Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich und freue mich, dass wir die heutige
Debatte mit einer Geschäftsordnungskontroverse beginnen können .
({0})
Das bringt doch den Blutdruck auf den üblichen Stand .
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Wahl
der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglieder des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu erweitern und als Zusatzpunkt 4 gleich zu
Beginn der Tagesordnung aufzurufen .
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege
Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! So spannend ist das Thema ja nun nicht . Aber
es ist auch nicht unwichtig; die Grünen würden ja sonst
nicht widersprechen . Das machen sie ja nur bei wichtigen
Angelegenheiten .
Wer an die letzte Geschäftsordnungsdebatte zurückdenkt, wird sich daran erinnern, dass die Opposition
schon damals ziemlich schlecht aussah . Ich glaube, heute
wird es noch schlimmer .
({0})
Es ist folgendermaßen: Schon damals hatten Sie keinen rechtlichen, keinen inhaltlichen und keinen verfahrensrechtlichen Grund, irgendetwas zu vertagen . Heute
kommt es noch schlimmer: Sie können nicht nur keinen
der genannten Gründe anführen, Sie als Grüne haben sogar dem Verfahren, wie wir es heute ablaufen lassen wollen, vollständig zugestimmt . Sie haben dem Gesetz, auf
dessen Basis wir die Wahlen heute durchführen wollen,
im Juni letzten Jahres zugestimmt . Das Verteilverfahren die inhaltliche Basis des heutigen Verfahrens - haben
Sie noch im Juni letzten Jahres völlig richtig gefunden .
Nicht nur das: Sie haben zuvor selbst einen vollkommen
identischen Gesetzentwurf eingebracht . Der Name der
Kollegin Haßelmann, die gleich sprechen wird, steht an
prominenter Stelle darauf . Sie war also dafür, es so zu
machen, wie wir es heute machen wollen .
Ich freue mich auf Ihre Erwiderung gleich . Insofern
macht es wirklich Spaß, mit einer Geschäftsordnungsdebatte zu beginnen .
Man kann es also kurz so zusammenfassen: Sie kritisieren heute ein Verfahren, dem Sie nicht nur zugestimmt, sondern das Sie selber vorgeschlagen haben .
Peter Lustig hätte dazu gesagt: Das ist komisch von den
Grünen, ist aber so .
({1})
Aber so lustig ist es ja vielleicht auch nicht . In der Sache sollten Sie wirklich überlegen, ob wir über Themen,
bei denen Sie die verfahrensrechtliche Vorgehensweise
selbst vorschlagen und sie auch in einem eigenen Gesetzentwurf verankert haben, dann, wenn es ernst wird,
tatsächlich eine Geschäftsordnungsdebatte führen sollen .
Es geht in der Tat um das Kuratorium des Deutschen
Instituts für Menschenrechte . Wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie jetzt sogar noch nicht einmal
irgendwelche Bedenken gegen die vorgeschlagenen Personen - es sei denn, ich werde gleich eines Besseren belehrt .
Man kann letztendlich zusammenfassen: Die Personen finden Sie richtig, das Verfahren haben Sie selbst
vorgeschlagen, Sie haben einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht - und heute sind Sie dagegen . Ich
bin auf Ihre Erklärung gespannt, warum das so ist . Wir
sagen einfach: Sie haben uns von etwas, was Sie selbst
früher für richtig befunden haben, überzeugt, und wir finden das auch richtig . Lassen Sie uns abstimmen! Es ist
gut . Es sind die richtigen Personen . Es ist das richtige
Verfahren . Jedenfalls haben auch Sie selbst das vor wenigen Wochen noch so gesehen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Frau Haßelmann, bitte .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren Kolleginnen und Kollegen! Ja, in der Tat widersprechen wir heute dem Aufsetzungswunsch; denn die
rechtliche Absicherung des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat sehr lange gedauert . Dazu gab es hier im
Parlament ein sehr langes und zum Teil sehr unwürdiges
Verfahren . Einige in der Koalition hätten sogar fast riskiert, dass dieses hoch anerkannte Institut für Menschenrechte abgestuft worden wäre im internationalen Kontext, indem Sie das nämlich einfach so heruntergemacht
und so ignoriert haben .
Deshalb haben wir gerne, Herr Grosse-Brömer, im
allerletzten Moment - es war wirklich die allerletzte
Möglichkeit vor Fristsetzung - dem Gesetz zugestimmt,
damit das Deutsche Institut für Menschenrechte abgesichert werden konnte, damit die gesetzliche Grundlage geschaffen wurde und wir damit als Parlament auch
gemeinsam ein Zeichen setzen für Wertschätzung der
Arbeit des Deutschen Instituts für Menschenrechte . Und
das war richtig und gut . Wir würden das heute jederzeit
wieder so tun .
({0})
Nachdem das Ganze aber so lange gedauert hat,
({1})
ein solches Hin und Her bestanden hat, auch solche Diffamierungen gegen die Arbeit des Deutschen Instituts für
Menschenrechte erfolgten, wir nur in allerletzter Sekunde die Kurve gekriegt haben ({2})
wir haben ja fast ein Jahr lang darüber diskutiert -, wird
uns dann heute, am Dienstag, gesagt:
({3})
So, da gibt es jetzt einen Vorschlag für das Kuratorium . Wir haben dann gesagt: Nennen Sie uns doch bitte einmal die Namen . - Da hieß es: Ja, die haben wir gerade
noch nicht parat, aber die haben wir, und die kriegen Sie
dann . - Am Dienstag dieser Woche! Bis dato war das
Thema „Benennung der Kuratoriumsmitglieder“ noch
nicht einmal auf Wunsch der Koalitionsfraktionen auf
der Tagesordnung. Meine Damen und Herren, ich finde,
das sind genug Gründe, um zu sagen: Wir widersprechen
der Aufsetzung .
Schauen wir uns dann einmal die Sachlage an: Ja,
das Verfahren ist so . Wir haben dem Gesetz zugestimmt .
Zwei Mitglieder für das Kuratorium werden aus den
Reihen der MdBs bestimmt . Dass wir als kleinste Oppositionsfraktion kein Benennungsrecht für diese beiden
MdBs haben, ist nie und an keiner Stelle von uns infrage
gestellt worden .
({4})
Das ist doch sowieso klar angesichts der Verteilung der
Stimmenanteile hier im Deutschen Bundestag .
Dass Sie aber nicht die Größe und auch nicht das parlamentarische Verständnis hatten, bei den sechs Mitgliedern für das Kuratorium, die vom Parlament aus den Reihen von Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu benennen
sind, zu sagen: „Das macht das Parlament gemeinsam .
Hier kommen wir konsensual zu einem gemeinsamen
Vorschlag, wen das deutsche Parlament in das Kuratorium als Fachexpertin oder als Fachexperten benennt“,
({5})
ist doch unvorstellbar angesichts der Thematik und angesichts der Breite, die abgebildet werden soll . Schließlich
soll das Deutsche Institut für Menschenrechte auch diese Regierung kontrollieren . Wie ist denn jetzt das Signal nach außen? Die Große Koalition, die die Regierung
stellt, setzt alles daran, sich nicht mit den beiden kleineren Fraktionen im Deutschen Bundestag darauf zu einigen, welche sechs Personen man aus Zivilgesellschaft
und Wissenschaft benennt .
({6})
Das finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich armselig,
({7})
dass Sie diese Größe nicht hatten . Es ist auch nicht gut
für das Kuratorium und für die Außenwirkung des Kuratoriums .
({8})
Jetzt noch ein abschließender Punkt: Wenn man Ihre
einseitige, monothematische Besetzung ansieht,
({9})
dann kommt man zu der Auffassung, dass die auch nicht
gut für das Institut für Menschenrechte ist . Wo sind denn
Initiativen wie Pro Asyl, wo sind denn die Anliegen von
Human Rights Watch und von Amnesty International
thematisch vertreten?
({10})
Und die SPD duckt sich bei der Frage am liebsten ganz
weg, weil sie genau weiß, dass wir recht haben mit unserer Kritik
({11})
an dieser so einseitigen Besetzung und an dieser monothematischen Besetzung im Hinblick auf Religionsfreiheit . Damit tun Sie dem Institut und dem Kuratorium
keinen Gefallen .
({12})
Das wissen wir alle, und das wissen die Fachverbände
ganz besonders .
({13})
Unsere Ablehnung, die wir gleich bei der Wahl bekunden werden - ich muss ja davon ausgehen, dass Sie für
Ihren Aufsetzungsantrag eine Mehrheit bekommen -,
({14})
hat allerdings nichts mit einzelnen Personen, die hier zur
Wahl stehen, zu tun .
({15})
Frau Kollegin .
Wir kritisieren das Verfahren . Wir halten die monothematische Besetzung für falsch und auch den Weg, den
Sie gewählt haben, indem Sie nicht alle Fraktionen des
Deutschen Bundestages einbezogen haben, um zu einem
konsensualen Vorschlag zu kommen .
Danke .
({0})
Können wir jetzt abstimmen? - Das ist gut so . Dann
lasse ich über den Aufsetzungsantrag der Koalitionsfraktionen abstimmen . Wer stimmt der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist dem Aufsetzungsantrag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition stattgegeben worden .
({0})
Ich rufe damit diesen gerade aufgesetzten Zusatz-
punkt 4 auf:
Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen-
nenden Mitglieder des Kuratoriums des Deut-
schen Instituts für Menschenrechte gemäß § 6
Absatz 2 Nummer 4 und 5 des Gesetzes über
die Rechtsstellung und Aufgaben des Deut-
schen Instituts für Menschenrechte - DIMRG
Drucksache 18/7703
Hierzu gibt es einen Wahlvorschlag der Fraktionen
von CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/7703 .
Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Wahlvor-
schlag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 19 a und
19 b:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes
Drucksache 18/7055
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1})
Drucksache 18/7676
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/7677
b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias
W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Durchlässigkeit in der Bildung sichern,
Förderlücken zwischen beruflicher Bildung
und Studium schließen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Özcan
Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bildungszeit PLUS - Weiterbildung für alle
ermöglichen, lebenslanges Lernen fördern
Drucksachen 18/7234, 18/7239, 18/7676
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Aussprache 60 Minuten dauern . - Auch dazu gibt es offenkundig keine Meinungsverschiedenheiten . Dann können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Thomas Feist für die CDU/CSU-Fraktion .
({4})
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in abschließender Lesung die Neufassung des Gesetzes zum
Meister-BAföG . Das Meister-BAföG ist außer an Handwerker auch an andere adressiert, die im Rahmen der beruflichen Fortbildung ihren weiteren Lebensweg gehen
wollen, ob das Techniker, Betriebswirte oder andere sind .
Ich möchte Ihnen, Frau Ministerin, sehr herzlich danken, dass Sie dafür gesorgt haben, dass aus Ihrem Haus
schon ein sehr ambitionierter Gesetzentwurf kam, den
wir in der parlamentarischen Beratung noch verbessern
konnten . Ich möchte an dieser Stelle auch besonders unseren Haushältern danken; denn die Gesetzesänderungen, die wir jetzt auf den Weg bringen, werden in den
nächsten Jahren über 100 Millionen Euro kosten .
({0})
Wahrscheinlich war es hilfreich, dass das erste Gesetz
zur Aufstiegsfortbildungsförderung die Unterschrift von
Wolfgang Schäuble trug . Insofern war er wahrscheinlich
von Anfang an nicht ganz dagegen . Also vielen Dank,
Frau Ministerin, und vielen Dank an die Haushälterinnen und Haushälter, dass wir heute so ein schönes Gesetz
vorlegen können .
({1})
Was machen wir mit dem vielen Geld? Das ist ja schon
eine ganze Menge . Obwohl: Wenn ich mir anschaue, was
wir im Bereich der Wissenschaft investieren, ist auch da
vielleicht noch Luft nach oben . Aber wir wollen ja nicht
klagen . Es ist ein schöner Tag . Zurück also zur Frage,
was wir mit dem Geld machen .
Zunächst statten wir dieses Programm besser aus . Es
wird familienfreundlicher gestaltet . Es wird einen höheren Zuschussbetrag geben . Wir werden die Grenze, bis zu
der die Kosten einer Maßnahme geltend gemacht werden
können, erhöhen, und wir werden auch bei der Förderung
für das Meisterstück eine ganze Menge Geld drauflegen.
Die beste Nachricht für mich ist allerdings, dass diejenigen, die eine solche Aufstiegsfortbildung erfolgreich gemeistert haben, als Belohnung einen Erlass bekommen, und zwar nicht mehr in Höhe von 25 Prozent,
wie es bisher im Gesetz stand, sondern von 40 Prozent .
Leistung lohnt sich, gerade im Bereich der beruflichen
Aus- und Fortbildung! Deswegen ist das, was wir heute
beschließen, gut .
({2})
Ich habe mich auch sehr gefreut über die konstruktiven Beratungen, die wir dazu im Ausschuss hatten . Wir
hatten eine Anhörung, bei der die Experten alle der Meinung waren - Herr Gehring wird mir hier zustimmen -,
dass das, was wir tun, gut ist . Deswegen, glaube ich,
werden Sie heute diesem Gesetzentwurf auch zustimmen
können . Ich glaube, auch die Fundamentalopposition hier
auf der linken Seite wird heute zumindest - eventuell mit
einer Enthaltung, wenn Sie dabei bleiben - dazu beitragen, dass wir für die berufliche Bildung etwas Wichtiges
machen .
Wir hatten ja in dieser Woche wegen der fremdenfeindlichen Ausschreitungen die Gelegenheit, ein paar
Orte in Sachsen kennenzulernen, von denen einige im
Haus bisher gar nicht wussten, dass sie existieren .
({3})
Diesen Orten würde ich heute gerne ein paar weitere hinzufügen, einfach um zu zeigen, dass das, was Sachsen
ausmacht, etwas völlig anderes ist . Die Orte, die ich Ihnen heute näherbringen möchte, sind: Königswalde, Ehrenfriedersdorf, Aue und Leipzig . Den Namen der letztgenannten Stadt haben vielleicht die einen oder anderen
schon einmal gehört .
({4})
In Königswalde wurde ein junger Mann geboren, der
Nathanael Liebergeld heißt . Er wohnt jetzt in Aue - übrigens auch eine schöne Stadt . Er hat einen Gesellenbrief
im Bereich Heizungs- und Sanitärinstallation erworben .
Nun war das für ihn aber nicht der Endpunkt, sondern
er hat gesagt: Ich möchte mich gerne weiterqualifizieren,
richtig gut werden im Beruf . Seine Firma hat ihn dabei
unterstützt . Das ist auch gar nicht so einfach . Wenn man
besonders ambitionierte junge Leute hat, haben die auch
andere Möglichkeiten, werden vielleicht auch abgeworben . Deswegen ist es wichtig, dass die Wirtschaft so etwas unterstützt . Er hat das große Glück gehabt, dass er
nicht nur sehr ambitioniert, sehr gut und fleißig in seinem
Beruf war, sondern er hatte auch die Gelegenheit, einen
Leipziger Installateurmeister kennenzulernen, dessen
Name André Schnabel ist . Dieser Installateurmeister arbeitet ehrenamtlich als Trainer für die Berufsweltmeisterschaften, die WorldSkills . Dieses Gespann hat es doch
tatsächlich geschafft, mit Unterstützung der Firma von
Nathanael Liebergeld aus Ehrenfriedersdorf - die Unternehmen müssen natürlich solche jungen Leute bei Wettkämpfen freistellen; auch hier investieren die Unternehmen -, dass das Team Germany im letzten Jahr in São
Paulo bei einem Bewerberfeld aus mehr als 50 Nationen
als bestes eine Goldmedaille errang . An solche Personen
wie diesen jungen Mann und auch an andere besonders
begabte und fleißige junge Frauen und Männer denke ich,
wenn wir heute diesen Gesetzentwurf verabschieden .
„Beste Förderung für die Besten in unserem Land“ - das
ist unser Motto . Genau das setzen wir auch heute um .
({5})
Vielleicht noch etwas Positives über Sachsen: Dort
hat die Große Koalition verabredet, einen Meisterbonus
einzuführen für alle, die ein Meisterstudium erfolgreich
abgeschlossen haben . Das heißt, das wird jetzt noch viel
einfacher . Auch der junge Mann, von dem ich gerade berichtet habe, wird im August, also genau zu dem Zeitpunkt, wenn das Gesetz in Kraft treten soll, sein Meisterstudium beginnen . In Sachsen werden wir also einen
Meisterbonus einführen . Und das ist Politik, wie ich sie
verstehe: Werbung und Unterstützung für die berufliche
Bildung sowie für die berufliche Fort- und Aufstiegsbildung . Das ist Politik für die Besten in unserem Land, für
die Leistungsträger unserer Gesellschaft . Deswegen bitte
ich Sie, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen .
({6})
Rosemarie Hein ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke .
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident . - Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Feist, ich werde einmal Ihre Arbeit übernehmen und nicht über Sachsen, sondern über
das Gesetz und die hier vorliegenden Anträge reden .
({0})
In der Tat ist dieses, kurz als Meister-BAföG bezeichnete Gesetz ein wichtiges Instrument für berufliches
Fortkommen, vor allen Dingen für jene Menschen, die
ihren Berufsweg im Rahmen der dualen Berufsausbildung begonnen haben;
({1})
denn dies ist in der Regel Voraussetzung, nach diesem
Gesetz gefördert zu werden . Es war hohe Zeit, die Förderhöhen aufzustocken und die Förderbedingungen zu
verbessern . Dem wird das Gesetz allerdings, trotz der
Nachbesserungen im Ausschuss, die wir überhaupt nicht
geringschätzen wollen, nur teilweise gerecht . Wie schon
in der Debatte zum Studierenden-BAföG müssen wir Ihnen sagen, dass die Anpassungen einfach nicht reichen .
({2})
Sie nehmen nicht hinreichend Bezug auf die veränderten,
gestiegenen Lebenshaltungskosten, und das muss sich
ändern .
({3})
Mit der Gesetzesnovelle - das will ich einräumen haben Sie versucht, den veränderten Berufsbiografien gerecht zu werden, und das ist auch notwendig . Berufswege
verlaufen heute mitunter anders, sind nicht mehr ganz so
geradlinig: Schule, Ausbildung, Beruf, eventuell später
eine Weiterbildung . Darum ist es richtig, über die Formen der Weiterbildung auch eine Neu- oder Umorientierung im beruflichen Werdegang durch Aufstiegsfortbildung möglich zu machen .
Die Öffnung des Meister-BAföG für eine Ausbildung
nach dem Bachelorstudium ist ein solcher Weg . Aber warum nur dieser eine, und warum nur in diese Richtung?
Warum kann ein Meister für ein späteres Bachelorstudium in der Regel keine Förderung bekommen? Warum
können nicht auch Masterabsolventen eine Förderung
nach diesem Gesetz erhalten? Dass dies nicht möglich
ist, wurde auch in der Anhörung im Ausschuss kritisiert .
Wir brauchen viel mehr Flexibilität auch in der Bildungsförderung, wenn der berühmte Slogan von der Durchlässigkeit im Bildungssystem, die so sehr sinnvoll ist, nicht
zu Makulatur verkommen soll .
({4})
- Regen Sie sich nicht so auf! Ich habe schon recht .
({5})
Das war auch der Grund, warum wir zu dem Gesetzentwurf einen Antrag gestellt haben: Uns ist es wichtig,
die Durchlässigkeit in der Bildung zu sichern und die
bestehenden Förderlücken zwischen beruflicher Bildung und Studium zu schließen . Das heißt eben, dass
die Förderung gleichwertiger Bildungsgänge sich nicht
wechselseitig ausschließen darf . Das heißt auch, dass die
Förderbedingungen, zum Beispiel zwischen Studierenden-BAföG und Meister-BAföG, angepasst werden müssen . Studierende an einer Hochschule und Lernende an
Technikerschulen befinden sich doch oft in vergleichbaren Lebenssituationen . Wieso sollen sie unterschiedlich
behandelt werden?
({6})
Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen . Wieso
ist ein Kind in beiden Systemen unterschiedlich viel
wert? Studierende erhalten nur einen Kinderzuschlag
von 130 Euro . Wer Meister-BAföG erhält, bekommt
235 Euro Kinderzuschlag
({7})
- genau das ist ja das Problem ({8})
und noch 130 Euro für Betreuungskosten . Da wird mit
zweierlei Maß gemessen, und das ist nicht richtig . Wir
fordern, dass auch für Studierende mit Kind gleiche Bedingungen gelten .
Noch einmal etwas zur Durchlässigkeit: Wenn jemand
nach einer Ausbildung an einer Fachschule oder im Rahmen eines Meisterlehrgangs keine Förderung nach Studierenden-BAföG mehr bekommt - das ist im Moment
so -, ist ein Masterstudiengang in der Regel auch nicht
möglich; denn da wird der Bachelor vorausgesetzt . Diese
Fördersystematik ist unlogisch, und das muss sich ändern .
({9})
Die Begründung des Ministeriums, die ich kürzlich erhielt, dass es sich hier schließlich um zwei gleichwertige
Bildungsgänge handele und man nicht zwei gleichwertige Bildungsgänge gleichzeitig oder nacheinander fördern
möchte, ist eigentlich obsolet geworden;
({10})
denn mit diesem Gesetz öffnen Sie das . Sie schaffen
nämlich die Möglichkeit, Meister-BAföG nach einem
Bachelorstudium zu erhalten .
({11})
- Ja, sicher . Wir müssen es bloß auch in umgekehrter
Richtung möglich machen .
({12})
Ich weiß, dass diese Probleme nicht mit diesem Gesetz zu lösen sind;
({13})
aber ich finde, wir müssen hier grundsätzlich neu nachdenken .
Dann die Sache mit der Erzieherinnen- bzw . Erzieherausbildung . Für die Erzieherinnen- bzw . Erzieherausbildung und im Übrigen auch für die Altenpflegeausbildung wurde das Gesetz, über das wir heute diskutieren,
vor einigen Jahren geöffnet . Das war durchaus sinnvoll,
aber nicht zu Ende gedacht . Wir alle hatten die Petition
eines jungen Mannes auf dem Tisch, der Erzieher werden wollte . Diese Ausbildung dauert drei Jahre . Anders
als bei den sonstigen Ausbildungen nach diesem Gesetz,
gehört ein beträchtlicher Teil Praxis zur Ausbildung . Insgesamt umfasst die praktische Ausbildung den Zeitwert
eines ganzen Ausbildungsjahres, und das muss auch so
bleiben; doch diese Zeit war nicht förderfähig . Nun hoffte der Petitionsausschuss, wir würden das mit diesem
Gesetz ändern . - Das ist nicht geschehen . Praktika sind
immer noch nicht förderfähig .
Ich will das kurz erklären: Erziehungsfachkräfte werden für die Arbeit mit jungen Menschen im Alter von
0 bis 27 Jahren ausgebildet . Um da annähernd die nötige Praxis zu erhalten, sind praktische Erfahrungen in
mindestens zwei Tätigkeitsfeldern oder zwei Aufgabengebieten oder zwei Einsatzstellen notwendig . Mit einem
bezahlten Anerkennungsjahr, das es in einigen Bundesländern gibt, kann man das eigentlich nicht erreichen .
Sie haben nun das Gesetz für einen Ausbildungsweg
geöffnet, für das es eigentlich nicht vorgesehen war . Nun
müssen Sie aber auch die Bedingungen so gestalten, dass
die Unterschiede nicht zulasten der Auszubildenden gehen, dass sie dieses Risiko nicht alleine tragen müssen .
({14})
Sie machen die Tür zwar ein wenig auf, aber nicht ganz .
Sie ermöglichen die Förderung, wenn eine Ausbildungsdichte in Vollzeitform von 70 Prozent erreicht wird, also
70 Prozent der Unterrichtsstunden müssen Präsenzstunden sein . Das reicht aber doch nicht, wenn mindestens
ein Drittel der Ausbildung Praxis sein soll; das sagt uns
die Prozentrechnung . Das können auch die Länder nicht
lösen, wie Sie sich das so vorstellen .
Bei aller Unterschiedlichkeit der Ausbildungswege in
den Ländern: Dort haben sie erst im vergangenen Jahr
eine Vereinbarung getroffen, an die sich jedes Bundesland hält . In der Vereinbarung wurde festgehalten, dass
ein Drittel praktische Ausbildung sein muss . Das ist
vorgeschrieben, man kann es sich nicht aussuchen . Man
bekommt dafür in der Regel auch bei integrierten Ausbildungen kein Geld . Dort werden die Praxisabschnitte
nämlich in die anderen Abschnitte einbezogen .
Wir haben Ihnen nun einen Vorschlag gemacht, dessen Umsetzung niemandem wehgetan hätte . Damit hätte man aber das Problem für die Auszubildenden gelöst .
Man kann pflichtig vorgeschriebene Praktika einfach
dem Vollzeitunterricht gleichstellen, und schon wäre die
Kuh vom Eis .
({15})
Man muss auch keine Angst haben, dass damit irgendwelche Lücken oder Schlupflöcher geschaffen würden,
die andere ausnutzen . Man kann in dieser Zeit etwaige
Einkommen gegenrechnen . Man kann das bezahlte Praktikumsjahr von der Regelung ausnehmen; da braucht
man ja auch keine Unterstützung .
Mit den von uns vorgeschlagen Änderungen wäre
eine Lösung möglich gewesen . Wir haben im Vorfeld
versucht, das mit Ihnen zu klären . Das hat leider nicht
geklappt . Ich gebe zu, die Gewerkschaften waren da auch
nicht gerade hilfreich .
({16})
Die haben nur die duale Ausbildung im Blick und wissen
offensichtlich nicht, wie eine Erzieherinnen- bzw . Erzieherausbildung tatsächlich funktioniert. Ich finde, dass
das ein bisschen schade und auch schwierig ist, weil wir
gerade in diesem Bereich einen sehr hohen Fachkräftebedarf haben .
({17})
- Nein, sie können das nicht regeln . Sie haben es geregelt . Sie sagen: Ein Drittel der Ausbildung ist praktische
Ausbildung, und Punkt . - Wir aber sagen: Das ist euer
Pech, dann bekommen die keine Förderung . - Das ist
doch das Problem .
({18})
Geben Sie endlich Ihren Tunnelblick auf! Achten Sie
darauf, was um Sie herum passiert . Wir geben Ihnen heute noch einmal die Gelegenheit, das entsprechend zu korrigieren . Wir haben einen Änderungsantrag eingebracht .
Sie haben also noch einmal eine Chance . Stimmen Sie
also unserem Antrag zu, dann sind wir fast rundum
glücklich!
({19})
Eine abschließende Bemerkung möchte ich zum Antrag der Grünen machen: Ein Instrument, das für die berufliche Weiterbildung - und nur für diese - gedacht ist,
({20})
kann die Probleme der allgemeinen Weiterbildung nicht
lösen, so wichtig eine Lösung wäre . Sie verweisen auf
die Bildungszeit PLUS, aber damit lösen wir die Probleme auch nicht . Wir brauchen ein Weiterbildungsfördergesetz und ein umfassendes Bildungsfreistellungsgesetz .
Beide scheitern bislang an den Grenzen der ZuständigDr. Rosemarie Hein
keiten zwischen Bund und Ländern . Darum werden wir
uns bei Ihrem Antrag der Stimme enthalten .
Das Meister-BAföG werden wir nicht blockieren,
({21})
weil wir finden: Es ist ein kleiner Schritt in die richtige
Richtung . Unsere Forderungen halten wir aber aufrecht .
Vielen Dank .
({22})
Martin Rabanus erhält nun das Wort für die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Frau Dr . Hein, herzlichen Dank für Ihren
Beitrag und für den versöhnlichen Schluss . Sie haben ja
deutlich gemacht, dass die Neuregelungen zum Meister-BAföG, die wir heute beschließen können, etwas
hervorbringen, was selten passiert . Nach Lage der Dinge werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf hier im
Deutschen Bundestag nämlich einstimmig - bei Ihrer
Enthaltung - beschließen .
({0})
Das ist in der Tat ein Adelsschlag für den Gesetzentwurf,
den die Regierung vorgelegt hat . Die Fraktion der Grünen wird sich sicherlich auch da einreihen können; jedenfalls wenn Sie das nachvollziehen, worauf wir uns in der
letzten Beratung im Ausschuss verständigt haben .
Die AFBG-Novelle ist eine große Novelle; der Kollege Feist hat darauf hingewiesen . Wir können ein Volumen von 90 bis 100 Millionen Euro jahresbezogen für
die Stärkung der Meisterausbildung bewegen, sozusagen
für die Stärkung des oberen Endes der beruflichen Ausbildung . Das ist ein großer, ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner
Bildung . Deswegen ist heute in der Tat ein guter Tag für
die berufliche Bildung.
({1})
Wir können - das will ich schon noch einmal erwähnen - nicht nur die Förderung deutlich ausweiten - die
maximal förderfähigen Lehrgangs- und Prüfungsgebühren steigen von rund 10 000 auf 15 000 Euro -; wir erhöhen auch den Zuschuss für das Meisterstück deutlich .
Wir erhöhen die Vermögensfreibeträge deutlich . Wir
erhöhen die Familienkomponente deutlich . Wir erhöhen
den Zuschuss zum Unterhalt auf 50 Prozent und den Zuschuss zum Maßnahmebeitrag auf 40 Prozent . Wir erhöhen den Belohnerlass von 25 Prozent auf 40 Prozent .
Es sind großartige Zahlen, die wir vorweisen können; da
brauchen wir uns nicht zu verstecken .
Wir öffnen das Meister-BAföG für Bachelorabsolventen . Wir modernisieren das Gesetz insgesamt . Wir machen damit einen großen Schritt und vollziehen das nach,
was wir in der BAföG-Novelle, deren substanzielle Teile
zum Wintersemester in Kraft treten, für die Schülerinnen
und Schüler sowie die Studierenden bereits beschlossen
haben .
Dazu kommt - darauf will ich in diesem Zusammenhang auch hinweisen - eine neue Gesetzesinitiative,
die im April den Deutschen Bundestag erreichen wird,
nämlich das Gesetz zur Weiterbildungsstärkung, das das
Kabinett Anfang Februar beschlossen hat . Damit schließt
sich sozusagen der Kreis . Dieses Gesetz, das Frau Nahles
vorgelegt hat, bezieht sich auf die Schwächeren, die Geringqualifizierten, diejenigen, die älter sind und eine längere Arbeitslosigkeit hinter sich haben .
({2})
Die BAföG-Novelle haben wir bereits beschlossen . Die
Novelle zum Meister-BAföG beschließen wir heute . Damit ist der Bogen gespannt .
({3})
Die Große Koalition schaut nicht mit einem Tunnelblick - es ist interessant, wenn man den Tunnelblick
von denjenigen vorgeworfen bekommt, die gern mit
Scheuklappen unterwegs sind -,
({4})
sondern wir schauen auf die gesamte Bandbreite der
Menschen in der beruflichen Bildung, für die wir etwas
tun können und tun wollen .
Ich möchte gern noch auf Ihren Hinweis zu den Praktika und der Erzieherinnenausbildung eingehen, Frau
Dr. Hein. Ich finde, man kann sich das nicht so einfach
machen . Die Expertinnen und Experten in der Anhörung
haben uns gesagt: Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht . - Wir haben präzise nachgefragt . Sie aber sagen
nun: Die Gewerkschaften kennen sich damit nicht aus;
ich weiß es doch besser . - Ich frage mich, wofür wir Expertinnen und Experten einladen und anhören, wenn wir
ihnen anschließend erklären: Ihr wisst das sowieso nicht
so gut wie wir; deswegen machen wir einfach weiter wie
bisher .
Wir haben als Große Koalition gesagt: Wir prüfen
das . Es ist uns ein Anliegen, an dieser Stelle Lösungen
herbeizuführen . Wir wollen es aber da machen, wo es
hingehört . Weil uns die Expertinnen und Experten gesagt
haben: „Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht; die
Länder müssen da tätig werden“, müssen wir das freundliche Angebot von Ihnen, Ihrem Änderungsantrag zuzuDr. Rosemarie Hein
stimmen, leider noch einmal ausschlagen . Wir bleiben
bei der Regelung, die wir im Gesetz angelegt haben .
({5})
- In der Tat .
Zu den begleitenden Anträgen von Bündnis 90/Die
Grünen und von der Linken will ich jetzt nichts weiter
sagen .
({6})
Dazu habe ich schon in der ersten Lesung des Gesetzes
Stellung genommen . Dem ist nichts weiter hinzuzufügen .
Ich glaube, dass wir mit dem AFBG, dem Gesetz mit
dem etwas sperrigen Namen „Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz“
({7})
- ja, es gibt schlimmere Gesetzesnamen -, wirklich einen
tollen Beitrag leisten: für die berufliche Bildung, für die
Chancen der Menschen in diesem Land, für diejenigen,
die etwas leisten wollen und das auch können .
Es ist eine große Novelle . Ich darf allen herzlich danken, die daran mitgewirkt haben, etwa den Expertinnen
und Experten, die uns nicht nur in der Anhörung zur Verfügung standen . Ich darf natürlich auch den Haushälterinnen und Haushältern ganz herzlich danken, die maßgeblich dieses Volumen ermöglicht haben .
Ich darf mit einem freundlichen Blick auf die leider
verwaiste Länderbank
({8})
noch einmal an die Länder appellieren, im Bundesrat diesem Gesetzentwurf zuzustimmen . Ich gehe davon aus,
dass sie das auch tun, damit auch sie stolz darauf sein
können, einen großen und guten Beitrag zur Stärkung der
Meisterausbildung in unserem Land geleistet zu haben .
Herzlichen Dank .
({9})
Die Kollegin Walter-Rosenheimer erhält nun das Wort
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir haben
bereits vor einigen Wochen hier im Bundestag über das
Meister-BAföG diskutiert . In dieser Debatte haben Sie,
sehr geehrte Frau Ministerin, etwas ganz Bemerkenswertes gesagt . Ich wiederhole es hier einmal . Sie haben sinngemäß gesagt, es sei richtig, die Weiterbildungssituation
und gegebenenfalls auch die Schreckensszenarien auf
diesem Gebiet zu analysieren, entscheidend in der Politik
sei aber, dass man handle, dass man etwas mache . Ich
finde, damit haben Sie total recht. Politik bedeutet entscheiden und damit im Idealfall entschiedenes Handeln .
Wenn diesem politischen Handeln aber keine fundierte
Analyse vorausgeht, was es zu ändern gilt, dann hat man
ganz offensichtlich ein Problem; denn wer die Herausforderungen nicht kennt, handelt manchmal am Problem
vorbei .
({0})
Ich will mich an dieser Stelle aber gar nicht in Fundamentalopposition bringen . Die Reform des Meister-BAföGs ist in unseren Augen nicht der ganz große
Wurf - das wissen Sie inzwischen; das haben wir oft genug gesagt -, trotzdem finden wir - das will ich in aller
Deutlichkeit sagen -, dass das ein Schritt in die richtige
Richtung ist, wie man so schön sagt . Es stimmt ja auch:
Sie haben mit der Öffnung des Meister-BAföGs überfällige Anpassungen vollzogen . Und ja, es ist höchste
Zeit, dass in Zukunft auch Bachelorabsolventinnen und
Studienabbrecher bei Aufstiegsfortbildungen gefördert
werden können . Auch die Erhöhung von Leistungen und
Freibeträgen finden wir richtig.
({1})
- Herr Feist, Sie klatschen . Das ist ja gut .
({2})
Sie wissen, dass wir es schade finden, dass die Reform
nicht weiter gefasst ist . Ich denke, dass der eine oder andere Bildungsinteressierte in Zukunft ein paar Euro mehr
in der klammen Kasse hat. Das finden wir gut, weil wir
jeden zusätzlichen Euro für Bildung richtig finden.
({3})
- Ja .
Wer aber behauptet, mit diesen Anpassungen eine echte Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher
Bildung herzustellen, hat nicht recht . Da muss man, glaube ich, schon mehr bieten . Genau das haben übrigens vielleicht erinnern Sie sich daran - auch alle Experten
in unserem Fachgespräch, in der Anhörung im Bildungsausschuss bestätigt . Diese Reform gibt eben nicht das
notwendige Signal dafür, dass lebenslanges Lernen endlich für alle Menschen möglich wird . Daran müssen Sie
etwas ändern .
({4})
- Wir sprechen jetzt aber über das Thema, auch wenn es
nur um dieses eine Gesetz geht . Wir kritisieren ja gerade,
dass das kein größerer Wurf ist .
Wer nimmt an Weiterbildungen nicht oder viel zu
selten teil? Das sind vor allem Alleinerziehende, das
sind vor allem Frauen in den typischen Frauenberufen,
die schlechter bezahlt werden, das sind Menschen mit
Migrationshintergrund, das sind ausländische Menschen,
das sind aber auch Menschen mit geringerer Berufsqualifizierung. All denen hilft die vorgelegte Änderung beim
Meister-BAföG herzlich wenig, aber auch für diese Menschen tragen wir hier Verantwortung .
({5})
Vermutlich entgegnen Sie jetzt - das haben Sie ja
schon gesagt, Herr Feist -, dass es dafür andere Instrumente gibt: die Bildungsprämie, Bildungsgutscheine,
Bildungskredite,
({6})
Bildungsurlaub, Weiterbildungssparen, verschiedene
Länderprogramme . Das gibt es alles . Es stimmt natürlich, dass das Meister-BAföG nicht das einzige Förderinstrument ist; aber glauben Sie denn wirklich, dass die
Menschen bei dieser Vielzahl von Programmen und angesichts dieser Unübersichtlichkeit noch den Überblick
behalten? Die Weiterbildungsbeteiligung ist in Deutschland doch auch deshalb so gering, weil kaum jemand
weiß, was für Fördermöglichkeiten es gibt .
({7})
Ich sage: Schaffen Sie doch endlich Transparenz in
diesem undurchsichtigen Dschungel .
({8})
Vereinfachen Sie die Zugänge, damit auch die vorhin
genannten Menschen am lebenslangen Lernen teilhaben
können .
({9})
Dazu gehören natürlich auch transparente, niedrigschwellige, qualitativ hochwertige und flächendeckende
Beratungsangebote vor Ort .
Sehr geehrte Damen und Herren, es ist doch kein Zufall, dass in der reichen Industrienation Deutschland so
wenig Menschen am lebenslangen Lernen teilnehmen .
Das hat strukturelle Gründe . Ganz offensichtlich reichen
die derzeit bestehenden Förderinstrumente nicht aus .
({10})
Es ist Ihre Aufgabe, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen .
Frau Ministerin Wanka, Sie haben gesagt, das Meister-BAföG sei ein entscheidender Beitrag zur Fachkräftesicherung, aber es sei kein Beitrag, der die gesamte
Weiterbildungsthematik von A bis Z regle . Aber warum
eigentlich nicht? Trauen Sie es sich doch zu, die deutsche
Weiterbildung vom Kopf auf die Füße zu stellen .
({11})
Lassen Sie mich ein paar Feststellungen treffen . Sie
haben eine parlamentarische 80-Prozent-Mehrheit . Sie
sind gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften
Partner der großen Allianz für Aus- und Weiterbildung .
Der Bund hat im Jahr 2015 einen Haushaltsüberschuss
in Höhe von 12 Milliarden Euro erwirtschaftet . Bessere Voraussetzungen für eine umfassende Strukturreform
von A bis Z kann es nicht geben . Diese Chance hätten Sie
doch nutzen können .
({12})
Spätestens heute erfahren wir leider einmal mehr, dass
Ihrer Koalition trotz kräftigen Rückenwinds schnell einmal die Puste ausgeht .
({13})
- Ja . - Wie eine sozial gerechte Weiterbildungsförderung
aussehen kann, haben wir in unserem grünen Antrag zur
Bildungszeit Plus vorgelegt .
({14})
- „Atemlos durch die Nacht“? Das muss man auch als
Politikerin in diesen Tagen manchmal machen .
Wir wollen das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz so umbauen, dass es diesen Namen auch verdient .
Mit einem individuellen Mix aus Zuschuss und Darlehen können wir echte Zugangsgerechtigkeit in der Weiterbildung schaffen . Dabei wollen wir die Lebens- und
Einkommenssituation berücksichtigen und gerade die
Schwächeren fördern .
({15})
Damit auch Berufstätige breiten Zugang zu Fort- und
Weiterbildung haben, müssen endlich auch die Möglichkeiten der Arbeitszeitreduzierung ausgebaut und vereinfacht werden . Unser Konzept ist sozial gerecht . Denn es
gilt der Grundsatz: Wer weniger hat, bekommt mehr und umgekehrt .
({16})
Anders als beim Meister-BAföG sollen bei uns alle
Menschen die Möglichkeit erhalten, beruflich aufzusteigen und sich persönlich weiterzuentwickeln; denn das ist
zukunftsfähig . Auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, scheint ja langsam zu dämmern, dass
diese Bundesregierung zu wenig tut, um Geringqualifizierte zu fördern .
({17})
Ich habe Ihren Artikel in der Frankfurter Rundschau
vom 12 . Februar dieses Jahres gelesen, Herr Kollege
Rossmann, in dem es darum geht, wie eine sozial gerechte Weiterbildungsförderung aussehen könnte. Ich finde
die Ideen gut . Daran sieht man: Auch eine Zeitung kann
ein guter Ort sein, eigene Ideen darzustellen und zu kommentieren .
({18})
Aber Sie sind Teil dieser Bundesregierung,
({19})
und Sie tragen Verantwortung, die Dinge hier zu verändern; denn entscheidend ist, was hier verändert und im
Bundestag beschlossen wird .
({20})
Es tut mir leid, aber allein von Gastbeiträgen und vom
Fingerzeig auf einen unwilligen Koalitionspartner wird
kein einziger Mensch mit schlechteren Startchancen besser gefördert werden .
({21})
Ich will abschließend die Seite 24 des Koalitionsvertrages zitieren:
Angesichts des demografischen Wandels ist das lebenslange Lernen so wichtig wie nie . Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe wollen wir im Rahmen
der „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ bewältigen .
({22})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich dieser Aufgabe! Drehen Sie nicht nur an den kleinen Stellschrauben! Nutzen Sie die breite Allianz für Aus- und
Weiterbildung! Bei den Gewerkschaften stoßen Sie doch
sicher auf offene Ohren .
({23})
Wir stimmen Ihrem Gesetzentwurf heute zu . Aber wir
finden, bei der Weiterbildung bleibt noch einiges zu tun.
Wir geben die Hoffnung nicht auf,
({24})
dass lebenslanges Lernen auch in der Großen Koalition
ankommt .
({25})
Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministerin Johanna Wanka das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 724, das ist für mich heute die Zahl des Tages, weil
das Gesetz, über das wir heute befinden, bei der Vorbereitung auf sage und schreibe 724 verschiedene Fortbildungsziele in Anspruch genommen werden kann . Das tun
in dieser Republik im Moment im Schnitt 170 000 Menschen in jedem Jahr .
({0})
Das Meister-BAföG gibt es seit fast 20 Jahren, und es
ist gut . Wir hatten mehrere Novellen . Mit der jetzt vorliegenden Novelle sorgen wir dafür, dass es ein echtes
Aufstiegs-BAföG ist, dass es familienfreundlich, attraktiv und vor allen Dingen fit für zukünftige Herausforderungen ist . Das müssen wir in diesem Parlament immer
bedenken .
Meine Damen und Herren, es freut mich, dass - ({1})
Es freut mich - ({2})
Frau Ministerin, genießen Sie diese Szene in vollen
Zügen . Es kommt ganz selten vor, dass die schlichte Ankündigung, dass man sich als Mitglied der Bundesregierung freue, zu einer solch spontanen Sympathiebekundung führt .
({0})
Ich freue mich sehr, dass der Präsident diese Debatte
leitet, weil er einmal an unserem Gesetz herumgenörgelt
hat .
({0})
- Meine Damen und Herren, lachen Sie nicht so lange;
das geht von meiner Zeit ab .
Ich freue mich, dass es aus den Kreisen der Koalitionsfraktionen in Bezug auf den Gesetzentwurf Lob gibt,
dass er ihnen so gut gefallen hat und dass sie ihn noch
besser gemacht haben . Auch setze ich darauf, dass die
zusätzlichen notwendigen Finanzmittel bereitgestellt
werden .
Schauen wir uns einmal - wir haben jetzt mehrfach
darüber geredet - das Gesetz an . In ihm sind zum Beispiel Leistungsverbesserungen enthalten . Sie betreffen ich dekliniere das einmal herunter - den Zuschussanteil,
die Familienaufschläge, den Förderbetrag für das Meisterstück und weitere Dinge . Alles wird erhöht . Es gibt
weniger Bürokratie . Das Problem mit der Bürokratie
spielt hier also keine Rolle . Man kann den Förderantrag
online stellen . Vor allen Dingen wird in Bezug auf die
Teilnahmenachweise - das ist auch für die Länder sehr
wichtig - der Bürokratieaufwand im Schnitt um die Hälfte reduziert .
({1})
Das Gesetz schafft - das sage ich jetzt auch in Richtung der Grünen - vor allen Dingen für den Einzelnen
mehr Transparenz . Bisher war es deutlich komplizierter . Das Meister-BAföG hing bislang davon ab, wie die
Klassenzusammensetzung war, wie vielen es zustand et
cetera . Ab jetzt - mit Wirksamwerden dieses Gesetzes hängt es nur noch von den individuellen Voraussetzungen des Einzelnen ab, ob er Meister-BAföG bekommt .
Das ist, glaube ich, für ihn - er kann ja nicht über die
Klassenzusammensetzung oder anderes entscheiden außerordentlich wichtig .
({2})
Jetzt etwas Prinzipielles, Frau Hein; da gibt es, glaube
ich, einen ideologischen Unterschied . Wenn man gerecht
handeln will, muss man berücksichtigen, ob die Voraussetzungen bei denen, die man beurteilt oder bedenkt,
gleich oder unterschiedlich sind . Wenn quasi Äpfel und
Birnen gleich gefördert werden, dann ist das nach meiner
Auffassung nicht gerecht . Wir sagen, dass es für Alleinerziehende mit Kindern schwerer ist, eine Meisterfortbildung zu machen . Deswegen bekommen diese dezidiert
einen besonderen Zuschlag für die Betreuungskosten das ist mir sehr wichtig -, der jetzt 130 Euro beträgt, um
der besonderen Lebenssituation gerecht zu werden .
({3})
Wenn ich ausgerechnet an der Stelle höre, dass alle das
Gleiche bekommen müssen, kann ich nur sagen, dass
sich eine Familie mit eventuell sogar zwei Verdienern in
einer anderen Situation befindet.
({4})
- Ja, klar . Ich habe es kapiert .
({5})
Bei Studierenden und denen, die das Meister-BAföG
bekommen, gibt es denselben Zuschussanteil in Höhe
von 130 Euro für die Kinder . Das andere ist der zusätzliche Darlehensanteil im AFBG . Es gibt also - das war uns
wichtig - genau denselben Zuschussanteil, mit Ausnahme der Alleinerziehenden .
Meine Damen und Herren, dies ist ein sehr gutes Gesetz . Es hat aber Grenzen . Zum Beispiel regelt es nicht,
wer einen Kurs zur Alphabetisierung besuchen kann und
wie man einen zweiten Schulabschluss nachholt . Auch
regelt es nicht die Anpassungsqualifizierung für Menschen mit einer Qualifikation aus dem Ausland. Weiterhin regelt es auch nicht Dinge, die die Funktion der
allgemeinen beruflichen Weiterbildung betreffen. Das
wird - Gott sei Dank! - bei uns zu 70 Prozent von den
Betrieben geleistet . Und das soll an der Stelle auch so
bleiben . Es wird vieles über die Bildungsprämie und über
andere Maßnahmen geregelt . Das ist aber nicht Aufgabe dieses Gesetzes . Dieses Gesetz betrifft dezidiert die
Aufstiegsfortbildung für eine bestimmte Gruppe von
Menschen aus dem dualen System oder auch - da gibt
es jetzt eine entsprechende Erweiterung - aus dem Hochschulsystem .
({6})
Wir schaffen nicht nur ein attraktives Aufstiegs-BAföG
für diejenigen, die wir in den Handwerksbetrieben oder
in den großen Firmen brauchen - also für die Fach- und
Führungskräfte -, sondern auch für Pflegekräfte, für
Erzieherinnen und Erzieher . Frau Hein, wir haben hier
schon einmal darüber diskutiert: Wir brauchen eine Regelung bezüglich dieses Anteils von 70 Prozent . Das bedeutet aber, dass jemand, der einen entsprechenden Kurs
besucht, bei förderfähiger Verteilung der praktischen
Zeiten noch Anspruch auf acht Wochen Urlaub im Jahr
hat. Ich finde, das ist vertretbar. Dann kann voll durchgefördert werden . Es ist möglich, die gesamte Förderkette
in Anspruch zu nehmen . Auch Praktika können eingebaut
werden . Es gibt da also keine Förderlücke .
Ich finde es überhaupt nicht in Ordnung, dass man vorgebildete Kräfte als Erzieherinnen einsetzt und dann erwartet, dass sie ihre Tätigkeit nicht im Rahmen der regulären Praktika finanziert bekommen, sondern über einen
längeren Zeitraum mithilfe von Darlehen . Hier erwarte
ich, dass dann für sie von den Kommunen - oder wer
auch immer sie anstellt - sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze geschaffen werden . Das ist entscheidend .
({7})
- Nein, kann man nicht .
({8})
- Nein!
Die dritte Novelle, über die wir heute sprechen, ist,
was das Leistungsvolumen betrifft, mit Abstand die
größte Novelle, die wir je hatten .
({9})
Was Prozentsätze anbelangt, will ich nur ein Beispiel
eines Ehepaares anführen . Die Ehefrau, die an einem
Meisterkurs teilnimmt, bekommt jetzt gut 140 Euro mehr
im Monat . Das Entscheidende ist aber: Sie bekommt
auch 263 Euro mehr als Zuschuss ohne Rückzahlungspflicht. Das ist wichtig für die Betreffenden.
({10})
Meine Damen und Herren, ich glaube, dieser Gesetzentwurf macht Ernst mit der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung, und darüber reden
wir ja ständig . Jemand, der sich nach der Schule dazu
entschließt - auch mit Abitur -, eine duale Ausbildung zu
machen, begibt sich nicht in eine Sackgasse . Aufgrund
der praktischen Erfahrungen kann er später studieren Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
auch dann, wenn er kein Abitur hat . Wenn ihm das Studium nicht gefällt oder seine Erwartungen nicht erfüllt
werden, dann kann er in die duale Ausbildung gehen und
sich, je nach Voraussetzung, auch zum Meister ausbilden
lassen . Jemand, der einen Bachelor hat, kann jetzt nach
diesem Gesetzentwurf auch einen Handwerksbetrieb leiten, wenn er seinen Meister nachmacht .
Diese Dinge beeinflussen die Attraktivität des beruflichen Systems ganz entscheidend, und wir reden nicht
nur darüber, sondern wir handeln auch und stellen viel
Geld dafür zur Verfügung . Allein in den nächsten Jahren wird dafür fast eine Viertelmilliarde Euro zusätzlich
ausgegeben .
({11})
Meine Damen und Herren, die Attraktivität des Aufstiegs-BAföG wurde bereits erwähnt, aber es ist klar: Das
Gesetz muss auch durch den Bundesrat . Deswegen sage
ich - ich glaube aber, darin bin ich mir mit den Kollegen von der A-Seite, die hier sind, einig -, dass wir die
A-Länder vielleicht noch ein Stück gemeinsam davon
überzeugen müssen .
({12})
- Die A-Länder sind das Problem an dieser Stelle .
({13})
Aber wir werden sie überzeugen . Das wird nicht das Problem sein . Ich denke, wir kriegen das im Bundesrat hin .
({14})
Ich finde es interessant, dass immer wieder gefordert
wird, der Bund müsse hier tätig werden . Vielleicht war
ich zu lange an anderer Stelle im föderalen System aktiv,
({15})
aber für mich ist Bildung immer noch in einem großen
Maße Ländersache, und daran wollen wir vonseiten des
Bundes nichts ändern, sondern wir wollen Dinge gemeinsam machen . Diese Änderung der Aufstiegsfortbildungsförderung machen wir gemeinsam - mit einer Verteilung
von 78 zu 22 Prozent .
({16})
Auch angesichts der Redebeiträge der Oppositionsfraktionen glaube ich, dass wir auf dieses Gesetz, wenn
es im Bundesgesetzblatt steht, gemeinsam stolz sein können, und wir sollten das auch vertreten . Wenn Sie entsprechend abstimmen, können wir hier an dieser Stelle
sagen, dass es uns in diesem Parlament gelungen ist, das
erfolgreichste, wichtigste und bedeutendste Förderinstrument, das wir im Bereich der Ausbildung haben,
({17})
weiter zu stärken und zu verbessern .
Danke schön .
({18})
Hubertus Heil von der SPD ist nun der nächste Redner .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Leistung und nicht Herkunft soll
zählen . Mit diesem Gesetzentwurf machen wir deutlich,
dass wir in diesem Land auch Aufstieg durch Fortbildung
wollen und dass wir Menschen, die sich anstrengen, die
sich im Job weiterbilden und vorankommen wollen, unterstützen und Hürden aus dem Weg räumen . Deshalb ist
das ein guter Gesetzentwurf .
({0})
Das reiht sich ein - die Ministerin, der Kollege Rabanus
und Herr Dr . Feist haben Details des Gesetzentwurfes
schon referiert - in eine ganze Kette von Maßnahmen,
die wir auf den Weg gebracht haben, um die berufliche
Bildung in diesem Land voranzubringen .
Ich will auch noch einmal daran erinnern, was wir mit
diesem Gesetzentwurf insgesamt auf den Weg bringen:
die Öffnung der Förderung für die Bachelorabsolventen,
die Anhebung der Unterhaltsbeträge, den einkommensunabhängigen Kinderbetreuungszuschlag für Alleinerziehende, das Attraktivitätspaket Meisterstück, die Erhöhung des maximalen Maßnahmenbeitrages und die
Erhöhung des Vermögensfreibetrages .
Daneben ist mir ganz wichtig - das ist uns im Gesetzgebungsverfahren gelungen -, dass wir auch dafür
gesorgt haben, dass der Zuschuss für Maßnahmen auf
40 Prozent erhöht wird . Überall wird über Gebührenfreiheit in der Bildung geredet. Das finden wir Sozialdemokraten auch richtig . Ich denke beispielsweise an die Abschaffung der Studiengebühren, die bundesweit gelungen
ist . Wir sorgen nun dafür, dass auch die Meistergebühren
für die betroffenen Menschen gesenkt werden . Das ist ein
ganz wesentlicher Schritt .
({1})
Gemeinsam haben wir als Koalitionsfraktionen aus
einem guten Gesetzentwurf einen noch besseren Gesetzentwurf gemacht . Frau Wanka, deshalb sind wir nicht nur
diejenigen, die Sie auf diesem Weg unterstützen, sondern
wir selbst sind ein bisschen stolz darauf, dass wir das
gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen geschafft haben . Den Haushältern und den Berichterstattern, Herrn
Dr . Feist und Herrn Rabanus, ist zu Recht gedankt worden . Das ist ein richtig guter Gesetzentwurf geworden .
Damit können wir uns wirklich sehen lassen . Dafür ganz
herzlichen Dank!
({2})
Aber ich habe es schon gesagt: Das ist eine ganz
zentrale Maßnahme, die wir heute mit der zweiten und
dritten Lesung abschließen . Frau Ministerin, ich bin mir
sicher, dass das Signal, das Sie an alle Länder gegeben
haben, unser gemeinsames Signal ist . Wir stehen gemeinsam in der Verantwortung für das Meister-BAföG;
auch das sagen wir sehr deutlich . Wie gesagt: Es ist eine
zentrale Maßnahme, um Hürden tatsächlich wegzuräumen und gleichzeitig für die Attraktivität der beruflichen
Ausbildung in diesem Land zu sorgen . Wir geben auch
denjenigen eine Perspektive, die sich im Beruf fortbilden
wollen . Damit sorgen wir für Durchlässigkeit .
Das Ganze reiht sich in ein größeres Maßnahmenpaket der gesamten Bundesregierung ein . Mit der Allianz
für Aus- und Weiterbildung - das ist mir ganz wichtig ist es dieser Regierung gemeinsam mit den Sozialpartnern gelungen, einem Trend entgegenzuwirken, der in
den letzten Jahren leider um sich gegriffen hat, dass nämlich fast alle nach Fachkräften rufen, aber die Zahl der
beruflichen Ausbildungsplätze in den letzten Jahren eher
zurückgegangen ist . Wir haben im Rahmen der Allianz
für Aus- und Weiterbildung - dafür hat sich federführend
Minister Gabriel eingesetzt - gemeinsam mit den Sozialpartnern, der Wirtschaft und den Gewerkschaften dafür
gesorgt, dass es eine Trendumkehr gegeben hat . Es gibt
wieder mehr Ausbildungsplätze in Deutschland . Das ist
die erste gute Nachricht für junge Menschen .
({3})
Die zweite gute Nachricht ist, dass wir im Rahmen der
Allianz für Aus- und Weiterbildung über öffentliche Unterstützung vor allen Dingen etwas für die jungen Menschen getan haben, die es besonders schwer haben . Wir
unterstützen zum Beispiel benachteiligte junge Menschen
mit Maßnahmen der Assistierten Ausbildung . Damit machen wir deutlich: Wir lassen kein Kind und keinen Jugendlichen zurück . Wir wollen nicht länger zusehen, dass
noch immer 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und
30 Jahren ohne jede Form von beruflicher Erstausbildung
dastehen . Wir können nicht über Fachkräftemangel jammern und diesen jungen Menschen keine zweite Chance
geben . Auch da haben wir uns auf den Weg gemacht .
({4})
Jetzt kommt, wie gesagt, das Meister-BAföG für diejenigen, die schon qualifiziert sind und nach vorne wollen.
Das hat noch einen weiteren Effekt: Wenn diese Menschen Meister werden, sind das auch mögliche Ausbilder .
Insofern ist das eine richtig gute Tat . Wir haben auch für
Durchlässigkeit im Bereich des Bachelors gesorgt . Wir
werden mit dem BBiG die Strukturen im Bereich der beruflichen Bildung noch in dieser Legislaturperiode weiter
zu modernisieren haben .
Warum erwähne ich das alles? Weil mir angesichts
bestimmter Debatten, die unter dem Stichwort „Akademisierungswahn“ geführt werden, ein bisschen bange
ist . Es ist richtig: Es ist der Öffentlichkeit und uns allen
in den letzten Jahren zu wenig bewusst gewesen - das
stand zu wenig in den Zeitungen -, welchen Wert wir in
Deutschland mit unserer speziellen beruflichen Ausbildung im dualen System, aber auch im berufsfachlichen
Bereich im Vergleich zu anderen Ländern haben . Da sind
OECD-Studien falsch gelesen worden, als es die Diskussion über die Akademisierung gegeben hat . Wir sind mit
Portugal und Spanien verglichen worden . Heute wissen
wir: In diesen Ländern gibt es unsere Form der Ausbildung nicht . Das ist ein Grund für die hohe Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern .
Wir müssen nur ein bisschen aufpassen, dass das Pendel jetzt nicht in die falsche Richtung ausschlägt . Es geht
nicht an, dass wir akademische und berufliche Bildung
gegeneinander ausspielen .
({5})
Das tun einige in der öffentlichen Debatte .
({6})
Darunter ist auch jemand, den ich persönlich gerne mag
und der diesen Begriff mit erfunden hat - ein Philosoph
aus München .
Ich sage an dieser Stelle: Das ist kein Nullsummenspiel . Wir setzen auf Gleichwertigkeit und auf Durchlässigkeit, weil wir alle Potenziale und Talente in diesem
Land zur Entfaltung bringen wollen . Mit dem Meister-BAföG öffnen wir dafür Wege . Deshalb ist das ein
guter Tag für die berufliche Bildung und für das Bildungssystem insgesamt . Es ist ein guter Tag für viele
Menschen in Deutschland, die demnächst eine Chance
haben werden, die sie bisher nicht gehabt haben .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Das Wort erhält nun die Kollegin Lena Strothmann für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das deutsche Handwerk begrüßt
die Verbesserungen zum Meister-BAföG sehr .
({0})
Ich will jetzt nicht alle Punkte noch einmal aufzählen;
vieles ist schon gesagt . Aber mir als Handwerksmeisterin
sind drei Punkte besonders wichtig .
Der erste Punkt ist die Verbesserung der Unterhaltsförderung inklusive der Förderelemente, damit auch Familienangehörige einbezogen werden können . Im Handwerk
nehmen traditionell sehr viele an den Vollzeitlehrgängen
teil . Die Absicherung des Familieneinkommens ist oft
ausschlaggebend, damit junge Menschen überhaupt an
einem Lehrgang teilnehmen .
Zweiter Punkt . Wichtig ist auch die Erhöhung des Zuschusses zu den Unterhaltskosten auf 50 Prozent wie bei
den Studenten. Die Gleichwertigkeit der beruflichen und
Hubertus Heil ({1})
akademischen Bildung muss eben auch gelten, wenn es
um die finanzielle Förderung geht.
({2})
Der dritte Punkt ist die Erhöhung des maximalen Förderbeitrages für das Meisterstück . Denn das Meisterstück
ist oft nicht nur sehr teuer in seiner Anfertigung; es ist
auch für jeden Meister von hohem ideellen Wert .
({3})
Bei so manchem Tischler steht heute noch sein Meisterstück im Wohnzimmer . Ich muss gestehen: Auch ich
habe mein Meisterstück voller Stolz viele Jahre getragen .
({4})
- Das erzähle ich Ihnen später .
Meine Damen und Herren, heute ist ein guter Tag für
das Handwerk . Denn wir verbessern heute nicht nur das
Meister-BAföG; wir stärken auch die duale Ausbildung .
Sie verbindet die Theorie mit der Praxis und erleichtert
so den jungen Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt . Die duale Ausbildung ist damit auch der Garant
für unsere niedrige Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Vergleich .
({5})
Ich kann deswegen das Vorgehen der EU-Kommission überhaupt nicht nachvollziehen . Auf der einen Seite
bewertet sie das duale System als Best Practice und empfiehlt es den südeuropäischen Ländern zur Bekämpfung
der hohen Jugendarbeitslosigkeit . Auf der anderen Seite
stuft sie den Meisterbrief aber als Hemmnis für den Berufszugang und für den Binnenmarkt ein .
Meine Damen und Herren, zur dualen Ausbildung in
Deutschland gehört der Meisterbrief .
({6})
Er ist und bleibt die Krönung der beruflichen Ausbildung . Das muss auch Brüssel begreifen . Im deutschen
Handwerk werden 371 000 junge Menschen von Meistern ausgebildet . Deswegen müssen wir auch weiterhin
für den Meisterbrief kämpfen . Ich bin froh, dass wir uns
in diesem Hohen Haus einig sind . Ich erinnere an unseren
gemeinsamen Antrag zum Meisterbrief, den Antrag zur
Transparenzinitiative und den Antrag zur Binnenmarktstrategie .
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch
im eigenen Land noch ein bisschen mehr für die duale
Ausbildung tun. Ich finde es fatal: In Europa wird unser
System hoch gelobt . Aber im eigenen Land verliert es an
gesellschaftlicher Akzeptanz, ganz nach dem Motto „Der
Prophet gilt nichts im eigenen Land“ . Denn für viele
Schulabgänger und Eltern ist die duale Ausbildung leider
nur noch zweite Wahl . Fast 60 Prozent der jungen Menschen eines Jahrgangs streben ein Hochschulstudium an,
Tendenz steigend . Wir rechnen damit, dass es 2020 ungefähr 80 Prozent sind .
Darum fehlen uns im Handwerk geeignete Auszubildende, während die Unis unter dem großen Andrang
stöhnen . Bachelor und Meister sind auf dem Papier
gleichgestellt . Dafür haben wir hart gekämpft . Aber das
muss noch in den Köpfen von Lehrern, Eltern und Schülern ankommen .
({7})
Der akademische Berufsweg ist eben nicht immer
der Königsweg . Gerade in den technischen Studiengängen haben wir hohe Abbrecherquoten . Zur Wahrheit gehört auch - und das muss auch einmal gesagt werden -,
dass ein Meister oder Facharbeiter oft mehr verdient als
manch junger Akademiker . Was mich noch mehr erschüttert, ist, dass viele jungen Menschen in unserem Land die
unterschiedlichen Berufsbilder und Karrieremöglichkeiten im Handwerk nicht kennen .
({8})
Das Handwerk bietet mehr als 130 Ausbildungsberufe . Das Handwerk ist innovativ . Das Handwerk ist kreativ, und das Handwerk ist vor allem Hightech . Da ist
für jeden etwas dabei . Es gibt viele individuelle Karrieremöglichkeiten von der Ausbildung bis hin zum Studium oder zu der Chance, ein eigenes Unternehmen zu
gründen, Stichwort: „Karriere mit Lehre“ . Hier muss die
Berufsorientierung unbedingt noch mehr leisten, vor allen Dingen an den Gymnasien .
({9})
Meine Damen und Herren, wir fördern mit den Verbesserungen beim Meister-BAföG auch den Weg in die
Selbstständigkeit . Das ist für das Handwerk, aber auch
für die gesamte deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung . Denn leider ist die Neigung der jungen Menschen
zur Selbstständigkeit in den letzten Jahren stark rückläufig.
Das Handwerk braucht nicht nur Auszubildende und
Fachkräfte, sondern auch junge Unternehmer, die zum
Beispiel einen Betrieb übernehmen . Denn sonst brechen
uns mit jeder Betriebsaufgabe Arbeits- und Ausbildungsplätze weg . Das hat dramatische Folgen . Denn nach einer
Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks
aus dem vergangenen Jahr stehen bis zum Jahr 2020
hochgerechnet 180 000 Unternehmen zur Übergabe an,
weil die Unternehmer in den Ruhestand gehen . Deswegen ist es so wichtig, dass wir heute das Meister-BAföG
verbessern . Wir brauchen mehr junge Menschen, die den
Schritt in die Selbstständigkeit wagen .
Mein Fazit: Wir können mit diesem Gesetz sehr zufrieden sein . Es ist ein großer Schritt in die richtige
Richtung, ein deutlicher Beitrag zur Gleichstellung von
beruflicher und akademischer Bildung. Unser nächstes
gemeinsames Ziel sollte dann die vollständige finanzielle
Gleichstellung sein . Darüber sollten wir in Zukunft reden .
Herzlichen Dank .
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Dieter
Rossmann für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kollege Feist hat aktuelle Beispiele aus Sachsen genannt . Nun müssen Sie verstehen, dass ich, der ich
als Sozialdemokrat zum Meister-BAföG spreche, in diesem Zusammenhang auf August Bebel aus Sachsen als
den Urvater aller Sozialdemokraten hinweise . 14 Jahre
alt war er, als er die Lehre zum Drechsler begann . 18 Jahre alt war er, als er auf Wanderschaft ging . 24 Jahre alt
war er, als er einen gutgehenden Drechslermeisterbetrieb
gegründet hat .
({0})
Lassen Sie uns aber nicht zu tief in die Eingeweide des
Parlamentarismus eintauchen . Nur noch so viel: Dem
ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert wurde von konservativ-bürgerlicher Seite immer vorgeworfen, er sei ja
nur Sattlergeselle . Hieran sieht man gut, was sich im Hinblick auf die Gleichwertigkeit von handwerklicher und
akademischer Ausbildung verändert hat .
Ich komme in die Gegenwart zurück . Frau Strothmann
hat in ihrer Rede aufgezeigt, dass es aktuell wichtig ist,
nicht nur diejenigen, die ihre Leistungsfähigkeit weiterentwickeln wollen, zu fördern, nicht nur Qualität zu
sichern und Ausbildung zu ermöglichen, sondern auch
für Nachwuchs für das kleine und mittlere Gewerbe im
Handwerk, aber auch für andere Bereiche zu sorgen . Dafür brauchen wir dieses Gesetz .
Frau Strothmann, Sie haben prägnante Zahlen genannt . Ich möchte noch welche hinzufügen . Jedes Jahr
machen rund 540 000 Menschen einen Ausbildungsabschluss . Aber nur rund 110 000 Menschen machen einen
Aufstiegsabschluss . Diese Lücke zu schließen und dafür
zu sorgen, dass mehr Menschen einen Aufstiegsabschluss
machen, ist wichtig; denn erst diejenigen, die einen solchen Abschluss machen, können in eine Betriebsnachfolge eintreten .
({1})
Um noch mehr erklärende Zahlen zu nennen: Die
Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass das
Meister-BAföG gut angenommen und mittlerweile
von 170 000 Menschen genutzt wird . Aber von diesen
170 000 Menschen absolvieren nur 50 000 eine handwerkliche Meisterausbildung. 80 000 befinden sich in
einer Techniker- oder Fachwirteausbildung . Hinzu kommen die Restgrößen in Pflege und Erziehung. Nicht,
dass Sie das falsch verstehen, aber das sind die kleinsten
Gruppen . Die Zahl derjenigen, die eine handwerkliche
Meisterausbildung absolvieren, muss erhöht werden .
Sonst bleibt die Lücke zu groß und haben wir nicht den
Hintergrund für das, was wir in Europa verteidigen wollen, nämlich den leistungsfähigen handwerklichen Mittelstand, der für Ausbildung, Qualität und wirtschaftliche
Entwicklung wichtig ist .
Frau Walter-Rosenheimer, Sie haben die Transparenz
angesprochen . Ich möchte in diesem Zusammenhang
eine Aufgabe ansprechen, die wir als Parlamentarier,
egal von welcher Fraktion, bei einer einstimmigen Beschlussfassung zu diesem Fördergesetz haben . Wir selber
müssen für dieses Gesetz werben . Wir können damit unvergleichlich besser werben als mit dem, was wir bisher
hatten, allein schon von den Kerndaten her . Wie Sie wissen, gab es früher einen Zuschuss von 44 Prozent . Nun
liegt er bei 50 Prozent . Bislang lag der Zuschuss zum
Maßnahmebeitrag bei 30,5 Prozent . Nun sind es 40 Prozent . Bisher lag der Bestehenserlass, der sogenannte Erfolgsbonus, bei 25 Prozent . Jetzt werden es 40 Prozent
sein . Wir können sehr gut damit werben und allen sagen:
50, 40, 40, das ist eine klare, transparente Förderleistung .
Wenn du das umrechnest, dann stellst du fest, dass das
mehrere Tausend Euro mehr sind, die du als Entlastung
erhältst, wenn du dich auf den beschwerlichen und engagierten Weg einer Aufstiegsfortbildung machst . - Das
müssen die Menschen wissen, damit sie es Kollegen und
in der Verwandtschaft erzählen können . Dann kann ein
Sog entstehen, sodass in Zukunft möglichst nicht nur
50 000, sondern 70 000 oder 80 000 Menschen eine handwerkliche Meisterausbildung und sogar 100 000 Menschen in der Industrie eine Technikerausbildung bzw .
eine Ausbildung als Fachwirt absolvieren . Auch in den
Pflege- und Erziehungsberufen sollte es einen ähnlichen
Anstieg geben .
({2})
Das Gesetz schafft eine positive Stimmung und eröffnet
uns entsprechende Chancen .
Frau Ministerin, ein weiterer wichtiger Punkt ist im
Hinblick auf die Gleichwertigkeit von handwerklicher
und akademischer Ausbildung, dass wir nun den Umstieg
vom akademischen Bachelor auf den beruflichen Meister
erstmals in die Förderfähigkeit einbeziehen . Das Gegenstück mit aufzunehmen, was die Linke hier anspricht,
wird Aufgabe zukünftiger Reformen sein .
Nun hatte die Kollegin Walter-Rosenheimer die Förderung der zweiten Chance angesprochen, zum Beispiel
mit Blick auf solche, die bisher keinen Berufsabschluss
hatten, sich aber noch in höherem Alter anstrengen, einen
solchen Berufsabschluss zu machen . Das ist nicht nur ein
Zeitungsartikel in der Frankfurter Rundschau gewesen,
sondern viel wichtiger ist: Wir haben schon den entsprechenden Kabinettsbeschluss dazu . Dies wird als Weiterbildungsförderungsgesetz vom Kabinett der Großen Koalition so eingebracht .
({3})
Diejenigen, die zu einem späteren Zeitpunkt als zweite
Chance eine Berufsausbildung abschließen wollen, bekommen zur Zwischenprüfung 1 000 Euro und zur Endprüfung 1 500 Euro als materielle Belohnung . Die Große
Koalition hat dies im Kabinett auf den Weg gebracht, um
den Ausgleich in Bezug auf die Anstrengungen auf allen
Wegen zu schaffen .
({4})
Herr Kauder, das ist wunderbar: Frau von der Leyen
hat es noch abgelehnt; in der Großen Koalition kann Frau
Nahles das ins Kabinett und ins Parlament einbringen .
Das macht uns glücklich .
({5})
Vielen ist gedankt worden, etwa der Ministerin, den
Haushältern und den Berichterstattern . Ich möchte einen
besonderen Dank an die Fachkräfte auf der letzten Reihe
der Regierungsbank richten . Denn sie haben uns bis ins
letzte Detail bei diesem Gesetzesvorhaben beraten können .
Ich will noch etwas aus dem persönlichen Bereich
aus Schleswig-Holstein erzählen . Wir Abgeordnete aus
Schleswig-Holstein haben traditionell nicht nur Wirtschaftsjunioren und Gewerkschaftsvertreter als Praktikanten im Parlament . Wir haben Jahr für Jahr gestandene
Handwerksmeisterinnen und -meister zu einem einwöchigen Praktikum bei uns im Bundestag . Das ist wunderbar . Schon zwei Meister für Heizung, Sanitär, Klimatechnik, ein Schmiedemeister und ein Maurermeister konnten
bei mir im Parlament auch die Gleichwertigkeit von parlamentarischer und handwerklicher Arbeit kennenlernen .
Herr Kollege .
Ich möchte an dieser Stelle alle ermutigen: Holen Sie
sich das Handwerk, holen Sie sich die Meister in die Büros . Das ist für beide Seiten wichtig .
({0})
Ich persönlich möchte dieses Gesetz den Meistern, die
bei mir waren, widmen . Ich kann sagen: Sie haben genügend Druck für ein gutes Gesetz gemacht, und sie werden
jetzt erfahren, dass dieser überzeugende Druck auch dazu
geführt hat, dass das ganze Parlament einstimmig einem
solchen Gesetzentwurf zustimmt .
Danke schön .
({1})
Wolfgang Stefinger ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Deutschland ist wirtschaftlich stark . Das liegt
auch daran, dass wir ein starkes Berufsausbildungssystem haben . Unser betriebliches Ausbildungssystem ist
jedem anderen überlegen . Nicht Länder mit hohen Akademikerquoten verfügen über eine hohe Wirtschaftskraft
und eine geringe Jugendarbeitslosigkeit, sondern Länder
mit einem betrieblichen Berufsausbildungssystem wie
die Bundesrepublik Deutschland .
Deutschland hat die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit
in Europa . Die Vorteile unseres Systems liegen auf der
Hand; das ist schon gesagt worden . Die Ausbildungsinhalte richten sich nämlich nach dem betrieblichen Bedarf .
Das heißt: Was gebraucht wird, wird auch vermittelt . Praxis und Theorie stehen gleichermaßen im Mittelpunkt der
Ausbildung .
Unser Ziel ist es, junge Menschen für eine betriebliche
Berufsausbildung zu begeistern . Wir wollen motivieren,
unterstützen und vor allem aufzeigen, dass mit einer Berufsausbildung alle Wege offenstehen . Bei uns gibt es
keinen Abschluss ohne Anschluss . Das ist die Realität in
Deutschland .
({0})
Vor wenigen Wochen habe ich wieder als Gastdozent
an der Hochschule München ein Seminar im Studiengang Unternehmensführung gehalten . Der Studiengang
ist gemeinsam mit der Handwerkskammer für München
und Oberbayern entwickelt worden . 25 hochmotivierte
Handwerker aus allen Bereichen, Techniker und Fachwirte, bilden sich fort . Sie studieren ohne Abitur . Ich
muss Ihnen sagen: Ich finde es großartig - von der Werkbank in den Hörsaal, in Deutschland alles möglich .
Wir sprechen von der Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung . Wir haben bereits eine
BAföG-Reform für Schüler und Studenten beschlossen .
Jetzt ist die berufliche Bildung an der Reihe. Die Aufstiegsfortbildungsförderung, kurz: das Meister-BAföG,
wird verbessert, angehoben und entbürokratisiert . Wir
halten damit Wort: Die berufliche Aus- und Weiterbildung ist uns genauso wichtig wie die Hochschulbildung .
({1})
Das unterstreicht nicht nur der heute vorliegende Gesetzentwurf, sondern auch der fast parallel zu dieser Debatte stattfindende Besuch der Bundeskanzlerin auf der
Internationalen Handwerksmesse in meinem Münchener
Wahlkreis, auf der sich über 1 000 Aussteller aus über
60 Gewerken präsentieren und die nicht nur über ihre
teils innovativen Produkte, sondern auch über mögliche
Berufe und Karrierewege informieren .
({2})
Das Meister-BAföG ist eine beeindruckende Erfolgsgeschichte . In den letzten 20 Jahren wurden 1,7 Millionen Menschen mit rund 7 Milliarden Euro gefördert .
Ohne diese Förderung hätten wir heute zigtausend weniger Techniker und Meister in unserem Land und damit
niemanden, der unsere kleinen und mittelständischen BeDr. Ernst Dieter Rossmann
triebe führen könnte . Wir wollen diesen Erfolg fortsetzen . Deshalb ist die vorliegende Reform so wichtig .
Durch den Geburtenrückgang und die gestiegene Studienneigung kommt das Berufsausbildungssystem immer stärker unter Druck . Wir müssen deshalb weg von
dem Bild, dass in erster Linie akademische Abschlüsse
anzustreben sind . Es muss das Motto gelten: Lieber eine
ordentliche Berufsausbildung als ein schlechtes Studium .
({3})
Wir erleben bereits heute, dass Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben . Unternehmen bekommen teilweise nicht
eine einzige Bewerbung auf ausgeschriebene Lehrstellen . Gleichzeitig arbeitet jeder fünfte europäische Akademiker in einem Beruf, für den kein Studium notwendig
wäre . Bis 2020 fehlen bis zu 1,4 Millionen Fachkräfte
im technischen Bereich . Deswegen stärken wir mit dieser
Reform das Berufsausbildungssystem . Wir motivieren,
wir setzen Anreize, wir schaffen Erleichterungen durch
Flexibilisierung, wir geben mehr Unterstützung, wir erhöhen die Förderung für das Meisterstück, und wir setzen Anreize durch einen Erfolgsbonus bei Bestehen der
Prüfung .
({4})
Wir erhöhen auch den Unterhaltsbetrag und den Zuschuss für die Kinderbetreuung und berücksichtigen die
Pflege von Angehörigen.
Die beruflichen Aussichten für Lehrberufe sind gut,
sie sind sogar sehr gut . Tausende Betriebe suchen in den
nächsten Jahren einen Nachfolger . Wenn wir die Einkommensentwicklung bei Handwerksmeistern anschauen, dann stellen wir fest, dass der alte Satz stimmt: Das
Handwerk hat goldenen Boden .
Heute ist ein guter Tag für unser Land, ein guter
Tag für die berufliche Ausbildung in Deutschland. Wir
stärken die berufliche Bildung und sorgen dafür, dass
Deutschland stark bleibt .
Vielen Dank .
({5})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes . Der
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/7676, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/7055
in der Ausschussfassung anzunehmen .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf der Drucksache 18/7695 vor, über den wir
zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit
ist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke ist der Gesetzentwurf
damit in zweiter Beratung mit den übrigen Stimmen des
Hauses angenommen .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Das
wird reichen . Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Auch
das reicht . Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gerade
genannten Stimmenverhältnis, also mit Zustimmung der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke, angenommen . Ich schließe mich den mehrfach vorgetragenen
Glückwünschen an alle Beteiligten gerne an .
Unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses auf der Drucksache 18/7676
empfiehlt dieser, eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist bei Stimmenthaltung der Oppositionsfraktionen diese Beschlussempfehlung angenommen .
Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung auf der Drucksache 18/7676
fort und kommen unter dem Tagesordnungspunkt 19 b
zu der Beschlussempfehlung unter Buchstabe c, die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7234 zu beschließen; hier geht es um einen
Antrag mit dem Titel „Durchlässigkeit in der Bildung
sichern, Förderlücken zwischen beruflicher Bildung und
Studium schließen“ . Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalition angenommen .
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 18/7239 mit dem Titel „Bildungszeit PLUS Weiterbildung für alle ermöglichen, lebenslanges Lernen
fördern“ . Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist
auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen angenommen .
Damit kommen wir nun zum Tagesordnungspunkt 20:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Roland Claus, Sigrid Hupach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Finanzierung der Wissenschaft auf eine arbeitsfähige Basis stellen - Bildung und Forschung in förderbedürftigen Regionen solide
ausstatten
Drucksache 18/7643
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Auch dazu
sehe ich keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Die Linke beantragt, das gesamte Wissenschafts- und Forschungssystem, insbesondere in förderbedürftigen Regionen, auf solide Füße zu stellen .
({0})
Das ist erforderlich, weil die Regierung von Union und
SPD im Exzellenzwahn feststeckt .
({1})
Ja, Spitzenforschung aus Deutschland wurde weltweit
sichtbarer; das haben Sie erreicht . Aber dafür zehrt die
Forschungsbasis von ihrer Substanz, und dieser Preis ist
zu hoch .
({2})
Lehrkräfte fehlen an Schulen und Hochschulen . Bibliotheken können neue Technik und Literatur, auch Onlineausgaben, nicht im notwendigen Umfang bereitstellen . Unser Wissenschafts- und Forschungsnachwuchs
lernt in überfüllten Hörsälen und Laboren . Sie von der
Koalition vernachlässigen die Basis, und damit gefährden Sie perspektivisch auch die Leistungen der Spitze .
({3})
Die Linke fordert in ihrem Antrag, die Wissenschaftsund Forschungseinrichtungen insgesamt zu stärken . Ein
gravierendes Problem ist die mangelnde Finanzkraft
vieler Bundesländer . Das Kooperationsverbot im Bildungsbereich behindert die Beteiligung des Bundes bei
der Schulfinanzierung. Das Kooperationsverbot gehört
abgeschafft .
({4})
Der bis 2020 befristete Hochschulpakt muss dauerhaft
fortgesetzt werden . Die für 2017 geplante Erhöhung der
Bundeszuschüsse zum Hochschulpakt begrüßt die Linke
und fordert ab 2018 eine jährliche Steigerung um 3 Prozent .
In Thüringen werden 2016 über 800 neue Lehrerinnen
und Lehrer in die Schulen kommen . Bundesweit stellen die Länder Pädagogen ein . Aber es fehlt inzwischen
massiv an Nachwuchskräften . Deshalb will die Linke
50 000 Studienplätze für die Ausbildung von Lehrkräften
mit Bundesmitteln schaffen .
({5})
Sie von der Union reden immer gern von der Industrie 4 .0 . Doch Sie vergessen: Industrie 4 .0 verlangt einen
höheren Anteil an bestausgebildeten Spezialisten . Warum schaffen Sie nicht die notwendigen Studienplätze?
Die Linke weiß, dass im Sozialbereich, in der Verwaltung und auch bei der Integration deutlich mehr Fachkräfte benötigt werden . Deshalb wollen wir zusätzliche
80 000 Studienplätze für Fachkräfte im Sozialbereich,
für kleine und mittlere Unternehmen, für Verwaltungen,
für die Wissenschaft, für die Industrie und auch für die
Integration ausländischer Studentinnen und Studenten
schaffen .
({6})
Vor wenigen Wochen, Mitte Dezember, hatte die Koalition eine Verbesserung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in der Größenordnung einer homöopathischen
Dosis beschlossen . Sie haben versagt . Der Befristungswahnsinn mit sechs Einjahresverträgen eines Wissenschaftlers, der aber stets im gleichen Labor arbeitet, der
Mangel an Dauerstellen, all das droht weiterzugehen,
und das will die Linke verändern .
({7})
Von unseren jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erwarten wir, dass sie die kulturelle und
technologische Zukunft unseres Landes mitgestalten und
entwickeln . Sie von der Union speisen 80 Prozent mit
befristeten Verträgen ab und verhindern planbare Lebenswege .
({8})
Das ist unwürdig und gefährlich .
Wie sollen unter diesen Bedingungen unsere Hochschulen und Forschungsinstitute die klügsten Köpfe halten gegen die verlockenden Angebote aus Wirtschaft, Industrie und dem Ausland?
({9})
Hunderttausende Wissenschaftlerinnen und Doktoranden
warten bisher vergeblich auf eine Verbesserung ihrer Zukunftschancen in Deutschland . Deshalb fordert die Linke
ein zehnjähriges Anreizprogramm mit 100 000 unbefristeten Stellen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen .
({10})
- Schön . Ich freue mich darauf .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ein weiterer Punkt . Der Hochschulbau war bis 2006
eine im Grundgesetz verankerte Gemeinschaftsaufgabe .
Sie wurde 2006 mit der Föderalismusreform abgeschafft .
In drei Jahren laufen die als Ausgleich vereinbarten
Kompensationsmittel des Bundes endgültig aus .
({11})
Sollen dann die Bildungschancen von der Finanzkraft der
Länder abhängen? Machen wir den Hochschulbau wieder
zur Gemeinschaftsaufgabe, verankert im Grundgesetz .
({12})
Anders kommt keine Chancengleichheit zwischen den
Regionen zustande .
({13})
Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen hat
die Hochschulausstattung bereits 2015 um 40 Millionen
Euro erhöht . Im Jahr 2017 wird die Linke in Thüringen
zusammen mit SPD und Grünen den Hochschuletat um
weitere 60 Millionen Euro - das sind 10 Prozent mehr auf insgesamt 640 Millionen Euro steigern .
({14})
In der Summe wachsen in Thüringen im Jahr 2017
die Bildungsausgaben um fast 300 Millionen Euro im
Vergleich zu den Ausgaben der letzten CDU-geführten
Landesregierung . Mehr kann der Freistaat Thüringen für
unseren Fortschritt nicht stemmen, und anderen Bundesländern geht es ähnlich . Deshalb: Arbeiten Sie in den
Ausschüssen mit an unserem Antrag . Die Bundesregierung muss endlich Verhandlungen mit den Bundesländern starten, um die Grundfinanzierung an Hochschulen
und Forschungseinrichtungen solide und dauerhaft zu
finanzieren.
({15})
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die
Zukunft von Forschung und Wissenschaft in unserem
Land und um eine Zukunft für den wissenschaftlichen
Nachwuchs in der Bundesrepublik .
Vielen Dank .
({16})
Das Wort erhält nun der Kollege Stefan Kaufmann für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke, Herr Lenkert,
ist für mich ein gutes Beispiel dafür, wie Wissenschaftspolitik nicht funktionieren kann .
({0})
Der Bund soll unendlich große Milliardensummen zahlen; aber die Länder entscheiden . Für mich ist dieser
Antrag deshalb einfach nur eine dreiste Wunschliste,
nach dem Motto: Bezahlt mal alles, und wir machen das
schon . - So geht es sicherlich nicht .
({1})
Unter Punkt 4 wird beispielsweise - Sie haben es
gesagt - ein Anreizprogramm für zehn Jahre für die
Einrichtung von 100 000 unbefristeten Stellen an den
Hochschulen gefordert . Ich habe einmal nachgerechnet:
Bei angenommenen 50 000 Euro Personalkosten pro
Stelle und pro Jahr inklusive Steuern und Sozialabgaben
würden die Kosten bei sage und schreibe 5 Milliarden
Euro pro Jahr liegen . Über zehn Jahre gerechnet würde die Umsetzung Ihrer Forderung Kosten in Höhe von
50 Milliarden Euro bedeuten . 50 Milliarden Euro - Herr
Lenkert, ich glaube, Sie sehen selber, dass das keine seriöse und keine konstruktive Opposition sein kann .
({2})
Ich darf noch zwei andere Punkte aus Ihren Forderungen herausgreifen .
Erstens . Sie fordern einmal mehr die Aufhebung des
Kooperationsverbotes im Bildungsbereich .
({3})
Diese Forderung ist ja nun altbekannt;
({4})
aber sie ist mit Blick auf die Kulturhoheit der Länder sowie der von Ihnen selbst angestrebten einseitigen finanziellen Mehrbelastung des Bundes zugunsten der Länder
schlicht und einfach abzulehnen .
({5})
- Herr Mutlu, Sie können noch so viel schreien, daran
ändert sich nichts .
({6})
Können wir uns darauf verständigen, dass im Augenblick der Kollege Kaufmann das Wort hat und die anderen nachher zu Wort kommen?
({0})
Herr Mutlu, Herr Lenkert, zum Kooperationsverbot:
Wer umfassende Mitfinanzierung fordert, übersieht, dass
er sich damit auch gegen die Zuordnung von Verantwortlichkeiten stellt . Unklare Zuständigkeiten führen dazu,
dass die Verantwortung abgeschoben wird und am Ende
keiner das Problem löst, meine Damen und Herren .
({0})
Im Übrigen: Schon heute engagiert sich der Bund finanziell in der Bildung so stark und umfassend wie nie
zuvor . Ich darf den Hochschulpakt, die Qualitätsoffensive Lehrerausbildung, den Qualitätspakt Lehre, den Pakt
für Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative,
auch die vollständige Übernahme der BAföG-Finanzierung durch den Bund, das Programm für Fachhochschulen usw . nennen
({1})
Angesichts der aktuellen Situation engagiert sich
das BMBF in den nächsten Jahren außerdem mit rund
130 Millionen Euro zusätzlich für eine schnelle Integration von Flüchtlingen durch Bildung . Ich darf die Kompetenzfeststellungen, Lern-Apps und Lernbegleiter sowie die Förderung von Studienkollegs an Hochschulen
nennen .
Eine Änderung des Grundgesetzes wäre im Übrigen auch länderseitig gar nicht mehrheitsfähig . Die
KMK-Präsidentin, die Bremer SPD-Senatorin Bogedan,
hat sich anlässlich des Beginns ihrer Amtszeit öffentlich
skeptisch zur Aufhebung des Kooperationsverbots geäußert, und ein Mitregieren des Bundes in der Schulpolitik
will letztlich - das wissen Sie selber, Herr Lenkert - kein
Land .
Eine Zustimmung für reine Transferaktionen von
Bundessteuereinnahmen zu den Bundesländern wird es
mit uns jedenfalls nicht geben .
({2})
Wenn wir Gelder für Schulen geben, dann nur, wenn
wir auch die Schulpolitik mitgestalten können . Ich sehe
nicht, Herr Lenkert, dass auch nur ein einziges Bundesland dazu seine Einwilligung gibt .
Ich darf auch für den Hochschulbereich noch einmal
klarstellen: Die Länder sind und bleiben auch nach Inkrafttreten der Änderung des Artikels 91 b des Grundgesetzes zu Beginn letzten Jahres für die Grundfinanzierung
der Hochschulen zuständig . Bei dieser Aufgabe werden
sie vom Bund bereits in erheblichem Umfang unterstützt .
Um Ihnen einmal eine Größenordnung zu nennen: Im
Rahmen des Hochschulpakts haben wir gemeinsam mit
den Ländern notwendige zusätzliche Studienplätze geschaffen . Das sind über die gesamte Laufzeit des Paktes
von 2007 bis 2023 immerhin 20,2 Milliarden Euro, die
der Bund hier investiert .
Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal ausdrücklich sagen: Unsere Aufgabe als Bund ist es, über
den Artikel 91 b des Grundgesetzes Strukturen unserer
Wissenschaftslandschaft in Deutschland zukunftsfest zu
machen und nicht etwa Strukturpolitik zu betreiben und
strukturschwache Regionen über Bundesmittel zu fördern, lieber Herr Kollege Lenkert .
({3})
Sollen die Länder doch bitte erst einmal ihre Hausaufgaben selber machen . Wir haben es hier schon mehrmals
debattiert: Seit dem letzten Jahr entlasten wir, entlastet
der Bund die Länder durch die vollständige Übernahme
der BAföG-Kosten jährlich und dauerhaft um immerhin
1,2 Milliarden Euro - Mittel, die sie gemäß der politischen Vereinbarung insbesondere auch für die Hochschulen einsetzen sollen .
({4})
Dass das nicht immer so klappt, haben wir am Beispiel
Niedersachsen gesehen .
Weitere neue Spielräume - auch das darf ich heute
noch einmal sagen - entstehen bei den Ländern, weil
der Bund seit Beginn des Jahres 2016 im Rahmen des
Pakts für Forschung und Innovation III den jährlichen
Aufwuchs in den Haushalten der außeruniversitären Forschungseinrichtungen allein trägt . Die Länder haben also
langfristig erhebliche zusätzliche Mittel zur Verfügung,
die insbesondere auch den Hochschulen zugutekommen
müssen .
({5})
Gleichzeitig, meine Damen und Herren, stehen die
Länder finanziell so gut da wie selten zuvor. Im neuen
Monatsbericht des Finanzministeriums von letzter Woche - ganz aktuell - können wir nachlesen, dass die Länder für 2015 zwar mit einem Gesamtdefizit von 6,8 Milliarden Euro gerechnet haben, aber tatsächlich - und jetzt
bitte genau zuhören - zu einem Haushaltsüberschuss von
2,8 Milliarden Euro gekommen sind .
({6})
Das heißt, wenn die Länder ihre Prioritäten richtig
setzen würden, müssten die Hochschulen eigentlich im
Geld schwimmen . Das Geld jedenfalls ist da, wenn man
die richtigen Prioritäten setzt, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen .
({7})
Der zweite Punkt - das haben Sie gerade angesprochen, lieber Herr Lenkert - ist: Sie fordern allen Ernstes die Beendigung der erfolgreichen und international
vielfach nachgeahmten Exzellenzinitiative . Dazu möchte
ich Ihnen einmal Folgendes sagen . Die Exzellenzinitiative hat - das hat jüngst ja auch der Imboden-Bericht der
internationalen Expertenkommission festgestellt ({8})
in sehr erfolgreicher Art und Weise eine neue Dynamik in
das deutsche Wissenschaftssystem gebracht .
({9})
Die Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative, über
die wir ja derzeit verhandeln - wir hoffen, dass wir sie im
Juni abschließen können -, soll nun die Voraussetzungen
dafür schaffen, ausgewählte deutsche wissenschaftliche
Spitzenzentren in der internationalen Champions League
langfristig ganz nach vorn zu bringen . Das schaffen wir
aus Sicht der Unionsfraktion eben nicht mit einer Förderung nach Proporz oder gar nach dem Gießkannenprinzip - wie es andere Parteien hier im Haus ja gern
fordern -,
({10})
sondern nur mit einem klaren Bekenntnis zur Exzellenzförderung . Selbst der von Ihnen gerne angeführte
OECD-Bildungsdirektor Schleicher sagte in einem Interview auf die Frage: „Braucht Deutschland Elite-Universitäten?“ - ich darf zitieren -:
Darüber kann kein Zweifel bestehen . Jeder Staat
braucht Spitzenleistungen, die entsprechend gefördert werden müssen . Diese werden den Erfolg der
Staaten entscheidend bestimmen . Kein Industriestaat kann sich darauf ausruhen, bei Produktion oder
Optimierung gut zu sein, das werden andere Staaten
übernehmen .
Ich darf an dieser Stelle auch noch einmal Jan-Hendrik
Olbertz, den ehemaligen Präsidenten der Humboldt-Universität, zitieren . Er hat es jüngst in einer Podiumsdiskussion richtig auf den Punkt gebracht . Er hat nämlich
gesagt: „Exzellenz für alle wäre eine Parodie .“ Aber vielleicht, lieber Herr Lenkert, wollen Sie ja zurück zu alten
DDR-Zeiten . Dort sagte man ja voller Überzeugung: In
der Breite sind wir Spitze . - Auch das ist letztlich eine
Parodie, und das machen wir nicht mit, lieber Herr Kollege Lenkert .
({11})
Meine Damen und Herren, wer von den anderen
immer nur Wein fordert und selbst nur Wasser gibt, ist
wenig glaubhaft . Deshalb habe ich mir einmal die Daten zu Brandenburg - nicht Thüringen, das Sie gerade
als Beispiel zitiert haben, sondern Brandenburg -, einem
Land, in dem Sie immerhin den Finanzminister stellen,
im Bildungsfinanzbericht des Statistischen Bundesamtes angeschaut . Von allen ostdeutschen Bundesländern
hat Brandenburg die geringste Grundfinanzierung pro
Studierenden, nämlich nur ungefähr 5 600 Euro jährlich. Selbst das finanzschwache Sachsen-Anhalt gibt
7 100 Euro pro Studierenden jährlich aus . Also: Schauen
Sie einmal nach Brandenburg und nicht nur nach Thüringen .
({12})
Im Rahmen der öffentlichen Bildungsausgaben gibt
Brandenburg im Übrigen den geringsten Prozentsatz,
nämlich nur etwa 10 Prozent, für die Hochschulen aus .
Alle anderen Länder geben hier zum Teil doppelt so viel
für ihre Hochschulen aus . Und vor gar nicht allzu langer
Zeit - auch darauf möchte ich noch einmal hinweisen wollte die rot-rote Landesregierung in Brandenburg ihren
Hochschulen auch noch die eingesparten Rücklagen in
Höhe von 10 Millionen Euro wieder wegnehmen, die die
Hochschulen mühsam aufgebaut hatten, um langfristige
Projekte zu finanzieren. Das ist die Politik, für die Sie
hier stehen, Herr Lenkert, und das sollten Sie auch einmal ehrlich sagen .
({13})
Meine Damen und Herren, kommen Sie also von Ihrem hohen Ross herunter, und kehren Sie erst einmal vor
der eigenen Haustür . Das ist meine Bitte, meine Aufforderung an Sie . Beenden Sie Ihre Traumtänzerei, und hören Sie endlich damit auf, zwei- oder dreistellige Milliardensummen hier im Haus zu fordern, die dann nach dem
Gießkannenprinzip auf die Länder verteilt werden sollen .
Meine Damen und Herren, so geht ernsthafte Opposition
im Bund nicht . Deshalb bitte ich Sie herzlich, diesem Antrag nicht zuzustimmen .
Danke sehr .
({14})
Das Wort erhält nun der Kollege Kai Gehring für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Ich vermute einmal, er
wird jetzt vorführen, wie Opposition richtig geht .
Mal schauen . - Danke, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Wissenschaftsfinanzierung in Deutschland braucht
ein Upgrade für mehr Zukunfts- und Innovationsfähigkeit . Die Linke hat Vorschläge gemacht, wir Grünen haben Vorschläge gemacht . Wenn Sie von Union und SPD
damit nicht einverstanden sind, dann legen Sie doch einfach eigene Vorschläge für eine neue Gesamtarchitektur
der Wissenschaftsfinanzierung in Deutschland vor.
({0})
So lang ist die Legislatur ja nicht mehr . Langsam wird es
höchste Zeit .
({1})
Seit Monaten dreht sich die Wissenschaftsdebatte
um die Frage, wie die Exzellenzinitiative weitergeht .
Vor vier Wochen hatte die Imboden-Kommission einen
hervorragenden Bauplan dafür vorgelegt . Auf die zwei
Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzprämie zu
fokussieren, ist eine wegweisende Grundlage für Bund
und Länder; da sind wir uns mit unseren drei grünen
Wissenschaftsministerinnen einig . Der Zeitdruck für die
Einigung ist groß . Heute in acht Wochen muss die Vereinbarung stehen . Umso unverständlicher ist doch, dass
Bundesministerin Wanka zu ihrem Exzellenzplan komplett schweigt .
({2})
Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie keinen hat .
Wenn Frau Wanka den Unis das Exzellenzkrönchen
selbst aufsetzen will, anstatt die Wissenschaft entscheiden zu lassen, dann soll sie das doch wenigstens sagen .
Aber zu schmollen, den sehr guten Imboden-Bauplan in
die Schublade zu legen
({3})
und zur drängenden Überbrückungsfinanzierung für die
bisher geförderten Unis und Cluster zu schweigen, ist
einfach ein Unding . Frau Wanka muss raus aus dem Hinterzimmer und muss ihre Exzellenzpläne im Parlament
vorstellen .
({4})
Spitzenförderung ist aber nur ein Aspekt der Wissenschaftsfinanzierung von Bund und Ländern. Eine neue
Architektur ist seit Jahren überfällig; denn das Verhältnis
zwischen Grundfinanzierung der Hochschulen und Drittmittelförderung ist immer weiter aus der Balance geraten . Als größter Drittmittelgeber hat der Bund daran einen Löwenanteil . Obwohl der Bund die Hochschulen seit
der Verfassungsänderung zum 1 . Januar 2015 dauerhaft
finanzieren könnte, setzen Union und SPD vorrangig auf
Wettbewerb und auf Projektförderung . Dass das nicht gut
ist, wissen Union und SPD sogar . Der Erkenntnis muss
aber auch konkretes politisches Handeln folgen . Genau
das verlangt die linke und grüne Opposition von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen .
({5})
Worum muss es bei der neuen Wissenschaftsfinanzierung gehen?
Erstens um den Hochschulpakt . Die Bund-Länder-Vereinbarung dazu läuft bis 2020 . Auch künftig werden viele junge Leute aus dem In- und Ausland in Deutschland
studieren, und das ist klasse . Deswegen wollen wir den
Hochschulpakt verstetigen und die Ausgaben pro Studienplatz auf OECD-Durchschnitt anheben . Das stärkt die
Grundfinanzierung der Hochschulen, das sichert Studienplätze und Arbeitsplätze, das bringt bessere Lehre und
Studienbedingungen, eine höhere Finanzierungssicherheit und Planbarkeit für Universitäten und Fachhochschulen in strukturschwachen wie in strukturstarken Regionen . Also: Nicht zögern, sondern machen .
({6})
Zweitens: Ausbau und Modernisierung der Infrastrukturen des Wissens . Bröckelnde Bauten und marode Labore passen nicht zu einer Innovationsnation Deutschland .
({7})
Schon jetzt gibt es einen erheblichen Sanierungsstau an
den Hochschulen . Den müssen wir beheben und einem
weiteren Substanzverlust vorbeugen . Wir sagen ganz
klar: Bauten und Ausstattung an Universitäten und Fachhochschulen müssen auf die Höhe der Zeit gebracht werden: von den Hörsälen bis zu den Bibliotheken, von den
digitalen Infrastrukturen über Forschungsgeräte bis hin
zu den Wohnheimplätzen . Also: Nicht zögern, sondern
machen .
({8})
Drittens: Entlastung der Länder bei der Forschungsfinanzierung . Wir wollen den Finanzierungsschlüssel der
Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft
ändern. Statt fifty-fifty soll der Bund künftig 70 Prozent
({9})
und das jeweilige Land 30 Prozent der Finanzierung
übernehmen .
({10})
Im Gegenzug müssen sich die Länder verbindlich verpflichten, die gewonnenen Spielräume eins zu eins für
die Grundfinanzierung der Hochschulen zu nutzen. Hier
wäre es angebracht, eine gute Vereinbarung zu treffen;
das haben sie bei den BAföG-Mitteln nicht geschafft .
({11})
Zudem müssen die Programmpauschalen im Hochschulpakt und für die Forschungsförderung durch die Bundesressorts erhöht werden . Also: Nicht zögern, sondern
machen .
({12})
Wir haben in Deutschland eine unheimlich vielfältige
Forschungs- und Hochschullandschaft mit vielen großartigen kreativen Köpfen . Diese kreativen Köpfe wollen
unsere Gesellschaft voranbringen . Sie wollen Lösungen
für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen
entwickeln, und sie wollen mit Sicherheit gut forschen .
Deswegen warten die Wissenschaftler aller Generationen
genauso sehnsüchtig wie wir in der Opposition auf den
mehrmals von Frau Wanka angekündigten Nachwuchspakt für neue Stellen an den Hochschulen . Davon hört
man seit Monaten nichts mehr . Man braucht ihn aber
dringend; denn es braucht dringend mehr Dauerstellen,
vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur . Also:
Nicht zögern, sondern machen .
({13})
Bund und Länder müssen einen klugen Rahmen für
gute Wissenschaft setzen und eine neue schlüssige Gesamtarchitektur für die Wissenschaftsfinanzierung in
Deutschland auf den Weg bringen, und das am besten
noch in dieser Wahlperiode .
({14})
Der Kollege Ernst Dieter Rossmann hat für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dem Antrag der Grünen darf man nicht vorwerfen, dass
er nicht sehr ausschweifend sei .
({0})
- Entschuldigung, der Linken . - Er ist wirklich zu ausschweifend . Ich glaube, Herr Kaufmann, Sie sind in Ihrer
Kritik sehr präzise auf vieles eingegangen . Wenn ich nur
mit einer Hand geklatscht habe - das ist nicht so gut zu
hören -, dann nur, weil Sie an vielen anderen Stellen Positionen eingenommen haben, die wir Sozialdemokraten
nicht teilen können .
In Bezug auf die Grünen fällt uns auf: Ja, Opposition
darf drängeln, aber Opposition muss nicht alles verdrängen; denn tatsächlich gibt es einen Hochschulpakt,
({1})
der sehr gut dotiert ist, der von Bund und Ländern gemeinsam finanziert wird. Es gibt einen Beschluss der
Koalitionsfraktionen, 1 Milliarde Euro zusätzlich für den
wissenschaftlichen Nachwuchs zu mobilisieren . Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in einer Weise
novelliert, die viel Resonanz, auch in der jungen Wissenschaft, findet.
({2})
Auch die BAföG-Reform - einschließlich des zusätzlich
mobilisierten Volumens - ist ja nicht die schlechteste Reform gewesen .
Insofern möchte ich in dieser Situation mit den Kolleginnen und Kollegen in einen Dialog eintreten, anstatt
wechselseitig draufzuhauen, und ein paar Schwerpunkte
setzen .
Kollege Kaufmann, ja, man kann in Bezug auf die
Bund-Länder-Zusammenarbeit und das Kooperationsverbot verschiedener Auffassung sein . Aber man muss
natürlich aufpassen, in welche Widersprüche man sich
verwickeln kann, wenn man sagt, dass es doch immer am
besten ist, wenn es klare Verantwortlichkeiten gibt . Denn
gleichzeitig sind wir stolz darauf, dass wir zum Beispiel
bei der Absicherung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine gemeinsame Verantwortlichkeit bis in
die Finanzierung hinein haben, dass Bund und Länder zu
jeweils 50 Prozent am Hochschulpakt beteiligt sind und
es funktioniert,
({3})
dass auch an anderen Stellen, zurzeit beim Gesamtkonzept zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Bund und Länder zusammenkommen .
Es ist ja auch nicht so, dass es keine gemeinsame
Verantwortung von Bund und Ländern in Bezug auf
den Strukturausgleich gäbe . Er ist vielleicht nicht in
Artikel 91 b des Grundgesetzes angesiedelt; aber in
Artikel 104 b des Grundgesetzes ist er ausdrücklich angesiedelt . Das entspricht der Linie, von der die Sozialdemokratie Sie gerne weiter überzeugen möchte, vielleicht
auch in Bezug auf die aktuell und langfristig wichtige
Zukunftsaufgabe der Integration; hier könnte man eine
neue Gemeinschaftsaufgabe schaffen .
Umgekehrt sind wir ganz bei Ihnen, wenn Sie sich
dagegen wehren, vom Prinzip des Wettbewerbs abzuweichen . Die Linken haben irgendwie ein ungeklärtes
Verhältnis zum Prinzip des Wettbewerbs in der Wissenschaft; sie haben es nicht aufgearbeitet . Die wichtigste
gemeinsame Institution von Bund und Ländern in der
Wissenschaft ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft,
die DFG . Aber die DFG organisiert nichts anderes als ein
wettbewerbsgeleitetes Auswahlverfahren bei der Suche
nach Wahrheit . Dazu müssten sich die Vertreterinnen und
Vertreter der Linken einmal im Grundsatz erklären . Sie
müssten erklären, ob sie glauben, dass Wahrheitssuche
außerhalb eines wissenschaftsgeleiteten Wettbewerbs
zu besseren Ergebnissen führt als eine Suche nach der
besten Wahrheit im Wettbewerb, im Rahmen einer Auseinandersetzung in verschiedenen Projekten, über Peer
Reviews und anderes. Ich finde, da müssen Sie langsam
bei Ihrem eigenen Denken - bis hinein in Ihre Anträge zu einer Frontbegradigung kommen .
({4})
Denn Sie können nicht in drei Landesregierungen - früher Mecklenburg-Vorpommern, jetzt Thüringen und
Brandenburg - all dies mittragen, auch das wettbewerbsgeleitete Prinzip der Deutschen Forschungsgemeinschaft - Sie stellen es nicht infrage -, aber in Bezug auf
die Exzellenzinitiative Scheuklappen haben, als ob das,
was bei der DFG gut ist, bei der Exzellenzinitiative auf
einmal schlecht ist .
Diese Begradigung sollten Sie erst recht vornehmen, wenn Sie aufmerksam einer guten Anhörung zur
Imboden-Kommission in Sachen Exzellenz gefolgt sind .
({5})
Man darf sich doch nicht selbst in der Wissenschaft in
Deutschland unmöglich machen . Aber Sie sind leider auf
dem besten Weg dorthin, sich als Partner in der deutschen
Wissenschaft unmöglich zu machen . Das bekommt Ihrer
Sache nicht gut .
({6})
Die Exzellenzinitiative ist angesprochen worden; darauf möchte ich mich konzentrieren . Die Vorbereitung
eines gemeinsamen Pakts zwischen Bund und Ländern auch dort stehen wieder beide zusammen in der Verantwortung; es gibt dort keine geteilte Verantwortung, Herr
Kaufmann - ist jetzt in einem entscheidenden Stadium .
Ich will zumindest für die sozialdemokratische Seite sagen, was wir den guten Ergebnissen der Imboden-Kommission in Bezug auf das Instrument der Exzellenzinitiative, die Edelgard Bulmahn mit anderen zusammen
seinerzeit für Rot-Grün auf den Weg gebracht hat, entnehmen . Wir entnehmen, dass es wichtig ist, ein wissenschaftsgeleitetes Verfahren beizubehalten . Wir entnehmen, dass es wichtig ist, den Wettbewerb weiterhin in
einem wissenschaftsgeleiteten Verfahren zu organisieren .
Wir entnehmen, dass es wichtig ist, die Exzellenzcluster
auszubauen, die das Fundament besonderer Exzellenz an
den vielen Hochschulen quer durch die Republik stärken
sollen . Wir entnehmen auch, dass es gut ist, wenn wir
erkennbare Spitzenuniversitäten haben .
Dabei unterscheidet sich unser Ansatz von dem, was
bisher von den Grünen in die Diskussion gebracht worden ist . Auch Professor Imboden geht von einem einzigen Indikator aus . Dies ist aber unterkomplex . Wir
können hier aus der Anhörung den hoch anerkannten
Vorsitzenden des Deutschen Wissenschaftsrates, Professor Prenzel, zitieren, der von den Institutionen, die als
Leuchttürme nach Deutschland und Europa ausstrahlen
wollen, strategische Konzepte und vor allem auch eine
Perspektive geradezu einfordert, weil diese mit Blick
auf die Zukunft die Leistungsfähigkeit und die Attraktivität der Wissenschaft an den deutschen Hochschulen
erhöhen . Nur aus dem Ex-post, also aus dem, was man
früher an Förderung bekommen hat, leitet sich nicht automatisch eine Perspektive ab, auch wenn es natürlich
ein Kriterium unter mehreren sein kann, genauso wie die
Verankerung von Exzellenzclustern ein Kriterium werden muss . Wichtig ist jedenfalls: Wir müssen in diesem
Zusammenhang komplexer denken .
Wir sollten uns auch nicht klein machen . Professor
Imboden hat gemeinsam mit seiner hoch ehrenwerten
Kommission ausdrücklich festgestellt, dass es bei uns
mehr als sehr wenige spitzenleistungsfähige Universitäten gibt . Deshalb sagen wir: 10 Universitäten plus x - das
ist das Maß, aus dem in Deutschland Strahlkraft gewonnen werden kann, aus dem weitere Perspektiven gewonnen werden können .
Natürlich soll es Maßnahmen der Überleitung geben .
Es soll Anerkennung für diejenigen geben, die bisher in
einer ersten Wettbewerbsphase waren . Wir wünschen uns
und wir sind uns ziemlich sicher, dass wir an dieser Stelle
ein sehr gutes Ergebnis erzielen werden .
({7})
- Kollege Gehring, Sie fragen danach, was die Ministerin
will . Man darf in jedem Fall sagen: Die Ministerin will
ein sehr gutes Ergebnis .
({8})
Ich darf für die Sozialdemokratie sagen: Die Strukturen, innerhalb derer wir uns das Ergebnis wünschen,
haben wir immer transparent gemacht . Am Ende werden
wir uns umso mehr freuen, wenn das Ergebnis zügig vorliegen wird
({9})
und in dem Ergebnis viel von dem enthalten ist, was Professor Imboden vorgeschlagen hat; denn es gibt hier eine
große Übereinstimmung mit dem, was wir vorgeschlagen
haben .
Herr Kollege .
Wir können uns nicht vorstellen, dass das Ergebnis ein
ganz anderes sein könnte .
({0})
Wir glauben: Wenn wir hier gemeinsam zügig zu einem
Ergebnis gekommen sind, dann werden wir auch beim
Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs zügig vorankommen; denn das ist ein weiterer Baustein .
Herr Kollege Rossmann .
Mein letzter Punkt an die Abgeordneten der CDU/
CSU . Dies wird gewiss nicht die allerletzte Diskussion
über das Kooperationsverbot sein . Wir werden diese aber
sehr sachlich, konstruktiv und hoffentlich sehr überzeugend und gewinnend weiterführen .
Vielen Dank .
({0})
Die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig hat nun das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Gäste auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Linken, ich kann es Ihnen nicht ersparen, dass Sie das eine oder andere jetzt noch einmal hören
werden .
Mit Blick auf die Zukunft sage ich: Das wird bestimmt
auch nicht das letzte Mal sein .
({0})
Als ich Ihren Antrag gelesen habe und noch einmal
gelesen habe, hat es mir ehrlich gesagt - ich sage das so
salopp - fast die Schuhe ausgezogen .
({1})
Ich könnte auf viele Einzelforderungen aus Ihrem Antrag eingehen, ich könnte Ihnen gewichtige Argumente
entgegenbringen . Herr Rossmann hat gesagt, er glaubt
an eine Weiterentwicklung der Linken . Ich bin mir nicht
mehr ganz so sicher; denn durch Ihren gesamten Antrag
zieht sich - deshalb glaube ich, dass einzelne Argumente Sie nicht überzeugen werden - ein Staatsbild, das ich
persönlich als zentralistisch beschreiben würde . Sie wollen - das haben Sie nicht nur an einer Stelle deutlich gemacht - den übermächtigen Bund, Sie wollen die schwachen und machtlosen Länder .
({2})
In Ihrem Antrag bezeichnen Sie die Länder - wie haben Sie es geschrieben? - als eine Art Getriebene einer
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Sie nicht nur
für das Wissenschaftssystem als schädlich ansehen . Aus
eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: So verstehen
sich die Länder nicht, so haben sie sich nie verstanden,
und so werden sie sich auch nie verstehen .
({3})
Vor circa zehn Jahren gab es sehr lange Diskussionen
über die Föderalismusreform . Gerade den Ländern war
es wichtig, zwischen ihnen und dem Bund klare Regelungen zu Entscheidungsgewalt und Verantwortung zu
treffen; der Kollege Stefan Kaufmann hat es schon ausgeführt . Warum war ihnen das so wichtig? Das war ihnen
so wichtig, weil sie schneller und besser eigene politische
Akzente setzen wollten . Sie wollten in ihren Haushalten
Schwerpunkte setzen, ohne dass der Bund ihnen sagt, wo
die Schwerpunkte liegen sollen . Sie wollten durch kluge
politische Entscheidungen in den Wettbewerb eintreten
und sich dort durchsetzen, und zwar nicht nur in einen
Wettbewerb mit anderen Ländern - sonst hätten wir
PISA ohnehin nicht gemacht -, sondern in einen Wettbewerb mit anderen Regionen Europas und der Welt .
Betrachte ich die Ergebnisse der letzten zehn Jahren,
kann ich sagen: Sie können sich im Durchschnitt sehen
lassen . Schauen Sie sich die Ergebnisse an, die wir im
Schulbereich haben, ob es nun PISA oder PISA-E ist!
Schauen Sie sich die internationale Sichtbarkeit unseres
Wissenschaftssystems an! Schauen Sie sich die Berichte
an: „Bildung auf einen Blick“ - selbst die OECD hat es
inzwischen verstanden - oder den Bildungsmonitor . Im
Schnitt sehen Sie überall eine dynamische, wirklich recht
gute Entwicklung .
({4})
Aber ich sage auch: Wir haben noch Luft nach oben .
({5})
- Wir nutzen sie, lieber Kollege Mutlu .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wettbewerb - das
ist auch so ein Reizwort für Sie - ist für Sie von der Linken offensichtlich kein Anreizsystem .
({7})
Sie gehen davon aus, dass Sie durch die gleiche Verteilung von Finanzen in ein differenziertes Bildungs- und
Wissenschaftssystem gute Perspektiven für die Generation von morgen schaffen . Sie gehen zum Beispiel auch
davon aus, dass durch die nahezu vollständige Umwandlung befristeter Stellen in feste Stellen die Chancen für
den wissenschaftlichen Nachwuchs steigen .
({8})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, ist
nachweisbar falsch . Das zeigt uns nicht nur die Geschichte .
({9})
Ich sage Ihnen, was Sie mit der Umverteilung und der
Beseitigung von Wettbewerb schaffen:
({10})
Statt dynamischer Spitzenentwicklung schaffen Sie überregionale Mittelmäßigkeit .
({11})
Statt Internationalität schaffen Sie Nationalität - verbunden mit dem Verlust der besten Köpfe .
({12})
Sie schaffen Starrheit im Forschungssystem; denn die
Stellen sind dann über 30 Jahre besetzt . Sie schaffen einen Rückgang der Innovationen . Ich kann Ihnen sagen,
was die Folge ist: Arbeitsplatzverlust, Wohlstandsverlust, Schwächung der Gesellschaft und der Wirtschaft genug Material, um eine Horrorgeschichte zu schreiben .
Ich sage Ihnen eines: Das werden Sie mit der CDU/CSU
nicht schaffen .
({13})
Frau Kollegin, darf der Kollege Lenkert eine Zwischenfrage stellen?
Heute ausnahmsweise nein, lieber Kollege .
Sehr geehrte Damen und Herren, das Grundgesetz ist,
glaube ich, überdeutlich . Aufgaben der Länder sind all
jene, die das Grundgesetz nicht dem Bund zuschreibt .
Dazu stehen wir als CDU/CSU heute und auch morgen .
Bildung und Wissenschaft sind dabei im Grundsatz
ganz klar, so wie es die Länder wollten, Aufgabe der
Länder . Ich sage ganz eindeutig: Wer für die Verantwortung für Bildung und Wissenschaft gekämpft hat, muss
sich jetzt auch um eine auskömmliche Grundfinanzierung kümmern . Darauf werden wir achten .
({0})
Meine Damen und Herren, bei ausgewählten Zielen
arbeiten und finanzieren Bund und Länder im Bewusstsein der klaren Verfassungslage gemeinsam . Es gibt kein
Verbot der Zusammenarbeit, wie Sie uns immer glauben
machen wollen; wir haben es an vielen Stellen gehört .
Ja, es knirscht manchmal in der Zusammenarbeit . Ja, wir
streiten uns auch . Aber sicher, ganz sicher wird die Zusammenarbeit an der einen oder anderen Stelle verbessert
werden, auch wenn wir uns weiter vehement für gegensätzliche Positionen einsetzen . Ich halte das übrigens für
eine sehr gute Sache, wenn es darum geht, den wahren
Weg zu finden.
Eines aber geht nicht . Damit, denke ich, Herr Lenkert
und liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir uns
vielleicht doch noch einmal viel intensiver auseinandersetzen müssen . Mir ist bis heute wirklich nicht klar, warum Sie unbedingt - Sie sehen darin den Schlüssel zur
Besserung - Aufgabenbereiche der Länder in die Zuständigkeit des Bundes ziehen wollen . Ich sehe darin überhaupt keinen Schritt in Richtung Fortschritt .
Gerade im Bildungs- und Wissenschaftsbereich müssen Entscheidungen nah an den Orten gefällt werden, an
denen Bildung und Wissenschaft entstehen, und nicht
weit weg davon . Deshalb haben die Diskussionen vor
zehn Jahren genau dieses Ergebnis gehabt . Man wollte
die Dezentralisierung ganz bewusst . Das hat sich bis heute nicht geändert . Sprechen Sie mit Ihren Kollegen aus
Brandenburg und Thüringen!
({1})
Es ist völlig außer Frage, dass es irgendwie in eine andere
Richtung geht .
Jetzt schauen Sie sich doch einmal den Haushaltsplan
des Bundes an! Was ist in den letzten zehn Jahren passiert? Es wurden Prioritäten gesetzt . Es wurden Schwerpunkte gebildet . Das müssen auch die Länder tun, und
das können sie tun . Schauen Sie sich die im Bereich
Bildung und Wissenschaft erfolgreichen Länder an! Die
kämpfen in den Haushaltsberatungen für die Priorität von
Bildung und Wissenschaft .
({2})
Das können wir von den Ländern verlangen . Gepaart mit
der Prioritätensetzung des Bundes wird das zu einer Ausstattung aller Regionen führen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Anträge bieten immer wieder die Gelegenheit, gewisse Dinge gebetsmühlenartig zu wiederholen . Deshalb sage ich es an
dieser Stelle noch einmal: Wir als CDU/CSU-Fraktion
wollen starke und selbstbewusste Länder; wir wollen
starke und selbstbewusste Wissenschaftseinrichtungen;
wir wollen, dass diese auch in Zukunft ihre Entscheidungen eigenverantwortlich treffen, im Wettbewerb mit allen
anderen . Wenn diese Rahmenbedingungen gegeben sind,
dann werden wir als Bund in Zukunft immer als Partner
für sie zur Verfügung stehen, und wir werden noch stärker werden, als wir es jetzt schon sind .
Herzlichen Dank .
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Lenkert für eine Kurzintervention .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Kollegin DingesDierig, warum wir die Länder stärken wollen, liegt auf
der Hand: Ihnen fehlen einfach die finanziellen Mittel,
um mehr zu leisten, als sie im Moment leisten .
({0})
Das ist so . Wenn man sich das Gefeilsche ansieht, wenn
es um die Regionalisierungsmittel geht - das ist ein anderes Thema - und wenn es um den Bund-Länder-Finanzausgleich geht, dann sieht man ganz deutlich - das sehen
auch Ihre Länder -, dass die Gelder für alle Aufgaben
nicht reichen . Deswegen brauchen die Länder Unterstützung .
({1})
Warum fordern wir vehement eine Förderung in der
Breite? Ich komme aus der Industrie . Kennen Sie noch
die vielen Fernsehhersteller, die es in den 60er- und
70er-Jahren in der Bundesrepublik gab? Die sind nicht
mehr da . Warum? Die haben sich irgendwann festgelegt,
dass sie nur noch für die Spitze produzieren wollen .
({2})
Dann sind sie von den anderen über die Breite weggerollt
worden . Es gibt eine Branche, die nach wie vor erfolgreich ist: Das ist die Automobilindustrie . Die hat niemals
die Masse aufgegeben, sie hat die Basis gehalten . Damit
Sie diesen Fehler in der Wissenschaftslandschaft nicht
wiederholen, fordern wir von Ihnen, die Basis zu stärken,
und zwar umgehend, damit wir weiterhin einen guten
Forschungsstandort haben .
Vielen Dank .
({3})
Frau Kollegin Dinges-Dierig, wollen Sie darauf erwidern?
({0})
Lieber Kollege Lenkert, ich widerspreche eindeutig
Ihrer Aussage, dass die Länder nicht die finanziellen Mittel haben .
({0})
Sie müssen sie nur nutzen . Ich nenne ein Stichwort:
BAföG . Wir haben gesehen, wie die Länder mit Geldern
umgehen, die eigentlich dem Bereich Wissenschaft und
Forschung gehören . Ich erwarte, dass sie in Zukunft diese Priorität setzen . Dann werden wir sie unterstützen .
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Erneut nehme ich von der Union ein Feindbildgebaren wahr, nach dem Motto: Der Hauptfeind steht in
16 Ländern . - So geht es wohl nicht, meine Damen und
Herren .
({0})
Deutschland lebt sich auseinander, nicht nur im Hochschul- und Bildungsbereich, aber in diesem ganz besonders . Da wächst schon lange nicht mehr zusammen, was
zusammengehört . Die sozialen Unterschiede wachsen .
Ballungszentren und ländliche Räume erscheinen nicht
mehr als Teile einer gesamten, konsistenten Entwicklungslogik . Auch in der Wissenschaft driften Spitzenunis und der Fachhochschulsektor auseinander . Gerade
in förderbedürftigen Regionen sind Hochschulen aber
Motoren für eine positive Entwicklung . Ich nutze die
Gelegenheit, auf diesen kleinen Unterschied aufmerksam zu machen: In der alten Tagesordnung werden diese
Regionen als „strukturschwache“ Regionen bezeichnet .
Das klingt ein bisschen nach: Nur schnell weg von dort!
Wir haben jetzt den Begriff „förderbedürftig“ eingeführt,
weil das für Werbung, für Werbung für Veränderungen
steht .
({1})
Wer Deutschland zusammenhalten will, wer ein solches Auseinanderdriften nicht einfach hinnehmen kann man kann das politisch natürlich machen und sagen: das
ist jetzt mal so -, wer das überwinden will, sollte sich
diesem Ansatz nicht verschließen . Das ist genau der Kern
unseres heutigen Antrags .
Weil Sie hier die Finanzierungsfrage hervorgehoben
haben: Der Bund hat 2015 das Fünffache des Überschusses aller Bundesländer erzielt . Diese Tatsache können Sie
doch nicht ausblenden .
({2})
Es ist ganz klar: Wissenschaft und Bildung kommen
nicht ohne Leistungsvergleich und Wettbewerb aus . Eine
staatliche Wissenschaftspolitik, die nur der Konkurrenz
dient, ist unseres Erachtens aber falsch . Ein Staat, der
dem Starken hilft, gegen den Schwachen zu siegen, ist
für uns ein schlechter Staat .
({3})
Da Sie den Wettbewerb preisen: Das Problem Ihrer
Hochschulpolitik ist doch, dass Sie viele gar nicht erst
an den Start zu diesem Wettbewerb lassen . Das nenne ich
Zentralismus, meine Damen und Herren .
({4})
Nur wenige Fakten . Unter der Überschrift „Exzellenzinitiative“ gibt die Bundesregierung den besten Unis das
meiste Geld . Das Ergebnis ist dann: Ostdeutsche Universitäten mit Ausnahme von Berlin bekommen gerade einmal 5 Prozent des Gesamtetats;
({5})
davon entfallen 4,7 Prozent auf Sachsen und 0,3 Prozent
auf Thüringen .
({6})
Die richtige Übersetzung von „Exzellenz“ aus dem Lateinischen lautet im Übrigen „Erhabenheit“ oder „Herrlichkeit“ . Und dann wundern Sie sich, wenn diese herrliche
Erhabenheit bei Benachteiligten, insbesondere im Osten,
zu Protest und Frust führt? Ich wundere mich da nicht .
({7})
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist dazu angelegt, sogenannte Drittmittel, also private Gelder, für
Hochschulen einzuwerben . Auch hier sind unter den
40 sogenannten Besten nur 4 ostdeutsche Universitäten .
Vereinigungspolitik, sagen wir Ihnen, geht anders .
Zur Lage der Beschäftigten . Allgemein gilt ja der Irrglaube, dass jemand mit einem Doktortitel sozial fein
raus sei . Aber das Institut für Arbeitsmarkt- und BerufsRalph Lenkert
forschung rechnet Ihnen vor: Von 2004 bis 2014 ist der
Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft
von 25 auf 37 Prozent gestiegen . Im Osten ist er immer
noch doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt . Meine
Damen und Herren, das kann man doch nicht hinnehmen .
Diesem Problem wird auch Ihre Gesetzesnovelle nicht
im Geringsten gerecht .
({8})
Von allen Beschäftigten im wissenschaftlichen Dienst,
also ohne Beamte, waren 2014 49 Prozent in Befristung .
Deutschland - ein Staat der Dichter und Denker? Allenfalls der Teilzeitdenker .
Bekanntlich ist die Linke nicht nur kritisch, sondern
auch konstruktiv .
({9})
Genau deshalb machen wir heute diese Vorschläge zur
besseren Hochschulfinanzierung, vor allem - ich sage es
noch einmal - im Hinblick auf förderbedürftige Regionen .
({10})
In Sachsen-Anhalt gibt es die Hochschule Anhalt mit
den drei Standorten in Bernburg, Dessau und Köthen . Die
wissenschaftliche Bilanz der Ingenieurwissenschaften ist
beeindruckend . Gleiches gilt für die Kooperation mit der
Stiftung Bauhaus, auch für die Agrarforschung . Noch
spannender aber ist, dass der Status dieser Hochschule
als Impulsgeber für die gesamte Region inzwischen anerkannt wurde . Die vom Campus sind Repräsentanten ihrer
Städte geworden; das geht bis hin zu einer weltoffenen
Charmeoffensive, die ansteckend wirkt .
Und nun? Nun besagt die Zielvereinbarung zwischen
dieser Hochschule und dem Land Sachsen-Anhalt: Der
Mindestzuschuss bis 2019 bleibt gleich . Darüber kann
man sich freuen und sagen: Das ist besser, als wenn er
geringer ausfällt oder unsicher ist . Wir sagen: Das ist
unzureichend, weil diese neuen Stärken nicht annähernd
ausreichend gefördert werden .
In unserem Antrag finden Sie viele weitere Vorschläge; sie sind Ihnen ja auch schon erläutert worden . Sie
haben jetzt zwei Möglichkeiten: ein Weiter-so mit Ihrer
verfehlten Politik oder eine zukunftsfähige Hochschulpolitik . Beides zusammen geht nicht . Ich denke, Sie sollten neue Wege beschreiten .
({11})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Simone Raatz
für die SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Lenkert, sosehr ich Sie in manchen Bereichen fachlich
schätze,
({0})
denke ich, der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben - er
wird ja hauptsächlich aus Ihrer Feder stammen -, ist einfach nur ein buntes Potpourri von „Wünsch dir was“ .
({1})
Meine Vorredner haben das schon deutlich gemacht .
({2})
Es fällt schwer, einen roten Faden zu erkennen . Auch
wenn Sie mit Vehemenz Themen ansprechen, bei denen
wir als Koalition schon einiges geleistet und viel Gutes
getan haben, fällt es mir schwer, das, was Sie hier fordern, ernst zu nehmen .
({3})
Deswegen - das nur mal so als Anregung - wäre es sehr
schön, wenn Sie da auch noch Inhalte mit einbringen und
selbst Vorschläge machen würden, wie Sie Ihre Wünsche verwirklichen wollen . Sie haben hier ein Anreizprogramm erwähnt - darauf ist, denke ich, mein Kollege
Herr Kaufmann schon eingegangen -: Dabei geht es um
die Einrichtung von 100 000 unbefristeten Wissenschaftlerstellen mit einem Umfang von 5 Milliarden Euro pro
Jahr . Dazu fällt mir jetzt nur die Frage ein: Ist das Ihrer
Ansicht nach eine realistische bzw . eine sinnvolle Forderung?
Ich denke, wir haben mit der Verbesserung der Stellensituation - allein mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz - einen ersten Schritt in die richtige Richtung
getan . Einen zweiten Schritt werden wir mit dem Hochschulpakt machen . Darüber werden wir demnächst debattieren . Natürlich werden weitere Bausteine folgen . So
werden wir sukzessive, denke ich, auch in dem Bereich
einiges hinkriegen .
Ich will nun auf den zweiten Teil der Überschrift Ihres Antrags eingehen und mich darauf konzentrieren:
Bildung und Forschung in strukturschwachen Regionen
solide ausstatten . - Herr Claus sagte, „förderbedürftig“
würde besser klingen . Ich bin mir nicht sicher, ob das
so ist . Ich denke, bei „strukturschwach“ weiß man, um
was es geht . Es ist erst einmal prinzipiell nichts dagegen
einzuwenden, dass wir Bildung und Forschung in strukturschwachen Regionen unterstützen wollen . Dagegen
hat keiner etwas .
Ihr Ausgangspunkt dabei ist, dass das deutsche Wissenschaftssystem seit 15 Jahren eine rasante Umstellung
erlebt . Warum es gerade 15 Jahre sein sollen, erschließt
sich mir jetzt so nicht . Für mich stellt eher die Wende
einen erheblichen Einschnitt in das Wissenschaftssystem
des Ostens dar . Das ist jetzt 26 Jahre her . Man könnte da
jetzt also genauso gut von 26 Jahren sprechen .
Viele Wissenschaftseinrichtungen mussten sich 1990
schnellstens umorientieren . Sie wurden geschlossen,
wenn sie das nicht schafften . Mit zwei Beispielen aus
Freiberg will ich das kurz dokumentieren bzw . klarmachen:
Das Forschungsinstitut für Aufbereitung - es gehörte damals zur Akademie der Wissenschaften der DDR schaffte den Absprung nicht . 1992 wurde es abgewickelt .
Einen Sozialplan oder etwas Ähnliches gab es damals für
die 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht .
Dagegen hat das Forschungsinstitut Leder- und Kunststoffbahnen den Strukturwandel gut bewältigt . Seit 1992
ist dieses Institut privatisiert . Es ist jetzt als gemeinnützige GmbH erfolgreich tätig .
Ich nehme an, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Linken, dass Sie mit dem Punkt 8 Ihres Antrags vielleicht auf genau solche Einrichtungen wie dieses Forschungsinstitut Leder und Kunststoffbahnen fokussieren
wollten . Es war Ihnen jedoch nur zwei Zeilen wert, dieses
Thema - ein bisschen schnell - zu beschreiben . Ich hätte
mir dazu, muss ich sagen, ein bisschen mehr gewünscht .
Sie haben in Punkt 8 Ihres Antrags geschrieben, dass
Sie - jetzt zitiere ich aus Ihrem Antrag - „gemeinnützige,
unabhängige Forschungseinrichtungen als Stützen von
Forschung und Innovation für Kleine und Mittlere Unternehmen ({4})“ stärken wollen. Ja prima! Das finde
ich gut . Und wie? Wie wollen Sie die stärken? Darüber
steht dort nichts . Wir als Koalition haben aber Vorschläge
dafür . Ich werde sie jetzt ganz kurz aufführen . In einen
solchen Antrag gehört meines Erachtens hinein, wie Sie
solche Unternehmen stärken wollen . Dass die Unterstützung von Forschung und Entwicklung in strukturschwachen Regionen wie Ostdeutschland Sinn macht, ist unbestritten . Dagegen wird keiner etwas sagen .
Ich möchte drei Punkte anführen, warum das so ist:
Erstens . Die ostdeutsche Wirtschaft ist nach wie vor
sehr kleinteilig strukturiert und wächst seit vielen Jahren
nicht . Man muss einmal genauer hingucken, warum das
so ist .
Zweitens . Die Unternehmen verfügen meist nicht über
eigene Forschungskapazitäten .
Das führt drittens natürlich dazu, dass sie seltener
Produkt- und Verfahrensinnovationen einführen . Genau
an dieser Stelle setzt zum Beispiel die Deutsche Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse an . Die hat mit
ihren derzeit 74 gemeinnützigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen und über 5 000 Mitarbeitern die
sogenannte dritte Säule in unserer Forschungslandschaft
kreiert . Ich glaube, es lohnt sich, darauf auch einmal einzugehen .
({5})
Denn neben unseren großen Forschungsverbünden die sind ja schon häufig erwähnt worden - und unseren
Hochschulen ist es eben genau diese dritte Säule, die wir
in den strukturschwachen Regionen unterstützen sollten
und auch fördern wollen . Das machen wir, denke ich, als
Koalition .
({6})
Die Deutsche Industrieforschungsgemeinschaft
Konrad Zuse, die im Januar 2015 in Berlin gegründet wurde, hat eben gerade zum Ziel, passgenaue Forschungsunterstützung für den Mittelstand - hierbei geht
es insbesondere um die KMUs - zu leisten und ihn durch
marktvorbereitende Forschung zu unterstützen .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie
sehen: Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wir können auf etablierte Strukturen zurückgreifen . Aber es ist
natürlich wichtig, die Arbeit dieser Einrichtungen auch
von politischer Seite aus zu unterstützen bzw . ein stabiles
finanzielles Fundament dafür zur Verfügung zu stellen.
Genau da setzen wir als Regierungskoalition auch an .
Uns ist das wichtig. Ich finde, es ist sehr schade, dass
Ihnen das bisher entgangen ist .
Darum möchte ich am Ende meines kurzen Statements drei Haushaltstitel nennen, die für die strukturschwachen Regionen einfach wichtig sind: Der erste - er
steht im Haushalt des BMBF - lautet „Innovationsförderung in den neuen Ländern“ . Hierfür stellen wir 2016
159 Millionen Euro zur Verfügung . Das sind immerhin
13 Millionen Euro mehr als 2015 . Der zweite Haushaltstitel lautet „Industrieforschung“ . Hier geht es um Programme wie „Industrielle Gemeinschaftsforschung“ und
„INNO-KOM-Ost“ . Dafür stellen wir 2016 138,5 Millionen Euro zur Verfügung .
Frau Kollegin Raatz, Sie denken an die vereinbarte
Redezeit?
Ja, einige wenige Sätze noch . - Der dritte Haushaltstitel lautet „Förderung des Mittelstandes“ . Dabei geht es
auch um das ZIM . Hierfür stellen wir 2016 543,5 Millionen Euro zur Verfügung .
Am Ende meines Vortrags muss ich an dieser Stelle
sagen: Danke an unsere Minister, Herrn Gabriel und Frau
Wanka, und natürlich auch ein Dankeschön an unsere
Haushälter .
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, anstatt
uns hier ein buntes Potpourri auf den Tisch zu legen,
wäre es schön, wenn Sie uns demnächst etwas Aussagekräftigeres präsentieren würden . Dann können wir an
dieser Stelle auch gerne wieder mit Ihnen ins Gespräch
kommen .
Danke .
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Für die Lobhudelei, die wir
uns hier seitens der Regierungsfraktionen für die eigenen
Leistungen anhören mussten, gibt es nun wirklich keinen
Grund, und ich will Ihnen auch erklären, warum das so
ist .
Seit mehr als einem Jahr ist jetzt das Kooperationsverbot im Hochschulbereich gelockert . Dafür wurde das
Grundgesetz geändert, und das Grundgesetz ändert man
ja nicht einfach mal so . Uns ging das damals nicht weit
genug; das wissen Sie . Wir hätten dieses unsinnige Kooperationsverbot gerne komplett rückgängig gemacht .
({0})
Wenigstens für den Bereich von Hochschule und Wissenschaft haben wir aber gedacht: Da geht jetzt was . Da
tut sich jetzt eine Tür auf für eine neue Zusammenarbeit
zwischen den Bundesländern und dem Bund, für Innovationen und für die eine oder andere pfiffige Idee aus
dem Wanka-Ministerium . - Das ist jetzt ein Jahr her, und
gekommen ist gar nichts . Das ist wirklich ein Armutszeugnis, und deshalb läuft das Eigenlob der Koalition
hier auch ins Leere .
({1})
Wir diskutieren einen Antrag der Linken mit dem Titel „Finanzierung der Wissenschaft auf eine arbeitsfähige
Basis stellen . . .“ . „Eine arbeitsfähige Basis“: Das klingt
für die Kolleginnen und Kollegen der Linken regelrecht
bescheiden . Ja, eine arbeitsfähige Basis ist wirklich mehr
als überfällig . Aus unserer Sicht wäre als ein erster, sehr
zentraler Schritt die Aufstockung und Verstetigung des
Hochschulpakts dringend nötig; denn ohne eine gesicherte Grundfinanzierung bleibt die Hochschullandschaft in
Deutschland Mittelmaß . Da hilft auch keine Exzellenzinitiative . Frau Ministerin Wanka, wann packen Sie diese
Herausforderung endlich an?
({2})
Wir brauchen Investitionen in Hörsäle, in moderne
Technik und in die Infrastruktur des Wissens, aber wir
brauchen natürlich auch Investitionen in Köpfe . Wir haben gerade den Imboden-Bericht zur Exzellenzinitiative
bekommen,
({3})
und ich will zur Frage des wissenschaftlichen Nachwuchses kurz daraus zitieren . Im Bericht heißt es:
Hingegen ist die Wirkung auf die Baustelle „Akademischer Nachwuchs“ nach Ansicht der Kommission ambivalent . Die Exzellenzinitiative wurde nicht
als Nachwuchsprogramm konzipiert, kann die Problematik des akademischen Nachwuchses in ihrer
Gesamtheit nicht lösen und sogar kontraproduktiv
wirken . . .
Ich fasse zusammen, was über den wissenschaftlichen
Nachwuchs im Bericht steht: „Baustelle“, „ambivalent“,
„kontraproduktiv“ . Hier besteht also ganz dringender
Handlungsbedarf . Auch deshalb kann ich überhaupt nicht
nachvollziehen, dass wir noch immer auf den Pakt für
den wissenschaftlichen Nachwuchs warten müssen, den
Ministerin Wanka schon wiederholt angekündigt hat . Es
ist Zeit, dass auch in dieser Frage den Worten Taten folgen .
({4})
Insgesamt macht der Imboden-Bericht gute Vorschläge für den Bauplan der nächsten Exzellenzinitiative . Es
ist aus unserer Sicht richtig, die Spitze in der Breite des
deutschen Hochschulsystems zu erhalten . Wir brauchen
auch ganz dringend den Befreiungsschlag, wie es im Bericht heißt, im Sinne einer Überbrückungsfinanzierung
für die Geförderten der zweiten Runde . Ich muss sagen:
Ich finde es wirklich unverantwortlich, dass die Universitäten und die Cluster so lange hängen gelassen wurden
und nicht wussten, wie sie planen sollten und konnten .
({5})
Ich weiß auch aus Gesprächen mit dem Exzellenzcluster Mathematik an der Universität in meiner Heimatstadt
Bonn, wie schwierig es angesichts dieser Unsicherheit
war, die Spitzenforscher, die dort sind, zu halten und insbesondere auch neue Spitzenforscher zu gewinnen . Diese
Unsicherheit muss dringend ein Ende haben .
({6})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich will abschließend diese Debatte dafür nutzen, um unserer grünen Wissenschaftsministerin aus Baden-Württemberg, Theresia
Bauer, zum Hattrick zu gratulieren . Sie wurde dreimal
in Folge zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt:
Das ist eine herausragende Leistung . Diese Auszeichnung bekommt Theresia Bauer zu Recht .
Um es auf die Themen unserer heutigen Debatte zu
beziehen: Theresia Bauer hat in Baden-Württemberg
1,7 Milliarden Euro für die Grundfinanzierung der Hochschulen und den Hochschulbau zusätzlich in die Hand
genommen . Damit setzt Baden-Württemberg die Empfehlungen des Wissenschaftsrates um, die Grundfinanzierung der Hochschulen um 3 Prozent zu erhöhen . Ich
finde, das ist eine besondere Erwähnung wert. So geht
zukunftsfähige Wissenschaftspolitik, von der sich diese Bundesregierung wirklich eine Scheibe abschneiden
könnte .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({7})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Tankred
Schipanski .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sorge
mich . Ich sorge mich um die Linkspartei .
({0})
Sie hat ein Stadium des Realitätsverlustes erreicht, an
dem nunmehr Grenzen überschritten werden .
({1})
In der letzten Haushaltsdebatte kam der Antrag,
8,14 Milliarden Euro zusätzlich in den Geschäftsbereich
des BMBF zu geben. Dafür schlug man eine Gegenfinanzierung von gerade einmal 600 Millionen Euro vor .
({2})
Es war ein Antrag, der schon damals zeigte, dass die
Linkspartei der Wirklichkeit völlig entrückt war . Ich
glaubte nicht, dass eine Steigerung von so viel Irrsinn
möglich ist . Ich dachte, die Linke hätte aus der letzten
Haushaltsdebatte etwas gelernt, aber nein .
Frau Raatz hat es angesprochen: Am Montag kam in
unser Büro ein Antrag der Linksfraktion mit dem vielversprechenden Titel: „Finanzierung der Wissenschaft auf
eine arbeitsfähige Basis stellen - Bildung und Forschung
in förderbedürftigen Regionen solide ausstatten“ . - Dieses Ziel verfolgen wir seit vielen Jahren mit vielen Förderprogrammen, nicht nur des BMBF, erfolgreich . Aber
bereits die ersten Sätze und Worte dieses Antrags zeigen,
dass es bei diesem Antrag um keine sachlich-konstruktive Auseinandersetzung mit nationaler Wissenschaftspolitik geht, sondern um reine Ideologie . Der Antrag zeigt
das ganze Dilemma der Linken, die sich von Ideologie
leiten lässt und eben nicht von der Sache .
Dieses Grundproblem haben wir nicht nur im Bereich
der Wissenschaftspolitik, sondern auch in vielen anderen
Bereichen . Gestern haben wir das hier etwa zur gleichen
Zeit zur Flüchtlingspolitik erlebt . Da hilft es auch nichts,
dass die Linke ihre Galionsfigur Bodo Ramelow heute
nach Rom zum Papst schickt, damit er dort Geist empfängt .
({3})
Ihr Geist ist und bleibt die Ideologie . Das ist auch Ihr
Problem . Daher können Sie auch keine Sachpolitik für
die Menschen in unserem Lande machen .
Meine Damen und Herren, was müssen wir im Antrag
der Linken für Propaganda und Populismus lesen? Ich
zitiere das mal:
Das deutsche Hochschul- und Wissenschaftssystem erlebte in den vergangenen fünfzehn Jahren
im Zuge des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft
eine rasante Umgestaltung . . .
({4})
Es geht weiter:
Leidtragende dieser Situation sind die Studierenden,
die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie
die Wissenschaft selbst . Negative Auswirkungen
erfährt auch die strukturelle Entwicklung der verschiedenen Regionen und einzelnen Bundesländer .
Sie können sich denken: Gemeint sind hier selbstverständlich die neuen Bundesländer .
Man muss nicht lange weiterlesen: Da wird der Südwesten Deutschlands verbal beschimpft, die Stadt Frankfurt als „Finanzplatz“ verteufelt, die Stadt München wird
auf den Standort für die gefährliche Versicherungswirtschaft reduziert . Natürlich wird auch der Automobilbau
in Stuttgart dämonisiert, und im Freistaat Bayern wird
ein „Trittbrettfahrerverhalten“ beobachtet .
({5})
Berlin wird nicht einfach Hauptstadt genannt, sondern
man spricht vom „Status der Bundeshauptstadt“ . Was jeder Deutsche als Instrumente erfolgreicher Forschungspolitik bezeichnet, etwa die Exzellenzinitiative oder den
Hochschulpakt, nennt die Linke in ihrem Antrag „Steuerungs- und Finanzierungselemente“ . Was wir „Wissenschaftssystem“ nennen, bezeichnet die Linke in ihrem
Antrag als ein „Gesamtsystem wettbewerblicher Bestenauslese“ .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein dieser kurze
Auszug der Wortwahl zeigt, dass es hier nicht um eine
Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern um Populismus .
({6})
„Populismus“ ist das treffende Wort . Sie werden es kaum
glauben, aber es steht in einem angeblichen Antrag zur
Wissenschaftspolitik die Forderung nach - ich zitiere „Wiedererhebung der Vermögenssteuer“ sowie die „Ausschöpfung des Aufkommenspotentials der Erbschaftssteuer“ und natürlich die Forderung nach einer ganz
umfassenden Steuerreform .
({7})
Meine Damen und Herren, das hat mit solider Wissenschaftspolitik nichts zu tun .
Wie perfide solche Anträge instrumentalisiert werden,
um die Realpolitiker in Deutschland zu schmähen, zeigt
die letzte Debatte in diesem Hohen Hause zum Kooperationsverbot . Die Linke fordert auch in diesem Antrag
wieder eine Verfassungsänderung, um die Kooperationskultur zwischen dem Bund und den Ländern im Bildungsbereich auszubauen .
({8})
Nach der Debatte am 14 . Januar dieses Jahres hat
der Linken-Abgeordnete Ralph Lenkert eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der er die Thüringer CDU bezichtigt, sie blockiere zusätzliche Bundesgelder für den
Freistaat .
({9})
Dies unterlegte er mit dem Fakt, dass CDU/CSU hier den
Antrag der Linken auf eine Verfassungsänderung abgelehnt haben; Sie können das im Internet nachlesen . Herr
Lenkert, populistischer geht es nicht .
({10})
Das hat System . Wahrscheinlich sind die Pressemitteilungen für diese Debatte schon geschrieben . Diesmal
haben Sie statt einem Wunsch neun Wünsche formuliert .
Ich sage Ihnen: Wir werden diese neun unsinnigen Wünsche wieder ablehnen .
Ich finde es unredlich, wie Sie mit solch realitätsfernen Anträgen politisch agieren, agitieren und die Menschen in unserem Land mit solchen Forderungen in die
Irre führen . „Irreführung“ ist der richtige Begriff für
diesen Antrag . Denn schauen wir uns doch einmal gemeinsam an, wie die Heimat des Linken-Abgeordneten
Ralph Lenkert von der hier so gescholtenen deutschen
Förderpolitik profitiert. Es geht um die Forschungsregion
Jena in Thüringen .
Wir erinnern uns: Thüringen ist ein neues Bundesland,
das laut dem Linken-Antrag eine Armutsregion darstellt,
die von Erwerbslosigkeit geprägt ist und nicht von den
Förderinstrumenten der Exzellenzinitiative, des Hochschulpakts oder des Pakts für Forschung und Innovation
in irgendeiner Art und Weise profitiert - so die Sichtweise der Linken .
Nun ein Blick auf die Realität in Jena: eine Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent, Bevölkerungswachstum, die
Friedrich-Schiller-Universität mit 18 400 Studenten plus
eine Fachhochschule mit 4 700 Studenten .
({11})
Alle profitieren von dem Hochschulpakt.
Was die Forschungsförderung angeht, gibt es vier
DFG-Schwerpunktprogramme, neun DFG-Forschergruppen, vier DFG-Graduiertenkollegs, fünf DFG-Sonderforschungsbereiche und ein DFG-Forschungszentrum .
({12})
Von so vielen DFG-Mitteln träumen andere Regionen,
lieber Herr Lenkert .
({13})
Und Sie wollen uns weismachen, die neuen Länder profitieren nicht von DFG-Mitteln! Das ist schlichtweg falsch .
Herr Kollege Schipanski .
Nein, ich gestatte es nicht .
({0})
Es geht weiter im schönen Jena: Drei Max-Planck-Institute, ein Fraunhofer-Institut, drei Leibniz-Institute,
ein Helmholtz-Institut und sechs außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gibt es in Jena. All diese profitieren vom Pakt für Forschung und Innovation, dessen Aufwuchs um 3 Prozent wir selber finanzieren.
({1})
- Es geht darum, dass es der Kollege versteht .
Es geht noch weiter: Jeder dritte Doktorand an einer
dieser Einrichtungen kommt aus dem Ausland . Wenn das
deutsche Wissenschaftssystem so furchtbar ist, dann frage ich mich, warum diese Wissenschaftler überhaupt zu
uns kommen .
Jena hat zudem eine Graduiertenschule aus der Exzellenzinitiative sowie eine Ressortforschungseinrichtung
des Bundes . In Jena haben wir mannigfache industrienahe Forschungseinrichtungen - Zuse wurde eben angesprochen - mit Mitteln aus ZIM und INNO-KOM . Diese
Aufzählung ließe sich fortsetzen und auf den gesamten
Freistaat Thüringen ausdehnen .
Ihre so gescholtene Exzellenzinitiative hat der Freistaat Thüringen sogar zum Vorbild genommen, liebe
Kollegen der Linkspartei, und eine landeseigene Initiative gestartet .
({2})
Diese wird sogar unter einem linken Ministerpräsidenten
fortgesetzt und ausgebaut .
({3})
Das ist anscheinend Exzellenzwahn in Thüringen - ganz
erstaunlich .
({4})
Herr Kollege Rossmann, noch eine Bemerkung zu
Ihnen: Sie haben das Zuständigkeitsgefüge und die Ausführungen von Herrn Kaufmann ein Stück weit kritisiert .
Ich glaube, das Grundgesetz sagt uns eines ganz deutlich:
Bund und Länder haben eine Verantwortung für das Gesamtsystem Wissenschaft . Das ist, glaube ich, ganz unstreitig . Innerhalb dieses Gesamtsystems haben wir klare
Zuständigkeiten . Wir brauchen auch klare Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche .
Das Grundgesetz und auch die Union lassen sich vom
Gedanken des Mehrwerts leiten . Wir sagen: Zusätzliches
Geld des Bundes muss einen zusätzlichen Nutzen stiften .
Wir freuen uns, wenn uns die SPD-Fraktion bei diesem
Gedanken unterstützt .
Ich darf schließen, meine Damen und Herren . Dieser
populistische Antrag bringt unser Land nicht voran . Er
verunsichert die Menschen . Er führt in die Irre . Er ist
ein Spiegelbild der Ideologie der Linkspartei . Er ist ein
Zeugnis ihrer Realitätsverweigerung . Von daher lehnt
die CDU/CSU-Fraktion diesen Antrag zum Wohle von
Deutschland und zum Wohle von Europa ab .
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elfi Scho-Antwerpes,
SPD .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue
mich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, dass
Sie Ihren Antrag mit der Lockerung des Kooperationsverbotes im Wissenschafts- und Hochschulbereich aus
dem Jahre 2014 einleiten . Das war eine nötige Korrektur
der ersten Föderalismusreform . Wenn man weiterliest,
wird einem allerdings angst und bange . Alles ist schlecht,
alles ist negativ . Der Süden ist besser als der Norden .
Im Osten ist es ganz schlecht . Eigentlich ist alles ganz
schlecht . Angereichert wird Ihr Schwanengesang mit allerlei Zahlen, die Sie gleichsam kunstvoll und morbide
miteinander verbinden .
({0})
Sie müssen uns nicht loben . Sie sollten sich allerdings etwas realitätsnäher bewegen und konstruktiv mitarbeiten .
({1})
Wir haben im Koalitionsvertrag immerhin 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Hochschulen durchgesetzt .
Bund und Länder haben entscheidende Impulse über den
Hochschulpakt 2020 gegeben, mit dem wir nicht zuletzt
die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sicherstellen .
({2})
Damit ist übrigens bewiesen, dass wir auch vor der Lockerung des Kooperationsverbotes handlungsfähig waren . Bund und Länder haben über alle drei Förderphasen
hinweg bisher Gesamtfinanzierungszusagen von über
38 Milliarden Euro für die Hochschulen gegeben .
({3})
- Hört! Hört!
({4})
Mit dem Hochschulpakt reagieren wir auf den demografischen Wandel und stellen sicher, dass auch in
Zeiten erhöhter Nachfrage nach Studienplätzen ein entsprechendes Angebot vorhanden ist . Ermöglicht wird
das unter anderem durch zusätzliches Personal, das aus
den Mitteln des Hochschulpakts finanziert wird. Wir
belohnen damit vor allem die Universitäten, die viel in
die Lehre investieren . Ab 2016, in der dritten Phase des
Hochschulpakts, setzen Bund und Länder 10 Prozent der
Bundes- und Landesmittel ein, um an den Hochschulen
qualitativ wertvolle Abschlüsse für immer mehr Studierende sicherzustellen .
({5})
Diese Mittel fließen übrigens in die gesamte Breite der
deutschen Hochschullandschaft ein, wie wir eben gehört
haben . Ich weiß gar nicht, warum Sie immer auf der Exzellenzinitiative herumhacken . Weder ist sie der Weisheit
letzter Schluss, noch ist sie die Achillesferse der deutschen Wissenschaft .
({6})
Sie ist nur ein Element einer ganzheitlichen Wissenschaftspolitik, nicht mehr und nicht weniger . Ganz abgesehen davon, ist Wissenschaft Motor für soziale und
technische Innovationen, für gesellschaftliche Entwicklungen und kein Programm zur Regionalförderung .
Nachhaltige Wissenschaftspolitik braucht einen verantwortlichen Umgang mit dem wissenschaftlichen
Nachwuchs .
({7})
Wir haben hier gemeinsam das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformiert und damit unter anderem nicht hinnehmbaren Kurzbefristungen in den Arbeitsverhältnissen
junger Akademiker ein Ende gesetzt, Herr Lenkert,
({8})
und das ist gut so . Die Menschen brauchen eine Perspektive, und die darf nicht prekär sein .
({9})
Auch in den Ländern gibt es gute Ansätze und Initiativen zur Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse an
den Hochschulen . Nehmen Sie mein Bundesland Nordrhein-Westfalen als Beispiel . Dort wurde bereits im Juni
letzten Jahres der Rahmenkodex „Gute Beschäftigungsbedingungen für das Hochschulpersonal“ beschlossen .
({10})
Wissenschaftsministerin Svenja Schulze hat damit sehr
wichtige Fortschritte für die Hochschulbeschäftigten
erreicht, etwa beim Abbau befristeter Verträge, bei den
Verbesserungen für wissenschaftliche und studentische
Hilfskräfte oder für familiengerechte und gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen .
({11})
So stellen wir gute Arbeit an Wissenschaftsstandorten
sicher . Das ist übrigens für alle Hochschulen in Nordrhein-Westfalen ein nationaler und internationaler Wettbewerbsvorteil, auch für die mutmaßlich „kleinen“ .
Apropos Wettbewerb: Sie lehnen die wettbewerbliche
Vergabe von Fördermitteln in Ihrem Antrag ab, bieten
aber keine Alternative an . Machen Sie doch einmal einen konstruktiven Vorschlag, aus dem hervorgeht, wie
Sie Förderentscheidungen treffen wollen . Da kommt von
Ihnen nichts .
Wissenschaft muss in ganz Deutschland solide ausgestattet sein und nicht nur, wie Sie es formulieren, in den
„förderbedürftigen Regionen“ . Mit der Milliardenhilfe
von Bund und Ländern und den entsprechenden Programmen schaffen wir eine arbeitsfähige Basis für die
Hochschulen in Deutschland . Mit Ihrer Schwarzmalerei
schaffen wir das nicht .
Danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({12})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Stephan Albani .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was für ein
Tag, was für eine Debatte! Wenn der Kollege Schipanski
sich schon lauthals Sorgen um die Linken macht, dann
brennt, ehrlich gesagt, die Hütte .
({0})
77 Minuten Haue - Sie haben es so gewollt; das wird von
mir aber nicht fortgesetzt, keine Sorge . Aber als ich am
Mittwochabend den Antrag endlich vor mir liegen hatte,
war meine Assoziation: Mensch, das ist ja mal ein bildungspolitischer Schrotschuss .
({1})
Unter Punkt 9 laden wir die Flinte mit dem Geld der Exzellenzinitiative, und unter den Punkten 1 bis 8 feuern
wir einfach so in alle Himmelsrichtungen und hoffen,
dass etwas umfällt .
({2})
Mit solider Politik hat das aus meiner Sicht nicht allzu
viel zu tun .
Wir haben in den vergangenen Jahren mit solider Politik die Wissenschaft auf eine arbeitsfähige Basis gestellt
und auch förderfähige Regionen gefördert .
({3})
Diese Ergebnisse haben wir auch und insbesondere der
Unionspolitik zu verdanken .
({4})
Liebe Fraktion Die Linke, die Erfolge im Bereich
„Forschung und Entwicklung“ in Deutschland sprechen
für sich . Lassen Sie sich daher ein weiteres Mal davon
überzeugen, dass unser klares Bekenntnis zur Spitzenforschung in Deutschland die Forschung insgesamt deutlich
gestärkt hat und auch weiterhin stärken wird .
({5})
- Doch, selbstverständlich .
({6})
Nur durch Forschung über das Gewöhnliche, das Normale, den Standard hinaus - man braucht ihn, muss aber
darüber hinausgehen - kommen wir wirklich zu einer exzellenten Forschung . Forschung funktioniert nur, wenn
nicht nur in der Breite unterstützt, sondern eben auch in
der Spitze gefördert wird .
({7})
- Das habe ich doch gesagt . Wiederholen Sie mich doch
nicht, aber herzlichen Dank .
({8})
Wir haben in Deutschland einen langen Prozess hinter
uns, in dem wir die Leitlinien des Wissenschaftssystems
in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt haben . Dies war ein langer Prozess hin zu einer höheren
Leistungs- und Innovationskraft in der Forschung und
damit auch zu einer besseren internationalen Sichtbarkeit . Seit vielen Jahren gehört zu diesem System auch
der Grundgedanke genau dieser Arbeitsteilung innerhalb
des Wissenschaftssystems . Der Bund stellt Mittel für unterschiedliche Einrichtungen zur Verfügung . Dies sind
im Wesentlichen Forschungseinrichtungen und Förderorganisationen, die das BMBF allein, gemeinsam oder
mit anderen Partnern trägt . Nach dem Grundgesetz sind
die Zuständigkeiten im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland nur in begrenzten Fällen dem Bund
alleine zugeordnet . Das ist wahrlich eine Gemeinschaftsaufgabe aller, von Bund und Ländern, und daran halten
wir fest .
({9})
Nicht zuletzt auch aus diesem Grund begrüßen wir
die Arbeit der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz,
die aufgrund von gemeinsamen Entscheidungen seit
Beginn 2008 ihre Arbeit im Sinne einer ausgewogenen
Forschungslandschaft zwischen Bund und Ländern angetreten hat .
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in
Deutschland eine solide Grundlage für eine angemessene
Bund-Länder-Förderung und Grundausrichtung im Sinne
der Hochschulen und Wissenschaft geschaffen . Auch das
Inkrafttreten der Änderungen von Artikel 91 b Grundgesetz zu Beginn des vergangenen Jahres zeigt deutlich,
dass diese Gemeinschaftsaufgabe gestaltet werden muss,
und zwar mit genau dem Tenor, wie es dort steht, nämlich
mit überregionaler Bedeutung . Wie kommt es zum Beispiel, dass in Ländern wie Brandenburg die Ausgaben für
Bildung und Forschung sogar zurückgefahren worden
sind, wie wir den Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes entnehmen dürfen?
Stellen wir also fest: Unter Federführung der Union
wurde die Forschungsförderung der öffentlichen Hand
kontinuierlich gesteigert .
({11})
Entsprechend dem EFI-Gutachten sind wir heute mit
83,6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung auf
einem Höchststand angekommen . Wir lehnen eine einseitige Mehrbelastung des Bundes, die durch die Aufhebung des Kooperationsverbotes gefordert wird, klar ab .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur eine ausgewogene Finanzierung der Wissenschaftslandschaft in
Deutschland beschäftigt uns hier; auch der strukturelle
Aufbau des deutschen Wissenschaftssystems mit seiner
Institutslandschaft zeigt seine besondere Stärke . Er öffnet
Räume für die Bearbeitung unterschiedlichster wissenschaftlicher Aufgaben in Form und Inhalt und ermöglicht
eine Arbeitsteiligkeit und funktionale Komplementarität .
Er ist also Voraussetzung für die aufs Ganze gesehen bemerkenswerte Leistungshöhe und Leistungsdichte der
Wissenschaft in Deutschland, für ihren Ideenreichtum
sowie für ihre Innovationskraft . In diesem strukturellen
Aufbau entfaltet sich der Weg hin zu Spitzenforschung
und Exzellenz . Darin werden wir nicht erst durch das
Evaluationsergebnis der Imboden-Kommission aus den
vergangenen Wochen bestätigt .
In der nächsten Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz im April wird eine neue Bund-Länder-Vereinbarung in Nachfolge der Exzellenzinitiative
beschlossen . Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs werden gemeinsame Signale geben; davon können wir ausgehen . Das ist eine dauerhafte Perspektive .
Es besteht also ein breiter Konsens in Wissenschaft und
Politik darüber, dass unser Weg zu Spitzenforschung und
Exzellenz der richtige ist .
Nun zu Ihrer immer wiederkehrenden Forderung
nach solider Ausstattung förderbedürftiger Regionen .
Seit über 25 Jahren werden auch und insbesondere die
neuen Bundesländer mit Strukturfördermaßnahmen und
Programmen unterstützt, die in der Fläche Strukturen geschaffen haben . In Kenntnis der Wissenschaftler, die dort
arbeiten, möchte ich sagen: Wenn man dies missachtet,
tut man denen wirklich Unrecht .
({12})
Das BMBF fördert dies seit 1989 mit dem Inno-Regio-Programm, seit 1999 mit der Förderfamilie „Unternehmen Region“ und von 1991 bis 1996 mit dem
Hochschulerneuerungsprogramm mit insgesamt 3,2 Milliarden Euro in erheblichem Maße . Das ist eine gute Leistung, die Früchte getragen hat, wie hier schon ausgeführt
worden ist .
({13})
Die Leistungsfähigkeit des deutschen Forschungsund Wissenschaftssystems wird uns durch nationale wie
internationale Sichtbarkeit bestätigt . Wir geben mittlerweile 2,87 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für
Forschung und Entwicklung aus, also fast 1 Prozent
mehr als im europäischen Durchschnitt .
({14})
Wir sind gut aufgestellt mit einem Weltmarktanteil an
forschungsintensiven Waren von ungefähr 12 Prozent,
was im Zusammenhang mit China Weltspitze ist . Wir
sind bei den Publikationsindizes in einer führenden Position in Europa und weltweit unter den Top fünf . Wir wollen eine national wie international sichtbare Spitzenleistung in der Forschung auch zukünftig nicht dem Zufall
überlassen, weder durch Förderung nach dem Gießkannenprinzip noch nach Proporz . Das kommt nicht infrage,
daher auch immer wieder unsere Betonung eines rein
wissenschaftlich geleiteten Auswahlverfahrens innerhalb
der Wettbewerber .
({15})
Um die großen Herausforderungen unserer Tage von
der Globalisierung über die Digitalisierung bis hin zur
Integration zu bewältigen, brauchen und haben wir eine
solide, leistungsorientierte und stets dynamische Forschungsförderung . Dazu gehört auch ein klares Bekenntnis zu exzellenter Forschung .
Ihren Antrag betreffend möchte ich frei nach Goethe
schließen: 77 Minuten getretener Quark ist breit, nicht
stark .
({16})
Herzlichen Dank .
({17})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Martin Rabanus für die SPD .
({0})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf
den Besuchertribünen! Das war jetzt eine schöne Plenardebatte, die wir hier erlebt haben . Das war sicherlich kein
wissenschaftliches Symposion, aber eine parlamentarische Debatte, die davon lebt, rhetorische Stilmittel einzusetzen, die ein bisschen origineller sind und die Spaß
und Leben in dieses Parlament bringen .
Es haben schon einige betont, dass wir, als wir diesen
Antrag bekommen haben - ich glaube, es war am Mittwochabend -, ein Sammelsurium von wohlfeilen Forderungen vorgefunden haben .
({0})
Den einen oder anderen Vorschlag - das will ich gar
nicht wegdiskutieren - finde ich persönlich auch sinnvoll . Sie kennen die Position der SPD-Bundestagsfraktion zum Kooperationsverbot . Auch die Forderung, die
Forschungsmittel für Fachhochschulen auf 100 Millionen Euro zu erhöhen, ist gut und richtig . Das gefällt mir
ausgesprochen .
({1})
Ich darf darauf hinweisen, dass wir diesen Posten in den
letzten zwei Jahren von 38 Millionen Euro auf inzwischen 48 Millionen Euro aufgestockt haben; die Große
Koalition ist also auch diesbezüglich auf einem guten
Weg .
Der Rest allerdings ist eine Mischung zwischen
„Wünsch dir was“ und dem Negieren des Kulturföderalismus . Letzteres tut die SPD nicht . Wir wollen zwar das
Kooperationsverbot für den Bildungsbereich aufheben .
Aber ebenso wollen wir, dass es beim Kulturföderalismus bleibt und die Länder ihre eigenen Aufgaben haben,
die sie im Übrigen - ich komme später noch darauf - in
hervorragender Weise wahrnehmen . Auch das muss man
an dieser Stelle einmal betonen .
({2})
Man kann zu dem Sammelsurium, das Sie aufgeschrieben haben, noch ein paar Punkte hinzufügen .
({3})
Herr Schipanski hat das mit einem Punkt schon getan .
Ich habe mir die Mühe gemacht, noch einmal in die
Haushaltsänderungsanträge hineinzuschauen, die Sie im
Herbst gestellt haben . Diese komplettieren die Liste Ihrer Vorschläge: Es kommen noch 1,3 Milliarden Euro für
BAföG hinzu, und knapp 500 Millionen Euro haben Sie
damals für den Hochschulbau beantragt . Im jetzt vorliegenden Antrag sind es nur noch 300 Millionen Euro; da
muss sich die Linke erst einmal einig werden, was sie
will . Jedenfalls kann man das munter draufsummieren .
Das Ganze soll dann - das ist schon gesagt worden durch die Exzellenzinitiative bezahlt werden .
({4})
So findet es sich in der neunten Ziffer des Antrags. Auch
das ist nicht unbedingt etwas, was von besonderer Solidität geprägt ist .
Man kann das so machen . Man kann als Opposition
erst einmal alles fordern . Auch die Grünen haben sich
gelegentlich ein bisschen dazu hinreißen lassen, mehr zu
fordern .
({5})
Mit Verantwortung hat das allerdings nichts zu tun . Zwei
große, die Regierung tragende Fraktionen müssen eben
Verantwortung übernehmen; das müssen Sie in der Tat
nicht .
({6})
- Da tragen wir durchaus nicht schwer dran, lieber Kollege Gehring, sondern wir machen das gerne, wie im Übrigen auch die Länder gerne Verantwortung für die Bildung
in ihrem Bereich tragen . Ich will das am Beispiel Thüringen unterstreichen . Da ist ein Wissenschaftsminister,
der hochkompetent ist - wir kennen ihn alle: Wolfgang
Tiefensee, ehemaliger Kollege in diesem Haus - und
eine hervorragende Wissenschaftspolitik für Thüringen
macht; selbstverständlich .
({7})
Ich finde, das kann man für die meisten Länder sagen.
Ich will das am Beispiel meines Nachbarlandes Rheinland-Pfalz deutlich machen - ich komme aus Hessen -,
das eine hervorragende Politik macht .
({8})
Die Studierendenzahlen sind in den letzten zehn Jahren
von 100 000 auf 120 000 gestiegen. Die Grundfinanzierung der Hochschulen dort ist nicht um 20 Prozent,
sondern um 40 Prozent gestiegen; damit liegt Rheinland-Pfalz sogar über dem bundesdeutschen Durchschnitt . Wir sehen, dass die BAföG-Mittel vernünftig
eingesetzt werden . Das gilt übrigens ebenso für mein
Bundesland Hessen und alle anderen . Das ist auch richtig
und gut so . Es ist sogar festzustellen, dass, völlig gegen
den Trend, in Rheinland-Pfalz die Betreuungsrelationen
in den Hochschulen stabil bleiben und sogar besser werden .
Das alles wird gemacht in den Ländern. Ich finde, das
muss man auch ganz klar benennen . Das ist eine Leistung, die auch von der Linken in Zukunft ein bisschen
deutlicher gewürdigt werden könnte .
({9})
In diesem Sinne, glaube ich, sind wir in der Bundesrepublik Deutschland bei alldem, was wir noch zu besorgen haben, bei alldem, was wir uns noch vornehmen, auf
einem guten Weg . Das gilt für die Länder auf der einen
Seite und für diese Koalition auf der anderen Seite gleichermaßen .
Herzlichen Dank .
({10})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7643 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Widerspruch erhebt
sich nicht . Dann ist die Überweisung somit beschlossen .
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Kombinierter siebter und achter Bericht der
Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der
Frau ({0})
Drucksache 18/5100
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Debatte 60 Minuten vorgesehen . - Auch dagegen
erhebt sich kein Widerspruch . Dann ist das somit beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die Bundesregierung der Parlamentarischen
Staatssekretärin Elke Ferner das Wort .
({2})
Vielen Dank . - Herr Präsident! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Der kombinierte siebte und achte CEDAW-Bericht erstreckt sich auf die Jahre 2007 bis 2014 .
Angesichts der Tatsache, dass noch in keinem Land der
Welt die vollständige Gleichstellung von Frauen und
Männern erreicht ist, hat dieser Bericht naturgemäß
Licht, aber auch Schatten . Ich freue mich sehr, dass wir
jetzt, gut zwei Wochen vor der nächsten Sitzung der
Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen, die
Gelegenheit haben, über diesen Bericht im Deutschen
Bundestag zu diskutieren .
In den letzten zwei Jahren hat das Thema Gleichstellung wieder Fahrt aufgenommen . Auch deshalb bin ich
mir ganz sicher, dass im nächsten CEDAW-Bericht die
Schatten geringer und das Licht mehr werden wird .
Für die Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen
und Männern gibt es aus meiner Sicht drei zentrale Handlungsfelder: die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt,
die gleichberechtigte Partizipation in allen gesellschaftlichen Bereichen und der Schutz von Frauen und Mädchen
vor Gewalt, insbesondere vor sexueller Gewalt .
Wo stehen wir im Jahr 2016? Bei der Gleichstellung
auf dem Arbeitsmarkt gibt es Fortschritte . Die Frauenerwerbsquote ist auf dem höchsten Stand . Mütter kehren
nach der Geburt ihrer Kinder früher in den Beruf zurück
als vorher . Immer mehr Männer, gerade der jüngeren Generation, möchten sich gerne Beruf und Familie partnerschaftlich teilen, also auch ihren Teil der Familienarbeit
übernehmen . Das gelingt zunehmend, aber immer noch
auf zu niedrigem Niveau . Immer mehr Männer nehmen
Elterngeld in Anspruch .
In diesem Bereich haben wir Fortschritte erzielt, weil
die Rahmenbedingungen verändert worden sind . Wir haben in der letzten Großen Koalition das Elterngeld und
den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem ersten
Geburtstag eingeführt . In dieser Wahlperiode verbessern
wir die Rahmenbedingungen weiter . Der Bund stellt auch
in dieser Wahlperiode Ländern und Kommunen zusätzliche Mittel für den Kitaausbau zur Verfügung . Wir haben beispielsweise das Programm „KitaPlus“ aufgelegt,
bei dem es darum geht, Beschäftigten mit unnormalen
Arbeitszeiten, also Personen, die im Schichtdienst arbeiten, etwa Krankenschwestern und Polizisten, die Möglichkeit einer guten Kinderbetreuung zu geben, auch
wenn sie alleinerziehend sind oder der Partner bzw . die
Partnerin die Kinderbetreuung nicht übernehmen kann .
Mit dem Elterngeld Plus ermöglichen wir eine bessere
Partnerschaftlichkeit . Wir setzen Anreize für eine frühere
Rückkehr in den Beruf und haben mit dem Pflegezeit-
und dem Familienpflegezeitgesetz Verbesserungen für
die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf geschaffen. - Das
alles sind erste Schritte hin zur Familienarbeitszeit . Ich
bin mir sicher: Wenn nicht in dieser Wahlperiode, werden
wir spätestens in der nächsten Wahlperiode gesetzgeberische Maßnahmen dazu ergreifen .
({0})
Im CEDAW-Bericht wird gewürdigt, dass wir die
Erwerbstätigkeit von Frauen, ihre ökonomische Unabhängigkeit und damit ihre tatsächliche Gleichstellung
unterstützen . Wir sind aber noch längst nicht am Ziel .
Die Frauenerwerbsquote ist zwar so hoch wie noch nie;
aber wenn man hinter die Kulissen schaut, sieht man,
dass mehr als die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in
Teilzeit beschäftigt sind, mit all den damit verbundenen
Folgen wie Lohnersatzleistungen . Die Lohnlücke von
22 Prozent führt am Ende des Erwerbslebens zu einer
Rentenlücke von fast 60 Prozent . Es ist daher notwendig,
dass es auch im Bereich der Erwerbsarbeit zu einer besseren Gleichstellung von Frauen und Männern kommt .
Wir müssen die Lohnlücke, die Zeitlücke und die Rentenlücke schließen; dann sind wir der Gleichstellung von
Frauen und Männern deutlich näher gekommen .
({1})
Wir gehen in dieser Wahlperiode das Vorhaben
„Lohngerechtigkeit“ an . Wir werden darüber mit Sicherheit nicht nur am diesjährigen Equal-Pay-Tag zu diskutieren haben, sondern auch im weiteren Verlauf des Jahres . Die Lohnlücke liegt in Deutschland bei 22 Prozent .
Damit sind wir so ziemlich am unteren Ende der Skala,
was die Lohngerechtigkeit angeht . Das hat viele Ursachen . Deshalb brauchen wir auch viele Maßnahmen, um
der Lohnlücke beizukommen . Das geht los bei der Teilzeitarbeit. Wir wissen, dass Teilzeitarbeit in der beruflichen Sackgasse endet, wenn sie dauerhaft ausgeübt wird .
Deshalb wollen wir den Rückkehranspruch auf die alte
Arbeitszeit noch in dieser Wahlperiode angehen . Durch
den Mindestlohn haben wir bereits einen Baustein zum
Schließen der Lohnlücke gesetzt . Laut Untersuchungen
wird die Lohnlücke allein durch den Mindestlohn um
2 Prozent geringer . Wenn dann auch noch von der Möglichkeit einer besseren Tarifbindung in größerem Umfang
Gebrauch gemacht wird, wird sie sich weiter schließen .
Es geht aber auch um den Wert der Arbeit, und um mehr
Transparenz . Auch in dieses Thema werden wir in dieser
Wahlperiode einsteigen .
Nächster Punkt ist das Thema „Frauen in Führungspositionen“ . Dazu haben wir bereits ein Gesetz verabschiedet, das seit dem 1 . Januar dieses Jahres vollständig gilt .
Wir werden hoffentlich zur Mitte des Jahres oder bis zum
Herbst erste belastbare Zahlen haben, denen eine größere
Anzahl von Unternehmen zugrunde liegt .
Die Opposition hatte bei der Verabschiedung dieses
Gesetzes gesagt, das reiche alles nicht aus . Ich möchte
daran erinnern, dass wir im letzten Jahr gemeinsam bei
der FRK in New York waren . Es ist doch erstaunlich,
welch positive Resonanz dieses Gesetz auf internationaler Ebene, sowohl bei der FRK als auch beim Global
Summit of Women, gefunden hat . Natürlich ist das noch
steigerungsfähig
({2})
- überhaupt keine Frage -; aber der Einstieg ist gemacht .
({3})
Letzter Punkt ist das Thema „Schutz von Frauen und
Mädchen vor Gewalt“ . Da, denke ich, gibt es mehr Licht
als Schatten, aber eben auch noch den einen oder anderen
Schatten . Wir haben in der Bundesrepublik ein sehr gut
ausgebautes Hilfesystem . Wir haben auch Gesetze, die
allerdings noch verbessert werden müssen - das Sexualstrafrecht ist nur eines -, und das nicht erst seit Köln, um
das hier noch einmal deutlich zu sagen .
({4})
Nach den Statistiken hat jede vierte Frau mit ihrem
bisherigen oder vorherigen Partner wenigstens einmal
körperliche oder sexuelle Gewalt in ihrem Leben erfahren, und jede siebte Frau in Deutschland hat auf die eine
oder andere Weise sexualisierte Gewalt erfahren . Diese
Zahlen sind viel zu hoch . Deshalb müssen wir an den
gesetzlichen Normen etwas verändern .
({5})
Wir müssen uns aber auch noch einmal über den Alltagssexismus in unserer Gesellschaft unterhalten . Der
fängt bei sexistischer Werbung an und endet am Ende
des Tages in Rollenzuschreibungen, die nicht gut sind,
und auch in entsprechenden Frauenbildern, die dann zu
Übergriffen führen, wie wir sie in Köln, aber auch anderswo, zum Beispiel auf dem Oktoberfest in München,
sehen konnten .
Ich glaube, dass wir auf gutem Weg sind . Es ist leider
noch nicht alles getan . Wir werden uns auch beim nächsten CEDAW-Bericht mit Sicherheit noch über ein paar
Schattenseiten zu unterhalten haben . Ich bin aber sehr
zuversichtlich, dass wir beim nächsten Mal eine deutlich
bessere Bilanz vorlegen können; denn wir akzeptieren
nicht, dass Frauen in unserer Gesellschaft direkte oder
indirekte Nachteile haben . Dafür arbeiten wir hier in
großen Teilen zusammen; das möchte ich hier auch noch
einmal deutlich sagen . Dafür Ihnen allen ein herzliches
Dankeschön!
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Möhring
für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, es ist zu Beginn der Debatte nicht verkehrt, wenn
ich noch etwas zur Bedeutung dieses Übereinkommens
sage . Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau, kurz CEDAW genannt,
ist das wichtigste völkerrechtliche Instrument für die
Gleichstellung von Frauen . Alle Staaten, die diesen Vertrag der Vereinten Nationen unterzeichnet haben, sind
zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauen
in allen Lebensbereichen verpflichtet.
Was heißt das? Das ist eigentlich ganz einfach: Erstens darf der Staat selbst nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen . Zweitens muss er auch aktiv
dafür sorgen, dass Chancengleichheit nicht nur auf dem
Papier steht, sondern gesellschaftliche Realität wird .
({0})
Der Staat ist außerdem verpflichtet, diese Politik proaktiv zu verfolgen . „Proaktiv“ bedeutet im ursprünglichen
Sinne übrigens „ohne abzuwarten“, sogar „unverzüglich
und mit eigenen Initiativen“ . Daran hapert es dann schon
ein bisschen .
Vor 30 Jahren ist dieses Übereinkommen in nationales Recht übergegangen, und seitdem überprüft der
CEDAW-Ausschuss regelmäßig die Einhaltung dieses
Abkommens und gibt konkrete Empfehlungen zu allen
16 Artikeln. Deutschland hat sich mit der Ratifizierung
im Übrigen auch verpflichtet, diese Empfehlungen umzusetzen und mindestens ernst zu nehmen .
Liebe Frau Ferner, Ihnen persönlich nehme ich das alles ab . Wir haben ja gemeinsam direkt bei der UN dafür
gestritten . Ich habe aber nicht so gute Hoffnungen in die
Gesamt-GroKo wie in Sie . Auf dieser kleinen Karte, die
ich hier habe, sind alle 16 Artikel des CEDAW-Abkommens verzeichnet . Vielleicht nehmen Sie die einmal mit
und verteilen sie im Kabinett und in den Koalitionsfraktionen sozusagen als Leitschnur für die Gleichstellungspolitik . Das wäre doch mal etwas .
({1})
In dem hier vorliegenden kombinierten siebten und
achten Bericht der Bundesrepublik Deutschland macht es
nämlich mitnichten den Eindruck, als würde die Bundesregierung das CEDAW-Abkommen wirklich ernst nehmen . Der Bericht liest sich eher wie ein schlechtes Entschuldigungsheft . In weiten Teilen wird gar nicht auf die
Empfehlungen geantwortet, sondern einfach der Status
quo beschrieben, gerechtfertigt und beschönigt . Wir wissen schon länger - das ist, denke ich, übereinstimmende
Meinung in diesem Haus -, dass die vorherige Bundesregierung - Sie haben auf den langen Berichtszeitraum
hingewiesen - gleichstellungspolitisch nicht sonderlich
interessiert war . Aber der Bericht zeigt auch: Die GroKo
hat keinen Plan .
({2})
Sie haben kein Konzept, um die Diskriminierung von
Frauen wirklich grundlegend und umfassend zu bekämpfen, und Sie verstecken Ihre Planlosigkeit lediglich hinter
ein paar gleichstellungspolitischen Trippelschritten .
({3})
Ich mache das einmal exemplarisch an Artikel 11 des
Abkommens fest . Inhalt von Artikel 11 sind unter anderem die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung im
Erwerbsleben, das Recht auf Arbeit sowie das Recht auf
gleiches Entgelt und gleiche Sozialleistungen . Gleichstellung ist immer auch eine soziale Frage . Solange Frauen in der Armutsfalle stecken, ist Gleichstellung nicht zu
erreichen, und solange Frauen ökonomisch nicht unabhängig von Ehemännern oder wem auch immer sind, ist
Gleichstellung ebenfalls nicht zu erreichen . Damit sage
ich nicht, dass, wenn wir ökonomisch selbstständig agierende Frauen haben, damit die Gleichstellung erreicht ist .
Der CEDAW-Ausschuss ist zu Recht besorgt über
die Situation von Frauen im Erwerbsleben . Frauen sind
zwar vermehrt erwerbstätig - das hat Frau Ferner eben
auch bestätigt; die Erwerbsquote ist gestiegen -, aber das
hat nicht zu einem Anstieg des Anteils der Erwerbsarbeit von Frauen am Gesamtarbeitsvolumen geführt . Das
heißt schlicht und ergreifend: Frauen sind nur stärker in
Teilzeit beschäftigt, also weniger in Vollzeit . Die Quote
ist also zurückgegangen, und dafür gibt es mehr Jobs in
Teilzeit . Und nicht nur das: Frauen arbeiten vorwiegend
in befristeten und gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen . Hinzu kommen die 5,3 Millionen Minijobs,
in denen zu zwei Dritteln Frauen arbeiten .
({4})
Wie antwortet die Bundesregierung im Bericht auf
dieses Problem? Sie behauptet einfach, dass Frauen zum
größten Teil in Normalarbeitsverhältnisse eingestiegen
sind . Der Trick dabei ist: Sie rechnet alles zu Normalarbeitsverhältnissen, was über einer Wochenarbeitszeit von
21 Stunden liegt . Ehrlich gestanden, liebe Kolleginnen
und Kollegen, das grenzt an Verarschung .
({5})
Ein Normalarbeitsverhältnis sollte sich perspektivisch,
meiner Meinung nach, im Rahmen einer 30-Stunden-Woche bewegen, und zwar für beide Geschlechter,
und zu einem Gehalt, von dem man auch gut leben kann .
({6})
Der CEDAW-Ausschuss sieht ebenfalls mit Besorgnis die seit langem bestehende Lohn- und Entgeltlücke .
Er hat recht damit . Die Entgeltlücke zwischen den Geschlechtern liegt konstant bei 22 Prozent . Falls Ihr Gesetz das Bundeskanzleramt jemals wieder verlässt, wird
das darin vorgesehene Auskunftsrecht leider weder diese
Lücke schließen noch die Aufwertung von Frauenarbeit
bewirken .
Auch in den Führungsetagen sind Frauen eine Seltenheit . Auch in den Bundesbehörden und Bundesministerien gibt es etliche patriarchale Hochburgen . Im
Bundesrechnungshof sind gerade einmal miserable
18,92 Prozent Frauen in Führungspositionen . Auch Minister Schäuble scheint weibliches Führungsvolk eher
zu scheuen: Bei ihm sind von den 202 Führungskräften
gerade einmal ein Fünftel weiblich . Nur im Bundesrat
ist jede zweite Führungskraft eine Frau . Das zeigt aber:
Wenn die Hausleitung es wirklich will, dann geht es auch .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen in Deutschland bekommen weniger Geld und haben weniger Chancen, aber Frauen arbeiten nicht weniger . Das stellt auch
der CEDAW-Ausschuss fest und bemängelt die Folgen,
zum Beispiel für die Altersversorgung von Frauen . Frauen arbeiten mit 45,5 Stunden pro Woche im Durchschnitt
eine Stunde länger als Männer . Zwei Drittel dieser Zeit
leisten sie unbezahlt; das sind immerhin 29,5 Stunden .
Diese unbezahlte Arbeit umfasst etliches: Haushaltsführung, aber auch die Betreuung und Pflege von Kindern
und anderen Haushaltsmitgliedern, Unterstützung für
Personen, die nicht im Haushalt leben, und noch einiges mehr . Frauen schaffen also den Löwenanteil der Tätigkeiten weg, ohne die unsere Gesellschaft überhaupt
nicht existieren könnte . Was bekommen sie dafür? Eine
schlechtere Bezahlung, und wenn sie erwerbslos werden,
haben sie nicht einmal einen eigenen Anspruch auf Sozialleistungen, weil sie in Bedarfsgemeinschaften gepresst
werden . Für die Alterssicherung hat das alles schwerwiegende Folgen .
({8})
In Deutschland beziehen Frauen nur 60,6 Prozent der
Alterseinkommen der Männer, oder anders ausgedrückt
39,4 Prozent weniger .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der heftigsten Diskriminierungen ist Armut . Die Schere zwischen
Arm und Reich hat mittlerweile völlig absurde Ausmaße
erreicht . Im Jahr 2014 waren rund 12,5 Millionen Menschen in Deutschland arm oder armutsgefährdet . Auch
hier finden wir mehr Frauen als Männer. Alleinerziehende - das sind auch zu 90 Prozent Frauen - tragen ein
besonders hohes Armutsrisiko . 40 Prozent von ihnen sind
einkommensarm .
Wie antwortet die Bundesregierung? Sie spart Fragen
der Arbeitsteilung fast aus und meint, das Problem sei
mit der Elternzeit und dem Elterngeld Plus fast erledigt .
Sie hält weiter daran fest, dass Frauen sich eine dauerhafte und gut bezahlte Erwerbsarbeit suchen sollten, trotz
der vorgetragenen Fakten und Daten. Ich finde das geradezu unerträglich .
({9})
Alle Frauen - wirklich alle Frauen! - haben eine eigenständige Perspektive verdient, und zwar nicht nur als
Sahnebonbon, sondern als Menschenrecht .
Der gesamte Bericht zu allen Artikeln liest sich leider
so wie beschrieben . Entschlossenes Handeln wäre jetzt
aber angemessener, damit die zahlreichen Frauen nicht
länger diskriminiert werden und endlich ökonomisch
unabhängig leben können . Die Linke will gerechte und
gleiche Löhne, die Aufwertung von Frauenarbeit, endlich
mehr Personal in der Pflege, eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die Abschaffung von Bedarfsgemeinschaften
und nicht zuletzt eine armutsfeste gesetzliche Rente .
({10})
Die Linke meint gleichstellungspolitisch und darüber
hinaus: Das muss drin sein, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Vielen Dank .
({11})
Die Kollegin Ursula Groden-Kranich spricht als
Nächste für die CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Vor einer Woche habe ich
hier zum Thema „Gleichstellung im Kulturbetrieb“ gesprochen . Auch die heutige Unterrichtung durch die
Bundesregierung zeigt, dass uns alle das Thema „Diskriminierung von Frauen“ umtreibt; man möchte sagen:
uns leider noch immer umtreibt . Die politische Arbeit an
dieser Thematik ist - darin sind wir uns sicherlich alle
einig - überaus mühsam, oft kleinteilig und geht deprimierend langsam vonstatten . Dennoch ist es wichtig, sich
ab und zu vor Augen zu führen, dass es in unserem Land
auch gute Fortschritte im Kampf gegen Diskriminierung
gibt . Auch wenn es an der konsequenten Anwendung der
bestehenden Gesetze zum Teil noch aus für mich unverständlichen Gründen hapert, gibt es viele Gesetze, um
die uns Frauen anderer Nationen beneiden und auf die
wir hierzulande stolz sein können; denn wir haben ein
Allgemeines Gleichstellungsgesetz, und wir haben ein
Grundgesetz, das in Artikel 3 die Diskriminierung von
Frauen verbietet .
Die jetzige Regierung hat in den letzten Jahren einige
Vorhaben zum Abbau der Diskriminierung von Frauen
umsetzen können . Ich nenne hier exemplarisch nur das
Gesetz zur Frauenquote . Auch den Abbau von Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen haben wir
im Koalitionsvertrag gemeinsam festgeschrieben . Wie
Sie wissen, befindet sich derzeit ein Gesetzentwurf zur
Umsetzung eben dieser Pläne im Bundeskanzleramt .
Also auch hier sind wir aktiv .
Die Entgeltlücke als eine spezielle Form der Geschlechterdiskriminierung scheint mir in mancher Hinsicht symptomatisch zu sein; denn nicht nur beim Gender Pay Gap gilt: Das Problem, seine Ursachen und die
möglichen Instrumente zur Behebung sind hinlänglich
bekannt, die messbaren Fortschritte aber selbst nach jahrelangen Anstrengungen des Gesetzgebers immer noch
eher dürftig .
Woran liegt es also, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch diskriminiert werden? An einem Mangel an Gesetzen liegt es meiner Meinung nach jedenfalls
nicht . Ich habe es an dieser Stelle schon mehrfach gesagt und betone es gerne nochmals: Um Diskriminierung
nachhaltig zu bekämpfen, dürfen wir uns nicht allein auf
den Gesetzgeber verlassen - auf ihn natürlich auch -,
sondern wir müssen der Diskriminierung auf allen politischen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Kontexten
entgegenwirken .
({0})
Eine ganz wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Zugang zur Bildung, auf den meine Kollegin
Christina Schwarzer noch eingehen wird .
Ein grundsätzliches Problem beim Kampf gegen die
Diskriminierung von Frauen ist sicherlich, dass sie in so
unterschiedlichen Ausformungen daherkommt . Sie fängt
bei vermeintlich harmlosen und oftmals sogar unbewussten Verletzungen wie dem sexistischen Sprachgebrauch
an, und sie reicht bis zur grauenvollen körperlichen und
seelischen Verletzung der Menschenwürde in Form von
Zwangsprostitution und Genitalverstümmelung .
Meine Damen und Herren, bei der Beschäftigung
mit den verschiedenen Formen von Diskriminierung
stoße ich in letzter Zeit immer wieder auf eine Gruppe
betroffener Frauen, die für meine Begriffe noch viel zu
wenig im Fokus unserer Aufmerksamkeit steht . Diese
Frauen haben selbst leider oft nicht die Mittel oder die
Kraft, stärker in Erscheinung zu treten: Ich denke an die
Migrantinnen in diesem Land . Damit meine ich nicht nur
die Frauen, die mit der aktuellen Flüchtlingswelle zu uns
kommen und hier Schutz suchen . Nein, ich denke vor allem an die Migrantinnen der zweiten und dritten Generation, an Frauen, die oftmals sogar einen deutschen Pass
besitzen und dennoch hier, mitten unter uns, in Parallelgesellschaften leben, die Lichtjahre von Artikel 3 unseres
Grundgesetzes entfernt sind .
Die ganz alltägliche und von uns allen mehr oder weniger stillschweigend geduldete Diskriminierung dieser
Mädchen und Frauen aus muslimischen Familien reicht
von vermeintlich banalen Dingen wie dem Verbot der
Teilnahme am Sportunterricht oder am Unterricht an
weiterführenden Schulen - von Universitäten ganz zu
schweigen - bis hin zur Zwangsverheiratung minderjähriger Mädchen, die oft noch Jahre nach ihrer Ankunft in
Deutschland unserer Sprache kaum mächtig sind und die
ihren Ehemännern in jeder Hinsicht - körperlich, moralisch und wirtschaftlich - ausgeliefert sind .
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir feststellen, dass
Migrantinnen oft doppelt diskriminiert werden: einmal
in der eigenen Community, und dann noch einmal von
uns, indem wir für diese Art der Diskriminierung blind
sind oder sie zumindest oft als Diskriminierung zweiter
Klasse behandeln .
Übrigens ist dieses Phänomen nicht nur in Großstädten zu beobachten . Ich selber wurde in den letzten Jahren
bei Begegnungen in meiner Heimatstadt immer wieder
damit konfrontiert . Bei „öffentlichen“ Terminen waren
Frauen mit größter Selbstverständlichkeit einfach ausgeschlossen . Während des Ramadans beispielsweise war
ich sowohl bei türkischen Familien als auch in Moscheen
zum täglichen Fastenbrechen eingeladen . Vor Ort wurde
ich jedoch fast ausschließlich von Männern empfangen;
die Frauen durften nicht an den Begegnungen teilnehmen .
({1})
Oder: Beim Besuch von Flüchtlingseinrichtungen in
meinem Wahlkreis war ich erfreut, zu hören, dass es noch
freie Plätze in Deutschkursen gibt .
({2})
- Ach, lassen Sie es doch, Frau Schauws, ehrlich! Bei
dem Thema sind nämlich auch Sie auf einem Auge blind .
({3})
Vor Ort sagte mir dann aber beispielsweise eine
tschetschenische Frau, ihr Mann wünsche nicht, dass sie
an einem solchen Kurs teilnimmt, weil dort auch Männer
sind . Dies trifft nicht nur Frauen in Flüchtlingsheimen,
sondern es trifft auch Frauen, die bereits seit vielen Jahren in unserem Land sind .
({4})
Ich sage Ihnen ganz offen: Vorfälle wie diese lassen
mich besorgt, wütend und leider auch regelrecht hilflos
zurück . Sie bringen mich argumentativ in Bedrängnis .
Denn wie soll ich meiner Tochter - ({5})
- Noch gilt es, dass jeder eine eigene Meinung haben
darf und diese auch hier im Bundestag frei äußern darf .
Insofern hat das auch mit Diskriminierung zu tun .
({6})
Vorfälle wie diese lassen mich besorgt, wütend und
auch regelrecht hilflos zurück. Denn wie soll ich meiner
Tochter im Anschluss an solche Begegnungen erklären,
dass sich Männer dieses Verhalten herausnehmen dürfen,
ohne bestraft zu werden, und Frauen dies ertragen müssen? Da frage ich manchmal auch, Frau Künast: Wo ist
der Aufschrei der grünen Feministinnen?
({7})
Warum konnten über Jahrzehnte hinweg Parallelgesellschaften entstehen, in denen Frauen und Mädchen
einem chauvinistischen Diktat unterworfen werden, das
nicht einmal ansatzweise mit unserer Rechtsordnung vereinbar ist, sondern diese bewusst und schamlos verachtet?
({8})
Ist das unsere Vorstellung von Toleranz und kultureller
Freiheit? Kann sie das wirklich sein? Ich denke: nein .
Im vergangenen Jahr konnte ich an der UN-Frauenrechtskonferenz in New York teilnehmen . Die Ziele der
Resolution „Peking + 20“, die unter anderem den Abbau
von Diskriminierung zum Ziel hat, sind aktueller und notwendiger denn je . In meinen Gesprächen mit Politikerinnen und Aktivistinnen verschiedenster Herkunft hat sich
ein Punkt immer wieder herauskristallisiert, den ich absolut einleuchtend und enorm wichtig finde: Der Kampf um
Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung ist eben
nicht eine reine „Frauensache“ . Genau da setzen internationale Kampagnen, zum Beispiel „HeForShe“ der UN
Women, an . Denn von einer aufgeklärten, emanzipierten
und diskriminierungsfreien Gesellschaft profitieren am
Ende alle: Männer und Frauen . Das haben einschlägige
Untersuchungen bereits für verschiedene Länder gezeigt .
Auch ein Bericht der Weltbank kommt zu dem Schluss,
dass eine starke Wirtschaft, kulturelle Innovation und soziale Gerechtigkeit fast automatisch dort entstehen, wo
besonders viel für die Geschlechtergerechtigkeit getan
wird .
Wir Frauen sollten also nicht den Fehler machen,
Männer beim Thema Diskriminierung immer nur als potenzielle Gegner zu betrachten . Im Gegenteil: Wir brauchen Männer dringend als Mitstreiter der Frauen
({9})
und vor allem als positive Rollenvorbilder und Korrektive für die Generation unserer Söhne, Neffen und Enkel .
({10})
- Ich glaube, im Moment sind mehr Männer von der
CDU/CSU da als von den Linken .
({11})
Väter können und müssen ebenso wie Mütter dazu
beitragen, dass ihre Töchter starke Persönlichkeiten werden, die sich ihrer Rechte als Frauen bewusst sind . Oder
wie es kürzlich in einem Artikel auf Zeit Online so schön
auf den Punkt gebracht wurde: „Deutschland braucht
mehr Feministen!“
Die Diskriminierung von Frauen muss geächtet werden, und zwar von allen Menschen, die in diesem Land
leben, völlig unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit,
ihrer Religion, ihrer kulturellen Herkunft und ihrer politischen und privaten Überzeugung .
Ich wäre sehr glücklich, wenn ich in einer der nächsten
Reden zu dieser Thematik den Satz der US-amerikanischen Sozialreformerin Alice Hamilton zitieren könnte:
Für mich liegt die Befriedigung darin, dass die Dinge jetzt besser sind und dass ich daran Anteil hatte .
Vielen Dank .
({12})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Ulle Schauws .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat 1979 das wichtige Übereinkommen zur
Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau
beschlossen . CEDAW gilt bis heute als wichtigstes Menschenrechtsinstrument für Frauen weltweit . Das BMFSFJ
misst dem Staatenbericht von CEDAW hohe Bedeutung
bei . Das begrüßen meine Fraktion und ich ausdrücklich;
({0})
denn das war in der letzten Wahlperiode unter CDU-Führung deutlich anders .
Kollegin Groden-Kranich, wenn Sie hier heute mit
Verve eine Rede für die Frauenrechte halten, sage ich
Ihnen ganz klar: Gestern wurde ein Asylpaket II verabschiedet, in dem das Gewaltschutzkonzept für Frauen
gekippt worden ist . Das ist die Wahrheit, und auch die
müssen Sie sich anhören .
({1})
Was Sie hier gestern verabschiedet haben, bietet Frauen
keinen Schutz, ganz im Gegenteil .
({2})
Ich frage mich, warum Sie vom Ministerium und auch
Sie von den Fraktionen der Großen Koalition bei der Debatte zum Internationalen Frauentag auf eine Rückschau
setzen . Der Bericht weist doch klar auf die drängenden
Aufgaben hin, zum Beispiel auf das überfällige Entgeltgleichheitsgesetz . Der Staatenbericht kritisiert die Situation seit Jahren . Es wäre meines Erachtens das richtige
Signal gewesen, wenn Sie als Bundesregierung heute einen Gesetzentwurf für ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz vorgelegt hätten . Ich hätte das als ein gutes Signal
gefunden .
({3})
Aber bis auf Ankündigungen hat diese Regierung nichts
vorzuweisen . Frauen bekommen nach wie vor 22 Prozent weniger Lohn . Das ist und bleibt ein Skandal!
Ich habe die Befürchtung - ich bin da nicht alleine -,
dass der von Ihnen angekündigte Gesetzentwurf wenig
wirksam sein wird, dass er den Frauen am Ende wenig
bringt . Mit Ihrer geplanten Transparenzoffensive für
Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern werden Sie nur wenige Frauen erreichen .
Ohne ein Verbandsklagerecht - das sage ich ganz klar stärken Sie die Unternehmen, aber nicht die Frauen . Und
was ist das bitte für ein Signal an Frauen?
Der Bericht der Kommission der Antidiskriminierungsstelle - das war in dieser Woche Thema im Ausschuss - hat das sehr klar kritisiert . Ihre Koalition knickt
bereits jetzt vor der Wirtschaft und vor der Industrie ein,
die gegen dieses Gesetz schon Sturm laufen . Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Alle Frauen- und Sozialverbände werden Sie daran messen, was am Ende des
Tages von einem Entgeltgleichheitsgesetz übrig bleibt .
Gegen jede Diskriminierung von Frauen ist ein Gesetz
nur dann gut, wenn es auch Wirkung zeigt .
({4})
Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen .
Beim Kampf gegen Sexismus und bei der Suche nach
Lösungen zur verbesserten Finanzierung von Frauenhäusern bleiben Sie im Ministerium komplett untätig .
Erfolgreiche Regierungsarbeit, aber auch Gesetze, die
gegen die Diskriminierung von Frauen wirken, müssen
Sie umsetzen .
Meine Damen und Herren, die CEDAW-Empfehlung
zu Prostitution kritisiert scharf - ich zitiere -, „dass die
gesteckten Ziele durch das Gesetz nur in sehr geringem
Umfang erreicht wurden“ . Konkret heißt das: keine Verbesserung der sozialen Lage, keine Verbesserung der
Arbeitsbedingungen und keine Verringerung der Kriminalität für Prostituierte . Daran wird auch Ihr geplantes
Prostitutionsgesetz nichts ändern .
Ganz im Gegenteil: Mit Ihrem Gesetzesvorschlag
treiben Sie Prostituierte geradezu in die Illegalität . Mit
der Anmeldepflicht müssen sich diese für jede sexuelle
Dienstleistung anmelden - auch wenn sie nur gelegentlich stattfindet. Es geht Ihnen in der Union und in der SPD
nicht um den Schutz der Prostituierten . Nein, im Gegenteil: Es geht um Kontrolle . Anstatt endlich die Richtlinie
zum Schutz der Opfer von Menschenhandel umzusetzen,
laufen Sie Gefahr, ein Bürokratiemonster zu schaffen,
das die Länder und Kommunen nicht wollen . Da frage
ich ganz klar: Wie wirken Ihre Gesetze eigentlich?
Der CEDAW-Ausschuss ist besorgt darüber, dass die
Bundesregierung Rollenstereotype nicht proaktiv bekämpft . Auch wird Besorgnis über sexistische Werbung
geäußert . Ein Vorschlag des CEDAW-Ausschusses liegt
längst auf dem Tisch: Mit einer unabhängigen Stelle
könnte sexistische Werbung wirksam geprüft werden . Dazu habe ich von Ihnen nichts gehört .
Ich bin auch gespannt, wie weit Sie am Ende des Tages beim Sexualstrafrecht wirklich gehen, ob wir am
Ende des Tages ein Gesetz haben, nach dem das Nein
auch ein Nein ist .
({5})
Es ist noch viel zu tun . Wenn Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, dieses Jahr 2016 zum Jahr
der Frauen ausrufen, dann dürfen wir wirklich mehr von
Ihnen erwarten, nämlich Ankündigungen, die dann auch
wirklich umgesetzt werden, Gesetze, die ihren Namen
wirklich verdienen, und Maßnahmen, die gegen Diskriminierung von Frauen wirksam sind .
Beherzigen Sie doch das, was schon die Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht forderten . Ihr Motto
hieß: „Taten statt Worte“ .
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen einen guten Frauentag .
Vielen Dank .
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Carola Reimann
für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Für gleiche oder gleichwertige Arbeit darf nicht
wegen des Geschlechts ein geringerer Lohn gezahlt
werden .
So steht es in etwas holprigem Deutsch auf Seite 35 des
CEDAW-Berichts aus dem Jahr 1988 . Das war der erste
Bericht, den die Bundesregierung nach der Ratifizierung
des Übereinkommens vorgelegt hat .
Heute, 28 Jahre und etliche CEDAW-Berichte später,
äußert sich der zuständige UN-Fachausschuss besorgt
über die bestehenden Lohn- und Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern in unserem Land . Fast
drei Jahrzehnte sind vergangen, und wir sind von dem
Ziel „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ noch immer meilenweit entfernt .
Wer immer noch glaubt, diese Lücke werde sich schon
irgendwann irgendwie von selbst schließen, der sollte
einmal einen Blick in die Berichte der vergangenen Jahre
werfen . Da steht schwarz auf weiß: Wenn wir als Gesetzgeber jetzt nicht tätig werden, dann wird sich auch in den
nächsten 30 Jahren nichts bewegen .
Kolleginnen und Kollegen, dank der Initiativen der
Ministerinnen Schwesig und Nahles kommen wir bei
der Entgeltgleichheit in dieser Legislaturperiode aber
endlich voran. Vom Mindestlohn profitieren Millionen
Beschäftigte, insbesondere Frauen, vor allem Frauen im
Dienstleistungssektor .
({0})
Damit ist der Mindestlohn ein wichtiger Baustein zur
Verringerung der bestehenden Lohnlücke .
Zu diesen Bausteinen gehören natürlich auch der weitere Ausbau der Kindertagesbetreuung, das neue Elterngeld Plus und das geplante Pflegeberufegesetz, das zu
einer Aufwertung der sozialen Berufe führen wird .
Kernstück unserer Strategie zur Bekämpfung der
Lohnlücke ist aber das Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit; den Gesetzentwurf hat Ministerin Schwesig zurzeit
in Arbeit . Es setzt auf neue Instrumente wie den individuellen Auskunftsanspruch für Beschäftigte, die betrieblichen Verfahren und die Berichtspflichten. Vor allem
setzt es auf Transparenz; denn die Frage des Gehalts darüber sind wir uns hier im Raum doch alle einig - ist
in Deutschland eines der letzten großen Tabus . Dieses
Tabu schadet vor allem den Frauen; denn viele wissen
schlichtweg nicht, ob sie überhaupt fair bezahlt werden .
Das muss sich ändern; denn nur dann können Frauen sich
auch gegen Lohnungerechtigkeit zur Wehr setzen .
({1})
Die Bevölkerung ist bei der Frage der Transparenz
und Vergleichbarkeit von Gehältern längst weiter: Knapp
70 Prozent sind laut einer Studie des DELTA-Instituts
dafür, dass Gehaltsstatistiken im Betrieb offengelegt
werden . Das zeigt: Die Leute wollen Transparenz über
Gehaltsfragen . Deshalb muss Schluss sein mit der Geheimniskrämerei auf Kosten der Frauen .
({2})
Kolleginnen und Kollegen, die Lohnlücke zwischen
Frauen und Männern - die Staatssekretärin hat das ausgeführt - hat viele Ursachen . Eine ist die Position von
Frauen in der Unternehmenshierarchie . Mit der Frauenquote haben wir nicht nur einen wichtigen, ja historischen Schritt für mehr Gleichberechtigung geschafft,
sondern wir haben auch die Weichen für mehr Vielfalt in
den Führungsetagen gestellt .
({3})
Zugegeben, heute ist es für eine umfassende Bilanz noch
zu früh . Das Gesetz ist gerade erst in Kraft getreten und
wirksam . Man kann aber doch festhalten, dass durch die
Quote einiges in Bewegung gekommen ist, nicht nur
durch die gesetzlichen Vorgaben, sondern auch durch die
öffentliche Debatte über Frauenanteile in Spitzengremien . Es gibt einige Unternehmen, die mit positiven Zahlen
wirklich punkten können, andere müssen sich aber der
öffentlichen Kritik stellen . Wenn man immer nur hinterherhechelt, gibt man in der Öffentlichkeit natürlich kein
gutes Bild ab . Ich kann diesen Unternehmen nur raten:
Wer die Quote ignoriert, schadet am Ende vor allem sich
selbst .
({4})
Kolleginnen und Kollegen, der aktuelle CEDAW-Bericht zeigt, dass wir bei der Gleichstellung vor allem in
den letzten zwei Jahren ein gutes Stück vorangekommen sind . Vieles baut auf Errungenschaften auf, die von
Frauen, auch von Frauen hier im Haus, von allen, über
Jahrzehnte hinweg hart erkämpft wurden, oft gegen ganz
erhebliche Widerstände . In den letzten Wochen und Monaten preisen auch diejenigen diese Errungenschaften,
die bislang nicht als die eifrigsten Leser der CEDAW-Berichte in Erscheinung getreten sind . Ich will an dieser
Stelle nicht über die Beweggründe und die Motive der
neuen Kämpfer für Gleichstellung und Frauenrechte spekulieren . Ich will an dieser Stelle aber darauf hinweisen,
dass es schon bald die Gelegenheit gibt, hier im Parlament dafür zu sorgen, dass Gleichstellung und Frauenrechte in diesem Land weiter gestärkt werden, zum Beispiel mit dem Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit und mit
einer grundlegenden Reform des Sexualstrafrechts .
({5})
Es sind alle herzlich eingeladen, mitzuhelfen .
Danke .
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christina Schwarzer,
CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau definiert diese in Artikel 1 wie folgt:
. . . jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur
Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der
Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die
Frau - ungeachtet ihres Familienstands - im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen,
staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich
beeinträchtigt oder vereitelt wird .
Schaue ich mir diesen Artikel Stück für Stück an, wird
zumindest deutlich: Vom gesetzlichen Standpunkt her
haben wir in Deutschland eine Gleichberechtigung von
Mann und Frau . Das ist eine gute Nachricht, eine wichtige Grundlage, aber damit allein wird absolut keine Aussage über die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter in unserem Land getroffen .
Das Übereinkommen geht mit gutem Recht noch einen Schritt weiter. Es verpflichtet die Vertragsstaaten
zur Durchführung von Maßnahmen, die nicht nur die
juristische, sondern auch die tatsächliche Gleichberechtigung von Frau und Mann herbeiführen sollen . Diese
Zielstellung ist richtig und wichtig, macht es für den
Vertragsstaat aber selbstverständlich ungleich schwieriger, die gemeinsam angestrebten Ziele zu erreichen . Die
Gleichberechtigung in der Wirtschaft, in den Medien, in
der Öffentlichkeit, ja sogar in der Familie selbst kann
durch einzelne Regelungen oder Gesetze, Projekte oder
Kampagnen forciert und gefördert, nie jedoch gänzlich
herbeigeführt werden . Auch wird eine Diskriminierung
im Zweifel unterschiedlich empfunden .
Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau berücksichtigt diese beiden Faktoren
auch in seinen Stellungnahmen zum Bericht, zum Beispiel, wenn es um die Geschlechtsstereotypen in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien, geht . Der Bericht
erkennt hier klar an, dass die Bundesrepublik Deutschland, in der die Unabhängigkeit der Medien ein wichtiges
Element der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
ist, die Vermittlung eines positiven Frauenbildes nicht
verlangen kann . Als Gesellschaft können wir dies einfordern - das sollten wir auch dringend tun -, und die Politik
kann dies durch viele Maßnahmen unterstützen .
({0})
Die tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und
Frau ist ein wichtiges politisches und gesellschaftliches
Ziel . Es ist in unserer Gesellschaft allgemein anerkannt,
von traurigen Ausnahmen abgesehen . Wenn wir, die wir
hier sitzen, auf die Straße gehen und ein paar Menschen
fragen würden, ob sie die Gleichstellung der Geschlechter für wichtig und richtig halten, dann - da bin ich mir
sicher - würden die meisten mit Ja antworten . Ich bin
aber auch von Folgendem überzeugt: Würden wir die
Menschen draußen fragen, ob sie in ihrem persönlichen
Umfeld Frauen diskriminieren oder sich als Frau diskriminiert fühlen, würde ein nicht unbeachtlicher Teil mit
Nein antworten . Das hat auch damit zu tun, wie wir ganz
persönlich die Dinge einschätzen .
Der Chef eines kleinen IT-Unternehmens, der den
männlichen einem gleichqualifizierten weiblichen Bewerber vorzieht, tut dies nicht mit dem erklärten Ziel,
die Bewerberin zu diskriminieren, sondern vielmehr nur
aus einem gefühlten Vorteil des Mannes heraus, den der
Chef gar nicht so recht erklären kann, aber so empfindet.
Die junge Mutter, die sich die familiären Aufgaben mit
ihrem Partner so aufteilt, dass sie in den ersten Jahren
die hauptsächliche Arbeit bei der Umsorgung der Kinder
trägt, fühlt sich dadurch nicht zwingend diskriminiert .
({1})
Doch summieren sich viele kleine solcher Beispiele, Frau
Rawert, trägt dies auch dazu bei, dass der Bericht bei uns
in Deutschland natürlich eine strukturelle Benachteiligung der Frauen feststellt .
Hinzu kommen die wirklich schlimmen Ausnahmen
der Benachteiligung von Frauen, wenn diese beispielsweise aufgrund ihres Geschlechts im Beruf ganz offen
und gezielt benachteiligt werden oder zum Beispiel häusliche Gewalt erfahren . Dazu muss man aber auch Folgendes feststellen: Wenn ein Mann seine Frau verprügelt,
dann haben wir es nicht mit einer strukturellen oder gar
gesetzlichen Benachteiligung der Frauen zu tun, sondern
wir haben es schlichtweg mit einem miesen Typen zu
tun, der eher ein Fall für den Staatsanwalt und nicht für
die Gleichstellungsbeauftragte ist .
({2})
Die heute schon vielfach angesprochene Lohndiskrepanz zwischen Männern und Frauen - mag man nun die
unbereinigte Zahl von 22 Prozent, den bereinigten Wert
von 7 bis 8 Prozent oder gar die umstrittenen 2 Prozent
des Instituts der deutschen Wirtschaft heranziehen - ist
ohne Zweifel ein Thema, dessen wir uns annehmen müssen . Wir tun dies schon seit Jahren . Viele Maßnahmen
wurden heute auch schon genannt, zum Beispiel das ElterngeldPlus, die Frauenquote in der Wirtschaft oder der
Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz .
Warum wirkt das ElterngeldPlus so gut? Ein Teil des
Gender Pay Gap lässt sich darauf zurückführen, dass
Frauen, gesamtgesellschaftlich betrachtet, die Hauptaufgabe bei der Kinderbetreuung stemmen . Wir sind hier auf
einem sehr guten Weg, die partnerschaftliche Aufteilung
bei der Kinderbetreuung stärker den Wünschen junger
Familien anzupassen . Väter wollen nämlich mehr für
ihre Kinder da sein; zahlreiche Studien belegen dies . Mit
dem ElterngeldPlus unterstützen wir sie dabei . Das hat
selbstverständlich auch positive Auswirkungen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt . Um es etwas salopp zu sagen:
Wenn der Chef nicht einschätzen kann, ob eine potenzielle junge Mutter oder ein potenzieller junger Vater das
Ausfallrisiko im Fall einer Familiengründung ist, wird er
womöglich bei der Besetzung eines neuen Postens kein
Geschlecht bevorzugen oder benachteiligen .
Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz sowie der
maßgeblich vom Bund finanzierte Ausbau der Kinderbetreuungsplätze sind ebenfalls dazu geeignet, eine schnelle Rückkehr von Frauen ins Erwerbsleben zu fördern, so
sie denn wollen .
Wenn wir also konstatieren, dass bereits viele Schritte
getan sind, es noch ein gutes Stück Weg hin ist bis zu einer reellen Gleichberechtigung von Mann und Frau, viele
in unserer Gesellschaft dies aber in ihrer täglichen Lebensrealität nicht empfinden oder zumindest als weniger
dringlich einstufen, ist es mir wichtig, die Problematik
noch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten . Der
Bericht bezieht eindeutig auch Deutschlands föderale
Struktur - seine 16 Bundesländer mit rund 11 000 Kommunen - und die sich daraus ergebenden Aufgabenstrukturen ein .
Stellen wir folgende Überlegung an: Ein nicht zu vernachlässigender Faktor für die Lohnlücke ist die Berufswahl. Wir finden Frauen häufig - Frau Dr. Reimann, Sie
erwähnten das - in schlechter bezahlten Dienstleistungsberufen in der Pflege, im Einzelhandel oder in der Kinderbetreuung . Männer dominieren in besser bezahlten
Berufen und bei Vorstandsposten . Die Grundlage hierfür
legen wir in der Schule, in der Ausbildung und im Studium .
Lassen Sie uns einen Blick in die Klassenräume und
die Hörsäle werfen . In Deutsch-Leistungskursen gibt es
mehr Mädchen, bei der Informatik als Wahlfach mehr
Jungen . Auch in den Klassen, in denen zum Fachinformatiker ausgebildet wird, sind die Jungen in der Überzahl . Der Anteil der Frauen in Maschinenbaustudiengängen steigt; aber auch hier liegen die Frauen immer noch
zurück . Bei den Sozialwissenschaften hingegen dominieren die Frauen .
Dass wir im Bereich IT ein Bildungs- und Ausbildungsproblem haben, stelle ich immer wieder fest, wenn
ich Schülergruppen zu Besuch habe . Bei den Mädchen aber auch Jungen erzählen das oft - hält sich die Begeisterung für den Informatikunterricht arg in Grenzen . Es
scheint, als müsse man schon eine große Begeisterung
für diese vermeintlich langweiligen Dinge mitbringen,
um eine Leidenschaft für dieses Thema zu entwickeln .
Was ich damit sagen will: Eine wichtige Grundlage
für weniger Diskriminierung am Arbeitsmarkt - und damit bei den Löhnen - legen wir mit unseren Lehrplänen
bzw . mit unserem Bildungssystem . Damit sind wir beim
Föderalismus und bei den Ländern .
Wenn wir wollen, dass sich diese Form von Männer- bzw . Frauenüberhang in bestimmten Berufsgruppen
ausgleicht, müssen wir unseren Kindern verschiedene
Themen von Anfang an strukturiert beibringen . Aber
das allein reicht noch nicht aus . Wir müssen unseren
Schülern die Dinge auch richtig - soll heißen: kindgerecht - beibringen . Einige Menschen müssen aufhören,
zu verneinen, dass Mädchen und Jungen unterschiedlich
lernen . Diese Tatsache wird von ihnen als unsäglich gebrandmarkt . Tatsächlich ist das aber so . Das heißt, dass
vor allem MINT-Unterricht nicht nur kindgerechter, sondern auch individueller werden muss .
({3})
Das ist nicht nur für die Jungen und Mädchen selbst,
sondern auch für die Wirtschaft wichtig . Die Studienergebnisse im Rahmen des „trendence Schülerbarometers“ 2015 zeigen, dass sich mit knapp 30 Prozent besonders Jungen eine Ausbildung im technischen oder
mechanischen Bereich wünschen und nur 11,9 Prozent
eine Ausbildung in der Informatik anstreben . Nur 2 Prozent der befragten Mädchen interessieren sich hingegen
für eine entsprechende Ausbildung .
Auch bei angestrebten Studienrichtungen lassen sich
Unterschiede bei der Beliebtheit seitens der Geschlechter feststellen . Während rund 11 Prozent der befragten
Jungen ein Informatikstudium beginnen wollen, sind nur
0,8 Prozent der Schülerinnen daran interessiert . Klar ist:
Die IT-Berufsgruppen brauchen Mädchen und Frauen .
Die reelle Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt ist nicht
nur ein Instrument der Frauenförderung, sondern auch
der Wirtschaftsförderung .
Neben den heute schon vielfach angesprochenen
Schritten beim Elterngeld, bei der Quote, bei der Rückkehr von Teilzeitarbeit in Vollzeitarbeit und bei vielem
mehr ist das diesbezügliche Fitmachen unseres Bildungssystems meines Erachtens eine der wichtigsten Maßnahmen, um das gemeinsame Ziel, die Lohnlücke zu schließen - darüber wurde heute schon vielfach gesprochen -,
zu erreichen, damit wir, liebe Ulle Schauws, den Equal
Pay Day künftig auch an Silvester feiern können .
({4})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Katja Dörner .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Dass wir über eine konkrete
frauenpolitische Initiative dieser Bundesregierung gesprochen haben, ist ziemlich genau ein Jahr her . Damals
wurde nämlich das „Quötchen“ verabschiedet . Das ist
sicherlich eine gute Sache, aber nicht wirklich der ganz
große Wurf .
Das war vor einem Jahr . Heute diskutieren wir über
den CEDAW-Bericht . Es ist klar: Der CEDAW-Bericht er ist das wichtigste Menschenrechtsinstrument für Frauen - ist ohne Frage eine Debatte wert . Ich will aber doch
feststellen: Dass zum 8 . März, dem Internationalen Frauentag, so gar keine konkrete Initiative von der Bundesregierung ausgeht, enttäuscht mich und erschreckt mich
auch .
({0})
Denn das zeigt, dass der Bundesregierung in der Frauenpolitik die Puste ausgegangen ist, liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen . Dabei gibt es wirklich genug zu tun, um
das anzugehen, was CEDAW einfordert, nämlich die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau .
Der aktuelle Bericht gibt auch ganz klare Hinweise,
was für die Bundesrepublik ansteht . Einen Punkt will ich
hier noch einmal ganz stark betonen: - Stichwort „Entgeltgleichheit“ .
Deutschland besetzt seit Jahren den traurigen Spitzenplatz in der Europäischen Union, wenn es um die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern geht . In keinem
anderen europäischen Land gilt der Leitsatz „Gleicher
Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ so wenig
wie bei uns . Das ist einfach beschämend und ein Ärgernis, dessen Beseitigung wir wirklich umgehend in Angriff nehmen sollten .
({1})
Das immer wieder angekündigte Entgeltgleichheitsgesetz liegt uns bis heute noch immer nicht vor . Da die
Spatzen von den Dächern pfeifen, wie massiv Teile der
Bundesregierung schon jetzt auf die Bremse drücken,
dürfen wir leider nicht viel Gutes für dieses Gesetz erwarten .
Wenn das Entgeltgleichheitsgesetz der Großen Koalition tatsächlich nur für Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gelten soll, wie es wohl
geplant ist, dann ist der zahnlose Tiger doch schon vorprogrammiert . Wir Grüne wollen ein Entgeltgleichheitsgesetz, das tatsächlich wirkt und seinen Namen auch
verdient .
({2})
Da ich schon einmal bei nicht umgesetzten Ankündigungen bin: Wo steckt eigentlich das Recht auf Rückkehr in Vollzeit? Frau Ferner hat es heute auch wieder
angekündigt. Ich habe das gestern einmal flott gegoogelt:
Manuela Schwesig hat es am 9 . Januar 2014 und am 7 . Januar 2015 angekündigt, Andrea Nahles hat es am 18 . Dezember 2013, am 15 . März 2014 und am 7 . Januar 2015
angekündigt . Das ist noch nicht einmal eine vollständige
Auflistung. Für 2015 wurde es uns dann konkret versprochen . Wo steckt der entsprechende Gesetzentwurf?
({3})
Das Recht auf Rückkehr in Vollzeit ist zentral, um
Frauen den Weg aus der erzwungenen Teilzeit zu ebnen,
aber eben auch, um Teilzeit für Männer attraktiver zu machen . Deshalb muss es unbedingt kommen . Wir fordern
die Bundesregierung auf, endlich einen Gesetzentwurf zu
diesem Thema vorzulegen .
({4})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die autonomen
Frauenhäuser haben vor einer Woche eine Bustour durch
die Bundesländer gestartet . Sie machen damit auf die
schwierige finanzielle Situation der Frauenhäuser aufmerksam . Ich bin der Initiative sehr dankbar, dass sie so
hartnäckig an diesem Thema dranbleibt .
Dieses Thema wird auch im CEDAW-Bericht ganz
zentral aufgegriffen . Der Ausschuss zeigt sich sehr besorgt über die fehlende nachhaltige Finanzierung der
Frauenhäuser und den mangelnden Zugang für Frauen
mit Behinderung, für Ausländerinnen und für einkommensschwache Frauen .
Hier besteht auch ganz klar Handlungsbedarf . Die Zuständigkeit für die Finanzierung der Frauenhäuser darf
nicht einfach lapidar auf die Länder und auf die Kommunen abgeschoben werden . Wir sehen hier den Bund
weiterhin in der Pflicht.
({5})
Ich konnte nur einige Beispiele nennen, aber es gibt
frauenpolitisch nun wirklich genug zu tun . Es wird Zeit,
dass sich die Bundesregierung wieder aufrafft, hier konkrete Initiativen vorzulegen .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Als erster Kollege in dieser Debatte hat jetzt Sönke
Rix für die SPD das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal zur Frage,
ob in der Frauenpolitik die Luft raus ist: Ich kann zumindest für den linken Lungenflügel der Koalition sagen,
dass dort noch genug Luft drin ist, Frau Kollegin .
({0})
Gemeinsam mit dem rechten Lungenflügel werden wir
hier auch noch zu weiteren Maßnahmen kommen .
({1})
Eine weitere Vorbemerkung, weil es immer wieder
auch darum geht, welche Verantwortung die Länder in
vielen Fragen haben . Es nützt ja nichts - Sie haben das
gerade am Beispiel der Frauenhäuser noch einmal getan -, wenn wir uns hier immer wieder sagen, der Bund
müsse stärker Verantwortung übernehmen,
({2})
wenn die Länder das nun einmal nicht wollen . In den
Ländern regieren auch Sie mit, liebe Grünen
({3})
- natürlich ist es so: auch dort regieren Sie mit, liebe Grünen -, und von daher: Lassen Sie uns einmal die Kirche
im Dorf lassen und die Verantwortung dort belassen, wo
sie gerade ist, und lassen Sie uns auch einmal unsere eigenen Landesregierungen auffordern, dort etwas zu tun .
({4})
Im Übrigen geht Schleswig-Holstein hier mit sehr gutem Beispiel voran und ist vorbildlich . Das wird - zumindest im Vergleich zu den anderen Ländern - auch
die Kollegin Möhring zugeben müssen . Wir in Schleswig-Holstein haben das schon schneller erkannt .
({5})
Gerade in der Debatte und auch insgesamt wird, wenn
man über Gleichstellungspolitik diskutiert, häufiger die
Frage gestellt: Brauchen wir da eigentlich noch Gesetze? Wir haben doch die Gleichstellung im Grundgesetz
festgeschrieben . Wo werden denn Frauen durch welche
Maßnahmen tatsächlich benachteiligt oder diskriminiert?
Auch hier in der Debatte hat das am Rande eine Rolle
gespielt . Es wurde erklärt, es gebe doch so viele Gesetze, und eigentlich brauche man doch keine gesetzlichen
Regelungen mehr . Wer so etwas sagt, der redet unverantwortlich angesichts dessen, was wir über Diskriminierung von Frauen in diesem Lande wissen .
({6})
Der Lohnunterschied beträgt über 20 Prozent . Frauen
sind immer noch stärker von Armut betroffen als Männer .
Frauen sind noch immer stärker von Gewalt betroffen als
Männer . Frauen haben noch immer schlechtere Aufstiegschancen als Männer . Diese Liste ließe sich noch fortführen . Wer an dieser Stelle behauptet, das sei nur ein
gesellschaftliches Problem, man brauche keine gesetzlichen Regelungen, der liegt falsch, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({7})
Wir haben in dieser Koalition schon gesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht, und wir haben auch noch
weitere vor uns . Ich erinnere an die Einführung der Quote . Und ich erinnere an die Maßnahmen, die wir, federführend beim Justizressort, zur Verschärfung des Sexualstrafrechts vor uns haben .
({8})
Ich erinnere an das Gesetz zur Lohngerechtigkeit . Also,
wir regeln Dinge gesetzlich . Das haben wir uns als Koalition gemeinsam auf die Fahnen geschrieben . Das sollten
wir nicht kleinreden .
Ein Wort zur Lohngerechtigkeit, weil auch Sie, Frau
Dörner, in Ihrer Rede darauf hingewiesen haben, dass die
Regelung hierzu kein zahnloser Tiger werden dürfe . Ich
kann Ihnen für die SPD-Fraktion versichern: Einer Regelung, die einem zahnlosen Tiger gleicht, werden wir
nicht zustimmen . Ein Gesetz nur um des Gesetzes willen
brauchen wir nicht . Wir brauchen ein Gesetz um der Wirkung willen . Daran arbeiten wir, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({9})
Wir wissen, dass wir eigentlich noch viel mehr Biss
haben müssten und könnten . Leider lässt uns der Koalitionsvertrag nicht so viel Spielraum, wie wir ihn vielleicht
mit anderen Mehrheiten in diesem Hause hätten . Aber er
lässt uns Spielraum . Ich appelliere an die Koalitionskolleginnen und -kollegen von der Union, diesen Spielraum
zu nutzen, damit es ein wirksames Gesetz wird .
({10})
Lassen Sie mich noch kurz über Rollenbilder sprechen, weil auch das ein Thema ist, an dem wir arbeiten
müssen . Ich habe mich vorhin an das Lied Männer, von
Herbert Grönemeyer, erinnert gefühlt . Er singt:
Männer haben Muskeln .
({11})
Männer sind furchtbar stark . . .
Männer kriegen ‚nen Herzinfarkt .
Die meisten Männer, die das auf dem Oktoberfest zur
bayerischen Blasmusik mitgrölen, wissen gar nicht, wie
ironisch dieses Lied gemeint ist .
({12})
Nichtsdestotrotz macht es ein besonderes Männerbild
deutlich, an dem noch viele hängen .
Zum Glück hat sich dieses Männerbild verändert,
auch mit Hilfe von gesetzlichen Maßnahmen, zum Beispiel dem Elterngeld Plus . Das Elterngeld ist gerade
schon erwähnt worden . Hiermit stärken wir die Partnerschaftlichkeit . Wir wissen aus Studien, dass Männer noch
viel mehr Zeit für Familie und für Partnerschaft haben
wollen . Deshalb ist es gut und richtig, dass wir beim Elterngeld Plus nicht stehen bleiben, sondern noch weiter
diskutieren, nämlich das Thema Familienarbeitszeit, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({13})
Zu Rollenbildern gehört leider immer noch ein sehr
antiquiertes Frauenbild . Wenn man sich die Werbung
einmal ansieht, ist man häufig sehr geschockt. Es gibt
den Spruch eines Arzneimittelherstellers: Mütter nehmen
nicht frei, Mütter nehmen XY . Gemeint ist ein bestimmtes Medikament . Das Bild, das dahintersteckt, was also
Mütter für eine Funktion haben und welche Rolle sie
spielen sollen, wird dabei sehr deutlich . Deshalb glaube
ich: Auch wenn wir sehr viele gesetzliche Regelungen
brauchen, so brauchen wir nichtsdestotrotz auch eine gesellschaftliche Debatte . Wir brauchen einen gesellschaftlichen Auftrieb für die Gleichstellung von Männern und
Frauen . Wir brauchen beides: gesetzliche Regelungen
und gesellschaftliche Debatte . Diese führen wir .
Danke schön, meine Damen und Herren .
({14})
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Dr . Silke Launert für die CDU/CSU .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
0800 0116 016:
({0})
Alles Mögliche haben wir heutzutage in unseren Smartphones gespeichert . Aber welche Frau verfügt in ihrem
Telefonbuch über diese Nummer? Wer von uns kennt
diese Nummer überhaupt? Normalerweise müssten sie
mindestens 40 Prozent der in Deutschland lebenden
Frauen kennen und auf ihrem Handy unter „H“ wie Hilfetelefon abgespeichert haben . Denn - das zeigt auch der
Bericht - laut Studien sind etwa 40 Prozent der Frauen
seit ihrem 16 . Lebensjahr mindestens einmal psychischer
und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen .
Die Nummer, die ich gerade genannt habe, ist die
Nummer des Hilfetelefons, das seit März 2013 zur Verfügung steht und in dem Bericht ausdrücklich lobend angesprochen wird .
({1})
Die Bundesregierung hat damit eine wichtige Lücke im
Hilfesystem geschlossen . Denn das Telefon ist ein kostenloses, bundesweites und anonymes Erstberatungsangebot
bei allen Formen von Gewalt . Es bietet Betroffenen, Angehörigen oder sonstigen Personen unkomplizierte Hilfe
rund um die Uhr und in 15 Sprachen .
({2})
Wir brauchen Angebote wie dieses für alle, und damit
meine ich wirklich: für alle . Denn jedem muss klar sein,
dass Gewalt gegen Frauen überall stattfindet, jederzeit
und in allen Schichten .
Ich teile die hier angesprochene Ansicht, dass es
nichts mit Diskriminierung zu tun hat, wenn ein Mann
seine Frau verprügelt, leider nicht . Das zeigt nicht nur ein
großer Teil des Berichts . Wenn Frauen körperlich oder
sexuell Gewalt erfahren, hat das häufig etwas mit Macht
und mit Kleinhalten zu tun . Auch das ist für mich eine
Form von Diskriminierung .
({3})
Spätestens mit den Vorfällen in der Silvesternacht in
Köln haben wir erlebt, dass sexuelle und körperliche
Gewalt auch öffentlich passiert . Körperliche oder sexuelle Gewalt gegen Frauen kommt überall vor: auf öffentlichen Plätzen und Straßen, am Arbeitsplatz und oft zu
Hause in den eigenen vier Wänden . Es ist erschreckend,
wenn man hört, dass Frauen von häuslicher Gewalt mehr
bedroht sind als durch andere Gewaltdelikte wie Körperverletzung mit Waffen, Wohnungseinbrüche oder Raub .
Sexuelle oder körperliche Gewalt gegen Frauen reicht
von einfachen Belästigungen wie anzüglichen Bemerkungen oder einem Klaps auf den Po über Schläge,
Verprügeln, Stalking und Vergewaltigung bis hin zu Tötungsdelikten, nicht selten innerhalb von partnerschaftlichen oder familiären Beziehungen . Diese Übergriffe steigern sich dann im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität.
Mich hat es oft erschreckt, zu erleben, dass Opfer gerade dem Partner gegenüber später im gerichtlichen Verfahren sich selbst die Schuld gegeben und das Verhalten
des Partners entschuldigt haben . Sie haben immer mehr
das Gespür dafür verloren, was man eigentlich in einer
Beziehung akzeptieren sollte und was nicht .
So vielfältig diese Formen von Gewalt gegenüber
Frauen sind - ich habe gar nicht alle Formen der Gewalt
angesprochen -, so vielfältig sind auch die strafrechtlichen Einordnungen . Sie reichen von der einfachen Beleidigung bis hin zu Stalking, Körperverletzung, Vergewaltigung oder auch Tötungsdelikten . Leider bestehen im
Strafrecht erhebliche Strafbarkeitslücken . Deshalb - das
haben einige Kollegen schon zu Recht gesagt - braucht
man beides: die Debatte in der Bevölkerung wie auch in
manchen Fällen die Änderung des Rechts . Wir als Gesetzgeber müssen genau da ansetzen . Denn als Bundesgesetzgeber sind wir definitiv für die Reform des Strafrechts zuständig .
({4})
Ein Beispiel ist die Reform der Straftatbestände bei
Menschenhandel und Zwangsprostitution . In den nächsten Wochen und Monaten wird sicherlich ein Gesetzentwurf eingebracht . Denn es ist kein Geheimnis, und es
ist auch keine Übertreibung, wenn ich sage, dass junge
Mädchen und Frauen mitten in Europa wie Ware gehandelt werden. Sie werden wie Frischfleisch angepriesen
und von einem Bordell ins nächste verkauft, benutzt und
weggeworfen . Da müssen wir tätig werden - leider hat
das gutgemeinte Prostitutionsgesetz zum Teil das Gegenteil bewirkt -; wir müssen die ersten Schritte gehen und
werden sehen, wie praxistauglich diese sind .
Auch im Bereich des Stalkings hat der Bundesjustizminister vergangene Woche einen Entwurf vorgelegt . Ich
freue mich sehr darüber . Denn auch das zeigen die Statistiken: Es wurden 25 000 Fälle zur Anzeige gebracht, und
es gab 400 Verurteilungen . Und warum? Ein erheblicher
Grund für dieses Missverhältnis besteht in der Fassung
des Straftatbestandes . Es ist nicht in Ordnung, zuerst zu
verlangen, dass das Opfer wegen der permanenten Belästigungen seinen Arbeitsplatz wechselt oder umzieht .
Wir müssen hier früher ansetzen . Ich freue mich, dass
Justizminister Maas nun das Thema aktiv angeht .
({5})
Das nächste Thema - Sie sprachen es schon an - ist
die Reform des Vergewaltigungstatbestandes . Hier wird
in den nächsten Wochen ein Entwurf in die Gesetzgebung eingebracht werden . Auch hier gibt es gravierende
Schutzlücken, und zwar schon vor den Ereignissen in der
Kölner Silvesternacht .
({6})
Es kann nicht sein, dass die Fälle, in denen sich die Frau
nicht wehrt, weil der Täter überlegen ist, oder in denen
sich die Mutter nicht wehrt, wenn sie vergewaltigt wird,
weil sie ihr Kind nicht aufwecken will, nicht bestraft
werden .
Die Rechtslage zu verbessern, ist das eine . Ich höre
immer wieder, dass die Gesetze nichts bringen . Manchmal ist das so; das räume ich ein . Aber eine frühzeitig
eingreifende Strafbarkeit kann vieles verhindern . Ich
nenne als Beispiel den Bereich des Stalking . Wenn Opfer
zur Polizei oder zur Staatsanwaltschaft gehen und ihnen
dort gesagt wird, das sei doch nichts, und sie schließlich
weggeschickt werden, dann spricht sich das herum . Die
Opfer nehmen das mit . Glauben Sie mir: Gerade im Bereich des Stalking ist es wichtig, die Täter frühzeitig zu
erreichen .
({7})
Nicht wenige von ihnen haben psychische Schäden .
Nicht selten führen diese harmlosen Stalking-Delikte zu
einer Steigerung, bis hin zur Tötung .
Ein weiterer Aspekt ist die Finanzierung . Sie haben
recht: Die Finanzierung ist ein Hauptproblem . Dabei sind
wir als Bund häufig nicht zuständig. Aber das Thema im
Hinblick auf den Bericht anzusprechen, ist völlig richtig .
Mir tut es in der Seele weh - dabei läuft in Bayern in
diesem Bereich vieles besser als woanders -,
({8})
wenn ich erlebe, dass lokale Einrichtungen wie der Notruf der Diakonie Hochfranken oder die „Schutzhöhle“
ums Überleben kämpfen müssen und dass nur dank der
Medien, des Fernsehens und der Zeitungen, Gelder akquiriert werden, die das Überleben solcher Einrichtungen sichern . Jeden Euro, den wir an dieser Stelle sparen,
müssen wir hinterher - genauso wie in der Jugendhilfe mehrfach wieder ausgeben .
({9})
Wenn wir die Opfer gleich zu Beginn alleine lassen
und nicht optimal betreuen, tragen viele gesundheitliche
Schäden davon . Auch die Kosten sind enorm . Viele Opfer landen in der Erwerbsunfähigkeit, weil sie mit den
Belastungen nicht zurechtkommen . Daher kann ich nur
sagen: Auch wenn der Bund nicht zuständig ist, sollten
wir an einem Strang ziehen und uns eine Strategie überlegen . Hier bin ich sofort bei Ihnen . Das ist ein Bereich,
den wir auch im Hinblick auf die Flüchtlingskrise nicht
vernachlässigen dürfen . Ganz im Gegenteil: Wir werden
ihn sogar ausbauen müssen .
({10})
Wenn wir nicht wollen, dass sich Frauen aus Scham
nicht melden, dann müssen wir dieses Thema mitten in
die Gesellschaft bringen, und zwar nicht nur einmal am
8 . März eines jeden Jahres, sondern immer wieder . Wenn
wir wollen, dass Taten zur Anzeige gebracht werden und
dass Männer, die zu solchen Taten neigen, therapiert werden, dann müssen sich mutige Nachbarn bei der Polizei
melden, wenn sie hören, dass eine Frau zu Hause verprügelt wird . Wir müssen zudem junge Mädchen ermutigen,
sich selbst einzugestehen, dass vielleicht in der eigenen
Beziehung eine Grenze längst überschritten ist und dass
man Hilfe in Anspruch nehmen sollte .
Allen Betroffenen sage ich: Das Wählen der
0800 0116 016 kann die Eintrittskarte in ein neues Leben
sein .
Vielen Dank .
({11})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann gehe ich davon aus, dass Sie alle damit
einverstanden sind . Die Überweisung ist beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens
Drucksache 18/7457
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Für diese Aussprache sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe,
dass alle damit einverstanden sind . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Dr . Michael Meister das Wort .
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Beim Gesetzentwurf zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens geht es darum, dass wir moderne IT nutzen, um das Besteuerungsverfahren einfacher, schneller
und effizienter zu gestalten. Lassen Sie mich zu diesen
drei Zielen etwas sagen . Wir wollen das Ganze so machen, dass wir ein sauberes und sicheres rechtsstaatliches
Fundament für diese Veränderung im Besteuerungsverfahren haben .
Schneller soll es werden, indem wir die Informationstechnologie nutzen, den Menschen die Möglichkeit
geben, auf elektronischer Ebene mit dem Finanzamt
zu kommunizieren, und dabei Medienbrüche vermeiden . Das heißt: Wir wollen in Zukunft keine Mischung
mehr zwischen Informationstechnologie und Papier . Wir
wollen auch dafür sorgen, dass nicht nur die Erklärung
selbst, sondern auch die Bearbeitung der Steuererklärung, die Bescheidung und möglicherweise weitere Verfahrensschritte vollautomatisiert erfolgen können . Das
ist deshalb wichtig, weil es sich um ein Massenverfahren
handelt, bei dem Millionen von Steuererklärungen und
Bescheiden zu erstellen sind . Wir gehen davon aus, dass
zukünftig die Bescheidung elektronisch erfolgt und der
Bescheid per Download heruntergeladen werden kann .
Ebenso wollen wir den Weg dafür öffnen, dass die vorausgefüllte Steuererklärung auf elektronischem Weg zum
Steuerpflichtigen kommt.
Der Steuervollzug selbst soll einfacher werden, weil
die Belege nicht mehr wie heute durch die Finanzbehörde angefordert werden, sondern es in Zukunft nur noch
eine Aufbewahrungspflicht für den Steuerpflichtigen geben soll. Nur dann, wenn Belege benötigt werden, findet
eine Übermittlung an die Finanzbehörde, und zwar auch
auf elektronischem Weg, statt . Wir wollen das, was wir
bei Elster können, durch ein einfacheres Authentifizierungsverfahren ermöglichen . So wollen wir die Authentifizierung ohne Medienbrüche durchführen; damit wird
auch die elektronische Erklärung für den Steuerpflichtigen einfacher .
Wir glauben, dass es vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der knapper werdenden Zahl
der Fachkräfte sinnvoll ist, die Mitarbeiter der Steuerverwaltung effizienter zum Einsatz zu bringen, sprich: nicht
in den Masseverfahren, die vollautomatisiert bearbeitet
werden können, sondern dort, wo es um komplexere
Sachverhalte oder um solche Fälle geht, die man nicht
vollautomatisiert erfassen kann . Wir werden deshalb ein
Risikomanagementsystem implementieren und nach diesem Risikomanagementsystem dafür sorgen, dass auch
im automatisieren Verfahren der eine oder andere Fall
dennoch einer Prüfung unterzogen wird .
Insgesamt hoffen wir, dass sich die Mitarbeiter in Zukunft den komplexen Fällen zuwenden können und wir
damit dafür sorgen, dass sie zielgenauer eingesetzt werden können und die Steuerverwaltung insgesamt zielgenauer wird . Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen:
Es ist nicht unsere Absicht, Personalabbau zu betreiben .
Unser Ziel ist es vielmehr, von Massen- und Mengenaktivitäten zu einer qualitätsorientierten Steuerverwaltung
zu kommen .
({0})
Was sind die wesentlichen Teile, die wir rechtsstaatlich fundieren müssen? Ich will einige Stichworte nennen .
Das ist zum einen die elektronische Kommunikation .
An der Stelle müssen natürlich die Datensicherheit und
der Datenschutz für die Finanzverwaltung, für den Steuerpflichtigen, aber auch für Dritte, die gegebenenfalls
Daten zuliefern, gewährleistet sein .
Wir wollen die Wirtschaftlichkeit und die Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns steigern - das habe ich
beschrieben - durch die Konzentration der Mitarbeiter
auf die komplexen Fälle und die schwierigen Fragen .
Wir wollen zum Dritten dazu kommen, dass die einfacheren Fälle vollständig automatisiert bearbeitet werden .
Wir wollen dazu kommen, dass die Abgabe der Steuererklärung für den Steuerpflichtigen erleichtert wird,
sprich: er soll die vorausgefüllte Steuererklärung bei der
Finanzbehörde abrufen können, damit er sozusagen ein
elektronisches Formular bereits mit seinen Daten bekommt, in das er gegebenenfalls nur Korrekturen eintragen muss .
Wir haben das Thema „elektronische Datenübertragung an Dritte und von Dritten“, bei dem wir auch erhebliche Vereinfachungen erwarten . Ich nenne als Beispiel
die Daten der Rentenversicherungsträger, Krankenversicherungsbeiträge und ähnliche Dinge .
Bei den Steuererklärungsfristen werden wir in den
Fällen, in denen Steuerberater beteiligt sind, eine Ausdehnung vornehmen . Ich glaube, dass das dazu führt,
dass wir zu einer gleichmäßigen Belastung der Steuerverwaltung kommen .
Das Gesetz soll nach den Beratungen am 1 . Januar 2017 in Kraft treten . Allerdings muss man sich darüber klar sein, dass anschließend die organisatorische Umsetzung innerhalb der Steuerverwaltung erfolgen muss .
Ich weiß schon, dass Sie, Herr Pitterle, an der Stelle ein
bisschen lachen .
({1})
Ich bin allerdings schon der Meinung, dass man dann,
wenn man den Bürger ernst nimmt - wir sind hier die
Vertreter der Bürger der Bundesrepublik Deutschland -,
({2})
den Versuch, Menschen den Umgang mit Verwaltung zu
erleichtern, nicht lächerlich machen, sondern ernsthaft
diskutieren sollte . Das würde ich mir an dieser Stelle
schon wünschen, meine Damen und Herren .
({3})
- Jeder hat sein Menschen- und Bürgerbild . Da will Ihnen gar nicht widersprechen .
Wenn wir das Gesetz zum 1 . Januar 2017 in Kraft setzen, dann haben wir eine Grundlage für die organisatorische und inhaltliche Umgestaltung . Es wird allerdings
gemeinsam mit den Ländern Zeit brauchen, bis 2022 .
Das heißt, nach heutigem Stand können wir davon ausgehen, dass nach 2022 das, was ich beschrieben habe,
auch im tatsächlichen Leben ankommt .
Wir haben in Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs versucht, uns nicht einfach etwas am grünen Tisch auszudenken, sondern wir haben einen sehr intensiven Dialog
mit den Steuerberatern und mit weiteren Verbänden, die
mit diesen Sachfragen zu tun haben, geführt, aber auch
mit den Ländern . Wir sind, glaube ich, zu einem Entwurf gekommen, der im ersten Durchgang im Bundesrat
durchaus positiv von den Ländern kommentiert worden
ist . Natürlich gab es einige Hinweise, die sich hauptsächlich auf technische Fragen beziehen . Wir werden die
Bundesratsanliegen, bei denen es um technische Fragen
ging, mit Sicherheit im weiteren Gesetzgebungsverfahren prüfen . Für mich war insgesamt jedoch positiv, dass
die Länder vom Grundsatz her deutlich gemacht haben,
dass sie hinter diesem Ansatz stehen und ihn auch mittragen werden .
Was ist also unser Ziel? Wir wollen neue Technologien dafür nutzen, dass der Bürger einfacher, schneller und
effizienter zu seiner steuerlichen Beurteilung kommt.
Wir wollen weniger Arbeit für die Steuerpflichtigen, wir
wollen eine qualitative Steigerung in der Steuerverwaltung, und wir hoffen, dass wir am Ende trotzdem rechtssichere Verfahren haben . Deshalb haben wir auch die
dritte Gewalt in unsere Diskussion einbezogen und ausdrücklich Finanzrichter gefragt, wie sie die gesetzlichen
Regelungen, die wir hier vorlegen, beurteilen . Auch von
dieser Seite war der Diskurs positiv und hat dazu geführt,
dass wir einige Hinweise bekommen haben, bei welchen
Punkten wir aufpassen sollen .
Ich würde mir wünschen, dass Sie diesen Gesetzentwurf entsprechend diskutieren und dass diese Diskussionen, wie vorgesehen, bis zur Sommerpause zu einem
positiven Ergebnis führen, damit wir eine gesetzliche
Grundlage haben, auf die sich ab 2017 alle einstellen
können . Ich glaube, das ist vor dem Hintergrund, dass
wir unsere Verwaltung auf eine IT-gestützte Verwaltung
umstellen wollen, ein gewaltiger Schritt in Richtung Zukunft .
Es ist bedauerlich, dass diese Diskussion am Freitagmittag zu später Stunde stattfindet. Was hier geschieht,
ist ein großer Schritt für die Verwaltung, aber auch für
die Bürger unseres Landes . Dass die Diskussion zu einer
solchen Zeit hier stattfindet, finde ich ein bisschen bedauerlich . Man hätte durchaus eine prominentere Zeit für
die Diskussion dieses Vorhabens finden können. Das gilt
auch für die Kollegen im Bundestag, die dies zu betreuen
haben . Ich glaube, da wird die Bedeutung des Themas
nicht von allen draußen wahrgenommen . Ich wünsche
mir eine gute Beratung und viel Erfolg .
Danke schön .
({4})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Richard
Pitterle von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Jeder, der schon einmal eine Steuererklärung
ohne Steuerberater auszufüllen hatte, weiß: Das ist beileibe kein Spaß . Man verschiebt es gerne auf das nächste
Mal, bis das Wochenende vor dem Abgabetermin doch
herhalten muss . Daher klingt es zunächst spannend,
wenn das Verfahren modernisiert werden soll .
In dem über 100 Seiten starken Entwurf, auf dessen
Details ich hier aufgrund der Zeit, die mir zur Verfügung
steht, nicht eingehen kann, ist eine umfassende Umstellung auf Computernutzung vorgesehen . Salopp gesagt
soll also die Steuererklärung in Zukunft bequem übers
Internet stattfinden und beim Finanzamt statt durch Finanzbeamte bis auf Ausnahmefälle durch Rechner verarbeitet werden .
Steuerberater und Lohnsteuerhilfevereine begrüßen
das Vorhaben, und lassen Sie mich eines gleich zu Beginn klarstellen: Als Linke begrüßen wir, wenn Abgabe
und Verarbeitung der Steuererklärung vereinfacht werden . Es muss nur sinnvoll sein und die bisherigen Erfahrungen mit einbeziehen .
Was sind die bisherigen Erfahrungen? Vor wenigen
Jahren haben wir den Unternehmen vorgeschrieben, die
Bilanz dürfe nur noch elektronisch beim Finanzamt eingereicht werden . Die Frist für diese Einreichung wurde
durch den Gesetzgeber zweimal geschoben . Als die Verpflichtung in Kraft trat, meldete sich das Finanzamt bei
einem von mir betreuten Unternehmen, um ihm mitzuteilen, dass es keine E-Bilanzen empfangen könne . Ich
finde, das ist blamabel.
Oder schauen wir auf die sogenannte ELStAM-Datenbank, in der die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale gespeichert sind . Letztes Jahr wurden dort aufgrund
eines Softwarefehlers Zehntausende Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in eine falsche Lohnsteuerklasse eingeordnet, mit dem Ergebnis, dass sie am Ende des Monats deutlich weniger Lohn ausgezahlt bekamen . In einigen Fällen stand sogar tatsächlich ein Minus auf dem
Gehaltszettel, und die Betroffenen mussten auch noch
Steuern nachzahlen . Das ist ebenfalls blamabel .
2013 hat der Bundestag beschlossen, allen Rechtsanwälten zwingend elektronische Postfächer vorzuschreiben. Am 1. Januar 2016 sollte es Pflicht sein, ein elektronisches Postfach zu nutzen . Vor zwei Monaten wurde
uns Rechtsanwälten mitgeteilt, dass die Einführung auf
unbestimmte Zeit verschoben wird . Das ist - ich wiederhole mich - blamabel .
Werfen wir zuletzt noch einen Blick über die Grenze:
Beispiel Schweiz, wo man dem Klischee nach vermuten
würde, dass die Abläufe so reibungslos sind wie in dem
sprichwörtlichen Schweizer Uhrwerk . Hier hat man sich
mit dem sogenannten Insieme-Projekt ebenfalls an einer
Modernisierung der IT-Systeme der Schweizer Steuerverwaltung versucht - und ist grandios gescheitert . Nach
sieben Jahren und über 100 Millionen Franken hat man
das Projekt schließlich eingestellt .
Wenn wir uns also die bisherigen Erfahrungen anschauen, dann komme ich zu dem Schluss - das muss
ich Ihnen sagen -, dass mir ein Plan fehlt, wie Sie es
vermeiden wollen, dass sich solche Pannen wiederholen .
Okay, wir wissen, dass sich zumindest die Länder auf
eine gemeinsame Software geeinigt haben . Das ist schon
die halbe Miete; aber ausreichen tut es keinesfalls . Wie
wollen Sie sicherstellen, dass die Länder das im gleichen
Umfang umsetzen, damit gewährleistet ist, dass wir es
mit gleicher Besteuerung im gesamten Bundesgebiet zu
tun haben?
Ich möchte von Ihnen hören, wie Sie die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, und zwar mit wie
viel Kohle und Manpower bzw . Frau-Power, bewältigen
wollen . Mir fehlt schlicht ein genauer Umsetzungsplan .
Allein das Ziel zu beschreiben, ist mir nicht genug . Wie
ist der Weg dorthin?
Seien wir mal ehrlich: Wenn die Bundesregierung wie
in dem heute von ihr vorliegenden Gesetzentwurf von
Wirtschaftlichkeit und Effizienz spricht, geht es ihr doch
meist nur um Stellenabbau und Kosteneinsparung, auch
wenn sie im Gesetzentwurf das Gegenteil behauptet . Dabei fehlen laut Beamtenbund in der Finanzverwaltung
bereits jetzt 15 000 Beamte . Ich denke, Sie sind schief
gewickelt, wenn Sie glauben, Sie könnten an die Modernisierung des Steuerverfahrens mit dem Gedanken
herangehen, Personal und Geld einzusparen . Sie müssen
meines Erachtens richtig Geld in die Hand nehmen und
erst einmal kräftig Personal aufstocken, um diesen Plan
umzusetzen .
Ich habe Ihnen die negativen Erfahrungen aufgezählt .
Auch negative Erfahrungen sind etwas wert - wenn man
sie denn berücksichtigt . Aber ich kann nicht erkennen,
dass Sie dies tun . Wenn Sie es aber nicht tun, dann werden es nicht nur die Steuerpflichtigen, sondern auch die
vielen Beschäftigten in den Finanzämtern auszubaden
haben, und das fände ich schade .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Frank
Junge von der SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Pitterle,
wenn man mit Ihrer Argumentation jedes Gesetzgebungsverfahren von vornherein begleiten würde, dann
würden wir nie Fortschritte erzielen, die das Leben der
Bürgerinnen und Bürger insgesamt besser machen .
({0})
Der Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen bescheinigt den Deutschen in seiner siebten Studie zur
Steuerkultur eine hervorragende Steuermoral . Die große
Mehrheit der Bürger ist danach steuerehrlich und steht
zur Steuerpflicht. Damit rangiert die Moral der deutschen
Steuerzahler auf einem selten hohen Niveau .
Bei der Steuermentalität, die sich mit einer gewissen
Verzögerung auf die Steuermoral auswirkt, ist es leider
anders . Sie drückt aus, welche Einstellungen der Bürger
ganz allgemein zum Steuersystem, zur Steuerlast und zur
Steuergerechtigkeit hat . Hier ist das Ergebnis so schlecht
wie lange nicht . Die große Unzufriedenheit ist in hohem Maße mit darauf zurückzuführen, dass der zeitliche
und finanzielle Aufwand zur Erfüllung der steuerlichen
Pflichten als viel zu hoch angesehen wird. Das sehe ich
als klares Indiz für den Wunsch der Bürger nach einem
einfacheren Steuersystem und einem viel leichteren und
unkomplizierteren Umgang damit .
Genau da, liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Umgang mit dem Besteuerungsverfahren setzen wir heute
an; denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden
wir die rechtliche Basis dafür schaffen, dass zukünftig
neben der herkömmlichen Methode zur Erstellung und
Bearbeitung der Steuererklärung das massenhafte vollautomatisierte Steuerverfahren stattfinden kann. Wir werden den Weg bereiten, dass der Einsatz der vollständig
maschinellen Bearbeitung von Steuererklärungen deutlich gesteigert wird .
({1})
Das wird - Herr Meister hat es gesagt - die Finanzverwaltung entlasten . Das wird aber auch bei den Bürgerinnen
und Bürgern in absehbarer Zeit zu einem unkomplizierteren und schnelleren Umgang mit ihrem Steuersystem
führen .
Damit das gelingt, soll künftig ein wesentlich größerer
Anteil der Steuererklärungen vollautomatisch bearbeitet
werden; auch das kam zur Sprache . Dazu sind unter anderem automationsgestützte Risikomanagementsysteme
erforderlich, die bewerten sollen, ob Steuersachverhalte
weiter gehender Ermittlungen und Prüfungen bedürfen
oder ob kein Hinderungsgrund für eine vollautomatische
Steuerfestsetzung besteht .
Neben einer Beschleunigung der Abarbeitung der
Standardfälle soll damit auch erreicht werden, dass sich
die Finanzbehörden auf tatsächlich prüfungsbedürftige
Fälle konzentrieren können, einfach, weil sie dann mehr
Kapazitäten dafür haben .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will eins hervorheben: Seit knapp zwei Jahren arbeiten Bund und Länder an diesem Gesetz Hand in Hand in einem Verfahren,
das man meiner Ansicht nach als beispielhaft bezeichnen
kann . Herausgekommen ist ein Entwurf, der jetzt bereits
schon von einem grundsätzlich positiven öffentlichen
Konsens getragen wird . Meine Gespräche mit Vertretern
der Branche, wie zum Beispiel den Lohnsteuerhilfevereinen, bestätigen das .
Bei aller Zustimmung für diesen Gesetzentwurf will
ich für die SPD-Fraktion jedoch deutlich machen, dass
wir an einigen Stellen schon noch Klärungs- und Nachbesserungsbedarf sehen . Das will ich an drei Punkten
erläutern .
Erstens: der Verspätungszuschlag . Verspätungszuschläge sollen in Zukunft gesetzlich geregelt werden und
ohne Ermessen eines Finanzbeamten definiert werden
können . Das ist aus meiner Sicht völlig in Ordnung; denn
damit werden künftig streitanfällige Ermessensentscheidungen komplett vermieden . Allerdings sieht der Gesetzentwurf vor, dass ein Verspätungszuschlag in Höhe von
50 Euro pro Monat bei pflichtigen Jahressteuererklärungen erhoben werden soll . Wenn wir das allen Ernstes so
umsetzen, kann bei einem halben Jahr Verspätung - aus
welchen Gründen auch immer - nach Adam Ries ein
Verspätungszuschlag in Höhe von 300 Euro entstehen .
Für Steuerpflichtige, die beispielsweise nur eine geringfügige oder gar keine Erstattung zu erwarten haben, ist
eine solche Konstellation absolut unverhältnismäßig . Bei
allem Verständnis demnach für Sinn und Zweck eines
Verspätungszuschlags: Hier müssen wir nach Ansicht der
SPD-Fraktion dringend nachbessern .
({3})
Zweitens . Die Finanzbehörden sollen ermächtigt werden, bei der Entscheidung über Art und Umfang von Ermittlung und Prüfung - es wurde schon genannt - Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte zu
berücksichtigen, um damit unvertretbaren Aufwand zu
vermeiden . Das ist auch grundsätzlich okay; denn daraus
wird am Ende eine Effizienzsteigerung bei der Bearbeitung erwachsen . Gleichwohl ist zurzeit jedoch überhaupt
nicht geklärt, wie präzise „wirtschaftlich und zweckmäßig“ definiert ist und wo da Grenzen liegen. Deshalb
brauchen wir an dieser Stelle die nötigen Angaben . Wir
brauchen mehr Transparenz, wir brauchen mehr Klarheit,
um die Auswirkungen auf die steuerpflichtigen Bürgerinnen und Bürger besser beurteilen zu können .
Drittens . Vollständig Nutzen aus dem Modernisierungsgesetz wird sich erst dann ziehen lassen, wenn die
Implementierung der dafür benötigten Hard- und Software abgeschlossen ist . Dieses komplexe Verfahren soll
2022 beendet sein . Je früher wir aber diesen Prozess umsetzen und einen reibungslosen Betrieb in den Bundesländern sicherstellen können, desto eher profitieren die
Finanzverwaltungen und die Bürgerinnen und Bürger
von den angestrebten entlastenden und erleichternden
Effekten . Darum sollten wir an dieser Stelle - Bund und
Länder zusammen - nach Möglichkeiten suchen, diesen
Prozess der Einführung der notwendigen IT zu beschleunigen und früher umzusetzen, als bisher geplant .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Trotz unserer kritischen Punkte halte ich den
eingebrachten Gesetzentwurf für ausgewogen und gut .
Er beinhaltet nach meinem Dafürhalten zielführende Regelungen, um gute Voraussetzungen für eine Modernisierung des Besteuerungsverfahrens zu schaffen . Damit sichern wir insgesamt nicht nur die Zukunftsfähigkeit, wir
stärken damit in gleichem Maße die Serviceorientiertheit
der Finanzverwaltung . Am Ende dieses Prozesses - davon bin ich überzeugt - wird der deutsche Steuerzahler
profitieren, der zusammengefasst bald wesentlich weniger Aufwand damit haben wird, seinen steuerlichen
Pflichten nachzukommen.
Mit diesem Anspruch, liebe Kolleginnen und Kollegen, lade ich Sie alle - natürlich auch Sie, Herr Pitterle dazu ein, den vorgelegten guten Entwurf zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens gemeinsam im
parlamentarischen Verfahren zu einem noch besseren zu
machen .
Vielen Dank .
({5})
Ganz herzlichen Dank . - Als nächste Rednerin spricht
Lisa Paus von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich teile
ausdrücklich alles Positive, was bisher über diesen Gesetzentwurf gesagt wurde . Allerdings, es gibt ein sehr
grundsätzliches Problem mit diesem Gesetzentwurf .
Wird er so beschlossen, bedeutet das einen Wechsel weg
von der bisher geltenden Regel, dass legitimes Verwaltungshandeln durch für jeden Fall gleiche Verfahren hergestellt wird, hin zu einem Verfahren, in dem Verwaltung
nach den Ergebnissen beurteilt wird - im Verhältnis zu
den damit entstandenen Kosten oder auch - neudeutsch zu seinem Output . Im Gesetz liest sich das dann wie folgt:
Bei der Entscheidung über Art und Umfang der
Ermittlungen können … Wirtschaftlichkeit und
Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden .
Auch meine Vorredner hatten darauf an der einen oder
anderen Stelle schon hingewiesen . - Und weiter:
… Finanzbehörden können … automationsgestützte
Systeme einsetzen … Dabei soll auch der Grundsatz
der Wirtschaftlichkeit … berücksichtigt werden .
Meine Damen und Herren, ich bin für stärkere Ergebnisorientierung - ganz klar -, nur: Wer Ja sagt zu Ergebnisorientierung, der muss auch Ja sagen zu Ergebniskontrolle; denn sonst wird Willkür Tür und Tor geöffnet .
({0})
Jemand definiert ja, jemand muss entscheiden, was „wirtschaftlich“ bedeutet . Und in einem Rechtsstaat muss
dann diese Entscheidung nachvollziehbar und überprüfbar sein . Ich bin überzeugt: Dieser Gesetzentwurf muss
in dieser Hinsicht noch dringend überarbeitet werden .
Bisher kann ja anhand der Akte und der Vermerke alles nachvollzogen werden; aber dieser Gesetzentwurf erlaubt Risikomanagementsysteme, lässt jedoch die Frage:
„Wer überprüft eigentlich zukünftig die Algorithmen der
Risikomanagementsysteme, oder wie sind sie überhaupt
überprüfbar“, bisher völlig unbeantwortet . Und das geht
nicht .
({1})
Das Einzige, was klar ist - das steht im Gesetzentwurf -,
ist: Diese Risikomanagementsysteme dürfen nicht öffentlich werden . Damit wird aber genau dieses Verfahren
zur vollständigen Blackbox . Und das geht nicht, meine
Damen und Herren .
({2})
Es braucht die Kontrolle . Deshalb müssen wir diesen Gesetzentwurf noch ändern .
Im Übrigen verweist das Gesetz an verschiedenen
Stellen auch auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts .
Deshalb teile ich in dieser Frage auch die sehr harsche
Kritik des Bundesrechnungshofes und auch die des Deutschen Steuerberaterverbandes an der zu großen Unbestimmtheit des Begriffs „Wirtschaftlichkeit“ . Auch Herr
Junge hat ja bereits darauf hingewiesen, dass es da Nachbesserungsbedarf gibt . Das stimmt .
Ich glaube allerdings, dass es mit einer genaueren
Begriffsbestimmung in dieser Frage nicht getan ist . Ich
finde, wir sollten uns als Parlamentarier noch einmal die
Zeit nehmen, um zu überlegen, welche wirksamen Ergebniskontrollmöglichkeiten wir neu einführen sollten .
Das schließt parlamentarische Kontrolle explizit mit ein .
({3})
Wir wissen, dass seit der letzten Föderalismusreform
zur Gewährleistung der Gleichmäßigkeit des Steuervollzuges eigentlich die Pflicht zur Verabschiedung von
Zielvereinbarungen zwischen Bund und Ländern existiert . Aber erstens sind diese Zielvereinbarungen für uns
Parlamentarier nicht zugänglich . Zweitens zeigte eine
erste grobe Übersicht, dass es für die relevanten Bereiche, insbesondere bei den Betriebsprüfungen, mit vielen
Bundesländern bis heute immer noch keine gemeinsamen Zielvereinbarungen gibt . Deswegen sage ich: Wir
brauchen in dieser Frage Mitspracherechte . Zumindest
brauchen wir als Parlamentarier Kontrollrechte .
({4})
Dieses Gesetz ist vollständig auf der Ebene der Exekutive, nämlich zwischen Bundesverwaltung und Länderverwaltungen, entstanden . Dass die ihre Kontrolle
nicht automatisch mitdenken, ist nicht überraschend .
Deswegen liegt es hier an uns, liebe Kolleginnen und
Kollegen im Deutschen Bundestag, dass wir das ändern .
Dass es seit Längerem sogar dringenden Handlungsbedarf gibt, den gleichmäßigen Steuervollzug in
Deutschland wiederherzustellen, haben wir Grüne schon
2011 deutlich gemacht . Damals haben wir nämlich zusammengestellt, dass die Prüfungsquote von Einkommensmillionären in Deutschland zum Beispiel zwischen
38,7 Prozent in Sachsen und gerade einmal 5 Prozent in
der Millionärshauptstadt Hamburg schwankt und dass
sich auch die Zahl der Betriebsprüfer in Deutschland
sehr stark unterscheidet, nämlich zum Beispiel zwischen
Berlin mit acht Prüfern pro 1 Milliarde Euro Bruttoinlandsprodukt und Bayern mit lediglich vier Prüfern . Das
muss besser werden und nicht schlechter . Daran müssen
wir etwas ändern .
({5})
Wir Grüne fordern deswegen die Einführung eines
Bundesfinanzamtes für große Konzerne und Einkommensmillionäre . Aber auch wenn Sie diese Forderung
nicht teilen, da noch nicht mitgehen können: Lassen Sie
uns trotzdem gemeinsam daran arbeiten . Wir brauchen
konkrete, verbindliche, wirksame, nachvollziehbare und
vor allen Dingen überprüfbare Zielvereinbarungen, auch
vom Parlament, um hier etwas zu bewirken .
Herzlichen Dank .
({6})
Ganz herzlichen Dank . - Als nächste Rednerin hat
Margaret Horb von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Machen wir
eine kleine Zeitreise ins Jahr 1919: Der Erste Weltkrieg
war gerade zu Ende gegangen, auf den Straßen gab es
mehr Pferdedroschken als Autos, und noch gab es längst
nicht in allen Amtsstuben Telefon oder Schreibmaschine,
aber es gab schon Finanzämter .
Heute beginnen wir die grundlegendste Reform der
Abgabenordnung seit 1977 . Und das ist dringend notwendig; denn die Welt hat sich verändert. Demografischer Wandel, Digitalisierung und Globalisierung stellen
auch unsere Finanzverwaltung vor neue Herausforderungen . In einer Welt, in der in Sekundenschnelle Milliarden
von Euro, Dollar und Yen transferiert werden, in einer
Welt, in der die Steuersysteme verschiedener Länder
gegeneinander ausgespielt werden, in einer Welt, in der
sozusagen Millionen von Daten aus verschiedenen Steuersystemen zugeordnet und ausgewertet werden müssen,
in dieser Welt muss auch unsere Finanzverwaltung technisch auf der Höhe der Zeit sein . Die Finanzverwaltung
des 21 . Jahrhunderts wird eine digitale sein, oder sie wird
scheitern . Wir sorgen dafür, dass sie nicht scheitert . Wir
sorgen dafür, dass sie funktioniert .
({0})
Die Abgabenordnung ist sozusagen der Werkzeugkasten all derjenigen, die am Besteuerungsverfahren beteiligt sind, also der Steuerzahler, der Finanzverwaltung
und der steuerberatenden Berufe . Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf legen wir einige neue, modernere Werkzeuge in diesen Werkzeugkasten hinein . Auf die Finanzverwaltung übertragen heißt das zum Beispiel: Die Millionen Steuerbescheide der Arbeitnehmer oder Rentner
sollen künftig vollautomatisch erstellt werden können .
Dass wir Effizienz und Wirtschaftlichkeit in den Blick
nehmen, heißt aber nicht, dass wir Abstriche bei der
Rechtssicherheit, bei der Gleichmäßigkeit der Besteuerung oder bei der Steuergerechtigkeit machen . Ganz im
Gegenteil: Die Finanzverwaltung soll sich auf die komplizierten, die komplexen Fälle und auf die Bekämpfung
von Steuerbetrug konzentrieren können .
({1})
Sie soll serviceorientierter, effizienter und schneller
werden . Der Bund kann dazu neue Werkzeuge in diesen
Werkzeugkasten hineinlegen . Aber er ist nicht derjenige, der diese Werkzeuge benutzt . Die Personalhoheit in
der Finanzverwaltung liegt aufseiten der Länder . Es geht
nicht darum, Finanzpersonal zu ersetzen, sondern es geht
darum, Personal effektiver einzusetzen . Selbst die modernsten Werkzeuge nützen nichts, wenn ein gut ausgebildeter Handwerker fehlt, der diese bedienen kann . Und
wir machen dieses Gesetz auch nicht allein für die Länder und für die Finanzverwaltung . Ein Steuergesetz ist
dann ein gutes Steuergesetz, wenn es die Interessen aller
berücksichtigt, die am Besteuerungsverfahren beteiligt
sind .
Fast die Hälfte aller Steuererklärungen wird nicht von
den Steuerpflichtigen selbst gemacht, sondern von den
beratenden Berufen . Es geht gerade um diese komplexen
Fälle, die auf diese Weise vorstrukturiert und professionell aufbereitet bei der Finanzverwaltung eingehen .
Wenn wir die Lohnsteuerhilfevereine und die Steuerberater nicht hätten, dann könnten wir unsere Finanzämter
dichtmachen . Das wird sich auch in der Gesetzesberatung widerspiegeln .
Das Bundesfinanzministerium ist hier mit sehr gutem
Beispiel vorangegangen . Länder, Kammern, Verbände,
Gewerkschaft und Finanzrichter sind bei der Formulierung mit einbezogen worden . Das Modernisierungsgesetz ist im Dialog entstanden, und so sieht moderne Regierungsarbeit aus .
Zuallererst sind es aber natürlich die Steuerzahler
selbst, die im Fokus unserer Arbeit stehen: die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen . Ein faires und ein
einfaches Steuerrecht ist nicht nur eine Frage von Steuersätzen oder der Höhe von Pauschbeträgen, sondern es
ist auch eine Verfahrensfrage . Wir geben den Ländern
die Werkzeuge in die Hand, Steuererklärungen künftig
schneller zu bearbeiten . Daten, die von Versicherungen,
Arbeitgebern und vielen mehr an die Finanzverwaltung
übermittelt werden, sollen auch den Steuerpflichtigen zur
Verfügung stehen .
Die vorausgefüllte Steuererklärung werden wir weiter
ausbauen . Belege müssen künftig nur noch auf Anfrage
eingereicht werden . Am Ende steht auch hier die elektronische Belegübermittlung . Das ist gut, das ist richtig
und das ist wichtig . Aber das setzt voraus - das sage ich
in aller Klarheit -, dass dafür die notwendige IT vorhanden ist, dass sie schnell eingeführt wird und dass sie vor
allem funktioniert . Die Länder müssen die Entwicklung
der Steuer-IT mit stärkerem Tempo und mit größerer
Entschlossenheit vorantreiben . Es kann nicht sein - da
gebe ich Kollegen Pitterle recht -, dass die Unternehmen seit 2013 ihre Bilanzen detailliert aufgeschlüsselt
elektronisch einreichen müssen, die Finanzverwaltung
aber die Änderung nicht elektronisch zurückübermitteln
kann . Die Unternehmen haben ein Recht auf diese Abweichungsanalyse .
({2})
Digitalisierung ist und darf keine Einbahnstraße sein .
Als Bund können wir die Abgabenordnung anpassen, wo
es sinnvoll und notwendig ist . Aber die Länder sind für
den Steuervollzug zuständig . Wir, die CDU/CSU, würden gerne das Gesetzgebungsverfahren dazu nutzen, im
Bereich der Steuervereinfachung noch weiter voranzukommen . Wir haben der SPD eine Liste mit Vereinfachungsvorschlägen unterbreitet, die wir für finanzierbar
und notwendig erachten . Wir sind koalitionsintern noch
in den Beratungen . Trotzdem möchte ich zwei der Vorschläge kurz vorstellen .
Erstens . Wir wollen die verbindliche Auskunft als Instrument stärken . Deshalb wollen wir in der Abgabenordnung festschreiben, dass über die Anträge auf Erteilung
einer verbindlichen Auskunft innerhalb von sechs Monaten entschieden werden soll . Die Unternehmen sollen
damit schneller Rechtssicherheit und Planungssicherheit
erhalten .
Zweitens . Wir haben vorgeschlagen, den Vollverzinsungssatz von derzeit 6 Prozent im Rahmen des haushalterisch Machbaren befristet abzusenken . Klar ist aber
auch: Wir brauchen dafür die Zustimmung unseres Koalitionspartners und die der Länder .
Auf eine Änderung wollen wir uns in der Koalition
verständigen . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung
sieht vor, dass es künftig vollautomatische Verspätungszuschläge geben soll . Wir wollen, dass es für Nullbescheide und Steuererstattungen bei der bestehenden Regelung bleibt . Auf dieser Linie wollen wir weitermachen .
Ich freue mich auf die Gesetzesberatung mit dir, lieber
Frank Junge, aber auch mit den Kollegen der Opposition im Sinne und zum Wohle der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler .
Herzlichen Dank .
({3})
Ganz herzlichen Dank . - Lothar Binding von der
SPD-Fraktion hat als letzter Redner in dieser Debatte das
Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Margaret Horb, bei
allen guten Vorschlägen machen wir mit .
({0})
Antje Tillmann hat gestern Abend bei der
Haarmann-Steuerkonferenz erklärt, dass eine Steuersenkung um 1 Prozent - bezogen auf den von ihr genannten
Satz von 6 Prozent - 10 Milliarden Euro kostet .
({1})
Das ist schon ein besonderes Thema .
Richard, du hast vorhin Fehler beschrieben . Die gravierenden Fehler müssen behoben werden; das ist ganz
klar . Aber heute geht es um einen systemischen Wechsel .
Jetzt kommt es darauf an, das richtige System zu finden.
Eines will ich garantieren: Auch im neuen System wird
es Fehler geben . Es wird auch Pannen geben . Die Frage ist, wie man damit umgeht . Wie fehlertolerant ist das
System? Du hast gesagt, allein das Ziel zu beschreiben,
sei nicht genug; es komme darauf an, den Weg zu wissen . - Das stimmt; aber sich ohne Ziel auf den Weg zu
machen, ist auch schlecht . Insofern sind wir heute auf
einem ganz guten Weg .
({2})
Es geht heute nicht um Steuervereinfachung . Es geht
auch nicht darum, dass die Steuern niedrig und gerecht
sein sollen; das sind ja unsere Standardziele . Heute geht
es um einen Modernisierungsschub - das ist eine andere
Kategorie - durch die Einführung einer länderübergreifend einheitlichen IT . Es geht um Wirtschaftlichkeit und
Effizienz, es geht um die Schnittstelle zwischen Finanzamt und Bürger .
Dabei geht es darum - das wurde schon gesagt -, dass
man die Massenverfahren jemanden machen lässt, der
dumm genug ist, das zu können, nämlich den Rechner .
Man muss sich auf die prüfungswürdigen Fälle - da geht
es meistens um Menschen - konzentrieren; denn das,
was prüfungswürdig ist, beschwert den Bürger möglicherweise besonders . Weil man durch das automatisierte
Verfahren Zeit gewinnt, kann man sich verstärkt darum
kümmern . Dadurch wird die Veranlagung zielgenauer
und gerechter . Möglicherweise wird dadurch auch die
Prüfdichte in verschiedenen Ländern erhöht, die gedacht
haben, sie könnten mit der Frage des Personals so oder
so umgehen . Ich glaube, dass da eine gewisse Gleichmäßigkeit erreichbar ist .
Aus Sicht der Bürger wird der Service besser . Wir
erwarten mehr digitale Auskünfte . Es gibt eine elektronische Erklärung, elektronische Belege, elektronische
Meldungen von Dritten - Rentenversicherung, Sozialversicherungen, Zuwendungen, steuererhebliche Meldungen, und das alles automatisch . Das klingt gut, und es
ist auch gut, wenn es so kommt .
Lisa Paus hat vorhin einen kritischen Punkt angesprochen - den sehen wir auch -: Wird eigentlich der Amtsermittlungsgrundsatz im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit und Rechtmäßigkeit bei der Entwicklung des
automatischen Onlinesystems ordentlich berücksichtigt?
Das ist sicherlich eine Sache, über die wir noch sprechen
müssen . Du hast von einem Kontrollerfordernis gesprochen . Das sehen wir auch . Wir sind da noch nicht ganz
am Ende, aber, wie gesagt, auf einem guten Weg .
Wir wissen auch noch nicht genau, wie das mit dem
Risikomanagement funktionieren soll und was man eigentlich weglassen soll . Sollen wir zum Beispiel die
Steuererklärungen von Leuten mit hohem Einkommen
nicht mehr prüfen, weil diese Leute sowieso ehrlich sind?
Oder sollen wir viele Steuererklärungen von Leuten mit
kleinem Einkommen nicht mehr prüfen, weil es sowieso
unerheblich ist? Wir müssen noch ein bisschen über das
Risikomanagement nachdenken .
Eine Sache vermissen wir noch im Gesetz, allerdings
verständlicherweise, nämlich den Aspekt der Datenhoheit, der Hoheit über die Daten des Steuerpflichtigen.
Mit der Ausweitung der Nutzung von Kommunikationstechnik und Datenverarbeitung müsste eigentlich auch
eine Erweiterung der bereichsspezifischen Regelungen
zum Datenschutz und zur Datensicherheit einhergehen .
Das fehlt jetzt hier . Allerdings gilt das allgemeine Datenschutzrecht ja trotzdem . Wir wissen aber, warum dieser
Aspekt fehlt: weil die Datenschutz-Grundverordnung in
Europa noch nicht so weit ist . Wir wissen: Wenn wir da
jetzt etwas regeln, dann müssen wir die entsprechende
Regelung bald an die Datenschutz-Grundverordnung
anpassen . Wir hätten dann zwei Regelungen, die sich
möglicherweise widersprechen . Das bedeutet unnötige
Arbeit . Also warten wir, bis die Verantwortlichen auf
europäischer Ebene damit fertig sind, und passen die
Regelungen dann an . Das allgemeine Datenschutzrecht
gilt aber . Insofern ist die Lücke erträglich, wenn man auf
europäischer Ebene hinreichend schnell arbeitet und sie
nur kurze Zeit besteht .
Ich habe mir überlegt: Es gibt einen Notanker für einen Steuerbürger, der meint: Ich muss unbedingt an der
Bearbeitung meiner Steuererklärung durch den Rechner
vorbeikommen und die Aufmerksamkeit eines Menschen
wecken, der sich meine Steuererklärung genauer anschauen soll . - Für diesen Fall gibt es ja das Freitextfeld .
Wenn man etwas in das Freitextfeld schreibt - das klingt
sehr technisch, aber immerhin ist das eine Möglichkeit -,
dann erzwingt man damit, dass sich ein Mensch um die
Steuererklärung kümmert. Ich finde, das ist ein ganz guter Notanker für den Bürger, der sagt: Ich will mich doch
nicht nur vom Rechner veranlagen lassen .
Um es zusammenzufassen: Insgesamt haben wir eine
gute Diskussionsgrundlage geschaffen, mit der wir sehr
schön weiterarbeiten können . - Frau Präsidentin zeigt
gerade an, dass ich mit meiner Redezeit schon 43 Sekunden im Minus bin .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7457 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr . Julia Verlinden, Annalena Baerbock, Peter
Meiwald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Bundesberggesetzes zur Untersagung der Fracking-Technik
Drucksache 18/7551
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre
dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen,
und ich kann die Aussprache eröffnen, was ich hiermit
auch tue .
Als erste Rednerin hat Julia Verlinden von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Letzten Mai stand hier Umweltministerin Hendricks und hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgestellt . Das war ein Fracking-Erlaubnis-Paket . Aber die Menschen wollen ein Verbot von
Fracking .
({0})
Ministerin Hendricks sagte damals - das können Sie
im Protokoll nachlesen -, das Parlament könne das Gesetz ja auch noch ändern, und zwar gerne in Richtung
weiterer Verschärfungen . Die Vertreter der Bundesländer
im Bundesrat sahen auch noch ganz erheblichen Änderungsbedarf und wir Grüne auch .
({1})
Auch die Experten in den Anhörungen sahen noch zahlreiche Probleme beim Gesetz der Bundesregierung . Sie
empfahlen uns Parlamentariern, dringend nachzubessern .
Wir Grüne haben nach der Anhörung in den Ausschüssen unsere Hausaufgaben gemacht . Wir haben in unseren
Anträgen deutlich gemacht, welche Defizite wir beim
Regierungsentwurf sehen . Und wir haben klargemacht:
Wir Grüne wollen, dass Fracking verboten wird, und wir
wollen, dass neue Regeln auch die Erdgas- und Erdölförderung ohne Fracking sicherer und transparenter machen .
({2})
Und was ist seitdem bei Union und SPD passiert?
Nichts! Zumindest haben Sie nicht weiter daran gearbeitet, dass wir bald über ein Gesetz abstimmen können, das
dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung entspricht;
denn mehr als zwei Drittel der Menschen wollen laut einer repräsentativen Umfrage ein Fracking-Verbot, und
das zu Recht .
({3})
Diese Menschen sind in bester Gesellschaft . Auch Gewerkschaften, Kirchen und Wirtschaftsverbände kritisieren Fracking . Tausende Kommunen haben Resolutionen
gegen Fracking verabschiedet .
Ich kenne eigentlich nur eine Einzige, die Fracking
wirklich will, und das ist die Erdgasindustrie . Doch zu
welchem Preis? Die Erdgasindustrie will es am liebsten
so machen, wie es leider lange Tradition in der Energiewirtschaft war: die Gewinne privatisieren und die Risiken und Folgekosten der gesellschaftlichen Allgemeinheit überlassen . Das ist ungerecht .
({4})
So wie beim Atommüll: Jahrzehntelang fahren die Energiekonzerne Gewinne ein und schütten hohe Dividenden
aus, und jetzt wollen sie am liebsten nichts mehr damit
zu tun haben . Oder bei der Braunkohle: den Menschen
die Heimat wegbaggern und das Klima auf Kosten der
Lothar Binding ({5})
Zukunft kaputtmachen und dann auch noch die Hand
aufhalten und Geld dafür haben wollen, dass sie damit
aufhören . Das ist doch verrückt!
({6})
Ständig lesen wir neue Hiobsbotschaften, die auf Risiken für Umwelt und Gesundheit bei der Fracking-Technik und Erdgasförderung hinweisen, und das nicht nur in
den USA, wo massiv gefrackt wird . Dort kam es letzte
Woche im Fracking-Bundesstaat Oklahoma zu einem
der stärksten Erdbeben überhaupt in der Region . Dieses
Erdbeben steht unter dringendem Verdacht, von Fracking
verursacht worden zu sein .
({7})
Aber wir müssen gar nicht so weit gucken . Auch hier
in Deutschland gibt es am laufenden Band Meldungen
über mögliche schädliche Folgen der Erdgasförderung .
Auch rund um Förderstätten, insbesondere in Niedersachsen, gibt es regelmäßig neue Erdbeben, wie etwa
letzte Woche im Heidekreis . Die Liste der Gegenden, in
denen Erdöl- und Erdgas gefördert werden und signifikant erhöhte Krebsraten bei Kindern und Erwachsenen
gemeldet werden, wird immer länger . Hinzu kommt der
hohe Wasser- und Flächenverbrauch beim Fracking und
die ungeklärte Frage der Entsorgung giftiger Abwässer .
Zu Recht sind die betroffenen Bürgerinnen und Bürger
besorgt, und sie erwarten, dass Sie als Regierungsfraktionen endlich handeln .
({8})
Erdgas ist kein sauberer und klimafreundlicher fossiler
Brennstoff, wie es manche Befürworter gerne behaupten;
denn bei der Erdgasförderung und beim Transport entweicht regelmäßig unkontrolliert Methan, und Methan ist
klimaschädlicher als CO2 - nicht nur ein bisschen schädlicher, sondern 20-mal mehr als CO2
Ich will Generationengerechtigkeit . Ich will, dass diejenigen zahlen, die Schäden verursacht haben . Ich will,
dass die Politik nach dem Vorsorgeprinzip Entscheidungen trifft, dass Alternativen gewählt werden, die die Risiken minimieren .
({9})
Von diesen besseren Alternativen haben wir in der Energiepolitik zahlreiche .
Die internationale Gemeinschaft hat im Dezember in
Paris beschlossen, dass wir rauswollen aus den fossilen
Energieträgern: Weg vom Öl! Raus aus der Kohle! Und
wenn wir sagen „Dekarbonisierung“, dann heißt das natürlich auch: perspektivisch ein Ausstieg aus der Erdgasnutzung; denn wir können für Strom, Wärme und Mobilität auf erneuerbare Energien umsteigen und Energie
effizienter einsetzen.
Das geht nicht von heute auf morgen; klar . Aber wenn
wir jetzt schon wissen, dass wir mindestens zwei Drittel
der fossilen Rohstoffe eben nicht verbrennen dürfen, dass
diese Menge unter der Erde bleiben muss, wenn wir das
Klima retten wollen - ja, warum sollen wir denn dann
noch die letzten Reste Erdgas aus dem Boden fracken?
Das macht doch überhaupt keinen Sinn .
({10})
Es wäre ein fatales Signal, wenn Deutschland nach
Paris wieder einen Schritt rückwärts macht, anstatt auf
die Zukunft zu setzen . Die Zukunft heißt: zuverlässige
und umweltfreundliche Energie . Jetzt heißt es, Alternativen für unsere Energieversorgung voranzutreiben und
Investitionen entsprechend zu lenken: in Richtung Energiesparen, Energieeffizienz, erneuerbare Energien, auch
im Wärmemarkt .
({11})
Fracking widerspricht dem Klimaschutz . Es widerspricht einer klugen Energiepolitik, weil es das fossile
Zeitalter verlängert .
({12})
Deswegen sollte die Politik endlich Rechtssicherheit
schaffen, und Rechtssicherheit bedeutet: Fracking verbieten .
In ihren Wahlkreisen haben im letzten Jahr viele Abgeordnete Besuch bekommen . Viele Abgeordnete haben
auf öffentlichen Veranstaltungen oder in der Zeitung erzählt, dass sie ja irgendwie auch ziemlich gegen Fracking
seien . Aber warum machen Sie dann nicht endlich ein
richtiges Gesetz, das Fracking verbietet? Sie haben doch
die Mehrheit im Parlament und stellen die Regierung .
Das heißt, es ist Ihre Verantwortung .
({13})
Es ist doch keine Lösung, wenn Sie den Kopf in den Sand
stecken und hoffen, dass diese Legislaturperiode schnell
vorbeigeht .
Dabei geht es ganz einfach: Sie schreiben ein Fracking-Verbot in einen neuen § 49 a des Bundesberggesetzes . Das präsentieren wir Grünen Ihnen hier heute in
unserem Gesetzentwurf noch mal auf dem Silbertablett .
Wir werden das in den Ausschüssen beraten, und bei der
Abstimmung in ein paar Wochen erwarte ich, dass Sie
Ernst machen mit dem, was Sie zu Hause in den Wahlkreisen erzählen . Stimmen Sie unserem Fracking-Verbot
zu!
({14})
Als nächste Rednerin spricht Herlind Gundelach von
der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass wir heute wieder einmal über Fracking sprechen; denn seit nunmehr fünf Jahren wurde
in Deutschland kein Antrag auf konventionelle Gasförderung mit Anwendung der Fracking-Technologie mehr
beschieden .
Die Gasförderung in unserem Land geht kontinuierlich zurück, und ganze angegliederte Wirtschaftszweige
fallen in Deutschland weg . Dadurch verlieren wir Arbeitsplätze in ganz erheblichem Umfang, und qualifizierte Fachkräfte wandern ab . Solche Prozesse können in
einer Marktwirtschaft zwar unvermeidlich sein, aber sie
sind es nur, wenn ein Produkt nicht mehr konkurrenzfähig ist, und das ist hier ganz entschieden nicht der Fall .
Es gibt in der Bevölkerung Bedenken zur Fracking-Technologie - das haben Sie sehr richtig erkannt,
Frau Verlinden -,
({0})
und die nehmen wir auch sehr ernst . Wir haben daher in
dieser Legislaturperiode an einem Gesetz gearbeitet, das
einen neuen ordnungsrechtlichen Rahmen für eine Technologie schafft, die wir 50 Jahre ohne größere Zwischenfälle angewendet haben . Zwischen 1961 und 2011 fanden
nämlich rund 300 Fracks im Rahmen der konventionellen Förderung statt .
Bei unserem Gesetzentwurf - genauso haben wir es
im Koalitionsvertrag festgehalten - stehen der Schutz des
Menschen und seiner Gesundheit sowie die Belange der
Umwelt im Vordergrund .
({1})
Wir - das unterscheidet uns ganz massiv von Ihnen wollen einen Gesetzesrahmen, in dem wir Erdgas in
Deutschland unter ökologisch verantwortbaren und wirtschaftlich vertretbaren Voraussetzungen fördern können .
Wir wollen auch international einen Beitrag leisten, indem wir zeigen, dass die Förderung von Rohstoffen auch
unter strengen Umweltauflagen wirtschaftlich ist.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind
uns einigermaßen einig - zumindest die meisten unter
uns -, dass wir bis 2050 in diesem Land nicht ohne fossile Brennstoffe auskommen werden . Anders lautende
Aussagen sind meines Erachtens Wunschvorstellungen .
({3})
- Da täuschen Sie sich . Das müssen Sie etwas genauer
lesen .
({4})
Unter Umständen können wir vielleicht in nicht allzu
weiter Ferne Strom ohne fossile Energieträger herstellen, was aber immer noch nicht heißt, dass das für ein
Industrieland wie Deutschland ausreichend ist; denn wir
brauchen verlässlich 365 Tage im Jahr und 24 Stunden
am Tag Strom . Solange wir nicht ausreichend Speichermöglichkeiten haben, könnten wir zwar rechnerisch ausreichend Strom produzieren, aber deswegen noch lange
nicht die Versorgung sicherstellen .
({5})
Laut der Energieeffizienzstrategie Gebäude, die wir
am Mittwoch im Ausschuss behandelt haben, gibt es
in Deutschland derzeit 21,3 Millionen Wärmeerzeuger .
Davon werden gut 10,5 Millionen mit Gas befeuert . Das
bedeutet, dass immer noch die Hälfte aller Heizungen
in Deutschland gasbasiert ist . Ein großes Problem im
Wärmebereich ist, dass Alternativen wie Biomasse, Geothermie, Solarthermie und Photovoltaik nicht für jedes
Gebäude umsetzbar sind bzw . die Umsetzung mit großen
Kosten verbunden ist . Bei Gebäuden mit klassischen Radiatorheizungen zum Beispiel sind Wärmepumpen weniger effizient als in Gebäuden mit Flächenheizungen. Bei
der Solarthermie gibt es durch die Größe und Ausrichtung der Dachflächen Hemmnisse. Solarthermieanlagen
sind übrigens eine ausgeprägte Konkurrenz für Photovoltaikanlagen, die nicht zur Wärmegewinnung genutzt
werden können . Bei der Geothermie haben wir zum Teil
dasselbe Problem wie beim Erdgas: Auch hier muss gefrackt werden .
Jetzt werden viele von den Kolleginnen und Kollegen der Grünen sagen: Wir müssen mit Zwang auf die
Nutzung von erneuerbaren Energien im Bereich Wärme
umrüsten - siehe Ihr zuletzt vorgelegter Gesetzentwurf -,
kostet es, was es wolle .
({6})
Wenn ich einen ersten Blick in die Unterlagen für den
Klimaschutzplan 2050 werfe, der von Ihnen nahestehenden Einrichtungen entworfen wurde, denke ich, dass das
genau der von Ihnen präferierte Weg ist .
Ich sagte soeben, dass wir in Deutschland immer noch
sehr viele Gasheizungen haben . In den letzten Jahren
wurden circa 600 000 bis 700 000 entsprechende Wärmeerzeuger pro Jahr installiert . Im Neubaubereich ist
Gas - auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen - noch
immer der bedeutendste Energieträger .
({7})
- Davon habe ich durchaus schon gehört, ja . Eine solche
Anlage werde ich übermorgen wieder besuchen .
({8})
Wenn wir in Deutschland kein Erdgas mehr fördern,
können wir nur importieren . Wir machen uns dann gänzlich von ausländischen Lieferanten abhängig, die gegebenenfalls unter schlechten ökologischen und übrigens
auch schlechten arbeitsrechtlichen Bedingungen fördern .
Dass es unter Umständen auch aus außenpolitischer Sicht
Vorbehalte und Probleme mit der innerstaatlichen Demokratie in diesen Förderländern geben kann, will ich
in diesem Zusammenhang nur kurz ansprechen und gar
nicht weiter ausführen .
Ein Verbot hätte daher aus meiner Sicht mindestens
zur Folge, dass wir kein eigenes Gas für die Verstromung
hätten, obwohl Gas unter den grundlastfähigen Energieträgern noch immer die beste CO2-Bilanz hat . Wir müssten für die Hälfte der Heizungen in Deutschland Erdgas
aus dem Ausland importieren . Wir würden einem ganzen
Wirtschaftszweig die Arbeit verbieten, und das, nachdem
er über 50 Jahre in Deutschland eine gute Arbeit geleistet
hat . Wir würden indirekt schlechte Arbeitsbedingungen
und eine unter ökologischen Aspekten auch nicht nachhaltige Förderung im Ausland unterstützen . Ich weise
zum Beispiel auf die Leckagen im Rahmen der Öl- und
Gasförderung in Russland hin .
({9})
- Aber dort ganz besonders . - Experten sagen, dass bei
bis zu 10 Prozent der Förderungen das von Ihnen zu
Recht kritisierte Methan in großen Mengen in die Luft
entweicht . Wir könnten sagen: Das berührt uns nicht; das
ist ja nicht unsere CO2-Bilanz .
({10})
Ich nenne ein solches Verhalten absolut pharisäerhaft .
({11})
Wie gesagt, das alles wollen wir uns leisten, obwohl Erdgas in Deutschland unter marktwirtschaftlichen Aspekten
konkurrenzfähig ist .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion nehmen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger bezüglich der Fracking-Technologie
sehr ernst .
({12})
Es gibt aber nur wenige Themen, die politisch und emotional derart aufgeladen sind - das merkt man auch an
Ihren Reaktionen -, dass eine sachliche Diskussion kaum
noch möglich ist . Das Produkt Erdgas ist unter strengen
Auflagen in Deutschland förderbar und auch konkurrenzfähig . Deshalb wäre es nach unserer Auffassung falsch,
Fracking zu verbieten .
Ich werbe daher für einen guten gesetzlichen Rahmen
mit sinnvollen Regelungen .
({13})
- Dazu hören Sie gleich noch etwas . - Daher haben wir
in unserem Vorschlag nach intensiven Beratungen, auch
mit durchaus kritischen Geistern in unseren eigenen Reihen, wie Sie wissen, festgelegt, dass zum Beispiel nur
noch solche Frackfluide zugelassen werden - sie bestehen heute ohnedies schon zu fast 97 Prozent nur noch aus
Wasser und Sand -, die die Wassergefährdungsklasse 1
haben . Die meisten Shampoos, mit denen wir uns täglich
die Haare waschen, sind schon in Wassergefährdungsklasse 2 . Die Gefährlichkeit ist aus meiner Sicht also
überschaubar .
Ferner wollen wir die Pflichten im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfungen massiv ausweiten, sodass beispielsweise schon vor der Aufsuchung - also
beim allerersten Schritt, noch vor der Förderung - eine
UVP-Prüfung durchgeführt werden muss . So würde der
gesamte Prozess der Förderung überwacht . Zu den wasserrechtlichen Implikationen wird, denke ich, der Kollege Möring nachher sicher noch Stellung nehmen .
Deutschland ist in den Augen vieler unserer Nachbarn - auch das möchte ich betonen - inzwischen ein
Land geworden, das offensichtlich Innovationen scheut
und überall nur noch unbeherrschbare Risiken sieht .
({14})
Das, meine Damen und Herren, ist aber nicht der Geist,
mit dem unser Land großgeworden ist, und das ist mit
Sicherheit auch nicht der Geist, mit dem wir unsere Spitzenstellung als Industrieland in der Welt halten können .
Deshalb trete ich nach wie vor für die Anwendung innovativer Techniken in Deutschland ein .
({15})
Dazu gehört für mich auch Fracking,
({16})
und zwar - das betone ich noch einmal - unter strengen
Umweltauflagen.
({17})
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung .
Der Zeitpunkt, zu dem Sie Ihren Gesetzentwurf vorlegen, riecht ein bisschen arg nach Wahlkampf . Uns in der
Koalition ist aber an einer sachlichen Diskussion und an
guten, praktikablen Lösungen gelegen .
({18})
- Den bekommen Sie . Sie müssen nur noch ein bisschen
warten .
Danke .
({19})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Hubertus
Zdebel von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Fracking ist eine unbeherrschbare Risikotechnik .
({0})
Diese Gasfördermethode ist eine Gefahr für Mensch und
Natur . Grundwasserverseuchungen, Erdbeben wie in
Niedersachsen, Mondlandschaften, wie sie sich in den
USA besichtigen lassen, eine miserable Klimabilanz und
eine ungelöste Entsorgungsproblematik sind die Folgen .
Der Einsatz der Fracking-Technik ist nicht zu verantworten .
({1})
Die Fraktion Die Linke hat daher bereits im Mai letzten Jahres einen Antrag eingebracht, mit dem sie die
Bundesregierung aufgefordert hat, einen Gesetzentwurf
für ein Fracking-Verbot ohne Ausnahmen vorzulegen .
Wir begrüßen es, dass die Grünen nun ebenfalls auf die
Position der Anti-Fracking-Bewegung einschwenken
({2})
und sich dieses Thema zu eigen machen .
({3})
Allerdings muss sich auch das Verhalten der Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung ändern; das will
ich zumindest kurz andeuten . Ein Landesentwicklungsplan, der, wie in NRW, die Tür für Fracking weit offen
lässt,
({4})
zum Beispiel für Erdöl-Fracking, oder das Abtauchen
des niedersächsischen Umweltministers Wenzel in der
Fracking-Frage - die Vorgänge in Niedersachsen sind ja
gerade angesprochen worden - stehen im Widerspruch
zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf . Da muss sich
auch in den Ländern sicherlich noch das eine oder andere
ändern .
({5})
Aber die Große Koalition beharrt offensichtlich stur
auf ihrem Fracking-freundlichen Kurs . Insbesondere die
CDU will eine neue Bombe in Sachen fossiler Energiegewinnung zünden . Nach Berichten der Bürgerinitiativen gegen Fracking wollen SPD und CDU/CSU nach
den Landtagswahlen im März einen neuen Anlauf für ein
Pro-Fracking-Gesetz nehmen . Die Mitte letzten Jahres
gescheiterten Verhandlungen sollen so wiederbelebt werden . Damit gibt die Regierungskoalition den Interessen
von Lobbygruppen wie dem Wirtschaftsverband Erdölund Erdgasgewinnung, WEG, nach . Der WEG hat in seiner Pressemitteilung vom vergangenen Dienstag die Verabschiedung des Regelungspakets zu Fracking gefordert .
Dadurch ist auch die Legende von Umweltministerin
Hendricks geplatzt, das geplante Fracking-Recht würde
Fracking verhindern . Das Gegenteil ist der Fall: Die Gasund Öllobby benötigt die Rechtsänderungen, um mit dem
gefährlichen Gasbohren beginnen zu können . Nicht anders ist die Lage .
Doch es gibt zwingende Gründe, den Vorhaben der
Konzerne einen Riegel vorzuschieben . So hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR,
im Januar ihre überarbeitete Potenzialstudie vorgelegt .
Darin musste sie zugeben, dass Erdbeben durch Fracking
in geologischen Störungszonen im Vergleich zu anderen
geologischen Formationen deutlich stärker sein können .
Kleine Störungszonen können aber in der Regel nicht
im Vorfeld ermittelt werden . Damit wird erneut deutlich: Fracking ist gerade hinsichtlich der Erdbebengefahr
nicht beherrschbar .
({6})
Der Bundesverband Erneuerbare Energie hat gerade
zu den aktuellen Szenarien der deutschen Energieversorgung eine Kurzstudie vorgelegt . Ihr Ergebnis: Deutschland wird seine selbstgesteckten Klimaschutzziele bis
2020 deutlich verfehlen . Statt einer Reduktion der Treibhausgase um 40 Prozent werden nur 32 Prozent erreicht
werden . Auch vor diesem Hintergrund auf den fossilen
Energieträger gefracktes Gas zu setzen, ist verantwortungslos;
({7})
denn es kommt dabei zu relevanten Emissionen von
Treibhausgasen . In diesem Zusammenhang sei nur das
Methangas erwähnt .
Gerade nach Paris muss aber gelten: Statt die Klimakrise zu verschärfen, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien forciert werden . Die BGR hat ferner das
Schiefergaspotenzial in Deutschland deutlich nach unten
korrigieren müssen . Im Vergleich zur Potenzialstudie aus
dem Jahr 2012 wurden die Gasmengen in der Tiefe zwischen 1 000 Metern und 5 000 Metern auf etwa die Hälfte
reduziert . Gefracktes Gas hat damit - im Gegensatz zu
den Behauptungen von Frau Gundelach - bezüglich der
Energieversorgung keine Bedeutung .
Lassen Sie mich daraus die Konsequenz ziehen: Es
gibt lediglich ein betriebswirtschaftliches Interesse der
Gasindustrie an Fracking, aber kein gesellschaftliches .
Auch wegen der katastrophalen Klimabilanz hat Fracking nichts mit einer nachhaltigen Energieversorgung
zu tun . Fracking ist ein Roll-back zu fossilen Brennstoffen . Wir fordern stattdessen eine Energiepolitik, die den
Weg für erneuerbare Energien ebnet .
({8})
Die Linke ruft daher dazu auf, sich in den nächsten Wochen an den Aktionen der Antifracking-Initiativen zu beteiligen . Die Bürgerinnen und Bürger fordern wie wir ein
Fracking-Verbot ohne Ausnahmen .
({9})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Bernd
Westphal von der SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine lieben Kollegen von den Grünen, Sie
kritisieren in Ihrem Gesetzentwurf, dass in diesem Parlament über die von der Bundesregierung vorgelegten
Gesetzentwürfe - es sind übrigens zwei - zum Fracking
noch keine Entscheidung getroffen wurde . Ich kann dazu
nur sagen: Es gibt Themen, bei denen man sich die Details genau anschauen muss .
({0})
Es sind ja eben von meinen Vorgängern durchaus Risiken
skizziert worden, die man im Rahmen einer verantwortungsvollen Politik beobachten muss . Nur - wie in Ihrem
Gesetzentwurf gefordert - platt abzulehnen, ist nicht der
Anspruch verantwortungsvoller Politik der SPD .
({1})
Die Bundesregierung hat, wie ich finde, ein sehr gutes
Regelwerk vorgelegt, mit dem die Anforderungen an das
konventionelle Fracking deutlich verschärft werden . Es
sollen Regelungen geschaffen werden, nach denen das
unkonventionelle Fracking erforscht werden soll .
({2})
- Nein, das ist es eben nicht .
({3})
- Das ist genau das, Frau Verlinden, was Sie nicht verstehen .
Oberstes Ziel ist und bleibt es, eben genau die höchsten Standards zu setzen, um Trinkwasser, Umwelt, Tiere
und Menschen zu schützen . Deshalb ist das genau die
Überschrift, die über diesem Gesetzentwurf steht . Und
darum ist das auch ein Punkt, über den wir weiter diskutieren werden .
Wir sprechen uns aber auch - und da unterscheiden wir
uns von den Grünen - für eine technologische Weiterentwicklung und Forschung aus . Wir wollen erforschen, ob
unkonventionelles Fracking irgendwann überhaupt eine
Option sein kann .
({4})
Dies wollen wir aber nur unter weltweit strengsten Rahmenbedingungen machen . Deshalb sind die Beispiele aus
dem Ausland, die immer angeführt werden, auch nicht
tragfähig .
Ich erzähle Ihnen auch kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass wir als SPD in der Feinabstimmung die
Details sehr verantwortungsvoll mit unserem Koalitionspartner diskutieren . Deshalb kann das ruhig ein bisschen
länger dauern .
Bitte hören Sie auch damit auf, in der Debatte zu behaupten, dass Erdgas- und Erdölförderung den Ausbau
erneuerbarer Energien behindern . Genau das Gegenteil
ist der Fall . Wir brauchen für die Brücke in das Erneuerbare-Energien-Zeitalter genau diese umweltfreundlichen
Energieträger wie Erdgas, damit die Energiewende gelingt . Außerdem ist Erdgas auch für die chemische Industrie ein wichtiger Rohstoff .
({5})
Es liegen diverse Gutachten vor - einige sind hier
eben schon zitiert worden -, die sich mit dem Thema Fracking beschäftigen . Keines der Gutachten - auch nicht
die beiden vom Umweltbundesamt - kommt zu dem Ergebnis, dass wir Fracking verbieten sollten . Jedes dieser
Gutachten kommt zu der Überzeugung, dass es sicherlich
Risiken gibt, die aber nach heutigen Erkenntnissen beherrschbar sind .
({6})
Das gilt auch für die aktuelle Studie der Bundesanstalt
für Geowissenschaften und Rohstoffe aus Hannover, der
BGR, die mein Vorredner eben einige Male zitiert hat .
Ich zitiere:
Es erscheint angebracht, dass in einem ersten Schritt
Pilotprojekte durchgeführt werden . Dadurch können
Unternehmen und Wissenschaft genauere Aussagen
zu den Vorkommen und zur Wirtschaftlichkeit einer möglichen Förderung treffen . Gleichzeitig kann
Fragen zur Umweltverträglichkeit nachgegangen
und Wissen über den Aufbau und Zustand des geologischen Untergrunds vermittelt werden .
Und weiter kommt die BGR zu dem Schluss: Aus
geowissenschaftlicher Sicht kann daher grundsätzlich,
unter Einhaltung der gesetzlichen Regelungen und der
erforderlichen technischen Standards, der Einsatz der
Fracking-Technologie kontrolliert und sicher erfolgen . Das ist eine Aussage im BGR-Gutachten, die Sie, glaube ich, überlesen haben . Ich empfehle Ihnen das einfach
noch einmal zur Lektüre .
Ja, Technologie im Allgemeinen birgt immer Risiken, aber wir werden bei der Fracking-Technologie, die
in Niedersachsen im konventionellen Bereich übrigens
schon seit den 60er-Jahren angewandt wird, sicherlich
auch eine Weiterentwicklung haben . Auch im unkonvenHubertus Zdebel
tionellen Bereich geht es nicht um Fracking um jeden
Preis, sondern ganz im Gegenteil: Wir wollen strenge
Auflagen und größtmögliche Transparenz, und wir werden jetzt Probebohrungen, die durch eine Expertenkommission begleitet werden, auf den Weg bringen . Erst auf
der Grundlage der Ergebnisse dieser Probebohrungen
kann dann eine Entscheidung für oder gegen eine kommerzielle Anwendung dieser Technologie gefällt werden .
Diese Offenheit gegenüber der Wirtschaft, der Umwelt und auch der sozialen Verantwortung unterscheidet
uns von den Grünen, und deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab .
Herzlichen Dank und Glück auf!
({7})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Karsten
Möring von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Verlinden, ich verstehe nicht, weshalb Sie es so
bemängeln, dass wir noch keinen Gesetzentwurf verabschiedet haben, obwohl Sie doch genau wissen, dass wir
aufgrund von Vereinbarungen mit den Unternehmen, die
fördern, und aufgrund von Vereinbarungen mit den verschiedenen Landesregierungen de facto seit Jahren nicht
fracken .
({0})
Noch viel mehr wundert mich Folgendes: Sie haben
vorhin sehr ausführlich dargelegt, welche schrecklichen
Ereignisse es in der jüngeren Vergangenheit - sprich: in
den letzten ein, zwei Jahren - alles gegeben hat, die auf
das Fracking zurückzuführen sind . Da frage ich mich:
Wie geht das? Seit Jahren wird nicht gefrackt,
({1})
aber aktuell soll es lauter Probleme geben, die durch das
Fracken zustande gekommen sind .
({2})
- Nein . Liebe Frau Verlinden, es geht um etwas ganz
anderes . Mit diesem Gesetzentwurf betreiben Sie, um es
einmal deutlich zu sagen, absoluten Etikettenschwindel,
({3})
und zwar ganz einfach aus folgendem Grund: Sie sagen,
Sie folgen den Hauptempfehlungen der Ausschüsse des
Bundesrates, und die verlangen ein Fracking-Verbot .
({4})
Der Bundesrat verlangt das aber gar nicht . Er hat differenziert Stellung genommen und gesagt, welche Verbesserungen er sich vorstellen kann . Das werden wir zu
einem erheblichen Teil auch berücksichtigen und in den
Gesetzentwurf schreiben .
({5})
Wir werden aber kein Verbot regeln .
({6})
Sie haben dann gesagt, es gebe sehr viele Fragen, die
beantwortet werden müssen . Und dann schaffen Sie mit
drei wenigen Zeilen alle Probleme aus der Welt!
Schauen wir uns das doch einmal genauer an:
Erster Punkt . Sie sagen, Sie wollen kein Fracken
zur Förderung von Kohlenwasserstoffen, weil Fracken
schlimm ist . Fracken für Geothermie kommt bei Ihnen
aber nicht vor . Es gibt also gutes und schlechtes Fracken .
Das scheint mir nicht besonders konsequent zu sein .
Zweiter Punkt . Wenn wir Ihrem Gesetzentwurf zustimmen würden, dann wäre die Folge, dass die Niedersächsische Landesregierung, an der Ihre grünen Parteifreunde beteiligt sind, im Bundesrat dagegenstimmen
müsste;
({7})
denn die Niedersächsische Landesregierung legt größten
Wert darauf, dass wir so bald wie möglich wieder mit
der bisherigen Form des Frackings - wenn auch unter
verschärften Bedingungen - beginnen können, damit
die Förderung von Gas nicht mehr auf das halbe Niveau
zurückfallen kann, wie das vor ein paar Jahren geschehen ist, und damit der niedersächsische Haushalt einige
100 Millionen Euro mehr an Konzessionsabgaben vereinnahmen kann . Verkaufen die Grünen in Niedersachsen ihre Vorstellungen für höhere Haushaltseinnahmen?
({8})
Oder sind sie wie wir der Meinung, dass die Risiken bei
diesem Fracken beherrschbar sind? Ich glaube, das zweite ist der Fall .
({9})
Ansonsten müssten Sie Ihren Parteifreunden sagen, dass
sie eine unverantwortliche Politik machen . Das tun Sie
aber nicht .
({10})
- Auch wir machen Politik, Herr Krischer . Warten Sie
es ab .
Der nächste Punkt in diesem Zusammenhang . Sie
schreiben von zahlreichen Übeln und Problemen . Gehen
wir sie einmal der Reihe nach durch: Krebsgefahr . In
epidemiologischen Studien ist das Krebsrisiko statistisch
erfasst . Keiner kann sagen: Gibt es einen Kausalzusammenhang, oder woher kommt dieses Risiko?
({11})
Welche Konsequenz ergibt sich daraus? Das ist genau
das, was die niedersächsische Regierung und das Bundesgesundheitsministerium machen . Sie gehen der Frage nach: Gibt es einen Zusammenhang, oder wo ist die
Quelle einer solchen statistischen Häufung? Dazu kann
man sagen, dass bei den Beschäftigten, die in der Öl- und
Gasförderung tätig sind, solche Erkrankungen nicht aufgetreten sind .
({12})
- Hören Sie auf! Natürlich wird das untersucht .
({13})
Glauben Sie nicht, dass jemand, der in diesem Bereich
gearbeitet hat und bei dem Krebs diagnostiziert wird,
auf die Idee kommt, einen Zusammenhang herzustellen,
wenn das in der Öffentlichkeit diskutiert wird? Pardon,
aber das ist blauäugig .
({14})
Der Witz ist aber nur: Das hat im Zweifelsfall mit der
Gasförderung zu tun, aber nicht mit Fracken . Sie aber
sagen: Fracken ist das Übel .
Seismische Erschütterungen . Alle seismischen Erschütterungen, die nennenswerte Bedeutung haben, sind
entweder aufgetreten, ohne dass ein Frack-Vorgang vorlag, zum Beispiel aufgrund von Druckentlastung in der
Lagerstätte, oder weil beim Verpressen von Lagerstättenwasser mit zu hohem Druck gearbeitet worden ist oder
Schwachstellen aufgetreten sind .
({15})
Daraus aber wollen Sie ein Fracking-Verbot herleiten .
Daraus können Sie ein Verbot der Verpressung von Lagerstättenwasser herleiten, wenn Sie wollen, oder ein
Verbot der Förderung schlechthin .
({16})
Aber mit Fracken hat das nichts zu tun .
({17})
Nächster Punkt: Lagerstättenwasser . Es gibt belastetes
Lagerstättenwasser . Das kommt aber bei jeder Förderung
hoch und hat ebenfalls mit Fracken nichts zu tun .
({18})
Warum sagen Sie denn, Sie wollen Fracken verbieten,
wenn das, was Sie hier als Schäden anführen, nichts anderes als das ist, was bei der Förderung schlechthin passiert?
({19})
Dann sagen Sie doch gleich: Wir wollen die Gasförderung einstellen . - Das wäre doch wesentlich ehrlicher .
Aber auch das funktioniert nicht . Deswegen stürzen Sie
sich auf so etwas .
Letzter Punkt in diesem Zusammenhang: Verunreinigung von Grundwasser . Frack-Fluid wird in Zukunft
nicht giftig sein .
({20})
Das haben wir schon mehrfach gesagt, auch bei früheren
Diskussionen . Die Problematik der Grundwasserverunreinigung entsteht, wenn überhaupt, durch belastetes Lagerstättenwasser . Wie wir damit umgehen, werden wir in
unserem Gesetzentwurf - das ist einer der schwierigsten
Punkte - vernünftig regeln .
({21})
- Warten Sie doch noch ein bisschen . Ich will ja nicht den
alten Satz bemühen, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit
geht . Aber Sie als Opposition haben einen Vorteil . Sie legen einen Antrag mit drei Sätzen vor . Wir aber werden
einen Gesetzentwurf mit 20 oder 30 Seiten vorlegen, mit
denen Sie sich auseinandersetzen müssen . Darin werden
dann nämlich Dinge geregelt, die Sie völlig ausblenden .
({22})
Sie benutzen das Thema Fracken, weil das so schön
praktisch ist . Darunter subsumieren Sie auch alles andere; denn Fracken passt so gut zu Schrecken . Damit kann
man in der Öffentlichkeit richtig Aufregung produzieren .
Das tun Sie . Aber die sachlichen Punkte, um die es wirklich geht, kommen bei Ihnen nicht vor .
({23})
Wollen Sie vielleicht auch die Gefahrstofftransporte
auf den Straßen verbieten? Was ist denn mit einem Tankschiff auf dem Rhein oder auf der Elbe, in dem Tausende
von Litern problematischer Flüssigkeiten transportiert
werden, die bei einem Unfall ins Grundwasser geraten
könnten? Was ist mit Tankwagenunfällen auf der Autobahn?
({24})
Bei diesen Risiken sagen Sie: Okay, das ist Alltag . Das
müssen wir hinnehmen . Diese Transporte haben ja auch
Vorteile . - Aber beim Thema Fracken heißt es bei Ihnen:
Daumen runter . Fracken müssen wir verbieten . - Das ist
zu einfach . Das können wir uns als Industrieland überhaupt nicht leisten .
({25})
Sie schreiben am Schluss Ihres Gesetzentwurfs unter
Alternativen: „Beibehaltung des unsicheren Zustandes
. . .“, was Sie natürlich nicht wollen . Da haben Sie recht .
Aber Ihre Alternative ist falsch . Denn die Alternative zu
Ihrem Gesetzentwurf ist ganz einfach ein ordentliches
Gesetz, sorgfältig abgewogen und mit genauen Regelungen, wie wir die Risiken minimieren oder verhindern,
und zwar gemäß dem, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Darin heißt es nämlich:
Trinkwasser und Gesundheit haben für uns absoluten Vorrang … Den Einsatz umwelttoxischer Substanzen … lehnen wir ab .
Genau so werden wir den Gesetzentwurf machen, und
das werden Sie dann auch lesen müssen, von der ersten
bis zur letzten Seite .
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende .
({26})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Hiltrud Lotze
von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Dass der Gesetzentwurf zur
Regelung der Fracking-Technologie hängt, ist unbefriedigend . Das sage ich als Umweltpolitikerin ganz deutlich .
({0})
Es gibt dafür Gründe, aber trotzdem ist es bedauerlich .
Denn hätten wir das Gesetz so, wie es im Entwurf vorliegt, schon, dann hätten wir bei Fracking-Vorhaben Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgeschrieben, und es
gäbe eine ausreichende und gute Beteiligung von Kommunen, Wasserbehörden und vor allen Dingen der Bevölkerung . Das fehlt nämlich im Moment .
({1})
In meiner Heimatregion Lüchow-Dannenberg/Lüneburg sind bergrechtliche Aufsuchungserlaubnisse erteilt,
und die Menschen dort machen sich natürlich Sorgen, ob
nicht eines Tages vor ihrer Haustür gebohrt oder gefrackt
wird . Ich muss ganz deutlich sagen: Dort sind keine Fracking-Genehmigungen erteilt .
Es ist zwar in Niedersachsen seit 2011 nicht mehr gefrackt worden, aber in der Region liegt auch Gorleben .
Dort sind die Menschen einfach misstrauisch, was neue
Technologien angeht .
({2})
Deswegen brauchen wir ein Gesetz, das Fracking streng
reguliert oder, wie ich persönlich sage, am besten unmöglich macht .
({3})
Mit dem vom Umwelt- und Wirtschaftsministerium
vorgelegten Gesetzentwurf soll genau das kommen: eine
sehr strenge Regulierung . Das ist auch längst überfällig;
denn für uns als SPD steht der Schutz von Mensch und
Natur natürlich im Vordergrund .
({4})
Der Schutz unseres Trinkwassers muss absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben .
({5})
Für mich als niedersächsische Abgeordnete ist es
wichtig, dass die seit Jahrzehnten in unserem Bundesland praktizierte Förderung von Erdöl und Erdgas künftig rechtlich streng reguliert wird und unter modernen
und hohen Umweltstandards erfolgt . Die vorliegenden
Gesetzentwürfe aus den Häusern Hendricks und Gabriel
werden diesen Anforderungen gerecht .
Fracking bei der sogenannten unkonventionellen Erdgasförderung ist aber mit entsprechenden Risiken verbunden . Deswegen ist es aktuell, ohne dass wir mehr
darüber wissen, nicht zu verantworten . Deswegen ist unKarsten Möring
sere Meinung, dass unkonventionelles Fracking zu wirtschaftlichen Zwecken in Deutschland auf absehbare Zeit
nicht stattfinden soll.
({6})
Auch aus energiepolitischer Sicht ist Fracking nicht der
richtige Weg .
({7})
Wir haben als SPD-Fraktion und als niedersächsische
Landesgruppe noch Änderungsbedarf in den vorliegenden Gesetzentwürfen gesehen und entsprechende Forderungen formuliert, unter anderem, dass der Deutsche
Bundestag als demokratisch legitimiertes Organ über den
kommerziellen Einsatz der Fracking-Technologie entscheiden muss statt eine Expertenkommission . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, lehnen wir diese Expertenkommission ab . Das ist bekannt .
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg zu einer
Energieversorgung aus erneuerbaren Energien ist vorgezeichnet . Wir wollen diesen Weg konsequent gehen,
aber nicht holterdiepolter, wie Sie es mit Ihrem vorliegenden Gesetzesvorschlag vorhaben, sondern wir wollen
das planvoll und strukturiert machen und Strukturbrüche
in den Regionen vermeiden . Diese würde Ihr Gesetzentwurf nämlich auslösen .
Meine Zeit ist um . Ich wünsche allen ein schönes Wochenende .
Vielen Dank .
({9})
Die Redezeit war um, genau . - Als nächster Redner
hat jetzt Johann Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Als Niedersachse ist mir wichtig, zu betonen, dass wir seit Jahrzehnten in unserem Bundesland die Förderung von Erdöl
und Erdgas erfolgreich praktizieren und dass sie künftig
mit modernen und hohen Umweltstandards sowie einer
transparenten Bürgerbeteiligung weiterhin erfolgen soll .
({0})
Bei uns wird seit über 40 Jahren Erdgas gefördert, und
das wollen wir auch weiterhin tun, allerdings unter den
verschärften Bedingungen der Umweltverträglichkeitsprüfung und sicherlich nicht in Wasserschutz- und Trinkwasserschutzgebieten . Als ehemaliger Bürgermeister einer Gemeinde, in der Erdgas gefördert wird - allerdings
konventionell, ohne Fracking -, kann ich nicht verhehlen, dass Erdgasförderung für Gemeinden und damit
auch für die Gemeinschaft gewisse finanzielle Vorteile
hat . Diese sollen aber in der heutigen Debatte nicht im
Zentrum stehen .
Von der konventionellen Förderung zu unterscheiden
ist die unkonventionelle Förderung; darüber haben wir
heute schon gesprochen . Ich kann verstehen, dass Sie
mit Ihrem Gesetzentwurf rein ökologische Lösungen
anbieten . Aber die Welt ist leider nicht so monokausal .
Wir hingegen betrachten immer auch die Lage der Beschäftigten und die notwendige Versorgung . Das bedeutet nicht, dass die Sorgen der Menschen nicht ernst genommen werden . Im Gegenteil: Weil wir die Sorgen um
Umwelt und Trinkwasser, aber auch die Sorgen um Versorgungssicherheit und Versorgungsunabhängigkeit sowie die Sorgen um die Umweltauswirkungen in anderen
Ländern ernst nehmen, sieht unsere Lösung nicht einfach
aus . Aber sie wird eher den Menschen im Land gerecht .
({1})
Wir wollen durch höhere Standards und entsprechenden technischen Fortschritt zum Beispiel bei der Lagerstättenwasserproblematik und bei der Entwicklung von
Frack-Fluiden ohne Auswirkungen auf die Umwelt die
Risiken der weltweiten Erdgasförderung verringern . Bei
uns sagt man: De een Tied betahlt de anner ut . - Das
bedeutet, dass wir heute Grundlagen schaffen können,
von denen unsere Kinder und Enkel profitieren sollen.
Das gilt für die Energiewende generell; denn selbst wenn
wir Fracking in Deutschland verbieten würden, wird in
anderen Teilen der Welt gefrackt, auch wenn es sich momentan vielleicht wirtschaftlich nicht lohnt .
({2})
Das so geförderte Gas kommt auch nach Deutschland .
Man kann nicht auf Erdgas setzen, für Deutschland unkonventionelles Fracking verbieten und sich nicht darum
scheren, wie das importierte Gas produziert wurde . Dass
wir noch einige Jahrzehnte auf Erdgas angewiesen sein
werden, ist kein Geheimnis . Gas ist bei vielen hier im
Hause die bevorzugte fossile Energiequelle, wenn es um
den Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien geht . Es geht also nicht nur um die Gewinnung von
Erdgas in Deutschland oder Europa, sondern weltweit .
Wir wollen absolut keinen Freibrief für unkonventionelle Erdgasförderung . Wir wollen zunächst genau
untersuchen . Wir wollen Probebohrungen, bei denen
wissenschaftliche Begleitung notwendig ist . Dabei können Erkenntnisse gewonnen werden, die weltweit von
Bedeutung sind . Um es klar zu sagen: Fracking darf es
nur geben, wenn Risiken ausgeschlossen werden können .
Somit ist klar, dass es wegen der vorgelagerten Verfahren
in den nächsten Jahren kein Fracking geben wird . Ob es
irgendwann kommerzielles Fracking geben wird, kann
man heute noch nicht verbindlich sagen . Am Ende muss
sichergestellt sein, dass der Deutsche Bundestag über
den kommerziellen Einsatz der unkonventionellen Förderung entscheidet .
({3})
Wir wollen also mit einem Gesetz einen Prozess vorgeben, an dessen Ende hier im Deutschen Bundestag
aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse eine fundierte
Entscheidung getroffen werden kann .
({4})
Dafür brauchen wir ein Gesetz, das einen strengen Rahmen vorgibt . Das ist nicht die einfache Antwort, die Sie
gerne haben möchten, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen . Aber eine einfache Antwort ist manchmal nicht diejenige, die man in der Regierungsverantwortung tatsächlich verantworten kann .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Damit schließe ich die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7551 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann
ist das so beschlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende
Drucksache 18/7555
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der
Aussprache hat die Parlamentarische Staatssekretärin Iris
Gleicke für die Bundesregierung das Wort .
({1})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere Energiewirtschaft befindet sich in einem beispiellosen Wandel . Neben der Reform des Strommarkts und dem Ausbau der erneuerbaren Energien wollen wir rechtzeitig für
den Ausbau der notwendigen Infrastruktur sorgen .
Mit dem Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende werden wir verlässliche Rahmenbedingungen
für den Aufbau einer Kommunikationsinfrastruktur der
Zukunft schaffen . Wir wollen standardisierte Kommunikation, und zwar überall dort, wo sie erforderlich ist .
Den Datenschutz haben wir dabei konsequent von
Beginn an mitgedacht . Zusammen mit dem Bundesamt
für Sicherheit in der Informationstechnik hat das Wirtschaftsministerium in jahrelanger Arbeit und unter Einbindung aller Akteure sehr hohe technische Standards
und Vorgaben für Smart Meter Gateways entwickelt .
Denn nur über ein Privacy-by-Design-Konzept, wie es
jetzt im Gesetzentwurf vorgesehen ist, kann man die notwendige Akzeptanz bei Bürgern und Unternehmen erreichen .
({0})
Nur über echte Standards kann die Digitalisierung der
Energiewende zum Treiber für Innovationen werden .
Meine Damen und Herren, Kern des Gesetzentwurfs
ist ein klares, transparentes Rollout-Konzept . Dabei geht
es um den Aufbau einer Infrastruktur und nicht um punktuelle Lösungen . Gesetzlich verankerte strikte Preisobergrenzen sorgen dafür, dass die Kosten beim Verbraucher
nicht den Nutzen der neuen Technik übersteigen . Auch
das ist ein ganz entscheidender Punkt für uns . Auch das
hat etwas mit der Akzeptanz zu tun .
Wir nehmen den Datenschutz ernst .
({1})
Hier werden keine Daten nur zum Spaß gesammelt . Daten erhalten nur ausdrücklich Berechtigte und nur so weit
es erforderlich ist, damit das System funktioniert . Das
Recht, Daten zu erhalten, folgt der energiewirtschaftlichen Aufgabe - und nicht umgekehrt .
Das neue System ist effizient und datensparsam, weil
es Daten direkt an Berechtigte verteilt . Auf direktem Weg
erhalten in Zukunft Verteilnetzbetreiber und Übertragungsnetzbetreiber alle notwendigen Daten, und sie werden bei allen wichtigen Aufgaben in der Energiewende
unterstützt .
Daher trifft der Gesetzentwurf keine strukturpolitischen Weichenstellungen zugunsten bestimmter Netzbetreiber . Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf verhält sich
gegenüber großen und kleinen Verteilnetzbetreibern gleichermaßen neutral . Für den Gesetzentwurf gibt es also
keine Netzbetreiber erster und zweiter Klasse .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kern geht es darum, die Prozesse und Dienstleistungen weiterzuentwickeln und die Möglichkeiten der Digitalisierung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sowie im Interesse der
Energiewende zu nutzen .
Lassen Sie uns dieses Gesetzesvorhaben deshalb zügig und intensiv diskutieren und möglichst noch vor der
Sommerpause durch das parlamentarische Verfahren
bringen . Denn damit entsteht baldmöglichst Planungssicherheit für alle .
Ich darf mich herzlich für die Zusammenarbeit bedanken, freue mich auf die Beratungen und wünsche auch
Ihnen ein gutes Wochenende .
({2})
Vielen Dank . - Ralph Lenkert von der Fraktion Die
Linke hat als nächster Redner das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Der heute diskutierte Gesetzentwurf zur
Digitalisierung der Energiewende hat nichts, aber auch
gar nichts mit der Umstellung auf erneuerbare Energien
zu tun .
({0})
Konkret sollen in den nächsten Jahren bei allen Haushalten intelligente Zähler, Smart Meter genannt, eingebaut werden - zunächst bei denen mit einem Jahresverbrauch von über 6 000 Kilowattstunden, später dann auch
bei Haushalten mit geringerem Strombedarf . Diese Zähler erfassen dann 24 Stunden, also rund um die Uhr, wann
und wie viel Strom Sie verbrauchen und übermitteln dies
sofort dem Netzbetreiber . Wann Sie den PC einschalten,
sich Kaffee kochen, den Wecker stellen, den Kühlschrank
öffnen - all dies wird übertragen .
({1})
Die Mehrkosten für die Geräte sollen bei 60 Euro liegen .
20 Euro zahlen Sie jährlich für die Datenauswertung .
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie können dann
vielleicht eine momentane Verbrauchsanzeige an Ihrem
Zähler bewundern, oder Sie erhalten auf Antrag innerhalb von 24 Stunden vom Netzbetreiber eine Mitteilung
über Ihren Stromverbrauch vom vorgestrigen Tag . Genau
das soll Sie motivieren, weniger Strom zu verbrauchen .
Übrigens, direkt live auf Ihren PC oder Ihr Smartphone
erhalten Sie die Verbrauchsdaten nicht . Das ist wohl aus
Datenschutzgründen nicht vorgesehen .
Wie bei allen Datenerfassungen besteht die Gefahr,
dass mit Ihren Daten Schindluder getrieben wird . Neue
Geschäftsmodelle werden bereits für Ihre zukünftigen
Daten entwickelt, und legaler bis illegaler Datenexport
wird explodieren . Zum Beispiel besteht ein gewisses Interesse bei Lebensversicherungen: Da läuft Ihr Fernseher
am Samstag zwölf Stunden, und außer den Stromspitzen
vom Kühlschrank ändert sich nichts . Schlussfolgerung:
Dieser Kunde sitzt essend und trinkend vor dem Fernseher; das gibt höhere Beiträge . Alle, die behaupten, die
Daten seien sicher, seien daran erinnert: Das Intranet des
Bundestages war zertifiziert, galt als sehr sicher, aber
2015 kamen die Hacker .
Es ginge auch anders . In der Schweiz entwickelte man
ein besseres System . Da gibt es variable Preise, je nach
Stromangebot und -nachfrage . Diese Preise sendet der
Stromlieferant an Ihren Zähler zusammen mit der Preisvorschau für die nächsten Stunden . Ihr Zähler schaltet
dann entsprechend der Programmierung Ihre Geräte so
zu, dass sie den günstigsten Strompreis nutzen können .
Das spart wirklich, und vor allem werden keine zusätzlichen Daten von Ihnen erfasst . Solch ein System würde
die Linke unterstützen .
({2})
Übrigens, liebe Bürgerinnen und Bürger, irgendwie
müssen die Daten natürlich aus den Kellern, aus den
Technikräumen und aus den Schaltschränken transportiert werden . Da gibt es drei Varianten: erstens eine neue
Funkstation in Ihren vier Wänden . Zweitens . Die Signale
werden dem Stromnetz aufmoduliert . Beides erhöht die
Belastung durch elektromagnetische Wellen; gesund ist
das nicht . Oder sollen wir uns - drittens -, liebe Koalition, unsere private Übertragungsrate des Internets mit
dem Messstellenbetreiber teilen?
Sie schweigen zu diesem Thema . Die Union argumentiert, wir brauchten jetzt Smart Meter, damit die
Versorgungssicherheit gewährleistet bleibe . Wann, liebe
Zuhörerinnen und Zuhörer, hatten Sie den letzten Stromausfall? Durchschnittlich nur 2,2 Minuten fiel im Jahr
2015 bei lokalen, meist kommunalen Netzbetreibern der
Strom aus . Das ist Weltklasse . Das schafften die Stadtwerke ganz ohne Smart Meter bei ihren Kunden .
Warum behauptet dann diese Bundesregierung, nur
mit Messen bei Endkunden und nur bei zentraler Erfassung all unserer Daten durch die Übertragungsnetzbetreiber würde das Stromnetz stabil bleiben? Netzstabilität ist
der Vorwand, mit dem diese Koalition den Herstellern
dieser Geräte ein neues Geschäft vermittelt . Diese Firmen äußern sich bereits zuversichtlich . Über 4 Millionen
zusätzlich zu verkaufende Smart Meter pro Jahr bringen einen Umsatz von 240 Millionen Euro zulasten der
Stromkunden .
Ganz nebenbei nimmt die Koalition den kommunalen Stadtwerken das Geschäft mit der Stromabrechnung
weg und schiebt es den großen privaten Netzbetreibern
zu . Dass diese Koalition damit den Kommunen dringend
benötigtes Geld für Kitas und Infrastruktur stiehlt, ist ungehörig .
({3})
Ich fasse zusammen . Dieser Gesetzentwurf bringt
nichts für die Energiewende, aber alles für neue Profite
für Firmen und private Netzbetreiber . Dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Schritt hin zu gläsernen Bürgerinnen
und Bürgern . Die Linke schlägt Ihnen folgerichtig vor:
Vergessen Sie es .
({4})
Als nächster Redner hat Jens Koeppen von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass dieses Thema sehr ambivalent angegangen wird,
war klar . Die Staatssekretärin hat versucht, auf Vorteile und Nachteile hinzuweisen . Aber dass bei Ihnen alles
falsch war, ist wieder bezeichnend . Ich will einmal versuchen, mich der Sache realistisch zu nähern .
Man fragt immer: Können intelligente Systeme alle
Probleme lösen? Natürlich können sie nicht alle Probleme lösen . Für die einen ist die Digitalisierung Teufelszeug, und für die anderen ist sie der Heilsbringer .
({0})
Ich muss sagen: Nicht nur null und eins zählen oder
schwarz und weiß, sondern wir brauchen die entsprechenden Graustufen . Das ist doch ganz klar . Die einen
sagen: Das ist für uns das Thema, um die Energiewende voranzubringen . - Die anderen sagen: Damit ist dem
Datenmissbrauch Tür und Tor geöffnet . Die einen sagen,
es ist transparent und verbraucherfreundlich; die anderen sagen, es können Profile erstellt werden. Dann wird
natürlich gesagt: Es wird eine neue kritische Infrastruktur aufgebaut . Aber es ist nicht wie bei Marc Elsberg in
Blackout, sondern hier geht es um eine Technologie, die
beherrschbar ist und die kommen soll .
Eins muss man auch sagen: Es geht um eine europäische Richtlinie, die vereinbart wurde und in nationales
Recht umgesetzt werden muss . Jetzt müssen wir schauen: Wie bekommen wir das am besten hin, mit allen bestehenden Vorteilen? Ich möchte einmal versuchen, mich
den Möglichkeiten, den Chancen und dem Nutzen zu
nähern, um zu zeigen, was wir von dieser Technologie
haben .
Zunächst denke ich, dass - da sind wir uns mit allen
in der Branche einig, auch mit den Verbraucherschutzverbänden - ein transparenter Energieverbrauch möglich
ist, dass eine transparente Abrechnung möglich ist, dass
eine Visualisierung - da haben Sie vollkommen unrecht,
Herr Lenkert - möglich ist . Dadurch entsteht mehr Energieeffizienz. Ich kann in meinem Haushalt Stromfresser
ausfindig machen und dementsprechend ausschalten.
Und natürlich habe ich dadurch einen variablen
Stromverbrauch . Natürlich habe ich variable Tarife . Natürlich kann kundenbezogen, angebotsbezogen gearbeitet werden . Das ist alles nachgewiesen . Ich darf nur daran
erinnern: Wir hatten ja früher die Nachtspeicherheizung;
Sie werden sich daran erinnern, wir haben sie eigentlich
immer noch .
({1})
Da gab es eine analoge Uhr . Die hat man von 22 Uhr
bis 6 Uhr morgens eingeschaltet, und dann hat man das
Nachttal aufgefüllt . Die neue Technologie bietet demgegenüber eine große Chance . In der Uckermark und in
Barnim zum Beispiel stehen 700 Windkraftanlagen . Aber
es gibt nicht genügend Netze, die den Strom angebotsbezogen zum Verbraucher schaffen . Es könnte doch eine
Möglichkeit sein, dass, während ich hier mit Ihnen rede,
der intelligente Zähler sagt: Der Strom ist jetzt 20 Prozent günstiger; also ist es jetzt sinnvoll, dass das Haus
geheizt wird oder der Supermarkt seine Klimaanlage anschaltet, was auch immer . Das ist immerhin besser, als
den Strom abzuschalten und trotzdem zu vergüten, wie
es zurzeit bei Redispatch möglich ist . Das wollen wir erreichen, meine Damen und Herren .
({2})
Und es ist auch möglich, Überproduktion bei einer geringen Nachfrage in nutzbare Energie zu verwandeln .
Natürlich ist die Direktvermarktung von erneuerbaren
Energien auch ein Thema bei Smart Metern, bei diesen
intelligenten Systemen . Wir bekommen die Volatilität,
die wir bei erneuerbaren Energien nun einmal haben, dadurch ein bisschen besser in den Griff, dass der Strom
dann, wenn er - bei großer Windstärke oder starker Sonneneinstrahlung - verfügbar ist, angebotsbezogen an die
Kunden geleitet wird . Und ich erreiche durch die Spannungsstabilität eine entsprechende Netzstabilität und
auch eine bessere Auslastung des Netzes . Wenn wir das
flächendeckend haben, können wir eventuell sogar auf
das eine oder andere Netz verzichten .
Aber wo es Licht gibt, gibt es auch Schatten, und darauf muss man ganz klar eingehen . Die Staatssekretärin
hat völlig zu Recht gesagt: Wir haben den weltweit konsequentesten Ansatz bei dieser Technologie; denn wir sagen: Wir lassen nur intelligente Zähler zu, die ein ganz
klares Schutzprofil haben, vom Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik zertifiziert. Ohne dieses Zertifikat darf es keinen Zähler geben. Dieser Schutz der Verbraucherdaten steht für uns an oberster Stelle . Das sehen
Sie auch an den Papieren vom Ministerium; erst danach
kommen die Vorteile . Ich glaube, das ist der richtige Ansatz .
({3})
Eins muss man auch klar sagen: Bis 10 000 Kilowattstunden - der Durchschnitt liegt bei 3 500 bis 4 000 passiert überhaupt nichts . Da bekommen Sie wie bisher
einmal im Jahr eine Abrechnung; einmal im Jahr werden
die Daten übermittelt,
({4})
wenn man nicht einen anderen Tarif haben möchte . Wenn
man bei dem Tarif bleiben möchte, gibt es eine einmalige
Übertragung im Jahr, und damit ist es gut . Das können
Sie selbst entscheiden . Es gibt das Opt-in, es gibt das
Opt-out; man kann sagen, ob man das möchte oder nicht .
Es gibt ganz klare und ganz strenge Löschvorschriften. Es gibt keine detaillierten Nutzerprofile. Sie können
keine Profile auslesen. Sie können keine Lebensgewohnheiten, wie es eben gesagt wurde, auslesen . Sie werden
nicht von Ihrem Kühlschrank ausspioniert . Denn die Daten werden aggregatisiert und anonymisiert abgegeben .
Ich glaube, es ist wichtig, zu wissen, dass man, wenn
man keinen anderen Tarif wählt, das nutzen kann .
Es gibt - das ist ganz klar - natürlich keinen hundertprozentigen Schutz; den gibt es nirgendwo in der Welt .
Aber sich daher zu verstecken und zu sagen: „Wir müssen das Ganze so lange regulieren, dass dieses Geschäftsmodell und die damit verbundenen Chancen nicht mehr
möglich sind“, halte ich für falsch .
Ich möchte, auch mit Blick auf das Ministerium, noch
auf einige Punkte in diesem Gesetzentwurf eingehen .
Ich persönlich denke, dass das Rollout in Deutschland
zu lange dauert . Der Großteil des Rollouts besteht darin,
dass wir erst 2020 mit der Installation der Zähler anfangen . Schon zuvor müssen bei einigen Großverbrauchern
die neuen Zähler installiert werden; aber erst ab 2020
geht es so richtig los . Dann werden viele Länder in Europa mit der Installation schon fertig sein . Wir hingegen
werden dann erst mit der Installation von 80 Prozent dieser Anlagen beginnen . Ich weiß nicht, ob das so gut und
ob das dann noch wirtschaftlich ist . Wenn andere Länder
besser sind, verlieren wir auch hier den Anschluss und
können das, was wichtig und notwendig ist, nicht nutzen .
Vielleicht sollten wir da ein bisschen zügiger vorangehen .
Ein weiterer Punkt ist - er bereitet mir ein bisschen
Bauchschmerzen -: Im Gesetzentwurf steht, dass die
Datenauswertung und die gesamte Bilanzierung bei den
vier großen Übertragungsnetzbetreibern angesiedelt sein
sollen . Das sollten wir überdenken .
({5})
Ich meine, dass es besser wäre, wenn die Daten ein Stadtwerk auswertet und nicht die vier großen Netzbetreiber .
Ich glaube, das Vertrauen der Menschen in die Verteilnetzbetreiber ist größer als das in die Übertragungsnetzbetreiber . Ich stelle einfach einmal zur Überlegung, dass
wir in der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzentwurfs da noch eine Änderung zustande bringen . Ich hielte das für besser, insbesondere was die Akzeptanz durch
die Menschen angeht .
({6})
Bei der Auskömmlichkeit sollten wir vielleicht
noch ein paar Gedanken darüber verschwenden, ob die
Preisobergrenzen den Brutto- oder den Nettowert angeben . Es geht dabei um all das, was eingepreist werden
muss. Ich bin für flexible Preisobergrenzen. Viele Anbieter sagen nämlich: Es ist möglich, Preise unter den
Preisobergrenzen, die jetzt gesetzt wurden, festzulegen .
Vielleicht kann man das Ganze flexibler gestalten. Aber
wir müssen überlegen - es wäre gut, bis zur nächsten Lesung diesbezüglich noch ein paar Berechnungen zu bekommen -: Geben die Preisobergrenzen den Brutto- oder
den Nettowert an? Wie gestalten sich die Preisobergrenzen ganz genau? Darüber sollten wir in der Anhörung
noch einmal miteinander beraten .
Meine Damen und Herren, Smart Meter, das ist kein
Selbstzweck . Das ist eine große Innovationskraft, die
Deutschland nutzen sollte . Wir sind bei der Digitalisierung oft Vorreiter gewesen . Mittlerweile sind wir aus
Angst vor der eigenen Courage aber selbst ein bisschen
Bremser . Wenn wir die Fragen offen angehen und letztendlich miteinander gut beraten, auch bei unserer bevorstehenden Anhörung, können wir zu einem guten Ergebnis kommen . Das wünsche ich mir .
Danke .
({7})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Oliver
Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielleicht sollten wir bei der Debatte über diesen Gesetzentwurf feststellen: Es wäre angemessen gewesen, den
Titel eine Nummer kleiner ausfallen zu lassen . Es geht
nämlich nicht um die Digitalisierung der Energiewende .
Sie findet seit langem statt - trotz dieser Bundesregierung, trotz einer problematischen Gesetzgebung . Da tun
sich Unternehmen zusammen, verbinden Anlagen, schaffen virtuelle Kraftwerke . Das läuft alles .
Was Sie hier vorlegen, ist der Entwurf eines Gesetzes,
das die rechtlichen Grundlagen dafür schafft, dass die
durch einen Stromzähler zu einem bestimmten Zeitpunkt
erfassten Daten über den Stromverbrauch übermittelt
werden . Das ist keineswegs trivial; aber es ist auch keine Weltrevolution. Dergleichen findet in vielen anderen
Ländern schon statt .
Schon die letzte Große Koalition - ihre Regierungszeit ist schon länger her - hatte sich vorgenommen, einen
solchen Gesetzentwurf zu verabschieden . Das ist dann irgendwie gescheitert . Schwarz-Gelb hatte die Verabschiedung eines solchen Gesetzentwurfs großtönend im Koalitionsvertrag angekündigt . Auch das ist gescheitert . Jetzt
ist auch diese Koalition schon eher in der Endphase der
Wahlperiode, und nun kommt dieser Gesetzentwurf auf
den Tisch . Wir haben ja eben in der Debatte über die Fracking-Technik gesehen: Gesetzentwürfe, die das Licht
der Welt erblicken, können irgendwie im Bundestag versacken . Insofern ist der vorliegende Gesetzentwurf alles
andere als eine Revolution .
Kollege Lenkert, Ihre Position habe ich, ehrlich gesagt, ebenfalls nicht verstanden . Dass wir die Technik
von vor 100 Jahren beibehalten und an dieser Stelle einfach keine Innovationen wollen, kann auch keine Perspektive sein .
({0})
Man darf jetzt auch nicht so tun, als werde alles am
Ende automatisch gut; denn ein Grundproblem, das die
Kollegen hier angesprochen haben, lösen Sie mit diesem
Gesetzentwurf nicht . Sie wollen den Menschen diesen
Zähler vorschreiben, aber Sie können den Menschen keinen wirklichen Benefit bieten. Das liegt einfach daran,
dass Sie diesen Gesetzentwurf nicht mit Ihrer sonstigen
Gesetzgebung verknüpfen . Wir diskutieren hier auch
über ein Strommarktgesetz, aber die Verbindung dieses
Gesetzentwurfs zum Strommarktgesetz finde ich überJens Koeppen
haupt nicht . Ich habe das Gefühl, Frau Gleicke, dass bei
Ihnen im Ministerium unterschiedliche Abteilungen daran geschrieben haben, die gar nicht wussten, dass andere
auch daran arbeiten . Da sehe ich ein Riesenproblem, für
dessen Lösung wir hoffentlich in der weiteren Debatte
die Verknüpfungen hinkriegen .
({1})
Jetzt haben Sie Atem geholt . Ich möchte nämlich die
Frage an Sie stellen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .
Aber gern .
({0})
Kollege Krischer, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage gestatten . - Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass in der Schweiz das System Swiss Meter
entwickelt wird, das die heutigen Stromzähler ablösen
kann? Diesem intelligenten System werden die Daten der
Netzbetreiber und die Strompreise zur Verfügung gestellt .
Ihnen wird die Information zur Verfügung gestellt, wie
die Preisentwicklung in den nächsten Tagen und Stunden
sein wird . Das habe ich vorhin explizit erklärt und habe
gesagt, dass wir als Linke dieses System als technischen
Fortschritt durchaus begrüßen, weil es energiewirtschaftlich sinnvoll ist und Datenschutz berücksichtigt .
({0})
Ja, Herr Kollege Lenkert, das ist ja schön . Aber dann
erwarte ich von Ihnen, dass Sie ein solches System vorschlagen und sagen, wie man den vorliegenden Gesetzentwurf an der Stelle tatsächlich verbessern kann . Ich
erwarte, dass Sie sich mit den Fragen konkret auseinandersetzen, damit das, was Sie da vielleicht richtigerweise
wollen, entsprechend umgesetzt werden kann . Einfach
nur zu sagen: „So ist es Mist, aber es gibt da irgendetwas anderes, das wollen wir dann vielleicht irgendwie
machen“, ohne zu erklären, wie es gehen soll, das finde
ich - ehrlich gesagt - ein bisschen dünn . Da muss man
dann schon etwas konkreter werden .
({0})
Aber ich will noch einmal auf den Benefit zurückkommen . Sie können den Verbrauchern einfach keinen Benefit anbieten, weil es überhaupt keine lastabhängigen Tarife gibt, von denen die Verbraucher einen Nutzen hätten .
({1})
- Nein, die gibt es nicht . Denn Ihr Gesetzentwurf regelt
nicht, dass dieser lastabhängige Tarif an den Smart Meter
gesendet werden kann . Da schaffen Sie überhaupt keine
Regelung . Gucken Sie in Ihren eigenen Gesetzentwurf
hinein! Deshalb führt das am Ende dazu, dass Sie alle
herausnehmen, die unter 6 000 Kilowattstunden verbrauchen - das finden wir im Prinzip richtig -, womit Sie
Ausnahmen von der Ausnahme machen .
Herr Koeppen, das, was Sie gesagt haben, stimmt einfach nicht . Der Oliver Krischer als Eigenheimbesitzer
im Rheinland braucht nach Ihrem Gesetzentwurf keinen
Smart Meter zu nehmen - der kann darauf verzichten;
der könnte ihn freiwillig nehmen -, der Oliver Krischer
in einer Mietwohnung in Berlin muss den Smart Meter
aber nehmen, wenn der Vermieter das will .
Das Gleiche gilt, wenn der Netzbetreiber den Smart Meter vorschreibt . - Das ist eine Ungleichbehandlung und
eine Zwangsbeglückung .
Ich sage Ihnen: Gerade mit Blick auf den Datenschutz
wird das nicht funktionieren . Wenn Sie eine Zwangsbeglückung vornehmen, können Sie nicht gleichzeitig auch
noch eine Ungleichbehandlung machen . Meine Damen
und Herren, das zerstört die Akzeptanz, und dann werden
Sie mit diesem Gesetzentwurf scheitern . Das sollten Sie
sich im weiteren Verfahren einmal sehr genau überlegen .
({2})
Dann gibt es ein weiteres Problem, auf das man hinweisen muss . Das sind Eigenerzeuger, das sind Leute,
die Photovoltaik- oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen
haben . Die müssen dann ab 7 Kilowatt Leistung einen
Smart Meter zwangsweise nehmen .
Also ganz offen gesagt: Darunter sind viele, die das
eher als Minusgeschäft betreiben, die daran überhaupt
nichts verdienen, die das aus Engagement für die Energiewende machen . Jetzt bürden wir denen wieder eine
Last auf, ohne dass sie nur irgendetwas davon haben .
({3})
Meine Damen und Herren, das gefährdet die Akzeptanz . So kommen wir bei der Photovoltaik und bei der
Kraft-Wärme-Kopplung - beides wollen wir ja; Herr
Pfeiffer sicherlich nicht, aber viele andere hier im Haus nicht voran, dabei wollen wir sie ausbauen .
Dann der letzte Punkt - da bin ich froh, dass die Kollegen von der Union ihn angesprochen haben -: Ich verstehe überhaupt nicht, warum diese Daten an die Übertragungsnetzbetreiber geschickt werden sollen . Die gehören
in den Verteilnetzbetreiber . Denn wenn das Ganze einen
Sinn machen soll, dann brauchen wir Regelungen auf der
möglichst niedrigsten Ebene . Wir wollen, dass Verbrauch
und Erzeugung im Stadtteilbereich, im Bereich der Straße intelligent gesteuert werden können . Wenn die Daten
ein Verteilnetzbetreiber wie Tennet bekommt, der ein
Netz von Flensburg bis Oberammergau hat, ist es mir ein
völliges Rätsel, wie das dezentral gesteuert werden soll .
Ich finde also, da gibt es noch einiges nachzuarbeiten.
Zusammenfassend: Sie legen einen Gesetzentwurf
vor, der vom Thema her seit langem überfällig ist, der
aber an vielen Stellen Probleme aufweist, der viele Datenschutzfragen nicht beantwortet, der eine Ungleichbehandlung einführt, der in Teilen eine Zwangsbeglückung
zur Folge hat . Ich hoffe, dass wir die Beratungen nutzen
können, um diesen Gesetzentwurf - ich habe auch bei
Ihnen ja die eine oder andere Kritik gehört - insgesamt
zu verbessern, damit nachher etwas Gutes für die Energiewende herauskommt, damit der Verbraucher etwas
davon hat und damit die Fragen des Datenschutzes, die
ganz wichtig sind, auch vernünftig geklärt werden .
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .
({4})
Als nächster Redner hat Florian Post von der
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich dich,
lieber Oliver Krischer, zu der Erkenntnis beglückwünschen, dass die Energiewende trotzdem stattfindet - mit
dieser Koalition, mit dieser Bundesregierung .
({0})
- Da haben wir ja schon ganz andere Worte und Aussagen hier im Plenum gehört .
({1})
Das ist aber schon einmal ein Fortschritt . Da muss ich
also ausdrücklich zustimmen .
Digitalisierung betrifft mittlerweile immer mehr Lebensbereiche, geht vom Musikhören über das Einkaufen,
Kommunizieren bis hin zum Sport . Daten sind also längst
ein Rohstoff für ganze Industrien geworden . Der Fortschritt bei der digitalen Speicherung und Verarbeitung
von Daten birgt auch erhebliche Chancen für die Energiewirtschaft . Da unser Stromsystem zunehmend dezentral und volatil wird, wird natürlich auch eine intelligente
Netzsteuerung immer wichtiger, die einen Beitrag zur
Versorgungssicherheit und Stabilität dieser Netze leisten
kann . Der Einbau von Smart Metern wird hier ein erster
Schritt sein . Dabei kann natürlich dann auch der Netzausbau auf Verteilnetzebene reduziert werden . Es gibt
aber auch weitere Effekte: Es wird mehr Transparenz
auf Verbraucherseite geschaffen und dadurch wiederum
die Möglichkeit zum Einsparen eröffnet . In Verbindung
mit variablen Tarifen kann darüber hinaus eine Steuerung
bzw. Beeinflussung des Verbraucherverhaltens erfolgen.
Das mit dem Gesetz geplante Rollout intelligenter
Messsysteme ist ein erster Schritt . Wir legen hiermit also
lediglich den Grundstein für tiefgreifende Veränderungen in der Prozessorganisation der Energieversorgung .
Es gibt allerdings auch Spannungsfelder, die vom Kollegen Koeppen, aber auch vom Kollegen Oliver Krischer
zu Recht angesprochen wurden . Wir haben Probleme
oder Diskussionspunkte beim Verbraucherschutz, bei
den Kosten und auch bei der Definition von Marktrollen, gerade auch das Spannungsfeld Verteilnetzbetreiber/
Übertragungsnetzbetreiber, zu berücksichtigen
Der vorliegende Gesetzentwurf soll die Marktrollen
zwischen Verteilnetzbetreibern und Übertragungsnetzbetreibern verändern . In Zukunft soll demnach für die
Datenaggregation nicht mehr der Verteilnetzbetreiber
zuständig sein, sondern der Übertragungsnetzbetreiber,
der dann auch für die Bilanzierung dieser Daten zuständig wäre . Das würde in der Tat eine Zentralisierung der
Datenhoheit bedeuten . Hier muss man sich ganz genau
anschauen, ob die Verteilnetzbetreiber in Zukunft die
Systemaufgaben, die sie bisher schon haben, überhaupt
noch erfüllen können, ob sie auf die Daten, die sie benötigen, auch tatsächlich zugreifen können und ob sie ihrer
Systemverantwortung in einem zunehmend dezentral organisierten Markt gerecht werden können .
Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung - Kollege Koeppen hat es ja angesprochen -, dass wir uns die
Vor- und Nachteile, die mit einer solchen Verlagerung
vom Verteilnetzbetreiber zum Übertragungsnetzbetreiber
verbunden sind, noch einmal in Ruhe anschauen und uns
fragen sollten, ob das wirklich so stattfinden soll. In der
Tat - Sie haben das Thema Akzeptanz angesprochen ist es ja doch so, dass die Bürger vor Ort ihrem lokalen
Energieversorger bzw . Verteilnetzbetreiber eine höhere
Akzeptanz entgegenbringen als einem anonymen Übertragungsnetzbetreiber . Daher ist es der richtige Weg, wie
von Staatssekretärin Gleicke aufgezeigt wurde, wenn
in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik und der Bundesnetzagentur
hier Schutzstandards formuliert werden, die dem hohen
Datenschutzanspruch der Bürger gerecht werden . Das ist
auch ein Weg hin zu mehr Akzeptanz, und dieser Weg ist
von unserer Seite her zu begrüßen .
Die anderen Punkte werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich noch ausgiebig miteinander
diskutieren . In diesem Zusammenhang wünsche ich auch
von meiner Seite ein schönes und erholsames Wochenende .
Danke schön .
({2})
Hansjörg Durz hat als Nächster das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Verschiedene Redner haben unterschiedliche Stellen im Gesetzesentwurf kritisiert und Verbesserungen vorgeschlagen . Das ist auch absolut nachvollziehbar . Herr Lenkert hat gemeint, dass das Thema insgesamt
überhaupt nichts mit der Energiewende zu tun hat . Das
verwundert mich schon ein klein wenig .
Wir sind uns bei der Digitalen Agenda insgesamt absolut einig, dass die Digitalisierung ein ganz zentraler
Baustein der Energiewende sein wird . Demnach sind wir
uns bei der Digitalen Agenda über alle Fraktionen hinweg einig, dass wir diesen Bereich voranbringen müssen .
Ich werde versuchen, einmal zu erläutern, warum es doch
einen Zusammenhang zwischen Energiewende und Digitalisierung gibt .
Bei der Energiewende, beim Ausbau der erneuerbaren
Energien kommen wir stetig voran . Im Jahr 2015 lag der
Anteil der Erzeugung - das wissen Sie alle sehr gut - bei
etwa einem Drittel des Stromverbrauchs . Wir sind damit
über Plan . Damit erreichen die Erneuerbaren im Vergleich
zum Jahr 2000, wo es noch ein Anteil von 7 Prozent war,
mittlerweile einen Anteil von 33 Prozent . Während der
Anteil der konventionellen Erzeugung stetig gesunken
ist, hat sich der Anteil der Erneuerbaren mehr als verachtfacht. Ausfluss dessen ist, dass in Deutschland mittlerweile über 1,5 Millionen EEG-Anlagen in das Netz
einspeisen . Das zeigt sehr deutlich, dass die Transformation des Energiesektors mit großen Schritten vorankommt. Wir befinden uns in einer gigantischen Umbaumaßnahme des kompletten Energieversorgungssystems .
Während in der alten Welt nur in eine Richtung Energie
floss, nämlich vom Erzeuger hin zum Verbraucher, ist das
dezentrale Energieversorgungssystem der Zukunft durch
bilaterale Energie- und damit auch Informationsflüsse
gekennzeichnet .
Mit der Zunahme der Zahl kleiner und dezentraler
Stromerzeuger nimmt auch der Anteil von Erzeugungseinheiten zu, die fluktuierend in das Netz einspeisen.
Sonne und Wind stehen im Jahresverlauf nicht immer
planbar und verlässlich zur Verfügung . Zudem erfolgt die
Einspeisung zumeist regional unterschiedlich und selten
über das ganze Land verteilt einheitlich . Diese Volatilität
stellt uns vor enorme Herausforderungen . Diesen begegnen wir unter anderem durch den Ausbau der Netze, der
Übertragungs- und der Verteilnetze . Wir brauchen aber
nicht nur mehr Netze, sondern insbesondere intelligentere Netze . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bietet uns
die Digitalisierung hier enorme Chancen .
({0})
Bei den Netzverbrauchern, den Netzbetreibern und
den Erzeugern fallen riesige Mengen von Daten an, die
bislang weitgehend brachliegen . Ziel des Gesetzentwurfs
ist, die Letztverbraucher in Deutschland mit sogenannten
intelligenten Messsystemen auszustatten, die zukünftig
als Kommunikationsplattform im intelligenten Energienetz dienen . Die intelligenten Messsysteme sind damit
ein zentraler Baustein der Energiewende . So werden
Stromerzeuger und Verbraucher intelligent miteinander
verknüpft, damit Informationen über Erzeugung und Verbrauch ausgetauscht werden können . Damit stehen den
Netzbetreibern genauere Daten zur Verfügung, die ihnen
helfen, das Netz zu optimieren und den Ausbaubedarf exakter bewerten zu können . Das erhöht die Versorgungssicherheit und spart auch Kosten .
Die Digitalisierung der Energiewende hat aber nicht
nur Vorteile für die Integration der Erneuerbaren, sie ist
nicht nur für die Netzentwicklung von entscheidender
Bedeutung, für die Energiewende insgesamt, sondern sie
bringt auch große Vorteile für die Bürger, was gelegentlich ein bisschen angezweifelt wird .
Zum einen wandelt sich die Rolle des Verbrauchers
grundlegend . Der ehemals inaktive Konsument kann sich
mit Unterstützung von digitaler Infrastruktur zum - neudeutsch - Prosumer entwickeln . Dieser partizipiert aktiv
am Energieversorgungssystem . Im einen Moment kann
der Haushaltskunde Konsument sein und Strom von
seinem Anbieter beziehen, im nächsten Moment kann
er als Produzent von Strom auftreten, indem er durch
seine PV-Anlage oder seine Wärmepumpe seine eigene Energie umwandelt und diese in das Netz einspeist .
Dies ist einer der Vorteile, der mit der Digitalisierung der
Energiewende verbunden ist . Er schafft die technische
Voraussetzung, dass der Bürger zum aktiven Akteur der
Energiewende werden kann .
({1})
Zum Zweiten kann es durch die intelligente Nutzung
von Daten außerdem gelingen, über Marktsignale Anreize zu schaffen . Für den Stromkunden wäre es dank innovativer, flexibler Tarife möglich, genau dann Strom nachzufragen, wenn dieser besonders reichlich zur Verfügung
steht und entsprechend günstig zu erwerben ist .
({2})
Andererseits besteht für Erzeuger die Möglichkeit, ihre
Anlagen in Verbindung mit einem Speicher zum Beispiel
so zu steuern, dass sie ihren Strom dann anbieten, wenn
dieser besonders gefragt und entsprechend teuer ist .
Gleichzeitig erhält der Verbraucher eine weitaus bessere Verbrauchsanalyse als heute, mit der er auf Grundlage präziser Informationen sein Verbrauchsverhalten
auswerten kann . Praxiserfahrungen zeigen, dass bereits
Verbrauchstransparenz zu Verbrauchsreduktion führen
kann .
Bei allen Vorteilen, die mit der Digitalisierung der
Energiewende verbunden sind, werden wir bei der Ausgestaltung auch die Risiken genauer in den Blick nehmen . Im Zuge der Digitalisierung müssen wir uns immer auch die Frage stellen: Was passiert mit den Daten?
Mit der zunehmenden Vernetzung müssen die Fragen
des Datenschutzes sowie der Datensicherheit mitgedacht werden . Wir brauchen eine hochsichere Kommunikationsinfrastruktur für unser Energiesystem . Das vom
Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik
entwickelte Schutzprofil sowie die technischen Richtlinien versprechen ein enorm hohes Schutzniveau; das ist
bereits mehrfach bei Kollegen angeklungen . Übrigens
sprechen Experten sogar davon, dass wir hier ein Schutzniveau erreichen, das über dem des Onlinebankings liegt .
Daran sieht man auch: Sicherheit hat höchste Priorität .
({3})
Dennoch: Aufgrund des erhöhten Anfalls von Daten,
die Aufschluss über das Verbrauchsverhalten von Haushalten geben können, ist der Einbau datenrechtlich sensiHansjörg Durz
bel . Daher werden wir Wert darauf legen, dass der Kunde
Herr über seine Daten bleibt und der notwendige Schutz
sowie die erforderliche Sicherheit bei der Übermittlung
der Daten gewährleistet werden . Zudem werden wir eingehend beraten, welcher Akteur wann auf welche Daten Zugriff haben muss . Hier geht es um das Verhältnis
zwischen Verteilnetzbetreibern und Übertragungsnetzbetreibern, das bereits mehrfach angesprochen wurde .
Ein weiteres Argument, darüber zu reden, ist, dass keine
Parallelstrukturen aufgebaut werden sollen . Da nicht alle
zum Umstieg auf neue Messinstrumente gezwungen werden sollen, gibt es auch noch die alte Welt, und sie liegt
in der Zuständigkeit der Verteilnetzbetreiber . Hier muss
man aufpassen, dass keine Parallelstrukturen entstehen .
Zudem unterstützen wir nachdrücklich den Ansatz,
den Rollout zu angemessenen Kosten voranzutreiben,
aber eben keinen Rollout um jeden Preis zu erzwingen .
Im Gesetzentwurf ist deshalb vorgeschlagen, dass es bei
einem Jahresverbrauch von weniger als 6 000 Kilowattstunden keine Einbaupflicht geben wird. Auf freiwilliger
Basis kann aber ein Einbau erfolgen, wenn der Verbrauch
darunterliegt; auch das ist bereits angeklungen .
Der mit intelligenten Messsystemen verbundene
Nutzen wird von Verbraucherschützern gelegentlich in
Zweifel gezogen . Hier bedarf es einer noch besseren
Kommunikation der vielfältigen Vorteile, die mit der
Digitalisierung einhergehen: Die Digitalisierung schafft
bessere und effizientere Netze. Die Digitalisierung
schafft mehr Transparenz für Verbraucher . Die Digitalisierung schafft die Voraussetzung dafür, dass der Bürger zum aktiven Akteur der Energiewende werden kann .
Lassen Sie uns in den nächsten Wochen darüber diskutieren, wie wir einen guten Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren noch besser machen und somit die
Energiewende durch sichere Digitalisierung wieder ein
ganzes Stück voranbringen können .
({4})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Auch ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende .
({5})
Als nächster Redner hat Johann Saathoff von der
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Ralph Lenkert, ich weiß nicht, wo im
Gesetzentwurf stehen soll, dass Nutzer von Smartphones
künftig keine Daten bekommen sollen .
({0})
Selbstverständlich bekommen sie diese Daten - das ist
überhaupt keine Frage -, und sie bekommen sie auch online . Denn sie sind Herr ihrer Daten und können nach
diesem Gesetz entscheiden, wer die Daten wann bekommen soll .
({1})
Zweitens . Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wie ein
Kühlschrank aussieht, der in einem Haushalt plötzlich
solch eine Last erzeugt, wenn man ihn öffnet . Wenn man
200-Watt-Birnen in seinem Kühlschrank hat, dann sollte
man zunächst einmal über die Energiewende im eigenen
Kühlschrank nachdenken und erst anschließend über
eine Energiewende im ganzen Haus .
({2})
Worum geht es, meine Damen und Herren? Es geht
darum, dass in der Energiewende nicht nur in der Produktion, sondern in der ganzen Welt dieser Energiewende
grundlegende Veränderungen notwendig sind, also auch
bei den Nutzern, beim Verbraucherverhalten . Früher hatten wir die Situation, dass man die Produktionskurve an
die Verbrauchskurve angepasst hat . Künftig werden wir
es so einfach nicht mehr regeln können; denn die Produktion ist im Bereich der erneuerbaren Energien kaum
regelbar . Das heißt, wir müssen ein Stück weit anstreben,
die Verbrauchskurve an die Produktionskurve anzupassen . Darum geht es heute .
Ich will an dieser Stelle nur andeuten, dass wir allein
im letzten Jahr Redispatch-Kosten in Höhe von 1 Milliarde Euro hatten . Das hat damit zu tun, dass wir die
Verbrauchskurve eben nicht an die Produktionskurve
anpassen können . Um das zu können, reicht der über
70 Jahre alte Ferraris-Zähler, der zu Hause hängt, längst
nicht mehr aus . Dafür brauchen wir Smart Meter .
Zunächst geht um die Abnehmer großer Strommengen, also um die „low hanging fruits“ ab 6 000 Kilowattstunden . Damit man versteht, wer eigentlich davon
betroffen ist: Ein durchschnittlicher Haushalt verbraucht
3 500 Kilowattstunden . Die Regelung gilt übrigens auch
für Mieter; denn meines Wissens gehört der Zähler zur
Wohnung und nicht zum Haus .
({3})
- Darüber reden wir noch einmal miteinander .
Es geht um Daten, und es geht um Datenschutz . Wie
man in Ostfriesland sagt: „Up’n holten Ambold kannst
du keen lesen schkarpen“, mit anderen Worten: Man
braucht ein vernünftiges Werkzeug, um hier vorzugehen .
Drei Jahre lang hat es eine Projektierung des Datenschutzkonzeptes mit dem BSI gegeben . Das ist eine lange Zeit - finde ich auch -, viele in der Branche finden:
viel zu lange . Aber das jetzt vorliegende Konzept ist
einmalig in Europa . Die Kritik der Verbraucherschützer,
die wir gerade in diesen Tagen den Medien entnehmen
können, ist für mich völlig unverständlich . Denn, - grob
skizziert, - wird Folgendes geregelt: Die Daten bleiben
generell beim Verbraucher . Er entscheidet, wer die Daten
bekommt . Nur wer sie unbedingt benötigt, bekommt die
Daten automatisch: Das sind die Netzbetreiber, der Energieversorger und der Handel, für den sich der Verbraucher entschieden hat .
Das Recht, Daten zu erhalten - das hat Frau Staatssekretärin Gleicke schon gesagt -, folgt der energiewirtschaftlichen Aufgabe, und nur dafür dürfen die Daten
auch tatsächlich verwendet werden; also nicht, um nebenbei noch Eis zu verkaufen . Der Kunde entscheidet am
Ende, wer die Daten zusätzlich bekommen soll; und wir
wissen, wie sich Kunden manchmal verhalten . Der König beim Wettbewerb um die Daten ist also der Kunde,
und gemäß diesem Konzept bleibt er das auch .
Zur Kritik, dass es keine variablen Tarife gibt . Das ist
doch eine klare Henne-Ei-Problematik; denn wenn wir
die Infrastruktur nicht haben, haben wir auch die Tarife
nicht . Wir brauchen also zunächst erst einmal die Infrastruktur .
Insgesamt profitieren alle Verbraucher in Deutschland
davon, wenn die Netzbetreiber ihr Netz exakter steuern
können, und genau darum geht es . Die Besitzer von Smart
Metern mit variablen Tarifen würden doppelt profitieren,
und die Kosten für Smart Meter sind klar begrenzt .
Es gibt eine Diskussion darüber, ob die Verteilnetzbetreiber oder die Übertragungsnetzbetreiber oder beide
anschließend die Smart-Meter-Daten haben sollen . Im
Gesetzentwurf steht: Beide sollen die Daten bekommen . - Darüber werden wir noch Gespräche zu führen
haben, und zwar mit folgenden Zielen: Erstes Ziel: Kleine VNBs sollen nicht vom Markt gedrängt oder benachteiligt werden . Zweites Ziel: ÜNBs und VNBs sollen ihr
Netz optimal betreuen können . Das dritte Ziel ist: Die
Netzentgelte sollen gesenkt werden .
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
({4})
Ich schließe die Aussprache . - Liebe Kolleginnen und
Kollegen, Sie können jetzt noch nicht ins Wochenende
gehen, wir müssen nämlich noch die Überweisung beschließen .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7555 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann haben wir das beschlossen .
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16 . März 2016, 13 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Jetzt kann auch ich Ihnen
ein schönes Wochenende wünschen .