Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/28/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich . Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich zwei Geburtstagsglückwünsche im Namen des Hauses übermitteln, zum einen an die Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller zu ihrem 65 . Geburtstag, zum anderen an den Kollegen Helmut Nowak, der seinen 75 . Geburtstag gefeiert hat . Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr! ({0}) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei ({1}) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sicherung der Arbeitsplätze in der europäischen Stahlindustrie Drucksache 18/8237 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäische Stahlindustrie nachhaltig stärken Drucksache 18/8240 ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Rentenniveau anheben - Altersarmut verhindern ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Manuel Sarrazin, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Flüchtlingsschutz und faire Verantwortungsteilung in einer geeinten Europäischen Union Drucksache 18/8244 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Federführung offen ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Kai Gehring, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine öffentlichen Forschungsgelder für den Wiedereinstieg in atomare Technologien 6. Energieforschungsprogramm vollständig in Richtung Energiewende weiterentwickeln Drucksachen 18/5211, 18/8262 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Kai Gehring, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europaweiten Atomausstieg voranbringen Euratom-Vertrag reformieren oder aussteigen Drucksache 18/8242 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({3}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden . Der Tagesordnungspunkt 8 - hier geht es um die Beratung der Beschlussempfehlung zum Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus - soll heute abgesetzt werden . Die Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken entsprechend nach vorne . Der Tagesordnungspunkt 9 - hier geht es um den Antrag zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen - soll ebenfalls abgesetzt werden und stattdessen ein Antrag mit dem Titel „Flüchtlingsschutz und faire Verantwortungsteilung in einer geeinten Europäischen Union“ aufgerufen werden . Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 14 . April 2016 ({4}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften Drucksache 18/8034 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({6}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind . - Das ist offenkundig der Fall . Dann ist das so beschlossen . Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3 sowie zu den Zusatzpunkten 2 und 3: 3 . Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Stahlindustrie in Deutschland und Europa stärken Drucksache 18/8238 ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sicherung der Arbeitsplätze in der europäischen Stahlindustrie Drucksache 18/8237 ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäische Stahlindustrie nachhaltig stärken Drucksache 18/8240 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache 77 Minuten dauern . - Dazu höre ich keinen Widerspruch . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Hubertus Heil für die SPD-Fraktion . ({7})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Tribüne sitzen Betriebsräte, Arbeitnehmervertreter aus Ilsenburg in Sachsen-Anhalt, aus Salzgitter und auch aus meiner Heimatstadt Peine, von Peiner Träger, von Salzgitter Flachstahl und einem Unternehmen der Salzgitter AG in Ilsenburg . Ich will eines vorweg sagen: Ich habe mir die Anträge angeschaut und festgestellt, dass sie sich in Nuancen unterscheiden; aber ich glaube, wir können den Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertretern, den Beschäftigten in der Stahlindustrie am heutigen Tag ein Signal geben: Euer Schicksal ist uns nicht egal . Wir interessieren uns dafür, dass die Arbeitsplätze in diesem Bereich, dass die Wertschöpfung erhalten bleibt, und wir geben die Stahlindustrie  in Deutschland nicht kampflos  preis . - Ich glaube, das ist ein gemeinsames Signal . ({0}) Ich nenne Ihnen einige Zahlen . 90 000 Beschäftigte - in Europa sind es insgesamt 330 000 Beschäftigte - arbeiten direkt in der deutschen Stahlindustrie . Aber die Stahlindustrie ist nicht nur Beschäftigungsgarant in Deutschland, sie ist Grundlage in vielerlei Hinsicht für das, was wir die industrielle Basis dieses Landes nennen . Viele loben die industriellen Wertschöpfungsketten, die wir  in Deutschland haben: von den Grundstoffindustrien über den produzierenden Mittelstand bis hin zu den kleinsten Unternehmen . Diese Wertschöpfungsketten, meine Damen und Herren, sind ein Grund, warum die Bundesrepublik Deutschland anders als alle anderen Volkswirtschaften besser durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen ist . Das entspricht inzwischen dem Urteil aller Ökonomen . Gerade weil das so ist, müssen wir begreifen, dass das Vorurteil mancher, Stahl sei „old economy“, ein blödes Vorurteil ist . Im Gegenteil: Stahlprodukte sind in vielerlei Hinsicht als ein wesentlicher Grundstoff Voraussetzung für Innovation . Ich will das an drei Beispielen deutlich machen . Bei den erneuerbaren Energien kann man sagen: Wind räder brauchen Stahl . Wir wissen, dass vieles, was wir beim Anlagen- und Maschinenbau haben, von innovativen Werkstoffen aus Stahl abhängt . Ich habe ein Beispiel mit Blick auf die Wasserkraft in Niedersachsen, wo inzwischen die Salzgitter AG - um dieses Unternehmen anzusprechen - in ein großes Wasserrad investiert, das auch bei Niedrigwasser die Möglichkeit eröffnet, verlässlich Strom zu produzieren . Ich will gar nicht davon reden, dass wir seit gestern eine Entscheidung der Präsident Dr. Norbert Lammert Bundesregierung in Sachen Elektromobilität haben . Wir wissen, dass es ein Problem mit den Reichweiten von Elektromobilität gibt . Deshalb sind Leichtbau und leichte Werkstoffe ganz wichtig . Meine Damen und Herren, es gibt in Zukunft keinen industriellen Fortschritt ohne Stahl . Auch deshalb schauen wir nicht tatenlos zu, wie Kapazitäten vernichtet werden . ({1}) Deshalb wissen wir, dass das Jahr 2016 so etwas wie ein Schicksalsjahr für die deutsche und für die europäische Stahlindustrie ist . Drei Dinge stehen in diesem Jahr zur Entscheidung an . Da ist zum einen die Frage, wie wir mit Dumping und mit Überkapazitäten vor allen Dingen aus China am Markt umgehen . Die Europäische Kommission muss entscheiden, wie mit dem Thema „Marktwirtschaftsstatus Chinas“ umgegangen wird . Wir sagen sehr deutlich: Bevor klar ist, dass Dumping in  diesem Maße  nicht  stattfindet,  sind wir  nicht  bereit,  dass Europa Instrumente aus der Hand gibt, um sich wirksam gegen Dumping zu wehren . Wir wollen fairen Wettbewerb, aber wir wollen keinen unfairen Dumpingwettbewerb, der zulasten unserer Kapazitäten geht . ({2}) Zweitens ist in diesem Jahr die Entscheidung zum europäischen Emissionshandel notwendig . Wir bekennen uns zu den Klimaschutzzielen . Wir bekennen uns dazu, dass wir den Emissionshandel, also den Handel mit Verschmutzungszertifikaten,  für  ein  marktwirtschaftliches  Instrument halten . Er muss belebt werden . Aber wir sagen in gleichem Umfang: Es macht überhaupt keinen Sinn, die Grundstoffindustrien vollständig so einzubeziehen bzw. sie so mit Zertifikaten unterauszustatten, dass  am Ende des Tages die Industrien nur verlagert werden, während in anderen Teilen der Welt Produktionen mit höherem CO2-Ausstoß stattfinden.  Wir haben ein Weltklima, meine Damen und Herren . Deshalb ist es richtig, dass die Industrien, deren Effektivitätsmaßnahmen physikalisch an Grenzen kommen, nicht aus Deutschland und Europa vertrieben werden . Deshalb brauchen wir vernünftige Ausnahmen auch in Zukunft für die Stahlindustrie beim Thema Emissionshandel . ({3}) Drittens haben wir im Erneuerbare-Energien-Gesetz gemeinsam als Koalition beim Thema Eigenstrom zu Recht dafür gesorgt, dass Bestandsanlagen in der Industrie, gerade in der Stahlindustrie, nicht einbezogen werden; denn es macht überhaupt keinen Sinn, die Stahlindustrie, in der Kuppelgase, also Abfallprodukte aus der Stahlindustrie, verstromt werden, einzubeziehen . Diese Regelung ist vernünftig . Sie ist geltende Rechtslage, aber sie wird von der Europäischen Kommission angegriffen . Wir wollen der Bundesregierung den Rücken stärken, um in Brüssel deutlich zu machen: Wir bleiben bei unserer Position, dass industrieller Eigenstrom im Bestand bei der EEG-Umlage ausgenommen bleiben muss . Dies ist auch im Interesse der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie . ({4}) Deshalb will ich zum Schluss sagen: Viele 10 000 Stahlarbeiter haben in den letzten Tagen an verschiedenen Orten in Deutschland und Europa demonstriert . Das Jahr 2016 ist ein Schicksalsjahr der deutschen Stahlindustrie . Wir wissen, dass wir in diesen drei Bereichen zu Entscheidungen kommen müssen . Sie werden nicht allein auf nationaler Ebene gefällt, sondern in der Regel in Brüssel . Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich trotzdem heute mit diesem Thema, damit das nationale Parlament seine Stimme erhebt und in den drei Bereichen klare Kante zeigt, um der Bundesregierung, Bundeswirtschaftsminister Gabriel und auch Bundeskanzlerin Merkel, den Rücken zu stärken, damit sie in Brüssel zu vernünftigen Entscheidungen kommen . Ich sage das für diese drei Bereiche: Wir wollen, dass es in Zukunft eine starke Stahlindustrie in Deutschland gibt . Strukturwandel hat immer stattgefunden, aber klar ist auch - unsere Lebenserfahrung ist aus Regionen, in denen Strukturwandel stattgefunden hat; meine Heimatstadt ist Peine -: Wir dürfen niemals darauf verzichten, diese industriellen Kerne zu erhalten; denn wir brauchen sie als Grundlage für die Zukunft unseres Industriestandortes . Deshalb hat die Koalition einen Antrag vorgelegt ich danke dem Kollegen Fuchs für die guten Beratungen -, in dem wir diese Position deutlich machen . Wir machen damit deutlich: Wir lassen die Beschäftigten nicht im Stich . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke . ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hubertus Heil hat recht: Die Bedeutung der Stahlindustrie für Deutschland und Europa ist nicht zu unterschätzen . Etwa 25  Prozent  der  europäischen  Stahlproduktion  findet  in  Deutschland statt . Das ist für uns ein sehr wichtiger Faktor . 90 000 Personen arbeiten in diesem Bereich . Alles wurde gesagt; man braucht dem nichts mehr hinzuzufügen . Vielleicht ist aber noch hinzuzufügen, dass die Menschen, die diesen Job machen, ihn unter schwersten Arbeitsbedingungen machen: Hitze, Staub und Lärm . Ich glaube nicht, dass viele von uns hier Lust hätten, das zu machen . Ich sage: Auch deshalb haben die Menschen unseren Schutz, den Schutz der Politik verdient, wenn es um ihre Arbeitsplätze geht . ({0}) Hubertus Heil ({1}) Ziel der Politik muss sein, Arbeitsplätze und Einkommen der Beschäftigten in der Stahlindustrie zu erhalten . Die Europäische Kommission spricht in ihrer Mitteilung vom 16 . März über die Stahlindustrie von „einer Reihe ernster Herausforderungen, die auf weltweite Überkapazitäten, einen dramatischen Anstieg der weltweiten Exporte und eine beispiellose Welle unlauterer Handelspraktiken zurückzuführen sind .“ Ein weiterer entscheidender Faktor für die Lage der Stahlindustrie ist allerdings die schwache Konjunktur auch das schreibt übrigens die Europäische Union - in Deutschland, in Europa und weltweit . Mit dieser schwachen Konjunktur geht eine schwache Nachfrage nach Stahl einher . Die EU-Kommission schreibt: „Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten können der Stahl industrie und anderen energieintensiven Branchen helfen, indem sie Investitionen fördern …“ . Diesen Punkt der Nachfrage, der Investitionsförderung klammern Sie in Ihren Anträgen leider völlig aus . Ich sage Ihnen: Das ist ein Problem, weil Sie für diese Nachfrageschwäche in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in Europa Mitverantwortung tragen . ({2}) Wer ganz Europa eine Austeritätspolitik aufzwingt, dämpft die Nachfrage in Europa . Wer trotz Nullzinsen die schwarze Null wie eine Monstranz in einer Fronleichnamsprozession vor sich herträgt, dämpft die Nachfrage und ist damit für die Situation in der Stahlindustrie mitverantwortlich . ({3}) - Dass Sie das nicht gerne hören wollen, verstehe ich ja, aber es ist die Wahrheit, und das wissen Sie genau . ({4}) Auch die EU-Kommission legt Ihnen ans Herz, man möge doch bitte beherzt investieren . Wenn Sie sich die Investitionen in Deutschland anschauen, die staatlichen und die privaten, sehen Sie, dass wir hier einen Nachholbedarf haben, den Sie mit Ihrer Politik mit auslösen . ({5}) Nun zu China . Ja, die Konjunktur geht auch dort zurück . Die Überkapazität beim Stahl wird auf das Doppelte des jährlichen Produktionsvolumens geschätzt, das in ganz Europa vorhanden ist . Die Stahlproduktion in China findet unter Lohn- und Umweltdumping statt. Schon jetzt  laufen mehrere Verfahren wegen unlauterer Praktiken gegen China . Die Überproduktion hat den weltweiten Verfall der Stahlpreise befördert . Das bringt die europäische und auch die deutsche Stahlindustrie natürlich in einen verzweifelten Kampf um Marktanteile . Ein solcher Wettbewerb ist nicht fair . Dies zeigt aber auch deutlich, wo die Probleme im freien Handel sind . Es erstaunt mich schon ein bisschen, dass ausgerechnet diejenigen, die, wenn sie morgens aufstehen, statt zu beten, lieber dreimal „Freier Handel!“ schreien, jetzt zu Maßnahmen zur Eingrenzung des Handels aufrufen . Das ist zumindest ein kleiner Widerspruch . ({6}) Meine Damen und Herren, die europäische Stahlindustrie, insbesondere die deutsche, produziert im Vergleich zur chinesischen bei weitem umweltfreundlicher und zu vernünftigeren Löhnen . Deshalb stimme ich Ihnen an dieser Stelle zu: Es ist unsere Aufgabe, zu verhindern, dass umweltfreundlichere und besser bezahlte Arbeitsplätze zugunsten einer Stahlproduktion zu Dumpingbedingungen, die mit Belastungen der Umwelt einhergeht, verschwinden . Ja, da haben Sie recht . ({7}) Allerdings muss man auch sagen, dass die heutige Situation der Stahlindustrie bisher kaum etwas mit Klimapolitik zu tun hat . Im Gegenteil: Bisher war die deutsche Stahlindustrie vom Zertifikatehandel  eher begünstigt . Übrigens haben die Stahlkonzerne unterschiedlich reagiert: Während das Geld im Saarland unter dem Dach einer Stiftung eher in die Rücklagen gesteckt wurde, haben es andere an die Aktionäre gegeben . Die haben jetzt natürlich ein besonderes Problem; auch darüber sollten Sie einmal nachdenken, meine Damen und Herren . Es geht darum, bei der Vergabe weiterer Zertifikate natürlich auch darauf zu achten, dass die Stahlindustrie, die die Probleme schon bei weitem besser als andere gelöst hat, nicht in einer Weise belastet wird, dass es zur Verschiebung der Produktion von vernünftigen hin zu unvernünftigen Bedingungen kommt; damit bin ich einverstanden . Aber es ist auch richtig, dass die Aussage: „Wir müssen bei der Klimapolitik auch darauf achten, wie die Bedingungen der Stahlindustrie sind“ durch eine solche Position nicht weggewischt wird . Auch die Stahlindustrie bei uns hat sicher noch Möglichkeiten, klimapolitisch nachzurüsten, ohne ihre Wettbewerbsposition zu gefährden . Das müssen wir fördern, allerdings ohne dass es für die Stahlindustrie zu einem Wettbewerbsnachteil kommt . Ich danke Ihnen fürs Zuhören . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege Michael Fuchs das Wort . ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Stahlindustrie gehört seit dem industriellen Beginn in Deutschland zu Deutschland wie kaum eine andere Industrie . Jeder kann sich das vorstellen, und der eine oder andere von Ihnen wird auch schon in Stahlwerken gewesen sein . Ich besuche sie regelmäßig und bin immer wieder davon fasziniert . Deutschland ist der größte Stahlhersteller in Europa . Wir stellen rund 43 Millionen Tonnen Stahl in Deutschland her; in ganz Europa werden 112 Millionen Tonnen hergestellt . Das zeigt, dass wir nach wie vor sehr wettKlaus Ernst bewerbsfähig sind . Wir haben bei unserem Stahl einen Exportanteil von immerhin 39 Prozent; auch das zeigt, dass wir wettbewerbsfähig sind . Wir sind wettbewerbsfähig, weil die Stahlindustrie eben nicht eine uralte Industrie ist, wie uns der eine oder andere, der sie lieber los wäre, glauben machen möchte nein -, sondern weil die Stahlindustrie Spezialstähle und Legierungen herstellt, die andere Länder nicht herstellen können, und weil wir im Bereich des Stahls intensive Forschung betrieben und Wettbewerbsvorsprünge erreicht haben . Gott sei Dank ist das so . Wir importieren in die EU rund 7,2 Millionen Tonnen Stahl aus China, in aller Regel Billigstähle, Flachstähle bzw . Baustähle, die in Deutschland nur noch schwer herstellbar sind . Die Stahlproduktion hat einen elementaren Anteil an den Wertschöpfungsketten in Deutschland . Wenn wir nicht von vornherein alle Stähle produzieren, dann kommt es in manchen Bereichen zu Verlagerungen . Es gibt in Sachsen Stahlwerke, die Kurbelwellen für Schiffe herstellen . Eine Kurbelwelle ist 28 Meter lang und 45 Tonnen schwer . Diese Produktion kann man nicht ganz einfach aus Deutschland „wegtun“ . Wenn wir das täten, dann würde unter Umständen auch die Schiffsproduktion woanders stattfinden. Es gibt noch sehr viele andere Beispiele dieser Art dafür, dass gerade mit den Spezialstählen, die wir für die Industrie herstellen, die Wertschöpfungsketten beginnen . Wenn diese Stähle also nicht mehr in Deutschland hergestellt werden, dann verlagert sich auch alles andere . ({0}) Die Stahlindustrie beschäftigt 90 000 Menschen in Deutschland und 330 000 Menschen in Europa; Hubertus Heil hat das schon gesagt . Es hängen aber noch viel mehr Arbeitsplätze daran, weil aufgrund der Wertschöpfungsketten gleichzeitig auch die Arbeitsplätze in den anderen Industrien zu berücksichtigen sind . Rund 3,5 Millionen Beschäftigte sind in den stahlintensiven Branchen tätig . Dazu gehört nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch der Fahrzeugbau, der komplette Maschinenbau etc . hängen daran . Sie bestellen den Stahl, den sie für ihre spezifischen Anlagen brauchen, in  Deutschland . Meine Damen und Herren, dass wir für eine einzelne Industriebranche einen Antrag einbringen, geschieht eigentlich nur selten . Soweit ich mich erinnern kann, haben wir das in dieser Legislaturperiode bisher noch nicht gemacht, aber es ist berechtigt; denn wir haben in dieser Branche durchaus Probleme . Damit komme ich zum Thema China . China produziert rund 800 Millionen Tonnen Stahl im Jahr und exportiert davon rund 112 Millionen Tonnen . Die EU braucht im Jahr rund 152 Millionen Tonnen Stahl . Das zeigt, dass in China gewaltige Kapazitäten vorhanden sind und Überkapazitäten auf den Markt kommen . Ich wäre der Erste, der sagen würde, dass das die Konsequenzen von Markt und Globalisierung sind . Die chinesische Stahlpolitik hat in meinen Augen aber nicht allzu viel mit dem Markt zu tun . Dort gibt es keinen Markt in dem Sinne, wie wir ihn uns vorstellen . Deswegen ist es durchaus berechtigt, dass die EU Antidumpingverfahren gegen China eingeleitet hat . Ich finde es auch richtig, dass es in Deutschland zum  ersten Mal einen gemeinsam Stahlaktionstag gab, an dem sich die Betriebsräte und die Mitarbeiter in den Betrieben zusammen mit ihren Gesellschaftern auf die Straße begeben haben, um zu zeigen, dass es notwendig ist, dass wir dort Veränderungen herbeiführen, und das tun wir auch . Die Entscheidung, China den Marktwirtschaftsstatus einzuräumen, wird wohl getroffen werden müssen; denn wir werden weiter intensiv mit China zusammenarbeiten . Ich darf daran erinnern, dass China auch für Deutschland ein gewaltiger Exportmarkt ist . Das Ganze muss aber zu fairen Bedingungen geschehen . Wir müssen China gegenüber Anforderungen stellen können, die zeigen, dass wir gemeinsam eine Marktwirtschaft haben wollen, in der wir vernünftig zusammenarbeiten . Das chinesische Politbüro wird lernen müssen, dass zur Marktwirtschaft auch gehört, dass unwirtschaftliche Einheiten aus dem Markt verschwinden . Daran wird man sich in China gewöhnen müssen . Bis jetzt fällt den Herrschaften das schwer . Hubertus Heil hat die Klimapolitik schon angesprochen, aber ich will es noch ein bisschen deutlicher machen: Wir helfen dem Klima in der Welt überhaupt nicht, wenn wir Carbon Leakage organisieren, sodass es zu Produktionsverlagerungen von Deutschland in andere Länder kommt . Ich will hier als Beispiel wieder nur China erwähnen . In Deutschland wird eine Tonne Stahl mit einem CO2-Ausstoß von rund 1 500 Kilogramm produziert . Das ist ein Durchschnittswert . Es gibt Stahlwerke, die ein Stück weit besser sind, aber nicht viel . Viel mehr geht auch physikalisch nicht . In China wird die gleiche Tonne Stahl mit einem CO2-Ausstoß von rund 2 200 Kilogramm produziert, also mit rund einem Drittel CO2 mehr . Dem CO2 ist es dabei völlig egal, ob es in China oder in Deutschland  in  die Luft  geschickt wird.  Es  befindet  sich in der gleichen Klimawelt . Mit anderen Worten: Je weniger bei uns produziert wird, desto mehr CO2 wird ausgestoßen . Das ist eine simple Tatsache, und die sollten wir berücksichtigen . ({1}) Man darf es aber nicht übertreiben . Wenn wir unsere Stahlindustrie immer weiter vor uns hertreiben und den besten Stahlproduzenten auch noch die 10-Prozent-Regel wegnehmen wollen, wie es der eine oder andere hier im Hohen Hause immer wieder von sich gibt, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Stahlproduktion ins Ausland verlagert wird . Wenn die Stahlproduktion von Deutschland ins Ausland verlagert wird - von mir aus von Sachsen nach Polen oder von Nordrhein-Westfalen nach Belgien -, dann ist dem Klima überhaupt nicht geholfen . Aber wir verlieren Arbeitsplätze in der StahlDr. Michael Fuchs industrie . Das muss verhindert werden; das wollen wir nicht . ({2}) Das Ganze gilt natürlich genauso, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, für den Bereich der Stromkosten . Wir müssen die Stromkosten in den Griff bekommen . Deswegen ist es wichtig, dass wir die Kuppelgase weiter ohne Belastungen verstromen können; denn es ist sinnvoll, dass Gase, die im Produktionsprozess entstehen, direkt für die Stromproduktion verwendet werden . Es ist Unsinn, diese Art der Stromerzeugung mit der EEG-Umlage belasten zu wollen . Das sollten wir schön bleiben lassen . ({3}) So wie es ist, muss es bleiben . Das müssen wir aber im Rahmen des Beihilfeverfahrens bei der EU durchsetzen . Es ist nämlich keine Selbstverständlichkeit, dass das so bleibt . Ein anderer Punkt ist: Wir müssen die Gesamtstromkosten im Blick behalten . Die Stromkosten in Deutschland sind mit weitem Abstand die höchsten . Die Stromkosten in der Stahlindustrie sind um 30 Prozent höher - ich beziehe mich jetzt nicht auf China - als in Frankreich . Alleine Frankreichs Stromkosten in der Strahlproduktion liegen 30 Prozent unter unseren . Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir das ändern können . Blicken wir in die USA, wird es besonders kritisch . Die Kosten für den Strom zur Produktion von Stahl und ähnlichen Produkten betragen ein Fünftel von unseren . Das wird am Ende des Tages bedeuten, dass es in Amerika in diesen Wirtschaftsbereichen zu einer Reindustrialisierung kommt . Das macht mir schon Sorge . Wenn in Amerika dadurch mehr Stahlwerke entstehen, wird das dazu führen, dass wir hier Arbeitsplätze und damit die Wertschöpfungskette verlieren . ({4}) - Frau Höhn, davon verstehen Sie nichts; das wissen wir ja . ({5}) Wenn das passiert, wenn also Wertschöpfungsketten weg sind, ziehen ganze Branchen aus Deutschland weg . Das will ich verhindern, und das müssen wir gemeinsam verhindern . Ich finde es gut, dass wir diesen gemeinsamen Stahlantrag heute diskutieren, um der Industrie und der Wirtschaft zu zeigen: Wir stehen zu ihr . Wir wollen den Standort sichern . Aber dazu gehört auch, sicherzustellen, dass die Stromkosten in Deutschland in Schach und Proportion bleiben und dass die Kosten für den Klimawandel nicht allein von der Stahlindustrie getragen werden . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Kerstin Andreae erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 90 000 Menschen arbeiten in der Stahlbranche, Zulieferer und indirekt abhängige Branchen nicht mitgezählt . Viele Menschen haben große Sorgen um ihren Arbeitsplatz . Es ist gut und richtig, dass wir hier im Bundestag einen breiten Konsens darüber haben: Wir lassen euch nicht im Regen stehen . Ihr seid uns nicht egal! - Es ist gut, dass von hier dieses Signal ausgeht . ({0}) Aber es ist auch klug, hier sehr genau und seriös zu argumentieren und nichts zu vermischen, was nicht vermischt werden darf . Laut OECD waren 2015 mehr als 700 Millionen Tonnen Stahl zu viel auf dem Markt . Die Überkapazität allein der chinesischen Stahlproduzenten ist doppelt so hoch wie das gesamte Produktionsvolumen der europäischen und damit auch der deutschen Stahlhersteller . China und Russland drängen auf den europäischen Markt . Preise brechen ein, teilweise dramatisch . Es ist so: Wenn das Angebot zu hoch ist, sinken die Preise . Das heißt, wir haben ein Problem mit Überkapazitäten . Aber Überkapazitäten und Emissionshandel haben nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun . ({1}) Die Branche tut sich überhaupt keinen Gefallen, jetzt das ETS ins Spiel zu bringen . Wenn wir keine Lösung für Überkapazitäten finden, wenn wir keine Lösung für  unsere Probleme mit der chinesischen Stahlindustrie als Wettbewerber finden, dann wird die europäische Stahlindustrie in dieser Sache bald gar kein Akteur mehr sein . Der Emissionshandel ist nicht das Problem . Deswegen ist er auch nicht die Lösung . ({2}) Das eigentliche akute Problem sind unfaire Handelspraktiken . Die EU verhängt nicht mal 20 Prozent Zoll auf den Import von chinesischem Stahl . In den USA liegen diese Zölle bei rund 250 Prozent . Solange das so ist, wissen wir, wo der Stahl am Ende landet . Deshalb sollte die deutsche Regierung nicht alleine auf Brüssel zeigen . Erstens . Die deutsche Regierung soll die EU-Kommission dabei unterstützen, die Schutzmaßnahmen zu verstärken, zum Beispiel die Regel des niedrigsten Zolls für den Stahlsektor auszusetzen . ({3}) Zweitens . Die deutsche Regierung sollte dieses Thema auf die Agenda der G 20 setzen . Da übernimmt Deutschland 2017 den Vorsitz . Denn darum geht es: Wie schaffen wir faire Wettbewerbsbedingungen - global? ({4}) Das  betrifft  die  gesamte Grundstoffindustrie,  nicht  nur  den Stahl . Da bestehen doch die gleichen Sorgen . Drittens . Die EU muss handlungsfähig werden . Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die Blockade der nötigen Schutzmaßnahmen, also das Schwarze-Peter-Spiel, das derzeit vorherrscht, endet . Die EU-Kommission hat vor drei Jahren - vor drei Jahren! effektivere handelspolitische Schutzmaßnahmen vorgeschlagen . Das Europäische Parlament hat sich positiv dazu verhalten . Und jetzt läuft das Schwarze-Peter-Spiel im Rat . Hier ist die Bundesregierung gefragt, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({5}) Von Appellen alleine wird kein Arbeitsplatz gesichert . Hier geht es um konkretes Handeln ({6}) und Einsatz der Bundesregierung auf europäischer Ebene . ({7}) Jetzt haben wir eine Debatte über den Marktwirtschaftsstatus für China . Ich würde ja gerne verstehen, wie sich die Bundesregierung positioniert . Ich habe die Aussagen von Herrn Heil und die Aussagen von Herrn Fuchs, vorsichtig gesagt, nicht als deckungsgleich empfunden . ({8}) Hochsubventionierter Stahl verdrängt via Dumping Stahl erzeugnisse  aus  effizienten deutschen und europäischen Anlagen . Das ist nicht im Sinne einer Marktwirtschaft . Und für die Aussage, dass in China Marktwirtschaft herrscht, muss man sich schon ziemlich biegen . ({9}) Deswegen ist für uns klar: Eine bedingungslose Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus kann es nicht geben . ({10}) Aber Protektionismus ist auch der falsche Weg . Mich interessiert, wie Sie sich positionieren, Herr Gabriel . ({11}) Ein weiterer Punkt ist schließlich Innovation . Einer unserer großen Standortvorteile in Deutschland ist, dass wir hier ganze Wertschöpfungsketten haben . Es ist ganz klar: Stahl muss in Deutschland bleiben . Wir wollen keine Abwanderung, auch aus einem ganz grünen Grund: Für Schienenausbau, Gebäudesanierung und Energiewende - überall wird Stahl gebraucht . In einer Windkraftanlage steckt mehr Stahl als in 500 Autos . Bei einem Zubau von 2 000 Windrädern pro Jahr entspricht das 1 Million Pkws . Die ökologische Modernisierung, die grüne Industriepolitik ist ein gigantisches Konjunkturprogramm für die Stahlindustrie . Das hilft den Arbeitsplätzen . ({12}) Die  Branche  hat  viel  investiert  in  Effizienz  und  CO2-Minderung . Diese Leistung erkennen wir ausdrücklich an; aber dieser Weg ist nicht zu Ende . Die Klimafrage ist die Zukunftsfrage . Und sie entscheidet sich nicht an Bestandsanlagen, sondern an Neuinvestitionen . Deswegen gilt der Grundsatz: Weniger subventionieren und mehr investieren . Die Bundesregierung muss darüber nachdenken, wie sie die Stahlindustrie bei Investitionen unterstützt, aber keine Abstriche beim Klimaschutz macht . Das ist die Aufgabe der Bundesregierung . ({13}) Wenn wir die Klimaziele von Paris ernst nehmen, dann bedeutet das konkret, dass auch die Produktion von Stahl klimafreundlich werden muss . Hier müssen Politik und Branche eine Vision aufzeigen . ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin?

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Industrie hat uns Grüne an ihrer Seite: für faire Welthandelsbeziehungen, für eine ökologische Modernisierung und für die Zukunftsaufgabe Klimaschutz . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Bundesregierung hat nun der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Wort . ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um gleich einmal die Frage der Kollegin Andreae zu beantworten: Die Bundesregierung tut all das, was Sie gesagt haben, zum Beispiel dadurch, dass wir nicht nur alleine, sondern mit sieben weiteren Industrieministern der Kommission schon längst gesagt haben, dass sie die Maßnahmen zum Antidumping in Kraft setzen muss, dass es skandalös ist, dass wir in Europa für etwas, wofür die Vereinigten Staaten von Amerika 9 Monate brauchen, 20 Monate benötigen, und dass wir eine Reform dieser Schutzmaßnahmen, sozusagen völlig neue, brauchen . All das haben wir getan . Es ist natürlich richtig, das beim G-20-Gipfel auf die Tagesordnung zu setzen, aber, Frau Andreae, der ist erst nächstes Jahr . Bis dahin kann es passieren, dass es bei uns schon zu einem erheblichen Abbau von Arbeitsplätzen in der Stahlindustrie kommt . ({0}) In Wahrheit geht es um Folgendes, Frau Andreae .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick, Herr Minister, weil ich das zu Beginn Ihrer Rede klarstellen muss . - Ich bitte die interessierten Kolleginnen und Kollegen auf der Tribüne, der Debatte zwar mit Interesse, vielleicht auch mit innerem Feuer, aber ohne Beifalls- oder Missfallenskundgebungen zu folgen . Also seien Sie nochmals herzlich willkommen . Der Minister nimmt den Begrüßungsapplaus als Unterstützung für die Absichten, die ja auch der Antrag formuliert . ({0}) Bitte schön .

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Angesichts gelegentlicher öffentlicher Debatten über mich als SPD-Vorsitzenden freue ich mich über jeden Applaus . ({0}) Auch wenn es ein ernstes Thema ist, darf man ja trotzdem optimistisch miteinander umgehen . Worum es in Wahrheit in der Europäischen Union geht, ist die Frage, ob wir den Mut haben, uns auch gegenüber China offensiv aufzustellen . Denn in Wahrheit haben doch alle Angst, dass Maßnahmen für die Stahlindustrie dazu führen, dass die Chinesen ihrerseits mit entsprechenden Maßnahmen antworten und wir dann in einem Handelskrieg landen . ({1}) Diese Angst haben doch alle, und deswegen zucken alle bei der Frage . Ich bin dafür, dass wir uns offensiv verhalten, weil wir für defensives Verhalten auch von den Chinesen nicht respektiert werden . Niemand will einen Handelskrieg . Niemand wünscht sich dann Antidumpingmaßnahmen . Aber wenn wir sie nicht in Kraft setzen und sozusagen schon signalisieren, dass wir nicht bereit sind, unsere Stahlindustrie zu stärken - da hat Frau Andreae völlig recht; als Nächstes geht es um alle Bestandteile der energieintensiven  Industrien  und  der  Rohstoffindustrien  -,  dann werden wir uns nie durchsetzen . Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir klar sagen: Es kann keinen Marktwirtschaftsstatus für China geben, wenn sich China nicht an die Regeln der Marktwirtschaft hält . Das ist doch ganz klar . ({2}) Übrigens Klaus bzw . Herr Ernst: Freihandel hat Regeln, und wer gegen Regeln verstößt, dem darf man keinen freien Handel ermöglichen . Man darf diese Debatte nicht dafür nutzen, den Freihandel zu diskreditieren; denn auch wir exportieren Stahl, übrigens sogar nach China . Es geht vielmehr um die Durchsetzung von Regeln dabei . Übrigens: Würden wir mit den Vereinigten Staaten in solchen Fragen gemeinsam handeln, dann wären wir besser aufgestellt . Die Vereinigten Staaten schützen ja ihren Markt gegenüber Dumpingimporten aus China, was es derzeit für uns noch schwerer macht, weil die Chinesen das, was sie dort nicht auf den Markt bringen können, bei uns auf den Markt drücken . Wir müssen also Regeln für den Handel und den fairen Wettbewerb durchsetzen, und wir dürfen nicht Ländern einen Marktwirtschaftsstatus verleihen, die ganz offensichtlich keine Marktwirtschaft sind . ({3}) Die Überkapazitäten, die dort bestehen, sind übrigens doppelt so groß wie der gesamte europäische Bedarf . So viele Konjunkturprogramme können wir gar nicht machen, um das auszugleichen . Das wollen wir auch gar nicht . Es geht doch darum, dass sich in einem fairen Wettbewerb die Besten durchsetzen sollen, statt diejenigen mit den miesesten Löhnen und schlechtesten Umweltstandards auch noch staatlich dabei zu unterstützen, dass sie den Markt mit ihren Produkten überschwemmen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, darf der Kollege Ernst Ihnen eine Zwischenfrage stellen?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Jede .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Na ja, das wollen wir uns erst einmal anhören, und dann entscheiden wir, ob jede Zwischenfrage zulässig ist . ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nur eine also . - Danke, dass Sie die Frage zulassen . Wie bewerten Sie die Aussage des Kollegen Fuchs, Amerika hätte im Vergleich zu uns 30 Prozent geringere Strompreise? ({0}) - Wie viel waren es denn? ({1}) - Also deutlich geringere Stromkosten; so war es . Dass die Stromkosten um 30 Prozent geringer sind, ist ja gegenüber der Stahlindustrie in Deutschland ein deutlicher Wettbewerbsvorteil . ({2}) - Hört doch erst einmal zu! Das ist doch nicht schlecht . Das bildet manchmal .

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Ich höre doch zu .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, ich meine nicht Sie, sondern andere . Wenn also die bei der Stahlproduktion 30 Prozent geringere Stromkosten haben ({0}) und wir jetzt ein internationales Handelsabkommen mit Amerika abschließen, das dazu führt, dass Handelshemmnisse, also unter anderem auch die Zölle, zum Beispiel die Schutzzölle, die wir oder auch die anderen haben, abgebaut werden, dann ist ja der Strompreis in den USA nach wie vor billiger, zugleich führt das dann aber dazu, dass durch ein solches Handelsabkommen die deutsche Stahlindustrie massiv belastet wird . Nehmt ihr sie von TTIP aus, oder nehmt ihr sie nicht aus? Wenn ihr sie nämlich nicht ausnehmt, hat die Stahlindustrie in Deutschland durch dieses Handelsabkommen drastische Nachteile . ({1})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Das setzt allerdings voraus, dass es Zölle gegen amerikanischen Stahl gibt, die man abbauen kann . Das ist doch eine Debatte, die völliger Unfug ist . Entschuldige, Klaus, dass ich das sage, aber das hat nichts miteinander zu tun . ({0}) Worum es im internationalen Wettbewerb geht, ist Folgendes: Die Strompreise in den Vereinigten Staaten sind in der Tat durch Fracking und dadurch, dass dort viele der Abgaben und Steuern, die wir auf Energie erheben, nicht existieren, deutlich geringer . ({1}) Das ist nun einmal so, und zwar nicht nur bezogen auf Deutschland, sondern auf ganz Europa . Worum es jetzt geht, ist, darauf zu achten, dass wir das, was zumindest die Mehrheit des Deutschen Bundestages beschlossen hat, nämlich dass die energieintensive Industrie - im Kern die Stahlindustrie - von besonderen Abgaben wie der EEG-Umlage und der Umlage für Kraft-Wärme-Kopplung befreit wird, weiter durchsetzen . Es war sehr bedauerlich, dass die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hier im Deutschen Bundestag dagegengestimmt und polemisiert haben, dass wir die Stahlindustrie und die energieeffiziente  Industrie von Abgaben befreien . Das hat hier doch stattgefunden . ({2}) Als ich die Befreiung von der EEG-Umlage durchgesetzt habe, musste ich mir doch von Ihrer Fraktion, Herr Ernst, und der Fraktion der Grünen anhören, nun würden die Verbraucher durch höhere Strompreise belastet, weil wir die energieintensive Industrie ausnehmen . Meine Antwort lautete: Was hilft es eigentlich einem Dreipersonenhaushalt, wenn er im Jahr rund 40 Euro - das wäre das Maximum gewesen, wenn wir alle Befreiungen gestrichen hätten - geringere Stromkosten hat, aber gleichzeitig ein paar Millionen industrielle Arbeitsplätze vernichtet werden? Dieses Argument haben Sie damals nicht akzeptiert . Es wäre gut, wenn Sie es heute akzeptieren würden . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, jetzt möchte auch der Kollege Krischer gerne Ihre Redezeit noch einmal verlängern . Geht das?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Mit großer Freude . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Minister Gabriel, dass Sie die Frage zulassen . - Ehrlich gesagt hat das nichts mit dem zu tun, was wir im Jahr 2014 im Rahmen der EEG-Novelle diskutiert haben . ({0}) Sie haben doch auf europäischer Ebene ein Problem bekommen, weil Sie die Ausnahmen auf alle möglichen Branchen ausgeweitet haben . Sie haben die Ausnahmeregelungen immer weiter ausgedehnt . Es gibt hier einen Konsens, die energieintensive Industrie - dazu gehört insbesondere die Stahlindustrie - davon auszunehmen . Sie haben das Problem verursacht, indem Sie immer mehr Branchen einbezogen haben . Damit sind Sie am Ende ein Stück weit dafür verantwortlich, dass wir nun diese Debatte führen . Genau das ist Ihr Problem . Herr Gabriel, ein zweiter Punkt . Ich habe nun mehrfach gehört, in den USA seien die Strompreise so viel günstiger als hier . Wir haben im Moment einen Börsenpreis von 25 Euro, teilweise sogar von 21 Euro pro Megawattstunde . ({1}) Die Ausnahmen, die hier für die energieintensive Industrie und insbesondere für die Stahlindustrie vorhanden sind, finden Sie in weiten Teilen der USA nicht. Die Debatte ist an dieser Stelle unredlich . Wir müssen sicherlich viel über China reden und viele Fragen besprechen, zum Beispiel die Frage, wie wir den Emissionshandel weiter gestalten wollen . Aber hier eine Debatte darüber zu führen, dass die deutsche Stahlindustrie ein Problem mit den Strompreisen hätte, ist nicht redlich . Ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen . ({2})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Krischer, ich habe gar nichts zur Frage von Strompreisen für die Stahlindustrie gesagt . Ich habe nur darauf hingewiesen, dass es stimmt, dass die Stromkosten - dafür sind nicht die Börsenpreise entscheidend, sondern die Steuern und Abgaben, die auf die Börsenpreise obendrauf kommen ({0}) für die energieintensiven Unternehmen in den Vereinigten Staaten niedriger sind als für vergleichbare Unternehmen in ganz Europa . Das liegt daran, dass wir in den letzten Jahrzehnten aus guten Gründen überall in Europa Abgaben auf Strom- und Energieverbrauch entwickelt haben, die einmal als ökologische Abgaben begonnen haben, aber in Wahrheit mittlerweile längst allgemeiner Bestandteil der staatlichen Haushaltsfinanzierung geworden sind und deshalb nicht einfach abzubauen sind . Wir müssen also darauf achten, dass die Differenz zwischen den Stromkosten in anderen Industrienationen, die fairen Wettbewerb machen, und unseren in Europa nicht zu groß wird, da es ansonsten schwierig wird, beispielsweise im Bereich der Automobilindustrie moderne Faserverbundwerkstoffproduktion in Europa zu halten . Die gehen, wie sie es derzeit schon tun, nämlich dann in die Vereinigten Staaten . ({1}) Ich habe mich nicht dafür ausgesprochen, irgendwie damit anzufangen, an diesen Abgaben herumzudoktern, sondern habe erst einmal auf ein Problem hingewiesen, das dazu führt, dass unsere Unternehmen in der Regel wesentlich forschungsintensiver und effektiver arbeiten sowie eine höhere Produktivität haben müssen . Eines möchte ich jedenfalls nicht, nämlich dass diese Wettbewerbsunterschiede dazu führen, dass die ökologischer produzierende Industrie in Deutschland in Schwierigkeiten gerät und die besser bezahlten Jobs in Deutschland gefährdet werden, und das dann zugunsten schlechter bezahlter Jobs in anderen Teilen der Welt ausgeht . ({2}) Das war, Herr Krischer, die Antwort auf Ihre zweite Frage . Nun zur Antwort auf den ersten Teil Ihrer Frage, wo Sie sagten, die Debatte habe nichts mit der EEG-Novelle zu tun . Ein Teil des Problems ist doch, dass sich hier jeder immer das heraussucht, wo er unproblematisch sagen kann: Hier will ich der Stahlindustrie helfen . Aber die Welt ist nicht so einfach . Es gibt ein Problem mit Dumping, das ist das größte Problem . Aber es gibt natürlich auch ein Problem mit dem Emissionshandel, und es gibt ein Problem - ({3}) - Das erkläre ich Ihnen gleich, worin das Problem besteht . Wenn jemandem das Wasser bis zum Hals steht, ({4}) dann besteht bei jedem Glas Wasser, das Sie zusätzlich hineinschütten, die Gefahr, dass er dabei ersäuft . ({5}) Es gibt eine alte Handwerkerregel, die besagt: Nach „fest“ kommt „ab“ . ({6}) Jetzt geht es zum Beispiel darum - darüber gab es ja auch Streit mit den Grünen im Bundesrat -, ob wir es durchsetzen können, dass die Befreiungsregel für die Industrieanlagen bei der Kraft-Wärme-Kopplung und beim EEG erhalten bleibt . Darüber liegen wir mit der EU-Kommission im Streit, weil wir glauben, es ist ein Fehler, diese Befreiungsmöglichkeiten ab 2017 einzuschränken . Es wäre gut, wenn Sie sagen würden, Sie sind dafür, dass dies so bleibt . Das wäre ein großer Fortschritt . ({7}) Das haben Sie bisher nie getan . Sie haben damals immer so getan, als könnte man bei den energieintensiven Unternehmen die Branchen sozusagen weiter einschränken . Der eigentliche Vorteil dieses Landes ist aber, dass wir bei Stahl, bei Chemie und in vielen anderen Rohstoffbereichen Wertschöpfungsketten haben . ({8}) Wenn Sie anfangen, eine herauszubrechen, bricht Ihnen die ganze Wertschöpfungskette weg . Das ist doch unser Vorteil . Deshalb geht es doch nicht nur um die 87 000 Jobs, die es in der Stahlindustrie gibt - dies wäre bereits Grund genug, sich für die Stahlarbeiter einzusetzen -, sondern es geht doch um die gesamte Bandbreite der Industrie . Beim Emissionshandel ist es eben so, dass es ein Fehler ist, zu glauben, dass, wenn man es einfach teuer genug macht, die Sache dann - oh Wunder! - weitergeht . ({9}) Natürlich ist es ein Problem, wenn wir jetzt über die Frage sprechen, ob die 10 Prozent der besten Stahlunternehmen in Europa zusätzliche Minderungsfaktoren bekommen, die andere in Russland, in Indien, in China nicht haben . Die 10 Prozent Besten! ({10}) Wofür wir eintreten und wogegen Sie sind, ist, dass wir die 10 Prozent Besten von weiteren Minderungsauflagen  freistellen . Dafür plädieren wir . ({11}) Diese  befinden  sich  eben  bei  uns. Das Ergebnis, wenn  wir dies nicht tun, kann sein, dass die 10 Prozent Besten weg sind und wir am Ende beides nicht haben, weder Klimaschutz noch Jobs in Europa . Das wollen wir nicht, und darum kämpfen wir in dieser Angelegenheit . ({12}) Ich kann einfach nur raten, sich bei diesem schwierigen Thema nicht immer nur das herauszusuchen, bei dem man ideologisch die wenigsten Probleme hat, sondern zu schauen, wie wir auf der gesamten Bandbreite die Grundlage auch für ökologischen Fortschritt in Europa erhalten . Meine Damen und Herren, es gibt ganz gute Beispiele dafür, wie der Strukturwandel bewältigt werden sollte . Es ist ja nicht das erste Mal; denn Europa ist ja übrigens die einzige Region auf der Welt, die bereits Stahlkapazitäten in Höhe von 13 Millionen Tonnen Rohstahl abgebaut hat . Keine andere Region hat dies getan, nur Europa . Wir haben in der Vergangenheit bei solchen Prozessen zum Beispiel Stahlmoderatoren eingesetzt . So haben etwa Berthold Beitz und Alfred Herrhausen im Auftrag des damaligen Wirtschaftsministers Anfang der 80er-Jahre die Branche neu geordnet . Wir sehen, dass auch das dazugehört . Wir werden auch darüber zu reden haben . Die Unternehmen tun das auch . Ich  finde, man muss  überlegen,  ob wir  nicht  solche  Entwicklungen auch wieder politisch begleiten . Ich habe jedenfalls mit meinem französischen Kollegen Emmanuel Macron, aber auch mit der IG Metall verabredet, dass wir Stahlmoderatoren in Deutschland und Frankreich beauftragen, mit uns gemeinsam an der Frage zu arbeiten, wie wir europaweit unternehmensübergreifende Kooperationen schaffen, wie wir stabilisierende Maßnahmen auf dem Stahlmarkt zustande bringen, wie wir der Politik Handlungsempfehlungen geben können . Ich glaube, dass das eine ganz gute Anknüpfung an das ist, womit Europa einmal begonnen hat, nämlich mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Montanunion. Ich finde, es ist ein ganz guter historischer  Anknüpfungspunkt, dass Frankreich und Deutschland gemeinsam sagen: Wir wollen bei diesem Thema die Grundlagen unserer wirtschaftlichen Erfolge in der Stahlindustrie und übrigens auch in allen anderen Industriebereichen weiter sichern . Ich sage es ganz offen: Ich bin dafür, dass Europa seine Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 um mindestens 20 Prozent verringert . ({13}) - Das ist das Klimaschutzziel, das sich Europa gemeinschaftlich gesetzt hat . Deutschland muss dabei übrigens eine Verringerung um 40 Prozent schaffen, damit das überhaupt klappt . Aber ich bin auch dafür, dass das Ziel, das sich Europa gesetzt hat, dass der Anteil der Industrie bis 2020 20 Prozent am europäischen Bruttoinlandsprodukt beträgt, die gleiche Verbindlichkeit hat . Denn die Menschen werden uns beim Klimaschutz nicht folgen, wenn in der Kombination aus unfairem Wettbewerb, falschen energiepolitischen Entscheidungen und Auflagen für die Besten in  der Industrie am Ende die Jobs bei uns verloren gehen, während woanders neue entstehen . Keiner wird uns dann folgen . ({14}) Damit dabei kein Scheinwiderspruch entsteht: Das soll und darf nicht dazu führen, Frau Andreae, dass wir die Klimaschutzziele verfehlen . Es geht auch nicht darum, jedes  Stahlunternehmen  von  den  Minderungsauflagen  zu befreien . Aber ausgerechnet die 10 Prozent Besten, diejenigen, die nahe an der physikalischen Grenze zur Vermeidung von Kuppelgasen sind und die Kuppelgase verstromen, mit weiteren Auflagen zu versehen, während  vergleichbare Unternehmen in anderen Ländern gar keinen Auflagen unterliegen, das ist doch keine vernünftige  Klimaschutzpolitik . ({15}) Wir sollten nicht so tun, als sei das ein wirkliches Problem . Wir kämpfen jedenfalls dafür, dass wir vernünftige Regeln bekommen, durch die die Besten gefördert werden und die übrigens auch dazu beitragen, dass wir die Unternehmen erhalten, die gute Löhne zahlen und der Montanmitbestimmung unterliegen . Es geht auch - da hat der Kollege Ernst recht - darum, dass bei harten Arbeitsbedingungen faire Löhne gezahlt werden, in Deutschland und in Europa, aber insbesondere in Deutschland, weil es da in diesem Unternehmensbereich exzellente Mitbestimmungsstrukturen gibt . Es geht auch um den Erhalt der Montanmitbestimmung . Es geht bei all den Konsolidierungsmaßnahmen, die jetzt auf uns zukommen, auch darum, dass sie immer nur im Rahmen der Montanmitbestimmung, also mit den Beschäftigten, durchgeführt werden; sie dürfen nicht vor dem Hintergrund unfairen Wettbewerbs gegen die Beschäftigten durchgeführt werden . Auch dafür bin ich . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke . ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gabriel, zu Ihrer Bemerkung vorhin, was die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angeht: Dass Sie in Ihrer Politik energieintensive Unternehmen und Großverbraucher gleichgesetzt und gleichbehandelt haben, ist der entscheidende Grund dafür, dass diese beiden Fraktionen damals sehr kritisch gewesen sind . ({0}) Das macht keinen Sinn . Schauen Sie sich Ihre Tabelle an, aus der hervorgeht, welche Branchen quasi staatlich gefördert werden . Da sind höchstens 20 Prozent energieintensive Unternehmen wie die Stahlindustrie dabei, die heute unser Thema ist . Ich kann mich sehr gut, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diejenigen Beschäftigten hineinversetzen, die heute berechtigte Sorgen um ihre Arbeitsplätze haben . Ich selbst habe vor rund 30 Jahren in einer Eisengießerei meine erste Ausbildung gemacht . Dass am 11 . April 2016 beim bundesweiten Aktionstag der IG Metall bei uns an der Saar rund 20 000 Menschen auf die Straße gingen, ist mehr als ein deutliches Zeichen; das ist wirklich ein Alarmsignal . In Dillingen, in Völklingen, in Neunkirchen und auch in Saarbrücken, also dort, wo ich zu Hause bin, machen sich die Beschäftigten vollkommen zu Recht sehr viele Sorgen . Im saarländischen Landtag kam es zu einer gemeinsamen Erklärung von CDU, SPD und Linken ({1}) für eine Zukunft der einheimischen Stahlindustrie . Auch in diesem Landesparlament ist man sich mit einer großen Mehrheit der Verantwortung bewusst, die wir gegenüber den Beschäftigten haben . Diese Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stahlindustrie tragen auch wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier im Deutschen Bundestag . ({2}) Woher kommen aber die große Skepsis und die Zukunftsangst der Stahlarbeiter? Als 2012 das letzte Steinkohlebergwerk an der Saar geschlossen wurde, gab es zahlreiche Versprechen aus der Politik . Vor allem wurden ausreichend Ersatzarbeitsplätze versprochen . Mir konnte bisher noch keiner einen vergleichbaren Ersatzarbeitsplatz im Saarland zeigen . Da ist sehr viel liegen geblieben, und da gibt es unter den Bergleuten eine hohe Frustration; denn die Menschen sind in den Ruhestand abgeschoben worden, darunter viele, die gern noch weiter berufstätig geblieben wären . Dieses unwürdige Schicksal der Bergleute ist die Motivation der Menschen, die sich heute Sorgen um ihre Jobs in der Stahlindustrie machen . Sie glauben der Politik nicht einfach so, dass alles gut wird . Uns aber darf das Schicksal dieser Menschen nicht egal sein . ({3}) Dennoch muss man die Debatte auch sachlich führen . So beschert der Emissionsrechtehandel den Stahlunternehmen derzeit zusätzliche Erträge . Die Stahlbranche sieht in der Verschärfung bei den Handelsrechten einen Nachteil für die Standorte in Deutschland . Wir müssen sehr genau klären, wie wir zukünftig damit umgehen . Die entscheidenden Veränderungen gerade bei diesem Thema stehen erst in der nächsten Handelsperiode ab 2020 an . ({4}) Bis dahin muss für die in Bedrängnis geratene Stahlbranche eine kurzfristige Lösung gefunden werden . Für uns ist klar: Wir sind für eine Unterstützung der Stahlunternehmen zum Schutz der Arbeitsplätze . Wenn es aber um eine öffentliche Unterstützung geht, dann muss man auch etwas an der Eigentümerstruktur der betroffenen Unternehmen verändern . ({5}) An der Saar haben wir einen Saarland-Pakt und damit eine öffentliche Stahlstiftung . Privaten Unternehmen wird nur eine Minderheitenbeteiligung eingeräumt . Mit diesem Modell war es unter der damaligen Lafontaine-Landesregierung möglich, die sehr stark angeschlagenen Unternehmen an der Saar zu retten und sie zu sanieren . Heute sind sie vergleichsweise gut aufgestellt . ({6}) Was jedoch nicht geht, ist, dass international tätige Stahlkonzerne in der Bundesrepublik in guten Zeiten fette  Profite machen,  dass  hohe Dividenden  ausgezahlt  werden und dass am Ende das Geld sonst wohin abwandert, während in schlechten Zeiten die Hände aufgehalten werden, so wie wir das schon bei den Banken erlebt haben . Die Stahlstiftung an der Saar hat genau diesen Missbrauch verhindert . Hier wurden aus den Gewinnen Rücklagen gebildet, die heute, zumindest für eine Übergangszeit, das Überleben der Standorte sichern . Saarstahl und Dillinger Hütte haben eine Eigenkapitalquote von sage und schreibe 85 Prozent . Deshalb wäre es wichtig, dass wir uns daran ein Beispiel nehmen . Dieser Saarland-Pakt könnte ein bundesweites Modell werden . ({7}) Einen vergleichbaren Vorschlag hat im Übrigen der SPD-Politiker Beck vor einigen Jahren schon einmal gemacht, als er einen Deutschland-Pakt vorschlug . Bis auf einige kritische Details wäre das für meine Begriffe eine hervorragende Diskussionsgrundlage . Hier muss allerdings der Wirtschaftsminister tätig werden . Allein markige Sprüche, wie wir sie gerade gehört haben, lieber Genosse Gabriel, werden den Beschäftigten in der Stahlindustrie nicht unbedingt weiterhelfen . Hier sind ganz konkrete Taten gefragt . ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss: Eine Antwort auf die Herausforderung des Klimawandels  gebe  ich  nicht  dadurch,  dass  ich  effiziente Werke  hierzulande schließe und den Stahl von dorther importiere, wo er eine schlechtere Ökobilanz hat . Es ist vorhin schon gesagt worden: Im vergangenen Jahr wurden allein 7 Millionen Tonnen Stahl aus China exportiert . Wäre der gleiche Stahl hierzulande produziert worden, wären rund 30 Prozent CO2 eingespart worden . Auch da geht es um Klimaschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . Glück auf! ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Die heutige Debatte ist, glaube ich, erfreulich . Es gab einmal Zeiten, da wurde auch hier im Haus, insbesondere von grüner Seite, aber zum Teil auch von anderen, zwischen der sogenannten Old Economy und der New Economy unterschieden . Die einen waren vermeintlich von gestern, die anderen waren vermeintlich von morgen . Ich freue mich, dass ich heute keinerlei Ausführungen in diese Richtung gehört habe . Ganz im Gegenteil: Es wurde sehr differenziert über alle Fraktionen hinweg dargelegt, dass beides zusammengehört und dass man es nicht auseinanderdividieren kann . Auch die Rolle des Stahls, die uns ja heute beschäftigt, wurde und wird hier entsprechend thematisiert . Stahl ist nach wie vor ein Innovationsträger, also zukunftsträchtig und zukunftsfähig . Es gibt heute in Europa 2 500 verschiedene Stähle und Legierungen . Davon waren 25 Prozent vor fünf Jahren sozusagen noch nicht auf der Welt; die sind erst jetzt entwickelt worden . Das macht, glaube ich, deutlich, dass der Stahl auch heute noch ein Innovationsträger ist und in vielen Bereichen des Lebens und der Wirtschaft, die ja schon angesprochen wurden vom Kochtopf im Haushalt über das OP-Besteck bis hin zu Windkraftanlagen und Kraftfahrzeugen -, eine wichtige Rolle spielt . Daher muss es unser gemeinsames Bestreben sein, diese Wertschöpfungsketten zu erhalten; denn sie können nicht einfach importiert werden . Wenn diese Wertschöpfungsketten einmal abreißen, dann finden die Innovationen nicht mehr bei uns, sondern irgendwo anders statt; das haben wir in anderen Bereichen erlebt . Deshalb ist es wichtig, dass die energieintensiven Branchen mit den entsprechenden Wertschöpfungsketten in Deutschland gehalten werden und hier eine Zukunft haben . Dazu zählt nicht nur der Stahl, sondern dazu zählen auch Kupfer, Aluminium und andere Materialien . ({0}) Sie werden auch weiterhin als langlebige, recycelbare und nachhaltige Baustoffe in der Infrastruktur unentbehrlich sein. Wenn wir über Materialeffizienz reden, wenn  wir über Recycling reden, dann spielen diese Materialien auch zukünftig eine wichtige und herausragende Rolle . Deshalb gilt es, deren Zukunft zu sichern . Was ist zu tun? Es ist ja teilweise bereits angesprochen worden oder angeklungen: Wir sollten nicht nur irgendwo anders auf der Welt die Schuldigen suchen . Vielmehr müssen wir zunächst einmal unsere Hausaufgaben vor Ort machen . Das bedeutet, weiterhin in Forschung und Entwicklung zu investieren . Wir investieren in Deutschland pro Jahr 200 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung im Stahlbereich . So viel wird nirgendwo auf der Welt investiert - ich glaube, das ist gut angelegtes Geld -; das sollten wir auch weiterhin tun . Auch das Thema Klimaschutz ist angesprochen worden . Kollege Fuchs hat dargestellt, dass eine Tonne Stahl, die in China produziert wird, ein Drittel mehr an CO2-Emissionen verursacht . Deshalb ist natürlich auch die Produktions- und Klimaeffizienz ein Maßstab. Durch  den Verkauf unserer Technologie und unserer Innovationen sorgen wir dafür, dass nicht nur hier in Deutschland und in Europa, sondern auch anderswo auf der Welt der Stahl klimaeffizienter produziert wird. Da auch das angeklungen ist, vielleicht noch etwas zur Frage der Kosten . Da gibt es ja doch schon den einen oder anderen Unterschied; das sollten wir, glaube ich, durchaus ab und zu einmal darlegen . Kollege Krischer hat, wenn ich es richtig verstanden habe, die Ausführungen des Ministers bestritten, dass in den USA die Kosten so viel geringer sind . Es gibt ein Beispiel, das Sie alle kennen . Es stammt nicht aus dem Stahlbereich . Aber weil diese Problematik angesprochen wurde und ich es zufällig parat habe, will ich es anführen: Die Firma Aurubis in Hamburg, die größte deutsche Kupferhütte, die wahrscheinlich die meisten kennen, hat quasi das gleiche Werk in den USA . In den USA hat Aurubis fast doppelt so hohe Stromkosten wie in Deutschland . ({1}) Das hängt natürlich damit zusammen, dass dieses Unternehmen im Wettbewerb steht . Wenn wir solche Unternehmen nicht entlasten, dann werden sie natürlich hier am Standort Deutschland, am Standort Europa keine Zukunft haben . Genau deshalb brauchen wir eine Differenzierung und Entlastungsregeln auch in Deutschland und in Europa . ({2}) - Habe ich es falsch herum gesagt? ({3}) Sie haben in Deutschland Stromkosten in Höhe von knapp 50 Millionen Euro, für die gleiche Anlage in den USA nur die Hälfte, nämlich 25 Millionen Euro . ({4}) Aber Sie haben alle gut aufgepasst und mitgedacht . Insofern hat es wahrscheinlich jeder verstanden . - Frau Roth lacht, also hat sie es auf jeden Fall verstanden und nachvollzogen . ({5}) An dem Beispiel wird also klar, dass wir diese Sache auch in Deutschland und in Europa angehen müssen . Jetzt komme ich zum Thema China . Hier will ich die Dramatik mit einigen Zahlen unterstreichen und darlegen, worum es geht und wie sich die Stahlproduktion entwickelt hat . Wir haben heute in China über die Hälfte der Weltstahlproduktion . Während beispielsweise 1990 in China noch weniger als 9 Prozent der Weltstahlproduktion lagen und in Europa 25 Prozent, sind es heute in Europa nur noch 10 Prozent . In absoluten Zahlen ausgedrückt: Heute haben wir eine Weltstahlproduktion von über 1 600 Millionen Tonnen, von denen über 800 Millionen Tonnen in China produziert werden . In Deutschland sind es zurzeit gerade einmal 42 Millionen Tonnen . China hatte 1980 weniger als 40 Millionen Tonnen produziert . Daran wird deutlich, was sich dort getan hat und was sich entwickelt hat . China hat allein in den letzten beiden Jahren mehr Stahl produziert und verbraucht als das Ursprungsland der Industrialisierung Großbritannien seit der industriellen Revolution Mitte des 18 . Jahrhunderts; das sage ich, nur um einmal die Dimension anzusprechen . Das bedeutet natürlich auch, dass die Chinesen ihre Kapazitäten anpassen müssen, wenn es mit dem Wachstum nicht mehr so weitergeht, und dass die Unternehmen, die nicht mehr den modernen Anforderungen entsprechen, vom Markt genommen werden . Dafür müssen wir auch werben und deutlich machen, dass dies von chinesischer Seite freiwillig erfolgen muss und entsprechende Bereinigungen vorgenommen werden . Es ist auch klar, dass wir ein Level Playing Field brauchen . Aber wir brauchen - das können wir uns nicht leisten - keinen Handelskrieg . Hier müssen wir sehr aufpassen . Kollege Gabriel hat es ja angesprochen . Bei der PV haben wir sehr gemischte Erfahrungen gemacht . Wir haben gesagt: Bei den Modulen müssen wir entsprechende Zölle erheben, um so das Dumping zu verhindern . - Im Ergebnis haben wir heute die Situation, dass die Module aufgrund unserer Zollaktivitäten in Europa teurer sind als im Rest der Welt und dass unsere Stromverbraucher heute höhere Kosten zahlen, als es notwendig ist . Da sind die Europäische Union und wir gefordert, unsere Mechanismen anzupassen . Frau Andreae, Sie haben es angesprochen: In den USA geht das wesentlich schneller; dort gibt es Möglichkeiten für eine schnellere Reaktion und höhere Zölle . Wir sind in Europa gefordert, gemeinsam dafür zu sorgen, dass unsere Aktivitäten beschleunigt werden . Ich möchte nur noch auf einen letzten Punkt, weil meine Redezeit schon fast vorüber ist, eingehen, und zwar auf das Thema Emissionshandel und Klimaschutz .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das muss aber ganz knapp erfolgen .

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn die einen keine Instrumente für den Klimaschutz haben und andere sie haben, dann müssen wir versuchen, gleiche Voraussetzungen zu schaffen . Deshalb müssen wir die Chinesen unterstützen, dass auch sie Instrumente zum Emissionshandel einführen und wir dann die verschiedenen Systeme miteinander verknüpfen und diese entsprechend innovativ gestalten . ({0}) - Jetzt kommt mir Kollegin Baerbock zur Hilfe .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, sie kommt nicht zur Hilfe . ({0}) Wenn die Redezeit vorbei ist, gibt es auch keine Zusatzfragen mehr .

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist eigentlich schade . ({0}) Jetzt muss ich leider langsam zum Ende kommen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, Kollege Pfeiffer, Sie müssen schnell zum Ende kommen .

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir müssen die Dinge miteinander verknüpfen . Wenn wir dies heute beginnen und in diesem Sinne weiter arbeiten, sind wir auf dem richtigen Weg und dann haben der Produktionsstandort und Stahlstandort Deutschland und Europa eine Zukunft . Herzlichen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält die Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Ende der 80er-Jahre als Personalratsmitglied der Uni Duisburg mit den Kollegen aus der Stahlindustrie in Rheinhausen für den Erhalt der Stahlarbeitsplätze dort gekämpft . Ich lebe in einer Stadt, die in den 70er- und 80er-Jahren 30 000 Arbeitsplätze vor allen Dingen im Kohle- und Stahlbereich verloren hat, und ich weiß, was das für Auswirkungen hat . Aber was Sie hier versuchen, ist, kurzfristig und zulasten des Klimaschutzes und des Emissionshandels Arbeitsplätze zu retten, und das wird nicht gelingen . Durch diese Art der Politik gefährden Sie die Arbeitsplätze und retten sie nicht, meine Damen und Herren . ({0}) Ich zeige Ihnen das einmal an einem Beispiel: Als ich 1995 Ministerin in Nordrhein-Westfalen wurde, da wusste ich, dass in Duisburg die höchsten Dioxin- und Furanwerte gemessen wurden, die wahrscheinlich weltweit überhaupt jemals gemessen worden sind . Ich wusste, dass die Benzol- und Benzoapyrenwerte im Bereich der alten Kokerei so hoch waren, dass zu erwarten war: Menschen werden an Krebs erkranken, der ganz bestimmte Organe befällt . Der Zusammenhang war da . Dann habe ich mit den Unternehmen - das waren die Zulieferer der Stahlindustrie und das Stahlunternehmen selber - gesprochen . Sie mussten Filter einbauen . Die alte Kokerei wurde geschlossen und durch eine neue ersetzt . Meinen Sie, die Unternehmen wollten das? Sie waren davon nicht begeistert . Aber durch diese Investitionen in den Umweltschutz haben wir erreicht, dass der Stahlstandort Duisburg und die Arbeitsplätze dort erhalten wurden . ({1}) Denn ohne Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit wäre die Akzeptanz des Stahlstandortes nicht mehr gegeben gewesen . Insofern wird sehr deutlich: Wenn man immer nur sehr kurzfristig den Wünschen der Stahlunternehmen nachkommt, dann wächst das Problem mittelfristig immer mehr an . Damit schafft man letztendlich keine Perspektive . ({2}) Wir haben in Paris auf der Klimakonferenz gemeinsam ehrgeizige Ziele beschlossen . Sie bedeuten für ein Industrieland wie Deutschland, dass es bis 2050 die CO2-Emissionen um 95 Prozent reduzieren muss . Es wird dann in der Stahlindustrie aufgrund des Produktionsprozesses immer noch CO2-Emissionen geben . Aber auch die Stahlindustrie, die ja in Deutschland bleiben soll, muss klimafreundlich werden, meine Damen und Herren, sonst hat sie keine Zukunft . ({3}) Das schaffen wir nicht, indem wir die Stahlindustrie vom Emissionshandel ausnehmen, sondern indem wir Investitionen fördern, zum Beispiel in einen neuen Hochofen in Duisburg . Das wäre der richtige Weg, um Arbeitsplätze zu erhalten und den Klimawandel mit voranzutreiben . Ich sage sehr deutlich: Der Emissionshandel hat dazu geführt, dass der Stahlindustrie ein enormes Subventionspaket im Umfang von 2,7 Milliarden Euro auf den Tisch  gelegt  wurde.  Sie  hat  Zertifikate  in  einem Wert  von 5,3 Milliarden Euro umsonst erhalten . Sie konnte einen Teil davon in die Produkte einpreisen . Sie konnte auch noch mit CDM-Zertifikaten aus dem Ausland Geld  verdienen . Die Eisen- und Stahlindustrie hat bis 2012 2,7 Milliarden Euro am Emissionshandel verdient . Wenn wir jetzt darüber reden, dass es für die Stahlindustrie in Zukunft schwieriger wird, dann muss man auch Folgendes sehen: Die Stahlindustrie hat am Anfang so viele Zertifikate erhalten, dass sie über Jahre hinweg  immer noch davon profitieren kann und sie auch in den  nächsten Jahren keine kaufen muss . Meine Damen und Herren, wir haben keinerlei Reduktion der CO2-Emissionen pro Einheit Stahl erreicht, seit es den Emissionshandel gibt . Das geht nicht . Der Emissionshandel muss die Wirkung haben, dass auch in der Stahlindustrie CO2 eingespart wird und man nicht einfach weitermacht wie bisher . ({4}) Sie haben über die USA geredet . Wo hat denn Thyssen seine Probleme? An Standorten in den USA und in Brasilien, weil Thyssen dort teurer produziert als hier in Duisburg . ({5}) Warum hat Thyssen in Brasilien ein Problem? Weil man im dortigen Stahlwerk auf billigen und schlechten Stahl aus China gesetzt hat . Also schauen Sie, bitte schön, auf die eigenen Fehler, die gemacht worden sind, und versuchen Sie nicht, jetzt die eigenen Probleme auf den Emissionshandel zu schieben! Das funktioniert nicht . ({6}) Herr Gabriel, Sie haben gesagt, momentan geht es um ein Ertrinken  für die Stahlindustrie.  Ich finde, kurzfristig können Sie da eine sehr gute Sache machen . Neben dem Emissionshandel in der Stahlindustrie diskutieren wir das EEG . Was Sie dort, beim EEG, machen, ist, dass Sie den Anteil der Windkraftanlagen an Land drastisch reduzieren - und damit auch die Nachfrage nach Stahl . Machen Sie es einfach so: Ändern Sie das EEG, sorgen Sie für eine weitere Zunahme der Windkraftanlagen! ({7}) Das nützt dem Klima, das nützt der Stahlindustrie . Das wäre die Lösung, die wir brauchen . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Bernd Westphal für die SPD-Fraktion . ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor allen Dingen: Einen herzlichen Gruß an die Beschäftigten der Stahlindustrie, die heute auf der Besuchertribüne Platz genommen haben! Herzlich willkommen! ({0}) Der heute vorliegende Antrag „Stahlindustrie in Deutschland und Europa stärken“ könnte den Eindruck vermitteln, dass es nur um Stahl geht . Nein, es geht hier um ein Herzstück der deutschen Industrie, es geht um den industriellen Standort in Deutschland in Gänze . ({1}) Frau Höhn, das, was Sie gesagt haben ({2}) - nein -, zeigt, dass Sie kein Verständnis von Wertschöpfung in Deutschland haben . ({3}) Sie haben einen Gegensatz von Arbeit und Umweltschutz konstruiert, den es so nicht gibt . Sie haben gesagt, die Industrie sei das Problem, aber das ist falsch: Die Industrie ist die Lösung für die Probleme . Die Innovationen aus der Industrie in Deutschland helfen uns, beim Klimaschutz etwas zu erreichen . ({4}) Die Ausnahmen beim Emissionshandel betreffen nur 10 Prozent der CO2-effizientesten Stahlunternehmen  in  Deutschland; sie behaupten etwas anderes . Ihre Behauptungen, dass die gesamte Branche ausgenommen werden soll, sind einfach falsch . Sie müssten Ihre Argumente noch einmal überprüfen . ({5}) Die Stärke unseres Wirtschaftsstandortes sind die Wertschöpfungsketten in unserem Land . Die industriellen Wertschöpfungsketten führen zu Innovationen und vor allen Dingen auch zu Investitionen . Die Reindustrialisierung, die wir uns auf die Fahnen geschrieben haben, wird genau an diesem Punkt sichtbar . Wir haben es in Deutschland vor allen Dingen auch geschafft, das Wirtschaftswachstum vom Rohstoffverbrauch zu entkoppeln . Das bedeutet: geringere CO2-Emissionen trotz Wirtschaftswachstum . Das ist ein Erfolg dieser Branche . Auf die Beschäftigtenzahl ist schon hingewiesen worden . Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Branche vor allem Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt . In den Regionen, in denen es Stahlwerke gibt, gibt es Ausbildungsplätze mit Übernahmegarantie, einen hohen Standard beim Arbeitsschutz, hohe Sozialstandards und ein Montan-Mitbestimmungsgesetz, Jugendvertretung und Betriebsräte . Das kann sich sehen lassen . Viele Impulse, die wir in anderen Branchen nutzen, kommen gerade aus diesem Bereich . Deshalb ist diese Branche für unsere Wirtschaft so wichtig .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Westphal, darf die Kollegin Baerbock eine Zwischenfrage stellen?

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege Westphal . - Da wiederholt in Reden behauptet wurde, dass nur 10 Prozent der CO2-effizientesten Stahlwerke kostenlose Zertifikate bekommen, möchte ich eine Klarstellung von Ihrer Seite . In der Handelsperiode des Emissionshandels von 2008 bis 2012 hat die Stahlbranche vollumfänglich kostenlose Zertifikate  bekommen.  Bestätigen  Sie  das?  Bestätigen  Sie weiterhin, dass die Stahlbranche Zusatzgewinne von 2,1 Milliarden Euro gemacht hat, weil sie diese Zertifikate - es waren zu viele - verkaufen konnte? Können Sie auch bestätigen, dass die kostenlose Zuteilung dazu geführt hat, dass die Stahlbranche in Deutschland bis zum Jahr 2020 keine weiteren Zertifikate zukaufen muss? Bis  zum Jahr 2020 gibt es also kein Problem . Der letzte Punkt - weil Herr Gabriel das angesprochen hat -: Die Reform des Emissionshandels ab dem Jahr 2021 - also weit nach 2017 - wird derzeit in Brüssel diskutiert . Die Vorschläge, die die EU-Kommission auf den Tisch gelegt hat, beziehen sich darauf, die Zahl der Sektoren, die bisher von einer kostenlosen Zuteilung profitieren,  von  177  Sektoren  auf  50  Sektoren  zu  beschränken . Darunter fallen die Stahlindustrie, aber auch die Aluminiumindustrie und andere energieintensive Industrien . Sie behaupten, dass nur 10 Prozent der Unternehmen eine kostenlose Zuteilung erhalten sollen . Aber dem ist nicht so, weil die Stahlbranche weiter komplett ausgenommen werden soll . ({0}) Können Sie auch dies bestätigen? Woher kommen Ihre Zahlen, dass nur 10 Prozent der Stahlbranche eine kostenlose Zuteilung bekommen? Herzlichen Dank .

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihre Zahlen nicht bestätigen, weil sie falsch sind . Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir keine Ausnahmen für die hochinnovative Stahlindustrie vereinbart hätten, dann wäre sie heute gar nicht mehr da . ({0}) Das hätte zu einem höheren CO2-Ausstoß geführt, der ganz andere Effekte auf das Weltklima gehabt hätte, als wir erreichen wollen . ({1}) Die von mir genannten 10 Prozent gelten für zukünftige Handelsperioden . Das ist wichtig . ({2}) Wir haben das Problem - es ist auch von meinen Vorrednern angesprochen worden -, dass China Stahl zu einem Preis auf dem europäischen Markt anbietet, der unter den Herstellungskosten liegt . Deshalb muss die EU-Kommission jetzt die außenhandelspolitischen Instrumente, über die sie verfügt, nutzen . Allerdings besteht an dieser Stelle Reformbedarf, weil diese Instrumente nicht schnell genug greifen . In den USA kann bei Schädigung einer Branche wesentlich schneller eine Handelsschranke verhängt werden . Wir müssen dafür sorgen, dass diese Handelsschranken - dabei geht es um Antidumpingverfahren und Mindestpreise - auch auf europäischer Ebene durchgesetzt werden können . Ich darf an dieser Stelle sagen, dass ich Sigmar Gabriel, unserem Wirtschaftsminister, für sein Engagement absolut dankbar bin und auch dafür, dass er nicht nur innerhalb der Bundesregierung, sondern auch gemeinsam mit seinen Kollegen aus anderen Ländern auf dieses Defizit  hinweist . Wir brauchen natürlich keine neuen Handelskonflikte mit der Volksrepublik China, aber wir brauchen  klare und faire Handelsbedingungen . Die bestehen im Moment nicht, und wir müssen gegenüber der chinesischen Seite deutlich machen, dass das so nicht geht . ({3}) Ich will noch Aspekte zum Klimaschutz anführen . Auch wenn durch das G-7-Treffen die Debatte über die Dekarbonisierung bis zum Ende des Jahrhunderts platziert ist, werden wir in Deutschland unsere industrielle Produktion nicht aufgeben . Dekarbonisierung darf nicht Deindustrialisierung heißen . ({4}) Es muss auch zukünftig möglich sein, mit Hochöfen, in die man Koks, Kohle, Erz und Schrott füllt, Stahl herzustellen . ({5}) - Na ja, mit den Grünen klappt das ja auch nicht . - Wir müssen zusehen, dass wir ein System finden, in dem beides möglich ist . Ich hatte eben darauf hingewiesen, Frau Höhn, dass wir sinkende CO2-Emissionen und gleichzeitig Wirtschaftswachstum haben . Das ist ein Erfolg, der zeigt, dass diese Industrie hochinnovativ ist . ({6}) - Vielleicht sollten Sie sich einmal ein Stahlwerk angucken . Die Dillinger Hütte und andere Stahlwerke in Deutschland, zum Beispiel in Duisburg und Salzgitter, zeigen, dass man Umweltschutz und industrielle Produktion durchaus zusammenbringen kann . ({7}) Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind . ({8}) Wir haben überhaupt nichts davon, wenn es zu Carbon-Leakage-Effekten, also zur Abwanderung der Produktion in andere Länder, kommt . Das wollen wir verhindern . Wir brauchen generell Planungssicherheit für die Unternehmen . Das heißt, wir brauchen Rahmenbedingungen, die Investitionen ermöglichen . Wir wollen den Industrialisierungsgrad sichern . Wir wollen den Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung nicht schmälern . Wenn wir wirtschaftlich stark bleiben wollen, dann brauchen wir ein Aufleben der Industrie, eine Reindustrialisierung . Das hat sich auch die EU-Kommission für ihre Politik auf die Fahne geschrieben . Das ist der richtige Weg . Die Ausgestaltung des Emissionshandels ist derzeit unklar . Die Einbeziehung industrieller Eigenstromerzeugung wird nicht zu Planungssicherheit führen . So werden wir keine Investitionen freisetzen . Deshalb brauchen wir schnellstens Klarheit für die Branche . Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutschland braucht auch in Zukunft eine starke und krisenfeste Industrie . Wir brauchen für die gesamte Wertschöpfungskette in diesem Land sichere Rahmenbedingungen, und auch der vorhandene Fachkräftebedarf muss gedeckt werden . Deshalb werbe ich dafür: Stimmen Sie dem von SPD und CDU/CSU vorgelegten Antrag zu . So schützen wir die Stahlindustrie, sichern Jobs und erhalten die Wertschöpfungsketten . Die Stahlindustrie ist nachhaltig mit einer hohen Recyclingquote und ist innovativ . Herzlichen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Barbara Lanzinger für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kürzlich sagte ein Augsburger IG-Metall-Bevollmächtigter bei einer Demonstration für die Stahlindustrie: Stahl ist nicht alles, aber der Anfang von vielem . - Dem stimmen wir, denke ich, insgesamt zu . ({0}) Die Stahlindustrie hat als Basisindustrie eine zentrale Bedeutung für die industrielle Wertschöpfungskette - das haben wir heute schon vielfach gehört -; denn ohne Stahl keine Autos, keine Maschinen, keine Schiffe, keine Flugzeuge, keine Messer, keine Töpfe und auch keines der vielfältigen Präzisionswerkzeuge . Insbesondere die deutsche und die europäische Stahlindustrie ist mit ihren hochwertigen Stahlen die Grundlage für unzählige Innovationen und Hochtechnologien . Dazu zählen Windräder genauso wie effiziente Turbinen.  In der Stahlindustrie und den stahlintensiven Branchen auch das wurde schon mehrfach erwähnt - sind Hunderttausende Menschen in Deutschland und Europa beschäftigt, davon viele im Mittelstand . Kurzum: Wir brauchen hochwertigen Stahl, und wir brauchen deswegen eine deutsche und europäische Stahlindustrie . Damit diese eine Chance hat, müssen wir uns mit Nachdruck für sie einsetzen . Deshalb ist der heutige Antrag enorm wichtig, um uns dem zu stellen und darüber heute im Plenum zu diskutieren . ({1}) Lassen Sie mich die Bedeutung der Stahlindustrie auch anhand einiger Beispiele und Zahlen verdeutlichen . Die deutsche Stahlindustrie beschäftigt etwa 90 000 Menschen . Daneben sind vor allem die nachgelagerten stahlintensiven Branchen von großer Bedeutung . Allein auf den Automobilsektor und auf die Bauindustrie entfallen über 50 Prozent des deutschlandweiten Stahlbedarfs . Das heißt: keine Energiewende ohne Stahl, keine Elektromobilität ohne Stahl und kein Wohnungsbau ohne Stahl . Bayern ist auch dafür bekannt, Stahlindustrieland zu sein . Zumindest war Bayern bis vor einigen Jahren ein hochinnovatives Stahlindustrieland . Wir haben allein in der Oberpfalz sehr viele Arbeitsplätze verloren . Wir haben es geschafft - vorhin wurde der Strukturwandel angesprochen -, in der Oberpfalz diesen Strukturwandel mit sehr viel Engagement zu meistern . Dabei mussten wir  auch  Verluste  hinnehmen.  Aber  heute  floriert  das  Ganze . Auch das muss man einmal sagen . Bayern ist auch dafür bekannt, ein Innovationsstandort zu sein: mit Hochtechnologien und beispielsweise mit einer mittelständisch geprägten Maschinenbaubranche . In der stahlintensiven Baubranche in Bayern sind rund 140 000 Menschen beschäftigt . Im Automobilbereich sind es 184 000 und in der Maschinenbaubranche 218 000 Menschen . Dies entspricht etwa einem Drittel des produzierenden Gewerbes in Bayern . Die Arbeitsplätze sind - obwohl die Arbeit sicherlich manchmal beschwerlich ist - hochgradig attraktiv . Sie bieten Arbeit für hochqualifizierte Fachkräfte. Auch das  muss man festhalten . Gerade in dieser Branche gibt es sehr gute Arbeitsbedingungen . So haben allein in meiner Heimat Oberpfalz im Jahr 2014 rund 90 000 Menschen eine Anstellung in der Metall- und Elektroindustrie gefunden . Dabei liegt der Anteil der Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten bei 85 Prozent . Die kleinen und mittelständischen Betriebe haben hier eine ganz starke regionale Verwurzelung . Ich möchte auch die Ausbildungsplätze erwähnen . In diesen mittelständischen Unternehmen gibt es ebenso attraktive und vielfältige Ausbildungsplätze - auch bei den kleinen Mittelständlern und nicht nur bei den großen Unternehmen . Es heißt nicht, dass diese Arbeits- und Ausbildungsplätze automatisch verloren gehen, wenn es in Deutschland und in Europa keine Stahlindustrie mehr gibt . Aber die Unternehmen, die auf hochqualitativen Stahl und innovative Stahlprodukte angewiesen sind, bekämen massive Probleme, wenn sie einseitig von außereuropäischem Stahl abhängig wären . Noch einmal ein konkretes Beispiel: In der Maxhütte in der Oberpfalz werden Stahlrohre sowohl für die Automobil- als auch für die Energiebranche produziert . Ich höre, dass das Unternehmen auf hochwertigen Stahl angewiesen ist, der beispielsweise aus den Lech-Stahlwerken nahe Augsburg stammt . Die gesamte Stahlindustrie hat eine besondere Bedeutung für Bayern, Deutschland und für Europa . Noch einmal zu China und den Wettbewerbsverzerrungen . Ich möchte es wiederholen: Es ist nicht hinnehmbar, dass vor allem die chinesischen Unternehmen den europäischen und den deutschen Markt mit Stahl fluten.  Allein von 2012 bis 2015 haben sich die Stahlexporte aus der Volksrepublik China mehr als verdoppelt: von etwa 55 Millionen auf 112 Millionen Tonnen Stahl . Ein fairer Wettbewerb kann dabei nicht aufkommen, wenn chinesische Unternehmen den Stahl zu Niedrigstpreisen anbieten . Ich möchte betonen: Das Problem ist nicht, dass China  eine  florierende  Stahlindustrie  hat,  die  sich  im Rahmen eines fairen Wettbewerbs durchsetzt . Das Problem ist vielmehr, dass der chinesische Stahl durch staatliche Maßnahmen teilweise unterhalb der Herstellungskosten verkauft wird . Einige Gedanken zur Energiewende und zu den Strompreisen: Auf nationaler Ebene müssen die richtigen Weichen für eine wettbewerbsfähige Stahlindustrie gestellt werden - so auch im Rahmen der Energiewende . Eine besondere Bedeutung für die Stahlindustrie - darauf möchte ich auch noch einmal kurz eingehen - hat die Eigenstromerzeugung auf Basis von Kuppelgasen, anderen Restenergien und auch durch die Kraft-Wärme-Kopplung . Mithilfe dieser Verfahrenstechniken kann die Stahlindustrie einen Großteil ihres Stroms selbst erzeugen . Diese Verfahren sind nicht nur energiepolitisch, sondern auch ökologisch betrachtet sinnvoll . Die Stahlindustrie ist eine der energieintensivsten Branchen; wir haben es gehört . Aus diesem Grund ist sie besonders von den hohen Stromkosten betroffen, auch durch das Fehlen von Stromleitungen . Auch deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Leitungsausbau in den nächsten Jahren zügig vorankommt; denn unsere energieintensiven Unternehmen brauchen Versorgungssicherheit . Transport und Verbrauch gehen leider nicht immer zusammen . Im Ergebnis mussten deshalb oftmals Kraftwerke hoch- oder runtergeregelt werden . Eine weitere Möglichkeit, steigenden Strompreisen entgegenzuwirken, ist das Thema Speicher . Zu den Energiespeichern zählen nicht nur Batteriespeicher und Pumpspeicherkraftwerke, sondern zum Beispiel auch die Umwandlung von elektrischer Energie in brennbare Gase oder Wärme . Speicher sind vielseitig und dezentral einsetzbar, eben dort, wo sie gebraucht werden . Aktuell können sie durch den Letztverbraucherstatus nicht wirtschaftlich betrieben werden . Es geht auch nicht darum, den Speichern einen Vorteil zu verschaffen, sondern darum, diskriminierende Rahmenbedingungen auch hier zu beseitigen . Nur so können sie wirtschaftlich betrieben werden, und nur so wird Deutschland Spitzenreiter - wir sprechen über die Innovationskraft der Stahlindustrie und der gesamten Wirtschaft - im Bereich der Speichertechnologie bleiben . ({2}) Hohen Strompreisen entgegenzuwirken, das dient auch der Stahlindustrie in Deutschland . Lassen Sie mich zum Schluss kommen . Die Stahlindustrie in Deutschland und Europa ist kein notwendiges Übel, wie es früher oftmals formuliert wurde, sondern die Grundlage für Wirtschaftskraft und Innovation, insbesondere auch in Bayern . Sie hat Strahlkraft auch in andere europäische Länder . Lassen Sie uns für die richtigen Rahmenbedingungen kämpfen . Ich denke, mit dem vorliegenden Antrag zur Stärkung der Stahlindustrie in Deutschland und Europa machen wir einen richtigen Schritt . Deshalb bitte ich Sie darum, unserem Antrag zuzustimmen . Danke schön . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Andreas Lämmel ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Höhn, Sie haben in Ihrer Rede ja wieder einmal Ihre grüne Maske fallen lassen . Bei Frau Andreae hatte man fast den Eindruck, dass sie das Prinzip der Marktwirtschaft tatsächlich verstanden hat . ({0}) Aber Sie sind wieder in Ihren grünen Einheitsbrei zurückgefallen und haben uns hier einen grünen Ökoquark zusammengerührt, der einfach nicht genießbar ist . Denn die Dinge, die Sie uns dargelegt haben, sind einfach falsch . Ihre Behauptung, dass die Stahlindustrie in Deutschland in den letzten 20 Jahren nichts getan hätte, um ihre Emissionen zu reduzieren oder um ihre Produktion energieeffizienter zu gestalten,  ist doch völliger Unsinn. Wenn  Sie nur allein die Restrukturierung, die Transformierung der ostdeutschen Stahlindustrie betrachten, dann können Sie sehen, dass sozusagen aus Halbruinen hochmoderne, hocheffiziente Stahlwerke entstanden sind. ({1}) Diese früheren Ruinen, die 1989 vorhanden waren, Frau Höhn, stehen heute noch in Russland und zum Teil in China . Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie darauf hinwirken würden, Russland oder China zu helfen, ihre Stahlindustrie auf den modernsten Stand zu bringen, dann hätten Sie einen großen Gewinn für das Klima erreicht . Diesen erreicht man nicht, wenn man jetzt mit hohen Kosten die letzten 2 Prozent aus den Emissionen rausholt . ({2}) Überproduktionskrisen hat es immer gegeben . Es ist sicherlich ein Problem der Weltwirtschaft, dass dann, wenn die Konjunktur nachlässt, natürlich viele Waren auf dem Markt sind, die keinen Absatz finden. Das Problem mit China ist ja nicht zum ersten Mal Gegenstand der Debatten des Deutschen Bundestages . Sie erinnern sich, dass wir zum Beispiel das Thema Solarpaneele hier schon mehrfach behandelt haben . Ganz entscheidend ist für mich die Frage: Handelt es sich im Hinblick auf den chinesischen Stahl um Dumpingpreise oder nicht? ({3}) Das ist schnellstmöglich zu entscheiden . Ich frage mich manchmal schon, warum all diese Prozesse in Brüssel so lange dauern . ({4}) Da sind die Amerikaner viel schneller und viel restriktiver . In Europa fahren wir immer Achterbahn, bis letztendlich eine Entscheidung getroffen wird . Man muss die EU-Kommission in Brüssel auffordern, nun endlich zu Potte zu kommen und eine gerichtsfeste Entscheidung zu treffen; denn erst dann kann man entsprechend vorgehen . ({5}) Meine Damen und Herren, man muss sehen: In der Weltwirtschaft ist Dumping nicht zugelassen - keine Frage -, und man muss ihm entgegenwirken . Allerdings rühmen wir uns, was unsere Exportzahlen angeht, dass der deutsche Maschinenbau und die deutschen Ausrüster jedes Jahr zu neuen Rekorden eilen . Deutsche Unternehmen rüsten sozusagen die Industrienationen der Welt mit modernsten Maschinen auf, unter anderem auch China . Aber wir wundern uns, wenn dann moderne Produkte zu uns auf den Markt kommen . Das wird ein Problem bleiben, dem man sich stellen muss . Aber: Russland und China sind Mitglieder der Welthandelsorganisation, und die Welthandelsorganisation ist letztendlich der Wächter über einen fairen Welthandel . Auch hier muss die Frage des Dumpings entschieden werden . Frau Höhn, wenn Sie den Zusammenhang zwischen Klimapolitik und Wettbewerbsfähigkeit nicht verstanden haben, dann, muss ich sagen, sollten Sie die Lehrbücher der Ökonomie noch einmal aufschlagen . Natürlich gibt es hier einen Zusammenhang . Man kann eine Industrie immer mehr und durch alle möglichen Auflagen belasten.  Es  werden  doch  nicht  nur  Klimaauflagen  gemacht.  Es  gibt auch vielfältige andere Auflagen, die diese Industrie  in den letzten Jahren auferlegt bekommen hat . Da muss man sich doch nicht wundern, dass jede Investitionsentscheidung länger hinausgeschoben wird oder gar keine Investitionen mehr getätigt werden und sich die Unternehmen umschauen, ob es im Ausland vielleicht bessere Standorte gibt . Man muss sagen: Es gibt hier einen direkten Zusammenhang . Deswegen ist es an der Politik, dafür zu sorgen, dass die Belastungen, die wir der deutschen Industrie aufbürden, nicht größer werden als ihre Tragfähigkeit . ({6}) Es wird beklagt, dass die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren zu wenig investiert hat . Das stimmt natürBarbara Lanzinger lich nur zum Teil . Sie hat nicht in Deutschland, sondern im Ausland investiert . Da muss man sich doch fragen: Warum macht sie das? Sie macht das deswegen, weil sie wahrscheinlich zu der Auffassung gekommen ist, dass die Produktion an anderen Standorten effizienter durchzuführen ist . ({7}) Das muss uns zu denken geben . Es ist ja nicht bloß die Klimapolitik, die hier wirkt, sondern es geht um eine Vielzahl von Regelungen und Verordnungen, die tagtäglich auf die Unternehmer hereinprasseln . Großunternehmen, meine Damen und Herren, haben ganze Abteilungen, die sich damit befassen . Aber denken Sie auch an mittelständische und kleine Unternehmen, in denen der Unternehmer zugleich Personalchef, Produktionschef und Entwicklungschef ist und sich letztendlich auch mit der ganzen Bürokratie beschäftigen muss . Dort liegen die Probleme des Standortes Deutschland . Meine Damen und Herren, wenn wir wollen, dass die Stahlindustrie auch weiterhin eine wichtige Rolle in Deutschland und Europa spielt - die CDU/CSU-Fraktion und die Koalition möchten das -, dann heißt das natürlich, dass wir die Innovationskraft der Branche weiterhin stärken müssen . Deswegen werden wir uns auch im Hinblick auf die nächsten Haushaltsansätze und Haushaltspläne dafür einsetzen, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung und auch die Ausgaben für industrienahe Forschung weiterhin ein hohes Niveau erreichen . Noch ein Wort zu den Linken . Herr Ernst, die Linken haben vom Thema Stahlindustrie ja zuerst gar nicht so viel mitbekommen . ({8}) Erst nachdem wir einen Antrag eingebracht hatten und die Grünen einen Antrag nachgeschoben haben, kamen auch die Linken noch angesprungen und brachten einen Antrag ein . Sie sollten sich also nicht immer als Retter der ganzen Branche darstellen; denn Sie sind eigentlich die Nachzügler . Die Probleme werden bei uns in der Koalition erkannt, ({9}) und die Opposition tut dann manchmal so, als ob sie das auch gesehen hat . ({10}) Ein anderer Witz war der Vergleich zwischen den Autos und den Windmühlen . Das war wirklich absurd . Frau Andreae, Sie haben damit angefangen, Frau Höhn hat das noch einmal etwas intensiver ausgeführt . Es stimmt, dass ein Auto heute nicht mehr unbedingt aus Stahl besteht - vor 30 Jahren war das noch anders -, weil wir ein bisschen weitergekommen sind . Heute besteht ein Auto vielfach aus hochmodernen Verbundwerkstoffen und viel Elektronik . Es ist aber absurd, zu sagen, dass die Stahlindustrie krankt, weil wir nicht mehr so viele Windmühlen produzieren . ({11}) Ich kann nur sagen: Es ist unser Anliegen, die Standorte Deutschland und Europa der Stahlindustrie zu stärken . Dafür ist sicherlich ein breiter Fächer an Maßnahmen notwendig . Ich denke, mit unserem gemeinsamen Antrag der Koalition haben wir heute hier einen guten Start hingelegt, und ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Antrag . ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/8238 mit dem Titel „Stahlindustrie in Deutschland und Europa stärken“ . Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Unter dem Zusatzpunkt 2 stimmen wir über den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/8237 mit dem Titel „Sicherung der Arbeitsplätze in der europäischen Stahlindustrie“ ab . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Zustimmung - naheliegenderweise - des Antragstellers und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt . Unter dem Zusatzpunkt 3 stimmen wir über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/8240 mit dem Titel „Europäische Stahlindustrie nachhaltig stärken“ ab . Wer stimmt diesem Antrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt . Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehr Zeitsouveränität - Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksache 18/8241 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt wiederAndreas G. Lämmel um 77 Minuten vorgesehen. - Das findet offenkundig allgemeine Zustimmung . Folglich können wir so verfahren . Nachdem der Schichtwechsel hier einigermaßen komplett vollzogen wurde, eröffne ich die Aussprache . Als Erstes erteile ich der Kollegin Brigitte Pothmer das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen und Männer sind mit ihrem Arbeitszeitumfang nicht zufrieden . Das IAB hat in der letzten Woche beeindruckende Zahlen auf den Tisch gelegt . Danach sind 2014 1 350 000 000 Stunden ungenutzt geblieben, weil die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten nicht berücksichtigt wurden . Das entspricht 815 000 Vollzeitstellen . Was für eine Verschwendung vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU/ CSU-Fraktion, ich rate Ihnen wirklich sehr: Heben Sie zunächst einmal dieses freiwillige Potenzial, bevor Sie hier eine Debatte um die Rente mit 70 vom Zaun brechen . ({1}) Das wäre sowohl für die Betriebe als auch für die Beschäftigten, aber auch für die deutschen Sozialversicherungssysteme eine echte Win-win-Situation . Was passiert stattdessen? Frauen bleiben in der Teilzeitfalle stecken . Männer, die weniger arbeiten möchten, weil sie sich vielleicht um ihre Kinder kümmern wollen, scheuen die Teilzeit wie der Teufel das Weihwasser . ({2}) - Schauen Sie sich einmal an, wie viele Männer Teilzeit arbeiten und wie viele Frauen Teilzeit arbeiten . Für die Männer ist Teilzeitarbeit immer noch gleichbedeutend mit Karriereknick, mit Abstellgleis und sogar mit Mobbing . Männer arbeiten nicht Teilzeit, weil sie sehen, was aus ihrer Teilzeit arbeitenden Kollegin alles nicht wird . ({3}) Deswegen, meine Damen und Herren: Wir brauchen völlig neue und innovative Arbeitszeitmodelle, die ebendiese  Grenze  zwischen Teilzeit  und Vollzeit  fließender  machen . Wir schlagen Ihnen heute vor: Lassen Sie uns Vollzeitarbeit als einen Korridor im Rahmen von 30 bis 40 Stunden pro Woche definieren. Das alles soll zukünftig Vollzeit sein . ({4}) In diesem Korridor können die Beschäftigten ihre Arbeitszeit, natürlich nach einer angemessenen Ankündigungsfrist, unkompliziert und bedarfsgerecht bestimmen . Damit ist endlich auch jene Arbeitszeit, die unterhalb von 40 Stunden liegt, nicht mehr zwingend Teilzeit und gleichbedeutend mit dem Abschied von einer Karriere . Diese flexible Vollzeit ist ein Angebot an die Männer,  die sich dann endlich einmal Teilzeit trauen können . Sie ist ein Angebot an die Frauen, die mehr arbeiten wollen . Sie ist ein Angebot an Paare, die ihre Arbeitszeiten angleichen wollen, weil sie sich partnerschaftlich um die Familie kümmern möchten . Und sie ist ein Angebot an die Betriebe, Fachkräfte zu gewinnen und Fachkräfte zu halten . ({5}) Meine Damen und Herren, es ist doch wirklich kein Geheimnis: Zufriedene Beschäftigte sind weniger gestresst und sind gesünder . Sie bleiben ihrem Unternehmen länger erhalten: Sie sind treuer . Das ist ein Zugewinn, und zwar an Kreativität und an Produktivität . ({6}) Alle Untersuchungen zeigen: Wenn wir die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten berücksichtigen, dann bedeutet das die Ausweitung des Arbeitskräftepotenzials . Das können wir uns doch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels nur wünschen . Also bewegen Sie sich an dieser Stelle! Wenn aber Arbeit besser ins Leben passen soll, dann geht es natürlich auch um die Frage: Wo wird gearbeitet? Ich rede hier von Homeoffice. Ich will nicht so tun,  als würde das Homeoffice alle Probleme lösen. Aber das  Homeoffice spart Wege, spart Zeit und ist deswegen ein  Beitrag dazu, unterschiedliche Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen . ({7}) Ich verstehe wirklich nicht, warum wir in Deutschland immer noch diesen Anwesenheitswahn haben . Das Angebot von Homeoffices war in Deutschland immer gering  und ist in den letzten Jahren noch einmal zurückgegangen . Das liegt daran, dass die Arbeitgeber offensichtlich voller Misstrauen gegenüber ihren eigenen Beschäftigten sind . Dabei zeigen die Untersuchungen: Wer im Homeoffice arbeitet, arbeitet eher zu viel als zu wenig.  ({8}) Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit haben die Betriebe ihre Flexibilitätsanforderungen durchgesetzt . Jetzt sind die Beschäftigten an der Reihe, ihre Wünsche zur Arbeitszeitsouveränität durchzusetzen . ({9}) Wir haben Ihnen heute einen Vorschlag vorgelegt, der eine Balance zwischen den Anforderungen der Betriebe und den Bedürfnissen der Beschäftigten schafft . Dafür ist es wirklich höchste Eisenbahn . Die Lebensentwürfe der Menschen haben sich geändert . Der Fachkräftemangel fordert neue Lösungen . Aber Präsident Dr. Norbert Lammert in der Bundesregierung gibt es einen Totstellreflex. Bis  heute hat Frau Nahles noch nicht einmal einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Rückkehrrecht in Vollzeit ermöglicht, obwohl das in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben worden ist . Das kritisieren nicht nur wir, das kritisieren auch der DGB und viele andere Verbände . ({10}) Diesen Stillstand können wir uns nicht weiter leisten . Wir brauchen eine andere, eine Politik für flexible Arbeitszeiten, die so beweglich ist, wie die Menschen längst leben . Wir haben Ihnen einen Vorschlag vorgelegt, den Sie nicht ablehnen können, meine Damen und Herren . Ich sage es noch einmal: Liebe Bundesregierung, übernehmen Sie! Ich danke Ihnen . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege Uwe Lagosky das Wort . ({0})

Uwe Lagosky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeitgeber und Beschäftigte haben zwei wesentliche gemeinsame Ziele: ihre Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten und Erfolge zu erzielen . Denn davon hängen Wachstum und Beschäftigung in unserem Land ab . Unserer Wirtschaft geht es auch deshalb so gut, weil wir für unterschiedliche Anforderungen unterschiedliche Arbeitszeitmodelle gefunden haben und auch in der Zukunft finden werden. Zum Beispiel kann ein Stahlwerk -  wie wir es eben gerade diskutiert haben - aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nur vernünftig betrieben werden, wenn rund um die Uhr gearbeitet wird . Dabei arbeiten Tausende von Beschäftigten entsprechend den unterschiedlichen Anforderungen in den Abteilungen der Produktion, der Technik und der Verwaltung . Aufgrund von Strukturen und der Auftragslage haben Handwerksbetriebe mit ein oder zwei Gesellen ganz andere Anforderungen in Bezug auf die Arbeitszeit . Dementsprechend kommt es zwangsläufig zu verschiedenen  Arbeitszeitmodellen in unserer Wirtschaft . Es kommt dementsprechend aber auch zu ganz eigenen Lösungen, was flexibel gestaltete Arbeitszeiten angeht. Das funktioniert auch ohne staatliche Regelungen, liebe Grüne . ({0}) Es funktioniert sowohl in kleinen Betrieben ohne Betriebsrat als auch in Betrieben, wo die Mitbestimmung verankert ist . Wenn Sie in Ihrem Antrag größtmögliche Zeitsouveränität für Beschäftigte fordern, klingt das natürlich zunächst einmal gut . ({1}) Nur wecken Sie damit völlig falsche Erwartungen . Denn für ein gutes Miteinander unter den Kollegen und funktionierende Betriebsabläufe gilt es, neben der Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit insbesondere auch der Verantwortung allen Beschäftigten gegenüber gerecht zu werden . Die Kunst besteht darin, Teams so aufzustellen, dass Arbeit als Gemeinschaftsaufgabe gesehen wird, um gemeinsame Ziele zu erreichen und dabei die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen zu berücksichtigen . ({2}) Daher greifen viele Manteltarifverträge unterschiedlichste Regelungen zur Arbeitszeit auf . Sie beinhalten gleichzeitig Öffnungsklauseln für Betriebsvereinbarungen . Insgesamt werden bei diesen Tarifverträgen je nach Branche auch die jeweils wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Leistungsfähigkeit berücksichtigt . Ich habe einige Jahre lang in der Verdi-Bundeskommission für den Tarifvertrag Versorgungsbetriebe mitgewirkt . Aus diesem Tarifvertrag möchte ich drei Beispiele nennen: Der § 7 regelt unter anderem Teilzeitbeschäftigung . Durch Betriebs- und Dienstvereinbarungen können nach § 8 Arbeitszeitkorridore und nach § 11 Arbeitszeitkonten eingerichtet werden . Letzteres wiederum gibt dem Arbeitgeber und den Betriebsräten die Möglichkeit, Gleitzeitmodelle mit Arbeitszeitkonten zu verbinden, damit die Beschäftigten unter  fest  definierten Rahmenbedingungen mal mehr oder weniger arbeiten können, womit sie mehr Arbeitszeitflexibilität erhalten. Kurzum, die  Sozialpartner schaffen also längst mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten . ({3}) Im Bereich der Schichtarbeit werden ebenfalls längst Betriebsvereinbarungen abgeschlossen und die Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt . Das ergab eine Kurzauswertung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahre 2010 . Danach ist das unproblematisch . Bei allen Forderungen nach mehr Zeitsouveränität für den Schichtbetrieb muss natürlich auch der Biorhythmus der Beschäftigten berücksichtigt werden, wenn sie hintereinander Früh-, Spät-, Nacht- und Freischichten haben . Dies muss entsprechend eingehalten werden . Man kann an dieser Stelle auch die Arbeitgeber nicht aus der Verantwortung entlassen . Wie Arbeit und Privatleben in Einklang gebracht werden können, beschäftigt die Sozialpartner und die Politik schon seit Jahren . Durchaus interessant sind dabei die Beiträge der Hans-Böckler-Stiftung, aber auch beispielsweise unsere Gesetze zur verbesserten Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf mit Wirkung ab dem 1. Januar 2015.  Die Hans-Böckler-Stiftung hat 2015 eine Untersuchung von Vanita Irene Matta von der Universität Zürich veröffentlicht . Sie hat Daten des Sozio-oekonomischen Panels in der Version 29 ausgewertet, bei denen über 10 000 Personen in abhängiger Beschäftigung befragt wurden, ob selbstgesteuerte Arbeitszeiten zu einer Ausweitung der wöchentlichen Arbeitszeit führen . Ja, das ist sowohl bei Frauen als auch bei Männern der Fall, wobei letztere besonders extreme Steigerungsraten aufwiesen . Dass, wie es in Ihrem Antrag heißt, mehr Freiheiten bei der Gestaltung der eigenen Arbeitszeit Stress und Überlastung vermindern, ist so jedenfalls nicht haltbar . Homeoffice  -  Frau  Pothmer,  Sie  haben  es  angesprochen - stellt davon abgesehen den Arbeitsschutz mit Blick auf die Maximalarbeitszeiten und Ruhephasen vor ganz neue Herausforderungen . ({4}) Sinnvoll erscheint mir daher, bei den Beschäftigten und Arbeitgebern eine neue Kultur der Prävention zu etablieren, die für gesunde Arbeit sensibilisiert . ({5}) Da Sie als Grüne sich Werkzeuge wünschen, die Arbeitgebern, Betriebsräten und Personalräten geeignete und passgenaue Lösungen gegen Stress bieten, verweise ich Sie gerne auf die sehr guten Ausarbeitungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie sowie der Initiative Neue Qualität der Arbeit . Wir brauchen nicht die von Ihnen geforderte Verordnung dazu, sondern verantwortungsbewusste Akteure, und diese stellen die Werkzeuge bereits zur Verfügung . Aus persönlicher Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass Mitarbeitergespräche neben Gefährdungsbeurteilungen zum Beispiel die beste Möglichkeit sind, die Bedürfnisse von Arbeitgebern und Beschäftigten abzustimmen . Berufsbedingte Belastungen können so frühzeitig erkannt und abgebaut werden . Als Politiker sollten wir mit Blick auf die digitale Arbeitswelt aber durchaus Leitplanken setzen . Seitens der Union arbeiten wir daran . Schließlich  sorgt  eine  Zunahme  ortsflexibler  Arbeitsplätze außerhalb eines Betriebes, wie sie durch die Digitalisierung zu erwarten ist, dafür, dass sich die direkte Zusammenarbeit zwischen den Beschäftigten, den Führungskräften, den Betriebsräten, aber auch mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb und den Datenschützern maximal verändern wird . Das stellt die Sozialpartner ebenso wie den Gesetzgeber vor neue Herausforderungen, die unter anderem die bisherigen Arbeitszeitregelungen betreffen werden . Bezogen auf die Aussagen der Grünen zu flexiblen Arbeitszeiten fehlt meines Erachtens das Verständnis für die unterschiedlichen Vorstellungen gerade älterer und jüngerer Generationen. Bei allen Forderungen nach flexibler  Arbeitszeitgestaltung müssen auch die Wünsche nach Regelarbeitszeiten respektiert werden . In jungen Jahren - das weiß ich aus eigener Anschauung als Techniker - können flexible Arbeitszeiten einen  durchaus an die Leistungsgrenze bringen, vor allem dann, wenn man für eine Sache brennt und mit Projekten mehr und mehr verwächst . Seine Kräfte einzuschätzen, das will durchaus erst einmal gelernt sein . Stichwort „Bedürfnisse“: Die Grünen schreiben in ihrem Antrag: Ein Arbeitsumfang von 30 Stunden plus wird interessanter, dagegen verlieren Halbtagsjobs an Attraktivität . In Ihrer Fraktion wird das anscheinend unterschiedlich gesehen . Am 25 . April haben Sie eine Referentenstelle mit 29 Wochenstunden ausgeschrieben . So viel dazu . ({6}) Mein Fazit: Unserer Wirtschaft geht es auch deshalb gut, weil wir für unterschiedliche Anforderungen flexible  Arbeitszeitmodelle gefunden haben und sie auch weiterhin  finden werden. Diese  sind  auf  die wirtschaftlichen  Rahmenbedingungen zugeschnitten und beziehen schon heute individuelle Interessen der Beschäftigten mit ein . Daran haben die Sozialpartner einen Riesenanteil . So gut gemeint Ihr Antrag ist, möglichst jedem Beschäftigten ein Maximum an Zeitsouveränität zu gewähren, stellt er doch die Arbeitsabläufe in unseren Betrieben gänzlich auf den Kopf . Damit ist den Beschäftigten am wenigsten gedient . Herzlichen Dank . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke . ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir über Arbeitszeit reden können, liegt unter anderem daran, dass es einen kontinuierlichen Anstieg bei der Produktivität gegeben hat und weiterhin geben wird, zum Beispiel durch die Industrie 4 .0 . Bei der Verteilung der Arbeitszeit haben Betriebsräte ein ziemlich starkes Mitbestimmungsrecht . Problematisch wird es aber schon bei den ganzen Ausnahmeregelungen im Arbeitszeitgesetz: verlängerte Öffnungszeiten und verkaufsoffene Sonntage hier, Wochenend- und Nachtarbeit da . Wenn wir über mehr Zeitsouveränität reden, können wir direkt damit beginnen, genau diese Ausnahmeregelungen zu streichen . ({0}) Millionen Menschen insbesondere im Einzelhandel hätte man dann sofort geholfen . Die Grünen haben recht: Wir brauchen eine neue Arbeitszeitkultur . Aber dazu müssen wir an den realen Problemen ansetzen . Sie können doch nicht einfach über flexible  Arbeitszeiten  reden,  ohne  auch  auf  Höchstarbeitszeiten und Überstunden einzugehen . Nirgends sonst in Europa werden so viele Überstunden geleistet wie in Deutschland . Wer in der Arbeitszeitdebatte tatsächlich Verbesserungen für alle Menschen erreichen will, muss das Kind beim Namen nennen . Deswegen fordert die Linke die Reduzierung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit als Signal an alle Beschäftigten . ({1}) Wir reden doch im Bundestag nicht über Arbeitszeit, weil wir den Arbeitgebern noch längere Arbeitszeiten ermöglichen wollen . Nein, wir reden über Arbeitszeit, damit sich die Beschäftigten die Zeitsouveränität endlich zurückholen können . ({2}) Wir wollen ein Rückkehrrecht auf Vollzeit, also auf mehr Arbeit . Gleichzeitig müssen wir über kollektive Arbeitszeitverkürzungen zu vollem Lohn- und Personalausgleich nachdenken . ({3}) Arbeitsverdichtung herrscht allerorts: immer mehr Arbeit mit weniger Personal und in höherem Tempo . Selbst in Krankenhäusern  geht Profit  vor Patienten. Diese Unlogik ist einer neoliberalen Entwicklung geschuldet, an der sich der Gesetzgeber aktiv beteiligt hat . Das einzugestehen und diese Schieflage zu beheben, wäre ein erster Schritt hin zu einer ehrlichen Arbeitszeitdiskussion . Wenn es um die Zeitbedürfnisse der Menschen geht, ist Ehrlichkeit super wichtig . ({4}) Das ist mein grundsätzliches Problem mit dem Antrag der Grünen . Sie fordern darin einen Vollzeitkorridor und Wahlarbeitszeiten, selbstbestimmt über Einsatzort und Wochentage . Diese Wahlfreiheit kommt bei einigen bestimmt sehr gut an . Bei denjenigen, bei denen es keinen Unterschied macht, ob sie vom Büro aus, von zu Hause aus oder im Café bei einem Cappuccino am Laptop arbeiten, geht das. Aber was  ist mit dem Krankenpfleger,  der Industriemechanikerin oder dem Busfahrer im Dreischichtsystem? Was ist mit der Verkäuferin, der Kellnerin oder dem Gebäudereiniger? Diese werden aus meiner Sicht nicht erfasst . Wo sind die Vorschläge zur selbstbestimmten Arbeitszeit für diese Beschäftigten? ({5}) Eine Debatte über Zeitsouveränität macht gesellschaftlich doch nur Sinn, wenn sie nicht ausschließlich Menschen in privilegierten Jobs zum Maßstab nimmt . Genau das tun Sie aber und stellen sich damit aus unserer Sicht auf eine Stufe mit Arbeitgeberpräsident Kramer mit seinem Flexibilisierungswahn . Ich habe noch nicht über die Leute in Miniteilzeit, Dauerbefristungen oder die vielen Erwerbslosen geredet, die alle händeringend mehr arbeiten wollen . Wir müssen das Bedürfnis nach Zeitsouveränität aller Menschen darauf abklopfen, wie es erstens mit einer gerechten, echten Umverteilung von Arbeit machbar ist und ({6}) wer zweitens am Ende über Flexibilität entscheidet: der Beschäftigte oder der Chef . Wir können uns die Diskussion sparen, wenn am Ende immer wieder das Interesse der Arbeitgeber im Vordergrund steht . ({7}) Wir brauchen endlich einen Perspektivwechsel in dieser Frage . Diejenigen, die die Werte schaffen und damit den Reichtum in dieser Gesellschaft, müssen im Zentrum der Diskussion stehen, ({8}) sonst verkommt die Arbeitszeitdiskussion nur wieder zu einem profitablen Deal für die Arbeitgeber. Das werden  die Beschäftigten nicht mitmachen - und die Linke auch nicht . Vielen Dank . ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Bernd Rützel, SPD-Fraktion . ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Rettet den Feierabend!“ oder „Wie entkomme ich dem Hamsterrad?“ sind beliebte Veranstaltungen . Die Menschen kommen zu diesen Veranstaltungen; denn dieses Thema treibt die Menschen um . Es geht um Zeit, um Lebenszeit, und diese ist endlich . Deshalb freue ich mich, dass wir heute über den Antrag der Grünen sprechen; denn er enthält sehr viele vernünftige Überlegungen . Viele Menschen haben sehr weite Wege zu ihrem Arbeitsplatz . 17 Millionen Berufspendler gibt es in Deutschland . Studien haben ergeben, dass Pendler häufiger unter Kopf-, Rücken- und Magenschmerzen leiden,  dass sie öfter Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlafstörungen haben, und die Studien haben auch gezeigt: Sie leben kürzer . Pendeln schlaucht . Ich weiß, wovon ich rede; denn ich bin selbst jahrelang vier bis fünf Stunden am Tag gependelt . Nun kann man sagen: Selbst schuld . Aber man ist auch nicht einfach selbst schuld, wenn es nicht anders geht . Vielen wäre geholfen, wenn es mehr Gelegenheiten zur Arbeit im Homeoffice gäbe. Homeoffice ist nicht  gleich Homeoffice. Oft helfen bereits ein oder zwei Tage  in der Woche, und der Angestellte kann seine Zeit wesentlich besser und flexibler planen. Im Gegensatz zum Homeoffice steht die Präsenzkultur, auch innerhalb der Belegschaft . Wir alle müssen verinnerlichen: Es ist nicht zwangsläufig die Person am  nützlichsten, die die meiste Zeit im Betrieb verbringt . Es soll sogar Kolleginnen und Kollegen geben, die nachmitJutta Krellmann tags durch die Flure streifen, um zu sehen, wer noch arbeitet bzw . noch da ist und wer schon in den Feierabend gegangen ist . Wir dürfen aber auch nicht ins Gegenteil verfallen . Bei allen positiven Aspekten flexibler Arbeitszeitplanung  gibt es auch Risiken . Es darf bei normal Beschäftigten keine reine Orientierung nur am Arbeitsergebnis geben . Die Beschäftigten haben einen Arbeitsvertrag, keinen Werkvertrag, und in einem solchen ist jede Minute zu vergüten . Punkt! Diese Arbeitszeit muss erfasst werden . ({0}) Die Beschäftigten werden für Zeit entlohnt . „Die Zeit bringt das Geld“ ist ein geflügeltes Wort, und Sie haben  absolut recht, wenn Sie, liebe Grünen, sagen: Wenn jemand im Urlaub dienstlich angerufen wird, dann ist das ein Arbeitstag . Punkt! Die Ruhe ist gestört, die Erholung dahin, und das muss auch anerkannt werden . So ganz nebenbei ist das nicht zu leisten . Ich mache bereits seit einigen Jahren das Experiment, eine Urlaubswoche lang nicht nur auf das Handy zu verzichten, sondern auf alle Kommunikation nach außen und von außen . Ich habe kein Internet, nicht nur, weil es Funklöcher gibt, sondern weil ich es gar nicht will . Ich empfange keine Nachrichten mehr, ich habe nicht einmal eine Armbanduhr um . ({1}) Ich habe das überlebt . Die Welt ist nicht stehen geblieben . Alles hat weiter funktioniert . Das müssen auch die Arbeitgeber lernen, wenn es um ständige Erreichbarkeit geht . ({2}) Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Einführung eines Anspruchs auf befristete Teilzeit . Das Recht zur Rückkehr auf den früheren Stundenumfang muss dringend umgesetzt werden . In meinem Wahlkreis habe ich es aktuell mit dem Fall einer Betriebsrätin zu tun, die seit 31 Jahren in einem Betrieb arbeitet . Nach mittlerweile 22 Jahren in Teilzeit will sie aufstocken und wieder Vollzeit arbeiten . Doch obwohl sie gebraucht wird, de facto voll arbeitet, Überstunden ansammelt und dieser Betrieb Leiharbeiter ohne Ende einkauft, gibt man ihr keinen Vollzeitvertrag . ({3}) - Genau . - Wenn sie in Rente geht, dann fällt sie in die Altersarmut, weil sie vorher nicht auf die nötigen Stunden gekommen ist . Die Teilzeitfalle müssen wir beenden . Frau Pothmer, Sie haben vorhin die Frage angesprochen, ({4}) warum Frau Andrea Nahles nicht schon einen Entwurf vorgelegt hat . Das liegt nicht an uns . Das liegt nicht am Ministerium für Arbeit und Soziales . Das liegt nicht an unserer Bundesministerin . Sie wissen es . Ich glaube, wir bringen das mit unserem Koalitionspartner noch zustande . ({5}) Wenn die Arbeitszeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbstbestimmter werden sollen, dann müssen wir uns auch fragen: Müssen da bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein? Oder ist mehr Flexibilität nur bei Kindererziehung oder bei Pflegeleistungen möglich?  Oder wollen wir darüber hinaus allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mehr Zeitsouveränität überall dort einräumen, wo immer es geht? Ich meine schon, die Beschäftigten sollten unabhängig  von  familiären  Pflichten  das  Recht  auf  private  Weiterentwicklung und Entfaltung haben, und zwar mit größtmöglicher Selbstbestimmtheit . Wir sollten an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer denken . Dazu reicht es eben nicht aus, auf individuelle Absprachen zu setzen und die Voraussetzungen für Betriebsvereinbarungen zu schaffen . Wir brauchen gesetzliche Vorgaben, die allen Beschäftigten offenstehen, auch denen, die in kleinen Betrieben arbeiten . ({6}) Viele Chancen,  die Arbeitszeiten flexibler  zu gestalten, stecken in der fortschreitenden Digitalisierung . Damit sind aber auch viele Risiken verbunden, gerade aus Arbeitnehmersicht . Deshalb darf es hier keine Schnellschüsse geben . Insofern ist es richtig und gut, dass das BMAS, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, diesen Grünbuch-Prozess in Gang gesetzt hat, um einfach einmal Fragen zu definieren. Dieser Prozess endet in  einem Weißbuch . Auf dem Fundament der Erkenntnisse und Ergebnisse aus diesem Prozess, die in vielen Veranstaltungen diskutiert wurden, lässt sich aufbauen . Aber ich gebe Ihnen recht: Es muss sich etwas bewegen . Die Arbeitnehmer werden immer flexibler; sie sind schon immer flexibel gewesen. Flexibilität erwarten wir jetzt auch  von den Arbeitgebern . Vielen Dank . ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Gabriele Schmidt, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundestag! Liebe Besucher im Bundestag! Guten Morgen! Wir haben uns sicher alle schon einmal gefragt: Leben wir, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu leben? Die Wahrheit liegt - wie so oft im Leben wohl in der Mitte . Arbeit ist für viele Erfüllung, gehört selbstverständlich dazu und ist sinnstiftend . Idealerweise macht Arbeit Spaß . Arbeit kann auch anstrengend sein, und Arbeit kann Menschen auch krankmachen . Auch keine Arbeit kann krankmachen . Die Bedürfnisse bzw . die Arbeitswelt insgesamt haben sich in den letzten Jahren stark verändert . Die Digitalisierung beeinflusst die Entwicklungen in allen Lebensbereichen . Der Austausch von Informationen, Gütern und Dienstleistungen sowie die Vernetzung der Märkte nehmen immer mehr Fahrt auf . Die Digitalisierung ist gut und wichtig und richtig und dringender denn je notwendig in einer ländlichen Region wie der, aus der ich komme . Mit dem von Bundesminister Alexander Dobrindt mit aller Kraft und viel Geld vorangetriebenen Ausbau des Breitbandes schließen wir letzte Lücken, fördern Wirtschaftswachstum und auch die Entstehung neuer und flexiblerer Arbeitsplätze. Erst vorgestern durfte ich, wie einige Kollegen hier auch, einen Förderbescheid für Beraterleistungen für die Breitbandentwicklung entgegennehmen, und zwar für die Gemeinde Pfaffenhausen im Hochschwarzwald . Der Hochschwarzwald hat bekanntlich eine nicht ganz einfache  Topografie,  was  den  Breitbandausbau  erschwert.  Auch Löffingen im Hochschwarzwald kommt in den Genuss der Bundesförderung . Mit dem schnellen Zugang zum Internet machen wir die Betriebe wettbewerbsfähig und investieren in die Zukunft und damit auch in die Flexibilität der Arbeit für Arbeitnehmer . ({0}) - Nein, Frau Pothmer . Ich komme zum Punkt . Danke schön für den Hinweis . Die Digitalisierung hat selbstverständlich unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitszeit und Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer . Das geht von der Gesamtarbeitszeit bis zur Präsenzzeit und zum Homeoffice.  Die tägliche Höchstarbeitszeit ist im Arbeitszeitgesetz geregelt . Es schreibt den Achtstundentag vor, lässt aber auch viele Ausnahmen zu . Ich erinnere nur an die Gastronomen, die eine viel längere Arbeitszeit gefordert haben, was wir im Grunde ablehnen . Das zeigt, dass Flexibilität in beide Richtungen und von beiden Seiten, der Seite der Arbeitnehmer und der Seite der Arbeitgeber, erwünscht ist, dass die Wünsche und Vorstellungen unterschiedlich und sehr individuell sind . Das zeigt auch, dass die Politik Rahmenbedingungen schaffen muss, um den Bedürfnissen der Beschäftigten und der Betriebe zu entsprechen . Wir müssen beide in den Blick nehmen; die beiden gehören zusammen, meine Damen und Herren . ({1}) Der Mensch steht für uns Christdemokraten im Mittelpunkt, aber nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der Arbeitgeber; Arbeitgeber sind auch Menschen . ({2}) Ich spreche nicht von Großfirmen. Ich spreche nicht von  DAX-Konzernen, sondern von vielen Millionen Familienbetrieben, Kleinunternehmern, Mittelständlern, die das Rückgrat unserer Wirtschaft sind und den größten Teil der Arbeitsplätze bereitstellen . ({3}) Ganz besonders kleine Unternehmen kennen die persönliche Situation ihrer Arbeitnehmer . Sie nehmen Rücksicht darauf, zum größten Teil, freiwillig . ({4}) Wenn wir diese mit Gesetzen knebeln, ({5}) wird der Betriebsfrieden leiden, und die freiwillige Bereitschaft zur Rücksichtnahme wird mit Sicherheit abnehmen . Außerdem haben wir in dieser Legislaturperiode bereits einige wichtige Maßnahmen ergriffen, um die Arbeitsbedingungen und damit die Lebenssituation von Beschäftigten, insbesondere auch von Familien, zu verbessern . Allen voran ist natürlich der Mindestlohn zu nennen, der rund 3,7 Millionen Beschäftigten im Niedriglohnbereich, davon zwei Drittel Frauen, eine neue Perspektive eröffnet . Wir haben die Betreuung von Kindern ausgebaut und tun es weiter, was vielen Hunderttausend Familien zu mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit verhilft . Das Elterngeld Plus wurde eingeführt. Die Familienpflegezeit wurde verbessert . Auch der im Koalitionsvertrag vereinbarte Rechtsanspruch auf Rückkehr aus der Teilzeit in die frühere Arbeitszeit, der hier schon mehrfach angemahnt wurde, wird folgen . ({6}) Das haben Sie in Ihrem Antrag richtig erkannt, liebe Kollegen: Das haben wir noch nicht angepackt . Aber erstens haben wir schon eine Menge sozialpolitischer Vorhaben abgearbeitet, und zweitens dauert die Legislaturperiode bekanntlich vier Jahre . Also: Hoffnung, Kollege Rützel! ({7}) - Danke für diesen Applaus . Ihr wisst schon, was ich meine . Wir sind in der Koalition . Nur, falls es da Zweifel gibt! ({8}) Längst ist das Thema „Zukunft der Arbeit“ ganz oben auf der Agenda der Union . Da brauchen wir keine Nachhilfe . Am 15 . Dezember letzten Jahres haben wir auf dem Parteitag der CDU Deutschlands in Karlsruhe intensiv über das Positionspapier „Arbeit der Zukunft - Zukunft der Arbeit“ diskutiert und es einstimmig angenommen . Gabriele Schmidt ({9}) Wir reagieren damit auf die Veränderungen in der Arbeitswelt, auch auf den Wunsch nach mehr Souveränität in der Arbeitszeit . Ich kann das hier nicht alles ausführen . Sie können es aber gern unter www .cdu .de nachlesen, liebe Kollegen . ({10}) Die Bundesregierung, die hier schon gescholten wurde, hat längst ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht . Die Opposition ist mit ihrer Forderung da ein bisschen hinterher . Das Forschungsprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit dem Titel „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ setzt genau hier an . Es geht darum, Arbeit wirtschaftlich und sozial verträglich zu gestalten . Bis 2020 sind für das gesamte Programm etwa 1 Milliarde Euro vorgesehen . Die Bundesarbeitsministerin hat außerdem verkündet, einen Arbeitszeitdialog zu führen mit der Wirtschaft, den Gewerkschaften, den Kirchen -, was ich ausdrücklich begrüße . Darüber hinaus plant das Ministerium ein Wahlarbeitszeitmodell . Auch bei anderen Themen malt die Opposition ein düsteres Bild von Deutschland . Warum eigentlich? Die Sklaverei ist abgeschafft . Über die Veränderungen in der Arbeitswelt hat mein Kollege Lagosky schon alles richtig ausgeführt . Sie scheinen da doch ein paar positive Entwicklungen verpasst zu haben . Es ist nicht alles so schlecht, wie Sie es manchmal darstellen . Ganz im Gegenteil: Die Mehrheit der Beschäftigten ist mit ihrer persönlichen Arbeitssituation zufrieden . Ich selbst war lange Jahre berufstätig und alleinerziehend, in einer Zeit, als es noch keine Ganztagskitas, keine verlässlichen Grundschulen und anderes gab . Am flexibelsten in all den Jahren war mein Arbeitgeber - und  das ist schon über 25 Jahre her . Diese Erfahrung haben viele Arbeitnehmer in meiner Umgebung auch gemacht . Während einer längeren Krankheitszeit habe ich sehr viel Homeoffice gemacht, auch ohne Gesetz. Und wenn  Sie meiner persönlichen Erfahrung nicht glauben, dann fragen wir einmal die Statistik . Laut einer Befragung von Erwerbstätigen aus 2012 des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit den Schwerpunkten Arbeitsbedingungen, Arbeitsbelastungen und gesundheitliche Beschwerden sind fast 80 Prozent der Befragten mit den Arbeitszeiten zufrieden oder sogar sehr zufrieden . Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW Berlin, kommt zu dem Ergebnis, dass nur jeder Achte mit seiner beruflichen Tätigkeit unzufrieden ist. Es  gibt laut DIW auch kaum Unterschiede beim Ausmaß der Zufriedenheit hinsichtlich der Arbeitsbedingungen . Soll bedeuten, dass Arbeitnehmer nicht weniger zufrieden sind, wenn sie zum Beispiel Sonntags- oder Nachtarbeit leisten müssen oder eine Vollzeit- oder eine Teilzeitstelle haben .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, es gibt den Wunsch einer Zwischenfrage von Frau Pothmer . Mögen Sie die zulassen?

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, ja .

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Schmidt, Sie haben mit Ihren statistischen Zahlen, die Sie hier gerade vorgetragen haben, den Eindruck erweckt, als gebe es eine hohe Zufriedenheit mit dem Arbeitsumfang bei den Beschäftigten . Wie erklären Sie sich dann, dass 1,35 Milliarden Stunden nicht geleistet werden, weil die Wünsche der Beschäftigten nicht berücksichtigt sind?

Gabriele Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004402, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, das sind zwei unterschiedliche Dinge . Wenn Arbeitsstunden nicht geleistet werden, kann das unterschiedliche Gründe haben, zum Beispiel weil man gar  keine Arbeitskräfte  findet,  die  die  Stunden  leisten  könnten . ({0}) - Das ist vielleicht eine Frage der Fragestellung des Fragenden . ({1}) Will also sagen: Die Statistiken können auf verschiedene Weise erfasst werden . Sie werden aber nicht dem Bundesinstitut für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin unterstellen wollen, dass sie eine falsche Statistik herausgeben . ({2}) - Gut, danke schön . Ich nehme das zur Kenntnis . ({3}) Es gibt auch europäische Erhebungen wie die sechste Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen, bei der unter anderem die Frage nach Dauer und Organisation der Arbeitszeit gestellt wurde . Auch hier geben die meisten Erwerbstätigen an, dass sie mit den Arbeitszeiten in ihrem Hauptberuf zufrieden sind . Zusammengefasst heißt das nach dem, was ich vorgelegt habe, dass laut politisch und wirtschaftlich unabhängigen Institutionen Deutschland international zu den Spitzenreitern bei der Arbeitszufriedenheit gehört . Ich habe noch eine Statistik des IAB mitgebracht, auf die ich aber verzichten will . Lassen Sie mich mit einem Satz von Konrad Adenauer schließen: Man kann keine Sozialpolitik treiben, wenn nicht eine starke, gute und ertragreiche Wirtschaft sowie die finanzielle Unterlage  für die Sozialpolitik vorhanden sind . Vielen Dank . ({4}) Gabriele Schmidt ({5}) http://www.cdu.de

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Michael Schlecht, Fraktion Die Linke . ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Grünen enthält ein realistisches und unterstützenswertes Element . Das ist die Forderung nach einem Rückkehrrecht auf Vollzeit, wenn jemand zeitweise Teilzeit gearbeitet hat. Ich finde, das muss dringend eingeführt werden . ({0}) Aber ansonsten ist dieser Antrag schon sehr merkwürdig . Er ist eine Mischung aus Ahnungslosigkeit und Weltfremdheit . ({1}) - Ja, weil Sie die Arbeitswelt anscheinend gar nicht kennen . ({2}) Es gibt sicher Beschäftigte, die schon heute ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer persönlichen Flexibilisierung und die Möglichkeit haben, dieses gegenüber ihrem Arbeitgeber im unmittelbaren Diskurs durchzusetzen . Das sind Personenkreise, die zum Beispiel aufgrund ihrer fachlichen Kenntnisse eine starke Stellung gegenüber ihrem Arbeitgeber haben . Die Ahnungslosigkeit fängt schon damit an, dass Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, dass die Rechte der Betriebsräte gestärkt werden sollen, Betriebsvereinbarungen über die Regelung der Arbeitszeit abzuschließen . Ich will nur darauf hinweisen: Das gibt es alles . In § 87 Absatz 1 Ziffer 2 des Betriebsverfassungsgesetzes gibt es längst entsprechende Regelungen; die Betriebsräte können dies machen . ({3}) Viel wichtiger wäre, die Instrumente, die wir seit Jahrzehnten haben, zu schärfen und Möglichkeiten zu schaffen, dass Betriebsräte mehr Möglichkeiten haben, dies in Betriebsvereinbarungen  durchzusetzen.  Das  findet  sich  aber in Ihrem Vorschlag nicht . Wenn man sich mit den kollektivvertraglichen Rechten beschäftigt, dann wird deutlich, dass es dringend notwendig wäre, die Rahmenbedingungen - sie sind heute davon gekennzeichnet, dass ein ungeheurer Arbeitsstress besteht, dass viel zu wenig Stellen besetzt werden, dass von denjenigen, die arbeiten, verlangt wird, dass sie alles schaffen,  egal  wie,  häufig  auch mit  unbezahlten Überstunden - im Betrieb mitzugestalten und ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates über Personal- und Stellenpläne zu bekommen, um dem ungeheuren Stress und der Überlastung von Beschäftigten zu begegnen . Das wäre ganz wichtig, fehlt hier aber komplett . ({4}) Das ist übrigens eine Forderung, mit der ich mich schon seit den 80er-Jahren herumschlage, als ich noch Tarifpolitik für die Druckindustrie gemacht habe, die wir aber aufgrund der Kräfteverhältnisse nicht durchsetzen konnten . Es wäre ein Verdienst, dies hier im Bundestag voranzubringen . Ein weiterer Punkt, den ich unter Weltfremdheit einordne, ist, dass Sie die Individualrechte, also die Rechte der einzelnen Beschäftigten, stärken wollen . Das ist nicht verkehrt . Dann muss man aber erst darüber reden, wie für die übergroße Masse der Beschäftigten die Arbeitsrealität heute aussieht . Glauben Sie, dass jemand, der als Leiharbeiter tätig ist, der befristet beschäftigt ist, der einen Werkvertrag hat, individuell eine so starke Stellung hat, dass er sich traut, seine Wünsche dem Arbeitgeber gegenüber zu artikulieren? Glauben Sie, dass er die Macht hätte, auch nur ansatzweise seine Wünsche gegenüber einem Arbeitgeber zu verwirklichen? Das ist eine vollkommene Illusion . Deswegen sage ich Ihnen: Bevor wir anfangen, über die Stärkung individueller Rechte nachzudenken, sollten Sie endlich mit uns gemeinsam den Murks und den menschenverachtenden Mist, den die Grünen gemeinsam mit der SPD im letzten Jahrzehnt durchgesetzt haben, nämlich die gesamte Deregulierung am Arbeitsmarkt, zurücknehmen und die Disziplinierung, die in der Arbeitswelt herrscht, zurückdrängen . Dann könnten Ihre Forderungen eine realistische Perspektive werden . ({5}) Es geht noch weiter . Durch Ihre Politik, die Sie vor zehn Jahren betrieben haben, haben wir heute eine ungeheure Atmosphäre der Disziplinierung . Das drückt sich zum Beispiel in der Angst der Beschäftigten aus, arbeitslos zu werden, weil sie ganz genau wissen, dass Arbeitslosigkeit in der Folge auch sehr schnell Hartz IV bedeuten kann . Das ist der Absturz in die Armut . Hartz IV ist schlimm für die Betroffenen; aber Hartz IV ist noch viel schlimmer für die 20 Millionen, die noch beschäftigt sind und Angst davor haben, eines Tages in Hartz IV abzurutschen . Deswegen müsste das erst verändert werden . „Weg mit Hartz IV!“, die alte Forderung der Linken, ist auch für die Fragen der Arbeitsgestaltung von zentraler Bedeutung . ({6}) Insofern ist aus meiner Sicht die Voraussetzung dafür, überhaupt Freiheit in der Arbeitswelt zu schaffen, dass man die Voraussetzungen dafür schafft, dass Beschäftigte ihre Wünsche und Bedürfnisse besser durchsetzen können . Bevor man solche wunderschönen Dinge hier aufschreibt, die sich gut lesen, aber mit der Realität wenig zu tun haben, ist es notwendig, die Arbeitswelt überhaupt zu reformieren und die ganze Prekarisierung, die Sie herbeigeführt haben, zurückzudrängen . Danke schön . ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Markus Paschke, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Markus Paschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004371, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde,  in  dem Antrag wird  ein wichtiges Thema aufgegriffen; denn es geht um die Entwicklung der Arbeit . Unter den Stichworten „Digitalisierung“ und „Arbeit 4 .0“ wird derzeit darüber diskutiert, wie dieser Prozess gestaltet werden kann . Es geht also um nicht weniger als die Frage: Wie entwickelt sich Arbeit und damit auch das Verhältnis vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer? Die Ansprüche der Menschen an Arbeit und Leben wandeln sich . In den letzten Jahrzehnten haben sich die Anforderungen und die Bedürfnisse im Hinblick auf die Gestaltung von Arbeitszeiten verändert . Die Vorstellungen von heute unterscheiden sich im Hinblick auf Ort, Zeit und Gestaltung der Arbeit erheblich von den Vorstellungen von vor 10 oder 20 Jahren . Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat heute einen ganz anderen Stellenwert . Es ist ein zunehmendes Bedürfnis, den individuellen Lebensrhythmus mit der Erwerbsarbeit in Einklang zu bringen: Das kann der Wunsch des jungen Familienvaters sein, mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen zu wollen, das kann die Notwendigkeit sein, die Pflege  eines Familienmitglieds zu übernehmen, oder auch der schlichte Wunsch, mehr oder weniger zu arbeiten . Hier besteht also ein Bedürfnis nach Flexibilität, auch aus Arbeitnehmersicht . Ehrlicherweise müssen wir aber  feststeilen, dass flexible Arbeitszeiten heute immer noch eher aus Arbeitgebersicht definiert werden. Flexibilität wird häufig gleichgesetzt mit Verfügbarkeit rund um die Uhr: abends noch mal schnell die Mails checken, per Handy auch nach Dienstschluss für die Kollegen oder den Chef erreichbar sein, am Wochenende mal eben schnell noch zwei, drei Kleinigkeiten erledigen, die man im Büro nicht mehr geschafft hat. Häufig gilt als guter Arbeitnehmer, wer möglichst lange im Büro oder rund um die Uhr erreichbar ist . ({0}) Für viele Beschäftigte bedeutet, flexibler zu arbeiten,  daher nicht, dass sie mehr Gestaltungsspielraum haben . Im Gegenteil: Es bedeutet häufig, dass ihre Arbeits- und  Freizeit weniger planbar ist und sie auch außerhalb der geregelten Arbeitszeiten erreichbar sein müssen . Hier sage ich ganz klar: Diese Form der Entgrenzung von Arbeit und Freizeit gilt es zu verhindern . ({1}) Jeder Mensch hat ein Recht auf Feierabend und auf Wochenende . Mittelfristig - das wissen wir aus vielen Untersuchungen und Studien - ist es sogar schädlich für die Gesundheit und auch die Produktivität, wenn man nicht mehr abschalten und sich regenerieren kann . ({2}) Im Antrag wird von Zeitsouveränität gesprochen . Die Frage, die sich hier stellt, lautet einfach: Wer verfügt wann über wessen Zeit? Nichts anderes steckt dahinter . Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, dass die Erwerbstätigen mitbestimmen können, wenn es um ihre Zeit geht. Wenn wir also über flexiblere Arbeit nachdenken,  dann bedeutet das eben auch, über die Weiterentwicklung der Arbeitnehmermitbestimmung nachzudenken . Vor fast genau einem Jahr hat Andrea Nahles das „Grünbuch Arbeiten 4 .0“ vorgestellt . In ihm werden Trends, gewandelte Werte und wichtige Handlungsfelder der zukünftigen Arbeitsgesellschaft skizziert . Im öffentlichen Dialog mit Experten aus Betrieben, mit Beschäftigten, mit Betriebsräten, mit Personalräten, mit Geschäftsführern etc ., mit der Wissenschaft, mit den Sozialpartnern, mit den Verbänden und in den sozialen Medien - sodass sich jeder daran beteiligen kann - wollen wir einen neuen sozialen Kompromiss zur Gestaltung der Arbeitszeit entwickeln, damit die Interessen der Arbeitnehmer ebenso wie die Interessen der Unternehmen Berücksichtigung darin finden. Alle sind herzlich eingeladen, sich an diesem Dialogprozess zu beteiligen . Es soll nichts überstürzt werden . Aber es ist wichtig, dass wir das Thema aufgreifen . Wir müssen uns überlegen: Wie soll sich die Arbeit der Zukunft entwickeln? Welche Rahmenbedingungen können wir setzen, damit jeder zufrieden arbeiten kann? Danke schön . ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen .

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitswelt verändert sich, die Wünsche der Beschäftigten aber auch . Die Arbeitswelt wird  flexibler,  sie  wird  arbeitsintensiver,  oft  steht  weniger Personal zur Verfügung . Über 50 Prozent der Beschäftigten fühlen sich gehetzt . Viele erleben sich Tag für Tag als Organisationstalente, insbesondere Frauen; denn sie müssen ihre Erwerbsarbeit und auch noch ihr privates Leben unter einen Hut bringen . Aber hier verändert sich etwas . Die Beschäftigten wollen mehr Zeit für die Familie, sie wollen nicht ständig hetzen, sie wollen sich beispielsweise ehrenamtlich engagieren . Sie brauchen auch Zeit für sich, um sich zu erholen . Darauf brauchen wir passende Antworten . Die Beschäftigten brauchen mehr Zeitsouveränität; denn Arbeitszeit ist Lebenszeit . ({0}) Manche wollen weniger arbeiten, andere wollen mehr arbeiten, wieder andere sind mit ihrem Arbeitsumfang zufrieden . Viele müssen Vollzeit arbeiten, weil sie sich kürzere  Arbeitszeiten  finanziell  gar  nicht  leisten  können . Gerade sie brauchen mehr Zeitsouveränität im Arbeitsalltag . Sie wollen vielleicht gerne etwas später anfangen wegen der Kinder, sie wünschen sich einen freien Nachmittag für die alten Eltern, und sie träumen von einem Tag Homeoffice, um sich die Fahrzeit  ins Büro zu  sparen . Deshalb fordern wir, dass die Beschäftigten mehr Einfluss darauf nehmen können, wann sie arbeiten und  wo sie arbeiten . Herr Lagosky, wir wollen das auch in Betrieben ohne Betriebsrat . Sie kennen die Zahlen, Sie wissen, wie es da aussieht . Natürlich wollen wir auch Betriebsvereinbarungen zu Vereinbarkeitsfragen und für mehr Zeitsouveränität stärken . ({1}) Flexibilität ist keine Einbahnstraße . Deshalb wollen wir die Arbeitszeit beweglicher gestalten, damit Arbeit besser ins Leben passt . Eine neue Arbeitskultur ist auch notwendig, weil das Arbeitsleben insgesamt Tempo macht . Die Stichworte sind bekannt: Arbeitsverdichtung, zunehmende Arbeitsintensität, gleichzeitig verlängern sich die Arbeitszeiten wieder, Schichtarbeit, Nachtarbeit, immer mehr Menschen arbeiten auch am Wochenende . Die Folge: Den Beschäftigten geht zunehmend die Puste aus . Immerhin ergibt sich jede zweite Frühverrentung aufgrund psychischer Erkrankungen . Wir müssen hier Druck herausnehmen, und zwar für alle . Mehr Freiheit bei der Arbeitsgestaltung hilft gegen ständige Arbeitshetze, aber das reicht natürlich nicht aus . Politik, Sozialpartner und Wissenschaft müssen den Betrieben und Betriebsräten endlich eine Verordnung als Werkzeug an die Hand geben, damit sie im Betrieb passende Lösungen gegen Stress am Arbeitsplatz entwickeln können; denn in der Arbeitswelt brauchen die Menschen beides: Zeitsouveränität und besseren Schutz . ({2}) In manchen Bereichen geht der Trend, auch durch die Digitalisierung, hin zu mehr Zeitsouveränität . Die Menschen können arbeiten, wann und wo sie wollen . Arbeit ist nicht mehr an einen Arbeitsplatz gebunden . Ein Beispiel ist die Vertrauensarbeitszeit: Da geht es nicht mehr um Stunden und Anwesenheit . Das bringt Freiheiten das ist gut so -, aber so entsteht oft auch Mehrarbeit, häufig unbezahlt, und so verschwimmen auch die Grenzen  zwischen Arbeit und Freizeit . Hier brauchen wir dringend politische Lösungen . Wenn beispielsweise die Beschäftigten im Urlaub arbeiten müssen, dann kann das nicht als Urlaub zählen . Vor allem wollen wir auch die Mitbestimmung an die Gegebenheiten der digitalen Arbeitswelt anpassen . Wenn durch Vertrauensarbeitszeit Arbeit entgrenzt wird und Mehrarbeit entsteht, dann soll der Betriebsrat künftig auch über den Umfang der Arbeit mitbestimmen können . Wir wollen Flexibilität ermöglichen, aber nicht grenzenlose Arbeit; denn Zeitsouveränität soll tatsächlich zu mehr Lebensqualität führen . ({3}) Geht es um die Gestaltung der Arbeitszeit, dann nehmen wir auch die Arbeitsformen in den Blick, bei denen die Beschäftigten besonders wenige Freiheiten haben . Dabei ist mir die Arbeit auf Abruf ein besonderes Anliegen. Die so Beschäftigten erhalten häufig einen niedrigen  Lohn, sie wissen aber nicht, wann und vor allem wie viel sie arbeiten können . Sie haben keine Zeitsouveränität und können deshalb nicht einmal einen zweiten Job annehmen, damit sie von ihrer Arbeit auch leben können . Das geht gar nicht . Das wollen wir verändern . Bei der Arbeit auf Abruf muss die Arbeitszeit berechenbarer werden . ({4}) Sehr geehrte Regierungsfraktionen, wir legen Ihnen heute Vorschläge auf den Tisch und wollen damit eine Debatte, eine Diskussion über mehr Zeitsouveränität eröffnen . Arbeit muss besser ins Leben passen . Deshalb fordern wir eine bessere Balance zwischen allen Bereichen des Lebens; denn die Menschen leben ja nicht, um zu arbeiten, sondern sie arbeiten, um gut zu leben . Vielen Dank . ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Albert Stegemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004415, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder kennt die Schwierigkeit, das Erwerbsleben und private Wünsche unter einen Hut zu bekommen . Eine Umfrage des IAB aus dem Jahr 2014, die hier schon mehrfach zitiert wurde, bestätigt das . In dieser Umfrage erklärten die befragten Beschäftigten fast durchweg, dass sie sich andere Arbeitszeiten wünschen . Diejenigen, die in Vollzeit beschäftigt sind, möchten gerne weniger arbeiten, und diejenigen, die in Teilzeit arbeiten, würden gerne mehr verdienen . Unter Landwirten haben wir für jenes Phänomen eine Redewendung: Das Gras auf der anderen Seite des Zauns ist immer etwas grüner . ({0}) Ich möchte damit nicht den oftmals berechtigten Anliegen der Beschäftigten abschätzig entgegentreten, ganz im Gegenteil . Die Arbeitswelt  befindet  sich  im Wandel. Durch die  zunehmende Digitalisierung - Stichwort Industrie 4 .0 verändern sich Arbeitsprozesse. Sie werden immer effizienter. Dadurch steigt der Bedarf an flexiblen Arbeitszeitmodellen . Für die Beschäftigten ergeben sich dadurch aber nicht ausschließlich Risiken, sondern auch große Chancen . ({1}) Genau an dieser Stelle gehen die Analysen der Grünen und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Entwicklung der Arbeit von morgen weit auseinander . Sie wollen gesetzlich festlegen, wie Arbeit und Leben geregelt werden sollen . Wir wollen sozialpartnerschaftliche Lösungen, die die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes und der Arbeitnehmer intelligent zusammenbringen . ({2}) Von politischer Seite können wir nun einmal nicht alles so gestalten, wie wir es privat gerne hätten . Es muss am Ende auch funktionieren . Ansonsten erweisen wir denen, die wir schützen wollen, einen Bärendienst, vor allem wecken wir sonst Hoffnungen, die wir nicht erfüllen können . Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ihre Forderungen hören sich erst einmal gut an . Ich stimme Ihnen sogar in der Analyse der beschriebenen Situation zu, ({3}) allerdings ziehen Sie daraus die falschen Schlüsse . ({4}) Lassen Sie mich dies an drei in Ihrem Antrag formulierten Einschätzungen festmachen, die meines Erachtens gewaltig fehllaufen: Erstens . Sie betrachten den Arbeitsmarkt ausschließlich aus der Sicht des Arbeitnehmers . Der Arbeitsmarkt ist nun einmal, wie es der Name schon sagt, ein Markt . Wenn Unternehmen erfolgreich sind, können sie Beschäftigung schaffen, und nur dann . Dies gilt unter den Bedingungen einer globalen und immer stärker vernetzten Wirtschaft erst  recht. Dies muss nicht zwangsläufig  eine Einbahnstraße zulasten der Arbeitnehmer sein . In den allermeisten Branchen geben sich die Betriebe sehr große Mühe, passgenaue Angebote für ihre Arbeitnehmer zu finden.  ({5}) Warum tun sie dies? Unternehmen bringen die Wünsche der Arbeitnehmer und die Marktbedürfnisse so in Einklang, dass auf beiden Seiten Synergien entstehen . ({6}) Sie wollen alles gesetzlich regeln . Das wäre allerdings nur Sand im Getriebe einer sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit . Außerdem bin ich felsenfest davon überzeugt, dass jeder kluge Unternehmer allein schon aus Gründen des Fachkräftemangels das Wohl seiner Beschäftigten im Auge hat . ({7}) - Hören Sie mir doch erst einmal zu . Sie vermitteln zweitens mit Ihrem Antrag ein falsches Bild von der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt . ({8}) Ja, es gibt Befürchtungen im Hinblick auf Entgrenzung der Arbeit . Damit geht die Gefahr einher, dass man im Beruf jederzeit und überall erreichbar sein muss . Auf der anderen Seite zeichnen Sie das Bild starrer Bürozeiten, die den Mitarbeitern kaum Mitsprache erlauben . Beide Extreme gibt es . Allerdings erwähnen Sie nicht, dass wir bereits heute hohe Standards im Arbeitsschutz sowie Mitsprachemöglichkeiten haben . Viele Dinge sind bereits geregelt . Sie fordern beispielsweise, dass berufliche Tätigkeit im Urlaub als Arbeitszeit gelten soll . Laut Bundesarbeitsgericht haben Arbeitnehmer einen fest verbürgten Anspruch auf Erholungszeit . Arbeitgeber dürfen nur bei sehr zwingenden Notwendigkeiten ihre Beschäftigten kontaktieren . Somit ist diese Sachlage eigentlich klar . ({9}) Mehr noch: 70 Prozent aller Unternehmen bieten familienfreundliche Maßnahmen an . In 80 Prozent der Betriebe gibt es Beschäftigte, die in Teilzeit arbeiten - nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es wollen . Es gibt individuelle Festlegungen von Wochenarbeitstagen, flexible Pausen und Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit . Kurz gesagt: Auch hier wird sehr vieles von den Sozialpartnern gemeinsam gelöst . Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, am gravierendsten ist aber vielleicht drittens, welches Bild vom Arbeitnehmer Sie hier generell vertreten . Sie fordern - ich zitiere -: Die Beschäftigten bekommen mehr Mitsprache über den Umfang, die Lage und den Ort ihrer Erwerbstätigkeit, damit Arbeit gut ins Leben passt . ({10}) Das hört sich nicht nur reichlich weltfremd an . ({11}) Nein, die Rechtsprechung bezieht hierzu auch ganz klar Stellung - allerdings nicht so, wie Sie es hier fordern . Per Definition  stellen Arbeitnehmer  gemäß  einem Vertrag ihre Arbeitskraft gegen Entgelt zur Verfügung . Mich würde daher schon interessieren, was genau Sie sich unter „abhängiger Beschäftigung“ vorstellen . ({12}) Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen . Es ist ein Tausch von Zeit gegen Geld . Derjenige, der bezahlt, kann sagen, was, wie und wo gemacht wird . Das ist nun einmal der Arbeitgeber . Das ist die Realität . ({13}) Diese Realität bringt gewisse Vorteile für den Arbeitnehmer mit sich - logischerweise den Lohn . ({14}) Ohne Geld des Arbeitgebers hat der Arbeitnehmer keine Leistung zu erbringen . Arbeitnehmer haben dadurch auch ein Recht auf Erholungsurlaub . Sie haben Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall . Aber vor allem muss der Arbeitgeber auch zahlen, wenn er nicht in der Lage ist, seinen Arbeitnehmer voll und ganz auszulasten . Das Unternehmerrisiko liegt bei ihm . Wenn aber Arbeitnehmer mitbestimmen, wie, wann und ob sie überhaupt ihre Arbeit verrichten, frage ich: Inwiefern sind sie dann noch abhängig? ({15}) Mir stellt sich die Frage, ob Arbeitgeber in Zukunft auch wählen können, wie, wann und ob sie ihre Beschäftigten überhaupt bezahlen . ({16}) Wie stellen Sie sich das vor? Kann bald jeder kommen und gehen, wann er möchte? ({17}) So kann das nicht funktionieren . Ob Automobilindustrie, Tourismus, IT-Bereich oder Landwirtschaft - die Branchen sind immer volatiler werdenden Märkten ausgesetzt . Darauf müssen Unternehmen auch reagieren können . ({18}) Wenn zum Beispiel in einem Gastronomiebetrieb nichts los ist und die Chefin ihren Mitarbeitern den Nachmittag  freigibt, kann doch daraus kein dauerhafter Anspruch auf Wahlarbeitszeit erwachsen, ({19}) nur weil die Mitarbeiter dies als angenehm empfinden.  ({20}) Genauso wenig ist es sinnvoll, dass zum Beispiel meine Mitarbeiter im landwirtschaftlichen Betrieb beliebig entscheiden, wann sie die Kühe melken . Das kann allein schon aus tierschutzrechtlichen Gründen so gar nicht stattfinden; das müssten Sie als Grüne eigentlich wissen.  ({21}) Das alles hat also nichts mit Weisungsgebundenheit zu tun . Das ist eine falsch verstandene Flexibilität . Das kann nicht funktionieren . In der Tat - hier haben Sie recht - brauchen wir ohne Frage Flexibilität . Aber wir brauchen eine Flexibilität, die beiden Vertragsparteien gerecht wird . Sie muss die Lebensrealität von Arbeitnehmern und von Arbeitgebern zusammenführen . Fazit: Auch uns ist an Lösungen gelegen, die den jeweiligen Lebensumständen Rechnung tragen . Die letzte Bundesregierung hat bereits 2012 das Thema Zeitsouveränität in den Vordergrund gestellt . Es braucht Lösungen, die zur jeweiligen Lebenssituation der Betroffenen passen . Dafür wurden in den vergangenen Jahren bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel die Pflegezeit. Damit können Angehörige  für eine bestimmte Zeit aus dem Beruf aussteigen und danach wieder zurückkehren . Seit 2014 ist auch eine Beschäftigung über das Renteneintrittsalter hinaus unkomplizierter möglich . Dies gibt beiden Seiten mehr Flexibilität, da sie sich nicht mehr auf lange Zeit festlegen müssen . Generell muss es noch leichter werden, zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeit wechseln zu können . Da haben Sie ein Stück weit recht . Dafür brauchen wir bessere arbeitsrechtliche Instrumente . Wir werden hierfür das Teilzeitrecht weiterentwickeln und einen Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit schaffen . Gemeinsam mit der Wirtschaft haben wir Leitsätze für eine familienbewusste Arbeitszeitkultur erarbeitet . Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf keine hohle Phrase sein . Das Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ hat sich bewährt . Das zeigt auch die Studie von Allensbach aus dem Jahr 2015 . Ja, Zeit zu haben, ist ein grundlegendes Bedürfnis von Menschen . Ein Ruf nach gesetzlichen Änderungen, wie Sie sie hier fordern, ist jedoch nicht hilfreich . Wir erleben aktuell epochale Veränderungen im Arbeitsleben . ({22}) Die Digitalisierung bringt unweigerlich Flexibilisierung der Arbeit mit sich . Dies bietet Risiken, aber auch Chancen . Ich bin davon überzeugt, dass sich in der gelebten Praxis so manche Herausforderung besser regelt, als Politik dies auf dem Reißbrett verordnen kann . Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab . Ich bedanke mich dafür, dass Sie mir zugehört haben . Vielen Dank . ({23})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr . Martin Rosemann, SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Albert Stegemann, Sie sind der Landwirt, und ich will mir nicht anmaßen, in dem Bereich irgendetwas besser zu wissen, aber ich habe mir sagen lassen, es gebe bereits moderne Höfe, die so vollautomatisiert sind, dass dort die Kühe zum Melken gehen, wann sie wollen . Da haben die Kühe mehr Zeitsouveränität und damit auch diejenigen, die sie melken müssen . ({0}) Es gibt Leute, die das aus eigener Anschauung kennen . Am vergangenen Samstag hatte ich die Möglichkeit, im Rahmen des Filmfestivals Futurale des BMAS an einer Diskussion über den Film Digitale Nomaden teilzunehmen . Digitale Nomaden sind sicherlich ein extremer Fall . Dabei handelt es sich um Menschen, die völlig unabhängig von einem Arbeitsort und auch von einem Wohnort ihrer Arbeit nachgehen . Der Film zeigt, dass die Welt insgesamt bunter geworden ist . Am Ende des Films stand die Aussage im Raum, dass es vor allem eine Erwartung der jüngeren Generation ist, bei der Arbeit, im Erwerbsleben mehr Zeitsouveränität zu haben . Deswegen meine ich, dass wir heute über ein sehr, sehr wichtiges gesellschafts- und arbeitsmarktpolitisches Zukunftsthema diskutieren . Wenn ich den Antrag der Grünen lese, dann habe ich den Eindruck, dass Sie - ich sage es einmal positiv das Dialogpapier der Projektgruppe „#NeueZeiten“ der SPD-Bundestagsfraktion gelesen haben, bevor Sie Ihren Antrag geschrieben haben . Nichtsdestotrotz haben Sie in Ihrem Antrag leider wichtige Aspekte des Themas ausgeblendet . Das Ganze geschieht natürlich auch immer mit dem leicht durchschaubaren Ziel, der Regierungskoalition Untätigkeit zu unterstellen, obwohl in Wahrheit bereits wichtige Schritte unternommen wurden oder zumindest in praktischer Vorbereitung sind . ({1}) Einig sind wir uns - ich meine, das haben Sie auch zu Recht gesagt -, wenn es um die große Lücke zwischen Wunscharbeitszeiten und realisierten Arbeitszeiten geht . Wenn wir einen Strich darunter machen - das ist die gute Botschaft für die Wirtschaft -, dann würde die Realisierung der Wunscharbeitszeiten eine Ausweitung der Arbeitszeiten in Deutschland bedeuten . Das Statistische Bundesamt schätzt das ungenutzte Arbeitspotenzial auf 22 Millionen Stunden . Richtig ist natürlich auch: Vor allem die Frauen, die häufig in Teilzeit um die 50 Prozent  arbeiten, würden gerne mehr arbeiten . Viele Männer, die häufig 100 Prozent plus arbeiten, würden gerne weniger  arbeiten . Wenn wir das in Zukunft besser zusammenbringen wollen, dann müssen wir die Arbeit umverteilen, und dann brauchen wir andere Arbeitszeitmodelle . Aber das reicht natürlich nicht aus, sondern wir brauchen auch an anderer Stelle Rahmenbedingungen für mehr Partnerschaftlichkeit . Ich meine, da haben wir in den letzten Jahren große Schritte getan . Mit dem ElterngeldPlus schaffen wir einen Anreiz für eine bessere partnerschaftliche Aufteilung von Familienarbeit . ({2}) Mit dem Konzept der Familienarbeitszeit hat Ministerin Manuela Schwesig bereits den nächsten Schritt angekündigt . Es ist schon angesprochen worden: Im Koalitionsvertrag verankert ist die sogenannte befristete Teilzeit, also eine Regelung, die es den Beschäftigten erlaubt, für eine bestimmte Zeit Teilzeit zu arbeiten und dann zur Vollzeit zurückzukehren . Von Untätigkeit in Sachen Zeitsouveränität kann also nicht die Rede sein . ({3}) Vielmehr haben wir richtige Fundamente gelegt, Fundamente, über die dann auch das Dach einer Wahlarbeitszeit gelegt werden kann . Richtig ist: Ein Wahlarbeitszeitkorridor, in dem die Wochenarbeitszeit in regelmäßigen Abständen neu vereinbart werden kann, wäre tatsächlich ein Instrument, mit dem dem Gedanken der Partnerschaftlichkeit und der Lebensphasenorientierung noch weiter gehender Rechnung getragen werden könnte . Meine Damen und Herren, ich denke, darin besteht auch eine Chance, von dem starren Bild von Vollzeitbeschäftigung einerseits und Teilzeitbeschäftigung anAlbert Stegemann dererseits wegzukommen . Viele Männer wollen nicht in Teilzeit arbeiten, und sie wollen nicht das Stigma der Teilzeitarbeit auf der Stirn haben, wollen nicht die bisher damit einhergehenden Nachteile . Umgekehrt sind Frauen häufig  in  der Teilzeitfalle  gefangen. Deswegen  liegt  in  einem solchen Arbeitszeitkorridor eine Riesenchance . ({4}) Meine Damen und Herren, zum Schluss will ich deutlich sagen: Natürlich gibt es unterschiedliche Erwartungen der Menschen an Zeitpolitik . Was Sie ausblenden, ist die Tatsache, dass die Mehrzahl der Beschäftigten mit ihren Arbeitszeiten eigentlich ganz zufrieden ist und dass es neben denjenigen, die sagen: „Wir brauchen mehr Flexibilität, auch im Hinblick auf die Verteilung der Arbeitszeit über den Tag, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können“, auch solche gibt, die wollen, dass es weiterhin klare, feste Arbeitszeiten und eine klare Abgrenzung zwischen Arbeitszeit und Freizeit gibt . ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege .

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist, denke ich, nicht Aufgabe der Politik, darüber zu richten, welche Vorstellung besser oder schlechter ist . ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Lieber Kollege, die Zeit!

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was wir tun müssen, ist, unterschiedliche Modelle der Erwerbsarbeit in Deutschland zu ermöglichen .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es gibt zwar auch die Zeitautonomie von Abgeordneten; aber die Uhr spielt hier doch eine gewisse Rolle . Sie haben vor einer Minute angekündigt, Sie kämen zum Schluss, taten das dann aber nicht . Deswegen wäre es schön, wenn Sie jetzt mit einem Dank schließen würden .

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, das haben Sie in meinen letzten Satz hinein gesagt; denn das war eigentlich mein letzter Satz . ({0}) Aber ich habe das extra provoziert, um Ihnen zu sagen: Zeitsouveränität spielt auch für Abgeordnete bei ihrer Redezeit eine Rolle . Vielen Dank . ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die Geschäftsordnung verbietet zwar die Kommentierung des Präsidenten; aber wir nehmen das heute ausnahmsweise einmal hin . ({0}) Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion . ({1})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren einen Antrag zur  flexiblen  Gestaltung  der Arbeitszeit. Arbeiten,  das  geht zu Hause, am Schreibtisch, im Café, im Zug; außerhalb des Büros läuft das Arbeiten dank moderner Technologien fast reibungslos . Zweifelsfrei hat die Arbeit im Homeoffice  ihre  Vorteile,  wenn  die  Kinder  einmal  erkrankt sind oder bestimmte Projekte auch am heimischen Schreibtisch erledigt werden können . Dennoch sehe ich die Arbeit außerhalb des Büros nicht unkritisch . Homeoffice kann auch dazu führen, dass es an gelebter Kommunikation mangelt . Kommunikation, meine sehr verehrten Damen und Herren, schafft Zusammenhalt, Werte und gemeinsamen Austausch in einem Unternehmen . ({0}) Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer wissen es zu schätzen, spontan ein Gespräch zu führen oder eine Teambesprechung abzuhalten . Ich frage die Antragsteller: Wie wollen Sie den Arbeitgebern erklären, dass die Beschäftigten nun selber entscheiden können, wo sie ihre Aufgaben erledigen? Aber auch aus ganz praktischen Gesichtspunkten erscheint mir Ihre Forderung problematisch . Für viele Branchen - ich nenne nur einmal den Einzelhandel, die Gastronomie, die Pflege und das Verkehrswesen - ist das  schlicht nicht umsetzbar . Daneben ist es schwierig, das Arbeiten des Einzelnen im Homeoffice mit den Arbeitszeiten der Kollegen und der Bereitstellung von Büroorganisation in Einklang zu bringen . Deshalb sehe ich den von Ihnen in Ihrem Antrag geforderten Ausbau der Arbeit im Homeoffice als diskussionsbedürftig an. Ein wichtiges Thema, das wir bei der ganzen Diskussion nicht aus den Augen verlieren sollten, ist die Arbeit in Teilzeit . Zweifelsfrei entscheiden sich viele Beschäftigte in Deutschland bewusst für eine Reduzierung der Stundenzahl . Vor allem viele Arbeitnehmerinnen verringern nach der Geburt ihrer Kinder die Zahl ihrer Arbeitsstunden . Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Rückkehr in die Vollzeitarbeit nicht immer gelingt . Es besteht die Gefahr, dass die Beschäftigten ihre Stundenzahl bis zur Rente nicht wieder auf Vollzeit aufstocken . Damit droht ihnen die Teilzeitfalle . Vor allem Arbeitnehmerinnen sind davon betroffen . Das bestätigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes . 2014 war fast jede zweite erwerbstätige Frau von 20 bis 64 Jahren - exakt waren es 47 Prozent - in Teilzeit beschäftigt . Bei den Arbeitnehmern lag der Anteil nur bei 9 Prozent . Dabei wird oft vergessen, dass die Stundenreduzierung nicht nur Auswirkungen auf das Gehalt, sondern auch auf die spätere Rente hat . Ich möchte das Thema der Aktuellen Stunde, die heute Nachmittag zur Altersarmut durchgeführt wird, nicht vorziehen, gleichwohl aber doch ein paar Sätze darüber verlieren . In vielen Fällen reichen die gesammelten Rentenansprüche für ein Leben oberhalb der Grundsicherung nicht aus . Die Gefahr von Altersarmut ist für Frauen erheblich höher als für Männer . Zwar gibt es bereits heute gesetzliche Ansprüche für die Beschäftigten, ihre Arbeitsstunden nur befristet zu reduzieren; dazu gehören insbesondere § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes  und  §  3  des  Pflegezeitgesetzes.  Dennoch  haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir das Teilzeitrecht weiterentwickeln und ein Rückkehrrecht in die Vollzeit schaffen wollen . Ich begrüße außerordentlich, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf dazu vorlegen wird . ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Arbeitswelt steht im ständigen Wandel . Sie ist geprägt von vielen Revolutionen, angefangen beim mechanischen Webstuhl über die Dampfmaschine bis zum Fließband . Heute befassen wir uns mit den Auswirkungen von Arbeit 4 .0 . Nicht nur die Just-in-time-Produktion und die Globalisierung verschieben die traditionellen Arbeitszeiten . Auch die zunehmende Mobilität und Flexibilität, die ständige Erreichbarkeit und die Digitalisierung lassen die Grenzen zwischen dem Berufs- und Privatleben für immer mehr Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen verschwinden . Neue Technologien können mehr Freiräume für Arbeitnehmer bedeuten, aber auch zu mehr Leistungsdruck führen . Das kann sowohl eine Belastung als auch ein Privileg sein . Das Internet hat den Arbeitsalltag in den letzten 20 bis 30 Jahren revolutioniert . Die Digitalisierung hat neue Kommunikationsformen und Arbeitsabläufe gebracht . Das hat zweifelsfrei Auswirkungen auf den Datenschutz, auf die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten, auf fortlaufende Fort- und Weiterbildung und auf Unternehmensstrukturen . Wir alle ertappen uns dabei, dass wir nach Feierabend die Nachrichten auf Spiegel Online oder unsere E-Mails noch einmal kontrollieren . Entdecken wir dabei eine wichtige E-Mail, so tippen wir schnell eine Antwort . So geht es vielen Beschäftigten . Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet das, dass sie nach dem Feierabend eigentlich weiterarbeiten . Bei den Veränderungen im Arbeitsleben sind wir gefordert, den Arbeitsschutz der Beschäftigten regelmäßig zu überprüfen und an die neuen Bedingungen anzupassen . Es geht nicht darum, dass jeder immer und überall erreichbar sein muss . Es geht auch nicht darum, die Arbeitszeiten generell auszudehnen . Es geht darum, die vereinbarte Arbeitszeit flexibel und bedarfsgerecht  zu nutzen . Das kommt den Arbeitnehmern ebenso zugute wie den Unternehmen . Die CDU/CSU-Fraktion möchte mit der Lebenszeitpolitik bessere Möglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ermöglichen . Wir wollen eine familienfreundliche Arbeitszeit . Arbeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss sich mit dem Familienleben, mit  beruflicher  Weiterbildung  und  mit  der  Pflege  von  Angehörigen vereinbaren lassen . Wichtig ist aber auch, dass Lösungen nur möglich sind, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich gemeinsam abstimmen können . Es müssen sowohl die Interessen des Unternehmens und die betrieblichen Prozesse als auch die persönliche Situation des Arbeitnehmers in Einklang gebracht werden . Die Forderung in Ihrem Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Fraktion Die Grünen, nach flexibler Änderung der Arbeitszeit halte ich für eine nette  Idee in der Theorie, aber in der Umsetzung für schwierig und den Unternehmen schwer vermittelbar . Deshalb werden wir Ihrem Antrag nicht folgen . Herzlichen Dank . ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion . ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, in Ihrem Antrag sprechen Sie den Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ unserer Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles an, an dem sich über 40 Verbände, Institutionen und Unternehmen beteiligt haben und in dessen Rahmen Lösungsvorschläge zur Zukunft der Arbeit entworfen wurden . Daraus werden jetzt von uns politische Forderungen erarbeitet . Wie wird die Zukunft aussehen? Betrachten wir nur einmal die Arbeit eines Fernfahrers . Heute sitzt er auf seinem Fahrersitz am Steuer . Doch wo arbeitet er morgen? In einem Logistikzentrum, in dem er mehrere Lkw überwacht, die Güter ferngesteuert von A nach B transportieren? Oder kontrolliert er die Brummis gar von zu Hause aus? Zukunftsentwicklungen abschätzen und Lösungen vorbereiten, genau darum geht es im Dialogprozess „Arbeiten 4 .0“ . Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, beklagen, dass wir in diesem Dialogprozess nur ankündigen und Erwartungen wecken würden . ({0}) Die Umsetzung unserer Vorstellungen stehe jedoch in den Sternen, so schreiben Sie in Ihrem Antrag . Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, da fassen Sie sich lieber einmal an Ihre eigene Nase . Wo setzen Sie denn etwas um? Sie legen uns einen Antrag mit vielen Forderungen vor; aber im Gegensatz zu uns können Sie nicht eine einzige davon verwirklichen . ({1}) Wir hingegen haben die politische Kraft, etwas auf den Weg zu bringen . Dafür müssen wir uns als kleinerer Partner zwar immer wieder mit unserem Koalitionspartner zusammenraufen, und oft kommen Kompromisse dabei heraus, die Sie dann heftig kritisieren; aber es sind Schritte in die richtige Richtung, Schritte, die das Leben von Menschen Stück für Stück besser machen . ({2}) Das tun wir jetzt schon in vielen Bereichen . ({3}) Vier Beispiele . Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie fordern in Ihrem Antrag, dass Paare ihre Erwerbstätigkeit partnerschaftlicher gestalten sollen . Dafür haben wir bereits gesorgt . Den Einstieg haben wir durch das Elterngeld und das ElterngeldPlus geschaffen . ({4}) Seit dem 1 . Juli 2015 haben Mütter und Väter durch das ElterngeldPlus mehr Möglichkeiten als vorher, um Kinder und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen . ({5}) Sie fordern den Ausbau von Kitaangeboten . Eltern sollen besser über ihre Zeit bestimmen können . Ich verweise hier beispielhaft auf eine jüngste Maßnahme des Bundesfamilienministeriums, nämlich das Bundesprogramm „KitaPlus“ . Mit diesem Programm werden Kitas darin unterstützt, ihre Öffnungszeiten besser an den Wünschen der Eltern auszurichten . Dabei geht es nicht darum, dass die Kinder länger in den Kitas verbleiben sollen,  sondern um flexiblere Betreuungszeiten.  Ich  als  Journalistin sowie alleinerziehende und voll berufstätige Mutter hätte mich sehr über ein derartiges Angebot gefreut . Damals hatte auch ich keine geregelten Arbeitszeiten . Die Kita machte jedoch um 16 Uhr und freitags sogar schon um 15 Uhr dicht . Es gab keine Alternativen . Ich freue mich deshalb sehr, dass sich allein in meinem Wahlkreis Lübeck zwölf Kitas an dem Bundesprogramm beteiligt haben . Was passiert, wenn in der Familie plötzlich Angehörige gepflegt werden müssen? Sie, liebe Kolleginnen und  Kollegen der Grünen, haben auch dazu eine Forderung aufgestellt . Das ist gut; denn inzwischen werden schon mehr als ein Drittel der über 2,6 Millionen Pflegebedürftigen  zu  Hause  von  ihren Angehörigen  gepflegt.  Zum  Glück haben wir im Januar 2015 die sogenannte Familienpflegezeit eingeführt. Das ist ein guter Schritt in die  richtige Richtung . ({6}) Ich nenne einen weiteren Erfolg, der auch in die Zukunft wirkt: Seit Januar 2015 gilt der gesetzliche Mindestlohn . 4 Millionen Beschäftigte, davon 62 Prozent Frauen, bekommen dadurch heute durchschnittlich 18 Prozent mehr . Der Mindestlohn führt auch dazu, dass viele Minijobs, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, in Ihrem Antrag erwähnen, in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen umgewandelt  werden . - Sie sehen, wir haben schon vieles auf die richtige Schiene gesetzt . Das Rückkehrrecht von Teilzeit in die vorherige Arbeitszeit steht noch an . Wir werden auch dies schaffen . Damit Arbeit gut ins Leben passt, müssen wir uns aber unbedingt um eine weitere Sache kümmern, nämlich endlich ein Lohngerechtigkeitsgesetz für uns Frauen zu schaffen . Gleicher Lohn für gleiche bzw . gleichwertige Arbeit - diese so wichtige Forderung auch für die Zukunft von guter Arbeit habe ich in Ihrem Antrag leider nicht gefunden . ({7}) Wir kämpfen darum, und wir werden auch dies schaffen . Danke schön . ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8241 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir kommen jetzt zu einem rechtspolitisch äußerst wichtigen Thema im Sexualstrafrecht . Es geht um die Schließung einer  empfindlichen Strafbarkeitslücke zum  Schutz der sexuellen Selbstbestimmung . Ich rufe die Ta- gesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung Drucksache 18/8210 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Cornelia Möhring, Frank Tempel, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts ({1}) Drucksache 18/7719 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es wäre schön, wenn die Kolleginnen und Kollegen, die uns jetzt verlassen müssen, das still tun, während die anderen ihre Plätze einnehmen . Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesminister Heiko Maas für die Bundesregierung . ({3})

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank für die positive Einführung in dieses Thema . - Meine Damen und Herren! Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen wollen . Das ist auch bitter nötig . ({0}) In Deutschland haben wir bei den Straftaten Vergewaltigung und sexuelle Nötigung eine Verurteilungsquote von 8 Prozent . Dabei wissen wir, dass nur etwa 10 Prozent der Vergewaltigungen überhaupt angezeigt werden . Dies führt dazu, dass Frauen, die Opfer sexueller Gewalt werden, sich nicht ermuntert fühlen, die Taten, die gegen sie begangen worden sind, auch strafrechtlich ahnden zu lassen . Der Grund besteht nicht nur darin, dass es Beweisschwierigkeiten gibt, sondern vor allen Dingen darin, dass unser Strafrecht eklatante Schutzlücken aufweist . Diese Schutzlücken wollen wir mit diesem Gesetz schließen . Es ist auch an der Zeit, dass wir das tun . ({1}) Wir haben uns in den letzten Monaten - auch zusammen mit den Landesjustizverwaltungen, in der Gerichtspraxis - sehr intensiv mit den Fällen befasst, bei denen Schutzlücken bestehen und auf die in der Vergangenheit auch immer wieder von Frauen und Opferverbänden aufmerksam gemacht worden ist . Es gibt insbesondere drei Konstellationen mit Schutzlücken, die wir mit diesem Gesetz jetzt ein für alle Mal schließen wollen . Erstens . Der Täter bricht den Willen des Opfers nicht direkt vor einer Tat, sondern hat ihn schon lange zuvor gebrochen . Bedauerlicherweise ist das in vielen, vielen Fällen so . Es geht dabei um Beziehungen, in denen ein Klima der Gewalt herrscht . Die betroffenen Frauen wehren sich schon lange nicht mehr gegen den sogenannten Haustyrannen, wie er auch in der Rechtsprechung beschrieben wird . Selbst wenn der Mann diesen Umstand bewusst für Sex ausnutzt, ist das in der Vergangenheit für eine Verurteilung nicht ausreichend gewesen . Die Tatsache, dass die Gewalt zwar für das Opfer dauerhaft präsent war, sie aber nicht gezielt für die Tat eingesetzt worden ist, kam dem Täter in der Rechtsprechung und vor Gericht auch noch zugute. Ich finde, das ist eine zynische Logik, und die wollen wir nicht länger zulassen . ({2}) Deshalb soll in Zukunft der Übergriff auch dann strafbar sein, wenn der Täter es ausnutzt, dass das Opfer aus Angst vor weiterer Gewalt auf Gegenwehr gänzlich verzichtet . Die zweite Konstellation, um die es geht, sieht wie folgt aus: Der Täter nutzt die Furcht seines Opfers bewusst aus, um sich an ihm zu vergehen . Aber dabei fürchtet das Opfer nicht um Leib und Leben . Es geht um die Angst, dass man zum Beispiel seinen Arbeitsplatz verliert, wenn man sich den sexuellen Handlungen verweigert, oder dass man als Ausländerin abgeschoben wird, wenn man sich dem Täter verweigert . Solche und noch viele andere Fallkonstellationen hat unser Strafrecht bisher überhaupt nicht erfasst . Mit diesem Gesetzentwurf wird das anders . Auch diese Änderung ist längst überfällig . ({3}) Es geht drittens um Fälle, in denen die Attacke für das Opfer vollkommend überraschend ist, sodass es schon deshalb überhaupt keinen Widerstand leisten kann . Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Frau den Täter und die Handlung, die vom Täter ausgeht, nicht bemerkt, zum Beispiel, weil sie sie nicht sieht und sich schon deshalb gar nicht dazu verhalten kann . Bislang konnte so etwas, zum Beispiel, wenn einer Frau unter den Rock in den Schritt gegriffen wurde, allenfalls als Beleidigung bestraft werden . ({4}) Aber ich finde, so etwas ist nicht als Beleidigung zu bestrafen . So etwas verletzt die sexuelle Selbstbestimmung einer Frau und muss auch als solche bestraft werden . ({5}) Meine Damen und Herren, es ist gut, dass darüber breit diskutiert wird und ganz unterschiedliche Vorschläge gemacht werden, wie man Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen kann . Diese Diskussion hat insbesondere nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln eingesetzt . Ich will nur der Form halber darauf hinweisen, dass unser Gesetzentwurf schon viel länger vorliegt . Das Thema und ebenso der Gesetzentwurf beschäftigen uns nicht in erster Linie seit den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln . Es ist allerdings traurig, dass erst so Vizepräsident Peter Hintze etwas geschehen muss, bis es in Deutschland eine breite Debatte darüber gibt, wie man Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen kann, egal wo sie stattfindet und egal  welchen Pass der Täter hat . ({6}) Wir wollen die Schutzlücken schließen und damit auch den Vorgaben der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt gerecht werden . Dies tun wir mit diesem Gesetzentwurf . Aber wir haben, wie Sie wissen, eine Expertenkommission eingesetzt, die das ganze Sexualstrafrecht überarbeitet . Es gibt an vielen anderen Stellen Reformbedarf . Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf im Vorgriff auf die Ergebnisse der Expertenkommission eingebracht . Das Sexualstrafrecht wird uns weiterhin beschäftigen müssen . Allerdings sind die Schutzlücken, die es hier gibt, so eklatant, dass man sie nicht länger offenlassen kann . Sie müssen jetzt und sofort geschlossen werden . ({7}) Wir sind gerne bereit, all die Ergebnisse, die im Herbst von der Expertenkommission vorgelegt werden, im politischen Raum zu besprechen . Wir werden auch die Diskussion über die sogenannten Grapscherfälle - das spielt hier im Parlament eine wesentliche Rolle - positiv begleiten . Wir wollen dieses Gesetz so schnell wie möglich beschließen . Es ist längst überfällig, Frauen in Deutschland besser vor sexueller Gewalt zu schützen . Herzlichen Dank . ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke . ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nein heißt nein . Das ist eigentlich eine banale Selbstverständlichkeit . Aber im Sexualstrafrecht gilt sie leider noch nicht . Daran ändert auch der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf nichts . Deshalb hat die Linke, nachdem bereits die Grünen einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diesen Grundsatz im Strafgesetzbuch verankern soll . ({0}) Das Problem des derzeit geltenden Vergewaltigungstatbestands besteht darin, dass er für alle Tatbestandsalternativen eine Nötigung verlangt . Dies wird an der Formulierung „Wer eine andere Person . . . nötigt“ deutlich . Selbst im Kommentar von Bundesrichter Fischer, der das manchmal gar nicht wahrhaben will, heißt es, dass das Opfer „gegen seinen Willen zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen gezwungen werden“ muss „bzw . der Täter den entgegenstehenden Willen des Opfers durch Gewalt brechen“ muss . Mithin ist es, um den Straftatbestand der Vergewaltigung zu erfüllen, notwendig, mit Zwang den Willen einer Person zu brechen . Genau das führt im Hinblick auf die sexuelle Selbstbestimmung zu nicht hinnehmbaren Schutzlücken . Gerade Fälle, in denen objektiv keine schutzlose Lage gegeben ist oder auf eine Nötigung verzichtet wird, oder Fälle überraschender sexueller Übergriffe sind nicht geregelt . Diese Schutzlücken sind im Sexualstrafrecht nicht hinnehmbar . ({1}) Nun löst das Gesetz der Bundesregierung einen Teil des Problems, aber nicht das Problem an sich . Das Gesetz versucht das Problem der sogenannten Überraschungsfälle zu lösen, also der Fälle, in denen das Opfer zum Widerstand unfähig ist oder im Fall des Widerstandes ein Übel befürchtet . Der Gesetzentwurf regelt aber nicht den Grundsatz „Nein heißt nein“ . Selbst die Regelung der Überraschungsfälle finde ich suboptimal wegen  des Begriffs „Widerstandsunfähigkeit“ . Es wäre besser, zu formulieren: wo ein Wille nicht gebildet werden kann . ({2}) Weil die Linke die Schutzlücken im bestehenden Sexualstrafrecht für nicht hinnehmbar und den Vorschlag der Bundesregierung für nicht ausreichend hält, haben wir einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt . Dieser ist einfach und verständlich, klar strukturiert und schließt bestehende Schutzlücken . ({3}) Die Linke sagt: Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person - das ist die zentrale Formulierung sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung an oder mit einem Dritten bestimmt, wird . . . bestraft . Wir haben uns also entschieden, den Grundsatz „Nein heißt nein“ im Rahmen des Sexualstrafrechts an den Anfang zu stellen, das Sexualstrafrecht umzustrukturieren sowie die exhibitionistische Handlung und die Erregung öffentlichen Ärgernisses als Ordnungswidrigkeit einzustufen . ({4}) Mit unserer Formulierung eines Grundtatbestandes der nicht einvernehmlichen sexuellen Handlung und Vergewaltigung wollen wir die gesellschaftliche Erwartungshaltung des Grundsatzes „Nein heißt nein“ gleich am Anfang des Sexualstrafrechts festschreiben; denn es geht vor allen Dingen um eine gesellschaftliche ErwarBundesminister Heiko Maas tungshaltung, die Erwartungshaltung, dass die sexuelle Selbstbestimmung umfassend geschützt wird . ({5}) Nun gibt es an der einen oder anderen Stelle Einwände gegen diesen Vorschlag, und ich sage klar und eindeutig: Diese sind nicht überzeugend . Da wird argumentiert, es gäbe Beweisschwierigkeiten, wenn der Grundsatz „Nein heißt nein“ verankert werden würde . „Wie soll denn ein Nein nachgewiesen werden?“, heißt es . So schlüssig das auf den ersten Blick scheint, so wenig schlüssig ist es, wenn man sich das im Detail anschaut; denn schon im derzeitigen Vergewaltigungsparagrafen gibt es die Tatbestandsalternative der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, und in sogenannten Zweierkonstellationen stellt sich auch bei dieser Tatbestandsalternative die Frage, wie die Drohung nachgewiesen werden soll . Mithin: Dieses Argument ist vorgeschoben . ({6}) An anderer Stelle wird argumentiert, das Nein könne ja möglicherweise nicht ernst gewesen sein, im Übrigen ein seit vielen Jahren vorgetragenes Argument . Ich zitiere: Deswegen muß mit diesem Beschluß einhergehen, … daß immer mehr Männer empört sind, wenn ganz locker gesagt wird: Na ja, wenn eine Frau Nein sagt, meint sie es vielleicht doch nicht so! Diesen Wunsch hatte die Abgeordnete Philipp, CDU/ CSU, in der Debatte zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe  im Mai 1997.  Ich finde es ziemlich beschämend, dass ihr Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist und dieses Argument an der einen oder anderen Stelle immer noch vorgetragen wird . ({7}) Das Argument ist auch in der Sache ziemlich absurd . Wer es vorbringt, zeigt, welchen Stellenwert er der sexuellen Selbstbestimmung beimisst . Stellen Sie sich einen Moment vor, Ihr Nachbar fragt Sie, ob er nicht eine Proberunde mit Ihrem tollen neuen metallic-braunen Fahrzeug fahren darf, und Sie sagen Nein . Der Nachbar, mit dem Sie sich seit vielen Jahren gut verstehen, glaubt aber nicht daran und fährt trotzdem bei passender Gelegenheit eine Proberunde . Dieser unbefugte Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs ist nun aber - wenn aus meiner Sicht auch überflüssigerweise - strafbar, wenn ein Strafantrag  vorliegt; denn nach dem einschlägigen Paragrafen wird bestraft, wer - Achtung! - gegen den Willen des Berechtigten ein Kraftfahrzeug in Gebrauch nimmt . Das heißt, im Hinblick auf ein Kraftfahrzeug soll „Nein heißt nein“ ausreichen, im Hinblick auf die sexuelle Selbstbestimmung aber nicht . Das verstehe, wer will - ich nicht . ({8}) Wir müssen allerdings im Rahmen solcher Debatten wie heute, in denen es vorrangig um das Strafrecht geht, über mehr reden: Wir müssen über gesellschaftliche Haltungen reden, und wir müssen deutlich widersprechen, wenn sexualisierte Gewalt und Sexismus bagatellisiert werden . Ich zitiere aus einem Kommentar auf meinem Blog: Wenn du dich schützen willst vor Sexismus der Männer, dann zieh einfach eine lila Latzhose an . Mir geht diese Verantwortungszuschreibung an Frauen auf den Wecker . ({9}) Um es einmal klar und deutlich zu sagen: Egal, was eine Frau anhat, es ist niemals eine Einladung für Sexismus oder sexuelle Handlungen . ({10}) Wir müssen widersprechen, wenn gefordert wird, die Frau solle den Bedürfnissen der Männer dienen . Ich zitiere noch einmal aus einem Kommentar auf meinem Blog: Vor allem darf sich die Protesthaltung als Opfer nicht verfestigen, damit diese Frauen nicht männerfeindlich werden . Es ist unendlich schade um jede einzelne Frau, die den Männern durch so eine Scheiße als mögliche Sexualpartnerin verloren geht . Sie müssen die Gelegenheit erhalten, übers Ziel hinauszuschießen, damit sie ihren Fehler erkennen und sich selbst wieder einkriegen können . Es tut mir leid, an dieser Stelle kommt mir das - - Ich sage das jetzt nicht; das wäre unparlamentarisch . Wir müssen deutlich sagen: Das ist unverschämt, das verursacht Übelkeit . Solchen Äußerungen müssen wir klar und deutlich gemeinsam entgegentreten . ({11}) Mithin: Wir müssen nicht nur eine strafrechtliche Regelung verankern, von der ich immer noch hoffe, dass sie „Nein heißt nein“ heißt, sondern vor allem dafür sorgen, dass in der Gesellschaft Sexismus und sexualisierte Gewalt geächtet werden, und zwar jeden Tag und an jeder Stelle . Eine strafrechtliche Verankerung des Grundsatzes „Nein heißt nein“ kann dazu einen Beitrag leisten, dem aber viele weitere folgen müssen . ({12})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir machen uns neuerdings viele Sorgen um Einbruchsdiebstähle und die Opfer solcher Taten . Wenn man diese Opfer fragt: „Was hat Sie am meisten belastet?“, dann kommt in der Regel heraus: Es ist gar nicht das fehlende Bargeld oder der fehlende Schmuck, sondern es sind die psychischen Folgen der Vorstellung, hier hat jemand in meinen Sachen gewühlt, hier hat sich jemand in meine Intimsphäre hineingewagt und ist übergriffig geworden. Dabei geht es nur um Räume . Wie viel muss es im Vergleich dazu erst ausmachen, wenn tatsächlich in die körperliche Intimsphäre eingegriffen wird, wenn man einem fremden Täter ausgeliefert ist, der sich dort zu schaffen macht, wo man es nicht will?! Das ist traumatisierend . Das führt bei den Opfern zu Depressionen, zu Ängsten und sogar zu Selbstmordabsichten . Das ist das, was uns auf den Plan ruft . Davor müssen wir alle Opfer schützen . ({0}) Der Schutz vor solchen Übergriffen muss umfassend sein . Die Freiheit in jeder Situation - egal was vorher passiert ist -, Ja oder Nein zu sagen, muss ganz klar gegeben sein, unabhängig davon, wie verheißungsvoll der Abend war, wie teuer das Abendessen war, ob man schon lange verheiratet ist, wie die Beziehung ist, ob es eine Gewaltbeziehung gibt, unabhängig von Religion und kulturellem Hintergrund und auch unabhängig davon, ob ein Täter dafür bezahlt hat . Wenn wir demnächst über Prostitution reden, ist das sicherlich ein wichtiger Aspekt . ({1}) In all diesen Fällen hat niemand das Recht, sich über den entgegenstehenden Willen eines anderen Menschen hinwegzusetzen . ({2}) Unser geltendes Strafrecht stellt solche Übergriffe in § 177 StGB unter Strafe, wenn der Übergriff mit Gewalt oder Androhung von Gewalt einhergeht oder sich das Opfer  in  einer  schutzlosen  Lage  befindet.  §  179  StGB  ergänzt diese Regelung für den Fall, dass das Opfer widerstandsunfähig ist . Also alles gut? Deutschland hat die sogenannte Istanbul-Konvention des Europarats aus dem Jahr 2011 gezeichnet . Diese verlangt, dass alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt werden . Das ist der eine Grund, weshalb wir schauen müssen, ob unser Strafrecht noch up to date ist . Der andere Grund ist noch wichtiger - es wurde bereits gesagt -: Wenn man sich genau anschaut, was unter §§ 177 und 179 StGB fällt, stellt man fest: Es gibt überraschende Schutzlücken in der Strafbarkeit . Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe hat dazu etliche Fälle aus der Praxis zusammengestellt, die absolut strafwürdiges Verhalten beschreiben, das von §§ 177 und 179 StGB heute aber nicht erfasst wird . Das hat in der Tat damit zu tun, dass wir es hier mit einem Nötigungstatbestand zu tun haben, bei dem man letztendlich von der Erwartung ausgeht, dass sich jedes erwachsene Opfer wehrt, wenn es eine sexuelle Handlung nicht mag, dies zum Ausdruck bringt und dadurch Gewalt oder Androhung von Gewalt provoziert . Das ist aber nicht richtig . Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass jedes Opfer so handelt . Es gibt dabei verschiedene typische Konstellationen . Ein besonderer Fall wurde bereits genannt: die Gewaltbeziehung, in der zwar nicht die situative Gewalt gegeben ist, aber das Opfer schon weiß, was passiert, wenn es sich wehrt . Vor allem die Konstellation einer Gewaltbeziehung, in der ein Opfer etwa darauf Rücksicht nimmt, dass die Kinder im Nebenzimmer nicht geweckt werden sollen, ist ein Fall, der gerade die Reform aus dem Jahre 1997 sozusagen ins Leere laufen lässt.  Häufig  spielt  eine  Gewaltkonstellation  gerade  in  der Ehe eine Rolle . Der Fortschritt, der 1997 gemacht wurde, kann hier nicht zum Erfolg führen, weil Voraussetzungen des § 177 StGB nicht erfüllt sind . Eine weitere typische Konstellation wäre: Das Opfer wehrt sich nicht aus Angst, aus Ekel, weil es irgendwie das nicht erwartet hat, was passiert, und nicht die Kraft aufbringt, zu gehen, vielleicht weil etwas Alkohol im Spiel ist, zum Beispiel nach einer gemeinsamen Feier . Das heißt, das Opfer wehrt sich nicht immer . Die Anforderung an das Opfer, sich zu wehren, schiebt die Schuld für das, was passiert, in die völlig falsche Richtung . ({3}) Diese Anforderung vermittelt dem Opfer den Vorwurf, sich falsch verhalten zu haben . Dem Opfer wird gesagt: Du hättest dich wehren müssen . Dabei heißt es in allen Ratschlägen der Kriminalpolizei an die Opfer: Wehre dich bloß nicht; sonst passiert noch Schlimmeres . Das ist ein Widerspruch . Hier muss das Strafrecht besser zum Ausdruck bringen, dass es kein Recht gibt, ({4}) sondern dass es strafwürdiges Unrecht ist, sich über den klaren entgegengesetzten Willen des anderen hinwegzusetzen . Das ist das, was die Menschen bereits jetzt für strafbar halten und was auch klar strafwürdig ist . Eine weitere Konstellation ist im geltenden Recht nicht überzeugend gelöst: wenn das Opfer wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht zum Widerstand fähig ist . Da darf es doch keinen Rabatt in der Strafbarkeit geben . ({5}) So sieht es § 179 StGB aber vor . Hier ist das Strafmaß nur sechs Monate bis zehn Jahre statt Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bis zehn Jahre . Es ist damit bei § 179 StGB nur ein Vergehen . Die Istanbul-Konvention sieht das gerade andersherum . Da, wo eine besondere Widerstandsunfähigkeit ausgenutzt wird, ist das eigentlich strafverschärfend zu berücksichtigen . ({6}) Deshalb ist es gut, dass wir uns hier an die Arbeit machen . Es liegt nun ein Entwurf vor, der darauf abzielt, diese Lücken zu schließen und den Strafrabatt bei Widerstandsunfähigkeit aufgrund einer Behinderung aufzuheben . Vor allem die beiden Konstellationen der Überraschung und der Befürchtung des Opfers, dass ihm sonst ein besonderes Übel droht, werden ergänzt, und der Strafrahmen für Taten gegenüber Opfern, die aufgrund einer Behinderung zum Widerstand unfähig sind, wird gleichgezogen; der Minister hatte es schon ausgeführt . Bei Verurteilungsquoten im einstelligen, in Zukunft dann vielleicht knapp zweistelligen Bereich ist es umso bedeutender, dass das Strafrecht an dieser Stelle auch eine andere Funktion erfüllt, nämlich für jedermann klarzumachen, was in dieser Gesellschaft nicht nur lästig, unmoralisch, unerwünscht, unanständig ist, sondern was bei Strafe verboten ist . ({7}) Das war auch 1997 der tragende Grund, als es um die Gleichbehandlung der Vergewaltigung in der Ehe ging . Ich muss sagen: Je mehr Gespräche ich mit Bürgern und Bürgerinnen führe, auch mit meiner Frauen Union zu Hause, je mehr Fälle man betrachtet, die von der geltenden Regelung nicht erfasst sind und die allem Anschein nach auch von der vorgeschlagenen Regelung nicht erfasst werden, desto mehr zeigt sich: Der Grundsatz, dass allein der Wille des Opfers maßgeblich ist, verträgt keine Einschränkung, auch nicht im Strafrecht . ({8}) Deshalb müssen wir uns noch einmal sehr genau anschauen, welche Herangehensweise diejenige ist, die uns da zum Ziel führen kann . Aus meiner Sicht sind weitere Ergänzungen notwendig . Sexuelle Übergriffe, die nicht gleich unter „Vergewaltigung“ zu fassen sind, sondern als bloßes Grapschen oberhalb der Kleidung gelten, sind bisher nicht angemessen sanktioniert, allenfalls als Beleidigung, und das geht am Schutzgut völlig vorbei; das ist nicht überzeugend . Grapschen ist kein Kavaliersdelikt, sondern kann für das Opfer auch schon dramatische psychische Folgen haben, und deshalb muss das in den vorliegenden Gesetzentwurf noch eingefügt werden . Auf der Agenda steht sicherlich auch, dass wir uns noch einmal anschauen, ob Taten aus einer Menge heraus strafbar gemacht werden sollen, ob das schon gelöst ist, wenn wir das Grapschen als Tatbestand einführen und dann andere Regeln über Täterschaft und Teilnahme zur Anwendung kommen . Wir stehen hier also am Anfang von parlamentarischen Beratungen, die sicherlich ganz interessant werden und auf die ich mich schon freue . Am Ende brauchen wir eine Regelung, die die Istanbul-Konvention erfüllt, die alle Straflücken schließt und die dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürger in diesem Land entspricht. Vielen Dank . ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen .

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Sexualstrafrecht wurde vor knapp 20 Jahren zum letzten Mal reformiert . Dass es wieder auf der Agenda steht, ist zwingend notwendig, nicht nur deshalb, weil sexualisierte Gewalt gegen Frauen durch die furchtbaren Ereignisse in der Silvesternacht in Köln jetzt wieder ins Scheinwerferlicht gerückt ist . Nein, es geht darum, dass der aktuelle § 177 StGB gravierende Schutzlücken für die Betroffenen aufweist . Ich will Ihnen drei Beispiele nennen: Es geht um die Mutter, die aus Angst um ihre im Nebenzimmer schlafenden Kinder keine Gegenwehr leistet, es geht um das Opfer, das sich aus Angst vor schweren Verletzungen nicht wehrt, und es geht um Überraschungsfälle, in denen die Frau im Schlaf überrumpelt wird und sich deshalb nicht genug wehren kann . In all diesen Fällen wurden die Täter nicht angeklagt oder verurteilt, weil sich die Opfer nicht aktiv gewehrt haben . Es waren Sie, Herr Minister Maas, der lange zögerte und lange keinen Handlungsbedarf sah - so viel zu dieser Wahrheit -, und anschließend blockierte das Bundeskanzleramt . Ich will Ihnen ganz klar sagen: Ohne den Druck der Frauenverbände, allen voran der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe mit seiner bedrückenden Fallsammlung, ohne den Deutschen Juristinnenbund, Terre des Femmes und den Deutschen Frauenrat würden wir heute nicht über die dringend notwendige Schließung von Schutzlücken bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung debattieren . ({0}) Aber worum geht es hier im Kern? Es geht schlicht und einfach darum, dass im geltenden Recht die sexuelle Selbstbestimmung nicht an sich als schützenswert angesehen wird, anders als übrigens das Eigentum . Vielmehr - das ist der Unterschied - muss das Opfer sein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aktiv verteidigen, es muss sich wehren . Sie haben inzwischen eingesehen, Herr Minister, dass das nicht sachgerecht ist; aber es fruchtet bei Ihnen nicht . Das Problem an Ihrem vorgelegElisabeth Winkelmeier-Becker ten Gesetzentwurf ist: Er geht definitiv nicht weit genug.  Sie bleiben hier auf halber Strecke stehen . ({1}) Sie wollen einige Schutzlücken schließen; das ist gut . Aber was Sie nicht ändern, ist, dass Sie weiter auf die Frage abstellen, ob oder warum das Opfer keinen Widerstand geleistet hat . Grundsätzlich reicht es Ihnen nicht aus, wenn das Opfer Nein sagt und der Täter das auch versteht . Das machen Sie in Ihrem Gesetzentwurf deutlich . Damit - das sage ich in aller Deutlichkeit - wird das Rechtsgut auf sexuelle Selbstbestimmung weder ausnahmslos geschützt noch alle Schutzlücken geschlossen . Das reicht nicht; das ist zu wenig . ({2}) Ich benenne jetzt einmal sehr deutlich, was Sie da machen, Herr Minister: Sie halten so an tradierten Denkmustern von weiblicher Verfügbarkeit und der Irrelevanz weiblicher Willensäußerungen fest . Ihnen reichen die Aussage der Frau und ihr geäußerter Wille eben nicht aus . Den stellen Sie weiter in Zweifel . Deshalb frage ich: Wem nutzt diese Reform? Den Frauen jedenfalls nicht, und darum ist Ihr Vorschlag inakzeptabel . ({3}) Auch die bei Sexualdelikten in der Regel schwierige Beweisführung darf den Gesetzgeber doch nicht von seiner Pflicht entbinden, die Unantastbarkeit der sexuellen  Selbstbestimmung im Gesetz festzuschreiben . Das hätte ich von Ihnen erwartet . ({4}) Also: Warum schaffen Sie nicht endlich ein modernes Sexualstrafrecht mit einem glasklaren „Nein heißt nein“, ohne Wenn und Aber? Jede sexuelle Handlung, auch das Begrapschen, wäre gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person strafbar . Damit würde die Istanbul-Konvention umgesetzt und der längst überfällige Paradigmenwechsel vollzogen . Gesellschaftlich, meine ich, sind wir da schon weiter, meine Damen und Herren . Ihnen liegen gute Vorschläge vor, Herr Minister . Meine Fraktion hat einen Gesetzentwurf mit dem Grundsatz „Nein heißt nein“ vorgelegt, die Linke hat heute nachgezogen . Ich appelliere an Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen in den Regierungsfraktionen - einige von Ihnen, wie gerade die Kollegin Winkelmeier-Becker, haben sich ja schon entsprechend geäußert -: Lassen Sie uns dieses Flickwerk beheben und den Grundsatz „Nein heißt nein“ umsetzen . ({5}) Die Frauenverbände fordern dazu auf, und es kommt auch Unterstützung aus den Ländern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt jetzt die Chance auf eine umfassende und wichtige Reform . Schieben wir sie nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag . Um potenzielle Opfer zu schützen, braucht es mehr als ein Flickwerk . Vielen Dank . ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr . Eva Högl, SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die körperliche Unversehrtheit und die sexuelle Selbstbestimmung sind unantastbar . Sie sind hohe Rechtsgüter, und zwar für alle Menschen und in allen Situationen . Deswegen unterstütze ich alle, die hier heute schon gesagt haben, dass wir eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts brauchen . Wir brauchen einen Paradigmenwechsel . ({0}): Wo ist der?) - Den machen wir noch, nur Geduld . Wir haben folgende vier Probleme im Sexualstrafrecht: Wir  haben  eine  Schieflage  zwischen Eigentumsdelikten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung . ({1}) Das ist schon beschrieben worden . Diejenigen, die ihre sexuelle Selbstbestimmung verteidigen wollen, müssen dies aktiv tun . Bei Eigentumsdelikten ist dies nicht erforderlich.  Das  ist  eine  Schieflage,  die  wir  abschaffen  müssen . ({2}) Die Schieflage führt dazu, dass es bei den Strafverfahren viel mehr um das Verhalten der Opfer geht - das hat Frau Winkelmeier-Becker schon hervorgehoben - als um das Verhalten der Täter . ({3}) Die Opfer müssen immer begründen, warum sie sich wie in welcher Situation verhalten haben . Die Absurditäten kennen wir alle, bis zu der Frage, ob man sich an dieser dunklen Ecke hätte aufhalten müssen oder diese Kleidung hätte tragen müssen . Das ist inakzeptabel . Das führt dazu, dass wir wenige Anzeigen und wenige Verurteilungen haben . Deswegen haben sich viele sehr intensive Gedanken gemacht, wo genau die Schutzlücken in unserem Strafrecht liegen . Es ist unsere Aufgabe, diese Schutzlücken, diese Strafbarkeitslücken, mit einer besseren Regelung zu schließen . Unser Ziel - ich habe wahrgenommen, dass es viele sind, die dieses Ziel haben - ist: Nein heißt nein . ({4}) Wir wollen jede Form der nicht einvernehmlichen sexuellen Handlung unter Strafe stellen . Das drückt sich in der Formel „Nein heißt nein“ aus . Das ist im Übrigen schon lange unser Ziel . Deswegen ist es genau richtig gewesen, dass das Justizministerium eine Strafrechtskommission mit Expertinnen und Experten eingesetzt hat, die den Dreizehnten Abschnitt des Strafgesetzbuchs grundlegend überarbeiten soll . Das ist genau der richtige Ansatz . Es ist auch richtig, dass wir heute einen Gesetzentwurf beraten, die Schutzlücken, die wir schon identifiziert haben, jetzt schnell zu schließen . Das ist ein erster Schritt in eine absolut richtige Richtung . Wir wissen auch genau, dass dieser Schritt einigen schon viel zu weit geht und dass einige dazu beigetragen haben, dass wir den Gesetzentwurf erst jetzt beraten können und nicht schon viel früher; denn er hat mindestens ein halbes Jahr im Bundeskanzleramt gelegen, und zwar nicht, weil er nicht weit genug geht, sondern weil er zu weit geht . ({5}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen - ich will das einmal ganz deutlich sagen -, sind wir hier in einer misslichen Situation . Einerseits arbeitet eine Strafrechtskommission an einer umfassenden Regelung, und andererseits wollen wir jetzt die Chance nutzen, zumindest die identifizierten Schutzlücken zu schließen, von denen  wir bereits wissen . Deswegen wissen wir ganz genau, dass wir jetzt die Chance ergreifen sollten, das Strafrecht zu verbessern, ({6}) jetzt den Gesetzentwurf noch in zwei Richtungen zu verbessern, nämlich die sexuelle Belästigung aufzunehmen - auch das ist eine wichtige Schutzlücke, die wir dringend schließen müssen - und den Gesetzentwurf in Richtung „Nein heißt nein“ weiterzuentwickeln . Wir können nicht darauf warten; denn zum Beispiel aus der Debatte zur Vergewaltigung in der Ehe wissen wir, dass es vom ersten Antrag 25 Jahre gedauert hat, bis dieses wichtige Vorhaben im Gesetz seinen Niederschlag gefunden hat . Ich setze auf die Zusammenarbeit der Frauen, ganz klar . Wenn wir heute die Debatte sehen, dann haben wir auch eine Chance . Frauenverbände haben sich für die Regelung „Nein heißt nein“ ausgesprochen . Wir haben über die Fraktionsgrenzen  hinweg flammende Plädoyers  gehört . Ich habe gerne applaudiert: bei Halina Wawzyniak, bei Ulle Schauws, bei Frau Winkelmeier-Becker . Wenn wir uns jetzt hier ganz tief in die Augen schauen und sagen, wir wollen „Nein heißt nein“, wir wollen den guten Gesetzentwurf von Heiko Maas und dem Justizministerium noch nachbessern, dann sollten wir diese Chance ergreifen . Herzlichen Dank . ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Katja Keul, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Maas, wenn ich diese Reden höre, dann haben Sie, glaube ich, ein Problem . ({0}) Nicht alles, was lange währt, wird gut . Nachdem Sie sich in der Koalition nun ein knappes Jahr um diesen Entwurf gestritten haben, ist er um keinen Deut besser geworden als zu Beginn . Das hehre Ziel, endlich die Istanbul-Konvention umzusetzen und nicht einverständliche sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen, ist komplett verfehlt . Dazu wäre es erforderlich gewesen, den Tatbestand des § 177 StGB von Grund auf neu zu fassen und so zu formulieren, dass es weder auf eine Nötigungshandlung des Täters noch auf den Widerstand des Opfers ankommt . ({1}) Was machen Sie stattdessen? An § 177 StGB trauen Sie sich gar nicht heran und verschlimmbessern stattdessen § 179 StGB, der schon durch seinen bisherigen Titel deutlich macht, wo das Problem liegt: „Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“ . Alle Ihre drei neuen Tatbestandsvarianten stellen darauf ab, warum und wieso ein Opfer keinen Widerstand leistet . Selbst wenn dem Täter nachgewiesen werden kann, dass er den entgegenstehenden Willen des Opfers erkannt hatte, ist diese Tat bei fehlendem Widerstand nicht strafbar, es sei denn, das Opfer kann beweisen, dass es - erstens - aufgrund eines körperlichen oder psychischen Zustands widerstandsunfähig war oder - zweitens - für Widerstand zu überrascht war oder - drittens - im Fall des Widerstandes mit einem empfindlichen Übel gerechnet hat. In  allen drei Varianten hängt die Strafbarkeit vom Verhalten des Opfers und den Gründen für den fehlenden Widerstand ab . Das ist genau das Gegenteil von dem, was in der Istanbul-Konvention vereinbart wurde . ({2}) Sie bereinigen bei dieser Gelegenheit nicht einmal die in der geringeren Strafandrohung liegende Diskriminierung widerstandsunfähiger Personen . Das ist offensichtlich kein Versehen, da Sie in der Begründung ausdrücklich betonen, dass Sie die Überwindung von Widerstand schlimmer  finden  als  die Ausnutzung  von Widerstandsunfähigkeit . Zum Ausgleich konstruieren Sie dann in Absatz 3 wiederum einen besonders schweren Fall, der vorliegt, wenn die Widerstandsunfähigkeit auf einer Behinderung beruht . Logisch ist das nicht . Es ist die Fehlerkorrektur der Fehlerkorrektur einer fehlerhaften Grundannahme . Sie schaffen es einfach nicht, sich davon zu lösen, dass das Opfer Widerstand leisten muss . ({3}) Streichen Sie den § 179 StGB komplett, vergessen Sie den Widerstand, und konzentrieren Sie sich endlich auf die eigentliche Tathandlung! Wir haben Ihnen mit unserem Gesetzesentwurf eine rechtliche Lösung vorgeschlagen, mit der wir auf den erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers abstellen . Ob das Opfer diesen Willen verbal äußert oder durch Gesten, Mimik, Körperhaltung, Tränen oder von mir aus schriftlich, ist dabei nicht entscheidend . Wie immer sind die Gesamtumstände der Tat vom Gericht zu bewerten . Fälle, in denen das Opfer aus Überraschung oder wegen körperlicher Gebrechen gar keinen entgegenstehenden Willen bilden konnte, sind in unserem Entwurf unter dem Aspekt des Ausnutzens der Arg- und Wehrlosigkeit erfasst . Damit würden wir alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe stellen, so wie es die Istanbul-Konvention erfordert . ({4}) Kommen Sie mir jetzt nicht wieder mit der Beweislage! Die Beweiserhebung wird dadurch nicht schwieriger oder weniger schwierig . Diese ureigene Aufgabe des Gerichts können wir ihm nicht abnehmen . Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, festzulegen, was bewiesen werden muss, und das darf eben gerade nicht der Widerstand sein . ({5}) Der von den Linken eingebrachte Vorschlag sieht auf den ersten Blick ganz anders aus als unser grüner Vorschlag, weil er einer anderen Systematik folgt . Inhaltlich entspricht der Grundtatbestand des vorgeschlagenen § 174 StGB dort aber dem von uns gewählten Anknüpfungspunkt des erkennbaren Willens . Diejenigen, die aus bestimmten Gründen nicht zur Willensbildung in der Lage sind, werden durch einen neuen § 177 StGB erfasst . Leider wird damit, wie auch im Regierungsentwurf, eine Sonderregelung für Behinderte gewählt . Außerdem führt die Systematik zu sehr langen Tatbeständen, in denen sich  einiges  zwangsläufig  wiederholt.  Beim  Umfang  von Gesetzestexten favorisiere ich das Motto: so viel wie nötig und so wenig wie möglich . Grundsätzlich ist jedenfalls auch der Vorschlag der Linken gut geeignet, die Istanbul-Konvention umzusetzen und die Strafbarkeit von der leidigen Frage des Widerstandes zu lösen . Der Regierungsentwurf hingegen hat sein Ziel verfehlt und ist absolut ungeeignet, um die Istanbul-Konvention umzusetzen . Vielen Dank . ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Alexander Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004304, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute über ein sehr wichtiges Thema . Ich bin zunächst einmal sehr froh, dass es gelingt, dass wir über die Fraktionen hinweg heute doch eine sehr klare Botschaft formulieren können: Wir wollen Frauen besser vor sexuellen Übergriffen schützen . Ich glaube, in der Diskussion ist heute kein Raum dafür, dass die einen mit dem Finger auf die anderen zeigen . Denn ich behaupte, bei selbstkritischer Betrachtung stellt man fest, dass momentan keiner der Entwürfe, die hier auf dem Tisch liegen, zu 100 Prozent der Zielsetzung entspricht, Frauen besser vor sexuellen Übergriffen zu schützen . Ich habe in den letzten Wochen und Monaten als Berichterstatter meiner Fraktion viele Gespräche in der Sache geführt, habe an vielen Veranstaltungen teilnehmen dürfen und viele Zuschriften bekommen . Ich möchte mich ausdrücklich für die gestrige Veranstaltung bei der Gruppe der Frauen bedanken, weil dort sehr tiefgreifend das eigentliche Problem beleuchtet wurde . Nach den Gesprächen und Veranstaltungen wurde klar: Wenn ich eine Agenda oder eine To-do-Liste für diesen Problemkreis aufstellen will, dann müssen meiner Meinung nach vier Punkte vorhanden sein: Wir müssen die Botschaft „Nein heißt nein“ in eine gesetzliche Form gießen, ({0}) wir brauchen einen gesetzlichen Tatbestand, der sexuelle Übergriffe in Form von Grapschen eigenständig bestraft, wir brauchen einen besseren Schutz vor Übergriffen sexueller Art aus einer Gruppe heraus, und wir müssen beim Schutz vor sexuellen Übergriffen aufpassen, dass wir Menschen mit Behinderungen nicht diskriminieren . ({1}) Lassen Sie mich diese Punkte im Einzelnen ausführen . Wir sollten uns im Rahmen dieser Reform die Frage stellen, ob sexuelle Übergriffe in Form von Grapschen bei uns in der aktuellen Rechtsprechung so abgebildet werden, wie wir uns das in einem Rechtsstaat wünschen . Sie alle kennen die Fälle, die die Schwachpunkte aufzeiKatja Keul gen . Der Griff an den Po oder an den Busen oberhalb der Bekleidung stellt laut derzeitiger Rechtsprechung maximal eine sexuelle Beleidigung dar . In Köln gab es hierzu jüngst eine gerichtliche Entscheidung . Die Richterin hat entschieden, dass die Berührung alleine nicht ausreicht, um die Ehre des Opfers zu verletzen . Das Problem kennen wir alle: Es ist § 184 h StGB, in dem für die Strafbarkeit einer sexuellen Handlung eine gewisse Erheblichkeit gefordert wird . Ich warne, sehr geehrter Herr Minister, davor, dass wir uns dem Glauben hingeben, dass wir dieses Problem dadurch beseitigen, dass wir die Überraschungsfälle regeln . Wir beseitigen damit das Problem nur oberhalb der Erheblichkeitsschwelle und nicht unterhalb . Deswegen sehe ich es anders als Sie, Herr Minister, als sie vorhin auf die Überraschungsfälle Bezug genommen haben . Wir brauchen einen eigenen Tatbestand . Der bayerische Justizminister Winfried Bausback hat Recht, wenn er sagt: Für eine Frau ist der Griff an den Busen mehr als eine Beleidigung . - Das muss auch im Gesetz abgebildet werden . ({2}) Dies führt mich zu dem Punkt: sexuelle Übergriffe aus einer Gruppe . Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennen - und zwar schon vor Köln - folgendes Tatbild: Eine Gruppe Männer geht auf eine Frau zu, zunächst lachend, die Frau wird angetanzt, die Frau wird umzingelt, und dann wird sie aus der Gruppe heraus angefasst, ohne dass die Frau zuordnen kann, von wem die Hand kam . Nach Köln wissen wir, dass wir trotz Augenzeugenberichten, trotz Videomaterial keinerlei Zuordnung vornehmen können, wer Täter und wer Teilnehmer gewesen ist . Wir können aber aufgrund des Videomaterials sagen, dass es eine Gruppe gab, dass aus dieser Gruppe heraus Übergriffe erfolgt sind, und wir können zumindest teilweise zuordnen, wer Beteiligter dieser Gruppe war . Ich sage Ihnen: Wenn der Nachweis der Beteiligung an einer Schlägerei zur Strafbarkeit genügt, dann muss auch der Nachweis der Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus sexuelle Übergriffe in Form von Grapschen bei einer Frau stattfinden, zur Strafbarkeit genügen. ({3}) Wenn es unser Ziel ist, die Istanbul-Konvention lückenlos umzusetzen, dann müssen wir selbstverständlich Artikel 36 im Blick haben: Jedwede sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers ist unter Strafe zu stellen, Nein heißt nein . Dabei sollten wir Artikel 46 der Istanbul-Konvention nicht aus den Augen verlieren . Er gibt nämlich den Mitgliedstaaten auf, zu prüfen, ob es sich nicht strafschärfend auswirkt, wenn die Tat an einem Opfer mit Behinderung begangen wird und der Täter diese Behinderung ausnutzt. Das ist, wie ich finde, im Referentenentwurf sehr gut gelöst . Es gibt dort eine Ergänzung des § 179 Absatz 3 StGB, der einen besonders schweren Fall für diese Konstellation formuliert . Die Lebenshilfe hat das bereits ausdrücklich gelobt . Zur Strafschärfung, Kollegin Keul, gibt es im Antrag der Grünen keinerlei Vorschläge . Wir sollten, wenn wir Strafbarkeitslücken schließen, natürlich vermeiden, dass neue Strafbarkeitslücken entstehen . Ich möchte an dieser Stelle hinterfragen, ob wir den § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB tatsächlich ersatzlos streichen können - das schlagen die Grünen vor; das wird auch im Ministerialentwurf vorgeschlagen, Herr Minister Maas -; denn dieser Tatbestand erfasste bisher auch die Nötigung zur Vornahme sexueller Handlungen durch das Opfer an sich selbst . In allen Gesetzentwürfen wird diese Konstellation nicht durch eine anderweitige Formulierung erfasst . Deswegen bitte ich ausdrücklich darum, dass wir das noch einmal tiefer untersuchen . Ich will diese Gelegenheit nutzen, ein paar Sätze zum Gesetzentwurf der Linken zu sagen . Kollegin Wawzyniak, Sie haben heute wieder das Wort „beschämend“ benutzt und gesagt, dass es wichtig ist, Frauenrechte umfassend zu schützen . Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich habe es als starkes Stück empfunden - bei uns würde man sagen: mir hätt es fast den Vogel rausgehauen -, als ich festgestellt habe, dass Sie den § 183 StGB - Exhibitionistische Handlungen - streichen wollen . Die exhibitionistische Handlung ist bislang laut StGB mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht . ({4}) Sie wollen nun keine Strafbarkeit mehr, sondern eine Ordnungswidrigkeit, die möglicherweise mit einer Geldbuße geahndet werden kann . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, wir haben im Jahr 8 000 angezeigte Fälle von exhibitionistischen Handlungen . Es gibt keinen Grund, das zu bagatellisieren, ({5}) und es gibt auch keinen Grund, exhibitionistische Handlungen genauso zu bestrafen wie zu schnelles Fahren . ({6}) Ich möchte noch ein paar Gedanken zu der Zielsetzung „Nein heißt nein“ formulieren . Es muss klar sein: Wenn der Täter weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass das, was da geschieht, gegen oder ohne den Willen des Opfers geschieht, dann muss das strafbar sein . Wir müssen dieses Gesetzgebungsverfahren nutzen, um eine Formulierung zu finden, mit der wir in der Praxis gut arbeiten können . Ich sage Ihnen: Ich bin da zuversichtlich . Es gibt mittlerweile die unterschiedlichsten Vorschläge, die für mich durchaus gute Ansätze darstellen, unter anderem zum Beispiel der Vorschlag aus Mecklenburg-Vorpommern . Ich möchte mich in diesem Zusammenhang aber auch mit der Argumentation des Ministeriums auseinandersetzen, die durchgedrungen ist, die in die Richtung geht: Na ja, die „Nein heißt nein“-Lösung können wir im Moment nicht umsetzen, weil das eine Neuordnung des gesamten Abschnitts erfordern würde, und das schaffen wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr . - Ich möchte an dieser Stelle schon sagen, dass ich an dieser Argumentation Zweifel habe . Sehr viele Straftatbestände in diesem AbAlexander Hoffmann schnitt stellen für mich abgeschlossene Tatbestände dar . Da lässt sich ohne Weiteres eine neue Norm einsetzen, bzw . Tatbestände lassen sich verschieben . Ich will an die Chronologie erinnern: Wir hatten im Frühjahr 2014 ein erstes großes Novellierungsverfahren im Sexualstrafrecht . Am 7 . April 2014 wurde ein Referentenentwurf Ihres Hauses, Herr Minister Maas, vorgelegt, in dem zu § 177 StGB folgende Einschätzung formuliert war: Es gibt dort keinen Handlungsbedarf . - Das ist bei vielen Frauengruppen, auch der Grünen und der Union, auf große Kritik gestoßen . Herr Minister, Ihr erstes Argument war: Wir versuchen jetzt erst einmal, diese Novellierung durchlaufen zu lassen; mit der anderen Frage beschäftigen wir uns später. - Ich finde, dass diese  Verzögerung, die aufgrund einer Fehleinschätzung Ihres Hauses entstanden ist, nicht dazu führen darf, dass wir in dieser Legislaturperiode zu keinem Ergebnis kommen . Ich freue mich auf die weiteren Beratungen . Ich glaube, wir haben fraktionsübergreifend einen großen Konsens . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Alexander Hoffmann . - Einen schönen guten Tag von mir . - Die nächste Rednerin ist Dr . Carola Reimann für die SPD . ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über ein Thema, das nach den Vorfällen in Köln eine sehr große öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat, dessen gesellschaftliche Relevanz aber schon seit langer Zeit besteht . ({0}) Seit 30 Jahren kämpfen vor allem Frauen dafür, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung besser geschützt wird . Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer wichtiger Schritt dahin . Bestehende Lücken im Sexualstrafrecht werden geschlossen . Deshalb ist das ein guter Gesetzentwurf . Ich bin Justizminister Heiko Maas dankbar dafür, dass er dieses wichtige Vorhaben schon früh - ich sage das hier sehr klar -, vor Köln, lange vor Köln, auf den Weg gebracht hat . ({1}) Neben diesem guten Gesetzentwurf von Heiko Maas gibt es ein Gesetz, das noch ein bisschen älter ist, nämlich das Gesetz, wie man gute Gesetzentwürfe noch besser macht, benannt nach unserem früheren Fraktionsvorsitzenden Peter Struck . Es besagt, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es eingebracht worden ist . So wird es auch dieses Mal sein . Ich freue mich, dass sich heute Morgen so viele Kolleginnen und Kollegen zu erkennen gegeben haben, als Mitstreiterinnen und Mitstreiter an unserer Seite zu sein . ({2}) Kolleginnen und Kollegen, zum einen brauchen wir das hat nicht zuletzt Köln gezeigt - eine Strafbarkeit der tätlichen sexuellen Belästigung . Zum anderen geht es uns natürlich darum, wie wir den Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung gesetzlich noch besser umsetzen können . Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hierbei nicht um Lappalien . Wer mit Frauenberatungsstellen spricht, weiß, welche schwerwiegenden Folgen sexuelle Übergriffe haben . Die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bedeutet für die Betroffenen einen massiven Einschnitt im Leben . Vertrauen in zwischenmenschliche Beziehungen geht verloren oder ist zerbrochen . Ohnmachtsgefühle entstehen . Viele leiden in der Folge unter ganz schwerwiegenden Symptomen . Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, müssen Betroffene in der Folge häufig erleben, dass nicht das Verhalten des Täters  im Mittelpunkt steht, sondern ihr eigenes vermeintlich fehlerhaftes Verhalten . ({3}) Das sind die alten Mythen und unerträglichen Schuldzuweisungen gegenüber dem Opfer, die wir alle kennen: Warum bist du denn mit ihm mitgegangen? So hätte ich mich nicht angezogen . Warum hast du nicht geschrien? Schwerwiegender ist aber noch, dass selbst das Gesetz auf das Verhalten der Opfer abstellt . ({4}) Denn vom Grundsatz her muss das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung anders als andere Rechtsgüter - das ist hier schon gesagt worden - vom Träger oder von der Trägerin wehrhaft verteidigt werden . Damit bleibt das Verhalten der Betroffenen bei einem sexuellen Übergriff natürlich im Fokus auch der Ermittlungsbehörden und der Gerichte . Der vorliegende Gesetzentwurf schafft wichtige Ausnahmen von diesem Grundsatz, bleibt aber noch in dieser Systematik. Kolleginnen und Kollegen, ich finde: Da  müssen wir noch einmal ran . ({5}) Es ist schon reichlich absurd: Dieser Grundsatz verlangt von Opfern - in der Regel sind das Frauen -, dass sie sich körperlich wehren . Vielen Mädchen und Frauen ist das aber gerade in ihrer Erziehung nicht nahegelegt worden, es ist ihnen geradezu aberzogen worden . ({6}) Deshalb wird es Zeit, dass wir das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung eindeutig und unmissverständlich schützen, ({7}) wie wir es im Übrigen auch mit Eigentum tun . Das muss ich auch nicht wehrhaft verteidigen . Wenn mir jemand die Tasche klaut, ist das ganz klar eine Straftat, egal wie ich mich verhalten habe . Wenn ich Opfer eines sexuellen Übergriffs werde, kommt es zunächst einmal auf mein Verhalten an? Das ist niemandem mehr zu vermitteln . Deshalb werbe ich mit Nachdruck dafür, den vorliegenden Gesetzentwurf, der völlig unbestritten in die richtige Richtung weist, weiterzuentwickeln und alle sexuellen Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen unter Strafe zu stellen . ({8}) Das Gesetz, Kolleginnen und Kollegen, muss eine klare Botschaft für alle haben: Nein muss wirklich nein heißen . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Carola Reimann . - Der Saal füllt sich zu den namentlichen Abstimmungen . Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, die bisher nicht unmittelbar an der Debatte beteiligt waren, bitten, der folgenden Rednerin und dem letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt Aufmerksamkeit zu schenken, um so selber von der Debatte zu profitieren. Denn sie ist sehr wichtig und  intensiv . - In diesem Sinn gebe ich das Wort jetzt Sylvia Pantel von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist auf einem richtigen Weg, aber, wie wir festgestellt haben, noch unzureichend . „Nein heißt nein“ - wir haben beim vorherigen Beitrag damit begonnen; ich beginne damit meine Rede -, das ist eine ganz klare Aussage . An dieser Aussage gibt es nichts zu rütteln . Das Strafrecht soll jedem Einzelnen in unserem Land klarmachen, was erlaubt und was verboten ist . Das tun die Paragrafen zur sexuellen Selbstbestimmung bisher nicht ausreichend, leider auch nicht im neuen Gesetzentwurf . ({0}) Die rechtspolitische Debatte dreht sich zu sehr um Begrifflichkeiten  und  die  Frage,  was  genau  „Nein  heißt  nein“ bedeuten soll . Dabei ist diese Frage eigentlich absurd; denn ein Nein ist ein klares Nein . ({1}) Es ist auch eindeutig, was wir in der Gesellschaft wollen . Wenn eine Frau oder ein Mann einen sexuellen Kontakt nicht will, ist das ohne Wenn und Aber zu akzeptieren . Es geht uns bei diesem Gesetzgebungsverfahren darum, Schutzlücken zu schließen und ein klares Zeichen für die Opfer zu setzen . Ich war schockiert, als ich mich zum ersten Mal mit den Feinheiten des Sexualstrafrechts auseinandergesetzt hatte . Dinge, von denen ich dachte, dass sie geregelt wären und klar zu einer Verurteilung führen würden, sind im bisherigen Strafrecht nicht ausreichend geregelt . Ich musste unter anderem lernen, dass es weniger hart bestraft wird, wenn eine behinderte Person vergewaltigt wird, die sich nicht wehren kann . Diese Schutzlücke wird nun geschlossen, und solche Taten sollen härter bestraft werden . Daran werden wir alle arbeiten . ({2}) Doch dort, wo solche Schutzlücken bestehen, werden wir nachbessern müssen . Ein Täter muss zukünftig auch dann bestraft werden, wenn er das Opfer nicht direkt bedroht hat . Für eine Bestrafung muss ausreichen, wenn das Opfer klare Signale ausgibt, keine sexuelle Berührung oder sexuelle Handlung zu wollen . Auch müssen wir zukünftig Täter besonders hart bestrafen, wenn sie die Behinderung oder Hilflosigkeit eines Opfers ausnutzen oder aus einer Gruppe heraus handeln . ({3}) Wie so häufig  in der Politik geht es bei der öffentlichen Debatte weniger um das Ziel selbst, sondern um die Frage, wie wir dieses Ziel erreichen wollen . Jeder hier im Saal wird verhindern wollen, dass ein Opfer - meistens sind es Frauen - gegen seinen Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen wird oder sexuelle Handlungen erdulden muss . ({4}) Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster Schritt, aber noch nicht das Ergebnis, so wie ich es mir vorstelle . Meiner Meinung nach muss jeder Mann und jede Frau zu jedem Zeitpunkt Nein sagen können - und das ist zu respektieren -, ohne sich körperlich wehren zu müssen . ({5}) Es kann nicht sein, dass in der vorliegenden Fassung der §§ 177 und 179 weiterhin auf die Drohung mit Gewalt oder die Schutzlosigkeit und den Widerstand des Opfers abgestellt wird . Ein „Nein, ich will das nicht“ muss zu jedem Zeitpunkt für den Täter klarmachen, dass er sich strafbar macht . ({6}) Übrigens muss genauso jedem klar sein, dass der Partner überhaupt noch fähig sein muss, die Situation zu erfassen . Leider sind die wenigstens Situationen im Leben eindeutig, zumindest nicht so eindeutig, wie wir es im Streitfall gerne hätten . Ziel dieses Gesetzgebungsprozesses muss daher sein, Rechtssicherheit und Schutz zu schaffen, ohne dabei eine Beweislastumkehr herbeizuführen . Die Sorge, dass nun zu Hunderten falsche Anklagen wegen sexueller Übergriffe oder Vergewaltigungen entstehen, teile ich überdies nicht . In unserem Rechtsstaat gilt der Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten . Davon werden wir nicht abweichen . Strafgesetze alleine sind aber kein Allheilmittel . Das Verständnis der sexuellen Selbstbestimmung in Deutschland wird nicht durch eine Reform des Sexualstrafrechts allein verbessert werden . Das ist eine Frage des Bewusstseins und der Wertevorstellung in unserer Gesellschaft und damit eine Aufgabe für uns alle . ({7}) Wir müssen gesellschaftlich klarmachen, dass Frauen keine Objekte sind, nie, zu keinem Zeitpunkt . ({8}) Die Stadt Stuttgart lässt gerade in der Innenstadt Plakate aufstellen, die auf die Lage von Prostituierten aufmerksam machen sollen . „Kondome benutzt man, Frauen nicht“ - das steht dort in großen Buchstaben geschrieben . Auch andere sehr deutlich gewählte Formulierungen weisen auf das Recht der Menschen in unserem Land auf sexuelle Selbstbestimmung hin . Wir müssen auch klar und deutlich aufzeigen, dass wir keine kulturelle oder religiöse Entschuldigung in unserem Land dulden, wenn Menschen zum Sex genötigt werden oder sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen müssen . Dazu gehört auch, dass sich keine Frau begrapschen lassen muss . ({9}) In der öffentlichen Debatte wird gerade aus der Opposition heraus lautstark gefragt, warum Deutschland die Istanbul-Konvention nicht schneller umgesetzt hat . Die Istanbul-Konvention, das sogenannte Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, ist ein 100 Seiten starkes Vertragswerk mit Regelungen zu den unterschiedlichsten Lebensbereichen . Wir wollen Schutz aber nicht nur auf dem Papier schaffen, sondern Regelungen treffen, die wirklich etwas bewirken . Ein Beispiel . Die Türkei hat die Istanbul-Konvention am 14. März 2012 ratifiziert. Zwei Jahre später berichtete  die Zeitung Die Welt, dass nach neuesten Erkenntnissen mehr als jede vierte Braut in der Türkei bei der Eheschließung noch minderjährig war und meist gegen ihren Willen verheiratet wurde . Die türkische Zeitung Hürriyet berichtete im November vergangenen Jahres, dass nicht nur die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen in der Türkei zunehme, sondern auch die Brutalität . In den vergangenen fünf Jahren seien 1 134 Frauen ermordet worden, weil sie sich von ihrem Mann scheiden lassen wollten; dies seien nur die Zahlen, die die Frauenrechtsgruppe „We Will Stop Femicide Platform“ bestätigen konnte . Machen  wir  uns  also  nichts  vor:  Die  Ratifizierung  der Istanbul-Konvention und ein schönes Gesetz allein schützen noch keine Frauen . Wichtig sind gesellschaftliches Umdenken und solide finanzierte und professionell  aufgestellte Fortbildungen und Hilfsangebote . ({10}) Denken Sie nur an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ . ({11}) Dort wird großartige Arbeit geleistet . Als Familienpolitikerin ist es mir wichtig, dass diese Reform gerade von uns Frauen gemeinsam nach vorne gebracht wird . ({12}) Es geht um Qualität vor Schnelligkeit . Dabei ist dieser Gesetzentwurf ein guter Anfang . Das Prinzip „Nein heißt nein“ muss jedoch noch etwas deutlicher umgesetzt werden . Herzlichen Dank . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Ich rufe den nächsten Redner nicht auf, solange Sie sich nicht hinsetzen und zuhören, und das meine ich ganz ernst . ({0}) Dies ist eine extrem wichtige und sehr intensive Debatte . Alle Fraktionen haben an diesem Thema mitgearbeitet und diskutieren intensiv miteinander . Es gebietet der Respekt in diesem Haus, dass Sie sich jetzt hinsetzen und dem letzten Redner die letzten drei Minuten zuhören . Bevor Sie das nicht getan haben, werde ich die Debatte nicht eröffnen . ({1}) Das gilt für den Herrn Friedrich, für den Herrn Mayer . Das gilt bei der SPD ganz genauso . Ich bitte Sie, sich hinzusetzen . Das gilt auch für ein paar Grüne, die herumstehen . ({2}) Bitte nehmen Sie Platz, und geben Sie dem letzten Redner in dieser Debatte - das ist Dr . Johannes Fechner - die ihm gebührende Aufmerksamkeit . ({3})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, selten ist, glaube ich, ein Redner so sehr unter Leistungsdruck gesetzt worden . ({0}) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz im Ernst: Wir beraten heute einen wichtigen Gesetzentwurf . Ich freue mich sehr, dass wir endlich mit dem parlamentarischen Verfahren beginnen können . ({1}) Herr Maas hat diesen Gesetzentwurf schon im Juli 2015 vorgelegt . Insofern ist es gut, dass die Kanzlerin heute da ist und sich einen Rüffel abholt . Hätte das Kanzleramt diesen Gesetzentwurf nicht ein halbes Jahr blockiert, wären wir bei diesem Thema schon weiter . ({2}) Zur Sache . Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit in Vergewaltigungsverfahren allzu oft Freisprüche ausgesprochen, weil man Abwehrhandlungen von Frauen - in der Regel ging es um Frauen - gefordert hat, die aus meiner Sicht nicht zumutbar sind . Das zeigt, dass wir im Strafrecht nicht hinnehmbare Strafbarkeitslücken haben . Ein sexueller Missbrauch muss auch dann vorliegen, wenn eine Frau, etwa wegen der überraschenden Begehung der Tat, zum Widerstand unfähig ist, sie im Falle ihres Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet oder  der Täter sich diesen Umstand zunutze macht . In diesen Fällen kann man von einem Opfer nicht verlangen, dass es sich wehrt, weil es hierzu schlicht nicht in der Lage ist . Hier müssen wir zu Verbesserungen kommen, und genau diese Verbesserungen schafft der Entwurf von Justizminister Maas . ({3}) Die SPD-Fraktion kann sich zudem weiter gehende Regelungen vorstellen . Nicht erst seit den Kölner Vorfällen diskutieren wir über einen Straftatbestand des sexuellen Übergriffs . Auch der Griff in den Schritt oder an die Brust ist unrechtmäßiges Handeln und stellt strafwürdiges Unrecht dar . Auch solche Handlungen sind keine sogenannten Kavaliersdelikte, sondern gehören bestraft . Sie belasten die Opfer ganz erheblich, und das dürfen wir nicht weiter hinnehmen . ({4}) Auch in meiner Fraktion hat die „Nein heißt nein“-Lösung viele Anhängerinnen und Anhänger, und deswegen wollen wir diese Regelung weiter verfolgen . ({5}) Auch in dem Entwurf von Justizminister Maas steht diese Regelung ausdrücklich drin . ({6}) Daher wollen wir von unserem Koalitionspartner sehr rasch Klarheit haben . Wie sieht es denn bei euch aus? Liebe Lisa Winkelmeier-Becker und liebe Frau Pantel, ich fand eure Reden hervorragend, aber ich hätte mich gefreut, wenn Herr Kauder und Herr Strobl diese Reden hier gehalten hätten . Dann hätten wir nämlich Klarheit . ({7}) - Ich würde die Frauen niemals unterschätzen . Niemals . Wir haben Herrn Strobl und Herrn Kauder in den Vorberatungen explizit gefragt: Wie sieht es bei ihnen mit „Nein heißt nein“ aus? Darauf haben wir eine glasklare Antwort bekommen . Sie war nicht etwa im Sinne der Mainzer Erklärung, die Sie da beschlossen haben, sondern die klare Antwort war: „Nein heißt nein“ gibt es mit der Union nicht . - Wenn sich daran etwas ändert, dann ist das wunderbar . ({8}) Ich wünsche euch alles Gute für die Debatten und dass ihr eure Fraktionsführung überzeugt . An dieser Stelle aber noch einmal herzlichen Dank an Heiko Maas . Es ist keine Fehlleistung, wie es gesagt wurde, sondern mit seinem Entwurf werden gewichtige Lücken, die wir im Strafrecht in Bezug auf den Schutz der Frauen vor sexuellen Übergriffen haben, geschlossen . Das ist ein guter Gesetzentwurf, dem wir zustimmen sollten . Herzlichen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Fechner . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwür- fe auf den Drucksachen 18/8210 und 18/7719 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen . - Es gibt keine anderweitigen Vorschläge . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetzes Drucksache 18/8183 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 11. Januar 2016 zur Änderung des Abkommens vom 12. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen Drucksache 18/8208 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ weiterentwickeln und seine Fortführung jetzt vorbereiten Drucksache 18/8181 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Auch hier sehe ich keine Gegenposition . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 i auf . Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . ({3}) Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr . Julia Verlinden, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesberggesetzes zur Untersagung der Fracking-Technik Drucksache 18/7551 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({4}) Drucksache 18/8125 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbot von Fracking in Deutschland Drucksachen 18/4810, 18/8113 Zu den Tagesordnungspunkten 30 a und 30 b werden wir gleich jeweils eine namentliche Abstimmung durch- führen . Zu diesen beiden Tagesordnungspunkten liegt eine Vielzahl von schriftlichen Erklärungen zur Abstim- mung gemäß § 31 der Geschäftsordnung vor .1) Der Abgeordnete Lars Klingbeil hat außerdem angekündigt, eine mündliche Erklärung zur Abstimmung abgeben zu wollen . - Ich gebe ihm das Wort nach § 31 der Geschäftsordnung . Lars Klingbeil hat das Wort . ({6})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank, dass ich zu diesem für mich, für meinen Wahlkreis und auch für viele andere hier im Parlament wichtigen Thema eine persönliche Erklärung abgeben kann . Das Thema Fracking ist in meinem Wahlkreis - speziell im Landkreis Rotenburg - von sehr hoher Bedeutung . Ich glaube, viele von Ihnen kennen die Situation, die es in meiner Region durch zahlreiche Erdgasförderstätten gibt, aus der Diskussion der letzten Jahre . Es gibt eine große Verunsicherung bei den Menschen, und ich will Ihnen von einer Begegnung erzählen, die ich am letzten Freitag hatte, als ich in dem Dorf Bellen in der Samtgemeinde Bothel unterwegs war . In Bellen leben 52 Menschen, davon sind mittlerweile 12 nachweislich an Krebs erkrankt . Man geht durch den Ort, und Vertreter der Bürgerinitiativen können zu jedem Haus und jeder Familie eine Krebsgeschichte erzählen . Die Menschen sind tief verunsichert . Ein Blick auf die Statistiken der Samtgemeinde und auch in die der Nachbarstadt Rotenburg zeigt, dass die Zahl von Krebserkrankungen überall signifikant hoch ist.  Es gibt keinen empirischen Beleg dafür, dass das Ganze mit der Erdgasförderung zusammenhängt . Aber es gibt momentan Untersuchungen durch den Landkreis und das Land Niedersachsen, die mit einer Arbeitshypothese arbeiten, nämlich der Erdgasförderung . Die Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen Erklärungen für das Schicksal, das ihnen widerfährt . Sie wollen Aufklärung . Sie wollen, dass die Politik mit dem Thema seriös umgeht. Dazu sind wir verpflichtet. ({0}) Ich will das hier schildern, um deutlich zu machen: Niemanden hier im Haus lässt dieses Thema kalt . Lassen Sie uns bitte aufhören, so zu tun, als ob das ganz einfach wäre . Wir sind über 600 Abgeordnete . Die Grenzen zwischen Gegnern und Befürwortern verlaufen nicht einmal unbedingt zwischen den Parteien . Es gibt Fracking-Gegner wie mich . Es gibt Graustufen, es gibt Schattierungen in allen Fraktionen . Auch in den Landesregierungen gibt es unterschiedliche Positionen . Wir müssen dieses Thema hier im Parlament ehrlich diskutieren . ({1}) 1) Anlagen 2 bis 11 Vizepräsidentin Claudia Roth Was ich nicht verstehe - das will ich in aller Deutlichkeit sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken -: Sie setzen ein Thema mit einer so hohen Bedeutung auf die Tagesordnung . Sie wollen darüber eine namentliche Abstimmung . Aber dann verhindern Sie eine inhaltliche Diskussion zu diesem Thema . Das kann ich nicht nachvollziehen . Das wird diesem Thema nicht gerecht . ({2}) Ich sage Ihnen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir es ernst meinen, ({3}) wenn es wirklich darum geht, die Probleme mit der Erdgasförderung in Deutschland lösen zu wollen, dann brauchen wir umfassende Regeln . Dann brauchen wir Gesetze, die umfassender sind als das, was Sie heute vorlegen . ({4}) In Ihrem Gesetzentwurf ist beispielsweise nichts zum Thema Lagerstättenwasserverpressung vorgesehen . ({5}) Das wäre für meine Region wichtig . In Ihrem Gesetzentwurf wird nichts zum Thema Beweislastumkehr bei Erdbeben ausgesagt . Das wäre für meine Region wichtig . Sie schlagen keine Änderung im Wasserhaushaltsrecht und im Bundesnaturschutzrecht vor . Sie wollen keine zusätzlichen Vetorechte für die Kommunen und für die Wasserbehörden . ({6}) Sie schaffen mit dem, was Sie hier heute vorlegen, keine zusätzlichen Transparenzpflichten. Auch die Mitwirkungsrechte von Umweltverbänden und Wasserverbänden sind nicht vorgesehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Punkte wären für meine Region wichtig . All diese Punkte würden uns vor Ort weiterhelfen . ({7}) Ich sage Ihnen auch: Diese Punkte verhandeln wir gerade in den Regelungspaketen der Großen Koalition . Sie schlagen vor, zwei Paragrafen im Bergrecht zu ändern . Ich kann aber nicht so tun, als ob damit die Probleme vor Ort gelöst würden . Das ist einfach nicht der Fall . Gehen Sie davon aus: Es ist mein persönliches Anliegen, dass wir beim Fracking eine umfassende Regelung bekommen . Ich werde keine Ruhe geben, bis wir sie erreicht haben . Ich möchte nach Bellen zurückkehren und den Menschen sagen können: Wir in der Politik haben im Deutschen Bundestag gemeinsam etwas geschafft . Das ist die Verantwortung, die wir haben . Ich bin mir sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Große Koalition wird beim Thema Erdgasförderung und Fracking etwas erreichen . Ich schlage vor, dass wir gemeinsam, SPD, CDU/CSU und Opposition, in dieser Legislatur ({8}) hier in diesem Haus eine umfassende Regelung zur Erdgas- und Fracking-Gesetzgebung hinbekommen, dass wir den Trinkwasservorrang und den Gesundheitsschutz sowie die Transparenz und die Beteiligung regeln . Lassen Sie uns das als Haus gemeinsam tun . Das ist die Verantwortung, die wir tragen . Wir, die SPD, sind dazu bereit . Herzlichen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen in dieser Sitzung einen geregelten Ablauf haben . Deswegen bitte ich die Parlamentarischen Geschäftsführer der einzelnen Fraktionen, zu mir nach vorne zu kommen . Ich unterbreche kurz die Sitzung . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Ruhe und Beruhigung . - In § 31 unserer Geschäftsordnung geht es um eine Erklärung zur Abstimmung . Sie haben gemerkt: Das war sozusagen eine weite Auslegung dessen, was eine Erklärung zur Abstimmung eigentlich ist . Die Präsidentin und die beiden Schriftführerinnen bzw . Schriftführer hier oben können aber nicht wissen, was ein Kollege gedenkt zu sagen . Deswegen haben wir jetzt vereinbart, dass die anderen Fraktionen ihrerseits die Möglichkeit bekommen, eine maximal fünf Minuten lange Erklärung zur Abstimmung abzugeben . ({0}) Die Linken und die Grünen werden das machen . Und ich bitte, dass sich eventuell noch ein Kollege von der CDU/ CSU-Fraktion meldet . Wir werden - seien Sie da ganz sicher - die Frage des Umgangs mit dem § 31 am gegebenen Ort und nicht mit lauten Zurufen, wie sie hier erfolgten, klären . Ich gebe jetzt dem Kollegen Krischer nach § 31 unserer Geschäftsordnung das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Klingbeil, ich bin, ehrlich gesagt, betroffen, ({0}) dass Sie gesagt haben: „hier in diesem Haus“ . Ich gehöre dazu . Ich bin durch eine Vielzahl von Orten in dieser ReLars Klingbeil publik gefahren, und ich bin auf viele Menschen getroffen - nicht nur bei Ihnen zu Hause in Rotenburg an der Wümme, sondern in der ganzen Republik -, für die das Thema Fracking ein Riesenproblem ist . ({1}) Mich fragen die Menschen: Wann handelt ihr in Berlin endlich? Wann löst ihr dieses Problem? Wann schafft ihr eine Regelung? ({2}) Wissen Sie, was ich diesen Menschen dann sagen muss? Die Große Koalition hat vor fast einem Jahr die Verabschiedung eines Gesetzes auf die Tagesordnung gesetzt . Wenige Stunden vor der Beschlussfassung haben Sie den Punkt wieder von der Tagesordnung heruntergenommen, und seitdem passiert überhaupt nichts mehr . Das ist ein Skandal . ({3}) Wenn Sie für betroffene Menschen reden, dann müssen Sie da handeln . Da ist Ihre Verantwortung, lieber Herr Klingbeil und liebe andere Kolleginnen und Kollegen, die Sie da eben Beifall geklatscht haben . Wir haben in diesem Hause - auch ich ganz persönlich; das können Sie in den Protokollen nachlesen - das Thema Fracking oft diskutiert - sehr, sehr häufig.  ({4}) Wir haben den vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht, und er ist hier diskutiert worden . Wissen Sie, was die Große Koalition im Wirtschaftsausschuss vorhatte? Sie wollte die Beratung dieses Gesetzentwurfs vertagen . Sie wollte ihn im Ausschuss nicht behandeln . Sie wollte über das Problem wieder nicht reden . Das heißt, wenn Sie hier Redebedarf anmelden, dann halten Sie sich selbst erst einmal daran . Das ist die Wahrheit an dieser Stelle . ({5}) Ich will Ihnen noch etwas sagen . Sie haben völlig zu Recht angesprochen, dass es nicht nur um Fracking, sondern auch um die Problematik der Verpressung von Lagerstättenwasser und viele Probleme der konventionellen Gasförderung geht . Auch das sagen mir die Menschen vor Ort, wenn ich unterwegs bin . Lieber Herr Klingbeil, wenn Sie sich damit beschäftigt hätten, ({6}) dann wüssten Sie, dass wir einen umfassenden Antrag eingebracht haben, den Sie seit über einem Jahr im Wirtschaftsausschuss blockieren und über den wir hier nicht abstimmen können, weil Sie es nicht wollen, weil Sie es aussitzen . ({7}) Es mag ja sein - ich unterstelle das durchaus -, dass es in der Großen Koalition viele gibt, die wie ich die Betroffenheit der Menschen wiedergeben wollen, die entscheiden wollen . Aber dann stimmen Sie doch unserem Gesetzentwurf einfach zu! Entscheiden Sie doch einfach! Beziehen Sie eine klare Position, statt an dieser Stelle herumzueiern! ({8}) Wenn Sie das nicht können - und das empört mich wirklich persönlich -, ({9}) dann sagen Sie wenigstens offen und ehrlich, warum Sie Ihr eigenes Gesetz seit einem Jahr nicht voranbringen . Dass wir beim Fracking keine Regelung haben, ist ein Problem der Großen Koalition, und die Verantwortung müssen Sie übernehmen . Wenn Sie das ändern wollen, dann stimmen Sie entweder unserem Antrag zu oder schließen endlich Ihr Gesetzgebungsverfahren ab . ({10}) Das ist Ihre Verantwortung als Regierungsfraktion . Sie drücken sich . Sie ignorieren die Sorgen und Nöte der Menschen bei diesem Thema . Das können Sie nicht bei uns abladen . Meine Damen und Herren, das ist unverantwortlich, und ich sage auch ganz deutlich: Das, was Sie hier tun, ist heuchlerisch . Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, und das werden Ihnen auch die Bürgerinnen und Bürger nicht durchgehen lassen . Ich danke Ihnen . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das Wort nach § 31 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung hat Hubertus Zdebel für die Linke . ({0})

Hubertus Zdebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004449, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin nun seit ungefähr zwei Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages, aber so eine Heuchelei, wie Sie sie hier aufführen, habe ich hier noch nie erlebt: ({0}) Uns vorzuwerfen, dass wir eine Debatte über Fracking blockieren wollten! ({1}) Ich fühle mich persönlich total betroffen, weil wir schon vor einem Jahr, genau zu dem Zeitpunkt, zu dem der Gesetzentwurf der Bundesregierung in das Parlament eingebracht wurde, einen eigenen Antrag auf Verbot von Fracking in den Bundestag eingebracht haben . Wer hat denn die ganze Zeit die Debatte darüber blockiert? Das waren doch Sie in den Ausschüssen, die das Ganze nicht ermöglicht haben . ({2}) Das ist der Gipfel der Heuchelei; das muss ich Ihnen ehrlich sagen . ({3}) Wenn ich es richtig verstanden habe, dann wollen Sie jetzt noch immer keine Debatte, obwohl genau das gerade von Herrn Klingbeil angestoßen wurde - aber gut . ({4}) Um es noch einmal deutlich zu sagen: Das ist eine absolute Heuchelei; denn wir wollten eine Diskussion . ({5}) Wir sind nun tatsächlich an dem Punkt, dass die Koalition seit einem Jahr den Fracking-Gesetzentwurf der Bundesregierung blockiert, weil Sie von der Koalition sich offensichtlich nicht einigen können . Dabei brauchen alle Beteiligten, insbesondere die Bevölkerung in den Wahlkreisen und Bezirken, Sicherheit darüber . Wie Sie wissen, lehnen mindestens 80 Prozent der deutschen Bevölkerung Fracking ab . Mit dem Thema ist - das sagen sogar CDU-Abgeordnete - kein Blumentopf zu gewinnen . Lernen Sie endlich daraus, ({6}) und ziehen Sie entweder den Gesetzentwurf der Bundesregierung zurück, oder schließen Sie sich dem Gesetzentwurf der Grünen oder unserem Antrag auf Verbot von Fracking an . Er steht heute zur namentlichen Abstimmung . Aber es geht nicht, wie ich es teilweise in meinem eigenen Wahlkreis erlebe, dass Abgeordnete der CDU, aber auch der SPD sagen, sie seien für ein Verbot von Fracking, dann aber, wenn es zum Schwur kommt, nicht zu Hause sind und nicht abstimmen wollen . In der heutigen namentlichen Abstimmung muss deutlich werden, wo Sie im Endeffekt stehen . ({7}) Fracking nutzt nur den Konzernen, die sich davon höhere Gewinne versprechen . Es geht nicht um volkswirtschaftliche Sachen, sondern schlichtweg um Profite und  betriebswirtschaftliche Interessen, die dahinterstecken . Wenn das Gesetz der Bundesregierung in Kraft treten würde, wäre es tatsächlich möglich, auf Dreiviertel der Fläche der Bundesrepublik zu fracken . Das lehnen wir ab . ({8}) Wir brauchen klare gesetzliche Regelungen . Deswegen sage ich: Ich stimme heute dem Gesetzentwurf der Grünen zu, und ich stimme gegen die Beschlussempfehlung des Umweltausschusses, der unseren Antrag abgelehnt hat . Insofern hoffe ich, dass wir heute eine Mehrheit dafür bekommen . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Die CDU/CSU-Fraktion möchte nicht von dem Angebot, zu reden, Gebrauch machen . ({0}) - Das ist ihr gutes Recht . ({1}) Damit kommen wir jetzt zur Abstimmung über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesberg- gesetzes zur Untersagung der Fracking-Technik . Der Ausschuss  für Wirtschaft und Energie empfiehlt  in  sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8125, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7551 abzulehnen . Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf auf Verlan- gen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die da- für vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind alle Urnen besetzt? - Ich gehe davon aus, dass die Urnen besetzt sind . Dann eröffne ich die Abstimmung über den Gesetz- entwurf vom Bündnis 90/Die Grünen . In dem Gewühl ist nicht abzusehen, ob schon alle Kol- leginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben haben oder ob Sie schon für die zweite Abstimmung anstehen . Sind noch Kolleginnen oder Kollegen im Saal, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? - Wir sehen keine mehr . Damit schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen wie immer später bekannt gegeben .1) Tagesordnungspunkt 30 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel „Verbot von Fracking in Deutschland“ . ({2}) - Ich weiß nicht, ob Sie das interessiert, was ich hier vortrage . ({3}) - Ja, das denke ich mir . Dann erzähle ich Ihnen jetzt, wie die Beschlussempfehlung ausschaut . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 18/8113, den Antrag der Fraktion 1) Ergebnis Seite 16407 C Die Linke auf Drucksache 18/4810 abzulehnen . Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Verlan- gen der Fraktion Die Linke namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . Die Urnen sind schon bereit . - Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Ich glaube, die Urnen sind jetzt besetzt . Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung . Die Urne vorne rechts ist beschädigt; ich glaube, wir brauchen eine Ersatzurne . - Das Problem ist gelöst, alles klar . Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das sieht nicht so aus . Dann ist die Abstimmung geschlossen . Ich bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben .1) Bevor wir zu den weiteren Abstimmungen kommen, darf ich Sie herzlich bitten, Ihre Plätze einzunehmen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 c auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({4}) zu der Verordnung der Bundesregierung Vierte Verordnung zur Änderung der Elektround Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/7752, 18/7918 Nr. 2, 18/8230 Der  Ausschuss  empfiehlt  in  seiner  Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8230, der Verordnung auf Drucksache 18/7752 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist von allen Fraktionen einstimmig angenommen . Tagesordnungspunkt 30 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({5}) Übersicht 7 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Drucksache 18/8251 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen . Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 30 e bis 30 i . Tagesordnungspunkt 30 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 304 zu Petitionen Drucksache 18/8093 1) Ergebnis Seite 16410 A Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 304 ist damit einstimmig angenommen . Tagesordnungspunkt 30 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 305 zu Petitionen Drucksache 18/8094 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 305 ist angenommen: Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, also die Große Koalition, dagegengestimmt haben die Linken, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen . Tagesordnungspunkt 30 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 306 zu Petitionen Drucksache 18/8095 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 306 ist einstimmig angenommen . Tagesordnungspunkt 30 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 307 zu Petitionen Drucksache 18/8096 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 307 ist angenommen: Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, dagegengestimmt hat die Linke . Tagesordnungspunkt 30 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 308 zu Petitionen Drucksache 18/8097 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 308 ist angenommen: CDU/CSU, SPD dafür, dagegen Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, keine Enthaltungen . Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Rentenniveau anheben - Altersarmut verhindern Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Sabine Zimmermann für die Linke . ({11}) Vizepräsidentin Claudia Roth

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Sie haben 2001 hier in diesem Hause angesichts Ihrer angeblichen Jahrhundertreform wahre Lobeshymnen angestimmt . Erinnern Sie sich noch? ({0}) - Das ist aber keine Entschuldigung, Herr Kurth . - Sie wollten den Menschen ernsthaft weismachen, dass die Rente zukunftsfest und generationengerecht gemacht wird . Ich will Ihnen sagen, was Sie gemacht haben: Sie haben die Axt an die gesetzliche Rentenversicherung gelegt - zur Freude der Versicherungswirtschaft . Das war Ihr Erfolg, meine Damen und Herren . ({1}) Heute hält selbst Horst Seehofer, der nun nicht unser Freund ist, ({2}) die Riester-Rente für gescheitert . ({3}) - Ich finde das wirklich nicht lustig - das muss ich Ihnen  sagen -; das Thema ist nämlich sehr ernst . ({4}) Profitiert  hat  ganz  allein  die  Versicherungswirtschaft;  denn die hat sich in diesem Land dumm und dämlich verdient, meine Damen und Herren . Sie haben dafür gesorgt, dass die Beiträge für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer massiv angestiegen sind . Sie haben die Kosten der privaten Vorsorge weitestgehend allein den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgebürdet . Sie haben damit die paritätische Finanzierung der Rente zerstört . Heute zahlen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur mehr; sie bekommen auch viel weniger raus, weil die Regierung das Rentenniveau immer weiter absenkt . In keiner Bevölkerungsgruppe wächst der Anteil der Armen so schnell wie unter den Rentnerinnen und Rentnern . Sie haben die Rente nicht reformiert, Sie haben sie demontiert, und das ist schäbig, meine Damen und Herren . ({5}) Weder Riester noch das Konzept der betrieblichen Altersvorsorge ist wirklich aufgegangen . Eine betriebliche Altersvorsorge, an der sich tatsächlich auch die Betriebe und Unternehmen beteiligen, gibt es praktisch nur in Großunternehmen . Und im Osten werden Sie betriebliche Altersvorsorge fast nirgendwo finden. Was Sie völlig ignorieren, ist, dass viele überhaupt nicht privat vorsorgen können . Das ist keine Frage der Einsicht, sondern es ist eine Frage des Einkommens . Nach dem Zusammenbruch der Textilindustrie im Vogtland zum Beispiel nach der Wende hieß das für viele Kolleginnen und Kollegen: Arbeitslosigkeit . Sie haben sich dann über Jahre hinweg von einer ABM zur anderen ABM gehangelt. Sie haben mal eine Qualifizierungsmaßnahme gehabt, zum Schluss einen 1-Euro-Job . Ich frage Sie: Wovon sollten die Kolleginnen und Kollegen eine private Altersvorsorge bilden? Das war überhaupt nicht möglich . ({6}) Sie schaffen einerseits in Europa den größten Niedriglohnsektor und wundern sich andererseits, dass die Menschen kein Geld für private Vorsorge haben . Geht’s noch? - Mit dem Mindestlohn vielleicht auch noch für das Alter vorsorgen - wie soll denn das gehen? Glauben Sie das wirklich? Die Linke sagt: Wir brauchen vernünftige Löhne . Das ist einfach Grundlage für eine gute Rente, meine Damen und Herren . ({7}) Ein weiteres Thema, das hier unbedingt angesprochen werden muss: Die Bertelsmann-Stiftung hat kürzlich festgestellt, dass die Armutsgefährdung der über 65-Jährigen vor allem in weiten Teilen Ostdeutschlands deutlich angestiegen ist . Brauchen Sie eigentlich noch irgendeinen anderen Grund, um 25 Jahre nach der deutschen Einheit dieses schreiende Unrecht ungleicher Renten in Ost und West endlich zu beseitigen? ({8}) Oft genug hat die Große Koalition, insbesondere die Kanzlerin, das ja versprochen . Aber das glaubt Ihnen niemand mehr . Schluss mit den Reden! Rentenangleichung jetzt! Das fordert die Linke, meine Damen und Herren . ({9}) Und hören Sie endlich auf, so zu tun, als sei das nicht finanzierbar.  Seit  2001  ist  die  Wirtschaftsleistung  des  Landes enorm gewachsen . Diese Leistung wird von Millionen Beschäftigten erbracht . Aber bei denen kommen die Zuwächse leider immer weniger an . Wenn wir in den vergangenen Jahrzehnten eine so beispiellose Umverteilung von unten nach oben nicht gehabt hätten, würde heute niemand mehr über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit reden . Ihre Argumente für die Rente erst ab 70, vielleicht demnächst ab 75, sind nichts anderes als eine Verschleierung eines neuerlichen Rentenklaus, und das haben die Menschen nicht verdient . ({10}) Ich komme zum Schluss . Wenn die Menschen auch im Ruhestand ein sorgenfreies Leben haben sollen, kann die Lösung nur eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung sein . Das fordert die Linke . Danke schön . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Zimmermann . - Das Wort hat Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Deutsche Rentenversicherung befindet sich im Jahre 2016 in einer exzellenten  Verfassung . Sie ist wesentlich besser, als vorher noch prognostiziert worden ist . ({0}) Wir werden im Juni die Renten anheben, und zwar um 4,25 Prozent im Westen und 5,95 Prozent im Osten . Wir erleben, dass sich das Rentenniveau im Osten seit der deutschen Einheit auf fast 94 Prozent des Westniveaus angeglichen hat . Wir erleben auch, dass 3,2 Prozent aller Rentnerinnen und Rentner auf Grundsicherung angewiesen sind. Da kann von einer flächendeckenden Armut  durch die Rente keine Rede sein . Es ist unverantwortlich, was Sie hier propagieren . ({1}) Meine Damen und Herren, ich bitte Sie mit großem Nachdruck, mit diesem Rentensystem und der Debatte darüber sorgsam umzugehen, weil sowohl die Entwicklungen in der gesetzlichen als auch die Entwicklungen in der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge immer  vor  dem Hintergrund  der  demografischen  und  der  gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu sehen sind . Es geht nicht darum, unter Menschen Angst und Schrecken zu verbreiten, sondern darum, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Menschen im Alter gut leben können . Die Grundlagen dafür haben wir in der letzten Großen Koalition mit dem damaligen Rentenpaket gelegt . Wir haben geklärt, dass bis 2030 das Renteneintrittsalter sukzessive auf 67 Jahre ansteigen wird . Wir haben diesen Punkt bei weitem noch nicht erreicht . Wir sind jetzt bei 65 Jahren plus fünf oder sechs Monaten, soweit ich das in Erinnerung habe . Wir sind in einer Situation, in der wir durch die Einführung der Mütterrente insbesondere denjenigen geholfen haben, die dazu beigetragen haben, dass überhaupt Generationengerechtigkeit möglich wurde, indem Kinder geboren und so erzogen werden konnten, dass sie lebenstüchtige Menschen sind und hinterher Beiträge leisten, damit die Renten finanziert werden können. Wir haben im letzten Rentenpaket vereinbart, die Rente mit 67 so zu gestalten, dass jemand, der 45 Beitragsjahre hat, auch in Zukunft auf jeden Fall mit 65 in Rente gehen kann, und auch, dass das jetzt vorgezogen wird . Das wird sich aufbauen bis zum Jahre 2030 . Ich rate uns dringend, die unterschiedlichen Säulen, die wir für die Altersabsicherung benötigen - die gesetzliche Rente, die betriebliche Altersvorsorge und die private Altersvorsorge -, nicht in Bausch und Bogen kaputtzureden . Das würde jeder wirtschaftlichen Vernunft entgegenstehen, und die, das will ich ehrlich sagen, habe ich Ihnen noch nie unterstellt . ({2}) Wir können Rentenversicherung, Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik, Wirtschaftswachstum und Wohlstand nicht voneinander trennen . Es hängt alles mit allem zusammen . Dies verlangt wirtschaftliche Vernunft und verantwortungsvolles Umgehen mit der Rentenversicherung und der Altersabsicherung . Und - darin gebe ich Ihnen allerdings recht - nach allen Debatten, die wir in der letzten Zeit geführt haben und führen werden, müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen am Ende der Tage von dem, was sie in ihrem Leben erwirtschaftet haben, auch leben können . Wenn jemand sein Leben lang auf Grundsicherung angewiesen ist, dann wird er zwangsläufig am Ende des Lebens nicht von einer Rente leben können, weil er nichts eingezahlt hat, ({3}) sondern er wird auch weiterhin auf Grundsicherung angewiesen sein . Aber ich will Ihnen sagen: Es heißt in Deutschland - weil Sie von den Linken das immer kaputtreden - deshalb Grundsicherung, weil niemand unter diesen Betrag fällt . ({4}) Grundsicherung heißt auch, dass Menschen im Alter von dieser Grundlage leben können . Unser Ziel ist allerdings, dass die, die 45 Jahre gearbeitet, eingezahlt, Kinder erzogen und Eltern gepflegt haben, am Ende der Tage mehr  haben müssen als die, die nichts erbracht haben . ({5}) An dem Rentenpaket, meine Damen und Herren, arbeiten wir . Das große Interesse unserer Fraktion besteht darin, die jetzt aufgekommene Diskussion über die Frage des Rentenniveaus, über die Frage des Renteneintrittsalters, über die Frage des Rentenbeitrags, über die Frage, wer  davon  alles  profitiert,  in  eine  vernünftige  und  klare Bahn zu lenken, um für die Zeit nach 2030 - soweit wir das überblicken können - die Weichen rechtzeitig zu stellen . Das geht nicht, indem man mit Schaum vor dem Mund Katastrophen darstellt, sondern das geht nur, indem man mit Sachverstand und Klarheit den Menschen sagt, wohin die gesamte Entwicklung geht . ({6}) An diesem Punkt sind wir . Daran werden wir arbeiten . Sie werden erleben, dass unsere Konzepte zukunftsfähig sind . Ihre Konzepte bringen Verheißungen, die kein Mensch bezahlen kann . Herzlichen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling . Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungen mitteilen . Zuerst wurde über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesberggesetzes zur Untersagung der Fracking-Technik von Bündnis 90/Die Grünen abgestimmt - Drucksachen 18/7551 und 18/8125 -: abgegebene Stimmen 593 . Mit Ja haben gestimmt 125, mit Nein haben gestimmt 425, Enthaltungen 43 . Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt . Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 591; davon ja: 125 nein: 423 enthalten: 43 Ja CDU/CSU Maik Beermann Josef Göppel Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt SPD Christina Jantz-Herrmann DIE LINKE Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr . André Hahn Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({0}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({1}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr . Axel Troost Alexander Ulrich Dr . Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Pia Zimmermann ({2}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({3}) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr . Anton Hofreiter Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({4}) Christian Kühn ({5}) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({6}) Manuel Sarrazin Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Nein CDU/CSU Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens ({7}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({8}) Axel E . Fischer ({9}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({10}) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr . Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({11}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Peter Hintze Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({12}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Stephan Mayer ({13}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Dr . Angela Merkel Jan Metzler Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller ({14}) Stefan Müller ({15}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Sylvia Pantel Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({16}) Dr . Wolfgang Schäuble Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({17}) ({18}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({19}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Armin Schuster ({20}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({21}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({22}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({23}) Sabine Weiss ({24}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Heinz Wiese ({25}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding ({26}) Dr . Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Petra Crone Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Gabriele Fograscher Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Michael Hartmann ({27}) Hubertus Heil ({28}) Gabriela Heinrich Marcus Held Dr . Barbara Hendricks Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Dr. Bärbel Kofler Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({29}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller ({30}) Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({31}) Aydan Özoğuz Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post ({32}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Sönke Rix Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({33}) Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({34}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({35}) Matthias Schmidt ({36}) Dagmar Schmidt ({37}) Carsten Schneider ({38}) Swen Schulz ({39}) Frank Schwabe Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr . Frank-Walter Steinmeier Claudia Tausend Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Dirk Wiese Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Enthalten CDU/CSU Reinhard Grindel Wilfried Oellers Dr . Patrick Sensburg SPD Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Willi Brase Marco Bülow Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Michaela Engelmeier Dr . Ute Finckh-Krämer Dr . Edgar Franke Dagmar Freitag Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Metin Hakverdi Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Wolfgang Hellmich Petra Hinz ({40}) Oliver Kaczmarek Arno Klare Birgit Kömpel Dr . Hans-Ulrich Krüger Michelle Müntefering Sabine Poschmann Dr . Sascha Raabe Andreas Rimkus Petra Rode-Bosse Udo Schiefner Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Ewald Schurer Stefan Schwartze Christoph Strässer Michael Thews Gülistan Yüksel Die zweite namentliche Abstimmung fand statt über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Linken mit dem Titel „Verbot von Fracking in Deutschland“ - Drucksachen 18/4810 und 18/8113 -: abgegebene Stimmen 589 . Mit Ja haben gestimmt 440, mit Nein haben gestimmt 120, Enthaltungen 29 . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 440 nein: 120 enthalten: 29 Ja CDU/CSU Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({41}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Steffen Bilger Clemens Binninger Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({42}) Axel E . Fischer ({43}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({44}) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr . Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({45}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Michael Hennrich Peter Hintze Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({46}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Gunther Krichbaum Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({47}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Dr . Angela Merkel Jan Metzler Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller ({48}) Stefan Müller ({49}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Sylvia Pantel Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Vizepräsidentin Claudia Roth Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Johannes Röring Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({50}) Dr . Wolfgang Schäuble Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({51}) Gabriele Schmidt ({52}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({53}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Armin Schuster ({54}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Wolfgang Stefinger Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({55}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({56}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({57}) Sabine Weiss ({58}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Heinz Wiese ({59}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Petra Crone Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr . Ute Finckh-Krämer Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Michael Hartmann ({60}) Hubertus Heil ({61}) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({62}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller ({63}) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({64}) Aydan Özoğuz Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post ({65}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Sönke Rix Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({66}) Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({67}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({68}) Matthias Schmidt ({69}) Dagmar Schmidt ({70}) Carsten Schneider ({71}) Elfi Scho-Antwerpes Swen Schulz ({72}) Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr . Frank-Walter Steinmeier Claudia Tausend Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Dirk Wiese Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Christina Jantz-Herrmann DIE LINKE Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr . André Hahn Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({73}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({74}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr . Axel Troost Alexander Ulrich Dr . Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Pia Zimmermann ({75}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({76}) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr . Anton Hofreiter Dieter Janecek Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({77}) Christian Kühn ({78}) Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Tabea Rößner Claudia Roth ({79}) Manuel Sarrazin Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Enthalten CDU/CSU Reinhard Grindel Wilfried Oellers SPD Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Marco Bülow Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Michaela Engelmeier Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Michael Groß Metin Hakverdi Ulrich Hampel Dirk Heidenblut Petra Hinz ({80}) Oliver Kaczmarek Dr . Hans-Ulrich Krüger Sabine Poschmann Dr . Sascha Raabe Andreas Rimkus Petra Rode-Bosse Ursula Schulte Ewald Schurer Christoph Strässer Michael Thews Gülistan Yüksel Dann geht es jetzt in der Aktuellen Stunde weiter . Das Wort hat Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schiewerling, Sie haben eine sorgsame Debatte und eine vernünftige klare Linie angemahnt . Ich nehme einmal an, Sie haben hauptsächlich Herrn Seehofer, Herrn Gabriel und Herrn Schäuble im Kopf gehabt, als Sie davon gesprochen haben . ({0}) Was wir hier im Moment erleben, sind die rentenpolitischen Chaoswochen der Großen Koalition . Fangen wir mit Herrn Seehofer an, der von der Neoliberalisierung der Rente gesprochen hat . Das ist eine Tonlage, die sogar der Linken gut gefallen hat . ({1}) Nun kann man wirklich - wir sind die erste und einzige Fraktion, die Riester mit beschlossen hat und dazu jetzt einen Antrag eingebracht hat - sehen, dass die Riester-Rente die ihr zugedachte Funktion so nicht erfüllt . Wir haben mit dem Basisprodukt Alternativen aufgezeigt . ({2}) Aber die CSU ist wirklich die letzte Partei, die sich zum Rentenniveau und zur Riester-Rente äußern darf, weil sie nichts, aber auch wirklich nichts vorgelegt und konstruktiv nichts dazu beigetragen hat . ({3}) Man gewinnt den Eindruck, dass Herr Seehofer Orban als sein Vorbild ansieht, angstgetrieben wie er ist: erstens aggressive Haltung gegenüber Flüchtlingen, zweitens antieuropäische Gesinnung und jetzt kommt drittens noch sozialpolitischer Populismus vom Übelsten hinzu . ({4}) Meine Damen und Herren, ich finde, dass die Linke,  die diese Aktuelle Stunde beantragt hat, an dieser Stelle leider tatsächlich einem ganz ähnlichen Muster folgt: Sahra Wagenknecht spielt gegenüber Flüchtlingen die nationale Karte . ({5}) Sie haben die EU ständig als Projekt des Imperialismus diffamiert . Jetzt kommt auch noch der sozialpolitische Populismus mit  letzten Endes nicht finanzierbaren Programmen dazu . ({6}) CSU, AfD, Linke - die Troika des Populismus! Was ich wirklich schlimm finde: Jetzt meint auch noch  Gabriel von der stolzen Sozialdemokratischen Partei, er müsse sich dazugesellen, indem er hier erzählt, das Rentenniveau müsse sofort auf dem heutigen Niveau stabilisiert werden, ohne auch nur einen Schimmer oder eine Idee zu haben, wie man so etwas finanzieren kann. Ähnlich wie bei der Riester-Rente sagen wir auch hier nicht, dass alles in Butter ist . Natürlich muss man über das Rentenniveau diskutieren, auch darüber, ob die Absenkung des Rentenniveaus angesichts der Perspektive bis 2030 nicht vorher abgefedert werden muss . Das diskutieren wir übrigens in unserer Rentenkommission und auch im Herbst auf unserem Parteitag . ({7}) Aber diese Art des hektischen, von Panik getriebenen Vorspringens, ohne sich irgendetwas zu überlegen, kostet Sie Glaubwürdigkeit bei den Menschen . Ich sage Ihnen: Damit stabilisieren Sie nicht das Rentenniveau, sondern Politikverdrossenheit und Rechtspopulismus . ({8}) Das Ganze hat auch nur 24 Stunden gehalten . Dann hat Frau Fahimi gesagt - so stand es in der Berliner Zeitung  -:  „Der  demografische Faktor  lässt  sich  nicht  negieren .“ Das ist erst einmal interessant . Glückwunsch! Das ist dieselbe Frau Fahimi, die noch vor zwei Jahren bejubelt hat, dass das Rentenpaket nicht über Steuern finanziert wird - die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler müssen nämlich dafür aufkommen . Müntefering hätte noch hinzugefügt: „Da reicht Volksschule Sauerland“; aber das reicht für Herrn Gabriel offensichtlich nicht . Wenn Sie so weitermachen, dann werden die Prozente der SPD bei der nächsten Bundestagswahl weniger sein als der Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung, und das ist traurig . ({9}) Um das Chaos komplett zu machen, glaubte dann Herr Schäuble wahrscheinlich, er dürfe jetzt nicht abseitsstehen: Er schlug nonchalant die Rente mit 70 vor und verunsicherte die Leute damit zusätzlich . Da sage ich: Wir Grüne haben hier einen Antrag zu flexiblen Renteneintritten eingebracht . Sie sind natürlich vernünftig; aber da muss man auch an die denken, die gesundheitlich nicht mehr können und vielleicht auch schon vorher in Rente gehen müssen. Nur wenn man überlegte und flexible  Antworten hat, kann man sich über das Renteneintrittsalter unterhalten . Aber so, wie es Herr Schäuble tut, verschreckt man doch alle und jagt den Leuten Angst ein . Das ist vollkommen kontraproduktiv . ({10}) Man muss schon sagen: Das, was wir hier in den letzten Wochen erlebt haben, ist ein Panoptikum der Panikpolitiker . Ich kann wirklich nur sagen: Schauen Sie sich an, was wir machen! Wir gehen tatsächlich überlegt vor, seit zwei Jahren, in einem organisierten Prozess . Wir behaupten nicht, alles wäre in Butter, aber versprechen auch nicht das Blaue vom Himmel, sondern bemühen uns tatsächlich um Verlässlichkeit . Das bringt uns um den einen oder anderen Knalleffekt; damit kommt man nicht immer auf Seite eins in der Zeitung . Aber ich glaube, am Ende des Tages ist es das Wichtigste, dass sich Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, Rentnerinnen und Rentner auf die Aussagen der Politik verlassen können, auch wenn sie nicht spektakulär sind . Das ist das Entscheidende, und dafür stehen wir als Bündnis 90/Die Grünen . Wenn man so will, sind wir die einzige vernünftige Rentnerpartei hier im Deutschen Bundestag . ({11}) Vielen Dank . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das Wort hat der Kollege Dr . Martin Rosemann für die SPD . ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Markus Kurth, Sie haben von Hektik und Panik in der Großen Koalition gesprochen . Hektik und Panik waren doch eher die Attribute Ihres Auftritts hier . ({0}) Jetzt also einmal ganz ruhig und ganz langsam: ({1}) Mit unserem Rentensystem müssen wir Lebensleistung anerkennen und Altersarmut verhindern . Diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet und dieses System mitgetragen haben, müssen sich im Alter darauf verlassen können . Das, meine Damen und Herren, ist das zentrale Versprechen unseres Sozialstaats . Unser Rentensystem - Karl Schiewerling hat darauf hingewiesen - steht derzeit gut da, deutlich besser, als noch vor 10 Jahren oder 15 Jahren vorhergesagt . Sigmar Gabriel, unser Parteivorsitzender, hat aber ein zentrales Problem angesprochen, nämlich dass das Rentenniveau auch langfristig nicht in Richtung 40 Prozent sinken darf . ({2}) Aber wie stabilisiert man das Rentenniveau? Erstens . Das Rentenniveau stabilisiert man am allerbesten durch eine gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt . Deswegen müssen wir die Rahmenbedingungen weiter so gestalten, dass möglichst viele Menschen in Deutschland  sozialversicherungspflichtig  beschäftigt  sind . ({3}) Zweitens . Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen konsequenterweise auch von allen getragen werden, also über Steuermittel . Ein erster guter Start wäre, die Mütterrente vollständig über Steuern zu finanzieren.  ({4}) Wenn die CSU ihre Haltung hierzu geändert hat, dann freut mich das . Wir sind zu Veränderungen bereit . ({5}) Es  ist  klar:  Die  demografischen Herausforderungen,  die sinkende Geburtenrate zum einen und die steigende Lebenserwartung zum anderen, können wir nur mit zwei starken Säulen bewältigen . Ein Blick in andere Länder zeigt, dass diejenigen Länder das höchste Sicherungsniveau haben, die beides haben: eine erste starke gesetzliche umlagefinanzierte oder steuerfinanzierte Säule und  eine zweite starke kapitalgedeckte Säule . Deshalb arbeiten wir gerade daran, eine stärkere Verbreitung von betrieblicher Altersvorsorge in Deutschland zu ermöglichen . Dabei gibt es drei Aspekte, die für mich von zentraler Bedeutung sind . Erstens . Statt individueller Lösungen brauchen wir große kollektive Lösungen . Wir müssen den Tarifpartnern mehr Handlungsspielraum geben und sie gleichzeitig stärker in die Pflicht nehmen. Zweitens.  Geringverdiener  müssen  mehr  profitieren  und  besser  gefördert werden . Drittens . Wir müssen nicht nur die Beschäftigten von großen Unternehmen, sondern auch von kleinen und mittleren Unternehmen erreichen . Ich füge hinzu: Das werden wir am Ende nur durch ein verpflichtendes System, das eine stärkere finanzielle Beteiligung des Arbeitgebers vorsieht, hinbekommen . ({6}) Mit den von mir genannten Maßnahmen können wir das Sicherungsniveau insgesamt stabilisieren . Altersarmut hat aber viele Ursachen, und die wesentlichen liegen in der Versicherungsbiografie: in langen Phasen der Arbeitslosigkeit, in langen Familienphasen, in geringfügiger Beschäftigung, in Teilzeit mit geringer Stundenzahl, in Selbstständigkeit ohne Absicherung ({7}) und im Niedriglohn . Von Armut im Alter sind vor allem Frauen betroffen . Altersarmut ist also nicht nur eine Frage des Rentenniveaus, sondern auch eine Frage der Ausgestaltung des Rentensystems an anderer Stelle und der Frage, wie unser Arbeitsmarkt funktioniert . Ich finde, wir haben in dieser Koalition schon vieles  auf den Weg gebracht . Wir haben die Erwerbsminderungsrente gestärkt, aber das wird freilich nicht reichen . Um Altersarmut erfolgreich zu bekämpfen, brauchen wir mehr Mindestsicherung in der Rente . Deshalb werden wir die solidarische Lebensleistungsrente auf den Weg bringen, mit der wir geringe Renten aufwerten werden . Diese Mindestrente ist quasi die kleine Schwester des Mindestlohns . ({8}) Für uns Sozialdemokraten gilt: Wer 40 Jahre lang gearbeitet hat, muss mehr haben als Grundsicherung . ({9}) Und schließlich: Altersarmut von morgen verhindern wir, indem wir die Weichen im Bildungsbereich und auf dem Arbeitsmarkt richtig stellen; denn es gibt einen Zusammenhang zwischen guter Bildung und guter Arbeit, zwischen guten Löhnen und guter Rente . Deswegen arbeiten wir an vielen Stellen daran, gleiche Bildungschancen und gute Förderung von Beginn an zu schaffen . DesMarkus Kurth halb haben wir den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, und deshalb stärken wir die Tarifautonomie . Deshalb müssen wir Selbstständige in die Systeme der sozialen Sicherung, auch in die Rentenversicherung, einbeziehen . Deshalb regulieren wir Leiharbeit und Werkverträge . Deshalb arbeiten wir daran, das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für Frauen und Männer zu stärken . Deshalb arbeiten wir an unterschiedlichen Stellen daran, Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen besser zu verteilen . ({10}) Zum Schluss: Wir brauchen jetzt keine neue Debatte über ein höheres festes Renteneintrittsalter . ({11}) Vielmehr müssen wir die Möglichkeiten verbessern, flexibel  aus  dem Arbeitsleben  auszusteigen,  um  unterschiedlichen individuellen Situationen gerecht zu werden . Wir müssen dafür sorgen, dass es Menschen bei guter Gesundheit schaffen, das gesetzliche Renteneintrittsalter überhaupt zu erreichen . ({12}) Dazu müssen wir - das werden wir auch tun - schleunigst das umsetzen, was wir unter der Überschrift „flexible Übergänge“ in der Koalitionsarbeitsgruppe verabredet haben .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Und Sie müssen schleunigst zum Schluss kommen .

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren, nicht nur die ältere Generation, sondern auch die junge Generation darf das Vertrauen in unsere Alterssicherungssysteme nicht verlieren . Wie die ältere Generation muss sie sich als zukünftige Rentnergeneration auf eine gute Absicherung im Alter verlassen können . Dafür müssen wir sorgen . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Darf ich die Rednerinnen und Redner darauf hinweisen,  dass  sich  vorne  am Redepult  eine Leiste  befindet,  an der manchmal das Wort „Präsident“ aufleuchtet? Das  müsste man vielleicht geschlechtergerecht verändern . ({0}) Das heißt, die Redezeit ist zu Ende . Ich bitte Sie wirklich, sich einigermaßen an die vorgegebene Redezeit zu halten . Also: Wenn es vorne leuchtet, wird es eng . Der nächste Kollege, der das Wort ergreift, ist Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion . ({1})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rente ist ({0}) der zentrale Bestandteil, die zentrale Säule des deutschen Sozialstaats . Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land wollen vor allen Dingen eines wissen: Kann ich mich, wenn ich von dem Lohn für meine Arbeit jeden Monat meine Beiträge abgeführt habe, darauf verlassen, dass diese Säule mich im Alter wirklich trägt? Das wollen sie von uns klar und deutlich und vernünftig erklärt bekommen, und ohne Polemik . Deswegen war das, was die Oppositionsvertreter in dieser Aktuellen Stunde bislang geleistet haben - sie haben hier eine polemische Show abgezogen -, nichts, was das Vertrauen in die Rente stärkt, sondern etwas, was in Wahrheit das Misstrauen in die Rente stärkt . ({1}) Das sinkende Rentenniveau ist kein Naturgesetz . ({2}) Mit der guten Entwicklung am Arbeitsmarkt, mit der guten wirtschaftlichen Entwicklung im Land haben wir es geschafft, dass mit der Rentenanpassung im Jahr 2015 und der Rentenanpassung, die es zum 1 . Juli 2016, also dieses Jahr, geben wird, das Rentenniveau nicht weiter sinkt, sondern stabilisiert wird . Das zeigt: Das zentrale Element einer Stärkung des Rentenniveaus ist eine wachstums- und beschäftigungsorientierte Politik, wie wir sie in diesen Tagen mit Erfolg betreiben . Deswegen ist die allerwichtigste Botschaft an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land: Eure Rente ist sicher, wenn wir weiter eine wachstums- und beschäftigungsorientierte Politik betreiben und auf jeden Fall nicht das tun, was uns die Linken raten . ({3}) Nun muss man allerdings auch sagen: Die Rentenreform, die Rot-Grün mit Walter Riester 2001 gemacht hat, hat offenkundig Mängel . ({4}) Insbesondere für die Zeit nach 2030 gibt es in dem von Rot-Grün geschaffenen Gesetz, was das Rentenniveau anbelangt, überhaupt keine Grenze nach unten . Natürlich erwarten die mittlere und die jüngere Generation, dass wir ihnen eine klare Ansage machen, dass das Rentenniveau nicht ins Bodenlose fallen kann . ({5}) Deshalb werden wir nicht umhinkommen, den Fehler von 2001 zu korrigieren und ein Mindestsicherungsniveau in der Rente auch für die Zukunft, auch für die junge Generation festzuschreiben . Die rot-grüne Reform von 2001 sah vor, dass durch eine starke öffentliche Förderung jeder eine ergänzende Betriebsrente aufbauen kann und eine ergänzende private Altersvorsorge in Form der Riester-Rente . Doch auch dieser Reformteil von 2001 ist unvollständig geblieben . Spätestens seit dem Jahr 2009 erleben wir, dass die Zahl der Betriebsrentner und die Zahl derer, die einen Riester-Sparvertrag abschließen, nicht mehr steigt, sondern stagniert, sprich: Für immer mehr Menschen tut sich eine riesige Versorgungslücke auf, wenn sich da nichts verändert . Man kann es so machen wie die Linke und sagen: Alles, was damals beschlossen worden ist, wird wieder abgeschafft . Alles ist Quatsch . Zurück in die rentenpolitische Steinzeit . ({6}) Der Punkt ist aber: Was die Linke vorschlägt - alles kaputtmachen -, ({7}) ist keine Lösung für die Zukunft . ({8}) Die Lösung für die Zukunft kann nur sein - der Kollege Rosemann hat darauf hingewiesen, dass es andere Länder genauso machen -, dass wir eine starke gesetzliche Rente haben, die die Grundabsicherung für das Alter darstellt und immer die stärkste Säule der Altersversorgung bleiben wird, und dass dazu zwingend eine Zusatzrente gehört, weil man nur dann im Alter einigermaßen anständig leben kann . Das ist unser Ziel . ({9}) Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist der zweite Teil der Reformnotwendigkeit, dass wir die Steine wegräumen, die es heute Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - vor allem Geringverdienern - als unattraktiv erscheinen lassen, in Sachen Zusatzrente etwas zu machen . ({10}) Wir als Große Koalition haben in der Koalitionsvereinbarung gesagt: Wir wollen uns als Erstes an die betriebliche Altersversorgung machen . - Dazu liegen seit anderthalb Wochen die beiden Gutachten vor, die vom Arbeits- und vom Finanzministerium in Auftrag gegeben wurden . Sie wurden offensichtlich von der Opposition nicht gelesen; denn dazu wurde kein Wort in dieser Debatte gesagt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde bemerkenswert, was da vorgeschlagen wird: ein eigener finanzieller  Förderbetrag für Geringverdiener für eine betriebliche Altersversorgung, eine Entlastung für kleine und mittelständische Unternehmen, wenn sie bereit sind, in betriebliche Altersvorsorge einzusteigen . Das sind Anreize, die sich sehen lassen können und die auch finanziell attraktiv  sind . Deshalb ist unsere Botschaft: Wir wollen eine starke gesetzliche Rente plus eine starke Zusatzrente . ({11}) Das ist das Zukunftskonzept, das ein auskömmliches Einkommen im Alter sichert . Das sollten wir den deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sagen . Vielen Dank . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Peter Weiß . - Jetzt hat das Wort Matthias W . Birkwald für die Linke . ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Koalition kann zurzeit anscheinend jeder zur Rentenpolitik sagen, was er will . Horst Seehofer und Sigmar Gabriel kümmern sich auf einmal um das Rentenniveau . Die Rentenministerin Andrea Nahles redet seit einem Jahr über Betriebsrenten, flexible Renteneinstiege und eine sogenannte Lebensleistungsrente, die ihrem Namen Hohn spricht . Gesetzentwürfe dazu gibt es nicht . Wolfgang Schäuble fordert: Malochen bis zum Sterben minus x . - Da sage ich, Herr Schiewerling: Damit versetzt er viele Menschen in Angst und Schrecken . Das ist völlig neben der Kappe . ({0}) Was tut die Bundeskanzlerin? Sie warnt mit CDU/ CSU-Fraktionschef Kauder vor einem Rentenwahlkampf . Ich sage Ihnen: Es wird einen Rentenwahlkampf geben . Die Gewerkschaften werden schon im Herbst eine Kampagne für eine höhere gesetzliche Rente starten . Die Linke hat keine Angst vor einem Rentenwahlkampf . Wir wissen auch: Je höher die Löhne, desto besser die Rente . Darum wünschen wir Linken allen derzeit streikenden Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst von ganzem Herzen viel Erfolg für ihren Kampf um höhere Löhne und eine gute Altersversorgung . ({1}) Meine Damen und Herren, wir Linken sagen schon seit 2012: Riester ist gescheitert . - Im Gegensatz zu den Grünen, Markus Kurth, hat das jetzt auch Horst Seehofer verstanden - prima . Darum fordern wir, dass alle Riester-Sparer und -Sparerinnen ihr Geld von den Versicherungen freiwillig in die gesetzliche Rentenversicherung überführen dürfen sollten . Da kostet es nämlich keine Provision . Da ist es vor allem sicher . ({2}) Die gesetzliche Rente muss den Lebensstandard wieder sichern, und sie muss vor Altersarmut schützen . Dazu brauchen wir eine große Rentenreform . Das RentenkonPeter Weiß ({3}) zept der Linken umfasst elf Punkte, hier die drei wichtigsten: Erstens . Alle Menschen mit Erwerbseinkommen müssen Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen - auch die Ärztin, der Bundestagsabgeordnete, die verbeamteten Staatssekretäre und die Selbstständigen . Für Langzeiterwerbslose müssen endlich wieder Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden . ({4}) Zweitens . Es muss gelten: Wer 10 000 Euro Gehalt hat, muss auch für 10 000 Euro Beiträge zahlen . ({5}) Die Beitragsbemessungsgrenze muss schrittweise aufgehoben werden . Drittens . Das Wichtigste ist, Herr Weiß: Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden . Das ist nämlich das Rentenniveau, das wir im Jahr 2000 hatten, bevor Gerhard Schröder, SPD, Walter Riester, SPD, und die Grünen, Markus Kurth, die Rente in den Sinkflug geschickt haben. ({6}) Ein höheres Rentenniveau zu fordern, ist kein Populismus, lieber Markus, das ist auch finanzierbar. Jetzt rechne ich Ihnen allen hier einmal vor, was das kostet und wie viel mehr Rente das bringt . Wer zum Beispiel in Köln lebt und in 45 Arbeitsjahren immer durchschnittlich verdient hat und am 1 . Juli in Rente geht, wird 1 370 Euro Rente erhalten . Auf diesem Niveau will Sigmar Gabriel es einfrieren; das sagt er jedenfalls . ({7}) Wir Linken wollen das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben . Das würde den Lebensstandard sichern . Der Rentner hätte dann eine Rente von 1 522 Euro brutto . Das sind 152 Euro mehr Rente - ganz ohne Riester . ({8}) Ich weiß, viele Menschen schaffen keine 45 Arbeitsjahre, und viele haben deutlich unterdurchschnittliche Löhne . Aber lassen Sie uns einmal beim Durchschnitt bleiben . Was müsste denn eine durchschnittlich verdienende Beschäftigte mit 3 022 Euro brutto für 152 Euro mehr Rente mehr an Beitrag zahlen, Herr Staatssekretär Spahn? Nur 35 Euro . Ihr Arbeitgeber müsste ebenfalls 35 Euro mehr zahlen . Ich sage Ihnen: Das schafft kein Riester-Vertrag . ({9}) Die jungen Leute wären auch bereit, Herr Dr . Rosemann, diese knapp 35 Euro zu zahlen . Das behaupte nicht ich, nein, das hat eine Studie der IG Metall ergeben . 72 Prozent der befragten 18- bis 34-Jährigen wären bereit, höhere Rentenbeiträge zu zahlen, wenn sie später eine gute Rente erhielten und wenn sie sich nicht durch das Kleingedruckte von 5 000 verschiedenen Riester-Verträgen wühlen müssten . ({10}) Lassen Sie uns die gesetzliche Rente stärken . Wenn die Arbeitgeber wieder ihren Anteil zahlten, wäre eine gute Rente möglich . In Österreich, Herr Kollege Weiß, gibt es die schon seit Jahrzehnten . Dort zahlen alle Erwerbstätigen in die Rentenkassen ein, auch Beamte und auch Politiker und Politikerinnen . ({11}) Dort sind die Rentenbeiträge höher als in Deutschland und seit 28 Jahren stabil . Dort zahlen die Arbeitgeber sogar mehr ein als die Beschäftigten . Deshalb sind die Renten deutlich höher als in Deutschland . Ein langjährig versicherter Mann, der 2013 in Rente ging, erhält in Österreich 1 820 Euro Rente . Das sind 770 Euro mehr im Monat, als ein vergleichbarer Mann in Deutschland Rente bekommt . 770 Euro! Jeden Monat! - Und alles über die gesetzliche Rente . Würden wir das so machen, gäbe es auch bei uns weniger Altersarmut . ({12}) Für all diejenigen, die trotz eines höheren Rentenniveaus nur eine niedrige Rente bekämen, bräuchten wir innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung eine solidarische Mindestrente . Sie soll als Zuschlag nach einer Einkommens- und Vermögensprüfung aus Steuermitteln gezahlt werden . Die Linke kämpft dafür, dass niemand im Alter von weniger als 1 050 Euro leben muss . Herzlichen Dank . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Birkwald . - Das Wort hat jetzt Daniela Kolbe für die SPD . ({0})

Daniela Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004079, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Puh, Matthias, was für eine Rede . Ich versuche einmal, die Debatte wieder ein bisschen runterzubringen ({0}) und mit dem Gedanken einzusteigen, dass angesichts der extrem niedrigen Zinsen und einer exzellenten Arbeitsmarktlage eines noch einmal ganz deutlich wird: Unser Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, dass Menschen für Menschen eintreten, führt zu einem kongenialen System, und wir können stolz sein, dass wir ein stabiles Rentensystem in Deutschland haben . ({1}) Aber ganz klar: Wir haben große Themen vor der Brust . Das Thema Rentenniveau ist eines, das uns in den kommenden Jahren begleiten wird . Da müssen wir ran . Jeder Politiker muss verantwortungsvoll damit umgehen und sich des Themas annehmen . Aber auch andere Themen stehen auf der Tagesordnung: Gerechtigkeitslücken, die es gibt, etwa Altersarmut, die wegen gebrochener Erwerbsbiografien oder  sehr niedriger Löhne  in manchen  Branchen immer mehr auftaucht, und eben auch das Thema der unterschiedlichen Rentensysteme in Ost und West, die sich offenkundig nicht von alleine aneinander angleichen . Ich kann ja die Opposition und insbesondere die Linke verstehen, dass ihr schon im hektischen Wahlkampfmodus seid . ({2}) Aber wir als SPD regieren, und wir haben noch einiges vor . Wir haben einige sehr gute Inhalte in den Koalitionsvertrag hineingekämpft und wollen sie umsetzen . Dass wir das auch tun, haben wir mit der Rente mit 63 und mit der Mütterrente bewiesen . ({3}) Andere Themen wie die solidarische Lebensleistungsrente als ersten Schritt gegen Altersarmut, die Betriebsrenten ({4}) und die Rentenangleichung zwischen Ost und West stehen uns noch bevor . Auch sie werden wir angehen . ({5}) Zum Thema „Ost und West“ will ich ein paar Sätze mehr sagen . Zurückblickend auf die Zeit der friedlichen Revolution kann man erst einmal festhalten, dass die Rentenüberleitung eine riesengroße Leistung war . Zu DDR-Zeiten und in der Nachwendezeit hatten wir in der ehemaligen DDR extrem niedrige Löhne . Diese sind dann sehr stark hochgewertet worden, damit überhaupt erst einmal Rentenpunkte auf den Rentenkonten der ehemaligen DDR-Bürger gelandet sind . Bei Rentenauszahlung werden sie mit dem Rentenwert multipliziert; so ergibt sich dann die Höhe der Rente . Der Rentenwert ist in Ostdeutschland niedriger als in Westdeutschland . Das Prinzip ist im Grunde immer noch dasselbe: Die Löhne werden hochgewertet . Ein Rentenpunkt ist in Ostdeutschland also leichter zu erwerben; aber der bei Auszahlung angewendete Rentenwert ist niedriger . Im Moment liegt er bei 94 Prozent des Westwertes . Differenzen gibt es aber nicht nur bei Erwerbseinkommen, sondern auch bei Rentenpunkten, die etwa im Rahmen der Mütterrente erworben werden . Auch für sie wird weniger Rente ausbezahlt als in Westdeutschland . Ich höre ganz oft die Frage: Ist denn meine Erziehungszeit in Ostdeutschland weniger wert als die Erziehungszeit in Westdeutschland? ({6}) Auch ich bin ja nicht mehr ganz jung; ({7}) ich war zur Zeit der friedlichen Revolution neun Jahre alt . Aber auch ich persönlich frage mich: Wann kommen wir denn endlich zu einem einheitlichen Rentensystem? Wann vollenden wir die deutsche Einheit in dem Sinne, dass wir auch ein einheitliches Rentensystem in Ost und West haben und wirklich jeder Rentenpunkt gleich viel wert ist? ({8}) Es war ja so gedacht, dass irgendwann automatisch eine Angleichung stattfindet, wenn die Löhne in Ost und  West gleich hoch sind . ({9}) Wenn wir uns die beiden Linien anschauen, dann müssen wir aber feststellen: Sie werden sich womöglich erst am Sankt-Nimmerleins-Tag kreuzen . Deswegen sagen wir ganz klar: Der letzte Schritt muss politisch gemacht werden . Wir haben die Angleichung der Rentensysteme in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt . Wir wollen und werden sie auch umsetzen . Das ist gut für viele Ostdeutsche und beseitigt viele Ungerechtigkeiten, die zwischen Ost und West noch bestehen . Das ist ein Schritt zur echten Vollendung der Einheit . Für uns ist aber auch klar: In vielen Branchen sind die Löhne im Osten deutlich niedriger als in Westdeutschland . Ein Grund dafür ist, dass auch die Tarifbindung deutlich niedriger ist als in Westdeutschland . Daran müssen wir arbeiten . Auch hier wird entschieden, ob wir Rentengerechtigkeit in Deutschland hinbekommen . ({10}) Einen ersten Schritt haben wir übrigens schon gemacht, und zwar durch die Einführung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro in Ost und West . ({11}) Dass der Mindestlohn im Hinblick auf die Renten etwas bringt, zeigt sich an der fast 6-prozentigen Rentenerhöhung im Osten; sie ist ganz eindeutig ein Mindestlohneffekt . Auch weil die Höherwertung irgendwann wegfällt, müssen wir uns um die Niedrigverdiener kümmern . Wir dürfen aber nicht nur die Niedrigverdiener in Ostdeutschland im Blick haben . Es ist überall ungerecht, wenn jemand jahrzehntelang gearbeitet hat und dann weniger oder genauso viel Rente bekommt wie jemand, der gar nicht gearbeitet hat . Deswegen ist uns die solidarische Lebensleistungsrente so wichtig . Sie ist de facto die Höherwertung in Ost und West für Niedrigverdiener . Die solidarische Lebensleistungsrente ist für uns ein erster Schritt zur Armutsbekämpfung . ({12}) Wir als SPD haben das Ohr bei den Menschen, die hart arbeiten . In diesem Sinne werden wir das Rentensystem fortentwickeln . Dazu gehört für uns die Angleichung der Rentensysteme in Ost und West . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Kolbe . - Nächster Redner: Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Daniela Kolbe, zur Ost-West-Rentenangleichung gibt es einen exzellenten grünen Vorschlag, mit dem man die Vereinheitlichung tatsächlich sofort hinbekommen könnte . Den könnten Sie einfach übernehmen . Dann bräuchte man nicht bis 2019 zu warten . ({0}) Zum Thema Rentenniveau und Altersarmut, worum es in dieser Aktuellen Stunde ja gehen soll: Ich darf noch einmal daran erinnern, dass es in dieser Legislaturperiode schon einmal eine große Rentenreform von SPD, CDU und CSU gegeben hat . ({1}) Sie haben es tatsächlich hingekriegt, 10 Milliarden Euro jährlich zusätzlich für die Rente auszugeben, ohne damit irgendetwas gegen die Altersarmut zu tun . ({2}) Die Rentenversicherungsbeiträge werden stärker steigen, und das Rentenniveau, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wird durch Ihre Rentenreform stärker sinken . Jetzt kommt Sigmar Gabriel und sagt, wir brauchen nun einen Rentenwahlkampf mit den Themen „Altersarmut“ und „Stabilisierung des Rentenniveaus“ . ({3}) Das hätte die Regierung machen können . Deshalb ist das völlig unglaubwürdig . ({4}) Er sagt auch nicht, wie das gehen soll . Die Linke ist hier ja wenigstens ehrlich und sagt: Wir wollen die Beiträge dafür anheben . - Das wäre nicht unsere Lösung, weil eine Beitragsanhebung Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen natürlich deutlich stärker belastet als Menschen mit hohem Einkommen . ({5}) Deswegen ist unsere Lösung an dieser Stelle die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung . Dadurch würden wir es tatsächlich hinbekommen, dass die Beitragssätze einigermaßen stabil bleiben, während das Rentenniveau gleichzeitig stabilisiert wird . Der erste wichtige Punkt ist also die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zur Bürgerversicherung . Der zweite wichtige Punkt an dieser Stelle ist ein Mindestniveau in der Rentenversicherung . Die meisten anderen Länder in der Europäischen Union und sogar im gesamten OECD-Raum haben es, Deutschland nicht . Deswegen ist Altersarmut hier schon immer durchaus ein Problem gewesen, insbesondere bei Frauen . Während wir im internationalen Vergleich insgesamt nicht schlecht dastehen, gilt das in Bezug auf die Frauen nicht . Dort stehen wir besonders schlecht da . Unter anderem deswegen, aber auch für die Akzeptanz der Rentenversicherung brauchen wir hier ein Mindestniveau . Wir sagen: Wer den größten Teil seines Lebens Rentenversicherungsbeiträge gezahlt hat, der soll am Ende des Lebens auch eine Rente bekommen, die über dem Grundsicherungsniveau liegt . Das würde zur Akzeptanz der Rentenversicherung führen . ({6}) Damit unterscheidet sich unser Konzept, die grüne Garantierente, von der sogenannten Lebensleistungsrente und auch von der Mindestrente der Linken . Apropos Lebensleistungsrente: Das Copyright auf diese Idee besitzt eigentlich Frau von der Leyen . Das ist also eigentlich kein SPD-Konzept . Sigmar Gabriel sagt jetzt auf einmal aber, dass wir sie unbedingt einführen müssen . Heute Abend diskutieren wir noch über das Nationale Reformprogramm 2016, wofür das Bundeswirtschaftsministerium zuständig ist . In dem Länderbericht der Europäischen Kommission zu Deutschland wurde angemahnt, dass die Lebensleistungsrente endlich umgesetzt wird, und das Nationale Reformprogramm ist eine Reaktion darauf . Wenn man sich die Liste der Maßnahmen dort anguckt, dann sieht man, dass die Lebensleistungsrente dort nicht auftaucht . Vielleicht sollte der SPD-Vorsitzende einmal ein Zweiergespräch mit dem Wirtschaftsminister führen und sich mit ihm einigen, ob die Lebensleistungsrente wichtig ist oder nicht . ({7}) Wir sagen also, wir brauchen diese zwei Bausteine: die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zur Bürgerversicherung und ein Mindestniveau in Form einer Garantierente . Die Rente innerhalb des Rentensystems sollte eben nicht bedürftigkeitsgeprüft, wie die Grundsicherung im Alter oder die Lebensleistungsrente, und auch nicht einkommens- und vermögensgeprüft sein, wie das bei den Vorschlägen der Linken der Fall ist und was auch nur eine verkappte Grundsicherung darstellt, wenn auch auf etwas höherem Niveau . ({8}) Deswegen ist die einzige Lösung gegen Altersarmut und zur Stabilisierung der gesetzlichen Rente tatsächlich die grüne Garantierente . ({9}) Wir brauchen also eine grüne Bürgerrente mit Bürgerversicherung und Garantierente, die armutsfest, nachhaltig finanziert und gerecht ist. Vielen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Wolfgang Strengmann-Kuhn . - Das Wort hat die Kollegin Jana Schimke für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ideen der Linken zur Zukunft unseres Sozialstaats und zum Rentensystem sind uns hinlänglich bekannt . ({0}) Im Wesentlichen geht es immer wieder darum, richtige und gerechte Entscheidungen der Vergangenheit wieder zurückzunehmen . Das Rentenniveau, um das es heute unter anderem auch geht, dauerhaft auf 53 Prozent festzuschreiben, ist eine davon . In der Tat, die Linke wäre nicht die Linke, wenn sie sich an dem momentanen Überbietungswettbewerb rund um das Rentenniveau nicht beteiligen würde . ({1}) Diese Forderung, Herr Birkwald, kann man aufstellen, wenn man  die  demografische  Entwicklung  in  unserem  Land vollends ignoriert, wenn man die gesetzliche Rente mit noch mehr Steuergeld bezuschussen will, weil einem noch mehr Schulden völlig egal sind ({2}) oder weil man trotz Rekordsteuereinnahmen noch stärker als bisher an der Steuerschraube drehen und die Steuerzahler mit noch höheren Beiträgen in die Rentenversicherung belasten will . ({3}) Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, sollten sich in der Diskussion ehrlich machen . Sagen Sie den Beschäftigten gerade der jungen Generation in unserem Land, dass diese dann sehr viel höhere Rentenbeiträge zu zahlen hätten ({4}) und damit am Ende des Monats netto weniger in der Tasche hätten als heute . ({5}) Sagen Sie den Menschen, dass Arbeit in Deutschland künftig noch teurer wird, und zwar auf Kosten bestehender und künftiger Arbeitsplätze, und dass man sehenden Auges die Axt an die Wurzel des Generationenvertrages legt . ({6}) Jeder zusätzliche Prozentpunkt in der Sozialversicherung kostet Jobs . Die Schmerzgrenze von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei Steuern und Beiträgen ist wahrlich erreicht . Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage von Infratest dimap . Danach lehnen 79 Prozent der Beschäftigten noch höhere Rentenbeiträge ab . ({7}) Meine Damen und Herren, die Erfüllung Ihrer Forderungen wie die Anhebung des Rentenniveaus auf Kosten der jungen Generation, die Rücknahme der Rente mit 67 oder die Abschaffung des Nachhaltigkeitsfaktors - wohlgemerkt: einem ganz entscheidenden Merkmal bei der Berechnung der Renten, um überhaupt für Generationengerechtigkeit zu sorgen -, wäre vor dem Hintergrund der demografischen  Entwicklung  eine  fatale  Fehlentscheidung . Deshalb waren und sind die Entscheidungen der vergangenen Jahre richtig . Die Menschen in unserem Land haben verstanden, dass es Einschnitte bei der gesetzlichen Rente geben wird und Eigenvorsorge für das Alter elementar ist. Das alles ungeachtet der demografischen Situation zurückzunehmen, grenzt an politischen Realitätsverlust . ({8}) Natürlich sind wir uns der Folgen einer Niedrigzinspolitik durch die EZB bewusst . Wir stellen fest, dass zusätzliche Belastungen von Betriebsrenten mit Sozialbeiträgen auf Sparer nicht gerade motivierend wirken . ({9}) Wir wissen auch, dass Altersvorsorge gerade bei Geringverdienern ein Problem ist . Aber die richtige Antwort darauf ist doch nicht, dass die betriebliche und private Altersvorsorge gescheitert ist, so wie Sie es in Ihren Anträgen immer wieder behaupten . Die richtige Antwort lautet, Fehlanreize und Bürokratie zu beseitigen, Möglichkeiten der Förderung zu prüfen, Strukturen zu optimieren und das System der betrieblichen und privaten Altersvorsorge damit insgesamt zu verbessern . Das gilt natürlich auch für die Riester-Rente . Die Riester-Rente ist, wohlgemerkt, nicht gescheitert . ({10}) Wir müssen uns gerade auch mit Blick auf die Geringverdiener die Frage stellen: Wie gehen wir mit der Grundsicherung um? Auch darüber diskutieren wir ganz offen . Es gibt nicht wenige, die dafür sind, gerade Empfängern von Grundsicherung Freibeträge für die betriebliche und private Altersvorsorge einzuräumen . Das ist alles richtig . Ich möchte aber etwas anmerken . Ich frage mich immer wieder: Wie ist eigentlich Ihr Bild von Menschen, die wenig verdienen, die möglicherweise keine Ausbildung haben oder die über eine sehr geringe Bildung verfügen? Sie vermitteln den Menschen den Eindruck: Verlasst euch ruhig auf die gesetzliche Rente, wir regeln das schon . - Die Botschaft, die Sie auch immer wieder ausgeben, lautet, dass diese Menschen im Alter sowieso Grundsicherung bekommen und man sich deshalb politisch darauf einstellen müsse . Aber das kann es doch nicht sein . Wir müssen den Menschen frühzeitig und dauerhaft, gerade den jungen Menschen, die heute hier im Plenum auf den Besuchertribünen sitzen, immer wieder klarmachen, dass es im Leben auch darum geht, aufzusteigen, und zwar durch Bildung, dass das Leben eben nicht dadurch gekennzeichnet ist, dauerhaft auf einem Lohnniveau zu verharren und irgendwann einmal Grundsicherung zu bekommen, sondern dass unser Antrieb, auch in der Politik, der ist, ebenjenen Menschen zu einem besserem Einkommen und zu einer besseren Absicherung im Alter zu verhelfen . Ein Weg ist natürlich auch die Wirtschaftspolitik . Sie hängt mit der Rentenpolitik ganz eng zusammen . Eine gute Wirtschaftspolitik sorgt für bessere Löhne und hat damit auch eine bessere Absicherung im Alter zur Folge . ({11}) Das ist zumindest der politische Geist, der mich umtreibt, der mich begleitet und nach dem ich Politik gestalten möchte . ({12}) Deshalb, meine Damen und Herren, geht es bei der Rente eben auch um die arbeitsmarktpolitische Komponente . Denn Rente ist immer noch auch Ausdruck von Erwerbstätigkeit . Das verfolgen wir jetzt auch ganz konkret mit der Flexirente . Wir schaffen zunächst einmal das Bewusstsein, dass sich auch längeres Arbeiten sowohl für Beschäftigte als auch für die Unternehmen lohnt . Der Beruf ist eben nichts mehr, aus dem man von heute auf morgen ausscheidet . Und die Rente ist nichts mehr, in dem man von heute auf morgen feststeckt . Es geht darum, längeres Arbeiten attraktiv zu gestalten . Das ist eine ganz entscheidende Antwort im Umgang mit dem demografischen Wandel und mit der Absicherung im Alter. Mit fast 18 Jahren ist die durchschnittliche Rentenbezugsdauer in Deutschland so lang wie nie zuvor, und sie wird weiter steigen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin .

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sofort fertig .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, Sie sind jetzt fertig .

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich ist es vor dem Hintergrund steigender Lebenserwartung absolut legitim, auch über einen späteren Renteneintritt nachzudenken . Herr Birkwald, in Bezug auf diesen Punkt möchte ich noch einmal meinen Kollegen Wolfgang Schäuble ganz konkret in Schutz nehmen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende .

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sein Vorstoß ist nichts Verwerfliches, sondern eine logische Konsequenz . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Erinnern Sie sich bitte an die Lichter da vorne . - Der Kollege Kapschack ist schon da . Er hat dann auch das Wort für die SPD . ({0})

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr schön . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Bei der öffentlichen Debatte über die Rente hat man manchmal den Eindruck, dass es um ein populäres Schneller, Weiter und Höher, aber nicht so sehr um nachhaltige Konzepte geht . Das bringt Schlagzeilen, aber keine Lösung des Problems . Ja, es ist richtig - das wurde auch angesprochen -, dass wir über das Niveau der gesetzlichen Rente sprechen müssen . Denn es geht nicht zuletzt darum, die Akzeptanz für diese zentrale Säule der Altersversorgung zu erhalten . Klar ist: Wer lange gearbeitet hat, muss auch im Alter eine auskömmliche Rente haben . ({0}) Allerdings ist es so, dass die wenigsten Rentenbezieher 45 Jahre lang durchgearbeitet und Sozialbeiträge gezahlt haben . Das ist aber die Grundlage des Rentenniveaus . In Zukunft werden deutlich mehr Menschen in Rente gehen, die diesem Idealbild nicht entsprechen . Männern und Frauen, die lange arbeitslos waren oder lange in Teilzeit bzw . im Niedriglohnbereich gearbeitet haben, hilft man nicht allein mit der Anhebung des Rentenniveaus . Die Rente ist ein Spiegelbild des Erwerbslebens . Deshalb ist ein zentraler Ansatzpunkt, für gute Arbeit zu sorgen . Der Mindestlohn war ein erster wichtiger Schritt . ({1}) Nur wer ordentlich verdient, kann auf eine ordentliche Rente hoffen und hat die Möglichkeit, auch selbst für das Alter vorzusorgen . Zusätzliche Vorsorge wird auch künftig sinnvoll sein . Die Frage ist nur, wie man sie organisiert und welche Lehren man aus der Vergangenheit zieht - in der Tat . Mehr als 40 Prozent derjenigen, die 1 500 Euro oder weniger verdienen, betreiben keine private oder betriebliche Vorsorge . Für die SPD ist die betriebliche und tarifvertraglich abgesicherte Altersversorgung die beste Form der zusätzlichen Vorsorge . Wir wollen sie stärken . ({2}) Eine Umfrage des nordrhein-westfälischen Arbeitsministeriums unter 10 000 kleinen und mittelständischen Unternehmen hat ergeben, dass es sehr wenig bzw . fast keine arbeitgeberfinanzierte Vorsorge gibt.  ({3}) In rund 40 Prozent findet nicht einmal eine Entgeltumwandlung statt . Die Gründe: Betriebliche Altersversorgung ist zu kompliziert, der Personalaufwand zu hoch . Weil kleine Betriebe mit dem Thema der betrieblichen Altersversorgung oft überfordert sind, muss es nach unserer Ansicht Branchenlösungen geben, die diesen Unternehmen Risiko und Organisationsaufwand abnehmen . ({4}) Tarifvertragliche Lösungen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind nach unserer Meinung der entscheidende Hebel für eine stärkere Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung . Ich bin mir nicht sicher, ob das die Kollegen von der Koalition auch so sehen . Für uns sind tarifvertragliche Lösungen eben nicht nur eine Möglichkeit unter vielen anderen . ({5}) Die Vorteile des Sozialpartnermodells, wie es vom Bundesarbeitsministerium vorgeschlagen wird, liegen auf der Hand . Es ist kostengünstig, bietet passgenaue Lösungen für Branchen, hat eine breite Akzeptanz und führt zu einer Reduzierung der Probleme für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Unternehmenswechsel . Die jüngsten Gutachten bestätigen das . Wenn das Sozialpartnermodell umgesetzt wird, sind die Tarifpartner am Zug, und zwar in der Erwartung, dass sie den neuen Spielraum dann auch nutzen . Bislang haben in der Privatwirtschaft nur etwa 50 Prozent der Beschäftigten Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung.  Um  eine  flächendeckende  Verbreitung  sicherzustellen, halten wir eine gesetzliche Verpflichtung  der Arbeitgeber  zur finanziellen Beteiligung an der betrieblichen Altersversorgung für notwendig . Die gängige Praxis der Entgeltumwandlung wollen wir dabei aber nicht ausweiten; denn das führt zu Mindereinnahmen der Rentenversicherung und zu geringeren Ansprüchen der Versicherten . Es bleibt dabei: Betriebliche Altersversorgung ist für die SPD eine notwendige Ergänzung der gesetzlichen Rente, aber kein Ersatz, um das noch einmal ganz klar zu sagen . Die Debatte über die Reform der Betriebsrenten ersetzt nicht die Diskussion über die Zukunft der gesetzlichen Altersversorgung . Die gesetzliche Rente steht für uns nach wie vor im Mittelpunkt der Alterssicherung . ({6}) Es bleibt auch dabei: Wir wollen eine Erwerbstätigenversicherung . ({7}) Wir wollen die gesetzliche Rente zu einer Erwerbstätigenversicherung umbauen . Das ist nicht nur gerecht; es schafft auch zusätzliche finanzielle Spielräume. Es gibt  noch viel zu tun . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kapschack . - Das Wort hat als nächster Redner Dr . Carsten Linnemann für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Carsten Linnemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004098, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kapschack hat natürlich völlig recht, dass wir keine Schlagzeilen produzieren sollten, sondern die Probleme angehen und um Lösungen ringen . Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke - ich denke dabei an die Äußerungen der letzten Tage -, man muss auch im Sinne der Demokratie aufpassen, dass man nicht Erwartungen schürt, die man am Ende des Tages gar nicht erfüllen kann . Damit bietet man nur der Politikverdrossenheit in Deutschland neuen Nährboden . ({0}) Das wollen wir nicht . Deswegen sollten wir uns an den Fakten orientieren, und das können wir gerne auch in solchen Debatten wie heute machen . ({1}) Die letzte große Rentenreform war 2001 . Wir hatten einen Korridor bis 2030 im Blick . Jetzt sind wir im Jahr 2016 . Das heißt, man geht in die Halbzeitpause, und nach der Halbzeit zieht man Bilanz . Als Bilanz kann man erstens festhalten, dass sich die Bedingungen grundsätzlich nicht geändert haben . Die demografische Entwicklung verläuft so wie damals prognostiziert . Zweitens muss man offen zugeben, dass wir auf jeden Fall Nachjustierungen machen müssen . Werfen wir einen Blick auf die drei Säulen der Alterssicherung . Bei der ersten, der gesetzlichen, Säule ist es, glaube ich, wichtig, dass wir den Schulterschluss von damals erneuern . Wir haben eine Ausbalancierung der verschiedenen Generationen organisiert, indem wir gesagt haben: Auf der einen Seite gibt es als Bremse eine Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent; auf der anderen Seite belasten wir die arbeitende Generation bei den Versicherungsbeiträgen nicht über Gebühr, und langfristig wollen und müssen wir dort, wo es geht, länger arbeiten . Diesen Schulterschluss von damals sollten wir erneuern . Bei der zweiten Säule, der betrieblichen Altersvorsorge, sollten wir daran festhalten, in dieser Legislaturperiode noch etwas zu tun . Das ist auch im Koalitionsvertrag vereinbart worden . Beim Ziel sind wir uns einig, dass wir das attraktiver machen wollen . Ich glaube, der Vorschlag von Wolfgang Schäuble, auch hier über ein Zulagenmodell ähnlich wie bei der Riester-Rente nachzudenken, ist richtig . Was die Riester-Rente angeht, muss man ehrlich sagen: Frau Nahles hat an dieser Stelle recht, dass sich die private Altersvorsorge grundsätzlich immer lohnt . Bei der Riester-Rente gibt es ein Kapitalversprechen, dass auf jeden Fall die eingezahlten Beiträge plus die Zulagen des Staates ausgezahlt werden . ({2}) Aber - das hat Frau Schimke richtig gesagt - die furchtbare Bürokratie, das wenig nachhaltige Denken, dass Riester-Verträge abgeschlossen werden und die Kunden dann zum Teil von dem einen oder anderen im Stich gelassen werden, und die Nachweise über die Bruttolöhne, die jedes Jahr erbracht werden müssen, sind Themen, über die wir reden müssen . Das sollten wir noch in dieser Legislaturperiode machen, damit wir zu entsprechenden Änderungen kommen und Riester attraktiv halten . ({3}) Einen weiteren Punkt hat Frau Schimke auch bereits angesprochen . Wir haben damals im Zusammenhang mit dem Rentenniveau einen Zuschuss zur privaten Altersvorsorge vorgesehen . Wir haben also den Menschen gesagt: Ihr müsst privat vorsorgen . - Man kann aber nicht im selben Atemzug sagen: Dann, wenn ihr in der Grundsicherung seid, nehmen wir euch das Geld wieder weg . Deshalb bin ich froh, dass es auch in diesem Hause einen gewissen Konsens über einen Freibetrag für die private Vorsorge bei der Grundsicherung gibt . Private Vorsorge heißt natürlich auch Eigentum allgemein . Ich glaube, dass wir in den letzten 10 bis 15 Jahren zu wenig über Eigentum und Eigentumsbildung gerade auch bei der Mittelschicht, vor allem beim Wohneigentum, gesprochen haben . Auch solche Dinge sollten wir berücksichtigen . Zu guter Letzt komme ich - Frau Schimke hat das bereits angesprochen - auf die Flexirente zu sprechen . Ich bin froh, dass wir uns in der Koalition geeinigt haben . Die Regierung möchte nun einen Referentenentwurf vorlegen . Ich glaube, es ist ein richtiger Schritt, das längere Arbeiten attraktiver zu machen . Wir sollten nicht mehr von Renteneintrittsalter reden; denn es handelt sich oft nicht mehr um den Eintritt in den Ruhestand . Viele Menschen möchten Rente beziehen und noch Teilzeit arbeiten . Es handelt sich also um ein Rentenbezugsalter, in dem jeder selbst entscheiden kann, wie viel und wie lange er weiterarbeiten will . Diejenigen, die länger arbeiten und Beiträge zahlen, sollen mehr Rente bekommen . Deswegen ist es richtig und wichtig, dass die Flexirente jetzt kommt . Das ist das richtige Signal zur richtigen Zeit . ({4}) Ich habe noch 20 Sekunden . Deswegen komme ich zum Schluss . Grundsätzlich sollte sich die Rentenpolitik zwischen zwei Polen bewegen . Auf der einen Seite sollten wir für die Menschen da sein, die länger arbeiten wollen, aber nicht können . Ich denke hier insbesondere an die Erwerbsgeminderten . Auf der anderen Seite sollten wir für diejenigen, die länger arbeiten wollen und können, Anreize schaffen und sie belohnen . Ich bin im Zeitfenster geblieben . Herzlichen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . Das war fast eine Punktlandung . - Als letzter Redner hat jetzt der Kollege Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter Redner hat man die Gelegenheit, die Argumente etwas zu ordnen und die Debatte zusammenzufassen . Was uns in der Rentenpolitik verbindet, sind vor allem Vertrauen und Verlässlichkeit . Das ist das, was die Menschen von uns einfordern . Deswegen gingen Kurzatmigkeit und Schnappatmung als Leitlinien, wie wir es häufig aufseiten der Linken erleben, in die falsche  Richtung. Hier findet oft ein regelrechter Überbietungswettbewerb statt . Herr Birkwald, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie sich als Erster zum Überbietungswettbewerb zu Wort gemeldet haben . Das ist für Sie so etwas wie ein Lebenselixier . Das, was die Linke in diesem Bereich tut, ist nichts anderes als Selbstrechtfertigung . Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass es der gegenwärtigen Rentnergeneration schlecht geht oder dass sie sich massenhaft in der Altersarmut befindet. Das  genaue Gegenteil ist richtig . Der heutigen Rentnergeneration geht es so gut wie keiner anderen zuvor . Wir sind es im Übrigen gewesen, die zum ersten Mal seit vielen Jahren die Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung gestärkt haben . Wir haben Leistungserweiterungen durchgesetzt . Wir waren es, die die Mütterrente durchgesetzt haben . Sie kommt vor allem denjenigen zugute, die vor 1992 Kinder erzogen haben . Sie ist ein wichtiger Beitrag für das Generationenband und für diejenigen, die Kinder erzogen haben . Sie kommt den Menschen in diesem Land zugute . ({0}) Wir haben zugleich das Niveau in der gesetzlichen Rentenversicherung stabilisiert . Ja, wir sind in der Rentenversicherung  dem  demografischen  Wandel  ausgesetzt . Das hat viel mit der Geburtenrate, aber auch mit der steigenden Lebenserwartung zu tun . Das beste Mittel gegen Altersarmut und für Generationengerechtigkeit ist eine Politik für Wachstum und Beschäftigung; denn die Rente von morgen bemisst sich nach den Einnahmen von heute . Da sind wir ein gutes Stück vorangekommen . Wir brauchen möglichst viele gut bezahlte Arbeitsplätze . Wir verzeichnen heute ein Allzeithoch bei der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und die niedrigste Aprilarbeitslosigkeit seit 1991 . Gleichzeitig haben wir den Mindestlohn durchgesetzt . Das ist ein wichtiger Schritt dahin gehend, dass gute Arbeit auch angemessen entlohnt wird . Dass unsere Politik für Wachstum und Beschäftigung wirkt, zeigen die höchste Rentenanpassung seit 23 Jahren und ein Beitragssatz, der so niedrig ist wie vor 30 Jahren . Einen Beitragssatz von 18,7 Prozent gab es auch 1985 . Das zeigt: Wir sind sehr zuverlässig und sehr gut aufgestellt . Wir würden sicherlich keine Debatte über die Rente führen, wenn die derzeitige Situation auf dem Kapitalmarkt nicht so niedrige Zinsen generieren würde . Die Rente ist sicherlich weiterhin die zentrale Säule der Altersvorsorge . Wer arbeitet und für sein Alter vorsorgt, muss im Ruhestand besser dastehen als jemand, der dies nicht getan hat . Deswegen ist der Dreiklang aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge richtig . Aber die Debatte, die wir derzeit führen, hat natürlich auch etwas mit der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank zu tun . Deutschland ist das Land der Sparer, der Mieter und der Lebensversicherungsbesitzer, deshalb sind es jene, die momentan infolge dieser Politik der Europäischen Zentralbank den Preis zahlen . Natürlich wissen wir, dass die niedrige Inflationsrate in diesem Bereich hilft . Allerdings hat die Nullzinspolitik vor allem einen psychologischen Effekt: Nullzinsen - das entwertet das Sparen, und man hat das Gefühl, dass es einer Altersvorsorge nicht mehr bedarf bzw . diese unattraktiv ist, obwohl eigentlich genau das Gegenteil richtig ist: Man müsste mehr Geld zurücklegen, damit man den Lebensstandard im Alter tatsächlich wahren kann . Deshalb brauchen wir weniger Wall Street innerhalb der Geldpolitik, mehr Bundesbank, und vor allem: Es gibt keine Alternative zu stabilen Staatsfinanzen und guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen . Wenn sich auch die südeuropäischen Staaten auf den Weg machen würden, Reformen hartnäckig durchzuführen, dann gäbe es auch eine Chance dahin gehend, dass die Europäische Zentralbank schnell ihre Zinspolitik ändert . Angesichts dieses zinspolitischen Umfelds müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie wir das Sparen für Geringverdiener verbessern und ein Renteneinkommen über dem Grundsicherungsniveau für Menschen mit Erwerbsminderung sichern können . Wir als Große Koalition diskutieren, entscheiden und beschließen . So halten wir es auch in der Rentendebatte . Hektik ist in der Rentenpolitik sicherlich der falsche Ratgeber, und auf die lange Bank schieben wir sie auch nicht . Herzliches Dankeschön . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aktuelle Stunde beendet . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2015 ({0}) Drucksache 18/7250 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen, und eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Herr Dr . Hans-Peter Bartels . - Bitte schön . Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ende Januar habe ich dem Bundestagspräsidenten meinen ersten Jahresbericht, den Bericht für das Jahr 2015, übergeben . Das Hauptmotiv, das diesen Bericht prägt, lautet: „Bundeswehr am Wendepunkt“ . Warum Wendepunkt? Dieses Jahr, 2016, muss aus meiner Sicht das Jahr der Trendwende werden . Die Trendwende muss jetzt erfolgen, nicht irgendwann . Fast ein Vierteljahrhundert lang sind die deutschen Streitkräfte kontinuierlich kleiner geworden, und sie konnten auch kleiner werden, weil das Ende des Kalten Krieges endlich eine enorme Friedensdividende ermöglichte . Deshalb gab es von Jahr zu Jahr, von Reform zu Reform immer weniger Soldatinnen und Soldaten, weniger Zivilbeschäftigte, weniger Standorte und weniger Kasernen, weniger Fahrzeuge, Waffen und Munition und einen immer geringeren Anteil der Verteidigungsausgaben am Bundeshaushalt und am Bruttoinlandsprodukt - im letzten Jahr 1,16 Prozent . Frankreich kommt auf 1,8 Prozent, Großbritannien auf 2 Prozent und die USA auf 3,6 Prozent . Nach der neuesten Stärkemeldung vom März 2016 stehen derzeit 177 000 aktive Soldatinnen und Soldaten im Dienst der Bundeswehr, so viele wie schon im Dezember 2015 . Das ist weit entfernt vom Ziel 185 000, und selbst 185 000 würden nicht ausreichen, weil manche Bereiche einfach zu knapp ausgeplant sind . Beispiel FlaRak: Der Türkeieinsatz unseres Patriot-Geschwaders hat gezeigt, dass zu viele Soldaten nach zu kurzer Zeit wieder antreten mussten, weil die Personaldecke einfach zu kurz ist . Beispiel Luftbildauswertung: Die einzige Staffel, die das kann, ist schon in Afghanistan und in der Türkei im Einsatz, bald auch noch in Mali . Damit leisten die Soldaten Dienst weit jenseits des Limits . Beispiel Sanität: Hier ist viel zu wenig Vorsorge getroffen für den ganz normalen, völlig korrekten und erwartbaren Schwund bei Urlaub, Krankheit, Dienstzeitausgleich, Mutterschutz, Elternzeit, Lehrgängen, Auslandseinsatz oder schlicht Vakanzen, weil es zu wenig Nachwuchs gibt . Das spüren die Soldatinnen und Soldaten dann oft durch eine lückenhafte sanitätsdienstliche Versorgung in der Fläche . Die Ärzte, Assistenzkräfte und Notfallsanitäter sollen Lücken stopfen, indem einer für zwei arbeitet . Gesund ist das nicht . Ich freue mich deshalb, dass das Ministerium jetzt beginnt, auf diese Lage zu reagieren, und hohle Strukturen durch zusätzliches Personal auffüllen will . Das ist dringend nötig . Es erfordert Geld . Und dann muss man natürlich auch noch den Nachwuchs finden. Aber die Bundeswehr hat zu viele wichtige Aufgaben - NATO Response Force, Reassurance, Afghanistan, Irak, Balkan, Mali, Mittelmeer, Anti-IS -, als dass man die vielen personellen Fehlanzeigen einfach so weiter hinnehmen könnte . Seit dem Epochenjahr 2014, Stichwort „Krim“, ist für uns kollektive Verteidigung in Europa wieder ein Thema . Das heißt, die Bundeswehr, die auf dem Papier steht, muss jetzt tatsächlich in der Realität existieren . Im Zusammenhang mit den Personalfragen macht mir, wenig überraschend, auch das Thema Soldatenarbeitszeitverordnung Sorgen . Dazu gibt es viele Eingaben, und es ist ein Hauptthema vieler Gespräche bei meinen Truppenbesuchen . Beklagt werden vor allem mangelnde Flexibilität, befohlener Dienstzeitausgleich mitten in der Woche - für Pendler eine Zumutung -, Kürzung von Ausbildungsinhalten, um mit der Zeit auszukommen, befohlene Freizeit während mehrtägiger Übungen auf dem Truppenübungsplatz und bisher keine Auszahlung von Mehrarbeit, was für viele Soldaten wie eine Gehaltskürzung wirkt . Ich glaube, wenn die neue Verordnung zum Erfolg geführt werden soll - ich finde, sie sollte zum Erfolg geführt werden -, brauchen wir hier eine schnelle Reaktion auf erkannte Probleme . Man darf nicht ein halbes Jahr warten, bis evaluiert wird . Man darf nicht ein ganzes Jahr warten, bis über die Auszahlung von Überstunden entschieden wird . Man darf nicht auf superneue Software warten . Die Soldatinnen und Soldaten brauchen Rechtssicherheit, Handlungssicherheit und lebenspraktische Lösungen, die in ihrem Bereich auch funktionieren . Am Beispiel Wilhelmshaven sehen wir im Übrigen, dass manche existenziellen Fragen der neuen Rechtslage einfach nicht rechtzeitig bedacht wurden . Wenn die Soldaten Arbeitszeit sparen sollen und unsere großen Schiffe deshalb keine eigene Wache mehr haben, können diese Schiffe im Hafen auch nicht mehr als Unterkunft dienen - logisch . Wenn die Soldaten also nicht mehr an Bord schlafen können, müssen sie an Land schlafen . Aber da gibt es für die Einsatzflottille 2 gar keine zusätzlichen Unterkünfte . Die Frustration in Wilhelmshaven ist erheblich; man muss sich kümmern - zügig . Was die Infrastruktur angeht, braucht die Bundeswehr ohnehin eine Trendwende . Allzu viel ist bisher abgegeben worden . Wer glaubt, es gebe für jede Soldatin und jeden Soldaten ein Bett und einen Spind in einer Stube einer Kaserne der Bundeswehr, der irrt sich gewaltig . Gerade für die vielen Pendler ist kein Platz mehr da . Die Unterscheidung  zwischen  Unterkunftspflichtigen  -  das  sind die bis 25-Jährigen - und Nichtunterkunftspflichtigen - das sind in der Praxis nichtunterkunftsberechtigte Soldaten - ist ein Anachronismus aus den Zeiten der großen jungen Wehrpflichtarmee.  Heute haben wir eine sehr viel ältere Armee, eine Familienarmee und deshalb eine Pendlerarmee . Nach Zahlen des Ministeriums pendeln insgesamt 70 Prozent der Soldaten . 40 Prozent sind Wochenendpendler . Längst nicht alle bekommen Trennungsgeld . Sie hätten gern einen günstigen Platz in der Kaserne . Ich weiß, dass es dazu im Ministerium unterschiedliche Auffassungen gibt . Deshalb freue ich mich umso mehr, dass die Ministerin in die Diskussion darüber eintreten will . Ich sage, was die Attraktivität der Bundeswehr angeht: Attraktiv heißt pendlerfreundlich . Zur Attraktivität gehört auch das Thema, mit dem ich meinen Dienst im neuen Amt begonnen habe: die Vollausstattung der Bundeswehr . Wenn man seinen Beruf nicht ausüben kann, weil das Material, an dem man ausbilden und üben soll, fehlt, ist der Beruf nicht attraktiv . Aber darüber hinaus geht es auch um Gesundheit und Leben; denn wenn zu Hause das Gerät für Ausbildung und Übung nicht da ist, kann das im Einsatz gefährliche Folgen haben . Meine Vorgänger im Amt, Hellmut Königshaus und Reinhold Robbe, haben dem Parlament über entsprechende Klagen aus den Einsatzgebieten auf dem Balkan und in Afghanistan berichtet . Ich hatte aus gutem Grund meinen ersten Besuch im neuen Amt bei dem deutschen Gefechtsverband für die neue NATO-Speerspitze, die VJTF, auf dem Truppenübungsplatz in Munster angemeldet . Die Präsentation dort war ein Weckruf, den man nicht mehr ignorieren kann . Die Truppe um das Panzergrenadierbataillon 371 war hoch motiviert und voll ausgerüstet . Um aber voll ausgerüstet zu sein, hatte man sage und schreibe 15 000 einzelne Dinge aus 56 anderen Verbänden der Brigade, der Division, des Heeres und der übrigen Bundeswehr ausleihen müssen: vom Panzer bis zur persönlichen Ausstattung . Das hat Monate gekostet, und bei den anderen fehlte dann natürlich noch mehr Material für Ausbildung und Grundbetrieb . Dieses Hin-und-her-Leihen, diese systematische Mangelverwaltung wird von den Soldatinnen und Soldaten heute mit zusammengebissenen Zähnen ertragen, aber es macht sie in Wahrheit sehr unfroh . Ich sage: Es ist eine Zumutung . ({2}) Deshalb: Mit der Verbesserung der Ausstattung muss jetzt begonnen werden . ({3}) Selbst wenn es unpopulär wäre, müsste es mehr Mittel für die Bundeswehr geben . Aber es ist gar nicht unpopulär . Die Mehrheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger stimmt in Umfragen zu, wenn es um finanzielle Verbesserungen für die Bundeswehr geht . Lassen Sie mich abschließend Dank sagen für das Interesse, die Offenheit und die Diskussionen, mit denen Sie meine Arbeit begleiten . Ich bin dankbar, dass Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen wirklich aller Fraktionen stattfinden. Da geht es um Themen wie den Umgang  mit den „Radarsoldaten“ oder das Langzeitthema PTBS; viel ist da besser geworden, aber Wartezeiten von drei bis sechs Monaten bis zum Therapiebeginn sind immer noch definitiv  zu  lange.  Es  geht  um  das  Beurteilungswesen  und die Situation von Frauen in der Bundeswehr; da ist längst noch nicht alles im Lot . Wir haben uns über Probleme bei der Errichtung von Feldlagern ausgetauscht; ich sage nur: Erbil . Wir haben gemeinsam den Einsatz von bis zu 8 000 Bundeswehrsoldaten in der Flüchtlingshilfe diskutiert . Super, dass diese schnelle Hilfe möglich war . Gut, dass das jetzt wieder zurückgefahren werden kann . Amtshilfe im Innern darf nie zur Daueraufgabe werden . Zu guter Letzt sage ich den Soldatinnen und Soldaten Dank, denen, die mit ihren Eingaben auf Verbesserungen drängen, und denen, die wissen, dass sie das jederzeit tun können . Ich danke meinen Ansprechpartnern im Ministerium und in den Dienststellen für ihre ganz überwiegend konstruktive Haltung und natürlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Amt des Wehrbeauftragten, ohne die meine Arbeit gar nicht möglich wäre . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Herr Wehrbeauftragter, Sie haben dem Parlament für die Anregungen gedankt . Lassen Sie mich, auch im Namen des gesamten Hauses, Ihnen und Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für die Vorlage des Jahresberichts 2015 danken . Für uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ist dieser Bericht sehr wertvoll, damit wir unsere Verantwortung für die Bundeswehr, die eine Parlamentsarmee ist, auch wahrnehmen können . Herzlichen Dank dafür! ({0}) Als Nächstes erteile ich der Bundesministerin Dr . Ursula von der Leyen das Wort . - Bitte schön, Frau Ministerin . ({1})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Wehrbeauftragter Herr Bartels, wir diskutieren heute Ihren ersten eigenen Bericht als Wehrbeauftragter . Sie haben im Vorwort dieses Berichts mit dem Satz geschlossen - ich zitiere -: „Veränderung zum Besseren beginnt damit, auszusprechen, was ist .“ Ich kann nur feststellen, dass diese Haltung sich nicht nur durch Ihr erstes Jahr als Wehrbeauftragter zieht, sondern nahtlos auch durch die Tätigkeiten, in denen ich Sie vorher schon erlebt habe . Sie bleiben sich da treu . Es ist ein gutes Motto, mit dem wir gemeinsam vorangehen können . Sie sind jetzt seit einem Jahr der zwölfte Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der Anwalt unserer Soldatinnen und Soldaten oder, wie Sie selber einmal gesagt haben, - ich zitiere - „eine Art wandelnder Untersuchungsausschuss“ . Gewandelt sind Sie im letzten Jahr fürwahr häufig. Sie  haben aus 35 Truppenbesuchen im In- und Ausland Ihre Eindrücke mit nach Hause gebracht, von Augustdorf bis Wilhelmshaven, von Ämari bis Bamako . Als ich zuletzt vor zwei Tagen, am Dienstag, mit Ihnen telefoniert habe, da waren Sie in Thessaloniki, kamen aus der Ägäis und wollten nach Incirlik . Ich kann nur sagen: Chapeau! Die Bundeswehr ist an einem Wendepunkt, so haben Sie es eben noch einmal beschrieben und schon im Januar in Ihrem Jahresbericht festgestellt . Sie meinen damit den Wendepunkt nach 25 Jahren des kontinuierlichen Schrumpfens im Hinblick auf Personal, auf Material und Dr. Hans-Peter Bartels vor allem auch im Hinblick auf Finanzen . Für diesen Schrumpfungsprozess gibt es viele Gründe . Einige haben Sie eben genannt; das auszuführen, würde den Rahmen sprengen . Es ist aber in den letzten zwei Jahren deutlich geworden, dass diese Schrumpfung auf eine neue Realität mit einer wachsenden Zahl von Aufgaben und Einsätzen geprallt ist . Schrumpfen auf der einen Seite und mehr Aufgaben auf der anderen Seite, das passt einfach nicht zusammen . Wir haben eine neue sicherheitspolitische Lage . Wir haben im letzten Jahr viel darüber in unseren Workshops im Rahmen des Weißbuch-Prozesses diskutiert . Deswegen haben auch wir angefangen, kritisch zu hinterfragen . Viele der Ergebnisse kennen Sie, meine Damen und Herren; denn Sie als Parlament haben uns dabei den Rücken gestärkt . Da ist zunächst der Wendepunkt, den wir mit dem Haushalt 2016 eingeleitet haben . Das muss sich jetzt verstetigen; der Wehrbeauftragte hat es eben auch angemahnt . Wenn die Vorgaben des Eckwertebeschlusses des Kabinetts für 2017 im Großen und Ganzen so vom Bundestag mitgetragen werden, dann wäre das ein substanzieller Zuwachs, wie wir ihn im letzten Vierteljahrhundert nie gehabt haben . Das ist notwendig, sachgerecht und eine wichtige Trendwende für die Bundeswehr . ({0}) Das gilt auch für Material und Ausrüstung . Auch hier haben wir in den letzten Monaten eine Wende eingeleitet - hier darf ich den Wehrbeauftragten zitieren, der zu Recht von einer „Mangelverwaltung“ gesprochen hat hin zu einer substanziellen, das heißt am tatsächlichen Bedarf orientierten Ausstattung für die Aufgaben, die wir tatsächlich haben . Wir stehen da am Anfang eines schmerzhaften Prozesses . Denn es wird die Lücke offenbar, die zwischen den Mitteln auf der einen Seite - damit meine ich nicht nur Finanzmittel, sondern auch die Ausstattung - und den Aufgaben auf der anderen Seite klafft, die die Bundeswehr zu bewältigen hat . Aber ich glaube, wir haben Einigkeit darüber hier im Hohen Hause, dass diese selbstkritische Schau unverzichtbar ist; denn im Kern wollen wir dahin, dass wir zu jeder Zeit für jeden neuen Auftrag möglichst gut aufgestellt sind . „In der Lage leben“ heißt das in der Truppe . Das gilt auch fürs Personal, für die Menschen, die diese steigenden Aufgaben zu bewältigen haben . Auch hier ist eine Trendwende nötig . Wir haben lange mit starren Obergrenzen gelebt . Damit ist niemandem mehr gedient; der Wehrbeauftragte hat es eben auch ausgeführt . Zu lange war die Grundhaltung: Abbau, schrumpfen, weniger . „kw“ ist, glaube ich, ein Synonym, das dafür steht, nämlich „kann wegfallen“ . Wir können uns vorstellen, was das mit einer Organisation macht, die immer nur in der Reduktion denkt. Aber in Zeiten des demografischen  Wandels und vor allen Dingen in Zeiten des Fachkräftemangels muss man genau andersherum denken und handeln . Man muss Menschen gezielt ansprechen, man muss sie für uns, für die Bundeswehr, interessieren . Wir müssen Fachkräfte ausbilden, wir müssen Fachkräfte halten . Das ist schwer bei der Konkurrenz, die wir am Markt haben . Ich glaube, wir sind uns nach dem, was ich in den letzten Wochen gehört habe, einig, dass wir gemeinsam auch behutsam darüber sprechen müssen, ob wir Lebenserfahrung und Berufserfahrung in unserer Bundeswehr eigentlich genug würdigen . Das heißt in Summe: Wir müssen zu einem atmenden Personalkörper kommen . Hier wird sich einiges verändern . Damit komme ich zum nächsten Punkt . Wir wollen die Menschen, die bei uns arbeiten und Dienst tun, nicht überfordern, aber auch nicht unterfordern . Das ist das Thema bei der Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie, die in der Tat einiges Grummeln erzeugt . Das wundert mich auch gar nicht . Ich kenne die Bedenken, ich kenne die kritischen Stimmen . Aber wenn man so etwas Neues einführt, dann ist es selbstverständlich, dass es am Anfang ruckelt . Ich möchte dazu einige Bemerkungen machen . Ich finde, wenn es in 14 europäischen Armeen gelungen ist, die EU-Arbeitszeitrichtlinie umzusetzen, dann können auch wir Transparenz herstellen bei der Frage, wie wir die Zeit anlegen, die wir für die Aufgaben haben, und der Frage, wie viel Zeit wir verbrauchen . Das wird auch nicht unsere Einsatzbereitschaft lähmen; denn wir reden hier ausschließlich vom Grundbetrieb . Wir reden nicht von den Einsätzen, wir reden auch nicht von wesentlichen Teilen des Übungsbetriebes . Für uns ist die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie ganz klar eine Frage der Fürsorge für unsere Beschäftigten . Ich nehme gerne den Punkt des Wehrbeauftragten auf, dass man nicht zu viel Zeit verstreichen lassen sollte, gerade bei den Beispielen, die er genannt hat . Das sind Ausreißer, die so nicht sein sollen . Das steht so auch nicht in der Arbeitszeitrichtlinie und ihren Ausführungsbestimmungen . Diesen Dingen muss man sofort nachgehen . Man muss sie sofort abstellen . Aber - darin sind wir uns einig - wir müssen zusammen ein Bündel an Beurteilungen, Evaluationen sammeln, um dann in Kürze im Sommer den runden Tisch zu haben, um all die Dinge, die aufgetreten sind, auch abstellen zu können, wenn sie stören . Ein weiterer Punkt. Ich finde, es ist ganz entscheidend,  Transparenz über unsere Organisation herzustellen . Wir müssen der Frage nachgehen, wie wir mit Zeit umgehen . Sind es die Soldatinnen und Soldaten, die den Dienstherrn mit Zeit subventionieren? Stimmt die Personalbemessung, oder verlangen wir von ihnen mehr Zeit, um Aufgaben zu erledigen, für die zu wenig Personal vorhanden ist? Wenn ich dem Finanzminister plausibel darlegen möchte, warum wir gegebenenfalls mehr Personal brauchen, dann muss ich Daten und Fakten haben . Dafür müssen wir messen . Letzter Punkt . Eine Wende brauchen wir auch bei dem Thema „angemessene Unterkünfte“, Stichwort: Sanierungsstau . Wir haben ein gründliches Screening von fast 2 500 Unterkunftsgebäuden gemacht . Das wird jetzt halbjährlich aktualisiert . Das Sofortprogramm ist auf den Weg gebracht worden . Sie kennen die Zahlen . Wir haben rund 3 600 erste Verbesserungsmaßnahmen umgesetzt, 1 900 sind in Planung . In Gesprächen mit dem Finanzministerium ist es gelungen, 400 große Bauvorhaben im Volumen von rund 2,5 Milliarden Euro vorzuziehen . Bis 2019 werden sie beschleunigt beendigt sein . Der Großteil ist bereits genehmigt . Ob das dann reicht, um auch den nötigen Raum für unsere Pendlerinnen und Pendler zu schaffen, lieber Herr Wehrbeauftragter, werden wir beide in der nächsten Woche in unserem Arbeitsgespräch miteinander diskutieren . Damit bin ich am Schluss . Wir können uns keine Verschnaufpause gönnen . Es ist gut, dass wir einen umsichtigen Wehrbeauftragten haben . Auch ich möchte an dieser Stelle Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für eine konstruktive, unaufgeregte Zusammenarbeit und ihr Engagement zum Wohle unserer Soldatinnen und Soldaten von Herzen danken . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herzlichen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke . Bitte schön . ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bartels! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten Herrn Bartels beginnt mit der Forderung nach Vollausstattung der Bundeswehr und materieller Einsatzbereitschaft sowie mit Problemen bei der Beschaffung von Ausrüstung, obwohl die Statistik zeigt, dass es sich bei fast allen Eingaben an den Wehrbeauftragten um Probleme wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Beförderungsstau oder Schikanen von Vorgesetzten handelt . Ich betone das; denn seit Herr Bartels von der SPD der Wehrbeauftragte geworden ist, hat sich die Berichterstattung leicht verändert . Der Jahresbericht 2013 unter dem damaligen Wehrbeauftragten Herrn Königshaus begann mit den Kapiteln zu Führungsverhalten  und  Umgangston,  zu  Dienstpflichtverletzungen und fremdenfeindlichen Vorfällen in der Bundeswehr . Herr Bartels aber nutzt den Bericht, um zuallererst der weiteren Aufrüstung und der Aufstockung der Bundeswehr sowie der Erhöhung des Rüstungsetats das Wort zu reden . Mir drängt sich der Eindruck auf, dass Sie sich mit der Ministerin gegenseitig die Bälle zuspielen, anstatt die sozialen, dienstrechtlichen und disziplinarischen Probleme ins Zentrum zu stellen . Die Linke sagt: Das ist nicht in Ordnung . ({0}) Haben Probleme in der Bundeswehr, wie der Umgang mit Untergebenen, an Bedeutung verloren? Nein . Erstens, die Zahl der Eingaben von Soldatinnen und Soldaten bleibt insgesamt auf unvermindert hohem Niveau . Zweitens ist kein Bereich derart häufig Gegenstand von  Beschwerden wie der Bereich Menschenführung und soldatische Ordnung . Der Bericht gibt selbst einige Beispiele dafür, wie Untergebene in vulgärer Form von ihren Dienstvorgesetzten beschimpft werden oder ihnen mit Gewalt bis hin zur Exekution gedroht wurde . Es ist gut, dass der Bericht so etwas offenlegt . Aber zur Wahrheit gehört auch: Solche Rohheiten sind keine Einzelfälle in der Bundeswehr . Wie wenig die Realität mit den Hochglanzbroschüren der Rekrutierungskampagnen des Verteidigungsministeriums zu tun hat, hat jüngst ein Stern-Reporter aufgedeckt, der undercover als Freiwilliger bei der Bundeswehr gewesen ist . Er berichtete von sinnentleerten Diensten und überbelegten Stuben sowie von rohen Vorgesetzten, etwa einem Feldwebel, der die Afghanen rassistisch als „Terroristen“ und - Zitat - „völlig bekiffte Ziegenficker“  beschimpfte . Ich sage: Auch das ist ein Ergebnis des nun bald 15 Jahre alten Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr . Während der Bundeswehreinsatz in Afghanistan vor allen Dingen eine korrupte Regierung und unzählige Tote hinterlassen hat, bringt er nach Deutschland Soldatinnen und Soldaten zurück, die zum Teil durch Gewalterfahrungen gebrochen wurden, die demoralisiert oder zynisch geworden sind . Ich sage Ihnen: Einsätze der Bundeswehr - und eine Trendwende in diese Richtung sollte es geben - lösen im Ausland keine Probleme, aber schaffen dafür viele neue bei uns zu Hause . ({1}) Das alles sind Gründe, warum sich immer weniger Menschen freiwillig zum Wehrdienst verpflichten. 2015  ist die Zahl um 10 Prozent gesunken . In jedem Quartal brachen darüber hinaus zwischen einem Viertel und einem Drittel der Freiwilligen ihren Dienst ab . Das Ministerium sagt: „Mach, was wirklich zählt .“ Damit möchte die Ministerin junge Leute in die Bundeswehr locken . Ein besserer Rat wäre: Lasst euch nicht verheizen . ({2}) Der Bundesregierung geht es nicht um die Zukunftschancen junger Menschen . Es geht ihr - da ist die Verbindung zur Debatte um das Weißbuch - ganz klar um geostrategische und wirtschaftliche Interessen . Das zeigt auch, wo ihre Prioritäten liegen . So ist man im Allgemeinen ganz schnell, wenn es darum geht, Einsätze und Einsatzgebiete auszuweiten - beispielsweise in Syrien oder Mali: Mandate wurden in kürzester Zeit beschlossen und dann auch umgesetzt . Doch im vorliegenden Bericht müssen wir lesen, dass für die „einsatzrelevante Verbrennungsmedizin … seit Jahren nur noch eine sehr eingeschränkte Versorgungskompetenz vorgehalten wird“ . Ich frage Sie: Was heißt das im Ernstfall für die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten? Ein weiteres Beispiel für ihre Prioritäten: Im Bericht heißt es, dass die im malischen Koulikoro eingesetzten Soldatinnen und Soldaten weder eine Internetverbindung nutzen noch den Soldatensender Radio Andernach empfangen können, sodass sie - zweieinhalb Jahre, nachdem der Einsatz begonnen hat - von dem Terroranschlag im 60 Kilometer entfernten Bamako im letzten November über privaten Mobilfunk aus Deutschland erfahren haben . Das ist doch absurd . ({3}) Sie haben Geld für die Einsätze, aber nie genug Geld für die Menschen . Insofern heißt Trendwende für uns, für die Linke: Die Bundeswehr muss abgerüstet werden, der Rüstungsetat muss reduziert werden, ({4}) die Auslandseinsätze beendet werden . Das ist nicht nur ein Schritt zu einer Friedenspolitik, sondern es ist auch die Antwort auf viele der Probleme, mit denen sich die Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Familien herumschlagen müssen . Vielen Dank, meine Damen und Herren . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Heidtrud Henn das Wort . ({0})

Heidtrud Henn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004300, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Hans-Peter! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Soldatinnen und Soldaten auf der Besuchertribüne! ({0}) - Ich habe elf Minuten Redezeit . Sie ist nicht gleich abgelaufen . ({1}) Auch mein Dank geht an den Wehrbeauftragten für seinen Bericht, aber nicht nur an ihn, sondern auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Hauses . Sie alle leisten nicht nur eine besonders wertvolle Arbeit bei der Erstellung des Jahresberichtes, sondern Sie helfen mit Ihrer täglichen Arbeit den Soldatinnen und Soldaten und tragen damit zur Verbesserung der Bundeswehr als Arbeitgeber bei . Sie sind eine tolle Truppe, und jeder Einzelne von Ihnen ist unverzichtbar . 4 108 Eingaben sind im letzten Jahr von Ihnen bearbeitet worden . Hinter jeder Eingabe steht ein Mensch, der sich erst einmal die Mühe machen muss, sich hinzusetzen und darzulegen, warum er oder sie sich an den Wehrbeauftragten wendet . Das kostet nicht alle, aber den einen oder anderen vielleicht auch Mühe und Mut . Ich kann nur dazu ermuntern, Sand im Getriebe zu sein . Denn auch ein persönliches Problem kann, wenn es erst einmal auf dem Tisch ist, zur Verbesserung für alle beitragen . ({2}) Insofern sollte auch ein Dank an alle gehen, die sich an den Wehrbeauftragten wenden . „Die Bundeswehr am Wendepunkt“, das ist der Titel, mit dem unser ehemaliger Kollege Dr . Hans-Peter Bartels seinen ersten Bericht vorgestellt hat . Mit Wendepunkten ist das so eine Sache, bei der Bundeswehr wie bei uns allen im Privat- oder Berufsleben . Wer an einem Wendepunkt ankommt, kann nicht mehr einfach so weitergehen wie bisher . Im Vorwort seines sachlichen Berichts greift der Wehrbeauftragte fast schon ein wenig anrührend auf, was ich bei meinen Besuchen und Gesprächen erlebe: Trotz Mangel an Personal und Material erfüllt die Bundeswehr ihre Aufgabe . Ich habe große Achtung vor Ihnen, liebe Soldatinnen und Soldaten, wie schnell und gut Sie organisieren können und Ihre Aufgaben umsetzen . ({3}) Ich möchte insbesondere die Hilfe der Bundeswehr für Flüchtlinge betonen . Hier hat manche Hand mehr geholfen, als der Tag Arbeitsstunden hat; ich habe mir in Lebach ein Bild davon machen können . Es ist lobenswert, dass die Menschen bei der Bundeswehr persönliches Engagement und Zusammenhalt zeigen . Aber bei allem Lob für diese Eigeninitiative und Kreativität: Wir als Abgeordnete können diesen Mangel, diese Baustellen bei der Bundeswehr nicht hinnehmen . Wir tragen Verantwortung für die Menschen, die für uns Verantwortung tragen, und für deren Familien auch . Ich will gleich bei einer Baustelle im wahrsten Sinne des Wortes beginnen, und zwar direkt in meiner alten Heimat, im schönen Kreis Birkenfeld in Rheinland-Pfalz . ({4}) Fehlende Ausrüstung und schlechte Infrastruktur, beides ist leider immer noch an der Tagesordnung . Ich will beim Thema Infrastruktur anfangen . Das Artillerielehrbataillon 345 ist 2014 von Kusel nach Idar-Oberstein in die Klotzbergkaserne gezogen . Seitdem warten die Soldaten auf eine Betreuungseinrichtung, und zwar in Form von Containern; denn das wunderschöne Betreuungshaus konnte man nicht sanieren . Nach Aussage des Dienstleistungszentrums gibt es zurzeit auf dem Markt keine Container . Für die EU-Ausschreibung 2015 hat kein Unternehmer ein Angebot abgegeben . Man merke: Umzug 2014, Ausschreibung 2015 . Aber wie schön, dass die Soldaten vor Ort jetzt ein Freischwimmbad haben; denn Anfang Dezember 2015 hat man schon einmal eine Baugrube ausgehoben, auf der die Betreuungscontainer stehen sollten . Diese ist bei Regen mit Wasser gefüllt . Die Soldaten freuen sich über ihr Freischwimmbad . ({5}) Kennen Sie die Geschichte von den Schildbürgern? Auch das Thema Ausrüstung nimmt immer wieder einen umfangreichen Teil im Bericht des Wehrbeauftragten ein . Ich bin der Meinung: Ausrüstung fängt nicht bei Hubschraubern, Panzern oder Schiffen an, Ausrüstung fängt direkt am Leibe an . Ich bin in den letzten sechs Monaten zweimal in Erbil gewesen . Die Soldaten dort sind und waren sehr glücklich mit ihrer neuen Flecktarnbekleidung . Super, alles gut - denkt man . Zu Hause angekommen, habe ich dann gehört, dass die Produktion genau dieser von allen gelobten Bekleidung eingestellt worden sei . Begründung des BAAINBw: Die Stoffe seien fehlerhaft . Da staunt der Laie, und auch die Fachmänner haben sich gewundert; denn die Stoffe waren im November ja noch in Ordnung . Wie fühlt sich der Soldat, der seiner Ausrüstung im Einsatz vertraut hat, wenn er nun erfährt, dass der Stoff fehlerhaft gewesen ist? Ich möchte noch einmal die Kampfstiefel ansprechen, die immer noch nicht da sind . Füße tragen einen ein ganzes Leben, und darum ist es wichtig, gutes Schuhwerk zu haben . ({6}) Zur Jahreswende habe ich die Soldatinnen und Soldaten im Kosovo besucht . Auch hier gibt es Probleme mit der Bekleidung . Hier war bei der Ausgabe keine passende Schutzweste zu bekommen . Der Soldat hatte zu Hause Größe M angegeben, bei der Ausgabe war nur noch die Größe XL vorrätig . Kein Problem bei einem Schlafanzug, ({7}) eine Schutzweste muss jedoch passen . Das wissen Sie, das weiß ich, und man fragt sich, wo eigentlich das Problem liegt . Was stellen Sie sich unter einer NATO-Übung mit dem Titel „Fire Phobia“ vor? Feuer und die Angst davor . Wenn man weiß, was auf einen zukommt, hat man weniger Angst . Darum wird ja auch geübt . Feuer ist heiß, Verbranntes riecht und Verbrennendes raucht . Feuer wirkt intensiv auf die Psyche, weil es so zerstörerisch sein kann . An dieser Übung haben sich unsere Soldaten mit dem Werfen von Wasserplastikflaschen beteiligt. Ich frage Sie: Wie soll der Soldat im Ernstfall reagieren, wenn er tatsächlich mit Feuer in Berührung kommt? „Übe, wie du kämpfst“, heißt es; denn Übungen sind dafür da, im Ernstfall mit Situationen umgehen zu können . Auch die Verpflegung gehört zu einem gut ausgerüsteten Soldaten . ({8}) Die Verpflegung muss stimmen, auch in Erbil, wo ich ein  paar Tage verbracht habe . Drei Tage hält man die Verpflegung aus, vier Monate sind schon eine Herausforderung für den Magen . Zu Hause wird auf ausgewogene Ernährung und den BMI geachtet . Im Einsatz ist das Essen aber fetthaltig und das Brot ungetoastet ungenießbar . Die Soldaten, die morgens zur Ausbildung rausfahren, bekommen ein Lunchpaket mit . Ich habe ihnen drei Sandwichtoaster spendiert, damit sie wenigstens das Brot toasten können . ({9}) Sehr geehrte Damen und Herren, Frauen in der Bundeswehr werden gebraucht und gesucht . Hier ist noch Luft nach oben . Im Berichtsjahr haben wir insgesamt einen Frauenanteil von knapp 11 Prozent . Beim Sanitätsdienst liegen wir bei fast 40 Prozent . Die Zahl der Bewerberinnen hat sich zwar leicht erhöht, aber wir wollen auch, dass Sie, wenn Sie zur Bundeswehr gehen, dabei bleiben, liebe Frauen . Ich weiß, dass Frau Ministerin von der Leyen die Förderung von Frauen und die Chancengerechtigkeit zur Chefinnensache gemacht hat. Ich glaube,  dass wir auf einem guten Weg sind, auch wenn wir langsam vorankommen . Zornig macht mich allerdings, dass die militärischen Gleichstellungsbeauftragten Grund zur Klage haben . Fehlende Akzeptanz, mangelnde Unterstützung und Information durch einige Dienststellenleiter sind nicht zu akzeptieren, meine Herren . ({10}) Beim Thema Vielfalt leistet übrigens auch die Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen eine wichtige Arbeit . „Interkulturelle Kompetenz“ ist das Stichwort . In diesem Zusammenhang will ich natürlich auch die Militärseelsorge erwähnen . Hier verzeichnet der Wehrbeauftragte keine Klagen; aber es darf nicht vergessen werden, dass die Militärseelsorge auffängt, was an anderen Stellen schiefläuft.  Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, es sind noch viele Punkte offen, die ich gerne angesprochen hätte: Büchel, Marine, Zuschlag, Trennungsgeld,  Unterkunftspflicht,  Meldepflicht  und  auch die Probleme der Soldatinnen und Soldaten an der Basis . Nicht alles, was ich angesprochen habe, bewegt die Basis; es geht nicht vorrangig um Flachbildschirme oder Kühlschränke . Viele Soldatinnen und Soldaten kaufen sich Stiefel oder Bekleidung von ihrem Geld . Das ist nicht der richtige Weg . Die Bundeswehr hat als Arbeitgeber dafür Sorge zu tragen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten richtig und gut ausgestattet sind . Diese Ausrüstung muss zügig erfolgen . Daraus dürfen keine jahrzehntelangen Projekte werden . Miteinander kommunizieren hilft oft . Man sollte dem Soldaten an der Basis einfach eine Kurzmitteilung geben, zum Beispiel, wie lange die Beschaffung von Bekleidung dauert . Man sollte das Ohr an der Basis haben . Der Bundeswehrverband kann hier übrigens eine große Stütze sein . Ich möchte schließen mit einem Zitat von Humboldt: Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben . Ich freue mich weiterhin auf den Austausch mit dem Wehrbeauftragten, mit dir, lieber Hans-Peter . Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen Gottes Segen . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächste hat die Kollegin Doris Wagner, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die BundesHeidtrud Henn wehr hat von allem zu wenig - so bringen Sie, lieber Herr Bartels, auf den Punkt, was zur Ausrüstung der Bundeswehr zu sagen ist . Wir alle wissen, dass es der Bundeswehr nicht nur an vielen Ausrüstungsgegenständen fehlt . Seit Jahren hören wir: Die Bundeswehr hat zu wenig Personal und natürlich viel zu wenig Geld . Woran es aber der Bundeswehr, glaube ich, ganz besonders mangelt, ist eine konkrete Vorstellung davon, was sie eigentlich ist und wozu sie dienen soll . Solange Sie, Frau Ministerin, dieses konzeptionelle Defizit nicht  beheben, wird sich auch an den Missständen, die der Wehrbericht auflistet, nichts ändern.  Herr Bartels kritisiert, dass sich die Soldatinnen und Soldaten nur unzureichend auf den Einsatz vorbereiten können . Die Truppeneinheiten müssen sich die Ausrüstung erst einmal ausleihen, um üben zu können . Der Wehrbeauftragte hat es gerade schon erwähnt: 15 000 Ausrüstungsgegenstände musste sich das Panzergrenadierbataillon 371 ausborgen, um an einer NATO-Übung teilnehmen zu können . Das ist doch wirklich absurd . Dieses Bataillon bildet den Kern des deutschen Beitrags zur schnellen NATO-Eingreiftruppe in Osteuropa . ({0}) Wenn sogar eine international derart bedeutsame Einheit nicht ohne Weiteres für den Einsatz üben kann, zeugt das vor allem davon, dass die Bundesregierung keine Prioritäten setzt . Frau Ministerin, ich habe nicht den Eindruck, dass die Bundesregierung eine klare Vorstellung hat, welche Aufgaben die Bundeswehr eigentlich erfüllen soll . Dient die Bundeswehr vor allem der Bündnisverteidigung, oder soll sie Krisenmanagement in Afrika betreiben? ({1}) Welche Rolle soll die Bundeswehr im Verbund mit den Partnern, der EU und der NATO, spielen? ({2}) Auf all diese Fragen hat die Bundesregierung keine klare Antwort . Deshalb hilft es auch nicht, einfach mehr Geld für die Rüstung anzukündigen . Nur wenn Klarheit über die Aufgaben der Streitkräfte besteht, lässt sich die Ausrüstung beschaffen, die unsere Soldatinnen und Soldaten zur Vorbereitung auf den Einsatz brauchen . ({3}) Deshalb warten wir ganz dringend darauf, dass Sie im Weißbuch endlich einen klaren Auftrag für die Bundeswehr entwickeln . Auch beim Personal sollten Sie sich noch ein paar grundlegende konzeptionelle Gedanken machen . Der Bericht von Herrn Bartels zeigt: Einzelne Attraktivitätsmaßnahmen reichen nicht aus, um das Gesamtklima in der Bundeswehr zu verbessern . Aber genau das ist das Problem . Wieder lesen wir im Wehrbericht, wie schleppend das Personalamt Anträge auf Elternzeit oder eine Verlängerung der Dienstzeit bearbeitet . Wieder lesen wir von der Gleichgültigkeit, mit der ein riesiger bürokratischer Apparat den Anliegen der Bundeswehrangehörigen begegnet - egal, ob es um Schutzwesten für Soldatinnen und Soldaten geht, um die Pflegebedürftigkeit von Eltern oder die Finanzierung von Vätermonaten . Die Bundeswehrverwaltung hat den Schalter immer noch nicht umgelegt . Auch das Miteinander in den Kasernen entspricht offenbar nicht dem Bild, das die schicken Rekrutierungskampagnen der jüngsten Zeit vermitteln sollen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gerade schon ein Zitat aus dem Stern-Artikel „Bundeswehr undercover“ gehört . Ich muss sagen: Ich war nach der Lektüre gleich doppelt baff . Einerseits scheint die Grundausbildung noch immer dem gängigen Klischee zu entsprechen . In dem Artikel werden junge Rekrutinnen und Rekruten angeschrien, sie sollten nicht denken, sondern die „Fresse halten“ . Frauen werden von den Ausbildern als „Schlitzbevölkerung“ verunglimpft - unterirdisch . Andererseits zeigt der Text aber auch, wie verunsichert die Bundeswehr mittlerweile eigentlich ist . Ein Ausbilder erzählt den Rekrutinnen und Rekruten, er habe Angst, sie während der Grundausbildung zu über- oder auch zu unterfordern . Denn: Ihr könnt ja sofort aufhören, wenn ihr keine Lust mehr habt . Was der Bundeswehr also ganz offensichtlich eigentlich fehlt, ist eine eindeutige Identität . Eine Organisation, die weiß, wofür sie steht, hat es nicht nötig, Menschen kleinzumachen . Sie hat es aber auch nicht nötig, um die Zuneigung potenzieller Mitglieder zu betteln . ({4}) Die Bundeswehr ist von einer solchen klaren Identität mittlerweile meilenweit entfernt . Deswegen, Frau Ministerin, ist in meinen Augen eine Ihrer vordringlichsten Aufgaben, dafür zu sorgen, dass die Bundeswehr eine solche Identität wiedergewinnt . Was muss also passieren? Am wichtigsten ist, dass wir die Innere Führung im Alltag wieder stärker lebbar machen; sie bildet den Kern der Identität der Bundeswehr . Herr Bartels hat in seinem Bericht mehrfach einen Hinweis darauf gegeben, wie das gelingen kann . Wir müssen wieder mehr Vertrauen, Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit in der Bundeswehr schaffen . Dazu müssen wir die Stehzeiten auf den Dienstposten verlängern und mehr Raum für die politische Bildung vorsehen . Vorgesetzte und Untergebene müssen ausreichend Zeit miteinander verbringen . Nur dann können Gespräche  stattfinden,  in  denen  wirklich  Grundsätzliches besprochen und auch verstanden wird . Warum zum Beispiel geht die Bundeswehr nach Mali? Lohnt es sich wirklich, Leib und Leben dafür zu riskieren? Ich glaube, ein Soldat oder eine Soldatin kann es ertragen, von vielem zu wenig zu haben, nicht zu ertragen ist aber ein Mangel an Identität und Sinn . Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Anita Schäfer, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Lieber Hans-Peter Bartels, dies ist der erste Jahresbericht, der unter Ihrer Verantwortung entstanden ist . Sie haben darin klar benannt, was die größten Beeinträchtigungen für die Bundeswehr sind: ein Fehl an Material und Personal angesichts nie dagewesener sicherheitspolitischer Herausforderungen . Von der Rückversicherungspolitik der NATO gegenüber den osteuropäischen Verbündeten über den Kampf gegen den Terror des sogenannten „Islamischen Staates“ bis zur Stabilisierung von Ländern wie Afghanistan und Mali muss die kleinste Truppe aller Zeiten mehr denn je leisten . Das schließt die Präsenz im Multinationalen Korps Nordost sowie im Baltikum ein, um gegenüber den Verbündeten dort unsere Verlässlichkeit zu demonstrieren, aber auch die schnelle und umfangreiche Unterstützung bei Ausnahmesituationen im Inland wie kürzlich bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise . Inzwischen führt kein Weg mehr an der Erkenntnis vorbei, dass es eine deutliche Trendwende beim Verteidigungshaushalt sowie der Personalstärke der Bundeswehr geben muss . Ein wichtiger Schritt ist bereits im letzten Monat mit der Finanzplanung für den Bundeshaushalt gemacht worden . Der Bundesminister der Finanzen hat dabei ausdrücklich die äußere Sicherheit als einen Schwerpunkt bezeichnet . Bis 2020 sollen demnach 10 Milliarden Euro zusätzlich für den Einzelplan 14 ausgegeben werden . Im Hinblick auf die weltweite Bedrohungslage darf es hier kein falsches politisches Zögern geben . Einerseits müssen Beschaffung und Materialerhalt von Ausrüstung langfristig auf eine gesunde Basis gestellt werden . Andererseits muss die Bundeswehr auch personell angemessen ausgestattet und zugleich zu einer noch attraktiveren Truppe werden . Zur weiteren Attraktivitätssteigerung des Dienstes in der Bundeswehr haben wir bereits umfangreiche Maßnahmen ergriffen . Ein zusätzlicher Beitrag soll die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie sein . Allerdings sind viele Soldaten damit bisher nicht zufrieden . Kürzlich wurde mir bei einem Besuch an dem Standort Zweibrücken in meinem Wahlkreis erläutert, dass das vielleicht für Bürotätigkeiten attraktiv sei . Bei den Fallschirmjägern gebe es aber praktisch keinen Grundbetrieb, sondern  alles  sei  Einsatzvorbereitung. Vorher  sei man  flexibler beim Dienstzeitausgleich gewesen, jetzt gebe es Schwierigkeiten, Dienstzeiten und Übungen, aber auch Repräsentation in der Öffentlichkeit unter einen Hut zu bringen . Auch Lehrgänge dauerten jetzt länger . Hinzu kommt, dass viele Soldaten von außerhalb sind und die Freizeitgestaltung am Standort Geld kostet . Nicht richtig sind dagegen kürzlich erschienene Presseberichte, wonach die Bundeswehr nicht mehr an längeren Übungen teilnehmen kann . Für Übung und Einsatz gibt es natürlich Ausnahmeregelungen . - Da besteht also noch Verbesserungsbedarf bei der Vermittlung . Raum für Verbesserungen gibt es auch noch bei der Unterbringung der Soldaten . Langfristig plant der Bund, bis zu 800 Millionen Euro in den Neubau und die Sanierung von Unterkünften zu investieren . Zu Recht sagt der Wehrbeauftragte aber, dass dies eine Aufgabe ist, die dauerhaft, zügig und mit ausreichenden Mitteln erfüllt werden muss . Frau Ministerin, Sie haben kürzlich festgestellt, dass bis 2030 eine zusätzliche Summe von 130 Milliarden Euro investiert werden sollte, um die durch jahrzehntelanges Sparen entstandenen Lücken bei der Ausstattung zu schließen . Das ist langfristige, vorausdenkende Sicherheitsplanung, wie sie sein sollte . Das ist richtig und notwendig für unsere Soldatinnen und Soldaten, deren Dienst zu unser aller Schutz in einer unsicheren Welt beiträgt . Das sollten wir über die Parteigrenzen hinweg anerkennen und entsprechend handeln . CDU und CSU werden sich in verschiedenen Gremien auch weiterhin dafür einsetzen, dass für die Bundeswehr die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden . Lassen Sie mich an dieser Stelle den Soldatinnen und Soldaten und den Zivilangestellten der Bundeswehr für das, was sie für uns tun, Dank sagen . Zum Schluss möchte ich, wie immer, dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern für die Erstellung des Berichts ganz herzlich danken . Lieber Hans-Peter Bartels, angesichts der Herausforderungen für die Bundeswehr ist Ihr Amt wichtiger denn je . Vielen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist jetzt die Kollegin Julia Obermeier, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Beginn dieser Legislaturperiode haben sich uns viele neue Herausforderungen gestellt: das aggressive Vorgehen Russlands in der Ukraine, der IS-Terror und die Flüchtlingskrise . Diese neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen bringen massive Belastungen für die Soldaten der Bundeswehr mit sich . So haben wir hier im Hohen Haus neue Mandate beschlossen - die Ausbildungsmission im Irak, den Anti-IS-Einsatz in Syrien, die Mittelmeermission EUNAVFOR MED Operation Sophia -, und wir haben den Einsatz in Mali aufgestockt . Gleichzeitig laufen die Einsätze in Afghanistan und im Kosovo weiter . Zudem haben sich andere Verpflichtungen aufgetan wie das Air Policing im Baltikum,  die NATO-Speerspitze, der NATO-Einsatz in der Ägäis und auch die Flüchtlingshilfe, zu deren Hochzeiten bis zu 9 000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz waren . Daher ist es fast erstaunlich, dass 2015 300 Eingaben weniger beim Wehrbeauftragten eingegangen sind als im Vorjahr . Nichtsdestotrotz sind wir für alle diese Eingaben dankbar, da sie wichtige Anregungen für unsere Arbeit sind . Viele der Eingaben betreffen die materielle Ausstattung der Bundeswehr . Der langjährige Sparkurs, der dann schließlich im dynamischen Verfügbarkeitsmanagement gipfelte, hat an vielen Stellen zu Unmut und Unzufriedenheit bei den Soldaten geführt . Aber damit, meine Damen und Herren, ist jetzt Schluss . Wir haben gemeinsam mit unserer Ministerin Frau von der Leyen die Trendwende eingeleitet, sowohl materiell als auch finanziell. ({0}) Es ist eine gute Nachricht, meine Damen und Herren, dass der Verteidigungshaushalt im Jahr 2017 um 6,8 Prozent ansteigen wird; denn unsere Sicherheit und die Sicherheit der Einsatzkräfte sind das wert . ({1}) In diesen unsicheren Zeiten braucht die Bundeswehr eine moderne und bedarfsgerechte Vollausstattung, und die Bundeswehr braucht auch gute Köpfe . Wir haben im Bericht des Wehrbeauftragten gelesen, dass viele Eingaben die Personallage betreffen . Ja, aktuell sind 8 000 Stellen unbesetzt . Mit der Agenda Attraktivität sind wir hier auf einem guten Weg . Wir werden künftig noch mehr tun müssen, um Personal zu gewinnen und zu halten . Oft sind es hier die kleinen Dinge, die den Unterschied machen . So ist es gut, dass wir bei der Feldpost Verbesserungen erreichen konnten . Ich bin wirklich froh, dass wir für die Soldaten im Einsatz endlich eine gute Lösung beim Thema Internet gefunden haben . Denn gerade während eines langen Auslandseinsatzes ist es wichtig, dass man den Kontakt zur Familie halten kann . An dieser Stelle möchte ich ganz ausdrücklich allen Familienangehörigen und Freunden unserer Soldatinnen und Soldaten danken, die eine wichtige Stütze sind und einen großen Teil der Einsatzlast mittragen . ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, trotz der hohen Belastungen der Bundeswehr müssen wir sie auch für neue Herausforderungen rüsten . Deshalb ist es richtig und wichtig, die Cyberfähigkeiten jetzt noch stärker aufzubauen . Wir müssen aber auch an neue Gefahren denken wie die Terroranschläge in Paris und Brüssel . Diese schrecklichen Ereignisse mahnen uns, dass auch wir darüber reden müssen, welche Möglichkeiten wir für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern im Fall solcher Katastrophen haben . ({3}) Daher möchte ich die Bitte an unseren Koalitionspartner richten, jetzt darüber zu reden, ({4}) Herr Arnold, und zwar mit kühlem Kopf, bevor Gefährdungslagen eintreten . ({5}) Wir brauchen zukunftsfähige Sicherheitsstrukturen und eine starke Bundeswehr . Personal und Material sind hierfür entscheidend . Das gehen wir an, damit unsere Soldatinnen und Soldaten nicht weiter belastet, sondern entlastet werden . Vielen Dank . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7250 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen Drucksachen 18/5227, 18/8118 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack, SPD-Fraktion . ({2})

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der inklusive Arbeitsmarkt, also der Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen, ist uns ein sehr wichtiges Anliegen . Heute haben wir aus Anlass eines Antrages der Fraktion Die Linke die Möglichkeit, über dieses Thema zu diskutieren . ({0}) - Ja, das ist in vielen Teilen ein guter Antrag . Sie werden aber gleich wahrnehmen, dass wir an vielen Stellen schon mindestens so weit sind, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern . ({1}) Menschen mit einer Behinderung haben es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt doppelt schwer, weil sie doppelt so viele Tage arbeitslos sind wie Menschen ohne eine Behinderung und weil die Arbeitslosenquote der Menschen mit einer Behinderung doppelt so hoch ist wie die Arbeitslosenquote der Menschen ohne eine Behinderung . Natürlich lässt uns das nicht ohne Sorge . Die Linken haben in ihrem Antrag zu Recht analysiert, woran es liegt, dass nicht so viele Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen einstellen, wie wir uns das wünschen . Ich möchte auf diese Thesen näher eingehen . Eine dieser Thesen ist, dass die Arbeitgeber mehr Unterstützung benötigen, um sich dafür zu entscheiden, Menschen mit einer Behinderung einen Arbeitsplatz in ihrem Unternehmen zu geben . Wir freuen uns, dass wir an dieser Stelle bereits umfangreich tätig werden konnten . Für die „Initiative Inklusion“, die in den Jahren 2011 bis 2018 umgesetzt wird, haben wir Mittel in Höhe von 140 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt, damit genau dies mit Mitteln des Ausgleichsfonds angegangen werden kann . 80 Millionen Euro sind dafür vorgesehen, dass jährlich 10 000 Schülerinnen und Schüler im Übergang von der Schule in den Beruf unterstützt werden . 15 Millionen Euro sind dafür vorgesehen, dass 1 300 neue betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen werden . 40 Millionen Euro wurden für die Schaffung von 4 000 Arbeitsplätzen für Menschen über 50 Jahre mit einer wesentlichen Behinderung eingestellt . 5 Millionen Euro haben wir zur Verfügung gestellt, um bei den Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern Inklusionskompetenzen einzurichten . Eine andere These ist: Unternehmerinnen und Unternehmer wissen zu wenig um die Möglichkeiten, Menschen mit Behinderung einzustellen . Auch dieser Aufgabe haben wir uns gestellt . Wir haben mit der Initiative „Wirtschaft inklusiv“ ein Programm auf den Weg gebracht, durch das fast 10 000 Unternehmen mit der Hilfe von  Inklusionslotsen  und  anderen Maßnahmen  qualifiziert werden und um die Möglichkeiten der Unterstützung wissen . Eine dritte These ist: Es gibt zu wenig Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung . Auch dieser Aufgabe haben wir uns gestellt . Wir haben bereits im letzten Jahr - in diesem Jahr wird es wirksam - 150 Millionen Euro eingesetzt, um die Zahl der Integrationsbetriebe, in denen Menschen mit Behinderung eine Chance haben, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu werden, zu verdoppeln  und sie flächendeckend auszubauen.  ({2}) Das sind Maßnahmen, von denen wir überzeugt sind, dass sie uns auf dem Weg zu einem besseren inklusiven Arbeitsmarkt massiv weiterbringen . Das alles haben wir bereits erreicht . Aber natürlich geben wir uns nicht damit zufrieden . Wir freuen uns ganz besonders, dass die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, in dieser Woche den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes auf den Weg gebracht hat . ({3}) Mit diesem Gesetz - das war eine große Kraftanstrengung und ein sehr mutiger Schritt der Ministerin - werden wir für Menschen mit Behinderung vieles verbessern und ihre Teilhabe in der Gesellschaft ausbauen . Aber auch für den inklusiven Arbeitsmarkt werden wir mit diesem Gesetzespaket eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg bringen . Das Budget für Arbeit soll dazu dienen, dass Menschen mit einer Behinderung die finanzielle Unterstützung, die  sie am Arbeitsmarkt benötigen, in eigener Verantwortung erhalten . Es hilft sowohl den Menschen im Übergang von der Schule in den Beruf als auch den Menschen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig sind, diese aber gerne verlassen wollen, wofür ihnen die nötige Unterstützung fehlt . Hierfür ist das Budget für Arbeit eine sehr gute Möglichkeit . Wir werden das Rückkehrrecht für die Menschen einführen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet haben und dann auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gegangen sind, das aber, aus welchem Grund auch immer, nicht schaffen, sei es, weil sie sich überschätzt haben, sei es, weil der Betrieb nicht mehr existiert, pleitegegangen ist oder was auch immer . Diese Menschen werden dann ein gesichertes Rückkehrrecht in die Werkstatt haben, was heute nicht existiert . Wir werden die Stellung der Schwerbehindertenvertretungen in den Unternehmen ausbauen, weil wir wissen: Wo starke Schwerbehindertenvertretungen sind, gibt es viele Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung . Da sind die Kompetenzen; das wollen wir ausbauen . ({4}) Wir werden auch die Position der Werkstatträte stärken . Das sind die Betriebsräte in den Werkstätten für behinderte Menschen, die die Rechte der behinderten Menschen in den Werkstätten vertreten . Auch deren Stellung wollen wir verbessern . Wir wollen uns im Rahmen eines Modellvorhabens der Jobcenter und der Rentenversicherung mit einem präventivem Ansatz ansehen: Warum werden Menschen im Arbeitsleben krank und erfahren eine Behinderung? Wie können wir den Arbeitsschutz so gestalten, dass schlussendlich weniger von Behinderung bedrohte Menschen aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt in das System der Eingliederungshilfe rutschen? Was können wir präventiv tun, um deren Zahl zu verringern? Ich freue mich auf eine sehr spannende und lebhafte Debatte über das Bundesteilhabegesetz, die wir in den nächsten Wochen und Monaten führen werden . Für den inklusiven Arbeitsmarkt wünsche ich mir einen Appell an all diejenigen, die jetzt noch freie Ausbildungsplätze haben und diese nicht besetzen können: Es gibt viele toughe Menschen mit Behinderung, die einen Ausbildungsplatz suchen, und wir haben die Assistierte Ausbildung und die Unterstützte Ausbildung . Ich bitte jeden, der noch einen Ausbildungsplatz frei hat: Bitte sehr, machen Sie sich auf den Weg! Viele junge Menschen warten darauf, dass sie von Ihnen, den Unternehmerinnen und den Unternehmern in Deutschland, eine Chance bekommen . Herzlichen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Werner, Fraktion Die Linke . ({0})

Katrin Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004188, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir reden heute wieder zu unserem Antrag vom Juni letzten Jahres: „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen“ . Wir wollten Sie mit diesem Antrag auf Ihrem Weg zu einem guten Teilhabegesetz begleiten . Wir haben Ihnen Wege aufgezeigt, wie Sie die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen können . Wir haben Ihnen aufgezeigt, dass Sie sie sogar umsetzen müssen . Bei der Anhörung zu unserem Antrag wurde zum wiederholten Mal ganz deutlich, dass Menschen mit Behinderungen bei der Teilhabe am Arbeitsleben diskriminiert werden . Sie bekommen oft nicht die nötige Unterstützung, weil die Gelder fehlen . Nach monatelangem Warten der Verbände bzw . Organisationen, 316 Tage nach Einbringung unseres Antrages könnte man denken, dass die Bundesregierung im Bereich der Behindertenpolitik jetzt endlich die Handbremse gelöst hat . Wenige Tage vor dem 1 . Mai, dem Tag der Arbeit, und wenige Tage vor dem Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen am 5 . Mai könnte man feststellen, dass Sie der Forderung in Punkt 1 unseres Antrages, entsprechende Gesetzentwürfe auf den Weg zu bringen - Frau Tack hat weitere Beispiele genannt -, bereits nachgekommen sind und sich daher aus Ihrer Sicht unser Antrag erledigt hat . Am Dienstag haben Sie den Referentenentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen freigegeben . Zuvor hatten Sie den Entwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes auf den Weg gebracht und vor ein paar Tagen auch noch den Referentenentwurf des Nationalen Aktionsplans 2 .0 veröffentlicht . Die Schnecke hat sich zum Hasen verwandelt . Man könnte sagen: Alles ist gut oder wird gut, und unser Antrag hat sich tatsächlich erledigt . Das ist aber bei weitem nicht so . Mit dem vorgelegten Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes wird es keine selbstbestimmte und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung geben, auch nicht im Arbeitsleben . Sie schaffen nämlich keine einkommens- und vermögensunabhängige persönliche Assistenz in allen Lebenslagen und -phasen, was wir in unserem Antrag fordern . Damit machen Sie die gesellschaftliche Teilhabe immer noch vom Geldbeutel der Menschen mit Behinderungen abhängig . Das ist - auch bei allen Verbesserungen, die Sie vorgestellt haben - trotz alledem noch menschenrechtswidrig . Darüber hinaus schränken Sie an vielen Stellen das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen ein . Betroffene müssen ihre Wünsche rechtfertigen, und da stehen auch wieder finanzielle Überlegungen im  Vordergrund . Auch das ist menschenrechtswidrig . Wir fordern ein uneingeschränktes Wunsch- und Wahlrecht . ({0}) Wenn wir uns unsere nächste Forderung anschauen, nämlich Sonderarbeitswelten abzubauen und umzugestalten, und das mit dem Bundesteilhabegesetz vergleichen, stellen wir fest, dass Sie diese verfestigen . Wenn Sie noch nicht einmal das neu eingeführte Budget für Arbeit, das wir begrüßen, bundeseinheitlich und ausreichend sichern: Wo bleibt dann der Menschenrechtssinn? Wir hatten auch hierzu in unserem Antrag Vorschläge unterbreitet . Greifen Sie sie auf! ({1}) Sie haben so gut wie nichts aus unserem Antrag übernommen . Wir haben doch versucht, Ihnen damit eine Grundlage für das neue Bundesteilhabegesetz zu geben . Warum übernehmen Sie das nicht? Inklusion ist nicht zum Nulltarif, geschweige denn zum Spartarif zu haben . Aber genau das möchten Sie, sehr geehrte Regierungsmitglieder, mit Ihrem Referentenentwurf erreichen . Wir brauchen Investitionen, um einen offenen und inklusiven ersten Arbeitsmarkt zu schaffen, der den Menschenrechten entspricht . Stimmen Sie unserem Antrag zu! Überarbeiten Sie das Bundesteilhabegesetz in allen Bereichen, vor allem aber auf Grundlage dieses Antrags im Bereich Arbeit! Setzen Sie, was den Bereich Arbeit anbelangt, den Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention um! Um auf den Hasen zurückzukommen: Hören Sie auf, hasenfüßige Vorlagen zu bringen! Die Selbstvertretungsorganisationen und Verbände sowie die Menschen, die an einer gleichberechtigten Teilhabe gehindert werden, fordern die bedingungslose und uneingeschränkte Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention seit Jahren . ({2}) Nutzen Sie ihre Stellungnahmen, und nutzen Sie die Verbandsanhörung im Mai . Hören Sie auf, der Hase zu sein, der in der Fabel vom Hasen und Igel mehr als 70 Anläufe brauchte . Lassen Sie nicht zu, dass ein gutes Bundesteilhabegesetz beerdigt wird . Danke . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächster hat jetzt der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Werner, ein Teilhabegesetz zu beerdigen, bevor es parlamentarisch beraten wurde, ist ein bisschen arg flott.  ({0}) Der Referentenentwurf für das Teilhabegesetz liegt jetzt vor, und ich denke, dass wir, wenn der Gesetzentwurf eingebracht wird, im Parlament eine gute Entwicklung auf den Weg bringen werden . Was Sie vor einem Jahr in Ihrem Antrag zusammengeschrieben haben, ist ein Sammelsurium von mehr oder weniger guten Ideen . Wichtig ist aber, dass man nicht nur Ideen sammelt, sondern dass auch konkrete Gesetzentwürfe und Maßnahmen im Parlament und in der Bundesregierung beschlossen werden . Wir haben derzeit 1,3 Millionen anerkannt schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt . Damit ist der größte Teil der betroffenen Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig . 300 000 Menschen, die wesentlich behindert sind, arbeiten in Werkstätten . In den letzten Jahren war ein Aufwuchs an beschäftigten Menschen, die anerkannt schwerbehindert sind, auf dem ersten Arbeitsmarkt zu verzeichnen.  Aufgrund  des  demografischen  Wandels  steigt die Zahl derer, die eine solche Behinderung aufweisen . Wenn sie arbeitslos werden, dann ist es umso schwieriger, sie wieder in den Arbeitsprozess zu bringen . Das müssen wir gemeinsam angehen . Arbeit ist der Schlüssel für eine gelungene Teilhabe . Wir alle wollen den Paradigmenwechsel im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention . Das heißt, es stehen nicht mehr die Defizite im Vordergrund, sondern die Potenziale, die die Menschen mitbringen . Unternehmen, die das Potenzial der Menschen nicht nutzen, behindern . Sie behindern nicht nur die betroffenen Menschen, sondern auch ihren eigenen wirtschaftlichen Erfolg . Wir müssen nicht mehr darum betteln, dass sie behinderte Menschen einstellen . Wir müssen den Unternehmern sagen: Wenn ihr nicht die Gelegenheit und die Förderinstrumente nutzt, um diese motivierten Menschen einzustellen, dann behindert ihr euer eigenes Unternehmen . - Das betrifft auch die Vorsorge, indem gutes Arbeitnehmerpotenzial frühzeitig in die Unternehmen geholt wird . Das ist das Entscheidende, und das ist auch im Sinne der Behindertenrechtskonvention der UN . ({1}) Wichtig ist, dass wir entsprechende Informationen stärker an die Unternehmen herantragen . Wichtig ist auch, dass wir gute Geschichten erzählen und Beispiele anführen, damit die Unternehmen, die noch keine Erfahrungen gemacht haben, von denen, die bereits seit Jahren in diesem Bereich aktiv sind und Inklusion leben, positive Eindrücke vermittelt bekommen und merken, dass dies ein Potenzial ist, das in die Unternehmen einzustellen ist . Wir müssen mit dem Teilhabegesetz ein weiteres zentrales Thema angehen . 60 Prozent der Zugänge in die Werkstätten sind Menschen mit einer psychischen Erkrankung bzw . einer psychischen Behinderung, die vom ersten Arbeitsmarkt kommen; das sind jährlich 13 000 Zugänge in die Werkstätten . Die eigentliche Kostendynamik auch bei der Eingliederungshilfe besteht darin, dass allein diese 13 000 zusätzlichen Werkstattplätze für psychisch behinderte Arbeitnehmer zu einer Kostensteigerung um jährlich etwa 300 Millionen Euro führt . Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Schwerbehindertenvertretungen stärken . Die Schwerbehindertenvertretungen sagen uns immer wieder, dass sie mehr Zeit brauchen . Das bedeutet in der Konsequenz mehr Freistellungen, damit sie in den Unternehmen ein Eingliederungsmanagement nach chronischen Erkrankungen und ein Frühwarnsystem in den Betrieben und Verwaltungen organisieren und betriebliche Gesundheitsprävention anschieben können, damit das Potenzial in den Unternehmen gehalten werden kann . Insofern sind Schwerbehindertenvertretungen keine Belastung, sondern eine Entlastung der Unternehmen und der Gesellschaft, ({2}) weil sie das wichtigste Kapital im Unternehmen stärken, nämlich die Menschen . Werkstätten bleiben wichtig; aber sie müssen sich wandeln und verändern . Es gibt interessante Konzepte wie die virtuellen Werkstätten im Saarland . Es gibt auch verstärkt Ausgliederungen aus den Werkstätten durch Integrationsfirmen, die wir mit einem Förderprogramm von  150 Millionen Euro ausbauen wollen . Es gibt aber auch Probleme . Beispielsweise hatten viele Werkstätten in Niedersachsen das Problem, dass die Umsatzsteuerermäßigung nur noch für Produkte und nicht mehr für personelle Dienstleistungen von den Finanzämtern berechnet wurde . Das hatte zur Konsequenz, dass die Werkstätten, die besonders kreativ sind und in Betrieben Wahlfreiheit und Möglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt entwickeln, steuerlich bestraft wurden . Ich danke  unserem  Bundesfinanzminister  Herrn  Schäuble,  dass er gemeinsam mit den Finanzministern der Bundesländer diese falsche Steuerpolitik beendet hat und durch eine entsprechende Neuformulierung des Anwendungserlasses dafür gesorgt hat, dass nicht nur Produkte aus den Werkstätten, sondern auch personelle Dienstleistungen - auch auf dem ersten Arbeitsmarkt - steuerlich positiv bewertet und nicht diskriminiert werden . ({3}) Die 850 Integrationsunternehmen sind Lotsenboote auf dem ersten Arbeitsmarkt . Diese Unternehmen - das sind Druckereien, Hotels, Gaststätten, Gartenbaubetriebe; sie stellen einen Querschnitt unserer Wirtschaft dar zeigen, wie man auch mit einer Quote von 25 bis 30 Prozent behinderte Menschen wirtschaftlich arbeiten kann . Diese Unternehmen weisen in der Regel eine geringere Insolvenzrate auf als Betriebe in der übrigen Wirtschaft . Es gibt natürlich einen Minderleistungsausgleich durch einen Lohnkostenzuschuss . Diesen wollen wir mit dem Budget für Arbeit, über das wir im Zusammenhang mit dem Teilhabegesetz debattieren werden, dauerhaft gewähren . Nach unserer Auffassung sollten sich andere Unternehmen diese Integrationsunternehmen zum Vorbild nehmen, wenn sie schwerbehinderte Menschen einstellen oder sie länger beschäftigen wollen . Wir wollen die Integrationsunternehmen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu Inklusionsunternehmen weiterentwickeln . Dazu gehört beispielsweise eine präventive Öffnung dieser Unternehmen für psychisch erkrankte Arbeitnehmer ohne eine anerkannte Schwerbehinderung . Wir wollen nicht erst dann tätig werden, wenn eine entsprechende Diagnose vorliegt, sondern schon im Vorfeld, damit die betroffenen Arbeitnehmer erst gar nicht in die Werkstätten kommen, sondern in Integrationsunternehmen untergebracht werden, um eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhalten . Wir wollen zudem Arbeitszeitmodelle entwickeln und fördern, die kurzzeitig sind . Wir wollen Hinzuverdienstmöglichkeiten für psychisch erkrankte Arbeitnehmer schon ab zwölf Stunden pro Woche schaffen, damit sich diese langsam auf dem ersten Arbeitsmarkt weiterentwickeln können . Wir wollen des Weiteren den Ausbildungsort „Integrationsunternehmen“ stärken, damit junge Menschen nicht mehr den klassischen Weg von der Förderschule in die Werkstatt einschlagen, sondern durch assistierte, begleitete und vernetzte Ausbildung Ausbildungsmöglichkeiten in den Integrationsunternehmen nutzen können . Dafür wollen wir Arbeitsassistenz und Jobcoaching mitfinanzieren.  Die Beauftragten der einzelnen Fraktionen für Menschen mit Behinderung haben eine Idee aus Österreich aufgegriffen.  Ich  finde  das  dortige Mentorenprogramm  sehr spannend . Die Assistenz kommt dort nicht erst mit dem behinderten Arbeitnehmer von außen in das Unternehmen hinein . Vielmehr gibt es dort in den Unternehmen Mentoren, die sich um die Arbeitnehmer mit Handicap, die neu im Unternehmen sind, kümmern . Diese Mentoren, die die Belegschaften und die Arbeitsabläufe kennen, stehen den behinderten Arbeitnehmern zur Seite . Wir können, wenn es um konkrete Unterstützung in Unternehmen durch ein solches Mentorenprogramm geht, durchaus von Österreich lernen und sollten ein ähnliches Programm hier bei uns umsetzen . Diesen Aspekt sollten wir in den kommenden Debatten, die wir über die Schwerbehindertenvertretungen und das Bundesteilhabegesetz führen werden, aufgreifen . ({4}) Stärkung der Schwerbehindertenvertretung, Zahl der Integrationsunternehmen verdoppeln und diese qualitativ weiterentwickeln, die Durchlässigkeit der Werkstätten verbessern und ein Budget für Arbeit als dauerhaften Zuschuss auf dem ersten Arbeitsmarkt gewähren, das alles sind gute Dinge . Das, was im Antrag der Linken gut ist, machen wir . Was wir nicht machen, das ist nicht gut . Ich freue mich auf die weitere Debatte . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächste hat jetzt Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Lieber Herr Schummer, wir hören Ihre Geschichten gerne; aber eigentlich sind wir nicht zum Geschichtenerzählen hier, sondern dazu, Realität zu verändern . Es gibt vielerlei Anlass, darüber zu sprechen . ({0}) Insofern bin ich dankbar, dass uns der Antrag der Linken heute Gelegenheit dazu gibt . Seit zwei Tagen - wir haben sehr lange darauf gewartet - liegt der Referentenentwurf zum Bundesteilhabegesetz vor . Er gibt mir keinen Anlass, an Geschichten Gefallen zu finden. Ich möchte mich  schon mit der Realität und dem Text, den Sie vorgelegt haben, beschäftigen . Wir erinnern uns ein Stück weit zurück - dies würde ich gerne mit einem Zitat tun -: Es war ein schöner Traum, ja, es war sogar ein verführerischer Traum, als die derzeitige Bundesregierung ihr Amt antrat . Im Koalitionsvertrag wurde die Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes und damit die Forderung vieler Verbände und Aktiver aufgegriffen . „Nichts über uns ohne uns“, hieß es darin sogar . ({1}) - Ja, das ist jetzt eine Geschichte aus der Realität . … Es folgte die Schaffung der Arbeitsgruppe zum Beteiligungsprozess für das groß angekündigte und beworbene Bundesteilhabegesetz . Vieles war plötzlich anders als gewohnt, und auch wenn wir schöne Sonntagsreden gewohnt sind, klangen diese plötzlich noch schöner und hatten mit den Plänen für die Gesetzesreform einen realistischen Touch angenommen . Dies schrieb jüngst auf kobinet der ehemalige Behindertenbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz . Zwischenzeitlich ist der Entwurf vorgelegt worden . Die ersten Reaktionen darauf klingen dann weniger schön: Ich bin wütend und ohnmächtig, da offensichtlich die Stimme der Betroffenen wieder einmal völlig ungehört blieb . An Dreistigkeit nicht zu überbieten ist jedoch die Behauptung, es würde ein Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung vorgelegt . Dann bitte soll die Regierung Klartext reden und sagen: „Wir müssen sparen, um die heilige schwarze Null zu schaffen - also fangen wir bei der Beschneidung von Menschenrechten Behinderter an“ … ({2}) - So die Reaktion von Nancy Poser vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen . Wenn Sie die humorvollere Variante davon hören wollen, so kann ich diese auch noch vortragen: Sehr zufrieden zeigt sich der Berliner Rechtsanwalt Dr . Martin Theben mit dem gestern öffentlich bekanntgewordenen Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz . „Ich bin hocherfreut über den Entwurf“, sagte Theben . . . „Auch künftig werden Gerichte und vor allem die Rechtsanwälte alle Hände voll zu tun haben .“ Na, das ist ja mal eine tolle Nachricht! Jetzt einmal ganz konkret: Frau Tack hat diesen Entwurf und das, was die Bundesregierung auf diesem Gebiet in den vergangenen Jahren gemacht hat, gehuldigt . Es gab eine wesentliche Forderung behinderter Menschen und ihrer Verbände, dass endlich Schluss ist mit der Anrechnung von Einkommen und Vermögen . Das ist ein Menschenrecht; Frau Werner hat es gesagt . Dieses Menschenrecht wollen Sie nicht einlösen . Sie wollen weiterhin - mit gravierenden Folgen für ganze Familien - Einkommen und Vermögen betroffener Personen einziehen, um zum Beispiel die Assistenz zu finanzieren.  Aber besonders perfide  ist,  dass der Referentenentwurf  im Vergleich zum Arbeitsentwurf, den wir im Januar bekommen haben, noch schlimmer ist, weil darin geregelt ist, dass Menschen, die sowohl Eingliederungshilfe als auch Hilfen zur Pflege bekommen - das sind nach den  neuen Regelungen eigentlich alle Menschen mit Behinderungen -, mit Verschlechterungen rechnen müssen, sobald sie ein entsprechendes Einkommen erzielen . Das ist eine Sauerei und gehört auf den Tisch des Hohen Hauses und hier diskutiert . ({3}) Das heißt nämlich: Behinderte Menschen können arbeiten, wie sie wollen; sie werden am Ende immer arm bleiben . Das können wir so nicht akzeptieren . ({4}) Das hat mit guter Arbeit überhaupt nichts zu tun; denn zu guter Arbeit gehören auch gute Löhne, auch für Menschen mit Behinderungen . Ich möchte noch eine Leerstelle in der Debatte ansprechen . Es wird relativ selten über Menschen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf gesprochen . Wir haben gerade einige Worte zum Budget für Arbeit gehört . Das ist übrigens kein neues Instrument, das Sie sich in den vergangenen Monaten haben einfallen lassen; das gibt es seit Jahrzehnten . Das Problem ist, dass es nur an sehr wenigen Orten angewandt wird; aber das ist eine andere Frage . Zudem ist Kritik angemessen, weil Sie das Budget für Arbeit nicht bundeseinheitlich ausgestalten wollen . Worauf ich aber gezielt hinweisen will, ist, dass Sie die Regelungen zum Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung aufrechterhalten und damit am unteren Ende noch einmal eine Unterscheidung zwischen den Werkstattfähigen und den nicht Werkstattfähigen treffen . Damit entziehen Sie der Gruppe der Menschen, die besonders viel Unterstützung benötigen, das Recht auf Teilhabe an Arbeit . Es ist schlichtweg eine Sauerei, nicht dagegen anzugehen . ({5}) Ottmar Miles-Paul, den ich anfangs zitiert habe, hat auch Folgendes gesagt - ihn möchte ich abschließend zu Wort kommen lassen -: Wir müssen nun auch zeigen, dass wir bereit sind, für unsere Menschenrechte zu kämpfen und die schönen Träume einer wohlmeinenden Gesellschaft, die ihre Werkstätten durch Angebote auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, ihre Sondereinrichtungen zugunsten von Angeboten mitten in der Gesellschaft, ihre Sonderschulen zu inklusiven Schulangeboten etc . von selbst umwandeln . Geschweige denn, dass wir von einer Gesellschaft träumen, die bereit ist, das nötige Geld in die Hand zu nehmen, um die Lebensqualität und das selbstbestimmte Leben behinderter Menschen ernsthaft zu fördern . Nein, wenn wir von Menschenrechten reden, müssen wir uns nun auch in den Menschenrechtsmodus begeben und für unsere Menschenrechte mit allen demokratisch zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen . So bitter es ist, der Traum ist vorbei, die Straße hat uns wieder, auch wenn der Traum für kurze Zeit schön war . Das sollten wir uns zu eigen machen . Wir sollten hier im Parlament noch so viel geraderücken wie möglich, weil dieser Gesetzentwurf wirklich Mist ist und so nicht zum Gesetz werden sollte . Vielen Dank . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Jetzt hat der Kollege Dr . Matthias Bartke, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den vorliegenden Antrag der Linken haben wir das erste Mal kurz vor der letzten Sommerpause debattiert . Inzwischen ist fast ein Jahr vergangen, und ich muss sagen: Der Zeitpunkt der heutigen Debatte könnte nicht besser sein; denn seit Montagabend hat das Kanzleramt den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes endlich freigegeben . Wir haben lange darauf gewartet . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Ihr Antrag heißt „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen“, und es wird Sie überraschen, wenn ich sage: Ich finde,  dieser Titel  verspricht  durchaus, was  der Antrag  zu großen Teilen hält . Die UN-Behindertenrechtskonvention gibt uns vor, den Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen offen und inklusiv zu gestalten . Diese Konvention darf aber nicht der einzige Antrieb sein . Es geht nicht nur um Vertragserfüllung; es geht vielmehr darum, dass das Ziel eine Gesellschaft sein muss, in der alle Menschen am Arbeitsleben teilhaben können . Es geht um das Glück, dazuzugehören . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, die meisten Ihrer Forderungen sind in unserem Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes berücksichtigt . Frau Werner, wenn Sie das in Abrede stellen, dann liegt das vielleicht daran, dass dieser Entwurf noch neu ist. Wir befinden uns  jetzt in der Sitzungswoche, und man konnte das nicht alles so genau lesen . ({1}) Lesen Sie es, und Sie werden es feststellen . ({2}) Zuerst ist das Budget für Arbeit zu nennen . Damit erhalten Menschen mit Behinderung die Chance auf einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt . In meiner Heimatstadt Hamburg haben wir damit hervorragende Erfahrungen gemacht . Schon im ersten Projektjahr haben 43 Menschen mit Behinderung einen Job in 39 Hamburger Unternehmen gefunden . Zuvor waren sie im Durchschnitt fast fünf Jahre in einer Werkstatt beschäftigt . Ihr nächster Punkt, den wir richtig finden, ist das unbegrenzte Recht zur Rückkehr in die Werkstatt . Natürlich schreibt das Budget für Arbeit Erfolgsgeschichten . Dennoch kann nach dem Schritt von der Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt immer auch die Erkenntnis stehen: Das ist doch nicht das Richtige für mich . Die Angst vor dieser Erkenntnis darf aber keine Schranke sein . Deswegen wird das Bundesteilhabegesetz ein unbegrenztes Recht zur Rückkehr schaffen . In Ihrem Antrag fordern Sie auch die Stärkung der Schwerbehindertenvertretung und die Weiterentwicklung der Mitwirkungsrechte in den Werkstätten . Mit dem Bundesteilhabegesetz schaffen wir Mitbestimmungsrecht in besonders wichtigen Fragen . Hierzu gehören die Einführung von Frauenbeauftragten in den Werkstätten und die Finanzierung überregionaler Werkstatträte . Ich gebe aber zu: Bei den Rechten für Schwerbehindertenvertretungen ist durchaus noch Luft nach oben . ({3}) Ich habe eben den Beitrag von Herrn Schummer gehört . Danach bin ich optimistisch, dass wir in der gemeinsamen Beratung etwas bewirken können: dass die Schwerbehindertenvertretungen endlich das Recht bekommen, ihre Rechte auch einzuklagen . Das gehört ja dazu . ({4}) Zur Förderung der Integrationsbetriebe haben wir im letzten Jahr einen Antrag vorgelegt . Frau Werner, Sie haben uns damals vorgeworfen, das sei nur ein Showantrag . Aber ich sage Ihnen: Mitnichten . Wir werden die Zuverdienstbeschäftigung in Integrationsprojekten zulassen . Wir werden die bevorzugte Berücksichtigung von Integrationsbetrieben bei öffentlichen Vergabeverfahren ermöglichen, und wir werden den Integrationsämtern zusätzlich 150 Millionen Euro zur Verfügung stellen . Diese Punkte haben wir schon auf den Weg gebracht . So viel zum Thema Showantrag . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, bei einem  zentralen  Punkt  können  wir  aber  definitiv  nicht  mitgehen, und das ist die Anhebung der Beschäftigungspflichtquote auf 6 Prozent; denn bei einer vollständigen  Erfüllung einer 6-Prozent-Quote entstehen mehr Pflichtplätze, als es überhaupt arbeitslose Schwerbehinderte gibt . Ich sage Ihnen: Man muss nicht Jura studiert haben, um zu merken, dass so etwas verfassungswidrig wäre . Franz Müntefering würde sagen: Die Zwergschule im Sauerland reicht . ({6}) Eine Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ist nicht nur eine Frage der Pflicht; es ist auch eine Frage der Überzeugung, der Information und der Anreize . Häufig fehlen schlicht ganz grundlegende Informationen.  Das betrifft Unterstützungsformen, aber auch die Kenntnis über Arten von Behinderung und Einsatzmöglichkeiten . Der Sachverständige Otto-Albrecht hat es in der Anhörung so zusammengefasst: „Es fehlen . . . Informationen . . . darüber, dass nicht alle behinderten Menschen im Rollstuhl sitzen“ . Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung ergänzend auch auf Initiativen mit der Wirtschaft setzt, die genau solche doch recht elementaren Wissenslücken schließen . Meine Damen und Herren, zusammenfassend gilt: Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung liegt uns allen am Herzen . Lassen Sie uns mit dem Bundesteilhabegesetz darauf aufbauen! Ich danke Ihnen . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes hat die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist das Thema gar keines, über das man so viel diskutieren müsste; denn wir sind uns in vielem einig . Wir sind uns darin einig, dass Menschen Arbeit brauchen, und zwar Arbeit, die ihnen Freude macht, und dass es zunächst einmal keinen Unterschied macht, ob der Mensch eine Behinderung hat oder nicht . Wir alle wissen auch, dass man sich mit Handicap auf dem Arbeitsmarkt oft schwertut . Wir alle würden uns wünschen, dass wir über dieses Thema nicht mehr diskutieren müssten, weil es kein Thema mehr ist, weil irgendwann alle auf dem Arbeitsmarkt unterkommen, egal ob sie ein Handicap haben oder nicht . Aber dann gibt es schon auch wieder Unterschiede, und zwar in der Problembeschreibung . In Ihrem Antrag bezeichnen Sie die Situation von behinderten Menschen als alarmierend und rechnen vor, dass im vergangenen Jahr 10 000 Schwerbehinderte mehr arbeitslos gewesen seien als noch fünf Jahre vorher . Das mag sein . Aber Sie verschweigen natürlich, dass die Gesamtzahl der Schwerbehinderten in Deutschland noch viel stärker gestiegen ist, was vor allem demografische Gründe hat. Im  Endergebnis ist es so, dass heute gut 100 000 Schwerbehinderte mehr beschäftigt sind als noch 2010, und das ist eine gute Nachricht; auch das sollten wir erwähnen . ({0}) Ich glaube, es bringt uns allen nichts, wenn wir die Situation schlechter darstellen, als sie ist . Es gibt noch mehr positive Entwicklungen, die Sie in Ihrem Antrag ausblenden . Die Beschäftigungsquote für Schwerbehinderte in den Unternehmen, die Menschen mit Handicap beschäftigen müssen, liegt inzwischen bei 4,7 Prozent . Das ist so viel wie nie zuvor . Immer mehr beschäftigungspflichtige Arbeitgeber  beschäftigen  auch wirklich  Menschen mit Behinderung - so viele wie nie zuvor . Der Kollege Schummer hat schon vorgestellt, wie wir die Situation von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt weiter verbessern wollen, zum Beispiel durch Integrationsfirmen, zum Beispiel durch das Budget  für Arbeit. Auch das finden eigentlich alle gut. Der Knackpunkt bei diesem Thema ist natürlich, dass wir die ganz normalen Unternehmen des ersten Arbeitsmarkts dafür gewinnen müssen . Sie müssen die Stellen zur Verfügung stellen, die die Menschen mit Behinderung suchen . Man kann auf ganz unterschiedliche Weise darangehen . Sie versuchen es mit Zwang und mit Strafmaßnahmen . Sie fordern eine um 20 Prozent höhere Beschäftigungsquote, Sie fordern eine deutliche Erhöhung der Ausgleichsabgabe, und Sie fordern eine Pflicht, alle  Arbeitsplätze barrierefrei auszubauen . Da unterscheiden wir uns . Ich bin der Meinung, dass die positive Motivation viel besser ist als aller Zwang und alle Strafen . Auch die Sachverständigen bei der Anhörung haben darauf verwiesen, dass dieser Weg der Überzeugung und Hilfestellung mehr bewirkt, zum Beispiel auch deswegen, weil es verfassungsrechtliche Probleme geben kann, wenn es deutlich mehr Pflichtarbeitsplätze  als arbeitslose Schwerbehinderte gibt .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rüffer?

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Frau Rüffer .

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Freudenstein, der Bundesfinanzminister hat im letzten Sommer - im Juli war es, glaube ich - eine Verdoppelung der Ausgleichsabgabe gefordert . Wie stehen Sie dazu?

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist ein Vorschlag in der Debatte gewesen, der vielleicht auch zum Ziel führen kann . Ich glaube aber, dass wir zunächst einmal versuchen sollten, die Arbeitgeber dazu zu bringen, mehr Stellen zur Verfügung zu stellen . Damit ist den Betroffenen mit Sicherheit am allermeisten geholfen . ({0}) Ich glaube, dass eine solche Erhöhung der Quote oder der Ausgleichsabgabe - ich habe es eben erwähnt - die Motivation und den guten Willen auf Unternehmerseite nicht unbedingt fördern wird . Aber genau das brauchen wir natürlich . Wir brauchen den guten Willen der Unternehmer, und wir brauchen die guten Beispiele, in denen das Miteinander im Betrieb problemlos klappt . Wir wissen ja, dass die allermeisten Arbeitgeber, die Menschen mit Handicap beschäftigen, schon nach kurzer Zeit überhaupt kein Problem mehr feststellen und hochzufrieden sind . Wo das Miteinander im Betrieb praktiziert wird, da wird es auch zum Normalfall . Genau dahin müssen wir kommen, und zwar ohne Zwang und Strafen, vor allem aber natürlich mit mehr Information der Unternehmen . Es gibt viel zu viele Unternehmer, die überhaupt nicht wissen, welche Hilfen es gibt, wenn man einen Schwerbehinderten beschäftigt . Die Zahlen zeigen: Je größer ein Unternehmen ist, umso besser wissen die Personaler über die Fördermöglichkeiten Bescheid und nehmen sie dann auch in Anspruch . Wir haben ein Riesenpotenzial, gerade im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen . Auf die müssen wir mehr als bisher zugehen und sie informieren . Da sind Modellprojekte wie das schon erwähnte „Wirtschaft inklusiv“ natürlich hoch wertvoll, und hier müssen wir auch noch großflächiger aktiv werden . Deswegen auch heute von meiner Stelle der Appell an die Arbeitgeber, an die Unternehmer: Überwinden Sie die Barrieren im Kopf, beschäftigen Sie ganz gezielt Menschen mit Handicap, werden Sie zum guten Beispiel, werden Sie zum Motivator für andere! Wenn zu Beginn der Flüchtlingskrise gerade die großen Wirtschaftsverbände noch vielfach die Hoffnung geäußert hatten, dass wir damit vielleicht auch unseren Fachkräftemangel beseitigen können, dann sage ich: Wir haben schon ein großes, nicht gehobenes Fachkräftepotenzial bei uns im Land . ({1}) Manche davon sitzen im Rollstuhl - es sitzen nicht alle Behinderten im Rollstuhl -, manche sind sehbehindert, wieder andere haben psychische Probleme, das mag so sein . Aber viele von ihnen sind ausgesprochen gut ausgebildet, sie sind hoch motiviert, sie wissen, wie der Laden bei uns läuft, und sie haben auf jeden Fall eine Chance verdient . Herzlichen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit beende ich die Aussprache . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8118, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5227 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes Drucksache 18/8043 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) Drucksache 18/8260 Ich bitte die Kollegen, die noch Unterhaltungen führen müssen, dies außerhalb des Plenarsaals zu tun, und darum, die Plätze einzunehmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Matthias Ilgen, SPD-Fraktion . ({1})

Matthias Ilgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004310, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist ja heute ein äußerst spannendes Thema für die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer an den Fernsehschirmen . Deswegen habe ich gedacht, ich mache das einmal ein bisschen anschaulich und stelle hier die Frage: Was haben die gute alte Bibel und die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika auf einem handelsüblichen Tablet - ich habe es hier; die Farbe ist natürlich rein zufällig gewählt - gemeinsam? Ja, sie waren beide das erste Buch, die Gutenberg-Bibel um 1450, als der Buchdruck erfunden wurde, die Unabhängigkeitserklärung das erste E-Book, und zwar bereits 1971, nur ungefähr 20 Jahre, bevor das World Wide Web, also das Internet, in seiner jetzigen Form, wie wir es kennen, so richtig weltweit durchgestartet ist . Aber schon damals gab es die Entwicklung, dass man Bücher auch digital verschicken kann . Wir sind mitten in einer gesellschaftlichen Revolution . Viele Dinge passieren heute über das Internet . Handel und Kommerz sind dabei nicht ausgeschlossen . Wir stehen vor der Fragestellung, wie wir vonseiten der Politik mit dem Kulturgut Buch in Zukunft umgehen wollen . Dabei geht es heute darum, die Buchpreisbindung auf sogenannte E-Books auszudehnen . Der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel versucht, mit dieser Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes Rechtssicherheit zu schaffen und dafür zu sorgen, dass eine Vielfalt von Buchtiteln und eine Vielzahl von Buchhandlungen in Deutschland auch in Zukunft erhalten bleiben . Das ist uns Sozialdemokraten besonders wichtig und liegt uns am Herzen . Deswegen unterstützen wir dies . ({0}) Es geht um die Fragestellung: Wollen wir, dass der Wettbewerb bei dem Kulturgut Buch über den Preis stattfindet, wie  es  zunehmend der Fall  ist, wenn die Buchpreisbindung online umgangen wird? Oder wollen wir, dass der Service und die Dienstleistungen des Handels, also auch der vielen Buchhändler in Deutschland, die mit ihren Buchhandlungen vor allem - ich sage das ganz deutlich - unsere Innenstädte beleben, darüber entscheiden, was der Kunde kauft und wie er es kauft? Wollen wir also den Wettbewerb nicht über den Preis, sondern über die Qualität führen? Das wollen wir auch in Zukunft tun . Deswegen wollen wir, dass die Buchpreisbindung auch auf E-Books übertragen wird . In dem Gesetzgebungsprozess sind auch weitergehende Forderungen angeklungen . Wir haben Forderungen von Verbänden auf dem Tisch gehabt, die in die Richtung gingen, dass man viele Dinge miterledigen könne, unter anderem die Themen „unlauterer Wettbewerb“ oder „Absatzförderung“ . Wir müssen aber auch sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante . - Die Buchpreisbindung ist ein sehr deutschraumsprachig singulär gestattetes Gesetz - so würde ich es übersetzen . Die Europäische Kommission hat es zwar notifiziert, sagt aber: Seid vorsichtig. Wenn  Erweiterungen vorgenommen werden, müssen wir sehr genau sehen, ob es keine Wettbewerbsbeschränkungen sind . - Deswegen hat die Regierung den klugen Vorschlag gemacht, wie er heute vorliegt, ein solches Gesetzgebungsverfahren vorzunehmen und abzuwarten . Es sind noch sehr viele Urteile zu diesen Rechtstatbeständen anhängig . Diese müssen wir abwarten, um dann zu sehen, ob es Umgehungstatbestände im Wettbewerb gibt und wir gegebenenfalls noch einmal parlamentarisch nachsteuern und ein neues Verfahren anstrengen müssen . Vielen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächste hat die Kollegin Sigrid Hupach, Fraktion Die Linke, das Wort . ({0})

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke sagt: Die Buchpreisbindung muss ohne Wenn und Aber erhalten bleiben . Wir debattieren heute abschließend einen Gesetzentwurf zur Änderung der Buchpreisbindung aus dem Ministerium für Wirtschaft und Energie . Ich rede als Kulturpolitikerin zu diesem Thema, und das aus gutem Grund; denn bei der Buchpreisbindung geht es um das Kulturgut Buch, um die Stärkung der Verlage und der Buchhandlungen und damit auch um die kulturelle Infrastruktur und die kulturelle Vielfalt in Deutschland . ({0}) Der vorliegende Entwurf will gesetzlich fixieren, was  schon Praxis ist, dass nämlich Verlage auch für E-Books feste Preise festlegen, die von allen Buchhändlern für einen bestimmten Zeitraum einzuhalten sind . Das ist richtig . Es darf keinen Unterschied machen, in welcher der über 6 000 Buchhandlungen in Deutschland ich ein Buch oder ein E-Book erwerbe: ob in der gut sortierten Sortimentsbuchhandlung um die Ecke, im Buchkaufhaus, am Bahnhof oder über den Onlinehandel . Die Buchpreisbindung hat nicht nur Tradition, sie hat vor allem ihren Sinn darin, dass es so Verlagen möglich ist, über Mischkalkulationen auch Bücher zu drucken oder E-Books zu publizieren, die nur eine geringe Nachfrage finden werden, es aber unbedingt verdient haben,  veröffentlicht zu werden, weil sie kulturell wertvoll sind . Dank der Buchpreisbindung können wir in Deutschland auf eine große Vielfalt von Buchtiteln und eine große Vielfalt an Anbietern verweisen . Die Buchpreisbindung schützt gerade die kleineren Buchhandlungen vor einem erbitterten Preisdumping durch große Handelsketten oder Onlinehändler wie Amazon . Gerade die Buchhandlungen widmen sich neben dem reinen Verkauf auch der Leseförderung, kulturellen Angeboten und Veranstaltungen . Der Gesetzentwurf stärkt die Buchpreisbindung und geht damit einen Schritt in die richtige Richtung, allerdings nur einen kleinen; denn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, bleiben mutlos stehen und lassen sich vom digitalen Zeitalter hoffnungslos überholen . Wenn wir der wachsenden Bedeutung, die E-Books und andere elektronische Medien für unser kulturelles Leben zunehmend haben, gerecht werden wollen, müssen wir mehr tun und Bücher und E-Books endlich umfassend rechtlich gleichstellen . ({1}) Dazu gehört eine Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes auch für diese elektronischen Kulturgüter, wie sie die Linke schon lange fordert . Dazu gehört, Käuferinnen und Käufer von analogen und digitalen Werken gleichzubehandeln; denn strenggenommen kauft man gegenwärtig nämlich kein E-Book, sondern erhält für sein Geld lediglich die Erlaubnis, den Text zu lesen . Man darf E-Books im Unterschied zu gedruckten Büchern eben nicht weitergeben oder nach Benutzung auf dem Secondhandmarkt anbieten . Dazu haben wir bereits 2012 einen Gesetzentwurf vorgelegt . Auch hier brauchen die Verbraucherinnen und Verbraucher mehr Rechtssicherheit . ({2}) Schließlich gehört zur Anpassung ans digitale Zeitalter auch, den Erschöpfungsgrundsatz auf den Verleih von E-Books und anderen elektronischen Medien auszudehnen,  flankiert  von  einem  entsprechenden Ausgleich  für Verlage und Autorinnen und Autoren über eine Anhebung der Bibliothekstantieme . Davon hätten vor allem die öffentlichen Bibliotheken und ihre Besucherinnen und Besucher etwas; denn sie könnten so auf ein modernes, vielfältiges Angebot zugreifen, das die Bibliotheken selbst gestaltet haben . Gegenwärtig sind diese aber von den Verlagen abhängig, die ihnen Lizenzen für E-Books erteilen oder eben nicht . Laut Aussagen von Frau Staatsministerin Grütters wollen Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, mit dem Gesetzentwurf die Buchpreisbindung zukunftsfest für das digitale Zeitalter machen . Dann müssen Sie aber noch konsequenter werden . Akute Gefahr droht gegenwärtig nicht so sehr durch die digitalen Medien, sondern vor allem durch das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA . Am vergangenen Samstag, übrigens dem Welttag des Buches, protestierten erneut Zehntausende Menschen in Hannover gegen TTIP . ({3}) Diese Demo wurde - wie auch schon die im Oktober letzten Jahres hier in Berlin - von vielen Künstlerinnen und Künstlern, von Kulturschaffenden, Kulturinstitutionen und auch Kulturverbänden maßgeblich mitgetragen . Gerade weil die Verhandlungen geheim und unter Ausschluss  der Öffentlichkeit  stattfinden,  schenken  die  Menschen den Beteuerungen keinen Glauben, dass die hiesige Vielfalt an Kultur und unsere Form der Kulturförderung nicht vom Freihandelsabkommen betroffen sind . Was nützt uns die Versicherung der EU-Kommissarin Malmström, dass die Buchpreisbindung von den Verhandlungen nicht berührt wird, wenn letztlich doch nur rein ökonomische Interessen eine Rolle spielen und transnationale Handelsriesen wie Amazon, Apple, Google und Co . vor Investor-Staat-Schiedsgerichten gegen sogenannte Handelshemmnisse, wie eben auch die Buchpreisbindung, klagen könnten . Nicht der freie Handel ist „gut für alle“ - wie es die neueste Hochglanzbroschüre der Bundesregierung glauben machen will -, sondern nur der faire und gerechte Handel . ({4}) Dazu gehört die Buchpreisbindung, dazu gehört auch ein Stopp von TTIP, CETA und Co . Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr . Matthias Heider . ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein bisschen überraschend, was hier alles im Zusammenhang mit der Buchpreisbindung aufgerufen wird . Darüber können wir heute nicht mehr abschließend sprechen, insbesondere nicht über die Freihandelsabkommen . Dafür fehlt uns schlichtweg die Zeit . ({0}) Ich bin überzeugt: Am Samstag, dem 23 . April, haben vor allen Dingen Buchhändler, Verleger, Bibliotheken und Schulen an den UNESCO-Welttag des Buches, aber wahrscheinlich weniger an die Freihandelsabkommen gedacht . Das Kulturgut Buch ist schutzwürdig . Ich glaube, darüber sind sich wenigstens all diejenigen, die gerne Bücher lesen, einig . ({1}) Der Feiertag, meine Damen und Herren, findet nicht  ohne Grund am 23 . April statt . Es ist der Todestag zweier bekannter Schriftsteller, nämlich des Engländers William Shakespeare und des Spaniers Miguel de Cervantes . Sie haben im 16 . und 17 . Jahrhundert gelebt . Ich bin mir sicher, mit der Idee der Buchpreisbindung hatten sie noch nichts am Hut . Der Buchdruck war gerade erst erfunden . Heutzutage gibt es in Spanien wie auch in Deutschland, in Frankreich, Griechenland, Italien, Norwegen, Portugal und Österreich eine solche Buchpreisbindung . Zwei deutsche Schriftsteller haben im 19 . Jahrhundert, im Dreikaiserjahr 1888, die Einführung der Buchpreisbindung miterlebt . Theodor Storm hat in diesem Jahr den Schimmelreiter veröffentlicht, Theodor Fontane Irrungen und Wirrungen, ein Buch, das ich Ihnen vielleicht einmal empfehlen würde . ({2}) Nach ihrer Geburt überdauerte die Buchpreisbindung zwei Weltkriege, zwei Kartellrechtsreformen und die gegen sie gerichteten Verfahren der EU-Kommission um die letzte Jahrtausendwende herum . Seit 2002 ist die Buchpreisbindung wieder gesetzlich verankert . Sie sehen: Die Buchpreisbindung hat im deutschen Recht eine lange Tradition . Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir dies fortführen und sie auf die modernen elektronischen Bücher, auf die E-Books, erweitern . Außerdem knüpfen wir ausdrücklich an das Merkmal des Verkaufs an Letztabnehmer an . Lassen Sie mich erklären, warum die Buchpreisbindung in diesen Fällen gerechtfertigt ist, in anderen Fällen wiederum nicht . Zunächst zum Zweck der Buchpreisbindung . Die Buchpreisbindung soll einen leistungsfähigen Markt für Verlagserzeugnisse, also Bücher, Musiknoten und ähnliche verlags- oder buchhandelstypische Produkte, gewährleisten . Sie soll gewährleisten, dass es ein leistungsfähiger Markt ist . Außerdem soll sie das Buch als Kulturgut und als Kulturmedium sicherstellen . Die Buchpreisbindung verhindert den Wettbewerb unter den Händlern; eine Einschränkung, die wir in unserem Rechtssystem nur in ganz wenigen Bereichen gewähren . Verlage geben einen einheitlichen Preis für ein Buch vor . Von diesem Preis darf ein Händler, bis auf wenige Ausnahmen, weder nach oben noch nach unten abweichen . Für mich als Ordnungspolitiker ist das ein zweischneidiges Schwert . Die Buchpreisbindung führt einerseits zu einer Beschränkung des Wettbewerbs, andererseits hat sie sehr großen, allgemein anerkannten kulturellen Nutzen . Die Buchpreisbindung fördert eine große Buchauswahl in Deutschland und auf dem europäischen Markt . Kulturell wertvolle Bücher können bei uns zu erschwinglichen Preisen für alle Bevölkerungsgruppen erscheinen . Es gibt in Deutschland eine Fülle von kleinen und mittleren Verlagen . Schließlich werden wir durch ein Netz von Buchhandlungen und Büchern vor Ort versorgt, und das nicht nur in großen Städten, sondern auch in ländlichen Regionen . Den Vorteil der Buchauswahl wollen wir auch bei den E-Books bewahren . E-Books sind in den letzten Jahren zum Austauschprodukt für gedruckte Bücher geworden . Schon bisher unterliegen sie faktisch eigentlich der Preisbindung . Durch die gesetzliche Regelung nehmen wir also nur eine Klarstellung vor . Diese bringt Rechtssicherheit für die Verlage und Rechtssicherheit für den Handel . Außerdem soll die Buchpreisbindung nicht mehr vom Kriterium des nationalen Buchverkaufs abhängig sein . Bisher galt die Buchpreisbindung nur für Verkäufe in Deutschland . Probleme bestanden bei einem Verkauf über das Internet aus dem Ausland an Kunden in Deutschland . In diesen Fällen war nicht klar, ob es sich um einen nationalen Buchverkauf handelt oder nicht . Das ändern wir . Mit einer neuen Regelung, die beim Verkauf an Abnehmer in Deutschland ansetzt, schaffen wir Rechtssicherheit . Dadurch werden die Unklarheiten beseitigt . Wir wollen jedoch den Schutz bei der Buchpreisbindung nicht überstrapazieren; Kollege Ilgen hat schon darauf hingewiesen . Es bleiben daher einige an uns herangetragene Änderungswünsche der Branche unberücksichtigt . Ein Wunsch war beispielsweise, auch die Kalender der Buchpreisbindung zu unterwerfen . Ich sehe da keine wirkliche Ähnlichkeit mit Büchern . Sie haben mehr eine künstlerische, ästhetische Bedeutung und sind aus meiner Sicht eher mit Drucken, mit Postern oder mit Fotografien zu vergleichen.  Ein weiterer Wunsch, unter anderem vom Bundesrat, war es, Verkaufsmaßnahmen zu verbieten, die die Buchpreisbindung unterlaufen . Ein solches Verbot halten wir für nicht notwendig; denn die Buchpreisbindung selbst verbietet schon den Preiswettbewerb zwischen den Händlern . Zudem haben die Gerichte in vielen Entscheidungen alle Maßnahmen, die das Ziel hatten, die Buchpreisbindung zu umgehen, für unzulässig gehalten . Darüber hinaus wollen wir Unternehmen nicht in ihrer unternehmerischen Freiheit beschränken . Werbemaßnahmen, die mit der Buchpreisbindung vereinbar sind, müssen zulässig bleiben . Sie sind ein zulässiges Instrument . Schließlich halten wir eine Regelung, die Bücher ohne ISBN von der Buchpreisbindung ausnimmt, nicht für notwendig . Das wurde in einer Petition, die derzeit im Petitionsausschuss beraten wird, gefordert . Der Petent wollte durch diese Petition erreichen, dass Hobbyautoren ihre Bücher unabhängig von der Buchpreisbindung verkaufen können . Das ist, meine Damen und Herren, schon jetzt erlaubt . Die Buchpreisbindung gilt nicht für Schriften, die Sie alle im Selbstverlag von zu Hause aus auf den Weg bringen . Meine Damen und Herren, wir haben gesehen, dass die Buchpreisbindung auch im Jahr 2016 noch ihre Berechtigung hat . Daher ist es sinnvoll, eine gesetzliche Klarstellung bezüglich der E-Books in das Gesetz aufzunehmen und sie an den Verkauf an Abnehmer in Deutschland auszurichten . Wir stellen uns damit auch gegen eine schlanke Bestsellerkultur . Das schützt die Titelvielfalt in Deutschland, alte Literatur und neue Literatur . Nicht nur Storm und Fontane hätten es uns gedankt . Weitere Einschränkungen der unternehmerischen Handlungsfreiheit sind aber nicht geboten . Deshalb nehmen wir an dieser Stelle davon Abstand . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Tabea Rößner .

Tabea Rößner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004138, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kafka war Versicherungsangestellter, Doris Lessing Sekretärin, und Herta Müller verdiente ihr Geld als Lehrerin . Deutschland betrachtet sich ja immer gerne als das Land der Dichter und Denker; aber dichten geht halt erst nach  Feierabend.  Kreativität  ist  kein  Nine-to-five-Job,  wird das auch niemals sein . So ist Kultur auch kein normaler Wirtschaftszweig, und deshalb bedarf Kultur eines gewissen Schutzes . Der vorliegende Gesetzentwurf trägt dem Rechnung . Kafka hätte es sich wohl kaum vorstellen können, dass irgendwann einmal sein gesamtes Werk auf ein dünnes Gerät passt und man es überall bekommen kann . Die Digitalisierung macht vieles einfacher . Sie erleichtert die Verbreitung von Kultur, und das wiederum inspiriert für Neues . Als Kundin oder Kunde sehen wir oft nicht die Arbeit von Autoren und Verlegern, die auch in E-Books steckt . Wir schauen gerne auf den Preis . Darum ist es so wichtig, dass wir als politisch Verantwortliche darauf achten, dass im digitalen Wirtschaftsraum Gewinnmaximierung nicht zum Ausverkauf von Kultur führt . ({0}) Preisdumping à la Amazon geht zulasten der Kreativen und damit letztlich auch zulasten der Leserinnen und Leser . Die Buchpreisbindung verhindert einen Unterbietungswettbewerb . Es ist nur konsequent, sie auf E-Books auszuweiten, und zwar grenzüberschreitend . Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich mir keine Sorgen um die Amazons dieser Welt mache, sondern um die vielen kleinen Buchhandlungen, die ein vielfältiges Buchangebot vorhalten . Diese Orte sterben aus, wenn wir nicht aufpassen . ({1}) Da hilft, ganz ehrlich, auch kein gutgemeinter 100 000-Euro-Preis der Beauftragten für Kultur und Medien . ({2}) Eines verstehe ich nicht: Es gibt derzeit Ausnahmen von  der  Buchpreisbindung.  Davon  profitiert  vor  allem  der  große Buchhandel. Er  streicht  häufig  hohe Margen  ein; die Kleinen können da überhaupt nicht mithalten . Jetzt hat der Bundesrat vorgeschlagen, diese Ausnahmen zu begrenzen . Aber genau das lehnen Sie ab, und zwar mit der Begründung, die Gerichte würden die Verstöße gut im Griff haben . Ich sage: Wenn es ständig gerichtlicher Korrekturen bedarf, dann geben wir als Gesetzgeber unsere Verantwortung ab, und das kann ja wohl nicht unser Anspruch sein . ({3}) Nun ist die Buchpreisbindung eine zwar sinnvolle, aber auch verhältnismäßig kleine Baustelle . Für den Buchmarkt gibt es weit mehr Herausforderungen, zum Beispiel die Frage, ob der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auch für elektronische Bücher gelten soll, oder die Frage, welche Vor- und Nachteile ein Weiterverkauf gebrauchter E-Books hat, oder die Frage, wie die E-Book-Ausleihe in Bibliotheken ermöglicht werden kann . Sicher, das sind keine leichten Fragen; vor den Antworten drücken Sie sich aber schon viel zu lange . ({4}) Ich mache mir auch Sorgen um die zukünftigen  Kafkas, Müllers und Lessings. Sie profitieren zwar von  der Buchpreisbindung, wenn ihre Werke online nicht für einen Apfel und ein Ei verscherbelt werden . Das alleine reicht aber nicht . Ich erwarte von der Bundesregierung deutlich mehr Einsatz für die Kreativen . Eine Chance lassen Sie gerade verstreichen, nämlich beim Urhebervertragsrecht . Bundesjustizminister Maas hat nach großen Ankündigungen am Ende nur Halbdurchdachtes vorgelegt . Neuerdings scheint er auch selbst nicht von seinem Entwurf überzeugt zu sein; das hat er jedenfalls vorgestern bei einer Veranstaltung von sich gegeben . Das verstehe ich . Warum zum Beispiel hat er die Verbindlichkeit des Schiedsverfahrens zur Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln, einen ganz wesentlichen Schritt für die angemessene Vergütung von Autorinnen und Autoren, nicht mit aufgenommen? Dabei war genau das einer der wenigen Punkte, auf den sich alle Fraktionen damals bei der Internet-Enquete-Kommission geeinigt haben . Das müssen Sie mir einmal erklären . ({5}) Und auch sonst beim Urheberrecht - gähnende Leere . Wo bleibt beispielsweise die versprochene Bildungsund Wissenschaftsschranke? Auch wichtig für die Autorinnen und Autoren war das jüngste Urteil des BGH in Sachen Vogel gegen VG Wort . Danach haben Verlage derzeit keinen Anspruch, an der Privatkopievergütung zu partizipieren . Das bedroht vor allem kleine Verlage . Wenn Verlage auch in Zukunft Ausschüttungen erhalten sollen - natürlich nicht auf Kosten der Urheber -, braucht das eine gesetzliche Regelung . Da reicht es nicht, wenn sich die Bundesregierung sorgt und gesetzliche Möglichkeiten prüfen will . Hier muss mit Nachdruck auf nationaler und europäischer Ebene eine einvernehmliche Lösung aller Beteiligten gefunden werden . ({6}) Wir sehen: Die Buchpreisbindung auf E-Books auszudehnen, kann nur ein erster Schritt sein . Es gibt viel mehr Handlungsbedarf, der von der Bundesregierung leider regelmäßig ignoriert wird . Wir müssen aber jetzt handeln: für die kulturelle Vielfalt, für die Müllers und Kafkas von morgen, für diejenigen, die in Kultur und Kreativität investieren . Es gibt viel zu tun . Bitte ruhen Sie sich nicht auf diesem Gesetz aus . Vielen Dank . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer das Wort .

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Herr Präsident, schönen Dank . - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Opposition einige Worte am Anfang: Wenn Sie das gut finden, sagen  Sie das auch . ({0}) Und sagen Sie nicht immer das Gegenteil, Stichwort: TTIP . Natürlich liegt uns allen die Kreativwirtschaft am Herzen . Gerade in jüngerer Zeit hat sich enorm viel in Deutschland auf diesem Felde getan . Hohe Anstrengungen sind seitens der Bundesregierung unternommen worden . Bei vielen der großen Kulturveranstaltungen, etwa bei der Berlinale, haben wir bewiesen und gezeigt, was alles aktuell zusätzlich gemacht wird . Das sollte man nicht kleinreden . Wir haben gemeinsam 2002 im Deutschen Bundestag das Buchpreisbindungsgesetz beschlossen . Das war eine große Tat . Wir erweitern sie vom normalen Buch auf das digitale und übertragen sie . Digitale Versionen sind Substitute des Buches . Das muss man so sehen, so kategorisieren und im Gesetz schützen . Das ist unsere Aufgabe . Das tun wir mit diesem Gesetzentwurf . Das haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen . Es ist richtig, dass wir das jetzt anpacken . Insofern haben wir es mit einer Erfolgsgeschichte zu tun, mit einer langen und über die Jahrhunderte gewachsenen Erfolgsgeschichte des Buches . Wir haben es mit einer rasanten Entwicklung des digitalen Bereiches, des Internets in einer Dekade zu tun, die natürlich auch die Gesellschaft erfasst hat . Uns erscheint aber wichtig, dass wir auch diejenigen erfassen, die von draußen mit dem Internet auf den deutschen Buchmarkt einwirken . Wir wollen diejenigen, die über das Internet von außen versuchen, Digitales hier zu veräußern, in die Buchpreisbindung hineinbringen . Denn das ist auch ein entscheidender Punkt: Wir dürfen die Wettbewerbsbedingungen am Ende des Tages nicht so löchrig gestalten, dass von draußen am Ende der deutsche Buchhandel erneut unter Druck kommen kann . Das ist eine klare Position . Ich freue mich, dass hier im Deutschen Bundestag neben den etwas ablenkenden weiteren Anmerkungen am Ende doch eine große Übereinstimmung zu diesem Thema besteht . Wir müssen auf das sich verändernde Marktumfeld reagieren . Das tun wir hier . Insofern bin ich froh, dass es jetzt zu einem Beschluss des Deutschen Bundestages zu diesem Thema kommt . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als Nächster spricht der Kollege Ansgar Heveling für die CDU/CSU . ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ein Raum ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele“ diese schöne Weisheit des römischen Denkers Cicero ist manchem von uns auch heute noch ein treuer Begleiter . Dass der konkrete physikalische Raum immer mehr einem virtuellen Raumkonzept weichen würde und wir Bücher einmal in digitaler Form lesen würden, konnte Cicero vor über 2 000 Jahren wahrscheinlich nicht ahnen . Ebenso wenig war abzusehen, dass ein Computer, ein E-Book-Reader oder ein Tablet einmal genügen würden, um den Inhalt einer ganzen Bibliothek in sich aufzunehmen . Auch ich konnte mir lange nicht vorstellen, die Haptik eines Buches gegen ein Stück Plastik einzutauschen . Die Lebensumstände eines MdB belehrten mich bald eines Besseren, und so bin ich heute sehr froh, gleich mehrere Bücher in so einem Stück Plastik mit mir herumtragen zu können . Auch Jorge Luis Borges, der legendäre argentinische Bibliothekar und Schriftsteller, hat sich sicherlich nicht gedacht, dass ein heutiger E-Book-Reader seiner unendlichen Bibliothek aus der fantastischen Kurzgeschichte Die Bibliothek von Babel einmal so nahe kommen würde . Noch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Buchpreisbindungsgesetzes 2002 war der Onlinehandel mit Büchern vergleichsweise unbedeutend . Seit einigen Jahren erfreuen sich jedoch E-Books in Deutschland einer immer stärker werdenden Bedeutung . Mehr als jedes 20 . Buch wird hierzulande schon in digitaler Form verkauft, Tendenz steigend . Aufgrund dieser wachsenden Bedeutung von E-Books ist es dringend notwendig geworden, die Buchpreisbindung jetzt endlich auf E-Books auszuweiten . So können wir dem Buch als Kulturgut in vollem Umfang den Schutz garantieren, der ihm 2002 durch das Buchpreisbindungsgesetz zuteilwurde . Das Buchpreisbindungsgesetz  verpflichtet  die Verlage, für ihre Bücher einen Preis festzusetzen . Die Händler sind verpflichtet, diesen festgesetzten Preis einzuhalten.  Das Gesetz garantiert auf diese Weise, dass Verlage sinnvoll kalkulieren können . Es garantiert, dass Chancengerechtigkeit zwischen großen und kleinen Buchhändlern besteht, und es garantiert, dass sich Sortimentsbuchhandlungen über ein qualitativ hochwertiges Programm und eine intensive persönliche Beratung weiterhin profilieren  können . Ohne die Preisbindung könnten vor allem Großabnehmer besonders günstige Einkaufspreise erzielen . Der Erfolg eines Buches hängt schließlich ganz erheblich davon ab, ob die führenden Großanbieter das Buch vertreiben . Kleine Buchhandlungen dagegen könnten keine so günstigen Einkaufspreise aushandeln . Ihre Marktmacht ist schlichtweg zu klein . Wenn das Buch hier teurer ist als dort, dann kaufe ich es natürlich da, wo es am günstigsten ist, womöglich gleich online . Auch die Verlage müssten dann kürzen . Die Quersubventionierung von Nischenbüchern, Nischentiteln würde erheblich erschwert . Letztlich würde sich dann das Angebot immer weiter nur auf Bestseller verengen . Amazon hat vor kurzem seine erste Buchhandlung in Seattle eröffnet . Aus circa 5 000 Bestsellern kann der Kunde auswählen . Exoten, spezielle Bücher, wahrscheinlich die Kurzgeschichtensammlung von Jorge Luis Borges findet man da nicht mehr. Das Buchpreisbindungsgesetz dagegen garantiert Vielfalt . Daher ist es nur konsequent, E-Books explizit unter den Schutz der Buchpreisbindung zu stellen . Weil wir das Buch als Kulturgut schützen wollen, sollen aber nur bestimmte E-Books der Buchpreisbindung unterliegen, nämlich solche, die überwiegend verlags- und buchhandelstypisch sind, weil sie den Lesern dauerhaft angeboten werden . Nicht unter die Buchpreisbindung fallen damit solche elektronischen Bücher, die die Autoren selber unter Nutzung spezieller Plattformen veröffentlichen . Sie sind dann als nicht „verlags- und buchhandelstypisch“ einzuordnen . Die Buchpreisbindung wird auch Buchverkäufe aus dem Ausland nach Deutschland erfassen . In Zeiten, in denen man mit einem Mausklick Produkte aus aller Welt bestellen kann, ist der grenzüberschreitende Handel mit Büchern natürlich auch keine Ausnahme . Künftig knüpft die Buchpreisbindung an den Verkauf der Bücher an einen Letztabnehmer in Deutschland, an . Die Einhaltung der Buchpreisbindung wird nun unabhängig vom Sitz des Verlages oder des Händlers geregelt . So können Umgehungen der Preisbindung wirkungsvoll und umfassend auch im grenzüberschreitenden Handel ausgeschlossen werden . Zuletzt möchte ich noch kurz auf die bereits angesprochene Problematik eingehen, ob unzulässige Absatzfördermaßnahmen ausdrücklich per Gesetz verboten gehören . Dass große Buchhandlungen ihren Absatz in großem Umfang durch Maßnahmen wie Kundenbindung durch Gutscheine, Werbung mit Spenden oder sogenannte Affiliate-Programme fördern, ist augenfällig. Mit dem nun  vorliegenden Gesetzentwurf bleibt es erst einmal bei der bisherigen Praxis . Unzulässige Maßnahmen, durch die die Preisbindung unterlaufen wird, können natürlich durch Gerichtsentscheidungen unterbunden werden . Das war schon immer so, und das wird auch so bleiben . Allerdings ist die Rechtsprechung an diesen Stellen oftmals uneinheitlich . Deswegen sollten wir uns vornehmen, die Rechtsprechung auszuwerten und dann zu überlegen, ob es nicht vielleicht doch notwendig ist, an anderer Stelle auch explizite Verbote bestimmter Absatzfördermaßnahmen auszusprechen, wenn sie nicht im Einklang mit dem fairen Wettbewerb stehen . Am 23 . April dieses Jahres, am vorvergangenen Samstag, war der diesjährige UNESCO-Welttag des Buches . So wie Cicero vor 2 000 Jahren noch nicht ahnen konnte, wie man heutzutage Bücher liest, können auch wir nicht vorhersehen, wie die Zukunft des Buches aussieht . Nur eines ist gewiss: Bücher werden weiterhin gelesen . Sie sind nach wie vor wesentlicher Treibstoff unserer Kultur . Die Erweiterung des Buchpreisbindungsgesetzes auf E-Books und die Klarstellung im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Buchverkauf sind wesentliche Schritte zum Erhalt der literarischen Vielfalt auf dem deutschen Buchmarkt . Vielen Dank . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Siegmund Ehrmann, SPD . ({0})

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auf Gutenberg wurde verAnsgar Heveling wiesen . In der Tat: Seine Revolution des Buchdruckes Mitte des 15 . Jahrhunderts löste einen Megatrend aus . Was passierte? Erstens wurde die exakte Reproduktion von Texten möglich, zum Zweiten bekam die Autorenschaft einen besonderen Stellenwert, drittens veränderte sich das Lesen, und viertens - das ist entscheidend - wurde das Wissen allgemein zugänglich . Die Digitalisierung hat diesen Prozess in den letzten Jahrzehnten enorm verdichtet und beschleunigt . Aber wenn wir auf die letzten Jahrhunderte zurückblicken, müssen wir feststellen: Dies war ein permanenter Prozess, der jetzt wahrscheinlich einen Quantensprung erfahren hat . Doch die vier Säulen, die ich genannt habe Reproduktion, Autorenschaft, die Kunst des Lesens und der Zugang zum Wissen -, sind geblieben . Sie gelten nach wie vor als Herausforderungen und sind zu gewährleisten . Die Buchpreisbindung ist deshalb ein zentrales Instrument, das Buch als Portal zum Wissen nicht nur ökonomisch, sondern vor allem auch kulturpolitisch zu stärken und zu schützen . Es wurde erwähnt: Bereits 1888 wurde sie vertraglich vereinbart und 2002 dann europarechtlich bzw . wettbewerbsrechtlich wasserdicht geregelt . Jetzt folgt die Erweiterung auf E-Books und den grenzüberschreitenden Handel . Ich teile die Auffassung, die von Ansgar Heveling, Herrn Ilgen und Dr . Heider vorgetragen wurde: Man darf diesen Rechtsrahmen auch aus ordnungspolitischen Gründen nicht überladen . Das geht nicht, auch wenn es an anderer Stelle Justierungsbedarf gibt . Auch die unzulässige Absatzförderung wurde angesprochen . Das müssen wir angehen, aber an anderer Stelle . Das hier ist nicht der geeignete Ort . Lassen Sie mich nun auf die ökonomischen Effekte der Buchpreisbindung eingehen . In unserem Land, in Deutschland, erzielt der Buchhandel einen Umsatz von rund 9,3 Milliarden Euro im Jahr . Im Vergleich dazu beträgt der Umsatz in Großbritannien - das Land hat 64 Millionen Einwohner und damit etwa 20 Millionen weniger als unser Land - circa 4 Milliarden Euro . Bei einer Gegenüberstellung stellt man fest - der Buchmarkt in Großbritannien ist seit den 2000er-Jahren dereguliert -, dass innerhalb kürzester Zeit etwa 1 800 Buchhandlungen dichtmachen mussten, und auch die Vielzahl, die Breite der aufgelegten Titel ist deutlich zurückgegangen . Deshalb muss der Blick nicht nur auf die ökonomische Dimension, sondern insbesondere auch auf die kulturpolitische Wirkung gerichtet sein . Die Buchpreisbindung eröffnet Verlagen den Korridor, Kostendeckungsbeiträge und vor allen Dingen auch Gewinne zu erwirtschaften, sodass sie auch Risiken bzw . Wagnisse eingehen und das Unbekannte, das Neue fördern können . Sie können junge Autoren aufbauen und unterstützen, ihre Honorare finanzieren und sie im Markt  etablieren - was in der Tat oft problematisch ist -, sodass wir uns mit deren Impulsen auseinandersetzen können . ({0}) Dieser Korridor bzw . diese Flugschneise ist kulturpolitisch und ökonomisch also durchaus sehr wichtig . ({1}) Meine Damen und Herren, in unserem Land dürfen wir uns darüber freuen, dass wir etwa 6 750 Buchhandlungen haben . Gemessen an der Anzahl der Einwohner ist das eine noch gesunde Struktur . Wenn wir genauer hinsehen, müssen wir aber feststellen, dass es insbesondere die kleinen, eigentümergeführten Buchhandlungen schwer haben . Das ist nicht trivial . Sie stehen aufgrund des Angebotes der großen Ketten und im Internet unter Druck . Gleichwohl ist die Erreichbarkeit der Buchhandlungen in den jeweiligen Quartieren zur Grundversorgung gegeben . Die Buchpreisbindung schützt die Buchbranche, aber nicht den Heizer auf der E-Lok . In der Tat gibt es auch in dieser Branche aufgrund der sinkenden Nachfrage nach Büchern einen erheblichen Druck . Alternative Vertriebswege stellen hier eine Herausforderung dar . Technische Entwicklungen im Hinblick auf die Erstellung und den Vertrieb sind offenkundig notwendig . Darüber hinaus sind auch die Probleme der Refinanzierung für Verlage schon angesprochen worden . Kurzum: Das ist ein guter und wichtiger Impuls aus dem Koalitionsvertrag, umgesetzt durch das Wirtschaftsministerium . Wir sollten diesen Gesetzentwurf jetzt möglichst schnell ins Bundesgesetzblatt bringen . Herzlichen Dank . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit sind wir am Ende der Debatte angelangt, und ich schließe die Aussprache . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes . Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8260, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8043 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Manuel Sarrazin, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Flüchtlingsschutz und faire Verantwortungsteilung in einer geeinten Europäischen Union Drucksache 18/8244 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen . Ich kann die Aussprache sofort eröffnen . Das Wort zu Beginn der Debatte hat die Kollegin Katrin GöringEckardt für Bündnis 90/Die Grünen .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Rückblickend wird man das Jahr 2015 wahrscheinlich das Jahr der Geflüchteten nennen, nicht  nur, weil viele Menschen nach Deutschland gekommen sind, sondern weil so viele Menschen in Deutschland eine Willkommenskultur an den Tag gelegt haben, mit der wahrscheinlich niemand, auch ich nicht, in dieser Art und Weise gerechnet hat . Auch im Nachhinein können wir sagen: Darauf können wir wirklich stolz sein . Wir können auch darauf stolz sein, dass diese Willkommenskultur bis heute anhält, meine Damen und Herren . ({0}) Spätestens seit dem Herbst begleiten uns dabei ständig die Fragen: Wie können eine langfristige Lösung, ein Plan aussehen? Wie kann man Aufnahme gut organisieren und europäisch regulieren? Ja, es gab immer welche, die gesagt haben: Wir schaffen das nicht . - Wir, das reichste Land, das Land, dem es immer dann gutging, wenn es keine Mauern und Zäune gebaut hat? Wie absurd! Wie also soll es gehen? Die Antwort der Bundesregierung kam nach den ersten geordneten Notfallmodi, und sie ist leider nicht neu . Sie ist ein Abklatsch des alten Dublin-Systems . Die Flüchtlinge sollen gar nicht erst hierherkommen . - Das ist falsch . Das wird uns nicht weiterbringen . Das ist nicht zukunftsfähig . ({1}) Früher konnte man die Flüchtlinge Griechenland überlassen . Als der Europäische Gerichtshof die Rückführungen nach Griechenland wegen der dort herrschenden inhumanen Bedingungen in den Lagern verbot, war für die Flüchtlinge in Italien und Ungarn Endstation . Dann standen die Menschen in Freilassing, Kiefersfelden und Passau . Das war übrigens lange bevor die Bundeskanzlerin  die  Aufnahme  der  Geflüchteten  vom  Budapester  Keleti-Bahnhof ermöglichte . An die genaue zeitliche Abfolge muss hier noch einmal erinnert werden, auch wenn man an die Zukunft denkt und sich fragt: Geht es eigentlich so weiter wie im Moment, nämlich dass hier kaum Menschen ankommen? Jetzt soll die Türkei die Rolle des Landes, dem die Menschen überlassen werden, spielen, sozusagen die äußerste Abwehrbastion . Über den Preis an Meinungs- und Pressefreiheit, den Sie dafür bezahlen, haben wir hier gestern gesprochen . Vielleicht kann, vielleicht muss man sagen: Das einzig Positive an diesem Deal ist, dass es zumindest den Ansatz einer europäischen Lösung gibt; das will ich nicht kleinreden . Aber dieser Ansatz beträgt genau 72 000 Plätze . Das ist lächerlich, meine Damen und Herren . ({2}) Natürlich halten sich die Kriegsparteien nicht daran, dass nur 72 000 Menschen verteilt werden . Völlig inakzeptabel ist und bleibt die Begrenzung auf syrische Geflüchtete. ({3}) Wenn ich jetzt lese, dass Tschechien die ersten sieben Flüchtlinge aufnehmen will, dann weiß ich nicht mehr, ob das zum Weinen oder zum Lachen ist . Na klar, es war abzusehen: Die Fluchtrouten werden verlagert . Die Menschen suchen sich neue Wege . Doch Libyen - um ein Beispiel zu nennen - ist in vielfacher Hinsicht noch viel unsicherer und ein noch viel schlechterer Ort als die Türkei . Wenn wir Fluchtbewegungen einigermaßen planen wollen, dann müssen wir den Menschen zwei Dinge geben: erstens geregelte Perspektiven, zweitens sichere Wege, statt sie fernhalten zu wollen . Darauf kommt es jetzt an . Um genau solche Konzepte müssen wir ringen . Keine Abschottung, sondern sichere Wege und klare Planbarkeit . ({4}) Deswegen legen wir Ihnen heute einen Antrag vor, um zu zeigen, wie eine wirklich europäische Lösung aussehen kann, eine europäische Lösung, mit der gesagt wird: Ja, wir sind offen für Menschen, die hierherkommen müssen und die keine Abschottungspolitik weitertreibt . Dazu verlangen wir akut und als Erstes die Umsetzung des schon im September 2015 im EU-Rat gefassten Beschlusses, insgesamt 160 000 Schutzsuchende auf Grundlage einer gerechten Quote innerhalb der EU zu verteilen ({5}) und sie damit aus den überforderten Ländern Griechenland und Italien herauszuholen, insbesondere aus Idomeni . Es ist doch absurd, dass die Menschen immer noch unter solchen Umständen leben müssen, obwohl bei uns Vizepräsident Johannes Singhammer Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Unterbringungsmöglichkeiten leer stehen und sogar Bürgermeister und Landräte sagen: Meine Güte, wir sind doch jetzt gut vorbereitet . Die Menschen sollen doch, bitte schön, hierherkommen . ({6}) Strukturell brauchen wir dringend eine Alternative zum gescheiterten Dublin-System, einen dauerhaften Mechanismus zur Verteilung von Schutzsuchenden zwischen den Mitgliedstaaten . Das geht nur nach vorab festgelegten solidarischen und gerechten Kriterien, die natürlich auch die Präferenzen der Schutzsuchenden berücksichtigen, wenn auch klar ist: Natürlich wird nicht jeder und jede in sein Wunschland kommen können . Eines, meine Damen und Herren, ist klar: Jeder Vorschlag, der im Prinzip die Beibehaltung des alten Dublin-Systems beinhaltet, wird scheitern . Da hilft auch kein nachgelagerter Fairnessmechanismus, wenn viele Menschen kommen . Dublin ist gescheitert . Es wird wieder scheitern . Und jeder, der weiterhin so denkt, wird wieder mit einer Überforderung der Situation in Europa zu rechnen haben . Und er wird wieder damit zu rechnen haben, dass Menschen in äußerste Not kommen . Das können wir nicht wollen . So kann man die europäischen Werte nicht verteidigen . ({7}) Ja, wir brauchen einen dauerhaften Verteilmechanismus - ich erwarte, dass sich die deutsche Bundesregierung dafür einsetzt -, so etwas wie den Königsteiner Schlüssel . Deutschland hat schließlich positive Erfahrungen damit . Eine europaweite Verteilung wird aber selbstverständlich nur dann funktionieren, wenn alle Mitgliedstaaten ähnliche Standards haben und die Präferenzen der Flüchtlinge in den Blick genommen werden . Das geht mit einem starken, in allen EU-Staaten auch umgesetzten Asylrecht mit einem einheitlichen EU-Flüchtlingsstatus . Das geht, wenn dafür gesorgt wird, dass überall rechtsstaatliche  Verfahren  stattfinden,  dass  es  überall  faire  Chancen auf Anerkennung und Integration gibt . Dafür braucht es eine europäische Einrichtung zur Registrierung, Versorgung und Umverteilung von Schutzsuchenden . Das sagen wir übrigens jetzt, obwohl wir da früher anderer Meinung waren . So etwas wie Hotspots kann funktionieren . Es kann aber nicht funktionieren, wenn Hotspots quasi Gefängnisse sind, wo keine rechtsstaatlichen Verfahren stattfinden  können, wo keine anständige Gerichtsbarkeit stattfinden  kann und wo keine NGOs zur Beratung hineinkommen . Deswegen: erst klare, deutliche Verabredungen über humanitäre Standards in solchen Zentren und dann eine humanitäre und echte Verteilung . ({8}) Meine Damen und Herren, ich weiß wohl: Das, was wir vorschlagen und was ich hier nur sehr kurz vortragen kann, ist ambitioniert . Es wird auch nicht auf einmal gehen . Wir müssen aber wissen, wohin es gehen soll und wie es gemeinsam mit Europa gehen kann . Nur dann können wir uns auch auf kleine Schritte einigen . Es müssen aber die richtigen kleinen Schritte sein . Sie müssen in die richtige Richtung gehen . Und das heißt: Ja, wir können Menschen aufnehmen, wir werden sie aufnehmen, wir werden sie gut aufnehmen - gemeinsam in Europa -, und das Europa der Abschottung ist von gestern . Vielen Dank . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Thorsten Frei . ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Göring-Eckardt, ich frage mich wirklich, warum Sie diese Rede hier im Deutschen Bundestag gehalten haben . Wenn ich mir die Situation in Europa anschaue, dann fällt mir vor allen Dingen eines auf, nämlich dass sich eine Regierung, und zwar die deutsche Bundesregierung und ganz namentlich die Bundeskanzlerin, mehr als alle anderen dafür eingesetzt hat, dass das europäische Problem der Migration von Flüchtlingen auch europäisch gelöst wird . ({0}) Das, was Sie als „kleine Schritte“ bezeichnet haben etwa das Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei -, ist ja auf das Engagement von niemand anderem als der Bundeskanzlerin zurückzuführen . ({1}) Deshalb frage ich mich, warum Sie dieses Engagement bzw . diesen Einsatz nicht dort bringen, wo er tatsächlich notwendig wäre . ({2}) - Lassen Sie mich zunächst ein paar Sätze sagen . Dann können Sie sie ja gerne kommentieren . - Denn es ist ja beispielsweise so, dass es darum geht, für diese Aufgabe eine gemeinsame Lösung zu finden. Ich glaube, wir sind  da auf einem ganz guten Weg . ({3}) Man muss nur eben auch die Rahmenbedingungen berücksichtigen . Deutschland ist schließlich nicht als ein isoliert zu betrachtender Akteur auf internationaler Bühne tätig, sondern wir hatten gerade in den letzten Wochen und Monaten die Situation, dass 28 Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission jeweils Partikularinteressen vertreten haben, dass nicht der einigende, integrationsorientierte Geist prägend war, der eigentlich die Europäische Union zusammenhalten sollte, sondern EinKatrin Göring-Eckardt zelinteressen . In einer solchen Situation ist es, glaube ich, notwendig, diese zu überwinden, wieder zur Solidarität zurückzukehren und dafür zu sorgen, dass auch diejenigen, die nicht unmittelbar selbst betroffen sind, tatsächlich mit in die Überlegungen einbezogen werden . Genau das war der Weg der Bundesregierung: eine Lösung nicht nur für das eigene Land, für sich selbst zu finden, sondern  für alle europäischen Länder, die davon betroffen sind . Wenn ich genau in Ihren Antrag, der wenig Erhellendes und eigentlich nichts Neues beinhaltet, schaue, dann fällt mir natürlich auf, dass darin durchaus sinnvolle Akzente gesetzt werden . ({4}) Ja, es ist richtig, dass wir diejenigen, die schutzsuchend nach Europa kommen, aufnehmen . Dabei geht es um Flüchtlinge, aber nicht um Arbeits- und Wirtschaftsmigranten . Da müssen wir, glaube ich, sehr genau unterscheiden . Hinsichtlich derer, die hierbleiben können, brauchen wir auch eine angemessene Lastenverteilung in Europa .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Frei, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Baerbock?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Herr Kollege Frei, wir haben jetzt ja mehrfach betont, warum wir diesen Antrag stellen und warum wir ihn hier eingebracht haben . Wir waren gestern zusammen im Europaausschuss und hatten dort Vertreter des UNHCR zu Gast . Diese haben sehr deutlich gemacht, dass es ein großes Problem gibt - das ist auch der erste Punkt in unserem Antrag -, nämlich dass von den 160 000 Menschen, für die die Umverteilung zugesagt wurde, erst eine Handvoll verteilt wurde und dass Deutschland nicht unter den vier Ländern ist, die eine ihrer Quote entsprechende Zahl an Menschen aufgenommen haben . Deswegen gebe ich die Frage, die wir auch im Ausschuss immer wieder thematisiert haben, an Sie als Vertreter einer der Regierungsfraktionen zurück . Wenn Sie sagen, Sie wissen nicht, was Deutschland tun kann und soll, frage ich Sie: Wie und wann werden Sie sich dafür einsetzen, dass Deutschland die Menschen, für die die Umverteilung aus Griechenland, zum Beispiel aus Idomeni, zugesagt wurde, aufnimmt, und warum bringen Sie dazu keine eigenen Vorschläge auf den Weg? ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal, Frau Kollegin Baerbock, ist es so, dass Deutschland seine Zusagen auch bei diesem Thema einhalten wird . ({0}) Aber ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass im vergangenen Jahr, also 2015, 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Europa gekommen sind, und davon 1,1 Millionen nach Deutschland . Sie, Frau Göring-Eckardt, haben vorhin in Ihrer Rede gesagt, dass Griechenland und Italien überfordert seien . Sie sollten sich einmal die Vergleichszahlen ansehen . Im vergangenen Jahr gab es in Italien 60 000 Asylbewerber . Dieses Jahr sind bereits 28 000 Menschen in Italien angekommen . Diese Zahlen zeigen jedenfalls, wo der Schwerpunkt der Aufnahme von Flüchtlingen in Europa liegt . Deswegen ist Ihre Fragestellung aus meiner Sicht falsch . ({1}) - Jetzt möchte ich mit meiner Rede fortfahren und darauf hinweisen, dass es natürlich am Ende des Tages einerseits darum geht - das sind zwei Seiten einer Medaille -, diejenigen zu schützen, die schutzbedürftig nach Europa kommen, und andererseits darum, sie in Europa gleichmäßig und nach objektiven Kriterien zu verteilen . Das wird aber nur dann gelingen, wenn wir eine Begrenzung, Reduzierung, Steuerung und Ordnung der Migration nach Europa hinbekommen . Anders wird dieses Ziel nicht erreichbar sein . Deswegen war es richtig, internationale Abkommen zu schließen und mehr für Grenzschutz aufzuwenden, ganz im Gegensatz zu dem, was Sie in Ihrer Rede, Frau Göring-Eckardt, gewünscht haben . Unter diesen Voraussetzungen wird es gelingen, die Aufgabe zu bewältigen . Es geht doch - das ist ja vollkommen richtig - nicht nur um die Balkanroute, es geht nicht nur um die Türkei und um den Nahen und Mittleren Osten . Wenn man sich vor Augen führt, dass allein in Libyen 1 bis 1,2 Millionen Flüchtlinge auf gepackten Koffern sitzen, dass von den 60 Millionen weltweit Flüchtenden, von denen die UN spricht, sich etwa ein Drittel auf dem afrikanischen Kontinent befindet, dass die Bevölkerung in Afrika sich bis  2050 auf mehr als 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln wird und damit fünfmal größer sein wird als die Bevölkerung der Europäischen Union, dann wird doch klar, dass man die Probleme nicht allein durch Aufnahme bewältigen wird . Vielmehr muss es auch darum gehen, Fluchtursachen zu bekämpfen . Man muss also nicht nur sichere Wege nach Europa schaffen, sondern vor allen Dingen auch in den Herkunftsländern helfen . ({2}) Und das tun wir, liebe Frau Vogler . Schauen Sie sich die Geberkonferenz in London Anfang Februar an, bei der 9,7 Milliarden Euro gesammelt wurden und Deutschland mit 2,3 Milliarden Euro der bilateral größte Geber war . Schauen Sie sich an, dass wir nicht nur dafür sorgen, dass die Ernährung in den Lagern rund um Syrien sichergestellt ist, sondern auch dafür, dass Perspektiven für Bildung, für Arbeit - Stichwort: Cash for Work - und für Gesundheitsversorgung gegeben sind . Ich glaube, dass unsere Politik exakt richtig ist . Und darüber hinaus müssen Sie sehen, dass wir uns nicht nur in den Anrainerstaaten Syriens engagieren, sondern beispielsweise mit der Flüchtlingsfazilität an die Türkei auch einen eigenen Anteil in Höhe von 430 Millionen Euro aufwenden . Exakt das ist die Politik, die richtig ist, um die Herausforderungen zu bewältigen . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Kollege Frei, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage, dieses Mal von der Kollegin Hänsel?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön .

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Kollege Frei . - Ich will da noch einmal nachhaken, weil Sie gerade auf das wichtigste Thema zu sprechen gekommen sind, nämlich die Bekämpfung der Fluchtursachen . Sie haben in diesem Zusammenhang ja auch den afrikanischen Kontinent erwähnt . Aber Sie heben jetzt nur auf die Entwicklungspolitik ab und darauf, dass wir einige Projekte finanzieren.  Sie müssen aber doch endlich die strukturellen Ursachen angehen, derentwegen viele Menschen aus Afrika nach Europa kommen . Sie kommen zum Beispiel wegen der Perspektivlosigkeit, für die die Europäische Union mit ihrer Handelspolitik verantwortlich ist . Dazu hört man von Ihnen gar nichts, im Gegenteil . Jetzt, wo es um neue Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, eine Art TTIP für Afrika geht, stimmt das Kabinett zu . Da machen Sie mit . Sie betreiben den Handel wie bisher weiter . Es gibt keine Initiative der Bundesregierung auf europäischer Ebene, die zum Ziel hat, endlich eine gerechte Handelsstruktur zu befördern, die Menschen eine Perspektive in ihren Ländern bietet . Im Gegenteil: Durch europäischen Handel wird so viel zerstört . Warum ist das bei Ihnen kein Thema? ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Weil ich wahrscheinlich im Gegensatz zu Ihnen davon überzeugt bin, dass Freihandel dazu führt, dass für alle Beteiligten mehr Wertschöpfung, mehr Arbeitsplätze und mehr Wohlstand entstehen . ({0}) Das bringt mich zu einem weiteren Punkt im Antrag der Grünen . So wird darauf eingegangen, dass es in den kommenden zehn Jahren in Deutschland Wohlstandsverluste mit einem Volumen von 77 Milliarden Euro durch Grenzkontrollen geben könnte . Es ist natürlich total unglaubwürdig, sich einerseits mit allen Möglichkeiten gegen ein Freihandelsabkommen mit Nordamerika zu engagieren und einzusetzen, wenn andererseits klar ist, dass mit jeder Milliarde zusätzlichen Exports 5 000 bis 7 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen . Das gilt grundsätzlich und ist immer richtig . Deswegen ist Freihandel, der in einem ordentlichen Rahmen stattfindet, etwas Positives und Gutes, und zwar für alle Seiten . ({1}) Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt eingehen, der mir im Antrag der Grünen ebenfalls unangenehm aufgefallen ist, nämlich die Forderung, dass die Europäische Union die Mitgliedstaaten in den Bereichen Kita, Ausbildung, Schule, Universitäten, Gesundheitsversorgung, psychosoziale Versorgung etc . unterstützen sollte . ({2}) - Nein, es geht um folgenden Punkt: Jede Ebene hat ihre Zuständigkeiten, und das, was Sie in Ihrem Antrag letztlich fordern, ist ein bürokratisches Monstrum Europa . Das wollen wir aber nicht . Wir wollen, dass sich Europa um die wichtigen und entscheidenden Fragen kümmert . ({3}) Das geht nur, wenn man letztlich das Subsidiaritätsprinzip berücksichtigt, also dafür sorgt, dass Aufgaben, die auf unterer Ebene anzusiedeln sind, dort auch erledigt werden, egal ob auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene . Es ist richtig: Europa muss die großen Fragen klären . Wenn es sich aber an den kleinen Fragen verhebt und verschluckt, dann ist dem Ganzen ein Bärendienst erwiesen . Herzlichen Dank . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir heute hier über den europäischen Flüchtlingsschutz sprechen; denn schauen wir uns allein einmal die Situation in Griechenland an: Fast 60 000 Flüchtlinge sind dort in Elendslagern, in Hotspots, die Haftanstalten gleichen, eingesperrt . Es fehlt dort an allem: an Lebensmitteln, an vernünftigen Unterkünften, an Medizin . Man kann wirklich sagen, an allem . Angesichts dessen ist es wirklich nur zynisch, Herr Kollege Frei, wenn Sie hier einfach mal so lapidar darüber hinweggehen und sagen, dass wir hier eigentlich alles tun würden . Ich glaube, wir tun eben nicht alles . ({0}) Wir können nicht die Augen verschließen und beispielsweise zulassen, dass man über 10 000 Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze, in Idomeni, allein lässt, keine Hilfe organisiert und sich immer wieder darauf zurückzieht, doch lieber Abschottungspolitik zu betreiben . Nichts anderes tun Sie eigentlich . Die Kritik an genau dieser Abschottungspolitik ist völlig berechtigt . Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten alle möglichen Abschottungsmaßnahmen vorgenommen: EU-Grenzschutzmaßnahmen wurden immer weiter ausgebaut; Militärmissionen sorgen jetzt dafür, dass Flüchtlinge nicht mehr auf die europäische Seite kommen; es gibt keine legalen Fluchtwege . Aber wenn es darum geht, wirklich humanitäre Wege für die Flüchtlinge aufzuzeigen, dann machen Sie einfach dicht und verschließen die Augen . Das werden wir so nicht hinnehmen . ({1}) Das Schlimme ist ja: Deswegen, weil beispielsweise die Westbalkanroute dicht ist, sind die Flüchtlinge auf noch gefährlichere Wege angewiesen . Allein 181 000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr nach Europa gekommen . Über 1 200 sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration bereits auf dem Weg nach Europa ums Leben gekommen . Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch viel höher . Ursache dafür ist die EU-Abschottungspolitik, die unter dem Deckmantel der Schleuserbekämpfung stattfindet. Tatsache ist allerdings, dass Sie  damit, dass jetzt wieder die gefährlicheren Wege benutzt werden müssen, Schleuser wieder mobilisiert haben und es wieder ein Geschäft für sie geworden ist, die Geflüchteten in kleine Boote zu setzen . Das ist wirklich ein Skandal; das wissen Sie auch ganz genau . ({2}) In diesem Zusammenhang will ich hier noch einmal die Frage aufwerfen: Wo ist eigentlich die Seenotrettung für Flüchtlinge? ({3}) Das ist immer wieder dann ein Thema, wenn Flüchtlinge ertrinken . Nirgendwo sehe ich eine einzige Initiative, bei der die Rettung von Flüchtlingen aus Seenot für Europa wirklich Priorität hätte . Nein, es wird immer weiter aufgerüstet, in Frontex, in die Grenzschutzbehörden investiert, und es wird sogar über die Beschneidung der Souveränitätsrechte der EU-Staaten nachgedacht, damit man eingreifen kann, zum Beispiel in Griechenland . Anstatt weiter abzuschotten, sollten Sie endlich in die Seenotrettung investieren, damit das Mittelmeer nicht weiter zu einem Massengrab für Flüchtlinge wird, meine Damen und Herren . ({4}) Der Türkei-Deal wurde bereits angesprochen . Auch hierzu möchte noch einmal ganz deutlich sagen: Sie dealen mit einem Land, das Flüchtlinge von Europa fernhalten soll und selbst die Menschenrechte mit Füßen tritt . ({5}) Der türkische Präsident Erdogan schafft jeden Tag neue Fluchtursachen - jeden Tag . Das zeigen zum Beispiel der Krieg gegen die Kurden im eigenen Land wie auch die Unterstützung des „Islamischen Staats“ in Syrien . Wir wissen, dass weiterhin Waffen dorthin geliefert werden, und Sie wissen es auch . Trotzdem wird dieser EU-Abschiebepakt weiterhin betrieben, auch von der Bundesregierung, insbesondere von Frau Merkel, die am letzten Wochenende in der Türkei war und nicht ein Wort, nicht einen Satz zu den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei übrig hatte. Ich finde das wirklich einfach nur  beschämend . ({6}) Ich sage hier noch einmal ganz klar, auch weil es eben erneut um Gelder ging: Die EU wird Erdogan 6 Milliarden Euro in den Rachen schmeißen . Ich frage hier wieder: Warum kriegen das nicht die internationalen Flüchtlingsorganisationen, also die, die Flüchtlingen wirklich helfen können - UNHCR, Ärzte ohne Grenzen usw .? Man könnte hier viele dieser Organisationen aufzählen . Es ist doch völlig undurchsichtig, was Erdogan mit diesen 6 Milliarden Euro machen wird . Wahrscheinlich wird er vor allen Dingen sein eigenes Militär aufrüsten . Auch das finden wir völlig falsch. ({7}) Ein weiterer Punkt, der uns auch sehr wichtig ist: Der türkische Ministerpräsident hat ganz klar angekündigt, man werde nur Syrer aufnehmen; alle anderen würden in ihre Herkunftsländer abgeschoben . Was bedeutet das zum Beispiel für Leute aus Afghanistan, dem Iran, Somalia, Eritrea? Haben die kein Recht auf Asyl? Es ist wirklich ein Skandal, dass man das einfach so hinnimmt ({8}) und dass man auch in Europa nicht mehr bereit ist, darüber zu diskutieren, wie die Menschen, die aus diesen Ländern geflohen sind, hier ein angemessenes Asylverfahren bekommen können . Das Ganze geht ja noch weiter . Sie sind ja schon wieder beim nächsten Punkt . Die EU plant zum Beispiel, mit Libyen bei der Flüchtlingsabwehr zusammenzuarbeiten - mit einem Land, in dem man sich nicht auf eine Regierung einigen kann, in dem sich Warlords und Islamistenverbände gegenseitig bekriegen . Da fragt man sich doch wirklich: Wo sind eigentlich die europäischen, wo sind demokratische Werte geblieben, wenn man mit solchen Ländern verhandelt, um Flüchtlinge abzuwehren? Da plant man ja jetzt ähnliche Deals wie den mit der Türkei . Auch hier versucht man also, eine Abschottungsfront aufzubauen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Jelpke, darf ich Sie an die vereinbarte Redezeit erinnern?

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich komme zum Ende . - Flüchtlingsschutz und Fluchtursachenbekämpfung sind das Wichtigste, was hier wirklich geschehen muss . Dazu gehören natürlich sehr viele Punkte, die wir hier auch immer wieder angeschnitten haben . Ich will zum Schluss noch sagen: Die Linke teilt viele Punkte des grünen Antrags, aber viele Punkte auch nicht . Wir werden sicherlich eine interessante Debatte darüber haben . Insgesamt begrüßen wir, dass wir über dieses Thema hier weiter diskutieren . Die Linke wird auch mit eigenen Anträgen dafür sorgen, dass das so weitergeht . Ich danke Ihnen . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich darf den Hinweis geben, dass es sich bei den vereinbarten Redezeiten nicht um ungefähre Richtwerte handelt, sondern um Vereinbarungen zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern . ({0}) Jetzt hat das Wort der Kollege Sebastian Hartmann für die SPD . ({1})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herrn! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa muss endlich anerkennen, dass es ein Einwanderungskontinent ist . So der deutsche Sozialdemokrat und Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, im Oktober des Jahres 2013 . Seitdem sind viele Monate vergangen, und Europa hat sich gewandelt . Deutschland hat einen enormen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingsströme und der Migration in Europa geleistet . Da muss Deutschland sich nicht verstecken, sondern wir können selbstbewusst auftreten . Wir als deutsche Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind stolz darauf, dass wir immer wieder eingefordert haben - deswegen sind wir für diesen Debattenbeitrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dankbar -, dass Zusammengehöriges zusammen behandelt wird . Wir müssen einerseits internationale Lösungen anstreben, wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen auch da werden wir Einigkeit hier im Plenum herstellen und streben dabei vor allem europäische Lösungen an -, weil wir eine Herausforderung, die international ist, national nicht bewältigen können . Andererseits müssen wir als reiches, starkes, liberales, weltoffenes Deutschland insbesondere national unsere Verantwortung wahrnehmen . Das haben wir, glaube ich, im vergangenen Jahr, 2015, wie kein anderes europäisches Land selbstbewusst getan . Hierauf können wir stolz sein, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen . Insofern sage ich auch: Es ist ein Debattenbeitrag . Vieles von dem, was formuliert worden ist, kommt uns sehr bekannt vor . Wir sind gemeinsam dafür eingetreten, dass man zum Beispiel einen europäischen Verteilmechanismus findet und anwendet, weil wir  denken: Hier  kann Europa gemeinsam gut vorangehen . Zum anderen ist uns aber auch bewusst, dass gerade in dieser Bewährungsprobe Europas nicht jedes Land so gehandelt hat . Das muss man als reicher, als starker Kontinent selbstkritisch eingestehen . Aber auch hier kann Deutschland wiederum vorangehen und seine internationale Verantwortung wahrnehmen, und wir tun das . Deswegen werden wir fraktionsübergreifend im weiteren Fortgang der Debatte zu einzelnen Punkten aus dem Antrag sagen können: Das übernehmen wir . Das ist unsere Auffassung . Das sehen wir genauso . Da haben die Grünen etwas aufgeschrieben, was hier im Plenum schon lange Konsens war . Über andere Punkte wird man sich streiten müssen . An dieser Stelle muss man dann aber auch sagen: Ja, die Türkei ist ein Schlüsselland, wenn es darum geht, vor allen Dingen das Schlepperunwesen zu bekämpfen . Wir beklagen, dass es im Mittelmeer zu tragischen Unglücken kommt, die niemanden kaltlassen . Jeder einzelne Flüchtling, der auf einer dieser Routen ertrunken ist, ob es nun eine Verlagerungsroute ist oder nicht, ist einer zu viel, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich glaube, es darf hier nicht darum gehen, nachzuweisen, wer derjenige ist, der am besten dagegen vorgeht . Vielmehr ist das etwas, wo wir hier über alle Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam etwas zu erreichen versuchen . ({0}) Aber wir müssen auch handeln . ({1}) - Frau Kollegin Jelpke, Sie haben zugesagt, dass Sie mir sehr genau zuhören werden . ({2}) Ich habe Ihnen auch zugehört . Zu dem, was Sie formuliert haben, muss man, glaube ich, sehr deutlich sagen: Das Geld, das die EU gemeinsam gibt, wird nicht im türkischen Haushalt versickern . Auch hier wird Europa gemeinsam handeln, indem wir über die EU-Programme dafür sorgen, dass das Geld bei denen in der Türkei ankommt, die es benötigen, nämlich bei den Flüchtlingen, und zwar zu ihrer Versorgung vor Ort . Darauf werden wir als Große Koalition hier im Haus achten; das können wir auch gemeinsam tun . ({3}) Es würde, glaube ich, dieser Debatte nicht gerecht, einfach eine solche pauschale Behauptung aufzustellen . Sollte es uns gelingen, ist es allerdings auch eine Bewährungsprobe Europas . Wir haben dann bewiesen, dass es einen Nukleus, einen Kern, gibt, bei dem wir uns als Europäerinnen und Europäer gemeinsam darauf verständigen, handeln zu wollen . Das ist etwas, was überfällig ist . Deswegen werden wir diesen Antrag in den zuständigen Ausschüssen entsprechend beraten . Ich glaube, dass ein Punkt von uns Deutschen bewusst auf die europäische Ebene der Debatte gehoben werden kann: Das ist der Aufbau einer Integrationsstruktur in den Mitgliedstaaten . Deutschland geht hier voran . Wir werden ein Integrationsgesetz beschließen, das nach der ersten schnellen Versorgung der Menschen greift, die in unser Land gekommen sind . Es sind übrigens viel mehr als in allen anderen Ländern . Wir sind unserer Verantwortung im Jahr 2015 gerecht geworden . Wir tun das auch im Jahr 2016 . Aber wir können auch hier als Deutschland vorangehen, indem wir das Integrationsgesetz beschließen, indem wir Integration in unserem Staat organisieren und belegen, dass aus dieser Herausforderung der Flüchtlingskrise eine echte Chance für unser Gemeinwesen, für unsere Gesellschaft werden kann und darüber hinaus sich auch Europa positiv bewähren kann . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Andrea Lindholz . ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was uns alle sicher eint, ist, dass wir gemeinsam an einer europäischen Lösung arbeiten und dass wir alle seit Monaten auch eine gemeinsame europäische Lösung einfordern . Wir haben in den vergangenen Monaten in unserem Land nicht nur eine große Hilfsbereitschaft erlebt, sondern wir haben auch eigene Grenzen in unserem Land, in unseren Kommunen erkannt und gesehen, dass es nicht möglich ist, jedes Jahr über 1 Million Menschen in Deutschland aufzunehmen und zu integrieren . Das, was die Menschen in unserem Land aktuell sehr beschäftigt, ist die Frage, wie Integration gelingen kann, und hierauf müssen wir Antworten finden. ({0}) Ihr Antrag erweckt für mich den Eindruck, Europa sei  hilflos,  die  Fluchtursachen  seien  zu  gewaltig,  die  Flüchtlinge zu viele, Grenzen solle und könne man nicht schützen . Zentrale Aspekte der Flüchtlingskrise wie die Fragen: „Wer hat bei uns eine Bleibeperspektive? Warum kommen eigentlich die Menschen zu uns? Welche verschiedenen Fluchtursachen gibt es?“, die Frage der Rückführung sowie Einreisebedingungen spielen keine Rolle . Vielmehr wollen Sie das, was wir in den vergangenen Monaten erreicht haben, abschaffen: Das Abkommen mit der Türkei soll gekündigt werden, die Balkanroute wieder geöffnet und das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten aufgelöst werden . Aus meiner Sicht schüren Sie mit Ihrem Antrag vor allen Dingen falsche Hoffnungen; denn kein Land dieser Welt - weder Deutschland noch ganz Europa - kann alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen . Ihr Antrag würde uns in das letzte Jahr zurückwerfen, als die Asylsysteme in Schweden, in Österreich und auch bei uns durch die unkontrollierte Migration schlicht und ergreifend fast kollabiert sind . Eine europäische Lösung hat also auch zur Folge, dass ich Grenzen kontrolliere, dass ich Grenzen sichere und dass ich Kontingente bilde und damit auch nicht alle Menschen aufnehmen kann . Das Hauptaugenmerk sollten wir auf die Hilfe vor Ort und auf die Anrainerstaaten legen und nicht den Eindruck erwecken, man könne durch - in Anführungszeichen - „sichere Fluchtwege“ allen Flüchtlingen dieser Welt die Möglichkeit geben, zu uns zu kommen . Das halte ich für falsch . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr . Brantner?

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Lindholz, ich frage mich, ob Sie den Antrag gelesen haben, da Sie hier von offenen Grenzen sprechen . Ich möchte Sie einmal fragen, was Sie von unserem Vorschlag eines gemeinsamen europäischen Grenzschutzes halten, wo wir präzise aufzeigen, wie wir Grenzkontrollen gestalten wollen . Keiner von uns sagt: „Alle Grenzen auf“, sondern wir sagen: „Polizeilich, rechtlich, mit gutem humanitären Maßstab“ . Vielleicht können Sie sich dazu äußern, anstatt hier populistisch irgendetwas zu erzählen, was in unserem Antrag nicht drinsteht . ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin, die Europäische Gemeinschaft arbeitet gerade an diesem System . Die Einrichtung von Hotspots, die ja von Ihnen gerade wieder kritisiert worden ist, ist genau so ein System, um Kontrolle an den Außengrenzen herbeizuführen, ({0}) und das vermisse ich in Ihrem Antrag ganz klar . ({1}) - Selbstverständlich habe ich Ihren Antrag gelesen . ({2}) Unabhängig davon, ob man ihn lesen muss oder nicht lesen muss, habe ich ihn natürlich gelesen, Frau Kollegin . Das, was Sie fordern - zum Beispiel, dass wir die Balkanroute wieder öffnen -, würde auch dazu führen, dass wir, solange der Schutz der Außengrenzen nicht hundertprozentig funktioniert, wieder eine unkontrollierte Durchreise bis nach Deutschland hätten . ({3}) Liebe Frau Kollegin, ich bin nach wie vor der Auffassung, dass wir uns das kein zweites Mal mehr leisten können, und ich glaube, mit dieser Auffassung stehe ich nicht alleine da . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal der Kollegin Amtsberg? ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist sehr freundlich, Frau Kollegin, dass Sie die Frage zulassen . Sie haben ausgeführt, die Überforderung Europas und die sozusagen fehlende Perspektive seien die Gründe dafür, dass wir in diesem Jahr oder auch in den kommenden Jahren nicht ähnlich viele Menschen aufnehmen könnten . Grund für das Versagen des europäischen Systems ist ja das Dublin-System, das die Staaten an den Außengrenzen sozusagen mit der Verantwortung alleinlässt . Eine Insel wie Lesbos zum Beispiel, die über 1 Million Flüchtlinge durchleiten muss, und ganze Asylsysteme, die überfrachtet sind: Das alles ist sozusagen auf dieses Dublin-System zurückzuführen . Nun halten die Bundesregierung und die regierungstragenden Fraktionen weiter an diesem System fest . Was sagen Sie denn konkret zu dem Vorschlag, den wir in unserem Antrag gemacht haben? Wir wollen ja für eine Verteilung in Europa sorgen, indem wir Erstaufnahmeeinrichtungen an den europäischen Außengrenzen aufbauen, um dort Menschen aufzunehmen und gerecht in der Europäischen Union zu verteilen, ({0}) damit die Menschen nicht mehr auf sich selbst gestellt in Europa unterwegs sind, irgendwo stranden und in humanitär schwierigen Situationen länger ausharren, wie beispielsweise jetzt in Idomeni oder auch an anderen Stationen der Westbalkanroute . Das würde mich interessieren . Darüber hinaus sollten wir uns doch dieser Frage stellen, weil wir uns hier ja alle als Europäer und Europäerinnen verstehen . Eine Stärkung der europäischen Institutionen wäre durchaus möglich, wenn wir es schaffen würden, mehr Verantwortung in europäische Hände zu geben und zum Beispiel Organisationen wie EASO oder auch die Grundrechteagentur, die ja sogar für diese Zwecke angedacht waren, endlich in die Verantwortung zu nehmen . Mit dieser Situation würden wir Europa sozusagen stark machen und nicht schwächen und es als aktiven Teil und Akteur an dieser Stelle  in die Pflicht nehmen.  Wie stehen Sie zu diesen Vorschlägen? ({1})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe fast den Eindruck, Frau Kollegin, dass die letzten Monate irgendwie an Ihnen vorbeigegangen sind . Wenn einer die gerechte Verteilung innerhalb Europas befürwortet hat, dann waren es insbesondere die Bundeskanzlerin und auch die Bundesregierung . ({0}) Ich gehe davon aus, dass auch Ihnen die Verhandlungen in Europa bekannt sind . Nur: Wir sind nicht alleine in Europa . Die Kommission hat genau zwei Optionen vorgeschlagen, um das Dublin-System zu reformieren, und zwar entweder einen festen Verteilungsschlüssel einzuführen oder eine Art Notfallmechanismus einzusetzen, wenn Länder wie zum Beispiel Griechenland oder Italien überfordert sind . Aber das alles Entscheidende für eine solche Lösung ist die Einigung innerhalb Europas . ({1}) An dieser Einigung arbeitet die Kommission aktuell . ({2}) Wir haben das gestern auch im Europaausschuss gehört . Natürlich brauchen wir eine gerechte Verteilung innerhalb Europas . Solange sich Europa aber noch nicht auf eine Änderung des bestehenden Dublin-Systems geeinigt hat, halten wir am Dublin-System fest unter der Voraussetzung, dass das Dublin-System unter unserer Mitwirkung verändert wird . ({3}) Ich bin aber nicht dafür, dass wir das Dublin-System einseitig aussetzen . Ich glaube, wir haben mit der Aufnahme von über 1,1 Millionen Menschen gezeigt, dass wir unsere Verantwortung trotz des Dublin-Systems wahrnehmen . Wir müssen uns dafür einsetzen, dass es hier in Europa eine andere, eine gerechte Verteilung gibt . ({4}) Vielleicht müssen wir aber auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass andere europäische Länder andere Vorstellungen von Flüchtlingspolitik haben . Es ist auch unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass man zu einem einheitlichen Denken kommt und Einigungen erzielt . Hier genügt es nicht, wenn wir parteiübergreifend im Deutschen Bundestag glauben, dass wir anderen Ländern vorschreiben können, wie Flüchtlingspolitik zu funktionieren hat . ({5}) Wir müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass das geltende Asylrecht in der Europäischen Union konsequent umgesetzt wird, dass es reformiert wird und dass alle in Europa an einem Strang ziehen . Hierfür müssen Verfahren, Fristen und Regeln so ausgestaltet werden, dass sie auch von allen eingehalten werden . Dazu gehören im Übrigen eine lückenlose Registrierung und damit auch Grenzkontrollen an den europäischen Grenzen, aber auch in Deutschland; denn wir müssen wissen, wer nach Europa und wer nach Deutschland kommt . Darauf müssen wir Wert legen . Wir können es nicht so handhaben, wie es in den letzten Monaten teilweise der Fall war . Die Menschen in unserem Land erwarten das im Übrigen auch von unserer Asylpolitik . ({6}) Es kann doch nicht sein, dass die Flüchtlinge selber bestimmen, in welches Land sie gehen . Europa ist dafür zuständig, für eine Verteilung zu sorgen und zu sagen, wer mit welchem Kontingent in welches Land kommt . ({7}) In dieser Woche habe ich im Europaausschuss den portugiesischen Außenminister gehört . Auf die explizite Frage - die Portugiesen könnten noch mehr Flüchtlinge aufnehmen, aber zurzeit kommen die Flüchtlinge noch nicht nach Europa -, wie er sich vorstellt, die Flüchtlinge zu sich zu holen, hat er gesagt: Er hätte gerne Flüchtlinge, die in der Wirtschaft arbeiten . Er hätte gerne Flüchtlinge, die Studenten sind, und er hätte gerne Flüchtlinge, die sich in der Ausbildung befinden und in Portugal die  Ausbildung beenden können . - Wenn so europäische Flüchtlingspolitik aussieht, dann muss ich sagen: Was landet dann am Ende in Deutschland, wenn alle anderen meinen, sie könnten sich nur die Rosinen herauspicken? Daran müssen wir arbeiten . ({8}) Im Übrigen hat die Bundesregierung schon im Jahr 2014 mit Kontingenten syrische Flüchtlinge nach Deutschland geholt . Sie ist mit gutem Beispiel vorangegangen . Die anderen europäischen Länder sind diesem Beispiel nicht gefolgt . Wir sind in Deutschland nun in einer Situation angekommen, in der wir kein Wunschkonzert haben, sondern in der wir uns mit der Realpolitik befassen müssen . Realpolitik heißt: Wir können dieses Jahr nicht wieder 1,1 Millionen Menschen aufnehmen . Wir müssen klar unterscheiden, wer eine Bleibeperspektive hat und wer keine Bleibeperspektive hat . In die Länder, von denen wir sagen, dass die Menschen, die von dort kommen, keine Bleibeperspektive haben, müssen wir genauso deutliche Signale senden wie in die Länder, von denen wir sehr wohl sagen, dass hier weiterhin eine Aufnahme erfolgt, zum Beispiel bei den syrischen Flüchtlingen . Wir brauchen auch die Vereinbarung mit der Türkei, auch wenn sie jedem von uns nicht zu 100 Prozent angenehm ist . Wir können die Türkei, die über 2 Millionen Menschen aufgenommen hat, nicht alleinlassen, die Anrainerstaaten im Übrigen ebenso wenig . Wir können auch nicht sagen, dass wir in bestimmten Ländern mit keinem Verantwortlichen reden, weil wir in dieser Welt keine vernünftige Flüchtlingspolitik umsetzen könnten, wenn wir einzelne Gesprächspartner ablehnen würden . Danke schön . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Norbert Spinrath spricht als Nächster für die SPD .

Norbert Spinrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004411, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Europäische Kommission hat mit ihren Vorschlägen zur Reformierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems offen bekannt, was inzwischen eine Binsenweisheit ist: Das Dublin-System ist gescheitert . ({0}) Der Ehrlichkeit halber und auch mit einer gewissen Demut sollten wir einräumen, dass auch wir dies vor nicht allzu langer Zeit noch anders gesehen haben . Es war ja auch zu schön für uns als ein Land ohne EU-Außengrenzen . Die Verantwortung für Asylbegehren von Menschen, die vor Krieg und Vertreibung fliehen, liegt gemäß Dublin allein bei den Ländern der Ersteinreise . Deutschland war aus dem Schneider . Die erste große Flüchtlingskrise hat dieses System weggefegt; es ist nicht mehr zu halten . Wenn wir noch einmal ehrlich sind: Es war intellektuell eigentlich nie zu rechtfertigen . ({1}) Die EU-Kommission will stattdessen nun eine gemeinsame und geteilte Verantwortung schaffen . In der ersten Variante schlägt sie eine eher moderate Fortentwicklung vor . Dabei bliebe es beim Grundprinzip von Dublin . Es würde um einen Notfallmechanismus für den Fall ergänzt, dass Schutzbedürftige in hoher Zahl in einem Land ankommen sollten . Nach der zweiten, sehr umfassenden Variante wären Flüchtlinge grundsätzlich auf alle Mitgliedstaaten zu verteilen, nicht nur in Krisensituationen . Die SPD-Fraktion befürwortet - so wie die Bundesregierung - den zweiten, umfassenden Reformansatz . Aber die Reaktionen im Ministerrat auf den Vorschlag  fielen,  vorsichtig  gesagt,  gemischt  aus.  Nur  wenige teilen den grundsätzlichen Reformansatz . Eine größere Anzahl von Mitgliedstaaten plädiert für die Fortentwicklungsvariante, andere wiederum verneinen sogar, dass das Dublin-System gescheitert ist . So macht man Politik entlang der eigenen Interessen . Ich glaube nicht, dass die Kommission wirklich überrascht war . Sie will aber jetzt, wo die Umsetzung der EU-Türkei-Erklärung - zwar schleppend, aber immerhin - anläuft, ein Reformfenster öffnen . Sie will die Richtung zeigen, in die sich die Diskussion entwickeln soll . Sie will zeigen, wie aus der Summe von unterschiedlichen Maßnahmen ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem entstehen kann, das unseren gemeinsamen europäischen Werten entspricht, unserer Verantwortung für unsere Nachbarschaft gerecht wird und auch die eigenen Interessen bedient . Zu diesem ganzheitlichen Ansatz gehört die Hilfe für von Krieg, Vertreibung oder existenzieller Not betroffene Menschen so nah wie möglich an ihrer Herkunftsregion . Zu diesem Ansatz gehört die Bekämpfung der Fluchtursachen . Dazu gehört ein Grenzschutzsystem, das die Mitgliedstaaten mit Außengrenzen bei der Erfüllung der Aufgabe unterstützt, den Zugang zu kontrollieren, ohne sich dabei abzuschotten . Das will ich wiederholen: Mir geht es darum, dass wir Grenzschutzsysteme verstärken, um einen kontrollierten Zugang zu ermöglichen . Die Verstärkung von Grenzschutzsystemen darf nicht dazu dienen, die Grenzen abzudichten und Europa zu einer Festung auszubauen . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Ansatz gehört es aber auch, legale Wege für schutzbedürftige Flüchtlinge nach Europa zu eröffnen und eine faire Lastenteilung, sowohl finanziell als auch bei der Aufnahme  von Flüchtlingen, zwischen den Mitgliedstaaten zu garantieren . All dies gehört zusammen . Auch die beginnende Implementierung der EU-Türkei-Erklärung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Lösung . Sie zeigt uns, dass Kontrolle möglich ist, ohne den Zugang zu Asyl zu verhindern . Aber die Erfolgsaussichten sind fragil . Beide Seiten, die Türkei wie die EU - das sage ich ganz bewusst -, müssen mehr für eine tatsächliche Umsetzung tun . Aufseiten der EU muss endlich die Umsiedlung von Flüchtlingen aus der Türkei erfolgen . Es reicht nicht, 72 Menschen aufzunehmen, wenn eine Eins-zu-einsRücknahme zugesagt ist . Frau Jelpke, ich glaube, Sie haben sich Informationsquellen bedient, die auf Ihrer Linie lagen . Sie sollten vielleicht alles lesen . Dann hätten Sie auch zur Kenntnis genommen, dass die Türkei inzwischen nicht nur Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt, sondern auch aus anderen Staaten . Auch das ist Teil der Vereinbarung . Die Regierung der Türkei - das sage ich mit allem Nachdruck - muss auch im Interesse ihrer eigenen Bevölkerung endlich begreifen, dass die Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten elementarer Bestandteil einer modernen Demokratie ist und dass diese für uns nicht verhandelbar sind, auch nicht zur Durchsetzung eines solchen sogenannten Deals . Zwischen den Mitgliedstaaten wurde ein Verteilungsschlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei vereinbart, aber auch bei diesem Verteilungsschlüssel spielen einige Mitgliedstaaten nicht mit . Dabei ist es ein Irrglaube, dass es allein ein deutsches Problem sei, den Flüchtlingen menschenwürdig zu helfen . Wir müssen eine gemeinsame europäische Lösung finden. Es dürfen  sich nicht immer mehr Mitgliedstaaten abschotten und Kontrollen an den Binnengrenzen einführen . Das hätte negative Folgen für jeden einzelnen Mitgliedstaat . Nicht nur der Binnenmarkt würde erheblich gestört, auch die Reisefreiheit innerhalb des Schengen-Raums wäre dahin . Damit wäre das für die Bürgerinnen und Bürger wichtigste und sichtbarste Zeichen der europäischen Integration Vergangenheit . Es steht viel auf dem Spiel . Wir brauchen eine gemeinsame Lösung . Die Kommission geht mutige und engagierte Schritte . Sie hat Rechtsakte angekündigt . Nach meiner Überzeugung kann man es aber nicht bei den angekündigten Vorschlägen belassen . Wir brauchen vielmehr weitere Maßnahmen, um zu einer unverzichtbaren, allumfassenden gemeinschaftlichen Lösung zu kommen . Dazu gehören die Verlagerung der Aufgaben auf die Kommission, die Finanzierung aller Flüchtlingskosten aus dem EU-Haushalt, die Schaffung von vergleichbaren Standards für Asylverfahren und bei Anerkennungsquoten und von vergleichbaren Standards auch in Bezug auf die Lebensbedingungen der Neuankömmlinge ebenso wie bei der Integration und bei den Chancen auf einen fairen Zugang zu Bildung und Arbeit . ({3}) Es ist noch viel Überzeugungsarbeit bei unseren europäischen Partnern zu leisten . Lassen Sie uns das gemeinsam angehen; denn wir alle wollen doch die beste Lösung finden . Herr Präsident, ich komme zum Ende . - Wir müssen den Schutzbedürftigen helfen . Ich glaube, am Ende werden auch die Zweifler erkennen, dass die Menschen, die  auf Zeit oder auf Dauer zu uns kommen, ein Zugewinn für unsere gesamte Gesellschaft sind, und zwar überall in Europa . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Dr . Christoph Bergner für die CDU/CSU . ({0})

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Göring-Eckardt, fast hätte ich mich bei Ihnen bedankt, dass Sie mit Ihrer Antragsinitiative die Mitteilung der Europäischen Kommission zur Reform des Asylsystems hier im Bundestag thematisieren und dass Sie Beziehungen zu einer Debatte auf europäischer Ebene herstellen, die stattgefunden hat; denn Ihre Fraktion hat im Europäischen Parlament einen Antrag eingebracht, der Ihrem Antrag, den Sie heute hier vorlegen, im Übrigen sehr ähnlich ist . ({0}) Aber im Grunde genommen haben wir die üblichen Pauschalreden erlebt, die sich in dem Lob der Willkommenskultur und dem Geißeln von Abgrenzung und Abschottung erschöpft haben . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte dringlich appellieren, dass wir uns der vor uns liegenden Aufgabe etwas ernsthafter stellen . ({1}) Es besteht die dringende Notwendigkeit, das Gemeinsame Europäische Asylsystem zu reformieren, und dies ist weiß Gott keine einfache Aufgabe . ({2}) Ich möchte daher beispielhaft Bezug nehmen auf ein Problem, das mich in den letzten Monaten besonders umgetrieben hat . Der Vizepräsident der EU-Kommission Timmermans hat bei der Vorstellung des Kommissionsberichts gesagt: Die Flüchtlingskrise hat die Schwächen des bestehenden europäischen Asylsystems offengelegt . Ich würde ergänzen: Die Flüchtlingskrise hat im vergangenen Jahr eine tiefe Kluft innerhalb der Mitgliedstaaten gerissen, insbesondere was die östlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union angeht . Während der luxemburgischen Ratspräsidentschaft hat Außenminister Asselborn den Ministerpräsidenten Ungarns, Orban, mit Kim Il-sung verglichen, weil er die EU-Außengrenze schützte . Orban hat sich revanchiert mit dem Vorwurf, die deutsche Flüchtlingspolitik sei ein Zeichen eines moralischen Imperialismus . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir sind die Beitrittsstaaten der Jahre 2004, 2007 und 2013 viel zu wichtig, als dass mich diese Kluft, die hier aufgegangen ist, nicht umtreibt . Ich habe zahllose Gespräche in unterschiedlichen Gremien und auf unterschiedlichen Podien geführt und muss sagen: Wir haben mindestens zwei Problemkreise, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben . Zum einen ist da der Umstand - das ist der erste Komplex -, den ein slowakischer Kollege in einem Gespräch mit mir so charakterisiert hat - das war im November vergangenen Jahres -: Stell dir vor, der Lebensstandard und das Wirtschaftsniveau wären in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union so wie in der Slowakei oder in Rumänien . Glaubst du, dass es eine Migrationskrise gäbe? Glaubst du, dass die Zahl der Migranten so hoch wäre wie die, mit der wir uns im Moment auseinanderzusetzen haben? - Ich konnte ihm eigentlich nicht mit großer Überzeugung widersprechen . Das ist das eine Problem, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben . Europa ist für viele bedrückte Menschen dieser Erde verständlicherweise ein Sehnsuchtsort . Doch das ist eine diffuse Umschreibung . Dahinter stehen konkrete  Sehnsuchtsorte,  häufig  Deutschland.  Deshalb  ist jede Möglichkeit einer Umverteilung, einer Relocation, die die Kommission mit Variante zwei richtigerweise vorschlägt - Herr Spinrath, da gebe ich Ihnen recht -, mit ausgesprochen großen Schwierigkeiten verbunden . Wie wollen wir Sekundärmigration verhindern, wenn Leute einem Land wie Rumänien zugeteilt werden, in dem die Hilfen für Asylbewerber etwa 10 Prozent der Hilfen für Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland ausmachen? ({3}) Glauben wir wirklich, dass wir die von der Kommission vorgeschlagenen einheitlichen Hilfsmaßstäbe erreichen können? Im Ergebnis würde doch der Hilfssatz für Flüchtlinge in Rumänien weit über dem Mindestlohn im Land liegen . ({4}) Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, mit denen wir umgehen müssen . ({5}) Die Kommission schlägt vor, dass wir gewissermaßen verbindliche  Residenzpflichten  einführen.  Wie  wollen  wir das mit unserem Verständnis von Freiheit vereinbaren? Diese Punkte würde ich gerne thematisieren . Damit müssen wir uns beschäftigen . Der zweite Komplex, um den es bei dem Verhältnis zu den östlichen Mitgliedstaaten geht, ist die unterschiedliche Sichtweise auf das Flüchtlingsproblem .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Bergner, gestatten Sie zum Ende Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage der Kollegin Amtsberg?

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gern, wenn ich danach noch wenigstens zwei Sätze sagen darf .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die zwei Sätze sind zugestanden . ({0})

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Bergner, Sie haben viel darüber gesprochen, welche Antworten wir als Grünenfraktion in unserem Antrag nicht liefern und welche unserer Antworten falsch sind . Sie haben auch viel über die fehlenden Antworten der Kommission gesprochen, und Sie haben viel über die fehlende Bereitschaft gesprochen, sich dieser Frage in Europa zuzuwenden . Ich frage Sie jetzt ganz konkret: Was sind Ihrer Auffassung nach die nächsten dringlichen Schritte, um zu einer europäischen Flüchtlingspolitik zu kommen? Welche konkreten Maßnahmen wünschen sich die regierungstragenden Fraktionen, vornehmlich natürlich Ihre Fraktion, auch von der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung, um wieder zu einem gemeinsam getragenen europäischen Asylsystem zu kommen? Oder bleibt es allein bei der Kritik? ({0})

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich kann an das anknüpfen, was die Kollegin Lindholz gesagt hat: Solange wir keine neue Regelung haben, muss das bestehende Recht gelten . Das ist eine ziemlich klare Sache . Ein rechtloser Zustand ist immer schlechter als ein Zustand mit einem - zugegeben - unzureichenden Recht . ({0}) Zweitens . Sie können uns von den regierungstragenden Fraktionen doch nicht den Vorwurf machen, und der Bundeskanzlerin am wenigsten, dass wir nicht wirklich alles darangesetzt haben, eine gemeinsame Lösung zu finden.  ({1}) Ich kann als Antwort auf Ihre Frage nur an Sie appellieren: Das, was wir als Antwort gefunden haben und was nicht anders als über ein Abkommen mit der Türkei möglich ist, sollten Sie nicht ständig diskreditieren . Sie sollten nicht ständig von einem Türkei-Deal, von einem Kniefall vor Erdogan usw . sprechen . ({2}) Das ist die einzige Chance einer wirklich europäischen Lösung gewesen . Dies sollten auch Sie akzeptieren . ({3}) Die Schwierigkeit, mit der wir es zu tun haben, besteht darin, dass wir es in Europa - das macht sich an der Slowakei und an Ungarn fest - mit zwei ganz unterschiedlichen und hart aufeinandertreffenden gegensätzlichen Narrativen zu tun haben . Orban spricht von Völkerwanderung; wir sprechen von Willkommenskultur . Das sind zwei einander völlig ausschließende Narrative . Ich selbst suche nach Möglichkeiten, wie man hier - denn als Europäer brauchen wir den Konsens - zu einer Verständigung kommen kann . Die Ackermann-Gemeinde hat in Brünn ein Dialogforum über die Frage veranstaltet, wie viel Vielfalt unsere Gesellschaften vertragen . Ein Student von der Masaryk-Universität sagte am Schluss seines Beitrages zu dieser Frage - Herr Präsident, mit dem Zitat würde ich gern schließen -: Man kann auf diese Frage mit einem billigen Hurra-Optimismus reagieren, der aber nichts löst und dem Ernst der Lage nicht angemessen ist . Man kann sich auch schadenfroh über die Political Correctness und über das Versagen der Multikultigesellschaft lustig machen . Doch muss dem, der diesen Weg gehen will, eines klar sein, und zwar, dass er sich unterwegs schnell in einer Gesellschaft wiederfindet, die  ihn mehr und mehr  dazu drängen wird, sich die Lustigkeit und die Schadenfreude ganz abzugewöhnen . Meine Damen und Herren, das ist die Schwierigkeit, wie ich sie fühle, und so möchte ich an Sie appellieren, dass wir den Weg der Verständigung trotz sehr gegensätzlicher Meinungen zu dieser Frage in Europa suchen . Herzlichen Dank . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das war jetzt noch ein ausführlicher letzter Satz . Damit ist die Aussprache beendet . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8244 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Über die Federführung herrscht Uneinigkeit . ({0}) Deshalb werden wir darüber abstimmen . Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union . ({1}) Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union . ({2}) Wer für diesen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? ({3}) - Darf ich bei der CDU/CSU-Fraktion nachfragen, ob es Stimmen für die Überweisung an den Europaausschuss gab? ({4}) Wir machen es also noch einmal ganz korrekt . Wer für den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, also Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, stimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist folgendes Ergebnis festzustellen: Dieser Überweisungsvorschlag ist abgelehnt ({5}) mit einer ganz überwältigenden Mehrheit der Stimmen von CDU/CSU - es gab nur eine abweichende Stimme ({6}) - zwei Stimmen - und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke . Das ändert aber nichts am Ergebnis, oder gibt es einen Zweifel dazu? ({7}) - Wird der Zweifel wirklich vorgetragen? Jetzt stimmen wir ab über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, also Federführung beim Innenausschuss . Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag, Federführung beim Innenausschuss? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit stelle ich Folgendes fest: Dieser Überweisungsvorschlag ist nach gutem Überblick von hier oben angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU, mit den überwiegenden Stimmen der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und zwei Stimmen bei der Fraktion der CDU/CSU . Damit ist also dieser Überweisungsvorschlag angenommen . Damit kommen wir jetzt zu Tagesordnungspunkt 12, den ich hiermit aufrufe: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die Geräte- und Speichermedienvergütung ({8}) Drucksachen 18/7223, 18/7453 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({9}) Drucksache 18/8268 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch höre ich keinen . Dann ist das somit beschlossen . Deshalb eröffne ich auch die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Christian Flisek für die SPD das Wort . ({10})

Christian Flisek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004274, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der den neuen Rechtsrahmen für die Verwertungsgesellschaften in Deutschland bildet . Vielleicht genießen Verwertungsgesellschaften in der breiten Bevölkerung nicht gerade den besten Ruf . Ich denke, das liegt manchmal in der Natur der Sache, treten sie doch zumeist dann auf, wenn sie Geld einfordern, wenn sie Geld haben wollen . Damit ist ihr Image vielleicht eher dem des Finanzamts vergleichbar . Aber die Gelder, die diese Verwertungsgesellschaften einsammeln, sind Vergütungen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke . Das Geld, das diese Verwertungsgesellschaften einsammeln, sammeln sie als Treuhänder ein, um es an die Berechtigten, an die Urheber auszukehren . Diese Vergütungen stellen damit den gerechten Lohn für die Arbeit vieler kreativer Menschen in unserem Land dar . Es geht um eine ganze Menge Geld . Die 13 Verwertungsgesellschaften, die in Deutschland tätig sind und vom Deutschen Patent- und Markenamt beaufsichtigt werden, sammelten allein im Jahr 2013 mehr als 1,3 Milliarden Euro ein . Deswegen, denke ich, ist es gleich zu Beginn der Debatte sehr wichtig, festzustellen, dass Verwertungsgesellschaften in unserem Land ein wichtiger Faktor in der Kulturlandschaft sind . Sie sind auch eine wichtige Säule der deutschen Kreativwirtschaft . Verwertungsgesellschaften sorgen dafür, dass Rechte gebündelt werden . Ein Radiosender müsste - das kann man sich angesichts des ganzen Programms, das er jeden Tag abspielt, leicht vor Augen führen - bei jedem einzelnen Künstler oder bei jedem einzelnen Verleger anfragen, ob er eine Lizenz für diesen Song bekommt . Das wäre sehr aufwendig . Die Transaktionskosten, also die Kosten, diese Rechte zu erwerben, wären sehr hoch . Das Verfahren wäre fast zu kompliziert . Das erleichtern Verwertungsgesellschaften, indem sie in ihren Portfolios diese Rechte bündeln und entsprechend anbieten . Sie gewähren damit auch eine erhebliche Rechtssicherheit, weil jeder, der eine Verwertungsgesellschaft als Vertragspartner hat, weiß, dass er hier wirklich valide Rechte erwirbt . Verwertungsgesellschaften sorgen dafür, dass Urheber und Rechteinhaber an ihr Geld kommen . Ich betone noch Vizepräsident Johannes Singhammer einmal: Für viele Kreative - das sind nicht nur die großen Popstars oder die bekannten Künstler, sondern auch die vielen, vielen weniger bekannten Kreativen, die in unserer Landschaft tätig sind - sind Einnahmen aus den Verwertungsgesellschaften mittlerweile ein verlässlicher und planbarer Bestandteil ihres Einkommens . Die deutschen Verwertungsgesellschaften sind leistungsfähig; aber wie überall ändert sich auch ihr Arbeitsumfeld teilweise drastisch . So entsteht ein europäischer Binnenmarkt . Es entsteht sogar ein digitaler europäischer Binnenmarkt; die Kommission ist da sehr hinterher . In Zeiten der Digitalisierung ist für Content, also für kreative Inhalte, mittlerweile natürlich ein globaler digitaler Markt entstanden . Deswegen ist es notwendig, dass wir unsere Verwertungsgesellschaften wettbewerbsfähig halten . Das tun wir, indem wir ihnen einen wettbewerbsfähigen Rechtsrahmen an die Hand geben . Im Titel des Gesetzentwurfes ist von der Umsetzung der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie die Rede . Ich möchte sagen: Diese Überschrift ist ein bisschen zu kurz gesprungen; denn die Koalition setzt nicht nur eine EU-Richtlinie um . Wir nutzen vielmehr die Gelegenheit der Umsetzung dieser Richtlinie, um das Wahrnehmungsrecht - wenn Sie so wollen: das Grundgesetz für die Verwertungsgesellschaften - nach nunmehr mehr als 50 Jahren auf eine komplett neue Grundlage zu stellen, indem wir das Verwertungsgesellschaftengesetz jetzt neu aufsetzen. Aus der Pflicht wird gewissermaßen eine Kür.  Das markiert durchaus auch eine rechtspolitische Zäsur . ({0}) Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, dem Bundesminister Heiko Maas und dem hier anwesenden Parlamentarischen Staatssekretär Lange, aber ausdrücklich auch allen Mitarbeitern im Urheberrechtsreferat zu danken . Die Vorlage, die aus dem Ministerium kam, war schon ein sehr gelungener Entwurf . Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch zahlreiche Änderungen vorgenommen; aber das Ganze fand immer in einer sehr konstruktiven Atmosphäre statt . Mein Dank gilt genauso den Kolleginnen und Kollegen von der Union, die das Ganze mit uns verhandelt haben . ({1}) Meine Damen und Herren, es ist klar, dass ein Gesetz, bei dem es um so viel Geld geht, nicht frei von Interessenkonflikten ist. Deswegen haben wir von Anfang  an einen intensiven Dialog mit allen Beteiligten geführt und viele Anregungen aufgegriffen . Eines der großen Schlachtfelder, wenn ich das so bezeichnen darf, waren sicherlich die Regelungen zur Privatkopievergütung und zu der Frage, wie die Verfahrensregelungen zur Geräteabgabe in Zukunft ausgestaltet sein sollen . Man muss sich eines klarmachen: Das Urheberrecht schützt natürlich die Kreativen; aber es dient auch den Nutzern . Jeder Nutzer darf von legal erworbenen Werkstücken Privatkopien anfertigen; das wissen die meisten Menschen . Was die meisten Menschen allerdings nicht wissen, ist, dass sie auf die Geräte, die sie dafür benutzen - USB-Stick, Computer oder Smartphone -, eigentlich eine Abgabe zahlen müssen . Sie selber zahlen sie aber  nicht,  sondern  abgabeverpflichtet  sind  die  Importeure, die Hersteller . Das ist auch gut so . Ich sage es einmal so: Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass wir über die Frage, ob eine solche Abgabe zu zahlen ist, keinen Streit hatten . Aber wir hatten sehr oft Streit über die Frage, wie hoch die Vergütung sein soll . Zu diesem Thema gab es zum Teil sehr langwierige Gerichtsverfahren . Das Ganze war der Tatsache geschuldet, dass die Beteiligten nach dem Alles-oder-nichtsPrinzip vorgingen: Solange nicht klar war, wie hoch die Vergütung am Ende wirklich sein soll, hat man gar nichts gezahlt . Das war ein sehr unbefriedigender Zustand . Im Koalitionsvertrag war eigentlich eine Hinterlegung vorgesehen . Ich bin froh, dass wir davon Abstand genommen haben, weil eine Hinterlegung den abgabeverpflichteten Unternehmen unnötig Geld entziehen würde,  ohne direkt an die Begünstigten zu fließen; es würde irgendwo hinterlegt . Wir sind zu einer Sicherheitsleistung übergegangen, haben im parlamentarischen Verfahren aber dafür gesorgt, dass Anreize gesetzt werden, damit sich die Beteiligten möglichst schnell einigen, sei es über Interimsvereinbarungen - das ist der Weg, den wir am liebsten hätten -, sei es über angemessene Teilzahlungen . Wenn einer dieser beiden Wege beschritten wird, dann bedarf es noch nicht einmal einer Sicherheitsleistung . Ich glaube, das ist eine gute Lösung . Wir werden beobachten, wie die Praxis dieses Verfahren aufnimmt . ({2}) Ich füge hinzu: Wir werden auch an dem Verfahren selber noch Hand anlegen . Wir werden bei nächster Gelegenheit dafür sorgen, dass das Feststellungsverfahren gestrafft wird . Wir sind der Auffassung, dass es in Zukunft  ein  zweistufiges Verfahren  geben  sollte,  bei  dem  in erster Instanz das Bundespatentgericht und in zweiter Instanz der Bundesgerichtshof zuständig ist . Das ist allerdings nicht so einfach, weil wir dafür das Grundgesetz ändern müssen; denn Artikel 96 des Grundgesetzes bedarf hier einer kleinen Änderung . Das werden wir bei nächster Gelegenheit tun, und auch das wird ein Beitrag zur Straffung des Verfahrens sein . Meine Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf und auch um Zustimmung zu dem Entschließungsantrag der Koalition . Weil meine Zeit hier jetzt langsam abgelaufen ist, gehe ich davon aus, dass spätestens der Kollege Dr . Heck auch noch einmal Stellung zu diesem Entschließungsantrag nehmen und sagen wird, was wir darüber denken . ({3}) Ich glaube, angesichts des in der letzten Woche beim BGH ergangenen Vogel-Urteils haben wir auch hier Handlungsbedarf . Dieser Gesetzentwurf ist ein guter Gesetzentwurf . Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf, aber auch dem Entschließungsantrag der Koalition zu! Herzlichen Dank . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Flisek, Ihre Zeit war nicht abgelaufen, allenfalls Ihre Redezeit . ({0}) Als Nächster spricht jetzt der Kollege Harald Petzold für die Fraktion Die Linke . ({1})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Besuchertribünen! Wir sprechen heute zum zweiten Mal binnen weniger Wochen über einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie der Europäischen Union . Der Kollege Flisek hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass sich die Verwertungsgesellschaften zumindest teilweise keiner großen Beliebtheit erfreuen . Ich habe im Internet das Beispiel eines jungen, bislang noch unbekannten Musikers gefunden, der auf seiner eigenen Internetseite seine eigenen Musiktitel bewerben wollte und sich dachte, dass die Leute seine Musik hören können müssen, um seine eigene Bekanntheit zu steigern . Also hat er dafür gesorgt, dass das geht . Er musste dann mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen: Dumm gelaufen! Kurz vorher hatte er diese Titel nämlich bei der GEMA angemeldet, und nun kam die GEMA und wollte von ihm Gebühren dafür haben, dass er seine eigenen Titel auf seiner Internetseite veröffentlicht hat . Diese Gebühren waren so hoch, dass er sie sich nicht leisten konnte . Sein bitteres Fazit war, dass er als unbekannter Künstler bei der GEMA keine Chance hat . Ich zitiere: „Die Großen kassieren dafür umso fetter ab .“ Wenn Sie mir nicht glauben, dann kann ich Ihnen die Links, die das belegen, zur Verfügung stellen . Ich denke, wenn wir ein Gesetz machen, das so etwas ermöglicht, dann machen wir kein gutes Gesetz; ({0}) denn die Richtlinie, die wir heute hier umsetzen sollen, soll den Künstlerinnen und Künstler doch eigentlich nützlich sein, ({1}) und das gilt gerade auch für solche jungen Künstlerinnen und Künstler und nicht nur für die Ralf Siegels und Dieter Bohlens dieser Welt . Ich sage mir: Es kann doch nicht sein, dass so ein junger Musiker aufgrund der Richtlinien der GEMA keine Chance hat . Sein Problem ist nicht, dass Gebühren bezahlt werden müssen, aber eigentlich ist die GEMA ja dafür da, dass er Geld verdienen kann, und er sollte darüber mitbestimmen können, in welcher Höhe Gebühren erhoben werden und in welcher Höhe er verdienen kann . Genau das kann er nach der jetzigen Satzung der GEMA eben nicht . Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute beschließen sollen, zementieren Sie einen vordemokratischen Zustand, auch wenn Sie sagen, dass Sie das Verwertungsrecht nach 50 Jahren jetzt auf völlig neue Füße stellen wollen . Diese vordemokratischen Regelungen bei der GEMA, die Sie zementieren, trennen zum Beispiel zwischen Mitgliedern und Berechtigten . Weil der junge Mann noch keinen hohen Jahresumsatz hat, ist er eben nur ein Berechtigter, und er hat keine Chance, über die Tarife und die Ausschüttungen mitbestimmen zu können . Diesen Zustand kann meine Fraktion auf gar keinen Fall unterstützen . Deswegen sage ich - und ich bleibe dabei, auch wenn ich dafür von Teilen der Kreativen kritisiert worden bin -: Dieser Gesetzentwurf ist für uns nicht zustimmungsfähig . Durch diesen Gesetzentwurf behalten die Großen das Sagen, und die Kleinen haben keine Chance . ({2}) Sagen Sie nicht, dass es keine Alternativen gäbe . Das Modell der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst behandelt jeden Urheber als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied mit einem uneingeschränkten Wahl- und Stimmrecht . Anstatt diesem Modell wenigstens eine Chance zu geben, zementieren Sie aber eine Binnenstruktur, die die Großen bevorteilt und die Kleinen übervorteilt . Damit komme ich zum Entschließungsantrag der Grünen, der eine Menge an zustimmungsfähigen Punkten enthält . Genau an dieser Stelle bleibt er aber inkonsequent; denn auch Sie halten an dem Dreiklassenwahlund -stimmrecht der GEMA fest . Ein anderer Punkt, den ich zum Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen ansprechen möchte - Herr Flisek hat es angedeutet -: Sie reagieren damit auf das Urteil des Bundesgerichtshofs auf die Klage des Wissenschaftsautors Dr . Martin Vogel . In dem Urteil wird der Verwertungsgesellschaft Wort untersagt, einen pauschalen Betrag in Höhe von 50 Prozent ihrer Einnahmen an Verlage auszuschütten . Dem vorausgegangen war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das sogenannte Reprobel-Urteil, in dem entschieden worden ist, dass nationale Regelungen, nach denen die Vergütungen auf Kosten der Autoren an Verlage umgeleitet werden, europarechtswidrig sind . Summa summarum heißt das, dass den Autoren die Privatkopievergütung alleine zusteht . Was macht die Große Koalition? Sie fordert in einem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, sich gefälligst darüber Gedanken zu machen, wie eine Regelung gegen dieses Urteil auf den Weg gebracht werden kann . Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Das kann keine Lösung des Problems sein . ({3}) Abschließend will ich zusammenfassen . Sie haben sich selbst wieder einmal gelobt und diesen Gesetzentwurf zu einem großen Wurf erklärt . ({4}) Wir sagen klar und deutlich: Sie haben damit eine Chance vertan . Sie haben an den Stellen, an denen Sie sich eng an die Vorgaben der europäisches Richtlinie halten, eine ganze Menge von Vorschlägen aufgenommen, die die Linke bereits in der letzten Wahlperiode eingebracht hat . An diesen Stellen ist Ihr Gesetzentwurf richtig gut . An anderen Stellen ist er leider nur mutloser Minimalismus . Regelungen, mit denen Sie EU-Recht kontern oder gegen Kreative auslegen, können wir nicht zustimmen . Aber, wie gesagt, das macht es eben schwierig . Man kann den Gesetzentwurf auch nicht eins zu eins ablehnen . Wir werden uns deswegen der Stimme enthalten . Das Gleiche gilt für den Entschließungsantrag der Grünen . Den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen aber lehnen wir ab . Vielen Dank . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege Dr . Stefan Heck . ({0})

Dr. Stefan Heck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon der Name des Tagesordnungspunktes, den wir an dieser Stelle beraten, klingt in seiner vollen Länge sehr kompliziert . Aber das Gesetz, das wir heute beschließen, ist für das kulturelle Leben und den Schutz von geistigem Eigentum viel wichtiger, als dieser sperrige und technische Begriff vermuten lässt . Es ist gut, dass wir heute oft ganz einfach, schnell und unkompliziert auf Inhalte digital zugreifen können . Aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir mit einem Mausklick oder mit einem Fingertipp auf das iPhone in Urheberrechte eingreifen . Das ist legal, und das ist in Ordnung so . Die Urheber müssen hinnehmen, dass Werke zum privaten Gebrauch auch kopiert und vervielfältigt werden . Wir dürfen aber auf der anderen Seite nicht vergessen, dass diese Werke oft das Ergebnis jahrelanger Bemühungen und nicht selten harter Arbeit sind . Wir sind als Industrieland daran gewöhnt, dass wir den Wert einer Sache an der Fertigungstiefe, an der Gegenständlichkeit, festmachen . Wir haben eine sehr komplexe Dienstleistungswirtschaft, die wir wertschätzen . Aber hinzu kommt: Wir können als Land der Dichter und Denker, als Kulturnation, im Zeitalter der Digitalisierung den kreativen Schöpfungsprozess und den Schutz geistigen Eigentums gar nicht hoch genug schätzen . Wir wollen, dass Kreative und Urheber über die Verwertungsgesellschaften weiterhin eine solide wirtschaftliche Grundlage für ihre Arbeit haben . Mit diesem Gesetz leisten wir dazu heute einen ganz wichtigen Beitrag . ({0}) Dieses Gesetz dient der Umsetzung einer europäischen Richtlinie; wir haben es eben schon gehört . Damit wird ein weitgehend einheitlicher europäischer Rechtsrahmen für eine Tätigkeit gesetzt, die ohnehin meist grenzüberschreitend stattfindet. Ich glaube, man darf an dieser Stelle schon erwähnen, dass Vorlage für diese europäische Richtlinie unser bewährtes deutsches Wahrnehmungsrecht war . Bei der Umsetzung haben uns zwei Gedanken ganz besonders geleitet: Erstens . Wir möchten dieses bewährte deutsche Wahrnehmungsrecht erhalten und behutsam weiterentwickeln . Zweitens . Wir möchten den Spielraum, den die Richtlinie uns gibt, zugunsten der Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Urheber nutzen und gleichzeitig eine möglichst weitgehende Satzungsautonomie für die Verwertungsgesellschaften ermöglichen . Sie haben es angesprochen: Der umstrittenste Punkt in diesem Gesetzentwurf war die Regelung zur Gerätevergütung bei Privatkopien . Wir werden heute die Schiedsstelle - Kollege Flisek hat es erläutert - ermächtigen, künftig eine Sicherheitsleistung anzuordnen . Auf der anderen Seite hat der Schuldner die Möglichkeit, diese durch Zahlung einer angemessenen Teilleistung abzuwenden . Wir glauben, dass das eine ausgewogene Regelung auch im Lichte der Eigentumsfreiheit nach unserem Grundgesetz ist, die den oft sehr langen und manchmal endlos erscheinenden Weg bis zu einem befriedigenden Ergebnis dieses Verfahrens erheblich beschleunigen wird . Wir wissen, dass alle Beteiligten, die derzeit schon an diesem Prozess mitwirken, ganz erhebliche Anstrengungen unternehmen . Das gilt für die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt . Es gilt für das Oberlandesgericht in München und alle weiteren Beteiligten . Wir sind - da sind wir in der Koalition auch zusammen der Überzeugung, dass das, was wir heute beschließen, noch nicht das Ende der Diskussion sein wird . Wir werden uns dieses Gesamtpaket noch einmal in aller Ruhe anschauen müssen . Damit meine ich sowohl das materielle Recht als auch das Verfahren . Das geht bis hin zu der Frage - auch das haben Sie angesprochen -, ob am Ende das Bundespatentgericht am Standort München mit seiner Kompetenz nicht möglicherweise die sachnähere Eingangsinstanz für diese Verfahren ist . Parallel zu diesem Gesetzesvorhaben, das wir heute beschließen, hat uns aus der Rechtsprechung - zunächst vom Europäischen Gerichtshof und dann in der letzten Woche vom Bundesgerichtshof ausgehend - eine Entwicklung erreicht, die wir heute nicht unkommentiert lassen können . Deswegen haben wir uns gemeinsam auf eine Entschließung zu diesem Thema verständigt . Zunächst hat der EuGH und schließlich der BundesgerichtsHarald Petzold ({1}) hof entschieden, dass die jahrzehntelange und bewährte Praxis der paritätischen Ausschüttung der Einnahmen durch die VG Wort an Autoren auf der einen Seite und Verleger auf der anderen Seite so nicht mehr rechtskonform ist . Dieses Urteil, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht in Gegensatz zu dem guten und partnerschaftlichen Miteinander von Urhebern und Verlegern . Es bringt viele Verlage in eine teilweise ganz dramatische wirtschaftliche Schieflage. Wir als Gesetzgeber haben dieses Urteil  nicht zu kritisieren, und wir wollen hier auch keine Gerichtsschelte betreiben . Ich glaube aber schon, dass wir sagen können, dass der Deutsche Bundestag eine solche Regelung niemals sehenden Auges beschlossen hätte . Es gab und gibt für eine solche Regelung keine politische Mehrheit . Deshalb ist es an uns, diese Entwicklung nun auch möglichst zügig zu korrigieren und der gemeinsamen Überzeugung der ganz großen Mehrheit in diesem Hause Ausdruck zu verleihen, dass weiterhin eine Beteiligung von Autoren und Verlegern möglich sein sollte . ({2}) Wir wissen, dass dies abschließend nur auf europäischer Ebene geschehen kann; aber das wird seine Zeit dauern . Deshalb werden wir die Urteilsgründe in aller Ruhe analysieren und uns dann zügig über eine nationale Regelung unterhalten, welche diese unerträgliche Schieflage  beseitigt . Meine Damen und Herren, unterm Strich ist zu sagen: Dieses Gesetz stärkt die Rechte der Urheber . Es ist ein gutes Gesetz . Ich kann das Lob für die gute Zusammenarbeit zurückgeben . Es ist, lieber Herr Flisek, auch deshalb ein gutes Gesetz, weil wir es an Ihrem 42 . Geburtstag gemeinsam schlussverhandelt haben . Heute ist ein guter Tag für die Kreativität und den Schutz des geistigen Eigentums in unserem Land . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Damit eine Rede gefällt, ist eine beiderseitige Anstrengung erforderlich . Man muss dann auch als Zuhörer mitmachen . Das habe ich einmal so gelernt . ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon so: Ich müsste mich, wenn ich mir zuhören müsste, auch selber mühen und würde denken: Mann, ist das ein trockener Stoff . Deshalb bewundere ich diejenigen, die sieben oder sogar zehn Minuten damit gefüllt haben . ({1}) - Danke! Das kann ich aber schlecht verteilen . Egal! Dahinter steht aber natürlich eine ganz spannende und existenzielle Frage . Dabei sollten wir wissen, dass Künstlerinnen - Autorinnen bzw . Urheberinnen - davon leben, dass ihnen nicht nur ein gutes Werk gelingt - was ja auch nicht immer einfach ist -, sondern dass es auch noch ein breites Publikum findet und sie dann ihre Rechte bei der  Nutzung durch das Lesen bzw . Hören ihrer Werke auch noch durchsetzen können . Dann können sie von dem Geld, wenn es ganz besonders gut geht, auch leben . Deshalb geht es um die Frage, wie man über Verwertungsgesellschaften gemeinsam sein Recht auf Einnahmen umsetzen kann . Das Ziel muss also sein, eine angemessene Vergütung zu bekommen, und der ganze Weg dahin darf nicht kompliziert oder ungerecht sein, sondern er muss praktikabel sein . Die Aufgabe ist also, einen fairen Ausgleich zwischen den Urhebern, den Nutzern und den klassischen kommerziellen Verwertern und vor allen Dingen denen, die Digitalwerke vermitteln - das ist ja keine leichte Aufgabe -, zu schaffen . Wir sind durch das europäische Recht, durch die VG-Richtlinie, gezwungen, dieses Wahrnehmungsrecht zu novellieren . Ihr Gesetzentwurf ist nicht schlecht, aber auch noch nicht perfekt . ({2}) - Ja, zum ersten Halbsatz . Aber Sie können auch zu der mildtätigen Aussage „nicht schlecht, aber auch noch nicht perfekt“ klatschen, Herr Kollege Flisek . Das haben Sie ja auch gemacht . Der Gesetzentwurf ist eben noch nicht perfekt . Es geht um die Umsetzung von europäischem Recht . Wir haben uns als Fraktion vor Monaten mit Vertretern der Verwertungsgesellschaften zusammengesetzt, einen runden Tisch gebildet und sind das Ganze einmal durchgegangen,  um  herauszufinden,  ob  es  schon  perfekt  ist.  Wir glauben, es muss an einigen Stellen nachgeschärft werden . Ich will an dieser Stelle vor allem eines hervorheben, nämlich dass wir eigentlich eine Pluralität der Verwertungsgesellschaften brauchen . Unseres Erachtens bzw . aus der Sicht vieler Urheberinnen und Urheber brauchen wir nicht für jedes Genre eine Verwertungsgesellschaft eine für die Musik, eine andere für das geschriebene Wort -, sondern in einer Marktwirtschaft ist es durchaus richtig, dass es einen Wettbewerb der Gesellschaften gibt . Deshalb sage ich klar: Uns schwebt zum Beispiel eine genossenschaftliche Vertretung nur von Urheberinnen und Urhebern vor . ({3}) An dieser Stelle komme ich zum Mangel . Herr Staatssekretär Lange sagte mir zwar am Rande einer Rechtsausschusssitzung, die Genossenschaften seien nicht ausgeschlossen . Aber es besteht zumindest Rechtsunklarheit . Heiko Maas hatte auf meine Frage am 11 . November letzten Jahres, ob er auch mit anderen Gespräche darüber geführt habe, ob in Zukunft auch Genossenschaften möglich sein können, geantwortet: Diese Gespräche haben wir nicht geführt, weil letztlich die Entwicklungen und auch das Marktgeschehen zeigen müssen, wohin die Reise geht und ob etwas anderes entsteht . Zu der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses hatten wir zwei Sachverständige eingeladen, Herrn Starostik und Herrn Weller, die sich mit der Frage der Genossenschaften auseinandergesetzt haben - weil sie selber eine gründen wollten, aber sie sind auch Fachleute in diesem Bereich - und die zu der Rechtsauffassung gekommen sind, dass sie nach dem geltenden Recht nicht möglich wären . Diese Fragen haben Sie nicht gelöst . Wir sind der Auffassung, sie sind eigentlich nicht erlaubt . Herr Lange behauptet, das gehe . Dann hätten Sie klar sagen müssen, dass zum Beispiel genossenschaftliche Formen möglich sind . ({4}) Ich meine, selbst mit Ihrem Änderungsantrag sind sie nicht möglich . Deshalb haben wir das Thema nach vorne gebracht, weil es um die Frage des Wettbewerbs und der Pluralität geht . Ich glaube, dass eine direkte und alleinige Vertretung von Urheberinnen und Urhebern durchaus Sinn machen würde . Lesen Sie noch einmal die Stellungnahme des Richters am Berliner Verfassungsgerichtshof Meinhard Starostik! Sie lösen das nicht . Ich gebe zu: Es gibt Bereiche, in denen Sie etwas verbessert haben, zum Beispiel in § 19 Absatz 4 VG-Richtlinie-Umsetzungsgesetz,  wo  es  um  Interessenkonflikte  geht . Darüber herrscht meines Erachtens Einigkeit . Ich will abschließend aber noch einen Punkt ansprechen, in dem es Änderungsbedarf gibt . Es ist schon von einigen Kollegen angesprochen worden . Der Bundesgerichtshof hat im Fall Vogel gegen die VG Wort überraschend klar gesagt: Eine pauschale Beteiligung der Verlage gibt es nicht . Wir haben dazu einen Entschließungsantrag eingebracht und die Bundesregierung aufgefordert, anhand dieses Urteils des BHG, aber auch der Reprobel-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes eine Beteiligung von Verwertern und Verlagen an gesetzlichen urheberrechtlichen Ansprüchen so zu gestalten, dass sie nicht auf Kosten der Urheberinnen und Urheber geht . Das heißt: nicht eine pauschale, sondern eine faktengedeckte Teilhabe . Ich freue mich auf das Gespräch miteinander . Denn wir alle wissen: Wir müssen das Problem zwar europäisch lösen; wir können aber angesichts des Tempos unter den 28 Mitgliedstaaten nicht ernsthaft darauf warten . Deshalb brauchen wir eine nationale Regelung . Warum? Weil es in diesem Land kleine und mittelständische Verlage gibt, die nun sozusagen am Hungertuch nagen und möglicherweise in die Insolvenz geraten . Ich will mit einer Forderung schließen: Wir brauchen Fakten, Fakten, Fakten . Wir brauchen Zahlen, Zahlen, Zahlen . Das schicke ich insbesondere an die Adresse der Bundesregierung . Um die Vorgaben des Urteils umzusetzen, die Verlage nicht sterben zu lassen und trotzdem die Urheberinnen und Urheber gerecht zu beteiligen, brauchen wir nun Fakten . Nur so können wir zumindest vorübergehend zu einer nationalen Regelung kommen . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Burkhard Blienert für die SPD . ({0})

Burkhard Blienert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegen Christian Flisek und Herr Heck haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung aus juristischer Sicht schon sehr ausführlich erörtert . Meine Bewertung als Kulturpolitiker bleibt die gleiche im Ergebnis, hat aber einen anderen Blickwinkel . Die kollektive Rechtewahrnehmung, wie sie sich im Prinzip der Verwertungsgesellschaften widerspiegelt, ist einer der weitreichendsten kulturpolitischen Schritte gewesen . Das ist die Einschätzung des Geschäftsführers des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, der ich mich nur allzu gerne anschließe . Verwertungsgesellschaften erfreuen sich - das wurde schon gesagt - in Deutschland insbesondere aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher keiner großen Beliebtheit . Das liegt in erster Linie - positiv gedacht darin begründet, dass vielen nicht bekannt ist, was Verwertungsgesellschaften genau tun und wem sie dienen . Verwertungsgesellschaften sichern letztendlich die Rechte und vertreten die Interessen von Künstlerinnen und Künstlern, damit diese einen adäquaten Ertrag aus der Nutzung ihrer kreativen Leistung ziehen können . In der öffentlichen Diskussion wird zudem häufig übersehen, dass Verwertungsgesellschaften durch den Gesetzgeber einen direkten sozialen Auftrag erhalten haben und diesen auf vielfältige Weise wahrnehmen . ({0}) Das Prinzip der Solidarität ist also ein wichtiges Strukturelement der Verwertungsgesellschaften . Etablierte Künstlerinnen und Künstler fördern mit ihren Beiträgen kommerziell weniger erfolgreiche Kolleginnen und Kollegen; auch das gehört dazu . Diesen Solidargedanken der Verwertungsgesellschaften erhalten wir aufrecht . Er ist uns wichtig . Erfreulicherweise wurde an dieser Stelle im vorliegenden Regierungsentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf nachgebessert . Wie bislang sollen und nicht können - Verwertungsgesellschaften nach § 32 VGG kulturelle und soziale Zwecke erfüllen . Die Verpflichtung wurde  also nicht  zur  bloßen Möglichkeit  degradiert . ({1}) An dieser Stelle möchte ich kurz auf das aktuelle Urteil des BGH im Kontext des Urteils des EuGH eingehen . Mit Letzterem wurde bereits die in Belgien vorgeschriebene Verlegerbeteiligung aus der Privatkopievergütung gekippt . Mit dem BGH-Urteil wurden nun auch in Deutschland Beteiligungen der Verleger an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen der Urheberinnen und Urheber für rechtswidrig erklärt . Zum einen sollen nun die Verwertungsgesellschaften nach Lösungsmöglichkeiten suchen, um Schaden von den Verlagen abzuwenden . Aber dabei können sie nur zum Teil auf bereits bestehende Mechanismen zurückgreifen, die die Rückabwicklung bei Verteilungsplänen regeln . Zum anderen muss jetzt der Gesetzgeber tätig werden . Bundesjustizminister Heiko Maas hat bereits angekündigt, sich auf europäischer Ebene für die erforderliche Änderung des Rechtsrahmens einzusetzen . Gleichzeitig sollte die Bundesregierung prüfen, ob auch auf nationaler Ebene eine angemessene Lösung gefunden werden kann . Das enge Zusammenwirken der Verleger und der Urheber bei der Entstehung kreativer Werke in Deutschland hat sich in Deutschland und Europa seit Jahrzehnten bewährt . Dies sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen . Das Thema insgesamt weitet sich auf andere Bereiche aus . Angesichts meiner begrenzten Redezeit will ich Sie daran erinnern, dass es wichtig ist, dass wir die soziale Situation der Künstlerinnen und Künstler und die teilweise prekären Arbeitsbedingungen im Blick behalten, jenseits von VGG, Urhebervertragsrecht und aller anderen Instrumente, die wir an dieser Stelle haben . ({2}) Verwertungsgesellschaften waren in den letzten 15 Jahren immer wieder auch Gegenstand von En queteKommissionen . Nun haben wir ein Ergebnis von Heiko Maas vorgelegt bekommen, das den modernen Bedingungen entspricht, und das ist dem Justizministerium sehr gut gelungen . Ich danke ausdrücklich dafür, dass wir uns dort in einem guten Umfeld befinden. Das bewährte  System der kollektiven Rechtewahrnehmung ist nun dauerhaft auf sichere Beine gestellt . Das ist ein gutes Signal, und dafür danke ich allen, die sich daran beteiligt haben . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erhält nun der Kollege Dr . Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen heute eine Debatte um die Umsetzung einer EU-Richtlinie . Wir sprechen aber auch über den Wert von Kunst und Kultur sowie über die Frage, wie Kreative in diesem Land vergütet werden und wovon sie leben können . Dabei ist zunächst einmal festzuhalten: Das Konzept der Verwertungsgesellschaften hat sich in diesem Land bewährt . Die Bündelung der Rechtewahrnehmung und damit auch die Rechtssicherheit der Nutzer, urheberrechtlich geschützte Werke zu gebrauchen, ist eine 50-jährige Rechtstradition, und an dieser halten wir bis heute fest . ({0}) Gleichwohl sorgen wir für die notwendige Modernisierung dieses Gesetzes, indem wir den Verwertungsgesellschaften ermöglichen, mit neuen Kommunikationsformen interaktiv und im Wege der Beschlussfassung mit ihren Berechtigten und Nutzern in Kontakt zu treten . Trotzdem bleibt eines erhalten: Verwertungsgesellschaften sind quasi gemeinnützig tätig . Sie haben nur Aufwendungen für sich selbst und schütten das, was übrig bleibt, für kulturelle und soziale Zwecke aus . Ich denke, das darf auch heute einmal erwähnt werden . Dennoch gab es einen Reformbedarf im Bereich der Schiedsverfahren . Diese sind notwendig, da sich die Gerätehersteller und die Hersteller von Speichermedien einerseits und die Verwertungsgesellschaften andererseits nicht immer sofort über den richtigen Preis und den gerechten Wert für die Abgabe der Privatkopie einigen konnten . Das hat dazu geführt, dass die Verfahren in der Vergangenheit sehr lange gedauert haben . Aber lange Verfahren sind nicht das, was wir unter Gewissheit und Rechtssicherheit verstehen . Deshalb wird mit diesem Gesetz die Möglichkeit eingeführt, diese Verfahren zu beschleunigen . Mit der Sicherheitsleistung wird einerseits dem Interesse der Hersteller an einer konkreten Zahl, die sie zu leisten haben, und andererseits dem Interesse der Urheber an geldwerten Zuflüssen Rechnung getragen.  Wir haben uns lange überlegt, ob wir eine Sicherheitsleistung  oder  eine  Hinterlegungspflicht  einführen  sollten . Aber verfassungsrechtliche und ganz pragmatische Gründe haben uns dazu getrieben, von einer Hinterlegungspflicht  abzusehen.  Sie würde  dazu  führen,  dass  gerade kleine und mittelständische Hersteller von Geräten und Speichermedien zu sehr Liquidität und Geld verlieren würden, und bei den Urhebern und den Kreativen würde es nicht ankommen . Deshalb ist, wie es im Gesetz steht, die angemessene Sicherheitsleistung die richtige Balance zwischen den Interessen der Autoren, der Kreativen und der Hersteller von Speichermedien . Ich denke, darauf können wir stolz sein . ({1}) Natürlich müssen wir uns fragen, wie wir diese Verfahren zukünftig noch verbessern können . Ein erstinstanzliches Verfahren vor dem Bundespatentgericht hätte sicherlich seinen Charme . Vorher müssten wir aber das Grundgesetz ändern . Vielleicht wäre es besser, als das Grundgesetz zu ändern, auch im materiellen Recht noch Verbesserungen herbeizuführen, beispielsweise durch eine Festlegung im materiellen Recht hinsichtlich der Festschreibung gewisser Prozentzahlen . Das sollten wir uns auf alle Fälle in der nächsten Zeit gut überlegen . Gut überlegen müssen wir aber auch die Frage, wie wir mit den beiden Urteilen umgehen, die die Verwertungsgesellschaften in der letzten Zeit betroffen haben . Das ist einerseits das Urteil Reprobel des Europäischen Gerichtshofes und auf der anderen Seite das VG-WortUrteil des Bundesgerichtshofs . Es steht einem Gesetzgeber nicht zu, Urteilsschelte zu betreiben . Er kann aber und er muss, wenn grundlegende Voraussetzungen für ein Gelingen des Urteilstenors in der Gesellschaft fehlen, Korrekturen anbringen . Ich glaube, dass die beiden Urteile Korrekturen des Gesetzgebers erfahren müssen . ({2}) Die beiden Urteile besagen im Prinzip: Ausschüttungen der VG Wort sind solche, die nur den Autoren zustehen . Für die Verlage soll nichts übrig bleiben . Das verkennt ein Stück weit die Lebensrealität: Ohne Verlage, ohne jemanden, der die Druckfahne liest, der das Marketing organisiert, der dafür sorgt, dass in den kleinen Buchhandlungen ein Vertriebsweg eröffnet wird, können manche Autoren gar nicht erst entdeckt werden oder ihr Werk unter die Leute bringen . Ja, wir müssen uns fragen: Welche Art von Literaturbetrieb wollen wir in diesem Land haben? Wollen wir eine Situation haben, in der nur noch große Onlinehändler über Onlinevertriebswege mit großen Verteilzentren wenige einzelne Werke an den Mann oder an die Frau bringen? Oder schätzen wir auch in diesem Land die kleinen Buchhändler, die jungen Autoren, die modernen Kreativen, die vielleicht nur deswegen den Zugang zur Literatur und zu ihren Lesern finden, weil sie eine Chance bekommen? Aber diese Chance funktioniert eben nicht ohne Verlage, die bereit sind, einen Teil des wirtschaftlichen Risikos zu schultern . Deswegen sollten sie auch einen Teil der Einnahmen bekommen . Dafür werden wir uns einsetzen . ({3}) Unserem Leitbild liegt die Idee einer Kulturnation zugrunde . Literatur, künstlerische Werke, kreative Dinge lassen sich nicht allein ökonomisieren . Ja, Menschen und Kreative müssen davon leben . Aber es hat auch einen Wert an sich, wenn Romane geschrieben werden, wenn Gedichtbände veröffentlicht werden und wenn sie eine Verbreitung finden. Deswegen werden wir uns dafür einsetzen, dass hier auch zukünftig ein fairer, gerechter und sozialer Ausgleich erfolgen kann . In diesem Sinne haben wir viel zu tun . Aber heute liegt ein guter Gesetzentwurf vor uns . Ich darf Sie bitten, diesem zuzustimmen . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die Geräte- und Speichermedienvergütung . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter  Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8268, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/7223 und 18/7453 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, sich zu erheben . - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache  18/8268  empfiehlt  der  Ausschuss,  eine  Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8269 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt . Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und Versorgungsbezüge - Doppelverbeitragung vermeiden Drucksachen 18/6364, 18/8222 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat die Kollegin Maria Michalk, CDU/CSU-Fraktion . ({2})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank . - Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Wir werden in kurzer Zeit über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Fraktion Die Linke abstimmen . Sie fordern in diesem Antrag, die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Versorgungsbezüge zu beenden und die Bürgerversicherung einzuführen . ({0}) Im Feststellungsteil Ihres Antrags verweisen Sie darauf - ich nehme Ihnen jetzt ein bisschen Arbeit ab -, dass das wegen der demografischen Entwicklung und der  gewünschten Beitragsstabilität seinerzeit eingeführt worden ist und dass - das ist richtig - die aktuelle Niedrigzinsphase noch zusätzlich dazu beiträgt, dass Rücklagen und Ansparungen für das Alter nicht den gewünschten Erlös bringen . Sie monieren zusätzlich - das teilen wir nicht, so wie Sie es formuliert haben - die hohen Abschluss- und Bestandsprovisionen in der betrieblichen Altersvorsorge . Ihr Hauptkritikpunkt ist die doppelte Verbeitragung . Wir haben eine Anhörung durchgeführt . Sie hat die Argumente, die wir in der vorangegangenen Zeit immer wieder vorgebracht haben, bestätigt . ({1}) Gleichwohl will ich am Anfang sagen, dass wir menschlich durchaus verstehen können, was die Leute denken, die in der Zeit, wo sie verdient haben, von der Möglichkeit der Entgeltumwandlung Gebrauch gemacht haben, also zugunsten der Altersvorsorge auf Einkommen verzichtet haben . Die Kalkulationsgrundlage war eine andere . Was jetzt zur Auszahlung kommt, entspricht dem nicht . ({2}) Deshalb will ich hier in aller Öffentlichkeit ein paar Argumente aus der Anhörung wiederholen, ({3}) die im Grunde genommen bestätigen, was wir als CDU/ CSU-Bundestagsfraktion immer ins Feld führen, nämlich dass die Beitragsgestaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließlich auf eine zeitlich horizontale Betrachtung abstellt . Das heißt, sie fragt nicht nach dem Zustandekommen des Einkommens, nach der Ausgestaltung in der Vergangenheit . Diese Betrachtungsweise hat das Bundesverfassungsgericht an mehreren Stellen bestätigt . Das können und wollen wir nicht ignorieren . Es ist mir ganz wichtig, hier noch ein Argument anzuführen . Es wurde herausgearbeitet, dass die heutige Generation  der  Beitragszahler  wegen  der  demografischen  Entwicklung in der Tat einen größeren Solidarbeitrag leistet als die Generation davor, als die älteren Versicherten geleistet haben . Es wurde bestätigt, dass der Gesetzgeber  das Recht  hat,  aber  vor  allen Dingen  die  Pflicht  hat, die Gestaltungsfreiheit entsprechend den sich wandelnden Herausforderungen in unserer Gesellschaft zu nutzen . Ich bin an der Stelle kein Freund der Kostenbetrachtung, weil ich das Thema eher ordnungspolitisch angehe, aber einen Hauptkritikpunkt möchte ich der Vollständigkeit halber schon erwähnen: Die Rückkehr zu der alten Regelung würde für die gesetzliche Krankenversicherung Kosten in Höhe von 2,6 Milliarden Euro bedeuten . Das ist eine erhebliche Summe; das dürfen wir nicht verkennen . Mir ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Höhe der gezahlten Beiträge keinen Einfluss auf die  Leistungserbringung hat, das heißt, niedrigere Beiträge führen nicht zu Leistungseinschränkungen . Jeder in unserem Land wird nach seinen Bedürfnissen, nach den Notwendigkeiten ganz individuell medizinisch versorgt . Dieses Grundprinzip der solidarischen Gesundheitsversorgung bleibt ja erhalten, anders als in der Rentenversicherung, wo wir die lohnbezogene Rente haben und wo es dann durchaus auf das Vermögen ankommt . Ich will noch ein weiteres Argument in die Diskussion einführen . Immerhin haben auch die Sachverständigen bestätigt ({4}) - das können Sie im Protokoll nachlesen -, ({5}) dass im System der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich Versicherte - weltweit einmalig - hervorragende medizinische Leistungen erhalten, auch wenn sie niedrige Beiträge zahlen . ({6}) Das ist das Grundprinzip unseres solidarischen Sozialsystems . ({7}) Noch ein kurzes Wort zur Bürgerversicherung . Dass es zu ökonomischen Nachteilen in der Versorgung käme, wenn wir die Rückstellungen der privaten Krankenversicherung jetzt in das System einführen und unser historisch gewachsenes duales Krankenversicherungssystem aufgeben würden, wissen Sie alle . Es wäre im Grunde genommen ein Fehler, wenn wir diesen Kapitalstock auflösen würden . Nicht von ungefähr haben wir ja gerade die gesetzliche Krankenversicherung beauftragt, Rückstellungen zu bilden . Aus diesen ordnungspolitischen Gesichtspunkten lehnen wir diesen Antrag ab . Das heißt, die BeschlussempVizepräsidentin Ulla Schmidt fehlung lautet, bei dieser systematischen Grundansicht zu bleiben . Und dieser Beschlussempfehlung werden wir zustimmen . Vielen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt Matthias W . Birkwald, Fraktion Die Linke . ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf der Besuchertribüne haben Gerhard Kieseheuer, der Bundesvorsitzende des Vereins Direktversicherungsgeschädigte e . V ., sein Stellvertreter, Herr Denzin, und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter Platz genommen . Seien Sie uns herzlich willkommen! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Verein hat in den vergangenen Jahren und Monaten einiges ins Rollen gebracht . Er vertritt die Betroffenen, die durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz aus dem Jahr 2004 rückwirkend kalt enteignet wurden . ({1}) SPD, Grüne und Horst Seehofer, Herr Straubinger, tragen dafür die Verantwortung . Klaus Stiefermann, der Geschäftsführer der renommierten Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung, aba, geht von sage und schreibe knapp 400 000 Betroffenen aus . Viele von ihnen wurden erst mit Steuervergünstigungen in die sogenannten Direktversicherungen gelockt . Die Beiträge zu den Betriebsrenten wurden zwar von den Firmen überwiesen, die Chefs haben aber oft keinen einzigen Cent dazubezahlt . Das heißt: Die Verträge wurden von den Beschäftigten allein und aus ihrem Einkommen bespart, Einkommen, für das sie bereits Krankenversicherungsbeiträge gezahlt hatten . Und seit diesem Gesetz von Rot-Grün aus 2004 mussten die Betroffenen nun rückwirkend ihren Krankenversicherungsbeitrag auf ihre Betriebsrente abdrücken . ({2}) Damit nicht genug: auch noch den des Arbeitgebers obendrauf . Ich sage: Erst angelockt, dann abgezockt . So, meine Damen und Herren, geht man nicht mit Menschen um . ({3}) Ein Beispiel: Von den insgesamt versprochenen 120 000 Euro Betriebsrente musste Christiane M . 21 600 Euro an ihre Krankenkasse zahlen . Bei Vertragsabschluss war davon absolut keine Rede gewesen . Christiane M . war geschockt . Und der größte Hammer: Hätte sie stattdessen eine private Lebensversicherung abgeschlossen oder wäre sie privat krankenversichert, sie müsste keinen einzigen Cent bezahlen . Das ist eine unglaubliche Ungerechtigkeit . ({4}) Wissen Sie, was das für die Lebensplanung der Betroffenen bedeutet, egal ob jemand 120 000 Euro oder 15 000 Euro gespart hat? Knapp ein Fünftel des Geldes ist dann weg, plus Steuern . Frau Kollegin Mattheis, Sie haben für die SPD gesagt, man müsse hier etwas tun . Immerhin gibt die SPD in der Beschlussempfehlung zu unserem Antrag zu, dass sie die Krankenkassen auf Kosten der Direktversicherten saniert hat . Aber jetzt einmal Butter bei die Fische: Wollen Sie die Doppel- bzw . Dreifachverbeitragung abschaffen, ja oder nein? Der Kollege Weiß - er ist gerade nicht im Saal - hat jüngst für die CDU/CSU gesagt, dass das Problem nur für Neuverträge gelöst werden könnte . Sehe ich das richtig? Sie wollen heute den schon Betroffenen, die seit Jahren um ihr Geld kämpfen, nichts Gutes tun und sie weiter im Regen stehen lassen? Das darf doch nicht wahr sein . ({5}) Frau Michalk, die Sachverständigenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages brachte ein völlig eindeutiges Ergebnis, und zwar ein anderes, als Sie gesagt haben . Fast alle Sachverständigen wollten die Doppelverbeitragung abschaffen . ({6}) - Lesen Sie einmal im Protokolle . ({7}) Der DGB, der Sozialverband Deutschland, der Sozialverband VdK, die Verbraucherschützer ({8}) und - das erlebe ich wirklich nicht jeden Tag - auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände formulierten in ihrer Stellungnahme wörtlich: Die im Antrag der Bundestagsfraktion die LINKE erhobene Forderung . . . ist richtig . ({9}) Überzeugender geht es doch nicht . Sogar die Senioren-Union hatte 2015 auf dem Karlsruher Parteitag der CDU gefordert, die Doppelverbeitragung abzuschaffen . ({10}) - Das ist einen Applaus wert . - Sogar Finanzstaatssekretär Dr . Meister hat auf der Handelsblatt-Jahrestagung verkündet, die Doppelverbeitragung zu hinterfragen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, wenn Ihre angekündigte Reform der betrieblichen Altersversorgung nicht komplett unglaubwürdig starten soll, dann müssen Sie handeln . Stimmen Sie unserem Antrag zu . Die unfaire doppelte Verbeitragung von Direktversicherungen  mit  Kranken-  und  Pflegeversicherungsbeiträgen muss dringend abgeschafft werden . Jetzt! Danke schön . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Jetzt hat die Kollegin Hilde Mattheis, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem Antrag, den die Linke eingereicht hat, wird ein Problem aufgegriffen, das wir alle aus vielen Gesprächen kennen und auf das wir in vielen Briefen angesprochen werden . Auch eingereichte Petitionen zeugen davon, dass hier ein Problem existiert . ({0}) Viele Menschen, die gemeint haben, durch die Entgeltumwandlung über Direktversicherungen gute Altersvorsorge betrieben zu haben, stellen fest, dass die Erträge nicht so hoch sind, wie sie gehofft haben; denn sie müssen die vollen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abführen . Aber, Herr Birkwald, auch wenn Sie das so dargestellt haben - ich habe die Protokolle auch gelesen -: Es gibt kein konkretes Zahlenmaterial, wie viele Rentnerinnen und Rentner dies betrifft . Aber auch wenn - das hat die Anhörung auch dargelegt - eine Doppelverbeitragung für den überwiegenden Teil der Altersvorsorge ausgeschlossen werden kann - das haben die Sachverständigen gemacht -, ist das Ganze ein großes Ärgernis . Meine Kollegen von der SPD und ich können den Ärger derer verstehen, die davon betroffen sind, weil es nämlich rückwirkend gemacht worden ist . Wir sehen die Auswirkung dieser Regelung im Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004 durchaus kritisch . Ich will einen Blick in diese Zeit werfen - die damalige Gesundheitsministerin hat ein sehr gutes Gedächtnis -: ({1}) Viele wissen, diese Regelung geht nicht auf einen Gesetzentwurf von SPD und Grüne zurück, sondern auf die Intervention des damaligen CSU-Abgeordneten Horst Seehofer . ({2}) - Ja, das ist kein Argument, aber eine Erklärung . - Es war im Prinzip das Ergebnis sogenannter Konsensgespräche zwischen CDU/CSU, SPD und den Grünen, und der Verhandlungsführer war damals Horst Seehofer, ({3}) von dem wir erwarten, dass er jetzt auch ein gutes Gedächtnis hat . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Mattheis, trotz der Erinnerung: Möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen? - Sie möchten ausführen .

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja . - Das macht es für die Betroffenen nicht besser . Es ist aber, wenn es um mögliche Korrekturen geht, ziemlich hilfreich, wenn man das gute Gedächtnis aktiviert . Denn bei diesen Korrekturen brauchen wir auch eine Unterstützung aus Bayern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhörung hat gezeigt: Das Thema kann nicht isoliert aus Sicht der Kranken-  und  Pflegeversicherung  betrachtet  und  allein  in diesem Zusammenhang gelöst werden . Denn der damalige Paradigmenwechsel in der Alterssicherung - weg vom Sicherungs-, hin zum Beitragssatzziel - hat zwar Auswirkungen auf die Kranken- und Pflegeversicherung;  das Problem muss aber generell im Bereich der Alterssicherung gelöst werden . Allerdings haben sich nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch die höchsten Gerichte in diesem Land mehrfach mit dem Konstrukt der Alterssicherung und der Zahlung von Kassenbeiträgen beschäftigt . Das Bundesverfassungsgericht und das Bundessozialgericht haben die doppelte Verbeitragung von Altersbezügen grundsätzlich als verfassungskonform beurteilt bzw . als rechtens abgesegnet . In der Folge werden Alterseinkünfte nicht gleich behandelt . Ich zitiere aus der schriftlichen Stellungnahme des Wissenschaftlichen Instituts der AOK: Bei der Beitragserhebung und -bemessung in der GKV gibt es eine Reihe von Inkonsistenzen … Dazu zählt auch, wenn Leistungen aus einer betrieblichen Direktversicherung beitragsfrei sind, soweit ein Arbeitnehmer die Versicherung nach seinem Ausscheiden aus dem Betrieb privat als Versicherungsnehmer fortgeführt hat, aber beitragspflichtig,  wenn die Versicherung nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers - ich füge hinzu: die Arbeitnehmerin ist natürlich auch gemeint formal weiter über die betriebliche Pensionskasse geführt worden ist … Diese Regelung ist nicht nur kompliziert; sie ist auch nicht wirklich erklärbar und gerecht . Diese Ungleichheit haben mehrere Sachverständige in der Anhörung zu Recht kritisiert . Hier ist gesetzgeberisches Handeln angezeigt . Wie in der Anhörung und in den Reden auch klargemacht worden ist, ist es mit einem schlichten Verbot einer sogenannten Verbeitragung ({0}) - doppelten Verbeitragung - von betrieblichen Altersbezügen nicht getan . ({1}) Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung  ist  nur im Zusammenhang mit der Einführung einer Bürgerversicherung ein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Lösung des Problems . ({2}) Ich will da an die Ausführungen von Professor Wille erinnern . Aus Zeitgründen zitiere ich ihn nicht . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Die Bürgerversicherung ist eines der wichtigsten Projekte der SPD . Wir wollen die Bürgerversicherung . Sie beinhaltet auch die Verbeitragung aller Einkommensarten, und zwar die gleiche Verbeitragung . Hierfür bekommen wir im Moment keine Mehrheit, aber wir streiten dafür . Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist unser Ziel, in dieser Legislatur eine paritätische Finanzierung hinzubekommen, ein wichtiges Ziel . ({3}) - Das finde ich auch. Zur Debatte steht dieser Tage aber auch eine Rentenreform, eine Reform der Finanzierung der Rente . Da haben sich verschiedene Leute unterschiedlich geäußert; aber eine Äußerung geht quer durch die Parteien . Ich will sie abschließend aufgreifen . Es ist die Äußerung, dass es darauf ankommt, dass die Rente wirklich Schutz vor Armut bietet, und es darum geht, mit einer grundlegenden Rentenreform - bei der auch der Punkt der Doppelverbeitragung von Direktversicherungen aufgegriffen werden kann - ein Rentenniveau zu garantieren, das oberhalb der Armutsgrenze liegt, ({4}) und die Rente so auszugestalten, dass Rentnerinnen und Rentner keine Angst vor dem Alter haben müssen . ({5}) Das werden wir im Herbst angehen; ({6}) unsere Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles hat es angekündigt . ({7}) Ich glaube, dass dieses Reformpaket umfassender sein muss, als das ein vierseitiger Antrag der Linken darstellen kann . Ich erinnere an das gute Gedächtnis, das wir alle miteinander haben sollten, wenn es darum geht, die jetzt geäußerten Formulierungen in einer Rentenreform wiederzufinden,  die  das  Ziel  haben  sollte,  dass  die  Rente  wirklich gerecht und sicher wird . Vielen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Birkwald .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Mattheis, ich hätte Ihnen nur eine kurze Zwischenfrage gestellt, aber da es jetzt zu einer Kurzintervention kommt, möchte ich auf drei Punkte eingehen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Aber auch kurz, bitte .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe drei Minuten .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Gut .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Erstens . Über das Thema Rente haben wir heute Nachmittag gesprochen . Ich wiederhole: Wir haben ein umfassendes Rentenkonzept, das elf Punkte beinhaltet; drei davon habe ich heute Nachmittag vorgestellt . Darüber können wir debattieren . ({0}) Zweitens . Sie haben hier eben behauptet, es gäbe keine Zahlen darüber, wie viele Menschen betroffen wären . Frau Michalk hat aus irgendeiner Anhörung berichtet, nur nicht aus der des Gesundheitsausschusses, in der ich war . ({1}) Ich habe das Protokoll dieser Anhörung, der 64 . Sitzung, vorliegen, Seite 12 von 13, unten links - wenn Sie es nachlesen wollen . Ich hatte Klaus Stiefermann von der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung eine Frage gestellt, auf die er wie folgt geantwortet hat - Zitat -: Zunächst ein kurzer Hinweis, weil immer gefragt wird, wie viele Betroffene es gibt . Ich gehe davon aus, dass es sich um mehrere hunderttausend Betroffene handelt, und zwar aufgrund eines Aspekts, der hier bislang vernachlässigt worden ist . Wir haben eine Reihe von Versorgungswerken, die paritätisch aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen finanziert werden, wie zum Beispiel die Pensionskassen der Chemischen Industrie . Dort ist es üblich, dass der Arbeitnehmer aus seinem Netto einen bestimmten Prozentsatz einzahlt . Und jetzt kommt es: Seit 2004 zahlt er im Alter noch einmal den vollen Beitrag . Das betrifft, wenn ich die drei großen EinHilde Mattheis richtungen sehe, knapp 400 000 Rentner . Andere Fälle habe ich zunächst einmal außen vor gelassen . Zitat Ende . ({2}) Deswegen kann man nicht behaupten: Hier ginge es um eine kleine Gruppe . ({3}) Der dritte Punkt . Die betriebliche Altersversorgung ist freiwillig . Sie haben mit Ihrer Rentenreform 2001 dafür gesorgt, dass das Rentenniveau bis 2030 im Sinkflug ist. Die Menschen sollen deswegen also betriebliche  Altersversorgung betreiben . Stellen Sie sich vor: Jemand hat beispielsweise 21 000 Euro einbezahlt . Er bekommt sie wieder, muss aber dann davon 5 000 Euro Krankenversicherungsbeiträge und noch Steuern zahlen! Ich sage nur: Die Menschen sind deshalb so sauer, weil sie mehr Geld für ihr Alter hätten, wenn sie das Geld nur unter ihr Kopfkissen gelegt hätten . Das ist eine schlechte Rentenpolitik, die so nicht sein darf . Herzlichen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Mattheis, möchten Sie darauf antworten? - Bitte schön .

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Frau Präsidentin . - Verehrter Kollege, da das Protokoll vorliegt, hätten Sie auch lesen können, dass andere Sachverständige diese Zahl weder bestätigen konnten noch irgendeine Zahl genannt haben . ({0}) Ich sage das, um den Meinungsaustausch zu komplettieren . Es gibt noch andere Stellen im Protokoll; Lesen hilft . Auf den schmalen vier Seiten Ihres Antrags, der zwei Forderungen enthält - zum einen das Thema Direktversicherung und zum anderen das Thema Bürgerversicherung -, täuschen Sie die Konzeption einer Rentenreform vor . Ich bitte Sie: Das können Sie nicht ernst meinen . Ich habe deutlich gemacht, dass es uns um eine umfassende Rentenreform geht . Wir sind uns doch einig, dass wir Altersarmut in dieser reichen Gesellschaft nicht tolerieren können . Ich bitte Sie herzlich, zu formulieren, dass das in der Kranken- und Pflegeversicherung nicht zu lösen ist. ({1}) Veranstalten Sie hier doch nicht so einen Budenzauber, sondern sagen Sie, dass es fachlich falsch ist, das Problem auf diese Art zu lösen . Das kann man nur innerhalb der Rentenversicherung lösen . Warten Sie es ab! Wir haben die Erarbeitung eines umfassenden Rentenkonzepts vereinbart, das unsere Arbeits- und Sozialministerin im Herbst vorlegen wird . Ich bin sicher, wir kommen damit einen wichtigen Schritt weiter, auch wenn es um die betrieblichen Verrentungen geht . Danke .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir reden hier über einen besonderen Spezialfall, bei dem es tatsächlich ein Problem gibt, nämlich über diejenigen, die Direktversicherungen über den Arbeitgeber aus ihrem bereits verbeitragten Einkommen bezahlt haben . Wir reden hier nicht über eine ganz allgemeine Doppelverbeitragung, wie es der Wortbeitrag von Herrn Birkwald suggeriert hat . ({0}) Ich glaube, das muss man noch einmal klar sagen . ({1}) Wenn es darum ginge, könnte man ja sagen, dass auch die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung quasi doppelt verbeitragt werden; denn die Rentenbeiträge und die Krankenversicherungsbeiträge werden auf das gesamte Brutto erhoben, und wenn die Rente ausgezahlt wird, dann wird der Krankenversicherungsbeitrag fällig . ({2}) Sie begeben sich mit Ihrer verallgemeinernden Argumentation auf eine schiefe Bahn . ({3}) Ich würde es mir gut überlegen, wen ich als Kronzeugen anführe . Wenn Sie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und andere nennen, dann muss man wissen, dass die weiter gehende Pläne haben . Natürlich möchten die Arbeitgeber am liebsten sämtliche Betriebsrenten von der Krankenversicherungspflicht befreit sehen, damit diese gestärkt werden und sie auf der anderen Seite, in der gesetzlichen Rentenversicherung, niedrigere Beiträge zahlen können, unter Verweis auf die Betriebsrente . ({4}) - Natürlich ist das das Kalkül; das können Sie doch nicht leugnen . ({5}) Ich möchte noch sagen: Auch wenn man für die Galerie, für die Gäste redet, sollte man darauf achten, wie man sich hier ausdrückt . ({6}) Ich ziehe auch mal gern vom Leder, habe das heute Mittag auch gemacht; ({7}) aber wenn man hier Begriffe wie „angelockt“ und „abgezockt“ wählt, ({8}) erweckt man damit den Eindruck, dass wir als Gesetzgeber die Mentalität von Wegelagerern hätten, ({9}) die die Leute sozusagen erst mal irgendwo reinbringen, um ihnen dann das Geld abzunehmen . So ist das nicht . Ich halte es für gefährlich, wenn man in so einer Tonlage hier spricht . ({10}) Für diese spezielle Gruppe, über die wir reden, die ich eingangs beschrieben habe, sollten wir uns allerdings tatsächlich eine Lösung überlegen . Wir leugnen ja gar nicht, dass bei dieser speziellen Gruppe ein Problem besteht . Deswegen werden wir prüfen, wie sich die Beitragslast bei Direktversicherungen verringern lässt . Es gab ja verschiedene Vorschläge, auch vom Sozialverband Deutschland . Zum Beispiel wurde vorgeschlagen, zur hälftigen Verbeitragung zurückzukehren . Das wäre eine Möglichkeit . Allerdings wäre sicherzustellen, dass dies nicht zulasten der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in der  gesetzlichen  Krankenversicherung  geht.  Ich  finde,  mit Blick auf die nächste Legislaturperiode können wir uns darüber noch einmal Gedanken machen . Ich fürchte, dass wir in dieser Legislaturperiode an dieser Stelle nicht mehr zu einem Ergebnis kommen werden . Natürlich ist der Hinweis von Frau Mattheis richtig, dass wir zu einer generellen, systematischen Verbeitragung aller Einkünfte kommen müssen, beispielsweise über die Bürgerversicherung . Dann wäre das Problem gelöst . ({11}) Auf jeden Fall lohnt sich eine Betrachtung der ganzen Angelegenheit ohne zu viel Schaum vor dem Mund . Das hilft den Betroffenen letzten Endes nämlich auch nicht . ({12}) - Ja, Matthias, Herr Birkwald, wie gesagt: Mit Worten wie „abgezockt“ usw . sollte man sehr vorsichtig sein . ({13}) Es ist sinnvoll, sich die Ergebnisse der Anhörung - ich habe einen Vorschlag genannt - in Ruhe anzugucken und einen Finanzierungsweg zu finden. Ich glaube auch, dass  dieses Problem durch die Entgeltumwandlung in Zukunft nicht mehr in dem Maße wie jetzt besteht . Es handelt sich ja sozusagen um ein ererbtes Problem, das dann ausläuft . Nichtsdestotrotz  kann  und  sollte man  eine Lösung  finden . Daran sollten wir in Ruhe arbeiten . Danke schön . ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Erich Irlstorfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004311, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Uns alle, die wir hier sitzen, erreichen nahezu täglich Schreiben von Menschen, die die Verbeitragung von Einkünften aus der betrieblichen Altersversorgung für die Krankenversicherung beklagen und als ungerecht anprangern . Ein Bürger berichtet, er habe bei der Einzahlung einen geringfügigen Steuervorteil gehabt . Gleichzeitig habe er als freiwillig Versicherter den Maximalbeitrag bei der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt . Sein Fazit lautet: Hätte ich das eingezahlte Kapital voll versteuert und unter ein sicheres Kopfkissen gelegt, hätte ich jetzt einen deutlich höheren Betrag zur Verfügung . ({0}) All diese Themen und all diese Argumentationsschienen kennen wir . Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann die betroffenen Menschen mit Sicherheit verstehen . Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass der damalige Zustand ein anderer war . Auf Einmalzahlungen mussten zum Beispiel keine Beiträge entrichtet werden, während monatliche Bezüge  beitragspflichtig  waren.  Dieses  Missverhältnis  war ungerecht . ({1}) Das gehört auch zur Wahrheit dazu . Letztlich ist es für die Bürger irrelevant . Ob sie wegen höherer Steuern oder höherer Sozialversicherungsbeiträge weniger zur Verfügung haben, ist ihnen mit Sicherheit egal . Leider gilt zu Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen auch für andere Rentensparer, dass sie unter Umständen geringere Gewinne erwirtschaften, als sie beim Abschluss ihrer Ansparungsformen erwarten konnten . Das ist für die Betroffenen weder tröstlich noch gerecht . Das soll auch nicht als politische Ausrede herhalten, aber es ist halt so . Es stimmt, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn wir die Bürger dazu ermuntern wollen, privat und betrieblich für ihren Lebensabend vorzusorgen, müssen wir auch die entsprechenden Rahmenbedingungen so gestalten, dass die betriebliche Altersvorsorge und die private Vorsorge attraktiver werden . Da sind wir beieinander . Gleichzeitig kann dieses Ziel nicht auf dem Rücken das möchte ich schon betonen - der heutigen und zukünftigen Beitragszahler der Krankenversicherung erreicht werden . ({2}) Wir brauchen also klare Verhältnisse, in denen die Ausgaben der Krankenversicherung für Rentner in einem einigermaßen vernünftigen Verhältnis zu deren Beitragszahlungen stehen . Deshalb ist eine schwerwiegende Änderung der Gesetzeslage im Sinne der Bezieher von Betriebsrenten nicht realistisch, weil wir schlicht nicht auf die hohen Summen der Verbeitragung von Versorgungsbezügen verzichten können . Dies ist eine harte und bittere Wahrheit; das verstehe ich . Doch außerdem würden sich mit einigem Recht Bezieher anderer Einkommensarten zu Wort melden, wenn wir jetzt etwas ändern würden, die sich dann wiederum gegenüber Beziehern von Betriebsrenten benachteiligt sehen würden . ({3}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie stellen mit Ihrem Antrag deshalb in letzter Konsequenz so verstehe ich es zumindest - die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung an sich infrage . ({4}) Diese Forderung nach einer Bürgerversicherung - die auch von unserem Koalitionspartner erhoben wird - unterscheidet uns politisch . Wir können es noch so oft behandeln und betonen: In dieser Legislaturperiode wird es sie nicht geben, weil sie generell falsch ist . ({5}) Wir müssen - hierbei sind wir uns einig - die Rente insgesamt auf stabilere Füße stellen und ein Gleichgewicht zwischen den Generationen herstellen . Eine Rente ohne Armut und eine private und betriebliche Altersvorsorge, die an den richtigen Stellen Anreize zur Selbstverantwortung - dieses Wort dürfen wir auch nicht vergessen - schafft, sind unsere Ziele sowie unsere politische Perspektive . Ich glaube, das ist auch notwendig . Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts verstößt die Verbeitragung von Direktversicherungen - das wurde gesagt - nicht gegen die Grundsätze von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit . Nach Ansicht der Richter war der Gesetzgeber im Jahre 2004 auch berechtigt, jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen . - So weit die rechtliche Lage bislang und auch aktuell; vergessen wir das bitte nicht . Diesen Aspekt sollte man auch nicht zu gering bewerten; denn es ist nicht so, dass die Belastung für die junge, arbeitende Bevölkerung durch den sogenannten Generationenvertrag in den kommenden Jahren abnehmen wird . Ich bitte darum, dieses Thema schon etwas zu versachlichen und die Menschen nicht mit Kampfausdrücken zu verunsichern ({6}) und Dinge zu behaupten, die inhaltlich falsch sind und die nicht das widerspiegeln, was Sie hier gebracht haben . Wir arbeiten . Uns allen ist klar, dass wir hier für die Zukunft Vorschläge brauchen, dass wir das jetzige Problem so, wie Sie es wollen, nicht lösen können . Aber ich glaube, wir werden in der Bevölkerung auf Verständnis stoßen, wenn man sich dieses Themas annimmt und an Lösungen interessiert ist - aber nicht in dieser Kampfsprache . Danke schön . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Wir sind damit am Ende der Aussprache angelangt . Vielleicht dient es auch zur Beruhigung der Gemüter, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Regelung auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes beruhte, das besagte, dass Einmalzahlungen und Rentenzahlungen gleichzustellen sind, weil das wirklich ungerecht war . Deshalb kamen diese Regelungen zustande . ({0}) Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und Versorgungsbezüge - Doppelverbeitragung vermeiden“ . Der Ausschuss empfiehlt  in  seiner  Beschlussempfehlung  auf  Drucksache 18/8222, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6364 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen angenommen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Transfer von Forschungsergebnissen und Innovationen in die Gesundheitsversorgung beschleunigen Drucksachen 18/7044, 18/8233 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Diese 25 Minuten könnten jetzt schnell beginnen, wenn sich alle hinsetzen würden, auch der Herr Franke . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Kollege Stephan Albani, CDU/CSU-Fraktion . ({2})

Stephan Albani (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Louis Pasteur, bekannt aus Medizingeschichte und H-Milch, ({0}) sagte einmal: „Der Wille öffnet die Türen zum Erfolg .“ Das hat mich, meine Kolleginnen und Kollegen und den Koalitionspartner in den vergangenen Monaten bewegt . Heute debattieren wir das Ergebnis im Hinblick auf eine verbesserte, beschleunigte Gesundheitsversorgung . Das Ziel  des Antrags  ist  dabei  klar  definiert:  Er  soll  dabei  helfen, den Transfer neuer Diagnostika, Therapeutika, Medizintechnikprodukte und anderer medizinischer Innovationen in die Patientenversorgung zu beschleunigen . An erster Stelle steht aber natürlich - auch im Hinblick auf Sicherheit - unfraglich das Wohl des Patienten . Warum ist es dafür allerhöchste Zeit? Dies zeigt ein Blick in die Transferforschung . Untersuchungen zufolge muss ein Patient heute rund 14 Jahre warten, bis ein innovatives Medizinprodukt aus der Forschung bis an das Bett des Patienten kommt . Diese Dauer ist für viele Patienten zu Recht nicht hinnehmbar . Denn die Aufnahme einer Innovation in die Versorgung erlebt so mancher unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr, und das ist nicht akzeptabel . ({1}) Man fragt sich zu Recht, warum neue Impfstoffe oder Prothesen derart lange brauchen, um auf dem Markt anzukommen . Sich an den schnellen Produktzyklen anderer Produktmärkte und -bereiche zu orientieren, ist dabei mit Sicherheit falsch . Schauen wir uns aber die Gründe für diesen enorm zeitintensiven Innovationstransfer an . So geht die Anwendung mit einer ungleich höheren Verantwortung gegenüber dem Endkunden, dem Patienten, einher . Patientensicherheit ist zu Recht das höchste Gut medizinischer Versorgung . Auch ist der Innovationsprozess von der Forschung über die Wirtschaft bis hin zur Versorgung und deren Refinanzierung sehr komplex. So  sind auch die Dinge, die es noch zu verbessern gilt, sehr vielschichtig und vielseitig . Wir sprechen dabei von verbindlichen Fristenregeln, wir sprechen von der Verfügbarkeit von Wagniskapital und der Verbesserung von Risikobereitschaft bei Forscherinnen und Forschern sowie Unternehmern . Zwei Beispiele . Ein innovativer Test zur Früherkennung des Gebärmutterhalskrebses brauchte in Deutschland 17 Jahre, bis er nun, in 2018, endgültig im Gesundheitssystem ankommt . Bei dem Medizinprodukt Retina-Implantat, also bei der Möglichkeit, Blinde wieder sehen zu lassen, hat die Forschung Hervorragendes geleistet . Hier ist viel Geld investiert worden . Aber nun fehlt das Geld für die klinischen Studien . Das Produkt und seine Entwicklung gehen ins Ausland . Das sind Dinge, die wir eigentlich nicht akzeptieren wollen . ({2}) Nicht zuletzt: Man kann es auch den Wissenschaftlern in Deutschland nicht verdenken, dass sie den Transfer ihrer Erkenntnisse in Produkte zunächst einmal hintanstellen, werden sie doch im Wesentlichen nach der Zahl ihrer Publikationen, nach Masse und natürlich auch nach Qualität, bewertet . So endet manche Idee in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift - inklusive der zugehörigen Schublade in der Universität . Da müssen wir sie herausholen . ({3}) Unser Antrag fordert nun Maßnahmen in folgenden drei Handlungsbereichen: Erstens . Transferhemmnisse müssen abgebaut werden, ohne dabei das Niveau des Patientenschutzes zu reduzieren . Wir wollen Zeiten klinischer Studien - Stichworte Begleitdiagnostik, Bundesamt für Strahlenschutz - für verbindlich erklären lassen, damit man weiß, wann die Tests beginnen können, und damit nicht beliebig lange geprüft wird . Auch soll ein Hauptaugenmerk bei den künftigen Evaluationen der Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung gerade auf dem Transferaspekt liegen . Über das „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung“ im BMBF und die Innovationsfonds soll der Transfer in der Versorgungsforschung beschleunigt werden . Zudem fordern wir ein neues Fachprogramm Medizintechnik mit einer klaren Orientierung auf Transfer und Versorgung . Zweitens gilt - hier zitiere ich noch einmal den Kollegen Pasteur -: Eine wissenschaftliche Entdeckung ist nie die Arbeit von nur einer Person . Das darf ich als Wissenschaftler sagen . Diese Idee der Zusammenarbeit war schon im 19 . Jahrhundert richtig, und sie ist im 21 . Jahrhundert noch richtiger . Daher fordern wir in unserem Antrag, die Interdisziplinarität in der Forschung und - in der politischen Abstimmung - das Zusammenwirken über die Ressortgrenzen hinweg . Drittens . Am Ende sind es Unternehmen, die die Ideen in den Markt bringen . Daher fordern wir in unserem Vizepräsidentin Ulla Schmidt Antrag eine weitere Stärkung der Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft . Ein probates Mittel sind etwa Ausgründungen aus der Wissenschaft, die wir mit dem nötigen Wagniskapital ausstatten wollen . Das ist übrigens eine der Rahmenbedingungen, bei denen wir weit, weit hinter den USA zurückbleiben . ({4}) Am Ende unseres Antrags soll also ein integrierter Politikansatz in der Gesundheitsforschung, -wirtschaft und -versorgung stehen . Dieser soll über Marktregularien, rechtliche Rahmenbedingungen sowie über die Forschungsförderung den Innovationstransfer beschleunigen . ({5}) Lassen Sie uns im Interesse der Patientinnen und Patienten - zu denen wir hoffentlich nicht gehören, mitunter aber auch gehören können - weitere Schritte in Richtung eines schnelleren Transfers medizinischer Forschung unternehmen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Kathrin Vogler . ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die medizinische Forschung hat in den letzten Jahrzehnten vieles erreicht, wovon frühere Generationen nicht einmal zu träumen wagten . Denken wir nur an die modernen Aidsmedikamente, die es den Betroffenen ermöglichen, viel länger zu leben . Oder denken wir an moderne bildgebende Verfahren, die es uns ermöglichen, Vorgänge im Innern des Körpers zu verstehen, ohne dass man gefährliche Eingriffe vornehmen muss . Darin, dass solche Verfahren, die den Patientinnen und Patienten ganz konkret nutzen, schnell in der Versorgung ankommen sollten, sind wir uns sicher alle einig . Aber wenn wir über Innovationen im Gesundheitswesen sprechen, dann dürfen wir auch die andere Seite der Medaille nicht vergessen . Es muss nämlich immer darum gehen, echte Innovationen von solchen Produkten zu unterscheiden, die den Patienten nicht mehr nutzen, ihnen vielleicht sogar schaden und unser Gesundheitswesen finanziell unnötig belasten . ({0}) Medikamente, Diagnostika oder Medizinprodukte müssen für die Patientinnen und Patienten sicher sein . Hier dürfen keine Abstriche gemacht werden, nur damit Wirtschaftsunternehmen  schneller  Profite  erzielen  können . Herr Albani, ich habe mich gefreut, dass dieser Aspekt in Ihrer Rede so sehr betont worden ist . ({1}) Der Blick in Ihren Antrag lehrt uns aber etwas anderes . ({2}) Er zeigt, dass von den Forschungspolitikern von Union und SPD offensichtlich andere Prioritäten gesetzt werden . ({3}) Im Mittelpunkt stehen dort die Wirtschaft, Unternehmen und Investitionen . Sie werden im Antrag viermal so oft erwähnt wie die Patientinnen und Patienten . ({4}) - Ja . Ich kann Ihnen das auch vorzählen . - Gefahren und Risiken, denen Patientinnen und Patienten im Zusammenhang mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und der Medizintechnik ausgesetzt sein können, nehmen Sie in dem Antrag gar nicht zur Kenntnis . Wenn Sie aber den Marktzugang für neue Produkte einfach nur beschleunigen, dann erhöhen Sie das Risiko, dass Unnützes oder gar Schädliches leichter zur Anwendung gelangt, und das wollen wir vermeiden . ({5}) Wir bräuchten allerdings dringend mehr Tempo im Hinblick auf mehr fundiertes Wissen über Behandlungsmethoden und mehr öffentliche Forschung unabhängig von der Industrie . Die Linke fordert zum Beispiel ein öffentlich zugängliches Studienregister, in dem alle Arzneimittelstudien registriert werden müssen . Doch Union und SPD blockieren diese notwendige Innovation . Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI, hat den Zugang zu seinen medizinischen Datenbanken weitgehend geschlossen . Das ist übrigens eine nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums für Gesundheit; die Bundesregierung ist dafür also mitverantwortlich . Die Forderung der Linken, im Haushalt 500 Millionen Euro für industrieunabhängige Gesundheitsforschung einzusetzen, haben Sie von der Koalition abgelehnt . ({6}) Der Antrag, über den wir heute abstimmen, reiht sich in weitere Regierungsvorhaben ein, die der Industrie und nicht den Kranken zum Vorteil gereichen sollen . ({7}) Ein Beispiel dafür ist der Pharmadialog . Während das Parlament und die Patientenvertreter vor der Tür bleiben mussten und die Krankenkassen nur am Katzentisch Platz nehmen durften, haben dort gleich drei Ministerien den Unternehmen eine ganze Palette an Wünschen erfüllt, und im Gegenzug brauchten die Konzerne nur ein paar vage Versprechungen zu machen . Nach der Novelle zum Arzneimittelgesetz, die in der letzten Sitzungswoche in den Bundestag eingebracht wurde, soll der Patientenschutz bei den Arzneimittelstudien aufgeweicht werden, damit die Unternehmen diese Studien schneller und einfacher genehmigt bekommen . ({8}) Das ist skandalös . Das werden wir nicht mitmachen . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, woran müssen sich sinnvolle Forschungsanreize orientieren? Sie müssen sich am Allgemeinwohl und am gesellschaftlichen Bedarf und nicht an den Profitinteressen der Industrie orientieren . ({10}) Wenn Sie in dieser Hinsicht etwas auf den Weg bringen würden, dann würden wir Sie unterstützen, bei diesem Antrag aber nicht . Den können wir nur ablehnen . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort für die SPD erhält jetzt die Kollegin Dr . Daniela De Ridder . ({0})

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Liebe Kathrin Vogler, das, was hier unter dem Titel „Innovationstransfer in die Gesundheitsversorgung“ vorliegt - das mag ein bisschen kompliziert klingen -, ist eine Wohltat für die Patientinnen und Patienten in unserem Land . Es gilt in der Tat, die Lücke zwischen der Grundlagenforschung und der Anwendung dessen zu schließen . Nichts anderes ist mit den Begriffen „Transfer“ und „Translation“ gemeint . ({0}) Mit dem, was wir heute hier auf den Weg bringen, tun wir viel Gutes für die Patientinnen und Patienten in diesem Land, und das ist wertvoll . ({1}) Die Stärkung der Translation, also der Überführung der Ergebnisse der Grundlagenforschung in den klinischen Alltag, erfordert in der Tat eine Lückenforschung . Wir haben es schon gehört: Es gilt zum Beispiel, Krebspatientinnen und -patienten zu helfen . Vor zehn Tagen habe ich den Großvater meiner Nichte verloren . Er hätte sich gewünscht, dass wir in diesem Bereich sehr viel schneller Fortschritte gemacht hätten . Es gilt aber auch, Diabetespatientinnen und -patienten zu helfen und Menschen, die an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, wie möglicherweise manche von uns; wir haben ja einen Arbeitsalltag, der solche Krankheitsbilder durchaus befördert . Es gilt also, den Weg vom Labor zum Patienten zu verbessern und die entsprechenden Phasen zu verkürzen . Liebe Frau Vogler, hier sitzen Sie einem Missverständnis auf . Es geht nicht darum, die Anwendung dahin gehend zu unterstützen, dass wir insbesondere die Unternehmen fördern . Wir brauchen sie aber, um zu einem Anwendungsprodukt, zu einer Therapie zu kommen; das wäre ohne die Unternehmen gar nicht möglich . Das sollten wir also auf jeden Fall richtigstellen . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin sehr dankbar, dass es in diesem Land sechs Zentren für Gesundheitsforschung gibt, die Gutes leisten . Das Wertvolle daran ist vor allem, dass sie inter- und transdisziplinär zusammenarbeiten, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen an einem Strang ziehen und dabei helfen, die Phasen von der Grundlagenforschung bis zur Tablette, wenn Sie so wollen, zu verkürzen, also bis zur Anwendung am Patientenbett; Herr Albani hat das bereits angesprochen . Ich begrüße ausdrücklich, dass wir vonseiten des Gesundheitsministeriums den Innovationsfonds stärken . Von 2016 bis 2019 werden wir die Versorgungsforschung jährlich mit 75 Millionen Euro flankieren. ({3}) Vor allem innovative Vorhaben mit ganz viel Potenzial für eine ganz konkrete Anwendung wollen wir unterstützen . Sie können doch nicht allen Ernstes dagegen sein . Zudem wollen wir das Programm „KMU-innovativ“ für Medizintechnik und Biotechnik stärken und die Mittel dafür erhöhen . Das ist auch gut und richtig so . Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt hervorheben: Wir wollen auch das Wagniskapital stärken; das brauchen die KMU . Auch das können Sie nicht in Abrede stellen, liebe Frau Kollegin . Wie gesagt, auch an dieser Stelle haben wir noch Lücken . Alle schreien doch danach, dass wir Start-ups unterstützen und ihnen entsprechendes Kapital zur Verfügung stellen . Genau diese Lücke zwischen der experimentellen Forschung und dem, was nachher angewandt werden soll, muss durch Venture Capital alimentiert werden . Das werden wir zur Verfügung stellen . Sie werden uns möglicherweise noch dafür dankbar sein . ({4}) Mit dem Programm INVEST tun wir ebenfalls etwas Gutes für die Patientenversorgung . Wer sich künftig mit 10 000 Euro an einem Start-up in diesem Bereich beteiligt, der kann mit einem Return on Investment rechnen mit mindestens 20 Prozent der investierten Summe . Das sollten wir loben und nicht kritisieren . Als Letztes - meine Redezeit ist abgelaufen - lassen Sie mich noch einen frommen Wunsch äußern. Ich finde,  wir sollten die Ergebnisse dieser Diskussion in das Medizinstudium hineintragen und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Medizin ermutigen, bereits sehr früh zu forschen . Die Translation, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört bereits ins Studium . Dazu sollten wir Mut machen, statt an falscher Stelle Kritik zu üben . Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt erhält der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesundheit ist für uns alle ein existenzieller Wert . Deshalb haben wir alle miteinander eine große Verantwortung dafür, kluge Rahmenbedingungen für die Gesundheitsforschung zu setzen . Dabei müssen wir die Interessen der Patientinnen und Patienten dringend stärker in den Mittelpunkt stellen: von der Diagnostik über Sicherheit bis Heilung . ({0}) Viele Menschen setzen große Hoffnung auf den medizinischen Fortschritt . Was die Koalition als Antrag vorlegt, wird diesen Hoffnungen leider nicht gerecht; denn Sie verengen einmal mehr Ihren Blick auf Erleichterungen für die Gesundheitswirtschaft . ({1}) Gesundheitsforschung findet  ja  nicht  nur  da  statt.  Frau  De Ridder, wer Wagniskapital fordert, der muss auch eine steuerliche Forschungsförderung vorsehen . ({2}) Beim Transfer medizinischer Innovationen drückt der Schuh jedoch an vielen weiteren Stellen, die in Ihrem Antrag nicht angegangen werden . Deshalb ist er unterkomplex . Wir meinen, allein traditionelle Instrumente zur Förderung der Gesundheitswirtschaft greifen zu kurz . Vor fünf Jahren hat die SPD in der Opposition einen Antrag mit dem denkwürdigen Titel „Gesundheitsforschung an den Bedarfen der Patientinnen und Patienten ausrichten“ eingebracht . ({3}) Darin haben Sie selbst kritisiert, dass bei der vom Bund geförderten Gesundheitsforschung der Eindruck entstehe, sie solle in erster Linie - Zitat - „der Stärkung der Gesundheitswirtschaft dienen“ . ({4}) Fünf Jahre später legen Sie als Koalition einen Antrag vor, der genau diese Verengung fortschreibt und zementiert, anstatt sie aufzubrechen . Das hätten Sie jetzt einmal ändern müssen . ({5}) Wir schlagen weiter gehende strukturelle Veränderungen vor . Erstens . Ein wesentliches Ziel staatlicher Forschungsförderung  sollte  sein,  herauszufinden,  was  kranken  Menschen tatsächlich dient . Damit geförderte Projekte von den Bedarfen der Betroffenen ausgehen, muss das Rahmenprogramm zur Gesundheitsforschung darauf neu ausgerichtet werden . ({6}) Dafür brauchen wir mehr Versorgungsforschung und eine bessere Qualitätssicherung . Zweitens . In der Gesundheitsforschung fehlt es besonders an transparenten Strukturen, ({7}) die es Forschern, Zulassungsstellen und nicht zuletzt den Forschungsförderern erleichtern, fundiertere Entscheidungen zu treffen . ({8}) Manche Zulassungsstudien sind von eher dünner Qualität . Aussagekräftige klinische Studien sowie die Offenlegung von Studienergebnissen und Registern sind Mangelware . Anstatt hier Abhilfe zu schaffen, beendet das BMBF ausgerechnet zum 31 . März die Förderung des Deutschen Registers Klinischer Studien . Das ist verantwortungslos . ({9}) Drittens. Wir finden die Konzentration auf große Gesundheitsforschungszentren eher problematisch, übrigens ebenso wie die DFG . Wir brauchen mehr Orientierung an der Realität in den Praxen und Kliniken . Gerade die Kliniker müssen als gleichberechtigte Partner der Forschung behandelt und angemessener ausgestattet werden . ({10}) In der Versorgungsforschung muss übrigens die Diversität bzw . Vielfalt der Patientinnen und Patienten viel stärker berücksichtigt werden; denn wer dies ignoriert, forscht am Bedarf vorbei . Patientenorientierung kann auch durch eine inhaltliche Öffnung von Forschungsprogrammen unterstützt werden . Bisher fällt gerade die inter- und transdisziplinäre Forschung durch das Raster der bestehenden Förderkriterien . Diese inhaltliche Öffnung ist gerade deshalb so wichtig, weil hier oft nicht nur die technischen, sondern auch die sozialen Innovationen zum Wohle der Patienten hierzulande und weltweit entstehen . Wir brauchen eine Gesundheitsforschung, die mehr und schneller dazu beiträgt, dass seltene, vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten - von HIV bis Malaria - global bekämpft werden, und wir brauchen eine Gesundheitsforschung, die Medikamente zu fairen Preisen bringt . ({11}) Es ist schade, dass die Koalition nicht die Chancen für einen breiteren Aufschlag genutzt hat . Ihr Antrag ist insgesamt lückenhaft . Deshalb können wir ihm nicht zustimmen . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Tino Sorge, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Gehring, ich gehe davon aus, dass Sie sich den Antrag durchgelesen haben . Er ist nicht, wie Sie sagten, unterkomplex, sondern nach meiner Auffassung übersinnig . Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass wir bei diesem Antrag Dinge berücksichtigt haben, die uns allen wichtig sind . Wir wissen erstens, dass der Transfer von guten Ideen aus der Grundlagenforschung bis hin zum marktfähigen Produkt einfach zu lange dauert . Wir haben die Zeiten gehört; es war von 14 Jahren die Rede . Gerade bei Medizinprodukten ist so etwas extrem schwierig, wenn es um sogenannte Schrittinnovationen geht . Da muss der Zeitraum viel kürzer sein, damit man in der Weltspitze überhaupt noch mitspielen kann . Wir müssen zweitens darauf achten - da sind wir uns auch alle einig -, dass Deutschland als Standort, um in dem Bereich an der Weltspitze weiter mitspielen zu können, innovativer, in einigen Punkten aber auch unbürokratischer werden muss . Drittens müssen wir Interdisziplinarität stärken . Es ist hier schon mehrfach angeklungen: Es geht dabei nicht nur darum, dass beispielsweise Medizin und Molekularbiologie miteinander kooperieren, sondern ganz konkret auch darum, dass Wissenschaft und Wirtschaft - also auch Unternehmen, Frau Kollegin Vogler - miteinander kooperieren. Deshalb finde ich es immer so schade, dass  wir in der Diskussion hier so tun, als ginge es gerade im Gesundheitsforschungs- bzw . im medizinischen Bereich ausschließlich um altruistische Dinge . ({0}) Natürlich geht es auf der einen Seite um Altruismus . Dabei geht es um den Aspekt, dass die bestmögliche Patientenversorgung erreicht werden soll . Um aber diese Patientenversorgung zu erreichen, müssen wir doch Unternehmen, die forschen und gute Ideen haben und diese in marktfähige Produkte umwandeln, unterstützen . Wir können also nicht nur schlecht über ein solches Unternehmen reden und sagen: Das sind Unternehmen, die nur Gewinnmaximierung betreiben . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage der Translation ist insbesondere vor dem Hintergrund der Volkskrankheiten wichtig . Wir sprechen über Volkskrankheiten wie Krebs, Adipositas und Diabetes . Das sind die Leiden unserer heutigen Gesellschaft . Deshalb ist es ja gerade so wichtig, dass wir in dem Bereich interdisziplinäre Forschung weiter unterstützen . Wir haben es ja in vielen Bereichen gesehen . In der Onkologie, gerade im Bereich der Immunonkologie, hat es in den letzten Jahren riesige Fortschritte gegeben . Man kann von Revolution reden . Dort wurde der komplette medizinische Forschungsbereich auf den Kopf gestellt . Insofern ist es gerade auch vor dem Hintergrund von Big Data - wir reden immer über große Datenmengen, die da anfallen - so wichtig, dass wir die Ergebnisse aus klinischen Studien auch für weiter gehende Forschung nutzbar machen . ({1}) - Wir sind ja momentan in der Diskussion über die europäische Datenschutz-Grundverordnung gerade bei diesem Punkt . Da geht es darum, dass wir Ergebnisse aus klinischen Studien für weiter gehende Forschung nutzbar machen können . Deshalb sollten Sie uns unterstützen, statt immer nur so zu tun, als würde das in der Schublade verschwinden . Unterstützen Sie diesen Antrag! Er ist ein sehr gutes Mittel, um auf diesem Weg etwas weiter zu kommen . Bei dem gesamten Thema „Big Data und innovative Ansätze“ müssen wir viel stärker in Richtung Smart Data gehen . Es geht darum, die guten Forschungsergebnisse, die wir haben, weiter gehend nutzbar machen zu können . Wir können sie nicht einfach unter Verschluss halten, sondern sie müssen gerade in diesem Kontext besser genutzt werden können . Wenn wir darüber sprechen, wie wir in diesem Bereich zu innovativen Ideen kommen, die letztendlich der Gesundheitsversorgung zugutekommen, dann müssen wir auch etwas an der Gründermentalität in unserem Land ändern . Genau das geschieht durch diesen Antrag . Er soll gerade junge Forscher und Start-up-Unternehmer motivieren, indem wir ihnen sagen: Deutschland ist Forschungsstandort; ihr könnt in Deutschland forschen, und ihr habt eine Zukunft für eure Produkte . Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir in Bezug auf die Mentalität vollkommen anders ticken als andere Nationen . Die Amerikaner sagen zu einer guten Idee: That’s a good idea . Let’s do it . - Die Asiaten haben ein bisschen die Mentalität, zu sagen: That’s a good idea . Let’s copy it. - Und wir Deutschen haben zu häufig die  Mentalität: That’s a good idea . Let’s regulate it . - Da wollen wir gerade nicht hin . Deshalb bitte ich um Unterstützung für diesen Antrag . Ich hoffe, Sie können ihm zustimmen . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege René Röspel, SPD-Fraktion . ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich Sprachorthopäde wäre, dann müsste ich jetzt der Opposition diagnostizieren, dass sie echte Verrenkungen gemacht hat, um irgendetwas Schlechtes an dem Antrag zu finden.  ({0}) Ich glaube auch, dass das nicht wirklich gelungen ist . Da ist eher eine Bandscheibe herausgeflogen, um im Bild zu  bleiben . ({1}) Ich will an dieser Stelle etwas klarstellen: Ich glaube, dass jedem und jeder von uns in der Medizin und in der Gesundheitsversorgung der Mensch das Wichtigste ist und dass der Patient im Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung stehen muss . Das kann man, glaube ich, nicht bestreiten . ({2}) Ich persönlich bin sehr überzeugter Anhänger der sprechenden Medizin . Ich glaube, dass man der Kommunikation zwischen Ärzten und Patient viel mehr Raum geben muss, als es bislang der Fall ist . ({3}) Aber das ist eine Aufgabe des Gesundheitsausschusses . Das müssten vielleicht die Gesundheitspolitiker klären . Wir haben in unseren Vorschlägen deutlich gemacht, dass das auch Teil von Forschung sein muss . Aber es gibt auch einen technischen Fortschritt, den man für eine bessere Alltagsversorgung von Menschen sinnvoll nutzen kann . Das ist der Schwerpunkt des Antrags: Wir wollen uns mit dem technischen Fortschritt und der Medizintechnik befassen . ({4}) Es ist schon oft gesagt worden, und Stephan Albani hat es wieder gut auf den Punkt gebracht: Wenn gute Ideen häufig in der Schublade landen, weil der weitere Weg  nicht gebahnt ist und das Geld fehlt, dann ist es nur legitim und richtig, zu sagen: Wir wollen Wagniskapital und Möglichkeiten suchen und fördern, damit eine solche gute technische Idee, die Sinn macht, den Patienten erreichen kann und es ihm am Ende besser geht . Dabei muss man sich mit der Frage befassen, wie man den Transfer aus der Wissenschaft in die Technologie und zum Patienten hinbekommt . Dazu dient der Antrag . Wenn Sie behaupten, wir hätten kein Interesse an der Sicherheit der Patienten und der Forschung, dann haben Sie das in unserem Antrag überlesen: Wir schreiben ausdrücklich, dass wir Innovationshemmnisse, die nicht mit der Patientensicherheit und der Versorgungsqualität begründet sind, abbauen wollen . Beides steht zuoberst . Es kann nicht sein, dass irgendwas gefördert wird, was zulasten von Patientensicherheit oder Versorgungsqualität geht . Das macht keinen Sinn . ({5}) In diese Richtung geht auch der Antrag . Wir wollen zudem eine bedarfsorientierte Forschung, die dazu führt, den Alltag von Patienten besser zu machen. Das kann auch pflegewissenschaftliche Forschung  sein . Es gibt genug Anträge von uns, die in diese Richtung gehen . Aber dieser Antrag stellt auf die Technik ab, und wir sagen ausdrücklich: Technik muss der Versorgungsverbesserung dienen . Als weiterer Punkt - das richte ich an Kai Gehring, weil Sie das angesprochen haben - heißt es in unserem Antrag ausdrücklich, dass wir bestehende Kompetenznetzwerke, in denen erfahrene Kliniker ihre Kenntnisse der Betreuung von Patienten am Bett sozusagen in die Forschung transferieren können, außerhalb von Gesundheitszentren unterstützen wollen . Dass uns die Patienten wichtig sind, wird auch dadurch deutlich, dass wir in einem Punkt den Vorschlag machen, dass Patientenvertreter, Versichertenvertreter, aber auch Vertreter von Beschäftigten in den Pflege- und  Gesundheitsversorgungsberufen an der Überlegung beteiligt werden müssen, was wir in Deutschland an Forschung machen müssen und sollen . Das nennt man auf Neudeutsch Agenda Setting für Forschung . Wir wollen dafür sorgen, dass diese Vertreter mit ihren Erfahrungen, Sorgen und Problemen Teil der Forschungsplanung sind . Das ist der richtige Weg . Ich bin überzeugt: Unser Antrag schließt Lücken und wirkt unterstützend . Ich sage das so deutlich, auch wenn das der Opposition schwerfällt . Vielen Dank . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Transfer von Forschungsergebnissen und Innovationen in die Gesundheitsversorgung beschleunigen“ . Der Ausschuss empfiehlt  in  seiner  Beschlussempfehlung  auf Drucksache 18/8233, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/7044 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die BeschlussempfehTino Sorge lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Luise Amtsberg, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Heute für morgen helfen - Engagement für Geflüchtete stärken Drucksache 18/8221 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Innenausschuss Sportausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält die Kollegin Kordula Schulz-Asche vom Bündnis 90/Die Grünen .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe engagierte Menschen! Ich freue mich sehr, Ihnen heute einen Antrag vorstellen zu können, der für meine Fraktion und mich eine besondere Bedeutung hat . Das liegt auch an seiner Entstehungsgeschichte . Das letzte Jahr war überwältigend, weil so viele Menschen zu uns gekommen sind, um ausgerechnet hier nach Schutz und Frieden zu suchen . Es war aber auch überwältigend, dass Zehntausende auf die Straßen und Bahnhöfe kamen, um diese Menschen bei uns willkommen zu heißen . Diese Bilder werden zu meinen wichtigsten Erinnerungen und Eindrücken des letzten Jahres gehören . ({0}) Überwältigend ist auch, wie lange schon die Lust am Engagement anhält und mit welcher Kreativität Menschen in Deutschland Willkommenskultur leben, zum Beispiel bei der Essensausgabe, dadurch, dass sie Apps programmieren, Schultüten für Kinder füllen oder als Paten mit Rat und Tat beim Start in der neuen Heimat zur Seite stehen . Anfang dieses Jahres haben wir als grüne Bundestagsfraktion über 80 engagierte Initiativen aus vielfältigen Projekten der Zivilgesellschaft nach Berlin eingeladen, um gemeinsam zu diskutieren, wie wir von der Willkommenskultur des letzten Jahres zu einer Willkommensstruktur kommen, auch im bürgerschaftlichen Engagement . ({1}) Wir  haben  viele  gute  Ideen  aufgenommen.  Sie  finden  sich heute in dem vorliegenden Antrag . Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns als Parlament gemeinsam die Stärkung und Unterstützung der Zivilgesellschaft zu eigen machten . ({2}) In Zeiten wie diesen wird deutlich, dass der Staat nicht alles voraussehen und auch nicht alles vorausplanen kann und wie wichtig es ist, eine lebendige, eine selbstbewusste Bürgerschaft zu haben . Das ist demokratiefördernd . Die letzten Monate haben nicht nur unser Land, sondern auch die Zivilgesellschaft verändert . Es engagieren sich Menschen, die das bisher nicht getan hatten, und in einem Ausmaß, das wir nicht zu erhoffen wagten . Die Freiwilligen, die sich nun neu engagieren, sind  oft  höher  qualifiziert,  haben  häufig  selbst  einen  Migrationshintergrund und sind jünger als die klassisch Engagierten . Viele Flüchtlinge wollen selbst anpacken und Aufgaben übernehmen . Auch wenn es am Anfang öfter mal Reibungsverluste zwischen den Freiwilligen und den Verwaltungen gab, so hat sich mittlerweile vieles eingespielt . Jetzt kommt es darauf an, die auf Soforthilfe ausgerichtete Willkommenskultur in eine auf Dauer angelegte Willkommensstruktur zu überführen . Wir brauchen daher auch vonseiten der Politik mehr Engagement für das Engagement . ({3}) Langfristige, verlässliche und unbürokratische Förderung muss jetzt her, damit sich die Lust am Engagement nicht in Frust verwandelt . Deswegen schlagen wir vor, die vor Ort bestehenden Engagementstrukturen und das professionelle Freiwilligenmanagement zu stärken, und zwar durch die Förderung kommunaler Koordination . Wir wollen eine vom Bund bereitgestellte zentrale Onlineplattform . Wir wollen Supervision und Fortbildung für Engagierte ausbauen und fördern, und wir wollen prüfen, ob Weiterbildung für das Engagement auch als Bildungsurlaub anzuerkennen ist . Wir wollen die zivilgesellschaftlichen Initiativen - ich denke, das ist ein Punkt, den wir gerade in diesen Monaten stärker in den Blick nehmen müssen - vor rassistisch motivierter Hetze und Gewalt schützen; denn dies dürfen wir als demokratische Gesellschaft nicht hinnehmen . ({4}) Wir müssen die Engagierten schützen und die Initiativen finanziell absichern, und wir brauchen ein bundesweites  Opferberatungsstellennetz . Wir brauchen auch - das ist die letzte Forderung - für die Geflüchteten einen unkomplizierten Zugang zu Vereinen und zu den Freiwilligendiensten, und wir müssen dafür sorgen, dass durch ihr Engagement keine Nachteile im Asylverfahren entstehen . ({5}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss . Ich bitte Sie, die Unterstützung und Förderung des bürgerschaftlichen Engagements nicht nur mit blumigen Worten, sondern auch in konkreter Politik mit konkreten Maßnahmen im anstehenden Integrationsgesetz zu berücksichtigen; denn wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus . Sorgen wir dafür, dass wir einen positiven Schall aus der engagierten Zivilgesellschaft unseres Landes bekommen! Vizepräsidentin Ulla Schmidt Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Ingrid Pahlmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Ingrid Pahlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004369, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Engagement für Flüchtlinge - Frau Schulz-Asche erwähnte es schon - ist allen Stolpersteinen zum Trotz auch heute noch wahnsinnig beeindruckend . Zu einer Zeit, als staatliche Strukturen erst noch geschaffen werden mussten, hat sich in unserer Zivilgesellschaft eine Kraft und Stärke gezeigt, auf die wir alle stolz sein können . Ich denke, dafür können wir nicht oft genug Danke sagen . ({0}) Dieses Engagement, das nunmehr von der Erstversorgung und Unterbringung in die dauerhafte Integration der hier bleibenden Schutzsuchenden übergeht, braucht in der Tat einen Rahmen, der ermöglicht, fördert und unterstützt . Sie fordern, starke Engagementstrukturen durch kommunale Integrationscenter zu installieren . Sicher, ein kommunales Integrationsbüro ist eine Bereicherung für die Kommune insgesamt . Das gilt aber nicht nur für die Menschen, die sich spontan und programmatisch für Flüchtlinge eingesetzt haben . Viele Kommunen haben bereits ein Engagementbüro, Anlaufpunkt für viele: vom Sportvereinsvorsitzenden über die Schriftführer und Schriftführerinnen einer Seniorengruppe bis hin zu Menschen, die Zeit und Engagement spenden wollen . Ob aber alle, die bislang in der Flüchtlingshilfe aktiv geworden sind, sich in neue Strukturen pressen lassen wollen, ist doch sehr zu bezweifeln . Engagementstrukturen in der Region sind sehr vielschichtig, different und vor allem zum Teil eben auch schon vorhanden . Die Kommunen verfügen über Ehrenamtsstrukturen; verschiedene Träger und Initiativen sind vor Ort bereits aktiv, und das auch durchaus erfolgreich . Ehrenamtliches Engagement - das wissen wir alle - ist freiwillig, oft spontan, ungern weisungsgebunden und leicht zu verschrecken . Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Natürlich geht langfristiges Engagement nicht ohne gewisse Strukturen . Aber ich denke, wir müssen vorsichtig und umsichtig agieren, um nicht mehr zu zerstören als aufzubauen . Generell davon auszugehen, dass eine kommunale Integrationsstelle die Koordination und Begleitung besser hinbekommt als beispielsweise eine Organisation wie das DRK, die Caritas, die AWO oder viele andere Träger, die diese Aufgabe im Herbst 2015 spontan übernommen, weiterentwickelt und auch das Vertrauen sowohl auf der Seite der Engagierten als auch der Flüchtlinge aufgebaut haben, wäre, denke ich, falsch . Im Übrigen beinhalten die Eckpunkte des von der Koalition geplanten Integrationsgesetzes wie auch das „Gemeinsame Konzept von Bund und Ländern für die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen“ inklusive der Integrationsanlaufstellen bereits zusätzliche Mittel für Integration, inklusive Beratung, Orientierungskurse, Sprachkurse, die Förderung von Ehrenamt sowie bessere Bildung und Ausbildung und vieles mehr . Mit dem Programm „Menschen stärken Menschen“ wird die Vernetzung von Freiwilligen mit Flüchtlingen zu Patenschaften gefördert . Das sind eigentlich schon die von Ihnen geforderten Koordinierungsstellen . Die Freiwilligen zeigen nämlich, wo sie konkret helfen können . Damit werden dann übrigens entsprechende Personalstellen finanziert, die auch über diese Vernetzung hinaus  Anlaufstelle sind . Mit den Demokratiezentren der Bundesländer, kommunalen Partnerschaften für Demokratie und zivilgesellschaftlichen Akteuren, Vereinen, Verbänden sowie der Bundeszentrale für politische Bildung und der Antidiskriminierungsstelle hat sich schon ein beachtliches Beratungs- und Präventionsnetz etabliert, an welches wir anknüpfen können, bevor wir neue Strukturen installieren . Diese Strukturen muss man auch einmal wertschätzen . Ich hatte heute ein Gespräch mit einem eingewanderten Nordamerikaner, der aus der Freiwilligenarbeit kommt . Er hat mir deutlich vor Augen geführt, welche Strukturen wir hier in Deutschland schon haben, wie viel von staatlicher Seite aus schon gefördert wird . Ich denke, wir sollten uns manchmal dieser tollen Standards bewusst sein . ({1}) Die Forderung nach Freistellung für Einsätze beim DRK oder bei der Caritas, wie wir sie vom THW oder der Freiwilligen Feuerwehr her kennen, wird natürlich auch an uns herangetragen, und das nicht nur in Bezug auf die Flüchtlingshilfe . Da müssen wir in der Tat noch einmal in uns gehen und sehen, ob wir da nach einer Abwägung eine Lösung  finden. Dabei müssen wir  aber  bedenken,  dass zusätzlich zu den von Ihnen ebenfalls geforderten Freistellungen  für  Qualifizierungen,  die  ich  natürlich  unterstütze, eine nicht ganz unerhebliche logistische Herausforderung auf öffentliche wie private Arbeitgeber, aber auch auf die Mitarbeiter zukäme, die das dann zu kompensieren hätten . Wir alle sollten gemeinsam überlegen, wie wir mit dem für das nächste Haushaltsjahr umfassend aufgestockten Programm „Demokratie leben!“ die nachhaltige, demokratiestärkende und präventive zivilgesellschaftliche Arbeit zum Beispiel der Jugend- und Sportverbände, des Ehrenamtes oder in den Kitas und Schulen insgesamt stärken können. Denn Prävention und Integration finden  vor allem im Kleinen vor Ort statt . Lassen Sie uns erst einmal das Integrationsgesetz beschließen und umsetzen! Dann sehen wir, ob wir irgendwo nachjustieren müssen . Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Norbert Müller, Fraktion Die Linke . ({0})

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir leben in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung . Die eine Seite dieser gesellschaftlichen Polarisierung diskutieren wir häufig mit Sorge. Sie  verbinden wir mit starken Wahlergebnissen der AfD . Sie verbinden wir aber auch damit, dass Rassismus Hochkonjunktur hat, dass sich jeder noch so kleine Nazi und Rassist wieder in die Öffentlichkeit wagt und dass sich die Grenzen dessen, was gesagt und getan werden kann, anscheinend Woche für Woche verschieben . Wenn Alexander Gauland sagt, man werde die Politik hier bis aufs Messer bekämpfen, dann meint er übrigens uns alle . Vor allen Dingen meint er jene Menschen, die millionenfach Flüchtlingen helfen . Aber es gibt eine zweite Seite der gesellschaftlichen Polarisierung . Diese zweite Seite ist die größte soziale Bewegung seit Jahrzehnten, möglicherweise die größte soziale Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik. Millionen Menschen leisten in der Geflüchtetenhilfe  Wunderbares im Kleinen wie im Großen, völlig unkoordiniert, völlig ungesteuert und für viele völlig überraschend . Warum für viele völlig überraschend? Weil in einer Gesellschaft, in der der Ellenbogen das beliebteste Mittel der Durchsetzung ist, die auf Vereinzelung ausgerichtet ist, in der der Geist des Neoliberalismus in die Köpfe eingezogen ist, es eben nicht erwartbar war, dass Menschen aus einem inneren Impuls heraus - nennen wir es christliche Nächstenliebe, nennen wir es Humanismus, nennen wir es Solidarität; das ist völlig egal - massenhaft Menschen sagen: Wir helfen Menschen, denen es schlechter geht als uns, mit Zeit, mit Geld, mit Spenden, mit Unterstützungsleistungen . Sie helfen diesen Menschen mit viel mehr als nur mit Wasserflaschen und Ersthilfen.  Es ist anders, als es zunächst erzählt wurde . Wir haben heute  an  nahezu  allen  Orten,  wo  Geflüchtete  untergebracht werden, Willkommensinitiativen, aber wir haben inzwischen auch ganz viele ganz normale Vereine, Initiativen der Zivilgesellschaft, die mit Geflüchteten arbeiten,  die sie bei sich integrieren . ({0}) Ich will ein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen, mit dem ich eng verbunden bin . In Potsdam gibt es den Fußballverein SV Babelsberg 03 . Er hat vor anderthalb Jahren  die  erste  Geflüchtetenmannschaft  initiiert,  die  inzwischen im Regelbetrieb der Kreisklasse Havelland spielt . Der Flüchtlingstrainer der Mannschaft, der aus Mazedonien kommt, sollte mit seiner Familie vor wenigen Monaten abgeschoben werden . Das heißt, wir haben hier einen Verein, der in einer schwierigen Situation sagt: Wir  ermöglichen Geflüchteten,  in  einer  eigenen Mannschaft zu spielen . Wir ermöglichen ihnen, im Regelbetrieb zu spielen . Wir helfen ihnen auch, für ihre Kinder Schulplätze  oder  Kitaplätze  zu  finden. Wir  überlassen  das ein Stück weit - das fordert ja auch der Antrag der Grünen - der Selbstorganisation der Flüchtlinge . Das heißt, wir helfen ihnen nicht nur unmittelbar, sondern wir geben ihnen die Möglichkeit, selber etwas auf die Beine zu stellen . ({1}) Dem Kopf der ganzen Truppe sagt man dann: Du kommst blöderweise aus Mazedonien . Das ist jetzt ein sicherer Herkunftsstaat . Deswegen schieben wir dich ab . - Mit politischem Druck konnte das verhindert werden . Das ist eine Erfahrung, die Menschen in der Flüchtlingshilfe gerade täglich machen, weil täglich Menschen dieses Land wieder verlassen müssen, die bereits gut integriert waren, die seit vielen Jahren hier leben, deren Kinder hier geboren wurden - so wie auch die Kinder von Zahirat Juseinov, dessen Abschiebung wir verhindern konnten . ({2}) Das sind Menschen, die überhaupt nicht verstehen, wie wir im Deutschen Bundestag darüber reden können,  Geflüchtete  stärker  zu  unterstützen,  wenn  gleichzeitig Menschen, die sich erfolgreich integriert haben, aus diesem Land abgeschoben werden mit den Worten: Ihr habt jetzt eben Pech gehabt . Ihr kommt aus einem sicheren Herkunftsstaat - warum auch immer -; ihr dürft hier  nicht  sein.  -  Ich  finde,  das  ist  eine  Sabotage  der  hervorragenden Arbeit von Menschen in Initiativen für Geflüchtete, die nicht hinnehmbar ist. Ich finde, es hätte  dem Antrag gutgetan, wenn dieser Aspekt angesprochen worden wäre, wenn deutlich gemacht worden wäre: Wir sind dafür, dass Menschen, die sich hier integriert haben, ein Bleiberecht haben, ({3}) und wir sind dafür, dass für Menschen in Not die Grenzen hier offen sind . Ein letztes Wort zu den Grünen . Ihr Antrag enthält viel Richtiges ({4}) und viel Wichtiges, aber ich hätte auch ein Wort der Selbstkritik erwartet - das wäre eine gute Gelegenheit gewesen -; denn für eine Politik der Abschreckung und Abschottung haben auch Ihre Landesminister im Bundesrat die Hand gehoben ({5}) und sind damit mitverantwortlich dafür, dass die Liste der sicheren Herkunftsstaaten länger wurde und dass Menschen, die sich in diesem Land erfolgreich integrieren konnten, heute abgeschoben werden . ({6}) Ich finde, an dieser Stelle  sollten wir gemeinsam dafür  sorgen, dass das nicht mehr passiert, dass die Liste der sicheren Herkunftsstaaten nicht verlängert wird, damit Menschen, die auch durch zivilgesellschaftliche Initiative und zivilgesellschaftliches Engagement hier gut integriert sind, bleiben dürfen . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Svenja Stadler das Wort . ({0})

Svenja Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004412, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute nehmen wir einen Antrag der Grünen zur Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements für Flüchtlinge zum Anlass, über Engagement zu sprechen . Bürgerschaftliches Engagement ist vielfältig, immer freiwillig, unentgeltlich und verdammt eigensinnig, ({0}) und es ist von unschätzbarer Bedeutung für unsere Gesellschaft . Wie Sie in Ihrem Antrag zu Recht schreiben, erleben wir in den letzten Monaten ein unglaubliches Engagement bei der Aufnahme und Integration der zu uns geflüchteten Menschen. Dafür möchte  ich mich an dieser  Stelle bei den Engagierten noch einmal herzlich bedanken . ({1}) Kennen Sie den Film Willkommen auf Deutsch? Es ist  ein Dokumentarfilm über die Aufnahme der Flüchtlinge im Landkreis Harburg, meinem Wahlkreis, der im vergangenen Jahr in den Kinos und auch im Fernsehen zu sehen war, ein Film, der eindrücklich zeigt, dass es bei der Diskussion um die Aufnahme der Flüchtlinge in unserer Gesellschaft nicht nur Schwarz und Weiß gibt . Er zeigt - neben dem alltäglichen Rassismus, der auch in der Mitte unserer Gesellschaft existiert - die positiven Beispiele . Er zeigt die Bürgerinnen und Bürger, die alles und mehr tun, um die Lebenssituation der Angekommenen erträglich zu gestalten und ihnen ein wirkliches Ankommen in unserer Gesellschaft zu ermöglichen . Ich habe diese Menschen erlebt . Ich habe sie persönlich kennengelernt . Ich habe selbst mit ihnen am späten Abend und bis in die Nacht mehrfach vor der Kreisverwaltung Winsen auf diejenigen gewartet, die zu uns geflüchtet sind. Im Rahmen der Amtshilfe haben die Kommunen in Niedersachsen das Land bei der Erstaufnahme von Geflüchteten unterstützt, und die Engagierten unterstützten den Landkreis . Gemeinsam haben wir bei der Versorgung und Aufnahme der Schutzsuchenden geholfen . So wurden erste Kontakte aufgebaut, aus denen die Grundlage für eine erfolgreiche Integration nun wächst . Ich selbst habe dadurch erfahren, wie wichtig es ist, dass die Kommunen und die Zivilgesellschaft Hand in Hand arbeiten ({2}) und dass man dem Engagement keine Steine in den Weg legen darf . Im Landkreis Harburg funktioniert diese Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Strukturen, den Kirchen, den Bündnissen für Flüchtlinge und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft . Aber natürlich ist das nicht überall so, und natürlich gilt: Besser geht’s immer . Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ich habe mich gefreut, in Ihrem Antrag so viele Ideen und Forderungen wiederzufinden, die auch wir als SPD bereits  länger diskutieren und für die wir uns einsetzen . ({3}) Wir setzen uns ein für einen Ausbau der Strukturen für Engagement, langfristige Förderungsinstrumente und eine bessere Planbarkeit, für mehr Hilfe für Helfer durch Angebote für Supervision und Fortbildung ({4}) oder einen möglichen Bundesfonds, der Kosten, die durch Engagement entstehen, erstattet, für eine Stärkung der Anerkennung und mehr Unterstützung für Engagierte sowie einen deutlichen Einsatz gegen rechte Hetze . Allerdings haben Sie in Ihrem Antrag vergessen zu erwähnen, was wir schon erreicht haben . Wir haben den Bundesfreiwilligendienst geöffnet, ({5}) sowohl für die Geflüchteten selber als auch für die Menschen, die Geflüchteten helfen wollen. 10 000 zusätzliche  Stellen haben wir hierfür im Rahmen eines Sonderprogramms zur Verfügung gestellt . ({6}) Des Weiteren hat unsere Familienministerin Manuela Schwesig das Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“ aufgelegt, in dem Patenschaften zwischen geflüchteten und hier lebenden Menschen gefördert werden . Das Programm vermittelt alleine 25 000 zusätzliche Patenschaften, und für die Gruppe der unbegleiteten minNorbert Müller ({7}) derjährigen Flüchtlinge sollen Gastfamilien sowie Vormundschaften gewonnen werden . Wir haben das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ ausgebaut . Es fördert 16 Demokratiezentren, knapp 220 kommunale Partnerschaften für Demokratie und erstmals auch 28 zivilgesellschaftliche Organisationen, die bundesweit ihre Strukturen für Demokratieförderung und Extremismusprävention auf- und ausbauen . ({8}) Für dieses Programm stehen 2016 50 Millionen Euro zur Verfügung, ab 2017 sogar 100 Millionen Euro . Das ist doch ein Erfolg, liebe Leute . ({9}) Da Engagement Verlässlichkeit und nachhaltige Strukturen benötigt, verlängern wir dort, wo es geht, die Förderdauer . Das ist ein erster Schritt, zugegeben, doch es geht nicht darum, Förderzeiträume zu verlängern . Es geht darum, die Umstellung von projektbasierter Förderung auf eine nachhaltige Förderung zu erreichen . ({10}) Zusammen mit Verbänden und Zivilgesellschaft hat das Familienministerium kürzlich eine Engagementstrategie erarbeitet . Sie soll Anstöße geben, um Prozesse und Strukturen weiterzuentwickeln . Wenn Organisationen, Vereine oder Initiativen alleine vor sich hin wursteln, werden Ideen und Projekte nie bekannt . Damit leben sie nicht weiter und enden oft als Projektruinen . Das wollen wir als SPD-Fraktion nicht . ({11}) Wir wollen Stärke und Nachhaltigkeit durch Zusammenarbeit und Vernetzung, Förderung von Strukturen und Kooperationen . 2015 entstand auf Basis dieser Erkenntnis das Bundesprogramm „Engagierte Stadt“ . Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, der Kommunalpolitik und der lokalen Wirtschaft wird hier eine flächendeckende, dauerhafte Infrastruktur für Engagement geschaffen . Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,  wir  unterstützen  das  Engagement  für  Geflüchtete  und legen zugleich die Grundlagen für eine langfristige und nachhaltige Engagementpolitik . ({12}) Mit einem letzten Punkt in Ihrem Antrag stimme ich überein . ({13}) Die zentrale Aufgabe wird es sein, die Geflüchteten nicht  nur zu registrieren und unterzubringen, sondern sie tatsächlich in unsere Gesellschaft zu integrieren . Viele von ihnen werden dauerhaft bei uns bleiben, und es ist unser aller Aufgabe, die Herausforderungen anzunehmen und die darin liegenden Chancen zu sehen . Für diese ungleich größere Aufgabe werden wir auf eine mehr als nur gut funktionierende Zivilgesellschaft angewiesen sein . Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daran arbeiten, dass wir das bürgerschaftliche Engagement weiter stärken, dass es die Bedeutung behält, die es verdient . Packen wir es an! Vielen Dank . ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Martin Patzelt, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Martin Patzelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004372, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Heute für morgen helfen“ - ein wunderschöner Titel . Das Papier liest sich auch wirklich interessant . Es enthält viele Anregungen, Inspirationen würde ich sogar sagen . Es beschreibt die Situation auch aus meiner Wahrnehmung sehr gut, bringt auch entsprechende Konfliktstoffe  zum Tragen, und dennoch sage ich Ihnen: Es muss nicht unbedingt von uns hier im Bundestag verabschiedet werden . Der Zug ist schon lange abgefahren . Spätestens bei dem massiven Anwachsen der Flüchtlingszahlen haben wir gemerkt, was Ehrenamt in unserem Land leistet, was es kann, wie viel Kraft, wie viel Emotion, wie viel Engagement . Das hat uns als Verwaltung und Politik manchmal sogar beschämt, weil wir nicht schnell genug hinterherkamen . Deshalb denke ich: Eine solche Anregung aus dem Deutschen Bundestag kann eher kontraproduktiv wirken . Das hieße, als wollten wir ihnen sagen, wie sie es zu machen haben . Ich bin tief davon überzeugt, dass dieses Engagement vor Ort in den Kommunen entwickelt werden muss; nicht von uns fremdbestimmt, sondern von uns begleitet mit Achtung, mit  entsprechender  finanzieller  Unterstützung.  Meine  Vorrednerin hat darauf hingewiesen, was alles auf den Weg gebracht wurde und was noch auf den Weg gebracht wird . Ich denke, wir haben es nicht nötig, als Schützenhelfer und Motivationshelfer zu dienen, sondern wir sollten uns mehr darauf orientieren, dass sich in unseren Wahlkreisen, wenn es noch nicht passiert - aber es passiert ja schon an vielen Orten -, Strukturen bilden und zu entsprechenden Netzwerken verbinden, sie gut kooperieren, sich abstimmen und insofern dort leistungsfähiger werden, wo es nötig ist .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Patzelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schulz-Asche?

Martin Patzelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004372, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich habe es schon gesehen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Frau Kollegin .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen . Ich habe mich nur deswegen gemeldet, um mich erstens für Ihr Lob für unseren Antrag zu bedanken . Zweitens möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass dieser Antrag nicht vom Bundestag oder von uns als Bundestagsfraktion der Zivilgesellschaft vorgelegt wird . Vielmehr haben wir eine Konferenz abgehalten, zu der wir sehr viele Vertreter dieser neuen und unorthodoxen Initiativen eingeladen hatten . Von ihnen haben wir entwickeln lassen, welche Unterstützung sie benötigen . Von daher ist es kein Vorschlag von oben nach unten, sondern er wurde gemeinsam mit den Vertretern der Initiativen entwickelt .

Martin Patzelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004372, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich trete immer tapfer, Frau Schulz-Asche, solchen Bedürfnissen entgegen, wenn Sie sagen: Wir brauchen Hilfe von oben . - Ich sage immer: Ihr seid stark genug . Ihr seid kreativ genug . Dann sprecht bitte vor Ort mit denen, die dafür die Verantwortung tragen . - Das sind nun einmal die Kommunen . Ich bin fest davon überzeugt, dass zusätzliche Regelwerke, neue staatliche Institutionen eher Sand im Getriebe sind, weil die Strukturen eigentlich vorhanden sind: Antiterrorismusberatung, Netzwerke verschiedenster Beratungen und Begleitungen in den unterschiedlichen Strukturen von Wohlfahrt und öffentlicher Hand . Man muss sie nur auf die entsprechenden Aufgaben aufmerksam machen, wenn sie es nicht selber sehen, und sie aktivieren . Also neue zusätzliche Institutionen halte ich - das muss ich so sagen; man kann ja verschiedener Meinung sein - für kontraindiziert . ({0}) Ich will noch einmal zu einigen Begrifflichkeiten Stellung nehmen, die Sie in Ihrem Antrag verwenden . Es ist immer wieder von einer „professionellen Integrationsstruktur“ und „Integrationscentern“ die Rede . Grundsätzlich: Integration ist für mich immer noch eine Leerformel . Der Begriff wird von uns allen gebraucht, alle verstehen vielleicht etwas anderes darunter . Der Begriff ist gar nicht definiert und gefüllt. Ich glaube, wenn man  den Begriff verwendet, müssten wir uns alle Mühe geben, diesen näher zu definieren, damit wir wissen, wovon  wir reden und über was wir diskutieren . ({1}) Sie haben viele Anregungen, Beispiele für digitale Bildungsangebote, für Beratung, für Engagement von Vereinen, Kirchen, Freiwilligen gegeben . Ich glaube, sie sind alle schon unterwegs und machen Best-Practice-Vergleiche . Über das Bundesgebiet hinaus haben sie sich schon vernetzt . Wenn wir ihnen helfen sollen, geht es meistens um Geld und nicht um gesetzliche Regelungen oder Verwaltungsvorschriften . Ich möchte die Zeit, die ich noch habe - es ist ja nicht viel Redezeit -, nutzen, um zu sagen: Wir haben erlebt, dass es eine freiwillige Willkommenskultur gibt . Darüber freuen wir uns . Wir können sie nicht hoch genug schätzen . Aber jetzt geht es darum, aus der Willkommenskultur eine Lebenskultur zu machen . Jetzt spreche ich die vielen freiwilligen Helfer und Helferinnen in unserem Land von dieser Stelle aus nachdrücklich an: Sie können etwas leisten, was keine Institution und keine Politik leisten kann, nämlich Face-to-Face-Begegnungen . Was Flüchtlinge jetzt wirklich noch viel mehr brauchen, sind Menschen, die mit ihnen Deutsch sprechen . Mir sagen Flüchtlinge immer wieder: Wir lernen in den Kursen Deutsch, und dann spricht keiner mit uns Deutsch . Das sind Menschen, die ihnen erzählen können, woher sie kommen, was sie erlitten haben, was sie hoffen, wie sie  mit  den  Konflikten  klarkommen,  die  sie  tagtäglich  erleben, wie  sie mit  den Defiziten,  die  sie  bei  sich  erkennen, zurechtkommen . Da gibt es keine andere Lösung als die menschliche Begegnung . Man kann nicht jedem einen Sozialarbeiter auf den Rücken binden; wir haben sie nicht, können sie nicht bezahlen, und sie schaffen es nicht, auf gleiche Art und Weise einen Kontakt herzustellen, weil sie als Professionelle anders wahrgenommen werden . Eine glaubwürdige menschliche Begegnung, von Mensch zu Mensch, hat eine Wirkung - das kann ich immer wieder sagen, das beschreiben ja auch andere so -, die unvergleichlich produktiv ist ({2}) vom Deutschlernen bis hin  zum Zurechtfinden  in  einer  Kultur, die ihnen fremd ist . Wie sollen denn die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, abstrakte Begriffe wie Gerechtigkeit, Partnerschaftlichkeit, Gleichberechtigung und Würde des Menschen verstehen, wenn sie keine Menschen haben, die sie ihnen nach unserem Grundgesetz sozusagen übersetzen? Sie verstehen das einfach nicht, das bringen sie auch nicht mit . Dann merken wir, wie unzulänglich all unsere organisierten Angebote sind und wie sehr wir die freiwilligen Helfer brauchen, die sagen: Wir nehmen sie ein Stück weit in unser Leben hinein, so weit, wie ein jeder kann . Ich halte das für unverzichtbar . ({3}) Ich glaube auch - davon bin ich fest überzeugt -, dass wir alle miteinander uns dabei verändern werden . Auch wir werden lernen . Wir dürfen doch den Flüchtenden nicht alle Wurzeln abschneiden . Wir können doch Integration nicht so verstehen, dass sie so werden müssen wie wir . Ein Mensch, der seine eigene Sozialisation verleugnen muss, der verliert noch mehr den Halt, ({4}) der hat keine Standfestigkeit mehr . Das heißt, es geht hier um einen Prozess, den wir miteinander angehen müssen . Mir macht er keine Angst . Wir werden in neue Welten geführt werden . Ich bin vielleicht morgen nicht mehr der Alte, der ich heute war . Das ist auch gut so . Wir müssen sehen, dass wir das immer auf der Basis unseres Grundgesetzes, unserer menschlichen Werte tun und dass wir die zu uns Gekommenen mit unserem Verhalten auf diese richtigen Wege locken . Wir müssen ihnen unsere Werte glaubhaft vorleben . Das Beispiel wirkt immer am besten . Danke schön . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8221 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2016 Drucksache 18/8116 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist auch dies so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Bernd Westphal, SPD-Fraktion . ({1})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht in der Debatte um das Nationale Reformprogramm 2016 . In ihrem jährlichen Bericht legt die Bundesregierung dar, wie sie die Empfehlungen der EU umgesetzt hat . Hierbei geht es um wichtige Pfeiler der EU, zum Beispiel um die Fortschritte bei der Umsetzung der Strategie „Europa 2020“, aber auch um das Aktionsprogramm im Rahmen des Euro-Plus-Paktes oder das Europäische Semester . Das sind wichtige Instrumente der EU, und wir nehmen sie ernst . Wir unterstützen diesen Weg . Wie ist die Situation in Deutschland? Trotz der sehr angespannten  internationalen  Situation  mit  Konflikten  ist ein solider Wachstumskurs zu verzeichnen: 2015 mit plus 1,7 Prozent; die gleichen Erwartungen haben wir auch für 2016 . Auch der Staatshaushalt ist im vierten Jahr in Folge annähernd ausgeglichen . Mehr als 43 Millionen Arbeitsplätze sind in Deutschland zu verzeichnen . Ziel ist, diese Wachstumsdynamik zu verstetigen und Wachstumspotenziale weiter zu erhöhen . Vor allem im Bereich der Beschäftigung entwickeln sich die Zahlen sehr positiv . Die Erwerbstätigenquote bei den 20- bis 64-Jährigen liegt bei immerhin 77,7 Prozent, Ziel erreicht, die Erwerbstätigenquote von Frauen liegt bei 73,1 Prozent, Ziel erreicht, und auch bei der Erwerbstätigenquote von Älteren zwischen 55 und 64 Jahren, die bei rund 65 Prozent liegt, haben wir unser Ziel erreicht . Als SPD geht es uns nicht nur darum, mehr Menschen in Beschäftigung zu bekommen, sondern vor allem darum, gute und faire Arbeitsbedingungen zu schaffen . ({0}) Die Einführung des Mindestlohns hat hier einen wichtigen Beitrag geleistet . Die Beseitigung von missbräuchlichen Werk- und Leiharbeitsverträgen muss noch folgen . Wir wollen die Tarifbindung erhöhen, und auch die Mitbestimmung wollen wir ausbauen und verstetigen . ({1}) Wer Beschäftigung in Deutschland sichern möchte, muss allerdings bei der Bildung beginnen . Wir sind auf einem guten Weg, was die europäischen Indikatoren angeht . Der Anteil der frühzeitigen Schul- und Ausbildungsabgänger lag 2014 bei 9,5 Prozent . Das Ziel war ein Anteil unter 10 Prozent, also auch hier haben wir unser Ziel erreicht . Der Anteil der 30- bis 34-Jährigen mit einem tertiären oder gleichwertigen Abschluss liegt bei 45,7 Prozent . Das Ziel war 42 Prozent und ist somit mehr als erreicht . Allerdings haben wir auch einen hohen Investitionsbedarf . Die Schulen sollten in den Städten die besten und modernsten Gebäude sein, und nicht das Arbeitsamt oder die Bank . ({2}) Auch in Bezug auf die Instrumente für das Lernen in den Schulen brauchen wir eine Weiterentwicklung, eine Modernisierung von Unterrichtsmaterial . Digitalisierung ist dabei das Stichwort, ein Megatrend in Gesellschaft und Wirtschaft . Deutschland braucht ein starkes Europa und umgekehrt . Unsere ökonomische Stärke muss von sozialem und ökologischem Fortschritt flankiert werden. Wir dürfen uns nicht an Haushaltskonsolidierung festbeißen, sondern wir brauchen Investitionen in die Zukunft . Auch die schwäbische Hausfrau hat ihr Haus per Kredit finanziert und hat in den Garten und anderen Dinge investiert, um das Haus zu erhalten . ({3}) Nur sparen reicht also nicht aus . Das gilt auch für Unternehmen; denn nur dort, wo investiert wird, kann Geld verdient werden . Das Gleiche gilt auch für den Staat . Über die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands wird jetzt entschieden . Dieser Aufgabe werden wir uns mit mutiger Politik stellen . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Michael Schlecht, Fraktion Die Linke . ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland hat im Jahr 2015 im Wert von 230 Milliarden Euro mehr Waren und Dienstleistungen exportiert als importiert . Mit einer gesunden Wirtschaftspolitik hat dieser Außenhandelsüberschuss nichts, aber auch gar nichts zu tun . Das Wohl der hiesigen Wirtschaft und der Beschäftigten hängt damit viel zu sehr an einer Entwicklung, die hierzulande gar nicht beeinflusst werden kann . Ob in China ein Reissack umfällt, ist für die hiesige Entwicklung längst wichtig geworden, und er ist umgefallen . Dass dies zu keinem wirklich gravierenden Problem geworden ist, hängt nur damit zusammen, dass es momentan einen Boom von Exporten in die USA gibt . Aber was ist, wenn dieser Boom endet und sich kein Ersatz findet? Unsere Wirtschaft ist also viel zu exportlastig . Wir müssten viel stärker auf die Binnennachfrage setzen . Der Leistungsbilanzüberschuss, der zusätzlich zum Außenhandelsüberschuss auch noch Vermögensübertragungen und Ähnliches beinhaltet, ist 2015 sogar um 250 Milliarden Euro gestiegen . Das sind 8,5 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt . Damit verletzt Deutschland die sonst so hoch gehaltenen Regularien . Das ist schon wirklich ein starkes Stück in diesem Land . Diesem Vorwurf begegnet die Bundesregierung im Nationalen Reformprogramm lediglich mit diversen grazilen Argumentationen und sagt, weshalb das alles gar nicht so schlimm ist . Interessant ist aber, dass die Bundesregierung dieser Kritik vonseiten der EU-Kommission in diesem Bericht weiten Raum einräumt und versucht, das zu widerlegen . Das gelingt aber nicht . Hier bricht Deutschland EU-Regeln . Diese Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands sind nur möglich durch eine zunehmende Verschuldung anderer Länder . Das ist das entscheidende Problem . Die Bundesregierung erklärt immer wieder, wie wichtig es ist, ausgeglichene Haushalte zu haben, keine Schulden zu machen; ({0}) aber sie betreibt eine Wirtschaftspolitik, die darauf angelegt ist, dass andere Länder sich verschulden, zum Teil sogar massiv . ({1}) Eines Tages werden diese Länder - das ist vollkommen klar - die Schulden überhaupt nicht mehr zurückzahlen . Man wird diese Schulden streichen müssen . Im Resultat bedeutet das, dass die Leistungsbilanzüberschüsse, dass die Außenhandelsüberschüsse im Grunde genommen nur ein Verschenken von Waren und Dienstleistungen an den Rest der Welt darstellen . ({2}) Man muss noch hinzufügen, dass es diesen Leistungsbilanzüberschuss nicht nur in einem Jahr gibt, sondern wir haben seit dem Jahr 2000 einen immer stärker anwachsenden Leistungsbilanzüberschuss . Wir haben mittlerweile kumulierte Außenhandelsüberschüsse von sage und schreibe 2 Billionen Euro . Was wir für eine wirklich gesunde Wirtschaftspolitik brauchen, was wir brauchen, um diese Außenhandelsüberschüsse abzubauen, ist eine viel stärkere Orientierung auf die binnenwirtschaftliche Entwicklung . Wir brauchen deutlich höhere Lohnsteigerungen, und wir brauchen mehr Investitionen des Staates . ({3}) Wir brauchen zum Beispiel viel mehr Ausgaben für Investitionen in die Infrastruktur, die in Deutschland zum Teil verrottet . Wir brauchen viel mehr Ausgaben für Investitionen in die Infrastruktur, in die Zukunft unseres Landes . Wir müssen mehr in Bildung investieren usw . Aber vor allem im Bereich der Lohnpolitik müssen wir eine deutliche Stärkung erreichen . Damit kann die Binnennachfrage gestärkt werden . Damit kann dafür gesorgt werden, dass mehr importiert wird . Es geht ja gar nicht darum, die Exporte herunterzuschrauben, sondern vor allen Dingen darum, für mehr Importe zu sorgen, weil dadurch eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz erreicht werden kann . Nur so kann die für andere Länder verheerende Politik, die am Ende auf uns zurückschlägt, beendet werden . Danke schön . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Andreas Lenz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das NaBernd Westphal tionale Reformprogramm ist Teil des Europäischen Semesters . Dieses hat das Ziel, die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Mitgliedstaaten zu stärken . Kern ist die stärkere wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitische Koordinierung innerhalb der Mitgliedstaaten . Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in der Europäischen Union sind vor allem Strukturreformen in genau diesen Politikfeldern notwendig . Zudem braucht Europa zusätzliche Investitionen in Forschung, Bildung und Infrastruktur . ({0}) Wir nutzen so das Reformprogramm, um die europäische und die deutsche Wirtschaft voranzubringen . Dabei sollten die Schwachen gestärkt werden und nicht die Starken geschwächt werden . Der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands ist hoch, keine Frage . In erster Linie ist dieser Überschuss aber ein Zeichen der guten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft . ({1}) Ein Grund für diesen Überschuss ist im Moment auch der niedrige Rohölpreis, der zu geringen Importausgaben führt . Auch die Niedrigzinspolitik der EZB trägt zum hohen Leistungsbilanzüberschuss bei . Der schwache Euro steigert die Preisattraktivität deutscher Waren im Ausland . Beide Faktoren, der niedrige Rohölpreis und der schwache Euro, tragen zu circa 25 Prozent zum Leistungsbilanzüberschuss bei . Es gilt aber auch, zu betonen, dass die EU-Kommission für Deutschland eben gerade keine zukunfts- und stabilitätsgefährdenden Ungleichgewichte festgestellt hat . Es handelt sich laut Kommission zwar um Ungleichgewichte, aber nicht um exzessive Ungleichgewichte . Im Übrigen wäre es wohl besser, die Maastricht-Kriterien strenger zu überprüfen und sich stärker auf die Staaten zu konzentrieren, die Schwächen ihrer Wettbewerbsfähigkeit aufweisen . ({2}) Mir sind Überschüsse auf jeden Fall lieber als Defizite.  ({3}) Von  der  deutschen Wettbewerbsfähigkeit  profitieren  alle EU-Länder . Rund 60 Prozent aller deutschen Importe stammen aus anderen EU-Mitgliedstaaten . Das schafft Beschäftigung und Wohlstand nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen EU-Ländern . Nur 2 Prozentpunkte des deutschen Leistungsbilanzüberschusses von 8,5 Prozent - das wurde erwähnt stammen übrigens aus der Euro-Zone . Wenn also immer wieder behauptet wird, Deutschland schwäche beispielsweise Griechenland durch seine Exportüberschüsse, ist das nicht die Wahrheit . Es schadet nicht, auch hier eine europäische Perspektive einzunehmen . Die Wertschöpfungsketten verlaufen inzwischen europäisch . Die gesamte Euro-Zone konnte sogar einen Leistungsbilanzüberschuss erzielen . Wir brauchen Investitionen, keine Frage . Genau hierbei setzen wir Akzente . Investitionen für Deutschland sind ein Schwerpunktthema in dieser Legislaturperiode . Schaut man sich den neuen Bundesverkehrswegeplan an, sieht man dies deutlich . Durch den Investitionshochlauf werden 2016 für Straßen, Schienen und Wasserwege mehr als 13 Milliarden Euro investiert - so viel wie nie zuvor . Der Investitionshochlauf startet auch beim Breitbandausbau mit dem Bundesprogramm in Höhe von 2,1 Milliarden Euro . Aber auch in Bildung und Forschung wird investiert . Dies zeigt sich an den Haushaltsmitteln . Gegenüber 2005 wurde der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf über 15 Milliarden Euro verdoppelt - Tendenz steigend . Wir setzen also auch bei den Investitionen gezielt Schwerpunkte . Von den jährlichen Investitionen in Deutschland von circa 460 Milliarden Euro entfallen lediglich 9 Prozent auf den öffentlichen Sektor . Von diesen 9 Prozent investieren die Kommunen wiederum circa die Hälfte . Länder und Kommunen werden vom Bund bis 2019 um mehr als 45 Milliarden Euro entlastet . Das ist richtig, und das ist auch das beste Investitionsprogramm . ({4}) Über 90 Prozent der Investitionen werden aber vom privaten Sektor geleistet . Wir brauchen also Konzepte, wie wir privates Kapital mobilisieren können . Wir müssen beispielsweise durch die gezielte Förderung von  Wagniskapital  gerade  Wachstumsfinanzierungen  ermöglichen . Einen wichtigen Schritt stellt hierbei das Eckpunktepapier Wagniskapital dar . Hierbei müssen wir aber noch weitere Anstrengungen unternehmen, damit Firmengründer Wachstumsmöglichkeiten in Deutschland haben . ({5}) Unternehmer sind für uns Vorbild und nicht Feindbild . Dieser Grundsatz sollte übrigens auch hinsichtlich der Neuregelung der Erbschaftsteuer gelten, damit keine Arbeitsplätze vernichtet werden . Zur aktuell hohen Binnennachfrage trägt auch die gute Arbeitsmarktsituation bei; Herr Westphal hat es erwähnt . Aktuell sind über 43 Millionen Menschen erwerbstätig so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik . Auch die Quote der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist stark angestiegen: auf 65,6 Prozent . Insgesamt haben mehr als 3,7 Millionen Menschen seit 2005  eine  sozialversicherungspflichtige  Beschäftigung  aufgenommen . ({6}) Deutschland hat im Hinblick auf die Europa-2020-Ziele in den Bereichen Beschäftigung und Bildung alle Zielwerte übererfüllt . Zu dieser Entwicklung tragen auch Flexibilitätsoptionen bei . Wir brauchen gerade jetzt weiterhin einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt . Im Kapitel „Arbeitsmarkt fair und flexibel ausgestalten“ wird die Wichtigkeit von Werkverträgen und Leiharbeit betont, gerade wenn es darum geht, die Flüchtlinge, die eine langfristige Bleibeperspektive haben, zu integrieren . Mit dem Integrationsgesetz wird der Grundsatz „Fordern und Fördern“ gesetzlich verankert . Die Sprache ist dabei der Schlüssel für Integration . Oft sind auch Arbeit und Beschäftigung der Schlüssel für die Sprache . Asylbewerber dürfen beispielsweise zukünftig auch als Zeitarbeiter eingesetzt werden . Wer Integrationsangebote allerdings ablehnt, wird Kürzungen bei den Sozialleistungen zu erwarten haben . Wir brauchen einen Staat, der aktiviert und nicht alimentiert . ({7}) Die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt wird viel Geld kosten, Mittel, die übrigens ohne die sorgsame Haushaltsführung der vergangenen Jahre überhaupt nicht aufzubringen wären . Keine Integration ist aber langfristig noch teurer . Das muss uns allen klar sein . Niemand darf sich zulasten der Allgemeinheit seiner Steuerpflicht entziehen. Das wird angesichts der Aufdeckung der Panama Papers gerade wieder offensichtlich . Die Bundesregierung setzt sich hier für die weltweite Umsetzung der von der OECD erarbeiteten Empfehlungen ein, Stichwort BEPS . Wir sollten das Europäische Semester aber auch dazu nutzen, Steuervermeidung auf europäischer Ebene einzudämmen . Wir brauchen nicht europaweit die gleichen Steuersätze, aber wir brauchen einen gemeinsamen Rahmen und Transparenz . ({8}) Die Digitalisierung verändert unsere Lebens-, aber auch unsere Arbeits- und Wirtschaftswelt in einem noch gar nicht absehbaren Ausmaß . Gerade hier gilt es, die Chancen, die sich Deutschland bieten, zu ergreifen . Ich finde, in Zukunft sollte dem Thema Digitalisierung auch  im Nationalen Reformprogramm ein entsprechender Platz eingeräumt werden . Das Nationale Reformprogramm ist Teil des Europäischen Semesters . Es trägt dazu bei, die Koordinierung der europäischen Wirtschaftspolitik zu verbessern . Im Nationalen Reformprogramm werden die wichtigen Zukunftsfragen aufgegriffen und die Grundlagen für eine weiterhin positive Entwicklung gelegt . Herzlichen Dank . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Katharina Dröge von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Westphal, mir ist aufgefallen, dass Sie es geschafft haben, in Ihrer ganzen Rede kein einziges Mal zu erwähnen, worüber wir hier heute Abend eigentlich diskutieren . ({0}) Wir reden nämlich nicht über eine Zusammenfassung dessen, was die Bundesregierung gerade so tut, sondern wir reden darüber, dass die Europäische Kommission uns seit zehn Jahren sagt, dass wir ein Stabilitätskriterium reißen, das wir auf europäischer Ebene selbst mit vereinbart haben, und dass wir es seit zehn Jahren nicht schaffen, dieses Stabilitätskriterium in den Griff zu bekommen . Ich  finde  es  europapolitisch  schwierig  -  ich  ärgere  mich darüber -, dass gerade wir, die Bundesrepublik Deutschland, die selbst ansonsten bei anderen europäischen Ländern so streng darauf achten, dass europäische Vereinbarungen eingehalten werden, wenn wir selbst einmal im Fokus der Europäischen Union stehen, weil wir eben nicht alles so vorbildlich eingehalten haben, ({1}) wie wir es europäisch vereinbart haben, sagen: Ach, dieses Kriterium ist ja auch irgendwie schwierig . Das ist vielleicht gar nicht so gemeint, wie man das auf europäischer Ebene vereinbart hat . Das ist ein Problem, für das wir nichts können . Das hängt dann irgendwie mit dem Ölpreis und mit dem Euro zusammen; ({2}) das wird aus den Reihen der Union immer wieder gesagt . Das ist etwas, an dem wir nichts ändern können . - Das finde ich europapolitisch schwierig. Wenn man von anderen Ländern die Einhaltung von Vereinbarungen verlangt, dann muss man selber als gutes Vorbild vorangehen . Das ist nicht nur europapolitisch richtig, sondern es ist auch ökonomisch sinnvoll . ({3}) Dazu möchte ich auch in Ihre Richtung, Herr Lenz, etwas sagen . Sie haben sich ja mit dem Nationalen Reformprogramm intensiv auseinandergesetzt . Ich verstehe nicht, warum Sie in Ihren Reden immer wieder als Erstes sagen, dass es darum geht, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt werden soll, dass die deutschen Exporte reduziert werden sollen . Um es noch einmal klar zu sagen: Niemand hat etwas dagegen, wenn wir Autos oder Maschinen in die Welt exportieren und wenn unsere Produkte gut ankommen und nachgefragt werden . Um es ganz einfach zu sagen: Es geht darum, dass wir zu wenig italienischen Wein und zu wenig französischen Käse kaufen und dass wir zu wenig Urlaub in Griechenland machen . Das ist das, was uns die EuropäDr. Andreas Lenz ische Kommission aufschreibt . Es geht um die Binnennachfrage und nicht um die Exportstärke . ({4}) -  Ja,  das  finden  Sie  jetzt  unangenehm,  und  zwar  deshalb - deswegen reden Sie auch nicht darüber -, weil uns die Europäische Kommission da etwas aufschreibt, was Sie als Bundesregierung nicht hinbekommen . ({5}) Worum geht es? Es geht darum, dass im europäischen Vergleich die Lohnentwicklung in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt zu niedrig ist . Es geht besonders darum, dass die Investitionstätigkeit sowohl der öffentlichen Hand als auch des privaten Sektors in Deutschland zu gering ist und dass wir es deswegen nicht hinbekommen, eine ordentliche Binnennachfrage zu erzeugen . Deutschland als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union könnte etwas dafür tun, dass die Nachfrageschwäche in der Europäischen Union reduziert wird . ({6}) Würden wir unsere Binnennachfrage steigern, hätten unsere europäischen Nachbarländer die Chance, mehr Produkte hierher zu exportieren . ({7}) - Ja, Sie können so viel französischen Käse kaufen, wie Sie wollen . Es geht um eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung . ({8}) Hier geht es um unsere Binnennachfrage . Diese müssen wir verbessern . Ganz ehrlich: Was Sie tun, ist ein Armutszeugnis . Sie sind in einer Situation steigender Steuereinnahmen und niedriger Zinsen; das ist ein Traum für jeden Finanzminister . Sie schaffen es trotzdem nicht, ausreichend zu investieren, zum Beispiel in die Bildung . Sie schaffen es nicht, dafür zu sorgen, dass wir in diesem Land Schulen haben, die ordentlich gestrichen sind; das müssen die Eltern selber machen . ({9}) Sie schaffen es nicht, die 12 000 maroden Brücken in diesem Land zu sanieren . Sie schaffen es nicht, schnelles Internet in diesem Land bereitzustellen . Sie schaffen es auch nicht, eine vernünftige Klima- und Energiewende hinzubekommen . All das schaffen Sie nicht, obwohl Geld vorhanden wäre . ({10}) All das ist schlecht für die Wirtschaft, und all das könnten Sie ändern . Dann würden Sie auch die europäische Volkswirtschaft stabilisieren; das ist die Verantwortung, die Sie haben . Dann müssten Sie auch nicht auf Mario Draghi und seine Niedrigzinspolitik schimpfen . ({11}) Wenn Sie etwas für die Investitionen hier und in Europa täten, dann müsste Mario Draghi nicht als letzter Verteidiger der europäischen Konjunkturpolitik dastehen, sondern dann hätte Deutschland die Chance, hieran etwas zu ändern . Es liegt an Ihnen, dass das nicht passiert . ({12}) Noch ein letzter Satz zum Nationalen Reformprogramm . Es ist ein Erfolg, dass wir heute Abend um 21 Uhr darüber diskutieren; beim letzten Mal haben wir um 23 Uhr darüber diskutiert . Es ist auch ein Erfolg, dass wir im Bundestag überhaupt darüber sprechen, bevor es nach Brüssel versandt wird . Wir haben eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, damit das Nationale Reformprogramm wirklich ernst genommen wird . Dazu gehört unter anderem, dass der Deutsche Bundestag über dieses Programm abstimmt . Dann könnten Sie nämlich auch einmal erklären, wie Sie sich zu den einzelnen Maßnahmen verhalten, statt dieses Thema immer erst in der letzten Stunde, wenn niemand mehr hinschaut, zu debattieren . ({13}) Das Ganze war die Antwort der Europäischen Union auf die Wirtschaftskrise . Eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung war die Lehre aus der Finanzmarktkrise . Das Nationale Reformprogramm ist dafür ein zentrales Instrument. Ich finde, es ist Ihre Pflicht, es ernst zu  nehmen, auch und gerade dann, wenn es Deutschland ein bisschen wehtut . ({14})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Jetzt haben wir alle gehört, wie viel man in kurzer Zeit sagen kann . Ulrich Freese von der SPD-Fraktion hat als nächster Redner das Wort . ({0})

Ulrich Freese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004275, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was nutzt es Europa, wenn die dampfende deutsche Lokomotive möglicherweise auch noch lahmt? ({0}) Das war ein Teil der Rede, die Sie gerade vorgetragen haben, und ein Teil der Rede, die Herr Kollege Schlecht vorgetragen hat . ({1}) - Kollege Schlecht, wir beide kommen ja aus der Gewerkschaftsbewegung und  haben  häufig genug  darüber  gestritten, was richtig und falsch ist . Mir ist wichtig - ich glaube, das ist auch für die Entwicklung Deutschlands als Lokomotive Europas wichtig -, dass wir unseren industriellen Besatz nach wie vor stabil halten . ({2}) 100 000 Betriebe, 8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und 260 000 Auszubildende sind in einem industriellen Netzwerk, das der Kern der wachstumsorientierten Politik der Bundesrepublik Deutschland ist . Nicht anders verhält es sich - richtigerweise - auch auf europäischer Ebene; denn das Kernziel der Europäischen Kommission, bis 2020 den industriellen Anteil am Bruttoinlandsprodukt auf 20 Prozent zu erhöhen, ist ein richtiges, ein ehrgeiziges und auch ein nachhaltiges Ziel, das all die Fragen, die hier in unterschiedlicher Art und Weise aufgeworfen worden sind, zu beantworten hilft . Für die Reindustrialisierung Europas ist eine Wiederbelebung der Industriepolitik zwingend erforderlich; denn eines lehrt uns die Vergangenheit: Staaten, die einen hohen industriellen Wertschöpfungsanteil besitzen, sind gut durch Krisen gekommen; was insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland gilt . ({3}) Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir den hohen industriellen Besatz, den wir haben - sein Anteil an der Bruttowertschöpfung beträgt weit über 20 Prozent -, stabil halten, damit die anderen europäischen Staaten ihren Anteil, der bei unter 20 Prozent liegt - durchschnittlich sind es 15 Prozent, in einigen Ländern sogar nur 10 Prozent, und das mit schrumpfender Tendenz -, im Rahmen dieses industriellen europäischen Netzwerkes steigern können . Mein Kollege Westphal hat klar und deutlich gesagt, dass es uns darauf ankommt, gut bezahlte Arbeitsplätze, gute Ausbildung, faire Arbeitsbedingungen und Partizipation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Betriebsräten bzw . im Rahmen der Mitbestimmung zu haben . Das ist der Kern der industriellen Produktionsweise innerhalb Deutschlands . Wenn wir wollen, dass Europa vorankommt, dann tun wir gut daran - das hat insbesondere die Diskussion heute Morgen über die Stahlstandorte in Deutschland und in Europa gezeigt -, unsere Industrie zu stärken, statt sie durch solche Diskussionen, wie sie hier gerade geführt wurden, zu schwächen . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Debatte . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8116 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung auch so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Claudia Roth ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordne- ten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsunion dem Bundestag zur Abstimmung vorlegen Drucksachen 18/5096, 18/6512 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr . Frithjof Schmidt, Claudia Roth ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den SADC-WPA-Staaten andererseits KOM({3}) 8 endg.; Ratsdok. 5608/16 und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens zwischen den Partnerstaaten der Ostafrikanischen Gemeinschaft einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits KOM({4}) 63 endg.; Ratsdok. 6126/16 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika und der ostafrikanischen Gemeinschaft ablehnen Drucksache 18/8243 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({5}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Debatte . Als erster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Silberhorn für die Bundesregierung das Wort .

Thomas Silberhorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003636

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Handel kann einen wichtigen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten - auch und gerade für Länder, die bisher noch wenig am Weltmarkt und an regionalen Märkten vertreten sind . Die Öffnung der Märkte - der Abbau von Handelsschranken - macht aber nicht automatisch alle zu Gewinnern und führt nicht automatisch zu Wohlstand für alle . Entscheidend ist, wie die Handelsbeziehungen gestaltet sind . Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass wir hier im Deutschen Bundestag eine öffentliche Debatte darüber führen und dass sich der Deutsche Bundestag aktiv an diesen Fragen beteiligt . ({0}) Die Europäische Union hat letztes Jahr ihre neue Handelsstrategie unter der Überschrift „Handel für alle“ vorgelegt . Das macht deutlich, worum es geht: Wir wollen, dass alle Handel treiben können, und zwar so, dass alle davon profitieren können.  Diese Ausrichtung spiegelt sich auch in den neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der Europäischen Union wider . Die entsprechenden Verhandlungen mit drei Regionen in Afrika sind abgeschlossen . Das ist ein Meilenstein in unseren Beziehungen mit diesen Ländern . ({1}) Die Bundesregierung hat sich im Kabinett mit dem europäischen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Westafrika beschäftigt, und es ist bereits unterschrieben worden . Die Unterzeichnung der Abkommen mit dem südlichen und dem östlichen Afrika steht in diesem Jahr unmittelbar bevor . Ich will hier fünf Gründe nennen, warum europäische Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu freiem und fairem Handel sind: Erstens . Diese Abkommen stärken die regionale Integration . Die Europäische Union verhandelt mit Gruppen von Staaten . Das allein hat schon die regionale Integration stimuliert; denn diese Staaten mussten sich regelmäßig untereinander abstimmen, um gemeinsame Positionen zu entwickeln . Außerdem werden die Ursprungsregeln vereinfacht . Das erleichtert es, Vorprodukte aus anderen Ländern der Region zu verwenden und auch damit vom Marktzugang nach Europa zu profitieren.  Beides stärkt nicht nur den Handel mit der EU, sondern auch den Handel innerhalb Afrikas, und das ist auch dringend notwendig; denn bisher findet auf unserem afrikanischen Nachbarkontinent nur ein Zehntel des Handels zwischen den afrikanischen Staaten statt, während wir in Europa zwei Drittel unseres Handels innerhalb der Europäischen Union abwickeln . Zweitens . Europäische Partnerschaftsabkommen schaffen dauerhaft Zugang zum europäischen Markt, und zwar ohne Zölle und ohne Quoten . Die Entwicklungsländer erhalten dadurch deutlich bessere Möglichkeiten, ihre Produkte zu exportieren und mehr Produktion - es geht insbesondere um die Weiterverarbeitung - in ihren eigenen Ländern zu etablieren . Drittens . Diese Abkommen verursachen eine Marktöffnung mit Augenmaß . Die afrikanischen Staaten öffnen ihre Märkte nämlich asymmetrisch, und zwar nur um ungefähr 80 Prozent . Das heißt, ein Fünftel der Produkte bleibt dauerhaft geschützt . Das gilt insbesondere für agrarische Produkte . Der Rest des Marktes wird schrittweise geöffnet, mit Übergangsfristen von bis zu 25 Jahren . Dadurch bleibt diesen Ländern Zeit, sich anzupassen . Selbst bei einer ernsthaften Schädigung der heimischen Wirtschaft ist vorgesehen, dass zusätzlich flexible  Schutzmaßnahmen  wie  Zölle  erhoben  werden  können . Ich betrachte es als einen wichtigen Schritt, dass gerade die lokale Zivilgesellschaft eng in die Entscheidung eingebunden wird, ob diese Schutzklauseln angewendet werden . ({2}) Viertens . Meine Damen und Herren, wir haben uns bei allen europäischen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen für die Umsetzung von Umwelt- und Sozialstandards eingesetzt . Wenn fundamentale Prinzipien wie die Menschenrechte missachtet werden, kann die Europäische Union angemessene Gegenmaßnahmen ergreifen, einschließlich eines Entzugs der Präferenz . Fünftens . Wir stärken unsere Partnerländer gleichzeitig über unsere Entwicklungszusammenarbeit . Damit öffnet die EU nicht nur ihre Märkte, sondern wir unterstützen unsere afrikanischen Partner gezielt, zum Beispiel beim Ausbau der Transportwege oder der Qualitätsinfrastruktur . Meine Damen und Herren, wir wollen die Globalisierung gerecht gestalten . Dazu brauchen wir freien und fairen Handel; denn Handelsbeziehungen, die nicht frei sind, sind auch nicht fair . Sie lassen nicht genügend Raum für Initiative, für Innovation, für Investition . Aber freier Handel muss eben auch fair sein und Entwicklungsländer deutlich besser in regionale und globale Wertschöpfungsketten integrieren . Ihnen muss ein deutlich höherer Anteil der Wertschöpfung in den eigenen Ländern verbleiben . ({3}) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Fairer Handel kann damit ein machtvolles Instrument für nachhaltige Entwicklung werden . Die europäischen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen bieten unseren Partnerländern dazu die Chance . Wir wollen sie mit unserer Entwicklungszusammenarbeit tatkräftig dabei unterstützen, diese Chancen zu nutzen . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als Nächste spricht Heike Hänsel von der Fraktion Die Linke . ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Silberhorn, wir debattieren hier zwar zu später Stunde . Aber das heißt noch lange nicht, dass wir hier Märchenstunden veranstalten müssen . ({0}) Heute Abend zu später Stunde geht es nämlich um nichts Geringeres als um die selbstbewusste Verteidigung der Rechte des Parlaments gegenüber der Bundesregierung . Dazu haben Sie keinen Satz gesagt, Herr Silberhorn . Die Bundesregierung will nämlich dem Bundestag eine Abstimmung über Freihandelsabkommen der EU mit den afrikanischen Staaten, über die Sie jetzt gesprochen haben, verweigern . ({1}) Obwohl die Abkommen von der EU als gemischte Abkommen eingestuft werden, sagt die Bundesregierung, der abstimmungsrelevante Teil des Abkommens sei weniger politischer als eher technischer Natur . Deshalb sei der Bundestag nicht zuständig . - Mit dieser Argumentation dürften wir hier über zahlreiche Freihandelsabkommen überhaupt nicht abstimmen . Nun gab es dazu eine Anhörung im Rechtsausschuss . Was war das Ergebnis? Alle Sachverständigen, über alle Parteigrenzen hinweg, folgten unserer Argumentation, dass die Bundesregierung hier eine völlig überholte Auslegung des Grundgesetzes vornimmt und dass das ganze Abkommen betrachtet werden muss . Genau deswegen muss dieses Abkommen dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden . ({2}) Ich erwarte von Ihnen, von SPD und CDU/CSU, meine Herren und Damen Abgeordnete, dass Sie sich hier nicht zu Statisten degradieren lassen, sondern aktiv für Ihre Rechte als Parlament und Ihre Rechte als Abgeordnete eintreten . ({3}) Jetzt noch ein paar Sätze zu diesen sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika, die über Jahrzehnte die Handelsstrukturen festlegen werden . „Partnerschaftsabkommen“ ist dabei schon eine sehr zynische Bezeichnung, kann ich dazu nur sagen . Die ehemalige Kulturministerin von Mali, Aminata Traoré, hat diese Abkommen als „Massenvernichtungswaffen Europas“ bezeichnet . Diese Abkommen sind im Grunde das TTIP für Afrika und deshalb zurückzuweisen . ({4}) Viele von uns kennen ja das Beispiel mit den billigen Hähnchenschenkeln aus der EU . Deshalb möchte ich darauf jetzt gar nicht eingehen . Es gibt aber ein anderes, sehr eindrückliches Beispiel, das auch vor kurzem in einem Artikel der Zeit sehr treffend dargestellt wurde . Es geht um Ghana in Westafrika, ein Agrarland . Tomaten sind dort eines der meistkonsumierten Nahrungsmittel . Auf den Märkten  in Ghana aber findet man wenig heimische Tomaten, dafür umso mehr Tomaten von den riesigen Agrarkonzernen aus der Europäischen Union, zum Beispiel auch aus Italien . Was passiert nun mit den Kleinbauern in Ghana? Viele verlieren ihre Existenz . Sie können nicht mit den billigen Produkten - in diesem Fall den billigen Tomaten aus der EU - konkurrieren . Sie verlieren ihre Existenz, werden arbeitslos . Wenn sie Glück haben, haben sie die Möglichkeit, nach Europa zu kommen . Sie überleben vielleicht die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer und landen dann in Italien . Und wenn sie noch einmal Glück haben, bekommen sie vielleicht einen Job als Erntehelfer auf den großen Tomatenplantagen der Konzerne - natürlich zu einem Hungerlohn, damit die Tomaten in Ghana noch billiger verkauft werden können und dort noch mehr Kleinbauern arbeitslos werden . Dieser perverse Teufelskreis von Preisdumping, Plattmachen von Kleinbauern, Perspektivlosigkeit und Flucht muss endlich durchbrochen werden . ({5}) Freihandel, Herr Silberhorn - und darum geht es bei der EU -, bringt nur wenigen großen Konzernen viel Profit. Freihandel zerstört und ist eine Fluchtursache. Genau  deswegen - das sehen wir ja - sind die Interessen, die die EU vertritt, die der großen Konzerne . Diese Auseinandersetzung haben wir ja derzeit mit CETA und TTIP . Wer wie die Bundesregierung hier immer gerne von der Bekämpfung von Fluchtursachen spricht, der darf zu dieser Form des Freihandels nicht länger schweigen . ({6}) Genau deshalb ist es auch entscheidend, dass der Bundestag, dass wir alle hier darüber diskutieren und abstimmen können . Danke . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Hänsel, lieber Herr Kekeritz, ich habe heute gute Nachrichten zu verkünden . Heute ist ein guter Tag für die Demokratie und den Parlamentarismus . Denn als wir uns das letzte Mal hier getroffen und darüber debattiert haben - fast genau vor einem Jahr, im Juni 2015 -, ob der Deutsche Bundestag oder nur das Kabinett bzw . die Regierung das Abkommen mit Westafrika ratifiziert, haben wir eigentlich alle parteiübergreifend die Meinung vertreten, dass das gemäß Artikel 59 Absatz 2 Grundgesetz der Bundestag machen soll . ({0}) Sie wissen, dass ich bereits im Dezember 2014 ein Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst in Auftrag gegeben habe, das auch zu diesem Schluss gekommen ist . Sie haben auch in Ihren Anträgen auf dieses Gutachten Bezug genommen . Wir haben dann mit Verfassungsrechtlern Gespräche geführt . Auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Axel Schäfer, hat sich dort sehr reingehängt . Dann führte, wie Frau Hänsel schon sagte, der Rechtsausschuss auf Grundlage eines Beschlusses des Ältestenrates eine Anhörung durch . Normalerweise ist es bei Juristen ja so: Wenn zwei Juristen zusammenkommen - so wird immer gesagt -, dann gibt es drei Meinungen . Bei dieser juristischen Anhörung war es so: Sechs Juristen saßen zusammen und hatten eine Meinung . Gott sei Dank war es die Meinung, die wir als Parlamentarier schon seit Ende 2014 vertreten haben, nämlich dass dieses Abkommen als gemischtes Handelsabkommen  im  Deutschen  Bundestag  ratifiziert  werden  muss . Ich hatte Ihnen damals - Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich mich einmal selbst - in meiner Rede zur ersten Lesung abschließend gesagt: Die SPD wird dann als Gesamtfraktion, nachdem wir das noch einmal juristisch geprüft und bewertet haben, entscheiden müssen, wie wir zu dem Antrag stehen . Ich hoffe, dass er dann durch Regierungshandeln erledigt sein wird und die Ratifikation bei  gemischten Abkommen generell hier im Bundestag stattfindet,  so wie  das Artikel  59 Absatz  2  Satz  1  Grundgesetz aus meiner Sicht vorsieht . Und jetzt - ich habe es ja angekündigt - kann ich Ihnen die gute Nachricht verkünden: Der Justizminister, der federführende Minister der Verfassungsressorts, Heiko Maas, hat mir gestern persönlich gesagt, dass er seine Meinung geändert hat und nicht das Kabinett, sondern aus seiner Sicht der Deutsche Bundestag das Abkommen ratifizieren  kann, wenn  er  das möchte. Diese Meinung  vertreten auch alle SPD-Minister im Kabinett . Auch der federführende Minister, der inhaltlich zuständig ist, Minister Gerd Müller, hat mir das persönlich versichert, letztmals noch einmal persönlich zwei Stunden vor dieser Debatte . Er hat auch schon mit den Bundesministern Altmaier und de Maizière gesprochen, sodass ich davon ausgehe, dass das auch die Haltung der Bundesregierung insgesamt werden wird . Ich glaube, wenn wir als Parlamentarier hiermit erreicht haben, dass die Rechte des Parlaments gestärkt werden, dann ist das etwas, über das wir uns freuen können, und ein guter Tag für die Demokratie . ({1}) Ich glaube, dass es auch ein Erfolg von vielen Abgeordneten der Unionsfraktion ist, die das genauso sehen wie wir; denn dieses Thema behandeln wir fraktionsübergreifend . Der Rechtsausschuss hat ja gemeinsam eine Beschlussempfehlung gefasst, an der Vertreter aller Fraktionen - SPD, Grüne, Linke, CDU/CSU - beteiligt waren . Ich glaube, da haben wir als Parlamentarier zusammengestanden . Es geht auch darum, dass wir kein Präjudiz für die Zukunft schaffen, wodurch Mitbestimmung im Bundestag beschnitten wird . Wenn uns die Regierung jetzt mitteilt, dass wir das Vorhaben im Bundestag ratifizieren können, dann wird das Parlament sicherlich auch in Zukunft bei allen gemischten Freihandelsabkommen gemäß dem Grundgesetz entsprechende Rechte haben . Dafür werden uns vielleicht nachfolgende Kolleginnen und Kollegen noch sehr dankbar sein . Deswegen ist klar, Kollege Kekeritz - ich habe es damals schon angekündigt -: Wir als SPD werden aufgrund des Regierungshandelns Ihren Antrag für erledigt erklären . ({2}) Er ist veraltet; ({3}) deshalb brauchen wir ihm nicht mehr zuzustimmen . Aber inhaltlich passt er . Inhaltlich ist das genau unsere Position, die wir auch schon immer vertreten haben . Gut, dass das jetzt so kommt . Sie haben noch einen Antrag eingebracht, den wir in erster Lesung beraten und über den wir heute noch nicht abstimmen . Darin geht es um Wirtschaftspartnerschaftsabkommen insgesamt bzw . konkret um das Abkommen mit den südafrikanischen Staaten . ({4}) Sie wissen, dass auch wir als SPD-Fraktion bei den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen noch kritische Punkte sehen . So meinen wir, sie müssen stärker auf Entwicklungsförderung ausgerichtet werden, und bewerten manche Liberalisierungsverpflichtungen kritisch. Vor allem sehen wir es immer noch als problematisch an, dass in den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen - sei es das Abkommen mit Südafrika, das mit Westafrika oder das mit Ostafrika - die Nachhaltigkeitskapitel nicht verbindlich sind, ({5}) gerade was die ILO-Kernarbeitsnormen angeht . Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen dem Bundestag zur Ratifikation vorgelegt werden, weil wir als SPD-Fraktion uns dann entscheiden müssen, wie wir uns zu den Abkommen stellen . Da haben wir bei allem Lob, das ich Minister Müller zu Recht für seine Haltung ausspreche, dass die Abkommen im Bundestag ratifiziert werden müssen - ein großes Lob dafür gebührt, wie gesagt, den Ministern Maas und Müller -, eine inhaltliche Differenz . Er sieht die Nachhaltigkeitskapitel als ausreichend an, zumindest als ausreichend, um diese Abkommen inhaltlich erst einmal zu beschließen . Er hat gesagt, dass er in Nachverhandlungen dort noch mehr erreichen will . Aber wir sagen: Wenn wir auf die afrikanischen Staaten Druck ausüben wollen, dass sie in den Bereichen Menschenrechte und Arbeitnehmerrechte ({6}) noch etwas tun, dann müssen wir nacharbeiten . Das sind schließlich auch Fluchtursachen . Frau Hänsel hat es angesprochen: Menschen, die zu wenig Geld verdienen oder als Kindersklaven auf Kakaoplantagen arbeiten, sind die Nächsten, die nach Europa flüchten müssen, weil  das Einkommen nicht reicht . Deswegen sagen wir: Da wollen wir nacharbeiten . Die SPD hat im Mai 2015 einen Beschluss gefasst . Ich zitiere noch einmal mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin: In allen Handels-, Investitions- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und im Allgemeinen Präferenzsystem der EU sind deshalb Regeln für die verbindliche Einhaltung und Umsetzung menschenrechtlicher, ökologischer und sozialer Standards wie der ILO-Kernarbeitsnormen mit konkreten Beschwerde-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen zu vereinbaren . Also auch in den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen . Das ist jetzt noch nicht der Fall . Deswegen bitte ich dich, Axel, als stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, vielleicht in der nächsten Fraktionssitzung das Abkommen mit Südafrika noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen, ({7}) weil  der Ministerrat  Ende Mai  darüber  befinden  wird.  Dann tritt das erst einmal vorläufig in Kraft. Wir können  es dann zwar später im Rahmen der Ratifikation wieder  aussetzen, aber es ist sicherlich wichtig, dass wir hier eventuell auch mit dem Koalitionspartner - schon jetzt deutlich machen, wenn wir eine andere Meinung haben, damit die Bundesregierung nicht zunächst in Brüssel grünes Licht gibt und wir erst im Rahmen der Ratifikation die Möglichkeit haben, das noch zu ändern . Aber dadurch, dass wir jetzt gemischte Abkommen bzw . auf jeden Fall die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ratifizieren können, haben wir noch die Möglichkeit,  etwas zu ändern . Ich danke an dieser Stelle noch einmal Dirk Wiese und allen anderen Mitgliedern des Rechtsausschusses, dass ihr hier an unserer Seite wart . In diesem Sinne: Lassen Sie uns jetzt unsere Mitbestimmungsrechte ernst nehmen! Lassen Sie uns auch in Zukunft darum bemühen, dass wir im Deutschen Bundestag Fairhandel statt Freihandel beschließen . ({8}) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Uwe Kekeritz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als ich hereinkam, hat mir die Kollegin Pfeiffer gesagt, wenn ich abends nichts Besseres vorhätte, als hier im Parlament zu sein, dann sei das mein Problem, aber man möge sie doch bitte in Ruhe lassen; sie würde doch lieber ein anderes Programm haben . Schauen Sie, Frau Pfeiffer, der Vortrag von Sascha Raabe hat uns doch gezeigt, wie wichtig solche Vorträge sind . ({0}) Das sind doch wirklich ganz neue Informationen, die da kommen . Ich bin richtig begeistert von ihm . ({1}) - Das können wir machen . Wir können ein Bier trinken . Der argumentative Trick, der angewendet wurde, war ja: Hat sich aufgrund konkreten Regierungshandelns erledigt . ({2}) Diesen Trick haben Sie, Herr Sascha Raabe, immer wieder angewendet . Meistens hat er nicht gestimmt . Es ist natürlich schön, wenn Sie privat mit dem Herrn Minister gesprochen haben . ({3}) Darüber freue ich mich . ({4}) Aber ich möchte das Ganze einmal hochoffiziell haben. ({5}) Herr Raabe, es ist auch nicht so, dass das auf Initiative der SPD zurückzuführen ist . Vielmehr haben das vor allen Dingen die Grünen aufgedeckt . ({6}) Dann haben die Linken nachgezogen . Professor Dr . Lammert hat schließlich die Initiative ergriffen und versucht, einmal klarzustellen, was eigentlich in diesem Parlament los ist . Es ist richtig - das hat die Kollegin Hänsel schon gesagt -, dass es unsere Aufgabe ist, die Rechte des Parlaments zu verteidigen . Es kann nicht sein, dass die Regierung hier Präzedenzfälle in einem Bereich schafft, der höchst sensibel ist und in der Öffentlichkeit immer mehr an Bedeutung gewinnt . Handelsverträge sind zentral . Deswegen gehören sie grundsätzlich im Parlament diskutiert . ({7}) Damit komme ich zu unserem zweiten Antrag . Ich habe auf den beiden Weltkonferenzen in Nairobi und Addis Abeba im letzten Halbjahr mit vielen Diplomaten und Ministern aus verschiedenen Ländern Afrikas gesprochen . Sie haben mir erklärt, warum sie gegen die Handelsverträge sind, aber dennoch unterschreiben mussten . Es ist ganz einfach zu erklären, warum sie dann doch unterschrieben haben, obwohl sie dagegen waren . Man hat den Ländern gedroht, ihnen einfach die Präferenzen wegzunehmen . So gut kann der Vertrag also nicht sein . Wenn der Vertrag wirklich so gut wäre und vor allen Dingen die Entwicklungsaspekte berücksichtigen würde, dann würden die Entwicklungsländer sagen: Ja, genau das ist es, was wir wollen . ({8}) Aber offensichtlich wollen sie das nicht . ({9}) Man muss sich auch fragen, warum zwölf Jahre lang über diese Verträge verhandelt wurde . Das ist doch ein klares Zeichen, dass man nicht zu einem gemeinsamen Ziel kommt . Wir haben das gleiche Problem in der WTO . In der Doha-Runde wurde bisher ebenfalls zwölf Jahre verhandelt . Aber bereits nach sieben Jahren hat die westliche Gemeinschaft gesagt, dass die Verhandlungen am Ende sind . Aber mit den afrikanischen Staaten wollte man eben nicht zum Ende kommen . Man hat einfach gesehen, dass man am längeren Hebel sitzt, und hat die Unterschriften erzwungen . Unsere Befürchtungen und Analysen wurden durch die Gespräche, die ich in Addis Abeba und Nairobi führte, bestätigt . Erstens . Die regionale Integration der Länder wird eher behindert denn befördert, indem sich die einzelnen Länder mehr und mehr auf den europäischen Wirtschaftsbereich konzentrieren . Aber eines der wichtigsten Ziele, das durch die Verhandlungen erreicht werden sollte, war ja eigentlich die regionale Wirtschaftsentwicklung . Zweitens . Das Recht dieser Länder auf Exportsteuererhöhung wird stark beschnitten . Vorwiegend fallen Importzölle weg . Wir alle wissen, dass diese Länder genau diese Steuereinnahmen brauchen, um überhaupt existieren zu können . Kollege Raabe hat darauf hingewiesen, dass das Nachhaltigkeitskapitel noch fehlt . Man kann das nicht als Kleinigkeit abtun . Es ist auch niemand in der Lage, das nachzuverhandeln . Das müsste jetzt schon in den Verträgen stehen; sie sind ja bereits abgeschlossen . Der Beschwerdemechanismus fehlt . Menschenrechte werden nicht richtig beachtet . Vor allen Dingen problematisch ist, dass diese Länder ihre Märkte für europäische Produkte öffnen müssen . Es gibt zwar Schutzmechanismen . Wenn man sich diese aber genauer anschaut, dann weiß man, dass sie viel zu kompliziert und nicht anwendbar sind . Gestern hat - ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin - das Kabinett seine Zustimmung für die SADC-EPA-Verhandlungen gegeben . Die Abstimmung erfolgt aber erst Ende Mai in Brüssel, ({10}) und dort braucht es ein klares deutsches Nein; denn diese Verträge halten nicht, was sie versprechen . ({11}) Die EPAs sind eher kontraproduktiv, was den Entwicklungs -

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Kekeritz, Sie dürfen nicht erst gleich zum Schluss kommen, sondern müssen jetzt zum Schluss kommen .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Jawohl . - Also sie sind kontraproduktiv . Deshalb haben wir den Antrag eingereicht, und ich hoffe, ihr unterstützt ihn . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als letzter Redner in der Debatte hat Andreas Lämmel von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was soll man denn nun sagen, Herr Kekeritz? ({0}) Die Grünen bleiben im Prinzip ihrer alten Linie treu: alles verbieten, alles stoppen, alles negieren, was erreicht worden ist . ({1}) Es stimmt einfach auch überhaupt nicht, was Sie zu den einzelnen Punkten gesagt haben . ({2}) - Darüber können wir noch diskutieren, wir haben ja noch die Möglichkeit . ({3}) Frau Hänsel, auch Ihre Rede brachte wieder das Übliche: Ablehnung von Handel . Das ist ja sozusagen sowieso linke Position . ({4}) - Was heißt denn Freihandel? Was ist denn der Unterschied zwischen Handel und Freihandel? Das müssen Sie mir einmal erklären . ({5}) Und Herr Raabe, Sie können gerne Ihre Position hier darlegen, nur: Ich habe nichts Schriftliches gesehen, dass die Bundesregierung ihre Position geändert hätte . ({6}) Mir liegt wie allen das eindeutige Schreiben von Herrn Maas vor, der als Reaktion auf das Gutachten des Deutschen Bundestages schreibt, dass alles nochmals geprüft worden sei und seine Position unverändert bleibe . ({7}) Da können Sie doch hier nicht hergehen und sagen: Ich habe mal mit dem Minister gesprochen, und jetzt hat er seine Position geändert . ({8}) Wenn sich die Meinung eines Justizministers so ändert, der ja immerhin einer der Minister ist, die die Verfassungsmäßigkeit der Dinge prüfen müssen, dann verwundert uns das . Aber es hätte ja zumindest schriftlich vorher eingereicht werden können . ({9}) Als nächsten Punkt muss ich noch einmal deutlich sagen: Es ist überhaupt nicht

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Lämmel, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu - an uns, meine Damen und Herren, die Frage zu prüfen, ob diese Abkommen gemischt sind oder nicht, sondern diese Prüfung muss in Brüssel stattfinden. Eigentlich wissen doch  auch Sie ganz genau, dass wir hier überhaupt keine Entscheidungsbefugnis haben; denn es ist Ihnen ja bekannt, dass gemäß dem Vertrag von Lissabon die Kompetenz zur Verhandlung von Handelsabkommen nicht mehr in Deutschland, nicht mehr in Berlin, sondern in Brüssel liegt . ({0}) Genau dort wird auch die Frage zu beantworten sein, welche Abkommen gemischt sind ({1}) - dafür gibt es klare Regularien, das wissen Sie ganz genau - und welche keine gemischten Abkommen sind . ({2}) - Ja, dazu können Sie sich ja dann gern noch einmal melden . ({3}) Ich will also deutlich sagen: Es liegt die Stellungnahme von Herrn Minister Maas vor; das ist für uns natürlich die Leitlinie . Noch einmal zu den Inhalten, Herr Kekeritz, zu der Mär, die Sie verbreiten, dass dieses Wirtschaftspartnerschaftsabkommen praktisch die regionale Integration verhindern würde: ({4}) Wenn Sie sich das Handelsaufkommen zwischen Europa und Afrika einmal anschauen, dann erkennen Sie, dass es verschwindend gering ist . Dass wir mit diesen Wirtschaftsabkommen versuchen, dieses anzukurbeln, indem alle Zollschranken in Europa für Exporte aus Afrika nach Europa fallen, ist doch ein Riesenvorteil . ({5}) Das ist es doch, was Sie früher immer beklagt haben: dass wir Schutzzölle erheben, dass Schranken errichtet werden, damit Produkte aus Afrika es hier in Europa schwer haben . Wenn Sie sich einmal den Handel in der Europäischen Union anschauen, sehen Sie, dass 65 Prozent der Ausfuhren aus Deutschland ausschließlich in Länder der Europäischen Union gehen . ({6}) Genau das ist doch das Ziel der regionalen Kooperation in Afrika . In Westafrika gibt es die ECOWAS, es gibt die ostafrikanische Gemeinschaft, und es gibt die SADC . Das Ziel dieser Gemeinschaften ist doch: größere Wirtschaftsräume zu bilden und erst einmal innerafrikanischen Handel zu organisieren, damit die afrikanischen Volkswirtschaften auch wirklich wettbewerbsfähig gegenüber dem Weltmarkt werden . Wenn Sie einmal die Einfuhren aus Afrika nach Deutschland betrachten, dann stellen Sie fest, dass sie 2 Prozent unseres gesamten Handelsvolumens ausmachen . Zieht man davon noch den Anteil Südafrikas ab, dann erkennt man, dass der Anteil dieser Einfuhren bei nur noch weniger als 1 Prozent liegt . ({7}) Wir sind bei diesen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen doch ganz eindeutig von dem Interesse geleitet, den afrikanischen Volkswirtschaften zu ermöglichen, Güter zu exportieren,  ihre eigenen Wirtschaften zu qualifizieren, Produkte zu entwickeln, die weltmarktfähig sind . ({8}) Deswegen kann ich nur sagen: Wer wie Sie diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen stoppen oder verzögern will, ({9}) hilft damit den Ländern in Afrika überhaupt nicht . Wahrscheinlich ist es genau das, was Sie wirklich im Schilde führen . Vielen Dank . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit schließe ich die Debatte . Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsunion dem Bundestag zur Abstimmung vorlegen“ . Der Ausschuss  empfiehlt  in  seiner  Beschlussempfehlung  auf der Drucksache 18/6512, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5096 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Tagesordnungspunkt 15 b . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8243 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung eines Transplantationsregisters Drucksache 18/8209 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/8209 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Gesine Lötzsch, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Tag der Befreiung muss gesetzlicher Gedenk- tag werden Drucksache 18/8111 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8111 . Ich weise darauf hin, dass es zu dieser Abstimmung eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung gibt .3) Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim- men durch die Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 23. September 1) Anlage 13 2) Anlage 14 3) Anlage 12 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Albanien über Soziale Sicherheit Drucksache 18/7793 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) Drucksache 18/8119 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1) Dann können wir jetzt gleich zur Abstimmung schreiten. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in  seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8119, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7793 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf wiederum einstimmig angenommen worden . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften Drucksache 18/7244 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Drucksache 18/8267 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2) Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Recht  und  Verbraucherschutz  empfiehlt  in  seiner  Be- schlussempfehlung auf Drucksache 18/8267, den Gesetz- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7244 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzent- wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . Wir kommen zur dritten Beratung 1) Anlage15 2) Anlage 16 und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8270 ({3}) . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht der Fall . Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Straßburger Übereinkommen vom 27. September 2012 über die Beschränkung der Haftung in der Binnenschifffahrt ({4}) Drucksache 18/7822 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschifffahrt Drucksache 18/7821 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({5}) Drucksache 18/8265 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Straßburger Übereinkommen vom 27 . September 2012 über die Beschränkung der Haftung in der Binnenschiff- fahrt . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung  auf Drucksache 18/8265, den Gesetzentwurf der Bundes- regierung auf Drucksache 18/7822 anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen . - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist jeweils nicht der Fall . Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall . Gibt es Enthaltungen? - Das ist auch nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden . 3) Anlage 17 Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschifffahrt . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung  auf Drucksache 18/8265, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7821 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall . Enthält sich jemand? - Das ist auch nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Gibt es jemanden, der dem Gesetzentwurf nicht zustimmen möchte? - Das ist nicht der Fall . Gibt es Enthaltungen? Das ist auch nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf ebenfalls einstimmig angenommen worden . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesstatistikgesetzes und anderer Statistikgesetze Drucksache 18/7561 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({6}) Drucksache 18/8258 Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe auch hier, dass Sie damit einverstan- den sind .1) Damit können wir zur Abstimmung kommen . Der In- nenausschuss  empfiehlt  in  seiner Beschlussempfehlung  auf Drucksache 18/8258, den Gesetzentwurf der Bundes- regierung auf Drucksache 18/7561 in der Ausschussfas- sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- 1) Anlage 18 entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen worden mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes Drucksache 18/8235 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/8235 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29 . April 2016, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend .