ihren Investitionen Schutz zu haben, wobei das zwischen Deutschland und Kanada vielleicht weniger problematisch ist . Lieber Kollege Wiese, Sie wissen vielleicht, es gibt 28 EU-Länder, in denen es unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt, die wir dabei zu beachten haben . - Kollege Ernst, meine Antwort ist noch nicht vorbei . Sie müssen stehen bleiben; denn es kommt noch der zweite Teil der Beantwortung . ({0}) Zweiter Teil meiner Antwort . Sie versuchen jetzt natürlich, einen Keil zwischen Industrie und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Bäuerinnen und Bauern zu treiben . ({1}) - Nein . - Das ist ein völlig unstatthaftes Vorgehen, das Sie hier betreiben . Denn gleichzeitig werden die Agrarmärkte für die europäische Landwirtschaft geöffnet . Mit diesem Abkommen wird möglich, dass wir für Milch, Käse und sonstige Produkte einen besseren Zugang nach Kanada haben . Das müssen Sie in den Vordergrund stellen, statt plakativ zu sagen, hier würde Industriepolitik gegen Landwirtschaft ausgespielt . Im Gegenteil: Hier werden für beide Bereiche besondere Möglichkeiten des Handelns bzw . des Austausches geschaffen, und zwar eine positive Entwicklung auf beiden Seiten . ({2}) Kollege Ernst, jetzt können Sie sich setzen . Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte darauf hinweisen, dass Schiedsgerichte per se nichts Schlechtes sind; darüber wird meistens gestritten . Ich kann auch nicht erkennen, dass die über 130 Abkommen Deutschlands mit anderen Ländern, in denen private Schiedsgerichte vereinbart worden sind, negative Auswirkungen in den betreffenden Ländern, ob in Deutschland oder auch in dem Land, mit dem Deutschland den Vertrag geschlossen hat, gehabt hätten . Deshalb ist diese plakative Verteufelung von Schiedsgerichten in der Öffentlichkeit nicht in Ordnung, bei der Sie so ungefähr sagen: Da gibt es ein schlimmes Gericht, eine völlige Neuartigkeit . Dabei ist zu beachten, dass wir auch in unserem Rechtssystem danach trachten, manche Streitigkeiten nicht im Gericht zu entscheiden, sondern eine freiwillige Vereinbarung zu treffen . Dies ist auch in diesem Bereich besonders notwendig, und zwar zum Schutz der investierenden Betriebe in vielen Ländern der Welt und in diesem Fall vor allen Dingen in Kanada . Es geht darum, dass die Investitionen vor Diskriminierung geschützt werden . Das bedeutet aber noch lange nicht, dass staatliches Handeln beeinträchtigt wäre, wenn es neue Erfordernisse im Verbraucherschutz oder in anderen Bereichen gäbe . Frau Kollegin Höhn, Sie legen dar, dass es angeblich keinen vorsorgenden Verbraucherschutz in den Vereinbarungen gäbe . ({3}) - Nein, das ist nur angeblich . Natürlich ist Verbraucherschutz vereinbart, ({4}) aber alles auf wissenschaftlicher Basis . ({5}) Man kann den Verbraucherschutz natürlich nicht nach dem „Gift des Monats“, das die Grünen erfunden haben, ausrichten . Nach solchen Kriterien kann man keinen Verbraucherschutz betreiben . Der Verbraucherschutz muss auf wissenschaftlicher Grundlage gestaltet werden . ({6}) Das ist dann ein nachvollziehbarer Verbraucherschutz . Verbraucherschutz darf nicht im Rahmen von Kampagnen betrieben werden, und es darf auch nicht lediglich der Schein von Verbraucherschutz erweckt werden . Dagegen wehren wir uns, liebe Frau Kollegin .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Straubinger, es gibt zwei Wünsche nach Zwischenfragen, von der Kollegin Höhn und der Kollegin Künast, wobei sich die Kollegin Höhn als Erste gemeldet hat . Gestatten Sie diese Zwischenfragen?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich bin gerne dazu bereit, wobei das für die Kolleginnen und Kollegen, die möglicherweise in die Pfingstferien wollen, dann natürlich eine Verlängerung bedeutet . ({0}): Ausrede!) - Nein, nein . - Aber ich bin gerne bereit, die Fragen zuzulassen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Dann beginnen wir mit der Kollegin Höhn .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen . - Herr Straubinger, das war eine ganz entscheidende Aussage, die Sie eben gemacht haben; es ist gut, dass hier alles protokolliert wird . In der Gentechnikforschung ist es so, dass 80 Prozent der Gutachten indirekt oder direkt von den Unternehmen finanziert werden, die die Gentechnikprodukte selber herstellen . Natürlich sind die Ergebnisse dieser Gutachten immer pro Gentechnik . Das ist doch logisch. Ein Unternehmen wird ja kein Gutachten finanzieren, das zu einem Ergebnis kommt, das für die Gentechnik negativ ausfällt . Unter diesen Gesichtspunkten hatte die EU bisher immer Vorbehalte gegen das sogenannte wissenschaftsbasierte Anerkennungsverfahren; denn es ist de facto ein risikobehaftetes Anerkennungsverfahren . Die Risiken werden nämlich vor allen Dingen von den Unternehmen erforscht, die davon profitieren. Sie sagen jetzt: Genau so muss es gemacht werden; wir brauchen ein wissenschaftsbasiertes Verfahren . - Für die Verbraucher in Deutschland bedeutet das, dass sie die negativen Auswirkungen von beiden Seiten erhalten: Sie bekommen die Gentechnik, und zwar so, wie die Nordamerikaner es wollen, sie haben aber nicht die Haftungsrechte, die es in Amerika gibt . Würden Ihre Vorschläge umgesetzt, würde es für die Verbraucher in Europa sogar schlimmer als für die Verbraucher in Amerika . Was Sie vorhaben, ist wirklich das Allerschlimmste, das man sich vorstellen kann, Herr Straubinger . Das geht überhaupt gar nicht . ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Höhn, Sie wissen haargenau, dass wir die Grüne Gentechnik in Europa ablehnen . Deshalb wird sie hier auch keinen Zutritt haben, ganz einfach . So ist es . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt kommt die Kollegin Künast mit ihrer Zwischenfrage . ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Straubinger, der einzige Satz von Ihnen, den ich gut fand, war: Sie wissen genau, dass wir die Grüne Gentechnik ablehnen . - Vor zehn Jahren wäre Ihnen auch das nicht über die Lippen gekommen . Bevor Sie diesen Satz zu Papier gebracht hätten, hätte sich eher Ihr Stift verbogen; aber das ist ja schon mal etwas . ({0}) Sie haben im Zusammenhang mit der Frage, welchen Prinzipien der Verbraucherschutz folgt, von „wissenschaftsbasiert“ geredet . Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass es, was die Prinzipien betrifft, in Europa und in den USA bzw . in Kanada eine grundsätzlich andere Herangehensweise gibt? Bei uns ist es das Vorsorgeprinzip, das „precautionary principle“, das besagt: Wenn es bei einem Stoff wissenschaftlich begründete Hinweise darauf gibt, dass er mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt, dann lassen wir ihn im Interesse der Sicherheit der Verbraucher, ihrer Gesundheit und der Umwelt nicht zu und sagen: Er ist nicht verkehrsfähig . ({1}) Die Amerikaner folgen eher dem WTO-Prinzip . Sie würden einen Stoff erst dann verbieten und ihn aus dem Verkehr ziehen - ich überzeichne das etwas -, wenn weltweit alle Wissenschaftler sagen würden: Er ist gefährlich; er löst bestimmt Krebs aus . - Das sind zwei Prinzipien, die nicht identisch sind . Ich frage Sie: Wie kann man Ihrer Meinung nach sicherstellen, dass unser Vorsorgeprinzip, mit dem wir Alte, Junge und Babys in vielen Bereichen vor gesundheitlichen Gefahren schützen, im Rahmen von CETA verankert wird, wenn es nicht einmal drinsteht und nicht bekräftigt wird, sondern wenn sogar eher die Gefahr droht, dass es später in der regulatorischen Kooperation unter die Räder kommt? Ich weiß nicht, wie Sie das machen wollen . Sie reden dies einfach nur weg . ({2})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Künast, wir reden hier nichts weg . Der vorsorgende Verbraucherschutz, der bei uns Gültigkeit hat, findet hier tagtäglich Anwendung. Wir haben gestern im Parlament über eine solche Frage diskutiert . Dabei wurde auf wissenschaftlich basierter Basis vom Bundesministerium der Landwirtschaft dargelegt, natürlich aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der wissenschaftlichen Erarbeitung durch die nachgeordnete Behörde, dass der Wirkstoff Glyphosat hier eine Zulassung bekommen soll . Dies ist letztendlich auch mit durch das Vorsorgeprinzip entstanden und nicht unter dem Gesichtspunkt der Kampagnenfähigkeit einzelner Teile, die mit eine Rolle spielen . Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dies beherrschen können . Angesichts dessen, dass auch in Amerika Verbraucherschutz eine Gültigkeit hat -, das werden Sie wohl nicht bestreiten, Frau Kollegin Künast -, werden wir sicherlich vernünftige Regelungen und ihre Umsetzung haben . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Straubinger, Sie haben schon ausführlich und außerordentlich freigiebig Zwischenfragen zugelassen . Es gibt eine weitere vom Kollegen Barthel .

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich würde allerdings vorschlagen, dass wir nach dieser Zwischenfrage etwas zurückhaltender sind .

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Genau dies sollte meine Zwischenfrage auslösen . Kollege Straubinger, geben Sie mir recht, dass zu alledem, was uns hier an Zwischenfragen und an Textbausteinen zu CETA um die Ohren gehauen wird, heute kein Antrag vorliegt und wir darüber eigentlich gar nicht beraten? ({0}) - Nein, der Grünenantrag steht heute gar nicht zur Entscheidung an, und die anderen auch nicht . ({1}) Ein zweiter Punkt ist, dass Sinn und Inhalt unserer Bestrebungen ist, das Verfahren so durchzuführen, wie die Koalition im Wirtschaftsausschuss mit vorgeschlagen hat, nämlich in Ruhe darüber zu beraten, wenn der deutsche Text vorliegt, und genau dann all diese Probleme zu wälzen, die Sie vorgetragen haben . Es führt uns jetzt überhaupt nicht weiter, uns links und rechts einzelne Kapitel von CETA um die Ohren zu hauen . ({2})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da haben Sie, Herr Kollege Barthel, völlig recht . Dieses Verfahren stellt die richtige Vorgehensweise dar . Ich habe den offensichtlichen Eindruck, dass die Kolleginnen und Kollegen der Opposition immer lieber vorher diskutieren und stärker über Mutmaßungen diskutieren als über Inhalte . ({0}) Deshalb pflichte ich Ihnen bei, dass wir das Verfahren ganz geordnet tätigen . ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Schluss feststellen: Die deutsche Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein gehöriges Interesse daran, dass wir mit internationalen Vereinbarungen weiterhin positiv auf die Märkte treten können . Das gilt für viele Bereiche . Damit ermöglichen wir vor allen Dingen, dass Arbeitsschutzstandards auch in anderen Ländern angehoben werden . Es hat noch kein einziges Abkommen dazu geführt, dass Arbeitsschutzstandards geschleift worden wären, wie es immer befürchtet wird, lieber Kollege Ernst. Beste Beispiele findet man im Handel, wenn man über den Zugang von Entwicklungsländern zu unseren Märkten redet . Unsere Handelsunternehmen werden beauftragt, Vereinbarungen dahin gehend zu schließen, dass Kinderarbeit verboten ist und dass bessere Arbeitsschutzstandards geschaffen werden, um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesen Ländern zu schützen . Wir sollten also nicht so viele Ängste in die Gesellschaft tragen, die in keinster Weise begründet sind . ({2}) Im Gegenteil: Letztlich können wir vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Hilfestellungen geben und Positives bewirken . In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr . Nina Scheer . ({0})

Dr. Nina Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004396, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist ganz selbstverständlich, dass der Prozess des Entstehens des Vertrags nicht so ausgestaltet werden kann, dass elementare Prozessschritte wie zum Beispiel die Ratifikation von Verträgen hinterher untergraben sind . Insofern ist es selbstredend, dass ein Prozess, bei dem aus einer vorläufigen Anwendung ein faktisches Untergraben des Ratifikationsprozesses folgt, von uns nicht mitgetragen wird . Jetzt stellt sich die Frage, welche Schlussfolgerung wir zum jetzigen Zeitpunkt daraus ziehen . Dirk Wiese hat schon zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit auch auf Drängen unseres Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel in den letzten Monaten bereits maßgebliche Änderungen erreicht haben und das, obwohl das noch kurz vorher für die Opposition, aber auch für Teile aus unseren Reihen allein vom formalen Ablauf her undenkbar erschien . Man hat gesagt: Nein, das ist ausverhandelt, wir befinden uns nur schon in der Rechtsförmlichkeitsprüfung, das geht formal eigentlich gar nicht, und die anderen verlassen sich ja auch auf diesen Prozess . Bei genauerem Hinschauen hat man aber gesehen: Das ist nicht vertretbar, man kommt so nicht weiter, so ein Vertragsergebnis wird hinterher nicht abstimmungsfähig sein . Also musste man sich diesen Dingen natürlich widmen . Deswegen ist auch die Auseinandersetzung mit genau diesen Punkten, die wir für nicht praktizierbar halten, notwendig . Hier ist die Schiedsgerichtsbarkeit ein Element, aber nicht das einzige . Genau in diesem Prozess befinden wir uns gerade. Frau Dröge, Sie haben auch erwähnt, inwiefern dieser Prozess und die Auseinandersetzung darüber hier im Parlament, um diese Dinge zu klären, wichtig sind . Ich denke, gerade mit Blick auf die sehr differenzierten und sehr unterschiedlichen Positionen alleine in meiner Fraktion und beim Koalitionspartner ist zu erkennen, dass wir hier noch große Klärungsbedarfe haben . Ich möchte jetzt auch noch einmal an der Frage ansetzen, was wir von Freihandelsabkommen überhaupt erwarten . Wenn gesagt oder einfach unterstellt wird - das ist ja gerade schon aufgegriffen worden -, wir würden dem Wissenschaftsansatz folgen und damit das Vorsorgeprinzip quasi über Bord werfen, dann muss ich sagen: Nein, dann haben wir keine Grundlage, um zu einer Einigung zu kommen . Das gilt genauso, wenn unterstellt wird, wir wollten, dass Freihandel im Grunde genommen mit dem freien Markt gleichzusetzen ist . Nein, wir sind eigentlich schon einen Schritt weiter . Wir haben doch in den letzten Monaten erfahren, dass es sich zuspitzt . Der Kristallisationspunkt liegt genau darin, dass wir einerseits zwar Handel wollen und in der globalisierten Welt auch Handel brauchen - als Exportnation wäre das auch schwer anders vorstellbar -, andererseits aber auch Regeln benötigen . ({0}) Die Vereinbarungen auf Ebene der UN vom letzten September - die UN-Nachhaltigkeitsziele - haben auch gezeigt, dass wir noch einen großen Bedarf haben, uns gemeinsame Regeln zu geben . Ich finde, unser Hauptklärungsbedarf besteht darin, dass wir noch einmal herausarbeiten müssen, inwiefern die Verhandlungsmandate und die Prozesse, die in den letzten Jahren daraus entstanden sind, tatsächlich mit den teilweise sehr alten Verhandlungsaufträgen, die zurzeit noch „in der Mache“ sind, und dem gewachsenen Wunsch nach einer gerechteren Welt und fairen Handelsbedingungen kompatibel sind. Wir befinden uns im besten Prozess, um genau dieses zu klären. Insofern finde ich es verfehlt, jetzt das Augenmerk auf die vorläufige Anwendung zu richten, zu einem Zeitpunkt, an dem wir noch gar nicht wissen, was hinterher bestenfalls überhaupt vorläufig angewendet werden kann. Ich habe nur noch wenige Sekunden Redezeit und komme zum Schluss: Herr Pfeiffer, Sie haben sich hier bemüht, ein paar Mittelständler zu zitieren, die sich das so vorstellen, wie Sie sich das vorstellen . Ich fange erst gar nicht damit an, die Mittelständler zu nennen, die große Vorbehalte haben und die gerne fairen Handel wollen statt den Freihandel, den Sie wollen . ({1}) Ich glaube, wenn ich die alle aufzählen würde, dann würden wir noch über Pfingsten hier sitzen. Vielen Dank . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Rainer Spiering für die SPD . ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, kurz vor dem Pfingstfest, ist ja vielleicht ein interessanter Tag, um dieses Thema zu debattieren . ({0}) - Das ist angekommen . Unbemerkt durch große Teile von uns selbst und der Bevölkerung ist Deutschland zu einem der größten Agrar exporteure der Welt geworden . Das hat vielleicht die eine oder andere Folge, die uns in Deutschland möglicherweise nicht schmeckt . Fakt ist aber: Deutschland ist einer der größten Agrarexporteure der Welt geworden, und zwar auf der Basis unseres vorsorgenden Prinzips und auf der Basis sehr wohlüberlegter Produkte . Einer ausgesprochen intensiven und erfolgreichen Landwirtschaft ist eine sehr intensive und gut funktionierende deutsche Landmaschinentechnologie vorgelagert . Ja, ein Freihandelsabkommen kann Komplikationen mit sich bringen; die diskutieren wir jetzt, vielleicht auch im großen Rahmen, im Rechtsraum . Vielleicht kann man aber auch eine Umkehrung machen und unser Augenmerk im Moment darauf richten, welche Chancen dieses Abkommen bieten kann . Vielleicht ist es auch eine Chance, die Basis unserer Produktion in andere Länder zu exportieren . Frau Höhn und Frau Künast, Sie haben eben gesagt: Wir handeln nach dem Vorsorgeprinzip . Vielleicht führt das dazu, dass auch andere Länder in der Lage sind, zu akzeptieren, dass wir unglaublich gute und tolle Produkte haben . Der kanadische Markt ist unter anderem sehr aufnahmefähig für Milchprodukte . ({1}) Wir haben eine sehr intensive Milchproduktion . Wir haben zurzeit mit unserer Milchproduktion intensive Probleme . Deswegen stelle ich mir die Frage, ob wir nicht einmal eine Umkehrung der Ideengebung eines Freihandelsabkommens, trotz aller Kritik, die daran geübt wird, machen können . Also, alle importierten Güter der Agrar- und Ernährungswirtschaft müssen weiterhin die strengen Vorschriften der EU oder Kanadas im Bereich von Gesundheit und Sicherheit erfüllen . Kanada akzeptiert einen sehr umfassenden Schutz für europäisch geschützte Ursprungsbezeichnungen. Es gibt also keine Verpflichtung für die EU, Rechtsvorschriften zu ändern, um die Einfuhr von genetisch veränderten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen zu kontrollieren . Jetzt erlaube ich mir einen Schlenker und sage etwas zu genveränderten Produkten . Meine sehr persönliche Meinung dazu ist: Wissenschaft ist immer nur der Zeitpunkt des Wissens, das man hat . Gerade bei der Veränderung von Gengut kann mir überhaupt kein Wissenschaftler sagen, ob diese Veränderung auf Dauer gut geht . Egal wie stark er in der Forschung ist: Das kann er mir nicht sagen . Deswegen sage ich, dass wir mit genveränderten Produkten nichts zu tun haben wollen - das ist auch die Meinung der SPD-Fraktion -, weil Wissenschaft an ihre Grenzen kommt . Man kann es zwar Science Base nennen, aber da gibt es eine Grenze . Deswegen wollen wir das nicht . Deswegen nehmen Sie uns bitte ab, dass wir alles tun und auch dafür geradestehen werden, dass die Veränderung des Genguts nicht eintritt . Das Vertrauen sollte man haben . ({2}) Jetzt, Frau Höhn, komme ich zu der Frage, die Antragsgrundlage ist. Da gibt es etwas, was ich schade finde . 2009 haben wir mit den Lissabon-Verträgen einen sehr wichtigen und effizienten Schritt gemacht - ob er gut war, diskutieren wir gerade -, nämlich die Handelspolitik in die Hände der EU zu legen . Ich weiß nicht, ob sich damals alle darüber im Klaren waren, welch weitreiDr. Nina Scheer chender Schritt das ist . Aber es ist ein ganz elementarer Schritt zur Europäisierung des gemeinsamen Marktes . Genau da grätschen wir jetzt rein . Als Antwort auf die Frage nach der Anwendung haben wir Kriterien, mit denen wir zumindest nach meinem Dafürhalten sicherstellen, dass dieses Abkommen nicht in Kraft treten kann, wenn das Europäische Parlament und der Europäische Rat das nicht wollen . Nach den geltenden Rechtsvorschriften und danach, wie wir im Moment europäisches Recht umsetzen, wird die Inkraftsetzung nicht erfolgen, wenn der Europäische Rat und das Europäische Parlament nicht zustimmen . Meine große Bitte ist - deswegen eben der Hinweis auf Pfingsten -, dass wir einmal dem Europäischen Parlament trauen und auch an die große europäische Idee glauben . Danke schön . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank . - Ich schließe damit die Aussprache . Wir kommen jetzt zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8391 . Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Nach ständiger Übung stimmen wir zunächst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die Überweisung an den Ausschuss? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Überweisung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/ Die Grünen beschlossen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 18 b: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für eine lebendige Demokratie - Fairer Handel statt TTIP und CETA“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8128, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6818 abzulehnen . Wer für diese Beschlussempfehlung stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich Drucksache 18/8334 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist diese Redezeit so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und darf zu Beginn dieser Aussprache dem Parlamentarischen Staatssekretär Enak Ferlemann für die Bundesregierung das Wort erteilen . ({1})

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich vor . Dabei geht es um ein sehr wichtiges Gesetz, auf das viele im Eisenbahnsektor schon seit längerer Zeit warten . Die Eisenbahn ist ein faszinierendes Verkehrssystem . Aber die Eisenbahn braucht einen rechtlichen Rahmen und eine infrastrukturelle Ausstattung . Die Zukunft des Eisenbahnwesens liegt nicht in den nationalen Bahnen, sondern in einem europäischen Eisenbahnraum . Ich betone: in einem gemeinsamen europäischen Eisenbahnraum. Denn Zugverkehr ist dann besonders effizient, wenn er über lange Strecken geht, insbesondere was den Hochgeschwindigkeitsverkehr angeht, aber auch im Güterverkehr . Deswegen ist Eisenbahn ein prioritäres europäisches Verkehrssystem . Dafür brauchen wir neben der Infrastruktur, die an vielen Stellen noch Ausbaubedarf hat, aber in Europa in einem guten Zustand ist, vor allem einen Ordnungsrahmen . Wir brauchen transparente Regeln für den Wettbewerb . Wir brauchen höhere Sicherheitsstandards und die Möglichkeiten, Innovationen in das System einführen zu können . Dabei haben die EU-Kommission und mit ihr auch das Europäische Parlament seit langen Jahren einen Grundsatz: Die Effizienz des Systems erfordert die Trennung von Netz und Betrieb . Das heißt, die Infrastruktur ist staatlich und der Betrieb durch viele verschiedene Betreiber privat . Wir in Deutschland haben dazu eine etwas andere Position . ({0}) Wir fahren ein sogenanntes integriertes System . Das heißt, wir trennen nicht Netz und Betrieb, sondern wir fahren beides in einem integrierten Modell, was viele Vorteile bietet . ({1}) Allerdings hielt man in Europa vom ersten bis zum vierten Eisenbahnpaket an dem Grundsatz fest . Aber durch beharrliches Wirken gerade dieser Bundesregierung ist es gelungen, als Ausnahme von diesem starren Grundsatz möglich zu machen, dass auch integrierte Modelle aus europäischer Sicht genehmigungsfähig sind . Aber wenn man dies durchsetzen will, braucht man, da man es mit Monopolen zu tun hat, eine Marktdarstellung . Dafür braucht man eine strenge Regulierung . Wir haben Ihnen in der vergangenen Legislaturperiode den Entwurf eines sehr strengen Regulierungsgesetzes vorgelegt, der damals nicht mehr vom Parlament beschlossen wurde . Wir haben Ihnen in dieser Legislaturperiode wiederum einen Regulierungsgesetzentwurf vorgelegt, der eine Regulierung nach dem Standard der EU-Richtlinien ausweist . Überall da, wo die EU-Richtlinie Spielraum für nationale Gesetzgebung lässt, haben wir ihn genutzt, um das Gesetz besonders einfach, aber auch besonders transparent und gut umsetzbar zu machen . Ich glaube, es ist gut, dass die Europäer uns nicht mit einer Verordnung beschränken, sondern eine Richtlinie erlassen haben, die uns einen gewissen Handlungsspielraum gibt, und den haben wir genutzt . Wir haben uns für die Entgeltregulierung entschieden . Ich glaube, es ist gut, dass wir das gemacht und Ihnen einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt haben . Denn so wird vorab klargestellt, wer welche Trassenpreise zu bezahlen hat . Damit ein Monopolist sich nicht selber die Trassenpreise so genehmigen kann, wie er sie gerne hätte, haben wir Ihnen, glaube ich, ein gutes System vorlegen können, mit dem sie im Markt simuliert werden . Ein Sonderfall ist der Nahverkehr . Parallel zu den Beratungen über das Regulierungsgesetz geht es um das Regionalisierungsgesetz . Hiermit gibt der Bund den Ländern das Geld, um den Nahverkehr auf der Schiene in Deutschland möglichst effektiv und effizient zu betreiben . Dafür stellen wir ab diesem Jahr die sagenhafte Summe von 8 Milliarden Euro bis einschließlich 2031 bei einer jährlichen Steigerungsrate von rund 1,8 Prozent bereit . Die Länder erwarten von uns, dass wir bei den Trassenpreissteigerungen nach Möglichkeit nicht über diese 1,8 Prozent hinausgehen; denn dann wird die effektive Summe geringer . ({2}) Dem wollen wir auch Rechnung tragen . Deswegen haben wir Vorschläge gemacht, aus denen hervorgeht, wie wir diesem Länderbegehren entsprechen können . Wir wollen dem Regulierer zwar Vorgaben machen . Aber diese Vorgaben dürfen das Regulieren nicht unmöglich machen . Ich glaube, wir haben im Gesetzentwurf einen guten Weg vorgeschlagen . Natürlich muss man wissen, dass alles, was wir im Nahverkehr nicht umlegen können, auf den Fernverkehr und den Güterverkehr zusätzlich umgelegt werden muss . Wir haben uns aber dazu entschieden, Ihnen dies vorzuschlagen, weil wir uns mit den Ländern bei den Beratungen über das Regulierungsgesetz so verständigt haben . Es ist daher richtig, das so im Gesetzentwurf vorzusehen . Wir werden gerade über diesen Punkt sicherlich eine breite Debatte führen: Ist die vorgeschlagene Regelung gut? Kann man sie so umsetzen? - Auch die Länder werden sich an dieser Diskussion weiterhin beteiligen . Aber insgesamt kann man feststellen, dass wir für die Diskussion eine sehr gute Grundlage geschaffen haben . Ich wünsche mir, dass das von Ihnen und den Ländern im Bundesrat mitgetragen wird . Es ist wichtig, dass wir diese Regulierung bekommen; denn nur mit einer strengen Regulierung können wir das integrierte Modell weiterhin betreiben und es bei der Europäischen Kommission genehmigungsfähig halten . Das ist für unser Eisenbahnwesen eine zwingende Voraussetzung . Deswegen hat dieser Gesetzentwurf die von mir eingangs geschilderte Bedeutung . Ich wünsche uns gute Beratungen dieses Gesetzentwurfs und freue mich auf kontroverse, aber letztlich zielführende Debatten, die dann hoffentlich zum Beschluss dieses Gesetzentwurfs führen werden . Herzlichen Dank . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich glaube, kein Eisenbahnregulierungsgesetz - egal wie es aussieht - löst das Grundproblem . Das Grundproblem bei der Bahn ist nicht die Trennung bzw . Nichttrennung von Netz und Betrieb, sondern die Tatsache, dass die Deutsche Bahn AG auf Privatisierungskurs gesetzt wurde und darauf ausgerichtet ist, betriebswirtschaftlichen Gewinn zu machen . Richtig wäre, die Deutsche Bahn am Gemeinwohl zu orientieren und das Unternehmensziel so festzulegen, dass möglichst viele Menschen gute Bahnanbindungen haben . ({0}) Deshalb ist es eigentlich höchste Zeit, dass Sie eine Reform der Unternehmensform planen, anstatt an Symptomen herumzudoktern, die nicht zu heilen sind, weder mit Wettbewerbsverstärkung noch mit Anreizsystemen . Die Grundausrichtung wird schließlich bisher durch Gewinnmaximierung bestimmt . Wir haben dieses Problem in der Vergangenheit an vielen Stellen gesehen . Hervorragend zu sehen war das bei Hartmut Mehdorn als Gallionsfigur, der die Deutsche Bahn AG auf Börsenkurs getrimmt hat . Unter ihm wurden 40 Prozent der Weichen aus dem Netz entfernt und 80 Prozent der Gleisanschlüsse gekappt . Tausende Bahnhöfe wurden verrammelt, verriegelt und verkauft . Wir haben Streckenstilllegungen und Kaputtsparen erlebt . Das S-Bahn-Chaos in Berlin - das ist noch gar nicht so lange her - ist entstanden, weil Werkstätten geschlossen wurden . Das alles wurde gemacht, weil Mehdorn sparen und die Bahn für die Börse attraktiv machen wollte . Dieser Kurs ist leider noch nicht zu Ende . Unter Herrn Grube, der sagt, dass es um das Brot-und-Butter-Geschäft geht, wurde die Strategie des Konzerns Deutsche Bahn AG fortgesetzt, Auslandsbeteiligungen einzukaufen . Wir haben inzwischen einen Global Player Deutsche Bahn, bei dem mehr als 50 Prozent des Umsatzes nicht aus dem Eisenbahnbetrieb kommen, sondern von der Straße, vom Flugverkehr und von der Logistik, die mit der Bahn gar nichts zu tun haben . Das ist ein grundsätzliches Problem, weil sich dann natürlich das Augenmerk des Managements auf ganz andere Dinge richtet . Daran müssen wir etwas ändern . Wenn Herr Grube jetzt darüber redet, dass er private Investoren an der Logistiksparte beteiligen will, dann heißt das, dass private Kapitalanleger direkt mit am Tisch des Deutsche-Bahn-Konzerns sitzen . Sie können jetzt schon davon ausgehen, dass alles, was sich aus deren Sicht nicht rentiert, geschlossen und kaputtgemacht wird . Es wird jetzt schon darüber geredet, dass Hunderte Güterverladestationen stillgelegt werden . Ich bitte Sie: Wenn wir über die Verkehrswende reden und wenn wir mehr Güter auf der Schiene transportieren wollen, dann müssen wir doch diese Kapazität erhalten und ausweiten . ({1}) Auch wenn es sich im Moment nicht lohnt, so ist das doch eine volkswirtschaftliche Perspektive und eine Frage der Nachhaltigkeit . Deshalb müssen wir die Deutsche Bahn ganz anders aufstellen . Ich möchte Sie einmal auf einen anderen Bereich aufmerksam machen, der auch eine große Bedeutung hat und der völlig anders organisiert ist: Das ist die Wasserwirtschaft . Ich war vor ein paar Jahren in einem Wasserwerk und habe dort mit den Beschäftigten und auch mit dem Chef des Wasserwerks sprechen können . Ich fand ganz interessant, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Mitarbeiter davon ausgehen, dass es ihre Aufgabe ist, möglichst viele Menschen mit gutem Trinkwasser zu versorgen, möglichst effizient für die Volkswirtschaft die Abwasserentsorgung zu organisieren und die Wasserreservoire zu schützen . Sie bekennen sich - das tun sie auch öffentlich; das ist sehr spannend - zu einem Unternehmen in öffentlicher Hand, zu ihrer gemeinwohlorientierten Verantwortung . Nix Global Player, nix Privatisierung . Sie lehnen die Intervention der Monopolkommission, die auch immer wieder kommt, ab, weil sie sagen: Was öffentliches Gut ist, muss in öffentlicher Verantwortung und am Allgemeinwohl orientiert organisiert werden . ({2}) Das heißt zum Beispiel auch, dass in der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft 100 Prozent der Einnahmen, die aus der Wasserbewirtschaftung erzielt werden, wieder in die Wasserbewirtschaftung hineinfließen. ({3}) - Nein . Grube hat Arriva für 2 Milliarden Euro gekauft . Das ist ein Busunternehmen, ein Global Player, der überhaupt nichts mit der Eisenbahn zu tun hat . Das ist der Grundfehler . So etwas brauchen wir nicht . ({4}) Wir haben als zweites Prinzip der öffentlichen Wasserwirtschaft die Kooperation mit anderen Partnern . Nix Wettbewerb, nix Konkurrenz . Kein Ausstechen anderer und dafür sorgen, dass über Trassenpreise möglichst viele andere zahlen müssen . Ich möchte zum Schluss noch sagen: Weder der Zusammenschluss der Privatbahnen noch die Träger des öffentlichen Nahverkehrs sind mit Ihrem Eisenbahnregulierungsgesetz einverstanden . Sie sagen: Die Grundprobleme werden damit nicht gelöst . - Ich bitte Sie, sich nicht an diesem 480-Seiten-Machwerk abzuarbeiten, sondern eine grundlegende Neuorientierung in die Diskussion zu bringen . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die SPD-Fraktion . ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Anwesende! Ich komme auf das Thema der heutigen Debatte zurück . Das Thema ist, dass die Bundesregierung einen Entwurf für ein Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich eingebracht hat . Ich habe es Ihnen mitgebracht . Ich habe vielleicht eine andere Zählung als Sie, Frau Leidig . Hier sind es 294 Seiten plus einige Anlagen, also ein sehr gewichtiges Gesetzeswerk . Wir haben heute die erste Lesung . Bei diesem komplexen Regelwerk wird es sicher noch einige Zeit dauern, bis wir uns hier zur endgültigen Verabschiedung dieses Gesetzes wiedertreffen . Wie schon vom Staatssekretär erwähnt, handelt es sich um die Umsetzung einer EU-Richtlinie . Für die SPD ist aber diese Regulierung im Eisenbahnbereich auch ein Teil, der sich in die Gesamtstrategie Bahn dieser Bundesregierung einfügt, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Wir wollen einen funktionierenden, leistungsfähigen und bezahlbaren Schienenverkehr . ({0}) Hierbei sind der Ausbau und der Erhalt des Schienennetzes sowie dessen optimale Nutzung im Personen- und im Güterverkehr notwendige Voraussetzungen . Mit der LuFV, der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, haben wir seit 2009 ein Steuerungsinstrument in der Hand, um die Infrastrukturmittel, die wir zur Verfügung stellen, wirksam und qualitätsoffensiv einzusetzen . ({1}) Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir den Vertrag erneuert, und wir stellen in den Jahren 2015 bis 2019 die Rekordsumme von insgesamt 28 Milliarden Euro für den Erhalt der Schieneninfrastruktur zur Verfügung .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Lühmann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Leidig?

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde gerne zu Ende vortragen . Dann können wir uns gerne unterhalten . Außerdem - ich habe es ja gesagt -: Wir werden diskutieren . Das hier ist die erste Lesung . Ich glaube, wir haben jede Menge Zeit - im Ausschuss, in den Anhörungen -, darüber noch zu diskutieren, Frau Leidig . ({0}) Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan haben wir eine Strategie für die nächsten Jahre vorgelegt, die mit dem Prinzip „Erhalt vor Neubau“ und der Engpassbeseitigung von hochbelasteten Korridoren den Schwerpunkt an der richtigen Stelle gesetzt hat . In dieser Legislaturperiode haben wir zusätzlich zu den von mir eben genannten LuFV-Mitteln insgesamt 4,5 Milliarden Euro für diese Bedarfsplanmaßnahmen, also die Mittel zum Neubau, zur Verfügung gestellt . Neben dem Erhalt und Ausbau der Kapazität des Schienennetzes sowie natürlich dem Lärmschutz, dem wir als Bundesregierung und der sie tragenden Koalition ein besonderes Augenmerk schenken, gehören faire Preise für die Benutzung der Infrastruktur und ein diskriminierungsfreier Zugang für alle Wettbewerber zum Gerüst des Ganzen . Aber die beste Infrastruktur nutzt wenig, wenn Verkehre aufgrund von Intransparenz und nicht klarer Preisgestaltung nicht ausreichend auf der Schiene landen . Beim Schienennetz haben wir nämlich die Situation - im Gegensatz zum Personenverkehr und Güterverkehr -, dass der DB-Konzern über ein Monopol verfügt . In einem Monopol muss der Staat die Möglichkeit haben, Renditen zu begrenzen . Gerade weil es ein Monopol ist, müssen die zugrundeliegenden Preise zur Nutzung der Infrastruktur auch transparent sein . Es ist schon etwas seltsam, wenn sich Eisenbahnverkehrsunternehmen darüber beschweren, dass sie bei einem Halt an einem Bahnhof zwar ein Entgelt bezahlen müssen, es ihnen aber nicht völlig klar ist, wofür sie eigentlich bezahlen, und dass sie gegebenenfalls auch für eine Ausstattung zahlen müssen, die entweder gar nicht vorhanden ist oder die ihre Kunden nicht nutzen können . ({1}) Daher wollen wir mit diesem Gesetz mehr Transparenz schaffen . Transparenz konnten wir bisher aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlagen nicht vollständig schaffen . Mit diesem Gesetz schaffen wir sie . Allerdings - auch das hat diese Regierung vereinbart - wollen wir keine Überregulierung bis ins letzte Schräublein des Schienennetzes oder bis zum letzten Seifenspender in den sanitären Anlagen bei Station und Service, sondern wir wollen - das haben wir im Koalitionsvertrag beschrieben - eine Regulierung mit Augenmaß . Zentrale Themen hierbei sind die weitere Verbesserung des diskriminierungsfreien Zugangs und die Optimierung der Ausgestaltung der Regulierung . Auch hier kommt der Bundesnetzagentur eine zentrale Rolle zu, die wir stärken werden . Die Preise für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur sollen künftig nicht mehr unkontrolliert steigen können, vor allem nicht im Personennahverkehr . Die dort tätigen Bahnen bzw . die Bestellenden ihrer Nahverkehrsleistungen beklagten in der Vergangenheit die Erhöhung der Trassenpreise, die teilweise schneller stiegen als die Mittel, die den Auftraggebenden zur Verfügung standen . Wird mit dem neuen Gesetz nun alles besser? Hat die Bahn die Trassenpreise bislang korrekt berechnet? Geht der Konzern effizient mit öffentlichen Geldern um? Genehmigt er sich bei der Kalkulation zu viel Rendite? Reichen ein Mehr an Transparenz und eine Einsetzung aus, den Anstieg der Trassenpreise begrenzen zu können? Was bringt diese Regulierung schließlich für die Verbrauchenden? Der Bundesrat hat 57 Änderungsanträge eingebracht, da er einige der von mir aufgeworfenen Fragen im Gesetz nicht hinreichend beantwortet sieht . Die Bundesregierung hat hierzu eine Gegenäußerung gemacht und ist dabei bereits auf einige Vorschläge des Bundesrates eingegangen . Eines steht allerdings auch fest: Es müssen noch einige wichtige Punkte geklärt werden, so die Frage, wie die Trassenpreise im Nahverkehr begrenzt werden . Hier gibt es noch unterschiedliche Auffassungen zwischen Bund und Ländern über die Auslegung des Inhalts der schon gestern hier debattierten Vereinbarung zu den Regionalisierungsmitteln. Wer zahlt das Defizit, wenn die nachgewiesenen notwendigen Steigerungen der Trassenpreise die dafür zur Verfügung stehenden Regionalisierungsmittel eines Bundeslandes übersteigen? Ein anderes Bundesland mit möglichen Überschüssen, eine Art Länderfinanzausgleich bei den Regionalisierungsmitteln? Oder gar der Fernverkehr, was die neue Angebotsoffensive der Bahn in diesem Bereich schon beenden würde, ehe die ersten Verkehre auf den neuen Strecken begonnen hätten? Hier müssen wir im laufenden parlamentarischen Verfahren Antworten und sinnvolle Regeln finden wie auch für das Thema „Zugang zu Serviceeinrichtungen“ . Abschließend stelle ich fest: Wir sind mit dem Gesetzentwurf auf einem guten Weg . Wo Wettbewerb funktionieren soll, benötigen wir Regeln, und dies umso mehr, wenn es sich wie bei der Eisenbahninfrastruktur um ein Monopol handelt . Der Gesetzentwurf verfügt da über einen interessanten Instrumentenmix,

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Lühmann, achten Sie bitte auf die Zeit .

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- um Anreiz, Transparenz und Effizienz in das deutsche Schienennetz zu bringen . Daher freue ich mich auf spannende Beratungen . Herzlichen Dank . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Matthias Gastel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lustlos und deutlich verspätet hat uns die Bundesregierung einen Entwurf für ein Eisenbahnregulierungsgesetz vorgelegt . Man könnte doch glatt meinen, es ginge um etwas Nebensächliches . Dabei geht es um wesentliche Fragen: Funktioniert der Wettbewerb auf der Schiene, oder funktioniert er nicht? Machen wir die Bahn so attraktiv, dass mehr Menschen mit der Bahn fahren, anstatt das Auto oder das Flugzeug zu nutzen? Spielt die Schiene ihr Potenzial aus, damit weniger Güter auf der Straße transportiert werden müssen? Das sind die entscheidenden Fragen . Daran muss sich der Gesetzentwurf messen lassen . ({0}) Leider trägt das, was wir von Ihnen vorgelegt bekommen haben, kaum zur Erreichung der eben definierten Ziele bei . Die Bundesländer wie die Bahnbranche sind von Ihnen enttäuscht, und das aus guten Gründen . Ihnen fehlen nämlich sowohl die Ziele als auch die richtigen Instrumente dafür . Was ist denn beispielsweise mit dem Deutschlandtakt? Dieser braucht einen verlässlichen Taktfahrplan . Aber gemäß Ihrem Entwurf eines Eisenbahnregulierungsgesetzes können bestimmte Züge den Takt regelrecht zerschießen . Was ist mit der Möglichkeit, Trassen- und Stationspreise auf ihre Angemessenheit überprüfen zu lassen? Die Eisenbahnverkehrsunternehmen können das künftig nicht mehr gerichtlich klären lassen . Ich erinnere daran, dass die Abschaffung der Regionalfaktoren auf eine erfolgreiche Klage von Eisenbahnverkehrsunternehmen zurückgegangen ist . Und ob die Bundesnetzagentur schlagkräftig genug ist, diese Aufgabe zu übernehmen und auch entsprechende Anordnungen durchzusetzen, kann man doch leicht bezweifeln . Was ist mit der Entwicklung der Höhe der Trassenpreise? Das ist der entscheidende Hebel dafür, ob auf der Schiene mehr oder weniger Verkehr abgewickelt wird . Sie lassen mit diesem Gesetzentwurf das Ansteigen der Trassen- und Stationspreise, die schon jetzt auf einem sehr hohen Niveau sind, weiter zu und tun nichts dagegen . Entweder führt nämlich die Begrenzung des Anstiegs der Trassen- und Stationspreise für den Regionalverkehr zu noch stärkeren Verteuerungen im Personenfernverkehr und im Güterverkehr - gerade der Schienengüterverkehr ist extrem preissensibel -, oder aber die Trassen- und Stationspreise steigen für den Regionalverkehr stärker als die Regionalisierungsmittel des Bundes für die Länder . Dann müssten die Länder entweder eigene Haushaltsmittel einsetzen oder Züge abbestellen . Und das kann ja wohl nicht unser Ziel sein . ({1}) Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass die Trassenpreise bis zu 35 Prozent der Ticketpreise im Nah- und Fernverkehr ausmachen, also einen erheblichen Anteil der Preise, die die Kunden nachher zu bezahlen haben, ausmachen . Die Lösung wäre die Einführung des Grenzkostenprinzips . Niedrigere Preise würden zu mehr Personen- und Güterverkehr auf der Schiene führen, und mehr Züge brächten höhere Einnahmen . Das bedeutet, zumindest ein Teil der Einnahmeausfälle wäre damit kompensiert . Eine Mindestlösung aber wäre eine gesetzliche Trassenpreisbremse, also eine Kostenbremse, von der alle Schienenverkehre entsprechend profitieren. Aber Sie haben kein Interesse, endlich einmal neue Wege zu gehen . Ihr Gerede von „Stärkung der Schiene“ oder „mehr Güter auf die Schiene“ zerplatzt wie Seifenblasen an den Tatsachen Ihrer Politik . ({2}) Dieses Desinteresse an der Schiene zeigt sich nicht nur am vorliegenden Entwurf eines Eisenbahnregulierungsgesetzes; es zeigt sich auch bei Ihrem Entwurf des Bundesverkehrswegeplans . Zwei Drittel aller Schienenprojekte sind noch nicht einmal bewertet worden . Aber schon bevor sie bewertet worden sind, wollen Sie das entsprechende Ausbaugesetz verabschieden . Daran sieht man mal wieder, wie wenig wichtig Ihnen die Schiene ist . Man kann sich kaum vorstellen, dass Sie den Entwurf des BVWP vorgestellt hätten, ohne dass vorher alle Straßenprojekte bewertet worden wären . Damit hätten Sie sich gar nicht rausgetraut . Bei der Schiene machen Sie es . Es ist einfach nur traurig, mit ansehen zu müssen, wie einseitig die Große Koalition auf das Auto und auf den Lkw setzt . ({3}) Sie ziehen sich auf eine rein technokratische Umsetzung von EU-Vorgaben zurück . Sie lassen sämtliche Chancen für ein Wachstum auf der Schiene links liegen . Hören Sie auf den Rat der zahlreichen Akteure in der Bahnbranche und der Bundesländer! Sie werden nämlich mit Ihrem Gesetzentwurf keinen Erfolg haben, und zwar nicht deswegen, weil heute Freitag, der 13 ., ist, sondern deswegen, weil Ihr Gesetzentwurf schlicht und ergreifend nichts taugt . ({4}) Korrigieren Sie Ihren Gesetzentwurf! Stellen Sie die Weichen für mehr Personen- und Güterverkehr auf der Schiene! ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dirk Fischer für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die äußeren Daten gehört: Der Gesetzentwurf wurde durch die Bundesregierung beschlossen . Auch die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats mit 57 Änderungs- bzw . Ergänzungswünschen liegt uns vor . Die Wünsche der Länder zeigen allerdings auch, dass diesem Gesetz eine hohe fachpolitische Bedeutung für den Schienenbereich zukommt . Wir werden uns, Kollege Gastel, im parlamentarischen Verfahren intensiv damit auseinandersetzen . Der zentrale Punkt ist ja, dass hier eine Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt werden muss und wir damit auch Vorgaben zu beachten haben . Ich glaube, dass es richtig war, dass der federführende Ausschuss - vorbehaltlich der Überweisung, die wir gleich zu beschließen haben werden - bereits beschlossen hat, eine öffentliche Anhörung durchzuführen . Dabei werden wir uns mit diesem Artikelgesetz, dessen Kernbereich der Erlass eines neuen Eisenbahnregulierungsgesetzes ausmacht, auseinandersetzen . Aber wir werden natürlich andere Materien zu bearbeiten haben; ich komme gleich darauf zurück . Damit wird ja die EU-Richtlinie, die eine Überarbeitung des ersten Eisenbahnpakets von 2001 darstellt, umgesetzt . Wir sind aber schon ziemlich spät damit dran, sie in nationales Recht zu überführen . Wir müssen daher ein zügiges Beratungsverfahren durchführen; denn die Europäische Union hat sich schon gemeldet, was die Pflicht zur termingerechten Umsetzung anbelangt . Das erste Eisenbahnpaket hatte die Grundlage für die Liberalisierung des europäischen Eisenbahnmarkts gelegt . Damit ist schon der diskriminierungsfreie Zugang zum Netz durch die Europäische Union vorgegeben worden . Ich denke, dass wir doch einiges zu tun haben, die neue Richtlinie, die die Konkretisierung der wettbewerblichen Regeln im europäischen Eisenbahnmarkt beinhaltet, umzusetzen . Das ist ein weiterer wichtiger Schritt, den Wettbewerb im Schienensektor und den grenzüberschreitenden Schienenverkehr zu stärken und Monopolstrukturen, wo es sie denn noch gibt, bei Eisenbahnen in Europa in ein wettbewerbliches Marktumfeld zu überführen . Der Entwurf enthält also mehrere Elemente: ein neues Eisenbahnregulierungsgesetz, Änderungen des Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetzes, Änderungen des Gesetzes über die Bundesnetzagentur, eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes sowie die Aufhebung der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung, der Eisenbahnhaftpflichtversicherungsverordnung und der Eisenbahnunternehmer-Berufszugangsverordnung . All das wird in das Gesetz integriert, und die bisherige Rechtsmaterie kann aufgehoben werden . Das Ganze ist also auch ein wichtiger Schritt zu einer Rechtsbereinigung . Ich glaube, dass wir damit nicht nur das bestehende Eisenbahnrecht verbessern, sondern auch neue Grundlagen für eine optimierte Wettbewerbsordnung schaffen . Dies ist ein Anliegen, das meine Fraktion nachhaltig unterstützt und für wichtig hält . Denn eines ist klar: In einer Wettbewerbsordnung ist der Kunde durch die Angebotsvielfalt und seine Auswahlmöglichkeiten König, in einer Monopolordnung ein armer Kerl, weil er keine Auswahlmöglichkeiten hat und bei schlechten Leistungen nicht zu einem anderen Anbieter wechseln kann . ({0}) In diesem Sinne bin ich wie Ludwig Erhard ein entschiedener Verfechter eines marktorientierten Leistungswettbewerbs, der Unternehmen zwingt, die Qualität von Leistungen zu verbessern und die Kosten zu senken . ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das können wir im Moment eigentlich an der Entwicklung unseres Unternehmens DB AG ablesen; denn der Anteil der privaten Wettbewerber im Markt steigt . ({2}) Damit muss sich die DB AG dem Preis- und Qualitätsdruck stellen, um auch weiterhin erfolgreich sein zu können . Der Wettbewerb auf der Schiene setzt den Wettbewerb um die Schiene voraus . Dafür sind klarere Regeln für Nutzung der Eisenbahninfrastruktur notwendig . Es gilt also, den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur weiter zu verbessern, die Entgeltregulierung für die Nutzung der Schienenwege neu auszugestalten und die Befugnisse der Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde zu stärken . Ich will kurz einige Bemerkungen zu diesen drei Bereichen machen . Zugang zur Eisenbahninfrastruktur . Einen diskriminierungsfreien Zugang zu Eisenbahnanlagen und Serviceeinrichtungen soll eben dieses neue Gesetz garantieren . Jedes Eisenbahnverkehrsunternehmen hat das Recht, Eisenbahnanlagen und Serviceeinrichtungen eines Infrastrukturbetreibers zu nutzen . Der Betreiber dieser Anlagen und Einrichtungen muss seine Leistung zu angemessenen, diskriminierungsfreien Bedingungen erbringen . Der Betreiber darf bei der Erstellung des Netzfahrplans keinen Antrag auf Nutzung seiner Trassen unbeachtet lassen, und er muss miteinander konkurrierende Anträge verschiedener Unternehmen durch Verhandlungen miteinander koordinieren . Auch ausländische Unternehmen, insoweit sie grenzüberschreitende Verkehre anbieten, müssen dieses Recht haben . Der Betreiber hat schließlich auch Kapazitätsreserven innerhalb seines erstellten Netzfahrplans vorzuhalten, um auf vorhersehbare Anträge auf Zuweisung von Schienenwegekapazität außerhalb des Netzfahrplans reagieren zu können . Darüber hinaus werden natürlich auch klarere Regeln für die Nutzung des Schienennetzes gemacht . Eine wesentliche Neuerung ist auch, dass bei der beabsichtigten Stilllegung von Serviceeinrichtungen als Teil der Eisenbahninfrastruktur eine Genehmigungspflicht durch die zuständige Aufsichtsbehörde, also das Eisenbahn-Bundesamt, eingeführt wird . Auch das ist ein wesentlicher Punkt . Entgeltregulierung . Auch hier - darauf ist ja schon hingewiesen worden - gibt es jetzt klarere Regeln, wie diese Entgelte festzulegen sind . Wir werden uns mit den Einzelheiten für die verschiedenen Segmente Schienenpersonennahverkehr, Schienenpersonenfernverkehr und Güterverkehr noch zu befassen haben . Die Trassenentgelte für den Schienenpersonennahverkehr unterliegen im Gesetzentwurf einer Sonderregelung, wobei in jedem einzelnen Land der SPNV künftig als ein eigenes Marktsegment definiert werden soll. Bei der Erhöhung der Trassenpreise müssen auch die zur Verfügung stehenden Mittel, insbesondere die Regionalisierungsmittel, in die Entgeltbildung einbezogen werden . Befugnisse der Bundesnetzagentur . Ich will darauf hinweisen, dass wir über die Überwachung der Entflechtungsvorschriften hinaus der Bundesnetzagentur auch einen Genehmigungsvorbehalt für die Trassenentgelte übertragen haben . Wichtig ist, dass der Bundesnetzagentur jetzt auch im Eisenbahnbereich Beschlusskammern zugeordnet sind und damit eine Angleichung der Regulierung im Eisenbahnbereich an die Regulierung in den Bereichen Telekommunikation, Post und Energie vorgenommen wurde . Ich glaube, dass wir uns jetzt intensiv an die Arbeit machen sollten, wobei wir uns auch mit den Änderungswünschen der Länder auseinandersetzen müssen, damit wir so schnell wie möglich ein zustimmungspflichtiges Gesetz zustande bringen. Es ist auch unsere Pflicht gegenüber Brüssel, dass wir das zügig machen . Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die inhaltliche Debatte im Ausschuss . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Martin Burkert für die SPD-Fraktion . ({0})

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als SPD das steht für uns fest - wollen einen starken und leistungsfähigen Schienenverkehr in Deutschland . Dafür schaffen wir nun die Rahmenbedingungen, die politisch notwendig sind . ({0}) Es wurde mehrfach darauf hingewiesen: Wir haben schon einiges erreicht . Ich denke, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II ist ein Vorzeigemodell für ganz Europa . Darüber hinaus war die Erhöhung der Regionalisierungsmittel dringend notwendig, um den Schienenpersonennahverkehr in Deutschland sicherzustellen . Gestern gab es hierzu im Plenum ja eine Aussprache . Heute beraten wir einen Gesetzentwurf mit dem Titel „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich“ . Es gilt, die europäische Richtlinie aus dem Jahre 2012 in deutsches Recht umzusetzen, und zwar mit dem Schwerpunkt der Entgeltregulierung, das heißt Schaffung von Anreizen für die Betreiber der Schienenwege zur Senkung der Infrastrukturkosten und der Trassenentgelte . Entgelte für die Nutzung der Schienenwege sollen zukünftig durch die Bundesnetzagentur genehmigt werden . Ziel dabei ist: mehr Fairness im Wettbewerb auf der Schiene, mehr Kostentransparenz bei der Nutzung der Schieneninfrastruktur und Schaffung eines diskriminierungsfreien Zugangs zur Schieneninfrastruktur in Deutschland . Ich betone aber ausdrücklich, dass wir im Schienenverkehr eine Regulierung mit Augenmaß und keine Überregulierung haben wollen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind wir dabei auf einem guten Weg, Herr Kollege Ferlemann . Selbstverständlich müssen wir die angesprochenen 57 Punkte, die der Kollege Fischer genannt hat, mit den Bundesländern diskutieren, die ja über 50 Änderungen wollen . ({1}) Meine Kollegin Lühmann hat die Knackpunkte aus Sicht unserer Fraktion bereits angesprochen . Ich möchte in Anbetracht der Zeit nur noch folgende Punkte ansprechen: Zunächst zur Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland: Übergeordnetes Ziel ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraumes, das heißt, für Fahrzeuge gelten überall gleiche Vorschriften und überall sind gleiche Signaltechniken verfügbar . Dies begrüßen wir ausdrücklich, um das deutlich zu sagen . Wegen verspäteter Umsetzung dieser Regulierung läuft gegen uns ein Vertragsverletzungsverfahren . Ich will aber schon darauf hinweisen, dass es ein Skandal ist, dass zwar europaweit die Regulierung greift, aber in einem Land wie Frankreich auf der Schiene überhaupt noch kein Wettbewerb existiert, während wir hier schon den Wettbewerb regulieren . Es kann nicht sein, dass dort Wettbewerb überhaupt erst ab 2026 möglich ist . Ich sage der Bundesregierung: Wir müssen im Europäischen Rat darauf drängen, dass das aufhört . Der Wettbewerb muss überall in Europa möglich sein, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({2}) Dann will ich etwas zur Haftpflichtversicherungssumme sagen . Im Ausschuss haben wir noch die Zugunglücke in Bad Aibling, in Mannheim, in Freihung in guter Erinnerung . Diese geschahen alle in dieser Legislatur . Wir hatten in Italien den schlimmen Güterzugunfall in Viareggio . Er kostete 75 Millionen Euro . Bei vielen Eisenbahnunternehmen gibt es eine zu geringe Kapitaldecke . Das heißt, im Schadensfall droht die Insolvenz, aber es droht auch eine unzumutbare Unsicherheit für Geschädigte wie auch für den Verursacher . In letzter Konsequenz heißt das: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Unternehmen von Insolvenz bedroht wäre, blieben auf der Strecke, und Geschädigte könnten nicht entschäDirk Fischer ({3}) digt werden . Deshalb müssen wir hier den Vorschlag diskutieren, ob wir eine gestaffelte Erhöhung der Haftpflichtversicherungssumme vornehmen. Man kann sich vorstellen, dass Gefahrguttransporte anders versichert werden müssen als normale Transporte . Ich glaube, die 14 Millionen Euro, die im Gesetzentwurf stehen, reichen pauschal nicht aus . Andererseits haben sich schon Betreiber von Museumsbahnen mit historischen Eisenbahnfahrzeugen gemeldet und darauf hingewiesen, dass die Versicherungssumme für sie zu hoch ist . Auch da müssen wir Regelungen finden. In § 28 des Gesetzentwurfs wird auf den Produktivitätsfaktor Bezug genommen . Dort steht, dass dieser Faktor, der anhand der vom Sachverständigenrat des Statistischen Bundesamtes für alle Wirtschaftsbereiche ermittelten Werte bestimmt wird, bei der Entgeltbildung zugrunde gelegt wird . Das ist schwierig, weil der Faktor die Gesamtwirtschaft umfasst, aber nicht unbedingt für den Eisenbahnsektor sachgerecht ist . Hier wurde vorgesehen, dass das Ministerium davon abweichen kann; darüber müssen wir reden . Es wäre aber gut, wenn eine verpflichtende Einbindung von unabhängigen Forschungsinstituten mit Erfahrungen im Eisenbahnbereich vorgesehen werden könnte . Ich will zum Schluss darauf hinweisen, dass die Materie sehr komplex ist . Es ist schwierig, der Bevölkerung überhaupt zu erklären, worum es hier geht . Dieses umfangreiche Gesetz ist kompliziert genug . Sollte es dazu kommen, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird, dann kann ich nur empfehlen, auf die Erfahrungen aus einer Sternstunde des Parlaments zurückzugreifen: Es gab den Fall, dass im Vermittlungsausschuss, als es um das Personenbeförderungsgesetz ging, ein Ausschuss mit Fachpolitikern eingesetzt wurde, dessen Arbeit am Ende dazu geführt hat, dass wir mit den Ländern ein vernünftiges, gutes Gesetz auf den Weg gebracht haben . ({4}) Ich will meinem Fraktionsvorsitzenden, aber auch Herrn Kauder nicht zu nahe treten; aber wenn man sich mit solch einem Gesetz befasst, wäre es gut, im Vermittlungsausschuss einen Fachausschuss zu bilden, weil die Materie wirklich umfangreich ist und in die Tiefe geht . Ich wünsche mir gute Beratungen . Ich bin überzeugt, dass wir am Ende hier im Parlament einen Gesetzentwurf verabschieden, der seinen Namen verdient . In diesem Sinne: Schöne Pfingsten! ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8334 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Deutschlandstipendium über die Ergebnisse der Evaluation nach § 15 des Stipendienprogramm-Gesetzes und der Begleitforschung Drucksache 18/7890 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich habe weder eine Aussprache hier im Plenum eröffnet noch eine Aussprache auf der Regierungsbank . Insofern bitte ich jetzt einfach, die notwendige Aufmerksamkeit herzustellen . ({0}) - Das wird Ihnen Ihre Parlamentarische Geschäftsführerin sicherlich gleich erklären, was das Problem war . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel . ({1})

Thomas Rachel (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002754

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Land braucht mehr denn je junge Menschen, die mit ihrem Fachwissen und ihren innovativen Ideen den Wandel in unserer Gesellschaft gestalten und sich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft einsetzen . Um diese Persönlichkeiten sehr frühzeitig zu unterstützen und ihre Leistungen anzuerkennen, fördern wir die jungen Menschen seit fünf Jahren mit dem Deutschlandstipendium in Höhe von 300 Euro, das von Staat und Privat zusammen finanziert wird. Allein im Jahr 2014 hatten wir mehr als 22 500 junge Deutschlandstipendiatinnen und -stipendiaten - junge Menschen, die bei ihren Begabungen, Träumen und Projekten unterstützt werden . So wurde zum Beispiel die junge Syrerin Samaa Hijazi gefördert, die an der Charité Medizin studiert und deren Deutschlandstipendium von der Stiftung Charité gefördert wird . Sie hat Deutsch gelernt mit einem Stipendium des Goethe-Instituts, hat einen Medizinstudienplatz bekommen . Über ihre Erfahrungen auf dem Weg aus dem zerstörten Syrien über Amman nach Deutschland hat sie ein Buch geschrieben . Warum spreche ich darüber so ausführlich? Ich finde, wir müssen uns mehr bewusst machen, wie viele Stipendiatinnen und Stipendiaten es gibt, für die das DeutschMartin Burkert landstipendium einen ganz entscheidenden Unterschied bei ihrer Studienfinanzierung ausmacht. ({0}) Mit einer Evaluation haben wir untersucht, ob an allen Hochschulstandorten ausreichend private Mittel eingeworben werden können oder ob Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sind . Ich denke, das ist ganz wichtig; denn alle Studierenden sollen unabhängig vom Studienstandort die Chance haben, ein Deutschlandstipendium zu erhalten . ({1}) Die Untersuchung hat gezeigt, dass an allen Hochschulstandorten Bedingungen herrschen, die den Hochschulen eine erfolgreiche Mittelakquise erlauben . Wir brauchen keine gesetzliche Ausgleichsmaßnahme . Was den Erfolg einer Hochschule verstärkt, ist ein reicher Erfahrungsschatz im Fundraising . Hochschulen werben nämlich umso erfolgreicher Fördermittel ein, je länger sie am Stipendienprogramm teilnehmen . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Förderung des Deutschlandstipendiums ist sozial ausgewogen . Die Stipendiatinnen und Stipendiaten unterscheiden sich auch in Bezug auf ihre soziale Herkunft nicht von der allgemeinen Studierendenschaft . ({2}) So beträgt der Anteil der Nichtakademikerkinder unter den Deutschlandstipendiaten wie bei den anderen Studierenden 50 Prozent . Der Anteil von Studierenden an Fachhochschulen war bei den Deutschlandstipendiaten mit 33 Prozent ebenso hoch wie der Anteil der FH-Studenten an der Studierendenschaft insgesamt, aber er war deutlich höher als bei den Begabtenförderungswerken; da lag er bei gut 11 Prozent . Sogar mehr als jeder vierte Stipendiat hat eine Einwanderungsgeschichte . Im Durchschnitt der Studierenden ist dies nur jeder Fünfte . Das zeigt: Das Deutschlandstipendium fördert junge Menschen mit Einwanderungsgeschichte überproportional, und das ist gut so . ({3}) Die Ergebnisse der Begleitforschung unterstreichen, dass wir mit einem ganzheitlichen Verständnis unseres Leistungsbegriffs beim Deutschlandstipendium den richtigen Weg eingeschlagen haben; denn die Hochschulen berücksichtigen bei der Vergabe keineswegs nur die Noten, nein, sie berücksichtigen auch ehrenamtliches Engagement und die Überwindung von Hürden im Lebenslauf . Das Deutschlandstipendium hat darüber hinaus vielfache Formen freiwilligen Engagements angeregt; schauen Sie sich zum Beispiel die dadurch entstandenen studentischen Flüchtlingsinitiativen oder die Mentoringprogramme der Förderer an . Viele der Förderer berichten, wie gewinnbringend für sie der frühzeitige Kontakt mit begabten Studierenden ist . Das wird als das zweitwichtigste Motiv angegeben hinter der Tatsache, dass sie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen . Das wollen wir natürlich unterstützen . ({4}) Die Begabtenförderung in Deutschland ist insgesamt enorm gewachsen . Die Zahl der Deutschlandstipendiaten hat schon nach vier Jahren fast die Zahl der Stipendiaten der bewährten Begabtenförderungswerke erreicht, die teilweise über Jahrzehnte oder wie die Studienstiftung des deutschen Volkes bereits seit 90 Jahren existieren . Insgesamt konnte die Zahl der aus Bundesmitteln vergebenen Stipendien für Studierende seit dem Jahr 2005 bis heute, also in der Zeit, in der Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, mit derzeit rund 50 000 Stipendiatinnen und Stipendiaten mehr als verdreifacht werden . Das ist ein ganz essenzieller Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Land . ({5}) Zugleich haben wir das BAföG kontinuierlich weiterentwickelt . Wir heben die Bedarfssätze und Einkommensfreibeträge jeweils um 7 Prozent an . Der Kreis der BAföG-Empfänger wird im Jahresdurchschnitt um rund 100 000 junge Menschen ausgeweitet . Seit 2005 sind die Gesamtausgaben für das BAföG auf 3,2 Milliarden Euro ausgeweitet worden, also um etwa ein Drittel gewachsen . Das ist eine Leistung mittlerweile ausschließlich des Bundes . Insofern herzlichen Dank auch an den Deutschen Bundestag, der dieses mit unterstützt . ({6}) Das Deutschlandstipendium hat sich zu einer wichtigen Säule der Begabtenförderung in Deutschland entwickelt . Wir haben 22 500 Stipendiaten, die allein im Jahr 2014 gefördert wurden . Die sozial schwächeren Studierenden haben die Möglichkeit, neben der BAföG-Förderung zusätzlich das Deutschlandstipendium zu bekommen . Das heißt, gerade die sozial Schwächeren profitieren in doppelter Weise, denn sie profitieren von dieser Kombinationsmöglichkeit . ({7}) Mit dem Deutschlandstipendium haben wir etwas erreicht, was uns besonders glücklich macht: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurden in erheblichem Maße private Mittel zusätzlich zur staatlichen Förderung, die ohnehin ausgebaut worden ist, für die Bildung mobilisiert . 24 Millionen Euro sind allein in 2014 bei Privatleuten, Stiftungen und Einrichtungen für die Bildung mobilisiert worden . Das ist ein Riesenerfolg . Er trägt zu mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Land bei . Deshalb werden wir vonseiten der Bundesregierung das Deutschlandstipendium als wichtigen Bestandteil der individuellen Förderung junger Menschen auch in Zukunft weiter kontinuierlich ausbauen . Herzlichen Dank . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Kolleginnen und Kollegen! Es ist oft schade, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für Bundestagsdebatten am Freitagnachmittag eher gering ist . Heute passt die geringe Aufmerksamkeit allerdings ganz gut zum ebenfalls sehr geringen Beitrag, den das Deutschlandstipendium zur individuellen Studienförderung leistet . ({0}) Mit nicht einmal 1 Prozent geförderten Studierenden ist das Deutschlandstipendium das Programm, das am stärksten an den Bedürfnissen der Studierenden vorbeigeht . Deswegen fordert die Linke, diesen Rohrkrepierer nach fünf Jahren Probezeit endlich wieder einzustellen . ({1}) Wie ein trotziges Kind gesteht die Bundesregierung das Scheitern ihres Eliteprojekts nicht ein . Sie versucht wirklich verzweifelt, die Sache schönzureden . Die Erklärung dafür ist einfach: Sie wollen mit dem Deutschlandstipendium eine neue Form der Studienfinanzierung durchdrücken, und zwar eine Elitenförderung auf Kosten der Breite . ({2}) Diese elitäre und unsoziale Politik ist Ihnen offenbar so wichtig, dass Sie nicht einmal den offensichtlichen Misserfolg Ihres Bildungsprojektes wahrnehmen . Ich empfehle ein wenig mehr klaren Kopf und Urteilsvermögen . Das wäre besser als so viel ideologische Verblendung . ({3}) Auch nach fünf Jahren sind die Fakten, wie sie waren: Nicht einmal 1 Prozent der Studierenden wird mit dem Deutschlandstipendium gefördert . Die Bundesregierung bewegt sich noch nicht einmal mehr in Richtung der ursprünglich geplanten Gefördertenquote von 8 bis 10 Prozent .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Feist?

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, selbstverständlich .

Dr. Thomas Feist (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004032, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Recht vielen Dank, Frau Kollegin . - Weil Sie das so pointiert vorgetragen haben, ({0}) fühle ich mich jetzt doch bemüßigt, eine Zwischenfrage zu stellen . Sie haben gesagt, die Zahl der über das Deutschlandstipendium geförderten Studierenden sei viel zu gering . Deshalb meine Frage: Was ist Ihr persönlicher Beitrag zur Förderung eines Studenten oder einer Studentin mit einem Deutschlandstipendium?

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Aussage war, dass das Deutschlandstipendium offensichtlich kein Instrument zur individuellen Studienförderung ist, weil es nicht einmal 1 Prozent der Studierenden erreicht . ({0}) Das habe ich gesagt . Ich habe nicht gesagt, dass die Zahl zu gering ist . Ich habe gesagt, es erreicht kaum Studierende . Das hat sich auch nach fünf Jahren Probezeit, in der Sie sich mit diesem Programm abmühen, nicht verändert . Ich denke, daraus könnte man politische Schlüsse ziehen . ({1}) Ich habe mich bei den Hochschulen genau kundig gemacht . Am Mittwochabend erst war ich übrigens in Leipzig . Die Hochschulen bezeichnen das ganze Verfahren nach wie vor als eine Belastung . Es ist eine Belastung, Stipendiengeber zu finden und die Auswahlverfahren durchzuführen . ({2}) Und der Bundesrechnungshof kritisiert das Deutschlandstipendium immer wieder wegen ausufernder Verwaltungskosten und der Verschwendung von Steuergeldern . Die 300 Euro, die monatlich einkommensunabhängig an wenige, an sehr wenige vergeben werden, sind nicht bedarfsdeckend . Das bedeutet, sie werden überwiegend zur Aufstockung des viel zu geringen BAföG genutzt . Deswegen sagen wir als Linke klar: Erhöhen Sie endlich das BAföG, ({3}) und zwar so, dass Studierende damit über die Runden kommen und gut studieren können, anstatt neue, untaugliche Förderinstrumente einzuführen . Dazu kommt, dass das Deutschlandstipendium überhaupt nicht zur Planungssicherheit beiträgt . Denn nach einem Jahr wird geprüft, ob die Stipendiatinnen und StiParl. Staatssekretär Thomas Rachel pendiaten immer noch förderwürdig genug sind, und die Stipendiengeber entscheiden neu, ob die Förderung überhaupt aufrechterhalten werden soll oder nicht . Auch hier sage ich: Stärken Sie lieber das BAföG ({4}) - das beinhaltet einen Rechtsanspruch auf Studienförderung -, anstatt mit dem Deutschlandstipendium Unsicherheit und Willkür zu erzeugen . ({5}) Sie reden immer so gerne von den angeblich besonders leistungsstarken und begabten Studierenden, die Sie mit dem Stipendium zusätzlich belohnen wollen . Ich glaube, ehrlich gesagt, Sie operieren mit einem ziemlich antiquierten Begriff von Begabung und Leistung . ({6}) Der Begriff der Leistungsstärke oder der Begabung hat wirklich null Erklärungskraft . Er sagt etwas über Leistungsunterschiede zwischen Menschen aus, die man vielleicht beobachten kann, aber er sagt eben nichts über die gesellschaftlichen Umstände aus, die diese Unterschiede erst hervorbringen und beeinflussen. Genau auf diese gesellschaftlichen Umstände müsste man aber das politische Augenmerk legen, zum Beispiel auf die Fragen: Wie dick ist der Geldbeutel der Eltern? In welchem Viertel ist jemand aufgewachsen? Welche Schule wurde besucht? Mit welchen Schwierigkeiten hatte man oder frau zu kämpfen? ({7}) Es wundert mich auch nicht, dass der Begabungsbegriff, so wie Sie ihn verwenden, bei denjenigen besonders beliebt ist, die am Ende die Zahl der Geförderten einschränken wollen . Der Begriff soll am Ende dafür herhalten, zu rechtfertigen, warum man nicht alle gleichermaßen gut fördert, sondern nur die wenigen, bei denen es sich lohnt . Genau das ist das Problem mit dieser Bundesregierung . Statt sich darum zu kümmern, Bildungsdiskriminierung abzubauen, beschäftigen Sie sich mit der Förderung der wenigen, der vermeintlichen Elite, und zementieren so die Spaltung der Gesellschaft . ({8}) Ihr Deutschlandstipendium hat nicht einen jungen Menschen zusätzlich an die Hochschule gebracht . Es hat nicht einem Menschen aus einer armen Familie oder aus einem nichtakademischen Elternhaus eine neue Perspektive eröffnet . ({9}) Das aber könnte das BAföG, ({10}) wenn die Bundesregierung es endlich wieder zu einer Förderung machen würde, die zum Leben und Studieren reicht und mit der man sich am Ende des Studiums auch nicht verschulden muss . Also erhöhen Sie endlich die BAföG-Freibeträge und -Bedarfssätze um 10 Prozent, und schaffen Sie den Darlehensteil ab . ({11}) Der Regierung geht es ganz offenbar ums Prinzip, um das Prinzip von Auslese und Elite . Uns geht es auch ums Prinzip, um die Prinzipien von Chancengleichheit, Rechtssicherheit und vom aktiven Ausgleich von Benachteiligungen . Treten Sie das Deutschlandstipendium in die Tonne, und widmen Sie sich wieder einmal Projekten mit Zukunft . Vielen Dank . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Marianne Schieder das Wort . ({0})

Marianne Schieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003838, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann das Ergebnis der Evaluation zum Deutschlandstipendium, kurz und knapp zusammengefasst, nicht anders beschreiben als: eigentlich nichts Neues . Alle Vorbehalte gegen diese Form der Studienförderung wurden bestätigt . ({0}) Dennoch stellt der Bericht fest, es gebe keinen Handlungsbedarf für den Gesetzgeber . Lieber Herr Staatssekretär, das sehen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten anders . ({1}) Gerne möchte ich an einigen Punkten festmachen, wo wir die Schlussfolgerungen aus dem Bericht nicht nachvollziehen können . So wird beispielsweise festgestellt, dass die meisten Hochschulen kaum Probleme haben, die nötigen privaten Mittel einzuwerben, die für die Kofinanzierung des Stipendiums notwendig sind . So weit, so gut . Aber was ist mit den etwa 10 Prozent der Hochschulen, die sich laut Bericht im Jahre 2014 gar nicht an dem Programm beteiligt haben? ({2}) Steigen die noch ein, oder gibt es da auf Dauer kein Interesse am Deutschlandstipendium? Die vorgelegten Zahlen erwecken jedenfalls nach meinem Dafürhalten nicht den Eindruck, als würde eine flächendeckende Beteiligung aller Hochschulen kurz bevorstehen . Ich meine, dass wir darüber diskutieren müssen, ob wir es hinnehmen wollen, dass öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden und dass junge Menschen, die eigentlich die Voraussetzungen für dieses Deutschlandstipendium erfüllen könnten, schon allein deswegen nicht in den Genuss dieser Förderung kommen können, weil sich ihre Hochschule nicht am Programm beteiligt . ({3}) Weiter heißt es im Bericht: Die Förderquote steigt . Auch das klingt zunächst einmal ganz gut . Aber bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass mit 22 500 Geförderten im Wintersemester 2014/15 lediglich 0,84 Prozent aller Studierenden in den Genuss des Deutschlandstipendiums kamen . Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen der Union, ich kann mich noch erinnern, was hier gesagt worden ist, als es mit dem Deutschlandstipendium losging . Da hat die damalige schwarz-gelbe Regierung von mindestens 8 Prozent der Studierenden gesprochen, die gefördert werden sollen . ({4}) Im Koalitionsvertrag haben wir immerhin erreichen können, dass die Zielquote auf 2 Prozent heruntergehandelt wurde . Aber wo sind wir gelandet? Bei nicht einmal 1 Prozent der Studierenden, die in den Genuss dieses Stipendiums kommen . Ein Drittel der für das Deutschlandstipendium bereitgestellten Mittel werden nicht einmal abgerufen . Von ursprünglich 55 Millionen Euro, die eingeplant waren, wurden 31 Millionen Euro ausgegeben . Ich denke, ehrlich gesagt, Erfolgsgeschichten sehen anders aus . ({5}) Dieses Ergebnis ist weniger ein Anlass, einen positiven Schluss zu ziehen, sondern eher ein Anlass, wirklich darüber nachzudenken, ob dieses Förderinstrument das richtige ist . ({6}) Das Ganze geht aber noch weiter . Der Bericht spricht wieder von dem viel zu hohen Durchführungsaufwand, der die Hochschulen nicht gerade einlädt, sich an diesem Programm zu beteiligen; auch darüber müssen wir als Gesetzgeber reden . Über den gesetzlichen Prüfungsauftrag hinaus wurde eine Sozialstudie durchgeführt, um über den sozialen Hintergrund der Stipendiatinnen und Stipendiaten Näheres zu erfahren . Im Großen und Ganzen, so das Ergebnis, entspricht das Bild der Geförderten in seiner sozialen Zusammensetzung dem Bild in der Gesamtstudierendenschaft . Der Anteil von Studierenden mit Migrationshintergrund ist sogar etwas höher . ({7}) Im Bericht freut man sich auch - hören Sie zu! -: Die aus dem hohen Anteil der BAföG-Empfänger unter den Stipendiatinnen und Stipendiaten abgeleitete Vermutung, dass das Programm auch sozial benachteiligte Gruppen erreicht, hat sich bestätigt . Ich frage mich: Ist es ein Anlass zur besonderen Freude, dass mit einem Stipendienprogramm auch sozial benachteiligte Gruppen erreicht werden? Ja, ich will doch hoffen, dass es selbstverständlich ist, dass ein Stipendienproramm gerade auf sozial benachteiligte Gruppen abzielt . ({8}) Alles andere wäre doch skandalös . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wieder ein Punkt, an dem man über diesen Bericht diskutieren kann . ({9}) - Ich glaube, ich habe ihn besser verstanden als Sie, weil Sie das nicht wahrhaben wollen, und das wider klare Fakten . ({10}) Der Bericht hebt lobend hervor, dass sich die Hochschulen dank dieser Stipendien besser in der Region und mit der Wirtschaft vernetzen . Die Notwendigkeit der Vernetzung ist überall erkannt . Die Hochschulen sind hier sehr aktiv . Sie treiben die Vernetzung innerhalb der Region und mit der regionalen Wirtschaft wirklich intensiv voran . Dafür möchte ich mich auch bedanken . Aber braucht es dazu ein Deutschlandstipendium? ({11}) Was bewirkt es denn? Der Bericht fördert in diesem Zusammenhang zutage, dass 65 Prozent der eingeworbenen Mittel aus Unternehmen kommen und zwei Drittel dieser Mittel zweckgebunden vergeben werden . Vergeben werden sie vor allen Dingen in die Bereiche der Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie der Mathematik . ({12}) Aber was ist mit den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften und mit dem Lehramt? Wollen wir, dass die BesMarianne Schieder ten gar nicht erst ein Studium in diesen Bereichen aufnehmen, weil sie sehen, dass sie dann kaum eine Chance haben, ein Deutschlandstipendium zu bekommen? Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht nachvollziehen - auch wenn Sie sich noch so aufregen -, ({13}) wie Sie nach diesem Bericht zu der Feststellung kommen können, dass es für den Gesetzgeber keinen Handlungsbedarf gibt . ({14}) Ich meine, sogar das Gegenteil ist der Fall: Wir haben allen Anlass, wirklich intensiv darüber nachzudenken, ob die bereitgestellten Mittel nicht besser in den Begabtenförderungswerken angelegt wären . Und: Lieber Herr Staatssekretär, Sie können mit uns natürlich immer über den Ausbau des BAföG reden . ({15}) Das BAföG ist nicht nur ein sozialdemokratisches Erfolgsprojekt, sondern auch das richtige Instrument, um jungen Menschen zu sagen: Auch wenn eure Elternhäuser dazu finanziell nicht in der Lage sind, es gibt verlässliche Rahmenbedingungen, die euch ein Studium ermöglichen . ({16}) Ich hoffe, dass wir über diesen Bericht noch einmal reden und die Zahlen gemeinsam realistisch analysieren können . Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und darf Ihnen allen ein schönes Pfingstfest wünschen. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Nach dieser großartigen Oppositionsrede der SPD-Kollegin ({0}) muss ich mich jetzt richtig ins Zeug legen; denn offensichtlich können SPD, Grüne und Linke heute gemeinsam das Deutschlandstipendium abschaffen, und das wäre gut so . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich sollte hier und heute über die neue Exzellenzinitiative und über den Nachwuchspakt für 1 000 Tenure-Track-Professuren debattiert werden . Leider waren CDU/CSU und SPD zu diesen milliardenschweren Weichenstellungen für die Universitäten in der Republik nach wie vor nicht sprechund debattierfähig . Also mussten sie die Debatte in dieser Woche absagen . Angemessen und souverän geht anders . ({2}) Sei es drum, diskutieren wir also zum x-ten Mal über das Deutschlandstipendium . Das ist dereinst auf FDPMist gewachsen und sollte „der Einstieg in eine neue Stipendienkultur“ werden . Ein halbes Jahrzehnt später ist klar: Da ist kein Kulturwandel . Die Bundesregierung hat alle ihre selbstgesteckten Ziele verfehlt . Das Deutschlandstipendium ist für die wenigen, die es überhaupt bekommen, natürlich eine gute Sache . Insgesamt ist es jedoch eindeutig ein Misserfolg; ({3}) denn an über 99 Prozent der bundesweit 2,7 Millionen Studierenden geht das Deutschlandstipendium vorbei . Stellen Sie sich einen dieser völlig überfüllten Hörsäle in der Republik vor, und fragen Sie mal, welcher der Studis denn ein Deutschlandstipendium erhält . Wenn Sie Glück haben, dann werden sich ein bis zwei Finger heben, und das kann es doch wohl nicht sein . ({4}) Das Programm ist meilenweit vom ursprünglichen Ziel entfernt, 8 Prozent eines Studierendenjahrgangs zu erreichen, und es ist weit entfernt von den 2 Prozent, die Union und SPD bis 2017 erreichen wollen . Förderer sind Mangelware . Niemand steht Schlange . Das Deutschlandstipendium ist nichts anderes als ein Ladenhüter . Das muss die Koalition doch endlich eingestehen . ({5}) Den Kolleginnen und Kollegen von der SPD ist das doch auch klar . Das hat Marianne Schieder gerade sehr deutlich zum Ausdruck gebracht . Alle Vorbehalte werden durch die Evaluation bestätigt, haben Sie gesagt . Das stimmt . Swen Schulz hat beim letzten Mal als Haushälter gesagt: „Dieses verfehlte Projekt ist und bleibt ein Rohrkrepierer und sollte endlich eingestellt werden .“ Glückwunsch und Applaus, wir sind einer Meinung . ({6}) Die Evaluation des Deutschlandstipendiums fällt äußerst durchwachsen aus . An einigen Hochschulen läuft es gut, an anderen so lala, und fast ein Drittel macht bei diesem Murks gar nicht erst mit . Diese ernüchternde Bilanz steht im Gegensatz zur Stellungnahme der Bundesregierung . Da wird wider besseres Wissen der Misserfolg schöngeredet . Das ist hochschulpolitische Beratungsresistenz im Endstadium . ({7}) - Ich sage ja, das ist jetzt die x-te Debatte, und die Argumente stimmen weiterhin . Das Deutschlandstipendium hat die soziale Ungleichheit beim Zugang zum Campus leider nicht abgemildert, sondern den Status quo zementiert . Es ist eine schlecht organisierte Lotterie mit schlechten Gewinnchancen für alle . Besonders schlecht sind die Stipendienchancen in strukturschwachen Regionen, an kleinen und privaten Hochschulen und für Leute, die Fächer studieren, die für die Wirtschaft wenig interessant erscheinen . ({8}) Deshalb: In der Gesamtschau ist diese Stipendienlotterie einfach ungerecht . ({9}) Die Bundesförderung für das Deutschlandstipendium war schon bei der Einführung überflüssig; denn das wollten die Wirtschaftsverbände jahrelang allein machen . Nehmen wir sie doch endlich beim Wort . Es bedarf keines extra Steuergeldes für das Deutschlandstipendium, sondern der Eigeninitiative der Wirtschaft . Das wäre ein Weg . Unsere Studienfinanzierungslandschaft braucht das Deutschlandstipendium jedenfalls nicht . Sie nehmen es als Angebotserweiterung, ich sehe darin eine Zersplitterung der Studienfinanzierung. Deutschland hat mit den Stipendien der Begabtenförderungswerke, mit den Aufstiegs- und Weiterbildungsstipendien ein hinlänglich differenziertes Stipendiensystem . ({10}) Das müssen wir gemeinsam weiterentwickeln, damit dies stärker zu mehr Bildungsgerechtigkeit beiträgt . ({11}) Eine Sache, die wir zügig angehen wollen, ist, mehr Stipendien für Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten bereitzustellen . Im Zusammenspiel mit einer weiteren Öffnung des BAföG würde das den Geflüchteten helfen, nach Unterdrückung und Flucht ins studentische Leben durchzustarten . Das wäre ein Fortschritt . ({12}) - Ja, aber sie kriegen das BAföG zu spät . Der Zugang muss früher erfolgen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, in die soziale Öffnung der Hochschulen zu investieren, ist super angelegtes Geld . Dass Union und SPD entschieden haben, das BAföG sechs Jahre lang nicht zu erhöhen, war eine falsche Entscheidung . So eine Hängepartie darf es nie wieder geben . ({13}) Das BAföG muss entlang steigender Lebenshaltungskosten und Preise erhöht werden, und zwar regelmäßig und automatisch . So etwas sollte man im Gesetz festschreiben . ({14}) - Sie müssen es schon ertragen, dass wir Ihr Regierungsprojekt nicht „geil“ finden. Dass das Pinkwart-Gedenkstipendium der FDP die Menschen, die studieren, und die Hochschulen nach wie vor nicht überzeugt, zeigt die Evaluation eindeutig . ({15}) Ich komme zum Schluss . Die Deutschlandstipendien in die Hände der Stifter - ohne Bundesmittel -, ein Stipendiensystem, das stärker auf Bildungsgerechtigkeit setzt, und vor allem ein BAföG, das zum Leben reicht: So schaffen wir mehr Chancengerechtigkeit für alle in unserem Land; denn wir wollen das Studieren gerechter finanzieren. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sybille Benning für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Sybille Benning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es braucht nicht viel, um sinnvoll Geld auszugeben . Beim Deutschlandstipendium sind es zum Beispiel ganze 150 Euro im Monat pro Stipendium, und der Staat legt noch einmal 150 Euro drauf . Mit diesen 300 Euro im Monat, die nicht zurückgezahlt werden müssen, bekommen überdurchschnittlich engagierte Studierende unter Berücksichtigung ihrer biografischen Daten - das wissen auch Sie und unabhängig von ihrem sozialen Status - hören Sie jetzt ruhig einmal zu! - Anerkennung für ihre Leistung und nicht zuletzt finanziellen Spielraum. ({0}) Das Deutschlandstipendium ist ein Novum für die Stipendienkultur in Deutschland . Erst fünf Jahre jung, ({1}) ist es nicht mehr wegzudenken . Die Hochschulen selbst Unis, Fachhochschulen, Kunsthochschulen, Musikhochschulen, öffentliche und private Hochschulen - entscheiden nach ihren eigenen Kriterien, wer wen fördert . Das gab es zuvor noch nicht . Dass das Stipendium wirkt, zeigt dieser Evaluationsbericht, über den wir heute sprechen . ({2}) - Ich glaube fast, Sie haben ihn wirklich nicht gelesen . ({3}) Jeder hat sich nur das herausgesucht, was ihm gerade passt . Wenn Sie aber das ganze Konzept hinter diesem Deutschlandstipendium verstanden hätten, dann hätten Sie hier nicht die Worte benutzt, die Sie eben gewählt haben . ({4}) Das Deutschlandstipendium wirkt: Es wirkt auf die Studierenden, die sich zusätzlich angesprochen fühlen und Kontakte zu ihren Förderern bekommen . Es wirkt an den Hochschulen . Gerade auch durch den Auswahlprozess bekommen sie einen neuen Blick auf die Studierenden, und in den Förderern entdecken sie neue Kooperationspartner . Es wirkt auf die Förderer, die Zugang zu ihren Stipendiaten und auch zu Hochschulen erhalten . So entstehen Netzwerke, die allen Beteiligten zugutekommen . ({5}) Meine Damen und Herren, „Global denken, lokal handeln“, das ist das Konzept, nachdem man zwar das große Ganze im Blick haben soll, aber bereits im eigenen Umfeld selber ansetzen kann . ({6}) Nach diesem Prinzip bilden sich in ganz Deutschland Wissensregionen . Hier arbeiten Schulen, Hochschulen, Unternehmen, Stiftungen, kommunale Einrichtungen und Forschungsinstitute an gemeinsamen Zielen . Auch in Zeiten modernster Kommunikationstechniken entstehen tragfähige Bindungen über persönliche Kontakte . Der hier gelebte Austausch und die damit verbundenen Innovationseffekte machen Wissensregionen zu einem zentralen Element . Dies dient sowohl der regionalen Entwicklung als auch der Bildung und Wissenschaft . ({7}) Insbesondere MINT-Regionen machen es uns vor . Wir alle kennen welche, und wenn nicht, dann säße man hier falsch . Viele MINT-Regionen gehen hier mit gutem Beispiel voran . Das Deutschlandstipendium unterstützt diese Art des Netzwerkens . ({8}) Es bringt die am Bildungsprozess Beteiligten und die daran Interessierten zusammen . Das ist ein ganz wichtiger Aspekt . ({9}) Vernetzungsaktivitäten - wie zum Beispiel das Feiern der Stipendienvergabe, Dialogveranstaltungen, fachübergreifende Projekte und Themenklassen an den Hochschulen, Werksbesichtigungen, Praktika, die Betreuung von Bachelor- und Masterarbeiten sowie Mentoring- und Patenschaftsprogramme der Förderer - werden zunehmend angeboten und durchgeführt . Viele Best-Practice-Beispiele machen da doch Lust auf mehr . ({10}) Liebe Zuhörer, die Fragen, die mich als Berichterstatterin immer wieder beschäftigen, werden jetzt in diesem Evaluationsbericht endlich wissenschaftlich beantwortet: Haben alle Willigen die Möglichkeit, ein Stipendium zu bekommen oder auch ein Stipendium zu vergeben? Gibt es regionale Differenzen? Wenn ja, welche? Dieser Evaluationsbericht zeigt: Deutschlandweit haben alle Hochschulen grundsätzlich die gleichen Chancen zur Gewinnung von Stipendiengebern . Allerdings haben diejenigen einen Vorteil, die bereits Erfahrungen mit öffentlich-privaten Partnerschaften und Fundraising haben . Ihnen gelingt es etwas leichter, privates Engagement für das Deutschlandstipendium zu wecken . Aber wen wundert das! Je länger man dabei ist, desto mehr Erfolg hat man . ({11}) Aber jeder kann sich für ein Deutschlandstipendium bewerben . Deswegen wird wirklich jedem eine Chance gegeben, sowohl den Hochschulen als auch den Stipendiengebern . ({12}) - Hören Sie doch einmal zu! Um nachhaltig wirken zu können, brauchen wir Vertrauen und Planbarkeit . Die CDU/CSU-BundestagsfrakSybille Benning tion steht dafür und achtet seit Beginn darauf, dass durch ausreichende Mittel im Haushalt die Finanzierungszusage des Bundes auch bei steigenden Stipendiatenzahlen gedeckt ist . Diese oppositionellen Nebelkerzen und diese ständigen Querfeuer konnten die wirklich positive und stetige Entwicklung nicht stoppen, nur - da hören Sie gut zu! - dass Sie damit vielen jungen Menschen die Möglichkeit eines Deutschlandstipendiums genommen haben, da das ständige Zweifeln und das ewige Schlechtreden dieses Stipendiums nicht wenige Förderer abgehalten haben . ({13}) Das kann ich Ihnen aus so manchem Gespräch heraus bestätigen . ({14}) Damit muss jetzt endlich Schluss sein . „Think positive“, wenn Sie das kennen . ({15}) Dieser Evaluationsbericht hilft, das weitere Gelingen des Deutschlandstipendiums zu organisieren . Meine Damen und Herren, ich wünsche mir für alle zukünftigen Stipendiaten und Netzwerker, dass jetzt noch mehr Unternehmen, Vereine, Organisationen und Privatpersonen überzeugt sind und Vertrauen in die Menschen und dieses Programm haben . 150 Euro im Monat für einen Studierenden mit allen Möglichkeiten - ich komme aus Westfalen -: Gesagt, getan! Ich habe es gemacht . Ich bin Stipendiengeber . ({16}) Sie auch? Machen Sie doch mal was! Danke schön . ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Swen Schulz hat für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Koalition hat insbesondere bei Bildung, Wissenschaft und Forschung wirklich viel hinbekommen . ({0}) Alphabetisierung, kulturelle Bildung, „Haus der kleinen Forscher“, Hochschulförderung, ({1}) Nachwuchswissenschaftler, Meister-BAföG: Das sind nur einige Stichworte, natürlich nicht zu vergessen die Verbesserung des BAföG als Kern der sozialen Bildungsfinanzierung für Schüler und Studierende. ({2}) Gemeinsam mit meiner Kollegin Hübinger habe ich hier und dort im Haushaltsausschuss behilflich sein können. ({3}) - Danke schön . Es gibt aber Themen, da kann ich - das muss ich gestehen - über den geschätzten Koalitionspartner von CDU und CSU nur den Kopf schütteln . ({4}) Ich wundere mich wirklich, mit welcher Verbissenheit Sie diesen Fehlschlag Deutschlandstipendium bejubeln . ({5}) Jedes Jahr sind die Zahlen niederschmetternd . ({6}) Jedes Jahr holen Sie sich aufs Neue eine schallende Ohrfeige ab . Anstatt einmal etwas zu ändern, stellen Sie sich immer wieder brav hin und erwarten die nächste Schelle im nächsten Jahr . Ich verstehe das nicht, Kolleginnen und Kollegen . ({7}) Es gibt gut 20 000 Stipendien . Aber es ist schon gesagt worden, was Schwarz-Gelb als Ziel ausgegeben hatte: 8 Prozent der Studierenden sollten das Deutschlandstipendium erhalten . Das wären über 200 000 Menschen . ({8}) Eine neue Stipendienkultur sollte Einzug halten . Es gab sogar Leute, die davon träumten, das BAföG abzuschaffen und durch das Deutschlandstipendium zu ersetzen . ({9}) Heute, Jahre danach, erreichen Sie weniger als 1 Prozent . ({10}) In den Koalitionsverhandlungen - die Kollegin Schieder hat es schon gesagt, und ich selber war dabei - haben wir Ihnen abgerungen, das Ziel von 8 Prozent auf 2 Prozent zu reduzieren . Weniger war mit Ihnen nicht machbar . Aber selbst von diesen 2 Prozent sind Sie meilenweit entfernt . ({11}) Regelmäßig wird das im Haushalt zur Verfügung gestellte Geld nicht abgerufen, obwohl wir die Mittel im Haushaltsausschuss zuletzt schon gekürzt haben . Der Titel „Deutschlandstipendium“ ist einer der fünf am schlechtesten laufenden Haushaltstitel . ({12}) Bald sind an die 100 Millionen Euro ungenutzt an den Bundesfinanzminister zurückgeflossen. Was hätten wir mit 100 Millionen Euro alles Gutes tun können, Kolleginnen und Kollegen? ({13}) - Ich habe noch mehr Zahlen . Vielleicht regen Sie sich dann noch weiter darüber auf . ({14}) Das Ministerium hat versucht, den Mittelabfluss zu steigern, indem es den Deckel für die Einwerbung von Stipendien gelüftet hat . Trotzdem ist der Anstieg bescheiden: von 24 Millionen Euro private Stipendienmittel im Jahr 2014 auf 25,1 Millionen Euro im letzten Jahr . ({15}) Das ist eine Steigerung von weniger als einem Zwanzigstel . Dem stehen fast 6 Millionen Euro Kosten für Akquise, Werbung und Verwaltung gegenüber . Dabei ist noch gar nicht eingerechnet, dass die privaten Stipendiengeber ihre Ausgaben steuerlich geltend machen können . Das kann wirklich nicht die schöne neue Stipendienkultur sein, meine sehr verehrten Damen und Herren . ({16}) Es würde mich nicht wundern, wenn die Förderquote aktuell sogar rückläufig ist. Um es zusammenzufassen: Das Deutschlandstipendium ist ein Ladenhüter, und noch dazu ein sehr teurer . ({17}) Das ist nicht exklusiv meine Einschätzung, sondern ich teile sie mit dem Bundesrechnungshof . Oder um aktuelle Presseberichte zu nehmen: Die taz schreibt: Das Deutschlandstipendium ist ungerecht . ({18}) - Herr Kollege, wenn Ihnen die Welt näher liegt: ({19}) Die Welt hält das Deutschlandstipendium für einen - Zitat - „Rohrkrepierer“ . ({20}) Ich betone: Wir achten die Stipendiengeber und natürlich die Stipendiaten sehr . Hier soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir deren Engagement und Leistung geringschätzen . Wir sind für Begabtenförderung, aber sie muss realistisch und an den Bedarfen orientiert sein . ({21}) Nicht die Stipendiaten und die Stipendiengeber sind das Problem . Vielmehr ist das politische Instrument des Deutschlandstipendiums falsch konstruiert . ({22}) Es ist erstens schade um das verlorene Geld, und zweitens wirkt das Deutschlandstipendium wie eine Bremse für die bewährten Begabtenförderwerke . ({23}) Diese hatten gute Steigerungsraten, bis Schwarz-Gelb das Deutschlandstipendium eingeführt hat . Seitdem stagniert die Begabtenförderung . Das ist eine Fehlsteuerung, die wir schleunigst korrigieren müssen, Kolleginnen und Kollegen . ({24}) Ich habe noch einen Hinweis, den ich bei allem Konflikt in dieser Sache, der auch durch die Reaktionen hier deutlich wird, mit einem Vorschlag zur Güte verbinde . Das Ministerium hat den Deutschen Bundestag über die Swen Schulz ({25}) Ergebnisse der Evaluation und der Begleitforschung unterrichtet . Aber die Untersuchungen selbst haben Sie uns nicht zugeleitet . Das wäre aber wichtig, damit wir uns ein eigenes Bild im Detail machen können . ({26}) Jetzt mein Vorschlag: Wenn wir uns die vollständigen Unterlagen sorgfältig ansehen konnten, sollten wir noch einmal darüber sprechen . Vielleicht kommen wir gewissermaßen auf der Zielgeraden dieser Wahlperiode noch zusammen und finden eine tragfähige Konstruktion für die Stipendien und die Begabtenförderung in der nächsten Dekade . Das wäre verdienstvoll . Herzlichen Dank . ({27})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes erhält jetzt die Kollegin Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion, das Wort ({0})

Cemile Giousouf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004279, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zugeben, ich habe schon lange nicht mehr so viele ideologisch verblendete Redebeiträge von den Kollegen der Opposition, aber auch leider vom Koalitionspartner gehört . ({0}) Zwei Punkte kann ich feststellen: Erstens hat man das Prinzip der Begabtenförderung nicht verstanden, und zweitens haben Sie sich nicht mit den Studierenden unterhalten . Das hat man ganz deutlich gemerkt . ({1}) Seit seiner Einführung 2011 hat sich das Deutschlandstipendium als wichtige Säule der Begabtenförderung etabliert . Im Jahr 2014 wurden 22 500 Studierende gefördert; ({2}) beteiligt sind rund 288 Hochschulen bzw . 90 Prozent aller staatlichen Hochschulen . ({3}) Das Deutschlandstipendium aktiviert Unternehmen, Stiftungen und Privatpersonen für ein finanzielles Engagement in der Bildung . Mehr als das: Es stärkt die Attraktivität der Hochschulen und trägt zur Ausbildung von Hochqualifizierten bei. ({4}) Richtig ist auch: Trotz der Erfolge - das geben wir ohne Weiteres zu - werden wir in dieser Legislaturperiode die sehr ambitioniert gesteckten Ziele voraussichtlich nicht erreichen . Laut Koalitionsvertrag sollten 2 Prozent der Studierenden bis Ende des Jahres 2017 gefördert werden . ({5}) 2014 betrug die Förderquote 0,84 Prozent der Studierenden . Die Tendenz geht aber deutlich nach oben . ({6}) Eine neue Stipendienkultur in Deutschland braucht eine gewisse Zeit . Diese müssen Sie uns auch zugestehen . ({7}) Jetzt aufgepasst, Herr Schulz! Sie haben behauptet, es gehe überhaupt nicht voran . Die Anzahl der Stipendiaten in Deutschland hat sich dank des Deutschlandstipendiums schon heute verdoppelt . ({8}) Im vergangenen Jahr 2015 haben über 7 000 Studierende allein in Nordrhein-Westfalen ein Deutschlandstipendium erhalten . Das entspricht einem Anstieg um 7,3 Prozent im Vergleich zu 2014, wie das Statistische Landesamt in Düsseldorf jüngst mitteilte . Ich möchte noch auf drei wesentliche Ergebnisse des Berichts in aller gebotenen Kürze eingehen . An allen Hochschulstandorten sind die Bedingungen gegeben, private Mittel ausreichend einzuwerben . Ein allgemeiner Einfluss von Regionalfaktoren auf die Förderquote ist nicht vorhanden, entgegen den Voraussagen der Kritiker . Wenn wir also sagen können, dass die 2 Prozent in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich nicht erreicht werden: Warum haben Sie dann nicht die Größe, zuzugeben, dass Sie mit all den anderen Prognosen, die Sie in den letzten Jahren aufgestellt haben, todsicher daneben lagen? ({9}) Das Deutschlandstipendium ist von allen Stipendienarten das mit der größten sozialen Streuung . ({10}) - Frau Kollegin, schauen Sie sich einfach einmal die Zahlen an; auch der Staatssekretär hat sie vorgetragen . Swen Schulz ({11}) Entgegen dem Gerede von einer reinen Eliteveranstaltung fragt der zugrundeliegende Leistungsbegriff nicht nur nach Noten . ({12}) Vielmehr berücksichtigen wir in den Lebensläufen auch soziale Brüche und Hindernisse, die die Bildungsbiografie der jungen Menschen beeinflusst haben. So erhalten Studierende mit Migrationshintergrund dem Bericht zufolge überdurchschnittlich oft ein Deutschlandstipendium . ({13}) Wir können Sie behaupten, dass junge Menschen, die aus sozial schwachen Milieus kommen, hier nicht unterstützt werden? Die Zahlen besagen das genaue Gegenteil . ({14}) 28 Prozent - mehr als jeder vierte Stipendiat - haben eine Einwanderungsgeschichte in der Familie . Im Vergleich zum Migrationsanteil an allen Studierenden schneidet das Deutschlandstipendium sogar um 5 Prozentpunkte besser ab . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das ist einen Applaus wert . Das ist gelebte Anerkennungskultur der unionsgeführten Regierung . ({15}) Das Deutschlandstipendium wirkt sich ganz eindeutig förderlich auf die Netzwerke zwischen Hochschulen, Förderern und Geförderten aus . Vor allem sind es mittelständische Unternehmen, welche die Chancen für sich entdeckt haben . Daneben gibt es Großunternehmen, Stiftungen und Einzelpersonen, die Stipendien finanzieren . Frau Gohlke, Sie haben eben behauptet, nicht einem Studierenden aus sozial schwierigen Verhältnissen sei geholfen worden . Ich möchte gerne als Abgeordnete des Ruhrgebiets ein Beispiel aus meiner Region nennen ({16}) und auf die Unterstützung durch einen Fußballverein aus der Ruhrregion eingehen . Bekanntlich ist morgen der letzte Bundesligaspieltag . Der FC Schalke 04 mag eine durchwachsene Saison gespielt haben . Aber die Unterstützung dieses Traditionsvereins für das Deutschlandstipendium ist aller Ehren wert . Die Stiftung „Schalke hilft!“ unterstützt neun Studierende mit einem Deutschlandstipendium . Der Verein weiß um die Auswirkungen des Strukturwandels, die in der Region noch immer zu spüren sind . Den Standort zu stärken und junge Menschen mit erschwertem Zugang zur Bildung zu unterstützen, liegt „Schalke hilft!“ deshalb besonders am Herzen . Wer also auf die Westfälische Hochschule geht, hat die Chance, durch den FC Schalke und das BMBF gefördert zu werden, Leistungen an der Universität und im Ehrenamt vorausgesetzt . Eine tolle Kooperation! Von den Blau-Weißen können die Roten und die Grünen definitiv noch lernen . Herzlichen Dank . ({17})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7890 an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen . Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden und freuen sich auf die Diskussionen im Ausschuss . Die Überweisung ist beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen jetzt angehen Drucksache 18/8079 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({0}) Finanzausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen . Ich bitte Sie, jetzt relativ zügig die Plätze einzunehmen und die Gespräche am Rande einzustellen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen .

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kollegen! Ich zitiere gleich zu Beginn: Spätestens Ende 2019 müssen die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu geordnet sein . Der Länderfinanzausgleich ist zu diesem Zeitpunkt neu zu regeln . … In dieser Legislaturperiode müssen dafür die Weichen gestellt werden . So steht es im Koalitionsvertrag dieser Legislaturperiode . ({0}) Das ist alles richtig . Des Weiteren wird dort gesagt, dass bis Mitte der Legislaturperiode Ergebnisse zu den nachfolgenden Themenbereichen vorliegen sollen: zum europäischen Fiskalvertrag, zur Schaffung von Voraussetzungen für die Konsolidierung und dauerhafte Einhaltung der neuen Schuldenregel in den Länderhaushalten, zu Einnahmen- und Aufgabenverteilung und Eigenverantwortung der föderalen Ebenen, zur Reform des Länderfinanzausgleichs, zu den Altschulden, Finanzierungsmodalitäten und Zinslasten und zur Zukunft des Solidaritätszuschlags . Sie merken an diesem ganzen Strauß von Punkten, dass das eine große Reform ist . Das sind wichtige Aufgaben . All diese müssen angegangen werden . Der Anlass ist ziemlich klar: 2019 laufen der Länderfinanzausgleich in dem jetzt definierten Sinne und ebenso der Solidarpakt Ost aus . Gemessen an dieser Aufgabenstellung - das ist sicherlich eines der ganz großen Reformvorhaben im Koalitionsvertrag - müssen wir zweieinhalb Jahre später - über die Hälfte der Legislaturperiode ist bereits verstrichen feststellen, dass Sie vollständig gescheitert sind . ({1}) Gemessen an der Bedeutung einer so großen Reform ist das für eine Große Koalition schon ein Armutszeugnis . Nun kann man fragen: Was sind die Gründe dafür? Sie haben sich bei dem Aufsetzen dieser Reform gescheut, eine transparente Beteiligung der wichtigen Akteure sicherzustellen . Da haben nicht Bund, Länder und Kommunen in einer Kommission zusammengesessen, es sind keine Parlamente befasst worden, sondern Sie haben diese Gespräche in die Hinterzimmer verschoben . Das war eine Entscheidung der Kanzlerin, des Bundesfinanzministers und des Vizekanzlers . Dieses Verfahren ist vor die Wand gerauscht . ({2}) Das hat auch einen Grund . Wenn man im Hinterzimmer verhandelt, das Thema intransparent hält, dann entfalten die Verabredungen auch keine Verbindlichkeit . Das ist ein Problem . Das läuft jetzt nicht unter der Rubrik „So ist die Politik; die kriegt es nicht hin“, sondern das wird Folgen haben . Nun kann man sagen: Frau Hajduk, es liegt doch jetzt seit Dezember eine Einigung der Länder vor . - Das ist richtig . Seit dem 3 . Dezember gibt es einen Beschluss der Ministerpräsidenten der Länder zur Zukunft dieser Reform . Dazu kann ich nur feststellen, dass diese Einigung der Länder in der Folge den Charakter unseres solidarischen Miteinanders, des Miteinanders von Bund, Ländern und Gemeinden, nachhaltig verändern würde; ({3}) denn die Länder schlagen vor, dass der Länderfinanzausgleich, der solidarische Ausgleich untereinander, komplett abgeschafft werden soll . ({4}) Er soll insgesamt durch eine höhere Bundesbeteiligung ersetzt werden . Ich sage ganz eindeutig: Dieser Vorschlag überzeugt mich nicht; ({5}) denn er unterhöhlt unseren Föderalismus . Da geht es nicht nur darum, ob der Bund oder die Länder mehr zahlen, sondern es geht auch darum, ob sich die Länder zutrauen, untereinander solidarisch zu sein . Das ist ein wichtiger Baustein eines solidarischen Föderalismus . ({6}) Herr Brinkhaus, wenn Sie jetzt sagen: „Wir teilen diese Kritik an dem Ländervorschlag“, dann muss ich Ihnen entgegnen: Es ist trotzdem notwendig, dass der Bundesfinanzminister jetzt die Kraft entfaltet, nicht nur eine eigene Kritik am Ländervorschlag vorzulegen - das hat er getan, durchaus auch in diesem Sinne -, sondern auch uns, diesem Parlament, endlich einmal Gesetzentwürfe vorzulegen, sodass wir der Lösung dieser Aufgabe einen Schritt näherkommen . ({7}) - Das ist keine Frage der Naivität; es ist eine Frage der Verantwortung . ({8}) Sie als Regierungsfraktionen tragen mit Verantwortung dafür, dass unser vornehmstes Recht, das Budgetrecht, auch durch uns beraten und geregelt wird . ({9}) Sie werden nicht leugnen, Herr Brinkhaus, dass die Zeit dafür immer knapper wird . Deswegen sage ich Ihnen: Wir müssen diese große Reform jetzt schrittweise angehen . Darüber wird es noch viele Gespräche mit den Ländern geben . Wir sollten dabei die Altschuldenproblematik nicht vergessen . Wir sollten die Steuerverwaltung effizienter machen. In Zeiten von Panama Papers ist das wichtig und richtig . ({10}) Außerdem sollten wir ziemlich alte Zöpfe wie Probleme der Finanzierung im Bildungsbereich abschneiden . ({11}) Ich sage Ihnen: Es ist besonders wichtig, die Spreizung zwischen armen und reicheren Kommunen anzugehen . Die positiven Ergebnisse der öffentlichen Haushalte täuschen doch darüber hinweg, dass es Regionen gibt, die nicht genügend Geld haben, ihre Infrastruktur zu finanzieren. Wenn jetzt einige Bundesländer - das gilt nicht für alle - beim Aufstellen der Finanzplanungen ein Problem haben, weil die Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2019 nicht geregelt sind - es ist unklar, ob diese Länder die Schuldenbremse am Ende dieses Jahrzehnts sicher einhalten können -, dann kommt darin ebendiese Verantwortung zum Ausdruck, diese große Reform jetzt erfolgreich anzugehen . Das ist kein Machtspiel zwischen Bund und Ländern, Herr Brinkhaus, sondern das ist ein Spiel mit dem Feuer . Es geht um das Vertrauen, dass die staatlichen Ebenen ihre Aufgaben wahrnehmen können . Es geht darum, dass die Bürgerinnen und Bürger die Sorge haben, unsere Finanzverfassung trage nicht mehr . Zum Schluss sage ich Ihnen Folgendes:

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Aber sehr kurz, Frau Hajduk .

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es wäre doch wirklich fatal, wenn ausgerechnet der Finanzminister, der in dieser Legislaturperiode die Schuldenbremse eingehalten hat, derjenige wäre, der die Akzeptanz für ebendiese Schuldenbremse untergraben würde, weil die Länder und Kommunen keine Aussicht haben, sie ab 2020 einzuhalten . Insofern legen Sie uns jetzt endlich diese Gesetzentwürfe zur Beratung vor . Schönen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Der Kollege Ralph Brinkhaus hat jetzt die Gelegenheit, darauf zu antworten . Er spricht für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Hajduk, ich hätte mir gewünscht, dass Sie in Ihrem Wortbeitrag ein bisschen mehr die Rolle der Bundesländer in diesem ganzen Spiel beleuchten . Ich glaube, wir sind uns hier im Deutschen Bundestag in vielen Punkten, übrigens parteiübergreifend, sehr einig, etwa was das Budgetrecht und die finanziellen Kapazitäten des Bundes angeht. Aber das Problem ist: Wir haben 16 Ministerpräsidenten . Wir können hier so viele Gesetzentwürfe einbringen, wie wir wollen . Aber das ist eine Geschichte, die wir nur gemeinsam zustande bringen, und darüber, wie das gelingen kann, gibt es unterschiedliche Auffassungen . Vielleicht noch einmal zur Erklärung: Was sind überhaupt Bund-Länder-Finanzbeziehungen? Dabei geht es um die Aufteilung der Steuergelder zwischen dem Bund auf der einen Seite und den Ländern und Kommunen auf der anderen Seite und um die Aufteilung der Steuereinnahmen, die den Ländern zufallen, zwischen den einzelnen Bundesländern . Das hört sich jetzt sehr einfach an . Aber das, was über die Jahrzehnte dabei herausgekommen ist, ist ein Konstrukt, das so intransparent und kompliziert ist, wie ich es in der Politik eigentlich noch nie gesehen habe . Wenn Sie sich dazu einmal eine Aufzeichnung mit Strichen und Kästchen machen würden, dann würde jedes Burda-Schnittmuster dagegen verblassen . ({0}) Das Ganze ist mit unglaublich vielen Ausnahmen und Rückausnahmen gesegnet . Dieses System ist nicht nur intransparent und kompliziert, sondern es ist auch absurd . Um Ihnen dafür ein Beispiel zu nennen: Irgendjemand ist einmal auf die Idee gekommen, dass es Bundesländer gibt, die eigentlich kein Geld haben, sich ein eigenes Parlament oder eine Landesvertretung hier in Berlin zu leisten, weil sie zu klein sind . Diese Länder haben besonders hohe Kosten der politischen Führung im Vergleich zu ihrer Einwohnerzahl . Es ist gesagt worden: Da muss der Bund eingreifen . - Das könnte man ja bei Bundesländern wie Bremen verstehen - ob wir es gutheißen, ist eine andere Frage . Fakt ist: Momentan bekommen 10 von 16 Bundesländern diese Zuweisung, weil sie besonders hohe Kosten der politischen Führung haben . Diese Zuweisung geschieht nach einem System, das vorsieht, dass Rheinland-Pfalz mehr Geld bekommt als das etwa gleich große Sachsen . Hamburg, das noch viel kleiner ist, bekommt überhaupt nichts . Das heißt, dieses System ist hinreichend absurd und gehört dringend reformiert, und zwar nicht nur punktuell und minimal-invasiv, sondern grundlegend: Es muss sozusagen auf einen Stock gesetzt und neu aufgebaut werden . Ich befürchte nur, dass wir mit unserer föderalen Verfassung dazu nicht mehr in der Lage sind und deswegen mit der ganzen Sache anders umgehen müssen . Man könnte jetzt den ganzen Nachmittag darüber sprechen, aber ich fasse es einmal kurz zusammen, indem ich mit vier Irrtümern aufräumen, auf einen Vorschlag eingehen, zwei Fragen stellen möchte und dann zum Schluss kommen werde . Ich fange einmal mit den vier Irrtümern an . Erster Irrtum . Es wird ja immer so getan, als würden die Steuerzuwächse, die wir haben - die liegen im zweistelligen Milliardenbereich pro Jahr -, ausschließlich beim Bund liegen . Wenn man den einen oder anderen Landesfinanzminister hört, denkt man immer, der Herr Schäuble hat Steuerzuwächse, und die Länder haben nichts . Weit gefehlt . Von den Steuerzuwächsen, die wir haben, entfallen pro Euro ungefähr 60 Cent auf Länder und Kommunen und 40 Cent auf den Bund . Zweiter Irrtum . Es wird immer so getan, als seien Länder und Kommunen arm und der Bund reich . Fakt ist: Die Verschuldung beträgt ungefähr 1,3 Billionen Euro beim Bund und 0,8 Billionen Euro bei den Ländern und Kommunen . Bei der Pro-Kopf-Verschuldung sind nur Bundesländer wie Bremen und das Saarland noch schlechter als der Bund . Es ist auch eine Wahrheit, dass wir da mit mehreren Hundert Milliarden Euro auseinanderliegen . Dritter Irrtum . Es wird ja immer so getan, als täte der Bund nichts für die Kommunen . Das ist in unserem Grundgesetz eigentlich auch so vorgesehen . ({1}) Danach darf der Bund auch gar nichts für die Kommunen tun, weil die Kommunen Bestandteil der Länder sind und die Länder dafür zuständig sind, dass die Kommunen genug Geld haben . Nichtsdestotrotz tut der Bund für die Kommunen etwas . Wir haben die Kosten für die Grundsicherung im Alter übernommen - das ist ein satter zweistelliger Milliardenbetrag allein in dieser LegislaturAnja Hajduk periode -, wir sind stärker in die Übernahme der Kosten der Unterkunft eingestiegen - das sind auch ungefähr 5 Milliarden Euro -, wir sind in den ganzen Kitabereich eingestiegen - das sind ebenfalls über 5 Milliarden Euro . Wenn Sie die Fortführung der Gemeindeverkehrsfinanzierung, die Entflechtungsmittel für den Städtebau und die diversen Investitionspakete nehmen, dann sind wir bei weit über 15 Milliarden Euro . Dann müssen wir noch sehen, dass wir bei den Regionalisierungsmitteln - wir haben gestern die Debatte geführt - wohl auch noch kein Ende gefunden haben und dass da auch schon wieder Wünsche vorgetragen werden - der öffentliche Personennahverkehr betrifft auch die Kommunen -, obwohl wir auch hier in dieser Legislaturperiode schon mehr als 1 Milliarde Euro draufgelegt haben . Das heißt, wir haben ein richtig sattes Paket für Länder und Kommunen geschnürt, wobei die Bildungsausgaben - BAföG und solche Sachen - noch nicht einmal darin enthalten sind . Dazu nur zwei Bemerkungen: Erstens . Jedes Mal, wenn wir etwas machen, heißt es, wir brauchen noch mehr . Und zweitens . Danke hat auch noch niemand gesagt . Das heißt, wir geben von unseren eigenen Mitteln, von diesen 40 Cent von jedem Steuer-Euro - 60 Cent gehen woandershin -, noch eine Menge ab, um es den Ländern und Kommunen zu ermöglichen, ihren Aufgaben nachzukommen . Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu dem vierten Irrtum, der Bund tue nichts im Bereich der Sonderaufgabe Migration . Wenn man sich einmal anschaut, was im Bundeshaushalt an verschiedenen Stellen - von der Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunftsländern bis zur Finanzierung von Migration in diesem Land aufgewandt wird, dann sind wir auch bei 16 Milliarden Euro in diesem Jahr . Das Ganze steigt bei moderat steigenden Migrationszahlen auf 20 Milliarden Euro an . Darin sind solche Sachen enthalten wie die, dass wir für jede Asylbewerberin und jeden Asylbewerber trennscharf 670 Euro pro Kopf und Monat geben . Ich hoffe, das wird auch an die Kommunen weitergereicht . Das geht noch weiter: Wenn die Asylbewerberin bzw . der Asylbewerber aus dem Asylverfahren heraus ist, bekommt sie bzw . er Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern, die weitestgehend vom Bund finanziert werden vielleicht bis auf die Kosten der Unterkunft . Wir haben im Haushaltsausschuss auch Pakete für die Bereiche unbegleitete Jugendliche, Städtebau und Kita geschnürt . Nicht zuletzt gibt der Bund auch sehr viel für Sprachförderung und entsprechende Dinge aus . Es ist nicht kleinzureden, was da seitens der Kommunen gemacht wird, weil es großartig ist, mit welcher Opferbereitschaft diese Herausforderungen im Bereich der Migration angenommen worden sind und wie die entsprechenden Maßnahmen auch bezahlt worden sind und bezahlt werden . Aber es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass der Bund nicht dabei ist . Das waren die vier Irrtümer . Jetzt kommt der eine Vorschlag: Der Vorschlag der Länder vom Dezember des letzten Jahres, auf den Sie ja auch Bezug genommen haben, ist erstens nicht sonderlich hilfreich, weil er die Grundprobleme und Fehlanreize in diesem System nicht beseitigt . ({2}) Und dieses Burda-Schnittmuster wird auch nicht wesentlich unkomplizierter . Das ist das erste Manko . Das zweite Manko ist, dass dieser Vorschlag der Länder nur funktioniert, wenn der Bund zusätzlich zu dem, was ich Ihnen eben noch einmal erläutert habe, über 9,5 Milliarden Euro auf den Tisch legt . Dabei glaube ich sogar, dass der Betrag mittlerweile noch ein bisschen höher ist . Das ist ein tolles Demokratieverständnis, wenn sich 16 Ministerpräsidenten zusammensetzen und sagen: „Wir haben eine Lösung für unser Problem, kostet zwar irgendwie 9,5 Milliarden Euro, aber das zahlen wir nicht selbst, sondern das kann dann der Bund bezahlen“, und sich dann darüber beschweren, dass hier im Deutschen Bundestag gesagt wird: Na ja, ist schwierig, wenn solch ein Vertrag zulasten Dritter abgeschlossen wird, bei dem wir nicht mitreden können . ({3}) - Ich habe nicht mehr viel vorzutragen . Ich ziehe das durch . Sie können gleich eine Kurzintervention machen . - In der Budgetverantwortung müssen wir als Bundestag dagegenhalten . Im Übrigen wissen wir auch eines, meine Damen und Herren: Wenn dieser Vorschlag hier im Deutschen Bundestag eins zu eins abgesegnet worden wäre: Die Tinte des Bundespräsidenten darunter wäre noch nicht trocken gewesen, es wären weitere Forderungen gekommen zu den Kosten der Unterkunft, zu Investitionen, zur Integration und - das haben Sie auch gesagt - zur Bildung . Es würde nämlich gesagt werden: Jetzt heben wir das Kooperationsverbot im Bereich Bildung auf, damit der Bund auch die Schulen bezahlen kann . - Bei den Universitäten haben wir ja schon etwas gemacht; da ist der Sündenfall bereits erfolgt . - Das zu dem Vorschlag . Jetzt kommen die zwei Fragen, die ich mir stelle . Die erste Frage lautet - Sie haben sie auch schon angesprochen -: Wie sieht es denn eigentlich mit dem föderalen Selbstverständnis in diesem Land aus? Wie sieht es mit dem Anspruch auf Eigenstaatlichkeit aus, wenn erstens bei allen zusätzlichen Problemen immer der Bund gerufen wird und die eigene finanzielle Verantwortung nicht wahrgenommen wird und wenn zweitens der brüderliche Finanzausgleich zwischen den Bundesländern komplett aufgehoben wird und es zu einem väterlichen Finanzausgleich kommt, in dem nur noch der Bund dafür zuständig ist? - Das ist das erste Problem . Das zweite Problem, das mich beschäftigt, ist eines, das ich als Haushälter habe . Wenn ich mir anschaue, welche Lasten wir uns momentan für den Bundeshaushalt aufbürden - innere Sicherheit, äußere Sicherheit, Migration, Euro-Rettung, viel Geld für Kommunen und Länder, was ich gerade schon erzählt habe - und was wir jetzt noch zusätzlich draufsetzen - aufgrund der demografischen Entwicklung werden wir im nächsten Jahrzehnt erhebliche Belastungen in den Sozialversicherungssystemen haben, teilweise selbst verursacht durch die Beschlüsse zur Mütterrente und zur Rente mit 63 und solche Dinge -, dann frage ich mich wirklich: Welcher Gestaltungsspielraum ist denn für die Haushälter, die in zehn Jahren in diesem Saal hier sitzen, noch vorhanden? Können sie überhaupt noch irgendetwas Eigenes machen, oder sind sie so gefesselt - auch durch wieder ansteigende Zinsen für unsere Schulden und durch alles andere, was ich Ihnen eben erzählt habe -, dass sie im Prinzip nur noch als Notar hier sitzen und abnicken können? Sie werden sagen müssen: Eigene Projekte - wir hatten gerade eine Debatte über Bildung - können wir gar nicht auf den Weg bringen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Brinkhaus, ich muss Sie unterbrechen . Gestatten Sie dazu eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk?

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe jetzt noch 43 Sekunden .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Die haben Sie auch weiterhin . Sie haben jetzt die Chance, die Redezeit zu verlängern .

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut, dann machen wir jetzt noch eine Zwischenfrage .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Hajduk .

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Zeit wird angehalten .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Ja natürlich, immer . Wir wollen auf den Rest Ihrer Rede nicht verzichten .

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus . - Wir sind uns einig: Das ist eine komplexe Thematik . Wir sind uns einig: Sie ist auch extrem umstritten . - Ich habe Ihnen sehr wohl zugehört, aber ich habe in Ihrer Rede nicht gehört, ob Sie es nicht richtig finden, dass wir demnächst trotzdem diese Reform anpacken und zu einer Lösung kommen müssen . Wenn Sie mir nur immer erklären, warum das alles nicht geklappt hat und warum das nicht geht, dann landen wir am Ende in der Problematik, dass wir für Bund, Länder und Kommunen - die Finanzierungssituation ist teilweise sehr unterschiedlich - keine verlässliche Perspektive haben . Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen wollen: „Wir kriegen das nicht hin, und dann legen wir die Hände in den Schoß“? Das kann es doch nicht sein! Zweitens würde ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen - die Mehrbelastung des Bundes, die die Länder sich wünschen, ist natürlich keine Selbstverständlichkeit -, dass die Reaktion des Bundesfinanzministeriums auf den Ländervorschlag mittlerweile doch fast eine Annäherung bedeutet, nämlich den fiskalischen Rahmen, wenn auch nicht in den Strukturen, den Ländern zuzugestehen? Das kann also nicht das Hauptproblem sein .

Ralph Brinkhaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004021, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu dem zweiten Teil: Ich bin Mitglied des Parlaments und nicht Vertreter des Bundesfinanzministeriums. Zu dem ersten Teil: Ich hatte am Anfang der Rede pädagogisch sehr wertvoll erläutert: vier Irrtümer, ein Vorschlag, zwei Fragen und eine Schlussfolgerung . Warten Sie einfach die Schlussfolgerung ab; dann kommt auch der Vorschlag zu der ganzen Sache . ({0}) Bei dieser Schlussfolgerung bin ich mittlerweile; die Zeit läuft ja auch ab . Um das einmal zusammenzufassen: Die Erwartungshaltung der Länder in diesem ganzen Prozess lässt sich wie folgt beschreiben: Der Bund zahlt für alles, es wird spitz abgerechnet, und es darf nichts kontrolliert werden . - Das ist eine Sache, die so nicht funktioniert . Dementsprechend brauchen wir ein faires Miteinander, in dem wir die Sache neu aufsetzen und auch einmal ganz rigoros gucken: ({1}) Wer hat denn welche Aufgaben zu erfüllen? Wie ist die Finanzausstattung für diese Aufgaben? Das funktioniert nicht, indem ich irgendwo invasiv eingreife und beispielsweise Folgendes mache: Weil einem Bundesland in diesem Ländervorschlag irgendwo noch 30 Millionen Euro fehlen, denke ich mir eine Bundesergänzungszuweisung dafür aus, dass es da keine Bundesforschungseinrichtung gibt . ({2}) Das funktioniert nicht . ({3}) Wir haben unsere Vorschläge vorgelegt . Meine verbliebene Redezeit ist jetzt bei minus sieben Sekunden, ({4}) aber wir können gerne eine zweite Debatte eröffnen, damit ich Ihnen das entsprechend erläutern kann . Ihr Vorschlag ist mir allerdings aus Ihren Ausführungen auch nicht deutlich geworden . Es gibt keinen großen grünen Knopf, auf den ich drücken kann, um das Problem einfach zu lösen . Eines kann ich Ihnen aber sagen - Sie haben ja beklagt, dass die Transparenz fehlt -: Sie glauben doch wohl nicht, dass eine gemeinsame parlamentarische Arbeitsgruppe aus Grünen, Linken und Koalitionsfraktionen dazu führt, dass die Ministerpräsidenten hinterher sagen: Ja, das ist es; das machen wir jetzt . - Insofern ist die ganze Sache etwas komplizierter . Danke schön . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Dr . Axel Troost, Fraktion Die Linke, das Wort . ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Brinkhaus hat sozusagen alles in einen Topf geworfen und alle Zahlungen, die es vom Bund für die Länder oder für die Kommunen gibt, mit einbezogen . ({0}) Wir reden im engeren Sinne über den Länderfinanzausgleich . Das ist sozusagen nur ein kleines Teilstückchen davon . Ich beschäftige mich mit dieser Frage seit 33 Jahren . Im Gegensatz zu allen anderen haben wir als Linke 2013 eine Kommission eingesetzt, haben einen sehr konkreten Vorschlag gemacht, ein 61-seitiges Konzept erarbeitet, haben eine Kurzfassung davon erstellt, die man hier auch einsehen kann . Darin sagen wir nicht: „Der Bund soll alles bezahlen“, sondern wir machen ganz konkrete Vorschläge . Diese sollte man sich erst einmal anschauen, bevor man uns in irgendeiner Form diffamiert . ({1}) - Ja, ja . Worum geht es aber? Es ist völlig richtig: Man hätte wirklich eine Föderalismuskommission III gebraucht . Ich war Mitglied der Föderalismuskommission II und weiß, dass da viel und auch grundsätzlich diskutiert wurde . Aber man ist eben auch zu einem Ergebnis gekommen, ({2}) und zwar unter Beteiligung der Kommunen und der Parlamente . Das, was nun aktuell passiert ist, war wirklich Kindergarten . Man hat erst einmal die Länder untereinander verhandeln lassen . Die waren sich natürlich nicht einig . Aber dann ist man im Dezember zu einer Einigung gekommen . Diese Einigung enthält für meine Begriffe da würde ich Frau Hajduk überhaupt nicht zustimmen ja durchaus viele sehr vernünftige Elemente: ({3}) Auch wir wollen, dass die kommunalen Steuereinnahmen auf die Finanzsituation der Länder angerechnet werden, wenn auch zu 100 statt zu 75 Prozent . Nach wie vor bleibt es bei einem Ausgleich zwischen den Ländern . Das war ja auch nicht so klar . ({4}) Es gibt jetzt ein Konzept für Bremen und das Saarland, damit diese Länder nicht insolvent gehen . Es gibt die Idee, die ich für richtig halte, gemeinsame Staatsanleihen von Bund und Ländern aufzulegen . Ich halte auch den gefundenen Kompromiss auf der Basis des nordrhein-westfälischen Vorschlages, den Länderfinanzausgleich mit der Frage des Umsatzsteuervorwegausgleiches zu verbinden, nicht für falsch . Das ist ja in sich ein Finanzausgleich, weil die Ergebnisse praktisch die gleichen sind . ({5}) - Doch, man kann das ja in der Tabelle vergleichen . Insofern finde ich den Vorschlag gar nicht so verkehrt. Es mag einzelne Punkte geben - darüber habe ich ja auch mit Herrn Meister schon diskutiert -, die nicht ganz schlüssig sind; aber das sind kleinere Punkte im Vergleich zum Ganzen . Wir kritisieren nach wie vor, dass dieses Konzept strukturblind ist . In unserem Konzept haben wir immer wieder gefordert: Länder mit besonders hoher Arbeitslosigkeit und Armut müssten eigentlich mehr Geld bekommen, weil die Höhe der Leistungen, die von ihnen zu zahlen sind, bundeseinheitlich geregelt ist und sie aufgrund dieser Ausgaben natürlich entsprechende finanzielle Belastungen haben und ihnen das Geld für andere Ausgaben fehlt . Aber wie schon gesagt: Ich glaube, dass das vorgelegte Konzept der Länder im Prinzip gar nicht so schlecht war . Der Bund hat es aber drei Monate liegen lassen und ist dann mit einem Vorschlag angetreten, mit dem er das muss man ganz eindeutig sagen - das Ganze fundamental abgeblockt hat . Es geht ja nicht um die 9 Milliarden Euro, die der Ländervorschlag nennt, sondern es geht um 1,4 Milliarden Euro mehr, als der Bund sowieso angeboten hatte . Die Differenz ist gar nicht so groß, ({6}) und möglicherweise hätte man über diese Differenz sogar noch diskutieren können . ({7}) Aber im Vorschlag des Bundes kommt völlig systemfremd auf einmal vor: Wenn ihr eine Einigung haben wollt, müssen wir eine Bundesfernstraßen-AG machen . ({8}) Die Länder sollten sozusagen von der Hoheit, die sie im Augenblick im Straßenbau haben, im Auftrage des Bundes ihre Kompetenzen abgeben . ({9}) Das hat mit Länderfinanzausgleich überhaupt nichts zu tun . ({10}) Nächster Vorschlag: Länder, die strukturschwach und steuerschwach sind, sollen die Möglichkeit erhalten, Sozialleistungszahlungen im Bereich Behinderte und Kinder einzusparen, also von bundeseinheitlicher Gesetzgebung abweichen zu dürfen . Das ist aus unserer Sicht ein Skandal, ({11}) der zu einem Senkungswettlauf im Bereich der Sozialleistungen führen kann . Deswegen sind wir der Ansicht - im Augenblick sieht es so aus -, dass der Bund entweder kein Interesse an einer vernünftigen Einigung hat oder aber hofft, in einer Riesenerpressungsaktion bei den berühmten Kaminrunden der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten - ohne Finanzminister und Verkehrsminister - den großen Coup zu machen . ({12}) Das kann aber nicht zu einem Ergebnis führen, das dann für 20 oder mindestens für 10, 15 Jahre Bestand hat . Insofern kann ich Sie nur auffordern: Entweder macht man den Prozess noch einmal transparent, oder man muss ganz anders aufeinander zugehen . Ich freue mich, dass wir gestern in der Obleuterunde besprochen haben, dass wir uns das Thema im Finanzausschuss noch einmal vornehmen und dann intensiver diskutieren können . Aber es ist fünf vor zwölf bei einem ganz wichtigen Thema . Danke schön . ({13})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Carsten Schneider das Wort . ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Herr Troost gerade sagte, dass er sich seit 33 Jahren intensiv mit der Lektüre des Länderfinanzausgleichs auseinandersetzt, ({0}) habe ich gedacht: Literarisch ist das Ganze nicht so unterhaltsam . Wenn man sich den Bund-Länder-Finanzausgleich, den solidarischen Ausgleich zwischen den Ländern, anschaut, den wir laut Grundgesetz haben, und auch die Regelung, die wir jetzt seit 2005 bis 2019 mit dem Solidarpakt II haben, dann stellt man fest: Das hat sich in Deutschland bewährt . Das solidarische Ausgleichssystem zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern hat sich bewährt . Es hat diesem Land gutgetan . ({1}) Es ist eine Grundvoraussetzung, dass es einen Ausgleich zwischen finanzschwächeren und finanzstärkeren Ländern gibt . Wir haben Länder, deren Finanzschwäche zum großen Teil durch die Geschichte bedingt ist; hier denke ich an die ostdeutschen Länder . Nirgendwo in Ostdeutschland sind große Konzernzentralen . Dementsprechend sind die Körperschaftsteuereinnahmen nicht in dem Maße vorhanden . Der Ausgleich ist notwendig, damit die Gemeinden, beispielsweise bei mir in Thüringen, aber auch die Länder die sozialen Dienstleistungen erbringen können - wie auch in Teilen Bayerns, Hessens oder Baden-Württembergs -; in den finanzschwachen Ländern gibt es niedrigere Standards in der Besoldung von Polizisten und Lehrern und auch bei anderen Angeboten . Das wird in etwa so bleiben; denn es geht hier nicht um eine Nivellierung . Im Kern brauchen wir als verbindendes Element in Deutschland einen funktionierenden Finanzausgleich zwischen Starken und Schwachen im Grundgesetz und in der Realität . Liebe Kolleginnen und Kollegen, von daher ist es aus meiner Sicht ganz klar, dass das Verfahren, auf das sich die Ministerpräsidenten geeinigt haben, total transparent ist . Sie haben das alles zitiert . Die Regelungen sind vorhanden . Nicht im Hinterzimmer, sondern in der Öffentlichkeit wird das ausgetragen, wie heute hier im Bundestag . Auch wir als SPD-Fraktion haben uns oft genug dazu geäußert . Uns passt diese Einigung aus verschiedenen Gründen nicht . ({2}) Ich will darauf zu sprechen kommen . Die Gründe sind sehr im Konsens mit dem, was Herr Kollege Brinkhaus und auch Sie, Frau Kollegin Hajduk, gesagt haben . Wenn wir den Ausgleich zwischen der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder haben wollen, dann ist es zwingend, dass sich das auch in der wirtschaftlichen Dynamik abbildet . Das erkennt man schon, wenn man einen Blick auf die Forschungseinrichtungen wirft . Wo Forschung ist, ist auch wirtschaftliche Entwicklung . Schauen wir uns die Landkarte an: In Baden-Württemberg und in Bayern gibt es viele Forschungseinrichtungen und damit auch finanzstarke Unternehmen . Manche gibt es auch in Hessen und in Hamburg . Wir haben schwächere Regionen und welche, die im Durchschnitt liegen . Zu den Schwächeren gehören die ostdeutschen Länder, aber auch einige westdeutsche Flächenländer . Diese brauchen besondere Unterstützung . Der Vorschlag, den die Länder gemacht haben, sieht eine Einigung zulasten Dritter vor . Der Dritte ist hier der Bund . Deswegen sind wir als Gesetzgeber gefordert, uns dazu zu verhalten - das tun wir heute in dieser Debatte; das haben wir auch vorher schon getan - und einen eigeDr. Axel Troost nen Vorschlag zu unterbreiten . Den will ich Ihnen auch nennen; denn wir sind hier nicht im luftleeren Raum . Die Entsolidarisierung geht mit dem Vorschlag der Länder einher . Herr Troost, hier sind wir unterschiedlicher Auffassung . Es hat mich sehr gewundert, dass Sie jetzt gesagt haben, Sie fänden die Einigung der Ministerpräsidenten gut . Es ist das Gegenteil eines solidarischen Ausgleichs, ({3}) weil die finanzstarken Länder überproportional von den Steuermehreinnahmen und der Finanzkraft profitieren würden . Es würde dort mehr Geld verbleiben, und die Unterschiede zwischen den Ländern würden größer werden . ({4}) Damit der Ausgleich dann aber trotzdem noch irgendwie stattfinden könnte, müsste der Bund das Ganze bezahlen. Dann stößt der Bund aber irgendwann an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit . Kollege Brinkhaus hat vorhin darauf hingewiesen, wie viel Unterstützung wir in dieser Legislaturperiode schon geleistet haben, insbesondere für Länder und Kommunen . Das hat es in keiner Legislaturperiode zuvor in diesem Ausmaß gegeben . Man stellt sich schon die Frage, wo wir hier eigentlich noch Bundespolitik machen . Wir brauchen die Handlungsfähigkeit des Bundes, damit er für die finanzschwachen Länder da sein kann. Deswegen braucht es auch einen solidarischen Ausgleich . An dieser ganz entscheidenden Stelle, bei der Entsolidarisierung der Länder und dem Mehrbehalt bei den finanzstarken Ländern - letztendlich wird die Klage von Bayern und Hessen ja geführt, weil sie meinen, dass ihr Eigenbehalt bei Steuermehreinnahmen zu gering ist -, geht diese Einigung fehl . Sie geht zulasten des Bundes, weil in einem ersten Schritt, ab 2020, gut 10 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund verlangt werden, ohne dass die Frage der Gegenfinanzierung thematisiert wird. Dieser Betrag soll dynamisch aufwachsen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Schneider, wenn Sie jetzt irgendwann einmal einen Punkt machen würden, dann könnte ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Troost gestatten .

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Herr Kollege Troost . ({0}) - Er darf trotzdem fragen, wenn er noch Wissensdrang hat . ({1})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist weniger Wissensdrang, sondern eher Aufklärungsdrang . - Zunächst ist es so, dass Ihre sozialdemokratische Finanzministerin aus Erfurt mit diesem Vorschlag schon sehr zufrieden war - so, wie auch die Vertreter aus meinem Land Brandenburg sehr zufrieden waren . Insofern kann er nicht ganz so schlecht und ungerecht gewesen sein . ({0}) - Ja, doch, sonst hätten sie sich natürlich nicht damit einverstanden erklärt . Das ist doch logisch . ({1}) Für meine Begriffe unterliegen Sie hier einem Irrtum . Man hat sich auf den Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen zum Umsatzsteuervorabausgleich eingelassen . Wenn man dann aber den normalen Bund-Länder-Finanzausgleich draufsetzte, hieße das natürlich, dass die Leistungen von Bayern und Baden-Württemberg 1,5 bis 2 Milliarden Euro höher ausgewiesen würden . Ich habe meinen Leuten im Osten gesagt: Das ist unverantwortlich . Denn egal, was man da 2019 über eine Excel-Tabelle ausrechnen würde - ab 2020 oder 2022 wüsste keiner mehr davon . Dann wird gesagt: Das kann doch nicht sein, dass so viel Geld aus unseren Haushalten in den Osten fließt. - Deswegen hat man das in einer Stufe miteinander verrechnet . Wenn Sie sich die Unterschiede gegenüber dem anschauen, was es vorher in der Geschichte des Bund-Länder-Finanzausgleichs schon einmal gab, und betrachten, inwiefern es Zuwächse in den einzelnen Bundesländern gibt, dann stellen Sie fest, dass es im Ergebnis praktisch mit dem anderen Verfahren identisch ist . Das heißt, der zusätzliche Betrag, die 1,4 Milliarden Euro, kommt nicht durch den Ausgleichsmechanismus zustande, sondern resultiert aus anderen Forderungen . Darüber kann man möglicherweise reden .

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Troost, ich bin mir nicht sicher, was die Frage war . ({0}) - Nein, das nehme ich nicht zur Kenntnis, sondern dem widerspreche ich . Erstens . Was die Einigung der Länder und die Einschätzung einzelner Vertreter der Länder betrifft - in den Ländern sind ja alle Farben dabei, auch Grüne und die Linkspartei, und sie haben diesem Vorschlag im Endeffekt zugestimmt -, halte ich für die SPD-Bundestagsfraktion fest, dass wir in der Einigung keine Fortentwicklung Carsten Schneider ({1}) und Stabilisierung des solidarischen Ausgleichssystems erkennen, sondern eine Entsolidarisierung zulasten des Bundes . ({2}) Ich will es gerne noch einmal sagen: Der entscheidende Punkt ist nicht die Festsumme von knapp 10 Milliarden Euro - 8,5 oder 9,6 Milliarden Euro -, sondern die Dynamik des Ausgleichs . Wir haben bisher einen mehr oder weniger progressiv ansteigenden Ausgleichstarif . Dadurch, dass die Umsatzsteuerfestbeträge - bisher waren sie fest - dynamisiert würden, wäre der Länderanteil zulasten des Bundes größer . Der Eigenbehalt der Länder, insbesondere der finanzstarken, würde durch die Linearisierung des Ausgleichstarifs - zwischen „linear“ und „progressiv“ gibt es einen großen Unterschied - festgeschrieben, und vor dem Hintergrund der Belastung - ich glaube, sie haben sich auf 63 oder 67 Prozent geeinigt gibt es ein geringeres Ausgleichsvolumen . Dementsprechend ist es eine Entsolidarisierung gegenüber dem bestehenden, jetzigen System . Jetzt komme ich zu Frau Hajduk . Die letzten 39 Sekunden nutze ich, um zu sagen: Wir haben auf Grundlage des Grundgesetzes und der Verfassungsrechtsprechung ein ausgeurteiltes System, das sich bewährt hat . Es ist nur befristet, bis 2019 . Es spricht aber, wenn man keinen besseren Vorschlag hat, nichts dagegen, den bestehenden Finanzausgleich zu entfristen und ihn mit der bisherigen Systematik weiterzuführen, kombiniert mit einer Initiative des Bundes, um den besonderen Finanzbedarf in den extrem finanzschwachen Ländern - Saarland, Bremen, ein Teil der ostdeutschen Länder - zu decken . Das wird notwendig sein, dazu sind wir auch bereit . Dass der Bund gar nichts zusätzlich gibt, das wird nicht gehen . Aber dass wir quasi 10 Milliarden Euro auf den Tisch legen und dynamisch wachsende Ausgaben übernehmen, um die Ungleichheit zwischen den Ländern auszugleichen, das wird nicht gehen . Das wäre das Ende der Bundespolitik . Dann sind wir nur noch Notare im Bundestag und haben keinen eigenen Gestaltungsspielraum mehr . Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort . ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen wollen mit ihrem Antrag eine intensivere parlamentarische Debatte über eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen anstoßen . Dem stimme ich absolut zu . Ich weiß, dass laut unserer Verfassung auch die Mitglieder des Bundesrates an den parlamentarischen Debatten teilnehmen können, aber ich stelle hier nur eine konzentrierte Einigkeit in der Abwesenheit fest . ({0}) In der Tat würde ich eine frühere Einbindung des Bundestages sehr begrüßen; da sind wir uns, glaube ich, alle einig . Allerdings möchte ich nicht erleben, dass wir wieder nur an Kommissionen verwiesen werden - eine besonders hohe, elitäre Form des Zeitvertreibs -, deren Arbeit ohne Ergebnisse bleibt und wir keine Vorschläge haben, die im parlamentarischen Verfahren umgesetzt werden könnten . Die Grünen müssen allerdings schon aufklären, welche Rolle sie dem Föderalismus in dieser Frage beimessen wollen . Sie wollen auf der einen Seite, wie wir alle, dafür sorgen, dass der Bund nicht zu sehr in Anspruch genommen wird, aber gleichzeitig wollen sie an anderer Stelle das Kooperationsverbot aufheben; Kollege Brinkhaus hat das Notwendige dazu gesagt . Sie wollen auch an anderer Stelle mehr Zentralisierung . Das wollen wir aber nicht . Man kann nicht auf der einen Seite für den Föderalismus sein, aber auf der anderen Seite, nur weil es gerade passt, dagegen sein . ({1}) - Ja, darauf komme ich noch zurück . Worin ich Ihnen zustimme - das ist keine Frage -: Wir alle müssen darauf Wert legen, dass die Länderhaushalte konsolidiert werden, damit die Länder in der Lage sind, die Schuldenbremse einzuhalten . Aber hier liegt die Verantwortung in erster Linie bei den Ländern selbst . ({2}) Konsolidierung bedeutet, dass auch in den Ländern und Kommunen eine sehr verantwortungsbewusste Haushaltspolitik betrieben wird . Man darf sich nicht nur auf den Bund verlassen . Die Verantwortung liegt in besonderer Weise bei den jeweiligen Landesregierungen . Wir wissen, dass wir solidarisch sein müssen, dass wir unterstützen müssen, beispielsweise die Länder, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können wie Bremen und das Saarland . Auch hier gibt es vernünftige Vorschläge, wie geholfen werden kann, aber die Hilfe muss befristet und konditioniert sein und die Einhaltung der Konditionen eng überwacht werden . Es geht darum, dass die Länder in Zukunft ein höheres Maß an Eigenverantwortung wahrnehmen müssen . Wir schlagen vor, hier den Spielraum zu erweitern . Bundesminister Schäuble hat in diesem Zusammenhang einen sehr guten Vorschlag gemacht: Bei sozialen Leistungen soll beispielsweise eine Öffnungsklausel gelten, die es den Ländern ermöglicht, von den Vorgaben des Bundes in gewisser Weise abzuweichen . Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Länder die Möglichkeiten wahrnehmen, eigene Finanzkraftverstärkungen zu erzielen, beispielsweise durch eine Verbesserung bei den wirtschaftlichen Aktivitäten . Es gibt auch Carsten Schneider ({3}) die Diskussion über Zuschläge bei bestimmten Steuern usw .; das will ich jetzt aber nicht vertiefen . Jedenfalls müssen wir erreichen, dass die richtigen Anreize gesetzt werden . Damit bin ich beim nächsten Thema - es ist auch schon angesprochen worden -: Das derzeitige Finanzausgleichssystem bietet keine Anreize, weder für die Geberländer noch für die Nehmerländer . Die Geberländer werden von dem Schicksal ereilt, dass sie fast jeden Euro, der zusätzlich in die Kasse kommt, in den Länderfinanzausgleich geben müssen; die Nehmerländer sind in der Weise negativ betroffen, dass Eigenanstrengungen sozusagen nicht belohnt werden, weil dann weniger Finanzausgleichsleistungen in ihre Kassen fließen. Hier müssen wir das Gleichgewicht, die Balance wiederherstellen . Es kann nicht sein, dass bald ein einziges Bundesland allein - ich trage heute eine weißblaue Krawatte, weil ich aus Bayern komme -, ({4}) mehr als die Hälfte des Länderfinanzausgleichs leistet. Bayern wird in diesem Jahr vermutlich 5,45 Milliarden Euro leisten . Wir müssen die Dinge wieder ins Gleichgewicht, ins Lot bringen . Leistung muss sich wieder lohnen, und zwar für beide Seiten, für die Geberländer, aber auch für die Nehmerländer . Das heißt, es müssen die richtigen Anreize geschaffen werden . Das heißt auf der anderen Seite aber nicht, dass wir nicht solidarisch sein wollen . Es bleibt dann immer noch genug übrig, was die Geberländer für die Nehmerländer leisten müssen . Aber wir müssen die notwendigen Veränderungen vornehmen . Manches muss wieder auf die Füße gestellt werden . Wir wollen, dass die föderalen Strukturen nicht beschädigt werden . Dafür brauchen wir die Länder; auch sie müssen ihren Beitrag leisten . Wir wollen aber auch nicht, dass der Föderalismus von der Bundesseite her in Gefahr gerät . Vorhin ist das Stichwort „Steuerverwaltung“ genannt worden . Das Stichwort „Bundesauftragsverwaltung“ ist auch schon in die Diskussion eingeführt worden . Ich habe nicht den Eindruck, dass zentrale Verwaltungen - ich nenne als Beispiele das Eisenbahn-Bundesamt und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung - in der Summe leistungsfähiger sind als föderal strukturierte Verwaltungen . Ich lege sehr viel Wert darauf, dass wir das so sehen . Wir brauchen mehr und nicht weniger Eigenverantwortung im Bereich des Bund-Länder-Finanzausgleichs . Wir brauchen mehr Anreize für eigene Leistungen . Wir wollen den Föderalismus nicht durch die Hintertür abschaffen . Wir sollten aber auch darauf achten - wir sind an der jetzigen Situation ja nicht ganz unschuldig; Kollege Brinkhaus hat das angesprochen -, dass wir nicht immer wieder neue Mischfinanzierungen und ähnliche Dinge einführen . Wir müssen darauf achten, dass in Zukunft jede Ebene wieder stärker ihrer eigenen Verantwortung gerecht wird, auch ihrer Finanzverantwortung, und man nicht, wenn es bequemer ist, nach dem Bund zu rufen, nach dem Bund ruft . Unser Ziel muss ein transparentes, ein solidarisches, ein faires und ein anreizorientiertes System sein, das ein gesundes finanzielles Fundament für einen funktionierenden Föderalismus in unserem Land darstellt . Herzlichen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion . ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich, warum wir gerade jetzt diese Debatte führen . ({0}) Die Grünen haben diese Debatte angemeldet . Das liegt, glaube ich, daran, dass Mitte Juni Gespräche stattfinden werden, bei denen es zu einer Einigung kommen wird oder auch nicht . Deswegen ist der Zeitpunkt für diese Debatte relativ geschickt gewählt . Wenn man sich die Reden hier angehört hat, hat man, glaube ich, festgestellt, dass sich die Opposition mit keinem eigenen Vorschlag vorgewagt hat . Man hat hier und da etwas abgewogen, man hat erst das eine ein bisschen kritisiert und dann das andere; aber man hat nicht genau gesagt, was der Bund genau tun soll . Das ist für die Opposition natürlich auch schwierig, weil die Grünen und die Linke in einigen Ländern inzwischen mitregieren und die Interessen überall unterschiedlich sind . Genauso ist das natürlich bei dem einen oder anderen Kollegen . Der Kollege Barthl Kalb, den ich sehr schätze, kann ja schon, wenn er redet, seine Herkunft nicht verleugnen . ({1}) Er hat natürlich auch die bayerischen Interessen gleich mit eingebracht und sie ganz elegant in dieses System eingefädelt . Neben ihm sitzt Kollege Rehberg aus Mecklenburg-Vorpommern . Auch er hat das bemerkt und geschmunzelt . ({2}) So merkt man, dass wir hier zwar alle Bundespolitiker sind, aber natürlich alle eine Heimat haben und landespolitische Interessen eine Rolle spielen . Deswegen ist es auch nicht ganz einfach, hier unvoreingenommen über die Interessen des Bundes zu reden; denn wir alle haben natürlich durchaus auch regionale Interessen . Interessant - diese kleine Anmerkung sei mir gestattet - war das Plädoyer des Kollegen Barthl Kalb gegen eine Bundesautobahngesellschaft . Daraufhin hat sich Bundesverkehrsminister Dobrindt, der aus dem gleichen Bundesland kommt, in die hinteren Reihen der Union verzogen, damit man den Konflikt nicht gleich sieht. Denn der eine, der Bundesminister, möchte die Gründung einer Bundesautobahngesellschaft, und der andere - auch er kommt aus Bayern - stellt sich als Haushälter hin und sagt: Gibt es nicht! - Man merkt, dass das alles streng auf der Sachebene behandelt wird . ({3}) Man merkt, dass hier jeder seine eigene Herkunft, aber auch seine eigene Fachlichkeit nicht verleugnen kann . Die Differenzen, die man hier im Deutschen Bundestag bemerkt, hat man natürlich auch zwischen den Ländern und dem Bund . Das muss man eingestehen, wenn man ehrlich ist . Natürlich ist es so, dass sich die Länder, wenn sie sich einigen, in der Regel nicht zu ihren Lasten einigen . Das habe ich in den letzten Jahren im Deutschen Bundestag noch nicht erlebt; das hat nie stattgefunden . Der Bund hingegen ist auch nicht als der große Samariter bekannt, der nur gibt und schenkt . ({4}) - Kollege Brinkhaus, ich glaube Ihnen vieles, aber so wirken Sie nicht . - In der Vergangenheit hat der Bund seine Interessen am Ende auch relativ hart durchgesetzt . Oder wollen Sie mir sagen, dass Bundesfinanzminister Schäuble ein elendiges Weichei ist und nicht in der Lage ist, Interessen zu verteidigen, von den Länderministern über den Löffel balbiert wird und als Finanzminister eine Fehlbesetzung ist? Kollege Brinkhaus, das würde ich Ihnen nicht abnehmen . ({5}) Sie würden es auch nicht sagen . Aber das wäre natürlich die Konsequenz, wenn wir dem Bund vorwerfen würden, dass er hier ständig wider seine eigenen Interessen handelt . Nachdem wir nun festgestellt haben, dass es Interessen der Länder gibt - Kollege Dobrindt unterhält sich gerade darüber - und dass es Interessen des Bundes gibt, muss man sie natürlich alle irgendwann vereinen . Dass sich hier heute niemand mit tapferen Vorschlägen, wie das aussehen soll, vorgewagt hat, liegt einfach daran, dass wir alle noch nicht genau wissen, wie diese Einigung aussieht . Wir kritisieren natürlich, dass Bund und Länder ohne das Parlament verhandeln . ({6}) Da sind wir uns alle einig; denn wir sind ja das Parlament . Im Ergebnis werden wir aber auch hier darüber abstimmen müssen . Ich glaube, das Wesentliche ist, dass hier alles mit allem zusammenhängt . Das ist eine alte Haushälterwahrheit . Die Frage, wie das mit dem Soli weitergeht, ist gar nicht zu beantworten, ohne die Frage zu beantworten, wie die Bund-Länder-Finanzbeziehungen laufen . Die Frage, ob es einmal eine Finanztransaktionsteuer geben wird, hat durchaus auch etwas damit zu tun, wie die finanzielle Lage des Bundes aussieht . Die Frage, wie wir die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen finanzieren, hat - man kann es kaum glauben - auch etwas mit den Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu tun . Wenn wir uns anschauen, was noch alles damit zu tun hat - ich möchte jetzt gar nicht über das Thema Verkehr reden; das wurde in den letzten Tagen häufig genug gemacht -, dann sollten wir einfach feststellen: Wir haben unterschiedliche Interessen . Wir werden die Interessen des Bundes mit vertreten . Aber natürlich wird es Kompromisse geben . Wir alle glauben nicht, dass die Länder auf ihre Interessen verzichten. Ich halte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble für einen unerschrockenen Kämpfer im Interesse der Sache des Bundes . Im Gegensatz zu Herrn Brinkhaus halte ich ihn nicht für ein Weichei . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes angekommen . Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die Vorlage auf Drucksache 18/8079 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Herbert Behrens, Dr . Anton Hofreiter, Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Stephan Kühn ({0}) und weiterer Abgeordneter Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksache 18/8273 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Bekanntwerden des Abgasskandals am 22 . September letzten Jahres durch die Veröffentlichung der EPA sind sieben Monate vergangen . Inzwischen liegt uns ein Untersuchungsbericht aus dem Kraftfahrt-Bundesamt vor . Er hat mit einer Legende aufgeräumt, die vorher in diesem Saal, in den Ausschüssen und auch in der ÖffentJohannes Kahrs lichkeit immer wieder verbreitet worden ist, nämlich mit der Legende, dass der Abgasskandal ein Problem von VW ist und von ein paar wild gewordenen kriminellen Ingenieuren ausgelöst worden ist . Der Untersuchungsbericht, den Herr Dobrindt vorgelegt hat, so defizitär, wie er ist - dazu komme ich gleich noch -, sagt aber eines klar und deutlich: Es handelt sich um ein flächendeckendes Problem der Automobilindustrie . Ich sage auch ganz deutlich: nicht nur der deutschen, sondern der gesamten Automobilindustrie . Wir haben nun gelernt, warum die Autos auf dem Papier immer sauberer werden und die Grenzwerte angeblich einhalten, tatsächlich aber in den Städten die Stickoxidwerte immer weiter steigen, jedenfalls nicht sinken, Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren konfrontiert ist, Klagen und Gerichtsurteile drohen und - man kann es nicht oft genug sagen - jedes Jahr 10 000 Menschen durch Verkehrsemissionen sterben . Das sind doppelt so viele wie Unfalltote . Es sollte jede Anstrengung der Politik wert sein, auch nur einen dieser Toten zu vermeiden . ({0}) Meine Damen und Herren, ich habe - da kann ich für meine Fraktion und, ich glaube, auch für die Fraktion der Linken sprechen - nach den letzten sieben Monaten meine Zweifel, dass diese Bundesregierung hier wirklich alle Anstrengungen unternimmt . Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen . ({1}) Wir beantragen heute die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, unter anderem deshalb, weil wir wissen möchten, warum uns Wissenschaftler, Journalisten und Studien seit Jahren immer wieder auf dieses Problem hinweisen, die Öffentlichkeit davon weiß, in Zeitschriften darüber berichtet wird, aber das zuständige Verkehrsministerium und die nachgeordneten Behörden überhaupt nicht reagiert haben . ({2}) Meine Damen und Herren, wie kann es sein, dass staatliche Institutionen die massenhaften Hinweise auf das Manipulieren, Frisieren, Betrügen und Schummeln ignorieren? Dafür gibt es bis heute keine Erklärung . Das muss aufgeklärt werden . ({3}) Es muss auch aufgeklärt werden - das sage ich hier ganz bewusst -, ob diese staatlichen Stellen am Ende nicht sogar mitgeholfen haben, ob sie Mittäter waren, ob es hier eine Kumpanei gab, ({4}) ob Institutionen der Autoindustrie geholfen haben, ob ganz gezielt Maßnahmen ergriffen wurden, wie zum Beispiel die Nichtumsetzung von EU-Vorschriften, um Sanktionen zu vermeiden . Das muss, wie gesagt, aufgeklärt werden . ({5}) Es muss vor allen Dingen aufgeklärt werden: Was sind eigentlich die Konsequenzen aus diesem Abgasskandal? Wir wissen jetzt - nach Monaten des Drucks, nach Monaten öffentlicher Debatten -: Was vorher immer abgestritten worden ist, ist ein massenhaftes Phänomen . Aber was die Konsequenz aus diesem Abgasskandal ist, dazu hören wir gar nichts . Auf deutschen Straßen fahren Millionen Autos . Wir hören: 630 000 werden zurückgerufen, und VW ändert irgendetwas an der Software . Aber ob die Emissionen zurückgehen und ob auch die Fahrzeuge, die jeden Tag neu verkauft werden, den Anforderungen entsprechen, das wissen wir nicht . Dazu hört man nichts, dazu war nichts zu lesen . Dazu gab es von dieser Bundesregierung nichts, und, meine Damen und Herren, das muss aufgeklärt werden . ({6}) Wie nötig das Ganze ist, zeigen die Veröffentlichungen des gestrigen Tages . Wir haben gehört: Es gibt massive Vorwürfe gegen Opel, gegen das Modell Zafira. Diese Vorwürfe sind keineswegs neu . Sie werden von der Deutschen Umwelthilfe, von Journalisten, von Wissenschaftlern, von Ingenieuren, die nachgemessen haben, immer wieder vorgetragen . Doch die Reaktion der Bundesregierung auf diese Enthüllungen ist gleich null . Ich habe gestern gehört, man werde das prüfen . Ja, meine Damen und Herren, das ist ja genauso, als wenn die Feuerwehr zum brennenden Haus kommt, bei dem die Flammen aus dem Dach schlagen, und sagt: Wir werden erst einmal die Nachbarn fragen, ob es wirklich brennt . Es ist klar: Hier läuft etwas falsch . Ich erwarte von dieser Bundesregierung, dass gehandelt wird, und weil nicht gehandelt wird, müssen wir uns damit auseinandersetzen, was die Konsequenzen sind . ({7}) Zum Schluss muss eines klar sein: Wir haben es hier mit einem organisierten Staatsversagen zu tun; denn diese Abgasmanipulationen und dieses Frisieren, Schummeln und Betrügen waren nur möglich, weil der Staat nicht hingeguckt hat, weil er weggeguckt hat, weil er möglicherweise sogar mitgeholfen hat . Wir müssen klären, wie es dazu kommen konnte, dass bis heute die Enthüllungen nicht durch das Kraftfahrt-Bundesamt, nicht durch das Verkehrsministerium erfolgen, sondern von der amerikanischen Umweltbehörde, von Journalisten, von Wissenschaftlern, von Ingenieuren kommen . Das sind wir der deutschen Automobilindustrie, das sind wir den Menschen in unserem Land schuldig .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sie müssen jetzt zum Schluss kommen .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine Automobilindustrie, die die saubersten Autos der Welt produzieren soll, muss auch ordentlich kontrolliert werden . Dass es anders nicht geht, haben die letzten sieben Monate mit diesem Vertrauensverlust gezeigt . Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Als Nächstes spricht der Kollege Ulrich Lange, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Krischer, mal ganz ruhig, ganz sachte und in aller Sachlichkeit: Wir diskutieren gerade über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses . Da sollte man nicht am Beginn des Verfahrens mit irgendwelchen Unterstellungen oder Vorverurteilungen arbeiten ({0}) oder über organisiertes Staatsversagen reden, sondern man sollte genau das, worum es Ihnen ja angeblich geht, ernst nehmen und ruhig, sachlich und lückenlos aufklären . Ich glaube, wenn wir uns darauf verständigen können, dann würden auch Sie der Sache einen Dienst erweisen; denn das, was Sie jetzt gerade wieder geboten haben, war leider ein Beispiel der Unsachlichkeit . ({1}) Ich glaube auch, dass wir uns alle einig sind, dass bewusste Manipulationen an Fahrzeugen und an Abgaswerten zu verurteilen sind, dass wir uns alle einig sind, dass wir lückenlos aufklären wollen und müssen und dass wir schon vieles aufgeklärt haben und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssen . Das ist ein ganz normales rechtsstaatliches Verhalten, und, lieber Kollege Krischer, dafür zeichnen sich dieser Staat und dieses Parlament im Zweifel immer noch aus . ({2}) Und genau mit dieser Aufklärung hat unser Bundesminister Alexander Dobrindt begonnen, als die ersten Vorwürfe gegen VW kamen . Er hat zur sachlichen, lückenlosen und gründlichen Aufklärung eine Untersuchungskommission eingesetzt . Wenn man sich den Bericht und die Anzahl der überprüften Fahrzeuge, Fahrzeugtypen usw . anschaut, dann sieht man, dass diese Untersuchungskommission die Sache nicht nur ein bisschen oberflächlich abgehandelt hat, lieber Kollege, wie Sie behauptet haben, sondern in einer gewissen Tiefe unter die Lupe genommen hat . Es hat ja auch schon erste Konsequenzen gegeben . Nachdem wir auch ansonsten immer der Meinung sind, dass solche Dinge sachlich und gründlich gemacht werden müssen, ist Ihr Vorwurf, dass das ein paar Tage oder Wochen gedauert hat, so wohl nicht aufrechtzuerhalten. Als Stichworte nenne ich nur: verpflichtende Rückrufe, Überprüfungen durch das KBA, Thermofenster, technische und juristische Beurteilung . ({3}) - Lieber Kollege Hofreiter, genau diese Aufregung nützt jetzt doch nichts . Bleiben Sie am Ende einer solchen Debatte vor Pfingsten doch einfach einmal ruhig! Lassen Sie den Geist schon ein bisschen auf sich wirken! Dann werden wir das in aller Ruhe hinbekommen . ({4}) Wir setzen weiter auf diese Maßnahmen und auf das, was wir schon begonnen haben . ({5}) - Das ist eben eine Unterstellung, lieber Kollege Hofreiter . ({6}) - Noch einmal: Wenn man etwas aufklären will, dann beginnt man nicht mit Unterstellungen, sondern dann wird man das mit aller Akribie auch tun . ({7}) Sie sollten den heutigen Tag und die heutige Debatte, in der es lediglich um die Überweisung eines Antrags zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses geht, nicht wieder zum Klamauk verkommen lassen . Das wäre schade und der Sache einfach nicht angemessen . ({8}) Es muss natürlich geklärt werden, was verboten ist und mit welchen Abschalteinrichtungen man zulässigerweise gearbeitet hat . Ich weise auch noch einmal darauf hin, dass das KBA bereits angewiesen ist, sogenannte Dopingtests durchzuführen . ({9}) - Wir werden darüber sprechen . Wir haben dann alle Zeit, das im Detail zu klären, wenn Sie damit nicht einverstanden sind . - Ferner ist zu nennen: Aufbau staatlicher Prüfstände beim KBA . ({10}) Daneben haben wir natürlich die Frage, was europarechtlich getan worden ist und noch zu tun ist, und es geht selbstverständlich auch um die Aussagekraft von Emissionstests . ({11}) Alle, die wir hier sitzen, wissen ja - vorausgesetzt, wir entfernen uns jetzt vom Schaufenster -, über welche Tatbestände wir uns im Detail unterhalten wollen und werden . Durch den Untersuchungsausschuss, dessen Einsetzung ich aufgrund der guten Arbeit der Untersuchungskommission nicht zwingend nachvollziehen kann, besteht die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen, das die Automobilindustrie - nicht wir, lieber Kollege Krischer verloren hat . ({12}) Wir konstruieren Autos nicht . Wie jeder andere Bürger auch kaufen wir die Autos und verlassen wir uns darauf, dass diese Autos bester Qualität sind . ({13}) Wir werden diesen Untersuchungsausschuss nutzen, um dieses Vertrauen „aufzuklären“ und wieder zu stärken . ({14}) Die erste Herkulesarbeit wurde mit dem Bericht bereits erledigt . Schauen Sie sich noch einmal - ich habe es schon gesagt - die Vielzahl der untersuchten Fahrzeuge an . Wir als Parlament müssen uns aber auch über eines im Klaren sein, wenn wir nach Konsequenzen und nach Rechenschaft rufen: Es ist nicht Sache des Parlaments und eines Untersuchungsausschusses, die Verantwortlichen letztlich strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen . ({15}) - Ich sage das hier ja nur, und zwar ganz direkt, weil die eine oder andere Sache nicht von ungefähr kommt . Wenn Sie in die Presse schauen, dann sehen Sie, dass manchmal einiges vermengt wird . Da müssen wir schon ganz klar sagen: Wir haben volles Vertrauen in unseren Rechtsstaat, in die Arbeit der Staatsanwaltschaft und der Verfolgungsbehörden . Auch diese sind dann gefordert . All diese Dinge können wir, wenn der Untersuchungsausschuss eingesetzt werden sollte, neben den vielleicht auch aufkommenden Fragen zur Rolle der Landesregierung in Niedersachsen, lieber Kollege Krischer, diskutieren . Ich denke, wir sollten diesen Ausschuss - ihn zu fordern, ist das gute Recht der Opposition - nutzen, um sachlich aufzuklären . Ich kann Sie im Hinblick auf Ihre Rede von vorhin nur bitten - ich sage es ganz offen: ich fordere Sie nicht auf, sondern ich bitte Sie, Herr Kollege Krischer -: Missbrauchen Sie demokratische Rechte nicht zum Klamauk! Machen wir unsere sachliche Arbeit! Danke schön . ({16})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt der Kollege Herbert Behrens, Fraktion Die Linke . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es mit zweierlei Abschalteinrichtungen zu tun: zum einen mit der speziellen Hardware und Software, wie sie bei Automobilfirmen eingesetzt worden sind, um den Ausstoß von Schadstoffen zu manipulieren . Das hat dazu geführt, dass Millionen Fahrzeuge viel mehr Stickoxide ausgestoßen haben als erlaubt . Stickoxide haben - das wissen wir - schwere gesundheitliche Schäden zur Folge . Insofern ist das keine Kleinigkeit . Darum müssen wir gründlich und rückhaltlos aufklären, und zwar hier und jetzt . ({0}) Zum anderen geht es um eine Abschalteinrichtung ganz anderer Art, nämlich die offensichtliche Abschaltung im Hause des Ministers Dobrindt . Was passierte, wenn man Fragen nach dem Abgasskandal stellte? Das Ministerium schaltete ab, produzierte erst einmal Vernebelungsschwaden und ließ nichts weiter von sich hören . Erst dann, als nicht nur VW, sondern auch andere Automobilhersteller in den Fokus gerieten und sich herausstellte, dass auch sie betrogen und falsche Abgaswerte angegeben haben, wurde das Ministerium ein bisschen aktiver . Es setzte eine Untersuchungskommission ein, die dann allerdings zwei Monate lang die Emissionen bei den Fahrzeugen nachmessen ließ, aber fünf Monate brauchte, um diese Messungen auszuwerten . Das ist eine ganz offenkundige Schieflage, die nicht dazu geführt hat, beispielsweise die jüngsten Skandale, die in den letzten Tagen bekannt geworden sind, zu vermeiden . Das ist echtes Versagen des zuständigen Ministeriums . Das ist nicht zu tolerieren . ({1}) Schließlich geht es um die Gesundheit der Menschen hier im Land . Es geht um Hunderttausende Arbeitsplätze in der Automobilindustrie, die von den Konzernspitzen durch jahrelange Manipulationen aufs Spiel gesetzt worden sind . Hier ist Vertrauen zerstört worden, das eben nicht mit Geheimniskrämerei zurückgewonnen werden kann . Darum müssen wir tätig werden . Ich will im Bild des Abgasskandals bleiben . Mit der Informationspolitik des Ministeriums wurden Grenzwerte weit überschritten, und zwar die Grenzwerte des politisch Erträglichen . Die Opposition hat gar keine andere Wahl, als das schärfste Schwert zu ziehen und einen Untersuchungsausschuss zu beantragen . Wir akzeptieren den Umgang mit dem Abgasskandal so in keiner Weise . Nicht nur, dass im Hause Dobrindt das Fragerecht des Parlaments beschnitten wurde - das kennt man schon ein bisschen länger -: Das Ministerium hat es auch nie für nötig gehalten, auf Umweltverbände und Verkehrsklubs rechtzeitig zuzugehen . Diese haben schon vor vielen Jahren und Monaten festgestellt: Es gibt überhöhte Abgaswerte . Das Ministerium soll sich darum kümmern . - Die Deutsche Umwelthilfe und der ADAC haben Daten aus eigenen Messungen vorgelegt . Null Interesse beim Ministerium! Dort zieht man es vor, die Automobilindustrie, das heißt die Verursacher dieses Skandals, zu hofieren, ihnen Geschenke in Form einer E-Auto-Prämie zu machen und eine zahnlose Untersuchungskommission einzusetzen . Jetzt geht es darum, dass wir die Betrügereien nicht zulassen; sie müssen jetzt beendet werden . Sie müssen schonungslos aufgeklärt werden, und darum brauchen wir diesen Untersuchungsausschuss . ({2}) Wenn wir über den Abgasskandal reden und einen Untersuchungsausschuss fordern, dann geht es nicht nur um die Skandale in der Vergangenheit . Sie haben es alle mitbekommen: Gestern und heute haben der WDR, der Spiegel und die Deutsche Umwelthilfe Untersuchungsergebnisse zu weiteren Fahrzeugen vorgelegt . Sie haben festgestellt: Die Abgaswerte stimmen nicht . Es ist offenbar auch bei zwei Dieselfahrzeugen von Opel eine Motorsoftware eingesetzt worden, die genau das bewirkt, was bei VW-Fahrzeugen passiert ist . ({3}) Der Opel Zafira war von der Untersuchungskommission des Verkehrsministeriums in Gruppe II eingestuft worden . Man hat erhöhte Werte festgestellt . Aber Gruppe II besagt nicht, dass man schadstoffbeeinflussende Software festgestellt hat . Vielmehr geht es hier nur um überhöhte Werte . Man hat aber gesagt: Es hat keine Abschalteinrichtung festgestellt werden können . - Doch gerade das haben heute der Spiegel, der WDR und die DUH belegt: Gleich mehrere Abschalteinrichtungen wurden dort identifiziert. Bei den gefundenen Einrichtungen geht es nicht nur um das häufig von Herrn Dobrindt erwähnte Thermofenster, das es übrigens nicht gibt - das ist ein Kunstbegriff aus der Automobilindustrie -, sondern darum, dass bei bestimmten Drehzahlen und bei entsprechendem Luftdruck die Abgasbehandlung einfach abgeschaltet wird . Es stellt sich also die Frage: Hat das Verkehrsministerium wirklich alles darangesetzt, Abschalteinrichtungen zu erkennen? Warum wurden keine Schritte unternommen, den Betrug zulasten der Verbraucher, des Klimas und der Umwelt zu beenden? Auch den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen muss zumindest jetzt klar werden: Es bedarf eines Untersuchungsausschusses, der schonungslos alles auf den Tisch packt, was wir bislang nicht erkennen konnten . Darum muss dieser Untersuchungsausschuss heute beschlossen werden . ({4}) Wir haben es gemeinsam in der Hand, dass sich in Zukunft Autokäuferinnen und -käufer darauf verlassen können, dass die Hersteller ihnen die richtigen Angaben zu Verbrauch und Abgaswerten vorlegen, wenn sie sich ein Auto kaufen . Der Untersuchungsausschuss muss klarmachen: In Zukunft haben Abgasbetrüger keine Chance mehr, sich zulasten der Gesundheit und des Klimas zu bereichern . Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Kirsten Lühmann . ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Anwesende! „Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache .“ Wir Freunde der Figur Sherlock Holmes kennen dieses Zitat natürlich . Die offenkundige Tatsache, über die wir heute reden, ist, um einen Titel des Stern zu zitieren, der „große Sprit-Schwindel“ . Aber das wussten wir seit Jahren . Die Mediathek weist dazu auf Artikel von 2003 bis 2014 hin . Klar war aber auch immer - ich zitiere -: „Ob der ermittelte Verbrauchswert vom Kunden in der Fahrpraxis erzielt werden kann, scheint eher zweitrangig .“ Zitatende . Dank des Untersuchungsberichtes des Ministers Dobrindt und seines Hauses liegt auch das Trügerische dieser offenkundigen Tatsache auf dem Tisch . Neben dem Einsatz von Betrugsoftware nutzen viele Fahrzeugherstellenden Regelungslücken in der EU-Richtlinie aus, die Thermofenster, wie wir sie genannt haben . Denn zu der Frage, was dem Motor schadet oder was noch akzeptabler Verschleiß ist, gehen die Meinungen stark auseinander, und die Richtlinie regelt das nicht . Sie regelt auch nicht, was man tun kann, wenn man der Meinung ist, das schadet dem Motor . Kann man bei TemperaHerbert Behrens turen, bei Drehzahlen oder Geschwindigkeiten abschalten? Das ist nicht geregelt . ({0}) Es ist unsere Art, mit trügerischen Tatsachen umzugehen, indem wir schnell und umfassend ermitteln, was tatsächlich passiert ist, differenziert bewerten und dann entsprechende Änderungen auf den Weg bringen, und zwar sowohl national als auch auf europäischer Ebene . Das ist der richtige Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) Mit Blick auf das heutige Datum muss ich befürchten, dass das Ziel der Antragstellenden nicht ist, zügig die nötigen Gesetze anzustoßen . Sie bringen heute den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein . Er wird arbeiten und vermutlich im Sommer nächsten Jahres seinen Abschlussbericht vorlegen . Damit ist die Umsetzung eventueller Ergebnisse nicht mehr möglich, weil wir im Herbst nächsten Jahres Bundestagswahlen haben; das wissen Sie ganz genau . ({2}) Über den Inhalt des vorliegenden Antrags wird es im 1 . Ausschuss sicherlich eine umfassende Debatte geben . Das ist dringend nötig; denn Sie fragen in Ihrem Antrag unter anderem, ob es im angedachten Untersuchungszeitraum ab 2007 für die Bundesregierung Hinweise auf Abweichungen zwischen Herstellerangaben und Realbetriebsmessungen gegeben hat . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einem Blick in die Presse, die ich eben zitiert habe, hätten Sie das selber feststellen können . ({3}) Denn es gibt nicht nur den eben von mir angeführten Stern-Artikel von November 2007 . Ich zitiere jetzt einmal aus einem Auto Bild-Artikel von 2004 . Das heißt, noch eine Bundesregierung weiter zurück wusste davon und hat nach Ihrer Lesart nichts getan . In dieser Bundesregierung gab es meines Wissens auch einige grüne Minister und Ministerinnen . In der Auto Bild vom 1 . Juli 2004 heißt es: Das hat jeder schon erlebt: Der Verbrauch des Autos stimmt nicht mit der Werksangabe überein . Kein Wunder . Die Werksangabe wird unter Laborbedingungen erfahren . Also, wir sowie diese, die letzte und die vorletzte Regierung wussten es schon immer . ({4}) Die Frage, vor der wir nun stehen, lautet: Was sollen wir tun? In einem weiteren Punkt Ihres Antrags fragen Sie nach den Abschalteinrichtungen . Im Untersuchungsbericht des BMVI wird zu den normalen Betriebsbedingungen und der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen ausgeführt: Deshalb wäre es bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung . . . angezeigt gewesen, dass der europäische Gesetzgeber das Tatbestandsmerkmal der „normalen Betriebsbedingung“ präzisiert . . ., um auf diese Weise eine auch für die Genehmigungsbehörde, in Deutschland das KBA, handhabbare Anwendung der Norm zu ermöglichen . ({5}) Das heißt, es ist kein nationales Problem . Nicht nur wir wollten das nicht . Vielmehr handelt es sich um ein europäisches Problem . Damit ist Ihre Frage schon beantwortet . Ja, wir brauchen eine Klarstellung in Brüssel . Wir werden sie jetzt in die Wege leiten und nicht erst im Sommer 2017 . ({6}) Wir haben hier schon einiges angerissen und gefordert . Zum Beispiel hat mein Kollege Arno Klare gefordert, staatliche Prüfstände einzurichten und die Quellcodes offenzulegen . Der Minister hat vieles zugesagt . Einiges befindet sich bereits in der Umsetzung. Dabei gibt es noch viele weitere Bausteine, über die wir nun diskutieren müssen, sei es die Wiedereinführung der Endrohrmessung bei der Abgasuntersuchung oder die Fortführung einer echten Energiewende im Verkehr . ({7}) Unser großes Ziel muss doch eine solche Energiewende sein, um mittel- und langfristig CO2-Emissionen und Schadstoffe maßgeblich zu reduzieren . Diese Regierung arbeitet mit konkreten Maßnahmen darauf hin . Das ist der richtige Weg . ({8}) Dafür benötigen wir keinen Untersuchungsausschuss . Ich persönlich werde mich trotz dessen, was ich eben gesagt habe, gerne an einem solchen Untersuchungsausschuss beteiligen und mich konstruktiv in die Debatten einbringen . ({9}) Ich hoffe nur, dass auch die Antragstellenden ebenso konstruktiv mitarbeiten und diesen Ausschuss nicht als politische Bühne nutzen, sondern als ein Gremium, das uns möglicherweise Erkenntnisgewinne für die Arbeit der nächsten Bundesregierung geben kann . Darauf wird diese Bundesregierung jedoch nicht warten . ({10}) Wir werden die erforderlichen Veränderungen sofort in Angriff nehmen . Das erwarten die Menschen von uns . Herzlichen Dank . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Oliver Wittke . ({0})

Oliver Wittke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004445, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen . Herr Krischer, es ist nicht in Ordnung, dass Sie heute zum wiederholten Mal zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte miteinander vermischen und versuchen, einen Gesamtzusammenhang herzustellen . Sie haben heute zum wiederholten Mal vor diesem Hohen Haus die kriminelle Energie, die im VW-Konzern dazu geführt hat, dass in betrügerischer Absicht Software eingesetzt wurde, ({0}) um Ergebnisse zu verändern, in einen Topf geworfen mit dem Ausnutzen von Regelungslücken, wie die Kollegin Lühmann das gerade dargestellt hat . Das ist schlicht unseriös . Es gehört sich nicht, dass kriminelle Machenschaften mit einem anderen Sachverhalt vermischt werden . ({1}) Damit haben Sie schon offenbart, worum es Ihnen eigentlich geht . Es geht Ihnen nicht um Aufklärung, sondern am Ende darum, eine ganze Branche in Misskredit zu bringen . ({2}) Es geht Ihnen darum, einen Feldzug gegen das Automobil fortzusetzen . Es geht Ihnen eben nicht um Aufklärung, um eine Verbesserung der Situation . Diese politische Absicht ist heute hier noch einmal offenbar geworden . ({3}) Ich will sagen, dass wir in der Tat vollstes Vertrauen in die Arbeit des Bundesverkehrsministeriums und des Bundesverkehrsministers, aber auch in die Arbeit der nachgeordneten Behörden haben . Dieses Vertrauen gründet sich auf den bisherigen Umgang mit dieser Angelegenheit, die in einem Untersuchungsausschuss in den nächsten Monaten näher beleuchtet werden soll . Bundesminister Dobrindt hat besonnen, angemessen, konsequent und zügig reagiert, genau so, wie wir das erwartet haben . ({4}) Er ist nicht in Panikmache verfallen, hat nicht, wie Sie das machen, skandalisiert, ({5}) sondern hat in der richtigen Reihenfolge zunächst aufgeklärt, dann bewertet und anschließend Konsequenzen gezogen . So geht seriöse Politik . Das unterscheidet ihn von Ihnen . ({6}) Unmittelbar nach Bekanntwerden, Frau Kollegin Künast, ist eine Untersuchungskommission eingesetzt worden, die insgesamt 53-mal getagt hat . Die Ergebnisse sind nach wenigen Monaten präsentiert worden, im Übrigen anders als zu Ihrer Zeit als Bundesumweltministerin, als Sie auf den ADAC-Artikel nicht reagiert haben . ({7}) Darum freuen wir uns auch, Sie wahrscheinlich im Untersuchungsausschuss begrüßen zu dürfen; denn Sie waren damals mit in der Regierung, als das vorgetragen wurde, was Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion offenbar zum Gegenstand des Untersuchungsausschusses machen wollen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Wittke, ich muss Sie fragen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?

Oliver Wittke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004445, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Frau Präsidentin, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Gut, danke .

Oliver Wittke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004445, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Kraftfahrt-Bundesamt ist angewiesen worden, alle relevanten Fahrzeuge der Euro-5- und Euro-6-Klasse auf unzulässige Abschalteinrichtungen zu untersuchen . Das Ergebnis ist Ihnen allen bekannt . Kein anderer Hersteller hat in betrügerischer Absicht Software manipuliert, so wie es im VW-Konzern vorgekommen ist . ({0}) Das ist ein Fakt, an dem Sie nicht vorbeikommen, auch wenn es Ihnen nicht schmeckt . Es ist ein Fakt . Aber es ist auch richtig: Es sind sogenannte Thermofenster genutzt und weit ausgelegt worden, sodass als erste Konsequenz aus den Untersuchungen insgesamt 630 000 Fahrzeuge deutscher Hersteller, nämlich von Audi, von Opel, von Porsche, von Mercedes und von VW, zurückgerufen und neu eingestellt werden . Damit wird dieser breite Ermessensspielraum künftig deutlich eingeengt . Somit kommen wir real zu einer Verbesserung der Situation . Auch das können Sie doch nicht leugnen . Hier geht es nicht um zukünftige Fahrzeuge, sondern um die Fahrzeuge, die heute schon im Verkehr sind . Für die wird es in den nächsten Wochen und Monaten eine Verbesserung der Abgassituation geben . Wichtig ist: Es geht nicht nur um die 630 000 Fahrzeuge deutscher Hersteller . Auch ausländische Hersteller haben ihre Bereitschaft angekündigt, genauso zu verfahren; denn nicht nur deutsche Hersteller sind betroffen, sondern ganz genauso französische, italienische und andere Hersteller, nur dass die Zulassungsbehörden nicht in Deutschland sitzen, weshalb nicht direkt Einfluss genommen werden kann . Das heißt, wir werden am Ende bei weit über 1 Million Autos als Konsequenz aus dem Handeln des Bundesverkehrsministers zu einer deutlichen Verbesserung kommen . Dafür, Herr Dobrindt, möchten wir an dieser Stelle herzlich Danke sagen . Das ist eine erste messbare Konsequenz aus diesem Skandal . ({1}) Ich will aber auch darauf hinweisen, dass dieser Untersuchungsausschuss nicht alle Probleme wird beseitigen können; diesen Eindruck sollten wir nicht erwecken . Es wird weiterhin strafrechtliche Untersuchungen geben müssen . Nicht umsonst ermittelt die Staatsanwaltschaft derzeit gegen 17 Mitarbeiter im weiteren Umfeld des VW-Konzerns . Da gehört das auch hin; denn wer gegen Recht verstößt, muss in einem Rechtsstaat von der Justiz, von den Strafverfolgungsbehörden belangt werden . Das kann nicht Aufgabe eines Untersuchungsausschusses sein . Darum ist es gut, dass die Justiz tätig geworden ist . Darum ist es gut, dass wir auch da in den nächsten Monaten wichtige Ergebnisse bekommen werden, die sicherlich zu weiteren Konsequenzen führen werden . Aber es wird auch auf europäischer Ebene Handlungsbedarf geben; das hat die bisherige Debatte gezeigt . Wir sind froh darüber, dass das Bundesverkehrsministerium und Minister Dobrindt angekündigt haben, bei der Europäischen Union solle darauf gedrängt werden, dass künftig strengere Maßstäbe gelten, dass es strengere Untersuchungen gibt, und zwar nicht nur bei der Typenzulassung, sondern auch im weiteren Verfahren, also auch dann, wenn Autos zur Abgassonderuntersuchung zum TÜV oder zu anderen Untersuchungsorganisationen müssen, um diese Fahrzeuge ebenfalls sauberer zu bekommen . Auch das wird eine ganz wichtige Aufgabe in den nächsten Monaten sein, die aber eben auf europäischer Ebene angegangen wird . Für uns ist im Zusammenhang mit dem VW-Skandal eines besonders wichtig: Es wurde nicht nur schnell, konsequent und zielgerichtet gearbeitet, sondern es wurde vor allem für die Verbraucher kostenneutral das Vertrauen wiederhergestellt, was zwingend notwendig ist . ({2}) Denn Tatsache ist: Es werden in Deutschland nach wie vor erstklassige Autos gebaut . Wir werden nicht zulassen, dass Sie eine ganze Branche in Verruf bringen . Darum war es so wichtig, jetzt zu handeln und die Folgen des VW-Skandals nicht zulasten des Verbrauchers zu regeln . ({3}) Wir möchten, dass weiterhin deutsche Ingenieure in deutschen Automobilfirmen gute Autos bauen. ({4}) Bei all den Debatten, die wir in den kommenden Wochen und Monaten führen werden, dürfen wir eines nicht vergessen: Das, was bisher an Umwelterrungenschaften im Bereich der Automobilindustrie geleistet worden ist, kam zu einem ganz maßgeblichen Teil aus deutschen Automobilunternehmen, war von deutschen Ingenieuren entwickelt . Wenn hier jetzt so getan wird, als seien das alles Verbrecher, wenn hier jetzt so getan wird, als seien das die größten Luftverpester, wenn hier jetzt so getan wird, als sei das eine Industrie von gestern, dann will ich Ihnen ausdrücklich widersprechen: Wir haben größtes Vertrauen in die deutsche Automobilindustrie . Wir sind sicher, dass unsere Ingenieure auch künftig einen Beitrag dazu leisten werden, dass Automobile nicht nur in Deutschland, sondern weltweit immer sauberer werden und damit einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die Luft in unseren Städten besser wird . Was Sie gesagt haben, Herr Krischer, dass in den letzten 20 Jahren die Luft immer schlechter geworden ist, ist falsch . Das Gegenteil ist der Fall: Die Luft ist deutlich besser geworden . ({5}) Eine letzte Bemerkung, die mir ganz besonders wichtig ist: Wir werden nicht zulassen, dass Sie diesen Untersuchungsausschuss zu einem Tribunal gegen eine ganze Branche, die für Deutschland von immenser Bedeutung und Wichtigkeit ist, umfunktionieren . ({6}) Wir sind an Aufklärung interessiert, aber nicht am politischen Kampf gegen die Automobilindustrie in Deutschland . Darum freuen wir uns auf die Diskussion in den kommenden Monaten . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Oliver Krischer um eine Kurzintervention gebeten . Bitte schön .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Wittke, da Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, möchte ich an dieser Stelle ein paar Dinge klarstellen . Dass Automobilunternehmen die Abgasreinigungseinrichtung bei 10, 17 oder 20 Grad abstellen - man kann darüber streiten, ob das rechtlich zulässig ist oder nicht -, ist in der Sache eine Katastrophe . Wie kann es denn sein, dass Fahrzeuge in Deutschland unterwegs sind, die den größten Teil des Jahres keine in Betrieb befindliche Abgasreinigungseinrichtung haben? Auch Sie sollten dafür kämpfen, dass sich das ändert . ({0}) Herr Wittke, es ist nicht in Ordnung, an dieser Stelle bloß auf die EU-Kommission zu verweisen . Schauen Sie in die EG-Verordnung 715/2007 . Da steht klipp und klar, dass eine Abgasreinigungseinrichtung bei allen auf dem Gebiet der EU regelmäßig anzutreffenden Umgebungstemperaturen und -bedingungen zu funktionieren hat . Das ist eindeutig, und 10 Grad, 17 Grad oder 20 Grad sind Temperaturen, die in der EU nun einmal regelmäßig anzutreffen sind . Ich würde gern einmal wissen - von der Bundesregierung, vom Verkehrsministerium -, auf welche Rechtsgutachter, auf welche Personen man sich stützt, wenn man sagt: Das ist nicht eindeutig geklärt . Das ist legal . - Die Juristen, die ich kenne, der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages und viele andere sagen nämlich klar: Das ist illegal . - Insofern sagen wir: Diese Manipulationen sind genauso illegal wie die bei VW . Herr Wittke, Sie haben gesagt, es sei zügig gearbeitet worden . Das ist nun wirklich ein Witz . Herr Staatssekretär Barthle, der hier sitzt, hat im November 2015 genau von dem Platz aus geantwortet: Die Messungen sind abgeschlossen . - Das war im November 2015 . Der Bericht ist im April 2016 vorgelegt worden . Was, in Herrgottsnamen, ist in der ganzen Zeit passiert? Das ist kein zügiges Arbeiten . Ich kann daraus nur schließen: Das sollte entweder ausgesessen oder verschleppt werden . Am Ende musste man das mit der Automobilindustrie noch kleinreden, damit der Bericht nicht so gefährlich wird . Das hat nichts mit zügigem und konsequentem Aufklären zu tun, Herr Wittke . Das können Sie an der Stelle so nicht behaupten . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Wittke .

Oliver Wittke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004445, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege Krischer, erstens ist völlig klar: Wenn Abschalteinrichtungen bei Temperaturen von 20 Grad einsetzen, dann ist das nicht in Ordnung, aber es ist auch nicht illegal, wie Sie gesagt haben . ({0}) Wenn illegal gehandelt worden wäre, müsste längst die Staatsanwaltschaft tätig werden . Sie ist aber nicht tätig geworden . ({1}) Das zeigt doch, dass dieses Verhalten nicht mit dem von VW vergleichbar ist . Sie vermischen hier wieder zwei Zusammenhänge, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Krischer, jetzt hat überwiegend der Kollege Wittke das Wort . ({0})

Oliver Wittke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004445, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zweitens . Wir sind froh darüber, dass wir nicht erst einen Untersuchungsausschuss und dessen Ergebnisse abwarten müssen, bis gehandelt wird . Dass beispielsweise 630 000 Fahrzeuge deutscher Hersteller und eine im Moment noch nicht bekannte Zahl von Fahrzeugen ausländischer Hersteller zurückgerufen werden, um diesen Missstand, den wir gemeinsam bemängeln, abzustellen, ist ein Verdienst dieses Bundesverkehrsministers . Das müssen Sie dann auch einmal zur Kenntnis nehmen und akzeptieren . ({0}) Dazu sind Sie aber nicht bereit, weil Sie hier nur eine politische Philippika reiten und eben nicht an politischer Aufklärung interessiert sind . ({1}) Drittens . Natürlich werden wir auch auf europäischer Ebene neue Regelungen brauchen; denn ich möchte nicht, dass Typenzulassungen, die in Malta geschehen, dafür sorgen, dass beispielsweise Partikelfilter auf den deutschen Markt kommen und deutsche Hersteller, die erstklassige Qualität liefern, aber teurer sind, verdrängen und so dazu beitragen, dass die Reinigungswirkung von Abgasreinigungsanlagen eben nicht mehr gegeben ist . ({2}) Das kriegen wir nur hin, wenn wir auf europäischer Ebene tätig werden . Darum ist es falsch, wenn Sie sagen, wir brauchten nicht auf europäischer Ebene zu handeln, sondern müssten hier handeln . Nein, wir müssen beides tun . Wir müssen hier handeln, wie wir das in den vergangenen Tagen bereits mit großem Erfolg getan haben, und auf der anderen Seite Sorge dafür tragen, dass die Regeln in Europa so gesetzt werden, dass nicht in anderen Ländern andere Standards gelten, die dafür sorgen, dass unsere Städte verpestet werden . Wenn das das gemeinsame Ziel ist, werden wir schnell übereinkommen, werden wir zu guten Regelungen kommen . Aber mit Schaum vor dem Mund, so wie Sie hier eine Philippika - ich sage das noch einmal - gegen die Automobilindustrie im Allgemeinen reiten, ({3}) werden Sie dieses Ziel nicht erreichen . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Arno Klare, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner kurz vor dem Pfingstfest muss ich ja jetzt irgendetwas Versöhnliches sagen . ({0}) Ich werde mich bemühen . Die Grundfrage, die ich mir stellen möchte, ist: Welches Erkenntnisinteresse hat ein solcher Untersuchungsausschuss? Da gibt es erst einmal das durchaus verständliche investigative Interesse - das ist in diesen zig Fragen im Antrag aufgelistet -: Wer hat was wann von wem gewusst oder warum nicht? Und warum hat man nicht gehandelt? - Das kann ich nachvollziehen . Am Ende ist das aber zu wenig . Das füllt vielleicht die Munitionsdepots für den nächsten Wahlkampf mit irgendwelchen, wie ich hoffe, Rohrkrepierern . Aber das ist nicht das, was ein Untersuchungsausschuss aus meiner Sicht leisten muss . Ein Untersuchungsausschuss muss sich konstruktiv die Frage stellen: Was muss man eigentlich tun, damit so etwas nie wieder passiert? ({1}) - Doch, das müssen wir tun . - Die Bürgerinnen und Bürger, die die Fahrzeuge in dem guten Glauben kaufen, dass diese Fahrzeuge den Umweltstandards entsprechen, die sie sich wünschen und mit denen sie im Katalog angeboten werden, müssen sicher sein können, dass dem auch so ist . Das heißt, das Ganze muss den Verbraucherinnen und Verbrauchern dienen und nicht dazu, dass Ihre Munitionsdepots gefüllt werden . ({2}) Meines Erachtens geht es zum Beispiel um den Ausrollkoeffizienten. Das ist jetzt hoch technisch: Da wird auf 140 Stundenkilometer beschleunigt und das Fahrzeug dann im Leerlauf ausrollen gelassen . So wird der cwWert gemessen, der Rollwiderstand des Fahrzeugs . Das sind Basiswerte auf dem Prüfstand, die nachher bei der Typgenehmigung als entscheidende Faktoren eingehen . Das machen die Unternehmen, die Automobilhersteller, bisher selbst . Man muss sich die Frage stellen, ob das so bleiben kann . Dazu möchte ich gern ein paar Leute hören, die mir erklären, wie man das anders machen kann, sodass diese Aufgabe woandershin, zu unabhängigen Organisationen verlagert wird . ({3}) Das ist ein ganz wichtiger Punkt . Es gibt, von den Unternehmen selbst durchgeführt, die „Conformity of Production“-Prüfung . Das heißt, es wird ein beliebiges Fahrzeug aus der Produktion genommen und überprüft, ob es mit den bei der Typgenehmigung festgelegten Parametern übereinstimmt . Auch das machen die Unternehmen selbst . Das könnte und sollte man wahrscheinlich ebenfalls von unabhängigen Prüfern machen lassen . Dabei würden wahrscheinlich keine anderen Werte herauskommen; aber es würde sehr viel Vertrauen schaffen, wenn diese Prüfungen unabhängig wären . Was ich hier schon einmal gefordert habe - wohlgemerkt: als Erster; darauf lege ich auch Wert -, war, dass der Quellcode der Software offengelegt wird . Dem ist das Ministerium gefolgt, logischerweise, nicht, weil ich es gefordert habe, sondern weil es einfach eine logische Konsequenz ist . Es geht aber noch weiter . Wir wissen, dass Software in der Zukunft nicht mehr bei einem Werkstattbesuch aufgespielt wird, sondern dass das über die Luft gehen wird. Dann muss auch die Biografie der Entwicklung dieser Software offen sein . Das heißt, man muss sozusagen an jedem Punkt diese Software überprüfen können und Einblick haben, und zwar von unabhängigen Dritten, entweder vom KBA selber oder von vom KBA beauftragten Unternehmen, die das können . Noch etwas zur Endrohrmessung; Frau Lühmann hat es gerade angesprochen . Ich habe hier schon mehrfach gesagt, dass das wichtig und notwendig ist . Es gibt für Benzinfahrzeuge die Möglichkeit, über den chemisch repräsentativen Indikator CO, also Kohlenmonoxid, bestimmte Aussagen zu treffen . Wenn der Wert gut ist, sind die anderen Werte auch gut . Das ist ein Zusammenhang, den man auf dem Prüfstand bei größeren Messungen festgestellt hat . Für Dieselfahrzeuge gibt es einen solchen Indikatorwert bisher nicht . Aus dem, was gemessen wird, dem Abgastrübungswert, dem sogenannten k-Wert, ergibt sich nicht automatisch, wie der Stickoxidwert ist . Das heißt, man muss einen Auftrag erteilen - Frankreich hat das gemacht -, einen solchen Test zu entwickeln . Das müsste getan werden, um einen Indikatorwert zu haben, der bei der einfachen Endrohrprüfung eine Rolle spielt . ({4}) - Dann kann man auch auf NOx schließen . Was man übrigens sofort machen könnte, wäre, den k-Wert, der derzeit bei 1,7 liegt, auf 0,2 zu reduzieren . Bei 95 Prozent der geprüften Fahrzeuge liegt der Wert bei 0,01, also weit darunter . TÜV und DEKRA haben in einer großangelegten Studie nachgewiesen, dass 25 Prozent der Schadstoffemissionen von Dieselfahrzeugen eingespart werden könnten, wenn man diesen Wert auf 0,2 setzte, was wir dürften und national auch sofort umsetzen könnten. Dann würden diejenigen herausgefischt, die schlechter sind, die irgendwelche Rußpartikelfilter ausgebaut haben oder deren Katalysatoren nichts mehr taugen usw . Das können wir sofort tun . Eine letzte Bemerkung . Frau Künast - jetzt ist sie leider schon weg - war seinerzeit nicht Umweltministerin - Herr Wittke, da haben Sie sich geirrt -, sondern Agrarministerin . Als sie in dieser Funktion das erste Mal die Grüne Woche besucht hat, war sie nicht in der Lage, eine Kuh von einem Bullen zu unterscheiden . Das stand ganz groß in der Zeitung . ({5}) Das ist wahrscheinlich relativ bezeichnend . Ob das jetzt versöhnlich war, wage ich zu bezweifeln . Aber ich hoffe, wir werden dann im Ausschuss sachlich und vertieft in dem Sinne, wie ich es gerade gesagt habe, diskutieren können . Danke . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die Vorlage auf Drucksache 18/8273 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wird . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 1 . Juni 2016, 13 Uhr, ein . Ich wünsche Ihnen ein schönes Pfingstfest und hoffentlich ein bisschen Ruhe . Die Sitzung ist geschlossen .