Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung . Vor Eintritt in die
Tagesordnung möchte ich der Kollegin Eva BullingSchröter herzlich zu ihrem 60 . Geburtstag gratulieren,
den sie vor wenigen Tagen gefeiert hat .
({0})
Alle guten Wünsche des Hauses für das neue Lebensjahr .
Wir müssen noch eine Schriftführerwahl durchführen .
Die SPD-Fraktion schlägt vor, die Kollegin Dr. Dorothee
Schlegel als Nachfolgerin für den Kollegen Detlev Pilger
als Schriftführerin zu berufen . Können Sie sich damit
anfreunden?
({1})
- Trotz vorgetäuschter schwerwiegender Bedenken in
den Reihen der eigenen Fraktion stelle ich hierzu das
Einvernehmen des Hauses fest .
({2})
Dann ist die Kollegin Schlegel hiermit als Schriftführerin
bestellt .
({3})
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Vereinbarte Debatte
zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen
({4})
ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({5})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für mehr Transparenz in der Internationalen
Atomenergie-Organisation sowie eine starke
und unabhängige Weltgesundheitsorganisation
Drucksache 18/7658
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Federführung strittig
ZP 3 Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Düngegesetzes und anderer
Vorschriften
Drucksache 18/7557
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({8})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
ZP 4 Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen-
nenden Mitglieder des Kuratoriums des Deut-
schen Instituts für Menschenrechte gemäß § 6
Absatz 2 Nummer 4 und 5 des Gesetzes über
die Rechtsstellung und Aufgaben des Deut-
schen Instituts für Menschenrechte - DIMRG
Drucksache 18/7703
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden . Sind Sie auch mit
dieser Vereinbarung einverstanden? - Das ist offenkun-
dig der Fall . Also können wir so verfahren .
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren
Drucksache 18/7538
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck
({9}), Katja Keul, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes Streichung der obligatorischen Widerrufsprüfung
Drucksache 18/6202
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10})
Drucksachen 18/7645, 18/7685
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum
erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern
Drucksache 18/7537
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({11})
Drucksachen 18/7646, 18/7686
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner,
Dr . Konstantin von Notz, Dr . Franziska Brantner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besser schützen
Drucksachen 18/6646, 18/7697
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD zur Einführung beschleunigter Asylverfahren
werden wir später zwei namentliche Abstimmungen
durchführen .
Zu diesem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dauer von 77 Minuten vorgesehen . Auch dazu gibt es offenkundig Einvernehmen . Also verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Ole Schröder .
({13})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wer sichtbar hilft, produziert unter Umständen
mehr Nachfrage nach solcher Hilfe, als er befriedigen will und kann … Diesem Problem muss man
sich stellen .
Das sind die Worte von Gertrude Lübbe-Wolff, von 2002
bis 2014 Richterin am Bundesverfassungsgericht .
Wenn wir uns der Flüchtlingskrise als einer der größten humanitären Herausforderungen der Nachkriegsgeschichte stellen, dann müssen wir uns gerade auch der
Herausforderung für die Aufnahmefähigkeit unserer
Gesellschaft und unserer Systeme, insbesondere unseres
Aufnahmesystems, stellen und entschlossen die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen .
Eine dieser Konsequenzen ist das vorliegende Gesetzespaket, das wir heute beraten und von dem fünf
deutliche Signale ausgehen: erstens Schutz und Hilfe nur für die, die wirklich Schutz und Hilfe brauchen;
zweitens schnellere und entschlossene Rückführung von
Menschen, die nur behaupten, Schutz zu suchen, aber in
Wahrheit aus anderen Gründen nach Deutschland kommen; drittens härterer Umgang mit denen, die im Asylverfahren nicht mitwirken oder sich durch Tricks einen
längeren Aufenthalt in Deutschland erschleichen wollen .
Viertens . Für ausländische Straftäter gibt es keine Zukunft in Deutschland . Wir werden sie zukünftig schneller
aus unserem Land ausweisen .
Fünftens - das ist ein ganz wichtiger Punkt -: Eine
Gesellschaft, die hilft, hat ein zwingendes Interesse daran, die eigene Fähigkeit zur Hilfe und zur Integration
zu erhalten .
({0})
Dieses Interesse ist Pflicht und Auftrag für die Politik in
Deutschland . Dieses Interesse teilen wir mit allen Menschen, auch mit denjenigen, die zu uns gekommen sind
und selbst Migranten waren .
Die Bundesrepublik hat das Ziel, den Flüchtlingsstrom dauerhaft und nachhaltig spürbar zu reduzieren .
Daran arbeiten wir, und daran werden wir uns in den
nächsten Monaten auch messen lassen . Wir tun das mit
großem Einsatz in Europa, mit internationalen Maßnahmen, Stichwort „Türkei“ . Ich verweise auf das Bemühen
unseres Außenministers um eine Waffenruhe in Syrien
oder auf die internationale Geberkonferenz . Wir tun das
natürlich auch national, unter anderem mit den Maßnahmen, die wir heute im Plenum beraten und beschließen
werden .
Drei dieser Maßnahmen sind mir besonders wichtig .
Ich beginne mit dem beschleunigten Verfahren . Wir sagen jetzt: Wir entscheiden noch schneller über Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten und über Personen,
die sich der Mitwirkung an einem ordentlichen Verfahren
verweigern, zum Beispiel, weil sie ihre Fingerabdrücke
nicht abgeben wollen, über ihre Identität täuschen oder
ihre Identitätsdokumente einfach vernichten . Es ist nicht
zu viel verlangt von jemandem, der einen Asylantrag in
Deutschland stellt, dass er seinen Namen nennt, wahrheitsgemäß sagt, aus welchem Land er kommt, und sich
am Asylverfahren angemessen beteiligt .
({1})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Wer das nicht macht, dem können wir auch kein Asylrecht in Deutschland einräumen, der muss unser Land
wieder verlassen . Das müssen wir auch so deutlich sagen .
Mitwirken, die Wahrheit sagen und seine Ausweisdokumente vorlegen, das ist eine legitime Erwartung in einem
Rechtsstaat . Verstöße dagegen werden wir jetzt stärker
als bisher mit Sanktionen belegen . Diese Ordnung ist
auch wichtig für die Bereitschaft der Bevölkerung, weiter Flüchtlinge aufzunehmen . Sie ist fair gegenüber der
weit überwiegenden Zahl von Antragstellern, die sich ordentlich dem Asylverfahren in Deutschland stellen .
({2})
Mein zweiter Punkt, Abschiebehindernisse . Welchen
medizinischen Standard verlangen wir im Herkunftsland? Auch hier treffen wir eine grundsätzliche Entscheidung . Wir sagen: Für eine Abschiebung muss es eine solide, angemessene medizinische Versorgung geben . Aber
wir können im Zielstaat nicht die gleiche medizinische
Versorgung auf allerhöchstem Niveau erwarten, wie wir
sie hier in Deutschland kennen . Wann müssen Atteste
vorgelegt werden? Diese Frage ist wichtig, weil manche
Ausreisepflichtige Atteste zurückhalten und am Tag der
Rückführung überraschend vorlegen, um einer Abschiebung zuvorzukommen . Wir regeln jetzt, dass eine ärztliche Bescheinigung, die die Abschiebung verhindert,
unverzüglich nach deren Ausstellung bei der Ausländerbehörde vorgelegt werden muss . Der weit verbreiteten
Praxis der sogenannten Atteste auf Vorrat bereiten wir
damit ein Ende .
({3})
Wir helfen in Deutschland denen, die Schutz brauchen .
Aber wir sagen auch: Die Motivation, nach Deutschland
zu kommen, muss Schutz oder Flucht und darf nichts anderes sein .
Die dritte Maßnahme, die ich ansprechen möchte, ist
die Einschränkung des Familiennachzugs . Wir müssen
und werden die Aufnahmefähigkeit unseres Landes aufrechterhalten . Diesem Ziel dient die Einschränkung des
Familiennachzugs . Den Kritikern sage ich: Die Koalition
hat sich diese Entscheidung wahrlich nicht einfach gemacht .
({4})
Aber, meine Damen und Herren, sie ist dringend erforderlich . Unser Land hat auch unter moralischen Gesichtspunkten keine Pflicht, sich selbst und seine Bürger
durch humanitäre Hilfe zu überfordern .
({5})
Deshalb ist diese Entscheidung richtig und notwendig .
Noch ein letzter Punkt: Es ist viel gesagt worden über
die Konsequenzen der Silvesternacht in Köln . Auch ich
habe hier bereits zu diesem Thema gesprochen . Deswegen will ich an dieser Stelle nur Folgendes sagen: Vielleicht glauben manche, dass das friedliche Zusammenleben in Deutschland eine Selbstverständlichkeit darstellt .
Aber: Unsere Art zu leben, die Gleichberechtigung von
Mann und Frau, die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen und die Freiheit, die wir kennen ({6})
all das ist nicht in allen Ländern und Kulturen der Welt
selbstverständlich .
({7})
Das gilt zum Teil eben auch für die Herkunftsländer der
Menschen, die derzeit zu uns kommen .
Deswegen sage ich deutlich: Einer Haltung, die den
Respekt und die Achtung zum Beispiel gegenüber einer
Frau von der Begleitung eines Mannes, vom Tragen bestimmter Kleidung oder von irgendetwas anderem abhängig macht, werden wir uns entgegenstellen .
({8})
Auch wenn diese Haltung mit Religion begründet wird,
hat jedenfalls dieses Verständnis von Religion bei uns im
Land nichts zu suchen, meine Damen und Herren .
({9})
In unserem Land gibt es Regeln, die für alle Menschen
und alle Situationen gelten, unabhängig von Geschlecht
oder Glauben .
({10})
Sie werden von keiner anderen Kultur und von keiner
Religion relativiert .
Meine Damen und Herren, das muss die Botschaft
sein . Ihre Durchsetzung ist unser aller Auftrag . Daran
müssen wir denken .
({11})
Das Wort hat nun der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
26 . Mai 1993 beschloss der damalige Bundestag in Bonn
die bis dato schlimmste Zertrümmerung des Grundrechts
auf Asyl . Gregor Gysi sagte in der damaligen Debatte
zum Klima dieser Debatte:
Außer Kraft gesetzt wurden die Maßstäbe der
Menschlichkeit und der Vernunft .
({0})
Nur drei Tage später, am 29 . Mai 1993, gab es den
Anschlag in Solingen mit fünf Toten . In 23 Jahren wurde
offenbar nichts gelernt in diesem Haus .
({1})
Jedes Antiasylpaket, das am konkreten Problem nichts,
aber auch gar nichts ändert, ist eine indirekte Bestätigung
von Hetzern und Menschenfeinden; um es einmal ganz
klar zu sagen .
({2})
Heute wird nun das Asylpaket II beraten, das richtigerweise Antiasylpaket II heißen muss: mit beschleunigten
Verfahren in speziellen Aufnahmeeinrichtungen, mit Abschiebung übrigens auch von traumatisierten Menschen
und - das ist wirklich der größte Hammer bei der ganzen
Sache - mit der Behinderung des Familiennachzugs auch
bei Minderjährigen .
Die Folge davon wird sein, dass sich Frauen, Kinder
und Männer wieder über das Mittelmeer auf den Weg
machen werden . Seit September sind 340 Kinder im Mittelmeer elendig ertrunken . Es kann doch nicht sein, dass
wir hier so etwas beschließen sollen, was das befördert,
liebe Kolleginnen und Kollegen . Unfassbar!
({3})
In dieser Debatte - man muss versuchen, das ein wenig geradezurücken - wollen wir ein paar Anmerkungen
zu der Begleitmusik machen, zunächst einmal zum bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer . Der redet in
der jetzigen Situation allen Ernstes von einer Herrschaft
des Unrechts . Das ist auf der einen Seite dermaßen abgedreht und lächerlich, aber auf der anderen Seite - das ist
das eigentliche Problem - ist es so dermaßen gefährlich .
Im Übrigen benutzt er eine Begrifflichkeit, die damals
Fritz Bauer benutzt hat, als er den Vorwurf erhoben hat,
Deutschland sei unter dem Nationalsozialismus ein Unrechtsstaat gewesen . Das ist bodenlos und abgrundtief, es
ist nicht zu fassen; deshalb müssen wir uns gemeinsam
dagegen verwahren .
({4})
Es sind zurzeit Wahlkämpfe, was dazu führt, dass es
auf konservativer Seite offenbar kein Halten mehr gibt .
Ich möchte etwas zu Julia Klöckner und Guido Wolf sagen .
({5})
Letzterer ist eine politische Fachkraft aus Baden-Württemberg, die keiner kennt; deswegen will ich sie erwähnen .
({6})
Dieses Gerede über Tageskontingente geht an der
Verfassung und an den Grundrechten völlig vorbei . Wir
wollen einmal versuchen, historisch einzuordnen, was
das eigentlich bedeutet . Nehmen wir einmal ein Beispiel,
nämlich Willy Brandt, der 1934 ins Exil nach Dänemark
und Norwegen gehen konnte . Wenn es in diesen Ländern damals Tageskontingente gegeben hätte, was hätte
die Folge sein können? Vielleicht: Entschuldigung, es
ist 13 Uhr, das Tageskontingent ist voll, bitte gehen Sie
zurück . - Das kann doch nicht allen Ernstes Grundlage
einer seriösen Debatte sein; - um es klar zu sagen .
({7})
Liebe Freundinnen und Freunde von der SPD, ihr
müsst euch deshalb genau überlegen, mit wem ihr hier
eigentlich zusammenarbeitet und wer so etwas fordert .
({8})
Ich will sagen: Logischerweise brauchen wir eine europäische Lösung. Ich finde, Merkel muss mehr Druck
machen .
({9})
Ich finde auch, sie soll nicht mit Erdogan paktieren.
Ich will nur eines sagen: Sie kann in Europa gar keinen
Druck entfalten, wenn Sie, ihre eigenen Leute, sie jeden
Tag demontieren . Wie soll das denn funktionieren; - um
es einmal klar zu sagen?
({10})
Es ist doch ein Witz, dass ich, ein Linker, Sie darauf hinweisen muss . Da stimmt doch etwas nicht .
In drei Monaten haben wir nun zwei Antiasylpakete;
Sie haben schon angekündigt, dass das dritte kommen
wird . Ich frage mich natürlich: Wo ist eigentlich ein
umfangreiches Integrationspaket? Wo ist eigentlich das
große Fluchtursachenbekämpfungspaket? Wir haben Rekordwaffenexporte wie noch nie in der Bundesrepublik .
Jetzt werden Sie sagen: Die Waffenexporte zu reduzieren,
hilft uns morgen nicht . - Das mag sein, aber wir müssen
doch irgendwann einmal anfangen, diesen Irrsinn zu beenden . Das kann doch nicht wahr sein .
({11})
Sie haben in dieser Woche den Armutsbericht gesehen . Die Armut grassiert in diesem Land .
({12})
Ich frage mich: Wo ist die soziale Offensive? Wo ist die
Investition in den Wohnungsbau und in Bildung? Warum
packen Sie es nicht endlich an, die Kommunen vernünftig finanziell auszustatten? Sie regen sich auf, aber ich
habe noch mehr . Es kommt noch mehr . Sie können sich
entspannen .
({13})
Wo sind die Investitionen eigentlich? Das kann doch
nicht wahr sein .
Ich glaube in der Tat, dass sowohl Deutschland als
auch Europa an einem wirklichen Scheideweg sind, an
einem historischen Moment, wo sich entscheiden wird,
ob wir den Weg Ungarns gehen oder ob wir den Weg
der Solidarität, der Nächstenliebe, wie die Christen sagen würden, und des sozialen Aufbruchs gehen wollen .
Das ist die Kernfrage . Deswegen brauchen wir nicht nur
einen Aufstand der Anständigen, sondern wir brauchen
einen anständigen Aufstand gegen Ihre Art, Politik zu
machen . Das ist zentral .
({14})
Dafür brauchen wir jeden, dem es eiskalt den Rücken
herunterläuft, wenn von Menschen als Viehzeug gesprochen wird . Diese Menschen brauchen wir . Wir brauchen
die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die täglich ganz
leise und still Großartiges leisten . Sie brauchen wir .
({15})
Wir brauchen die jungen Menschen, die bei jedem Hasskommentar Tausende Gegenkommentare organisieren,
die volle Kante dagegenhalten . Diese Leute brauchen
wir .
({16})
Wir brauchen eigentlich auch eine sozialdemokratische
Partei, die eine klare, unzweideutige Haltung hat, auch
aus ihrer Geschichte abgeleitet . Ich würde mir wünschen,
dass Sie heute so entscheiden würden, wie es Tausende
von Ihren Mitgliedern an der Basis jeden Tag tun . Wir
bräuchten so eine SPD in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({17})
Ja, wir brauchen auch - auch das will ich sagen; das
habe ich noch nie in meinem Leben gesagt - die vielen
Mitglieder der CDU, die den Ausspruch von Angela
Merkel „Wir schaffen das“ als einen Auftrag zur Nächstenliebe im Alltag begriffen haben . Auch sie brauchen
wir; - um es klar zu sagen .
({18})
Ich komme zum Schluss . Wenn Sie die berechtigte
Empörung und den Abscheu über das, was in den letzten
Tagen in diesem Land passiert ist, wirklich ernst meinen und wenn Sie daraus konsequent einen deutlichen
Schluss ziehen wollen, dann muss dieser Bundestag heute geschlossen Nein zu diesem Asylpaket sagen .
({19})
Vielen Dank .
({20})
Das Wort erhält nun der Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Herr Kollege Gall .
({0})
Reinhold Gall, Minister ({1}):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Keine Sorge, ich komme heute nicht mit neuen Vorschlägen zum Asylrecht
aus der Länderebene . Ich halte es - im Gegensatz zur
baden-württembergischen CDU - mit dem Vorsitzenden
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mit Herrn Kauder,
der vor kurzem gesagt hat: „Jeden Tag neue Vorschläge
führen, glaube ich, nicht zum Ziel .“
({2})
Ich bin gerne gekommen, um Ihnen die Erwartungen
und auch die Notwendigkeiten aus Ländersicht näherzubringen . Wir alle machen doch tagtäglich die Erfahrung, dass die Menschen in Deutschland erwarten - wie
ich meine: zu Recht -, dass sich Bund und Länder nicht
in gegenseitigen Schuldzuweisungen übertreffen . Sie
erwarten, dass sich die Politik, dass wir uns alle angemessen unserer gemeinsamen Verantwortung in der
Flüchtlingsfrage stellen . Wolfsgeheul oder populistische
Vorschläge, ob auf Wahlplakaten zum Ausdruck gebracht
oder in Kameras gesprochen, helfen jedenfalls nach meinem Dafürhalten nicht weiter .
({3})
Als Innenminister des Landes Baden-Württemberg
bin ich mir dieser gemeinsamen Verantwortung durchaus bewusst, und deshalb werde ich alle Anstrengungen
der Bundesregierung und des Bundestages unterstützen,
die wirklich helfen, die gemeinsamen Herausforderungen, und zwar die der gesamten Bandbreite, gemeinsam zu
meistern: von Aufnahme und Unterbringung über Rückführung und Abschiebung bis hin zur Integration derer,
die bei uns bleiben können .
Die Länder sind in ihrem Handeln auf den Bund angewiesen . Wenn man von uns Ländern stringentes Handeln
erwartet, dann muss der Bund die Rahmenbedingungen
schaffen, damit wir konsequent handeln können .
({4})
Ich sage ausdrücklich: Wir müssen konsequent handeln
können zum Schutz der Menschen, die aus Angst um
ihr Leben vor Krieg und Zerstörung zu uns flüchten und
einen Anspruch auf Aufnahme haben, konsequent aber
auch gegenüber denjenigen, die keinen Anspruch auf
Asyl haben . Deshalb hat der Bundestag, haben Sie Ende
des letzten Jahres erste richtige Weichen im Asylrecht
gestellt .
Aber ich will schon sagen: Mit der Aufnahme von
Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste sicherer
Herkunftsstaaten ist es nicht getan .
({5})
Die Möglichkeiten, die sich hieraus ergeben, müssen
effizient genutzt und auch bis zum Verfahrensende angewandt werden können . Deshalb haben wir in Baden-Württemberg unter meiner Verantwortung eine
Stabsstelle Flüchtlingsunterbringung und auch einen Arbeitsstab „Rückkehrmanagement“ eingerichtet . So konnten wir im vergangenen Jahr die Zahl der Abschiebungen
in unserem Bundesland mehr als verdoppeln .
({6})
Was mir noch wichtiger ist - darauf sollten vielleicht
auch andere ihr Augenmerk richten -: Die Zahl der freiwilligen Ausreisen konnten wir um 150 Prozent erhöhen .
({7})
Das macht im Übrigen deutlich, welche der beiden Maßnahmen die erfolgreichere ist .
Machbar war das Ganze deshalb, weil Sie dafür gesorgt haben, dass die Verfahren optimiert werden konnten und weil wir auch eine gezielte Beratung zur freiwilligen Ausreise installieren konnten . Ich wiederhole: Mit
dieser Beratung waren wir wesentlich erfolgreicher als
mit zwangsweisen Rückführungen .
Um diesen Weg weiterzugehen, muss die Diskussion
um die Aufnahme weiterer Länder wie Marokko, Algerien und Tunesien zu einem Abschluss gebracht werden .
({8})
Vor allem ist es zwingend notwendig, dass in Verhandlungen mit diesen Staaten - auch da sind Sie wieder gefordert - das Laissez-Passer-Verfahren anerkannt wird .
Wir alle wissen doch, dass Letzteres überhaupt erst ermöglicht, dass in vielen Fällen die Rückführung, übrigens auch die freiwillige, tatsächlich funktionieren kann .
Insofern bin ich sehr froh, dass die Bundesregierung
nun den Vorschlag zur Schaffung einer Clearingstelle
Passbeschaffung, den Baden-Württemberg bereits Mitte
des letzten Jahres in die Diskussion eingebracht hat - es
sei mir gestattet, darauf hinzuweisen -, konkret umsetzen
möchte . Auch hiervon erwarte ich mir weitere wertvolle
Verfahrensbeschleunigungen .
Meine Damen und Herren, wir wissen doch alle auch da muss man sich immer wieder ein Stück weit ehrlich
machen -: Vielfach scheitern Rückführungsversuche aus
vorgebrachten medizinischen Gründen . Um hier teilweise unnötigen Verzögerungen von Rückführungen, aber
auch von Missbrauch - das gehört zur Wahrheit dazu entgegenzuwirken, müssen die Rahmenbedingungen für
die Erstellung ärztlicher Atteste im Zusammenhang mit
Abschiebungen präzisiert werden . Auch das beinhaltet ja
dieses Paket . Aber selbstverständlich muss sichergestellt
sein - darüber gibt es überhaupt keine Diskussion, finde
ich jedenfalls -, dass auch zukünftig schwere, gravierende Erkrankungen einer Abschiebung entgegenstehen .
({9})
Wir sprechen hier aber auch über beschleunigte
Verfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen . Baden-Württemberg - unser Bundesland - kann darauf
verweisen, dass wir mit unserem zentralen Registrierungszentrum in Heidelberg bereits eine entsprechende
Einrichtung geschaffen haben . Waren es ursprünglich ja, da gab es auch Handlungsbedarf - die Landesprozesse, die wir dort optimieren und beschleunigen mussten,
kamen später - auch da gab es Handlungsbedarf - die
Bundesprozesse hinzu . Beides haben wir jetzt nahezu
optimal miteinander vernetzt . Das heißt, wir haben ein
Konzept aus einem Guss geschaffen .
Das sogenannte baden-württembergische Modell,
meine Damen und Herren, ist bundesweit beispielgebend .
({10})
- Ich weiß gar nicht, warum darüber gelacht wird, wenn
uns der Bundesinnenminister bei einem Besuch vor Ort
diesbezüglich eine hohe Effizienz und gute Arbeit bescheinigt hat .
({11})
Ich sage dies deshalb, meine Damen und Herren, weil
derart geordnete und beschleunigte Strukturen uns nicht
nur bei der Steuerung bei der Flüchtlingsunterbringung
helfen, sie vermögen auch das Sicherheitsrisiko zu minimieren und insbesondere besondere Schutzräume für
Frauen und Kinder zu schaffen .
Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel zu?
Reinhold Gall, Minister ({0}):
Gerne .
Bitte schön .
Danke schön, Herr Gall . Guten Morgen! - Ich muss
sagen, ich finde es eigentlich einen absoluten Skandal,
dass Sie hier einen bundesweiten Wettbewerb aufmachen, welches Bundesland am besten und am meisten
abschiebt,
({0})
Minister Reinhold Gall ({1})
und sich hier noch mit stolz geschwellter Brust damit
hinstellen: Wir haben die meisten Abschiebungen geschafft . - Ja, wo leben wir jetzt eigentlich?
({2})
Dann stellen Sie hier noch Ihr Baden-Württemberg-Konzept vor .
Ich frage Sie einmal etwas anderes - wir sollten einmal einen anderen Wettbewerb aufmachen -: Welches
Bundesland baut eigentlich die meisten Wohnungen und
hat die meisten Pflegekräfte und die meisten Kitas? Und
da kann ich Ihnen sagen, Baden-Württemberg - das wissen Sie ganz genau - ist in den letzten Jahren eines der
Schlusslichter im sozialen Wohnungsbau . 70 Millionen
Euro haben Sie für Wohnungsbau ausgegeben . In Bayern
waren es 260 Millionen Euro .
({3})
Das ist Ihr Baden-Württemberg-Konzept .
Erzählen Sie doch vielleicht einmal, wie man hier in
dem Land etwas konstruktiv aufbauen kann, und sagen
Sie nicht, wie man destruktiv immer mehr Menschen
abschieben kann . Das ist ja wirklich eine Blamage für
Baden-Württemberg .
({4})
Reinhold Gall, Minister ({5}):
Es wird Sie nicht wundern, wenn ich diese Vorwürfe,
diese Anwürfe mit aller Schärfe zurückweise, weil sie
eben nicht den Tatsachen entsprechen. Wir befinden uns
nicht im Wettbewerb - das will ich ausdrücklich sagen -,
welches Bundesland die meisten Menschen zurückführt
oder ausweist . Ich habe ausdrücklich deutlich gemacht,
dass unsere Schwerpunktsetzung ist, die Menschen zu
beraten, unser Land freiwillig wieder zu verlassen, weil
ihr Asylantrag nicht zum Erfolg führen kann, sie keine
Aussicht auf Gewährung des Asylrechts haben . Damit
habe ich ausdrücklich geworben, die Schwerpunkte richtig zu setzen .
({6})
Im Übrigen: Zu den sonstigen Vorhaltungen, die das
Thema Wohnungsbau anbelangen: Nehmen Sie bitte zur
Kenntnis, dass Baden-Württemberg die Mittel für den
Wohnungsbau in den letzten Jahren verdreifacht hat und
dass wir uns vorgenommen haben, in den kommenden
Jahren 25 000 neue Wohnungen zu bauen . Und wir werden in Baden-Württemberg die Ziele, die wir uns vorgenommen haben, auch erreichen . Nur so viel zu Ihren
Vorhaltungen .
({7})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen aber - ich hatte es gesagt - nicht jeden Tag neue
Vorschläge und Diskussionen, wir brauchen Hilfestellungen bei unseren konkreten Aufgaben . Diese müssen sich
letztendlich an der Lebenswirklichkeit orientieren, und
sie müssen vor allen Dingen auch in der Praxis umsetzbar sein und funktionieren . Deshalb will ich sagen: Der
Gesetzentwurf zur Einführung beschleunigter Asylverfahren gibt uns diese Hilfestellung, die wir auf der Länderebene brauchen .
Meine Damen und Herren, wir bekennen uns zu dieser gemeinsamen Verantwortung, die wir in diesem Themenfeld haben . Deshalb befürworte auch ich diesen Gesetzentwurf . Die Landesregierung unseres Bundeslandes
wird bei der Bewältigung der Herausforderungen dieses
Themenfeldes - wer sollte denn bestreiten, dass es enorme Herausforderungen gibt? - weiterhin die Kultur des
Gespräches pflegen - darauf lege ich großen Wert - und
sachlich das ausloten, was miteinander gelingen kann .
Herr Korte, zu dem Punkt, wie eigentlich wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit dem Thema
Flüchtlinge umgehen, will ich schon einmal sagen: Ich
bin mir mehr als sicher, dass es mehr Sozialdemokratinnen und mehr Sozialdemokraten gibt, die sich in der
Flüchtlingshilfe, insbesondere auch im Ehrenamt, engagieren, als beispielsweise Mitglieder Ihrer Partei .
({8})
Meine Damen und Herren, diesem von uns gepflegten
Stil der Problemlösung wird dieser Gesetzentwurf gerecht, und deshalb bitte ich auch aus Ländersicht, diesem
Gesetzentwurf zuzustimmen .
Herzlichen Dank .
({9})
Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen!
Diakonie, Caritas, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Amnesty
International, Deutsches Institut für Menschenrechte, Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband, Deutscher Anwaltverein, Neue
Richtervereinigung, Republikanischer Anwältinnen- und
Anwälteverein, Bundespsychotherapeutenkammer, medico international, IPPNW - das sind noch nicht alle Verbände, die sich gegen Ihr Asylpaket II aussprechen, und,
wie ich finde, zu Recht, meine Damen und Herren.
({0})
Sie haben einen eilig erarbeiteten Gesetzentwurf vorgelegt und im Eiltempo hier durch das parlamentarische
Verfahren gebracht, nachdem Sie ein ewiges Hickhack
in der Koalition hatten, und zwar so, dass die Verbände
überhaupt nicht richtig darauf reagieren konnten . Jetzt
geht es in Kurzform um Folgendes: Sie trennen Familien;
Sie liefern unbegleitete Minderjährige der Behördenwillkür aus - das nennt der Justizminister übrigens Humanität -; Sie bitten Asylbewerber für Integrationskurse zur
Kasse, die sie gar nicht besuchen können; Sie erleichtern
Abschiebungen von Kranken; Sie ermöglichen SchnellHeike Hänsel
verfahren, bei denen Geflüchtete nicht einmal in die
Nähe eines Anwalts oder einer Anwältin kommen; und
bei den Ausweisungen gehen Sie nach dem Motto „Erst
ausweisen und dann fragen, wohin das führt und ob das
überhaupt funktioniert“ vor .
Meine Damen und Herren, das ist ein bisschen so wie
mit dem Falschfahrer auf der Autobahn, der im Radio
hört, dass ein Falschfahrer unterwegs ist, und dann sagt:
Wieso einer? Hunderte! - Die Menschen, die sich engagieren, und die Verbände wissen sehr genau, warum sie
dieses Paket kritisieren . Das ist nicht Maß und Mitte, das
ist Chaos und Panik .
({1})
Dass in diesen Tagen der Menschenrechtsbeauftragte
dieser Bundesregierung zurücktritt, weil er nicht aushält,
was nicht auszuhalten ist, das kann ich nur zu gut verstehen .
({2})
Meine Damen und Herren von der Union, ich beneide Sie ja wirklich nicht um Frau Klöckner, die mit nationalen Lösungen alle EU-Bemühungen der Kanzlerin
torpediert,
({3})
die sich mit dem Grenzschließer Herrn Kurz und mit
Herrn Di Fabio trifft, der die Klage Bayerns gegen die eigene Bundesregierung mit vorbereitet . Herr Kauder muss
wöchentlich den Laden zur Ordnung rufen, es bringt aber
nichts . Ich habe das Gefühl, beim Satz „… verteidigt
Merkel gegen Kritik aus den eigenen Reihen“ brauchen
die Journalistinnen und Journalisten nur noch auf den
Knopf zu drücken, weil er so oft auftaucht, dass er schon
zur Phrase geworden ist - eine gefährliche Phrase, wie
ich finde, meine Damen und Herren.
({4})
Herr Wolf, der Koautor von Frau Klöckner, zerstreitet
sich mit seinem Erzrivalen Herrn Strobl .
({5})
Dass die Menschen in Baden-Württemberg von so einer
Truppe nicht regiert werden wollen, ergibt sich faktisch
von selbst .
({6})
Herr Gall, wir haben eine andere Position, was die
Frage der Herkunftsländer angeht, der sogenannten sicheren, weil wir es vor allen Dingen für Symbolpolitik
({7})
und für in der Sache nicht hilfreich halten . Aber wenn
Herr Kauder, dessen Not ich ja verstehen kann, ausgerechnet Winfried Kretschmann jetzt vorwirft, er würde
irgendetwas verzögern,
({8})
was Sie in den Fraktionen von SPD und Union nicht auf
die Reihe kriegen: So ein Vorwurf der Verantwortungslosigkeit und Verzögerung ist so ähnlich, als würden Sie
dem Papst vorwerfen, dass er nicht evangelisch wird .
Das ist doch absurd, meine Damen und Herren!
({9})
Das alles könnte lustig sein, wenn es nicht gleichzeitig
dazu führen würde, dass wieder mehr Menschen - Frauen und Kinder - auf den gefährlichen Booten landen und
sich in Lebensgefahr begeben .
({10})
Das alles könnte vielleicht noch hingenommen werden,
wenn nicht Ehrenamtliche Tag für Tag sich fragen, was
hier eigentlich los ist, während sie gleichzeitig die Arbeit
wegschaffen, die der Innenminister liegen lässt . Ihr Paket
hilft niemandem .
Punkt eins - das ist ein ganz zentraler; ich muss es
wiederholen -: Den Familiennachzug auszusetzen, ist
unverantwortlich . Es ist schäbig . Es stiftet natürlich Unruhe in den Unterkünften .
({11})
Es verhindert Integration . Jetzt reden Sie von Einzelfallprüfung . Würde eigentlich einer von uns mit seinen eigenen Kindern so umgehen?
({12})
Was sagt der 14-Jährige seiner Mutter am Telefon? Ihr
könnt nicht nachkommen . Ich bin kein Einzelfall . Mir
geht es nicht schlecht genug .
({13})
Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet? Können
Sie sich vorstellen, welcher Vater, der seine Familie,
seine Frau, seine Kinder in Aleppo weiß, hier in Ruhe
Deutsch lernt und sich in das Arbeitsleben integriert?
Meine Damen und Herren, das, was Sie immer mit
„Wert der Familie“ hochhalten und wo wir Ihnen gerne zustimmen würden, reißen Sie hier mit dem Hintern
grandios ein . Überlegen Sie sich noch einmal - wir werden dies heute hier extra zur Abstimmung stellen -, ob
Sie wirklich den Familiennachzug aussetzen wollen . Das
wird noch nicht einmal dafür sorgen, dass deutlich weniger Menschen kommen . Es wird aber zu Verunsicherung führen, und es wird dazu führen, dass gerade Kinder
und Jugendliche neuerlich in eine dramatische Situation
kommen nach all dem, was sie schon im Krieg und auf
der Flucht erlebt haben .
({14})
In Ihrem Asylpaket gibt es wieder kein Wort zur Integration . Sie sind dabei, die bei der Gastarbeitergeneration
gemachten Fehler zu wiederholen . In den Erstunterkünften treffen wir Menschen, die seit Monaten darauf warten, den Asylantrag überhaupt stellen zu können . Jetzt
sollen ihnen 10 Euro dafür abgezogen werden, dass sie
einen Integrationskurs machen, den sie im Zweifelsfall
gar nicht bekommen, weil es nicht genügend gibt . Das
Ganze geht nach dem Motto: Der geflüchtete Afghane
zahlt einen Kurs für den geflüchteten Eritreer, der ihn bekommen könnte, der aber noch ewig warten muss, weil
es nicht genügend gibt . Meine Damen und Herren, das
ist doch absurd!
({15})
Kümmern Sie sich darum, dass Integration gelingt!
Kümmern Sie sich um die Belange von Frauen und Kindern! Dass Manuela Schwesig nicht eine einzige Maßnahme zum Schutz der Kinder in den Entwurf geschrieben hat, ist deprimierend . Und der Justizminister hat es
wieder nicht geschafft, dass der § 177 StGB endlich deutlich zugunsten der Frauen ausgelegt wird . Ein Nein muss
ein Nein sein - Sie haben das nach Köln versprochen .
Wir geben Ihnen gerne unseren Gesetzentwurf . Sie können ihn direkt auf Ihr Papier drucken .
Frau Kollegin .
Aber das muss doch endlich geschehen . Das kann
doch nicht weiter in der Schublade bleiben .
({0})
Ganz zum Schluss will ich Herrn Minkmar zitieren,
der zu Recht gesagt hat: Flüchtlingskrise? Eine Krise ist
das im Leben der Geflüchteten, für uns ist das nur eine
Aufgabe . - Gehen Sie die endlich ernsthaft an!
({1})
Das Wort erhält nun die Kollegin Nina Warken für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir leben in wahrlich herausfordernden Zeiten: herausfordernde Zeiten für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger sowie für ganz
Europa, herausfordernde Zeiten für uns Abgeordnete und
vor allem für unsere Bundeskanzlerin, die wie keine andere für eine Lösung der Flüchtlingsfrage in Europa und
für die Werte Europas kämpft .
({0})
Und es sind herausfordernde Zeiten für unsere Demokratie in Deutschland . Rechtspopulisten erreichen nicht nur
in Bundesländern, in denen Landtagswahlen anstehen,
Rekordumfragewerte . Politische Beobachter sehen die
demokratischen Parteien in einer der schwersten Vertrauenskrisen seit der Gründung der Bundesrepublik .
Meine Damen und Herren, solch schwierige Zeiten
erfordern entschiedene Maßnahmen - Maßnahmen, die
zeigen, dass der Gesetzgeber handlungsfähig ist, und
Maßnahmen, die zeigen, dass wir die Situation beherrschen und den ungeregelten Zuzug in den Griff bekommen . Die Regelungen des Asylpakets II bewirken genau
das . Wir werden mit einem weiteren Maßnahmenbündel
den Zustrom in unser Land weiter verringern, und wir
werden dafür sorgen, dass diejenigen, die keine Berechtigung haben, bei uns zu bleiben, unser Land zügig wieder
verlassen müssen .
({1})
Wir machen es uns dabei nicht leicht . Und keiner bestreitet, dass es zum Teil harte Maßnahmen sind . Sie sind jedoch fair und ausgewogen
({2})
und angesichts der Situation in den Kommunen und Ländern notwendig .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem lieber
Kollege von Notz, Sie haben in der ersten Lesung des
Gesetzespaketes viele harte Worte gegen eine Regierung
und gegen ein Land gefunden, das derzeit den Flüchtlingen hilft wie kein zweites .
({3})
Viele waren übertrieben, und die meisten waren unzutreffend . Nur in einem Punkt stimme ich Ihnen ausdrücklich
zu, nämlich, als Sie ganz am Ende Ihrer Rede gefordert
haben, dass wir als Demokraten gemeinsam an einer
Lösung arbeiten sollten . Was der ganzen Debatte nicht
hilft - das sage ich ganz offen -, ist die permanente, aber
widerlegte und unlautere Behauptung, die vorgesehenen
Maßnahmen seien rechtswidrig . Die sehr ausführliche
Anhörung der Sachverständigen hat das in aller Klarheit
widerlegt . Alle Regelungsinhalte des Gesetzespakets
sind zweifelsohne rechtmäßig und in vollem Umfang mit
höherrangigem Recht vereinbar .
({4})
Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen:
Zum einen an den beschleunigten Verfahren: Diese
sieht das Europarecht für Asylbewerber ohne Bleibeaussicht ausdrücklich vor .
({5})
Es wird für die Betroffenen keine Absenkung der Standards, etwa bei der Unterbringung, geben . Auch der
Personenkreis ist klar eingeschränkt . Damit bleibt der
Gesetzentwurf sogar noch hinter dem Rahmen der Richtlinie zurück . Ein effektiver Rechtsschutz bleibt gewährleistet . Meine Damen und Herren, schnelle Verfahren
sind nicht unfair . Im Gegenteil: Sie sind im Interesse aller
Beteiligten, im Interesse der Schutzsuchenden, die Klarheit möchten, aber auch im Interesse der Kommunen und
des BAMF, die dadurch entlastet werden .
({6})
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler zu?
Ja .
Bitte sehr, Frau Vogler .
Vielen Dank . - Frau Kollegin, wenn Sie hier behaupten, die von Ihnen hier vorgesehenen Maßnahmen, für
die wahrscheinlich nachher eine große Mehrheit dieses
Hauses stimmen wird, seien rechtlich in Ordnung und
mit höherrangigem Recht vereinbar, dann möchte ich
doch mal von Ihnen wissen:
Wie ist das zum Beispiel mit dem UN-Sozialpakt vereinbar, den Deutschland bereits vor 40 Jahren ratifiziert
hat und in dem es heißt: „Die Vertragsstaaten erkennen
das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an“?
Wie ist das mit Artikel 2 des Grundgesetzes vereinbar,
in dem es heißt: „Jeder“ - nicht nur jeder Deutsche oder
Einheimische, sondern jeder - „hat das Recht auf Leben
und körperliche Unversehrtheit“?
({0})
Wie ist das damit vereinbar, dass Sie künftig auch
schwer traumatisierte, schwer erkrankte Menschen abschieben wollen und davon ausgehen wollen, dass jemand reisefähig ist, sofern er nicht in der Lage ist, anhand
sehr eng gewählter Kriterien das Gegenteil zu beweisen?
Wie ist die Verweigerung des Familiennachzugs für
unbegleitete Kinder und Jugendliche mit Artikel 10 der
UN-Kinderrechtskonvention vereinbar, die auch von
diesem Land ratifiziert wurde und in der es heißt, dass
Anträge auf Familienzusammenführung „von den Vertragsstaaten wohlwollend, human und“ - ich betone „beschleunigt“ zu bearbeiten sind?
In dem Gesetzespaket der Großen Koalition sind meiner Ansicht nach schwerwiegende Menschenrechtsbrüche angelegt . Insofern frage ich Sie, wie Sie als Juristin
tatsächlich hier ernsthaft das Gegenteil behaupten können .
({1})
Liebe Kollegin, Sie stellen es so dar, als ob hier die
Menschen, die zu uns kommen, schlecht behandelt werden . Sie haben die Einhaltung des Rechts auf Schutz und
körperliche Unversehrtheit infrage gestellt . Ich glaube,
das kann nicht Ihr Ernst gewesen sein .
({0})
Sie haben weiterhin ausgeführt, dass Menschen, die
krank sind, in Zukunft pauschal zurückgeführt und abgeschoben werden sollten . Dazu kann man zum einen
sagen - wir haben es auch vom Innenminister gehört -,
dass es eben ein häufiges Abschiebungshindernis ist, dass
es falsche Gesundheitsatteste gibt, dass Menschen eine
Krankheit vorschieben, nur um nicht abgeschoben zu
werden .
({1})
Dem wollen wir in Zukunft begegnen; das wird aber
nicht pauschal geschehen . Es gibt weiterhin die Möglichkeit, eine ernsthafte und lebensgefährliche Erkrankung,
eine Bedrohung des Lebens, geltend zu machen und dann
auch Abschiebungsschutz zu bekommen . Man soll sich
aber nicht mit der pauschalen Behauptung, man habe
eine Krankheit, eine Traumatisierung, einer Abschiebung
widersetzen können, wenn die Gesundheitsversorgung
im Heimatland genauso erfolgen kann .
({2})
Ihr Vorwurf, jetzt könne jeder pauschal abgeschoben
werden, auch wenn er krank ist, ist schlicht unzutreffend
und falsch .
Zum Familiennachzug - Sie haben es erwähnt -: Die
Kinderrechtskonvention, das Grundgesetz und auch der
EGMR halten es zwar für wünschenswert, dass die Familie zusammenlebt, aber ein Recht darauf, dass die Familie vor allem in Deutschland zusammenlebt, kann weder aus der UN-Kinderrechtskonvention noch aus dem
Grundgesetz noch aus anderem höherrangigem Recht
abgeleitet werden .
({3})
Ich darf aus dem Gutachten von Herrn Professor
Thym zitieren, einem der Sachverständigen, der in aller
Klarheit gesagt hat:
Die bisweilen aufgestellte Behauptung, dass aus den
europäischen oder internationalen Menschenrechten ein unbedingtes Nachzugsrecht für Flüchtlinge
folge, das durch die Neuregelung auf jeden Fall verletzt werde, ist schlicht falsch …
Ich denke, klarer kann man es nicht ausdrücken,
({4})
und ich hoffe, Ihre Fragen zum Familiennachzug damit
beantwortet zu haben .
({5})
Kleinen Augenblick noch . - Es gibt eine ganze Reihe von weiteren Wortmeldungen, die ich jetzt alle nicht
zulasse . Wir haben uns auf eine bestimmte Debattenzeit
verständigt . Die haben wir durch eine Reihe von Zusatz - ({0})
- Ich übersehe die Situation, glaube ich, relativ gut . Wir
haben eine Debattenzeit vereinbart, die ich durch die Zulassung mehrerer Zwischenfragen aus einer Fraktion, die
nach der Rednerliste nicht mehr zu Wort kommt, bereits
erweitert habe . Die Fraktion der Grünen ist noch mit einem weiteren Redner auf der Rednerliste vertreten . Für
die anderen Fraktionen gilt das auch . Deswegen lasse ich
jetzt weitere Zwischenfragen nicht zu .
({1})
Werte Kollegen, Ihre Behauptungen hinsichtlich der
Rechtmäßigkeit sind unhaltbar und nicht nachvollziehbar . Verzichten Sie darauf!
({0})
Was ich ebenfalls nicht nachvollziehen kann - das
wurde hier auch schon vorgehalten -, ist die Kritik an
der Geschwindigkeit des Gesetzgebungsverfahrens . Wir
machen es uns nicht leicht, aber das Tempo ist richtig
und notwendig - nicht, weil kriminelle Rechtsradikale
durch ihre Verbrechen medienwirksam Aufmerksamkeit
auf sich gezogen haben, sondern die Geschwindigkeit ist
notwendig, um die Akzeptanz für unser Asylsystem in
der breiten Mitte der Bevölkerung zu erhalten
({1})
und, wie wir es auch von Innenminister Jäger gehört haben, um die Kommunen und die Verantwortlichen vor
Ort wirksam zu entlasten .
({2})
Gerne, meine Damen und Herren, möchte ich auf die
vorliegenden Anträge der Grünen eingehen, die gut gemeint sind, aber, ehrlich gesagt, bei der Bewältigung der
Probleme wenig hilfreich sind .
So soll künftig nicht mehr vom BAMF überprüft werden, ob die Schutzgründe bei anerkannten Flüchtlingen
auch nach mehreren Jahren noch bestehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Asylrecht ist ein Recht auf Zeit
und kein automatisches dauerhaftes Bleiberecht . Wer
nicht schutzbedürftig ist, muss in sein Herkunftsland zurückkehren . Das ist der zentrale Grundsatz unseres Asylsystems, auf den sich auch ein großer Teil der Akzeptanz
für dieses stützt .
({3})
Die Widerrufsprüfungen durch das BAMF müssen daher
bestehen bleiben .
Was Sie hingegen in Ihrem zweiten Antrag verlangen,
ist durchaus wünschenswert . Wir tun alles, was wir können, um gerade Frauen und Kindern ein Höchstmaß an
Schutz zukommen zu lassen - weit mehr im Übrigen als
andere Länder . Nun führen wir ein, dass künftig ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss, wer Kinder
und Jugendliche in Flüchtlingseinrichtungen betreuen
will . Außerdem hat die Bundesregierung - anders, als
Sie es behauptet haben - bereits ein Schutzkonzept für
Frauen und Kinder in Flüchtlingsunterkünften vorgelegt .
({4})
Dieses sieht bauliche Maßnahmen und Schulungen der
Helfer vor . Wir machen also sehr viel . Gleichzeitig müssen wir aber - das müssen auch Sie einsehen - die Machbarkeit vor Ort im Auge behalten und genau hinschauen,
was tatsächlich geleistet werden kann .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einige Sätze zum Thema sichere Herkunftsländer
sagen . Es freut mich, dass auch Innenminister Gall der
Debatte heute folgen kann . Auch bei diesem Thema tragen Sie mit Ihrer Blockade leider nicht im Geringsten
zur Lösung der Herausforderungen bei, sondern Sie verschärfen diese noch . Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir
brauchen die Einstufung von Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten,
({6})
und wir werden sie hier in diesem Hohen Haus auch früher oder später beschließen müssen .
({7})
Wissen Sie, der Zustrom aus den Maghreb-Staaten erinnert mich fatal an letztes Jahr, als wir mit einem massiven Zustrom vom Balkan konfrontiert waren . Auch hier
haben wir schnell die Erweiterung der Liste der sicheren
Herkunftsstaaten auf den Tisch gelegt . Es dauerte jedoch
fast ein Jahr, bis Sie sich endlich dazu durchringen konnten, diesem notwendigen Schritt zuzustimmen .
({8})
In dieser Zeit kamen etwa 150 000 Menschen vom Balkan zu uns, die wir jetzt nach und nach zurückführen
müssen .
Im Zuge der Einstufung der Balkanstaaten als sichere
Herkunftsstaaten gingen - auch durch andere flankierende Maßnahmen - die Zahlen rasch zurück .
({9})
Die Menschen wussten sehr bald, dass sie in Deutschland
keine Bleibeperspektive haben . Gleichzeitig können die
Anträge aus dieser Region - das ist auch wichtig - bei
uns im beschleunigten Verfahren bearbeitet werden . Die
Zahl der Entscheidungen hat sich verdoppelt . Inzwischen
wird bei Migranten aus dem Balkan innerhalb weniger
Tage entschieden . Das entlastet und sorgt dafür, dass wir
den Menschen aus Syrien und dem Irak heute überhaupt
noch Schutz bieten können .
({10})
Meine Damen und Herren, bei den Maghreb-Staaten
begehen wir den gleichen Fehler, nämlich dass wir zu
lange warten, ein zweites Mal . Auch hier steigen die Zahlen .
({11})
Fast ein Viertel der Asylbewerber, die 2015 aus diesen
Staaten kamen, ist alleine im Dezember gekommen .
Auch hier liegt die Einstufung als sichere Herkunftsländer als wirksame Maßnahme zur Entlastung auf dem
Tisch . Darüber diskutiert man nicht monatelang . Man beschließt es zügig und schnell .
({12})
Doch auch hier verweigern Sie sich der Verantwortung
für unser Land . Sie müssen sich schon entscheiden: Wollen Sie, dass noch mehr Algerier, Marokkaner und Tunesier in unser Land kommen, oder wollen Sie mithelfen,
die Zahlen zu reduzieren?
({13})
Da helfen jetzt auch keine Schuldzuweisungen, Frau
Göring-Eckardt, dass die Koalition selbst für den Zeitplan und die Verzögerung verantwortlich sei . Mit mehr
Mut und der Entschlossenheit der Union hätten wir in
dieser Woche diese Länder als sichere Herkunftsländer
beschließen können .
({14})
Das wäre das klare Signal gewesen: Es lohnt sich nicht,
nach Deutschland zu kommen . Stattdessen belasten die
Verzögerungstaktik und die Mutlosigkeit von Grün und
auch von Rot unsere Städte und Kommunen .
({15})
Meine Damen und Herren, der französische Bischof
und Staatsmann Talleyrand sagte einmal:
Opposition ist die Kunst, so geschickt dagegen zu
sein, dass man später dafür sein kann .
({16})
Nehmen Sie sich diesen Ratschlag gerade hinsichtlich
der sicheren Herkunftsländer, aber auch im Fall des gesamten Asylpakets II zu Herzen . Sie waren einst dagegen . Stimmen Sie heute dem Gesetzespaket zu .
Vielen Dank .
({17})
Das Wort erhält die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Warken, Sie haben in Ihrer Rede wirklich den Geist der
Abschiebepolitik vorgetragen,
({0})
der unsäglich ist . Sie haben nichts Konstruktives vorzutragen - im Gegenteil . Vor allen Dingen der rechten Seite
dieses Hauses geht es nur noch darum: Wie werden wir
Menschen los, die Schutz suchen? Wie können wir sie
am besten abschieben? Und das ist einfach unerträglich
und ekelhaft .
({1})
Wenn Sie schon nicht mehr darüber diskutieren wollen, auf welche Weise sichere Herkunftsstaaten einzustufen sind, dann kann ich Ihnen nur sagen: Lesen Sie das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus den 90er-Jahren . Da ist sehr genau beschrieben worden, dass auch die
internationalen NGOs befragt werden müssen .
({2})
Natürlich haben Sie das nicht getan . Und was haben wir
für eine Situation? In den Abschiebelagern bzw . in den
Sonderlagern sind Roma-Familien, die man meines Erachtens nicht einfach so abschieben kann . Diese Menschen sind schutzbedürftig! Da kann man sich hier nicht
einfach hinstellen und so tun, als sei es völlig berechtigt,
Tausende von Menschen von heute auf morgen abzuschieben . Das ist wirklich unerträglich .
({3})
Da Sie hier aus Gutachten der von Ihnen bestellten
Sachverständigen zitiert haben, möchte ich wenigstens
sagen: Innerhalb von fünf Tagen werden diese Gesetzentwürfe hier durchgepeitscht . Es gibt auch Gutachten,
die ganz klar sagen, dass mit der Einschränkung beim
Familiennachzug, den Sie hier jetzt behindern wollen,
gegen die UN-Flüchtlingskonvention, die UN-Kinderrechtskonvention und auch gegen EU-Recht verstoßen
wird . Aber das interessiert Sie gar nicht . Es ist doch interessant, dass zum Beispiel die Neue Richtervereinigung
moniert, dass die Anhörung zu den Verschärfungen wörtliches Zitat - allenfalls „der Form halber“ durchgeführt wurde und dass das federführende BMI, also das
Innenministerium, keinerlei Interesse an inhaltlichen
Äußerungen hatte . Das ist doch echt ein Skandal, meine
Damen und Herren .
({4})
Sie sagen hier auch nur die halbe Wahrheit . Reden wir
einmal über einen 13-jährigen Jungen, der als unbegleiteter Flüchtling aus Syrien gekommen ist . Es geht doch
darum, dass die Wartezeiten heute schon sehr lange sind .
Wenn Sie den Familiennachzug für zwei Jahre aussetzen,
kommt man - wir haben das einmal durchgerechnet auf Wartezeiten von insgesamt drei bis vier Jahren . Das
heißt, dieser Jugendliche muss bis zu vier Jahre auf seine
Eltern verzichten .
({5})
Auch das finde ich unmenschlich.
({6})
Es ist wirklich ein Skandal, dass Sie hier sagen - so hat
Herr Schröder das formuliert -: Schutz und Hilfe nur für
diejenigen, die Hilfe brauchen . - Wollen Sie etwa sagen,
dass diese jungen Menschen ihre Eltern nicht brauchen?
Was sind Sie bloß für Eltern?
({7})
Da muss ich mich wirklich an den Kopf fassen .
({8})
Ich will noch einen Punkt zu den Minderjährigen sagen .
Frau Kollegin, Sie müssen bitte auf die Zeit achten .
Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 105 Anerkennungen von subsidiär, also vorübergehend, schutzberechtigten Kindern gezählt . Auch daran wird deutlich,
wie kleinkariert Ihre Flüchtlings- und Asylpolitik ist .
({0})
Meine Redezeit ist leider abgelaufen, zum Schluss
will ich aber wenigstens noch einen Satz sagen: Wer einer Partei angehört, die das Wort „christlich“ oder sogar
noch das Wort „sozial“ in ihrem Parteinamen hat, kann
den Gesetzentwürfen heute nicht zustimmen . So denken
wir . Wir werden auch weiterhin gegen diese Maßnahmen
kämpfen .
({1})
Das Wort erhält nun die Staatsministerin Aydan
Özoğuz.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Korte hat ganz zu Beginn seiner Rede Willy Brandt
erwähnt . Ich habe schnell noch einmal nachgeguckt, ob
ein Zitat von Willy Brandt, das mir in den Kopf kam,
stimmt . Dieser sagte - Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:
Ich glaube nicht, dass diejenigen recht haben, die
meinen, Politik besteht darin, zwischen schwarz
und weiß zu wählen. Man muss sich auch häufig
zwischen den verschiedenen Schattierungen des
Grau hindurchfinden.
({0})
Ich glaube, dass gerade Willy Brandt das sehr beherzigt
hat .
Alle hier im Hause vertretenen Parteien regieren auch
in den Ländern und wissen eines ganz genau: Es muss
uns mindestens nachdenklich machen, dass sich bei vielen in unserer Bevölkerung das Gefühl eingeschlichen
hat, wir hier im Deutschen Bundestag würden unsere Arbeit nicht mehr machen, wir würden streiten und nichts
auf den Weg bringen, wir würden in der Flüchtlingspolitik nicht mehr so richtig organisieren, wir hätten gar keine richtigen Regelungen .
({1})
- Wir haben bisher durchaus auch viele gute Regelungen,
wie ich finde.
({2})
Wir arbeiten ja seit vielen Monaten nun wirklich täglich an diesen Gesetzentwürfen . Und ich glaube, jeder
hier im Haus weiß, was sich seit 1993 alles verändert
hat - seither gab es ja ganz unterschiedliche Regierungen - und was wir alles zum Besseren gewendet haben .
Damals gab es ja schon einmal eine Situation, in der wir
Flüchtlinge in sehr hoher Zahl bei uns hatten . Wenn man
das mit heute vergleicht, muss man sagen: Heute sehen
wir in Deutschland ein komplett anderes Bild . Da muss
ich Ihnen recht geben .
({3})
Deutschland ist - neben Schweden und einigen anderen
Ländern - ein Land, das eine unglaublich hohe Zahl von
Flüchtlingen aufgenommen hat bzw . aufnimmt und ihnen
helfen kann und auch will .
Aber eines hat mich heute Morgen schwer schockiert - das möchte ich hier sagen -: das Interview mit
Viktor Orban in einer großen Tageszeitung mit vier
Buchstaben - es ist eine ganze Seite lang -, in dem er
eine Menge sagt
({4})
- ich sage gleich noch etwas zu den Gesetzentwürfen -,
zum Beispiel zu Europa, zu den verschiedenen Ländern
und dazu, wie man selber bleiben will .
({5})
Er sagt aber kein einziges Wort dazu, dass die Flüchtlinge, um die es geht, Menschen sind, die Hilfe brauchen,
und dazu, wie wir es in Europa gemeinsam schaffen können, den Flüchtlingen zu helfen .
({6})
Nur zu sagen: „Ich wünsche Angela Merkel viel Glück“,
empfinde ich als eine Unverschämtheit; das möchte ich
einmal so deutlich sagen .
({7})
Jetzt zu den Gesetzentwürfen . Mir ist wichtig, dass
wir die Asylverfahren endlich beschleunigen . Ich sage
das auch so; denn das gehört zur Ehrlichkeit dazu . Alle
sollen schneller wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht
und ob sie einen Grund auf Asyl vortragen können oder
nicht . Das ist wichtig, auch für Länder und Kommunen
und für alle, die Flüchtlinge unterstützen . Das hören wir
immer wieder, wenn wir vor Ort sind .
({8})
Vorhin ging es um die Frage: Was wäre eigentlich,
wenn die Sozialdemokraten nicht mitregieren würden?
Das kann ich Ihnen sagen . Wenn die SPD nicht mitregieren würde, dann hätten wir heute Transitzonen mit
Haftanstalten an unseren Grenzen, und es gäbe eine allgemeine Einschränkung des Familiennachzugs . So wäre
es doch .
({9})
Ich glaube, uns wäre es nicht eingefallen - das habe ich
eingangs mit den Grautönen im Brandt-Zitat gemeint -,
Einschränkungen gerade an diesen Stellen vorzunehmen .
Weil das Thema Familiennachzug hier in der Debatte
sehr pauschal behandelt wurde, möchte ich deutlich machen, dass hierzu viele Regelungen getroffen wurden .
Erstens . Die getroffenen Regelungen betreffen bei
weitem nicht alle, sondern nur eine kleine Gruppe von
Flüchtlingen . Sie alle sind Menschen; gar keine Frage .
Aber es ist nur eine kleine Gruppe, die den subsidiären
Schutz bekommt . 1 700 Menschen waren es 2015 und
sind eben etwas anderes als 1,1 Millionen Menschen; das
muss man klar sehen .
({10})
Das Zweite ist, dass die Regelung zum Familiennachzug nach zwei Jahren automatisch außer Kraft tritt . Das
heißt, wer in einigen Monaten zu uns kommt, der ist von
der Regelung bezüglich der zwei Jahre nicht vollumfänglich betroffen . Wer beispielsweise in einem Jahr zu uns
kommt, für den gilt sie nur ein Jahr . Das ist notwendig,
um ein Stück weit für eine Atempause zu sorgen, auch
wenn es nur um eine kleine Gruppe geht . Das ist aber auf
jeden Fall etwas anderes, als zu sagen, es sei grundsätzlich etwas beim Familiennachzug geändert worden .
({11})
Sehr wichtig ist mir, dass nach den §§ 22 und 23
Aufenthaltsgesetz weiterhin Ausnahmen für Härtefälle
möglich sind . Wir sollten, glaube ich, den Worten des
Bundesinnenministers Glauben schenken, der meiner
Fraktion sehr deutlich gesagt hat - darauf vertrauen wir,
und Vertrauen ist etwas Wichtiges in der Politik -: Es
wird keine Weisung an das BAMF geben, die Entscheidungspraxis bei syrischen Schutzsuchenden zu ändern . Das möchte ich ganz deutlich unterstreichen .
({12})
Jeden Tag neue Vorschläge zu machen, führt wirklich nicht zum Ziel; wie ich gerade hörte, hat auch Herr
Kauder das schon gesagt . Ich glaube, das sollten wir alle
unterstreichen . Deswegen möchte ich eine Sache gerne
richtigstellen - in der letzten Woche ist hier nämlich etwas gesagt worden, was falsch war; aber was eine große
Wirkung in unser Land hinein haben kann . -: Der Kollege Strobl stand hier und meinte, es sei ein Integrationshindernis, dass wir im Zuwanderungsgesetz für anerkannte Flüchtlinge nach drei Jahren ein unbefristetes
Daueraufenthaltsrecht eingeführt haben und dass dieses
Recht voraussetzungslos sei - ich zitiere -, „gleichviel,
ob man straffällig geworden ist“ . So haben Sie es gesagt,
Herr Kollege Strobl . Aber Sie wissen ganz genau: Das
Ausweisungsrecht gilt auch für anerkannte Flüchtlinge .
Ich möchte Sie bitten, solche Sachen von dieser Stelle
Staatsministerin Aydan Özoğuz
aus nicht mehr zu sagen, nur weil sich das für Sie irgendwie gut anhört .
({13})
Soweit ich weiß, hat aber auch die Union diese Regelungen damals mitgetragen .
Zuletzt komme ich auf das, was auch Frau GöringEckardt schon angesprochen hat . Wir brauchen tatsächlich ein Integrationspaket;
({14})
wir brauchen es jetzt und schnell . Viele Dinge haben wir
schon verbessert . Übrigens haben wir das in der Vergangenheit oftmals schon gemeinsam mit den Grünen gemacht . Es sollte auf jeden Fall so sein, dass junge Auszubildende nach der Drei-plus-zwei-Regelung behandelt
werden . Wir hatten doch in der Vergangenheit die Situation, dass Hochschulabsolventen mit dem Tag ihrer Exmatrikulation das Land verlassen sollten .
({15})
Jeder hat gesagt, wie absurd das ist . Bei Auszubildenden
sollte es also so sein: Wenn sie mit der Ausbildung fertig
sind, sollen sie ihre Kenntnisse im Betrieb anwenden und
zwei Jahre bleiben können . Und dann gibt es sowieso
eine Bleibeperspektive für sie .
({16})
Es ist klar, dass wir für Flüchtlinge den Arbeitsmarktzugang weiter verbessern müssen . Wir dürfen aber auch
niemals diejenigen vergessen, die schon seit vielen Jahren in unserem Land keine Arbeit finden.
Und natürlich müssen wir noch über den sozialen
Wohnungsbau sprechen . Das ist doch für uns alle hier ein
ganz wichtiges Anliegen . Es gilt übrigens besonders für
die Metropolen, wo schon jetzt kaum Wohnungen vorhanden sind .
Frau Staatsministerin .
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident . - Ich kann
nur dafür werben, dass wir dieses Paket jetzt gemeinsam
tragen und auch sehr schnell sagen, wie die Integration all derjenigen, die bei uns bleiben - es werden viele
sein -, sehr schnell und sehr gut gelingen kann .
Vielen Dank .
({0})
Katja Dörner ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Asylpaket II ist ein Sammelsurium von
Scheinlösungen . Was aber noch viel schlimmer ist: Es
geht voll zulasten der Schwächsten unter den Geflüchteten, die zu uns kommen . Und weil das so ist, können wir
diesem Asylpaket auf keinen Fall zustimmen .
({0})
Wie kommt man auf die Idee, den Familiennachzug
einzuschränken? Wie kommt man als CDU und CSU auf
eine solche Idee, für die die Familie doch angeblich einen so hohen Stellenwert hat? Damit müssen Sie uns gar
nicht mehr kommen .
({1})
Wem die Achtung der Familie nur für manche etwas wert
ist, dem ist sie nichts wert . Das dokumentieren Sie mit
dem Asylpaket II .
Was wird denn tatsächlich passieren? Sie werden
doch nicht die Zahl der Geflüchteten reduzieren. Nein,
Sie zwingen noch mehr Kinder und Frauen in morsche
Boote . Ich muss dabei an den kleinen Aylan Kurdi denken. Ich finde, das sollten auch Sie tun, liebe Kolleginnen
und liebe Kollegen .
({2})
Es erschüttert mich, dass Sie ernsthaft die Abschiebung von schwer traumatisierten und schwerkranken
Menschen massiv erleichtern wollen, dass posttraumatische Belastungsstörungen ausdrücklich als Abschiebehindernis ausgeschlossen werden . Es soll künftig reichen, dass eine Behandlung kranker, auch schwerkranker
Menschen im Herkunftsland grundsätzlich möglich
erscheint . Das heißt, es kommt gar nicht darauf an, ob
diese schwerkranke Person im Herkunftsland tatsächlich
versorgt werden kann . Das ist doch der Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Frau Warken, Sie argumentieren hier mit angeblich
vorgetäuschten Krankheiten und falschen Attesten . Ich
finde, das ist gegenüber den Ärztinnen und Ärzten in diesem Lande eine unglaubliche Unterstellung .
({4})
Es gibt für diese Behauptung überhaupt keine Belege,
und ich möchte, dass Sie es unterlassen, hier so etwas
zu sagen .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es darf doch nicht
sein, dass die Sorge über die Anzahl der Flüchtlinge, die
zu uns kommen, dazu führt, dass wir die Grundsätze der
Menschlichkeit über Bord werfen . Wenn Sie das aus meinem Mund nicht gerne hören wollen, dann lege ich Ihnen
Staatsministerin Aydan Özoğuz
die gemeinsame Stellungnahme der EKD und des Kommissariats der Deutschen Bischöfe ans Herz .
({5})
Diese hätte ich hier heute eins zu eins vortragen können .
Ich habe sie bei mir . Sie können sie sich gerne einmal
angucken . Wir haben noch 25 Minuten Zeit, zu entscheiden, ob wir wirklich den Schwächsten der Geflüchteten
die Unterstützung entziehen wollen .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieses Asylpaket
enthält nichts, was nach vorne gewandt ist, Perspektiven
schafft und Integration befördert . Es enthält auch nichts
von dem, was schon angekündigt worden ist . Der sichere
Aufenthalt während einer Ausbildung ist hier angesprochen worden . Das ist für junge Flüchtlinge superwichtig .
Die Unternehmen wollen das . Der Vizekanzler hat angekündigt, das schnellstmöglich in Gesetzesform zu gießen. Ich weiß nicht, was Ihre Definition von „schnellstmöglich“ ist .
({6})
Wir denken, „schnellstmöglich“ wäre schon vor Wochen
gewesen . Spätestens wäre es aber heute . Also, wann lassen Sie Ihren Ankündigungen endlich Taten folgen?
Ich will diese Frage auch auf einen Punkt in diesem
Paket beziehen, der uns sehr ärgert: Was ist mit verbindlichen Schutzkonzepten für Frauen und Kinder in den
Flüchtlingsunterkünften?
({7})
Auch die waren angekündigt und sollten mit ins Paket hinein . Die Familienministerin, die heute aus guten
Gründen nicht hier sein kann, hat im Oktober ganz klar
formuliert, dass die Schutzvorschriften, die in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gelten, auch für
Flüchtlingskinder in Flüchtlingsunterkünften gelten sollen . Es ist beschämend, dass auch dieser Ankündigung
bis heute keine Taten gefolgt sind .
({8})
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hat uns ganz klar und deutlich
aufgefordert, den Gesetzentwurf nachzubessern und
Mindeststandards zum Kinderschutz darin aufzunehmen .
Das ist kein „Nice to have“, sondern die Kinder haben
ein Recht darauf .
Wir haben heute einen Antrag dazu vorgelegt, über
den wir auch abstimmen lassen . Es reicht eben nicht,
grundsätzlich zu sagen, dass man Schutzkonzepte gut
findet, wie es Union und SPD im Ausschuss getan haben, sondern man muss auch tatsächlich etwas tun . Wir
fordern Sie auf, Ihre Verantwortung für den Schutz von
Frauen und Kindern in den Flüchtlingsunterkünften endlich ernst zu nehmen und unserem Antrag zuzustimmen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({9})
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält die Kollegin
Andrea Lindholz das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
CDU und CSU verfolgen in der Asylpolitik im Wesentlichen drei Ziele: Unser erstes Ziel ist die massive und
dauerhafte Reduzierung der Zuwanderung .
({0})
Unser zweites Ziel ist es, die Kontrolle über die Zuwanderung zu verbessern . Unser drittes Ziel ist es, dass wir
die Zustimmung für die Migration in Deutschland grundsätzlich erhalten .
Nach den vergangenen Monaten müssen wir das Tempo und das Volumen der Zuwanderung begrenzen, wenn
wir die Hilfsbereitschaft und die Aufnahmefähigkeit in
Deutschland erhalten wollen . Hier nützen uns polemische Reden wie die des Kollegen Korte heute überhaupt
nicht,
({1})
und ich frage mich, wo die Fraktionsspitze der Linken
bei diesem so wichtigen Gesetzespaket, das angeblich
mit Skandalen versehen ist, heute ist . Vielleicht ist sie
gestern am Nockherberg hängen geblieben . Die meisten
anderen, die ich dort gesehen habe, sind heute aber hier .
({2})
Um auf die Leistungen Bayerns einzugehen, möchte
ich Ihnen einmal eines sagen: Bayern versorgt ein Viertel
aller unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, und das
sind aktuell 15 500 . Bayern stellt 3,2 Milliarden Euro
für die Integration zur Verfügung, damit wir im Bereich
der Lehrer und in anderen Bereichen mehr Stellen schaffen und 28 000 neue Sozialwohnungen bauen können .
Wer also die Leistungen Bayerns nicht schätzt, sondern
hier in Reden pauschal auf die CSU und auf Herrn Horst
Seehofer einschlägt, der geht an der Realität vorbei . In
Bayern wird gehandelt, während von den Linken hier nur
geredet wird .
({3})
Wir müssen auch im Interesse derjenigen, die zu uns
kommen, noch schneller als bisher festlegen, wer in
Deutschland bleibeberechtigt ist und damit auch integriert werden soll und wer seiner Ausreisepflicht nachkommen muss und daher auch keinen Anspruch auf Integrationshilfe hat . Diese Entscheidungen müssen wir auch
konsequent durchsetzen .
Wir haben in den vergangenen Monaten einiges erreicht . Die Ernennung von Ländern zu sicheren Herkunftsstaaten, wie wir das mit den Ländern des Westbalkans getan haben - über 99 Prozent aller entsprechenden
Anträge waren aussichtslos -, ist richtig . Wir haben vom
Institut für Weltwirtschaft in Kiel im September letzten
Jahres bescheinigt bekommen, dass sich dadurch die Anzahl der Asylanträge deutlich reduziert .
Es geht nicht darum - Frau Kollegin Jelpke hat sich
auch schon verabschiedet -, Einzelfallentscheidungen
abzuschaffen; denn nach wie vor wird jeder Einzelfall
geprüft . Es geht lediglich um eine Beweislastumkehr .
Mit der Reform des Bleiberechts im letzten Juli haben wir bereits die Ermessensentscheidung eingeführt .
Wir haben entschieden, dass derjenige, der sich gut integriert hat, zügiger ein Bleiberecht bekommt . Wer aber
die Sicherheit gefährdet und sich nicht an unsere Regeln
hält und damit auch nicht schutzberechtigt ist, der muss
schneller ausgewiesen werden . Wir haben mit den Wiedereinreisesperren die freiwillige Ausreise gefördert und
auch die Zahl aussichtsloser Folgeanträge reduziert .
Im Oktober letzten Jahres haben wir hier im Deutschen Bundestag das Asylpaket I beschlossen . Wir haben
damit Länder und Kommunen finanziell massiv entlastet. Wir haben aber auch Leistungen für Ausreisepflichtige gekürzt und die Ankündigung des Abschiebetermins
verboten . Im letzten Jahr waren 200 000 Personen ausreisepflichtig, aber trotz all dieser Maßnahmen sind nur
20 000 Abschiebungen erfolgt . Da sieht man, dass wir an
diesem Punkt einfach noch besser werden müssen, damit
wir Platz für diejenigen haben, die unseren Schutz wirklich brauchen .
({4})
Wir haben im Januar dieses Jahres mit dem Gesetz
zum besseren Datenaustausch zwischen den Behörden
nicht nur die gesetzlichen Grundlagen für ein gewaltiges IT-Projekt geschaffen, sondern auch dafür gesorgt,
dass jetzt alle Asylbewerber mit ihren Qualifikationen
und ihren Sprachkenntnissen systematisch erfasst und
in einer zentralen Datenbank registriert werden sowie
ihre Fingerabdrücke und vieles mehr im Rahmen einer
Sicherheitsüberprüfung durch unsere Nachrichtendienste
konsequent und zielgerichtet zusammengeführt werden .
Wir haben mit dem Bundeshaushalt 2016 über 1 800
neue Stellen für Bundespolizei und BKA geschaffen .
Auch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
wurden 4 000 neue Stellen zur Verfügung gestellt, um
die Asylverfahren zu beschleunigen und damit aber auch
eine schnellere Anerkennung zu erreichen und diesen
Flüchtlingen eine schnellere Integration zu ermöglichen .
Wir haben schon im letzten Jahr beschlossen, dass
Asylbewerber mit einer guten Bleibeperspektive bereits nach drei Monaten, auch wenn ihre Verfahren noch
nicht abgeschlossen sein sollten, arbeiten dürfen, dass
sie schneller an Integrationskursen teilnehmen dürfen aber eben nur diejenigen mit guter Bleibeperspektive . Es
ist daher nicht richtig, wenn heute der Vorwurf erhoben
wird, die rechte Seite würde sich nur um Abschiebungen
und Ausweisungen kümmern . Das Gegenteil ist der Fall .
({5})
Die Mittel für die Integrationskurse sind auf 559 Millionen Euro verdoppelt worden .
Mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen gehen
wir einen weiteren Schritt . Wir haben in den vergangenen Monaten vieles debattiert, um zu schauen, wie wir
die Situation für unser Land verbessern können . Diese
Entscheidungen machen uns nicht immer glücklich, aber
sie sind notwendig . Dazu gehört das Asylpaket II, das wir
heute verabschieden und mit dem es ermöglicht wird,
dass die Bundespolizei unter anderem künftig die Länder
bei der Passersatzbeschaffung unterstützt . Wir schaffen
besondere Aufnahmeeinrichtungen, in denen alle Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive Schnellverfahren von drei Wochen durchlaufen können .
Wir haben die Residenzpflicht gestärkt, indem wir den
Leistungsanspruch der Asylbewerber ruhen lassen, wenn
sich der Asylbewerber nicht in der ihm zugewiesenen
Kommune meldet . Es kann nicht sein, dass die Asylbewerber selbst entscheiden, wo sie sich in Deutschland
aufhalten . Wir brauchen eine gesteuerte Migration . Das
ist für unsere Kommunen auch dringend erforderlich .
Die Aussetzung des Familiennachzuges ist ein Einschnitt, ja . Aber wir knüpfen an eine Regelung an, die bis
Mitte letzten Jahres bestanden hat . An dieser Stelle habe
ich weder von den Grünen noch von den Linken, seit ich
im Bundestag bin, einen großen Aufschrei gehört . Es
geht lediglich um die Aussetzung des Familiennachzuges
für subsidiär Geschützte und auch nur für einen Zeitraum
von zwei Jahren .
({6})
Das ist weder unmenschlich noch inhuman, sondern es
ist notwendig, damit wir die Einwanderungszahlen zumindest in manchen Bereichen reduzieren können . Mir
kann niemand erklären, was es mit „human“ zu tun hat,
wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder allein auf die
Flucht nach Deutschland schicken . Ich werde das nicht
verstehen .
({7})
Mit dem Gesetz zur erleichterten Ausweisung ausländischer Straftäter reagieren wir zu Recht auf die Gewalt
in der Silvesternacht . Bestimmte Delikte sollen bei Verstößen künftig immer ein schwerwiegendes Ausreiseinteresse begründen . Dazu gehören Straftaten gegen das
Leben, das Eigentum, die sexuelle Selbstbestimmung,
die körperliche Unversehrtheit, und dazu gehört auch der
Widerstand gegen Vollzugsbeamte . Auch hier gilt: Der
Einzelfall wird geprüft . Auch hier gilt: keine pauschale
Aberkennung von Titeln und pauschale Zurückführung .
So ist das in allen Fällen, die wir geregelt haben . Es wird
der Einzelfall berücksichtigt .
Auch hier gilt eine besondere Hürde . Nicht jedes strafbare Verhalten führt danach zu einer Aberkennung von
Aufenthaltstiteln oder zu einer Nichtermöglichung im
bestehenden Verfahren . Die Hürde ist mit einem StrafAndrea Lindholz
maß von einem Jahr ebenfalls hoch gesetzt, sodass wir
auch hier nicht von einer unbilligen und pauschalen Härtefallregelung sprechen können . Das Gegenteil ist der
Fall .
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .
({0})
Nachdem die Kollegin Jelpke vorhin so schön überzogen hat, können wir, glaube ich, die 30 Sekunden verkraften .
Frau Kollegin, das habe ich zu entscheiden, ob überhaupt und wie lange gegebenenfalls eine vorgesehene
Redezeit überschritten wird .
({0})
Ich bitte Sie daher, diesem Gesetzespaket heute zuzustimmen . Wir sind auf einem richtigen Weg, und es wird
nicht das letzte Gesetzespaket in dieser Legislaturperiode
bleiben .
Vielen Dank .
({0})
Nur rein nachrichtlich, Frau Kollegin Lindholz: Sie
haben genau die eine Minute mehr gesprochen wie die
Kollegin Jelpke auch . - Nun hat der Kollege Hartmann
für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der bereits zitierte Willy Brandt formulierte vor
36 Jahren, 1980, in der Einleitung zum Nord-Süd-Bericht: „Die Globalisierung von Gefahren und Herausforderungen - Krieg, Chaos, Selbstzerstörung - erfordert
eine Art ‚Weltinnenpolitik‘ .“ Die Flüchtlingskrise ist der
Brennpunkt von Innen- und Außenpolitik . Das belegt die
Notwendigkeit eines solchen Gedankens der Weltinnenpolitik .
({0})
Zweiter Gedanke, meine Damen und Herren: Die Rahmenbedingungen für uns Deutsche sind gut: 19 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss, ein hoher Bundesbankgewinn, wie gestern bekannt wurde, und mit 43 Millionen
Erwerbstätigen in diesem Land eine so hohe Beschäftigung wie nie zuvor .
„Wir schaffen das“ bedeutet: wenn wir es wollen . Aus
dem „Wir schaffen das“ leitet sich eine Gesamtverantwortung ab . „Wir schaffen das“ ist der Leitgedanke eines
umfassenden Programms . Dieser Leitgedanke ist ein Appell an alle politisch Handelnden und Verantwortungsträger auf allen staatlichen Ebenen: Bund, Länder und
Kommunen .
({1})
Aber lassen Sie uns endlich damit aufhören, alles nur
in Schwarz und Weiß zu denken . Deutschland ist und
bleibt ein liberales, weltoffenes Land, das international
geachtet wird und seine besondere Verantwortung besonnen wahrnimmt .
({2})
Dafür stehen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht nur theoretisch ein, sondern in Regierungsverantwortung in den Ländern und im Bund .
({3})
Lassen Sie uns insbesondere aber auch damit aufhören, Tag für Tag über singuläre hektische Maßnahmen
zu reden . Das ist kleingeistig und wenig zielführend . In
einer immer komplexeren Welt gibt es keine einfache Lösung, die man in einem Satz zusammenfassen kann .
({4})
Mehr noch: Es ist keine Politik . Politik muss nach Erhard
Eppler Ziele und Orientierung bieten . Politik, so wird er
zitiert, kommt aus der Frage, wie Menschen leben wollen und wie nicht . Sie formuliert das Gemeinwohl gegenüber den Einzelinteressen . Politik ist etwas anderes
als der Vollzug von Sachzwängen . Politik braucht Ziele,
Entwürfe und Utopien und muss auch die Spannung zwischen Entwurf und Wirklichkeit aushalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({5})
Wir brauchen Augenmaß und kühlen Kopf, Herz und frohen Mut .
Ich benenne drei Herausforderungen . Was ist jetzt zu
tun? Die erste Herausforderung ist das Fundament jeder
Lösung dieser Krise: Wir müssen die Krisenstaaten und
die Regionen stabilisieren, um den Zuzug zu reduzieren,
um Flucht durch Bekämpfung von Fluchtursachen unnötig zu machen . Das gelingt nur international und europäisch . Die Kanzlerin und Frank-Walter Steinmeier allen
voran setzen sich jeden Tag dafür ein .
({6})
Manche mögen zweifeln und denken, dass Deutschland überfordert sei . Aber wir sind nicht allein . Deutschland ist stark und kann viel . Es war niemals unser Ziel,
allein zu handeln . Zur Wahrheit gehört auch: Deutschland hat eine Verantwortung, die unteilbar ist und die wir
wahrnehmen .
Die zweite Herausforderung ist unsere strukturelle
Verantwortung als Bund . Wir müssen alles tun, was zur
Ordnung und Beschleunigung der Verfahren nötig ist .
Wir müssen diese Verfahren ordnen, um den Menschen
schneller zu eröffnen, wer bleiben kann und wer eine Perspektive hat, um endlich mit der Integration zu beginnen .
Darüber hinaus müssen wir aber auch den anderen sagen:
Ihr habt keine Perspektive; ihr habt keine Chance . - Das
ist übrigens nichts anderes als die Herrschaft des Rechts,
liebe Kolleginnen und Kollegen .
({7})
Aber wir erwarten auch vom Innenminister, dass alle Zusagen betreffend Verfahrensbeschleunigung und Personalgewinnung, die öffentlich getroffen worden sind, eins
zu eins eingehalten werden . Sonst kommt es nicht zur
Ordnung der Verfahren .
Die dritte Herausforderung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Wir müssen und wir können die
langfristige Herausforderung meistern und diese Krise als echte Chance nutzen, um neue Mitbürger zu integrieren, um den Standort Deutschland zu stärken und
um gemeinsam stärker zu werden . Das ist die zentrale
Ebene, die wir national beeinflussen können. Wir wissen:
Erfolgreiche Integration ist ein Gewinn, kulturell und
moralisch, aber auch wirtschaftlich .
({8})
Wie wollen wir zukünftig zusammenleben? Das ist
die Frage, die wir jetzt beantworten müssen . Integration
erfasst alle: die, die hier leben, und die, die neu hinzugekommen sind . Das ist Integration . Es ist kein loses Miteinander oder Nebeneinander . Integration fußt für mich
auf einem neuen Gesellschaftsvertrag, der von allen hier
Lebenden - ich betone: allen hier Lebenden - positiv geschlossen werden muss . Es geht uns alle an . Dann kann
Integration ein echter Erfolg für unser Land sein und eine
Gesellschaft prägen, die das zukünftige Deutschland ist .
({9})
Es ist richtig: Wir brauchen einen Integrationsplan .
Wir brauchen einen Integrationspakt für Deutschland .
Aber wir fangen nicht bei null an . Wir wissen genau, was
zu tun ist . Wir haben in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe sehr deutlich gemacht, wo die Herausforderungen und
die Handlungsfelder bestehen . Wir haben darüber hinaus
in diesen Tagen in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen den ersten Integrationsplan vorgelegt . Wir fangen
nicht bei null an . Wir wissen genau, was zu tun ist .
({10})
Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Integration gelten auch für diejenigen, die
hier leben . Kein anständiger Deutscher kann sich auf unseren Rechtsstaat berufen, wenn er Molotowcocktails auf
Asylbewerberheime schmeißt .
({11})
Kein anständiger Deutscher darf sich darauf berufen! Die
Werteordnung ist auch zu leben .
Sprachförderung, Integrationskurse, Arbeitsmarkt,
Bildung sowie Wohnungsbau und Quartiere, das alles
gehört zusammen. Wir wissen, dass das auch finanziert
werden muss . Wir werden über einen längeren Zeitraum
mehr Geld brauchen, und zwar für die Bewältigung der
Folgen der Demografie sowie für Integration und Migration . Wenn wir aber die notwendigen Mittel investieren,
dann kommt jeder Euro mehrfach zurück .
({12})
Sehr zentral in einem föderalen Staat ist: Es kann
nicht sein, dass allein die Kommunen diese Aufgabe tragen und für die Integration zahlen müssen, die späteren
Gewinne einer erfolgreichen Integration aber vor allen
Dingen auf Landes- und Bundesebene sowie in den Sozialkassen vereinnahmt werden . Das müssen wir gemeinsam anpacken .
({13})
Abschließend: Wenn ich heute - genauso wie ein großer Teil meiner SPD-Bundestagsfraktion - dem zweiten
Asylpaket zustimme, dann tue ich das in der Erwartung, dass es zu einer echten Verfahrensbeschleunigung
kommt, ohne die Qualität und die Angemessenheit jeder
Einzelfallentscheidung und -prüfung infrage zu stellen .
({14})
Ich tue das in der Erwartung, dass wir nun weitgehend
alles Erforderliche in den Asylpaketen I und II getan haben . Damit reicht es dann aber auch . Wir können uns nun
endgültig der Integration und den nächsten Integrationspaketen zuwenden . Wir müssen aber die Vereinbarung,
die wir in der Koalition getroffen haben, auch einhalten .
({15})
Die Herausforderung liegt auf der Hand .
Herr Kollege .
Die Verständigung auf den gemeinsamen Integrationspakt steht noch aus .
Herr Kollege .
Wenn wir aber mutig sind und Orientierung bieten,
dann schaffen wir das . Dann machen wir das .
Ich möchte enden mit den Worten eines großen Deutschen, von Heinrich Heine: „Ein kühnes Beginnen ist
halbes Gewinnen .“
Vielen Dank .
({0})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Jutta Eckenbach für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue
mich, heute einmal in einer innenpolitischen Debatte als
Sozialpolitikerin reden zu dürfen .
Den ganzen Morgen war von Integrationsmaßnahmen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden die Rede . Gestatten Sie mir zu Beginn, ein Wort direkt an die Grünen
zu richten, wenn sie mir denn zuhören . Gestern war im
Ausschuss die Rede davon, dass sich Kirchen, Wohlfahrtsverbände wie die AWO und zahlreiche andere
Vereinigungen gegen das Asylpaket II aussprechen . Ich
finde: Es ist das gute Recht der Kirchen, ihre eigene Meinung deutlich zu machen . Daran ersehen Sie, wie groß
deren Sorgen sind . Das heißt aber nicht, dass der Gesetzgeber an diesen Stellen immer genau diesen Institutionen
folgen muss .
Wir haben hier in Deutschland eine andere Aufgabe .
Wir hören den Kirchen und den Wohlfahrtsverbänden
wie der AWO zu . Wir unterstützen sie bei allen Maßnahmen, die sie benötigen . Aber die Gesetzgebung liegt
beim Deutschen Bundestag . Wir müssen im Deutschen
Bundestag auch der sozialen Verantwortung gerecht werden, die wir in Deutschland nun einmal haben .
({0})
Es gilt, für unsere Bürgerinnen und Bürger in unseren
Kommunen, in unserem Land für soziale Gerechtigkeit
zu sorgen .
({1})
Lassen Sie mich als Sozialpolitikerin auch noch deutlich sagen: Wir reden seit Monaten über die Flüchtlinge
in Deutschland . Wir haben jedoch in Deutschland auch
diejenigen Menschen, die seit vielen Jahren langzeitarbeitslos sind .
({2})
Wir haben in Deutschland auch Menschen in prekären
Arbeitsverhältnissen, die gerade an der Leistungsuntergrenze liegen .
({3})
- Da brauchen Sie gar nicht so zu schreien, meine Damen
und Herren .
({4})
Sie wissen, dass sich gerade diese Bundesregierung deutlich für diese eingesetzt hat und weiterhin einsetzen wird .
({5})
Ich will auch dies noch einmal deutlich sagen, denn
auch das gehört zum sozialen Frieden in Deutschland:
({6})
Wenn davon gesprochen wird - davon war heute Morgen auch die Rede -, dass jedem einzelnen Flüchtling
10 Euro für Integrations- und Sprachkurse abgenommen
werden, so ist diese Aussage falsch . Unser Anliegen ist,
dass wir nicht die vollen Leistungen auszahlen, die wir
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zahlen müssten .
Wir streichen zum Beispiel Leistungen für Fernsehund Videogeräte . Wir streichen Leistungen für Datenverarbeitungssoftware . Wir streichen Leistungen für
langlebige Verbrauchsgüter, für Kultur, Sport und Camping . Wir streichen Leistungen für außerschulischen Unterricht und Hobbykurse sowie Gebühren für Kurse . All
das macht zusammen 10 Euro . Genau um diese 10 Euro
werden die Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gekürzt .
({7})
Das ist eine Maßnahme, die wir durchaus in Deutschland
einführen können . Wir haben das übrigens schon einmal
getan . Damals gab es nicht so einen großen Aufschrei .
({8})
Wir müssen hier auch das Wort der sozialen Gerechtigkeit benutzen
({9})
und alles dafür tun, unserer Rolle gerecht zu werden .
Lassen Sie uns aber auch noch einmal über die gesetzliche Grundlage unseres Handelns reden . Das Asylrecht in Deutschland hat seine Grundlage in Artikel 16 a
Grundgesetz . Daraus ergibt sich eine Berechtigung auf
Asyl in Deutschland . Eine Berechtigung auf Asyl hat allerdings nicht, wer aus wirtschaftlichen Gründen zu uns
kommt . Ich glaube, dass wir dazu kommen müssen, auch
hier deutlich zu sagen, dass wir diese Menschen wieder
zurückführen .
Wir haben heute Morgen einige Reden gehört, auch
vom Innenminister des Landes Baden-Württemberg .
Gestatten Sie mir dazu die Anmerkung, dass es in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg und in vielen anderen Bundesländern noch nicht
einmal dazu gekommen ist, das Asylpaket I umzusetzen .
Hehre Worte sind ganz schön . Gesetze können wir hier
verabschieden; sie müssen aber von Ländern und Kommunen umgesetzt werden .
({10})
Wenn ich erfahre, wie viele Gelder wir letztlich auch
von Bundesseite für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt haben, bin ich sehr erstaunt, wenn ich heute Morgen
höre, dass wir für den sozialen Wohnungsbau, der dringend notwendig ist, mehr tun sollen . Aber bitte, meine
Damen und Herren, es ist an den Kommunen und an den
Bundesländern, dies zu tun .
({11})
Ich weiß, dass Richtlinien in einigen Bundesländern
überhaupt noch nicht umgesetzt worden sind, die wir in
Berlin längst als Erleichterung beschlossen haben .
Ich kann nur an alle vor Ort appellieren: Sorgen Sie
dafür, dass Sie in Ihren Kommunen sozialen Wohnungsbau generieren . Die Gelder stehen bereit, die KfW stellt
zusätzliche Mittel bereit . Aber lamentieren Sie doch bitte
nicht hier in Berlin, dass wir keine Möglichkeiten hätten,
sozialen Wohnungsbau auszugestalten . Machen Sie es,
tun Sie es . Das würde dazu beitragen, dass wir unter dem
Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland
wesentlich weiter kämen .
({12})
Es war immer die Rede davon, dass wir jetzt noch
mehr Integrationsmaßnahmen brauchen . Natürlich brauchen wir sie . Aber schauen wir einmal, was wir schon
alles gemacht haben .
({13})
Wir haben zahlreiche Vorgaben gemacht . Ich könnte sie
Ihnen alle nennen, aber so viel Redezeit habe ich nicht .
Wir haben sie allerdings weder strukturiert noch geordnet .
({14})
Jedes Ministerium - gestatten Sie mir diese Worte macht an den Stellen ein bisschen . Wir müssen die Maßnahmen strukturieren und zusammenfassen . Vielleicht
können wir uns darauf einigen, dass das Bundesinnenministerium mit dieser gesellschaftlichen Aufgabe - Stichwort „Demografie“ - betraut wird.
({15})
Ich finde, dies wäre ein guter Ansatz, um geordnete Verfahren durchzuführen .
Übrigens habe ich gehört, dass in vier Ministerien jeweils das Grundgesetz in arabischer Sprache gedruckt
wird. Das kostet unnötig Geld und ist nicht effizient.
({16})
Daher sollten wir diese Maßnahmen sein lassen und zu
einer gemeinsamen Lösung kommen . Ich denke, das
führt in die richtige Richtung .
({17})
Wir sind in Deutschland auf einem guten Weg . Wir
haben den Weg begonnen und werden ihn konsequent
weitergehen . Ich bedanke mich an dieser Stelle recht
herzlich auch bei der Bundeskanzlerin, die im Moment
vor keiner leichten Aufgabe steht .
({18})
Die Außenpolitik ist im Moment ein wichtiges Feld . Um
die Aufgaben in Deutschland zu bewältigen, müssen wir
als Grundvoraussetzung andere Länder mitnehmen . Wir
alle sollten daran mitwirken, die Bundeskanzlerin in ihrer schwierigen Aufgabe, die momentan in Europa vor
ihr liegt, zu unterstützen .
Wir als Gesetzgeber im Deutschen Bundestag haben
auch unsere Pflicht zu erfüllen, und diese Pflicht heißt
heute, das Asylpaket II mit allen Facetten zu verabschieden . Es wäre schön gewesen, wenn wir es um den
Programmpunkt der sicheren Herkunftsstaaten hätten ergänzen können . Das ist gerade von meinen beiden Kolleginnen angesprochen worden . Dazu noch ein Wort an
die Grünen über ihr Verhalten in Nordrhein-Westfalen
und in Rheinland-Pfalz, das ich mit Zeitungsmeldungen
belegen kann .
({19})
- Ja, das ist so; fragen Sie Herrn Mostofizadeh in Nordrhein-Westfalen, der sich gewehrt hat, den Kreis der sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern . Ich denke, es wäre
schön, wenn sich die Grünen auf Bund- und Länderebene
hier einigen könnten . Dann hätten wir diesen Punkt heute
mit verabschieden können, und wir wären einen großen
Schritt weitergekommen .
({20})
Das hätte im Zuge der Integration geholfen . Gerade ist
das hehre Wort gefallen, wir alle müssten unsere Aufgaben wahrnehmen . Ja, das gilt aber nicht nur für den
Bund, das gilt auch für die Länder und die Kommunen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({21})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren . Ich
weise darauf hin, dass ich eine ganze Reihe persönlicher
Erklärungen zur Abstimmung erhalten habe, die wir wie
üblich dem Protokoll beifügen .1)
Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/7645
und 18/7685, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/7538 anzu-
nehmen . Dazu hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
beantragt, über Artikel 2 Nummer 4 - hier geht es um
das Aufenthaltsgesetz mit den Regelungen für den Fami-
liennachzug - einerseits und über den Gesetzentwurf im
Übrigen andererseits getrennt abzustimmen . Wir werden
so verfahren .
Wir stimmen zunächst über den Artikel 2 Nummer 4
des Gesetzentwurfes - Familiennachzug - ab . Dazu hat
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentliche Ab-
stimmung beantragt . Diese Abstimmung führen wir jetzt
1) Anlagen 2 bis 12
durch . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir anzuzeigen, wenn das geschehen ist . - Sind alle Urnen besetzt? Das ist der Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung .
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht erkennbar . Dann schließe ich diese Abstimmung und bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung, weil die Gesamtabstimmung über den Gesetzentwurf naturgemäß
erst nach Auszählung der Einzelabstimmung möglich ist .
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet . - Deswegen schlage ich vor, dass Sie wieder in Frieden Platz
nehmen und wir dann zu einem geordneten weiteren Verfahren kommen .
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung
beschleunigter Asylverfahren, hier zum Artikel 2 Nummer 4, bekannt: abgegebene Stimmen 581 . Mit Ja haben
gestimmt 427, mit Nein haben gestimmt 147, Enthaltungen gab es 7 . Damit ist auch dieser Artikel des Gesetzentwurfes in zweiter Beratung angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 581;
davon
ja: 427
nein: 147
enthalten: 7
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E . Fischer
({2})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({3})
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({5})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Präsident Dr. Norbert Lammert
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Dr . Michael Meister
Dr . Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller ({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({9})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({13})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({14})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({15})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({16})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({17})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({18})
Sabine Weiss ({19})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({20})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Matthias Bartke
Bärbel Bas
Lothar Binding ({21})
Burkhard Blienert
Dr . Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Sabine Dittmar
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({22})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({23})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({24})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({25})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({26})
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({27})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Johann Saathoff
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({29})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({30})
Matthias Schmidt ({31})
Carsten Schneider ({32})
Elfi Scho-Antwerpes
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
Nein
SPD
Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Lars Castellucci
Dr . Karamba Diaby
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Petra Hinz ({33})
Cansel Kiziltepe
Daniela Kolbe
Helga Kühn-Mengel
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Sabine Poschmann
Dr . Simone Raatz
Mechthild Rawert
René Röspel
Susann Rüthrich
Dagmar Schmidt ({34})
Swen Schulz ({35})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Svenja Stadler
Christoph Strässer
Waltraud Wolff
({36})
DIE LINKE
Jan van Aken
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . Andre Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({37})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({38})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Dr . Axel Troost
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({39})
Volker Beck ({40})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({41})
Renate Künast
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({42})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
CDU/CSU
Dr . Norbert Lammert
SPD
Willi Brase
Thomas Jurk
Ulli Nissen
Stefan Rebmann
Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfes
auf der Drucksache 18/7538 auf . Ich bitte diejenigen, die
zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist auch der Ge-
setzentwurf im Übrigen in zweiter Lesung angenommen .
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Hierzu gibt es einen Antrag
der Fraktion Die Linke, über den Gesetzentwurf in der
dritten Beratung namentlich abzustimmen . Ich bitte wie-
der die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Positi-
onen einzunehmen und mir zu signalisieren, wenn alle
Abstimmungsurnen jeweils von Opposition und Koali-
tion besetzt sind . - Hier vorne fehlt noch ein Schriftfüh-
rer der Opposition . - Ich eröffne die zweite namentliche
Abstimmung .
Ist ein Kollege oder eine Kollegin anwesend, der seine
oder die ihre Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich
habe den Eindruck, dass alle, die im Saal sind, nun ihre
Stimmkarten abgegeben haben . Dann schließe ich die-
se Abstimmung . Ich bitte um Auszählung . Das Ergebnis
wird später während des nächsten Tagesordnungspunktes
bekannt gegeben .1)
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
der Drucksache 18/7674 . Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stim-
men der Koalition abgelehnt .
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur
Änderung des Asylverfahrensgesetzes . Hier geht es um
die Streichung der obligatorischen Widerrufsprüfung .
Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/7645 und
18/7685, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/6202 abzulehnen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Auch dieser Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mehrheitlich abgelehnt . Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die dritte Beratung .
Unter Tagesordnungspunkt 3 b geht es um die Ab-
stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU
und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur er-
leichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und
zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung
bei straffälligen Asylbewerbern . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Druck-
sachen 18/7646 und 18/7686, den Gesetzentwurf der
Koalitionsfraktionen auf der Drucksache 18/7537 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
diesem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition in
zweiter Beratung angenommen .
1) Ergebnis Seite 15491 A
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis, nämlich bei Zustimmung der Koalition und
Ablehnung der Opposition, angenommen .
Unter dem Tagesordnungspunkt 3 c geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Besonders gefährdete
Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besser schützen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/7697, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf der Drucksache 18/6646 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit der Mehrheit des Hauses angenommen .
Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen .
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse
Drucksachen 18/7218, 18/7452
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({43})
Drucksache 18/7696
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Aussprache eine Stunde dauern . - Dazu höre ich keinen
Widerspruch . Dann ist das so vereinbart .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für
die Bundesregierung dem zuständigen Bundesminister
Christian Schmidt .
({44})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr sterben in Deutschland 120 000 Menschen an den Folgen des Rauchens . Das sind mehr als
10 Prozent aller Sterbefälle . Die direkten Kosten und
die indirekten Kosten gemeinsam werden nach der Statistik des Statistischen Bundesamtes und des Deutschen
Krebsforschungszentrums auf knapp 80 Milliarden Euro
jährlich geschätzt . Diese Zahlen sind frappierend, und sie
zeigen dringenden Handlungsbedarf auf .
Unser Ziel muss sein, dass wir insbesondere denen,
die vor der Entscheidung stehen, ob sie zur Zigarette
greifen oder nicht, das Rauchen vergällen . Wir wollen
nicht dem Einzelnen die Entscheidung abnehmen; erPräsident Dr. Norbert Lammert
wachsene Menschen müssen darüber selbst entscheiden .
Aber wir wollen denen, die auf dem Weg zu dem sind,
was ich beschrieben habe, einen guten Rahmen bieten,
um sich nicht für das Rauchen zu entscheiden, sondern
Nichtraucher zu bleiben .
Das heißt, wir müssen die gesundheitlichen Gefahren
nüchtern beschreiben . Aber die nüchterne Beschreibung
allein sorgt noch nicht für eine persönliche Bewegtheit .
Mein Ziel ist es deswegen, neben vielen Detailregulierungen einen erkennbaren Hinweis und einen emotionalen Anreiz für alle zu geben und deutlich zu machen:
Lasst lieber die Finger davon!
Eines der Mittel sind Text-Bild-Warnhinweise . Die
Bilder sind nicht schön, sie könnten aus medizinischen
Fachblättern stammen: offene Raucherbeine, Raucherlungen, schwarze Zahnstummel . Die Entscheidung des
Einzelnen bleibt trotzdem bei ihm . Mit diesen Warnhinweisen möchten wir jedenfalls zum Nachdenken anregen . Sie sind Bestandteil der Richtlinie auf europäischer
Ebene, die wir heute mit dem Tabakerzeugnisgesetz umsetzen wollen .
Ich will noch einmal sagen: Mein Ziel ist, dass die,
die noch nicht mit dem Rauchen begonnen haben, nicht
verführt werden . Insofern bestand der erste Teil der Gesetzgebung in diesem Zusammenhang darin, dass ich
gemeinsam mit Kollegin Schwesig eine Änderung des
Jugendschutzgesetzes auch im Hinblick auf E-Zigaretten und E-Shishas - ich werde darauf noch zu sprechen
kommen - in das Gesetzblatt gebracht habe . Der Deutsche Bundestag hat sich ausführlich mit diesem Thema
befasst . - Herzlichen Dank .
Wir werden jetzt im zweiten Schritt mit der Umsetzung des Tabakerzeugnisgesetzes wirksame Regelungen
zum gesundheitlichen Verbraucherschutz vorlegen . Heute finden die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs statt . Ich bedanke mich dafür, weil wir damit im
Rahmen unserer Möglichkeiten zeitnah für Rechtssicherheit sorgen . Wir setzen die Tabakproduktrichtlinie mit
Sorgfalt, aber auch mit Augenmaß um . Das heißt, wir
müssen auch festhalten, dass Tabak und Tabakerzeugnisse keine verbotenen Produkte sind . Die Wirtschaft hat
Anspruch auf Rechtssicherheit . Wir leisten das .
Ich gebe zu, dass die Umsetzung der Tabakproduktrichtlinie auf den letzten Metern Schwierigkeiten bereitet hat . Wir mussten leider fast zwei Jahre warten, bis
die Kommission die technischen Daten herausgegeben
hat . In einem Fall ist dann noch die deutsche Grammatik
nicht beachtet worden, und es war eine Änderung notwendig . Wir sollten daher immer deutlicher für Deutsch
als Amts- und Arbeitssprache in der Europäischen Union
werben . Vielleicht hilft das auch dem einen oder anderen in der Kommission weiter, die deutsche Sprache bei
Warnhinweisen richtig anzuwenden .
({0})
Wir werden die Warnhinweise auf die wirklichen
Einstiegsdrogen beschränken - Zigarren sind keine Einstiegsdrogen - und uns insbesondere auf diesen Bereich
konzentrieren . Wir wollen, dass entsprechende Zusatzstoffe nach wissenschaftlicher Bewertung nicht mehr zugelassen werden. Das griffigste und bekannteste Beispiel
ist die Mentholzigarette, die wir in einer Übergangsfrist
bis zum Jahr 2020 noch akzeptieren, danach nicht mehr .
Nach wissenschaftlichen Aussagen bieten solche Aromastoffe einen Anreiz, zu rauchen, und führen mindestens
zu einem Gewöhnungseffekt . Soweit mir bekannt ist,
hat Helmut Schmidt, der bekannteste Raucher, bis zum
Schluss Mentholzigaretten geraucht .
({1})
Nicht jeder leidet darunter, man kann auch als Raucher
ein hohes Alter erreichen; aber wir müssen verhindern,
dass durch Aromastoffe ein leichterer Übergang zur
Sucht entsteht . Dafür wollen wir mit der Umsetzung der
Richtlinie sorgen .
({2})
Ich will den roten Faden wieder aufnehmen: Es wird
eine Übergangsfrist von einem Jahr zum Abverkauf der
noch nach altem Recht produzierten Zigaretten und Tabakwaren geben, das heißt bis zum 20 . Mai 2017 . Auch
wenn die Frist knapp bemessen ist, bringt sie eine Erleichterung; denn für den einen oder anderen mittelständischen Betrieb ist die technische Umstellung schon eine
große Herausforderung .
Wir werden E-Shishas und E-Zigaretten einbeziehen,
zumal der Bundesgerichtshof sie erst vor kurzem, quasi
vorauseilend zur jetzigen Gesetzgebung, mit Tabakprodukten gleichgestellt hat . Wir müssen verhindern, dass
über die Möglichkeit, mit E-Shishas und E-Zigaretten
Umwege zu organisieren, der Tabakkonsum im Ergebnis doch nicht sinkt . Man lese die jährlichen Berichte
der Kollegin Mortler, der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, in denen sie detailliert darstellt, welche
Probleme und Gefahren daraus entstehen . Das Deutsche
Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat uns auf diesem Weg auch sehr unterstützt .
Es geht um gesundheitlichen Verbraucherschutz und
darum, dass Werbung für Zigaretten in den Bereichen,
wo sie allgemein zugänglich sind, nicht mehr vorkommt .
Bereits seit 2006 ist die Werbung für Zigaretten in Medien, Zeitungen, Fernsehen usw . nicht mehr erlaubt .
Wir werden in der Beratung eines weiteren Gesetzes
zur Umsetzung einer entsprechenden WHO-Richtlinie
über Außen- und Kinowerbung zu sprechen haben . Nach
der Notifizierung durch die Europäische Kommission
werde ich zeitnah eine entsprechende Vorlage vorlegen .
Es geht nicht darum, die Möglichkeit des Erwerbs einzuschränken . Es geht vielmehr darum, denen, die bisher nur
eine Idee von einem Geschmack haben, die Idee und den
Geschmack zu vergällen .
Herzlichen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zum Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren bekannt geben: abgegebene Stimmen
580, mit Ja haben gestimmt 429, mit Nein haben gestimmt 147, Enthaltungen 4 . Damit ist der Gesetzentwurf
angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon
ja: 429
nein: 147
enthalten: 4
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({0})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({1})
Axel E . Fischer
({2})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({3})
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({4})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({5})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({6})
Dr . Michael Meister
Dr . Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller
({7})
Stefan Müller ({8})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({9})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({10})
Gabriele Schmidt ({11})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({12})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({13})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({14})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({15})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({16})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({17})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({18})
Sabine Weiss ({19})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({20})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Matthias Bartke
Bärbel Bas
Lothar Binding ({21})
Burkhard Blienert
Dr . Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Sabine Dittmar
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({22})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({23})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({24})
Dr . Karl Lauterbach
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({25})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({26})
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({27})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Martin Rabanus
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({28})
Johann Saathoff
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({29})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({30})
Matthias Schmidt ({31})
Carsten Schneider ({32})
Elfi Scho-Antwerpes
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
Nein
CDU/CSU
Axel Knoerig
SPD
Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Lars Castellucci
Dr . Karamba Diaby
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Petra Hinz ({33})
Cansel Kiziltepe
Daniela Kolbe
Helga Kühn-Mengel
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Sabine Poschmann
Dr . Simone Raatz
Mechthild Rawert
René Röspel
Susann Rüthrich
Dagmar Schmidt ({34})
Swen Schulz ({35})
Ewald Schurer
Svenja Stadler
Christoph Strässer
Waltraud Wolff ({36})
DIE LINKE
Jan van Aken
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . Andre Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({37})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({38})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Dr . Axel Troost
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({39})
Volker Beck ({40})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({41})
Renate Künast
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({42})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Enthalten
SPD
Willi Brase
Thomas Jurk
Ulli Nissen
Stefan Rebmann
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Tempel, Fraktion
Die Linke .
({43})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Da wir nach Angaben
des Deutschen Krebsforschungszentrums jährlich mehr
als 110 000 Todesfälle infolge des Tabakkonsums verzeichnen müssen und wir laut Eurobarometer von rund
700 000 Todesfällen in der EU sprechen, ist es allerhöchste Zeit, dass wir Maßnahmen beschließen, um die
Zahl solcher Todesfälle zu reduzieren .
({0})
Ich möchte allerdings davor warnen, sich allzu stolz
auf die Schultern zu klopfen; denn es ist traurig, wie lange um solche Veränderungen gerungen werden muss . Es
ist traurig, dass wir unsere Möglichkeiten zur Minimierung des Rauchkonsums auch weiter nicht nutzen werden . Es ist auch traurig, dass in dem Gesetz ein „U-Boot“
platziert wird, eine Regelung, die nur scheinbar präventiven Zwecken dient und sich tatsächlich sogar negativ
auswirken könnte .
Ich möchte aber mit drei positiven Beispielen beginnen .
Erstes Beispiel . Die Warnhinweise auf Tabakverpackungen bestehen künftig nicht nur aus einem Text, sondern aus einer Kombination von Text und Bild .
({1})
Da es bereits Länder gibt, die positive Erfahrungen damit
gemacht haben - da kann man ja auch einmal hinschauen -, gibt es keinen Grund, die Möglichkeit einer etwas
drastischeren Warnung nicht auch bei uns zu ergreifen .
Wir sind allerdings davon überzeugt, dass mit standardisierten Verpackungen sogar ein noch größerer Effekt
erzielt werden könnte .
Zweites Beispiel . Um den Zigarettenschwarzmarkt
zu bekämpfen, sollen Verpackungen fälschungssicherer
gemacht werden . Das ist eine richtige Maßnahme; denn
strenge Verbraucherschutznormen werden natürlich nur
von denen beachtet, die legale Produkte in Umlauf bringen .
Drittes Beispiel . Es wird mehr Einschränkungen bei
der Werbung für Tabakprodukte geben . Dazu gehören
Hörfunkwerbung, Werbung in Druckerzeugnissen, Verbot von Sponsoring usw .
An der Stelle muss ich nun leider mit den positiven
Ausführungen zum Gesetzentwurf aufhören; denn wenn
ich sage, die Werbemöglichkeiten für Tabakwerbung
werden eingeschränkt, dann heißt das: Bestimmte Formen der Werbung wird es weiterhin geben . Ich darf noch
einmal gegenüberstellen: Durch den Konsum von Tabakprodukten sind mehr als 100 000 Tote jedes Jahr zu verzeichnen, aber gleichzeitig sind bestimmte Formen der
Werbung weiter erlaubt, Tabakprodukte dürfen weiterhin
beworben werden . Das ist ein Paradoxon, also überhaupt
nicht zu erklären .
({2})
Wer Geld für Werbung ausgibt, erwartet selbstverständlich, dass dieses Geld mit Gewinn durch einen höheren Umsatz wieder erwirtschaftet wird . Tabakwerbung
erhöht den Umsatz von Tabakprodukten . Tabakwerbung
konterkariert alle Maßnahmen, die zur Konsumprävention eingesetzt werden . Tabakwerbung erhöht die Zahl
konsumierter Zigaretten .
Wir wissen, dass wir den Bürgern Rauchen, Kiffen, Spielen, Trinken usw . nicht verbieten können, aber
den Umsatz dieser Produkte mit Werbung zu fördern,
das muss aufhören . Deswegen gibt es auch hier keinen
Grund, wie im Ausschuss gesagt, auf weitere EU-Richtlinien und Regelungen zu warten .
({3})
Und dann gibt es da leider das „U-Boot“ im Gesetzentwurf, von dem ich eben schon gesprochen habe . Wissen Sie, wir Linke hätten dem Paket präventiver Maßnahmen sehr gerne zugestimmt; denn viele Regelungen,
auch wenn sie noch nicht ausreichend sind, entsprechen
dem, was wir seit langem fordern und wofür wir auch
gekämpft haben . Aber nicht überall, wo Sie Prävention
draufschreiben, ist auch Prävention drin .
Damit komme ich zur E-Zigarette . Sie bekommen alle
viel Post dazu . Mit dem faktischen Verbot von Aromastoffen versuchen Sie, die E-Zigarette deutlich unattraktiver zu machen, sie als Konkurrenz für die klassische
Tabakzigarette deutlich zu schwächen . E-Zigaretten sollen, um es vereinfacht zu sagen, nicht mehr schmecken .
Ist das Prävention? Schauen wir uns das einmal genauer
an .
Grundsätzlich begrüßt die Linksfraktion die mit der
Novellierung der EU-Tabakproduktrichtlinie verabschiedeten Regelungen zur E-Zigarette . Fantasievolle, peinliche Irrwege wie die Einstufung der E-Zigarette als Arzneimittel dürften damit endgültig Geschichte sein .
({4})
Schauen wir auf die Gründe für die Verwendung der
E-Zigarette in Deutschland. Dazu finden wir Zahlen im
Tabakatlas: zu 35,4 Prozent, um weniger zu rauchen, zu
28 Prozent als Alternative zur Tabakzigarette, zu 18 Prozent als Hilfsmittel, um langsam mit dem Rauchen aufzuhören, zu 10 Prozent zur Benutzung in Nichtraucherbereichen, zu 7,8 Prozent zum Schutz der Gesundheit von
Menschen in der Umgebung, also zum Schutz vor Passivrauchen . Haben Sie sich mit den Motiven überhaupt
beschäftigt? Kennen Sie diese Zahlen? Ist an diesen
Motivationen irgendetwas auszusetzen? Sind das nicht
überwiegend Motive, die wir unterstützen sollten, die wir
unterstützen wollen?
({5})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Nur noch einmal, um frühzeitig einem Irrtum vorzubeugen: Der Konsum von E-Zigaretten ist ein riskanter
Konsum, und wer gesund leben will, braucht weder Tabak- noch E-Zigarette . Aber es gibt zumindest einen Unterschied zwischen der E-Zigarette und der klassischen
Tabakzigarette: Das Inhalieren von Verbrennungsrückständen beim Tabakkonsum, zum Beispiel Teer, entfällt
und damit ein wesentlicher Teil des Schadenspotenzials .
Was ist also zu tun? Wir brauchen eine Balance von
Maßnahmen . Das Erste ist: Wir wollen nicht, dass Nichtraucher zur E-Zigarette greifen und in das Rauchen einsteigen . Damit wären wir beim kompletten Werbeverbot;
denn Werbung soll natürlich zum Konsum animieren .
Damit sind wir bei der Aufklärung, bei Beipackzetteln,
Informationen, Warnhinweisen usw . Das alles würde die
Linke mittragen .
Aber was machen wir mit den vielen Rauchern, die es
bereits gibt? Und davon haben wir ja eine ganze Menge im Land . Wie reden wir mit denen, die bisher nicht
aufhören wollten und ihren Rauchkonsum auch nicht
einschränken wollten? Soll ich die Motive für den Griff
zur E-Zigarette noch einmal aufzählen? Weniger rauchen, kein Teer mehr inhalieren, langsame Entwöhnung
vom Rauchen usw . Meine Damen und Herren, es mag
ja Menschen geben, denen die alte Tabakzigarette bisher
zu gefährlich war und die jetzt mit der vielleicht etwas
weniger gefährlichen E-Zigarette mit dem Rauchen, mit
dem Dampfen beginnen . Ich hatte bisher allerdings nicht
das Glück, auch nur einen davon zu finden.
({6})
Wir bekommen alle sehr viel Post dazu, und über manche
Medien kann man auch einmal nachfragen . Ich streite
nicht ab, dass es solche Menschen gibt, ich habe nur noch
keinen gefunden . Vielleicht meldet sich jemand hier im
Haus, der sagt: Ich habe bisher keine Zigaretten geraucht,
rauche aber jetzt die E-Zigarette . Mich würde das Motiv
interessieren .
Verwechseln Sie in dieser Diskussion bitte eines
nicht: Menschen, die mal probiert haben, sind noch keine Raucheinsteiger . Einige Sachverständige haben sich
im Gesundheitsausschuss dieses Mittels bedient und von
Probierern gesprochen . Probierer sind noch keine Konsumeinsteiger .
Ganz ehrlich, meine Damen und Herren, nehmen Sie
einmal Folgendes an: Jemand, den Sie sehr gerne haben,
raucht 40 Zigaretten am Tag, und seit Jahren schaffen Sie
es nicht, ihm oder ihr das auszureden . Was ist denn mit
der Idee, dieser Person zu sagen: „Versuche es doch mal
alternativ mit der E-Zigarette“? Da fallen zumindest einige schwerwiegende Schadstoffe weg . Vielleicht kann
das Gesundheitsrisiko so wenigstens minimiert werden .
Natürlich bleibt ein Potenzial, Krebs oder andere Suchterkrankungen zu bekommen, vorhanden . Aber wäre das
nicht wenigstens ein Einstieg? Und wenn ein starker
Raucher sich auf diese Idee einlässt, dann wird das Rauchen - das werden Sie sehr häufig beobachten - auch in
der Quantität etwas nachlassen, weil das einfach etwas
umständlicher ist, als sich schnell einen Glimmstängel
anzustecken . Die E-Zigarette ist etwas weniger gefährlich . Das Gesundheitsrisiko ist geringer, und es schmeckt
vielleicht auch noch etwas besser . Ich jedenfalls mache
das so mit Menschen, die ich mag . Das habe ich aktuell
anlässlich eines 30 . Geburtstages so getan . So sollten wir
als Gesetzgeber mit unseren Bürgern umgehen . Das sollte unser gemeinsames Anliegen sein .
({7})
Wenn man die E-Zigarette unattraktiver macht, indem man faktisch die Aromastoffe verbietet, sodass die
E-Zigarette ganz einfach nicht mehr schmeckt, werden
sehr wahrscheinlich weniger Tabakkonsumenten auf die
E-Zigarette umsteigen . Die möglichen präventiven und
schadensminimierenden Effekte würden verschenkt .
Eine solche Regelung kann also nur die Tabakindustrie
erfreuen, und deren Konkurrenz wird so kleingehalten .
Der präventive Charakter dieses Gesetzes, meine Damen
und Herren, wird damit konterkariert . Eine Zustimmung
zum Gesetzentwurf ist für die Linke aufgrund dieser
Regelung ausgeschlossen . Es ist traurig, dass Sie eine
solche Wettbewerbsunterstützung für Tabakprodukte als
„U-Boot“ in dem Entwurf eines Gesetzes verstecken, das
eigentlich zur Erhöhung der Produktsicherheit und zur
Verbesserung der Prävention gedacht ist .
Danke schön .
({8})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Rainer Spiering
für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Bevor
ich einsteige: Herr Tempel, das war der beste Werbeblock
für E-Zigaretten, den ich in letzter Zeit in der Primetime
gehört habe . Herzlichen Glückwunsch zu diesem Werbeblock in der Primetime!
({0})
Wir sprechen heute über das Tabakerzeugnisgesetz .
Der Minister hat etliches von dem, was technologisch
abzuarbeiten ist, dargestellt . Ich möchte mich vorab bei
all denen bedanken, die sich an der Debatte beteiligt haben . Es waren ausgesprochen schwierige Diskussionen .
Da ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen
will - das werde ich in diesem Moment auch nicht tun -,
möchte ich sagen: Wir haben es mit einem Wirtschaftszweig zu tun, dessen Gebaren bei der Wahl seiner Mittel
für mich fremd ist; das will ich deutlich sagen .
({1})
Es war sehr schwierig, in diesem Punkt Einvernehmen
herzustellen .
Herr Tempel, Sie haben eben die E-Zigarette angesprochen . Nun spricht ein direkt Betroffener; denn ich bin
Raucher . Ich werde mir Ihre Erwägungen durch den Kopf
gehen lassen . Ob sie zünden, weiß ich nicht . Bei dieser
Frage geht es nämlich um eine Abwägung: Auf der einen
Seite haben wir die Zigarette . Hierzu hat Herr Tempel
Zahlen genannt, die ich so nicht kenne . Gleichwohl, es
ändert nicht viel: Die Zigarette ist ein gesundheitsschädliches Konsumgut . Auf der anderen Seite haben wir den
freien Willen von Menschen, etwas zu konsumieren, was
für sie nicht gut ist . Dieser Abwägung mussten wir Rechnung tragen .
Das versuchen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu tun . Er wird natürlich nicht perfekt sein . Aber
ich glaube, er ist gut und im Rahmen des Möglichen das
Beste, was wir derzeit tun können . Er geht auch konform
mit dem EU-Recht, was ich ebenfalls für sehr wichtig
und sehr wertvoll halte; wir sind uns da mit unseren europäischen Partnern einig . Der Gesetzentwurf versucht,
die Risiken, die das Rauchen mit sich bringt, so weit wie
möglich einzuschränken, und das unter Beibehaltung
der Möglichkeiten des Konsums . Das ist ein schwieriger
Schritt, und er ist, glaube ich, gelungen .
({2})
Bei der Auseinandersetzung mit der Zigarette ist mir
etwas aufgefallen. Es ist ja häufig so, dass einem, wenn
man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt, auch Widersprüche auffallen . Über den Widerspruch, den ich Ihnen gleich nennen werde, werden Sie sich vielleicht wundern . Als ich mich mehr und mehr mit den Folgen des
Rauchens auseinandergesetzt habe, während ich gleichzeitig an den Sitzungen des Ausschusses für Landwirtschaft teilgenommen habe, haben sich für mich Widersprüche aufgetan, die mich wirklich erschrocken haben .
Wir diskutieren über ein Konsumgut, von dem wir
wissen, dass es schädlich ist . Gleichzeitig erleben wir,
dass die Landwirtschaft schwer um ihre Existenz kämpft .
Ich bin vor vier oder fünf Wochen in eine Filiale einer
großen Einzelhandelskette gegangen, um für das Abendessen das Notwendige zu kaufen, unter anderem Kartoffeln . Dabei habe ich festgestellt, dass 1 Kilogramm
Schnitzel für 4 Euro angeboten wird . Gleichzeitig wird
eine Schachtel Zigaretten, die 6 Euro kostet, den Verkäufern geradezu aus den Händen gerissen . Kolleginnen und
Kollegen, das geht so nicht . Das passt in unserem Land
nicht zusammen .
({3})
Das ist keine Anerkennung der Leistungen in der Landwirtschaft . Wir müssen dringend darüber nachdenken, ob
die Prozesse, die wir dort erleben, richtig sind, oder ob
wir dem, was durch menschliche Arbeit geschaffen wird,
nicht mehr Rechnung tragen sollten, um so den Bäuerinnen und Bauern und ihren Produkten zu viel mehr Anerkennung zu verhelfen . Sollten wir uns nicht viel intensiver damit beschäftigen, wie wir die Dinge, die uns krank
machen, beseitigen können?
Nikotin ist ein hochwirksames Nervengift; das wissen
wir alle . Wir müssen daher alles tun, um das Nikotin und
seine Folgen in den Griff zu bekommen . Ich glaube - das
habe ich eben schon einmal gesagt -, dass der Gesetzentwurf dem Rechnung trägt . Der Minister hat die Umsetzungsfrist angesprochen . Wahrscheinlich wird es am
Ende des Tages darüber die heikelste Diskussion geben .
Man muss dazu sagen: Es gibt die technische Möglichkeit des Umsetzens, so die Experten . Da es sie gibt und
ich großes Vertrauen in die Fähigkeiten der deutschen
Technologie habe, gehen wir jetzt diesen Weg . Das ist
aber auch der Tatsache geschuldet, dass sich die Tabakindustrie uneins war und uns die Möglichkeiten genommen
hat, überhaupt gesetzgeberisch tätig zu werden . Das ist
nämlich die Wahrheit dahinter: Die Umsetzungsfrist ist
an der Tabakindustrie selbst gescheitert .
({4})
Wenn wir uns jetzt mit der Zukunft auseinandersetzen,
werden wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, was
wir in Zukunft noch machen wollen. Wir befinden uns
jetzt beim ersten Gesetzentwurf . Ein zweiter wird folgen,
der sich mit der Werbung und den Zusatzstoffen beschäftigen wird . Wir werden die Zusatzstoffe sehr kritisch beobachten müssen, die dem Raucher etwas suggerieren,
was das reale Produkt überhaupt nicht bringt . Das beste Beispiel ist Menthol . Wir kennen Menthol als etwas
eigentlich Gesundheitsförderndes . Beim Inhalieren des
Zigarettendampfes wird suggeriert: Wir nehmen etwas
zu uns, das gesundheitsfördernd ist . Das glauben wir; in
Wahrheit ist es aber gesundheitsschädlich .
({5})
- Herr Kauder, das weiß ich, und das wissen Sie . Helmut
Schmidt hat es bestimmt auch gewusst . Es hat ihn schlicht
und ergreifend nicht interessiert . Damit kommen wir an
die Stelle, wo der einzelne Mensch die Möglichkeit haben muss, selbst zu entscheiden .
({6})
- Herr Kauder, wir als Gesetzgeber sollten aber dafür
Sorge tragen, die Menschen davor zu schützen, etwas zu
tun, was sie vielleicht selber gar nicht wollen .
({7})
- Danke für die Zustimmung .
Wir werden also die charakteristischen Aromen, die
schädlich sind, vom Markt nehmen . Und wir werden uns
mit den Zusatzstoffen Vitamine, Koffein und Taurin beschäftigen und sie vermutlich auch per Gesetzeskraft verbieten . Und das ist auch gut und richtig so .
Wie sieht die Zukunft aus? Wir werden uns mit dem
Werbeverbot auseinandersetzen müssen . Die Anhörung
hat sehr deutlich ergeben, dass das Bedürfnis nach Konsum in jungen Jahren entsteht . Wir werden alles daransetzen müssen, Kollege Tempel, um das Konsumverhalten von vornherein so zu steuern, dass junge Menschen
nicht auf die Idee kommen, etwas zu konsumieren, das
für ihren Lebensweg schädlich ist . Das ist die Aufgabe
des Gesetzgebers .
({8})
Deswegen werden wir uns intensivst bemühen, ein
durchgängiges Werbeverbot zu erlassen, um junge Menschen davon abzuhalten, etwas zu tun, was für sie nicht
gut und richtig ist .
Man könnte natürlich der Zigarettenindustrie auch anbieten, eine Werbung mit einem Plakat zu machen, das
zu 65 Prozent Warnhinweise enthält . Ob ihr das so gefällt, weiß ich nicht . Ich würde eher vermuten, dass das
nicht der Fall sein wird . Es wird aber im nächsten Schritt
unsere Aufgabe sein, bei der Außenwerbung - bei der
Werbung insgesamt - ein großes Augenmerk darauf zu
richten, etwas klarzustellen .
Deutschland ist das einzige EU-Land, das noch Außenwerbung erlaubt; denn in Bulgarien ist sie mittlerweile auch nicht mehr erlaubt . Ich glaube, wir sollten uns da
der Weisheit der europäischen Staaten anschließen und
Außenwerbung auch in Deutschland untersagen .
({9})
- Herr Kauder, zu Ihrer Linken hat man vernünftigerweise auch geklatscht .
({10})
- Das ist nett von Ihnen, Herr Kauder . Dafür bin ich Ihnen dankbar .
({11})
Ich möchte meine Ausführungen damit beenden, mich
noch einmal ausdrücklich beim Minister für die gute Zusammenarbeit zu bedanken . Ich glaube, wir haben im
Rahmen des Möglichen das getan, was wir tun konnten,
um hier heute einen ausgesprochen schwierigen Gesetzentwurf einvernehmlich zu verabschieden .
Herzlichen Dank .
({12})
Vielen Dank . - Der Kollege Frank Tempel hat jetzt für
eine Kurzintervention um das Wort gebeten . Bitte schön .
Sie haben jetzt zum Schluss beim Thema Jugendschutz noch einmal kurz Werbeverbote angesprochen .
Da werden Sie mich voll an Ihrer Seite haben . Den Jugendlichen nicht mehr zu suggerieren, dass etwas cool
ist, ist durchaus ein sehr wirksames präventives Mittel .
Zum Thema Werbeblock muss ich aber noch ein paar
Worte sagen: Etwas zu schadensärmeren bzw . schadensminimierenden Lebensweisen zu sagen, ist noch lange
keine Werbung . Vielleicht wissen Sie, dass englische Gesundheitsbehörden gerade gezielt darauf setzen, starke
Raucher zum Umstieg auf die E-Zigarette zu bewegen .
Auch da gibt es keinen Lobbyismus für die E-Zigarette .
Vielmehr ist es durchaus ein erwiesener Fakt, dass das
auch bei der E-Zigarette erwiesenermaßen vorhandene
Risiko nicht so hoch ist wie beim Konsum einer normalen Zigarette und dass man die Zahlen bei vielen Erkrankungen und den Herzinfarkten sowie die Sterberisiken
durchaus minimieren kann, wenn man auf diesem Gebiet
etwas unternimmt .
Dass ich regelmäßig sage: „Leute, geht Sport treiben“,
ist keine Werbung für eine Fitnesskette, sondern die Aufforderung, auf eine andere Lebensweise umzusteigen
und sich zu überlegen, ob man nicht wenigstens in Teilen
etwas ändern kann, wenn man schon nicht komplett gesund leben will .
({0})
Möchten Sie darauf antworten, Herr Spiering? Sie
müssen nicht . - Danke .
Jetzt hat der Kollege Dr . Harald Terpe, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist wieder einmal eine verpasste Chance, einen
umfassenden Verbraucherschutz durchzusetzen . Herr
Spiering, es ist eben nicht das Beste, was man mit einem
Gesetzentwurf zu diesem Thema machen konnte .
Deutschland geht in der Tabakpolitik nach wie vor
einen Sonderweg - und das eigentlich schon seit vielen
Jahren; darauf haben auch Sie hingewiesen . Es war für
die anderen europäischen Länder gar nicht so wichtig,
dass in der Richtlinie etwas zum Verbot von Tabakwerbung gesagt wird, weil es dieses Verbot in anderen Ländern schon gibt .
Aber für uns ist das ein Problem .
({0})
Statt die Prävention durch ein komplettes Werbeverbot
für Tabakprodukte zu stärken, sind Ihnen die wirtschaftspolitischen Interessen der Tabak- und der Werbeindustrie
wichtiger als der Gesundheitsschutz der Verbraucherinnen und Verbraucher . Ich frage mich tatsächlich - die
Zahlen wurden ja genannt -, wieso über 100 000 Tote
pro Jahr - hinzu kommen noch Millionen von Erkrankten
infolge des Tabakrauchens - nicht Grund genug sind, auf
jegliche Tabakwerbung zu verzichten .
({1})
Wie sieht denn der Alltag in Deutschland aus? Die
Großflächenplakate und die Kinowerbung sind schon anRainer Spiering
gesprochen worden . In Berlin werden vor Hochschulen
kostenlos Zigaretten abgegeben, und dies wird auch noch
mit der kostenlosen Abgabe anderer Produkte, zum Beispiel Croissants, verbunden, damit es die Jugend sozusagen triggert, zu rauchen .
({2})
Wir waren bei der Frage, wie Werbung auf Jugendliche wirkt . Sie können jetzt sagen: Wir haben doch im
Jugendschutzgesetz die Tabakwerbung vor 18 Uhr verboten . - Die jungen Menschen gehen aber auch abends
ins Kino, sie sind an den Universitäten und nehmen
Großflächenplakate wahr. Deswegen: Sie werden dort
manipuliert und zum Rauchen animiert, und ich denke,
damit muss Schluss sein .
({3})
- Natürlich . Das ist nicht Quatsch .
({4})
Seit hundert Jahren wissen die Psychologen, dass
Werbung eine Wirkung im Gehirn erzeugt und die freie
Selbstbestimmung untergräbt . Das ist nicht bei den Älteren, die meistens im Korsett ihrer Haltungen gefangen
sind, sondern bei den Jüngeren ein Problem . Genau dort
setzt die Tabakwerbung an, und sie gehört verboten .
({5})
Während beim Tabakrauchen also wesentliche Präventionsschritte unterbleiben, werden bei der Regulierung
der E-Zigaretten starke Geschütze aufgefahren . Damit
Sie mich jetzt nicht falsch verstehen: Bei den technischen
Geräten muss es Verbraucherschutz und Sicherheit geben . Der Nikotingehalt muss reguliert werden, indem ein
Grenzwert gesetzt wird, wie dies die EU ja auch vorgibt,
weil Nikotin ein starkes Gift ist und eine Überdosis Nikotin akut zum Tode führen kann . Es besteht also kein
Zweifel daran, dass das richtig ist, und das hat die EU ja
auch vorgegeben .
({6})
Es wird formuliert, dass in den Liquids nur Stoffe verwendet werden sollen, die mit Sicherheit nicht gesundheitsschädlich sind .
({7})
- Das sind ungefähr alle . Ich bin Mediziner, und, ja, die
Dosis macht das Gift .
({8})
Das ist eine Überregulierung, die auch zulasten der Verbraucher gehen kann, weil man mit diesem faktischen
Verbot Verbraucher sozusagen in die Illegalität abdrängt,
und wir wissen, was das auch für einen wirksamen Verbraucherschutz bedeutet .
({9})
Ich will das jetzt nicht im Einzelnen weiter ausführen,
aber letztendlich muss man hier noch einmal ansetzen
und überlegen, ob das wirklich die richtige Maßnahme
ist oder ob man damit nicht auch wirksamen Verbraucherschutz und Prävention untergräbt oder konterkariert .
Also: Mit dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf
verpassen Sie die Chance einer größtmöglichen Prävention und konterkarieren diese . Deswegen können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen .
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .
({10})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion ist die Kollegin Kordula Kovac .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe vor
ein paar Wochen hier gestanden, als ich zum Tierschutz
geredet habe, und habe mich sehr darüber gefreut, dass
mein Fraktionsvorsitzender als Einziger von allen Fraktionsvorsitzenden hier war - genauso wie am heutigen
Donnerstagmorgen, an dem es um wichtige Themen in
diesem Land und um unseren Ausschuss geht . Danke,
Fraktionsvorsitzender, dass Sie da sind .
({0})
- Genau .
({1})
- Aber kein Vorsitzender .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt zum Thema .
„Die Menschen werden immer rauchen“, hat unser verstorbener Altkanzler Helmut Schmidt gesagt . Er wird
damit recht behalten . Auch nach Verabschiedung des
Tabakerzeugnisgesetzes werden die Menschen weiter
rauchen . Die Entscheidung, mit dem Rauchen anzufangen oder aufzuhören, ist jedem selbst überlassen . Diese
Entscheidungsfreiheit wird auch von niemandem infrage
gestellt . Aber diese Entscheidungsfreiheit steht in Abwägung zu Gründen des Allgemeinwohls, im Besonderen zum gesundheitspolitischen Verbraucherschutz . Der
Schutz der Volksgesundheit ist nicht nur ein wichtiges
Gut, sondern Verfassungsauftrag . Es steht unumstritten
fest: Rauchen gefährdet die Gesundheit! 120 000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Rauchens . Auch
das Dampfen, das Rauchen von elektronischen Zigaretten und elektronischen Wasserpfeifen, gefährdet die Gesundheit .
Es mag sein, dass E-Zigaretten Hilfe beim Ausstieg
aus dem Rauchen sein können . Es stimmt aber ebenso,
dass diese Zigaretten, insbesondere wenn sie nach Schokolade oder anderen Aromen schmecken, den Einstieg
ins Rauchen erleichtern . Durch elektronische Zigaretten
wird suggeriert, dass es eine gesunde Variante des Rauchens gibt . Das ist schlichtweg nicht richtig . E-Zigaretten
sind vielleicht weniger schädlich als herkömmliche Zigaretten . Sie sind aber in keinem Fall gesund, Herr Kollege .
({2})
Aus diesem Grund begrüße ich es außerordentlich,
dass mit dem Tabakerzeugnisgesetz erstmalig auch Regeln hinsichtlich von nikotinhaltigen E-Zigaretten und
E-Wasserpfeifen erlassen werden . Hiermit wird eine Gesetzeslücke geschlossen . E-Zigaretten und E-Wasserpfeifen liegen bei jungen Menschen im Trend . 11,3 Prozent
der 12- bis 17-Jährigen haben schon eine E-Zigarette
oder E-Shisha probiert,
({3})
ohne jemals eine Tabakzigarette geraucht zu haben . Wir
haben daher im Januar dieses Jahres ein Verbot der Abgabe von elektronischen Zigaretten und Wasserpfeifen an
Kinder und Jugendliche und des Konsums für Kinder und
Jugendliche im Bundestag beschlossen . Der Bundesgerichtshof hat am 8 . Februar dieses Jahres E-Liquids, die
auf Rohtabak basieren, als Tabakerzeugnis klassifiziert.
Dadurch ist bis zur Verabschiedung des vorliegenden
Gesetzentwurfes, des Tabakerzeugnisgesetzes, ein faktisches Verkaufsverbot von E-Zigaretten ausgesprochen
worden . Der Branche entstehen dadurch Millionenverluste . Umso wichtiger ist es, dass wir dieses Gesetz nun
zügig verabschieden, um Rechtssicherheit zu schaffen .
({4})
Im April 2014 hat die EU die sogenannte Tabakproduktrichtlinie erlassen . In der Richtlinie wird eine
Ausweitung von Text- und Bildwarnhinweisen vorgeschrieben, den Warnhinweisen mit den sogenannten
Schockbildern . Darüber hinaus werden wir Regeln zu
Zusatzstoffen erlassen . Charakteristische Aromastoffe
wie Menthol ebenso wie Tabak oder Nikotin in Filter, Papier oder Kapseln sind zukünftig verboten . Deutschland
ist verpflichtet, diese Richtlinie bis zum 20. Mai 2016 in
nationales Recht umzusetzen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, anders als bei anderen Richtlinien fallen Umsetzungsfrist und die Frist zur
Produktionsumstellung zusammen . Eine Nachfrage der
Bundesregierung ergab, dass bereits 2015 feststand, dass
es aus europäischer Sicht keinen Spielraum gibt, diesen
Konstruktionsfehler der Richtlinie nachträglich zu beheben: weder für Deutschland oder für Polen noch für Rumänien oder andere Länder . Da die genauen Details zur
technischen Umstellung in der Produktion durch die EU
allerdings erst im November 2015 vorlagen und einige
erst in der letzten Woche, stellt dieser Sachverhalt vor
allem kleine und mittelständische Unternehmen vor Herausforderungen . Die Anhörung von Sachverständigen
hat noch einmal deutlich gemacht, dass die notwendige
Produktionsumstellung kostenintensiv ist und nicht unbedingt am fehlenden Willen, sondern auch an den zu
wenigen zur Verfügung stehenden Maschinen scheitern
könnte .
Trotzdem: Eine Verlängerung der Frist würde mehr
Nachteile als Vorteile mit sich bringen .
({5})
Eine Fristverlängerung würde einen EU-Vertragsbruch
hinsichtlich der Umsetzung von Richtlinien bedeuten,
mit der Gefahr, dass ein Vertragsverletzungsverfahren
gegen Deutschland eingeleitet würde .
Außerdem würde dadurch das faktische Verkaufsverbot von E-Zigaretten ebenfalls verlängert und dringend
benötigte Rechtssicherheit nicht geschaffen werden . Und
nicht zu vergessen - das wurde heute Morgen schon
deutlich gesagt -: Auch aus Verbraucherschutzgründen
erscheint eine Fristverlängerung nicht zielführend . Sollte
die Tabakproduktrichtlinie nicht, wie geplant, zum Stichtag in Kraft treten, bleiben Produkte, auf deren Schachtel
keine Schockbilder zu sehen sind, länger im Umlauf . Regeln zu Inhaltsstoffen ebenso wie zu den bislang unregulierten E-Zigaretten werden weiter aufgeschoben . Das
ist nicht in unserem Sinne und, ich denke, auch nicht im
Sinne der Opposition .
({6})
Meine Damen und Herren, es ist uns allen klar, dass
das Gesetz im Spannungsfeld zwischen gesundheitlichem Verbraucherschutz und dem Erhalt von Arbeitsplätzen und Industriestandorten in Deutschland steht .
({7})
Die Frage nach der Fristverlängerung ist zu einer Frage des Wettbewerbs geworden . Die Uneinigkeit der Tabakindustrie darf aber nicht dominierender Gegenstand
einer verbraucherschutzrechtlichen Regelung werden,
zumal die Verhältnismäßigkeit der Einflussnahme durch
die Tabakwirtschaft zu Recht infrage gestellt werden
kann . Mancher Auftritt, liebe Kolleginnen und Kollegen,
war reif für die heute-show . Sie wissen, was ich meine .
Vor diesem Hintergrund halten wir an der von der EU
vorgegebenen Frist fest . Diese schwierige Entscheidung
ist letztendlich eine Abwägung mit Augenmaß zwischen
wirtschaftlichen Interessen und dem Allgemeinwohl .
Vergessen Sie nicht: Die Frist nicht zu verlängern, bietet
auch für die Industrie Vorteile, nämlich dringend benötigte und umgehende Rechtssicherheit .
Durch das Wiederaufgreifen der Exportklausel in § 42
sind wir außerdem der Wirtschaft entgegengekommen,
indem wir die Ausfuhr von Produkten, die nicht den Vorgaben des Gesetzes entsprechen und zur Lieferung ins
Ausland bestimmt sind, trotzdem erlauben . Behauptungen, wonach wir durch das Gesetz die Wirtschaft zugunsten des Verbraucherschutzes einseitig und unzumutbar
belasten, sind somit nicht zutreffend .
Ich bitte Sie daher abschließend um Zustimmung zu
dem Gesetzentwurf, damit wir den uns durch die EU
gestellten Anforderungen nachkommen und unseren eigenen Ansprüchen an den gesundheitlichen Verbraucherschutz gerecht werden können .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Nicole Maisch,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die
Backen aufbläst, muss hinterher auch pfeifen . Das würde
ich mir beim Thema Rauchen von der Großen Koalition
wünschen .
({0})
Es ist noch kein Dreivierteljahr her, als Minister
Schmidt in der Bild-Zeitung großspurig ein komplettes
Werbeverbot für Zigaretten und Tabak angekündigt hat .
Er hat das begründet:
Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass
eine allgegenwärtige Werbung in der Öffentlichkeit
den Einstieg in das Rauchen aktiv fördert .
Recht hat der Mann . Aber was hat er daraus gelernt?
Nichts .
({1})
Wenn man es noch ein bisschen großspuriger haben
will, dann kann man die alten Zitate der Drogenbeauftragten Mortler nachlesen . Sie hat nämlich gesagt:
Wenn wir
- also die Große Koalition glaubhaft bleiben sollen, ist für mich ein Tabakwerbeverbot auf Plakaten überfällig .
Ein Jahr später hat sie noch einen draufgelegt:
Wir müssen alles tun, um die tödlichen Auswirkungen des Tabakkonsums zu begrenzen . . . . Tabakwerbung muss in Deutschland verboten werden .
„Alles tun“, „muss verboten werden“: Darunter macht
es die CSU nicht, und ein halbes Jahr später erinnert sich
niemand von Ihnen mehr daran . Das, meine Damen und
Herren, ist peinlich .
({2})
Wir brauchen endlich sinnvolle Maßnahmen zur Prävention und Werbebeschränkung als erwiesenermaßen
wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen . Das
wäre eine vernünftige drogenpolitische Forderung von
Ihnen gewesen . Ansonsten hört man von Ihnen eher die
Verteidigung der Prohibition, zum Beispiel bei Cannabis .
Aber hier wäre einmal eine sinnvolle Maßnahme zur Prävention möglich gewesen . Leider haben Sie sich dagegen
entschieden . Sie sind vor einer Lobby eingeknickt . Das
ist peinlich .
({3})
Wider besseres Wissen lassen Sie die Tabakindustrie
weiterhin ungehindert Kampagnen fahren, die ganz gezielt an Kinder und Jugendliche gerichtet sind . Nehmen
wir als Beispiel die „Maybe“-Kampagne für die Zigarettenmarke Marlboro: ein schnuckeliger junger Typ in zerrissenen Jeans mit seiner E-Gitarre und darunter „Maybe
never wrote a song“ oder „Maybe never feels free“ . Da
sind doch nicht wir erwachsenen Frauen und Männer
die Zielgruppe, sondern das ist ganz gezielt an die Jungen und Mädchen auf den Schulhöfen gerichtet: Wenn
du cool sein willst, wenn du frei und schön sein willst,
dann sind Nikotin und Teer die Stoffe, die du unbedingt
brauchst . - Das wird weitergehen . Das haben Sie mit diesem schlechten Gesetz öffentlich sanktioniert .
({4})
Sie sind damit europäisches Schlusslicht . Wir sind
das allerletzte Land in der EU - Bulgarien wurde vorhin als ähnlich schlecht dargestellt; selbst dort ist man
mittlerweile weiter -, wo man noch mehr oder weniger
ungehindert für Zigaretten werben darf. Ich finde es einfach peinlich, dass wir bei diesem wichtigen Thema noch
immer europäisches Schlusslicht sind .
({5})
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Lobby hat Ihnen die
Luft abgelassen . Das ist ein schlechtes Gesetz . Sie sind
deutlich unter den Möglichkeiten der Richtlinie geblieben . Deshalb kann man das nur ablehnen .
({6})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die
Kollegin Ursula Schulte .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen
und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben vor knapp einem Monat den Kinder- und Jugendschutz gestärkt . Wir haben nämlich beschlossen, dass Tabakwaren und elektronische Zigaretten
nicht mehr an Kinder und Jugendliche abgegeben werden
dürfen .
({0})
Wir haben sichergestellt, dass elektronische Zigaretten und E-Shishas auch über den Versandhandel nur an
Erwachsene abgegeben werden dürfen . Ich sage ganz
selbstbewusst: Das haben wir gut gemacht .
({1})
Denn Tabakprodukte, ob konventionell oder elektronisch, haben in Kinderhänden nichts zu suchen .
({2})
Ich bin froh, dass wir heute im Rahmen der Tabakproduktrichtlinie noch einmal über die E-Zigarette diskutieren . Der Verband des eZigarettenhandels hat, bezogen
auf diesen Umsetzungsprozess, selber noch einmal herausgestellt: Die aus der Tabakproduktrichtlinie abgeleiteten Regelungen des Gesetzentwurfes hinsichtlich E-Zigaretten sind umfassend und regeln alle wesentlichen
Aspekte des Produktes . - Der Verband führt weiter aus:
Damit erhält die derzeit unregulierte E-Zigarette einen
strikten regulatorischen Rahmen . - Ich hätte diese Feststellung nicht besser formulieren können .
({3})
Mit der Tabakproduktrichtlinie geben wir exakt einen regulatorischen Rahmen, der aber nicht verbietet - das ist
meiner Meinung nach entscheidend -, Konsum weiterhin
ermöglicht und den Menschen ihre persönliche Verantwortung lässt . Jeder Erwachsene kann nach wie vor selber entscheiden, ob er raucht und wie viel er raucht .
In der öffentlichen Anhörung vom 17 . Februar 2016
haben wir von den Fachexperten gehört, dass gerade
die bunten E-Zigaretten und die vielfältigen Aromen für
Kinder und Jugendliche besonders verführerisch sind .
Sie werden durch die süßen Aromen angefixt und zum
Probieren verleitet .
({4})
Genau daran hat die Industrie ein Interesse . Das kann
aber nicht in unserem Interesse liegen . Das müssen wir
doch verhindern . Die Vermarktung der E-Zigarette als
trendiges Lifestyleprodukt kommt gerade Kindern und
Jugendlichen entgegen . Die Werbung ist oft emotional,
appelliert an das Gemeinschaftsgefühl und unterstützt die
Risikobereitschaft dieser Zielgruppe . Deshalb müssen
wir ganz genau hinschauen, wo und wann wir Werbung
für E-Zigaretten und E-Shishas überhaupt noch zulassen .
({5})
- Dazu komme ich gleich . - Wir müssen auch hinterfragen, ob es im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes gerechtfertigt ist, Werbung im Kino nach einer bestimmten
Uhrzeit zu erlauben und Außenwerbung vor allem auch
bei großen Ereignissen zu gestatten . Herr Minister, da
können wir ruhig ein bisschen forscher nach vorne gehen . Im Übrigen wäre ich für ein komplettes Werbeverbot . Das ist aber meine persönliche Meinung .
({6})
Wir haben zu überlegen, ob es gerechtfertigt ist, dass
in Supermärkten und an Tankstellen E-Produkte teilweise im Bereich von Süßigkeiten platziert werden . Das
suggeriert doch Harmlosigkeit, unterstützt den Konsumwunsch und verführt zum Kauf . Das können und dürfen
wir nicht länger zulassen .
({7})
Im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes kann ich die
Forderung des Deutschen Krebsforschungszentrums
nach einem umfassenden Werbe-, Marketing- und Sponsoringverbot nicht nur für Tabakprodukte, sondern auch
für E-Zigaretten und E-Shishas nur unterstützen, gerade weil Werbung zum Rauchen animiert . Weil oft nicht
wahrnehmbar ist, ob für ein nikotinhaltiges oder ein nikotinfreies Produkt geworben wird, ist das meiner Meinung nach zwingend erforderlich .
Ich billige allen Erwachsenen zu, Herr Tempel, sich
auch für das Dampfen zu entscheiden . Bei Kindern und
Jugendlichen sehe ich das allerdings vollkommen anders .
Sie müssen geschützt werden, weil auch das Dampfen
bei ihnen gesundheitsgefährdend wirken kann und weil
sie die langfristigen Folgen des Raucheinstiegs und des
Rauchens nicht abschätzen können .
({8})
- Prima . - E-Zigaretten, meine Damen und Herren, mögen für Erwachsene weniger schädlich sein als Tabakzigaretten; harmlos sind sie allerdings nicht .
Ich möchte kurz auf einen Aspekt eingehen, der mir
in den letzten Wochen immer öfter begegnet ist . Die
Richtlinie spricht von Inhaltsstoffen „von hoher Reinheit“ . Diese Formulierung erhält vor dem Hintergrund,
dass viele Dampfer ihre Kartuschen selbst befüllen, eine
völlig neue Bedeutung . Dies, so das Bundesinstitut für
Risikobewertung, führt zu unbegrenzten Möglichkeiten . Wir müssen uns deshalb die Frage stellen, was ein
Dampfer im konkreten Fall tatsächlich inhaliert und wie
gesundheitsschädlich diese Mischungen eigentlich sind .
Deswegen ist die Erweiterung der Liste der verbotenen
Zusatzstoffe für mich mehr als folgerichtig .
Wir können und wollen nicht alles regeln . Das ist auch
nicht mein Ansatz . Wir müssen aber gerade in Bezug auf
den Kinder- und Jugendschutz präventiv handeln . Zu den
verhaltenspräventiven Maßnahmen gehören für uns die
Frage der Verfügbarkeit der Produkte, die Frage der Werbung, die Frage des Nichtraucherschutzes und die Frage
nach einer entsprechenden Preis- bzw . Steuerpolitik .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in
Deutschland, wenn wir die Tabakproduktrichtlinie umgesetzt und die nachfolgenden Gesetze verabschiedet haben, einen umfassenden Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den Gefahren des Rauchens in allen Facetten .
Jetzt ist es an der Zeit, sich danach der letzten verbliebenen legalen und gesellschaftlich am meisten akzeptierten Droge zu widmen . Ich meine damit den Alkohol . Ich
mache mir vor allem Sorgen um die Kinder, die in einem
Elternhaus aufwachsen, in dem die Eltern Alkoholiker
sind . Diese Kinder erleiden bedingt durch die häusliche
Situation, häufig unbeachtet von der Gesellschaft, körUrsula Schulte
perliche und seelische Schäden, um die wir uns dringend
zu kümmern haben .
({9})
Das weiß ich sehr genau, weil ich das in meiner Tätigkeit als Kommunalpolitikerin erfahren habe . Das ist
natürlich eine wunderbare Aufgabe für unsere Drogenbeauftragte, Frau Mortler . Aber ich hoffe, dass wir alle uns
in diesem Hause einig sind, dass in diesem Bereich noch
einiges zu tun ist .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({10})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Marlene Mortler,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Rauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in unserem Land und weltweit .
({0})
Es gibt noch schlimmere Zahlen . Es sind nicht mehr
110 000 Tote durch Tabakkonsum, sondern die aktuellen
Zahlen aus dem frisch erschienenen Tabakatlas besagen,
dass 2013 über 121 000 Menschen in unserem Land an
den Folgen des Rauchens starben . 3 000 Menschen sterben an den Folgen des Passivrauchens . Die Statistik besagt außerdem: Menschen, die regelmäßig rauchen, leben im Schnitt zehn Jahre kürzer .
Zählt man die direkten und die indirekten Kosten des
Rauchens für unsere Volkswirtschaft zusammen, kommt
man auf fast 80 Milliarden Euro . Meine Damen und Herren, diese für mich verrückte Zahl zeigt: Gesundheitlicher Verbraucherschutz, also die negativen Folgen des
Rauchens, wurden über Jahre und Jahrzehnte in unserem
Land ignoriert, verharmlost, ausgeblendet - auch von
mir . Auch ich war mal Raucherin . 2006 habe ich hier im
Bundestag für mich beschlossen: Marlene, du belügst
dich doch nur . Rauchen ist doch Betrug am Gehirn . Du
redest dir ein, das Rauchen baut Stress ab, und dir geht es
besser . - Das Gegenteil war der Fall . Heute, 2015 - ich
bin immer noch Nichtraucherin -,
({1})
kann ich sagen: Mir geht es seitdem wesentlich besser .
({2})
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema
Lobbyismus ist heute mehrfach angesprochen worden .
Ich meine: Der Lobbyismus gehört zu unserer Demokratie . Das ist ein ganz normaler Vorgang . Wäre es allerdings allein nach der Tabaklobby gegangen, wären wir
heute keinen Schritt weiter . Dieser Einsatz ging bis zum
letzten möglichen Tag, bis zur letzten möglichen Stunde .
Darum sage ich an der Stelle ein riesiges Dankeschön
allen, die standhaft geblieben sind .
Ich danke erstens Europa, das diese Tabakprodukte-Richtlinie auf den Weg gebracht hat, ich danke aber
vor allem unserem Bundeslandwirtschaftsminister, den
ich als Drogenbeauftragte der Bundesregierung immer
wieder bestärkt und zu dem ich gesagt habe: Christian,
lieber Minister, halte Linie . Deshalb - wen wundert es? begrüße ich als Drogenbeauftragte der Bundesregierung
diesen Gesetzentwurf außerordentlich .
Denn herausgekommen - auch das möchte ich gerne
festhalten - ist ein Gesetz, das eins zu eins die Richtlinie
umsetzt . Auch hierüber haben wir massiv debattiert, gestritten, diskutiert . Es ist auch ein Gesetz herausgekommen, das nicht nur die Interessen der Wirtschaft wahrt,
sondern vor allem den gesundheitlichen Verbraucherschutz stärkt .
({3})
Die vorgeschriebenen Bildwarnhinweise werden aus
meiner Sicht ihre Wirkung nicht verfehlen . Warum? Weil
wir seriöse Studien haben, unter anderem aus Australien,
die belegen, dass diese Bilder gerade junge Menschen
vom Rauchen abhalten nach dem Motto: Bilder sagen
mehr als tausend Worte . Das heißt, dass gerade Kinder
und Jugendliche sehr wohl auf Werbung, auf Bilder, auf
Produktgestaltung reagieren . Diese Bildwarnhinweise
helfen selbstverständlich auch denjenigen, die sich zum
Rauchstopp entschieden haben, dabei, nicht wieder anzufangen .
Jede Packung darf in Zukunft - auch das ist ein wichtiger Erfolg - nur dann in Verkehr gebracht werden,
wenn sie ein individuelles Erkennungsmerkmal trägt,
wenn sie außerdem ein fälschungssicheres Sicherheitsmerkmal aufweist . Das heißt, die Rückverfolgbarkeit
und die Echtheit von Tabakerzeugnissen werden dadurch
in Zukunft gewährleistet . Tabakprodukten dürfen also
keine Zusatzstoffe beigemischt werden, bei denen klar
und wissenschaftlich gesichert ist, dass sie die Gefahren
des Rauchens noch einmal steigern würden .
Ich komme zur Aussage von Kollegin Maisch . Liebe
Kollegin, Sie sind doch, sooft es geht, im Ausschuss . Darum habe ich nicht verstanden, warum Ihnen entgangen
ist, dass unser Minister sehr wohl das Tabakwerbeverbot
auf den Weg gebracht hat .
({4})
Nur, es liegt zur Notifizierung in Brüssel. Diese Zeit müssen wir dem Minister und diesem Gesetz zugestehen . Damit es klar ist: In Ihrer Regierungsverantwortung hatten
Sie jederzeit die Möglichkeit, das Tabakwerbeverbot einzuleiten . Minister Schmidt wird der erste Minister sein,
der das Gott sei Dank am Ende auf den Weg gebracht und
mit unserer Zustimmung umgesetzt hat .
({5})
Ich komme zum Schluss . Dieses Gesetz wird nicht unser Problem mit dem Rauchen und seinen Folgen gänzlich lösen, aber es wird das Leben einer Vielzahl junger
Menschen länger und besser machen . Deswegen ist es
ein gutes Gesetz . Als Drogenbeauftragte der Bundesregierung kündige ich hier an, dass ich im nächsten Monat,
im März, eine Kampagne - das ist kein Verbot - starten werde, die sich an Menschen richtet, die immer noch
nicht wissen, dass Rauchen in Anwesenheit von Kindern
im Auto schädlich ist . Auch dafür möchte ich sie sensibilisieren . Ich freue mich, wenn Sie nun alle unserem Gesetz zustimmen .
Herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Marcus Held .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Heute haben wir ein schwieriges Thema auf der
Tagesordnung, nämlich das Gesetz zur Umsetzung der
Richtlinie über Tabakerzeugnisse . Das Hauptziel wird
erreicht, nämlich den Jugendschutz für Tabakwaren auch
auf E-Zigaretten und E-Shishas auszudehnen, insbesondere wenn es um den Versandhandel geht . Das ist faktisch eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie, und
das ist auch gut so . Jugendschutz ist für uns alle ein wichtiges und hohes Gut, im Übrigen auch für die Dampfer
und die Raucher . Dies gilt auch in Bezug auf alle anderen
Genussmittel, zum Beispiel Alkohol . Leider bereitet uns
das Thema „Komasaufen bei Jugendlichen“ viel zu oft
Kopfzerbrechen .
({0})
Wenn wir heute aber auch §§ 13 und 14 dieses Gesetzes beschließen, dann entscheiden wir über künftige
Inhaltsstoffe sowie über die Beschaffenheit von E-Zigaretten und von Nachfüllbehältern; denn wir ermächtigen
das Landwirtschaftsministerium und das BMWi, entsprechende Rechtsverordnungen zu erlassen . Diese Rechtsverordnungen sollen das Ziel haben, dass die Inhaltsstoffe von E-Zigaretten eine hohe Reinheit haben und damit
kein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen .
Auch das ist ganz klar im Interesse der Konsumenten,
nämlich der Dampfer, und auch der Betreiber von Dampfer-Shops .
Was wir bei künftigen Regelungen, die in den nächsten Wochen und Monaten noch intensiv diskutiert werden
müssen, aber unbedingt zu beachten haben: Die E-Zigarette muss neben den herkömmlichen Zigaretten eine reale Chance haben . Genau das werden wir gemeinsam im
Auge behalten . Die E-Zigarette ist zwar ein Genussmittel, aber bietet den Rauchern häufig eine legale Chance,
die Nikotininhalation ohne Schadstoffe durchzuführen;
denn beim Rauchen beruht die Schädlichkeit auf der Inhalation des Rauches . Kohlenstoffdioxid, Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide, Benzol, Formaldehyd, Blausäure,
all diese Stoffe fallen beim Dampfen weg . Auch das Nikotin wird in deutlich geringeren Maßen konsumiert . Bei
E-Zigaretten geht man von 3,5 Nanogramm pro Einheit
aus, bei einer regulären Zigarette von 20 Nanogramm .
Auch das ist mittlerweile untersucht .
Wir als SPD sind für den Jugendschutz; wir sind aber
auch für die kleinen Leute . Gerade in den niedrigsten
sozialen Schichten unserer Gesellschaft ist die Raucherquote leider am höchsten . Deshalb ist es wichtig, dass zur
Attraktivierung des Umstiegs ein entsprechender finanzieller Vorteil gegeben ist, und das ist gegenwärtig der Fall .
Ich hatte in den letzten Monaten unzählige Bürgerinnen und Bürger in meinen Sprechstunden, Menschen, die
jahre- und jahrzehntelang geraucht haben und jetzt auf
das Dampfen umgestiegen sind . Sie erzählten mir von ihren Erfahrungen . Ein Koch berichtete mir, dass er plötzlich wieder Geschmack hat und Gewürze wahrnimmt .
Ein Rettungssanitäter berichtete mir, dass er bei seiner
anstrengenden Arbeit plötzlich wieder Luft bekommt .
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten viele weitere positive Mitteilungen zu hören bekommen .
Geben wir den Menschen gemeinsam eine Chance,
nicht mehr der Gefahr ausgesetzt zu sein, irgendwann
am Tabakrauch zu sterben . Geben wir den Menschen
das Werkzeug an die Hand, erstmals in der Geschichte
der Tabakprävention, schmerzfrei aus dem Tabakkonsum auszusteigen, gerne auch mit Fruchtaromen als Geschmackszugabe, deren Schädlichkeit zwar behauptet
wird, bisher aber immer noch nicht nachgewiesen ist .
Wir werden uns in der weiteren Diskussion dafür einsetzen, dass das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet
wird, sondern erst dann schärfere Regelungen beschlossen werden, wenn es tatsächlich klare Hinweise darauf
gibt, dass das Dampfen oder die Zugabe von bestimmten
Liquids schädlich ist .
Herzlichen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Carola Stauche, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland gibt es Millionen
Raucherinnen und Raucher . Ich gebe zu: Auch ich gehöre
zu ihnen . Ich genieße es, zu rauchen und immer wieder
festzustellen, dass man in Raucherecken sehr gut Kommunikation betreiben kann, mit anderen Menschen ins
Gespräch kommt . Gleichzeitig möchte ich klarstellen:
Ich weiß, welche Gesundheitsgefahren vom Rauchen
ausgehen, besonders für Kinder und Jugendliche . Ich will
hier nicht dem Rauchen das Wort reden; aber wir sollten
anerkennen, dass Tabak zu den Genussmitteln gehört, die
in Deutschland geschätzt, genutzt und erlaubt sind .
({0})
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass viele der heutigen Konflikte zum Rauchen nicht neu sind, sondern immer wieder auftreten . Wie allgemein bekannt ist, stammt
die Tabakpflanze vom amerikanischen Kontinent; vielleicht hätten wir den nicht entdecken sollen .
({1})
Schon lange vor der Ankunft der Europäer am Ende des
15 . Jahrhunderts wurde Tabak auf verschiedenen Wegen
konsumiert, und nach 1492 verbreitete er sich schnell im
Rest der Welt . Es gab immer wieder Versuche, den als
schädlich empfundenen Tabakgenuss zu unterbinden:
massive Tabaksteuererhöhungen, Verbot des Rauchens
mit Androhung von drastischen Strafen, Warnungen vor
Verwahrlosung . Auch religiöse Begründungen gab es .
Doch alle Versuche, das Rauchen zu verbieten, scheiterten .
Es existiert ein berühmtes Zitat von Goethe zum Thema Rauchen . Er sagte:
Das Rauchen macht dumm, es macht unfähig zum
Denken und Dichten . Es ist auch nur für Müßiggänger, für Menschen, die Langeweile haben .
({2})
Er war ein erklärter Gegner des Rauchens . Niemand
durfte in seiner Nähe dieser Leidenschaft nachgehen bis auf eine Ausnahme: Seinem guten Freund Schiller gestattete er das Rauchen in seiner Umgebung, wenn er ihn
auch für den Tabakgenuss kritisierte . Und Schiller war,
wie wir alle wissen, ein ebenso bedeutender Künstler
wie Goethe . Keinesfalls war er unfähig zum Denken und
Dichten oder ein gelangweilter Müßiggänger, sondern
er gilt bis heute zu Recht als einer der größten Dichter
Deutschlands .
({3})
Was lernen wir daraus? Seit der Einführung des Tabakrauchens gibt es eine Debatte über das Für und Wider . Es gibt Versuche, das Rauchen einzuschränken, es
stärker zu besteuern oder ganz zu verbieten . Auch abseits
von staatlichen Regulierungen stritten und streiten Befürworter und Gegner des Rauchens bis heute . Mir ist
natürlich bewusst, dass zwischen Tabakkonsum damals
und heute Unterschiede bestehen, gerade auch in puncto
Herstellungsverfahren und Verfügbarkeit . Die wesentlichen Konfliktpunkte sind jedoch die gleichen. Es ist
ein Problem, das sich wohl auf Dauer nicht lösen lässt,
auch nicht mit dem heute hier zu behandelnden Gesetzentwurf oder mit zukünftigen Gesetzen . Die Aufgabe des
Staates muss es aber sein, Gesundheit und Aufklärung
zu fördern, ohne unnötig in die Freiheitsrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern und auch der Wirtschaft
einzugreifen .
Gerade der Jugendschutz ist uns sehr wichtig . Deshalb
haben wir bereits in der zurückliegenden Sitzungswoche
E-Zigaretten für Kinder und Jugendliche verboten . Aber
wir müssen uns fragen: Wenn sich Erwachsene aus freien
Stücken für das Rauchen entscheiden, sind wir es dann,
die sie daran hindern wollen? Wir können und dürfen
den Bürgerinnen und Bürgern nicht alles vorschreiben .
Aufklärung und Jugendschutz sind wichtig . Der mündige
Verbraucher aber ist uns ebenso wichtig .
Ich freue mich, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine sinnvolle Umsetzung der EU-Tabakproduktrichtlinie erreicht haben . Es war ein langes und hartes Ringen, um das umzusetzen, was die EU vorschreibt .
Allerdings muss ich Kritik an der EU üben: Bestimmte
konkrete Informationen zur Umsetzung wurden uns erst
sehr spät bekannt gegeben . So konnten wir das Gesetz
nicht früher endgültig behandeln . In der Konsequenz
bleibt den Tabakherstellern nur eine sehr kurze Frist zur
Umsetzung der neuen Regelungen . Das ist ein Punkt, wo
vonseiten der EU gewisse Härten gerade für die mittelständischen Zigarettenhersteller hätten vermieden werden können .
Doch insgesamt können wir festhalten: Nach langem
Arbeiten an diesem Thema sind wir nun zu einer Umsetzung gelangt . Das ist gut und wichtig . Wir haben eins
zu eins umgesetzt, was uns die EU-Richtlinie vorgibt .
Ich danke ausdrücklich Herrn Bundesminister Christian
Schmidt und seinem Haus für den Entwurf, den wir heute
beschließen werden . Ich denke, wir haben hier einen tragfähigen Kompromiss gefunden zwischen Jugendschutz
und Gesundheitsschutz einerseits und der Wahlfreiheit
der Verbraucherinnen und Verbraucher andererseits . Ich
danke Ihnen recht herzlich und bitte, dem Gesetzentwurf
zuzustimmen .
Danke .
({4})
Vielen Dank . - Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und
verwandte Erzeugnisse . Zu dieser Abstimmung liegt eine
persönliche Erklärung gemäß § 31 Absatz 1 unserer Ge-
schäftsordnung vor .1)
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/7696, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/7218 und 18/7452 anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Mit
Nein haben die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Herr Koschyk gestimmt .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
1) Anlage 13
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Volker Beck ({0}), Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Integration ist gelebte Demokratie und stärkt
den sozialen Zusammenhalt
Drucksache 18/7651
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Dagegen gibt
es keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . Vielleicht
können die Raucher oder Antiraucher ihre Gespräche
draußen fortsetzen . Das gilt auch für Herrn Minister
Schmidt . - Jetzt will er schon zu den Grünen . Gut, ein
Fraktionswechsel heute .
({2})
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Volker Beck,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Ein herzliches Willkommen, Herr Minister, in unserer Fraktion . Sie laufen ja Gefahr, dass Ihr Parteivorsitzender irgendwann einmal alle Minister Ihrer Partei aus
der Bundesregierung abruft, weil diese Bundesregierung
angeblich Unrecht produziert . Deshalb: Wenn Sie Asyl
brauchen, ist bei uns immer noch ein Stühlchen für Sie
frei .
({0})
Wir haben heute Vormittag viel über Flüchtlinge, über
das Asylpaket II und über das neue Ausweisungsrecht
geredet . Das Thema Integrationspolitik, die große Herausforderung in diesem Jahr und in den nächsten Jahren,
spielte dabei faktisch keine Rolle . Nur in zwei Aspekten
hat Ihr Asylpaket auch integrationspolitische Relevanz .
Der eine Aspekt ist der Familiennachzug . Es ist einfach
integrationsfeindlich und verfassungsrechtlich mehr als
problematisch, wenn Familien nicht zusammenleben
können; denn die Familie ist ein wichtiger Kristallisationspunkt und eine Stütze beim Integrationsprozess .
({1})
Der zweite Aspekt ist die Vereinbarung der Parteivorsitzenden . Sie haben im Asylbewerberleistungsgesetz für
einzeln lebende Menschen die Leistungen um 8 Euro gekürzt zur Finanzierung der Integrationskurse, allerdings
unabhängig davon, ob der Asylbewerber tatsächlich einen Integrationskurs besuchen kann . Das ist so, als würde man Fahrradfahrer die Lkw-Maut zum Bau von Autobahnen bezahlen lassen . Das ist absurd . Das ist ein Stück
aus dem Tollhaus .
({2})
Die Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, ist, die Hunderttausend Menschen, die zu uns kommen, zu integrieren . Dabei müssen wir beachten, dass diese Menschen
ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen . Sie
kommen aus einem Bürgerkrieg . Viele von ihnen, die
jungen Leute, haben Jahre des Schulbesuchs durch den
Bürgerkrieg verloren, weil Schulen einfach nicht vorhanden waren, weil die Menschen auf der Flucht waren .
Es kommen qualifizierte Menschen zu uns; es kommen
Menschen, die keinen Berufsabschluss, keine Schulbildung haben . Darauf müssen wir jetzt mit Integrationsprogrammen entsprechend reagieren . Deshalb ist es gut,
dass viele Länder angefangen haben, die Schülerinnen
und Schüler mit Willkommens- und Vorbereitungsklassen auf die Schule vorzubereiten und sie entsprechend
zu integrieren .
({3})
Es gibt auch beispielhafte Programme, wie an der Fachhochschule in Magdeburg, die dafür sorgen, dass Studentinnen und Studenten die Möglichkeit haben, ein Studium an der Universität zu absolvieren . Dies wird durch
entsprechende Deutschkurse und Vorbereitungsklassen
auf den Weg gebracht .
Dafür brauchen wir aber die Flexibilität der Leistungsträger, und hier gibt es erhebliche rechtliche Unsicherheiten . Es wäre die Aufgabe von Frau Wanka, dafür
zu sorgen, dass nicht wegen des Vermittlungszwangs am
Ende Menschen vom Studium und von den vorbereitenden Deutschkursen abgehalten werden . Wir brauchen
diese jungen Menschen als Akademiker zur Gestaltung
der Zukunft unseres Landes .
({4})
Wir brauchen auch mehr Flexibilität, damit Menschen im
Erwachsenenalter Hauptschul- und Sekundarabschlüsse
nachholen können . Das ist gut für die Flüchtlinge, und
das ist auch gut für viele Inländerinnen und Inländer mit
gescheiterten Bildungsbiografien. Jeder hat eine weitere
Chance im Bildungssystem verdient . Das brauchen wir
für die Flüchtlinge und die Integration im Land .
({5})
Sprache ist der Schlüssel für gelungene Integration .
2004 haben wir Grüne das mit den Integrationskursen
im Zuwanderungsgesetz als Prinzip verankert . Danach
kann jeder zu Integrationskursen verpflichtet werden.
Wer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, kann auch
entsprechend sanktioniert werden . Deshalb sind die DeVizepräsidentin Ulla Schmidt
batten von Frau Klöckner mit ihren Integrationspflichten
und von Herrn Wolf mit seinem Integrationsführerschein
völlig überflüssig und nutzlos.
({6})
Das Problem ist nicht, dass die Menschen nicht integriert
werden wollen . Wir müssen ihnen vielmehr Angebote
machen .
Ich bin erstaunt über Herrn Seehofer und seine CSU .
In diesem Jahr wurde in Wildbad Kreuth erneut die Forderung erhoben, die Integrationspflicht, die Unterordnung unter unsere Werte, müsse in die bayerische Verfassung geschrieben werden .
({7})
Diese Debatte hatten wir schon 2011 . Dann wurde sie beendet, weil Ihnen Juristen gesagt haben, dass das weiße
Salbe ist und alles großer Unfug .
({8})
Ihr Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung hat damals gesagt: Es ist schön, dass es eine stille
Beerdigung ohne Blumen und Kränze gibt .
({9})
Die Aufnahme der Integrationspflicht in die Verfassung
ist nicht ein Lazarus, den Herr Seehofer einfach wiederbeleben kann, sondern ein mausetotes Projekt .
({10})
Lassen Sie das einfach stecken, und lassen Sie uns daran
arbeiten, echte Integrationsinitiativen voranzubringen .
({11})
Sie denken bitte an die Redezeit, Herr Beck .
Ja, ich komme zum Schluss . - Was jetzt wirklich ansteht, ist, dass wir allen, die Deutsch lernen wollen, ein
Angebot machen . Sie haben sich letztes Jahr dafür gefeiert, dass Asylbewerber aus Syrien, Iran, Irak und Eritrea
Zugang zu Integrationskursen bekommen . Ich habe die
Bundesregierung im Januar gefragt: Wie viele haben ein
solches Angebot bekommen? 15 000, immerhin . Aber
das BAMF hat im Februar bekannt gegeben, dass 60 000
einen Antrag gestellt haben . Das heißt: Überhaupt nur jeder Vierte aus den privilegierten Ländern bekommt die
Chance zu einem Integrationskurs . Asylbewerber aus anderen Ländern haben überhaupt keinen Zugang . - Wir
müssen daran arbeiten, dass jeder einen Platz bekommt
und schnell und frühzeitig integriert wird, statt in den
Feuilletons der Zeitungen Ersatzdebatten über Integrationspflichten und den Integrationsführerschein zu führen.
So wird ein Schuh daraus .
({0})
So kann Deutschland aus der Aufgabe, vor der wir stehen,
eine Chance für die Zukunft unseres Landes machen .
({1})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Barbara
Woltmann, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Man merkt es an der Rede meines Vorredners
und an der Diskussion heute Morgen zu unserem Gesetzespaket: Kaum ein Thema beschäftigt uns so sehr wie
die Flüchtlingskrise, insbesondere angesichts der Zahl
von rund 1 Million Flüchtlingen, die im letzten Jahr zu
uns gekommen sind .
In einem Punkt gebe ich Ihnen recht - hier stimme ich
Ihrem Antrag zu -: Die Integration ist eine der großen
Aufgaben, vor denen wir stehen . Ich sehe dies durchaus
als Pflichtaufgabe aller staatlichen Ebenen, aber auch der
Zivilgesellschaft an . Die Integrationsbemühungen müssen sich auf diejenigen konzentrieren, die eine Bleibeperspektive haben . Dabei ist für uns klar: Integration ist
keine Einbahnstraße . Sie kann nur gelingen, wenn auch
die Flüchtlinge selbst aktiv mitwirken . Hier gilt für uns
der Leitsatz: Fördern und Fordern!
Die Grundlage für ein Zusammenleben und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stellt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung dar . Unsere Werte
müssen geachtet, aber auch gelebt werden: die Achtung
der Würde aller Menschen, die Gleichberechtigung von
Mann und Frau, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit . Damit Integration
gelingen kann, fordern wir als CDU/CSU-Fraktion den
Abschluss verbindlicher Integrationsvereinbarungen, geregelt über ein Integrationspflichtgesetz. Wir brauchen
eine Verbindlichkeit, die Rechte und Pflichten beider
Seiten festlegt . Uns ist dabei sehr wichtig, dass der Integrationsprozess - ich sagte es schon - von den Flüchtlingen selbst aktiv mit angegangen wird . Wir müssen über
spürbare Konsequenzen für diejenigen nachdenken, die
sich dem verweigern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
sprechen in Ihrem Antrag von der Notwendigkeit zügiger, qualifizierter Asylverfahren. Dann wundere ich mich
schon, dass Sie heute Morgen dem Asylpaket II nicht zugestimmt haben . Denn damit haben wir eine Beschleunigung beschlossen . Es ist auch im Sinne der Flüchtlinge,
die zu uns kommen, dass schnell eine Entscheidung getroffen wird .
({0})
Die Zuwanderung nach Deutschland stellt insbesondere die Kommunen im gesamten Bundesgebiet vor erhebliche Herausforderungen; denn die Kommunen sind
schließlich diejenigen, die die Menschen unterbringen
und auch integrieren müssen .
({1})
Ich halte es für besonders wichtig, dass die Asylbewerber, die Flüchtlinge sehr schnell aus den zentralen Sammelunterkünften herauskommen und am besten dezentral untergebracht werden . Auch das ist ein richtiger und
wichtiger Schritt in Richtung Integration .
Um all das umsetzen zu können, hat der Bund schon
vieles auf den Weg gebracht . Wenn man Ihren Antrag
liest, hat man manchmal das Gefühl, Sie glaubten, dass
noch gar nichts gemacht worden ist . Dass man immer noch mehr machen kann und wahrscheinlich auch
muss, das stellt gar keiner in Abrede . Meine Kollegin
Eckenbach hat heute Morgen schon darauf hingewiesen,
dass wir darüber nachdenken müssen, ob man die Aufgaben vielleicht besser konzentrieren kann, damit sie nicht
in so vielen verschiedenen Ministerien angesiedelt sind .
Solche Punkte sollten wir im Laufe der nächsten Zeit diskutieren .
Ich möchte einige Beispiele nennen für das, was wir
schon alles auf den Weg gebracht haben: Insbesondere
haben wir für die Durchführung von Integrationskursen
Geld in den Haushalt eingestellt, nämlich etwa eine halbe Milliarde Euro . Im Haushalt des Ressorts „Arbeit und
Soziales“ stehen fast 2 Milliarden Euro bereit, um Aufgaben mit Flüchtlingsbezug durchführen zu können . Dazu
gehören die berufsbezogene Sprachförderung und auch
die Eingliederung in Arbeit .
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
unterstützt die Kommunen mit einer neuen Förderrichtlinie zur kommunalen Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte . Alle Kreise und kreisfreien
Städte können sich um die Finanzierung der Stellen von
bis zu drei kommunalen Koordinatoren bewerben . Damit
können sie die Verwaltungen vor Ort entlasten .
Auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat drei Bundesprogramme zur
Stärkung der Qualität in der Kindertagesbetreuung auf
den Weg gebracht . Für die Umsetzung werden jährlich
100 Millionen Euro bereitgestellt . Damit sollen 4 000 zusätzliche halbe Stellen in den Kitas finanziert werden.
Weiterhin werden 113 Millionen Euro für berufsbezogene Sprachkurse bereitgestellt .
Ich bin Ihnen dankbar, Herr Beck, dass Sie den Erwerb der deutschen Sprache angesprochen haben . Ja, das
ist eine Schlüsselqualifikation. Wie lautet immer die Antwort auf die Frage „Was ist wichtig?“? Sprache, Sprache,
Sprache! Ohne ausreichende Sprachkenntnisse ist Integration einfach nicht möglich . Vielfach fehlt die Kenntnis der lateinischen Schrift. Wir haben es häufig mit Analphabeten zu tun . Da müssen wir noch sehr viel tun .
Wenn Sprachkompetenzen vorhanden sind, können
wir sicherlich abstufen und mit niedrigschwelligen Angeboten beginnen . Dann kann auch die Integration durch
Arbeit gelingen . Das ist ein wichtiger Schritt . Wir wollen die Menschen mit Bleibeperspektive sehr schnell in
Arbeit bringen . Gute Ausbildung und Arbeit sind Voraussetzungen für die Integration in unsere Gesellschaft .
Wir haben schon im letzten Jahr ein Gesetz auf den Weg
gebracht, nach dem Asylbewerber bzw . Flüchtlinge bereits nach drei Monaten mit und nach 15 Monaten ohne
Vorrangprüfung arbeiten können .
Es ist auch wichtig, schnell herauszufinden, welche
Qualifikation die Menschen mitbringen. Welche Berufserfahrung haben sie? Welche Teilqualifikationen
haben sie? Diese Informationen sollten in den Ankunftsnachweis aufgenommen werden, sodass die Daten anschließend bekannt sind . Sehr positiv ist, dass allerorten
auch Aktivitäten mit den Handwerkskammern und den
Landwirtschaftskammern laufen, um zu sehen: Was bringen die Menschen tatsächlich mit? Wir wissen, dass die
Berufsanerkennung jetzt leichter läuft . Da muss man immer noch einmal hinschauen, ob wir schon alles getan
haben oder noch besser werden können .
Ich möchte aber auch auf die Belange der Frauen und
insbesondere der Mütter eingehen . Dem muss besonders
Rechnung getragen werden; denn die Betreuung von
Kindern darf nicht dazu führen, dass Frauen die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen oder Sprachkursen nicht
möglich ist . Das heißt, wir müssen in der Zeit für eine
Kinderbetreuung sorgen . Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass nicht nur die Männer, sondern auch
die Frauen gleichermaßen Zugang zu den Kursen haben .
Ebenso ist die Schulpflicht für Mädchen einschließlich
der Teilnahme am Sportunterricht und an Klassenfahrten
unerlässlich . Bei den Integrationsprozessen müssen wir
uns deutlich vor Augen halten: Wenn die Integration der
Mütter gelingt, wird auch die Integration der Kinder viel
leichter vorangebracht .
Festzuhalten gilt: Integration geht uns alle an . Wir
wissen, welche tollen Projekte in den Wahlkreisen laufen; jeder könnte sicher ganz viele benennen . In meinem
Wahlkreis haben sich die Kommunen zu dem Förderverein „pro:connect“ zusammengeschlossen, der mit
vielen Ehrenamtlichen Arbeitgeber und arbeitssuchende
Zuwanderer zusammenbringt und Fragen rund um Arbeitserlaubnis, Arbeitsplätze oder Praktika beantwortet .
Ich möchte auch das Sonderprogramm Bundesfreiwilligendienst erwähnen, über das wir 10 000 neue Stellen
bereitstellen wollen, auch für die Flüchtlingsarbeit . Das
Angebot richtet sich nicht nur an Deutsche, sondern auch
an Flüchtlinge . Sie sehen also - und Sie wissen es selber
aus Ihren Wahlkreisen -: Es gibt zahlreiche Projekte und
Förderungen, die die Integration in Deutschland voranbringen und stärken . Wir sind da auf einem sehr guten
Weg .
Zum Schluss möchte ich betonen: Integration ist auch
davon abhängig, dass die Anzahl der Flüchtlinge, die
nach Deutschland kommen, in Zukunft spürbar reduziert
wird . Sonst sind irgendwann alle unsere Systeme hoffnungslos überfordert . So weit dürfen wir es gar nicht erst
kommen lassen .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank. - Als Nächstes hat Sevim Dağdelen,
Fraktion Die Linke, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind
im Moment Zeugen eines immer stärkeren Auseinanderdriftens der Gesellschaft in Deutschland, ganz besonders
zwischen Arm und Reich . Während die Reichen immer
reicher werden, verfestigt sich die Armut in diesem Land .
Insgesamt sind 13 Millionen Menschen von Armut betroffen, ganze Regionen stürzen ab; ich sehe das in meinem Wahlkreis in Bochum und im Ruhrgebiet, aber auch
in Nordrhein-Westfalen insgesamt . So stieg die Armutsquote in Nordrhein-Westfalen auf 17,5 Prozent der Bevölkerung, im Ruhrgebiet gar auf 20 Prozent .
({0})
Diese Entwicklung ist kein Naturgesetz .
({1})
Sie ist die Folge einer neoliberalen Politik von Union
und SPD und leider auch von den Grünen in den letzten
Jahren .
({2})
Diese Entwicklung darf, insbesondere angesichts der
großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, so
nicht weitergehen .
({3})
Im Kern ist es diese Entwicklung, die die Willkommenskultur und die Aufnahmebereitschaft in unserer Gesellschaft weiter abnehmen lässt bzw . minimiert . Wir brauchen deshalb eine Erneuerung unseres Sozialstaates für
alle in unserem Land lebenden Menschen . Das ist die
Voraussetzung für soziale Integration .
({4})
Einst war der Sozialstaat gerade auch für Krisen und
besondere Herausforderungen konzipiert . Aber was wir
heute erleben, ist nichts anderes als organisiertes Staatsversagen . In den vergangenen 20 Jahren wurden allein
im öffentlichen Dienst 1 Million Stellen abgebaut, zum
größten Teil zulasten der öffentlichen Sicherheit, über die
Sie überall klagen . Infolge der Privatisierungen verfügen
die Kommunen kaum noch über einen eigenen Bestand
an sozialem Wohnraum, der dringend notwendig ist . Wir
brauchen deshalb eine radikale Wende, sonst kann die
soziale Integration aller in unserem Land lebenden Menschen nicht gelingen .
({5})
Flüchtlinge und Schutzsuchende werden für diese Probleme verantwortlich gemacht, dabei haben sie die Probleme in unserer Gesellschaft lediglich überdeutlich gemacht .
Wir stehen in Deutschland schon lange vor dem Problem, dass viele öffentliche Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden, weil man zu feige war und ist, das
Geld dort zu holen, wo es im Überfluss vorhanden ist.
({6})
Beispielsweise haben sich die Vermögen von Multimillionären und Milliardären in Deutschland explosionsartig entwickelt, während über die Hälfte der Bevölkerung
sogar noch im Aufstieg Wohlstand und Vermögen verloren hat . Deshalb sollte meiner Meinung nach gerade
angesichts der sozialen Herausforderungen, vor denen
wir stehen, dringend eine andere Steuerpolitik auf der
Tagesordnung stehen .
({7})
Wir müssen das klare Signal setzen, dass der Tisch für
die Integration von den Reichen gedeckt wird und nicht
von denjenigen, die in den letzten Jahren immer zu kurz
gekommen sind, von den Niedriglöhnern, von den prekär
Beschäftigten oder von den Leiharbeitern .
Integration wird gelingen, wenn Deutschland auch im
Inneren wieder eine sozial gerechtere Politik macht und
damit Solidarität schafft . Schauen wir uns die Zahlen an:
Nicht einmal 20 Prozent der Kosten für die Integration
bekommen die Länder vom Bund zurück . Letztes Jahr
haben sie 17 Milliarden Euro eingestellt, aber sie haben
lediglich 2 Milliarden Euro zurückbekommen . Die Kommunen werden regelrecht im Stich gelassen . So schafft
man es meiner Meinung nach nicht . Deshalb wollen wir
eine andere Sozialpolitik .
Wir fordern ein 25-Milliarden-Sofortprogramm des
Bundes für 2016 für eine soziale Offensive für mehr gemeinnützigen, sozialen Wohnungsbau, für mehr Bildung,
für die Stärkung des öffentlichen Dienstes, für öffentliche Beschäftigung und zusätzliche Integrationsmaßnahmen . Mittelfristig fordern wir ein 100-Milliarden-Investitionsprogramm für die Erneuerung des Sozialstaats in
Deutschland, weil wir der Auffassung sind, dass es sich
lohnt, durch soziale Integration in die Zukunft des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu investieren .
({8})
Die Linke ist der Überzeugung: Ein Neuanfang für
soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit in diesem
Land kann eine Chance sein . Wir sollten diesen Neuanfang mit den Schutzsuchenden in diesem Land anstreben,
anstatt die Neiddebatte, die Sie hier immer führen, weiter
zu befördern .
({9})
Vielen Dank . - Für die SPD spricht jetzt der Kollege
Dr . Lars Castellucci .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut,
dass wir über Integration sprechen . Das ist wirklich eine
Riesenaufgabe, die vor uns steht . Man kann manchmal
schon Zweifel haben, ob einem das gelingt . Ob sich zum
Beispiel die CSU - Herr Frieser spricht ja gleich - noch
in diese Bundesregierung integriert, das weiß ich nicht
genau, oder Bayern in Deutschland .
({0})
Machen wir ernsthaft weiter. Ich finde, die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen hat zum Thema Integration viel
Vernünftiges aufgeschrieben . Ich bin froh - damit schließe ich an die Worte der Kollegin Woltmann an -, dass
wir in der Lage sind, das auch umzusetzen . Wir haben das ist gesagt worden - schon vieles getan: Wir haben in
die Integrationskurse investiert, wir haben den Arbeitsmarktzugang erleichtert, und wir haben verabredet, dass
es - dazu liegen die ersten Entwürfe schon vor - eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe geben wird, die noch im
nächsten Monat ein Integrationskonzept der Bundesregierung vorstellen wird . Ich bin sicher, da wird vieles
von dem drin sein, was Sie hier vorschlagen . Also: Sie
schreiben Papiere, wir handeln .
({1})
Frau Kollegin Dağdelen, Sie sprachen von organisiertem Staatsversagen . Ich möchte Sie fragen: Welches
Land hätte das, was wir im letzten Jahr erlebt haben, eigentlich besser bewältigt? Welches Land hätte es besser
erreicht?
({2})
Ich frage Sie noch etwas: Was ist Ihr Staatsverständnis?
({3})
- Sie können das gleich sagen . Ich lasse das dann zu . Nach meinem Staatsverständnis sind wir alle der Staat .
Dazu gehören die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, die
Wissenschaft - alle sind mit dabei. Ich finde, das, was
wir im letzten Jahr erleben konnten, war eine großartige
Gesamtleistung .
({4})
Haben Sie der Frau Dağdelen damit schon geantwortet, oder lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?
({0})
- Das hat sich erledigt . - Danke . Es ist immer gut, wenn
die Antworten vor der Frage kommen .
({1})
Ich habe diesen Antrag einerseits gerne gelesen, andererseits habe ich mich aber auch aufgeregt . Die Frage ist:
Wie wollen wir diese Debatte führen? 1 Milliarde Euro
für Flüchtlinge beim Thema Wohnen, 1 Milliarde Euro
für Flüchtlinge beim Thema Arbeitsmarkt; wir brauchen
hier und da Geld . Die Frage ist: Was für einen Eindruck
sollen die Menschen draußen im Land eigentlich bekommen?
Schauen wir einmal auf das Jahr 2015 . Ich versuche,
mich in die Menschen hineinzuversetzen, zu überlegen,
wie es ihnen so geht . Im ersten Halbjahr haben sie den
Eindruck: Die vertickern unser ganzes Geld nach Griechenland . - Und im zweiten Halbjahr sehen sie: Da kommen jetzt auch noch die ganzen Flüchtlinge .
({0})
Dann sitzen die Leute da und fragen sich: Wo bleibe ich
denn eigentlich? Ich muss nicht irgendwie rechts sein, um
so etwas zu denken, sondern ich muss nur den Fernseher
einschalten, um den Eindruck zu bekommen, dass es um
die - in Anführungszeichen - „normalen“ Menschen, die
hier schon lange leben, gar nicht mehr geht . Diesen Eindruck müssen wir mit allen Mitteln verhindern, weil das
nicht stimmt und weil dieser Eindruck sehr schädlich ist,
weil er dieses Land spaltet .
({1})
Deswegen muss der erste Satz zum Thema Integration
lauten: Integration richtet sich an alle .
({2})
Integration ist eine Aufgabe für das ganze Land . Integration heißt Zusammenhalt . Spielregeln? Ja, aber für alle .
Bildung? Ja, aber für alle . Ausbildungsplätze? Ja, aber
für alle . Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen .
({3})
Wenn ich irgendwo fremd bin und dazukomme, dann
muss ich mich integrieren . Das ist keine Frage . Das mache ich . Dann passe ich mich sogar ein bisschen an . Ich
denke nicht: „Die Welt, in die ich komme, muss so funktionieren, wie ich drauf bin“, sondern ich schaue mir das
erst einmal an . Individuell ist das richtig, und es ist gut,
wenn der Staat diese Anpassungsprozesse fördert und sie
einfordert . Aber die eigentliche staatliche Aufgabe ist,
ans Ganze zu denken, das ganze Land im Blick zu haben .
Integration richtet sich an alle Menschen in diesem Land .
Jetzt ein Kommentar zum Thema Integrationspflichten; darüber werden wir demnächst sprechen . Im Kern
geht es dabei um Wertevermittlung: Wie bekommen wir
es hin, dass es in diesem Land ein bisschen in die Richtung geht, wie wir hier leben wollen?
({4})
Ich drehe das jetzt einmal um: Ich finde, die Flüchtlinge, die zu uns kommen, helfen uns gerade bei der Wertevermittlung; denn sie holen ganz schön viel Gutes aus
diesem Land heraus . Ich sehe Großherzigkeit, ich sehe
Anpacken, und ich sehe Hilfsbereitschaft . Das sind die
Werte, die uns starkmachen . Die Flüchtlinge helfen uns
gerade dabei, dass sie zutage treten .
({5})
Zur Wertevermittlung könnte man in Flüchtlingsunterkünften Grundgesetze verteilen . Man könnte die Flüchtlinge auch etwas unterschreiben lassen . Ich glaube aber,
das ist zu kurz gesprungen . Ich denke, es ist ein bisschen
so wie bei der Erziehung . Da gibt es ja den berühmten
Spruch: Kinder kann man nicht erziehen; sie machen
einem ohnehin alles nach . - Als Elternteil kann ich das
zwar nicht bestätigen, aber als Kind habe ich mich daran
gehalten .
({6})
Jetzt stellt sich in diesem Land natürlich die Frage .
Wem werden es die Menschen nachmachen? Denen, die
helfen, oder denen, die hetzen? Das ist die eigentliche
Frage, um die es geht . Wir müssen alles dafür tun, dass
die Werte, die in unserer Zivilgesellschaft im Rahmen
der Hilfe zutage treten, beispielgebend sind, und vorleben, wie wir in diesem Land zusammenleben wollen .
Auch die Wertevermittlung ist keine Einbahnstraße, wir
sind vielmehr dazu berufen, uns gemeinsam zu fragen:
Wie wollen wir in diesem Land leben, und wie bekommen wir das gemeinsam hin? Wertevermittlung ist etwas,
was sich an alle richtet .
({7})
Johannes Rau hat es so formuliert:
Es kommt nicht auf die Herkunft des Einzelnen an,
sondern darauf, dass wir gemeinsam die Zukunft
gewinnen .
Ich bin sicher: Das wird uns gelingen . Das wird uns mit
denen, die hier bleiben und sich mit unserer Hilfe gut integrieren, sogar gut gelingen .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Michael Frieser,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir haben uns gerade schon darüber
unterhalten, wie oft hier die Rede davon ist, dass es sich
bei der Integrationspolitik nicht um eine Einbahnstraße handelt . Fünfspurige Autobahnen brauchen wir, und
zwar in beide Richtungen! Nur dann wird Integration irgendwann funktionieren .
({0})
Wir müssen uns wirklich bei den Grünen bedanken .
Sie geben uns mit diesem Antrag zur Integrationspolitik, die uns allen sehr am Herzen liegt, wieder einmal die
Gelegenheit, heute zu diesem Thema zu reden . Das ist
aber eher eine Open-Space-Debatte, weniger etwas ganz
Konkretes . Vielleicht liegt das auch ein bisschen an dem
Antrag .
({1})
Er ist zwar sonderpreiswürdig, was Copy and Paste angeht . Aber er enthält nichts, was wir nicht schon einmal
gelesen hätten .
Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass es sehr vieles
gibt, was deckungsgleich ist . Ich will ebenso nicht in Abrede stellen, dass es im Hinblick auf die Anstrengungen
des Staates auch absolut gleichgelagerte Interessen gibt,
und das über das ganze Haus verteilt . Die entscheidende
Frage ist meistens die der Ausprägung . Das gilt auch bezüglich der Integrationsfähigkeit der Regierungsmitglieder, Herr Kollege - auch was die CSU anbetrifft .
({2})
Ich will einen kurzen Ausflug machen. Ich halte das,
was unser Entwicklungsminister Gerd Müller im Augenblick tut, für einen ganz wesentlichen Beitrag . Er sorgt
dafür, dass Integrationspolitik in unserem Land dadurch
möglich ist, dass in den Ländern, in denen Menschen tatsächlich Entwicklungshilfe brauchen, ein Verbleib und
eine positive Entwicklung möglich sind . Das ist ein echtes Integrationsangebot, auch innerhalb der Regierung .
Ich glaube, dass wir bei der Frage: „Was müssen wir
im Hinblick auf Integrationskurse und Integrationsangebote machen?“, keine Nachhilfe brauchen . Im wievielten
Jahr hintereinander heben wir die Mittel an dieser Stelle
eigentlich an? Ich will, damit es nicht zu beliebig wird,
nur ein Element herausgreifen: Wir haben wieder einmal
bei den berufsbedingten Sprachkursen draufgesattelt,
weil uns vollkommen klar ist, dass Integration eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die den Menschen in seiner
gesellschaftlichen Ganzheit umfassen muss, auch was
die Arbeit betrifft .
Jetzt zu der entscheidenden Frage: Wie kann man sich
dem Thema Sprache nähern? Ich darf daran erinnern man muss das auch hier immer wieder tun -, wie sehr die
CSU beschimpft worden ist, als sie vor Jahren deutlich
gemacht hat: Ohne Deutsch gibt es keine Integration;
ohne das Erlernen der Sprache ist Integration nicht möglich . - Da war von „Zwangsgermanisierung“ die Rede .
Gott sei Dank, kann ich nur sagen, dass das heute State
of the Art ist - das war ein doppelter Witz -, da wir der
Meinung sind: Das Erlernen der Sprache ist der entscheidende Schlüssel .
({3})
- Herr Beck, regen Sie sich nicht gleich auf; ich gebe
Ihnen gleich ein paar weitere Möglichkeiten, sich noch
etwas mehr aufzuregen .
Die entscheidende Frage ist doch: Wohin integriert
man sich? Es ist ein Wunschkonzert - das kommt auch in
dem Antrag, der heute debattiert wird, zum Ausdruck -,
wenn man nur sagt, was der Staat alles leisten und vorfinanzieren muss. Die entscheidende Frage lautet: Was
will ich am Ende durch die Integration erreichen? Wo
hinein soll sich derjenige, der sich integrieren soll und
die Motivation dazu hat, eigentlich begeben? Er soll sich
in eine Gesellschaft hineinbegeben, bei welcher - ja, ich
muss es sagen - der Begriff „Leitkultur“ zumindest ausdrückt, worum es uns geht . Sie können das - das ist mir
relativ egal - anders nennen . Es geht um die entscheidende Botschaft: Was sind denn die Grundlagen dieses
Staates? Was ist der Kitt, der diesen Staat zusammenhält?
({4})
Was ist die entscheidende Botschaft, wenn es um die
Grundlagen und Werte geht, an die man sich in der Gesellschaft zu halten hat? Es geht am Ende auch um eine
gewisse Erziehung und eine Integration mit Blick auf
einen Verfassungspatriotismus . Denn unsere Verfassung
gibt Auskunft darüber, was die wirklich wesentlichen
Botschaften dieser Gesellschaft sind, die dazu führen,
dass wir zusammenkommen .
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es tut mir
furchtbar leid: Ich glaube nicht, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau - in diesem Zusammenhang
sind bestimmte Vorkommnisse und nicht nur die Ereignisse zu Silvester in Köln zu erwähnen - im Rahmen
eines zwei- bzw . dreitägigen oder auch zweiwöchigen
Genderkurses vermittelt werden kann . Das wird nicht
reichen . Es kommt darauf an, dass wir den Menschen die
Möglichkeit geben, sich in dieser Gesellschaft anzudocken . Das ist kein planwirtschaftlicher Grundsatz . Dieser
Staat kann und wird das nicht allein leisten können . Diese Gesellschaft wird das nur miteinander - indem man
aufeinander zugeht - schaffen .
Wir wissen, dass wir bestimmte Maßgaben brauchen,
deren Umsetzung nicht freiwillig zu bekommen ist . Der
Mensch ist ein Gewohnheitstier . Es ist nun einmal so,
dass die intrinsische Motivation normalerweise nicht automatisch kommt . Sie braucht auch eine Aufforderung
von außen . Diese Aufforderung müssen wir gegebenenfalls als Staat setzen . Das wird durch das Gebot „Fordern
und Fördern“ nur teilweise ausgedrückt . Bayern hat ein
Integrationsgesetz - ein Integrationsgesetz! - vorgelegt,
das klarmacht, was der Bürger an Angeboten von uns zu
erwarten hat und was er dafür zu leisten hat . Darauf müssen wir schauen . Mit dem erwähnten Gesetz wird eine
Integrationsvereinbarung umgesetzt, von der wir meinen,
dass es nur so gehen wird .
Am Anfang muss klar sein, was wir von einem Menschen, der hier eine Bleibeperspektive hat, erwarten .
({6})
Klar muss sein, was passiert, wenn er sich der Integration verschließen sollte . Das betrifft nicht die Mehrheit .
Ich glaube, dass die Mehrzahl der Menschen, die hierherkommen, wirklich bereit sind, sich in diese Gesellschaft
zu integrieren, und dass sie es wollen, sich selbst eine
Perspektive für ihr Leben aufzubauen . Wir haben das
immer so definiert: Erfolgreiche Integrationspolitik ist
dann gegeben, wenn ein Mensch in der Lage ist, für sein
eigenes Leben zu sorgen, aber auch dieser Gesellschaft
etwas zu geben . - Das sollte man auf jeden Fall berücksichtigen .
({7})
- Jetzt soll Herr Beck, bevor sein Arm lahm wird, die
Möglichkeit erhalten, etwas zu fragen, Frau Präsidentin .
Ja, vielen Dank . - Herr Kollege Beck .
Bevor Sie sich für den Nobelpreis bewerben, weil Sie
gerade das Rad neu erfunden haben, möchte ich Sie doch
darauf aufmerksam machen, dass wir 2005 mit dem Zuwanderungsgesetz Integrationskurse geschaffen haben .
Danach gibt es für jeden, der eine Aufenthaltserlaubnis
erhält, das Recht, innerhalb von zwei Jahren diese Kurse
zu besuchen . Es gibt in Bezug auf die Leute, die es brauchen, auch die Möglichkeit, diese zu verpflichten und bei
Nichteinhaltung dieser Verpflichtung sowohl entsprechende sozialrechtliche als auch aufenthaltsrechtliche
Sanktionen zu verhängen . Das alles ist seit zehn Jahren
Gesetz . Das einzige Problem, das wir aktuell haben, besteht darin, dass wir nicht genügend Integrationskursplätze haben . Wir haben aber nicht das Problem, neue Sanktionsdebatten führen zu müssen . Ich bin gar nicht gegen
Sanktionen; es ist aber so, dass wir sie einfach schon
haben . Warum sagen Sie, dass man hier etwas machen
müsste, was längst Gesetzeslage ist?
Warum ich solche Dinge erzähle, ist eher eine psychologische Frage . Ich beantworte Ihre Frage aber gerne:
weil ich es für notwendig erachte; denn es stimmt natürlich nur zum Teil .
Es ist unstrittig, dass wir die Möglichkeit geschaffen
haben, zu reagieren . Sie wissen, dass es auf sehr vielen
verschiedenen Ebenen funktioniert . Es ist in Bezug auf
sehr viele Integrationsleistungen aber eine Mär, dass das
theoretisch möglich ist . Das betrifft eben nicht den gesamten Katalog der Möglichkeiten, die der Staat bietet .
({0})
Es geht entscheidend nicht nur um die Frage der Verweigerung von Integrationskursen, sondern auch um die Frage, welche Art von Beratungsleistung erbracht wird . Es
geht dabei auch um die Frage von Bildung bzw . Aus- und
Weiterbildung .
({1})
Deshalb bitte ich, einmal einen kurzen Blick in das bayerische Integrationsgesetz zu werfen . Es ist jetzt - extra
für Sie - neu aufgelegt . Darin wird diese Frage nachhaltig beantwortet .
Ich möchte ganz gerne noch einen Gedanken äußern,
der mir wichtig ist . Mir geht es auch um die entscheidende Frage - ich will nicht immer nur von „Sanktionen“
reden, weil das immer nach „Dampfhammer“ klingt -,
({2})
was der zukünftige Beitrag ist, den eine wirklich große
Gemeinschaft an Integrationswilligen leisten kann, und
es geht für uns natürlich auch darum, zu sehen, wie die
Herausforderungen des demografischen Wandels für unser Land aussehen . Wo gibt es für uns die Notwendigkeit,
andere Strukturen zu schaffen?
Es ist eine Mär, zu glauben, dass unser demografisches
Grundproblem hier im Land einfach durch die Zuwanderung gelöst werden kann . Es ist aber auch wahr, dass
hierin eine sehr große Chance für die Menschen liegt, die
sich hier eine Perspektive aufbauen wollen .
Es werden dann Dinge eingeführt, die sofort wieder
als Zwangsmaßnahme bezeichnet werden . So etwas wie
eine Wohnsitzauflage ist aber nun einmal notwendig, um
die Menschen dahin zu bringen, wo sie an einem Aufbauprozess teilhaben können, zu dem wir sie anhalten
wollen .
({3})
Es geht um eine entscheidende Botschaft . Wir müssen erkennen: Die Menschen werden sich nicht nur durch
die anfänglichen Integrationskurse und das anfängliche
staatliche Bildungsangebot weiterentwickeln, sondern
sie werden ihren Beitrag zum Bestand und zur Weiterentwicklung dieser Gesellschaft an dem Ort leisten können,
an dem sie Arbeit und Auskommen finden. Genau das
kann gute Integrationspolitik meines Erachtens bieten .
Klar ist aber auch: Hier sind Anstrengungen des Staates notwendig, aber diejenigen, die zu uns kommen, müssen auch bereit sein, sich zu integrieren und sich dieser
Herausforderung zu stellen . Integration kann keine Planwirtschaft sein, und sie ist auch keine Option, sondern
ein Gebot . Die Einhaltung dieses Gebots müssen wir von
allen verlangen, die wir in dieser Gesellschaft auf Dauer
als eine positive Bereicherung ansehen wollen .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! „Wir schaffen das“: Das ist die Botschaft . Sie
ist mutig und ganz klar solidarisch, aber sie weckte auch
manchen Zauderer und manchen, der etwas dagegen
tut . Genau deshalb ist es höchst wichtig, dass wir etwas
tun, um dieses Zitat zu untersetzen . Es bedarf der klaren Ansage: Wer ist „wir“? Ist es die Weltbevölkerung?
Schwierig, sie blutet an vielen Stellen dieser Welt . Die
Europäische Union? Wohl kaum . Sind es wir hier, die wir
als Bundestag und Bundesregierung, aber auch vor Ort,
in den Ländern und in den Kommunen Verantwortung
haben?
Wenn man sich genau anguckt, wer das Gros der
Aufgaben bewältigt hat, dann sieht man, dass das in den
Kommunen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber
vor allem und in ganz hohem Maße auch Vereine, Verbände und ehrenamtlich Tätige waren . Hier muss man
noch einmal sagen: Ich bin wirklich begeistert, dass so
viele Menschen nach wie vor uneigennützig mitarbeiten
und bei dieser Hilfe und Unterstützung nicht aufgeben .
({0})
Neben der Aussage dazu, wer „wir“ ist, fehlen vor allem auch die Unterstützung und die Aussage dazu, was
wir und wie wir das erreichen wollen . Das Integrationskonzept, das eigentlich von allen gefordert wird und dringend notwendig ist, ist hier das Gebot der Stunde, und es
werden klare Aussagen zur Untersetzung dieser Aufgabe
gebraucht .
Dieses Integrationskonzept muss Aussagen zu ganz
wichtigen Fragen enthalten . Ich denke natürlich auch an
die Sprache . Wir haben hier gehört, dass es Integrationskurse gibt . Aber es sind viel zu wenige; das ist ganz klar .
Es gibt auch die Entscheidung, dass Menschen, die
keine optimistische Bleibeperspektive haben, an diesen
Integrationskursen nicht mehr teilnehmen dürfen . Stellen
Sie sich einmal vor, der Lehrer geht morgens in die Klasse und sagt einigen, dass sie nicht mehr am Unterricht
teilnehmen dürfen . Das ist ein Schlag ins Gesicht der
Menschen, die unsere Hilfe und unsere Unterstützung
wollen .
({1})
Wir brauchen klare Aussagen dazu, wie die Teilhabe
am Arbeitsmarkt möglich ist . Ich sage ganz deutlich: Es
geht hier um die Teilhabe aller Menschen am Arbeitsmarkt . Hier brauchen wir Lösungen, und wir wissen: Die
Wirtschaft wird das nicht alleine stemmen können . Deshalb ist hier staatliche Unterstützung durch entsprechende Arbeitsmarktprogramme gefordert . Dies verlangen
wir, und dies muss finanziell untersetzt werden.
({2})
Wir brauchen im Übrigen für alle einen Zugang zu
Bildung . Das gilt für Kindertagesstätten genauso wie für
die Schulen und für die berufliche Bildung. Hier ist es
wichtig, dass die Schulpflicht nicht mit dem 18. Geburtstag ausläuft, sondern dass der Schulbesuch fortgesetzt
werden kann . Wir haben davon gehört - das sind wirkliche Schicksale -, dass Menschen über Jahre nicht zur
Schule gehen konnten . Sie müssen diesen Schulbesuch,
zu dem noch Sprachschwierigkeiten kommen, nachholen . Hier müssen also die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden .
({3})
Natürlich muss die Politik allen einen Zugang zu höherer
Bildung ermöglichen . Die Anerkennung von Berufsausbildung und von Studien muss geregelt werden, damit
dies realisierbar wird .
Nicht zuletzt müssen auch die Finanzen geregelt werden . Wenn den Gemeinden und Kreisen die Aufwendungen nur zu einem geringen Teil erstattet werden, dann
wird das in den Kommunen zu neuen Schwierigkeiten
führen . Deshalb müssen wir hier Aussagen treffen, wie
wir helfen können .
Ich war kürzlich im Landkreis Vorpommern-Greifswald . Der Kreis hat schon seit vielen Jahren 100 Millionen Euro Schulden . Trotzdem muss er zusätzliches
Personal einstellen, was er auch will, um Flüchtlingen
helfen und sie integrieren zu können . Der Kreis hat auch
eine schwierige Aufgabe bei der Unterbringung von
nichtbegleiteten Jugendlichen zu bewältigen . Das wird
in diesem Jahr etwa 7 Millionen Euro zusätzlich kosten .
Wir brauchen eine Ausstattung, die demgemäß ist . Da
kann der Bundesfinanzminister nicht sagen: Die Länder
haben einen Überschuss; jetzt seht zu, wie ihr das hinbekommt . - So werden wir das nicht schaffen .
({4})
Wir werden die Aufgabe nur lösen, wenn wir, Bund,
Länder, Gemeinden und die vielen Ehrenamtlichen, an
dieser Aufgabe gemeinsam arbeiten . Das ist das Einzige,
was zum Erfolg führt .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Matthias Schmidt .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen in diesen Tagen
sehr viel über Demokratie, und das hat seinen Grund . Die
Bilder aus Clausnitz und Bautzen haben uns alle erschüttert und zeigen: Genau hierauf muss unser Augenmerk
liegen, und das nicht erst seit diesen Vorfällen . Alle Demokratinnen und Demokraten waren und sind gefordert,
dazu eine Haltung einzunehmen; denn Hetze, Gewalt
und Terror gegen Menschen, die bei uns Schutz suchen,
betreffen uns alle . Feinde von rechts bekämpfen nicht nur
Flüchtlinge . Sie bekämpfen die Demokratie . Hier müssen wir zusammenstehen .
({0})
Wir haben dieses Thema in der gestrigen Debatte ausführlich erörtert und haben es gemeinsam als ein sächsisches Phänomen beschrieben . Aber seien wir ehrlich:
Es ist nicht ein rein sächsisches Phänomen, sondern ein
deutsches Phänomen . Wir alle haben in unseren Wahlkreisen Flüchtlingsunterkünfte . Ich denke, nicht nur in
den Flüchtlingsunterkünften in meinem Wahlkreis, sondern auch in denen in Ihren Wahlkreisen wird von der
Zivilgesellschaft hervorragende Arbeit geleistet, vor der
wir alle nur täglich den Hut ziehen können . Aber wenn
ich ganz ehrlich bin: Würde eine Flüchtlingsunterkunft
bei mir im Wahlkreis brennen, was Gott verhüten möge,
dann müsste ich sagen: Ich kenne die Leute in meinem
Wahlkreis, die davor stehen und applaudieren würden .
Diese Entwicklung, die in Sachsen schon weiter vorangeschritten ist, dürfen wir nicht hinnehmen, sondern,
liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dagegen gemeinsam aufstehen und als Demokraten Geschlossenheit
zeigen .
({1})
Ich bin sehr froh, in einem Land zu leben, in dem
Schutzsuchende noch immer ein Dach über dem Kopf
bekommen und ein faires Verfahren . Das muss auch so
bleiben . Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen greift
nun einen Aspekt heraus, um die Demokratie zu stärken,
nämlich die Integration . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen recht: Die Integration von Flüchtlingen ist gelebte Demokratie . Sie zu stärken, ist ebenfalls
ein wichtiges Ziel, absolut d’accord .
Nun ist das allerdings nur ein Aspekt . Zu Recht sprechen Sie auch das Asylverfahren an, werfen es aber immer mit der Integration in einen Topf . Da geht einiges
durcheinander . Darum will ich versuchen, das ein wenig
zu ordnen .
Welche Abfolge, welche Schritte durchläuft ein
Flüchtling? Die erste Phase ist die von der Einreise bis
zur Antragstellung . Diese Phase ist unerträglich lang . Ich
habe davon gehört, dass man für die Terminvergabe zur
Antragstellung im BAMF einen Vorlauf von neun Monaten braucht . Das kann nicht sein . Wir müssen alle dafür
sorgen, dass diese Frist verkürzt wird . Wir müssen darüber auch mit der Bundesregierung reden . Ich glaube, das
ist überwiegend ein exekutives Problem, aber möglicherweise ist es auch legislativ . Darüber müssen wir gemeinsam nachdenken .
Erst nach dieser Phase beginnt der zweite Teil, nämlich das eigentliche Asylverfahren beim BAMF . In unserem Koalitionsvertrag haben wir uns geeinigt, dass
das gesamte Asylverfahren nicht länger als drei Monate
dauern soll . Das ist unverändert weiter unser Ziel . Der
Koalitionsvertrag stammt allerdings aus dem Jahr 2013,
und die Anzahl der Flüchtlinge hat sich inzwischen verfünffacht . Wenn man die fünffache Zahl von Menschen
in das System hineinbringt, dann ist es völlig klar, dass
das ganze System mehr Zeit braucht . Gleichwohl hat die
Koalition bzw . die Bundesregierung auch beim BAMF
gehandelt und wichtige und richtige Schritte unternommen .
Nach Abschluss des Asylverfahrens gibt es, grob
gesagt, zwei Möglichkeiten: Entweder bekommt der
Flüchtling einen anerkannten Schutzstatus, kann bleiben
und muss integriert werden, oder er muss zurückgeführt
werden. Ich finde, bei diesem Teil müssen wir unbedingt
die freiwillige Ausreise noch stärken . Da gibt es einen
Wildwuchs in den Ländern . Lassen Sie uns das genauer
ansehen . Innenminister Gall hat das heute sehr detailliert
dargestellt .
Kommen wir zum eigentlichen Gegenstand Ihres Antrags, der Integration . Natürlich gibt es da einen Zusammenhang: Wenn die Verfahren so beschleunigt sind, dann
wird sich das auch positiv auf die Integration auswirken .
In Ihrem Antrag wird das allerdings - ich habe es schon
gesagt - ein wenig vermischt .
Sie fordern ein Integrationskonzept und machen das
Asylverfahren zum Bestandteil der Integration. Ich finde,
das ist nicht zielführend . Wir sollten das sauber voneinander trennen .
({2})
Sie kritisieren in Ihrem Antrag erheblich die Bundesregierung. Ich finde, damit haben Sie nicht recht. Ja, die
Verfahren dauern insgesamt viel zu lange, wie gesagt .
Aber es wurde auch einiges auf den Weg gebracht .
Mir ist klar, dass Sie als Opposition die Regierung
nicht loben müssen . Aber Sie sollten auch nicht alles negieren, was die Große Koalition auf den Weg gebracht
hat .
Die vielen neuen Stellen beim BAMF habe ich bereits
genannt . Das BAMF hatte kürzlich noch 1 600 Mitarbeiter, inzwischen sind es über 4 000 . Wir haben mit dem sogenannten Datenaustauschverbesserungsgesetz den einheitlichen Ausweis, den Ankunftsnachweis, eingeführt .
Im Bereich der Integration wurden die Mittel erheblich
aufgestockt, und einen erleichterten Arbeitsmarktzugang
gibt es bereits seit Juli 2014 .
Lassen Sie uns das so zusammenfassen: Es wurde bereits gehandelt, und die Große Koalition handelt weiter .
Dennoch gibt es in Ihrem Antrag selbstverständlich viele
Dinge, die ich auch begrüße: Wohnkonzepte, Bildung,
Gesundheitsversorgung, der Kampf gegen Hetze . Das ist
alles richtig .
Gleichwohl: Die Koalition führt ihren Kurs weiter .
Wir werden die Verfahren weiter beschleunigen, und
zwar von der Einreise bis zum Ende des Asylverfahrens .
Wir werden die freiwillige Rückkehr stärken und die Integration vorantreiben . Ich freue mich auf die Diskussion
mit Ihnen in den Ausschüssen .
Vielen herzlichen Dank .
({3})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine Damen und
Herren! Liebe Gäste! Integration braucht Offenheit statt
Vorurteile und Ressentiments . Sie braucht selbstverständlich die Bereitschaft der Neuankommenden, aber
auch der aufnehmenden Gesellschaft, sich füreinander
zu öffnen .
Wer will, dass Schutzsuchende in Deutschland ankommen, die deutsche Gesellschaft, unsere Verfassung,
unsere Geschichte und unsere Werte kennenlernen, der
muss mit genau dieser Haltung auch auf die Menschen,
die zu uns geflüchtet sind, zugehen. Genau hier, meine
Damen und Herren, liegt das Problem .
({0})
Wer, statt unsere offene und demokratische Gesellschaft vom allerersten Tag an zu vermitteln, mit Restriktionen und Maßnahmen willkommen heißt, die allein der
Reduzierung von Flüchtlingszahlen dienen, der wird an
dem Anspruch unseres Grundgesetzes scheitern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen - das müssen Sie mir
sozusagen im Nachklang zu der Debatte über das Asylpaket gestatten -, Rechtsstaatlichkeit vermittelt sich doch
dann am besten, wenn man das Grundrecht auf Asyl ernst
nimmt und wenn man in dieser Frage nicht mit zweierlei
Maß misst .
({1})
Um das einmal auf den Punkt zu bringen: Wie bitte
sollen wir Menschen in einer Unterkunft vermitteln, warum ein Syrer Anrecht auf einen Sprachkurs hat, eine afghanische Frau aber nicht, weil ihre Bleibeperspektive
angeblich sehr viel schlechter ist, und das, obwohl beide
aus denselben Gründen geflohen sind?
({2})
Wie sollen wir vermitteln, dass der Wert der Familie bei
uns grundgesetzlich geschützt ist, wenn wir Kindern den
Matthias Schmidt ({3})
Nachzug ihrer Eltern verweigern oder Vätern den Nachzug der im Kriegsgebiet verbliebenen Familie?
({4})
Wie sollen wir Rechtsstaatlichkeit vermitteln, wenn
künftig Bewährungsstrafen zur Ausweisung führen
können, wenn wir Menschen für Sprachkurse bezahlen
lassen, die sie gar nicht in Anspruch nehmen können?
Weil diese Form der Asylpolitik im Widerspruch zu den
Werten steht, die wir vermitteln wollen, behindern wir
automatisch die Integration . Deswegen kann man, Herr
Schmidt, das nicht trennen . Integration und Asylpolitik
gehören genau an dieser Stelle zusammen .
({5})
Flucht und Migration geschehen nicht planbar, nicht
auf wirtschaftlichen Befehl hin . Sie sind auch nicht steuerbar oder in Gänze vorhersehbar . Das mussten wir alle
im vergangenen Jahr lernen; da bin ich bei Ihnen, Herr
Castellucci . Es war nach meiner Auffassung in Ordnung,
für eine bestimmte Zeit zu sagen, dass wir flexibel reagieren müssen, dass wir nicht alle bisherigen Standards
bei der Aufnahme von Flüchtlingen umsetzen können . Es
war auch in Ordnung und in Wirklichkeit auch ein großer Gewinn für unser Land, dass die Zivilgesellschaft die
entstandenen Lücken in einem bewundernswerten Maße
und sehr selbstlos gefüllt hat . Aber diese Situation darf
kein Dauerzustand bleiben . Das sage ich, nicht weil ich
befürchte, dass eine allgemeine Überforderung einsetzt das ist nicht der Fall -, sondern weil ich finde, dass es
jetzt an der Zeit ist, dass Politik zurückgibt, verantwortungsbewusst und nach vorne schauend handelt und vor
allem aus den gemachten Fehlern oder - besser - Versäumnissen lernt .
({6})
Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Dieses Jahr
wird neue, wird mehr Herausforderungen mit sich bringen . Dieses Jahr wird schwieriger als das vergangene;
denn es werden weiterhin Menschen in Deutschland
Schutz suchen, und andere, die schon hier sind, müssen
integriert werden. Wir hatten ein Jahr Zeit, uns fit zu machen für diese Aufgabe, und ja, es ist viel passiert, vor
allen Dingen vor Ort, aber nicht genug . Wir sind davon
überzeugt, dass Integration, wenn man sie richtig angeht,
nicht Überforderung zur Folge hat, sondern eine enorme
Chance eröffnet . Wir haben nun in unserem Antrag dargelegt, wie unsere Erfahrungen, aber auch unsere Strukturen besser genutzt werden können und wo dringend
Strukturen aufgebaut werden müssen . Ich habe wahrgenommen, dass es durchaus Bereitschaft gibt, über einzelne Punkte unseres Antrags zu reden . Also kann unser
Antrag nicht so falsch sein .
Ich kann nicht auf alle Punkte eingehen . Aber ich
möchte zwei Dinge hervorheben . Integration gelingt
über Bildung und Arbeit; auch darüber sind wir uns alle
einig . Deshalb muss im Zentrum unserer Bemühungen
der Spracherwerb stehen . Daher ist es hochgradig absurd,
wenn wir den Zugang zu Sprach- und Integrationskursen an eine statistische Bleibeperspektive von Menschen
knüpfen und das Herkunftsland zum einzigen Kriterium
machen; das ist falsch . Das wird nicht dazu führen, dass
wir die Menschen langfristig in unserem Land integrieren .
({7})
Der Teufelskreis geht weiter . Es ist schön, dass Sie
sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
endlich dazu durchgerungen haben, der Forderung der
IHK nach einem Drei-plus-zwei-Modell nachzukommen; zumindest nehme ich das so wahr. Das finde ich
richtig . Aber hier wird der zweite Schritt vor dem ersten
gemacht; denn auch hier brauchen wir die Sprachkurse
zwingend. Da ist der Bund weiterhin in der Pflicht. Ja,
mir ist bewusst, dass die Mittel für die Sprachkurse aufgestockt wurden, Herr Frieser . Das alles ist richtig . Aber
das ist nicht analog zu den gestiegenen Flüchtlingszahlen
geschehen . Deshalb müssen Sie zuvor anhand der Nationalität und nicht nach Sinnhaftigkeit eine Auswahl
treffen .
Statt also die noch nicht verplanten 6 Milliarden
Euro aus der Rücklage des vergangenen Jahres für die
schwarze Null im Wahljahr 2017 zurückzuhalten, sollte
die Bundesregierung - auch mit unserer Unterstützung schleunigst einen Nachtragshaushalt vorlegen; denn Integration ist nicht zum Nulltarif zu haben, Herr Castellucci;
da bin ich bei Ihnen . Diese Mittel brauchen wir für die
Integration, vor allen Dingen für die Sprachkurse . Geben
Sie sich also einen Ruck! Bitte ein bisschen mehr Druck
aus den Reihen des Parlaments, damit wir den Nachtragshaushalt für die Sprachkurse noch durch das Parlament
bekommen!
Herzlichen Dank .
({8})
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Cemile
Giousouf, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute über den Antrag der Kollegen von den Grünen . Wir können, glaube ich, festhalten,
dass wir alle das Ziel haben, den gesellschaftlichen Frieden in diesem Land zu schützen .
({0})
Wir wollen, dass dieser Prozess gelingt . Wir werden die
Menschen, die zu uns kommen und hier bleiben, unterstützen . Auch wenn wir - das zeigt der vorliegende Antrag - politisch anderer Meinung sind, haben wir alle das
gleiche Ziel . Die Geschichte des Einwanderungslandes
Deutschland hat gezeigt: Einwanderung hat unser Land
bereichert . Wir sind nicht nur kulturell gewachsen . Nein,
Einwanderer haben ihren maßgeblichen Anteil am Wirtschaftsstandort Deutschland geleistet . Sie haben von
Deutschland profitiert, und unser aller Heimat hat von
ihnen profitiert.
({1})
Wir werden auch jetzt mit aller Kraft daran arbeiten,
dass Menschen, die neu zu uns kommen und die auch
hier bleiben, eine Perspektive bekommen . Damit sind wir
in der Mehrheit . Die Möchtegern-Vaterlandsverteidiger,
die Schutzbedürftige bedrohen, Kinder bedrohen, Frauen
bedrohen, die Flüchtlingsunterkünfte anzünden, die sich
nicht schämen, auf dem Rücken der Flüchtlinge Geld zu
machen und diese gleichzeitig zu verachten, diese Gruppe, diese Minderheit gehört nicht zu uns . Wir können sie
nicht ausweisen, aber wir werden sie mit allen Mitteln
des Rechtsstaates bekämpfen .
Wir sind uns einig, dass wir in der aktuellen Situation alle Energie nutzen müssen, damit die Integration
der Flüchtlinge möglichst schnell erfolgt . Nur bedarf es
dazu nicht der Erkenntnis Ihres Antrages; das wissen wir
schon lange, und wir setzen es vor allem auch um . Aber
der Wettbewerb der Ministerien um mehr Geld ist hierbei nicht besonders zielführend . Wir brauchen eine kluge
Priorisierung und Schwerpunktsetzung .
Die CDU kümmert sich seit über zehn Jahren intensiv um die Integrationspolitik . Wir haben die nötigen
Strukturen und Maßnahmen geschaffen . Wir haben die
Leitplanken für das Zusammenleben in einer pluralen
Gesellschaft ausformuliert und in konkreten Instrumenten umgesetzt. Von diesen Maßnahmen profitieren wir
im Moment maßgeblich. Ich finde es, ehrlich gesagt,
unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Opposition, jetzt so zu tun, als hätten wir noch nie einen
Menschen in diesem Land integriert oder noch nie ein
Flüchtlingskind eingeschult .
({2})
Ich finde es verantwortungslos, welche Stimmung Sie
erzeugen .
({3})
Der Sachverständigenrat für Migration hat uns vor
Jahren bereits bescheinigt, dass Integration trotz einiger Problemzonen gesellschaftlich und politisch in
Deutschland ein Erfolgsfall ist . Im internationalen Vergleich stehen wir besser da, als unser Ruf ist, an dem
Sie maßgeblich beteiligt sind . Im Vergleich zu anderen
Einwanderungsländern wie Schweden oder den Niederlanden hat es Deutschland besser geschafft, Menschen zu
integrieren .
Kommen wir zu Ihrem Antrag . Sie bemängeln in Ihrem Antrag, dass sich die Koalition im vergangenen Jahr
nur mit asylrechtlichen Fragen beschäftigt habe, die Integration der Flüchtlinge aber kaum eine Rolle gespielt
habe . Ich frage mich tatsächlich, was Sie in den Sitzungswochen machen . Wir haben die Integrationskurse für
Asylbewerber mit guten Bleibeaussichten geöffnet . Die
Mittel wurden für 2016 verdoppelt . Die Anforderungen
für die Lehrkräftezulassung wurden angepasst, die Lehrkräftevergütung wurde erhöht, die Zahl der Teilnehmer in
einem Kurs wurde hochgesetzt, und die Trägerstrukturen
wurden ausgebaut . Allein in diesem Jahr werden voraussichtlich über 5 000 neue Integrationslehrer zugelassen .
Gestern haben wir auch aktuelle Zahlen des BAMF
bekommen . Pro Tag wird seit Januar über 2 600 Anträge entschieden, während es im ersten Halbjahr noch
890 Entscheidungen täglich waren . Seit Oktober 2015
wurden zudem 130 000 Altfälle abgearbeitet . Ich bin
in vielen dieser Außendienststellen des BAMF unterwegs . Ich möchte hier Folgendes sagen: Diese Arbeit
und dieser Prozess, diese Anhörungen zu machen, diese Interviews durchzuführen, zu prüfen, ob die Ausweise tatsächlich echt sind oder nicht, und den Menschen
auch einmal sagen zu müssen, dass sie vielleicht keine
Bleibeperspektive haben, sind wirklich keine leichten
Aufgaben . Wir sollten, anstatt den Behörden ständig auf
die Füße zu treten, einfach diesen Menschen auch einmal
für ihren Einsatz und dafür danken, dass sie sich dieser
verantwortungsvollen Aufgabe stellen .
({4})
Was haben wir noch gemacht? Der Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und Geduldete wurde erleichtert .
Wir haben für 2016 im Haushalt zusätzlich zum ESF-Programm Bundesmittel für berufsbezogene Deutschsprachförderung aufbauend auf die Integrationskurse bereitgestellt . Wir unterstützen studierfähige Flüchtlinge mit den
Studienkollegs . Wir haben 10 000 neue Plätze beim Bundesfreiwilligendienst geschaffen . Die Kompensationsmittel für den sozialen Wohnungsbau für 2016 bis 2019
wurden verdoppelt . Schön, dass Sie in Ihrem Antrag feststellen, dass das die richtigen Maßnahmen sind . Aber das
wussten wir auch vorher .
Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Maßnahmenkatalogs vom CDU-Bundesvorstand vom 15 . Februar . Darin
haben wir noch einmal festgehalten, welche Maßnahmen
wir ausbauen werden .
Wir sind uns alle einig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dieser Integrationsprozess nur in Zusammenarbeit mit Bund und Ländern erfolgreich sein kann . Da
frage ich mich, ob Sie, lieber Herr Beck, den Ton, den
Sie hier im Bundestag anschlagen, auch bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wählen .
({5})
Wie sieht es in den Regionen Deutschlands, wo Sie,
liebe Grüne, an der Regierung sind, mit der Verantwortung aus? Ich komme aus Nordrhein-Westfalen . Ich kann
Ihnen sagen: Es tut einfach nur weh, wenn ich sehe, welche Integrationspolitik in meiner Heimat gemacht bzw .
nicht gemacht wird .
({6})
Über Jahre aufgebaute Strukturen gehen den Bach
runter . Dabei geht es nicht nur um Menschen mit EinwanCemile Giousouf
derungsgeschichte . Die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat eine traurige Bilanz gezogen .
({7})
Laut dieser Studie stieg die Kinderarmut in der Zeit der
rot-grünen Landesregierung zwischen 2010 und 2014
von 20,9 Prozent auf 23,6 Prozent an . NRW ist das Bundesland mit den meisten armen Kindern . 684 000 Kinder
sind in NRW arm .
({8})
Erklären Sie mir doch einmal, warum der Anteil an Kitakindern mit Zuwanderungsgeschichte in NRW sinkt,
während der Zuzug ausländischer Familien zunimmt .
Unter einer grünen Bildungsministerin geht die frühkindliche Bildung von ausländischen Kindern zurück .
({9})
Das ist fatal, wenn man weiß, dass das, was Kinder
vor dem Schuleintritt lernen, zentral für den gesamten
weiteren Bildungs- und damit auch Integrationsweg ist .
Es fehlt in meiner Heimat an Lehrplänen für die Sprachförderung, es fehlt an Lehrkräften, es fehlt an Räumlichkeiten, in denen nicht der Putz von der Decke fällt .
({10})
Sie haben keinen Plan für die Beschulung der Flüchtlingskinder in Nordrhein-Westfalen .
({11})
In Ihrem Antrag fordern Sie mehr Prävention, Gewaltschutzkonzepte, eine stärkere Polizei und Justiz . Glückwunsch! Das finde ich alles sehr gut. Richtig so. Bitte
setzen Sie es doch um, lieber Herr Beck .
({12})
Falls Sie nicht wissen, wie das geht, dann würde ich
Ihnen empfehlen, einen Blick nach Bayern zu werfen .
Ich weiß, die Kollegen von der CSU werden häufig
kritisiert . Aber in dieser Hinsicht hilft ein Blick zu den
Freunden nach Bayern . Die Staatsregierung hat jüngst
ein Integrationskonzept beschlossen . Die bayerische
Staatsregierung nimmt 490 Millionen Euro in die Hand,
um die Flüchtlinge in Arbeit und Bildung zu integrieren .
({13})
In einem ersten Schritt soll bis Ende 2016 20 000 Flüchtlingen ein Praktikums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz
angeboten werden . Danach sollen jährlich 60 000 erfolgreiche Arbeitsmarktintegrationsprozesse folgen . Wenn
ich mir das anschaue und Nordrhein-Westfalen mit Bayern vergleiche, dann kann ich nur sagen: Ich bin überzeugt, dass die Kolleginnen und Kollegen in Bayern das
schaffen werden .
({14})
So sieht verantwortliche Politik aus . Deswegen vergebe ich den Ehrentitel „Integrationspartei“ heute einmal
ausnahmsweise an die CSU und wünsche weiterhin gutes
Gelingen .
Herzlichen Dank .
({15})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem
Abgeordneten Rainer Spiering, SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon immer die Redner bedauert, die kurz vor der namentlichen Abstimmung
sprechen mussten, weil sie gegen diesen Bienenschwarm
anreden mussten . Jetzt hat es mich selbst erwischt . Gut,
dann ist das so .
Herr Kollege, vielleicht nutzen wir die Gelegenheit:
Wollen wir versuchen, für einen kurzen Moment Ruhe
einkehren zu lassen? Es sind so viele gekommen, die
noch den Schluss der Integrationsdebatte unbedingt hören wollen . Denen wollen wir Gelegenheit geben, zuzuhören .
({0})
Ich habe während der Zeit, als ich zugehört habe, gedacht: Was wäre wohl, wenn du als Berufsschullehrer
diese Plenardebatte übertragen hättest und deine Klasse
teilgenommen hätte? Ich stelle mir die Frage, ob es bei
diesem großen Thema sinnvoll ist, Länderbashing zu betreiben, weil wieder irgendwo Wahlkampf ist . Ich glaube,
es ist vor dem Hintergrund dieses Themas nicht notwendig und auch nicht richtig .
({0})
Ich habe über viele Jahre als Berufsschullehrer mit
jungen Menschen unterschiedlicher Kulturen zu tun gehabt . Es sind junge Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern gewesen . Ich kann Ihnen sagen: Es hat
immer Spaß gemacht, es hat viel Freude gemacht, und
es hat uns alle bereichert . Aber es gibt auch Erfahrungen
dazu: Du kannst jede Gruppe und jede Klasse immer nur
begrenzt belasten . Das heißt, wenn wir integrieren wollen, dann müssen wir die Kapazitäten für die Integration
haben, um sie gut durchführen zu können . Das wollen
wir, und das können wir .
({1})
Eine weitere Bemerkung, bei der es mir um unser Land
geht . Deutschland ist das Land in Europa, das am ehesten die Fähigkeiten und die Kraft hat, diese Anstrengung
überhaupt durchzuführen; Deutschland hat die Kraft und
die Fähigkeit, es zu tun . Aber dann muss man dem Land
auch die Möglichkeit geben, sich entsprechend zu entwickeln . Das müssen wir behutsam machen, und zwar
über Integrationsschritte . Wir müssen die Integration gut,
gezielt und dosiert durchführen, damit wir jede und jeden
auf dem Wege mitnehmen können .
Meine Erfahrung in den Klassen ist folgende gewesen: Wenn ich mich intensiv genug mit den jungen Menschen, und zwar aller Kulturen und aller Nationalitäten,
übrigens inklusive der deutschen Nationalität, befasst
habe, dann war am Ende des Tages klar: Es gilt eins in
Deutschland für jede, für jeden, für jeden aus jeder Kultur - das deutsche Grundgesetz und nichts anderes .
({2})
Ich habe den Antrag der Grünen intensiv gelesen; ich
habe mit dem Kollegen Mutlu gerade darüber gesprochen . Dieser Antrag hat mir einige Denkaufgaben gegeben . Ich habe darin einen Passus gefunden, der zumindest für mich sehr nachdenkenswert war: Dort geht es
um die Frage, wie wir das Riesenpotenzial der deutschen
Berufsbildung zur Integration nutzen .
Ich sage Ihnen einmal über alle Parteigrenzen hinweg und vor allem mit der großen Hinwendung an unser
Land, das es geschafft hat, diese Berufsbildung durch die
Menschen dieses Landes über 50 Jahre zu stabilisieren
und weiterzuentwickeln, übrigens mit allen Länderregierungen und mit allen Bundesregierungen, ohne dass man
dazu irgendein Länder-Bashing durchführen muss: Die
deutsche Berufsbildung ist das, was wir erhalten haben .
Die deutsche Berufsbildung ist am ehesten dazu in der
Lage, die Probleme, die wir haben, anzupacken und zu
lösen . Es gilt immer noch: Hand, Herz, Kopf . Wir können die Menschen an den Werkbänken zusammenführen,
und wir können sie zusammen arbeiten lassen . Wenn sie
das schaffen, dann schaffen sie die Interaktion vor Ort
durch Bewältigung gemeinsamer Projekte .
Insofern lautet mein großer Aufruf: Lassen Sie uns die
Berufsschulen in diesem Land stärken . Lassen Sie den
Berufsschulen den Raum, die Zeit und die Kraft, Integration durchzuführen; denn sie sind der Ort, wo Interaktion
an einem sächlichen Beispiel stattfinden kann.
({3})
Das können wir leisten .
Aber dafür müssen wir unsere Bemühungen in den
Schulen intensivieren . Dazu gehört als erstes Medium in
der Tat die Sprache . Egal ob ich Physik, Chemie, Mathematik oder irgendetwas anderes unterrichte: Ich kann nur
über die Sprache kommunizieren . Wir müssen auch in die
Berufsschulbildung eine wesentlich bessere Stärkung der
deutschen Sprache einfließen lassen, um die Menschen,
die zu uns kommen, teilhaben und mit uns interagieren
zu lassen . Erst wenn das geschieht, können sie verstehen,
übrigens auch das Grundgesetz, und dementsprechend
handeln . Deswegen meine dringliche Aufforderung, die
Sprachförderung zu verbessern .
Was wir zur Stärkung der Berufsschulen auch brauchen, ist, dass mehr Sozialarbeiter in Haupt- und Realschulen, in die berufsbildenden Schulen gehen, damit die
Probleme, die jetzt zwangsläufig auftreten, gelöst werden
können . Das zu bewerkstelligen, ist eine Bundesaufgabe .
Damit kann man die Länder nicht alleinlassen; das gilt
für alle Länder, auch für Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt . Sie brauchen an dieser Stelle unsere Hilfe . Die Bundesrepublik Deutschland kann es .
Herzlichen Dank fürs intensive Zuhören .
({4})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7651 an die in der Tagesordnung vorge-
sehenen Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:
25 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung
({0}) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung
sonstiger zivilprozessualer Vorschriften
({1})
Drucksache 18/7560
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martina Renner, Dr . André Hahn,
Dr . Konstantin von Notz, Hans-Christian
Ströbele, Dr . Sahra Wagenknecht,
Dr . Dietmar Bartsch, Katrin GöringEckardt, Dr . Anton Hofreiter und weiterer
Abgeordneter
Ergänzung des Untersuchungsauftrages
des 1. Untersuchungsausschusses - Hilfsweise: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
Drucksache 18/7565
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für mehr Transparenz in der Internationalen
Atomenergie-Organisation sowie eine starke
und unabhängige Weltgesundheitsorganisation
Drucksache 18/7658
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({3})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Federführung strittig
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Wir kommen zuerst zu den unstrittigen Überweisun-
gen; Tagesordnungspunkt 25 a und 25 b . Interfraktionell
wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist so be-
schlossen .
Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist; Zusatzpunkt 2 . Interfraktionell
wird die Überweisung des Antrags der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7658 mit dem Ti-
tel „Für mehr Transparenz in der Internationalen Atom-
energie-Organisation sowie eine starke und unabhängige
Weltgesundheitsorganisation“ an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen
Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie,
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federfüh-
rung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit . Ich lasse zuerst abstimmen über den
Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, die Federführung beim Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit verlangt . Wer
stimmt für den Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/
Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -
Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD abgelehnt gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke .
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, die
die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und
Energie verlangen . Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen vom
Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke
angenommen worden .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 h auf .
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 26 a:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu dem Vorschlag für eine Durchführungsverordnung der Kommission zur Erneuerung der Zulassung von Glyphosat
SANTE/10026/2016 ({4})
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes
Voreilige Neuzulassung von Glyphosat stop-
pen
Drucksache 18/7675
Hierzu liegen mehrere Erklärungen nach § 31 Ab-
satz 1 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Wir stimmen auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen über den Antrag namentlich ab . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze an den Urnen alle
besetzt? Hier links fehlt noch ein Vertreter der Regie-
rungsfraktionen . - Sind jetzt alle Plätze ordnungsgemäß
besetzt? - Das ist der Fall . Ich eröffne die Abstimmung
über den Antrag .
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall . Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben .2)
Tagesordnungspunkte 26 b bis 26 h . Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .
Tagesordnungspunkt 26 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5})
Sammelübersicht 282 zu Petitionen
Drucksache 18/7569
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das einstimmig so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 26 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 283 zu Petitionen
Drucksache 18/7570
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist auch die Sammelübersicht 283 einstimmig so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 26 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 284 zu Petitionen
Drucksache 18/7571
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent-
hält sich? - Dann ist das beschlossen mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen
1) Anlagen 14 und 15
2) Ergebnis Seite 15522 C
Vizepräsident Peter Hintze
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Tagesordnungspunkt 26 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 285 zu Petitionen
Drucksache 18/7572
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 285 so wie
vorgelegt einstimmig beschlossen .
Tagesordnungspunkt 26 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 286 zu Petitionen
Drucksache 18/7573
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 26 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 287 zu Petitionen
Drucksache 18/7574
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 26 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 288 zu Petitionen
Drucksache 18/7575
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({12}) zu dem Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD
Intelligente Mobilität fördern - Die Chancen
der Digitalisierung für den Verkehrssektor
nutzen
Drucksachen 18/7362, 18/7635
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Stephan Kühn ({13}), Markus Tressel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Intelligente Mobilität fördern - Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen
Drucksache 18/7652
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({14})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster Redner der Abgeordnete Thomas Jarzombek, CDU/
CSU-Fraktion .
({15})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe
zu: Ich bin schon ein Stück weit stolz, dass wir es geschafft haben, diese Initiative heute in die abschließende
Lesung zu bringen, und ich glaube, dass wir hier heute
einen Beschluss fassen, der sehr viel Positives für die Zukunft des Straßenverkehrs mit sich bringt .
Um noch einmal zu erklären, was das wesentliche Ziel
unserer Initiative ist: Es besteht darin, dass wir überall
da, wo heute physische Verkehrsinfrastrukturen sind,
eine Dateninfrastruktur drüberlegen . Was bedeutet das?
Das bedeutet beispielsweise, dass es für Sie, wenn Sie
durch eine Stadt fahren, und zwar vollkommen egal, ob
mit dem Auto oder mit dem Fahrrad, von großem Interesse ist, zu wissen, wann die nächste, die übernächste
und die überübernächste Ampel rot oder grün ist . Denn
dann kann man genau die Geschwindigkeit annehmen,
die moderne Technik einem empfiehlt, damit man nicht
umsonst auf die Ampel zustrampelt oder zufährt, sondern entspannt mit dem so gewählten Tempo bei Grün
ankommt .
({0})
Wer schon einmal hier in Berlin über die Karl-Liebknecht-Straße geradelt ist, der weiß aus eigener Erfahrung, wovon ich da rede .
({1})
Das gilt genauso für die Autofahrer; dadurch können wir
sehr viel an Emissionen, an Feinstaub, an CO2-Emissionen und vor allen Dingen auch an Lärm einsparen . Unsere Vision ist die rollende Stadt, in der kein Verkehrsträger
mehr bremsen und beschleunigen muss .
In unserem Antrag steht - das möchte ich an dieser
Stelle auch noch einmal präzisieren - als allererster
Vizepräsident Peter Hintze
Punkt unter III ., dass wir eine verkehrsträgerübergreifende Lösung unterstützen . Das bedeutet eben auch, dass
man den Menschen den Umstieg vom Auto auf die Bahn
einfacher macht . Warum werden Park-and-Ride-Plätze
so oft doch nicht angenommen? Weil es für den Autofahrer eben kompliziert ist, herauszufinden: Habe ich wirklich einen Zeitvorteil, wenn ich umsteige? Wo sind die
Parkplätze? Ist überhaupt noch einer frei? Wie komme
ich zum Bahnsteig? Welches Ticket brauche ich? Womit
bezahle ich das? Hier gibt es heute schon Lösungen im
Auto, ohne hier für einzelne Produkte bayerischer Automobilhersteller Werbung machen zu wollen, die ganz
gezielt empfehlen, auf ein anderes Verkehrsmittel - auf
eine U-Bahn, eine S-Bahn, eine Straßenbahn - umzusteigen, und zusammen mit dieser Information das Ticket
auf das Handy liefern . Das ist genau das, was wir nach
vorne treiben wollen . Dazu gehört, dass wir alle mobilitätsbezogenen Daten, die wir haben, in digitaler Form zur
Verfügung stellen .
Ich komme jetzt zu dem Schreiben des VDV - darüber
habe ich mich wirklich gewundert -, das uns alle erreicht
hat und an dem man merkt, dass der digitale Wandel offenbar schon zu den ersten Verteilungskämpfen im Verkehr führt .
Der Verband der Verkehrsunternehmen schreibt uns
erstens, die Leute würden vor allem Bus und Bahn fahren, weil sie so schlecht einen Parkplatz finden. Deshalb
dürften wir nichts machen, was die Parkplatzsuche erleichtert. Das finde ich schwierig, um es einmal ganz vorsichtig zu sagen .
Er schreibt uns zweitens, dass selbstfahrende Autos
insbesondere von öffentlichen Nahverkehrsunternehmen
betrieben werden müssen. Das finde ich eine interessante
These . Ich glaube, in einer privatrechtlich organisierten
Welt wird das nicht möglich sein . Aber man kann sicher einmal darüber reden . Ich weiß zum Beispiel, dass
die BVG schon aktiv daran arbeitet und prüft, ob nicht
selbstfahrende Autos eine gute Ergänzung zur S-Bahn
sein können, gerade in den Bereichen, wo die Wege zur
Bahnhaltestelle sehr weit sind .
Als Drittes schreibt uns der VDV, dass die Mobilitätsdaten, die wir jetzt überall als offene Daten zur Verfügung stellen wollen, von den Nahverkehrsunternehmen
nicht zur Verfügung gestellt werden können, weil das
Betriebsgeheimnisse sind . Deshalb sage ich es jetzt ganz
präzise, auch für das Protokoll, damit es hinterher keine
Interpretationsschwierigkeiten gibt:
({2})
Wir wollen gerade die Daten von Nahverkehrsunternehmen als offene Daten zur Verfügung stellen,
({3})
gerade diese, und zwar nicht nur die Fahrplandaten, sondern auch die Echtzeitdaten, anhand derer man ersehen
kann, wann das Verkehrsmittel wirklich ankommt . Das
betrifft auch die Bezahlschnittstelle . Wenn ich auch über
Google das Straßenbahnticket kaufen kann, dann ist das
doch kein Nachteil, sondern ein Vorteil; denn je mehr
Verkehrsstellen es gibt, desto mehr kann man verkaufen .
Das ist eine alte betriebswirtschaftliche Regel . Diese gilt
auch für öffentliche Nahverkehrsunternehmen .
({4})
Bevor ich ganz gezielt in Richtung Ministerium sage,
was sich in diesem Antrag noch findet, muss ich an dieser
Stelle das Ministerium einmal loben, weil es sehr viele gute Initiativen gemacht hat . Die Staatssekretärin hat
sich selber sehr engagiert, einen Hackathon gemacht mit
jungen Unternehmensgründerinnen und -gründern, wie
man Verkehrsdaten besser nutzen kann . Das ist, glaube
ich, vorbildhaft auch für andere Ministerien . Es gibt einen Modernitätsfonds, mit dem Verkehrslösungen, auch
die Entwicklung von neuen Lösungen finanziert werden
können . Das ist ganz hervorragend . Aber wir schreiben
im Antrag außerdem - auch das sage ich ausdrücklich,
damit hier keine Unklarheit herrscht -: Wir wollen ein
digitales Straßengesetz . Hier bitte ich vor dem Hintergrund, wie viel Zeit wir noch in dieser Legislaturperiode
für Gesetzgebung haben, Gas zu geben . Das ist ein wirklich wichtiges Thema; denn moderne Fahrzeuge generieren immer mehr Daten über Straßenzustände . Sie haben
Kameras und scannen, wo wie große Löcher im Boden
sind . Das ist für uns wichtig .
Wir haben gleichzeitig die Diskussion über den Bundesverkehrswegeplan . Wir reden immer darüber, dass
wir Verkehrsinfrastrukturen nach einer gewissen Dauer
austauschen . Aber wir wissen gar nicht, ob sie dann noch
gut oder wirklich schon schlecht sind . Viel interessanter
ist es, wenn wir mit den Daten aus modernen Fahrzeugen
ein richtiges Straßenkataster über die Qualität der Straßenzustände bekommen, und das vielleicht auch in Echtzeit . Wenn überfrierende Nässe auftritt und morgens in
den Straßen Löcher aufplatzen und Autos mit ihren Kameras diese für die Stoßdämpfer registrieren, könnten sie
entsprechende Daten auch an uns als Staat übersenden .
({5})
Dann könnte man mit Teerlastern zu diesen Stellen fahren und die Straßen genau da ausbessern, wo die Not am
größten ist, weil tatsächlich schon morgens um 9 Uhr ein
perfekter Straßenzustandsbericht vorliegt . Das ist, was
wir brauchen .
Wir brauchen ein digitales Straßengesetz, mit dem wir
nicht nur von uns aus die Bereitstellung offener Daten
wie Ampeldaten und Nahverkehrsdaten für Dritte regeln,
sondern auch dafür sorgen, dass Dritte uns Daten zukommen lassen, mit denen wir eine bessere Verkehrsplanung
vornehmen können - zum Wohle aller; denn alle können
davon profitieren.
Wir brauchen für all diese Dinge Testversuche - noch
mehr als bisher . Wir sehen, dass in Kalifornien immer
so viele schöne Pilotprojekte durchgeführt werden . Ich
finde es von daher sehr gut, dass das Bundesverkehrsministerium begonnen hat, auf der A 9 ein digitales
Testfeld einzurichten . Wir brauchen mehr von solchen
Testfeldern . Wir brauchen so etwas auch für den urbanen
und den teilurbanen Raum, für Stadtverkehre . Es ist sehr
wichtig, dass man dafür offen ist, neue Technologien auszuprobieren und erste Einsatzszenarien zu entwickeln,
sodass Menschen aus aller Welt zu uns pilgern, um sich
anzuschauen, was da möglich ist .
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben hier
ein gutes Programm vorgelegt . Ich freue mich sehr auf
seine Umsetzung . Die Grünen haben, glaube ich, nicht
ganz verstanden, dass wir über Digitalisierung der Infrastruktur reden . Deshalb haben sie einen Gegenantrag
zum Thema Carsharing eingebracht .
({6})
Ich habe den Zusammenhang nicht verstanden. Ich finde
den Vorschlag interessant, Carsharing-Fahrzeuge auf Taxispuren fahren zu lassen; so liest man jedenfalls . Dazu
wird aber der Kollege Bilger gleich noch etwas sagen .
Ich bedanke mich .
({7})
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Harald Ebner,
Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Voreilige Neuzulassung von Glyphosat stoppen“, Drucksache 18/7675, bekannt: abgegebene Stimmen 565 . Mit Ja haben gestimmt 117, mit Nein haben
gestimmt 445, enthalten haben sich 3 Kolleginnen und
Kollegen . Der Antrag ist damit abgelehnt .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 566;
davon
ja: 117
nein: 446
enthalten: 3
Ja
CDU/CSU
Josef Göppel
SPD
Dr . Sascha Raabe
DIE LINKE
Jan van Aken
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . Gregor Gysi
Dr . Andre Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({0})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({1})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Dr . Axel Troost
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({2})
Volker Beck ({3})
Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Christian Kühn ({4})
Renate Künast
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({5})
Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({6})
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Axel E . Fischer
({7})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({8})
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({9})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann
({10})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({11})
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Carsten Müller ({12})
Stefan Müller ({13})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({14})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt ({15})
Gabriele Schmidt ({16})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({17})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({18})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({19})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({21})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg ({22})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({23})
Sabine Weiss ({24})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({25})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Bärbel Bas
Lothar Binding ({26})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Siegmund Ehrmann
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Michael Hartmann
({27})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({28})
Gabriela Heinrich
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({29})
Thomas Hitschler
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({31})
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({32})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({33})
Susann Rüthrich
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({34})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({35})
Matthias Schmidt ({36})
Dagmar Schmidt ({37})
Carsten Schneider ({38})
Elfi Scho-Antwerpes
Swen Schulz ({39})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Waltraud Wolff
({40})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
Enthalten
SPD
Detlef Müller ({41})
Gülistan Yüksel
Als nächstem Redner in unserer Aussprache erteile ich
jetzt dem Abgeordneten Herbert Behrens, Fraktion Die
Linke, das Wort .
({42})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Intelligente Mobilität fördern - Die Chancen der Digitalisierung für den Verkehrssektor nutzen“ - Mensch, was ist
das für ein Titel!
({0})
Der Titel des Antrags lässt Großes erwarten; aber wenn
man hineinschaut, dann stellt man, wie so häufig bei der
Großen Koalition und auch in der Werbung, fest: mehr
Schein als Sein; Marketing ist alles . Ihr Antrag befasst
sich eben nicht mit den Bedürfnissen der Menschen nach
bezahlbarer und gesunder Mobilität . Der Antrag bedient
fast ausschließlich die Interessen der Industrie .
Sie sagen ganz klar - ich zitiere -:
Es gilt, die technologische Vorreiterrolle auszubauen und in allen Bereichen Leitmarkt und Leitanbieter für die Zukunft der individuellen Mobilität zu
werden .
Aber genau das ist nicht das Denken von morgen; das ist
das Denken von gestern .
({1})
Die Chancen der Digitalisierung können genutzt werden, um verkehrs- und umweltpolitische Ziele zu erreichen; das ist wahr . Aber Sie setzen auf die falschen Ziele .
Ein Ziel könnte doch beispielsweise sein, an Stuttgarts
Straßen eben nicht mehr Tafeln aufzustellen, auf denen
ein Feinstaubalarm angekündigt wird . Ein Ziel könnte
sein, die Menge der Autos in den Städten zu reduzieren .
({2})
Ein Ziel - ganz analog - könnte auch sein, die Geschwindigkeiten im Straßenverkehr zu verringern . Das ist intelligente Verkehrspolitik, wie wir sie verstehen .
({3})
Ihre fatale Philosophie ist stetes Wachstum in allen Bereichen . Staatssekretär Ferlemann hat es einmal so formuliert - ich zitiere -: Wir wollen mehr Verkehr auf allen
Verkehrsträgern .
Es fehlt wirklich jegliche verkehrspolitische Vision,
wie man mit dem Begriff „intelligente Mobilität“ umgehen kann . Auf den Punkt gebracht: Für uns geht es im
ersten Schritt um Verkehrsvermeidung . Gerade in Sachen
Verkehrsvermeidung hat die Digitalisierung großes Potenzial . Die Fraktion der Grünen ist in ihrem Antrag auf
diesen Punkt unter einem Aspekt eingegangen, nämlich
Vernetzung des öffentlichen Verkehrs mit Carsharing .
Das finden wir gut und: Es ist schnell umsetzbar.
Ich wundere mich schon sehr, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Großen Koalition, wie Sie den Menschen
sehen . Er ist für Sie offenbar kein Individuum, sondern
eher ein Transportgut . Mehr noch: Die Beschäftigten im
Verkehrssektor werden von Ihnen ganz unverblümt als
Risikofaktor bezeichnet . Das ist schon ein starkes Stück .
({4})
Daran ändert auch ein Passus nichts, den wohl die SPD
nach langer Kärrnerarbeit hineinformuliert hat, der lautet:
All die durch die Digitalisierung des Verkehrssektors hervorgerufenen Veränderungen müssen stets in
enger Kooperation von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden begleitet werden .
({5})
Das ist nicht mehr als die Petersilie auf einer industriepolitischen Speise .
({6})
Mobilität muss für die Menschen einen Zugewinn an
Freiheit bringen . Mobilität muss den Klimawandel stoppen . Darauf müssen wir all unsere Fantasie und Kreativität richten . Nur so, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Koalition, haben Sie die Chance, das selbstgesteckte Ziel
zu erreichen, nämlich bis 2020 jährlich bis zu 10 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß im Verkehrssektor einzusparen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, die Digitalisierung produziert enorme Datenströme . Mit Ihrem
Konzept besteht die Gefahr, dass Autofahrerinnen und
Autofahrer gläsern werden . Die Daten, die beim Fahren
oder beim Buchen von Fahrten gespeichert werden, dürfen deshalb nur anonymisiert verwendet werden . Wer die
Chancen der Digitalisierung wirklich für alle nutzen will,
darf nicht ausschließlich die Interessen der Unternehmen
bedienen .
({7})
Für unsere Fraktion steht der Mensch im Mittelpunkt .
Wir wollen eine sozialökologische Wende auch in der
Verkehrspolitik, das heißt saubere, sichere und gesunde
Mobilität . Das ist gut für die Beschäftigten im Verkehrswesen und in der Industrie genauso wie für die Millionen
Kundinnen und Kunden .
Vielen Dank .
({8})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Andreas Rimkus, SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Am Anfang des 20 . JahrVizepräsident Peter Hintze
hunderts lebten 165 Millionen Menschen in der Stadt .
In diesem Jahrhundert werden es erstmalig über 50 Prozent der gesamten Weltbevölkerung sein; es sind mittlerweile 3,4 Milliarden Menschen . Die Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die
OECD, geht sogar davon aus, dass im Jahr 2050 6,4 Milliarden Menschen in den Ballungszentren unserer Welt
wohnen und arbeiten werden .
Aus verkehrspolitischer Sicht stehen deshalb nicht
nur ökologische, sondern vor allem auch logistische Herausforderungen an . Mit der Urbanisierung steigt die
Verkehrsbelastung . Schon heute nehmen Staulängen und
Stauzeiten in den meisten deutschen Großstädten im Vergleich zu den Vorjahren kontinuierlich zu . Dies ist nicht
nur ein Kapazitäts-, sondern vor allen Dingen auch ein
ökologisches Problem .
Gleichzeitig bieten aber neue Mobilitätskonzepte
Möglichkeiten, diesen Herausforderungen zu begegnen .
Dazu zählt vor allem die Einführung automatisierter
Verkehrsleitung und Verkehrslenkung . Automatisierte
Kolonnenfahrten, weniger Wegeabstände sowie weniger
Unfälle durch automatisch situationsangepasstes Fahren
optimieren den Verkehr und ermöglichen eine Kapazitätssteigerung der vorhandenen Verkehrsnetze . Dies verbessert nicht nur den Verkehrsfluss, sondern bietet auch
enorme Chancen für den Umweltschutz .
Darum sollten wir neben innovativen Wohnkonzepten auch die Idee einer Straße des 21 . Jahrhunderts, die
Wohnen, Arbeiten und Mobilität zusammendenkt, in den
Blick nehmen . Wenn man so will, ist das die intelligente
Mobilität von morgen . Daher fordern wir in unserem Antrag nicht nur eine verkehrsträgerübergreifende Strategie, sondern auch einen Aktionsplan „Digital vernetztes
Auto“ und ein digitales Straßengesetz .
({0})
- Finde ich auch .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zukunftsgerichtete
Konzepte müssen Mobilitätsbedürfnisse und ökologische
Technologie miteinander verknüpfen und dabei Effizienzen heben . So verbessert man nicht nur den Komfort was immer in den Vordergrund gestellt wird -, sondern
vor allen Dingen schützen wir damit die Umwelt . Denn
die Attraktivität von urbanen Räumen hängt eben neben
umfangreichen Freizeitangeboten und guten beruflichen
Perspektiven vor allem auch von einer effizienten und
gut funktionierenden Verkehrsvernetzung ab; dies gilt
natürlich auch für den ländlichen Raum, der nicht zu kurz
kommen soll und auch deutlich benannt werden sollte .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Vision
Zero, also die Vision, die Zahl der Schwerverletzten und
Toten im Straßenverkehr auf null zu reduzieren, lässt sich
aus meiner Sicht nur mithilfe von automatisierten Prozessen verwirklichen . Hierfür wollen wir die Weichen
stellen und dabei besonders die Fragen des Datenschutzes in den Blick nehmen . Denn es gilt, was ich bereits bei
der Einbringung unseres Antrags deutlich gesagt habe:
Der Datenschutz und die Selbstbestimmung über die persönlichen Daten sollten für uns immer an erster Stelle
stehen .
({2})
Für die Integration neuer Technologien fungieren Städte insofern als Innovationstreiber, beispielsweise in den
Bereichen Carsharing, Elektromobilität und eben auch
automatisiertes Fahren .
1961 forderte Willy Brandt:
({3})
„Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau
werden!“ Das Image des verdreckten, hektischen und lärmenden Molochs Stadt ist überwunden . Deutsche Großstädte haben dieses Image gerade durch emissionsarme
Technologien hinter sich gelassen, aber wir sind, wie wir
wissen, noch lange nicht am Ziel .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Rahmen für die
weiteren Wegmarken in der Bundesrepublik wollen wir
mit dem vorliegenden Antrag stecken, nicht nur, um die
Systemintegration von automatisierten Verkehrsleitsystemen voranzubringen, sondern auch, um als Exportnation weltweit mit an der Spitze bei modernen Vernetzungstechnologien zu stehen und den weltweiten Bedarf mit
technologischen Innovationen zu begleiten .
Ich möchte noch einmal deutlich machen, vor welchen
Hürden wir noch stehen . Vom Datenschutz über versicherungsrechtliche Fragen bis hin zu technischen Rahmensetzungen: Es sind noch lange nicht alle Antworten gefunden . Ein wichtiger Baustein für eine Mobilitätswende
hin zu Vernetzung bilden Apps auf dem Mobiltelefon,
satellitengestützte Navigationssysteme und die Möglichkeit, diese Programme überall zu nutzen und Informationen mobil zu verarbeiten . Dies haben wir mit dem
vorliegenden Antrag in den Blick genommen und deutlich gemacht, dass wir zum einen Technologieförderung
brauchen sowie den Ausbau von digitaler Infrastruktur
und zum anderen natürlich auch bei der Unterstützung
aus dem Weltraum vorankommen müssen, nämlich bei
unseren Satellitensystemen . Das gilt für den Verkehr am
Boden, auf dem Wasser und in der Luft .
Weil wir als Technologiestandort Deutschland weiterhin vorne sein wollen, brauchen wir gute Strategien,
klare Spielregeln, zielgerichtete Forschungsförderung,
Rechtssicherheit und vor allem den Willen, über den
eigenen Tellerrand hinauszublicken . Wir in der Großen
Koalition wollen das gemeinsam hinbekommen .
Schönen Dank .
({4})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Matthias Gastel, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Antrag von CDU/CSU- und SPD-Fraktion enthält manch richtige Darstellungen .
({0})
Ein wirklich schlüssiges Konzept für intelligente Mobilität haben Sie uns damit aber leider nicht vorgelegt .
({1})
Ja, es ist richtig: Ein automatisierter Verkehr führt zu
effizienter Motorsteuerung und weniger Ressourcenverbrauch . Aber wer wirklich etwas gegen die Verschwendung von natürlichen Ressourcen und für den Klimaschutz tun möchte, darf nicht ständig nur von Autos und
Lkws reden .
Ja, es ist richtig: Ein voll vernetzter und automatisierter Verkehr kann ein Beitrag sein, die Zahl der Verkehrsopfer zu senken . Aber wer wirklich etwas für die
Verkehrssicherheit tun möchte, der sollte nicht so zimperlich sein bei der Einräumung von Möglichkeiten für
die Kommunen, Tempo-30-Zonen auszuweisen; Herr
Dobrindt hat ja einen solch zimperlichen Vorschlag einer
veränderten Straßenverkehrsordnung vorgelegt .
Ja, es ist richtig: Wir brauchen intelligente Stromnetze
und die Elektromobilität als Bausteine für die Energiewende im Verkehr . Wer wirklich etwas für die Elektromobilität machen will, kommt deswegen um eine Kaufprämie für Elektroautos nicht herum . Diese darf aber
nicht aus dem Haushalt finanziert werden - das wäre
nämlich weder ökologisch noch sozial sinnvoll -, sondern es braucht eine Umlage auf klimafeindliche Spritschlucker. So muss man diese Kaufprämie finanzieren.
({2})
Wer wirklich etwas für die Elektromobilität machen will,
der muss vor allem festhalten: Wir haben längst eine bewährte Elektromobilität, und zwar auf der Schiene . Mit
dem Entwurf des Bundesverkehrswegeplans wird sich
zeigen, ob Sie die tatsächlich notwendigen Elektrifizierungen von Bahnstrecken entsprechend hoch priorisieren .
({3})
Ja, es ist richtig: Die Digitalisierung kann die Suche
nach Parkplätzen erleichtern . Wer aber wirklich vermeidbaren Verkehr vermeiden möchte, sollte sich zunächst
einmal fragen, warum so viele Menschen glauben, nicht
auf das Auto verzichten zu können, und weshalb öffentliche Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen nicht so attraktiv sind, dass mehr Menschen häufiger das Auto stehen
lassen . Von besseren Bus- und Bahnangeboten könnten
nämlich alle profitieren, auch diejenigen, die mangels
Auto überhaupt nie einen Stellplatz suchen müssen .
({4})
Ja, es ist richtig: Echtzeitinformationen können
Lkw-Fahrern helfen, an der Autobahn freie Rastplätze zu
finden und Ruhezeiten einzuhalten. Wer aber den Transport von Gütern zukunftsfähig machen möchte, wer ihn
entsprechend weiterentwickeln möchte, der sollte vor allem die Bedingungen für den Wettbewerb zwischen Bahn
und Lkw ins Lot bringen . Mit dem Trassenpreissystem
hätten Sie die Chance, auf das Grenzkostenprinzip zurückzugehen und damit einen Riesenbeitrag für mehr
Wettbewerbsfähigkeit der Bahn gegenüber dem Lkw auf
der Straße zu leisten .
({5})
Ja, es ist richtig: In der Digitalisierung steckt viel Potenzial, und darin stecken große Chancen . Aber so, wie
Sie das angehen, ist das einzig und allein schlicht und
ergreifend nur technokratisch . Was ich vermisse, ist der
Ausblick auf eine lebenswerte Umwelt . Was ich vermisse, ist die Vision von Innenstädten mit Lebensqualität,
die nicht im motorisierten Individualverkehr ersticken
und in denen einem Auto nicht länger mehr Platz eingeräumt wird als einem Kind .
Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag zum
Carsharing - Herr Jarzombek, das ist ein ergänzender
Antrag - verhelfen wir Ihnen dazu, Ihr Verständnis von
intelligenter Mobilität wirklich ein Stückchen intelligenter zu machen .
({6})
Durch digitale Kommunikationstechnologie ist das Teilen von Fahrzeugen viel einfacher geworden . Das hat
einen Boom ausgelöst: Bereits 1 Million Menschen in
Deutschland nutzen Carsharing . Dabei macht das Teilen
ökologisch und ökonomisch Sinn . Ein Carsharingauto
ersetzt sechs Einzelfahrzeuge von Privaten . Dies führt
zu weniger Ressourcen- und Platzverbrauch in dichtgedrängten Städten sowie zu einer zweckmäßigeren
Pkw-Nutzung . Das Auto wird nur dann genutzt, wenn es
tatsächlich nötig ist, und wenn es nicht nötig ist, wird mit
dem Bus, der Bahn oder eben dem Fahrrad gefahren, und
es werden verstärkt verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombiniert . Auch das macht die Digitalisierung
möglich .
Eine wesentliche Voraussetzung für die weitere gedeihliche Entwicklung des Carsharings ist die rechtssichere Ausweisung von Stellplätzen in den Innenstädten,
am Bahnhof, in den Vororten oder auch im ländlichen
Raum . Ein Gesetzentwurf wurde von Minister Dobrindt
bereits mehrfach, auch schon vor längerem, angekündigt;
aber er hat bis heute leider nicht geliefert .
({7})
Dabei ist die Sache nicht allzu schwierig . Das lässt sich
einfacher lösen als die CSU-Maut für Ausländer . Entscheidend ist, dass die Kommunen auch Stellplätze für
bestimmte Carsharinganbieter ausweisen können; denn
die stationsbasierten Carsharingkonzepte sind genau darauf angewiesen . Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag auf, endlich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen . Das mittlerweile bereits zehnjährige
Ringen um ein einfaches Gesetz muss endlich ein Ende
haben .
({8})
Mit einem attraktiveren Bus- und Bahnangebot, mit
einer stärkeren Rolle des Fahrrads, mit verbrauchsreduzierten Autos und eben mit Carsharing wird Mobilität
wirklich intelligenter .
({9})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Steffen Bilger, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass wir zurzeit so intensiv über die Mobilität der
Zukunft diskutieren . Unsere Debatte vor vier Wochen
und unser Koalitionsantrag zur intelligenten Mobilität
sind eine gute Grundlage für die heutige Diskussion .
Worum geht es uns als Koalition? Uns geht es darum,
Mobilität zu ermöglichen, effizient und nachhaltig, aber
eben nicht mit Verboten und Überregulierung, wie es sich
andere hier wünschen .
In unserem Antrag machen wir deutlich: Die Vernetzung der Mobilität wird kommen, und sie wird neben
vielen anderen Vorteilen auch einen handfesten Beitrag
zu einer besseren Umwelt- und Klimabilanz leisten . Vieles von dem, was vielleicht im Jahr 2050 oder auch schon
früher Standard sein wird, können wir uns jetzt noch gar
nicht vorstellen . Aber diese ferne Zukunft müssen wir
heute schon vorbereiten . Das tun wir mit den Maßnahmen in unserem Antrag . Schließlich wollen wir nicht nur,
dass intelligente Mobilität Realität wird, sondern dies
soll auch zu unseren Bedingungen geschehen und nach
unseren Bedürfnissen ausgerichtet sein .
Nach allem, was wir heute wissen, wird die Vernetzung und Digitalisierung der Mobilität intelligent und
nahezu komplett sein . Für viele Datenschützer klingt das
nach einem Horrorszenario . Aber ich halte es für durchaus möglich, dass wir beides bekommen: intelligent
vernetzte Mobilität und sauberen Datenschutz wie auch
Datensicherheit .
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat es
diese Woche wieder deutlich gemacht: Wir haben einen
beispiellosen Investitionshochlauf .
({0})
In den nächsten Jahren wird so viel Geld in die Verkehrsinfrastruktur fließen, wie es laut der nach Daehre
benannten Expertenkommission für den Bund nötig ist .
Das, meine Damen und Herren, ist wirklich eine enorme Leistung . Diese Anstrengung ist aber auch dringend
erforderlich .
({1})
Diesem Investitionshochlauf steht aber in gewisser
Weise der nächste Bundesverkehrswegeplan gegenüber .
({2})
Nicht alles, was dort an vordringlichem und weiterem
Bedarf ermittelt wurde und wird, kann in den nächsten
Jahren gebaut werden . Das liegt natürlich auch an den
Planungs- und Baukapazitätsengpässen .
({3})
Wenn wir aber sehen, wie die Wachstumsprognosen im
Verkehrsbereich aussehen, merken wir: Wir brauchen zusätzlich zum dringend notwendigen Erhalt und zusätzlich
zu Aus- und Neubau neue Verfahren, um den Verkehr zu
stemmen . So wird allein der motorisierte Personenverkehr bis 2030 um 13 Prozent zunehmen; im Güterverkehr
wird die Verkehrsleistung sogar um 39 Prozent steigen .
Diese Zahlen machen deutlich, dass wir insgesamt viele
Ansätze benötigen, um auch in Zukunft Mobilität zu ermöglichen .
Einer dieser Ansätze ist das Carsharing . Sharingkonzepte sind ja gerade in aller Munde .
({4})
Einige Firmen haben es mit der Kunst der Vermittlung
solcher Angebote sogar zu Milliardenbewertungen geschafft . Carsharing hingegen ist nicht ganz so neu wie
die internetbasierten Aufsteiger der letzten Zeit . Seit über
25 Jahren gibt es das Autoteilen nun schon . Diese Woche
wurde eine Studie veröffentlicht, die zu dem Ergebnis
kam, dass das Carsharing nirgendwo so beliebt ist wie
in Deutschland . Auf den ersten Blick, meine Damen und
Herren, ist das vielleicht erstaunlich; auf den zweiten
aber ist es sonnenklar .
Das Carsharing hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt . Die Erfolge in Deutschland haben ihre Ursachen
nicht zuletzt in den Investitionen großer Anbieter, insbesondere von Tochterunternehmen der Autohersteller .
Die großen Hersteller aus dem Süden haben den Markt
der Mobilitätsdienstleistungen für sich erkannt und die
sogenannten Freefloater, also die stationsunabhängigen
Carsharingangebote, massiv ausgebaut . 50 Prozent aller
Carsharingautos in Europa kann man hierzulande leihen .
Das liegt auch daran, dass sich das Carsharing aus der
Ökoecke - ich weiß die geleistete Pionierarbeit sehr zu
schätzen - in die Mitte der Gesellschaft bewegt hat . Heute wünscht sich jede moderne Stadt ein Carsharingangebot, weil dies einfach dazugehört und von vielen Bürgern
erwartet wird . Deutschland ist also weit vorne . Diesen
Vorsprung gilt es nun per Gesetz zu erweitern, damit die
bereits existierenden Vorteile noch weiter ausgebaut werden können .
({5})
Mir persönlich und vielen anderen in der Koalition
war es schon während der Koalitionsverhandlungen ein
Anliegen, uns durch ein Carsharinggesetz zu der Unterstützung des Carsharings zu bekennen . Für mich hätte
viel dafür gesprochen, dieses Gesetz gemeinsam mit dem
Elektromobilitätsgesetz vorzulegen,
({6})
wobei ich mir schon die Frage stelle, wie man die Forderungen des Antrags der Grünen zur Förderung sowohl
des Carsharings als auch der Elektromobilität dann miteinander hätte vereinen können . Aber wie auch immer: Ich
glaube, über die Sinnhaftigkeit eines Carsharinggesetzes
dürften wir uns hier weitestgehend einig sein .
({7})
Die Verkehrspolitiker kennen die Problemlage . Sie ist
im Wesentlichen juristischer Natur .
({8})
Nun bin ich ja selbst Jurist und weiß, dass zwei Juristen
durchaus zu unterschiedlichen Bewertungen ein und desselben Sachverhalts kommen können .
({9})
Es wäre aber nicht verantwortlich, eine juristisch fragwürdige Regelung vorzulegen . Bevorrechtigungen sind
im Straßenverkehr eine komplexe Materie . Daher gilt
einmal mehr: Gründlichkeit vor Schnelligkeit .
({10})
Sowohl die Regierung als auch die Mehrheitsfraktionen wollen dieses Gesetz, und es wird kommen .
({11})
Darauf können sich Anbieter und Nutzer von Carsharing
genauso verlassen wie die Kommunen, die solche Angebote auf ihrer Gemarkung machen wollen . Damit leisten
wir dann, zusätzlich zu unserem vorliegenden Antrag,
einen weiteren Beitrag zur Förderung intelligenter Mobilitätsformen .
({12})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr . Birgit Malecha-Nissen, SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine elektronische Seekarte, das Radarbild auf dem Monitor, alles im Blick - der Kapitän steuert seinen Frachter . Das
Spannende ist: Er navigiert nicht auf einem Schiff, sondern ohne Mannschaft vom Festland aus . Das klingt wie
Science-Fiction, ist es jedoch nicht . Es ist das europäische Forschungsprojekt MUNIN . Dabei geht es um die
Entwicklung eines autonomen Schiffes .
Seit Jahren wird an einem Konzept gearbeitet, um
Schiffe unbemannt über die Ozeane fahren zu lassen .
Sieht so die Zukunft aus? Fakt ist, der digitale Wandel
wird die Mobilität revolutionieren . Dabei müssen wir
eine verkehrsträgerübergreifende Strategie entwickeln,
die auch den Klimaschutz besonders im Blick hat .
({0})
Denn nur mit intelligenten digitalen Steuerungslösungen lassen sich in der Zukunft Staus und logistische Engpässe verringern . Deswegen ist für uns die Digitalisierung im Verkehrsbereich eine große Chance . Diesen Weg
gehen wir zusammen mit unserem Koalitionspartner im
vorliegenden Antrag . Dazu gehört auch Carsharing . Deswegen begrüße ich in Teilen den Antrag bezüglich eines
Carsharinggesetzes der Kolleginnen und Kollegen der
Grünen . Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss besonders auch im Hinblick auf Carsharing und
individuelle Mobilität im Spannungsfeld zum öffentlichen Nahverkehr . Ich denke, da werden wir bestimmt
eine spannende Diskussion haben .
Sehr verehrte Damen und Herren, wir stehen nicht am
Anfang der digitalen Revolution . Das wird besonders
am Beispiel komplexer Logistikketten in unseren Häfen
deutlich . Digitale Steuerungslösungen gehören bereits
zum Alltag moderner Häfen . Die Anforderung an eine
reibungslose Güterumschlagslogistik ist extrem hoch .
Lassen Sie mich das am Beispiel des Hamburger Hafens
verdeutlichen .
Schon jetzt sind die Ablade- und Verladeprozesse
automatisiert und werden vom Terminal aus gesteuert .
43 Prozent der umgeschlagenen Seegüter kommen und
gehen noch per Lkw . Das sind laut HHLA 1,8 Millionen
Fahrten im Jahr, was zu langen Staus im Hafen und an
den Zufahrten bis hin zu den Autobahnen führt . Zudem
hat sich auf der Seeseite einiges geändert . Innerhalb kürzester Zeit muss ein großes Containerschiff - ein Riesenpott - ent- und beladen werden . Das „smartPORT
logistics“-Konzept mit seiner digitalen Lkw-Abfertigungssoftware soll diese Abläufe in Zukunft massiv beschleunigen . Die Testphase läuft seit Monaten und wird
weltweit beobachtet . Ich bin auf die weitere Entwicklung
gespannt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem technischen Fortschritt - das ist uns als Sozialdemokraten besonders wichtig - dürfen wir die Beschäftigten nicht aus
dem Blick verlieren . Daher muss der Prozess der Digitalisierung immer in enger Kooperation zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden begleitet werden .
({1})
Denn der Weg von technischer Revolution zu sozialem
Fortschritt kann nur über starke Mitbestimmungsrechte
gehen .
Fakt ist: Durch die Automatisierung werden viele
neue Jobs entstehen . Jedoch werden dadurch auch in den
nächsten Jahren viele Arbeitsplätze wegfallen . Erst im
Januar dieses Jahres demonstrierten beispielsweise viele
Tausend Hafenarbeiter in Rotterdam . Sie alle bangen um
ihren Arbeitsplatz . Das zeigt: Die Ängste sind Realität,
und wir sind schon in der Zukunft angekommen .
Deswegen brauchen wir neben der digitalen Strategie
zwingend eine vorausschauende Beschäftigungsstrategie . Diese muss die Bewältigung der Herausforderungen
der digitalen Entwicklung gut vorbereiten und begleiten . Es müssen passgenaue Weiterbildungsprogramme
entwickelt werden, damit sich betroffene Beschäftigte
beruflich neu ausrichten können. Ebenso werden neue
Ausbildungsmodule benötigt, um den Bedarf an neuen
Fachkräften in der digitalen Branche künftig abdecken
zu können .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, intelligente Mobilität und sozialer Fortschritt gehören zusammen . Dafür
setzen wir uns ein .
Vielen Dank .
({2})
Letzter Redner in dieser Aussprache ist der Abgeordnete Florian Oßner, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist nicht überraschend: Abermals bringt der
Antrag der Grünen, lieber Herr Gastel, erwartungsgemäß
nicht viel Neues hervor .
({0})
Er hinkt dem hinterher und wiederholt teilweise das, was
die Koalitionsfraktionen und das Bundesministerium für
Verkehr und digitale Infrastruktur zurzeit umsetzen bzw .
in naher Zukunft umsetzen werden .
({1})
Sowohl das BMVI als auch wir in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wollen Carsharing als umweltfreundliches Mobilitätsangebot voranbringen . Kollege Steffen Bilger hat das sehr gut ausgeführt . Derzeit
arbeiten wir daran, mit einem entsprechenden Gesetz die
erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen .
({2})
Es ist erstaunlich, vonseiten der Grünen immer wieder
zu hören, in moderne Mobilität investieren zu müssen .
Geht es aber darum, den Datenschutz entsprechend anzupassen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dann
blockieren die Grünen wieder . Liebe Grünen, diese Widersprüchlichkeit ist wirklich schier unerträglich .
({3})
Im letzten Jahrzehnt haben wir einen enormen technischen Fortschritt erlebt . Es ist jetzt an uns Verkehrspolitikern, die richtigen Weichen zu stellen . Die Gelegenheit
hierfür war noch nie so günstig wie jetzt . Wir investieren
in unsere Infrastruktur, und zwar auf Rekordniveau . Die
Investitionen sind also so hoch wie noch nie . Hier können wir ein großes Lob an unseren Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt
({4})
- und heute stellvertretend an unsere Parlamentarische
Staatssekretärin Dorothee Bär - schicken . Auch ein herzliches Dankeschön an das gesamte Ministerium für diesen immensen Kraftakt!
({5})
Neben den finanziellen Mitteln müssen aber auch die
notwendigen technologischen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Weichen in Richtung Zukunft zu stellen .
Das Auto ist ein entscheidender Faktor des Internets
der Dinge . Vernetzte Fahrzeuge bieten viele Möglichkeiten . Bei Diebstahl kann das Fahrzeug zum Beispiel
digital gestoppt werden . Straßenkarten, Informationen
des eigenen Fahrzeugs und anderer Fahrzeuge sowie der
Wunsch des Fahrers werden intelligent verknüpft . Die
Automobilbranche arbeitet derzeit an der Entwicklung
selbstfahrender Fahrzeuge, und Parkassistenten sowie
Bremshilfen bei geringen Geschwindigkeiten sind bereits heute Realität .
Um dies alles zu erreichen, muss der Mobilfunkstandard 5G so schnell wie möglich eingeführt werden . Auch
dies wird in unserem Antrag gefordert . Nur wenn wir
Industrie 4 .0 richtig ausgestalten und somit die gesamte
digitale Revolution sichern und stärken, werden wir unsere Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit auch in
Zukunft erhalten .
In keinem anderen Land der Welt hat der Verkehr eine
so große Bedeutung für die Industrie, den Mittelstand
und die Arbeitsplätze . Deutschland ist Logistikweltmeister . Mit BMW, Mercedes-Benz, VW und den Tochterunternehmen sitzen hier mit die wichtigsten Automobilhersteller der Welt . In Deutschland werden Züge und
Flugzeuge gebaut; aber auch viele Werften haben ihren
Sitz in Deutschland .
Die Digitalisierung sorgt dafür, dass wir in diesen
Branchen auch in Zukunft federführend sein werden . Sie
wird zu mehr Wirtschaftswachstum und damit am Ende
auch zu mehr Beschäftigung führen . Liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen und den Linken, lassen Sie
deshalb bitte Ihre ständigen und übertriebenen Angriffe
auf Unternehmen wie VW . Sie gefährden den Investitionsstandort Deutschland damit maßgeblich .
({6})
Die Digitalisierung des Mobilitätssektors bietet aber
auch große Chancen, um die Umwelt- und Klimabelastungen sowie den Verkehrslärm zu reduzieren . Sie kann
auch deutlich zur Verbesserung der Verkehrssicherheit
beitragen und uns dabei helfen, dass es zukünftig zu wesentlich weniger Verkehrstoten kommt .
Als zuständiger Berichterstatter für den Bereich Demografie der Arbeitsgruppe für Verkehr und digitale Infrastruktur sehe ich aber auch große Potenziale, wenn es
darum geht, wie wir Menschen zukünftig helfen können,
im Alter länger mobil zu bleiben, um eine längere Teilhabe am öffentlichen Leben zu gewährleisten . Selbstfahrende Autos können insbesondere in ländlichen Räumen
eine Lösung hierfür sein .
Innovationen dafür werden aber nicht nur in Kalifornien vorangebracht, sondern auch auf der A 9 in Bayern . Das dort eingerichtete Digitale Testfeld Autobahn ist
schon jetzt ein weltweites Erfolgsmodell . Das muss der
Maßstab moderner Mobilitätspolitik für uns sein .
({7})
Am Flughafen München rollt seit letzter Woche eine
vollautomatische U-Bahn, die zweite dieser Art nach
Nürnberg . Die Digitalisierung im Mobilitätssektor hält
somit tatsächlich in allen Bereichen Einzug .
Mit dem vorliegenden Antrag zum aus meiner Sicht
bedeutendsten Verkehrsthema der Zukunft zeigt diese
Koalition, dass wir Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen haben . Ich bitte deshalb um die Zustimmung für den Antrag der Koalitionsfraktionen .
Herzliches Vergelts Gott fürs Zuhören .
({8})
Ich schließe die Aussprache .
Tagesordnungspunkt 6 a . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD mit dem Titel „Intelligente Mobilität fördern - Die Chancen der Digitalisierung für den
Verkehrssektor nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7635,
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 18/7362 anzunehmen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Tagesordnungspunkt 6 b . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7652 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten
von Bundesbehörden an die Neuordnung der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes ({0})
Drucksache 18/7316
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({1})
Drucksache 18/7634
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Abgeordneten Manfred Behrens, CDU/
CSU-Fraktion .
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf beschäftigt sich mit der
Modernisierung eines leistungsfähigen Wasserstraßennetzes in der Bundesrepublik Deutschland . Für die deutsche See- und Binnenschifffahrt ist eine effizient arbeitende Wasser- und Schifffahrtsverwaltung von höchster
Bedeutung . Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes ist für die Sicherheit der Schifffahrt zuständig
und damit für einen reibungslos fließenden Schiffsverkehr .
Die Reform der WSV ist eine der größten Verwaltungsreformen des Bundes . Sie ist notwendig, um das
deutsche Wasserstraßennetz zu erhalten, auszubauen und
zukunftsorientiert zu gestalten . Dazu benötigen wir eine
geordnete Struktur .
Die Reform sieht vor, dass die sieben Direktionen
in einer Generaldirektion konzentriert werden . Dieser
Schritt der Reform ist getan, und die folgenden Strukturveränderungen in der Behörde schreiten weiter voran .
Dazu hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur einen ersten Fortschrittsbericht zur Umsetzung vorgelegt . Die 39 Wasser- und Schifffahrtsämter
werden im nächsten Schritt in 17 Wasserstraßen- und
Schifffahrtsämter umgeformt .
({0})
Diese dezentralen Ämter vereinen Fachkompetenz und
regionale Entscheidungskompetenz . Die Weiterentwicklung von den bisher regionalen zu funktionalen Zuständigkeiten erfolgt schrittweise im laufenden Betrieb .
Mit der Errichtung der genannten Generaldirektion
wurde der Grundstein für die WSV-Reform gelegt . Der
heutige Gesetzentwurf skizziert nun in einem nächsten
Schritt die organisatorischen Änderungen, welche durch
die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes eingetreten sind . Der Gesetzentwurf enthält eine
Verordnungsermächtigung, die es dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erlaubt, die
notwendigen Anpassungen auch in allen betroffenen
Rechtsvorschriften vorzunehmen . Außerdem wird das
Bundesbesoldungsgesetz entsprechend der neuen Stellenstruktur geändert .
Der Gesetzentwurf wurde federführend im Ausschuss
für Verkehr und digitale Infrastruktur beraten . Der Bundesrat forderte in seiner Stellungnahme, die Arbeitsfähigkeit der WSV durch ausreichendes Personal und gute
Arbeitsbedingungen sicherzustellen .
In meinem Bundesland Sachsen-Anhalt mit dem
Standort Magdeburg bedeutet dies, dass insbesondere
für den Erhalt der Wasser- und Schifffahrtswege und für
die Umsetzung von Investitionen zusätzliches Personal
erforderlich ist . Den Standort Magdeburg kennzeichnen drei wesentliche Punkte: erstens die zentrale Lage
im Elbkorridor im Herzen des ostdeutschen Wasserstraßensystems, zweitens die bereits 150 Jahre lange Tradition der Elbstrombauverwaltung vor Ort und drittens
das Wasserstraßenkreuz Magdeburg und die zahlreichen
Bauwerke wie der Mittellandkanal, die Schleuse Niegripp und das Schiffshebewerk Rothensee .
({1})
Magdeburg ist ein traditioneller und kompetenter
Standort und bietet Bedingungen, auch in Zukunft zentral für die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt an
der Elbe zu sorgen .
({2})
Das Ziel einer guten Zusammenarbeit mit anderen Standorten sowie guter Arbeitsbedingungen vor Ort muss an
oberster Stelle stehen, um zukünftig eine erfolgreiche
Arbeit leisten zu können .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({3})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Herbert Behrens, Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung war vor
vielen Jahren nicht als Reformprojekt angelegt - eine
Reform war es nie -, sondern als Abbauprojekt bzw . als
Abwrackunternehmen, was dazu führen sollte, dass die
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung lediglich eine sogenannte Gewährleistungsverwaltung wird . Das heißt, man
passt nur noch auf, dass die, die die privaten Aufträge
übernehmen, die Arbeit richtig machen .
Im Zuge des Verfahrens sagte Staatssekretär Scheurle
seinerzeit: Die Aufgaben bestehen in der „Überwachung
und Regulierung Privater, die infolge von Privatisierung
Leistungen erbringen, die zuvor der Staat im Rahmen
seines Daseinsvorsorgeaufkommens wahrgenommen
hat“ . Das stand immer hinter dieser Reform, und es hat
nicht dazu geführt, dass wir jetzt eine Behörde haben, bei
der sichtbar ist, dass sie an den Aufgaben orientiert ist .
Es ist vielmehr eine Behörde geworden, die gerade noch
schafft, das Personal von der einen zu der anderen Stelle
zu schieben . Das hat nichts mit einer wegweisenden oder
zukunftsweisenden Reform zu tun . Das ist vom Anfang
bis zum Ende ein Abbruchunternehmen gewesen . Das
kritisieren wir .
({0})
Seit 1993 wurde jede dritte Stelle bei der WSV abgebaut . Ausscheidende Kolleginnen und Kollegen wurden nicht ersetzt . Auszubildende wurden nach ihrem
Abschluss nicht übernommen . Nur unter dem Druck der
Belegschaften ist es vor gut anderthalb Jahren gelungen,
den weiteren Personalabbau, der bereits an den Kern der
Verwaltung ging, zu beenden, um die krassesten Folgen
der Kahlschlagpläne abzuwehren .
Die Folgen des Personalabbaus sind, wie ich schon
sagte, deutlich spürbar . Wir haben beispielsweise bei der
WSV Berlin heute 403 Beschäftigte . Nach der Wende
waren es noch 900 . Die Arbeiten haben nicht wesentlich
abgenommen . Sie haben sich verändert; das ist klar . Die
Produktivität hat auch zugenommen . Insofern ist es keine
Manfred Behrens ({1})
Überraschung, dass die Beschäftigten weniger werden .
Aber dieser dramatische Personalabbau ist die Folge einer verkorksten, einer verdrehten WSV-Reform . Das Arbeitspensum ist nämlich fast gleich geblieben und von
den verbliebenen Kräften zu bewältigen . Das kann nur
noch schlecht funktionieren, wie die Kolleginnen und
Kollegen sagen . Wenn einer krank ist oder jemand in
Urlaub geht, sind sie gleich am Limit und können ihren
Aufgaben nicht mehr nachkommen .
Auch für die Nutzer der Kanäle und Schleusen ist das
spürbar . Sie haben damit zu kämpfen, dass sie nicht mehr
denselben Service zur Verfügung haben wie früher . So ist
beispielsweise eine Schleuse in Wendisch Rietz im Osten
Brandenburgs im Sommer nur noch bis 18 Uhr in Betrieb . Das heißt für Wassersportler und Wochenendausflügler, dass sie sich sputen müssen, wenn sie die Schleuse noch benutzen wollen .
Bis heute hat sich die WSV nicht von diesem Personalkahlschlag erholt . Um- und Ausbaumaßnahmen an
Schleusen und Kanälen konnten nicht umgesetzt werden .
Hunderte Millionen Euro mussten zurückgegeben werden, weil sie nicht verbaut werden konnten .
Die Gewerkschaft Verdi hat Ende letzten Jahres eine
Beschäftigtenbefragung gemacht, um herauszufinden,
was das Ergebnis dieser vermeintlichen Reform ist . Es
gibt erschütternde Beispiele, finde ich. Zum Beispiel
wurde angegeben, dass freie Stellen nicht besetzt werden können, weil das dafür erforderliche Personal fehlt .
Das Betriebsklima hat sich verschlechtert . 70 Prozent der
Beschäftigten berichten, dass die Arbeit intensiver geworden ist . Zwei Drittel befürchten eine Versetzung an
einen anderen Ort . Fast 40 Prozent fühlen sich nicht mehr
sicher und häufig gehetzt.
({2})
- Ja, in der Tat sind das arme Leute . Auf der anderen
Seite ist eine Behörde genauso wie ein Betrieb oder ein
Unternehmen abhängig von den Beschäftigten und damit
auf einen entsprechenden Umgang mit den Beschäftigten
angewiesen .
({3})
Kollege Kammer, Sie haben bei der ersten Lesung des
Gesetzentwurfs gesagt: mit den Beschäftigten . Die Beschäftigten würden an der Reform beteiligt werden, und
es sei gelungen, auf die Bedürfnisse der Beschäftigten
einzugehen . Das ist nicht so . Zu diesem Schluss kommen
Sie, wenn Sie mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort
sprechen .
({4})
Die Errichtung der zentralen Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Bonn wirkt sich nicht positiv aus . Die überwältigende Mehrheit der Beschäftigten
hält es für falsch, Kompetenzen in der Bonner GDWS zu
bündeln . Nicht weniger, sondern mehr Kompetenz vor
Ort wird gefordert . Das sehen die Bundesländer genauso . Künftig sollen sie aber an Entscheidungen, die die
Bundesländer betreffen, gar nicht mehr beteiligt werden .
Deshalb fordern wir in unserem Änderungsantrag, die
Beteiligung der Länder über den Bundesrat zu erhalten .
Die Binnenschifffahrt könnte einen wichtigen Beitrag zu einer Verkehrswende hin zu ökologischen Verkehrsträgern leisten . Binnenschiffe sind leise und stoßen
weniger Schadstoffe pro Tonnenkilometer aus als andere Verkehrs träger . Aber der Anteil der Binnenschifffahrt
sinkt seit Jahren kontinuierlich . Die Zerschlagung der
bewährten Strukturen der WSV hat zu diesem Trend beigetragen . Die Schaffung einer Zentralstelle verschärft
diese Entwicklung . Das ist kein gutes Zeichen für eine
ökologisch orientierte Verkehrspolitik .
({5})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Gustav Herzog, SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Unsere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung hat ihr Ziel
in einer kurzen, klaren Botschaft zusammengefasst: Wir
machen Schifffahrt möglich . - Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist, dabei zu helfen .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir einen weiteren Meilenstein setzen . Aber das Gesetz als solches ist nicht gerade berauschend . Da ist ganz viel Technik drin . Wir werden als SPD-Bundestagsfraktion dem
Gesetzentwurf zustimmen .
Lieber Kollege Behrens von der Linken, wir werden
den Änderungsantrag Ihrer Fraktion ablehnen, weil wir
es für nicht erforderlich halten, die Mitbestimmungsrechte der Länder über den Bundesrat auszuweiten . Bedenken Sie: In den 75 Verordnungen, die geändert werden,
geht es in der Regel nur um Textänderungen, aber nicht
um Inhalte . Es geht überwiegend um rein bundespolitisches Handeln . Bei aller Freundschaft zu den Ländern:
Das, was Sie fordern, ist nicht notwendig .
({0})
Für die Länder ist viel wichtiger, dass Ansprechpartner vor Ort sind, dass der Landrat, der Bürgermeister
oder der Feuerwehrkommandant im Fall einer Havarie
wissen, mit wem sie zu telefonieren haben, und ihre Leute bei der WSV kennen . Das ist wichtig, und das machen
wir mit diesem Gesetz fest . Wir bleiben in der Fläche
kompetent vertreten .
({1})
Ich kann den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der CDU/CSU - das hätte früher auch für die
Kollegen von der FDP gegolten - einen Rückblick auf
den 27 . Oktober 2010 nicht ersparen . In jenem berühmten
Herbst der Entscheidungen haben Sie als schwarz-gelbe
Koalition im Haushaltsausschuss eine Entscheidung getroffen, die da lautete: Wir zerschlagen die WSV . Wir
machen aus einer Durchführungsverwaltung eine GeHerbert Behrens
währleistungsverwaltung, mit dem Ziel, Personal abzubauen und zu privatisieren . - Nun wende ich mich an den
Magdeburger Kollegen Behrens von der Union . Damals
sind die Beschäftigten auf die Straße gegangen und haben Schilder mit der Aufschrift „Dem Osten das Wasser
nicht abgraben“ hochgehalten . Ihre Solidarität habe ich
damals vermisst .
({2})
Unter Herrn Ramsauer war geplant, über 2 000 Stellen
abzubauen und ein Viertel aller Standorte zu schließen,
bis hin zu der irren Idee, in den Ämtern eine Trennung
zwischen Infrastruktur und Betrieb vorzunehmen . Das
ist alles im Zuge des 6 . Berichts zur Reform der WSV
einkassiert worden . Dafür bin ich dem Bundesminister
sehr dankbar . Herr Staatssekretär, richten Sie es ihm aus .
({3})
Er hat das, was wir mit der Koalitionsvereinbarung
möglich gemacht haben, umgesetzt . Wir haben damals in
die Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben, dass wir
die Reform zusammen mit den Beschäftigten weiterentwickeln wollen . Wir haben auch hineingeschrieben: Wir
wollen die Kompetenz in der Fläche erhalten, wir wollen,
dass die Beschäftigten dort sind, wo sie gebraucht werden . - Das steht im 1 . Fortschrittsbericht .
Es gibt eine Garantie für alle Standorte . Die Beschäftigten wissen - sozialverträglich -: Sie müssen nur anderswo hin, wenn sie es wirklich wollen . Und der Bundesminister hat auch eine klare Aussage getroffen: Wir
wollen nicht weiter privatisieren und vergeben, sondern
wir wollen in Zukunft sehr genau darauf schauen, wo die
Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung eigene Kompetenz braucht . Die wollen wir wieder aufbauen, und das
ist auch der richtige Kurs .
({4})
Mein Dank geht insbesondere an unsere Haushälter .
Bettina Hagedorn und Norbert Brackmann haben sich
in enger Abstimmung mit uns Verkehrspolitikern immer
dafür eingesetzt, dass ausreichende Mittel zur Verfügung
stehen und dass auch in den letzten zwei Jahren das Personal wieder aufgestockt wird . Es geht nicht wie in der
Vergangenheit mit dem Abbau von Personal und dem Hineintragen von Verunsicherung in die Belegschaft weiter,
sondern wir stellen wieder Leute ein, müssen aber zur
Kenntnis nehmen, dass wir da in Konkurrenz zu vielen
anderen stehen . Planungsingenieure, Bauingenieure, Juristen, die die Planfeststellungsverfahren vorantreiben wir streiten uns da um dieselben Leute . Deswegen ist
unser Auftrag, als Parlament und als Abgeordnete dafür
zu sorgen, dass die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung ein attraktiver Arbeitgeber wird, wo die Leute
gern hingehen . Diese Aufgabe haben auch wir als Abgeordnete zur erfüllen .
({5})
Ich habe angesprochen, dass unsere Haushälter gut
Geld zur Verfügung stellen . Der Bundesminister hat auch
schon an anderen Stellen gesagt: Geld ist nicht mehr das
Problem . - Wir mussten sogar Gelder zurückgeben . In
den Jahren von 2009 bis 2014 haben wir aus dem Haushalt für Unterhalt und Bau von Wasserstraßen 700 Millionen Euro nicht ausgeben können .
Die Straßenbauverwaltungen der Länder, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben sich darüber gefreut . Sie
waren in der Lage, das Geld auszugeben .
({6})
Das sage ich als kleinen Hinweis für die aktuelle Diskussion über eine Bundesfernstraßengesellschaft . Die Befürworter einer solchen Bundesfernstraßengesellschaft
hätten es etwas einfacher in der Diskussion, wenn sie
sagen könnten: Wir haben das in der Vergangenheit bei
unserer eigenen Firma hervorragend gemacht . - Diesen
Beweis zu führen, ist, glaube ich, etwas schwierig . Meine
persönliche Auffassung lautet: Ich will bei der Aufteilung
der Aufgaben - Wasserstraßen sind Bundessache, Straßenbau und -unterhaltung sind Ländersache - bleiben .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Diskussion
wird eines klar: Bevor wir den Investitionshochlauf umsetzen können, müssen wir gemeinsam für einen Personalhochlauf bei unserer Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung sorgen . Wir müssen auch den Ländern diese
Möglichkeit geben .
({8})
Bei all den Reformen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir eines bedenken: Die machen diese Reformschritte während der ganz normalen Arbeitszeit . Sie
sind ja dabei an den Schleusen, an den Dükern, an den
Deichen, an den Wehren . Das wird alles gemacht, während wir gleichzeitig einen Umbau der Wasserstraßenund Schifffahrtsverwaltung vornehmen . Daher richtet
sich mein Dank an die Beschäftigten, die draußen eine
so tolle Arbeit leisten und auf die wir stolz sein können .
({9})
Denn unsere Wasserstraßen oder Wasserstraßen überhaupt sind etwas ganz Besonderes . Ohne Schiene und
Straße zu nahe treten zu wollen, muss ich doch sagen:
Schiene ist doch langweilig . Da fahren Züge . Wir können noch Güterzüge, Nahverkehrs- und Fernverkehrszüge unterscheiden . Auf der Straße ist das Bild schon etwas
bunter . Da dürfen Lkws, Pkws, Motorräder, manchmal
auch Fahrräder fahren, und sogar Fußgänger sind unterwegs . Aber unsere Wasserstraßen sind multifunktional .
Sie sind für die Ökologie unheimlich wichtig . Wir
werden Weltmeister im Bau von Fischtreppen . Für den
Tourismus sind die Wasserstraßen wichtig . Ich sehe den
Kollegen Stefan Zierke hier . Wenn Sie mit Ihren Liebsten
einmal ein Picknick machen wollen,
({10})
gehen Sie dann an den Autobahnzubringer oder an die
Weiche? Nein, Sie gehen an den Kanal, Sie gehen an den
Fluss . Das ist das äußere Zeichen, wie wichtig dieser Verkehrsträger auch unter ökologischen Gesichtspunkten ist .
Deswegen lohnt es sich, in diesen zu investieren .
({11})
Dazu kommt: Für Millionen von Menschen ist die
Wasserver- und -entsorgung wichtig . Beim Hochwasserschutz arbeiten wir jetzt auch sehr eng mit den Ländern
zusammen. Herr Staatssekretär, ich finde es gut, dass wir
gemeinsam mit dem Umweltministerium - Stichwort:
Bundesprogramm „Blaues Band“ - eine Menge machen,
um deutlich zu zeigen: Es gibt keinen Widerspruch zwischen Ökologie und Binnenschifffahrt und Seeschifffahrt . Das können wir gut gemeinsam machen .
({12})
Die Wasserstraßen erzeugen Energie, und, ja, sie sind
auch für den Transport wichtig und notwendig . Da fängt
aber das Problem an, weil unsere Bundeswasserstraßen
häufig eindimensional sind. Auf der Schiene können
wir den Verkehr umleiten, auf der Straße sind wir das
gewöhnt . Aber wenn ich irgendwo eine Schleuse wegen
einer Havarie oder weil eine Reparatur ansteht zumachen
muss,
({13})
dann kann ich schlecht das große Motorschiff mit
2 000 Tonnen Gewicht herausheben, herumtragen und
wieder ins Wasser setzen .
Das ist die besondere Herausforderung an die Zuverlässigkeit unserer Bundeswasserstraßen . Der müssen wir
uns stellen . Um zu zeigen, wie wichtig sie für die Volkswirtschaft sind, will ich daran erinnern, was los war, als
im Nord-Ostsee-Kanal bei Brunsbüttel eine Schleuse kaputt war oder als die „Waldhof“ im Rhein havariert war
und der Rhein für einige Tage blockiert war . Die WSV hat
eine tolle Arbeit geleistet; trotzdem hat die Havarie deutlich gemacht, wie wichtig die Wasserstraßen für unsere
Volkswirtschaft sind . Es lohnt sich, darin zu investieren,
auch im Hinblick auf den Bundesverkehrswegeplan .
Da will ich noch einen Hinweis geben . Wir haben
Schleusen, die in 10 bis 15 Jahren grundsaniert werden
müssen . Eine solche Grundsanierung dauert nicht wenige
Tage oder Wochen, sondern sie kann Monate, wenn nicht
sogar ein Jahr dauern . Wenn eine solche Schleuse einen
ganzen Wasserweg sperren kann, stellt sich ganz klar die
Frage, ob wir im Hinblick auf diese Grundsanierungen
nicht überall für Redundanzen, also für zweite Schleusen
sorgen müssen, damit die Durchgängigkeit bleibt .
Liebe Genossinnen und Genossen - ({14})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war eine Einladung an Sie alle . - Wir erwarten mit Spannung in der
nächsten Sitzungswoche den Bundesverkehrswegeplan,
({15})
die näheren Informationen zum Fortschrittsbericht und
dazu, wie die Reviere abgegrenzt sind, wie die innere
Struktur ist und wie abgeschichtet wird . Wir erwarten
den Netzzustandsbericht, Herr Staatssekretär . Ich hoffe,
es ist das letzte Mal, dass ich von dieser Stelle aus daran
erinnern muss . Wir erwarten auch einen Wassertourismusbericht . Es liegt also viel Arbeit vor uns . Packen wir
es gemeinsam an, machen wir Schifffahrt möglich .
Danke schön .
({16})
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Dr . Valerie Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Der Versprecher kam eben nach Ende der Redezeit .
Daran lag es wahrscheinlich .
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wo bin ich heute hier gelandet?
({0})
- SPD-Parteitag?
({1})
- Kollege Herzog, auch für einen SPD-Parteitag waren
das schwer zu ertragende elf Minuten .
({2})
Da müssen Sie vielleicht ein bisschen mehr liefern als
das, was Sie heute gemacht haben .
Aber immerhin haben wir es geschafft, dass wir die
heutige Debatte gegen 14 Uhr führen - im Moment ist es
14 .39 Uhr -; sonst sind wir immer gegen 22 Uhr an der
Reihe . Warten Sie einmal ab . Ich bin ja dafür bekannt,
dass ich auch um 22 Uhr noch das eine oder andere an
Stimmung in die Hütte hineinbringen kann . Vielleicht
gelingt mir das jetzt auch noch . Schauen wir mal . Sie alle
warten ja schon ganz gespannt darauf .
Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben es schon
gesagt: Die Wasserstraßen sind ein wichtiger, aber leider
immer wieder vergessener Verkehrsträger in Deutschland . Sie leisten einen entscheidenden Beitrag dazu, dass
vor allem der Güterverkehr ökologischer als etwa auf der
Straße abgewickelt wird . Aber der Bund muss sich auch
fragen, ob und wie er das umfangreiche Netz noch weiter
erhalten kann . - Der Staatssekretär nickt . Er weiß, dass
er nicht so viel Geld hat . - Welche Aufgaben muss der
Bund noch erbringen? Welche tragfähigen Instrumente
brauchen wir dafür langfristig? Oder soll alles so weiterlaufen wie in den letzten Jahrhunderten, wie es Kollege
Herbert Behrens vielleicht ganz gerne haben möchte?
Die Zeit, diesen Fragen nachzugehen, Herr Staatssekretär, hatte die Bundesregierung; aber intelligente Lösungen habe ich von Ihnen dazu bisher nicht gehört . Sie
doktern stattdessen weiter an einer Reform herum, die
keine ist . Machen Sie sich einmal tiefschürfende Gedanken, wie Sie die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung zukünftig aufstellen wollen . Ihre Verkehrspolitik
ist in Anbetracht der Probleme, die unserem Land im
Infrastrukturbereich bevorstehen, genauso marode wie
die Schleusen und Wehre, die wir in den Wasserstraßen
finden.
({3})
Sie versuchen, das Problem einfach durch mehr Stellen für ein marodes bürokratisches System zu übertünchen . Hier müssen Sie uns schon etwas mehr liefern .
Oder wollen Sie etwa, dass alles bald zusammenbricht?
({4})
Wir brauchen endlich ein weitsichtiges und als Dienstleistung für die Schifffahrt aufgestelltes System Wasserstraße .
({5})
Noch sehe ich hier jedoch weiterhin nur das Festhalten
an der preußischen hierarchischen Verwaltungsstruktur .
Wäre es nicht sinnvoller, auf eine Zentralstelle hinzuarbeiten, die den Ämtern nicht mehr so viel hineinredet,
sondern sie auch einmal arbeiten lässt, eine Zentralstelle
mit weniger Aufgaben, also hauptsächlich mit hoheitlichen Tätigkeiten?
Herr Staatssekretär, nehmen Sie das doch einmal mit .
Stecken Sie das Ihrem Minister, specken Sie also auf den
höheren Verwaltungsebenen ab, und verlagern Sie Entscheidungen auf die Ebene der ausführenden Ämter . Die
Mitarbeiter vor Ort würden es Ihnen wirklich danken .
Sie sehnen sich geradezu danach, nicht nur die Verantwortung für die Sicherheit der Anlagen aufgebürdet zu
bekommen, sondern sie wollen auch die notwendige Entscheidungskompetenz vor Ort haben . Jedes Mal wegen
50 000 Euro über mehrere Ebenen nach Bonn zu laufen - da sitzt nämlich die ganze Verwaltung, nicht hier
in Berlin ({6})
und auf Entscheidungen zu warten, bremst das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur aus .
Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Hause, dazu gehört aber auch die Bereitschaft in der Politik, also hier von uns allen, auch einmal loszulassen und
nicht bei jeder Detailfrage mitreden zu wollen .
({7})
Das ist schwer für Politiker - das weiß ich -; das ist nicht
so ganz einfach . Haben Sie schon einmal etwas von Führungskultur gehört? Dazu gehört auch das Prinzip „Führen durch Ziele“ oder - wenn es Ihnen neudeutsch lieber
ist - „Management by Objectives“ . So sollten wir das
machen und uns damit auch politisch über einen längeren Zeitraum verpflichten. Dann könnte sich das System
Wasserstraße wirklich regenerieren .
Neben einer ineffizienten Verwaltungsstruktur drückt
uns nämlich eine weitere wichtige Aufgabe: der Abbau
des gewaltigen Sanierungsstaus . Vor allem bei den Wasserstraßen haben wir es mit uralten Bauwerken zu tun .
Hätten frühere Generationen nicht so gute Arbeit geleistet, stünden wir vor noch viel größeren Herausforderungen .
Um diesen Sanierungsstau abzubauen, müssen wir die
Vorhaben auch planen . Dazu passen aber die vorhandenen Strukturen überhaupt nicht . Man kann ja gar keinen
neuen Planer einstellen; denn man bezahlt sie einfach zu
schlecht . Hinzu kommt dieses starre System mit gehobenem und höherem Dienst . So kommt man nicht weiter .
Wir brauchen daher neue Lösungen . Die zukünftigen
Anforderungen kann man nur noch über ein betriebswirtschaftlich arbeitendes System bewältigen . Eine ausreichende Anzahl an Wasserbauern, Bauingenieuren, Vermessern, Architekten oder Juristen erhält man mit den
verkrusteten Behördenstrukturen doch nicht mehr; denn
da macht einem das undurchlässige Besoldungs- und Tarifrecht einen Strich durch die Rechnung .
Das zeigt, Herr Staatssekretär, Sie haben ein Verwaltungsproblem . Ich hoffe, das wissen Sie auch . - Nein,
doch nicht? Dann nehmen Sie das einmal mit!
({8})
Und Sie haben vor allen Dingen keine Idee, wie Sie es
lösen wollen . Nur mehr Geld und mehr Stellen reichen
nicht . Und diese heute zu beschließenden Gesetzesänderungen sind doch nur ein klitzekleiner Schritt hin zu einer
echten Reform .
Dem wollen wir zwar im Interesse der Beschäftigten
nicht im Wege stehen -
Frau Kollegin, Sie haben ein Zeitproblem . Ihre Redezeit ist schon überschritten .
({0})
Ja, Herr Präsident, ich komme jetzt auch zum Ende . Sogar da will die Linkspartei nicht mitmachen und macht
sogar noch ein neues Diskussionsfeld mit den Ländern
auf . Da gehen wir garantiert nicht mit .
Herr Staatssekretär, Sie haben wirklich engagierte
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, die sich für das
System Wasserstraße richtig einsetzen . Fahren Sie diese
bitte nicht „sauer“ . Bieten Sie ihnen moderne Strukturen
mit eigener Verantwortung . Dann werden Ihnen das Ihre
Mitarbeiter, unsere Mitarbeiter, und vor allen Dingen
auch die Kunden danken . Zur Erreichung dessen ist der
Weg leider noch deutlich weiter, als uns das Herr Herzog
in seiner Parteitagsrede hier darstellen wollte .
({0})
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Matthias Lietz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht
leicht, wenn man am Ende dieser Debatte im Rahmen der
zweiten und dritten Beratung des Entwurfs des Gesetzes
zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden
an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes zu sprechen hat . Es ist vorgesehen, innerhalb dieses Gesetzes eine Neuordnung vorzunehmen
und die Verordnungen dem anzupassen .
Vielleicht gestatten Sie mir aus diesem Grund erst einmal einen kleinen Rückblick - das ist ja von dem einen
oder anderen Kollegen auch schon gemacht worden und
auch von meinem lieben Kollegen Herzog -, damit wir
uns noch einmal daran erinnern können, was denn eigentlich der Ausgangspunkt gewesen ist . Warum haben wir
uns auf diesen Weg begeben?
Ich habe recherchiert: Es war bereits im Jahr 1999, als
eine Projektgruppe „Entwicklungskonzepte für eine zukunftsorientierte Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Konzentration der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung
auf Kernaufgaben“ eingerichtet wurde . Zielrichtung war
es, zu prüfen, welche Aufgaben durch die Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung mit welcher Intensität selber
wahrgenommen werden müssen oder sollen und welche
wiederum nicht, welche Aufgaben durch Dritte wahrgenommen werden können oder sollen, und welche Aufgaben gegebenenfalls sogar entfallen können .
Dazu gab es 2001 einen Abschlussbericht . Das Ergebnis ist Ihnen bekannt . Es war - inhaltlich zusammengefasst -: Es besteht ein dringender Reformbedarf . Wir
haben ja auch aus allen Fraktionen heute erfahren, dass
wir gemeinsam versucht haben, diesen Reformbedarf auf
unterschiedlichen Wegen umzusetzen .
Aber lassen Sie mich dabei eines deutlich machen: Es
muss uns gelingen, wenn wir diese Reform auf den richtigen Weg bringen wollen, sie den aktuellen Gegebenheiten anzupassen und vor allen Dingen die Mitarbeiter auch das ist schon öfter gesagt worden - auf diesem Weg
mitzunehmen . Das gelingt in Zukunft nur in tragfähigen
Strukturen .
Als Berichterstatter im Verkehrsausschuss ist mir bei
den Gesprächen vor Ort immer wieder gesagt worden,
dass eine Reform überfällig ist, dass die Reform durchaus auch auf der Verwaltungsebene selbst und von den
Mitarbeitern begrüßt wird und dass es dann, wenn wir
an diese Reform und an die Umsetzung herangehen - an
diesem Punkt sind wir ja angelangt -, wichtig ist, unaufgeregt und mit großen Zielen vor Augen und ohne politische Ränkespiele daranzugehen . Ich habe in den letzten
Jahren erlebt, vor allem in der letzten Legislatur, dass wir
es dann oftmals auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen haben .
So lautet auch eine klassische und typische Frage, die
immer wieder gestellt wird: Wo ist denn der künftige
Standort des Wasser- und Schifffahrtsamtes? Was wird
in meinem Bereich stattfinden? Das ist aus meiner Sicht
nicht zielführend - auch nicht die Debatte um den Standort Bonn -, sondern einzig und allein die Frage: Wie erfüllen wir die vor uns stehenden Aufgaben? Es muss uns
dabei allen bewusst sein, dass eine solche Reform kein
Wunschkonzert darstellen kann . Es wird immer positive
und negative Seiten geben, und es geht darum, einen zielgerichteten Konsens zu finden.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir jetzt
den Stand erreicht haben, dass es eine Generaldirektion
in Bonn gibt und die bestehenden Standorte erhalten bleiben, ist aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung . Ich hoffe, dass wir mit dem Gesetz die Verwaltung
und letztendlich auch den zuständigen Minister in die
Lage versetzen, diese Aufgaben umzusetzen .
Gerade als einer, der seinen Wohnsitz in einem Seebad
hat, der die Ostsee unmittelbar vor sich hat, möchte ich
am Schluss noch einmal deutlich machen, dass für mich
der Erhalt der Wasserstraßen, der Schleusen, der Wehre,
der Häfen eine der wichtigsten Aufgaben sein wird, die
vor uns stehen . Leider - auch das wurde heute bereits angesprochen - sehen wir dort die Ökologie und die damit
verbundene Ökonomie oftmals im Widerstreit . Ich will
ein Beispiel nennen: Es ist kein Lobeszeichen für uns,
dass wir gerade die Debatte um die Schiffbarkeit, um die
wirtschaftliche Nutzung der Elbe erst einmal beiseitelassen . Auszeichnen würde es uns, wenn wir uns dieser Diskussion um die Elbe mit großer Intensität stellen würden .
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass auf,
im und am Wasser die Zukunft, gerade auch der Wirtschaft in Ostdeutschland, liegt . Ich bin mir sicher, dass
unsere Wasserstraßen verkehrstechnisch und touristisch
eine große Bedeutung haben, dass wir in Zukunft dort,
wo wir diese vorfinden, auch Arbeitsplätze schaffen können und damit eine große Sicherheit für die Menschen
vor Ort .
Vielen Dank .
({0})
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Hans-Werner Kammer, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich wusste gar nicht, was man alles in eine Debatte hineinpacken kann, bei der es im Grunde nur um eine rein
sachliche Anpassung in mehreren Dutzend Gesetzen
geht; aber es ist ja auch interessant . Hier sitzen heute Experten für Schifffahrt . Jeder hier weiß im Grunde: Ein
Schiff ist im Hafen sicherer als auf hoher See . Ein Schiff
im Hafen kommt allerdings auch nicht voran . Das beschreibt die Entwicklung der WSV in den vergangenen
Jahrzehnten sehr gut . Über viele Jahre hat sich bei der
WSV nichts getan . Für Politik und Beschäftigte war es
eine beruhigende Stille . Aber die WSV ist gealtert und so
auch zum Sanierungsfall geworden . Die WSV darf dabei
allerdings nicht dasselbe Schicksal erleiden wie das Traditionsschiff „Roland von Bremen“, das 2014 im Bremer
Hafen gesunken ist .
Dass die WSV dringend reformiert werden muss, darüber besteht zumindest heute weitgehend Einigkeit; das
habe ich der Debatte entnommen . Die schwarz-gelbe
Vorgängerregierung hat die dringend notwendige Reform angeschoben . Zwischenzeitlich haben wir allerdings einige der abenteuerlichen Ideen unseres damaligen Koalitionspartners aus dem Reformkonzept entfernt .
Auftragsverwaltung und Privatisierung muss niemand
mehr fürchten . Wir konzentrieren uns auf das Wichtige,
nämlich die Modernisierung einer Verwaltung, die in
vielen Bereichen noch auf dem Stand der Nachkriegszeit
war . Gleichzeitig ist es gelungen, die Mitarbeiter besser
zu beteiligen . Der Dank dafür gebührt insbesondere unserem Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der bei der
Reform besonnen nachjustiert und den Dialog mit den
Beschäftigten gesucht hat .
({0})
Ein wesentlicher Bestandteil der Reform ist die Zentralisierung der Verwaltung durch die neue Generaldirektion . Die WSV hat endlich einen eigenen Häuptling . Die
Struktur der sieben Direktionen war nicht mehr zeitgemäß . Viele zentrale Steuerungsaufgaben kann die WSV
nun selbst übernehmen . Die Fachverwaltung gewinnt
dringend notwendige Unabhängigkeit von der Ministerialverwaltung .
Durch eine Stärkung der Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter bleibt die WSV auch in der Fläche ein verlässlicher Ansprechpartner . Gleichzeitig hat die Große
Koalition aus den Personalproblemen Konsequenzen
gezogen . Mithilfe der Unterstützung unserer Kollegen
aus dem Haushaltsausschuss - von unserer Seite waren
das Norbert Brackmann, Eckhardt Rehberg, Norbert
Barthle - konnten nach vielen Jahren des Jobabbaus
wieder neue Schlüsselstellen geschaffen werden . Der
Kollege von der SPD hat es angesprochen: Wir stehen
aber auch in Konkurrenz zur Wirtschaft . Das muss man
einfach sehen .
Die Reform der WSV ist jedoch noch nicht abgeschlossen . Sie ist aber mit der Schaffung der GDWS, die
nun auch gesetzlich verankert wird, eindeutig auf dem
richtigen Weg . Die Opposition hat in erster Lesung und
im Ausschuss kritisiert, die Reform werde zu langsam
umgesetzt . Dazu kann ich nur sagen - ich habe auch vorhin schon zur Schifffahrt gesprochen -, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Wenn das Schiff
den Hafen verlassen soll und der Anker gelichtet wird,
heißt es nicht gleich „Volle Fahrt voraus!“ . Denn dann
erleiden Sie Schiffbruch .
({1})
Das Schiff WSV hat Fahrt aufgenommen, aber noch
nicht die hohe See erreicht . Liebe Opposition, wer nicht
auf Grund laufen will, muss Geduld haben . Gerade die
Grünen, die in sieben Jahren Regierungsbeteiligung rein
gar nichts auf den Weg gebracht haben, sollten sich hier
nicht zu weit über die Reling lehnen .
({2})
Seit Beginn der Reform hören wir von Frau Wilms,
wir sollten dem Ministerium einheizen . Dabei haben die
Grünen selbst jahrelang auf dem Sonnendeck gelegen .
({3})
Frau Wilms erzählt uns auch immer wieder, wir müssten
das Anlagevermögen der WSV ausweisen, um Transparenz zu schaffen . Was auf jeden Fall dabei transparent
würde, Frau Wilms, ist, dass wir weitaus mehr in den Erhalt der Wasserstraßen investieren - das kann ich dem
Kollegen Herzog jetzt nicht ersparen -, als es Rot-Grün
jemals in den sieben Jahren getan hat, in denen sie Regierungsverantwortung getragen haben .
({4})
Ich muss an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Der Kollege Manfred Behrens hat sich nachdrücklich immer
wieder in Magdeburg für den Erhalt der ostdeutschen
Wasserstraßen eingesetzt . Solidarität war hier eindeutig
gegeben .
({5})
Aber - ich kann das auch Ihnen nicht ersparen, Herr
Behrens - die Linken sind keinen Deut besser . Auch Herr
Behrens will, dass es vorwärtsgeht . Gleichzeitig wirft
er aber den Anker . Ihr Änderungsantrag mit dem Inhalt,
die Bundesländer bei jeder Anpassung der Rechtsverordnungen zustimmen zu lassen, soll doch nur die Reform
verzögern .
({6})
Mal wieder schwelgen die linken Nostalgiker lieber in
alten Zeiten . Dass gerade die Sozialisten eine Verwaltungsstruktur aus Kaisers Zeiten am vehementesten verteidigen, ist dabei eine besondere Ironie der Geschichte .
({7})
In erster Lesung haben Sie, Kollege Behrens, gesagt,
die GDWS sei eine Briefkastenfirma. Ich hatte nie Probleme, dort jemanden zu erreichen .
({8})
Vielleicht scheitert die Kommunikation daran, dass Ihre
Partei einmal wieder tote Briefkästen benutzt .
({9})
Bei der Koalition hingegen ist die Reform der WSV in
besten Händen . Minister Dobrindt als erfahrener Lotse,
Enak Ferlemann als Steuermann,
({10})
der mit der Opposition sachlich umgeht, der aber auch
den Klabautermann durchaus einmal von Bord jagt, werden die Reform der WSV sicher auf Kurs bringen und zu
einem guten Ende führen .
Herzlichen Dank .
({11})
Nachdem wir jetzt den Hafen dieser Debatte sicher erreicht haben, schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die
Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes . Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7634, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7316 anzunehmen .
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/7647 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für den Änderungsantrag
der Fraktion Die Linke? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Befristungen im öffentlichen Dienst stoppen
Drucksache 18/7567
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke,
das Wort .
({1})
Vielen Dank, Herr Präsident . - Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Mutter hatte sich Anfang der 70er-Jahre gewünscht, dass ich eine Ausbildung im öffentlichen
Dienst beginne .
({0})
Damals galt: Wer einen gut bezahlten Job haben will,
geht in die Privatwirtschaft; wer einen sicheren Job haben will, geht in den öffentlichen Dienst .
({1})
Diese Zeiten sind aber lange vorbei .
({2})
- Deswegen bin ich Abgeordnete geworden . Genau! Heute ist jede zehnte Stelle im öffentlichen Dienst befristet . Das betrifft mehr als eine halbe Million Beschäftigte .
Fast die Hälfte von ihnen sind junge Leute im Alter von
25 bis 34 Jahren . Kein Wunder, dass die Arbeit im öffentlichen Dienst gerade für junge Leute immer unattraktiver
wird!
Befristung bedeutet eine permanente Unsicherheit
und in der Lebens- und Familienplanung ebenfalls keine Sicherheit . Von den über 5 Millionen Beschäftigten
im öffentlichen Dienst geht die Hälfte bis 2030 in Rente .
Trotzdem erfolgt heute nahezu jede zweite Einstellung
befristet . Wie kurzsichtig handelt dieser Staat eigentlich,
wenn er seinen Nachwuchs durch systematische Befristungen bewusst kleinhält?
({3})
So, Kolleginnen und Kollegen, kann man sich auch selbst
schachmatt setzen .
In der anstehenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst
verlangen die Gewerkschaften neben einer Lohnerhöhung eine tarifliche Regelung, die Befristungen zum
Ausnahmefall macht .
({4})
Am 21 . März beginnen die Tarifverhandlungen in Potsdam . Verhandlungsführer für den Bund ist der Bundesinnenminister - ausgerechnet Herr de Maizière! Sein
Meisterstück hat er beim Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge abgeliefert . Seitdem ist dieses Amt bei chaotischer Personalpolitik und desaströsem Management
ganz vorn . In keiner anderen Verwaltung offenbart sich
ein so deutliches Staatsversagen, das von ganz oben ausgeht .
({5})
Zur Erinnerung: Nachdem der Bundesinnenminister den
Leiter des Bundesamts gefeuert hatte, ließ er die strukturellen Ursachen für die Nichtbewältigung der Asylanträge einfach bestehen . Das bedeutete eine bewusste personelle Unterbesetzung bei gleichzeitig rapide wachsenden
Aufgaben . Neben einem neuen Leiter müssen jetzt vor
allem befristet Beschäftigte die Aufgabe stemmen . Das
ist die Antwort auf die Frage, warum ein so zentrales Amt
in einer solchen zentralen Frage nicht funktionsfähig ist .
Eine derart unfähige Personalpolitik grenzt schon an Sabotage .
({6})
Das Beispiel zeigt eins ganz deutlich: Mit befristet
beschäftigtem Personal können zentrale staatliche Anforderungen nicht durchgeführt werden . Das betrifft nicht
nur die Beschäftigten des Bundes, sondern auch die der
Kommunen . Die kommunalen Arbeitgeber reden angesichts der anstehenden Tarifrunde reflexartig von leeren
Kassen . Sie nehmen die Flüchtlingssituation zum Anlass,
die Forderung nach mehr Lohn und Gehalt im Vorfeld
abzuwehren . Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun .
Die Beschäftigten in den Verwaltungen machen gerade angesichts der vielen Asylsuchenden in Deutschland
einen sehr guten Job und bewältigen die Aufgaben in den
Kommunen .
({7})
Damit das so bleibt, sind Rahmenbedingungen wichtig,
und die werden hier gemacht . Deswegen fordern wir in
unserem Antrag die ersatzlose Streichung der sachgrundlosen Befristung .
({8})
Die Befristung zur Erprobung muss ebenso wie die Befristung wegen Zweckbindung von Haushaltsmitteln aus
dem Gesetz entfernt werden . Wenn bei demselben Arbeitgeber zweimal aufeinanderfolgend aus sachlichen
Gründen befristet wurde, ist von einem unbefristeten
Arbeitsbedarf auszugehen . Schluss mit den Kettenbefristungen! Schluss mit den sachgrundlosen Befristungen!
Schluss mit dem ganzen Befristungsirrsinn!
({9})
Die Bundesregierung kann in ihren Ministerien und
Behörden mit positivem Beispiel vorangehen . Dass der
Staat über Jahre hinweg systematisch Personal abgebaut
hat, spüren die Menschen in der ganzen Republik . Versuchen Sie mal, einen Termin zu kriegen, um ihren Ausweis
zu verlängern .
({10})
- Richtig . - Besonders schlimm ist die Situation im
öffentlichen Dienst in Baden-Württemberg . Die Befristungsquote liegt dort deutlich über dem Bundesdurchschnitt . Das ist ein eklatantes Versagen der Landesregierung Kretschmann . Es ist im ureigenen Interesse
von Staat und öffentlicher Verwaltung, dass dort gute
Arbeit geleistet wird . Das setzt gute Arbeitsbedingungen
und einen guten Verdienst voraus .
Ich bin damals dem Rat meiner Mutter nicht gefolgt
und bin stattdessen Gewerkschaftssekretärin und dann
Bundestagsabgeordnete geworden . Sie und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst können sich aber darauf
verlassen, dass wir die Kolleginnen und Kollegen weiterhin unterstützen .
Vielen Dank .
({11})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Wilfried Oellers .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In dieser Legislaturperiode beraten wir zum
sechsten Mal einen Antrag der Fraktion Die Linke zum
Befristungsrecht .
({0})
Zum ersten Mal thematisieren Sie die Befristungen im
öffentlichen Dienst, die Sie stoppen wollen . Ihre Forderungen sind trotz geänderter Überschrift gleich geblieben . Sie wollen die sachgrundlose Befristung, den Befristungsgrund der Erprobung und die Möglichkeit der
sogenannten Haushaltsmittelbefristung abschaffen . Den
Katalog der Sachgründe wollen Sie als abschließend ansehen sowie eine Sachgrundbefristung nur mit einer einmaligen Verlängerung vorsehen . Alle diese Forderungen
stellten Sie bereits mit Ihrem letzten Antrag hierzu vor
etwa viereinhalb Monaten vor, nun lediglich in einem
anderen Gewand .
({1})
Darüber hinaus fordern Sie nun die Bundesregierung
auf, darauf hinzuwirken, dass im öffentlichen Dienst
nicht befristet eingestellt wird . Natürlich sehen wir von
der Union auch am liebsten nur unbefristete Arbeitsverhältnisse . Die Realität zeigt jedoch, dass dies aus den unterschiedlichsten Gründen nicht immer möglich ist .
Richtigerweise stellen Sie fest, dass die Befristungen
von Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst häufiger
vorzufinden sind als in der Privatwirtschaft; diese Feststellung machen Sie erstmals . Um die Befristung jedoch
in einer Gesamtschau darzustellen, sei erwähnt, dass
nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für
das Jahr 2014 die Befristungsquote der Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren bei 6,9 Prozent lag .
Dies ist der niedrigste Stand seit 2005 .
({2})
Berücksichtigt man, dass vor 2005 die Erhebungen
aufgrund einer ungenauen Methode ermittelt wurden, so
kommt man zu dem Ergebnis, dass die derzeitigen Werte
sogar die niedrigsten seit 25 Jahren sind; zwischenzeitlich war sogar ein Anstieg auf circa 9 Prozent zu verzeichnen .
Stiegen die Befristungen bis 2010 im Rahmen der
Wirtschaftskrise an, so ist seit 2010 ein stetiger Rückgang
zu verzeichnen . So kommen Menschen auch in schwierigen Zeiten in Arbeit . Diese Entwicklung kann doch nur
als positiv bezeichnet werden . Sie zeigt vor allem auch,
dass die Befristungen ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument sind, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten
angemessen reagieren zu können .
Wenn dann in wirtschaftlich guten Zeiten Befristungen rückläufig sind wie zurzeit, dann zeigt dies auch,
dass die Arbeitgeber verantwortungsvoll mit diesem Flexibilisierungsinstrument umgehen und es, der wirtschaftlichen Situation angemessen, anpassen .
Mit dieser Feststellung kann ich natürlich nicht ausschließen, dass in Einzelfällen Missbrauch betrieben
worden ist bzw . betrieben wird . Diese Fälle sind mit der
derzeitigen Rechtslage aber lösbar . Hierzu gilt es jedoch,
die Gerichte anzurufen . Einzelne Missbrauchsfälle dürfen in meinen Augen nicht dazu führen, dass gesetzliche
Regelungen verschärft werden .
({3})
Damit verhindert man nicht die Missbrauchsfälle . Man
verhindert sie nur dadurch, dass sie gerichtlich aufgeklärt
und sanktioniert werden .
Mit einer Verschärfung trifft man zuallererst diejenigen, die redlich handeln, und schränkt sie weiter ein, da
sie sich an die neue Rechtslage halten werden . Es kann
aber nicht das Ziel sein, den Großteil der redlichen Unternehmer und Arbeitgeber durch schärfere Regelungen
zu bestrafen, nur weil es einige schwarze Schafe gibt, die
mit geltendem Recht sanktioniert werden können .
Im Rahmen der Gesamtbetrachtung darf auch nicht
außer Acht gelassen werden, dass die Befristungen neben ihrer Flexibilisierungsfunktion auch eine Brücke für
Arbeitslose in den Arbeitsmarkt darstellen .
({4})
Die Übernahmequote ist bemerkenswert; Sie sollten sie
sich anschauen, Frau Krellmann . Bei 43 Prozent befristeter Neueinstellungen im Jahr 2014 wurde eine Übernahmequote von 58 Prozent erreicht, Tendenz steigend .
({5})
Das IAB kommt in seinem Forschungsbericht aus dem
Jahr 2015 zu der Feststellung, dass gerade die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung häufig als eine Brücke in den Arbeitsmarkt fungiert .
({6})
- Lesen Sie sich die Feststellungen des IAB durch .
({7})
Das ist darauf zurückzuführen, dass die sachgrundlose
Befristung eine unbürokratische Einstellungsmöglichkeit
darstellt .
Berücksichtigt man all das vor dem Hintergrund der
Rekordbeschäftigungszahlen - über 43 Millionen Erwerbstätige, über 30 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bei circa 2,9 Millionen Arbeitslosen -, so zeigt dies, dass die derzeitige
Rechtslage, natürlich gepaart mit der guten wirtschaftlichen Situation, die Menschen in Arbeit bringt, und das
muss doch auch schließlich unser Ziel sein .
({8})
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Altersgruppe
von 15 bis 24 Jahre eine Befristungsquote von 23 Prozent
ausweist, da sie in den folgenden Altersgruppen bis hin
zur ältesten Altersgruppe - 55 bis 64 Jahre - auf 3,7 Prozent absinkt . Dies zeigt: Auch wenn der Berufseinstieg
zunächst durch eine Befristung erfolgt, so geht er in der
Regel in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis über .
({9})
Betrachtet man den Bereich des öffentlichen Dienstes
genauer, so macht man folgende Feststellung: Beim gesamten Befristungsanteil im Jahr 2014 von 10,3 Prozent
liegt der Schwerpunkt der Befristungen im wissenschaftlichen Bereich .
({10})
Das IAB hat in seinem Forschungsbericht festgestellt,
dass die Befristungen im öffentlichen Dienst lediglich
5,6 Prozent betragen würden, wenn man den wissenschaftlichen Bereich einmal ausklammern würde .
({11})
Betrachtet man die Entwicklung von 2004 bis 2014,
so stellt man zwar einen Anstieg von 4,3 Prozent auf
5,6 Prozent fest; allerdings ist der Befristungsanteil seit
2010 leicht rückläufig. Eine derartige Quote ist sicherlich
vertretbar und erfordert keine gesetzlichen Veränderungen und schon gar keine Verschärfung der Rechtslage .
Anders muss man dies sicherlich bewerten, wenn man
sich die Befristungsanteile in den wissenschaftlichen
Einrichtungen anschaut, die etwa 50 Prozent der Befristungen im öffentlichen Dienst ausmachen . Die Entwicklung in diesem Bereich ist als sehr kritisch zu bewerten .
Lag der Befristungsanteil im Jahre 2004 insgesamt bei
26,3 Prozent, stieg er bis 2014 auf insgesamt 43,6 Prozent an . Die Entwicklung im wissenschaftlichen Bereich
bedurfte also einer gesonderten Betrachtung .
Daher haben wir uns in der Koalition das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 genauer angeschaut .
Es regelt die Bedingungen der befristeten Arbeitsverträge
wissenschaftlicher Mitarbeiter während der Qualifizierungsphase . Die rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen
des Gesetzes führten dazu, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur Einjahresverträge erhielten
und der erste Vertrag meist sogar eine Laufzeit von unter
einem Jahr hatte . Diesen Fehlentwicklungen ist die unionsgeführte Koalition im letzten Jahr durch ein Änderungsgesetz entgegengetreten, mit dem unsachgemäße
Kurzbefristungen für junge Wissenschaftler künftig verhindert werden . Sachgrundlose Befristungen sollen nach
dem neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz nur in Ausnahmefällen möglich sein . Wissenschaftliche Mitarbeiter
mit Daueraufgaben wie zum Beispiel Angestellte, Labor- oder Technikmitarbeiter dürfen keine sachgrundlos
befristeten Verträge mehr erhalten . All diese und weitere
Verbesserungen werden im kommenden Monat, im März
2016, in Kraft treten .
({12})
Damit ist ein wesentlicher Bereich der Befristungen
im öffentlichen Dienst durch die unionsgeführte Koalition verbessert worden .
({13})
Dies wird die Zahl der Befristungen insgesamt, aber insbesondere im öffentlichen Dienst, reduzieren und den
Menschen damit Planungssicherheit geben .
Das IAB kommt in seinem Forschungsbericht zu dem
Ergebnis, dass befristete Beschäftigungen im öffentlichen Sektor vielfach zum Einsatz gebracht werden, um
temporäre Personalausfälle zu kompensieren . Mich freut
es, in diesem Zusammenhang ein positives Beispiel aus
meinem Wahlkreis nennen zu können: Eine Behörde hatte insgesamt vier Mitarbeiter im Wege der Schwangerschaftsvertretung befristet beschäftigt . Rechtlich war dies
nicht zu beanstanden . Nach einigen Verlängerungen der
Arbeitsverträge, erneut im Wege der Schwangerschaftsvertretung, entschied der Behördenleiter, diese vier Mitarbeiter unbefristet einzustellen, um den Mitarbeitern
Planungssicherheit zu geben und weil er der berechtigten
Annahme war, dass Schwangerschaftsvertretungen in
seinem Hause auch zukünftig erforderlich sein werden .
({14})
Besonders freut mich natürlich, dass der Behördenleiter
Mitglied der CDU ist .
({15})
Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der Linken,
muss ich sagen, dass wir als Union sehr verantwortungsbewusst mit der Befristung umgehen . Die notwendigen
Rechtsveränderungen wurden bereits vorgenommen .
Natürlich müssen wir als Gesetzgeber die Entwicklung
weiter genau beobachten und gegebenenfalls Änderungen vornehmen;
({16})
aber mit Augenmaß . Ihre Vorschläge haben dieses Augenmaß nicht . Die Befristung ist in der derzeitigen Form
als Flexibilisierungsinstrument und als Brückenfunktion
zu erhalten, weil sie den Menschen im Ergebnis zugutekommt .
Danke schön .
({17})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate MüllerGemmeke, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute zum vierten
Mal in dieser Legislaturperiode über die Befristungen,
wenn auch immer aus unterschiedlichen Blickwinkeln .
Sie von der Unionsfraktion reden das Thema immer
noch klein. Sie verweisen häufig darauf, dass die meisten
Beschäftigten einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben .
Das stimmt zwar, aber das gilt beispielsweise nicht für
die Berufseinsteiger, für die junge Generation, also für
die Fachkräfte von morgen . Uns geht es bei diesem Thema vor allem um die Neueinstellungen; denn jeder zweite neue Arbeitsvertrag hat ein Verfallsdatum . Das ist die
Realität . Das ist heute normal, aber genau das ist das Problem . Nehmen Sie das doch bitte endlich zur Kenntnis .
({0})
Uns Grünen geht es vor allem um die sachgrundlose
Befristung. So werden nur flexible Randbelegschaften
aufgebaut, und der Kündigungsschutz wird umgangen .
Wir meinen, sachgrundlos zu befristen, ist unnötig . Wir
haben genügend Befristungsgründe;
({1})
das müssten auch die Sozialdemokraten wissen . Wenn
Sie schon ständig streiten, können Sie doch auch noch
das Thema der sachgrundlosen Befristung aufmachen .
({2})
Wir kritisieren das übrigens auch im Hinblick auf die
Bundesministerien . Ich habe eine Kleine Anfrage gestellt . Das Ergebnis war: 50 Prozent der Neuanstellungen
waren befristet, und zwei Drittel der Befristungen waren
sogar sachgrundlos . Damit liegen die Bundesministerien
weit vorne, sogar vor der Privatwirtschaft . Das ist kein
gutes und verantwortungsvolles Signal . So werden die
Bundesministerien ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht .
({3})
Aber auch ganz grundsätzlich haben Befristungen negative Folgen für die Beschäftigten:
Erstens . Eine Befristung bedeutet oft weniger Gehalt .
Das gilt nicht nur am Anfang, wenn die Beschäftigten befristet in die Arbeitswelt einsteigen . Sie verdienen auch
danach weniger .
Zweitens . Wer befristet angestellt ist, steht unter größerem Druck . Befristet Beschäftigte machen mehr Überstunden, sie nehmen weniger Urlaub, sie übernehmen
mehr zusätzliche Aufgaben, und sie fordern, wie gesagt,
auch weniger Geld - das alles, damit eine mögliche Entfristung nicht in Gefahr gerät . So werden Beschäftigte
gefügig gemacht . Das geht gar nicht .
({4})
Drittens . Alle Jugendstudien berichten von einer Generation, die durchaus optimistisch in die Zukunft schaut .
Einzige Ausnahme ist die Jobsituation . Junge Menschen,
die immer wieder nur einen Job auf Zeit haben, kommen
in der Arbeitswelt nie richtig an . Sie wissen nicht, ob sie
nach einiger Zeit wieder auf der Suche sind . Sie wissen
auch nicht, ob sie in eine andere Stadt ziehen müssen . Es
erfordert beispielsweise auch einigen Mut, sich in dieser
Situation für ein Kind zu entscheiden . Der Berufseinstieg
gestaltet sich für junge Menschen zunehmend schwieriger und brüchiger . Job und Einkommenssicherheit sind
aber schlichtweg ökonomische Voraussetzungen für eine
eigenständige Lebensgestaltung . Genau das fehlt vielen
jungen Menschen . Das ist nicht akzeptabel .
({5})
Viertens . Befristungen verschärfen natürlich auch den
Fachkräftemangel . Die Möglichkeit, einen festen Arbeitsvertrag zu bekommen, ist im öffentlichen Dienst geringer als in der Privatwirtschaft . Da werden junge Menschen häufig lange hingehalten. Natürlich wechseln die
jungen Menschen dann zwangsläufig in die Wirtschaft.
Wer nur auf Zeit angestellt ist, kann sich nur seltener
weiterbilden . Es gibt auch kaum Aufstiegschancen . In
der Konsequenz wird der öffentliche Dienst junge Menschen, die besonders motiviert sind, bald nicht mehr bekommen. Mit Blick auf den demografischen Wandel und
die Altersstruktur im öffentlichen Dienst ist das fatal .
Sehr geehrte Regierungsfraktionen, natürlich brauchen wir befristete Verträge: für Projektarbeit, die nur
befristet ist, für Schwangerschaftsvertretungen, bei langer Krankheit usw. Aber für Daueraufgaben - für Pflegepersonal, Erzieherinnen, aber auch Verwaltungspersonal - brauchen wir keine befristeten Verträge . Wenn
der öffentliche Dienst das nicht selber kapiert, dann muss
eben der Gesetzgeber handeln .
Die Lösung der Linken im Hinblick auf die Kettenverträge überzeugt mich nicht; das habe ich bereits in
der letzten Debatte gesagt . Dazu sollten Sie im Ausschuss endlich eine Anhörung beantragen . Bei der sachgrundlosen Befristung sind wir uns aber einig: Sie sollte
schleunigst abgeschafft werden . Flexibilität darf keine
Einbahnstraße sein; denn die Menschen brauchen soziale Sicherheit . Zeigen Sie endlich Empathie! Werden Sie
endlich tätig!
Vielen Dank .
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele HillerOhm für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gut, dass wir wieder einmal über das schwerwiegende Problem der sachgrundlosen Befristungen
sprechen . Wir haben das hier schon des Öfteren getan .
Die Argumente und die Positionen haben sich nicht geändert .
({0})
Allerdings gibt es nach wie vor das Problem der sachgrundlosen Befristungen . Möglicherweise löst es sich
durch immer wieder neue Debatten hier im Bundestag
von selber auf . Das wäre ja schön . Ich fürchte aber, dass
das nicht der Fall sein wird . Also müssen wir hier zu anderen Lösungen kommen .
Unsere Position ist nach wie vor klar: Wir lehnen
sachgrundlose Befristungen ab .
({1})
Sie sind für die Beschäftigten unwürdig . Sie lassen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Not im Ungewissen über ihre berufliche Zukunft. Und, meine Damen
und Herren, sie sind vor allem dann unnötig, wenn die
Konjunktur - so wie es jetzt der Fall ist - brummt . Arbeitgeber sollten froh sein, gutes Personal zu bekommen .
Dieses Personal sollen sie dann auch mit vernünftigen
Verträgen und guter Bezahlung halten . Es gibt heute kein
stichhaltiges Argument mehr für sachgrundlose Befristungen .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie prangern in Ihrem Antrag diesmal den öffentlichen Dienst
an . Ich habe selbst im öffentlichen Dienst, und zwar im
Hochschulbereich, gearbeitet .
({3})
Damals bin ich aus miesen Arbeitsbedingungen als freie
Journalistin in der Hoffnung in den öffentlichen Dienst
gewechselt, geregelte Arbeitszeiten, gute Arbeitsbedingungen sowie gute Perspektiven für mich und meine damals kleine Tochter zu haben . Die Arbeit war gut, der
Arbeitsvertrag war es nicht . Er war befristet . Zweimal
wurde er verlängert, ehe ich endlich ins unbefristete Angestelltenverhältnis übernommen wurde . Ich weiß noch
sehr genau, wie es sich angefühlt hat, zu warten und
zu hoffen und nicht zu wissen, wie es beruflich einmal
weitergehen wird . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wünsche ich keinem .
({4})
Befristete Arbeitsverträge ohne Angabe eines Grundes haben weder in der Wirtschaft noch im öffentlichen
Dienst etwas zu suchen . Befristungen insgesamt werden wir nicht abschaffen können . Es wird zum Beispiel
weiterhin Elternzeit- und Krankheitsvertretungen geben
müssen . Sie sind auch sinnvoll . Schaut man auf den Wissenschaftsbereich, so werden wir auch hier nicht alle
befristeten Arbeitsverhältnisse abschaffen können . Sie
können sinnvoll sein, damit zum Beispiel junge Nachwuchskräfte an den Universitäten weiterhin ihren Doktor
machen können . Leider wurde aber gerade im Wissenschaftsbereich Schindluder mit Befristungen getrieben .
Ich bin deshalb froh, dass wir mit unserer Reform des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes jetzt ein deutliches
Stoppschild gesetzt haben .
({5})
Künftig werden beispielsweise unsachgemäße Kurzbefristungen unterbunden . Nichtwissenschaftliches Personal fällt nun zum Glück überhaupt nicht mehr unter das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz, da diese Personengruppe überwiegend Daueraufgaben leistet . Insofern kann es
hier auch nur Dauerstellen geben . Das ist gut .
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, unsere Reform wird hoffentlich schnell Früchte tragen und
die Zahl der Befristungen im öffentlichen Dienst sinken
lassen . Ja, es ist richtig, der öffentliche Dienst sollte mit
gutem Beispiel vorangehen und seinen Beschäftigten
vernünftige Perspektiven bieten .
Frau Kollegin Hiller-Ohm, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Krellmann?
Ja, selbstverständlich .
Vielen Dank Frau Hiller-Ohm, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen . - Sachgrundlose Befristungen gibt
es seit dem 1 . Mai 1985 . 1985! So lange sind sie schon
möglich . Seit diesem Zeitpunkt stehen sie in der Kritik .
Und seit dieser Zeit wird die Zahl der Betroffenen nicht
kleiner, sondern jedes Jahr größer - egal wie die wirtschaftliche Situation gerade ist . Ich kenne das aus der Industrie und aus dem öffentlichen Dienst . Wie lange sollen die Beschäftigten noch warten, bevor sich da endlich
etwas tut? Sie argumentieren sehr richtig . Das alles kann
ich unterstützen, und ich finde, dass das absolut in Ordnung ist . Was aber soll ich meinen Kollegen sagen, wenn
sie fragen, wie lange sie noch warten sollen, bis endlich
etwas passiert?
Sie sollen bis zu den nächsten Wahlen warten, dann
richtig wählen und dadurch für andere Mehrheiten hier
im Bundestag sorgen .
({0})
Dann wird das Problem auch beseitigt werden .
({1})
Frau Krellmann, Sie haben recht: Im öffentlichen
Dienst sieht es schlecht aus . Er sollte mit gutem Beispiel
vorangehen . Ich habe ja berichtet, dass ich selber auch
darunter zu leiden hatte . Für mich ist es zu einem guten
Ende gekommen, für viele andere Menschen erfüllt sich
diese Hoffnung aber nicht .
Es ist nicht nötig, junge Menschen, die man dringend
braucht, auf Zeit einzustellen und wie einen Fisch am
Haken zappeln zu lassen . Das ist geradezu kontraproduktiv, da es aufgrund des demografischen Wandels immer
weniger Menschen geben wird, die überhaupt für den öffentlichen Dienst zur Verfügung stehen werden . Schon
heute ist eine deutliche Überalterung in vielen Bereichen
des öffentlichen Dienstes festzustellen .
Meine Damen und Herren, ich fürchte, wir können in
dieser Legislaturperiode mit unserem derzeitigen Koalitionspartner kein Gesetz mehr auf die Beine stellen, das
Verträge mit sachgrundlosen Befristungen untersagt, und
den Katalog mit den zulässigen Gründen für Befristungen nicht mehr kritisch durchforsten .
({2})
Schade eigentlich!
Deshalb setze ich meine Hoffnungen jetzt auf die Gewerkschaften . Verdi und der Deutsche Beamtenbund haben befristeten Arbeitsverträgen ohne Sachgrund im öffentlichen Dienst - allerdings nur denen ohne Sachgrund,
Frau Kollegin Krellmann - den Kampf angesagt . Dies
soll zentrales Thema in der Tarifrunde 2016 sein . Das ist
gut so . Ich wünsche Verdi und dem Beamtenbund viel
Erfolg . Macht Schluss mit den unwürdigen befristeten
Arbeitsverhältnissen!
({3})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Uwe
Lagosky .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt eine Fraktion in diesem Hohen Haus, die sagt:
Wir wollen den öffentlichen Dienst ausbauen: Hierfür sollen 50 Milliarden Euro jährlich in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit, Pflege,
öffentliche Sicherheit und Kultur eingesetzt werden .
Dadurch entstehen 1 Million Vollzeitarbeitsplätze
zu regulären, tariflichen Bedingungen.
Das versprach die Linke 2013 zur Bundestagswahl .
50 Milliarden Euro entsprechen ungefähr 16 Prozent des Bundeshaushaltes 2016 . Diese 50 Milliarden
in Kombination mit Ihren arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Projekten, die hier schon vorgeschlagen wurden,
würden für Deutschland zusätzliche Schulden zulasten
der nächsten Generationen bedeuten .
Daher fährt unser Land besser damit, dass es eine wirtschaftende, CDU/CSU-geführte Regierung hat .
({0})
Verbindendes Element zu wohl allen Fraktionen - das
muss man auch dazu sagen - ist ihr Einsatz für die Beschäftigten in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst .
Sie alle halten unsere Gesellschaft funktionsfähig und
verdienen daher unsere Wertschätzung .
Was uns trennt, ist der Umgang mit den Fakten . Dass
befristete Neueinstellungen im öffentlichen Dienst mit
circa 59,5 Prozent gegenüber 39,9 Prozent in der Privatwirtschaft eine größere Rolle spielen, ist unbestritten und
vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu
Recht herausgehoben worden . Allerdings sollte erwähnt
werden, dass die Anteile befristeter Einstellungen im
öffentlichen Dienst gerade seit Angela Merkels Regierungsantritt deutlich zurückgegangen sind, nämlich um
exakt 15,2 Prozent in den letzten neun Jahren .
Vielsagend finde ich die personalwirtschaftlichen Vorgaben der jeweiligen Ressorts, die die Bundesregierung
der Linksfraktion in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Kenntnis gab . Darin heißt es:
Da vielfach über Bedarf ausgebildet wird, ist die
Bundesverwaltung generell bestrebt, ehemaligen
Auszubildenden zumindest einen befristeten sachgrundlosen Anschlussvertrag anzubieten . . ., wenn
mangels freier Planstellen und Stellen keine unbefristete Übernahme erfolgen kann .
In der Antwort der Bundesregierung zum Verteidigungsministerium steht unter anderem:
Im Hinblick auf die Steigerung der Attraktivität des
Arbeitgebers Bundeswehr ist grundsätzlich darauf
hinzuwirken, dass die unbefristete Beschäftigung
verstärkt zielgerichtet genutzt und insbesondere bei
fortschreitender Klarheit über die Organisationsstrukturen wieder zum Regelfall wird .
({1})
Generell geregelt ist das in einem Erlass, der dazu auf
den Weg gebracht wurde . Auf Bundesebene sind wir also
schon dabei, die Situation zu verbessern .
Wenn es darum geht, wie von Ihnen gefordert, auf die
Länder einzuwirken, kann ich nur sagen: Sie sollten einmal das Gespräch mit Ihrem Ministerpräsidenten Bodo
Ramelow suchen . Dem Länderbericht über Thüringen
des IAB-Betriebspanels ist zu entnehmen:
Über die Hälfte aller Betriebe in den Branchen öffentliche Verwaltung und Erziehung und Unterricht
griffen auf befristete Arbeitsverträge zurück .
({2})
Weiter heißt es in dem Bericht zu Thüringen:
In den meisten Branchen wich die Häufigkeit von
Entfristungen in Thüringen vom westdeutschen und
ostdeutschen Durchschnitt ab . In Thüringen entfristete die öffentliche Verwaltung mit 9 Prozent auffällig selten, in Ost- und Westdeutschland lag hier der
Anteil im Durchschnitt bei 24 und 38 Prozent .
({3})
Also: Vor der eigenen Tür kehren, hilft auch .
Aber zurück zu Ihrem Antrag . Für befristete Arbeitsverhältnisse gibt es unterschiedliche Gründe . Beim öffentlichen Dienst sind die wichtigsten Befristungsmotive
laut IAB-Forschungsbericht ein befristeter Ersatzbedarf
mit 39,6 Prozent,
({4})
eine befristete Finanzierung der Stelle, die sogenannte
Haushaltsmittelbefristung, mit 20,1 Prozent, ein befristeter zusätzlicher Bedarf mit 13,6 Prozent .
Herr Kollege Lagosky, die Kollegin Krellmann möchte erneut eine Zwischenfrage stellen . Gestatten Sie sie?
Nein, diese gestatte ich nicht . Ich möchte gerne
weitersprechen . - Befristungen auf Probe spielen mit
9,4 Prozent im Vergleich zu diesen Befristungen in der
Privatwirtschaft mit 28 Prozent eine geringere Rolle .
Würden nun, wie von der Linksfraktion gefordert, insbesondere die Passagen zur Befristung auf Probe aus
dem Teilzeit- und Befristungsgesetz gestrichen, hätte das
Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft . Davon steht in
ihrem Antrag natürlich nichts .
Wozu Befristungen gut sind, egal wie man dazu steht,
wurde in der Anhörung zur sachgrundlosen Befristung
am 17 . März 2014 deutlich . Hier stellte der Sachverständige der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fest, dass 75 Prozent der befristet Beschäftigten
in reguläre Arbeit kommen . Demnach haben Befristungen für unseren Arbeitsmarkt eine wichtige Brückenfunktion; das ist hier heute schon mehrfach angeklungen .
Wir wollen diese erhalten .
Im öffentlichen Sektor, den wir bei dieser Frage ja besonders berücksichtigen müssen, spielen Verlängerungen
mit 38,3 Prozent eine größere Rolle als Übernahmen mit
31,4 Prozent und Personalabgänge mit 29,7 Prozent . „Im
öffentlichen Sektor sind demnach die Übernahmechancen geringer als in der Privatwirtschaft“, so der IAB-Forschungsbericht 2015 . Deshalb müssen Bund, Länder und
Kommunen alle Umstände, die mit einer Verlängerung
befristeter Verträge verbunden sind, intensiv prüfen und
so dafür sorgen, dass die Verlängerungen von Befristungen rechtskonform sind .
Zur Ausbildungssituation ist zu sagen: Durch die Ausbildung über Bedarf im öffentlichen Dienst bietet sich
jungen Menschen eine berufliche Perspektive.
Natürlich sind wir uns einig, dass junge Berufseinsteiger nach ihrer Ausbildung möglichst eine unbefristete
Anstellung bekommen sollten . Wir unterscheiden uns
jedoch dadurch, dass wir es eben den Betrieben überlassen, ob eine unbefristete Einstellung erfolgt oder nicht .
Damit liegt diese Entscheidung bei der Wirtschaft in den
Händen der Unternehmer und der Sozialpartner . In den
Ministerien und Verwaltungen entscheiden die Verwaltungsleitungen, in welchem Umfang unbefristete Übernahmen erfolgen . Diese Entscheidungsträger müssen die
wirtschaftliche Situation und den Stellenplan im Blick
haben .
({0})
Abschließend: Befristete Arbeitsverhältnisse spielen
bei Neuanstellungen im öffentlichen Dienst nach wie
vor eine große Rolle . Trotzdem ging ihr Anteil auf Bundesebene seit 2005 erheblich zurück . Die obersten Bundesbehörden und ihre nachgeordneten Institutionen sind
bereits im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestrebt, den
befristet Beschäftigten gute Lösungen zu bieten . Für gesetzliche Änderungen sehen wir zurzeit keine Grundlage .
Herzlichen Dank .
({1})
Für eine Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Krellmann .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Lagosky, Sie sind
Betriebsrat, und Sie sind Gewerkschafter .
({0})
- Ich höre gerade: ein guter Betriebsrat . - Ich kenne keinen Betriebsrat, der sich für sachgrundlose Befristungen
ausspricht - keinen einzigen . Ich bin im Grunde irritiert
darüber, dass es dann, wenn eine Große Koalition etwas
vereinbart hat und ein Punkt nicht dabei ist, nicht möglich ist, darüber zu reden . Für mich heißt Große Koalition
im Moment: null Bewegung,
({1})
gerade in einer Frage, die ganz viele Menschen betrifft .
Große Koalition heißt ferner, dass man nicht außerhalb
von Koalitionsvereinbarungen über Dinge reden kann,
die man richtig findet, sodass man in dieser politischen
Situation nichts ändern kann .
Ich biete Ihnen an, mit Ihnen über sachgrundlose Befristungen zu reden . Das tue ich gerne . Mich würde interessieren, was Ihre Gewerkschaft zu der Position sagt,
die Sie hier vertreten .
Herr Kollege Lagosky, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu erwidern .
Liebe Frau Krellmann, Sie haben meine Betriebsratstätigkeit angesprochen . Für mich standen immer der
Mensch und natürlich auch die Frage im Mittelpunkt,
wie ich jemanden in eine unbefristete Beschäftigung
bringen kann . Wenn es in gewissen Übergangszeiten nur
die Möglichkeit gab, über eine befristete Stelle in eine
unbefristete Stelle zu kommen, dann habe ich dieses auch
befördert, aber in die Richtung, dass es am Ende des Tages eine unbefristete Stelle gab .
Es gab durchaus Zeiten, in denen ein Unternehmen das gilt für alle Unternehmen in allen Branchen - in die
Situation gerät, dass sporadische Arbeitsleistungen notwendig sind . Auch diese Zeiten haben wir gehabt mit
Blick auf Investitionen, die in der Zukunft lagen . Dann
haben wir befristet eingestellt . Wir haben unseren Kolleginnen und Kollegen, die für einen befristeten Zeitraum eingestellt wurden, gesagt, dass sie nach diesem
Zeitraum den Betrieb wieder verlassen . Auch das gehört
zur Wahrheit und zur Klarheit dazu, die Betriebsräte aufrechterhalten müssen, wenn sie in unseren Betrieben unterwegs sind; sie müssen das den Menschen sagen .
Entscheidend ist aber, dass es gelungen ist, über eine
derartige Personalpolitik in den Betrieben, in denen ich
als Konzernbetriebsratsvorsitzender und Betriebsratsvorsitzender Verantwortung getragen habe, durchaus für eine
Personalentwicklung und auch eine Personalsteigerung
zu sorgen, teilweise auch über befristete Verträge . Das
ist, glaube ich, beispielhaft für alle Betriebe in Deutschland . Insofern hoffe ich, dass das Ihre Frage beantwortet .
Herzlichen Dank .
({0})
Jetzt hat das Wort für die SPD der Kollege Markus
Paschke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
möchte mit Herrn Oellers beginnen; denn in seiner Rede
sind mir ein paar Dinge aufgefallen . Eine kleine Richtigstellung: Die Koalition ist nicht unionsgeführt; die
SPD-Fraktion wird immer noch von einem Sozialdemokraten geführt, und das ist auch gut so .
({0})
Vielleicht ist die Regierung unionsgeführt, weil die
Kanzlerin von der Union gestellt wird, aber nicht die Koalition . Da reden wir, denke ich, auf Augenhöhe .
Ich finde, das Thema Befristungen verdient durchaus eine differenzierte Betrachtung . Was gar nicht geht,
sind Fälle, wie ich sie auch in meinem Wahlkreis erlebt
habe: Dort war ein Mitarbeiter 14 Jahre lang beim Landkreis beschäftigt, aber nicht unbefristet, sondern mit 16
befristeten Verträgen . Diese Verträge führten auch alle
Sachgründe an: Mal war es eine Vertretung, mal eine
Haushaltsbefristung . Diese Form von Kettenbefristungen - das sage ich ganz deutlich - halte ich im öffentlichen Dienst für völlig unangebracht und falsch .
({1})
Wir sind sicherlich einer Meinung: Daueraufgaben
im öffentlichen Dienst müssen mit unbefristet Beschäftigten erfüllt werden . Langfristiger Bedarf - dazu zähle
ich auch Springer - kann kein Grund für eine Befristung
sein . Mit seinem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht
schon 2012 den Weg zur Wende bereitet: Es verlangte in
seiner Entscheidung, dass eine umfassende Missbrauchskontrolle bei Befristung - auch unter Einbeziehung der
Zahl und der Gesamtdauer der geschlossenen befristeten
Arbeitsverträge - zu erfolgen hat . Anders ausgedrückt:
Auch wenn für die einzelne Befristung Sachgründe vorliegen, sprechen 16 Verträge in 14 Jahren eine deutliche
Sprache: Das ist nämlich Missbrauch .
Es wird Zeit, dass wir die klugen Urteile des Bundesarbeitsgerichts endlich in der Gesetzgebung umsetzen .
Da ich schon bei der Gesetzgebung bin: Mir fällt glatt
ein, dass wir auch im Koalitionsvertrag Regelungen
zum Thema „gute Arbeit“ vereinbart haben . Wir haben
vereinbart, den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen zu beenden . Deswegen fordere ich Sie an dieser
Stelle ausdrücklich auf, endlich die Blockadehaltung, die
Sie hier eingenommen haben, aufzugeben .
({2})
Wie ich sehe, habe ich meine Zeit schon überschritten .
({3})
Deswegen kann ich den zweiten Teil zur Befristung gar
nicht mehr vortragen . Nur so viel: Der öffentliche Dienst
leistet wichtige Arbeit für die Menschen in unserem
Land . Er kann nicht rein betriebswirtschaftlich betrachtet werden . Andererseits darf er auch nicht das Geld mit
vollen Händen zum Fenster hinauswerfen . Da ist ein
Ausgleich, eine differenzierte Betrachtung nötig . Differenziert betrachten, aber Missbrauch bekämpfen, das ist
unser Motto als Sozialdemokraten .
Danke schön .
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Paschke . - Nicht Ihre Zeit,
sondern nur Ihre Redezeit ist überschritten .
({0})
Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bernd Rützel für die SPD .
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, es ist
richtig: Bis Ende der 80er-Jahre galt der Satz: Gehʼ zum
Staat, da hast du einen sicheren Arbeitsplatz . - Die Sicherheit war vielen wichtig, und dafür nahm man geringere Verdienste und auch schlechtere Aufstiegsmöglichkeiten in Kauf . Diese Sicherheit gibt es heute nicht mehr .
Der öffentliche Dienst ist Spitzenreiter bei den Befristungen, - und zwar nicht nur bei der Anzahl, sondern auch in
Bezug auf die Länge der Befristungen .
({0})
Im Durchschnitt muss jeder Befristete fünf Jahre warten, bis er vielleicht übernommen wird . Dadurch ist die
Attraktivität des öffentlichen Dienstes gesunken . Es gibt
immer weniger junge Menschen im Staatsdienst, und
dadurch wird das Durchschnittsalter der Beschäftigten
immer höher . Bis 2020, also in rund vier Jahren, gehen
18 Prozent - fast jeder Fünfte - und bis 2030, also in
den nächsten 14 Jahren, die Hälfte aller im öffentlichen
Dienst Beschäftigten in den Ruhestand . Die brauchen
Nachwuchs! Das geht aber nur mit sicheren und verlässlichen Arbeitsplätzen und guten Rahmenbedingungen .
Ich wiederhole das, was ich schon oft von diesem Pult
aus gesagt habe: Sachgrundlose Befristungen verbauen
Lebenschancen und damit eine langfristige Perspektive .
Sie helfen nicht, sie schaden .
({1})
Das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, hat die Situation beleuchtet . Warum
ist das so? Man könnte sagen: Weil es im öffentlichen
Dienst weniger Minijobs, weniger Leiharbeit, weniger
Praktika und weniger freie Mitarbeit als in der Privatwirtschaft gibt, wird das Instrument der Befristung stärker genutzt, um flexibel zu sein. - Das ist für mich kein
ausschlaggebendes Argument . Ein wichtiges Argument
aus meiner Sicht ist aber, dass es nicht genügend Planstellen gibt . Die Aufträge müssen aber erledigt werden .
Deshalb will ich an dieser Stelle ein ganz herzliches
Dankeschön an alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst
sagen, die mit ganz vielen Überstunden nicht nur auf
die aktuellen Herausforderungen in der Flüchtlingskrise
reagieren, sondern die unseren Staat, unser Zusammenleben und unsere Ordnung funktionieren lassen und die
dabei mit Problemen konfrontiert werden, die sie vielleicht so noch nie hatten, aber Lösungen suchen und Lösungen finden. Die jammern nicht, sondern die packen
an . Sie sind motiviert, und sie sind wirkliche Staatsdiener . Deswegen freue ich mich auch, dass in den Tarifverhandlungen, die anstehen, das noch einmal auf den Punkt
gebracht wird .
Zusammenfassend und abschließend will ich sagen:
Wo es gute Sachgründe gibt - der Katalog ist lang genug -, ist eine Befristung von Arbeitsverhältnissen in
Ordnung . Sachgrundlose Befristungen dagegen verwehren den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein
Mindestmaß an Sicherheit . Es wird Zeit, dass man bald
wieder sagen kann: Gehʼ zum Staat, da hast du einen sicheren Arbeitsplatz .
Vielen Dank .
({2})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 16/7567 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe ausschließlich Zustimmung zu diesem Vorschlag .
({0})
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur
Änderung der Verordnung ({1}) Nr. 806/2014
im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems
KOM({2}) 586 endg.; Ratsdok. 14649/15
hier: Politischer Dialog mit der Europäischen
Kommission
Drucksache 18/7644
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
sehe und höre ich nicht . Dann ist das damit beschlossen .
Deshalb eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Antje Tillmann für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben bei der Regulierung der Finanzmärkte seit 2009 viel Richtiges verabredet und einiges davon auch schon gut umgesetzt .
Ich nenne die EZB-Aufsicht . 130 der größten europäischen Banken sind der EZB unterstellt und fallen jetzt
unter ihre Aufsicht .
Wir haben mit dem Abwicklungsmechanismus eine
Institution geschaffen, mit der im Ernstfall eine geordnete Sanierung oder Abwicklung möglich wird, ohne
auf das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
zurückgreifen zu müssen . Im Ernstfall gilt dann vorrangig die Haftung der Eigentümer und Gläubiger in Höhe
von 8 Prozent der Bilanzsumme; das ist der sogenannte
Bail-in .
Diese Richtlinie war bis zum 31 . Dezember 2014 umzusetzen . Drei Staaten haben das bis heute aber immer
noch nicht getan . In ihrer Mitteilung „Auf dem Weg zur
Vollendung der Bankenunion“ vom 24 . November 2015
stellt deshalb die Kommission richtigerweise fest - ich
zitiere -:
Daher besteht die oberste Priorität darin, … dass die
Mitgliedstaaten die BRRD …
- also die Abwicklungsrichtlinie vollständig umsetzen .
Leider melden sich auch schon die ersten Länder zu
Wort, die die Pflicht, 8 Prozent der Bilanzsumme als
Haftungskapital vorzuhalten und im Zweifel von Eigentümern und Gläubigern einzufordern, wieder infrage
stellen . Die Kommission hat recht, wenn sie sagt - ich
zitiere -:
Dies erfordert eine konsequente Anwendung der
Bail-in-Regelungen der BRRD, um sicherzustellen,
dass die Kosten für die Abwicklung von ausfallenden … Banken primär von deren Anteilsinhabern
und Gläubigern getragen werden .
Ich ergänze: nicht mehr von den Steuerzahlern .
({0})
Die Kommission erkennt auch Risiken, die immer
noch in Bankbilanzen vorhanden sind, zum Beispiel
das Risiko, das Staatsschulden auf heimische Bankensysteme haben können . Staatsschulden in Bankbilanzen
stellen ein großes Risiko dar, insbesondere bei Staaten,
denen es finanziell nicht gut geht. Ich nenne zusätzlich
latente Steuern, die in erheblichem Umfang in den letzten Jahren zu mehr Risiken in den Bankbilanzen geführt
haben . Auch dazu schreibt die Kommission richtigerweise - ich zitiere -:
… müssen nationale Wahlmöglichkeiten und Ermessensspielräume bei der Anwendung der Aufsichtsregeln doch noch weiter reduziert werden .
In Klammern: Die Bilanzen müssen noch krisenfester
gemacht werden .
Wir haben uns dann auf einen Abwicklungsfonds als
weiteres Instrument verständigt, und zwar in einer Größenordnung von 55 Milliarden Euro . Diesen Fonds füllen die Banken je nach Größe mit Beiträgen selbst, und
er steht dann zur Verfügung, wenn die haftenden Mittel
von Eigentümern und Gläubigern nicht ausreichen . Aber:
Erst ab diesem Jahr finden die ersten Einzahlungen in
den Abwicklungsfonds überhaupt statt . Seine Zielgröße
soll der Fonds dann auch erst 2023 erreichen . In manchen
Ländern ist die Übertragung der Bankenabgabe auf den
gemeinsamen Abwicklungsfonds noch nicht geregelt,
und in vielen Ländern ist die Vereinbarung zur Kreditaufnahme innerhalb des Abwicklungsfonds noch offen .
Es gibt also auch hier noch erhebliche Vollzugsdefizite.
Die Schlussfolgerung der Kommission im Verordnungsentwurf, über den wir heute sprechen - Schaffung
eines europäischen Einlagenversicherungssystems -,
vom 24 . November 2015 muss dann schon hinterfragt
werden . Hier steht nämlich - ich zitiere -:
Während die ersten beiden Stufen mit der Einrichtung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus
({1}) und des einheitlichen Abwicklungsmechanismus ({2}) schon verwirklicht wurden, steht die
Schaffung einer gemeinsamen Einlagensicherung
noch aus .
Wie ich oben dargestellt habe, ist hier noch gar nicht
viel verwirklicht . Wir haben viel beschlossen, aber die
Verwirklichung ist durchaus noch fragmentarisch . Wir
bestehen darauf, dass diese Aufgaben zuerst erfüllt werden .
({3})
Als Letztes haben wir 2014 mit der Änderung der Einlagensicherungsrichtlinie beschlossen, dass alle Banken
in der Europäischen Union einem nationalen Einlagensicherungssystem angehören müssen, das mit Kapital in
Höhe von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen ausgestattet sein muss . Das heißt, wir stärken nationale Einlagensicherungssysteme .
Alle EU-Staaten hätten diese Einlagensicherungsrichtlinie bis zum 3 . Juli 2015 umsetzen müssen . Fünf
Länder haben bis zum heutigen Zeitpunkt das aber nicht
getan . Ich zitiere gern ein weiteres Mal aus der Mitteilung der Kommission, die wirklich lesenswert ist:
Daher besteht die oberste Priorität darin, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die … DGSD
- also die Einlagensicherungsrichtlinie vollständig umsetzen .
Selbst wenn die Umsetzung in allen Staaten erfolgt ist,
haben sie für die sukzessive Erfüllung der aus der Richtlinie folgenden Pflichten noch bis 2024 Zeit. Erst dann
muss das nationale Einlagensicherungssystem das geforderte Kapitel aufweisen . Ich habe versucht, im Vorfeld in
Erfahrung zu bringen, wie viel Geld in den Einzelstaaten
in diesem Jahr in dieses System schon eingezahlt wurde .
Offensichtlich hat die Kommission keinen Überblick darüber .
Trotz all dieser Umsetzungsmängel hat die Kommission jetzt ihren Verordnungsentwurf zur Schaffung eines
europäischen Einlagenversicherungssystems mit folgenden Worten begründet - ich zitiere -: Risiken würden
breiter gestreut . - Aber genau darum geht es uns nicht .
Wir wollen in diesem System Risiken minimieren .
({4})
Wir wollen nicht einfach Risiken aus Einzelstaaten auf
die Allgemeinheit der Europäischen Union übertragen,
sondern wir wollen, dass überall die Risiken minimiert
werden .
({5})
Auch da zitiere ich wieder gerne aus der Mitteilung,
die am selben Tag wie der Verordnungsentwurf bekannt
gemacht wurde, der heute zur Diskussion steht:
Die mit diesen Maßnahmen einhergehende Risikoteilung muss jedoch durch Maßnahmen flankiert
werden, die gleichzeitig mit der schrittweisen Errichtung des EDIS
- also der vergemeinschafteten Einlagensicherung zur Reduzierung der Risiken im Bankensektor ergriffen werden .
Das Gegenteil schlägt der Verordnungsentwurf derselben Kommission am selben Tag vor . Erst vergemeinschaften und dann weiter über Risiken diskutieren, das
ist nicht der richtige Weg . Wir sollten uns zügig daranmachen, die Risiken und Umsetzungsdefizite zu reduzieren.
Wenn wir das geschafft haben, kann über weitere Vergemeinschaftungen wohl diskutiert werden, aber die Reihenfolge muss richtig sein: Risiken herunter, dann über
Vergemeinschaftung nachdenken .
Ich danke Ihnen .
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Axel Troost,
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
vorliegende Antrag der Koalition gegen ein gemeinsames europäisches Einlagenversicherungssystem hat, was
den Forderungsteil angeht, vor drei Monaten hier schon
einmal in praktisch gleicher Form vorgelegen . Wir haben
ihn damals abgelehnt, und wir lehnen ihn auch heute ab .
Was sich an dem Antrag geändert hat, sind im Wesentlichen erstens der Adressat und zweitens die Begründung .
Im November ging der Antrag noch an die Bundesregierung, um ihr den Rücken zu stärken, gegen die Forderungen der Kommission vorzugehen . Jetzt ist die Kommission der Adressat geworden .
Im November waren wir uns zumindest noch einig,
dass es inakzeptabel ist, dass in einer gemeinsamen Sicherung die Sparkassen und Volksbanken für die Einlagen riskanter Geschäftsmodelle der Groß- und Investmentbanken geradestehen müssen . Auch darin stimmen
und stimmten wir durchaus überein . Einer Europäisierung der Einlagensicherung kann unsererseits nur zugestimmt werden, wenn unterschiedliche Banktypen und
unterschiedliche Geschäftsmodelle auch unterschiedlich
abgesichert werden, wenn also die Einlagensicherungssysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken
nicht verwendet werden können, um die privaten Banken
zu sichern .
({0})
Den entsprechenden Teil haben Sie aber leider komplett
aus der Begründung gestrichen .
Nach acht Jahren Finanz- und Bankenkrise wissen
wir alle, dass eine Regierung nicht einmal eine einzelne
Großbank, geschweige denn ein gesamtes Bankensystem
in die Insolvenz schicken kann, weil das verheerende
Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch
den Staatshaushalt hätte . Sie haben trotz aller Regulierungsschritte im Hinblick auf das Problem „too big to
fail“, wie es auf Englisch so schön heißt, also „zu groß,
um es kaputtgehen zu lassen“ bzw . „so groß, dass es mit
staatlichen Mitteln gerettet werden muss“, nicht an einer
Verkleinerung der Großbanken gearbeitet . Meine Vorrednerin, Frau Tillmann, hat den Abwicklungsmechanismus,
so wie er beschlossen ist, dargestellt . Aber wir sind uns
immer einig gewesen, dass das bei den wirklich großen
Einheiten, den Großbanken, nicht ausreichen wird . Ein
Rettungsfonds als letzte Maßnahme, der europaweit
50 Milliarden Euro im Jahr 2023 umfassen wird, wird
nicht einmal reichen, um auch nur eine große Bank zu
retten .
Insofern müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass in
diesem Bereich nicht nur nichts geschehen ist, sondern
dass auch aufgrund von wirtschaftlichen Schieflagen im
Rahmen der Bankenkrise mittelgroße Banken in Europa
mit Unterstützung der Regierungen im Rahmen der Bankenrettung zu angeschlagenen Megabanken fusioniert
worden sind . Wir haben damals das Gegenteil gefordert,
und das tun wir auch jetzt . Wir glauben, man muss Regulierung betreiben, indem man den Bankensektor insgesamt umbaut, ihn stabiler macht und die Sparkassen und
Genossenschaftsbanken - auch die in anderen Ländern stärkt und auf der anderen Seite die Gigagroßbanken
deutlich verkleinert .
({1})
In diesem Bereich hat die Bundesregierung weder
national noch auf europäischer Ebene wirkliche Initiativen ergriffen . Das ist nicht verwunderlich, weil man sich
damit natürlich mit den Mächtigsten dieser Gesellschaft
und dieser Wirtschaft anlegt; aber es ist notwendig, wenn
man Einlagensicherung vernünftig betreiben will, wenn
man sicherstellen will, dass Bankenpleiten und daraufhin
der Einsatz von Steuergeldern verhindert werden können .
({2})
Ich habe in der Novemberdebatte 2015 gesagt: Es
wäre also mehr als ratsam, schon jetzt die Sicherungseinrichtungen für die Einlagen „möglichst breit aufzustellen
und nicht selbstgefällig zu glauben, die nächsten Bankenzusammenbrüche und Entschädigungsfälle in Europa
würden immer nur weit entfernt von Frankfurt passieren“ . Das war im November . Seitdem ist es in der Tat
so, dass man sich auch in Deutschland vorstellen kann,
dass es zu Schieflagen im Bankenbereich in Frankfurt
kommen kann . Die Aktienkurse insgesamt sind in den
letzten drei Monaten um 25 Prozent gesunken . Die Commerzbank hat einen Absturz ihrer Aktie um 40 Prozent
erlebt . Der Wert der Aktie der Deutschen Bank hat sich
mehr als halbiert . Insofern: Davon auszugehen, dass nur
in anderen Ländern, aber nicht in Deutschland Probleme
auftauchen, ist, glaube ich, sehr vermessen . Deswegen
wollen wir eine Europäisierung des Sicherungssystems .
Natürlich muss in den anderen Ländern Druck gemacht werden, dass die entsprechenden Maßnahmen,
was Bankenabwicklung und Rettungsfonds angeht, umgesetzt werden . Aber wir brauchen eine europäische Lösung für die Einlagensicherung .
Danke schön .
({3})
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Manfred Zöllmer .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Bankkunden in Deutschland wurden im letzten Monat
von ihrer Bank oder Sparkasse über eine Umstellung der
Einlagensicherung informiert, über die Obergrenze von
100 000 Euro pro Konto und über ein paar andere Veränderungen, die wir hier beschlossen haben .
Angesichts der aktuellen medialen Debatte über einen
möglichen Bankencrash in Deutschland fragen sich viele: Wie sicher ist eigentlich mein Geld? Die Krisenhysterie, die von manchen verbreitet wird, geht mir - das muss
ich in aller Deutlichkeit sagen - wirklich auf den Geist .
Deshalb sei für alle Hysteriker noch einmal klargemacht:
In Deutschland ist das hohe Schutzniveau für Einlagen
garantiert . Mit dem Einlagensicherungsgesetz wurde in
Deutschland die europäische Richtlinie zur Einlagensicherung fristgemäß umgesetzt .
({0})
Wir haben festgelegt, dass jedes Land seinen eigenen
Einlagensicherungsfonds bis zur Höhe von 0,8 Prozent
der gedeckten Einlagen national aufbauen muss . Die bewährten Institutssicherungssysteme der Sparkassen und
Genossenschaftsbanken und die Sicherungssysteme der
privaten Banken bleiben erhalten .
Axel, eines muss ich jetzt zu deiner Rede sagen: Ihr
fallt mit eurer Position den Sparkassen und Genossenschaftsbanken voll in den Rücken; denn die Sicherungssysteme würden bei einer Veränderung nicht erhalten
werden können .
({1})
Damit sei nun die dritte Säule der Bankenunion in Europa erst einmal aufgebaut, dachten wir . So dachten wir,
aber offensichtlich nicht die Europäische Kommission .
Vor kurzem hat sie einen Verordnungsentwurf vorgelegt,
der in sieben Jahren in drei Stufen eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung in Europa zum Ziel hat . Der
deutsche Einlagensicherungsfonds soll also auch in Zukunft zur Finanzierung der Einlagensicherung in anderen europäischen Ländern herhalten, wenn dort Banken
abgewickelt werden müssen . Welchen Sinn macht das?
Die aktuelle Lage in Europa ist, vorsichtig formuliert,
unübersichtlich . Es gibt eine Vielzahl von Krisenherden .
Seit Anbeginn der Diskussion über die Bankenunion haben wir Sozialdemokraten deutlich gemacht, dass eine
gemeinsame Einlagensicherung in Europa erst dann umgesetzt werden kann, wenn dafür die Voraussetzungen
gegeben sind . Wir sind davon überzeugt, dass eine Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu mehr, sondern
zu weniger Stabilität in Europa führen würde .
({2})
Zum Stichwort „Solidarität“ . Solidarität ist im Nachgang der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise durch
Deutschland nun wirklich in beeindruckender Weise geleistet worden . Ich nenne hier nur als Stichworte „ESM“
und „Bankenabwicklungsfonds“ . Das jetzige System, das
wir in Europa beschlossen haben, ist ein flexibles System.
Es besteht die Möglichkeit, von anderen Einlagensicherungen Kredite zu bekommen, und die Sicherungssysteme einzelner Länder können auch, wenn das gewollt ist,
zusammengelegt werden. Wir haben damit ein flexibles
und schlagkräftiges Einlagensicherungssystem in Europa aufgebaut . Voraussetzung dabei ist, dass die einzelnen
Länder die Vorgaben auch entsprechend umsetzen . Das
ist bisher leider noch nicht in vollem Umfang geschehen .
Bei der Aufarbeitung der Finanzmarktkrise haben wir
beharrlich das Ziel verfolgt, den Steuerzahler in Zukunft
nicht mehr für die Zockerei der Banken bluten zu lassen .
({3})
Mit der Umsetzung der Abwicklungsrichtlinie und den
Bail-in-Regeln müssen in Zukunft die Eigentümer und
die Gläubiger die Haftung übernehmen, nicht die Steuerzahler . Aber mit einer gemeinsamen Einlagensicherung
zum jetzigen Zeitpunkt würde dieses Vorhaben unterlaufen . Die Gefahr von Fehlanreizen würde deutlich erhöht .
({4})
- Aber natürlich, liebe Kollegin von den Grünen . - Die
Gefahr von Fehlanreizen würde erhöht . Nationale Politiker könnten dann das Insolvenzregime unterlaufen und
die Haftung abwälzen . Nationale Regierungen könnten den Banken zusätzliche Risiken aufbürden, Banken
schwächen . Andere Länder müssten dann für die Folgen
einer falschen Politik haften . Statt Risiken in den Banken
zu reduzieren, könnten zusätzliche Risiken aufgebaut
werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen erreichen, dass die von Banken für Staaten und die von
Staaten für Banken ausgehenden Risiken weiter deutlich
verringert werden . Risiko und Haftung müssen zusammenfallen .
({5})
Wir können also feststellen: Das Vorhaben der Kommission führt nicht zu mehr Stabilität, sondern letztendlich
zu mehr Instabilität in Europa . Dies wollen wir verhindern .
Die Umsetzung des Vorhabens soll nach Auffassung
der Kommission auf Artikel 114 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union gestützt werden,
weil dann eine qualifizierte Mehrheit ausreicht. Mehrere
Rechtsgutachten, unter anderem auch des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, haben deutlich gezeigt,
dass dies keine tragfähige Rechtsgrundlage ist, weil damit ein neues Finanzierungsinstrument auf europäischer
Ebene geschaffen würde . Wenn dies jemand will, muss er
schon für Einstimmigkeit in Europa sorgen .
Wir wollen eine solche Zwangshaftung jedenfalls
nicht . Wir erwarten, dass sich die Kommission dafür
einsetzt, dass geltendes europäisches Recht auch in allen
Ländern umgesetzt wird . Eine vergemeinschaftete Einlagensicherung kann es erst dann geben, wenn die vorhandenen Risiken in den Banken abgebaut worden sind,
die Banken in Europa über ausreichend Kapital verfügen,
um im Krisenfall Verluste ausgleichen zu können, und
die nationalen Sicherungstöpfe aufgebaut sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Antrag
stärken wir der Bundesregierung für die Verhandlungen
in Brüssel den Rücken und signalisieren der Kommission, dass sie bei diesem Vorhaben mit falscher Geschwindigkeit auf einem falschen Gleis unterwegs ist . Wenn
das, was die Kommission vorhat, so umgesetzt würde,
dann wäre es so, als ob man einen Vampir zum Chef der
Blutbank machen würde .
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einschneidende Finanzkrisen überfordern jedes noch so stabile
nationale System, auch das deutsche . Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Nur in Irland und Griechenland
wurde mehr Steuergeld für die Rettung strauchelnder
Banken ausgegeben als in Deutschland . Unsere Landesbanken waren es, die während der Finanzkrise mehr
von der Freigiebigkeit unseres Finanzministers als von
der viel beschworenen Institutssicherung der Sparkassen
profitierten. Auch die Einlagensicherung der Privatbanken wurde von der Pleite des deutschen Ablegers von
Lehman Brothers völlig überfordert . Schon heute besteht
also eine Rückversicherung in Deutschland als Gratisleistung des deutschen Steuerzahlers . Aber genau damit,
meine Damen und Herren, muss ein für alle Mal Schluss
sein in Deutschland und in Europa .
({0})
Deswegen müssen die deutsche Kreditwirtschaft und der
deutsche Finanzminister ihre Fundamentalopposition gegenüber einem europäischen Einlagensicherungssystem
endlich aufgeben .
({1})
Doch auch die Europäische Kommission macht einen
Fehler, wenn sie die schrittweise Vergemeinschaftung
der Einlagensicherung fordert. Wir finden, klüger wäre
eine europäische Rückversicherung der nationalen Töpfe, die nur im Falle einer nationalen Überlastung greift .
Ein solches europäisches Rückversicherungssystem bietet ausreichend Sicherung und ausreichend Gestaltungsspielraum, um funktionierende nationale Systeme wie
die Institutssicherung der Sparkassen und der Genossenschaftsbanken und das in sie bestehende Vertrauen der
Bankkunden zu bewahren. Die Refinanzierung der Rückversicherung sollte aus unserer Sicht über risikobasierte
Gebühren der Banken und nicht über nationale Systeme
erfolgen .
Aber was machen Sie? Anstatt dem Ansinnen der
Kommission mit einem vernünftigen Gegenvorschlag,
wie ich ihn gerade skizziert habe, im Geiste der europäischen Gemeinschaft zu begegnen, stoßen Sie unsere
Partner in Europa durch sture Denkverbote nur vor den
Kopf .
({2})
Sie poltern in Ihrem Antrag, dass „Vorschläge für die
Errichtung einer europäischen Einlagensicherung, auch
in Form einer Rückversicherung, nicht akzeptabel sind“ .
Warum verbauen Sie hier wertvolle Optionen für die
Zukunft? Wenn Sie sich eine europäische Einlagenversicherung zwar nicht jetzt, aber mittelfristig durchaus
vorstellen können, wie im Ausschuss und auch hier zu
vernehmen war, warum steht das dann nicht im Antrag,
meine Damen und Herren von der Koalition?
({3})
Warum stattdessen diese bockige Verweigerungshaltung
mit offenen Drohgebärden gegenüber unseren europäischen Nachbarn? Das ist nicht nur destruktiv . Es ist auch
nicht besonders glaubwürdig für die Sozialdemokratie,
wenn deutsche Sozialdemokraten hier Nein sagen, aber
in Brüssel Ja sagen .
({4})
Das trägt nicht zu Ihrer Glaubwürdigkeit bei und ist auch
gefährlich, meine Damen und Herren . Denn eines hat uns
die Euro-Krise doch gelehrt: Kundeneinlagen bei Banken müssen sicher sein - überall in Europa .
({5})
Der integrierte Binnenmarkt und die gemeinsame Währung funktionieren nur, wenn 1 Euro bei einer spanischen
Bank nicht weniger wert ist als 1 Euro bei einer deutschen Bank . Ansonsten kommt es bei den ersten Anzeichen einer Krise zu Kapitalflucht und zu einem sich selbst
verstärkenden Teufelskreis, der das ganze System, auch
das deutsche, gefährden kann . Deshalb brauchen wir
neben der einheitlichen Aufsicht und dem einheitlichen
Abwicklungsfonds zur Vollendung der Bankenunion den
gemeinsamen Fonds zur Rückversicherung der Einlagen .
Leider sind wir Grünen derzeit die einzige Partei, die
hier und in Brüssel dieselbe Position vertreten . Dabei
wissen Sie doch, dass Sie Ihre Blockade gar nicht aufrechterhalten können . Der Internationale Währungsfonds
fordert uns dazu auf, die Bankenunion zu vervollständigen .
({6})
Auch die fünf Präsidenten, darunter Herr Juncker, Christdemokrat, und Martin Schulz, deutscher Sozialdemokrat,
sagen: Wir brauchen jetzt ein europäisches Einlagensicherungssystem . - Aber was machen Sie? Mit dem
Versuch einer Subsidiaritätsrüge haben Sie beim Thema
Einlagensicherung schon einmal unser Land in Europa
blamiert .
({7})
Was haben Sie daraus gelernt? Weil das mit der Rüge so
gut geklappt hat, drohen Sie jetzt mit einer Subsidiaritätsklage . Herzlichen Glückwunsch, meine Damen und
Herren .
Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Kommissionsvorschlag - ich sagte es - hat seine Schwächen . Aber wir
sollten daran arbeiten, ihn zu verbessern, und ihn nicht
blockieren . Wir brauchen die dritte Säule . Deswegen lassen Sie mich zum Schluss vier Punkte aus grüner Sicht
festhalten:
Erstens . Eine europäische Einlagensicherung ist wichtig und richtig, aber als reine Rückversicherung .
Zweitens . Bei den Beiträgen zur Rückversicherung
muss gelten: riskanteres Geschäft, höhere Beiträge .
Drittens . Für den Steuerzahler dürfen keine neuen
Kosten entstehen . Die Beiträge müssen die Auszahlungen langfristig decken .
Viertens . Voraussetzung für die Teilnahme an der
Rückversicherung muss die Umsetzung klarer Haftungsund Abwicklungsregeln sein und selbstverständlich auch
die Reduktion nationaler Risiken . Das darf aber kein Vorwand sein, Europa vollständig zu blockieren .
({8})
Ich schließe frei nach einem in diesem Hohen Hause
so oft bemühten Satz: Scheitert dieser Koalitionsantrag,
gewinnt Europa . Deswegen: Lehnen Sie ihn ab, meine
Damen und Herren .
({9})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alexander
Radwan .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute schon einige Bemerkungen gehört
wie die, dass Europa möglicherweise scheitern wird .
Konzentrieren wir uns auf das, was wir heute thematisieren, und schauen wir, ob der in Sonntagsreden immer
wieder gepriesene Kampf für die Regionalbanken auch
in spürbarem Handeln deutlich wird .
Wir haben als Deutscher Bundestag mit unserem ersten Antrag zur Einlagensicherung rechtzeitig unsere Position zur Bankenunion bezogen . Es ging um verschiedene
Bereiche wie Abwicklungsmechanismus, Einlagensicherung und Aufsicht . Das ist eine Reihenfolge, die abgearbeitet werden muss . Dabei tauchte am Horizont auch die
Frage auf: Soll jetzt auch ein Vorschlag für einen Einlagensicherungsfonds entwickelt werden? - Das war die
Ausgangslage vor der entsprechenden Initiative der Europäischen Kommission . Deswegen hatte sich der Antrag
damals auch an die Bundesregierung gerichtet .
Jetzt kommunizieren wir über den Vorschlag der Europäischen Kommission . Ich halte eine Subsidiaritätsrüge vom Grundsatz her für richtig, da wir so gegenüber
der Kommission signalisieren, was wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Diskussion von diesem Vorschlag halten . Ich halte es für falsch, im Europäischen Parlament
und im Rat immer nur zuzuschauen, was passiert, und
hier dann bei der Umsetzung zu lamentieren: Was passiert denn jetzt mit den Regionalbanken? Jetzt können
Sie beweisen, dass Sie Beschlüsse mittragen, die den Regionalbanken in der Perspektive helfen .
({0})
Heute ist der Tag, nicht erst, wenn es um die Umsetzung
geht .
({1})
- Ich komme jetzt dazu .
Man muss sich einmal den Ablauf anschauen . Sie
kennen ihn; Frau Kollegin Tillmann hat darauf hingewiesen - darüber sind sich alle Redner einig -: Die Bankenunion baut auf verschiedenen Elementen auf, die erst
vollendet werden müssen . Wir wissen aber, dass die Mitgliedstaaten - erstens - noch nicht alles umgesetzt haben .
Es wäre die primäre Aufgabe der Kommission, auf eine
Umsetzung hinzuwirken, bevor sie mit einem nächsten
Vorschlag kommt . Zweitens erleben wir momentan, dass
die entsprechenden Maßnahmen aufgeweicht werden
sollen . Es ist bekannt - nicht erst, seitdem es in den Zeitungen steht -, dass Italien und Frankreich ein anderes
Verständnis vom Bail-in haben als der Rat und das Parlament . Für diejenigen, die es nicht verstehen: Bail-in
heißt, dass wir zukünftig bei Bankenpleiten nicht mehr
den Steuerzahler heranziehen wollen, sondern die einzelnen Haftungen erst einmal vor Ort abgewickelt werden;
dies gilt für mindestens 8 Prozent der Verbindlichkeiten .
In der Kommission wird auf Druck der Mitgliedstaaten
momentan daran gearbeitet, diese Regelung auszuhöhlen .
Jetzt kommt der Vorschlag der Kommission . Wenn es
nach Ihrer Strategie geht, Frau Kollegin, dann haben wir
am Schluss einen Verordnungsvorschlag der Kommission, der mit Sicherheit nicht die von Ihnen genannten vier
Punkte berücksichtigen wird . Europa ist - das wissen
Sie - kein Wunschkonzert . Vielmehr wird am Schluss ein
europäischer Kompromiss stehen, der dazu führt, dass
unsere Banken im Rahmen einer Einlagensicherung für
andere Banken und damit auch für entsprechende Staatsschulden in Haftung genommen werden, bevor das ganze
Konstrukt überhaupt steht .
({2})
- Doch, Herr Kollege . Wenn der Verordnungsvorschlag
noch nicht vorliegen würde, könnten wir gar nicht darüber diskutieren und würde er nicht verabschiedet werden .
Sie sagen schlicht und ergreifend, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, applaudieren aber, wenn
der dritte Schritt vor dem ersten gemacht wird . Hören Sie
mit dieser Heuchlerei auf!
({3})
400 bis 500 Millionen Euro müssten nach den jetzigen
Kalkulationen des Genossenschaftswesens für die europäische Einlagensicherung aufgebracht werden . Das ist
ungefähr der Betrag, der zurzeit für die Institutssicherung
gezahlt wird . In der Perspektive werden wir im Genossenschaftswesen und im Sparkassenwesen die Diskussion haben, ob man dann nicht gleich in die europäische
Einlagensicherung einzahlen und den anderen Bereich
der Einlagensicherung dafür vernachlässigen sollte . Das
Ergebnis des jetzigen Vorschlags wäre, dass Genossenschaftsbanken und Sparkassen doppelt zahlen .
Wir können gerne über „too big to fail“ und andere
Probleme diskutieren . Aber heute ist die Frage: Ist der
Weg, den die Europäische Kommission geht, zum jetzigen Zeitpunkt der richtige? Da sagen Sie Ja, mit dem
Ergebnis, dass am Schluss eine Verordnung unmittelbar
mit einem Gesetz umzusetzen sein wird, ohne dass die
anderen Maßnahmen entsprechend umgesetzt sind . Die
Alternative wäre, dass wir als Deutscher Bundestag der
Regierung den Auftrag geben: Stoppen Sie das zum jetzigen Zeitpunkt! Sorgen Sie dafür, dass sich die Kommission dafür einsetzt, die Bankenunion erst einmal Realität
werden zu lassen!
({4})
Uns geht es darum, in diesem Prozess die Regionalbanken zu stärken . Uns geht es darum, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen - das ist ein wichtiger
abschließender Punkt -, dass die Eigenverantwortung
der Banken und Mitgliedstaaten gestärkt wird . Darum
gilt das, was Wolfgang Schäuble im Rat gesagt hat: Erst
ist die Nullgewichtung der entsprechenden Staatsanleihen durchzusetzen, damit hier eine Vergleichbarkeit vorhanden ist . Ansonsten wird die Vergemeinschaftung der
Schulden und Risiken in diesem Bereich - davon haben
Sie am Anfang Ihres Beitrags gesprochen - auf die Regionalbanken und die kleinen Banken, die eine hohe Stabilität aufweisen, ausgeweitet, bevor die anderen Maßnahmen ergriffen sind .
Insofern sage ich Ihnen heute klipp und klar: Setzen
Sie sich nicht nur in Sonntagsreden für die Stärkung der
Regionalbanken ein, sondern kämpfen Sie mit uns, wenn
es notwendig ist, wenn die Zeit dafür gekommen ist jetzt ist die Zeit dafür -, dass auf europäischer Ebene
keine Entscheidungen getroffen werden, die unsere Regionalbanken schwächen .
Besten Dank .
({5})
Der Kollege Christian Petry spricht als Nächster für
die SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich empfinde es so, als ob es in dieser Debatte eine
Trennlinie gäbe, als ob es darum ginge, pro oder kontra
Europa zu sein . Das gibt der Antrag, den wir heute hier
debattieren, aber überhaupt nicht her . Ganz im Gegenteil:
Es wird ein Antrag verabschiedet, mit dem eine Säule
Europas gestärkt werden soll, mit dem verwirklicht werden soll, was wir schon lange beschlossen haben, aber in
einem seriösen, stabilen System, nämlich nach der Bankenunion, dem Abwicklungsmechanismus und der Aufsicht zu einem Einlagensicherungssystem in Europa zu
gelangen . Die Frage ist, ob das sofort geschehen soll und
mit einer Rückversicherung, bei der man die Risiken auf
die Versicherungsbranche überträgt - da kann natürlich
auch einiges schiefgehen; es ist nicht so, als wäre da alles prima -, oder ob man zunächst noch die großen Banken verkleinert bzw . trennt, damit man nicht immer mit
der Systemrelevanz argumentiert . Aber am Ende - Frau
Tillmann hat es vorhin ausgeführt - steht doch der gemeinsame Wunsch, ein gemeinsames Sicherungssystem
zu verwirklichen .
({0})
Was hatten wir bisher? Bisher haben wir die Rettung
von Banken - bei uns und in anderen Ländern - über
den Steuerzahler finanzieren lassen. Dann kamen die
Bail-in-Instrumentarien . Bei der Einlagensicherung halte
ich dies für unabdingbar, damit am Ende nicht wieder
der Steuerzahler haftet. Es gibt ja das griffige Argument:
Der deutsche Sparer ist verantwortlich für andere . - Wir
ersetzen „deutscher Sparer“ aber im Moment durch
„deutscher Steuerzahler“, da der im Ernstfall für andere
einspringen muss .
({1})
Hier müssen wir einen Weg finden; Herr Radwan hat das
auch angesprochen . Das System muss in allen Ländern
stabil und sicher sein . Dann kann man es mit den genannten Instrumentarien auf die europäische Ebene heben .
Man kann über alles reden, auch über Versicherungen;
das ist keine Frage . Die Kommission geht diesen Weg
nicht .
Letztlich müssen die notwendigen geschätzten 45 Milliarden Euro, die wir für ein stabiles System brauchen,
am Ende europäisiert durch die Beiträge eingebracht
werden . Deshalb ist es gut, dass wir heute auf die notwendigen Vorarbeiten hinweisen . Es gibt drei Punkte, die
teilweise schon genannt wurden:
Zum einen ist die Rechtsgrundlage durchaus fragwürdig . Sie ist bequem; dagegen kann man nichts sagen .
Aber ist sie wirklich richtig? Der Kollege Dörflinger aus
dem Europaausschuss wird gleich sagen: Wir müssen
über die Ansätze reden . - Das können wir immer . Nur,
arbeiten wir mit solchen rechtlichen Tricks in Europa,
mit intergouvernalen Vereinbarungen, wenn gar nichts
mehr geht, oder müssen wir Europa so weiterentwickeln,
dass wir zu tragbaren Instrumentarien kommen? In diesem Fall wurde es genannt: Es ist fragwürdig .
Zum anderen wurde die Folgenabschätzung des Vorhabens von der Kommission nicht in ausreichendem
Maße eingebracht . Auch das ist zu kritisieren . Das tun
wir; es ist Bestandteil unseres Antrags .
Zum Dritten ist zu erwähnen, dass alle wichtigen Gesetze auf der europäischen Ebene, was die ersten beiden
Säulen der Bankenunion betrifft, in vielen Staaten noch
nicht umgesetzt sind .
Das sind doch wirklich gute Gründe, zu sagen: Wir
beauftragen die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt, in den Verhandlungen mit der Kommission nochmals eine Änderung des Vorgelegten herbeizuführen,
um dann, wenn in Europa tatsächlich alle Hausaufgaben
gemacht sind, zur Vollendung der Bankenunion zu kommen .
Ich halte es für eminent wichtig, dass wir die Frage
der Einlagensicherung - weg vom Steuerzahler, hin zur
Haftung und zur Sicherung der Banken untereinander
in einem Einlagensicherungssystem - auf Sicht lösen,
und zwar insgesamt in Europa . Von meiner Seite stellt
sich nur die Frage: Mit welcher Geschwindigkeit tun wir
dies, und was sind die Voraussetzungen? Wir haben die
Voraussetzungen genannt, sie sind in den europäischen
Staaten zu schaffen . Wir sind gerne konstruktiv dabei
und nehmen alle Vorschläge auf . Wir arbeiten hoffentlich dauerhaft gemeinsam an dem Ziel, in den nächsten
Jahren ein europäisches Einlagensicherungssystem auf
einen stabilen Weg zu bringen, damit die Bankenunion,
wie wir es bereits beschlossen haben, verwirklicht werden kann .
In diesem Sinne wünsche ich uns gutes Arbeiten .
Glück auf!
({2})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Thomas Dörflinger für die CDU/CSU.
({0})
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich zum Ende dieser Debatte, die
überwiegend von Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Finanzpolitik bestritten worden ist, mit Ausnahme
von Christian Petry als Europapolitiker,
({0})
das, was wir diskutieren, in einen europapolitischen Zusammenhang einordne .
Wir haben gestern im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union abseits der engeren finanzpolitischen Agenda gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister über die folgenden Fragen nachgedacht.
Erstens: Was macht die europäische Krise heute im Kern
aus? Zweitens: Was führt uns aus dieser Krise heraus?
Wir waren uns unabhängig von in Nuancen unterschiedlichen Einschätzungen einig, dass es im Kern eine Vertrauenskrise der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den
Institutionen ist, die sich auch darin begründet, dass nicht
jede Entscheidung so ohne Weiteres nachvollziehbar ist,
was in einem direkten Zusammenhang mit dem steht,
was Alexander Radwan eben vorgetragen hat, nämlich
dass man eine zweite Baustelle eröffnet, während die
erste noch nicht abgearbeitet ist . Das ist quasi das Kronbeispiel für das Zusammenspiel von nationalem und europäischem Einlagensicherungssystem: Wenn es hierzu
Vorschläge gibt, die sich nicht nur zeitlich, sondern auch
qualitativ überlappen, dann blickt niemand mehr so richtig durch, was eigentlich gewollt ist .
Ich kann meine Vorredner, egal von welcher Fraktion,
in ihrer Position nur unterstützen, wenn sie sagen: Die eigentliche Kernbotschaft der Finanz- und Bankenkrise der
Jahre 2008 ff . war, dass wir dem alten marktwirtschaftlichen Grundsatz, dass Risiko und Haftung zusammengehören müssen, auf Dauer wieder Geltung verschaffen .
Das heißt, dass jedes Mitgliedsland der Europäischen
Union wissen muss, dass es die Verpflichtung hat, das
System der nationalen Einlagensicherung umzusetzen was wir in der Bundesrepublik Deutschland schon seit
vielen Jahren mit Erfolg praktizieren -, und dass logischerweise wir, alle 28 Mitgliedstaaten, miteinander in
der Verpflichtung stehen, zunächst einmal der Aufforderung der Europäischen Kommission Genüge zu tun, diese nationalen Einlagensicherungssysteme einzurichten .
({1})
Das ist bislang von einer Reihe von Mitgliedstaaten umgesetzt worden - Antje Tillmann hat zu Recht darauf
hingewiesen - und von einer Reihe von Mitgliedstaaten
eben nicht .
Damit kommen wir zu einem zweiten Kernproblem
der Europapolitik: die Kommission als Hüterin der Verträge einerseits und die Kommission als Gesetzgeberin
andererseits . Das muss nicht in jedem Einzelfall zwangsläufig zu einem Konflikt führen, aber im vorliegenden
Fall ist das offensichtlich ein Konflikt, weil die Kommission als Hüterin der Verträge eigentlich primär das
Augenmerk hätte darauf richten müssen, dass der Richtlinienvorschlag zur Errichtung der nationalen Einlagensicherungssysteme zunächst einmal von allen umgesetzt
wird . Wenn man auf die Idee kommt - was meine und
unsere Position nicht ist -, dass es darüber hinaus noch
anderer Maßnahmen bedarf, kann man anschließend darüber nachdenken, aber erst machen wir die eine Baustelle zu . Erst dann diskutieren wir darüber, ob wir eine
zweite Baustelle aufmachen .
({2})
In diesem Zusammenhang kann ich Herrn Zöllmer
nur unterstützen, der gefordert hat, dass wir uns sowohl
unter finanzpolitischen als auch unter europapolitischen
Gesichtspunkten noch einmal mit der Rechtsgrundlage
des Vorschlages befassen . Artikel 114 AEUV, der besagt,
dass die Verhältnisse innerhalb des Binnenmarktes angeglichen werden sollten, ist nach meiner festen Überzeugung - da teile ich Ihre Einschätzung - gerade im vorliegenden Fall nicht einschlägig . Wenn wir uns im ersten
Schritt zunächst auf die Institute konzentrieren, die Mitglied der Bankenunion sind, und es für alle anderen nicht
gilt, dann ist die Folge nicht mehr Wettbewerb, sondern
Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Europäischen Union . David Cameron geht es bei seinem Vorschlag, der in
einem anderen Zusammenhang gemacht wird, natürlich
genau um diesen Punkt, und er fühlt sich in seiner Auffassung bestätigt . Deswegen macht die Kommission am
Ende des Tages mit ihrem Vorschlag genau das Gegenteil
von dem, was sie eigentlich will .
({3})
Deswegen ist mein Ansatz - ich weiß nicht, ob es Zufall ist, dass der Deutsche Sparkassen- und Giroverband
seine Geschäftszahlen für 2015 gerade heute veröffentlicht hat; vermutlich schon -, dass wir uns gemeinsam
in der Verpflichtung sehen, die gut funktionierenden
Regionalbankensysteme, in der Sparkassenorganisation
genauso wie im Genossenschaftswesen, vor Gefahren,
die ihnen zum Beispiel aus einem solchen Vorschlag der
Europäischen Kommission drohen, zu schützen und gemeinsam dafür zu sorgen, dass das positive Ergebnis für
2015, das unsere Sparkassen am heutigen Tag präsentiert
haben - davon profitieren mittelbar letztlich auch Vereine
und Verbände in unseren Wahlkreisen -, dieser und vergleichbarer Organisationen auch in Zukunft in der Weise
erhalten bleibt, dass sie ihrer Verpflichtung gegenüber
der Allgemeinheit nachkommen können .
Herzlichen Dank .
({4})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/7644 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung
der Verordnung ({0}) Nr . 806/2014 im Hinblick auf die
Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems, hier: Politischer Dialog mit der Europäischen
Kommission . Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich
um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Gibt es
Enthaltungen? - Der Antrag ist damit mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Damit verlassen wir diesen Tagesordnungspunkt, und
ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cem
Özdemir, Claudia Roth ({1}), Peter
Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren
Drucksache 18/7648
Über diesen Antrag - darauf weise ich jetzt schon
hin - werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
oder abweichende Meinungen sehe ich keine . Dann ist
das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner das Wort dem Kollegen Cem Özdemir für Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute befassen wir uns zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode mit dem Völkermord an den Armeniern, den Aramäern, den Assyrern und anderen christlichen Minderheiten
wie den Chaldäern und den Pontusgriechen, der vor
100 Jahren im Osmanischen Reich stattgefunden hat .
Das war bereits vor 100 Jahren Thema im Reichstag .
Eduard Bernstein und Karl Liebknecht, damals noch
Mitglieder der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion,
({0})
haben die Reichsregierung zum Handeln gegen die
drohende Ausrottung ihrer christlichen Mitbrüder und
-schwestern aufgefordert - vergeblich . Es gab übrigens
auch einen prominenten Katholiken und Zentrumspolitiker, Matthias Erzberger, der versuchte, zu retten, was
nicht mehr zu retten war . Die Reichsregierung hatte sich
für eine Politik entschieden, die man heute wohl als die
zynische Variante der Realpolitik bezeichnen würde .
Es ging darum, einen Verbündeten, den man dringend
brauchte, koste es, was es wolle, bei der Stange zu halten .
Wenn man die Zeitungen von heute liest, kommt einem
manches davon ziemlich bekannt vor; denn auch aktuell
geht es für die Bundesregierung vor allem darum, den
türkischen Staatspräsidenten - das Thema von heute ist
ein Beispiel dafür - auf keinen Fall zu verärgern .
Nach der allseits gelobten Debatte vom 24 . April des
vergangenen Jahres haben wir, Koalitionsabgeordnete
wie Oppositionsabgeordnete, uns in die Hand versprochen, dass wir den Geist dieser Debatte und die Worte
unseres Bundespräsidenten, aber auch die Worte unseres
Bundestagspräsidenten - ich will mich für deren Gradlinigkeit hier noch einmal ausdrücklich bedanken ({1})
in einen interfraktionellen Antrag münden lassen .
Der Antrag, der heute vorliegt, ist das Resultat dieses
Prozesses . Sie wissen es: Wir haben mit den Kollegen
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gemeinsam verhandelt . Leider haben dann die Spitzen der Koalitionsfraktionen beschlossen, dass dieser Antrag nicht
gemeinsam eingebracht werden soll, aus Furcht - man
muss sagen: aus vorauseilendem Gehorsam -, weil das
Herrn Erdogan möglicherweise verärgern könnte .
Dazu muss man wissen: Nach dem 24 . April letzten
Jahres gab es gar keine Reaktion aus der Türkei . Das
heißt, Sie spannen den Schirm schon auf, bevor es regnet . Wir von Bündnis 90/Die Grünen stehen zu diesem
Kompromiss . Er war damals übrigens vor allem für uns
ein Kompromiss . Denn dieser Antrag besteht zu weit
über 80 Prozent aus Ihrem ursprünglichen Antrag, ergänzt um wenige Spiegelstriche von uns und die Rede
des Bundespräsidenten . Ich kann nicht verstehen, warum
Thomas Dörflinger
man diesem Antrag nicht zustimmen kann, sehr verehrte
Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Ich will auch das sehr klar sagen: Was der Deutsche
Bundestag debattiert und beschließt, kann und darf einzig und allein hier in Deutschland entschieden werden .
Kein ausländischer Staatspräsident hat zu entscheiden,
was in Deutschland beschlossen wird, und keine Vorlage
dieses Parlamentes darf ausländischen Staatsleuten zur
Vorlage gemacht werden .
({3})
Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da machen? Ist Ihnen
klar, welche Einladung Sie damit im Hinblick auf künftige Beratungen des Bundestages aussprechen? Ich frage
mich auch, welches Geschichtsverständnis dem eigentlich zugrunde liegt, wenn man weiß, welche Mitverantwortung wir als Rechtsnachfolger des Deutschen Kaiserreiches für die Vernichtung der Armenier haben . Allein
die historische Verantwortung und das Geschichtsbewusstsein sollten dazu führen, dass Sie heute gemeinsam
mit uns stimmen .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wahrscheinlich
auch das Argument des falschen Zeitpunkts kommen
wird: Ich weiß, für diese Frage gibt seit 100 Jahren keinen richtigen Zeitpunkt .
({5})
Übrigens: Bei einem interfraktionellen Antrag hätten Sie
den Zeitpunkt bestimmen können; Sie hätten das völlig
in der Hand gehabt . Ich hätte allem zugestimmt - Hauptsache, wir machen das interfraktionell und setzen damit
jenseits der Parteipolitik ein Zeichen, dass dieses Parlament in Gänze nach 100 Jahren für das, was damals
Schreckliches geschehen ist, Verantwortung übernimmt .
Vielleicht ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Definition von Realpolitik - ich glaube, ein bisschen verstehe ich von diesem Thema -, dass unsere keine
zynische, sondern eine wertegeleitete Realpolitik ist . Das
würde ich mir bei diesem Thema auch bei Ihnen wünschen .
({6})
Meine Damen, meine Herren, um auch das sehr klar
zu sagen: Das Schicksal von Armeniern und von Christen
in der Türkei darf nicht mit dem verrechnet werden, was
aktuell in der Flüchtlingspolitik geschehen muss .
({7})
Lassen Sie mich zum Schluss, da ich nur wenig
Redezeit habe, den armenischen Erzbischof Karekin
Bekdjian, den Primas der Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland, der mir folgende Zeilen geschrieben
hat, zitieren:
Unser Ziel ist Wahrheit und Versöhnung . In der
Türkei erhebt die Zivilgesellschaft ihre Stimme . Sie
setzt sich mit der eigenen Geschichte offen auseinander - trotz drohender Unterdrückung seitens des
Staates . Ein klares Signal aus Deutschland würde
diese Kräfte stützen und den Dialog, auch den innertürkischen, stärken . Denn wahre Demokratie beginnt mit Bekenntnis . Deutschland kann einen spürbaren Beitrag zu Wahrheit und Versöhnung leisten,
wenn es die Wahrheit gemäß der UN-Genozidkonvention ausspricht .
Ich zitiere weiter:
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, handeln Sie am 25 . Februar 2016 im Sinne der Wahrheit!
Diesen Worten der Verständigung und der Versöhnung
habe ich nichts hinzuzufügen .
Herzlichen Dank .
({8})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Klaus
Brähmig .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
mich steht außer Frage: Die planmäßige Vertreibung und
Vernichtung von über 1 Million ethnischer Armenier
durch das jungtürkische Regime 1915 war ein Völkermord . Leider ist er nicht der einzige geblieben, an dem
Deutschland im 20 . Jahrhundert direkt oder indirekt beteiligt war . Wir als Regierungskoalition und wahrscheinlich das ganze Hohe Haus gedenken in Respekt der Opfer und wissen um die Verantwortung, die damaligen
Verbrechen weder zu verdrängen noch zu beschönigen .
Als Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung werde ich mich persönlich mit meinen
Kollegen bei der Konzeption der Dauerausstellung im
Deutschlandhaus dafür einsetzen, dass diese historische
Katastrophe für das stolze armenische Volk eine angemessene Würdigung erhält .
({0})
Selbstverständlich dürfen wir als Deutsche niemanden
über den Umgang mit seiner Vergangenheit belehren . Allerdings können wir auf unsere Erfahrung hinweisen, und
alle Völker, die Schuld auf sich geladen haben, ermutigen, sich der eigenen Geschichte zu stellen .
({1})
Das haben wir Deutsche nach anfänglich heftigen Verdrängungsversuchen wie kein anderes Volk getan . InsoCem Özdemir
fern können wir uns heute beim Thema „Aufarbeitung
von Vergangenheit“ durchaus als Vorbild sehen,
({2})
aber mit verflixt viel Abstand zum Kriegsende. Deswegen können wir sagen, dass nur ein selbstkritisches Bekenntnis zur Wahrheit eine Chance auf Versöhnung eröffnet .
Herr Kollege Brähmig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?
Ja, bitte .
Vielen Dank, Herr Kollege Brähmig, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Mit Blick auf das Selbstbewusstsein Deutschlands und seine eigene Geschichte habe ich
eine Frage bezüglich des Völkermordes an Sie, den das
Deutsche Reich an den Herero und Nama in den Jahren
1904 bis 1908 in seiner damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika - das ist heute Namibia - begangen hat . Bis
heute scheut der Deutsche Bundestag in Gänze, diesen
Völkermord als genau das zu benennen, was er ist: ein
Völkermord . Ich wundere mich schon, wie Sie sagen
können, dass wir hier allen Anlass haben, selbstbewusst
anderen Ländern zu sagen, wie sie handeln müssen . Also
wann wird auch die CDU/CSU-Fraktion bereit sein, eine
Entschließung des Bundestages zu unterstützen, die diesen Völkermord auch als Völkermord benennt?
({0})
Herr Kollege Liebich, das ist heute nicht das Thema .
Ich denke, zu gegebener Zeit kann man auch darüber
sprechen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zugleich ist dieses
Verhalten Grundvoraussetzung, aus der Geschichte für
die Zukunft zu lernen und die Fehler nicht zu wiederholen . Dabei verweise ich ausdrücklich auf die aktuelle Situation in der Levante . Wir als Deutsche können in
diesem Fall schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger
auftreten, da die deutsche Reichsregierung über die türkischen Gräueltaten umfassend informiert war,
({0})
dem Massaker aber tatenlos zusah . Wer diese Mitschuld
leugnet, verliert seine Glaubwürdigkeit gegenüber den
beteiligten Nationen Armenien und Türkei .
({1})
Bereits in der Plenardebatte des letzten Jahres haben sich alle demokratischen Parteien deutlich zu den
Geschehnissen positioniert . Unzweifelhaft haben alle
Fraktionen die damaligen Geschehnisse historisch als
Völkermord eingeordnet . Insofern mag zwar der heutige zusätzliche Antrag von Bündnis 90/Die Grünen durch
Verschriftlichung der weiteren Klarheit dienen . Gleichzeitig bezweifle ich aber, dass ein Beschluss zum jetzigen Zeitpunkt unserem gemeinsamen Ziel - dem einer
sachlichen Aufarbeitung in der Türkei durch die Türkei dienen wird .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Realität in der
Diskussion lautet: Wer sich mit dem Thema „Völkermord an den Armeniern“ auseinandersetzt, klagt niemanden an, der heute noch lebt . - So wie wir Deutsche uns
gegen die Erbschuldthese nach dem Zweiten Weltkrieg
gewehrt haben, so müssen die Türkei und die Türken
nicht befürchten, dass ihnen und ihren Enkelkindern die
Schuld aufgeladen wird .
({3})
Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht für das
verantwortlich, was vor 100 Jahren geschah . Sie kann
aber dafür Sorge tragen, dass eine unrühmliche Vergangenheit in eine gute Zukunft gewendet werden kann . Diese Sensibilität für Geschichte könnte der Türkei auch bei
der Lösung innenpolitischer Probleme behilflich sein.
({4})
Von uns muss auch ausdrücklich anerkannt werden,
dass gerade die Türkei mit der Aufnahme von weit über
2 Millionen syrischen Flüchtlingen eine gewaltige humanitäre Hilfeleistung erbringt . Dies kann meines Erachtens
aber nicht dazu führen, dass wir völlig unkritisch miteinander umgehen . Aber Diplomatie ist auch eine Anerkennung des Machbaren und eine Analyse der eigenen
Interessen . Deshalb brauchen wir keine Anträge, die einseitig zum türkeikritischen Signal hochstilisiert werden
könnten . Wir als deutsche Volksvertreter haben derzeit
doch ein besonderes Interesse daran, die Zusammenarbeit mit der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise
fortzusetzen . Damit meine ich nicht nur, dass die Türkei
beim Stopp des Flüchtlingsstroms Verantwortung übernimmt .
Zur Wahrheit gehört doch auch, dass sich der Großteil der Syrer immer noch Hoffnung auf eine Zukunft
im eigenen Land macht . Insofern sollten wir durch eine
schnelle Bereitstellung von deutlich höheren Finanzmitteln den Menschen einen menschenwürdigen Verbleib in
der Türkei ermöglichen, bis Syrien befriedet ist .
({5})
Nach meinen Informationen sieht auch die Genfer
Flüchtlingskonvention idealtypisch immer eine krisennahe Unterbringung für Flüchtlinge vor . Das wäre ein
Erfolg, denn die risikoreiche Reise würden sich die MenKlaus Brähmig
schen - gerade auch Familien - ersparen, und nach einer
erfolgreichen Befriedung fiele die Rückkehr viel leichter.
Auch könnte damit den Schleusern, Schleppern und kriminellen Organisationen das Handwerk gelegt werden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts unserer
eigenen Geschichte kann ich nur sagen: Aufarbeitung
der Vergangenheit ist besonders effizient und nachhaltig,
wenn sie aus eigenem Antrieb geschieht . Insofern dürfen
wir die Türkei zu einer kritisch-historischen Selbstreflexion einladen . Erfolg wird dieses Projekt aber erst dann
zeigen, wenn die türkische Bevölkerung selber Fragen
stellt und trotzdem selbstbewusst in die Zukunft schaut .
Sie als Angehörige der Partei der Grünen, die immer
alles hofft und an das Gute im Menschen appelliert, sollten hier einmal mehr auf Hoffnung setzen . Ich habe die
Hoffnung, dass in zukünftigen Jahren auch in der Türkei
eine Jugend vorhanden ist, die mehr Offenheit für historische Wahrheit und Versöhnung zeigt .
({6})
Das geschieht jedoch nur dann, wenn kein Druck von außen ausgeübt wird .
Dem Ziel des Antrages bleiben wir aufgeschlossen gegenüber und sehen es als notwendig an . Gleiches gilt für
die Partnerschaft mit dem armenischen Volk und seinen
aktuellen Herausforderungen .
Aus den oben genannten Gründen können meine
Fraktion und ich diesem Antrag heute nicht zustimmen .
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr waren sich in der Tat alle Fraktionen und
Redner hier einig, dass es sich bei den Massakern und
den Vertreibungen von 1,5 Millionen Armeniern um einen Völkermord handelt . Es würde diesem Hause wirklich gut anstehen, diese Einigkeit in einen gemeinsamen
Antrag münden zu lassen . Die Grünen setzten sich aber
nur mit den Regierungsfraktionen zusammen .
({0})
Die Linke, die damals als PDS eine der ersten Fraktionen
war, die dieses Thema hier auf die Tagesordnung gesetzt
haben, wurde einfach außen vor gelassen. Das finde ich
wirklich beschämend .
({1})
Um den türkischen Despoten Erdogan vor der erhofften Flüchtlingsabschottung nicht zu verärgern, hat die
Bundesregierung das Thema Armenien nun in der Tat auf
Eis gelegt . Ganz offenbar - das ist wirklich ein Skandal lässt sich die Bundesregierung von Ankara diktieren,
welche Anträge hier zur Abstimmung gebracht werden .
Der jetzt von den Grünen vorgelegte Antrag weist
leider zwei entscheidende Schwächen auf: Zum einen
drückt er sich vor einer klaren Einordnung der Vernichtung der Armenier als Völkermord, und zum anderen verharmlost er die deutsche Mitverantwortung daran .
In der Überschrift wird der Völkermord zwar benannt,
doch im Antragstext heißt es nur verwaschen, das Schicksal der Armenier stehe - ich zitiere - „beispielhaft für
die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen
Säuberungen, der Vertreibungen, ja, der Völkermorde,
von denen das 20 . Jahrhundert auf so schreckliche Weise
gekennzeichnet ist“ .
Ich möchte hier auf den polnischen Juristen Raphael
Lemkin verweisen . Dieser hat sich bei seiner Ausarbeitung der UN-Konvention gegen Völkermord von 1948
ausdrücklich - neben dem Holocaust - auf den Armeniergenozid bezogen .
Meine Damen und Herren, ohne das deutsch-türkische Bündnis im Ersten Weltkrieg wäre der Völkermord
an den Armeniern so nicht möglich gewesen . Das haben
zahlreiche Historiker nachgewiesen . Hohe deutsche Offiziere sprachen sich für die Vernichtung der Armenier
aus . Einige unterzeichneten Deportationsbefehle und ließen armenische Stadtviertel beschießen . Ein deutsches
U-Boot rettete jungtürkische Verantwortliche vor der
drohenden Strafverfolgung .
Darüber findet sich in dem heute vorgelegten Antrag
kein Wort . Beklagt wird lediglich „die unrühmliche Rolle
des deutschen Reiches“, das nicht einmal versucht habe,
dieses Verbrechen zu stoppen . Das ist eine massive Verharmlosung der deutschen Rolle . Es handelt sich hier
vielmehr um Beihilfe zum Völkermord .
Um zur Aussöhnung von Türken und Armeniern beizutragen, müssen wir uns erst einmal vorbehaltlos zur
ganzen deutschen Mitverantwortung bekennen . Alles andere wäre unglaubwürdig und kontraproduktiv .
({2})
Einer solchen Geschichtsklitterung, wie sie im Antrag
der Grünen hier heute vorliegt, werden wir nicht zustimmen können . Wir werden uns enthalten . Zum Jahrestag
im April werden wir unseren Antrag, den wir vor einem
Jahr hier eingebracht haben, erneut zur Debatte stellen .
Jetzt noch einiges zur aktuellen Situation: Heute führt
die türkische Regierung wieder einen erbarmungslosen
Krieg im eigenen Land . Panzer beschießen kurdische
Städte, Zivilisten werden lebendig verbrannt, Hunderttausende sind auf der Flucht, darunter aramäische
Christen, deren Vorfahren den Genozid überlebt hatten .
Auch die historische armenische Sankt-Giragos-Kirche
in Diyarbakir wurde gerade von türkischen Soldaten
zerstört . Indessen fordert der Bundesinnenminister, man
solle die Türkei als Gegenleistung für die Flüchtlingsabschottung nicht mehr kritisieren .
({3})
- Das hat er genau so gesagt: dass wir uns zurückhalten
sollen .
({4})
Das erinnert an einen deutschen Reichskanzler von
1915, der Kritik am türkischen Bündnispartner mit den
Worten untersagte:
Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des
Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob
darüber Armenier zu Grunde gehen . . .
Frau Kollegin Jelpke .
Ich komme zu meinem letzten Satz .
Nein, Sie haben mich jetzt missverstanden . Ich wollte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Weiler gestatten .
Ja, bitte .
Sehr geehrte Frau Jelpke, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Ich kenne die Intention und die
Ansicht der Linken zu dem Land Armenien, aber auch
zu der Türkei sehr gut, das können Sie mir glauben . Als
Präsident des Deutsch-Armenischen Forums wünschte
ich mir auch so schnell wie möglich eine Lösung in der
Sache .
Ich glaube aber, dass das Thema Genozid zu wichtig
ist, als dass man es zum Spielball der Politik werden lässt .
Bald wird bei uns gewählt . In Baden-Württemberg gibt
es circa 5 000 Wählerinnen und Wähler, die selber oder
deren Nachfahren armenischer Herkunft sind . Es wird
der Sache nicht gerecht, wenn man zu diesem Zeitpunkt
die Regierungskoalition vor sich hertreiben und nur aus
diesem Grunde eine schnelle Entscheidung haben will .
({0})
Ein Antrag der Koalition zu diesem Thema ist fertig,
sodass wir ihn in Kürze einbringen könnten .
({1})
Ich glaube, die Art und Weise der Polemik und des Vorführens der Regierungskoalition passen nicht dazu . Dazu
ist das Thema viel zu wichtig . Wir werden den Antrag der
CDU/CSU-Fraktion baldigst einbringen . Ich würde ihm
dann zustimmen .
({2})
Jetzt aber die Frage an Sie . Wenn wir unseren Antrag
einbringen, werden dann auch Sie diesem Antrag zustimmen? Sie haben gesagt, Sie werden sich bei der Abstimmung über den vorliegenden Antrag enthalten, weil Sie
einen eigenen Antrag vorlegen wollen . Sie hätten heute
die Möglichkeit, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen .
Sie haben aber auch später die Möglichkeit, dem CDU/
CSU-Antrag zuzustimmen . Wenn Ihnen die Sache so
wichtig ist, tun Sie das und zeigen Sie Gesicht . Ich wäre
Ihnen dafür sehr dankbar .
({3})
Herr Kollege, erster Punkt . Wenn Sie genau diesen einen Antrag vorlegen sollten, ist die Frage, ob die Kritik,
die ich hier sehr deutlich formuliert habe, darin berücksichtigt wird . Es geht darum, den Mord an dem armenischen Volk eindeutig so zu bezeichnen und nicht so vernuschelt zu formulieren .
Zweiter Punkt . Es geht darum, die deutsche Mitbeteiligung und Mitverantwortung, die Rolle, die Deutschland
dabei gespielt hat, aufzuarbeiten und sich dazu zu bekennen . - Das ist der erste Schritt, um zu einer wirklichen
Verständigung bzw . zu Frieden zwischen Armeniern und
Türken zu kommen .
Dritter Punkt. Ich finde sehr wohl, dass die aktuelle
Situation in der Türkei/Kurdistan genau damit etwas zu
tun hat . Sie verschieben den Antrag und legen das Thema
auf Eis, weil Sie Erdogan nicht verärgern wollen. Ich finde es schon schlimm genug, dass diese Bundesregierung
aus vielerlei Gründen zu dem verbrecherischen Krieg
schweigt, den Erdogan in der Türkei/Kurdistan führt . Ich
habe hier gesagt: Es werden Menschen bei lebendigem
Leibe verbrannt. Fast über 200 000 Menschen fliehen
aus dieser Region . Ihre Politik, was die Türkei angeht,
ist wirklich ein Skandal . Deswegen meine ich, dass es
richtig ist, auf die aktuelle Situation hinzuweisen und zu
zeigen, warum und weshalb die Bundesregierung sich so
verhält .
Man muss auch klar sagen: Die Bundesregierung steht
in dieser Tradition . Auch heute wieder - ich habe gerade zitiert, was der damalige Reichskanzler 1915 gesagt
hat -: Sie schweigen, damit die Flüchtlingsabschottung
funktioniert . Das geht mit uns nicht .
Damit ist meine Rede zu Ende .
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({0})
Als Nächster spricht der Kollege Dietmar Nietan für
die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
24 . April 1915 begann in Konstantinopel das, was sich
zu einem Völkermord am armenischen Volk entwickelte . Dort wurden Menschen verhaftet und verschleppt, die
nichts, aber auch gar nichts angestellt hatten . Der Grund,
warum sie verfolgt wurden, war einzig und allein, dass
sie Armenier sind .
Es begannen Verschleppungen, Vertreibungen und
Vergewaltigungen schlimmster Art . Viele der Menschen,
denen man erst ihre Ehre und dann ihr Leben genommen
hat, haben noch nicht einmal ein Grab, weil sie einfach
in die Wüsten getrieben wurden, wo sie am Ende elendig
verhungerten, verdursteten und starben .
Es war deshalb gut und richtig, dass genau am 24 . April 2015 zum 100 . Jahrestag des Völkermords an den Armeniern der Deutsche Bundestag in einer, wie ich finde,
sehr bewegenden Debatte sich dieses Themas angenommen hat .
({0})
Diese Debatte war davon geprägt, dass so deutlich wie
noch nie in diesem Hohen Hause Vertreter aller Fraktionen das, was geschehen ist, auch so benannt haben, wie
es sich gehört, nämlich dass es dort einen Völkermord
gegeben hat .
({1})
Es war, glaube ich, auch eine Debatte, die aus meiner Sicht deshalb eine Sternstunde des Parlamentarismus
war, weil die Rednerinnen und Redner in dieser Debatte mit ihren Wortbeiträgen wirklich versucht haben, ein
würdiges und ernsthaftes Gedenken an die Opfer zum
Ausdruck zu bringen . Denn das sollte am 100 . Jahrestag
im Vordergrund stehen .
Es war aber nicht nur deshalb eine Sternstunde, weil
es gute Redebeiträge von allen Kolleginnen und Kollegen gab, sondern auch - ich habe es schon betont -, weil
der Bundestag zwar noch nicht in einer schriftlichen Entschließung, aber in dieser Debatte keinen Zweifel daran
gelassen hat, dass es sich hierbei um einen Völkermord
gehandelt hat .
Es war für mich auch deshalb eine Sternstunde des
Parlaments, weil es für mich auch eine Art Selbstbehauptung des Parlamentarismus war, auch dann heiße Eisen
anzufassen und klar zu formulieren, wenn vielleicht der
eine oder andere in der Bundesregierung das nicht so gerne sieht. Ich finde, dass das einem Parlament auch gut
ansteht . Das Parlament ist nicht der verlängerte Arm einer Regierung, sondern ein eigenständiges Verfassungsorgan .
({2})
Ich bin sehr unglücklich darüber, dass wir heute in
der Situation sind, die sich in dieser Debatte ausdrückt,
weil wir alle gemeinsam - ich will da überhaupt keine
Schuldzuweisungen aussprechen - es nicht geschafft
haben, nachdem wir einen so guten Auftakt hatten, mit
dieser Debatte möglichst schnell auch zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen, der sicherlich der Sternstunde
des Bundestages am 24 . April 2015 gewissermaßen noch
eine Krone aufgesetzt hätte .
({3})
Ich finde, dass die heutige Debatte auch deshalb keine
Sternstunde des Parlamentarismus ist - ich habe die große Sorge; ich unterstelle niemandem, dass das gewollt
ist -, weil die heutige Debatte in der Art, wie sie geführt
wird, nicht dem Anspruch gerecht wird, das Gedenken
an die Opfer in den Mittelpunkt einer solchen Debatte
zu stellen .
Ich halte es für völlig legitim, dass eine Fraktion in diesem Hause sagt: Diese Herumeierei und dieses Warten,
wenn über vorliegende Anträge nicht abgestimmt wird,
machen wir nicht mehr mit, und deshalb bringen wir
einen Antrag - der sogar durchaus konsensfähig wäre erneut ein . - Dagegen ist nichts zu sagen . Es gehört zu
den Aufgaben und ist auch die Pflicht von Oppositionsfraktionen, da, wo sie kritische Punkte sehen - auch in
parlamentarischen Debatten -, die Bundesregierung zu
kritisieren, etwa dann, wenn sie das Gefühl haben, dass
die Bundesregierung in ihren Äußerungen zum Beispiel
gegenüber der Türkei nicht klar genug ist .
({4})
Natürlich ist es richtig, dass man mit dem Satz „Es ist
nicht der richtige Zeitpunkt“ alles auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben kann . Aber ich glaube, es ist
auch richtig, zu sagen - und ich will es deutlich aussprechen -, dass mit einer Entschließung zu diesem Thema
zehn Tage vor einem EU-Türkei-Gipfel niemandem gedient ist, weder den Problemen, die wir dort lösen wollen, noch dem Gedenken an das armenische Volk .
({5})
Der Antrag, der eingebracht wurde, trägt die, wie ich
finde, sehr treffende und gute Überschrift „Erinnerung
und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern
vor 100 Jahren“ . Aber wir merken in dieser Debatte: Wir
debattieren heute weniger über den Völkermord und das
Gedenken daran als über die Frage - diese ist durchaus
legitim -, ob sich die Bundesregierung richtig verhält .
Aber hätte es dazu der Aufsetzung eines Antrags über
einen Völkermord bedurft, oder hätte man besser zum
Beispiel in einer Aktuellen Stunde oder in einem Entschließungsantrag auf dieses Thema hinweisen können?
Mir bereitet Sorge, dass dieser gut formulierte Antrag zu
einem Vehikel für etwas wird, was eigentlich nicht Inhalt
dieses Antrags ist . Dann kommen wir zu einem Punkt,
wo es schwierig wird, in der heutigen Debatte dem Gedenken an die Opfer gerecht zu werden .
({6})
Herr Kollege Nietan, lassen Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Haßelmann zu?
Ja, bitte .
Bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin, und vielen Dank, Herr
Nietan, für die Zulassung der Zwischenfrage . - Meine
Frage an Sie lautet: Mein Kollege Cem Özdemir hat
mehrfach darauf hingewiesen, dass unser Antrag nicht
vom Himmel gefallen ist, sondern dass wir seit fast einem Jahr mit allen anderen Fraktionen darüber diskutieren, wie wir uns als Parlament zu dieser Frage verhalten,
und zwar gemeinsam und nicht nur durch Redebeiträge .
Sie haben gerade betont, heute sei nicht der richtige Zeitpunkt . Wann ist denn der richtige Zeitpunkt aus Sicht der
SPD-Fraktion?
Vielen Dank für die Frage. - Ich finde, dass wir unsere
Aufgabe verfehlen würden, wenn wir nicht vor Ablauf
des Gedenkjahres, also vor dem 24 . April dieses Jahres,
zu einer klaren Entscheidung des Bundestages kämen .
Spätestens dann ist der Zeitpunkt gekommen, dass wir
uns als Parlament damit auseinandersetzen und eine mit
möglichst breiter Mehrheit getragene Entschließung treffen . Das ist meine Antwort .
({0})
- Cem, ich gehe darauf gleich noch ein .
Ich wiederhole: Das ist heute eine unglückliche Situation. Ich finde es schade, dass es nicht möglich war, interfraktionell zu vereinbaren, dass diese Sitzungswoche
nicht der richtige Zeitpunkt für eine solche Diskussion
ist und dass eine Verschiebung besser ist . Ich betone noch
einmal: Ich will auf niemanden zeigen . Ich glaube, dass
wir uns alle nicht mit Ruhm bekleckert haben . Wir hätten
verhindern können, in die heutige Situation zu kommen .
Nun kommt es dazu - das wissen wir alle; das weißt du
auch, Cem -, dass die Koalitionsfraktionen dem Antrag
von Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmen werden .
Die Fraktion Die Linke wird sich enthalten .
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass dieser
Antrag heute nicht aus inhaltlichen Gründen keine Mehrheit findet. Ich hoffe zudem, dass der eine oder andere
Nationalist in der Türkei nicht auf die Ablehnung durch
den Deutschen Bundestag hinweist und behauptet, jetzt
sehe man, wie weit man damit gekommen sei . Ich will
denjenigen in der Türkei, die solche Gedanken hegen,
deutlich sagen: Die Tatsache, dass die Beratungen über
diesen Antrag bisher nicht so richtig rundgelaufen sind,
sollte niemanden in der Türkei darüber hinwegtäuschen,
dass die Zeit, mit Drohungen die Auseinandersetzung mit
der geschichtlichen Verantwortung der türkischen Regierung und des türkischen Volkes hinauszuzögern, vorbei
ist . Es wurde gesagt, dass es weite Teile der türkischen
Zivilgesellschaft und viele andere Menschen auf der Welt
satt haben, dass man sich nicht mehr der geschichtlichen
Verantwortung stellt . Deshalb hoffe ich sehr, dass wir bis
zum 24 . April dieses Jahres zu einem Antrag kommen .
Ich würde mich freuen, wenn es ein gemeinsamer Antrag
wäre, gar keine Frage . Wir müssen das auch tun, weil es
unsere Verantwortung gegenüber den Opfern ist, keinen
Zweifel daran zu lassen, dass sich die Bundesrepublik
Deutschland ihrer Mitverantwortung für das, was damals
geschehen ist, stellt . Diese Mitverantwortung hat es gegeben .
Ich hoffe, dass es mit einem Beschluss in diesem Jahr
nicht zu Ende ist . Ich würde mir sehr wünschen, dass wir
überlegen, welchen Beitrag wir auch mit der täglichen
Arbeit leisten können, um etwas dazu beizutragen, dass
der Völkermord und die geschichtliche Wahrheit nicht
unter den Teppich gekehrt werden können .
Deshalb fände ich es nicht schlecht, zum Beispiel
darüber nachzudenken, welche Möglichkeit es für die
Zivilgesellschaft gibt, an den vielen guten Dokumenten, die im Auswärtigen Amt lagern, und die eindeutig
beweisen, dass es sich um einen Völkermord gehandelt
hat, teilzuhaben . Man kann sie zum Beispiel aufarbeiten,
richtig zusammenstellen und auf einer Internetplattform
in Deutsch, Englisch, Türkisch sowie Armenisch veröffentlichen . Das wäre zum Beispiel etwas, durch das wir
ein sichtbares Zeichen setzen können, dass wir nicht nur
Beschlüsse fassen, sondern dass wir auch aktiv daran arbeiten wollen, dass die Wahrheit von keiner Seite unter
den Teppich gekehrt werden kann .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es zu Beginn gesagt: Am 24 . April 1915 begann ein schrecklicher
Völkermord . Wir dürfen keine Gelegenheit auslassen,
deutlich zu machen, dass wir diesen Völkermord nicht
unter den Teppich kehren . Wir dürfen bei aller Realpolitik auch nicht in den Verdacht geraten, dass wir ihn unter
den Teppich kehren wollen, wenn das für uns einen Vorteil bedeuten könnte .
In diesem Sinne wünsche ich mir sehr, dass die Dinge,
die auf dem Weg bis heute nicht so gut gelaufen sind,
uns allen den richtigen Anstoß geben, uns unterzuhaken
und alles dafür zu tun, dass wir möglichst im April dieses
Jahres in diesem Hohen Hause ein klares Zeichen dafür
setzen, dass wir der Verantwortung gegenüber den Opfern gerecht werden, und auch ein klares Zeichen dafür,
dass der Deutsche Bundestag seinen Beitrag zur Versöhnung leistet .
Wir wissen es alle: Versöhnung kann nur dann funktionieren, wenn die Wahrheit, die historische Wahrheit
offen ausgesprochen wird .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Dr . HansPeter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! In einer beeindruckenden Rede
hat Bundespräsident Joachim Gauck im April vergangenen Jahres der Hunderttausenden Armenier gedacht,
die Opfer von Vertreibung und Massakern wurden . Die
schrecklichen Ereignisse liegen zwar über 100 Jahre zurück, doch der Bundespräsident hatte recht, als er dort
gesagt hat:
Wir gedenken der Opfer, damit sie und ihr Schicksal
nicht vergessen werden . Wir erinnern an sie
- Herr Özdemir um ihrer selbst willen .
Und zu keinem anderen Zweck .
({0})
Wir Deutsche haben am allerwenigsten das Recht, in
Angelegenheiten von Völkermord über andere Nationen
zu richten . Gerade das Inkommensurable des Holocaust
verbietet es uns für alle Zeiten, über andere Nationen zu
richten . Doch erwächst aus dem vorangegangenen Tun
aus unserer jüngsten Geschichte eine ganz besondere Garantenstellung, was Menschenrechtsverletzungen angeht .
Sie müssen, wann immer sie geschehen sind und geschehen, von uns benannt werden und von uns bekämpft werden .
An diesem Rednerpult hat uns vor 15 Jahren Elie
Wiesel ermahnt . Er hat gesagt:
Wer sich dazu herbeilässt, die Erinnerung an die
Opfer zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal .
Das soll uns eine Mahnung sein .
Als Adolf Hitler im August 1939 den Überfall auf
Polen befahl, erwartete er von uns Militärs, „mitleidlos
Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung … in
den Tod zu schicken“ . Als Begründung fügte er 1939
die menschenverachtende Behauptung hinzu: „Wer redet
heute noch von der Vernichtung der Armenier?“
Vor zehn Jahren gedachte der Deutsche Bundestag in
großer Sachlichkeit, Ernsthaftigkeit und Übereinstimmung über die Parteigrenzen hinweg des Massakers an
den Armeniern . Der damalige Fraktionsvorsitzende der
Grünen, Fritz Kuhn, legte in seiner Rede Wert darauf,
nicht auf die Türken zu zeigen, um zu entlarven oder jemanden vorzuführen . Nicht im Gestus eines hohen Gerichts, sondern im ehrlichen Bemühen um die historische
Wahrheit sollte die zarte Pflanze der in der Türkei aufkeimenden Erinnerungskultur behütet werden .
Das war seine Rede . Wie wohltuend unterscheidet
sich dieses damalige Bemühen des Grünen Fritz Kuhn
von den heutigen parteipolitischen Aktionen der Grünen .
({1})
Aus dem unbeschreiblichen Leid der armenischen
Opfer soll heute parteipolitisch Kapital geschlagen werden; denn worum geht es den Grünen heute wirklich? In
wenigen Tagen finden entscheidende Gespräche mit der
Türkei statt . Die Bundesregierung versucht, zwischen
der Türkei und der Europäischen Union eine Verhandlungslösung in der uns alle sehr bedrängenden Einwanderungs- und Flüchtlingskrise zu finden. Das ist auch ein
Versuch, das kriminelle Geschäft der Menschenhändler
zu stoppen, dem bereits Tausende von Flüchtlingen im
Mittelmeer zum Opfer gefallen sind . In dieser geradezu
historischen Situation ist es das Hauptanliegen der Grünen, die diplomatischen Beziehungen zur Türkei zu belasten .
({2})
Das ist schändliches und destruktives Oppositionsverhalten, Herr Özdemir .
({3}) - Cem Özdemir
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie fallen der
Kanzlerin in den Rücken! Wir unterstützen
sie bei dem Gipfel! Bleiben Sie doch bei der
Wahrheit!)
Auch wenn der heutige Antrag der Grünen mit unserer
Position inhaltlich übereinstimmt - das wissen Sie -,
({4})
halten wir es, Herr Özdemir, mit Lukas, nachzulesen im
Kapitel 4, dritter Vers . Dort sagt Lukas: Gutes in böser
Absicht vorgeschlagen, dazu sage man Nein . - Deswegen sagen wir Nein zu diesem Antrag .
({5})
Gutes in böser Absicht vorgeschlagen, dazu sagen wir
Nein .
({6})
Wir sagen Nein zu Ihrem Antrag von heute; denn wir
wollen das Gedenken nicht instrumentalisieren wie Sie,
sondern wir bleiben bei unserem Bemühen, konstruktiv zu einer Versöhnung zwischen den Türken und den
Armeniern beizutragen . Aus diesem Grunde werden wir
noch in diesem Halbjahr einen Antrag stellen, der Ihnen
bekannt sein wird .
({7})
Dann hoffen wir auf konstruktive Mitwirkung .
({8})
Als nächster Redner spricht Dr . Johann Wadephul, ebenfalls von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mir geht es ähnlich wie dem Kollegen Nietan,
der auch bedauert hat, dass wir nicht schon im vergangenen Jahr die von der CDU/CSU und der SPD gemeinsam
erarbeitete Resolution zum Völkermord hier zur Abstimmung gebracht und abgeschlossen haben . Insofern will
ich durchaus mit einem Mea Culpa aus Sicht der Unionsfraktion beginnen und feststellen, dass es uns nicht
gelungen ist, über die doch in diesem Hause gemeinsam
getragene Auffassung, dass es ein Völkermord war, was
an den Armeniern verübt worden ist, abzustimmen, und
dass es selbstverständlich eine Mitschuld deutscher verantwortlicher Politiker zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts gegeben hat . Daher will ich durchaus zuerst
an meine eigene Brust schlagen und sagen: Das hätten
wir damals tun müssen . Insofern haben wir eine gewisse
Mitverantwortung dafür, dass dieser Antrag jetzt hier zur
Abstimmung kommt .
({0})
Dennoch kann ich Ihnen, Herr Kollege Özdemir,
nicht ersparen, zu sagen, dass es wahrscheinlich keinen
ungünstigeren Zeitpunkt gab, um diesen Antrag zur Abstimmung hier im Deutschen Bundestag zu bringen, als
jetzt in dieser politischen Situation, in der wir uns in Europa befinden.
({1})
Es mutet mich immer wieder eigenartig an, dass gerade die Grünen, die uns in den letzten 10, 15 Jahren immer vorgeworfen haben, nicht Türkei-freundlich genug
zu sein, die uns ständig aufgefordert haben, möglichst
morgen die Türkei mit vollen Rechten in die Europäische
Union aufzunehmen, uns heute vorwerfen, dass wir mit
der Türkei kooperieren und versuchen, mit der Türkei zu
gewissen Vereinbarungen zu kommen .
({2})
Herr Kollege Wadephul, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende bringen .
Okay .
Es ist doch völlig unbestritten: Die Bundeskanzlerin
hat in der letzten Debatte noch einmal gesagt, dass von
deutscher Seite selbstverständlich - das ist unverzichtbar
und im Übrigen auch von Ihnen gar nicht bestritten - jederzeit und in allen Gesprächen das angesprochen wird,
was es an Menschenrechtsverletzungen, Verletzungen
der Meinungsfreiheit oder an gescheiterter Kurdenpolitik
in der Türkei gibt . All das sprechen wir gegenüber der
türkischen Regierung an . Auf parlamentarischer Ebene
machen wir das, Herr Kollege; auch auf Regierungsebene wird das gemacht . Wir nehmen gegenüber der Türkei
kein Blatt vor den Mund . Darüber gibt es gar keine Diskussion .
({0})
Aber was bewirken Sie mit einem Antrag in dieser
Situation? Die Türkei ist ja auch kein monolithischer
Block . Mit einem Antrag in dieser Situation stärken Sie
die europakritischen Kräfte in der Türkei, die es dadurch
in der türkischen Innenpolitik einfach haben, auf Europa
zu zeigen, und die es den europafreundlichen Kräften,
denjenigen, die für Meinungsfreiheit sind, denjenigen,
die wirklich zur Europäischen Union mit ihren Werten
wollen, schwermachen . Das wollen wir nicht . Wir wollen
in der Tat die Verhandlungen weiterführen, und wir wollen mit den positiven Kräften in der Türkei zusammenarbeiten . Darin könnten Sie uns unterstützen . Da wäre der
Einsatz in der Tat gut angebracht . Insofern ist es zum jetzigen Zeitpunkt einfach falsch, diesen Antrag zu stellen .
({1})
Ich denke, wir sollten uns besinnen, ob nicht eine weitere Auseinandersetzung angesichts des Umstandes, dass
wir doch darüber einig sind, wie wir diese Sache beurteilen, abgeschlossen werden sollte, ob wir nicht in die
parlamentarischen Beratungen zurückkehren und ob wir
uns nicht an einen Tisch setzen sollten .
Wenn es ein Thema gibt, das sich - Wahlen hin oder
her - nun wirklich nicht eignet für Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen, dann ist es doch ein so
schwerwiegendes und auch belastendes Thema wie ein
Völkermord . Auf die besondere deutsche Sensibilität und
Rücksichtnahme haben alle meine Vorrednerinnen und
Vorredner schon hingewiesen . Darüber besteht hier bei
uns im Deutschen Bundestag doch ein großer Konsens .
Deswegen kann der Appell nur sein, dass wir uns, anstatt
über eine solche Sache streitig abzustimmen, zusammenDr. Hans-Peter Uhl
setzen und den großen Konsens, den es in diesem Hause
eigentlich gibt - diesen Hinweis nehme ich gerne auf -,
nun auch in absehbarer Zeit zu Ende bringen, indem wir
zügig zu einer Beschlussfassung hier im Deutschen Bundestag kommen .
Nochmals: In der jetzigen Situation, angesichts der
Flüchtlingskrise erweisen Sie all denjenigen, die sich darum bemühen, für mehr Menschlichkeit, für mehr Humanität gerade in der Türkei zu sorgen, einen Bärendienst .
Deswegen ein letzter Appell an die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, heute von einer Abstimmung abzusehen und
noch einmal in Gespräche mit uns einzutreten . Wir sind
dazu bereit; Sie haben das gehört . Wir Koalitionsfraktionen stehen zu unserer Debatte aus dem vergangenen Jahr .
Es ist möglich, hier im Hohen Hause einen ganz großen
Konsens in dieser Frage zu finden. Unsere Hand ist ausgestreckt . Ergreifen Sie sie .
({2})
Vielen Dank . - Der Kollege Özdemir erhält die Möglichkeit zu einer Kurzintervention .
Lieber Kollege, ich bedaure es, dass Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben . Dann hätte ich Ihnen
nämlich gesagt, dass wir ein Jahr lang unsere Hand ausgestreckt haben; fragen Sie die Kollegen der SPD-Fraktion und der Unionsfraktion .
Erstens . Wir haben gesagt: Wir sind bereit, inhaltlich
auf Sie zuzugehen . Wir haben gesagt: Wir sind bereit,
vom Zeitpunkt her auf Sie zuzugehen . Wir haben gesagt:
Wir sind bereit, vom Format her auf Sie zuzugehen . Wir
haben keine Anhörung durchgeführt . Wir haben gesagt:
Wir warten auf Sie, bis Sie so weit sind .
Ihre Kollegen - nicht meine Kollegen - haben gesagt:
Wir brauchen noch ein bisschen Zeit . Bitte wartet . Ich
habe meiner Fraktion gesagt: Wir warten so lange, bis
die Unionsabgeordneten so weit sind . Mir wurde signalisiert: Es wird einen interfraktionellen Antrag geben .
Darauf habe ich mich eingelassen . Ich habe mich dafür
eingesetzt, dass wir unseren Antrag, der viel weiter ging,
zurückgezogen haben - für die Sache . Also bitte, kommen Sie mir nicht mit dem Vorwurf, dass es uns nicht um
die Sache gehe .
({0})
Zweitens . Sie berufen sich auf die Zivilgesellschaft .
Viele meiner Freunde gehören ihr an; manche von ihnen
sitzen gerade im Gefängnis, beispielsweise weil sie kritische Journalisten sind . Raten Sie einmal, wofür diese
Vertreter der Zivilgesellschaft heute hier wären . Ich kann
es Ihnen sagen: Sie wären der Meinung, dass man mit
der Türkei natürlich über die Flüchtlingsfrage verhandeln muss, dass man der Türkei beim Umgang mit den
Flüchtlingen natürlich helfen muss - was denn sonst? -;
aber sie würden auch sagen: Mit autoritären Herrschern
muss man auch verhandeln können . Man darf ihnen nicht
jeden Wunsch von den Augen ablesen .
({1})
Das ermutigt sie nämlich zu einer falschen Politik, also
zum Gegenteil dessen, was doch auch Sie wollen, Herr
Kollege . Also ein bisschen Selbstachtung im Umgang
mit Herrn Erdogan würde ich schon auch noch empfehlen .
Drittens . Sie haben das mit der Türkei und der EU
angesprochen, dass wir Grünen da seit 15 Jahren immer
eine entsprechende Position hätten . Jetzt will ich Ihnen
einmal Folgendes sagen: Als wir mit der SPD zusammen
regiert haben, haben wir die Beitrittsverhandlungen begonnen, aber mit einer Türkei, die auf einem Reformweg
war . Wir haben die Möglichkeiten der Verhandlungen damals erfolgreich genutzt, um uns dafür einzusetzen, dass
die Türkei Reformen in der Politik macht, was die religiösen, was die politischen Minderheiten angeht .
Sie haben doch dann den Kurs mit der privilegierten
Partnerschaft eingeschlagen . Und jetzt, wo sich die Türkei in die falsche Richtung entwickelt, entdecken Sie die
Beitrittsverhandlungen wieder . Das hat doch nichts mit
Werten zu tun . Das ist reine Taktik, meine Damen und
Herren .
({2})
Das schadet der Zivilgesellschaft, das schadet der Demokratie, das schadet unseren Partnern in der Türkei, den
proeuropäischen Kräften, um die es Ihnen leider nicht so
richtig geht .
Aber ich will versöhnlich enden . Meine Damen, meine Herren, ich habe ja gehört, was mein Kollege hier
gesagt hat . Ich möchte ihm übrigens ausdrücklich danken; denn ich weiß, an ihm lag es nun wirklich nicht,
dass es hier nicht geklappt hat . Das lag an anderen, die
heute nicht anwesend sind; das wissen wir . Aber ich will
noch einmal ausdrücklich sagen: Wenn das ernst gemeint
ist mit dem 24 . April, mit einer Resolution oder einem
Beschluss hier, der wirklich besagt: „Erstens war es ein
Völkermord; zweitens gibt es eine deutsche Mitverantwortung; drittens erwächst daraus eine Aufgabe für die
Zukunft, dass Deutschland sich dafür einsetzt, dass die
Grenze zwischen Armenien und der Türkei eines Tages so wird wie die Grenze zwischen Deutschland und
Frankreich“, dann machen wir da gerne mit . Aber dann
sagen Sie es hier auch, dass Sie das vorhaben, und keine
Tricks, meine Damen und Herren .
({3})
Herr Kollege Wadephul, Sie haben die Möglichkeit
zur Erwiderung .
Herr Kollege Özdemir, wir wissen alle, wir sind in
Wahlkampfzeiten . Sie sind in besonderen Wahlkampfzeiten . Das erklärt möglicherweise Ihre Aufregung .
({0})
- Seien Sie doch ein bisschen ruhiger und gelassener bei
dieser Frage .
Sowohl der Kollege Nietan als auch ich als auch der
Kollege Dr . Uhl haben gesagt: Wir sind bereit, über diesen Antrag mit Ihnen jetzt zügig zu sprechen, ihn zu finalisieren und ihn hier zu verabschieden . Es gibt nichts
Gutes, außer man tut es . Also, dann lassen Sie uns jetzt
an die Arbeit gehen, und lassen Sie uns das zügig in den
nächsten Wochen abschließen!
({1})
Ich bin jetzt nicht autorisiert, für diese Fraktion eine
temporäre Erklärung abzugeben, wann wir das schaffen,
ob der 24 . wirklich realistisch ist . Aber es gibt die Zusage auch unseres Fraktionsvorsitzenden, dass das jetzt in
den nächsten Wochen gemacht wird . Vielleicht ist das ein
Weg für Sie, Herr Kollege Özdemir, über die Sache noch
einmal nachzudenken und den Antrag zurückzustellen .
({2})
Das ist - ich will jetzt Ihre Worte gar nicht aufgreifen ({3})
ein ehrlich gemeintes Angebot der CDU/CSU-Bundestagsfraktion .
({4})
Und ich sage noch einmal: Diese Hand ist ehrlich ausgestreckt, nehmen Sie sie an!
({5})
Herr Özdemir, Sie haben noch einmal das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, es ist hier in der Debatte deutlich geworden,
dass es uns um die Sache geht, und ich glaube, nicht
nur meiner Fraktion, sondern vielen hier im Haus, egal
von welcher Fraktion . Ich habe das jetzt gerade gehört .
Das habe nicht nur ich gehört, das haben viele Menschen draußen auch gehört . Da oben sitzen Vertreter von
verschiedenen Kirchen, der armenischen Kirche, der
aramäischen Kirche, der assyrischen Kirche, der griechisch-orthodoxen Kirche, der evangelischen Kirche,
der katholischen Kirche . Sie alle verbindet ein Wunsch:
dass wir 100 Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen endlich so weit sind, dass nicht eine Fraktion, sondern alle Fraktionen - ich habe ja vorher Zentrumspolitiker und sozialdemokratische Politiker zitiert, die vor
100 Jahren mutig waren, im Gegensatz zu manchen ihrer
Kollegen - in der Tradition, in einer guten deutschen Tradition sich hier gemeinsam zur Verantwortung bekennen .
Das heißt - ich sage es noch einmal im Klartext, damit es
im Protokoll steht - erstens: Es war ein Völkermord . Das
sagen wir glasklar .
Zweitens . Es gibt eine deutsche Mitverantwortung, zu
der wir uns bekennen .
Drittens . Daraus erwächst Verantwortung für die Zukunft, dass sich am türkisch-armenischen Verhältnis
endlich etwas ändert, dass sich das verbessert, dass die
Grenze sich öffnet .
Wenn das die Zusage ist und es ein Antrag wird, an
dem nicht nur die Koalitionsfraktionen arbeiten, sondern
bei dem wir zusammenarbeiten, dann ziehen wir unseren
Antrag zurück und machen das gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Das war zur Geschäftsordnung gesprochen .
({0})
Ich gehe jetzt davon aus, dass der Antrag zurückgezogen ist, das heißt, wir werden keine Abstimmung dazu
durchführen . Die Abstimmung entfällt, weil der Antrag
durch den Antragsteller zurückgezogen wurde .
({1})
Deshalb werden jetzt von meiner Seite auch keine weiteren Kurzinterventionen zugelassen, sondern so, wie verabredet, werden in den kommenden Tagen und Wochen
die Verhandlungen über einen gemeinsamen interfraktionellen Antrag geführt werden .
Damit schließe ich diese Debatte .
({2})
Ich möchte noch eine Anmerkung für die Kolleginnen
und Kollegen machen, die eine schriftliche Erklärung zur
Abstimmung abgegeben haben, und darauf hinweisen:
Da wir keine Abstimmung durchgeführt haben, entfallen
natürlich auch schriftliche Erklärungen und werden von
daher auch nicht ins Protokoll aufgenommen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir
jetzt zum nächsten Tagesordnungspunkt; das ist der Tagesordnungspunkt 11:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die
Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie
den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen
Drucksache 18/7204
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
Drucksache 18/7691
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das auch so beschlossen .
Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben, würde ich gern in der Debatte fortfahren .
Ich bitte darum, die Gespräche jetzt zu beenden bzw . an
anderer Stelle fortzuführen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner erhält
Matthias Hauer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({4})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nach Wochen der intensiven Beratung bringen
wir heute das Zahlungskontengesetz hier im Plenum zum
Abschluss . Wir machen damit den Wechsel beim Girokonto einfacher, wir erhöhen die Transparenz bei den
Kosten für Bankentgelte, und wir schaffen einen Rechtsanspruch auf ein Basiskonto für alle . Kurzum: Wir stärken mit dem Zahlungskontengesetz die Rechte der Bankkundinnen und Bankkunden in Deutschland .
({0})
Für welches Girokonto bei welcher Bank soll man
sich entscheiden? Diese Frage stellen sich viele von uns .
Man entscheidet das, dann ändern sich Lebensphasen,
dann ändern die Banken manchmal auch Gebühren oder
Serviceleistungen, und dann scheut man einen Kontowechsel, weil die Entgelte oftmals wenig transparent
sind, aber auch, weil ein Kontowechsel bislang sehr
mühselig war . Beide Punkte gehen wir mit dem heutigen
Umsetzungsgesetz an .
Verbraucher sollen Bankentgelte besser vergleichen
können. Wie geht das? Durch zertifizierte und unabhängig betriebene Vergleichswebsites sollen sie kostenlos und sachgerecht den Vergleich von Kontoentgelten
durchführen können . Ein guter Schritt zu mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher .
({1})
Mit einem Mehr an Transparenz ist es aber nicht getan . Der Kontowechsel wird erleichtert . Künftig werden
Banken und Sparkassen ihren Kunden dabei helfen müssen, den Wechsel des Girokontos zu einem anderen Institut vornehmen zu können . Dadurch wird der Wechsel
unbürokratischer, schneller und einfacher . Es wird nicht
mehr notwendig sein, Daueraufträge mühselig einzeln
beim neuen Institut einzurichten, Lastschriftempfänger
einzeln anzuschreiben . Damit kann nun Schluss sein .
Nach Kundenwunsch werden diese Informationen direkt
übermittelt . Der Kunde entscheidet, welche Informationen genau der neuen Bank mitgeteilt werden und welche
nicht . Die Bankkunden können mit dem Kontowechselservice also flexibler auf Angebote am Markt reagieren,
ein echter Mehrwert für die Bankkunden .
In den Beratungen haben wir uns dafür entschieden,
dass wir den Kontowechsel auch online möglich machen
wollen, das heißt ohne Medienbruch . Dass man ein Dokument auf dem Computer online ausfüllt, es dann aber
ausdrucken, unterschreiben und verschicken muss, wollen wir nicht . Es soll möglich sein, alles komplett online
im Rahmen des Onlinebanking durchzuführen . Es soll
aber auch auf Wunsch des Bankkunden genauso möglich
sein, das schriftlich zu tun .
({2})
Insgesamt wird mit dem Gesetz der Wechsel einfacher, die Hürden werden abgebaut, sich für ein anderes
Girokonto bei einem anderen Institut zu entscheiden .
Wir stärken damit die Rechte der Kontoinhaberinnen und
Kontoinhaber in Deutschland .
Es gibt aber auch Menschen in unserem Land, die kein
Girokonto haben . Der Versorgungsgrad in Deutschland
ist deutlich höher als in den meisten anderen EU-Ländern, aber dennoch haben knapp 1 Million Menschen - so
die Schätzung der EU-Kommission aus dem Jahr 2013 kein Konto . Miete zahlen, Gehalt bekommen, viele Geschäfte des Alltags - ohne Girokonto kaum denkbar . Mit
dem Zahlungskontengesetz geben wir diesen Menschen
einen Rechtsanspruch auf ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen . Wir bauen damit eine Brücke zu
den Menschen, die oft am Rande der Gesellschaft stehen .
Deshalb ist es auch richtig, dass eine entsprechende Infokampagne diese Möglichkeit ausweist . Wir möchten,
dass auch obdachlose oder andere einkommensschwache
Menschen ein Konto eröffnen können; denn ein Girokonto ist Grundvoraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben in Deutschland .
({3})
Im parlamentarischen Verfahren haben wir den guten Gesetzentwurf noch besser gemacht . Wir haben die
Gesellschaft für deutsche Sprache einbezogen . Dadurch
ist das Antragsformular für das Basiskonto deutlich einfacher und verständlicher geworden . Wir stellen sicher,
dass das Basiskonto auch direkt als Pfändungsschutzkonto eröffnet werden kann .
Insofern abschließend: Zunächst einmal der Dank für
die konstruktive Zusammenarbeit der letzten Wochen
zum einen den beteiligten Ministerien, federführend und
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
damit stellvertretend genannt das Bundesfinanzministerium, zum anderen aber auch den Berichterstatterkolleginnen und -kollegen der anderen Fraktionen .
Schon in der Anhörung und auch in den Stellungnahmen der Sachverständigen ist viel Lob für den Gesetzentwurf der Bundesregierung geäußert worden . Dem Lob
schließen wir uns als CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich
an .
Das Gesetz ist sogar so gut geworden, dass selbst die
Opposition nicht widerstehen kann und Zustimmung angekündigt hat . Das freut mich und darf gerne Vorbildcharakter für andere Gesetze haben .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Dr . Axel
Troost von der Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gerade schon gesagt worden: Man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, heute ohne ein Girokonto
auszukommen, vom Zahlungsverkehr abgeschnitten zu
sein, seine Miete nicht per Dauerauftrag überweisen zu
können oder im Beruf bzw . auf Ämtern zu bestimmten
Terminen in einer Schlange stehen zu müssen, um Bargeld ausgezahlt zu bekommen . Man ist ohne ein Anrecht
auf ein Konto im Prinzip entmündigt . Trotzdem gibt es
rund 1 Million Menschen, denen bisher der Zugang zu
einem Girokonto verweigert wurde . Es sind insbesondere
ausländische Studierende, Saisonarbeiter, Asylsuchende,
Geduldete und auch Obdachlose, denen die Banken die
Eröffnung eines Kontos verweigern .
Die Linke hat in den letzten zehn Jahren fünf Anträge in den Deutschen Bundestag eingebracht, mit denen
wir zum Ausdruck gebracht haben: Wir wollen ein Recht
auf ein Basiskonto, ein Konto für alle . - Immer sind die
Anträge hier im Hohen Haus abgelehnt worden . Man hat
argumentiert, es reiche die freiwillige Selbstverpflichtung der Banken, die zugesagt hatten, hier aktiv zu werden . Aber nur die Sparkassen haben reagiert, die anderen
Geld institute eben nicht . Insofern ist der bisherige Zustand unmöglich .
({0})
Jetzt hat sich endlich etwas getan . Aber weit gefehlt,
wenn Sie glauben, dass bei der CDU/CSU oder bei der
SPD nun neue Gedanken eingezogen wären . Nein! Wieder einmal setzen wir jetzt europäisches Recht in deutsches Recht um .
({1})
Insofern kommen die Bundesregierung und die Große
Koalition gar nicht darum herum, dieses gesetzlich umzusetzen . Und dass dies in Brüssel so beschlossen worden ist, ist insbesondere auf die Arbeit der Linken im Europaparlament zurückzuführen . Sie hat dort erhebliche
Arbeit hineingesteckt, bis die Richtlinie im April 2014
zustande kam . Ich erwähne explizit Jürgen Klute, der damals Verhandlungsführer war .
({2})
Insofern ist heute, was diese Frage angeht, wirklich
ein guter Tag . Es ist in der Tat so, dass von der Koalition
noch vieles aufgenommen worden ist . Dadurch ist der
Gesetzentwurf in der Tat noch besser geworden . Es gibt
eine feste Frist von zehn Tagen für die Kontoeröffnung .
Wir schaffen die Option, das Basiskonto von Anfang an
als Pfändungsschutzkonto einzurichten und zu führen .
Wir schaffen auch Rechtssicherheit für die Betroffenen,
indem wir dafür sorgen, dass das Konto nicht sofort gekündigt werden kann, wenn einmal Gebühren auflaufen, sondern eine Kündigung erst dann erlaubt ist, wenn
100 Euro Gebühren aufgelaufen sind .
Trotzdem gibt es aus unserer Sicht im Prinzip schon
Nachbesserungsbedarf, weil die Fragen der angemessenen Gebühren und der Dispozinsen nicht gesondert geregelt sind . Man darf sich da nichts vormachen: Wir reden
hier auch über einkommensschwache Personen, für die
jährliche Kontoführungsgebühren von 40 oder 50 Euro
nicht unerheblich sind . Insofern wird man da sicherlich
noch einmal nachfassen müssen . Insbesondere im ländlichen Raum ist die Dichte der Banken und Sparkassen
natürlich nicht so hoch, dass es Konkurrenz gäbe, die
sozusagen Einfluss auf die Gebührenhöhe in Form von
geringeren Gebühren hätte .
Insofern haben wir Linke immer noch Wünsche, die
wir gerne erfüllt sähen, um das Gesetz noch sozialer zu
machen . Alles in allem glaube ich aber, dass mit diesem
Gesetz jetzt eine Regelung gefunden worden ist - deswegen werden wir auch zustimmen -, die 1 Million Menschen die Möglichkeit gibt, ein Konto zu eröffnen . Das
ist gut so . In diesem Fall kann man nur sagen: Gut, dass
die europäische Gesetzgebung hier entsprechende Vorgaben für die Bundesrepublik Deutschland gemacht hat .
Danke schön .
({3})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Sarah
Ryglewski von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der ersten Lesung des Zahlungskontengesetzes habe ich gesagt:
Lassen Sie uns ein gutes Gesetz noch besser machen! Ich
glaube, heute können wir alle sagen: Das ist uns gemeinsam gelungen .
({0})
Deswegen möchte ich diesmal mit dem Dank beginnen . Ich möchte auch nicht nur dem Kollegen Hauer von
der Union und meinem Kollegen Dr . Zimmermann sowie den beiden beteiligten Bundesministerien danken,
sondern auch den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken . Ich fand die Zusammenarbeit über weite Strecken hinweg sehr konstruktiv .
Ich glaube, wir haben auch verschiedene Anregungen,
die aus den Verbänden gekommen sind, sehr gut eingearbeitet .
Nun ist es schon fast verdächtig, wenn sich sowohl
Regierung und Opposition als auch die Verbraucherverbände und die deutsche Kreditwirtschaft in der Bewertung eines Gesetzes weitgehend einig sind .
({1})
Nur, hier würde ich sagen: Diese seltene Einigkeit ist
kein Grund zur Skepsis, sondern vielmehr ein Indiz dafür, dass uns hier etwas wirklich Gutes gelungen ist, auch
wenn der Kollege Dr . Troost schon ein bisschen Wasser
in den Wein gegossen hat . Nichtsdestotrotz ist es ein sehr
gutes Gesetz; denn wir schaffen heute nicht mehr und
nicht weniger als einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto und verbessern damit substanziell die Lebenssituation
von vielen Menschen in Deutschland .
({2})
Eigentlich wollte ich nicht weiter ausführen, dass ein
solches Gesetz gegen Kontolosigkeit schon viel früher
möglich und auch nötig gewesen wäre, aber die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr . Troost veranlassen
mich, noch einige Sätze dazu zu sagen . Natürlich hat es
in Deutschland immer verschiedene Impulse gegeben,
ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen . Da kann ich
auch an verschiedene Initiativen der SPD sowohl in diesem Hause - das habe ich beim letzten Mal schon ausgeführt - als auch im Bundesrat erinnern . Natürlich ist es
auch so, dass eine EU-Richtlinie nicht vom Himmel fällt .
Sie haben die Arbeit der Linken in Europa gelobt . Aber
ich glaube, man darf, ohne vermessen zu sein, hier auch
darauf hinweisen, dass die Initiative in der Bundesregierung deutlich von der SPD ausgegangen ist .
({3})
Doch wir wollen uns das hier nicht kaputtmachen, indem
wir kleinlich werden; wir haben ja alle sehr gut daran
gearbeitet .
Ich möchte uns noch einmal die wichtigsten Ziele bei
der Ausgestaltung des Basiskontos in Erinnerung rufen:
Für mich waren das der leichte Zugang zum Basiskonto,
niedrige Entgelte und ein angemessener Funktionsumfang . Klar ist: Das Basiskonto muss ein echtes Konto für
jedermann sein . Deswegen darf eine Bank nur aus sehr
guten und sehr eng begrenzten Gründen eine Kontoeröffnung ablehnen . Wir alle wissen, dass die Kundengruppe,
auf die das Basiskonto zugeschnitten ist, nicht unbedingt
die ist, die eine Bank gerne in ihren Filialen sieht . Deswegen wären größere Spielräume bei den Ablehnungstatbeständen oder eine Auffangklausel, wie sie ja von der
Kreditwirtschaft gefordert wurden, sehr, sehr gefährlich
gewesen . Damit hätten wir womöglich gerade die Verbraucherinnen und Verbraucher ausgeschlossen, die wir
mit dem Gesetz erreichen wollen .
({4})
Jetzt ist das Verfahren klar: Es gibt klare Gründe für
die Ablehnung . Die Leute bekommen einen Bescheid .
Wenn sie mit diesem Bescheid nicht einverstanden sind,
können sie bei der BaFin prüfen lassen, ob die Ablehnung berechtigt ist . Es ist auch gut, dass wir deutlich
gemacht haben, dass nach Antragstellung nur noch zehn
Tage vergehen dürfen, bis das Konto eröffnet wird . Somit
kann es nicht zu Verschleppungen kommen .
Ein weiterer Barriereabbau betrifft die Antragsformulare, in deren Gestaltung wir die Gesellschaft für deutsche Sprache einbezogen haben .
Ich möchte jedoch, weil ich sehe, dass meine Redezeit
dem Ende entgegengeht, noch etwas zu den Entgelten
sagen . Wir hatten die ganz große Sorge, dass es versteckte Entgelte gibt, dass es heißt: Das Basiskonto hat eine
niedrige Grundgebühr, aber der typische Kunde, der eben
nicht über einen Internetzugang verfügt, der vielleicht
auch nicht internetaffin ist, muss dann horrende Gebühren für beleghafte Überweisungen zahlen . - Das wollten
wir verhindern . Wir haben hier die Formulierung der Verbraucherzentrale übernommen, dass sich die Entgelte an
den Kosten für das günstigste Kontomodell mit dem jeweiligen Nutzungsumfang orientieren und nicht darüber
hinausgehen sollen .
Ein letzter Satz zur Onlinefähigkeit: Wir wollten, dass
das Basiskonto kein Konto light ist . Deswegen war für
uns klar: Das Basiskonto muss unbedingt onlinefähig
sein . In Zeiten, in denen Leute sogar ihren Partner über
das Internet finden, ist Onlinefähigkeit absolute Basis;
das ist 21 . Jahrhundert .
Ich habe vorhin gesagt: Ich glaube, es ist ein guter
Tag . Es ist ein guter Tag für uns in diesem Hause, aber
es ist vor allem ein guter Tag für viele Menschen, für die
eine unwürdige Situation endlich ein Ende findet.
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Nicole
Maisch von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was lange währt, wird endlich ganz okay;
({0})
das muss man heute auch vonseiten der Opposition neidlos zugeben .
Für mittlerweile fast 1 Million Menschen in Deutschland, die ohne Girokonto leben müssen, ohne ein normales Wirtschaftsleben mit regulärem Job, Mietvertrag,
Telefonanschluss oder Zeitungsabo, ist dieses Gesetz ein
Fortschritt . Das kann man anerkennen, und das ist gut so .
Aber es gehört zur Wahrheit dazu, zu sagen, dass seit
vielen Jahren klar war, dass die Selbstverpflichtung der
Kreditwirtschaft nicht funktioniert . Das ist jetzt die dritte
Legislatur, in der ich zusammen mit meiner Fraktion die Linken haben das ähnlich gemacht - immer wieder
Anträge auf ein Girokonto für alle einbringe . Aber Sie
haben in unterschiedlichen Konstellationen immer alle
abgelehnt, egal ob Steinbrück oder Schäuble Finanzminister war . Auch der vorliegende Gesetzentwurf ist ja
nicht auf Ihre eigene Initiative für kontolose Menschen
hin entstanden; vielmehr war der Grund die Umsetzung
einer Richtlinie . Sie mussten von Brüssel zum Jagen getragen werden. Ich finde, das hätte man heute ruhig einmal zugeben können .
({1})
Aber - das gehört zum Gesetzgebungsprozess dazu das Gesetz hat sich im Laufe des Verfahrens verbessert;
das ist nicht immer der Fall . Wir haben in der letzten
Woche die Wohnimmobilienkreditrichtlinie beschlossen,
bei der sich im Laufe des Verfahrens alles Mögliche verschlechtert hat . In diesem Fall gab es Verbesserungen,
aber man hätte an einigen Punkten doch noch nachschärfen, Dinge besser machen können .
Der erste Punkt: die Kosten . Es ist gut, dass Sie jetzt
definieren, dass das Nutzerverhalten maßgeblich für das
Gebührenmodell ist . So kann vermieden werden, dass einer hochbetagten Dame ein Onlinekonto angedreht wird,
bei dem sie für jede Papierüberweisung 1 Euro bezahlen
muss. Es ist gut, dass Sie das so definiert haben, aber
trotzdem hätte es eine hieb- und stichfeste Formulierung
zur Kostenbegrenzung gebraucht .
({2})
Die Erfahrung mit dem P-Konto lehrt uns: Wo kein wirklicher Wettbewerb besteht - und das ist bei der Kundengruppe, für die wir das Girokonto für alle machen, leider
der Fall -, da funktioniert auch der normale Preiswettbewerb nicht . Deshalb hätte es hier eine Regelung gebraucht .
Punkt zwei - für uns auch ganz wichtig -: die anspruchsberechtigten Personen . In den vorherigen Diskussionen haben Sie ja immer darauf hingewiesen, dass es
Ihnen wichtig ist, dass die Menschen, die zu uns flüchten,
möglichst schnell ein Girokonto bekommen . Aber wenn
ich Ihre Vorlage richtig verstanden habe, dann sind jene
Flüchtlinge nicht erfasst, die nur über einen Ankunftsnachweis oder eine Bescheinigung über die Meldung als
Asylsuchender verfügen . Da die Verfahren im Moment
oft viele Wochen und Monate dauern, wäre es schön gewesen, eine entsprechende Regelung einzufügen, damit
die Menschen schneller am Leben hier teilnehmen können .
({3})
Punkt drei - das war auch in der Anhörung ein wichtiges Thema -: der Pfändungsschutz . Sie haben gut geregelt, dass bei Eröffnung des Basiskontos der Pfändungsschutz auf dem neuen Konto geregelt ist . Es ist aber nicht
sichergestellt, dass dadurch der Pfändungsschutz auf einem alten Konto sofort automatisch gelöscht wird . Weil
man zwei P-Konten nicht gleichzeitig führen kann, gehen wir davon aus, dass das in der Praxis zu Problemen
führen wird, die Sie einfach hätten vermeiden können .
Der nächste Punkt, mit dem wir nicht zufrieden sind,
ist die Transparenz von Vergleichswebsites . Es ist grundsätzlich gut, dass es eine staatliche Zertifizierung von
Vergleichswebsites geben soll. Aber wir finden: Zwingende Voraussetzung für eine solche Zertifizierung muss
sein, dass alle wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen
Website und Anbieter offengelegt werden, sodass die
Kundinnen und Kunden auf Euro und Cent sehen: So
viel Geld fließt zwischen Bank und Websiteanbieter. Sie
haben gesagt, dass Sie in der Verordnung noch einiges regeln können. Aber wir finden: Man hätte schon im Gesetz
klare Bestimmungen treffen können .
Lange Rede, kurzer Sinn, es wäre besser gegangen,
aber unterm Strich bleibt: Unsere langjährige Forderung
nach einem Konto für alle hat sich endlich erfüllt . Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu .
({4})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Alexander
Radwan von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht heute,
wie bereits meine Vorredner ausgeführt haben, um die
Umsetzung der Zahlungskontenrichtlinie in nationales
Recht . Man merkte bei manchen Vorrednern, dass für sie
das, was aus Europa kommt - das hat sich vielleicht so
eingeschliffen -, von Haus aus etwas ist, das ohne nationale Beteiligung erfolgt . Wir haben jedoch, Herr Kollege
Troost, die vorangegangene Debatte geführt, um Europa
beeinflussen zu können. Es ist nicht so, dass entsprechende Richtlinien auf der europäischen Ebene ohne deutsche
Beteiligung verabschiedet werden . Bei aller Wertschätzung der Linken: Es war die Bundesregierung und es war
das von der Union geführte Finanzministerium, die an
dieser Richtlinie entsprechend mitgewirkt haben . Diese
Richtlinie ist nicht gegen ihren Widerstand entstanden
und jetzt umzusetzen, sondern sie waren daran beteiligt .
So sollte man mit Europa umgehen und auch offen und
ehrlich sagen, wer an den Entscheidungen beteiligt ist,
und nicht behaupten, dass es umgekehrt ist .
({0})
Weil wir uns eben entschieden haben, auf europäischer
Ebene eine Richtlinie zu erlassen, sind wir heute in der
Lage, einen Gesetzentwurf zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verabschieden .
Ich möchte drei Punkte konkretisieren, die in der Diskussion angesprochen worden sind:
Der erste Punkt betrifft den Zugang zu einem Konto,
zu einem Basiskonto . Es wurde bereits gesagt, dass es
um die Umsetzung einer europäischen Richtlinie geht . In
anderen Staaten in Europa sehen die Zugangsmöglichkeiten weitaus schlechter aus; wir hatten hier eine Selbstverpflichtung. Wir gehen aber jetzt diesen Weg mit und
setzen dies entsprechend um . Diese Umsetzung erfolgt
auch nicht - darauf sollte man schon Wert legen - aufgrund der aktuellen politischen Lage, sondern die Diskussion darüber läuft schon länger . So werden nun viele
Personen davon profitieren.
Der zweite Punkt betrifft Vergleichbarkeit und Transparenz . Ich halte es für sehr wichtig, dass Vergleiche
transparent und nachvollziehbar sind . Die Webseite, die
entstehen soll, ist der richtige Weg: öffentlich zertifiziert.
Auch und gerade angesichts der aktuellen Zinslage - das
sollten wir bei dieser Diskussion über Entgelte im Blick
behalten - wird die Struktur der Finanzierung der Banken
erheblich problematischer . Gebühren werden zukünftig
als Finanzierungsinstrument von den Banken verstärkt
herangezogen werden . Gerade angesichts der aktuellen
Entwicklungen bei den Zinsen und der Bankenrefinanzierung ist dies ein wichtiges Instrument, um den Bürgern klarzumachen, welche Kosten bei einer möglichen
Entscheidung auf sie zukommen .
({1})
Der dritte Punkt betrifft den Kontowechsel . Der Kontowechsel wird erheblich einfacher werden, da wir ihn
hinsichtlich Lastschriften und Daueraufträgen weiter vereinfachen . Wir haben intensiv über einen Medienbruch
diskutiert, also inwieweit man das zukünftig online machen kann oder nicht . Dazu möchte ich schon grundsätzlich sagen: Wir leben in einer Zeit der Digitalisierung .
Wir stehen vor der Herausforderung, das traditionelle
Bankengeschäft weiterzuentwickeln; wir müssen uns
aber davor hüten, bestimmte Entwicklungen zu blockieren, weil wir dadurch vermeintlich etwas schützen können, was in dieser Form möglicherweise gar nicht mehr
zu schützen ist . Darum haben wir uns dafür entschieden,
hier keinen Medienbruch zu machen . Das sollte auch in
Zukunft unsere Linie sein .
Wir wollen auf der einen Seite, dass die Banken regional verankert sind, vor Ort gute Geschäfte machen
können und sich aus sich selbst heraus entwickeln können, und auf der anderen Seite wollen wir, dass die neuen
Entwicklungen genutzt werden und wir in Deutschland
und in Europa auch zukünftig entsprechende Player haben . Das werden wir aber nicht schaffen, wenn wir dann
bei einzelnen Gesetzgebungsvorhaben von der Linie abweichen . Darum ging es hier bei der Frage des Medienbruchs . Wir hatten das Gleiche beim Crowdfunding, und
wir werden ähnliche Diskussionen bei der PSD II haben .
Dahinter steht zukünftig immer die Entscheidung, in
welche Richtung wir grundsätzlich gehen . Von daher ein
Dankeschön dafür, dass die Augen für zukünftige Entwicklungen offengehalten wurden .
Wichtig ist die deutsche Sprache . Wir haben ja den
Versuch unternommen, die Formulare verständlicher zu
gestalten . Das ist mit Blick auf den Verbraucherschutz
letztlich immer die Aufgabe . Denn - das haben wir auch
bei den ganzen Dokumentationspflichten gemerkt - was
nützt Verbraucherschutz, was nützen Informationen für
den Verbraucher, wenn er sich einem Konvolut entsprechender Formulare gegenübersieht, wenn er ein Juristendeutsch vorgelegt bekommt, das er nicht nachvollziehen
kann? Das wäre nicht im Sinne des Verbraucherschutzes .
Die Formulare müssen leicht verständlich und nachvollziehbar sein, um den Verbraucher entsprechend schützen
zu können . Das sagen sowohl die Finanzinstitute als auch
die Verbraucherschützer . Darum ist das ein richtiger Ansatz; denn wir machen Verbraucherschutz für den Verbraucher und nicht für Juristen . Ich sage das, obwohl ich
selber einer bin . Insofern ist hier das Ziel erreicht .
Ich danke allen Beteiligten für die gute, konstruktive
Arbeit bei der Umsetzung dieser Richtlinie für den Verbraucher in Deutschland .
Besten Dank .
({2})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debattenrunde hat Dr . Jens Zimmermann von der SPD-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf machen wir Schluss mit der Stigmatisierung und Diskriminierung Hunderttausender Menschen
in Deutschland . Alle Bürgerinnen und Bürger bekommen
jetzt Zugang zu einem Konto und können damit am alltäglichen Wirtschaftsleben teilnehmen . Damit geht ein
jahrelanger Kampf glücklich zu Ende . Das ist ein großer
Erfolg .
({0})
Ich will die spezielle Situation, über die wir im Gesetzgebungsverfahren diskutiert haben, verdeutlichen . Denn
auf der einen Seite geht es um viele Bürgerinnen und
Bürger, die jahrelang nach einer Möglichkeit gesucht haben, ein Girokonto zu bekommen . Auf der anderen Seite
haben uns viele Initiativen und Kommunen darauf hingewiesen, dass das ein Thema ist, das auch viele Flüchtlinge betrifft . Ich will drei Punkte ansprechen, weshalb ich
glaube, dass uns dieses Gesetz an dieser Stelle hilft und
dass es auch vielen Geflüchteten hilft.
Erstens . Es ist nun einmal eine sicherere Variante,
auch kleine Beträge auf ein Konto zu überweisen . Ich
habe in meinem Wahlkreis Unterkünfte besucht, in denen
das Taschengeld bar ausgezahlt wird . Wenn das Geld dort
am 1 . eines Monats an 100 Personen in bar ausgezahlt
wird, birgt das auch Risiken .
Der zweite Punkt ist: Dadurch werden auch die Kommunen und die Landkreise entlastet, die das alles handeln
müssen . Mit der Möglichkeit, so etwas unbar, also per
Überweisung, zu machen, helfen wir auch ihnen .
Drittens - auch das ist ein wichtiger Punkt - hilft es
bei der Bekämpfung von Geldwäsche . Hier hatten ja einige große deutsche Banken Bedenken; darüber haben wir
in der ersten Lesung diskutiert . Zum Glück hat sich in
der Anhörung herausgestellt, dass diese Bedenken unbegründet sind und somit auch in den USA keine Strafverfolgung droht .
Von der Kollegin der Grünen ist angesprochen worden: Ein entscheidender Punkt an dieser Stelle ist, zu
ermöglichen, dass im Hinblick auf die entsprechenden
Dokumente, die zur Eröffnung eines Kontos notwendig
sind, auch die sogenannte Identitätsprüfungsverordnung
angepasst wird . Dafür ist das Bundesinnenministerium
zuständig . Es hat mich sehr gefreut, dass der Bundesinnenminister in dieser Woche zu diesem Thema gesagt hat,
dass der neue Ankunftsnachweis für genau solche Dinge
geschaffen wurde, und er somit auch die Ausweisfunktion erfüllen wird . Insofern sind wir als SPD-Fraktion da
sehr entspannt . Wir werden natürlich darauf achten, dass
diese Verordnung schnellstmöglich angepasst wird, weil
wir glauben, dass dies ein ganz wichtiger Punkt ist .
({1})
Meine Damen und Herren, wir schaffen heute mehr
Gerechtigkeit für ganz viele Deutsche, und wir machen
das Leben für viele Geflüchtete, die bei uns Unterschlupf
gefunden haben, um einiges leichter . Ich glaube, deshalb
ist dies ein wirklich gelungener und guter Gesetzentwurf .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-
mit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von
Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskon-
ten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundle-
genden Funktionen. Der Finanzausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7691,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/7204 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig
angenommen worden .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist
nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf in dritter Le-
sung einstimmig angenommen worden .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/7702 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Die Opposition . Wer stimmt dagegen? -
Die Koalition . Gibt es eine Enthaltung? - Das ist nicht
der Fall . Dann ist der Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on abgelehnt worden .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ausstieg aus Stuttgart 21 - Die Deutsche Bahn
AG vor einem finanziellen Desaster bewahren
Drucksache 18/7566
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Matthias
Gastel, Cem Özdemir, Harald Ebner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Offene Fragen zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 aufklären
Drucksachen 18/3647, 18/5399
Zu dem letztgenannten Antrag der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben diese beiden
Fraktionen einen Änderungsantrag vorgelegt .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat
Sabine Leidig von der Fraktion Die Linke das Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Wenn Verschwendung, Murks und Machtpolitik bei Großprojekten so offensichtlich sind wie beim
BER und bei Stuttgart 21 und niemand dafür geradestehen muss, dann macht das politikverdrossen . Und das
wollen wir nicht .
({0})
Deshalb gibt es unseren neuen Antrag „Ausstieg aus
Stuttgart 21 - Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren“ .
Sie erinnern sich sicher alle: Als 2009 der Baubeginn
beschlossen wurde, haben Sie behauptet, dass die Bahn
dann auf der europäischen Magistrale - ich weiß schon
gar nicht mehr, von wo aus - nach Bratislava schneller
und um zehn Minuten früher in Ulm wäre, und das für
schlappe 3 Milliarden Euro . Hartmut Mehdorn hat damals Stein und Bein geschworen, dass es so sein würde .
Kurz zuvor allerdings hat das unabhängige Verkehrsplanungsunternehmen Vieregg-Rössler die Kosten für
Stuttgart 21 auf 6,9 Milliarden Euro veranschlagt . Später
musste dann Bahnchef Grube Mehrkosten zugeben . Er
legte sich fest, 4,5 Milliarden Euro seien die Sollbruchstelle, weil es sonst ein völlig unwirtschaftliches Projekt
sein würde .
Auf dieser Grundlage haben dann die Bewohner von
Baden-Württemberg - nachdem die CDU abgewählt
war - darüber abgestimmt, ob das Land aussteigen soll .
Die Projektbetreiber plakatierten damals überall die falsche Behauptung, dass beim Ausstieg 1,5 Milliarden
Euro für nichts fällig würden . Unter diesen Bedingungen
war die knappe Mehrheit dagegen .
Was aber kam danach? Im Dezember 2012 musste
Herr Grube zugeben, dass die Kosten viel höher sein
werden als die 4,5 Milliarden Euro . Sie würden nämlich
6,5 Milliarden Euro betragen . Der Kostendeckel war krachend gesprengt worden . Vieregg und Rössler hatten mit
ihrer Kostenschätzung offensichtlich recht gehabt .
Die einzig vernünftige Konsequenz wäre gewesen,
den Ausstieg zu beschließen . Das hätte der Aufsichtsrat
der Bahn im März 2013 tun müssen . Zu diesem Zeitpunkt
waren zwar die Bäume im Park gefällt und ein Teil des
denkmalgeschützten Bahnhofes war abgerissen worden,
aber der eigentliche Bau war noch gar nicht begonnen
worden .
Was aber geschah? Aus politischen Gründen hat die
Kanzlerin höchstpersönlich interveniert und dafür gesorgt, dass wider besseres Wissen weitergemacht wird .
Im Jahr der Bundestagswahl sollte die CDU und nicht die
Bürgerbewegung triumphieren - zum Schaden der Bahn
übrigens . Denn keiner der anderen Projektpartner ist bereit, sich an den gewaltigen Mehrkosten zu beteiligen .
Und Frau Merkel wird ihre Schatulle auch nicht öffnen .
Mittlerweile sind nun genau die Probleme zutage getreten, vor denen zum Beispiel die „Ingenieure gegen
Stuttgart 21“ von Anfang an gewarnt hatten: Es sei viel
zu viel Grundwasser abzupumpen . Der Brandschutz sei
nicht ausreichend, und es gebe Fehlplanungen bei der
Flughafenanbindung usw . - Deshalb hat Vieregg-Rössler
jetzt eine neue Kostenstudie vorgelegt . Das Projekt wird
nicht 6,5 Milliarden Euro, sondern 9,8 Milliarden Euro
kosten .
Stellen Sie sich vor: Auf der einen Seite werden gerade sämtliche Nachtreisezüge gestrichen, weil sich die
Investitionen in neue Schlafwagen angeblich oft nicht
lohnen . Auf der anderen Seite soll die Deutsche Bahn
dieses Milliardengrab finanzieren. Das ist völlig absurd.
({1})
Wir verlangen, dass der Bund jetzt endlich die Notbremse zieht . Als Eigentümer der Bahn haben Sie die
Verantwortung, wirtschaftlichen Schaden von diesem
öffentlichen Unternehmen abzuwenden . Sie dürfen nicht
zulassen, dass diese Milliarden an Steuergeldern so verschwendet werden . Ihren Mitgliedern im Aufsichtsrat auch Frau Lühmann - droht übrigens eine Klage wegen
Verletzung ihrer Aufsichtspflicht. Sorgen Sie dafür, dass
die Bahn aus Stuttgart 21 aussteigt!
({2})
Jetzt das Positive zum Schluss: Es gibt gute Alternativen . Auch die sind mitsamt den Ausstiegskosten seriös
berechnet worden . Der bestehende Bahnhof kann restauriert werden . Er erhält ein neues Dach und verfügt danach über viel größere Kapazitäten . Die Baugrube kann
für Nahverkehrsangebote genutzt werden .
({3})
In jedem Fall würden die K-21-Vorschläge mindestens
5,9 Milliarden Euro weniger kosten als Stuttgart 21 Geld, das für sinnvolle Zwecke gebraucht wird .
Frau Kollegin, Sie ignorieren zwar meinen Hinweis,
dass Ihre Redezeit beendet ist, sie ist aber trotzdem beendet .
Ich komme zum Schluss und bedanke mich beim Aktionsbündnis und bei allen Aktiven gegen Stuttgart 21,
die immer wieder für Aufklärung und konkrete Alternativen sorgen . Das ist wirkliche Demokratie .
({0})
Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke bitten, ihre Buttons abzunehmen . Wir
haben eine Geschäftsordnung, nach der das Zeigen von
Plakaten und Symbolen - das gilt auch für das Tragen
von Buttons - durch die Abgeordneten im Deutschen
Bundestag nicht zulässig ist . Diese Geschäftsordnung
haben wir alle gemeinsam miteinander beschlossen, und
ich erwarte, dass auch die Kolleginnen und Kollegen der
Linken sich daran halten . - Ich bitte Sie deshalb nochmals, die Buttons abzunehmen .
({0})
- Ja, alle . Ich kann die Sitzung solange auch unterbrechen .
({1})
- Ich habe die Kolleginnen und Kollegen vorhin ohne
öffentliche Ankündigung darum gebeten . Sie haben aber
dieser Bitte keine Folge geleistet . Deshalb muss ich das
jetzt öffentlich ansprechen . Mir wäre es lieber gewesen,
wenn wir das im Einvernehmen hätten regeln können .
({2})
- Es soll hier um die Sache gehen .
({3})
- Generell nicht, auch zu anderen Themen nicht .
Als nächster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle das Wort .
({4})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Kollegin Leidig, nach Ihrer Rede und
Ihrem Antrag nach zu urteilen, kann ich nur sagen: Der
sofortige Stopp und der Ausstieg aus diesem Projekt wären für die Bahn der größte wirtschaftliche Schaden . Ich
rate Ihnen sehr und lade Sie ein: Kommen Sie einmal
nach Stuttgart, und gucken Sie sich an, was dort unter der
Oberfläche schon entstanden ist.
({0})
Gucken Sie sich auch an, was auf der Strecke Richtung
Ulm schon entstanden ist . Dann kommen Sie vielleicht
irgendwann in der Wirklichkeit an . Ich habe bei Ihnen
zwar Zweifel, aber vielleicht schaffen Sie es doch . Dann
ist bei Ihnen auch ein Erkenntnisgewinn möglich .
({1})
Meine Damen und Herren, Stuttgart 21 ist, auch wenn
die Opposition das etwas anders sieht, ein Projekt von
nicht nur regionaler, baden-württembergischer und deutscher, sondern auch von europäischer Bedeutung .
({2})
Durch dieses Projekt werden Städte und Regionen mit
34 Millionen Menschen und 16 Millionen Arbeitnehmern miteinander verknüpft . Ich wiederhole das für Sie
gerne nochmals, Frau Leidig: Die Strecke führt von Paris
über Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, München, Wien und Bratislava bis nach Budapest .
({3})
Das ist das Rückgrat einer gesamteuropäischen Schienenverbindung und ein Zeichen des verkehrlichen Zusammenwachsens ganz Europas .
({4})
Nebenbei bemerkt, verehrte Kollegin: Eine eindeutige
Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg will dieses Projekt .
({5})
Bei der Volksabstimmung am 27 . November 2011 haben
sich fast 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gegen
den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung
ausgesprochen .
({6})
Damit ist das grün-rote Stuttgart-21-Kündigungsgesetz
gescheitert, und zwar krachend .
({7})
Die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg
haben mit Weitsicht gehandelt, und diese Weitsicht würde ich gerne auch in den vorgelegten Anträgen der Grünen und der Linken wiederfinden. Das scheint aber leider
nicht der Fall zu sein .
({8})
Am 5 . März 2013 hat sich auch der Aufsichtsrat der
Bahn aufgrund der plausiblen Darlegung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit durch den Vorstand für die Fortführung des Projekts Stuttgart 21 und gegen einen Abbruch
ausgesprochen . Auch das nehmen wir zur Kenntnis . Ich
fordere das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart
und alle Projektbeteiligten auf, daran mitzuarbeiten und
dazu beizutragen, dass dieses Projekt zügig und ohne
weitere Behinderungen vorangebracht werden kann .
({9})
An dieser Stelle appelliere ich insbesondere an die
Grünen: Machen Sie doch einmal etwas anderes als diese
turnerischen Spagatübungen . Es gibt einen grünen Ministerpräsidenten, einen grünen Landesverkehrsminister
und einen grünen Oberbürgermeister, die als Beteiligte
zum Gelingen dieses Projektes beitragen müssen . Nur
die grüne Bundestagsfraktion spricht sich gegen dieses
Projekt aus .
({10})
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Sie müssen der Öffentlichkeit einmal erklären, wie Sie
das zusammenbekommen . Ich bekomme das nicht zusammen . Ich weiß, dass die grüne Basis es nicht gut
findet. Aber Ihr grüner Landesverkehrsminister hat öffentlich kundgetan, dass er konstruktiv-kritisch zum Gelingen dieses Projektes beitragen will .
({11})
Das finde ich gut und richtig. Konstruktiv-kritisch sind
wir alle . Aber er hat dadurch mit Ihnen und Ihrer grünen
Basis ein kleines Problem .
Wir als Bundesregierung stehen zu unseren Vereinbarungen und zu unseren Zusagen . Wir haben gesagt:
563,8 Millionen Euro übernehmen wir als Festbetrag .
Das ist der Anteil, der für die Einbindung der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm in den Knoten Stuttgart auch ohne
Verwirklichung von Stuttgart 21 erforderlich gewesen
wäre . Zu dieser Zusage stehen wir klar und eindeutig .
({12})
Darüber hinaus übernehmen wir auch für die Gesamtfinanzierung der Strecke Wendlingen-Ulm ab dem
Jahr 2016 die entsprechenden Notwendigkeiten . All das
ist im Planfeststellungsbeschluss und im Bundesverkehrswegeplan enthalten . Es geht voran . Ich habe mich
erst unlängst beim Durchschlag des Steinbühltunnels im
November 2015 vor Ort kundig machen können . Wir sind
bei dieser Bahnstrecke Richtung Ulm voll im Zeitplan .
({13})
Darüber hinaus soll dann, wenn die Bahnstrecke bis
Ulm fertiggestellt ist, der Weiterbau Richtung Augsburg
in Angriff genommen werden, damit dann die gesamte
Strecke mit 200 km/h befahren werden kann .
({14})
Das, meine Damen und Herren, ist dann hoffentlich
ein gutes Beispiel für eine moderne Mobilitätspolitik
des Bundes . Dass dieses Projekt sehr mühsam zustande
gekommen ist, will ich gerne zugestehen . Aber wenn es
dann fertig ist, wird es ein Beispiel für eine wirklich zukunftsweisende Mobilitätspolitik sein . Daran sollten Sie
mitwirken, anstatt dagegen zu sein . Aber das ist Ihre eigene Entscheidung . Diese muss man Ihnen überlassen .
Wir sind überzeugt: Das Projekt ist im Zeitplan und geht
einer guten Vollendung entgegen .
Danke .
({15})
Als nächster Redner hat Matthias Gastel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Der November 2011 war ein ganz besonderer Monat, nämlich der Monat, in dem die Grünen,
nachdem sie in Baden-Württemberg an die Regierung
kamen, den Bürgerinnen und Bürgern Baden-Württembergs das erste Mal die Möglichkeit gegeben haben, an
einer wichtigen Sachentscheidung, nämlich der Mitfinanzierung von Stuttgart 21 durch das Land, mitzuwirken .
Wir als Grüne haben für das Ja zum Ausstieg gekämpft .
Wir haben leider verloren .
({0})
Als gute Demokraten akzeptieren wir selbstverständlich
dieses Ergebnis .
({1})
Dieses Ergebnis hat für uns zwei Dinge zur Folge .
Der erste Punkt ist unser Versprechen des kritischen
Begleitens . Der Antrag, über den wir heute diskutieren,
ist Teil der Einlösung dieses Versprechens, das Projekt
Stuttgart 21, das durch die Volksabstimmung keineswegs
besser geworden ist, kritisch zu begleiten .
Der zweite Punkt ist der Kostendeckel, Sabine Leidig,
aber natürlich bezogen auf den Landesanteil . Es gibt keinen Kostendeckel auf den Gesamtbetrag . Das ist logisch .
Es kann nur um den Anteil des Landes gehen . Da sind
wir Grünen die Garanten dafür, dass der Kostendeckel
weiterhin gilt .
({2})
Winfried Kretschmann hat nach der Volksabstimmung
gesagt: Es ist nicht verboten, schlechte Bahnhöfe zu bauen . - Damit hat er recht . Er akzeptiert damit das Votum;
das tun wir Grüne alle .
({3})
Aber er sagt auch, dass wir keineswegs der Meinung
sind, dass der Bahnhof dadurch in der Sache besser geworden wäre . Dieser Bahnhof, der dort geplant wird, ist
ein grottenschlechter Bahnhof . Das ist ein Rückbau von
Infrastruktur für einen Haufen Geld .
({4})
Mit unserem Antrag bezwecken wir mehrere Dinge .
Wir wollen, dass eine aktuelle Kostenberechnung vorgenommen wird . Wir wollen, dass die Kosten, die am Ende
tatsächlich zu erwarten sind, endlich offengelegt werden;
denn dieses Projekt lastet auf dem Bahnkonzern wie Blei .
Gerade in den Zeiten, in denen die Gewinne schrumpfen
und die Verschuldung steigt, wird dieses Projekt zunehmend zum Problem des Konzerns und damit auch des
Eigentümers, nämlich des Bundes, der sich nicht länger
damit herausreden kann, er habe damit überhaupt nichts
zu tun .
({5})
Wir wollen Offenheit und Transparenz für dieses
Projekt . Dazu gehört auch, die Prüfberichte des Bundesrechnungshofs vorzulegen, sobald sie fertig sind . Dazu
gehört, die Rolle des Aufsichtsrats und vor allem der
Mitglieder der Bundesregierung, die dem Aufsichtsrat
angehören, klarzustellen, wenn es darum geht, ein Projekt weiterzubetreiben, das längst die Wirtschaftlichkeit
verloren hat .
Was den Flughafen angeht - da gibt es inzwischen
deutliche Verbesserungen -, wollen wir, dass auch die
Gäubahn-Lösung endlich entwickelt wird, wie es Heiner
Geißler in seinem Schlichterspruch gefordert hat . Wir
brauchen eine Nutzungskonzeption für die Gäubahn zwischen Stuttgart-Vaihingen und Stuttgart-Hauptbahnhof .
Ansonsten sind wir Grünen natürlich sehr froh und
dankbar für die Lösung am Flughafen, die durch das Zutun von Winne Hermann und anderen Projektpartnern
möglich geworden ist . Hier gibt es auf jeden Fall deutliche Verbesserungen .
({6})
Herr Kollege Gastel, lassen Sie eine Zwischenfrage
zu?
Bitte schön .
Bitte .
Lieber Herr Kollege Gastel, es ist wunderbar, was Sie
im Deutschen Bundestag über die Verantwortlichkeiten
ausführen . Aber ich muss noch einmal darauf zurückkommen, dass Sie gerade festgestellt haben, dass Sie
über Ihre Landesregierung zum Gelingen des Projektes
beitragen wollen . Ich verstehe insofern den Antrag nicht .
Wenn Sie etwas nachrechnen wollen, warum machen Sie
es dann nicht über die eigene Regierung in Stuttgart, an
der Sie beteiligt sind?
({0})
Lieber Kollege Lange, als ob eine Landesregierung
ein Milliardenprojekt, das nicht ihr eigenes Projekt, sondern das Projekt der Deutschen Bahn ist, nachrechnen
könnte . Wir kommen doch noch nicht einmal an alle Unterlagen heran . Wie soll denn eine Landesregierung ein
solches Projekt, das sie selber nicht betreibt, nachrechnen
können? Das ist schlicht und ergreifend unmöglich .
({0})
Das kann nur die Deutsche Bahn machen . Deswegen fordern wir, dass der Bundestag über die Bundesregierung
den Bahnkonzern dazu zwingt, die Dinge offenzulegen
und nachzukalkulieren, um zu sehen, ob die Wirtschaftlichkeit überhaupt noch gegeben ist . Wir wollen wissen,
wie es um das Kosten-Nutzen-Verhältnis steht .
({1})
Das kann keine Landesregierung nachrechnen . Eine Landesregierung hat doch gar keinen Zugang zu den Unterlagen, und sie hat auch nicht das Personal dafür .
({2})
Es ist wirklich absurd, was Sie für Vorstellungen haben,
Herr Kollege Lange .
({3})
Herr Kollege Lange, das geht nicht . Sie können eine
Zwischenfrage stellen, aber Sie müssen schon mit der
Antwort darauf leben .
({0})
- Herr Kollege Lange, Sie hatten eine Zwischenfrage .
Sie können sich zu einer Kurzintervention melden - die
Möglichkeit haben Sie -, aber bitte keine Erwiderungen
auf eine Antwort .
Zurück zu unserem Antrag . Ein weiterer Punkt ist: Wir
fordern eine neue Kapazitätsberechnung; denn wir haben
nach wie vor große Zweifel, ob dieser Tiefbahnhof die
Verkehre abwickeln kann, die notwendig sind, um Menschen möglichst pünktlich, zuverlässig und in größerer
Zahl als bisher mit dem System Bahn zu befördern .
({0})
Im Übrigen ist seit Beginn der Diskussion um Stuttgart 21 das Thema Deutschland-Takt neu dazugekommen . Das heißt, wir wollen optimale Umsteigebeziehungen bieten . Dazu brauchen wir Bahnhöfe mit der
entsprechenden Kapazität, in denen Züge auch auf Fahrgäste aus verspäteten Zügen warten können . Dabei kann
man sich nicht nur auf einen Hauptbahnhof beschränken,
wo es nur darum geht, schnell aus- und einzusteigen, und
dann fährt der Zug husch, husch schnell weiter .
Das ist nicht der Bahnhof der Zukunft . Deswegen
wollen wir eine neue Kapazitätsberechnung .
({1})
Die Anhörung des Verkehrsausschusses auf Grundlage
unseres Antrages hat eindeutig erbracht, dass es Kapazitätsengpässe gibt, insbesondere an den Zulaufstrecken .
Dieser These hat niemand widersprochen . Im Gegenteil:
Sie ist bestätigt worden .
({2})
Sie müssen zum Schluss kommen .
Fazit zu unserem Antrag: Das, was hier geplant wird,
ist und bleibt ein teurer Murks, der nicht funktionieren
wird . Er wird am Ende der Deutschen Bahn und damit
schließlich auch dem Eigentümer, dem Bund, massiv auf
die Füße fallen . Deswegen muss der Bund anfangen, sich
endlich für dieses Projekt zu interessieren,
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist vorbei .
- kritische Nachfragen zu stellen und Antworten einzufordern .
({0})
Als nächste Rednerin spricht Annette Sawade von der
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebes Publikum auf den Tribünen! Lieber Matthias Gastel, in der Anhörung, von der du vorhin gesprochen hast, wurden viele Fragen beantwortet .
Bei dem Problem, das die Zulaufstrecken betrifft, wurde
zugesagt, dass die Zuständigen vom VCD und Professor
Martin miteinander reden . Ich denke, dass die Gespräche
stattfinden werden. Insofern hat die Anhörung ein Ergebnis gezeitigt .
({0})
Ich selbst kann nicht mehr sagen, wie oft Stuttgart 21
Thema hier im Deutschen Bundestag war . Für mich jedenfalls ist es an dieser Stelle eine Premiere, das Thema aber nicht . In meiner gesamten Zeit als Stadträtin in
Stuttgart von 1994 bis 2009 war Stuttgart 21 ein Dauerbrenner mit wechselnder Intensität . Ich landete 1994 mitten in diesem Thema . Es gab Bürgerforen . Wir machten
Führungen auf dem vorgesehenen Gelände und hatten
zahlreiche Podiumsdiskussionen .
({1})
- Das weiß ich besser als Sie .
({2})
Dann herrschte Funkstille . Die Projektgruppen wurden
zurückgebaut, bis es zur Wiederbelebung im Jahr 2009
mit der Finanzierungsvereinbarung kam . Dann kamen
plötzlich Widerstände und Ablehnungen; das alles ist bekannt . Ich glaube, die einen haben gedacht: „Das kommt
nicht mehr“, und die anderen haben gedacht: „Das ziehen
wir einfach durch .“ Beides waren falsche Schlüsse . Gelernt haben wir alle aus diesen Vorgängen, auch aus dem
schlimmen 30 . September 2010, und der Schlichtung, die
die Fortführung des Projektes unter Auflagen zum Ergebnis hatte .
Aber gestatten Sie mir in Erinnerung an die gestrige
Debatte folgende Bemerkung: Vergleiche der rassistischen Übergriffe und Demonstrationen im sächsischen
Clausnitz und Bautzen mit den Demonstrationen der
S-21-Gegner verbieten sich einfach . Wir können keine
Verharmlosung der rassistischen Demonstrationen gebrauchen .
({3})
Zurück zu Stuttgart . Ja, Diskussionen und die erforderliche Transparenz der Planungen bei solchen Projekten sind notwendig, weil auch diese Projekte leben und
weiterentwickelt werden . Aber bereits in den 90er-Jahren
gab es die ersten Umplanungen . Die sogenannten Zwischenangriffe wurden aufgrund der Mitsprache der Bevölkerung dahin verlegt, wo sie am wenigsten störten . Ja,
manche heftige, konstruktive Kritik und die Forderung
nach mehr Transparenz, das hat schon geholfen, Veränderungen, und zwar nicht nur kleine, zu bewirken .
Heute ist deutlich sichtbar: In Stuttgart sowie zwischen Wendlingen und Ulm wird heftig gebaut; der
Staatssekretär hat das bereits erwähnt .
({4})
Von rund 59 Kilometer sind bereits 12,6 Kilometer Tunnel ausgehoben . Auf der Neubaustrecke WendlingenUlm sind es 27,7 Kilometer von rund 62 Kilometer . Ein
Viertel des Gesamtbudgets ist bereits bezahlt . 50 Prozent
der Aufträge sind vertraglich gebunden . Einmal nachdenken bitte, was ein Stopp allein an Vertragsstrafen kosten
würde!
({5})
Hier auf diesem Bild sehen Sie die große Baustelle in
Stuttgart . Es gibt mächtige Baugruben . Ich weiß nicht,
ob das bei einem Stopp so bleiben soll . Wir möchten
schließlich wieder ein schönes Stadtzentrum haben .
({6})
Als regelmäßige Umsteigerin am Hauptbahnhof in
Stuttgart erlebe ich die wöchentlichen Veränderungen .
Stillstand oder Chaos sieht anders aus . Im Antrag der
Linken, über den wir heute debattieren, finden wir auf
wenige Zeilen verteilt und bereits in der Überschrift Worte wie Desaster, Stopp, Ausstieg, Schaden . Ich denke,
wir sollten zur sachlichen Diskussion zurückfinden; denn
Horrorszenarien sind - hören Sie bitte gut zu! - nie gut
für eine sachliche und ergebnisorientierte Debatte . Sie
verstellen uns nur den Blick .
({7})
Wie ich schon eingangs sagte, ist die Debatte wichtig,
aber dort, wo schon Entscheidungen getroffen werden
können, wo Verbesserungen und Weiterentwicklungen
zur Diskussion stehen . Natürlich gehören Fragen der
Sicherheit, der Feinplanung und der Kostenentwicklung
offen besprochen . Grundsätzlich ein Projekt zu befürworten, bedeutet ja nicht, sich nicht kritisch mit diesem
Projekt auseinanderzusetzen .
Der Statements zu S 21 sind viele . Viele werden ständig wiederholt . Aber vom steten Wiederholen allein werden Argumente nicht besser oder überzeugender . Am
6 . Mai 2015 hatten wir die letzte öffentliche Anhörung ich sprach darüber -, und in zwei Wochen folgt die
nächste . Und nun noch dieser neue Antrag der Linken!
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier
möglicherweise ein wenig Wahlkampf gemacht werden
soll, anstatt sachlich und konstruktiv voranzukommen,
was wir alle doch wohl wollen .
Ich zitiere: „Die Mehrheit wollte S 21 . Also wird es
jetzt gebaut .“ Das hat Winfried Kretschmann nach dem
Ergebnis der Volksabstimmung im November 2011 gesagt . 58,8 Prozent waren dafür . Er hat es im Anschluss
daran als „erlebnispsychologisch interessant“ bezeichnet . Mal sehen .
({8})
Mittlerweile arbeiten sowohl der Verkehrsminister als
auch der Oberbürgermeister von Stuttgart an der Entwicklung des Projekts mit . Da gibt es die Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung des Rosensteinviertels . Diese
würde es nie geben, wenn das Gleisvorfeld nicht abgebaut würde .
({9})
Sie wird noch wesentlich verbessert durch den Rückbau
der teilweise 17 Meter hohen Überwerfungsbauwerke im
Gleisvorfeld . Damit kann endlich das berühmte Grüne U
der IGA von 1993 erweitert und geschlossen werden .
({10})
Selbst die Grünen hatten im März 1999 - bitte gut
zuhören - die große städtebauliche Chance durch den
Wegfall des Gleisvorfeldes erkannt, in einem Antrag im
Gemeinderat dazu Forderungen formuliert und ihre Zustimmung zum Ankauf des Geländes in Aussicht gestellt .
({11})
Auch die Lösung am Flughafenterminal durch das dritte
Gleis gehört zu diesen konstruktiven Verbesserungen .
Ja, es ist auch ein ingenieurtechnisch ungeheuer anspruchsvolles Projekt. Die Topografie Stuttgarts und
auch der Albaufstieg fordern unseren Ingenieurinnen und
Ingenieuren alles ab .
Um mit Wolfgang Dietrich, dem ehemaligen Sprecher
des Projektbeirates zu sprechen, zitiere ich:
Wer immer gegen die Bahn schreibt, schreibt … damit wiederholt auch gegen Menschen . Gegen Planer
oder Ingenieure, die für ihre Arbeit haften .
Deshalb spreche ich an dieser Stelle meine ganze Hochachtung den Menschen, den Spezialisten sowie allen
Bauarbeiterinnen und Bauarbeitern auf dieser Baustelle
aus . Leider werden uns über kurz oder lang diese Fachleute fehlen . Deswegen müssen wir dringend an der Ausbildung und Beschäftigung dieser Menschen arbeiten .
({12})
Ich komme noch kurz auf zwei Punkte zurück . Zu den
Kosten: Der Finanzierungsrahmen für S 21 beträgt unverändert 6,5 Milliarden Euro . Andere Zahlen sind Spekulation .
({13})
Die geplanten Rückbaukosten sind zu niedrig gegriffen . Was ist die Alternative? Seien wir doch mal ehrlich:
Allein die Bauverzögerungen haben sehr viel Geld gekostet . Neue Brandschutzverordnungen müssen umgesetzt werden, und das kostet Geld . Eine Grobplanung
kann nicht jedes Detail voraussehen . Risiken müssen
eingeplant werden . Das ist keine Entschuldigung für die
anfangs fehlende Transparenz und Kommunikation .
Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .
Nein, ich muss hier fertig werden .
({0})
Ein kleines Beispiel aus meinem privaten Leben: Man
kauft ein altes Haus - laut Vertrag „gekauft wie gesehen“ - und stellt dann fest, dass die Anlage zur Warmwasserversorgung zu erneuern ist . Kosten: zusätzlich
10 Prozent der Renovierungskosten . Lasse ich es so, wie
es ist? Nein, ich investiere und habe damit einen Mehrwert geschaffen .
Um mit dem Vater von Stuttgart 21, Professor Heimerl,
zu sprechen:
Wer aufhört, besser werden zu wollen, hört auf, gut
zu sein .
({1})
- Nein, hat er nicht . - Ich komme noch einmal auf Professor Heimerl zurück . Er, der bei diesem Projekt nie
polemisch wurde und teilweise sehr harsch angegangen
wurde, sagt heute zu S 21: In Stuttgart 21 sei viel mehr
drin, als er ursprünglich vorgeschlagen habe . - Und weiter:
Aber alles, was ich damals wollte und geplant habe,
wird letztlich mit Stuttgart 21 verwirklicht .
Bleiben wir offen für Verbesserungen, für hohe Transparenz und Kommunikation . Lassen wir weiterbauen und
begleiten dieses Projekt weiterhin konstruktiv, kritisch,
vertrauensvoll und mit dem notwendigen Schuss Optimismus .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in der Debatte hat
Stefan Bilger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Endlich mal wieder eine Stuttgart-21-Debatte; man hat
das ja fast schon vermisst .
({0})
Ich muss sagen: Es war schon mal mehr los . Bei den
Grünen sind vielleicht acht Abgeordnete anwesend . Bei
den Linken sind es vielleicht knapp zehn .
({1})
- Nein, keine Sorge, die Beschlussfähigkeit wollen wir
natürlich nicht anzweifeln . Aber das zeigt vielleicht
schon, was sich in dieser Diskussion bewegt hat .
Wir von der Union haben uns noch nie vor der Diskussion über dieses Projekt gescheut . Der Einsatz hat
sich gelohnt . Denn die Mehrheit der Baden-Württemberger hat sich - das wurde schon angesprochen - bei
der Volksabstimmung am 27 . November 2011 ganz klar
hinter Stuttgart 21 gestellt .
({2})
Seitdem - das kann ich als jemand aus der Region Stuttgart sagen - wird auch kaum mehr in der Bevölkerung
über dieses Projekt diskutiert und gestritten .
({3})
Nun sind aber bald Landtagswahlen in Baden-Württemberg . Für die Linken ist es anscheinend die letzte
Hoffnung, um Aufmerksamkeit zu erzielen, den verbliebenen harten Kern der Stuttgart-21-Gegner zu reaktivieren .
Ich will klar sagen, dass man natürlich auch gegen
Stuttgart 21 sein konnte, und zwar durchaus mit beachtlichen Argumenten, wie das bei einem solch großen Projekt mit vielen Pros, aber auch mit einigen Kontras immer
ist . Wie es die meisten Projektgegner bereits getan haben,
kann auch ich Sie nur auffordern, endlich das Votum der
Baden-Württemberger zu respektieren und nicht immer
neue Querschüsse zu versuchen .
({4})
Dass Sie dies auf Grundlage eines gemeinsamen Antrags mit den Grünen tun, verdient allerdings eine besondere Betrachtung; denn der Antrag ist insofern spannend,
als die Grünen so tun - das wurde gerade schon angesprochen -, als ob sie selbst an dem Projekt gar nicht
beteiligt wären . Aber im Gegensatz zur Bundesregierung
sind Vertreter der baden-württembergischen Grünen eben
auch Projektpartner von Stuttgart 21 ({5})
noch über die Landesregierung, aber auch über die Stadt
Stuttgart .
So erklärt sich auch, dass Sie hier im Bund mit Ihrem
Antrag noch gegen die verbesserte Flughafenanbindung
gewettert haben, als die grün-rote Landesregierung endlich dem Druck nachgegeben und sich zu einer besseren
Lösung durchgerungen hatte . Das wenigstens haben Sie
noch mit einem Änderungsantrag korrigiert .
Herr Kollege Bilger, die Kollegin Leidig hat die Bitte
um eine Zwischenfrage .
Ich habe den Eindruck gewonnen, es sei Konsens,
dass keine Zwischenfragen mehr von Kollegin Leidig zugelassen werden . Deswegen will ich mich diesem Konsens nicht verschließen .
({0})
Eines wird doch einmal mehr deutlich: Während die
offizielle Maxime der Landesgrünen nach dem positiven
Volksentscheid ist, stillzuhalten und Stuttgart 21 fertigzustellen - Ihrem Wahlprogramm habe ich entnommen,
das Ergebnis der Volksabstimmung sei für Sie bindend -,
wird hier wieder einmal Fundamentalopposition betrieben - und dann noch zusammen mit den Linken .
({1})
Auf der einen Seite wollen Sie das Ergebnis der Volksabstimmung respektieren, auf der anderen Seite mit den
Linken gemeinsame Sache machen . Das passt nicht zusammen .
({2})
Es passt auch noch etwas gar nicht zu Ihrem ansonsten
sehr staatstragenden Wahlkampf: einmal mehr bürgerliches Erscheinungsbild, in Wahrheit linke Politik . Das ist
die typische grüne Doppelzüngigkeit .
({3})
Stuttgart bekommt einen eleganten Bahnhof und einen
modernen Bahnknoten, um den wir beneidet werden und
von dem die gesamte Region und das gesamte Land Baden-Württemberg profitieren werden.
({4})
Die Landeshauptstadt bekommt neue Chancen bei der
Stadtentwicklung . Neue Wohnungen in bester Innenstadtlage, Büros und Gewerbeflächen und zudem mehr
Grünanlagen als zuvor werden entstehen . Wir brauchen
ohnehin eine Erneuerung des Stuttgarter Hauptbahnhofs .
Die ganze Region Stuttgart braucht eine bessere Verkehrsinfrastruktur .
({5})
Wir profitieren nicht zuletzt von den Investitionen rund
um Stuttgart 21 . Denken Sie doch bitte auch einmal an
die vielen Arbeitsplätze, die an diesem Projekt hängen .
({6})
Es ist für die Pendler besser, und - noch einmal - die demokratische Legitimierung durch zahlreiche Beschlüsse von Volksvertretern und durch die Volksabstimmung
wiegt weitaus mehr als Ihre parteipolitisch motivierten
Spielchen in Berlin .
Die Argumente sprechen für Stuttgart 21, und daran
hat sich in den vergangenen Jahren auch nichts geändert .
Trotz der ganzen bereits erfolgten Bauarbeiten ist übrigens noch nichts eingestürzt, die Mineralquellen sind
nicht versiegt, und auch sonst geht der Bau erfreulich
problemlos voran . Verbesserungen während des Baus
sind dabei immer möglich . Erst vor kurzem wurde das
Brandschutzkonzept noch einmal verbessert,
({7})
obwohl das bisherige Konzept bereits genehmigt war .
Ich würde mich wirklich freuen, wenn alle politisch
Verantwortlichen endlich in diesem Sinn für den Erfolg
des Projekts arbeiten würden, zur Verbesserung beitragen, wo nötig oder möglich, und ansonsten nicht ständig Sand ins Getriebe streuen würden . Politik für Baden-Württemberg sieht jedenfalls anders aus .
({8})
Ich kann Sie nur auffordern: Begleiten Sie den weiteren Baufortgang endlich konstruktiv . Hören Sie auf mit
dieser Form der Fundamentalopposition, und lassen Sie
diese albernen Vorstöße, den Bau von Stuttgart 21 zu
stoppen . Mit Verlaub, damit würden wir uns wirklich in
der ganzen Welt nur lächerlich machen .
({9})
Wir würden als unfähig dastehen, aber vor allem hätten
auch die Menschen im Schwabenland, dem Land der
sparsamen Häuslebauer, kein Verständnis dafür .
In dieser Debatte wurde einmal mehr deutlich: Wer
wirklich eine konstruktive Begleitung des Projekts will,
der sollte dafür sorgen, dass die Grünen der nächsten
Landesregierung nicht mehr angehören .
({10})
Frau Leidig erhält das Wort zu einer kurzen Kurzintervention .
({0})
Kollege Bilger, so ist eben parlamentarische Demokratie . Da müssen Sie jetzt durch .
Ich möchte einige Punkte festhalten, die ich für sehr
wesentlich halte . Es ging bei Stuttgart 21 von Anfang an
um die Frage, was dieses Projekt kosten wird, jenseits
der Frage, ob es überhaupt Sinn macht . Die lasse ich jetzt
einmal ausgeklammert .
Es gab eine eindeutige Festlegung, nicht nur des Bahnchefs Grube, sondern auch des damaligen Verkehrsministers Ramsauer, dass 4,5 Milliarden Euro die absolute
Obergrenze für das Gesamtprojekt sind, weil es ansonsten
ein unwirtschaftliches Projekt für den Konzern Deutsche
Bahn AG wäre . Dann, etwa ein Jahr später, hat derselbe
Herr Grube nachrechnen müssen, weil die an ihn gerichteten Fragen nicht aufhörten, und er musste feststellen,
dass dieses Projekt 2 Milliarden Euro teurer wird . Daher
muss man einfach sagen: Schon allein dadurch ist es ein
unwirtschaftliches Projekt . Die Einzigen, die von Anfang
an die Kosten realistisch abgeschätzt haben, waren von
dem unabhängigen Unternehmen Vieregg-Rössler, das
übrigens für die Schweizer Bahn extrem viele Aufträge
erfolgreich abwickelt .
Jetzt hat dasselbe Unternehmen eine aktuelle Kostenschätzung von 9,8 Milliarden Euro vorgelegt . Ich kann
einfach nicht begreifen, wie Sie sich hinstellen und sagen können: Es ist alles in Ordnung . - Da ist überhaupt
nichts in Ordnung . Ihre Zusagen, Ihre Versprechen sind
gebrochen, und der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn
AG hat die Verantwortung dafür, wirtschaftlichen Schaden vom Unternehmen abzuhalten. Ich finde, Sie müssen sich ernsthaft überlegen, wie die Vertreter der Bundesregierung in der nächsten Aufsichtsratssitzung am
15. März 2016 auf den Bahnvorstand Einfluss nehmen
bzw . ob sie aufhören, dafür zu sorgen, dass der Bahnvorstand wider besseres Wissen - Herr Grube will das Projekt nämlich längst nicht mehr - handelt und er endlich
die Möglichkeit hat, diesem Desaster zu entkommen .
Herr Bilger, Sie haben jetzt die Möglichkeit zur Erwiderung .
Frau Kollegin Leidig, ich glaube, wir sollten alle darauf achten, dass der Zeit- und Kostenplan eingehalten
wird . Dazu gehört eben auch, dass man nicht ständig
weiter Sand ins Getriebe streut . Dazu können wir alle einen Beitrag leisten . Man gewinnt ja fast den Eindruck, so
wie Sie sich hier die ganze Zeit einbringen, Ihnen wäre es
lieber, wenn es immer teurer werden würde .
Ich freue mich als Baden-Württemberger über dieses
Zukunftsprojekt, das in Stuttgart gebaut wird, das für
ganz Baden-Württemberg eine gewaltige Bedeutung hat .
Ich freue mich über jeden Euro, der dort investiert wird .
Ihr Vorschlag, das Projekt jetzt abzubrechen, ist wirklich
das Absurdeste, was man sich vorstellen kann, Frau Kollegin Leidig .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zu den Abstimmungen .
Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktion
Die Linke auf der Drucksache 18/7566 ab . Die Fraktion
Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und mitberatend an den
Haushaltsausschuss .
Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung an die Ausschüsse? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition
und von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen worden . Die Überweisung ist so beschlossen .
Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/7566 nicht in der Sache ab .
Ich komme zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Offene Fragen zum Bahnhofsprojekt
Stuttgart 21 aufklären“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5399, den
Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/3647 abzulehnen .
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen
Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Drucksache 18/7694 vor . Über diesen Änderungsantrag stimmen
wir zunächst ab . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt
worden .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesstatistikgesetzes und anderer
Statistikgesetze
Drucksache 18/7561
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Aussprache hat Herr Dr . Tim Ostermann von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir widmen uns heute der ersten Lesung des Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Bundesstatistikgesetzes und anderer Statistikgesetze . Da könnte man auf den
ersten Blick den Eindruck gewinnen: Das ist ja recht trocken .
({0})
Bei näherem Hinsehen
({1})
stellt man aber fest, dass Statistiken das staatliche Handeln in einem nicht unerheblichen Maße beeinflussen.
Kaum eine politische Entscheidung wird heute gefällt,
ohne dass vorher einschlägige Statistiken konsultiert und
analysiert werden . Ordentliche und gut geführte Statistiken sind wichtig; denn dadurch können ausgewogene
politische Entscheidungen getroffen werden .
({2})
Daher debattieren wir heute ein Thema, das die informationelle Basis unseres Staates und damit unserer Gesellschaft betrifft .
Da dies heute die erste Lesung des Gesetzentwurfs
ist, will ich zunächst einmal die Highlights des Entwurfs
wiedergeben . Das Gesetz will den Rechtsrahmen der
Bundesstatistik praxisgerecht modernisieren . Diese Modernisierung umfasst vier Aspekte .
Der erste Aspekt ist die verstärkte Nutzung von bereits
vorhandenen Verwaltungsdaten bei der Erstellung von
Statistiken . Dies dient der Entlastung der Bürgerinnen
und Bürger sowie der Entlastung der Wirtschaft .
({3})
Die Regelung macht Sinn . Wenn bestimmte Daten
ohnehin schon bei Verwaltungsstellen vorhanden sind,
ist es effizienter, diese Daten von den Stellen abzurufen,
anstatt sie in einer aufwendigen Befragung von Bürgern
und Unternehmen zu erheben . Für Privatpersonen und
Wirtschaft sinkt dadurch der Aufwand . Und das ist gut
so .
Richtig ist, dass auf der anderen Seite bei der Verwaltung zunächst ein höherer Erfüllungsaufwand entsteht .
Beim Statistischen Bundesamt muss zunächst jemand
prüfen, ob überhaupt geeignete Daten für eine entsprechende Statistikerstellung zur Verfügung stehen . Dieses Verfahren ist in zwei Schritte aufgeteilt . Zunächst
müssen in einem groben Prüfvorgang diejenigen Daten
identifiziert werden, die für eine nähere Prüfung infrage
kommen. Anschließend findet eine Einzeldatenprüfung
mit der entsprechenden Prozessumstellung statt, damit
die Daten künftig automatisiert dem Statistischen Bundesamt zur Verfügung stehen .
Sofern die Daten im Kompetenzbereich der Länder
liegen, kommt auch auf diese ein zusätzlicher Erfüllungsaufwand zu . Die Daten müssen dort zunächst anonymisiert und anschließend in ein Format gebracht
werden, das vom Statistischen Bundesamt verwendet
werden kann . Meines Erachtens ist dieser Mehraufwand
allerdings gerechtfertigt . Wenn Daten ohnehin vorliegen,
sollten sie nutzbar gemacht werden, anstatt Bürger und
die Wirtschaft für eine erneute Erhebung in Anspruch zu
nehmen .
({4})
Ich denke, dies entspricht zum einen dem Effizienzgedanken, zum anderen aber auch dem Gedanken, Privatpersonen und Unternehmen von staatlichen Handlungen
möglichst zu verschonen . Auch das ist für unsere Fraktion wichtig .
Im Übrigen folgt dies auch einer Vorgabe der EU-Verordnung über europäische Statistiken aus dem Jahr 2015 .
({5})
Zusätzlich findet sich dieser Gedanke auch in einem Kabinettsbeschluss aus dem Jahr 2014 wieder . Das Bundeskabinett hatte seinerzeit Eckpunkte zur Entlastung der
mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie beschlossen .
Der zweite Aspekt des Gesetzentwurfs ist die Anpassung des deutschen Rechts an das europäische Recht . Die
EU-Verordnung aus dem letzten Jahr habe ich ja bereits
erwähnt. Einerseits geht es hier um begriffliche Anpassungen, andererseits aber auch um eine Bekräftigung der
Koordinierungszuständigkeit des Statistischen Bundesamtes .
In den Bereich der Harmonisierung fällt im Übrigen
auch ein erweiterter, letztlich aber natürlich vollständig
anonymisierter Zugang zu Daten für die Wissenschaft .
Der dritte Aspekt ist eine höhere Flexibilität bei der
Anordnung von bestimmten Bundesstatistiken und freiwilligen Erhebungen für besondere Zwecke . Hier besteht
das Ziel darin, schnell auf veränderte Datenbedarfe zu
reagieren - etwa seitens der Europäischen Union oder
oberster Bundesbehörden . Dazu ist eine Ermächtigung
zum Erlass von Rechtsverordnungen vorgesehen, mit
denen die Erstellung von Statistiken zur Erfüllung von
EU-Lieferpflichten angeordnet werden kann. Hierbei
geht es vor allem um Wirtschafts- und Umweltstatistiken, bei denen seitens der Befragten ohnehin eine Auskunftspflicht besteht.
Sensible Erhebungen, die möglicherweise Grundrechte berühren, sind hiervon nicht erfasst und bedürfen nach
wie vor einer gesetzlichen Grundlage . Zwar kann auch
in diesen Bereichen eine Erhebung durchgeführt werden,
jedoch besteht keine Auskunftspflicht, und die Befragten
äußern sich nur auf freiwilliger Basis . Die Bundesregierung erstattet dem Deutschen Bundestag im Übrigen
alle zwei Jahre Bericht über alle auf Grundlage dieser
Ermächtigung angeordneten Statistiken .
Der vierte und damit letzte Aspekt ist die Schaffung
von Rechtsklarheit . Schwerpunkt ist hier die weitere
Ausgestaltung eines Statistikregisters, das bisher schon
existierte, jedoch noch weiter konkretisiert werden muss .
Das Statistische Bundesamt wird künftig bezüglich dieses Registers die zentrale Koordinierungsfunktion übernehmen . Die Ämter der Länder wirken jedoch bei der
Pflege mit und dürfen das Register ebenfalls nutzen.
So sieht also das Gesetzespaket aus . Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein Großteil dieser Regelungen auf
den vom Statistischen Beirat verfassten Empfehlungen
zur Fortentwicklung der amtlichen Statistik beruht . Ich
meine, dass mit diesem Gesetzentwurf eine begrüßenswerte Modernisierung unseres Bundesstatistikgesetzes
vorgeschlagen wird .
Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates . Gleichwohl hat sich dieser in einer Stellungnahme
zu dem Gesetzentwurf geäußert . Der Bundesrat kritisiert
darin, dass durch den Gesetzentwurf in die Kompetenzen
der Länder eingegriffen würde .
({6})
So moniert der Bundesrat etwa, dass die Aufwertung
des Statistischen Bundesamtes zulasten der Kompetenzen der Statistischen Landesämter ginge . Diese Aufwertung ist aus meiner Sicht jedoch nicht nur aufgrund der
EU-Verordnung rechtlich geboten, sondern sie ist auch
effektiv . Die Koordinierung und Überprüfung des Qualitätsstandards muss an zentraler Stelle erfolgen, und dies
ist nun einmal die Bundesebene .
Ein zweiter Kritikpunkt des Bundesrates ist die bereits
angesprochene Prüfung von Datenbeständen durch das
Statistische Bundesamt . Der Bundesrat sieht es hier als
angemessen an, zunächst eine Prüfung durch die Landesämter voranzustellen . Eine Vorschaltung der Landesämter würde aus meiner Sicht aber zu einem Mehraufwand
und zu Zeitverzug führen . Die Datenanforderung durch
das Bundesamt sollte aber wenigstens im Benehmen mit
den entsprechenden Landesministerien erfolgen . Dies
hat die Bundesregierung bereits aufgegriffen und einen
entsprechenden Vorschlag unterbreitet .
Mit diesen zwei Beispielen möchte ich verdeutlichen:
Es besteht sicherlich Gesprächsbedarf hinsichtlich einiger Regelungen in dem Gesetzentwurf . Insgesamt ist der
Entwurf jedoch stringent und durchdacht .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf könnte
das Statistikwesen im Sinne der Praxis, aber auch im
Sinne der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen
modernisiert werden. Ich habe eben von Effizienz gesprochen . Darum lasse ich noch zwei Minuten Redezeit
übrig .
({8})
Ich freue mich auf die anstehende Beratung im Innenausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({9})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Ulla
Jelpke von der Fraktion Die Linke .
({0})
Ich dachte schon, Sie wollten mir die zwei Minuten
schenken . Schade! - Meine Damen und Herren! Frau
Präsidentin! Wir beraten hier heute über einen von der
Bundesregierung eingebrachten Vorschlag zur Reform
des Bundesstatistikgesetzes, die - ich zitiere - „eine praxisgerechte Modernisierung des rechtlichen Rahmens
der Bundesstatistik“ bezweckt . Was nach einer Routineanpassung klingt, greift in Wirklichkeit in einen bürgerrechtlich äußerst sensiblen Bereich ein .
Die grundlegende Novellierung des Bundesstatistikgesetzes erfolgte 1987 aufgrund des Volkszählungsurteils
des Bundesverfassungsgerichts . Das damals vom Gericht
eingeführte Recht auf informationelle Selbstbestimmung
muss für uns weiter Geltung haben .
({0})
Meine Damen und Herren, wenn der vorliegende Gesetzesantrag zu größerer Transparenz bei der Datenerhebung und -aufbereitung führt, begrüßen wir das natürlich .
Auch einzelne Elemente, wie etwa die vorgesehenen
technischen Vorkehrungen zur Pseudonymisierung, sehen wir als Fortschritt .
Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten . Äußerst kritisch sieht die Linke das geplante Anschriftenregister . Zu
jeder Anschrift im gesamten Bundesgebiet sollen Postleitzahl, Gemeindebezeichnung, Straßenbezeichnung mit
Hausnummer, Geokoordinate, Gesamtzahl der Personen
je Anschrift sowie Wohnraumeigenschaften gespeichert
werden. Das ist nicht weniger als eine Kartografierung
der gesamten deutschen Bevölkerung . Begründet wird
dies mit stichprobenartigen Befragungen wie bei dem
EU-weiten Zensus von 2011 . Doch der nächste EUZensus steht erst 2021 an . Niemand kann sagen, ob die
EU dann überhaupt noch in ihrer aktuellen Form bestehen wird . Doch die Bundesregierung will schon jetzt
fleißig Daten horten, und zwar höchst sensible Daten;
denn es gibt eine Menge Leute, die zum Beispiel gerne
wüssten, in welchen Einfamilienhäusern nur noch eine
Person lebt oder gar keine, zum Beispiel Immobilienmakler oder auch Einbrecherbanden . Wenn solche Angaben
dann noch mit weiteren Datenbanken zusammengeführt
werden, ist es schnell vorbei mit der Anonymität . Ich
denke hier an das sogenannte Geoscoring, also die Ermittlung der Kreditwürdigkeit von Kunden anhand ihres
Wohnortes .
Die Bundesregierung muss erklären, wie sie die sensiblen Daten vor Missbrauch schützen will . Sie muss
offenlegen, ob und wie sie zukünftige Begehrlichkeiten
und Nutzungsansprüche von Sicherheitsbehörden oder
kommerziellen Anbietern unterbinden kann .
Meine Damen und Herren, es wurde eben schon gesagt: Auch der Bundesrat hat Bauchschmerzen bei dem
Gesetz . Denn einige neue Regelungen greifen direkt in
die Länderzuständigkeit ein . Zudem fehlt ein Umsetzungskonzept . Klar ist nur, dass die Länder den Löwenanteil der Kosten tragen sollen . Wir meinen: Bundesländer
brauchen Statistiken gerade im Bereich der Wirtschaft,
um eine eigene Politik umzusetzen . Doch sie sollten auch
weiterhin die volle Gewalt über diese Daten behalten .
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf sind noch viele
Fragen offen . Wir werden hier gewiss nicht die Katze im
Sack kaufen . Dafür ist uns das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung viel zu wichtig .
Schönen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Matthias
Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Jelpke, es ist völlig
richtig: Die Statistiken sind ein bürgerrechtlich sensibler
Bereich . Aber Einbrecherbanden und Makler zu bemühen, um Probleme zu konstruieren, ist schon ganz schön
weit hergeholt .
({0})
Aber Sie haben recht: Wir haben heute die erste Lesung
und wollen uns den Gesetzentwurf genauer ansehen .
Auch ich habe noch Kritikpunkte und Nachfragen . Darauf komme ich gleich .
Ich wollte meine Rede mit einem Satz von Pythagoras beginnen . Sie alle kennen sicherlich einen Satz von
Pythagoras, den Satz von Pythagoras: a2 + b2 = c2 . Sie
sehen vor Ihrem geistigen Auge vielleicht noch das rechtwinklige Dreieck . Den Beweis konnten wir alle in der
Schule führen . Darüber wollen wir heute aber gar nicht
sprechen, ich wollte nämlich einen anderen Satz von Pythagoras zitieren .
({1})
- Okay, in Ordnung . - Pythagoras hat gesagt: „Die Zahl
ist das Wesen aller Dinge .“ Heute möchte man den Satz
folgendermaßen erweitern: Zahlen und Daten sind das
Wesen aller Dinge . - Jetzt sind wir endlich beim Bundesstatistikgesetz angekommen, wie Sie es sich gedacht
haben .
({2})
Der Umgang mit Zahlen und Daten hat sich seit Pythagoras erheblich geändert, Daten- und Zahlenfluss
haben sich beschleunigt . Wir alle wissen, dass wir mit
einem Mausklick oder dem Handy E-Mails im Nu versenden können, Überweisungen tätigen können, Daten
senden können . Das hat natürlich das Datenvolumen in
der Wirtschaft vervielfacht . Aber nicht nur dort . Ich frage
mich manchmal - auch bei uns im Bundestag fällt sehr
viel an -, wie unsere Kollegen vor 20 Jahren gearbeitet
haben . Sie haben sicherlich ganz anders gelebt und gearbeitet als wir heute .
Der Datenaustausch erfolgt natürlich auch zwischen
Behörden . Die Daten laufen an vielen Stellen zusammen:
im Bund, im Land und bei den Kommunen . Darüber hinaus werden zum Beispiel Wirtschaftsdaten bei der Deutschen Bundesbank erhoben .
Bevor Statistiken erstellt werden konnten, mussten
Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger bisher immer
wieder befragt werden - ein mühsamer und aufwendiger
Prozess für das Statistische Bundesamt, die Unternehmen
und die Menschen . Frau Jelpke hat schon darauf hingewiesen: Es gab immer wieder Widerstand gegen Statistiken. Besonders signifikant war das bei der Volkszählung
1987 . Auch ich war seinerzeit als Volkszähler unterwegs
und erinnere mich an eine harte Zeit .
({3})
- Ja, ich war auf der anderen Seite . Vielleicht haben wir
uns gesehen;
({4})
ich weiß es nicht . Allerdings war ich in Marburg unterwegs .
Bei dem Gesetzentwurf, der uns jetzt vorliegt, geht es
darum, Auskunftspflichtige und Statistiker zu entlasten.
Das allein ist schon ein guter Grund, einen Gesetzentwurf einzubringen . Aber es geht auch um die Modernisierung und Vereinfachung von Verfahren mit dem Ziel,
Wirtschaft und Privatpersonen zu entlasten . Kollege
Ostermann hat schon beschrieben, wie es gedacht ist .
Ich will es den Zuschauerinnen und Zuschauern einmal
erklären: Wenn man beispielsweise erheben wollte, welche Berufe Bundestagsabgeordnete haben und welchen
Altersklassen sie angehören, dann könnte man allen
630 Abgeordneten einen Fragebogen zuschicken, abwarten, bis die Antworten kommen, und sie dann auswerten .
Man kann sich aber auch Gedanken darüber machen, ob
die entsprechenden Daten nicht schon an anderer Stelle
vorhanden sind, so zum Beispiel bei der Verwaltung des
Deutschen Bundestages oder in Kürschners Volkshandbuch, und sie gegebenenfalls einfach auswerten . Genau
das wollen wir jetzt dem Statistischen Bundesamt aufgeben: Es muss bei jeder Statistik zunächst prüfen, ob
die Daten nicht an anderer Stelle vorhanden sind, und
vorhandene Verwaltungsdaten gegebenenfalls nutzen .
Teilweise wird das auch schon gemacht, aber eben nicht
flächendeckend. Wir wollen mit dem neuen Gesetz erreichen, dass es flächendeckend passiert.
Zweitens - Kollege Ostermann, Sie haben auch darauf hingewiesen - geht es um eine Flexibilisierung bei
der Anordnung von Bundesstatistiken. Hier, finde ich, ist
ein bisschen Vorsicht angebracht . Flexibilisierung - das
klingt ja immer sehr positiv und kann auch positiv sein .
Aber bisher galt der eindeutige Grundsatz: keine Statistik
ohne Gesetz . Jetzt soll die Bundesregierung ermächtigt
werden, unter bestimmten Voraussetzungen Statistiken
per Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
anzuordnen . Da, Herr Kollege Krings, ist es gut, dass wir
die Ausschussberatungen haben; denn man muss einfach
tiefer einsteigen, damit klar wird, warum der Bundestag diese Rechte an die Bundesregierung abtreten soll,
welchen Hintergrund und Sinn das hat . Dafür gibt es die
Ausschussberatungen .
Herr Kollege Ostermann, Sie haben auch darauf hingewiesen: Auch Statistiken für besondere Zwecke können erhoben werden, dann allerdings ohne Auskunftsverpflichtung. Es ist sicherlich immer gut, wenn es ohne
Auskunftsverpflichtung passiert. Gleichwohl sollten wir
im Innenausschuss auch darüber reden, zu welchen Zwecken das gemacht werden soll .
Wie bei vorangegangenen Änderungen des Bundesstatistikgesetzes müssen auch hier EU-Recht und nationales Recht in Einklang gebracht werden .
({5})
Das werden wir jetzt mit diesem Gesetz tun . Die Standards werden angeglichen .
Bei der Gelegenheit können wir den Menschen danken, die jeden Tag in den statistischen Ämtern der Länder und des Bundes für die Statistik und mit der Statistik
arbeiten und uns alle mit sehr soliden Zahlen und Daten
versorgen . Wir könnten fast kein Gesetzesvorhaben hier
im Bundestag voranbringen, wenn wir nicht auf die Daten zugreifen könnten . Auch im Alltag begegnen uns die
statistischen Daten an sehr vielen Stellen . Sie bilden die
Grundlage für die Planung von Kindergärten und Schulen, von Krankenhäusern und Arztpraxen, von Wohnungen und des öffentlichen Nahverkehrs . Die Statistiken
sind kaum wegzudenken .
Der Gesetzentwurf ist damit im parlamentarischen
Verfahren angekommen . Wir werden seine Beratung in
den Ausschüssen begleiten . Ich freue mich auf die Diskussionen mit Ihnen allen in den Ausschüssen . Ich ende
mit einem Zitat der Grande Dame der Statistik, von
Elisabeth Noelle-Neumann, die gesagt hat: „Statistik
ist … das Informationsmittel der Mündigen .“
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank, Kollege Schmidt . - Schönen guten
Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe als
letztem Redner in dieser Debatte Dr . Konstantin von
Notz für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne, Sie
haben sich vielleicht vor langer Zeit um eine Karte für
die Besuchertribüne im Deutschen Bundestag beworben,
({0})
und jetzt sind Sie ausgerechnet bei der Debatte zum Bundesstatistikgesetz gelandet . Das klingt erst einmal langweilig, aber es ist tatsächlich ein interessantes Thema .
Denn es geht uns alle an . Wir alle sind davon betroffen .
Insofern ist dies eine gute Debatte .
Das Bevölkerungsstatistikgesetz stellt die rechtliche
Grundlage für die Erhebungen der Bundesstatistik dar,
die Auskünfte über die Veränderungen in Zahl und Zusammensetzung der Bevölkerung gibt, von uns allen
also . Klar ist: Derartige Erhebungen stellen eine wichtige
Grundlage zielgerichteten staatlichen Handelns dar . Klar
ist aber auch: Gerade in Zeiten von geheimdienstlichen
Massenüberwachungsansätzen und Big-Data-Geschäftsmodellen müssen sie auf das tatsächlich Notwendige beschränkt sein, meine Damen und Herren .
({1})
An der Frage der Statistik entscheiden sich zentrale Fragen der Zukunft der digitalen Informations- und
Wissensgesellschaft . Die mächtigen Treiber des Statistikwesens sind heute vor allem die großen Player des
Silicon Valley; Mark Zuckerberg ist ja gerade in Berlin . Sie durchforsten bestehende Datenheuhaufen nach
geringsten Abweichungen von statistisch errechnetem
Normalverhalten . Das tun sie leider viel zu oft außerhalb
jeglicher Gemeinwohlorientierung, fernab einer funktionierenden Aufsicht und bisher rechtlich weitgehend unreguliert. Die auf diesem Weg gewonnenen Profile sind
nicht nur höchst aussagekräftig, für datenverarbeitende
Konzerne stellen sie eine genauso lukrative Einnahmequelle dar, wie sie für das Individuum eine erhebliche
Gefahr für dessen informationelle Selbstbestimmung
sind . Das wurde hier schon angesprochen .
Das Spannungsfeld zwischen in der Sache berechtigten modernen statistischen Erhebungsverfahren und dem
notwendigen Schutz der persönlichen Informationen der
Bürgerinnen und Bürger ist offenkundig . Gerade in der
durchdigitalisierten Welt ist es Aufgabe des Gesetzgebers, sicherzustellen, dass die Errungenschaften moderner Erhebungsverfahren bestmöglich genutzt werden,
gleichzeitig aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unbedingt erhalten bleibt, meine Damen und
Herren .
({2})
Nachdenklich stimmen uns Aussagen des neuen Chefs
des Bundesamtes für Statistik, der unter anderem Big
Data als wichtiges Aufgabenfeld seiner Behörde ausgemacht hat . Ist das wirklich der richtige Ansatz, sich
ausgerechnet diejenigen als Beispiel zu nehmen, die mit
oftmals höchst fragwürdigen Praktiken das Ziel verfolgen, unsere noch so privaten Lebensbereiche statistisch
berechenbar und kommerziell verwertbar zu machen?
Wir sagen: Nein .
({3})
Solange es noch keine funktionierenden Mechanismen zur nicht wieder umkehrbaren Anonymisierung der
Daten gibt, sind wir sehr gut beraten, hier deutliche Zurückhaltung an den Tag zu legen . Neben der Beschränkung auf die tatsächlich absolut notwendigen Informationen brauchen wir nachvollziehbare, transparente Abläufe
Matthias Schmidt ({4})
und Verfahren, die Sicherstellung der Richtigkeit der
Informationen und die zeitgemäße Absicherung des Statistikgeheimnisses .
Der vorliegende Entwurf zeigt hier und da jedoch
genau in die entgegengesetzte Richtung . Er enthält eine
Reihe von Verschiebungen der Verantwortlichkeiten und
Zuständigkeiten in Richtung des Bundesamtes . Hier verweise ich auf die Ausführungen des Bundesrates . Wir
erwarten eine sachorientierte Debatte, an welcher Stelle
wir eine Zentralisierung wollen, aber wo eben auch nicht .
Der Entwurf enthält zudem eine ganze Reihe von relevanten Grundrechtseingriffen, zumindest in das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung, die nicht allein
auf Rechtmäßigkeit hin zu diskutieren sind, sondern auch
hinsichtlich der Frage, ob sie datenschutzpolitisch in die
richtige Richtung gehen . Auch da kann man durchaus
Zweifel haben .
Wir erwarten daher auch hier eine auf der Grundlage
der jüngst verabschiedeten Datenschutzverordnung geführte Diskussion, eine Erläuterung und Änderung des
Gesetzentwurfs . Gerade in diesen Zeiten müssen wir
dem Persönlichkeits- und Privatheitsschutz endlich die
Bedeutung beimessen, die ihm angesichts immer neuer Datenerhebungs- und -auswertungsmöglichkeiten in
Rechtsstaaten zukommen muss .
Statt grundlegende Errungenschaften des Datenschutzes
und damit den Kernbereich unserer verfassungsrechtlichen Identität infrage zu stellen, wie es derzeit leider das
Bundesinnenministerium und neuerdings - man kann es
kaum fassen - auch Peter Altmaier tut - ob es nun im
Namen der Terrorbekämpfung oder im Namen fragwürdiger Geschäftsmodelle des Silicon Valley ist -, müssen
wir das Ziel verfolgen, bestehende Schutzmechanismen
auszubauen und innovativ weiterzuentwickeln . Das muss
dieses Parlament hier leisten . Wir stehen für konstruktive
Debatten zur Verfügung .
Ganz herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Konstantin von Notz . - Damit schließe
ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/7561 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vorschläge?
- Das ist nicht der Fall, und die Überweisung ist so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Nicole Maisch, Dr . Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine faire und transparente private Altersvorsorge und ein stabiles Drei-Säulen-System
Drucksache 18/7371
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte teilnehmen, zügig Platz zu nehmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre vieles, aber keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Sind wir startbereit? - Das sieht so aus . Dann eröffne
ich die Aussprache und gebe das Wort Markus Kurth für
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Einmal im Jahr bekommen Sie von der gesetzlichen Rentenversicherung
Informationen über Ihre zu erwartende gesetzliche Rente . Das Pendant dazu ist der jährliche Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung, der jedes Jahr Auskunft über das Gesamtsicherungsniveau gibt . Wenn Sie
da hineinschauen, dann werden Sie sehen, dass das Niveau der gesetzlichen Rente, ausgehend von 53 Prozent
im Jahr 2001,
({0})
Jahr für Jahr absinkt und bis zum Jahr 2030 bei rund
44 Prozent ankommen wird . Aber der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung suggeriert: Alles kein
Problem; denn es gibt ja die geförderte private Altersvorsorge, vulgo Riester-Rente, und die wächst und wächst
und wächst, sodass man später unter dem Strich keinen
Cent Einbußen hat und das Gesamtsicherungsniveau
weiterhin oberhalb von 50 Prozent liegt; so alljährlich die
optimistische Prognose der Bundesregierung .
Allerdings, wie bei allen Sachen, die sich erst einmal
gut anhören, lohnt sich ein Blick ins Kleingedruckte .
Denn dann sieht man, dass bestimmte Annahmen zugrunde gelegt werden: Es werden 4 Prozent Rendite pro
Jahr erzielt ({1})
können Sie sich das heutzutage vorstellen? -, die Anbieter haben nur 10 Prozent Verwaltungskosten oder weniger - ist das realistisch? - und alle 36 Millionen Antragsberechtigten sind in vollem Umfang versichert und
zahlen brav Jahr für Jahr 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens in die Riester-Rente ein . Ich sage Ihnen: Es sind gerade einmal 6,4 Millionen Versicherte, die das in diesem
Umfang tun .
Mich erinnert der Rentenversicherungsbericht der
Bundesregierung an das Märchen Des Kaisers neue Kleider, in dem im Grunde genommen alle wissen: Der Kaiser
ist nackt . Niemand aber wagt es, dieses auszusprechen .
In diesem Fall müssten wir ernsthaft über das gesetzliche Rentenniveau und über Nutzen oder Nichtnutzen der
Riester-Rente diskutieren . Das tun wir von Bündnis 90/
Die Grünen an dieser Stelle .
({2})
Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, der drei klare
Kriterien enthält:
Erstens . Wir wollen ein einfaches und nachvollziehbares Basisprodukt, in dem zunächst alle versichert sind .
Wer das nicht möchte, der kann dann „herausgehen“; herausoptieren nennen wir das . Wir sagen: Angesichts Tausender intransparenter Produkte brauchen wir ein klares
Produkt in öffentlich-rechtlicher Hand, das für die Verbraucher nachvollziehbar ist und ihnen Sicherheit gibt .
({3})
Zweitens . Wir wissen, dass gerade Geringverdienerinnen und Geringverdiener unterdurchschnittlich riestern .
Das heißt, wir werden die Förderung - wenn es nach unserem Vorschlag geht - umstellen und bei der Zulagenförderung einen Zuschlag für Geringverdiener einführen
und das durch die Einstellung der steuerlichen Förderung
entsprechend gegenfinanzieren. Das ist wichtig, damit
wir diejenigen erreichen, die am stärksten von Altersarmut bedroht sind . Sie werden von der gegenwärtigen
Förderung nämlich kaum erfasst. Vielmehr fließt die Förderung - das sind 3 Milliarden Euro pro Jahr - überwiegend an die Empfänger der oberen 20 Prozent der Einkommen .
Drittens wollen wir einen klaren verbraucherschutzpolitischen Auftrag . Wir wollen, dass die Menschen nachvollziehen können, wie viel sie für Provisionen bezahlen . Wir wollen, dass sie ihre Produkte kennen . Es liegt
nämlich der Verdacht nahe, dass viele Produkte von Leuten verkauft worden sind, denen der Verbraucherschutz
überhaupt nicht am Herzen lag . Carsten Maschmeyer,
der ehemalige Inhaber eines ebenso legendären wie obskuren Finanzvertriebs, hat vor 15 Jahren zu seinen Vertrieblern gesagt:
Es ist . . . so, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen .
Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß, und sie wird
sprudeln .
Und dann hat er seinen Vertrieblern noch gesagt: Ihre
Vision ist die Provision . Wir sind der Ansicht: So etwas
Wichtiges wie die Altersvorsorge gehört nicht in die
Hände von obskuren Drückerkolonnen .
({4})
Das ist der dritte Punkt in unserem Vorschlag .
Ich hoffe, wir diskutieren darüber sinnvoll in den Ausschüssen . Ich bin mir sicher, dass das neuen Schwung in
die Debatte bringen wird, und ich hoffe, dass wir zu einer
Reform der Riester-Rente kommen .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Markus Kurth . - Der nächste Redner ist
Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Besucherinnen und Besucher! Da ist uns ja ein Antrag mit einem sehr ambitionierten Titel vorgelegt worden, in dem für eine transparente private Altersvorsorge
plädiert wird und ein stabiles Drei-Säulen-System versprochen wird . Ich habe gedacht: Jetzt kommt der große
Entwurf
({0})
der Grünen mit einem Vorschlag, wie man das Drei-Säulen-System der Alterssicherung in Deutschland insgesamt stärken kann . Aber Fehlanzeige; es geht nur um das
Riestern .
({1})
Da hat man irgendwie den Eindruck, die Grünen wollen ein bisschen was verwischen, oder sie bereuen etwas,
wollen es nur nicht deutlich sagen . Das, was Herr Kurth
hier als Märchen vorgetragen hat, hat ja einen Verfasser .
({2})
Die Schreiber dieses Märchens waren damals Rote und
Grüne unter Bundesarbeitsminister Walter Riester .
({3})
Jetzt wollen wir einmal festhalten: Wenn da jemand ein
Märchen erfunden hat, dann waren die Grünen die Miterfinder dieses Märchens und sollten dafür auch geradestehen .
({4})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was brauchen wir
wirklich? Ich finde, es sollte der Vergangenheit angehören, dass wir ein System gegen das andere ausspielen .
Die Wahrheit ist - von daher stimmt die Überschrift des
Antrags; danach kommt aber nichts -: Wir brauchen drei
starke Säulen der Alterssicherung in Deutschland, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen,
dass sie auch in Zukunft mit einer insgesamt starken
Altersversorgung rechnen können, von der sie auch im
Alter leben können .
({5})
Die erste starke Säule ist und bleibt die gesetzliche
Rentenversicherung .
({6})
Wir haben in dieser Großen Koalition mit dem Rentenpaket bewiesen: Wir stärken die Altersversorgung durch die
gesetzliche Rentenversicherung .
({7})
Und mit dem, was wir in unserer Koalitionsarbeitsgruppe
zur Flexirente verabredet haben - das wollen wir noch in
Gesetzesform gießen -, beweisen wir, dass wir zusätzlich dafür sorgen wollen, dass die gesetzliche Rentenversicherung flexibler wird und es vor allen Dingen besser
möglich ist, seine Rentenansprüche zum Ende seines Berufslebens noch einmal zu steigern . Also lautet die klare
Botschaft dieser Legislaturperiode: CDU/CSU und SPD
sorgen dafür, dass die erste Säule, die gesetzliche Rentenversicherung, stärker wird und auch in Zukunft der
starke Arm der Altersvorsorge bleibt .
({8})
Genauso klar ist: Um auch in Zukunft eine ausreichende und auskömmliche Altersversorgung zu haben, brauchen wir auch eine starke zweite und dritte Säule . Nun
war es so: Nach der Rentenreform 2001 haben wir erlebt,
dass sowohl die Zahl der Abschlüsse von Riester-Sparverträgen als auch die Zahl der Anwartschaften auf eine
betriebliche Altersversorgung Jahr für Jahr angestiegen
sind . Das, was politisch initiiert worden ist, hat also funktioniert . Wir stellen nur leider fest, dass bei beiden ergänzenden Altersvorsorgeformen etwa seit dem Jahr 2009,
was den weiteren Aufwuchs anbelangt, eher Stillstand
herrscht, und damit darf man sich nicht zufriedengeben .
Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage
oder -bemerkung von Markus Kurth?
Gerne .
Vielen Dank, Herr Weiß, dass Sie die Frage zulassen .
Ich habe angesichts der vorgerückten Stunde lange mit
mir gerungen, ob ich etwas sagen soll .
({0})
Aber ich kann Ihre Bemerkung, dass die Große Koalition die gesetzliche Rente mit dem Rentenpaket gestärkt
hätte, nicht einfach so stehen lassen; denn das Gegenteil
ist richtig, und das wissen Sie . Sie haben sie geschwächt;
denn Sie haben zusätzliche Ausgaben, insbesondere die
sogenannte Mütterrente, nicht adäquat finanziert.
({1})
Sie finanzieren sie aus der Rücklage. Sie wissen, dass das
Rentenniveau aufgrund der deshalb früher fällig werdenden Beitragssatzerhöhungen und der Rückwirkungen der
verschiedenen Faktoren eher sinkt .
({2})
Würden Sie mir also zustimmen, dass Sie unter dem
Strich zwar für einige Personen Leistungsverbesserungen durchgesetzt haben, dass das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt deswegen aber niedriger und nicht höher ist?
({3})
Herr Kollege Kurth, was das Rentenniveau anbelangt,
ist die Frage, wie die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes ist, viel wesentlicher .
({0})
Wir hatten in diesem Jahr eine Rentenanpassung, bei der
sich der Nachhaltigkeitsfaktor positiv auf das Rentenniveau ausgewirkt hat .
({1})
Die Schätzung für dieses Jahr werden wir noch bekommen . Ich gehe davon aus, dass sich der Nachhaltigkeitsfaktor aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung
erneut positiv auswirkt, dass das Rentenniveau also nicht
sinkt, sondern stabilisiert wird . Das ist der entscheidende
Punkt .
Bei der Mütterrente war der Aspekt der Gerechtigkeit
für uns der entscheidende Punkt .
({2})
Peter Weiß ({3})
Verehrter Herr Kollege Kurth, man kann über Zahlen hin
und her diskutieren: Die gesetzliche Rente wird von den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dann als gerecht
empfunden,
({4})
wenn sie die Leistung, die erbracht wurde, gerecht abbildet .
({5})
Wir haben die Regelung, dass für alle ab 1992 geborenen Kinder bei der Rente drei Kindererziehungsjahre
anerkannt werden . Zu Recht haben uns Mütter und Väter
gefragt: Warum gibt es für die vor 1992 geborenen Kinder keine ähnliche Regelung?
({6})
Darum haben wir uns entschlossen, die Mütterrente für
vor 1992 geborene Kinder zu verdoppeln . Das ist eine
der bisher größten Gerechtigkeitstaten im Bereich der
Rentenversicherung, die wir vor allen Dingen für erziehende Mütter durchgesetzt haben .
({7})
Wir haben in der Koalitionsvereinbarung im Hinblick
auf die Stärkung der zusätzlichen Altersvorsorge vor allen Dingen verabredet, etwas dafür zu tun, dass die betriebliche Altersvorsorge wieder an Dynamik gewinnt,
für die Unternehmen interessanter und vor allen Dingen
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiver
wird . Ich glaube übrigens, dass es in einer Niedrigzinsphase richtig ist, genau hier anzusetzen; denn da, wo wir
große Kollektive versichern, können wir insgesamt mit
einer höheren Rendite rechnen . Dazu haben wir einen
ganzen Maßnahmenkatalog erarbeitet, über den wir diskutieren werden .
Um einen Bezug zu Ihrem Antrag herzustellen - das
ist ein ganz wichtiger Punkt -: Wenn man die zusätzliche
Altersvorsorge für Niedrigverdiener interessant machen
will, dann wäre es zum Beispiel entscheidend, die Möglichkeit der betrieblichen Altersvorsorge mit der Riester-Förderung zu verknüpfen .
({8})
Wir müssen sie vereinfachen und attraktiver gestalten;
das würde zu einer echten Dynamik führen . Aus Riester-Förderung und bAV eine starke zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen, ist ein Reformpunkt, den wir als
Große Koalition angehen wollen .
Hinzu kommt: Als Sie Riester angesprochen haben,
haben Sie, sehr geehrter Herr Kurth, völlig unterschlagen, dass wir das Märchen, das die Grünen mit erfunden
haben, schon kräftig umgeschrieben haben, indem wir
Korrekturen vorgenommen haben . Wir haben das einheitliche Produktinformationsblatt, das wirklich mehr
Transparenz schafft, eingeführt . Wir haben die Kosten
beim Anbieterwechsel begrenzt . Wir haben als zusätzliches Angebot den Wohn-Riester geschaffen .
({9})
Wir haben innerhalb der Riester-Verträge die Möglichkeit, die Erwerbsunfähigkeit abzusichern, verbessert .
Wir haben die Förderung für Kinder verbessert .
({10})
Wir haben die Riester-Rente im Vergleich zu dem, was
die Grünen damals ins Gesetz geschrieben haben, also
schon kräftig reformiert .
({11})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
werden ein Gutachten zur betrieblichen Altersvorsorge
erhalten, das das Bundesfinanzministerium in Auftrag
gegeben hat . Wir werden im Herbst dieses Jahres den
alle vier Jahre vorzulegenden Altersvorsorgebericht der
Bundesregierung bekommen . Ich plädiere dafür, bei einem so sensiblen und ernsten Thema wie der Altersversorgung, bei dem es um die Frage geht: „Habe ich mein
Geld richtig investiert, um eine gute Altersversorgung zu
bekommen?“, nicht im Nebel herumzustochern, sondern
sich auf valide Daten zu verlassen . Deswegen schlage
ich vor, über diese Frage im Angesicht des Altersvorsorgeberichts, der uns exakte Daten und Informationen
liefern wird, zu diskutieren und nicht vorab einen etwas
schwächlichen Antrag wie den der Grünen zu beraten .
Vielen Dank .
({12})
Vielen Dank, Kollege Weiß . - Der nächste Redner:
Matthias W . Birkwald für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Kollege Markus Kurth! Peter Weiß hat es ja eben schon
gesagt: Die Grünen haben gemeinsam mit der SPD im
Jahr 2002 die Riester-Rente eingeführt . Das Ziel war ausdrücklich, mit Riester die vorher von SPD und Grünen
beschlossenen dramatischen Kürzungen der gesetzlichen
Peter Weiß ({0})
Rente auszugleichen . Heute wissen wir: Das ist grandios
gescheitert .
({1})
Der Focus brachte es am 8 . Dezember 2014 mit sehr
bösen Worten auf den Punkt: „Lasst Riester sterben“, lautete das Fazit . Nun, ich wünsche Herrn Riester ein langes
Leben . Meine Damen und Herren, in anständiger Sprache
ausgedrückt müsste es heißen: „Lasst die Riester-Rente
sterben .“ Denn für die große Mehrheit der Rentnerinnen
und Rentner gilt nämlich: Mit der Riester-Rente ist die
politisch willkürlich in die gesetzliche Rente gerissene
Lücke nicht zu schließen .
({2})
Darum sage ich: Wir brauchen auf gar keinen Fall eine
neue Deutschland-Rente, wie sie drei Minister der
schwarz-grünen Regierung in Hessen vorgeschlagen haben . Und ein neues Basisprodukt, wie es im Antrag der
Grünen-Bundestagsfraktion heißt, brauchen wir ebenfalls nicht . Das alles ist nur Herumdoktern an Symptomen .
({3})
Worum geht es? Die gesetzliche Rente muss wieder
zum Leben reichen .
({4})
Dazu bleiben Sie in Ihrem Antrag verdächtig vage, liebe Grünen . Stattdessen stellen sich zwei CDU- und ein
grüner hessischer Minister hin und sagen: Oh, es ist ja
dramatisch, wie die gesetzliche Rente in den Keller rasselt . Und sorry, das mit der Riester-Rente auszugleichen,
funktioniert leider nicht . - Und dann wiederholen sie und
die Grünen im Bundestag die jahrelange Kritik des Bundes der Versicherten, vieler Betroffener und der Linken,
Riestern sei zu teuer, Riestern sei zu komplex, und die
Rendite bei den Riester-Verträgen sei zu gering . Stimmt
alles!
({5})
Nur die SPD braucht für diese Erkenntnis noch ein bisschen .
Wir Linken sagen Ihnen schon lange: Versicherungskonzerne haben in erster Linie ein Interesse an Provisionen, Gebühren, hohen Verwaltungskosten und fetten
Gewinnen . Ihr Interesse an bezahlbarer und langfristiger
Altersvorsorge sowie einem bezahlbaren Schutz der Erwerbsminderung ist deutlich übersichtlicher . Also bis auf
die SPD sind sich endlich alle einig: Riestern ist gescheitert . Das können Sie übrigens heute im Handelsblatt bei
Peter Thelen unter der Überschrift „Baufällige Altersversorgung“ nachlesen .
Was will die schwarz-grüne Hessenkoalition jetzt
machen? Sie will die Versicherungskonzerne durch den
Staat ersetzen . Hallo, geht es noch? Sie wollen einen
Staatsfonds einführen, der dann bis zu 60 Prozent der
von den Versicherten einkassierten Gelder für ein neues
Riester-Produkt in Aktien anlegen soll . In Aktien! Den
Finanzplatz Frankfurt wird das freuen . Die zukünftigen
Rentnerinnen und Rentner, die in der nächsten Finanzkrise auf ihr Vorsorgekapital angewiesen sein werden,
müssen dann in die Röhre schauen . Zocken mit der Rente
nenne ich das . Und das, meine Damen und Herren, will
die Linke nicht .
({6})
Liebe Grüne, warum haben Sie nicht den Durchblick
und vor allem den Mumm, den die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft der CDU hat? Komisch, dass
der Kollege Weiß, der da Mitglied ist, kein Wort darüber
gesagt hat . Der erste Stellvertretende Bundesvorsitzende
der CDA, Christian Bäumler, sagt:
Die Riester-Rente ist spätestens mit der Niedrigzinsphase an die Wand gefahren .
Und was fordert er? Er will Riester rückabwickeln . Das
ist konsequent und vor allem eines: Es ist richtig .
({7})
Wir Linken fordern die Rückabwicklung schon seit
2008 und ganz explizit in unserem Antrag von 2013
„Riester-Förderung in die gesetzliche Rente überführen“ .
Das ist gut; denn das würde die Rentenversicherung stärken . Die 3,6 Milliarden Euro Riester-Förderung pro Jahr
aus Steuermitteln täten der Rentenversicherung gut . Darum fordere ich die Bundesregierung auf: Stoppen Sie den
Verfall der gesetzlichen Rente . Erhöhen Sie das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent, also auf das Niveau von
2001 .
({8})
Wer dann noch zusätzlich vorsorgen will, kann und muss,
sollte nicht erst ab 55 und auch nicht erst ab 50, sondern vom ersten Arbeitstag an freiwillige Zusatzbeiträge in die gesetzliche Rente einzahlen können . Sie, liebe
Grüne, deuten diese Option in Ihrem Antrag an . Darauf
können wir uns einigen . Das wäre attraktiv . Riester- und
Deutschland-Renten sind es auf keinen Fall .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank . Kollege Birkwald . - Der nächste Redner
ist Ralf Kapschack für die SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer! Mit Statistik haben die meisten hier im
Saal wahrscheinlich nicht viel zu tun, aber sicherlich mit
dem Thema Altersversorgung .
Wie bekommen wir es angesichts der demografischen
Entwicklung und bei langfristig steigenden Beiträgen
hin, auch in Zukunft eine lebensstandardsichernde Altersversorgung zu gewährleisten? Das ist heute die Frage, und das war auch vor 15 Jahren die Frage . Damals
war das Ergebnis die Riester-Rente, eine private zusätzliche Altersversorgung, die geplante Einbußen bei der
gesetzlichen Rente ausgleichen sollte - die sogenannte
dritte Säule neben gesetzlicher und betrieblicher Rente .
Das war die Idee .
Richtig funktioniert hat es nicht, zugegeben .
({0})
Das lag aber nicht in erster Linie an Walter Riester,
sondern nicht zuletzt auch an den Widerständen in der
Öffentlichkeit und auch in den Institutionen . Konkret:
Die ursprünglich geplante obligatorische Lösung scheiterte an einer Medienkampagne gegen die damals so diffamierte „Zwangs-Riester-Rente“ .
({1})
Die Idee, für jeden Versicherten bei der Rentenversicherung noch ein sogenanntes Vorsorgekonto für die zusätzliche private Altersversorgung anzulegen, scheiterte, wie
man hört, an der Rentenversicherung .
({2})
Das Ergebnis: Die Riester-Rente ist zu unübersichtlich - darin sind wir alle uns, glaube ich, einig - und oft
zu teuer . Durch die niedrigen Kapitalmarktzinsen schlagen hohe Provisionen und Vertriebskosten erst recht voll
auf die Rendite durch . Viele nehmen Riester gar nicht
erst in Anspruch, vor allem jene nicht, die auf eine zusätzliche Altersversorgung angewiesen sind . Deshalb
brauchen wir gerade dort dringend eine Verbesserung .
Für die SPD geht es in der aktuellen Debatte darum,
wie wir gerade diejenigen erreichen, die bislang keine eigene Altersversorgung finanzieren können.
({3})
Wie erreichen wir gerade diejenigen, die ahnen, dass
jede private Vorsorge von der Grundsicherung „weggefressen“ wird?
({4})
Die aktuelle Anrechnung auf die Grundsicherung muss
deshalb auf den Tisch - genauso die bisherige staatliche
Förderung . Die Idee im Antrag der Grünen, Neuverträge
auf eine reine Zulagenförderung umzustellen, finde ich
sehr sympathisch . Mit deutlich höheren Zulagen würde
die eigene Vorsorge gerade für Geringverdiener attraktiver .
Daneben schlagen Sie ein einfaches Basisprodukt vor,
das staatlich organisiert werden soll . Das kommt unserer
Forderung nach großen Einheiten sehr entgegen . Kollektive Lösungen können die Kosten für Verwaltung und
Vertrieb reduzieren und haben deutlich bessere Anlagemöglichkeiten . Darin sind wir uns einig .
Man kann es beklagen, aber realistisch betrachtet wird
es auf Dauer ohne eine private und wahrscheinlich auch
ohne eine kapitalgedeckte Altersversorgung nicht gehen .
Für uns ist die betriebliche Altersversorgung die beste
Form der privaten und zugleich kollektiven Altersversorgung . Dazu wird Martin Rosemann gleich noch etwas
sagen .
Aber natürlich geht es auch darum, das Niveau der
gesetzlichen Rente - der ersten und zentralen Säule - zu
stabilisieren .
({5})
Aus der CDU - Matthias Birkwald hat das schon gesagt - gibt es dazu ja durchaus interessante Vorschläge . Herr Bäumler fordert, das Rentenniveau schrittweise wieder anzuheben, weil sich die Riester-Rente nicht
durchgesetzt hat .
({6})
Ich finde das eine gute Überlegung, aber ich bin mir nicht
sicher, ob er dafür in seiner eigenen Partei eine Mehrheit
findet.
Die Zukunft der Altersversorgung betrifft jeden - früher oder später . Die DGB-Gewerkschaften haben angekündigt, eine angemessene Rente zu ihrem zentralen
Thema der nächsten Monate zu machen . Dort werden
Antworten erwartet . Auch deshalb ist es sinnvoll, notwendig und an der Zeit, sich darüber auseinanderzusetzen, wie die Altersversorgung in Zukunft aussehen soll
und welche Rolle die private und die gesetzliche Rente
dabei spielen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank, Herr Kollege Kapschack . - Nächster
Redner: Matthäus Strebl für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Die Riester-Rente, die Deutschland-Rente und
auch das Sozialpartnermodell sind zurzeit in aller Munde . Ich vertrete die Position, dass die Altersvorsorge aus
einem abgestimmten Dreiklang bestehen muss . In der
ersten Säule haben wir durch das Rentenpaket umfangreiche Leistungsverbesserungen auf den Weg gebracht .
Neben der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung ist aber auch die kapitalgedeckte Altersvorsorge
der zweiten und dritten Säule als Gegengewicht zur Altersarmut unabdingbar .
Die Einführung der Riester-Rente, um darauf zu sprechen zu kommen, vor 15 Jahren diente dazu, den sinkenden Renten entgegenzuwirken und den Generationenvertrag zu stärken . Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass
die Riester-Rente kein Wundermittel ist . Der Grundgedanke war vielmehr die Schaffung einer weiteren Vorsorge und nicht eine unschlagbare Renditeoptimierung .
Zweifelsfrei gibt es auch Probleme . Die Riester-Rente
ist, wie viele Kritiker bemängeln, ein sehr komplexes
System mit einer Vielzahl von unterschiedlichen MögRalf Kapschack
lichkeiten, fürs Alter vorzusorgen . Das Misstrauen in
Finanzdienstleistungen seit der Wirtschafts- und Finanzkrise und die mitunter hohen Abschluss-, Vertriebs- und
Verwaltungskosten lassen den Unmut über Riester-Sparverträge nicht sinken .
Durch die seit Jahren andauernde Niedrigzinsphase
ist die kapitalgedeckte Altersvorsorge natürlich weniger
attraktiv als noch bei der Einführung der Riester-Rente 2002 . Die Idee 2001/2002 war, dass mit Riester alle
Einkommensschichten erreicht werden sollten . Deshalb,
werter Kollege Kurth, lehne ich Ihren Vorschlag ab, dass
die Förderung auf eine reine Zulagenförderung umgestellt werden soll und vornehmlich nur noch Geringverdiener gefördert werden sollen .
({0})
Werte Kolleginnen und Kollegen, viele Kritiker fordern insbesondere in den letzten Wochen schlagzeilenträchtig die Abschaffung der Riester-Rente . Dieser Forderung möchte ich widersprechen . Allerdings stimme
ich zu, wenn Forderungen nach der Vereinfachung der
Riester-Rente und der Förderungsbedingungen laut werden . Eine Optimierung halte ich deshalb für geboten und
unausweichlich .
Werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
Sie sprechen in Ihrem Antrag zumindest ansatzweise
die sogenannte Deutschland-Rente der schwarz-grünen
Landesregierung in Hessen an . Wir beide waren vor
kurzem in der hessischen Landesvertretung, in der diese
Deutschland-Rente vorgestellt worden ist . Ich bin aber
nicht zu 100 Prozent überzeugt worden .
({1})
Dennoch: Dieser Vorschlag enthält einige interessante
Ideen . Gleichwohl sind uns noch nicht alle Details bekannt . Wir werden derartige Ideen natürlich diskutieren
und prüfen müssen . Eine abschließende Beurteilung zum
jetzigen Zeitpunkt halte ich daher für voreilig .
Ein weiteres Thema des Antrags, das mir sehr wichtig
ist, möchte ich gerne noch ansprechen, nämlich transparente und verständliche Informationen . Darüber hat
auch schon der Kollege Karl Schiewerling gesprochen,
der eine säulenübergreifende und transparente Auskunft
angeregt hat . Wir beraten uns deshalb bereits mit Vertretern aller drei Säulen, um eine einheitliche Information
für alle Beschäftigten zu ermöglichen . Dabei stellen sich
auch zahlreiche Fragen, etwa nach Datenschutz und Datensicherheit .
Letztendlich kann jeder Einzelne nur ausreichend vorsorgen, wenn er eine Vorstellung davon hat, was er im
Alter zur Verfügung hat . Wir dürfen aber nicht dem Irrglauben verfallen, dass wir eine exakte Aussage über den
genauen Betrag der späteren Gesamtversorgung treffen
können .
({2})
Es wäre nämlich falsch, dies den Bürgerinnen und Bürgern zu versprechen . Schließlich hängt der Betrag von zu
vielen Faktoren ab . Zudem stellt sich die Frage, welche
Kaufkraft der Betrag nach Abzug der Inflation in 20 oder
30 Jahren noch hat .
Gestatten Sie mir noch einen Hinweis zum Schluss . Sie
sprechen in Ihrem Antrag von einem „stabilen Drei-Säulen-System“ . Jedoch können Sie keinen nennenswerten
Vorschlag zur betrieblichen Altersvorsorge bieten .
({3})
Wir haben im Koalitionsvertrag die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge verankert . Ich werbe dafür, dass
wir die Hemmnisse sowohl bei Arbeitgebern als auch
bei Arbeitnehmern abbauen, um eine Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge zu erreichen .
({4})
Nur so können wir im Zusammenspiel mit beiden Seiten
gute Lösungen ermöglichen .
Dazu gehört insbesondere die Zulagenförderung für
Geringverdiener, die Frage der Haftung der Arbeitgeber
oder zum Beispiel auch das Thema der Doppelverbeitragung. Das Gutachten des Bundesfinanzministeriums, so
wie das der Kollege Weiß schon gesagt hat, wird sich
auch mit der riestergeförderten betrieblichen Altersvorsorge befassen . Die Ergebnisse, mit denen wir in Kürze
rechnen, sollten wir daher abwarten .
Ich teile zwar einige Kritikpunkte Ihres Antrags, werter Kollege Kurth, halte aber die Vorschläge so für nicht
umsetzbar und praktikabel . Deshalb werden wir den Antrag ablehnen .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Strebl . - Der letzte Redner in der
Debatte ist Dr . Martin Rosemann für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich will es auch noch einmal
ganz deutlich sagen: Die gesetzliche Rente ist und bleibt
die zentrale Säule der Altersversorgung in Deutschland,
({0})
und ich denke, wir müssen alle daran arbeiten, dass es
auch so bleibt .
Am wichtigsten dafür sind aber - das zeigen auch die
Erfahrungen gerade der vergangenen Jahre - eine gute
Beschäftigungsentwicklung, eine geringe Arbeitslosenquote und vor allem viele sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse . Deswegen geht es darum,
gute Arbeit und guten Lohn für möglichst viele Menschen in Deutschland sicherzustellen .
({1})
Deshalb müssen wir die Tarifbindung stärken, die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen, Flüchtlingen faire
Chancen auf dem Arbeitsmarkt geben, Langzeitarbeitslose auf ihrem Weg zurück auf den Arbeitsmarkt unterstützen und Geringqualifizierte weiter fördern. Daran haben
wir Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren gearbeitet, und daran arbeiten wir auch weiterhin .
({2})
Klar ist aber auch, dass der demografische Wandel
und die mit ihm verbundenen Herausforderungen sich
nur dann bewältigen lassen, wenn wir die Lasten gerecht
zwischen den Generationen verteilen und die Alterssicherung auf mehrere Säulen stützen . Das war damals vor
15 Jahren die wahre Leistung von Rot-Grün, dass genau
das erkannt worden ist .
Im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung
heißt es - ich zitiere -:
Die Alterssicherung steht im demografischen Wandel stabiler, wenn sie sich auf mehrere starke Säulen
stützt .
({3})
Deswegen werden wir die betriebliche Altersvorsorge stärken . Sie muss auch für Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter von Klein- und Mittelbetrieben selbstverständlich werden .
Daher werden wir an unterschiedlichen Punkten ansetzen: erstens am Haftungsrisiko für die Betriebe, ein
Hemmnis vor allem für viele kleine Betriebe, in die
betriebliche Altersversorgung einzusteigen; zweitens
an der Förderung vor allem für Geringverdiener - Herr
Kapschack hat es schon angesprochen -, und vor allem
müssen wir drittens wegkommen von individuellen Lösungen hin zu kollektiven, auch kollektiven kapitalgedeckten Systemen .
Wer könnte das besser organisieren als die Sozialpartner, meine Damen und Herren? Damit können wir die
Verbindlichkeit erhöhen, mehr Beschäftigte erreichen,
die Vertriebs- und Verwaltungskosten reduzieren und
optimale Anlagestrategien ermöglichen . Dabei, Herr
Birkwald, geht es um alles, nur nicht darum, mit dem
Geld zu zocken .
({4})
Ich meine, dass im Hinblick auf diese Ziele das von
Bundesministerin Andrea Nahles vorgelegte Sozialpartnermodell eine gute Grundlage für die weitere Diskussion ist . Wir sind gerne bereit, konstruktive Vorschläge
natürlich von den Sozialpartnern, aus der Wissenschaft,
aber auch aus der Opposition mit in die Diskussion aufzunehmen . Denn es ist immer besser, wenn viel Expertise
in eine solche Diskussion einfließt.
Ich glaube aber, insgesamt müssen wir die betriebliche
Altersvorsorge in Deutschland in dem Sinne weiterentwickeln, dass sie von einem Instrument der betrieblichen
Personalpolitik zu einem Instrument der Sozialpolitik
wird .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Kollege Rosemann . - Damit schließe
ich die Aussprache und wünsche Ihnen eine sehr konstruktive weitere Debatte in dieser sehr wichtigen Frage .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7371 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Designgesetzes und weiterer
Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes
Drucksache 18/7195
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/7684
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall .1)
Dann kommen wir direkt zur Abstimmung . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7684,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/7195 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke,
und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU, SPD und die Linke, und enthalten hat sich
Bündnis 90/Die Grünen .
1) Anlage 16
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann
({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Medizinische Versorgung für Geflüchtete und
Asylsuchende diskriminierungsfrei sichern
Drucksache 18/7413
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgehen . - Ich höre keinen
Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte die Rednerinnen und Redner sowie die interessierten Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen,
damit ich die Aussprache eröffnen kann .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Kathrin
Vogler für die Linke .
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Heute Morgen haben wir in diesem Haus über
Asylpolitik debattiert . Dabei wurde deutlich, dass die
Große Koalition bei dem Ziel, Flüchtlinge möglichst
schnell abzuschieben, auch auf traumatisierte und kranke
Menschen kaum noch Rücksicht nimmt. Wir finden das
weder christlich noch sozial . Deswegen lehnt die Linke
das ab .
({0})
Wenn ich vor Ort mit Aktiven aus der Flüchtlingshilfe
spreche, dann sind die großen Probleme in der Gesundheitsversorgung ein großes Thema . Das liegt am Asylbewerberleistungsgesetz . Nach diesem Gesetz ist nämlich
medizinische Versorgung grundsätzlich nur dann zu gewähren, wenn es sich um Schwangerschaft, Entbindung,
akute Erkrankungen und Schmerzzustände handelt . Oft
verweigern die zuständigen Behörden und Gerichte die
Behandlung einer chronischen Erkrankung sogar dann,
wenn körperliche Unversehrtheit oder sogar das Leben
bedroht sind .
({1})
Ein besonders drastisches Beispiel vom Verwaltungsgericht Gera: Ein junger Mann aus Bangladesch leidet an
einer Hüftgelenksnekrose . Seine beiden Hüftköpfe sind
nahezu zerstört . Laufen kann er kaum . Er erleidet ganz
schlimme Schmerzen . Medizinisch geboten wäre eine
Operation, um die Schmerzen und die Behinderung dauerhaft zu beseitigen . Doch er bekommt nur Opiate, also
starke und abhängig machende Schmerzmittel; denn das
sei eine chronische Erkrankung, und es bestehe keine Gefahr für Leib und Leben. Ich finde, das ist eine massive
Menschenrechtsverletzung .
({2})
Das ist ein Verstoß gegen Artikel 12 des UN-Sozialpakts,
der in der Bundesrepublik Deutschland seit 40 Jahren
geltendes Recht ist . Das ist nicht hinnehmbar .
({3})
Die Linke fordert darum, dass die Einschränkung auf
Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände
ersatzlos gestrichen wird . Hierbei steht die Linke übrigens an der Seite der Ärztinnen und Ärzte . Denn sie
werden derzeit genötigt, entweder gegen geltendes Recht
oder gegen ihre berufliche Ethik zu verstoßen. Das wollen wir ändern . Wir wollen Recht und Ethik endlich wieder in Übereinstimmung bringen .
({4})
Perspektivisch wollen wir, dass auch die Menschen,
die auf der Flucht zu uns kommen, ordentlich krankenversichert sind . Ihre Beiträge soll zunächst der Bund
übernehmen . Damit soll er die Kommunen entlasten . Als
Übergangslösung sollten alle Menschen zumindest überall in Deutschland eine Gesundheitskarte erhalten, mit
der sie jederzeit zum Arzt gehen können .
({5})
Manche Kommunen sorgen sich, dass dann die Kosten aus dem Ruder laufen könnten . Aber aufgrund der
Erfahrungen in Hamburg und Bremen können wir das
doch inzwischen deutlich widerlegen . Daher ist es genau
andersherum: Die Ausstattung der Flüchtlinge mit Gesundheitskarten hat erstens Verwaltungskosten gespart
und zweitens auch noch Gesundheitskosten . Denn wenn
kranke Menschen gleich zum Arzt gehen können, werden
so mancher Rettungswageneinsatz und mancher Krankenhausaufenthalt gar nicht erst nötig .
({6})
Denn was passieren kann, wenn Verwaltungsmitarbeiter ohne medizinische Qualifikation darüber entscheiden
müssen, ob ein Flüchtling zum Arzt gehen kann oder
nicht, zeigt ein weiteres Beispiel, diesmal aus Zirndorf:
Ein Kleinkind litt an einer septischen Hirnhautentzündung . Der Sachbearbeiter erkannte die Schwere der Erkrankung nicht und verweigerte den Eltern, das Kind ins
Krankenhaus zu bringen oder einen Notarzt zu rufen .
Der Junge lag danach monatelang im Koma und überlebte nur mit schwersten Behinderungen . Dass so etwas
in unserem Land passieren kann, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist wirklich eine Schande . Dafür muss man
sich schämen .
({7})
Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit,
wie es in Artikel 2 unseres Grundgesetzes steht, gilt aus
gutem Grund für alle Menschen . Ich rufe Sie auf: Setzen
Sie es mit uns gemeinsam um!
({8})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Vielen Dank, Kollegin Vogler . - Der nächste Redner
ist Reiner Meier für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute Vormittag haben wir das Asylpaket II beschlossen .
({0})
Ein wichtiges Ziel darin ist, dass möglichst viele Asylanten
({1})
möglichst bald Gewissheit darüber haben, ob sie in unserem Land bleiben können oder nicht . Zugleich ist es ein
wichtiges Signal für unsere Kommunen,
({2})
die zu Recht fragen: Wo sollen wir die vielen Flüchtlinge
noch menschenwürdig unterbringen?
({3})
In dieser Situation wollen Sie nun Leistungen ausweiten und weitere Anreize zur Migration schaffen .
({4})
Ich nehme das Ergebnis an dieser Stelle vorweg:
({5})
Die von Ihnen so wortreich skandalisierte Diskriminierung findet in unserem Land einfach nicht statt. Nehmen
Sie das zur Kenntnis!
({6})
Erstens ist schon die Prämisse Ihres Antrags falsch .
Sie gehen davon aus, dass allein der volle Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung menschenwürdig ist .
({7})
Das stimmt nicht, meine Damen und Herren . Richtig ist:
Jeder Flüchtling, der zu uns kommt, erhält bei uns alle
unaufschiebbaren Behandlungen, und zwar von Anfang
an
({8})
und solange es nötig ist, bis sein Asylantrag entschieden
ist .
({9})
Natürlich bietet die GKV auch Leistungen, die weit
darüber hinausgehen, an . Dazu gehören aber auch Angebote, die nur dann sinnvoll sind, wenn der Patient über
einen längeren Zeitraum behandelt werden kann .
({10})
Zweitens . Anders als Sie behaupten, berücksichtigt
das geltende Recht durchaus die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und lässt im Härtefall besondere Leistungen zum Beispiel bei Kleinkindern durchaus
zu . Ich frage mich zunehmend, wie Ihre ständige Kritik
auf jemanden wirken muss, der in seinem Heimatland
praktisch keinen Zugang zu jeglicher medizinischen Versorgung hatte .
Drittens . Auch wenn Sie das nur ungern anerkennen: Was Sie fordern, kostet sehr viel Geld, viel Geld
der Steuerzahler, das meines Erachtens an anderer Stelle dringend benötigt wird, sei es für die Integration von
Flüchtlingen
({11})
oder - noch wichtiger - für die Bekämpfung der Fluchtursachen .
({12})
Wir erwarten schon ohne Ihre Forderungen in den
nächsten zwei Jahren Kosten von bis zu 50 Milliarden
Euro für die Versorgung der Flüchtlinge, und Sie sagen,
wir tun nichts? Das glauben Sie doch wohl selbst nicht .
({13})
Auch wenn Deutschland ein wirtschaftlich starkes
Land ist, stößt es hier an seine finanziellen Grenzen.
Schließlich müssen wir auch über die Gerechtigkeit in
der Gesundheitspolitik sprechen .
({14})
Die medizinische Versorgung von Asylbewerbern wird,
anders als die gesetzliche Krankenversicherung, nämlich
aus Steuermitteln finanziert, und das halte ich auch für
sachgerecht; denn die Versorgung der Asylbewerber ist
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe .
({15})
Es ist aber kaum vermittelbar, wenn Sie heute fordern,
den Leistungsumfang für gesetzlich Versicherte und
ALG-II-Empfänger jenem von Asylbewerbern gleichzustellen .
({16})
Es macht eben schon einen Unterschied,
({17})
ob jemand zur Stabilität unseres Sozialstaats aktiv beigetragen hat oder nicht . Diesen Unterschied können Sie
nicht einfach einebnen, meine Damen und Herren, das ist
nicht möglich .
Im Übrigen reden wir bei Asylbewerbern über einen
zeitlich begrenzten Status . Das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge hat zugesagt, die Asylverfahren auf eine
Dauer von drei Monaten zu reduzieren . Für Antragsteller
mit geringen Bleibeperspektiven werden die beschleunigten Verfahren schon nach drei Wochen abgeschlossen
sein . In dieser Übergangsphase, in der noch völlig offen
ist, ob jemand in Deutschland bleibt oder nicht, halte ich
eine Ausweitung des Leistungsumfangs für sehr problematisch, ja auch kontraproduktiv .
({18})
Was wir brauchen, sind klare, vollziehbare Regeln im
Asylverfahren und keine neuen Anreize zur Verfahrensverschleppung .
({19})
Ich bedanke mich .
({20})
Vielen Dank, Kollege Meier . - Die nächste Rednerin:
Maria Klein-Schmeink für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Meier, ich empfehle Ihnen Lektüre, Information . Da gibt es eine, die relativ neu und relativ aktuell ist: Das ist das Gutachten der Expertenkommission
der Robert-Bosch-Stiftung unter Leitung des CDU-Vorsitzenden von NRW, Armin Laschet . Sie hat eine große
Handreichung herausgegeben, in der steht, was zu tun ist,
um die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen zu
verbessern . Genau dieses Gutachten lege ich Ihnen sehr
ans Herz . Schauen Sie sich das einmal genau an . Dann
werden Sie sehen, dass Sie fast alle Behauptungen, die
Sie eben getroffen haben, zurücknehmen müssen .
({0})
Denn darin wird sehr deutlich gemacht, dass es erstens humaner und medizinethisch richtiger ist, wenn wir
Flüchtlinge so früh wie möglich in die medizinisch-gesundheitliche Regelversorgung einbeziehen, dass zweitens als Instrument dafür sehr gut geeignet ist, eine Gesundheitskarte auszugeben, jedenfalls an die Gruppe
derjenigen, die nicht mehr im Erstaufnahmeverfahren
sind, und dass wir drittens dafür Sorge tragen müssen,
dass nicht die Kommunen diese Kosten tragen müssen,
sondern der Bund, weil das eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe ist .
({1})
In dieser dreifachen Aufgabenstellung macht es Sinn, das
Versorgungssystem insgesamt neu auszurichten .
({2})
Auf genau diesen Punkt zielt dieser Antrag der Linken, der im Übrigen im letzten Jahr fast genauso schon
einmal gestellt worden ist .
({3})
Es hat seither auch von unserer Seite viele Initiativen gegeben, um diese beiden wichtigen Punkte hinzubekommen: Zum einen geht es um die Beseitigung der Defizite,
die es in der Versorgung von Asylbewerbern gibt, insbesondere im Bereich der Prävention, der Rehamaßnahmen, der gesamten gesundheitlichen Maßnahmen, die
außerhalb von Akut- und Schmerzversorgung notwendig
sind . Zum anderen sollten Sie sich vor Augen führen, wie
viel bürokratischer Aufwand damit verbunden ist, dass
die Kommunen gezwungen sind, extra Behandlungsscheine auszugeben und diese abzurechnen . Außerdem
kann man nicht an den Rabattverträgen der gesetzlichen
Krankenversicherungen teilnehmen . Das wären Vorschläge zugunsten einer besseren Versorgung . Das wäre
besser, als in mehr Bürokratie zu investieren, wie Sie es
derzeit tun .
({4})
Schauen Sie sich einmal eine Studie der Uni Heidelberg an; sie ist letztes Jahr veröffentlicht worden . In
dieser Studie hat man anhand der statistischen Realdaten
Ausgaben für Asylbewerber innerhalb und außerhalb der
Regelversorgung verglichen . Auch da hat sich herausgestellt: Die Versorgung von Asylbewerbern außerhalb des
Regelsystems ist 22 Prozent teurer,
({5})
als wenn man sie ganz normal in unserem System - hausärztlich, kinderärztlich usw . - behandeln würde . Das ist
die Wahrheit; aber dieser Wahrheit verschließen Sie sich .
({6})
Warum tun Sie das? Sie tun dies, weil Sie ein Signal der Abschottung setzen wollen . Genau darum geht
es; das haben Sie heute Morgen sehr deutlich gezeigt . Sie
haben auch gezeigt, dass Sie sich als Gesundheitspolitiker in keiner Weise dafür eingesetzt haben, die schlimmen Verschärfungen, die heute Morgen beschlossen
worden sind, auch nur ansatzweise aufzuhalten . Ich habe
von Ihrer Seite keinerlei Initiative dagegen erlebt . Es gab
nur ganz wenige Abgeordnete, die sich diesen Verschärfungen entgegengestellt haben. Ich muss sagen: Ich finde
das perfide. Dieses Symbol zur Abschreckung ist nicht
human, das ist unvernünftig .
({7})
Gehen Sie endlich in sich, und schauen Sie sich an, wie
rationale Menschenrechtspolitik betrieben wird . Dafür
wäre es wirklich höchste Zeit . Wie gesagt, ich empfehle
Ihnen das genannte Gutachten .
({8})
Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink . - Nächste Rednerin: Heike Baehrens für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren! Vor genau einer Woche wurde uns hier vom Fraktionsvorsitzenden der Linken vorgeworfen, blindlings immer neue Asylgesetze auf den Weg
zu bringen . Da passt es überhaupt nicht, wenn Sie mit
dem heute vorliegenden Antrag eine grundlegende Veränderung bei der gesundheitlichen Versorgung von Asylbewerbern fordern, anstatt zunächst einmal abzuwarten,
wie sich das längst Beschlossene in der Praxis bewährt .
({0})
Wir als SPD setzen uns für eine gute und angemessene
medizinische Versorgung von Flüchtlingen ein . Wer das
hier im Haus bezweifelt, hat in den letzten Monaten nicht
aufgepasst . Worauf es derzeit beim Thema „Flüchtlinge
und Asyl“ aber vor allem ankommt, ist, sich politisch für
gesellschaftlichen Zusammenhalt starkzumachen; denn
dieser Zusammenhalt scheint momentan an allen Ecken
und Enden zu bröseln, und er wird auch von manchen
bewusst untergraben . Da ist es wenig hilfreich - ja, ich
finde es sogar regelrecht kontraproduktiv -, wenn die
hier mit großer Mehrheit beschlossenen Asylgesetze als
diskriminierend bezeichnet werden und die Linken der
Regierung mit ihrem Antrag sogar vorwerfen, die Menschenrechte zu verletzen .
({1})
Mit solchen ungerechtfertigten Anschuldigungen und
Überzeichnungen heizen Sie die ohnehin schon zugespitzte öffentliche Debatte noch weiter an . Ich fordere
Sie als demokratisch gewählte Abgeordnete dieses Landes auf, endlich verbal abzurüsten . Das, Frau KleinSchmeink, ist auch ein bisschen an Sie gerichtet, nachdem Sie hier eben das Wort „perfide“ benutzt haben.
({2})
Wir brauchen keine weitere Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger, und wir brauchen keine sozialpolitischen Experimente wie die Einbeziehung von Asylbewerbern in die „Versicherungspflicht“, so haben Sie es
ja genannt, der GKV . Viel dringender und notwendiger
ist das, was wir heute Morgen in diesem Haus beschlossen haben, nämlich die Beschleunigung der Verfahren . Je
schneller ein Verfahren abgeschlossen ist, desto schneller
erhalten die Betroffenen auch Anspruch auf soziale Leistungen und, mehr noch, desto schneller erhalten sie den
Zugang zum Arbeitsmarkt .
({3})
Nur so erhalten Asylsuchende die Möglichkeit, ihren
Lebensunterhalt selber zu bestreiten und ihren Versicherungsbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung
aus eigener Kraft zu bezahlen, was die Menschen auch
wollen . Dafür mit einem breitangelegten Integrationskonzept Brücken zu bauen, darauf sollten wir uns jetzt
konzentrieren .
({4})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Frau Klein-Schmeink?
Gerne .
Gut . - Frau Klein-Schmeink, bitte .
Danke für die Zulassung der Frage . - Frau Baehrens,
mit dem heute verabschiedeten Asylpaket wurde auch
eine große und umfangreiche Änderung bei den Abschiebehindernissen vorgenommen . Da heißt es:
Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass
lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende
Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung
des Ausländers hindern .
Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib und Leben nach Satz 1 darstellen . Eine
solche schwerwiegende Erkrankung kann hingegen zum
Beispiel in den Fällen von posttraumatischer Belastungsstörung regelmäßig nicht angenommen werden .
Meinen Sie wirklich, dass das, was ich vorhin ausgeführt habe, tatsächlich eine Überzeichnung war? Ist es
nicht sogar so, dass man sagen muss, dass ich gar nicht in
der Deutlichkeit auf das Schlimme, was Sie heute Morgen hier entschieden haben, hingewiesen habe?
({0})
Frau Klein-Schmeink, wir haben uns über diesen
Sachverhalt vorgestern Abend im Gesundheitsausschuss
schon ein wenig ausgetauscht . Ich habe auch da bereits
gesagt, dass unsere Auffassung von schwerwiegender
Erkrankung selbstverständlich auch die psychischen Erkrankungen umfasst, die als Posttraumata oder ähnliche
Erkrankungen bezeichnet werden .
({0})
- Nein, wir müssen unterscheiden, Frau Vogler - das wissen Sie auch ganz genau -, zwischen dem, was wortwörtlich im Gesetz steht, und dem, was in der Begründung
steht . Die konkrete Entscheidung obliegt nach wie vor
den Ärzten und den Psychotherapeuten, die im Einzelfall
entscheiden müssen .
({1})
Ich werde auf das Thema aber im Weiteren noch einmal
zu sprechen kommen .
Ich komme zurück zum Antrag der Linken . Schlicht
falsch ist es, wenn Sie als Linksfraktion in Ihrem Antrag
behaupten, der medizinische Versorgungsanspruch von
Flüchtlingen werde auf unterhalb des medizinisch Notwendigen begrenzt . Am Umfang der medizinischen Versorgung wurde nichts geändert und wird nichts geändert;
({2})
denn selbstverständlich haben Asylsuchende in unserem
Land Anspruch auf ausreichende medizinische Versorgung . Dies wird gewährleistet durch die Regelung im
Asylbewerberleistungsgesetz . Einen leichteren Zugang
zu diesen Leistungen wollen wir Flüchtlingen ja gerade
dadurch ermöglichen, dass sie eine Gesundheitskarte erhalten, die sie berechtigt, direkt zum Arzt zu gehen, anstatt sich zuerst ans Sozialamt wenden zu müssen . Das
genau, Frau Vogler, ist die Antwort auf diese furchtbaren
Vorkommnisse, die Sie vorhin zitiert haben . Die Antwort
lautet: Es muss ein direkter Zugang zum Arzt und auch
ins Krankenhaus ermöglicht werden . Dies wird möglich,
indem die Flüchtlinge und Asylsuchenden eine Gesundheitskarte erhalten .
({3})
Nun kritisieren Sie in Ihrem Antrag erstaunlicherweise, dass dadurch Ärzte über die Notwendigkeit von Behandlungen zu entscheiden hätten . „Ja, wer denn sonst?“,
frage ich Sie . Genau das wollen wir doch mit der Gesundheitskarte erreichen . Wir wollen, dass endlich medizinisch geschultes Fachpersonal entscheidet und nicht
fachfremde Mitarbeiter der Sozialämter entscheiden, die
ohnehin durch andere Aufgaben überlastet sind . Dass
Ärzte eine Differenzierung vornehmen müssen, was im
Einzelfall medizinisch notwendig ist oder eben nicht, ist
nicht „unzumutbar“, wie Sie schreiben, sondern im Gegenteil originärer ärztlicher Auftrag .
({4})
Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge garantiert den
Betroffenen also eine gesundheitliche Versorgung ohne
Umwege, entlastet die Sozialverwaltung und nutzt das
Know-how und die vorhandenen Strukturen der Krankenkassen .
({5})
Das ist, wo es umgesetzt wird, ein ganz wichtiger Fortschritt für alle Beteiligten . Jetzt kommt es darauf an, das
tatsächlich umzusetzen, und dazu fordern wir die Länder
auf .
({6})
Wir alle wissen, die Umsetzung dieser und anderer
Verbesserungen, die wir beschlossen haben, braucht Zeit .
Diese Zeit sollten Sie nicht dafür nutzen, den Eindruck
zu vermitteln, als würde sich nichts entwickeln; denn neben der Einführung der Gesundheitskarte haben wir noch
einiges mehr auf den Weg gebracht, das hier noch einmal erwähnt werden soll: Wir haben den Anspruch von
Flüchtlingen auf Schutzimpfungen eingeführt . Wir haben
die Situation von Traumageschädigten verbessert, Frau
Klein-Schmeink,
({7})
durch Programme zur Förderung von Traumazentren,
aber auch durch die Ermächtigung von mehr Ärzten und
Psychotherapeuten zu ihrer Behandlung .
({8})
Zudem haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass Ärzte, die selbst Asyl hier in Deutschland suchen,
sich rasch an der gesundheitlichen Versorgung in den
Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften
beteiligen können - im Übrigen ein ganz wichtiger Beitrag zur besseren medizinischen Versorgung, weil damit
auch die Sprachbarriere überwunden wird, die ansonsten
ein großes Problem darstellt .
({9})
Schon diese wenigen Beispiele mögen belegen, dass
wir als Große Koalition sehr verantwortlich mit der Aufgabe umgehen, die gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden zu verbessern . Lassen Sie uns doch einfach
gemeinsam an der Umsetzung konkreter und sachgerechter Lösungen weiterarbeiten; denn was wir angesichts der
hohen Zuzugszahlen brauchen, sind Entscheidungen mit
Maß und Ziel und auch so etwas wie humanitärer Pragmatismus .
({10})
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank, Kollegin Baehrens . - Der letzte Redner in dieser Debatte ist Heiko Schmelzle für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Gäste! Ihr Antrag, meine Damen und
Herren von der Fraktion Die Linke, zeichnet ein Zerrbild
der Realität in unserem Land . Ihre Behauptung, Asylbewerbern werde die Möglichkeit auf ein menschenwürdiges Leben in unserer Mitte versagt, weise ich auf das
Entschiedenste zurück .
({0})
Die Realität sieht anders aus: Unzählige Menschen in
Deutschland versuchen im Ehrenamt, aber auch in den
zuständigen Ministerien, Behörden und Ämtern alles,
({1})
um das Leid der bei uns ankommenden Flüchtlinge zu
lindern . Denjenigen, die jeden Tag aufs Neue ihre Solidarität in der Flüchtlingshilfe zeigen, gilt von dieser Stelle
heute mein aufrichtiger Dank .
({2})
Anfang des zurückliegenden Jahres wäre es unvorstellbar gewesen, dass Deutschland mehr als 1 Million
Menschen vorübergehend aufnimmt . Es ist vielleicht
nicht alles perfekt gelaufen; aber es läuft in erstaunlich
geordneten Bahnen . Es gibt kaum ein Land, das so viel
für Flüchtlinge getan hat . Auf das Erreichte können die
Menschen in unserem Land stolz sein . Um es mit den
Worten unseres Bundespräsidenten zu sagen: „Danke
Deutschland!“
({3})
Unser Asylrecht ist ein Gut von unschätzbarem Wert;
denn das deutsche Asylrecht hat durch Artikel 16 a
Grundgesetz Verfassungsrang . Es ist meine persönliche
Überzeugung, dass Deutschland gerade mit Blick auf die
dunkle Seite seiner eigenen Geschichte politisch Verfolgten Schutz bieten muss . Darum darf das Asylrecht aber
kein Schlupfloch für illegale Migration oder die Ausnutzung unserer Sozialsysteme sein .
({4})
Damit kommen wir zum Kern Ihres Antrags . Wer
wie Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Die
Linke, die Behauptung aufstellt, wegen der derzeitigen
Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz bestehe die
Gefahr - ich zitiere -, „dass selbst unaufschiebbare Behandlungen unter Gefahr für Leib und Leben verschleppt
werden“, der setzt sich nicht sachlich mit der Frage nach
Art und Umfang einer angemessenen medizinischen Versorgung für Asylbewerber auseinander .
({5})
Richtig ist, dass Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Deutschland nach 15 Monaten
vollumfänglich die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen können .
({6})
- Ja, aber waren es bis vor kurzem nicht noch 48 Monate? Haben wir nicht gehandelt?
({7})
Wir sind von 48 Monate auf 15 Monate runtergegangen .
Das ist doch auch eine Geste gewesen .
({8})
Im Falle einer akuten Notfallbehandlung im Krankenhaus oder bei Zahnärzten können Krankenhausträger und
Ärzte unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen
ihren Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem jeweiligen Leistungsträger geltend machen .
Ihre Forderung, allen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Berechtigten vom ersten Tag an den Zugang
zu sämtlichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren, wäre ein Konjunkturprogramm für
Schlepperbanden und würde unsere Anstrengungen, die
Zuwanderung aus sicheren Drittstaaten zu reduzieren,
konterkarieren . Vor allem aber würde die Gesellschaft
überfordert . Es würde eine Situation geschaffen, in der
es attraktiv würde, in Deutschland, trotz offenkundiger
Aussichtslosigkeit, Asyl zu beantragen,
({9})
um medizinische Leistungen im Rahmen der GKV in
Anspruch zu nehmen .
({10})
Das ist falsch verstandene Nächstenliebe .
({11})
Der innere Zusammenhalt in Deutschland darf nicht
gefährdet werden . Das wird man aber sicher nicht erreichen, wenn künftig jedermann, egal ob er Leistungsberechtigter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ausländischer Studierender oder ausländischer Rentner, der
seinen Lebensabend in Deutschland verbringen möchte,
ist, Anspruch auf alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung hat .
Meine Damen und Herren, mit Drucksache 18/5370
hatten Sie von der Fraktion Die Linke zur Jahresmitte
2015 bereits einen Antrag mit dem Titel „Medizinische
Versorgung für Asylsuchende und Geduldete diskriminierungsfrei sichern“ gestellt .
({12})
Es hat mich schon erstaunt, dass der heute vorliegende
Antrag fast wortgleich ist . Was ich aber überhaupt nicht
verstehen kann, ist, dass Sie trotz der seitdem extrem gestiegenen Flüchtlingszahlen nach wie vor nicht an der Finanzierbarkeit Ihrer Forderungen zweifeln . Eine Öffnung
sämtlicher Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für jeden, der nach Deutschland kommt, würde
unsere Gesellschaft aus meiner Sicht über kurz oder lang
finanziell überfordern.
({13})
Die Bürgerinnen und Bürger verlangen mit Blick auf die
rasant gestiegenen Flüchtlingszahlen als Gegenleistung
für ihre Solidarität eine Politik mit Augenmaß . Es gilt,
unser Land vor Überforderung zu schützen . Ihr Antrag
wird diesem Anliegen leider nicht gerecht .
({14})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({15})
Vielen Dank, Herr Kollege Schmelzle . - Ich schließe
die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7413 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts ({1})
Drucksachen 18/7318, 18/7417 Nr. 2, 18/7693
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . -
Sind Sie damit einverstanden? - Ich bin mir nicht ganz
sicher, weil es um das Vergaberecht geht . - Sie sind also
einverstanden, dass die Reden zu Protokoll genommen
werden .1)
Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/7693, der Verordnung
der Bundesregierung auf Drucksache 18/7318 zuzustim-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Linken .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2})
zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung -
2030-Agenda konsequent umsetzen
Drucksachen 18/7361, 18/7632 Buchstabe a
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia
Roth ({3}), Dr . Valerie Wilms, Uwe
Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
1) Anlage 17
Nachhaltige Entwicklungsziele in Deutschland konsequent umsetzen
Drucksache 18/7649
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Debatte . Der erste Redner ist Andreas
Jung für die CDU/CSU-Fraktion .
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachhaltige Entwicklungsziele konsequent umsetzen die Überschriften der beiden Anträge der Koalition und
der Grünen sind fast wortgleich . Das zeigt, dass wir hier
bei allem Streit, den wir wahrscheinlich auch in dieser
Debatte haben werden, doch eine große Gemeinsamkeit
haben . Die Gemeinsamkeit hat sich auch darin gezeigt,
dass wir gemeinsam begrüßt haben, dass es in New York
gelungen ist, die SDGs zu vereinbaren . Das ist ein wichtiger Schritt . Wir haben jetzt endlich, nach vielen Jahren, nach Jahrzehnten des Ringens einen Weltzukunftsvertrag mit Nachhaltigkeitszielen, die eben nicht nur für
Entwicklungsländer im klassischen Sinn gelten, sondern
global für alle . Deutschland ist damit im Sinne der SDGs
zum Entwicklungsland geworden . Auch wir müssen uns
entwickeln . Wir können nicht einfach so weitermachen
wie bisher .
({0})
Das eine ist die Freude darüber, dass es in New York
gelungen ist, die SDGs zu vereinbaren; das andere ist,
dass wir in New York auch - ich will den Begriff nennen, obwohl er im letzten Jahr fast Unwort des Jahres
geworden wäre - Hausaufgaben mitgenommen haben .
Was sind diese Hausaufgaben? Wir müssen zeigen, dass
wir unserem Anspruch, Vorreiter bei der Nachhaltigkeit
zu sein, gerecht werden . Das müssen wir durch eine ambitionierte Umsetzung der SDGs zeigen . Dazu gehören
drei Dimensionen .
Erstens geht es um den Prozess . Wir müssen hier einen breiten gesellschaftlichen Dialog anstoßen . Wir müssen eine breite Debatte führen . Wir müssen den Gedanken der Nachhaltigkeit in jede Gemeinde tragen, so wie
es nach der Konferenz in Rio mit der Lokalen Agenda 21
gelungen ist . Wir müssen diesen Prozess neu befeuern .
Das tut die Bundesregierung im Rahmen eines Dialogprozesses . Wenn hinsichtlich der Umsetzung der SDGs
ein Entwurf vorliegt, soll sich jeder online beteiligen
können . Das ist notwendig . So können wir die Menschen
dafür gewinnen . Wir müssen alles tun, um sie dafür zu
begeistern . Jeder soll mitmachen können .
({1})
Zweitens geht es um die Struktur . Wie setzen wir die
17 Ziele und 169 Unterziele um? Ich möchte ganz ausdrücklich dafür plädieren, der Nachhaltigkeitsstrategie
dabei ein besonderes Gewicht beizumessen . Wann immer es geht, müssen wir die Maßnahmen zur Umsetzung
in die Nachhaltigkeitsstrategie integrieren; das sind für
uns die Zehn Gebote für Nachhaltigkeit . Diese Strategie
muss noch viel mehr als im Moment zu einem Instrument werden, an dem sich der Erfolg oder Misserfolg
der jeweiligen Bundesregierung bemisst . Wir müssen die
Nachhaltigkeitsstrategie stärken, indem wir die SDGs
umsetzen und dabei alles, was geht, in die Strategie integrieren .
Drittens geht es selbstverständlich darum, dass wir
die Inhalte konsequent umsetzen . Wenn wir uns die Fortschrittsberichte zur Umsetzung unserer nationalen Strategie, die es in der Vergangenheit immer wieder gegeben
hat, anschauen, dann erkennen wir, dass wir in Deutschland bei vielem gut und bei manchem Vorreiter sind; aber
wir haben in anderen Bereichen auch noch Aufholbedarf .
Ich will in der verbleibenden Zeit einige Punkte ansprechen, die ich für besonders wichtig halte .
Nach New York wird unsere Glaubwürdigkeit auch daran bemessen, dass wir die Dinge, die angekündigt sind,
im Rahmen unseres Engagements in der internationalen
Entwicklungshilfe einlösen . Da kommt dem vor langem
gemachten Versprechen, 0,7 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben, also
die ODA-Quote zu erfüllen, zentrale Bedeutung zu . Die
Kanzlerin und die Bundesregierung haben angekündigt,
das zu tun . Wir müssen das jetzt umsetzen, mit einem
ganz konkreten Stufenplan, der aufzeigt, wie wir das in
den nächsten Jahren erreichen können .
({2})
Ich will zweitens den Bereich „nachhaltiger Konsum
und nachhaltige Lieferketten“ ansprechen . Wir müssen
uns darüber klar sein, dass das, was wir hier tun - ob
es das Einkaufen von Kleidung ist, ob es der Konsum
von Schokolade oder Kakao ist -, Auswirkungen auf die
Bedingungen der Menschen in den Entwicklungsländern
hat und damit auf die Frage, ob sie in ihren Herkunftsländern Perspektiven und Chancen haben . Wir müssen zum
Beispiel in den Gesprächen mit dem Textilbündnis oder
mit dem Forum Nachhaltiger Kakao vorankommen und
damit unserer Verantwortung gerecht werden, nicht nur
für Nachhaltigkeit in Deutschland, sondern für internationale Nachhaltigkeit .
Das sind zwei Bereiche, die ich in der kurzen Zeit ansprechen konnte . Es gilt aber, mit demselben Nachdruck
alle Ziele, die in der Strategie verankert sind, umzusetzen . Dabei wird der Bundestag eine ganz entscheidende
Rolle spielen .
Herzlichen Dank .
({3})
Vizepräsidentin Claudia Roth
Vielen Dank, Andreas Jung . Ich bedanke mich bei
dem Vorsitzenden unseres Parlamentarischen Beirats für
nachhaltige Entwicklung . Den gibt es in keinem anderen Parlament dieser Welt; den haben nur wir . Ich hoffe,
dass dieser Beirat zukünftig noch mehr Kompetenzen
bekommt und dass Sie Ihre Arbeit über alle Fraktionen
hinweg sehr engagiert fortführen können . Es sind ja Kollegen aus allen Fraktionen sehr aktiv dabei .
({0})
Die nächste Rednerin in der Debatte: Heike Hänsel für
Die Linke .
({1})
Frau Präsidentin! Guten Abend, meine Kolleginnen
und Kollegen! Herr Jung, Sie haben gerade die Titel der
vorliegenden Anträge genannt . Es gibt dabei aber einen
kleinen entscheidenden Unterschied . Zum einen geht es
um die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele .
Zum anderen geht es um die Umsetzung der nachhaltigen
Entwicklungsziele in Deutschland . Das Entscheidende
ist doch, dass bei den Vereinten Nationen erstmalig eine
internationale Entwicklungsagenda verabschiedet wurde, die alle Länder gleichermaßen verpflichtet, die Ziele
umzusetzen . Davon ist in Ihrem Antrag leider herzlich
wenig zu sehen, und das ist das Problem .
({0})
Sie legen einen Antrag vor, der sich allgemein mit
den SDGs beschäftigt, und machen ein paar Vorschläge
dazu . Aber entscheidend ist doch, dass endlich für alle
Politikbereiche in Deutschland formuliert wird, was es
hieße, nachhaltige Entwicklung zu betreiben . Hier hört
man herzlich wenig von Ihnen . Es kann doch nicht sein,
dass Sie weiter so verfahren: Wir haben einerseits schöne
SDG-Anträge; aber was die Agrarpolitik angeht, wollen
Sie weiterhin die Agrarbetriebe finanzieren. Die Subventionen laufen weiter . - Es braucht endlich eine Kehrtwende, wenn Sie ernsthaft nachhaltige Entwicklungsziele
umsetzen wollen . Das betrifft auch viele andere Bereiche .
({1})
Es gibt ein großes Überziel bei den Vereinten Nationen, nämlich den Kampf gegen die soziale Ungleichheit .
Darauf möchte ich mich konzentrieren . Dazu steht in Ihrem Antrag eigentlich gar nichts . Auch in Deutschland
ist die soziale Ungleichheit in den letzten Jahren massiv
angestiegen . Oxfam hat Anfang des Jahres neue Zahlen
veröffentlicht, die darlegen, dass die oberen 10 Prozent
der Haushalte in Deutschland mittlerweile über 52 Prozent des Vermögens verfügen und umgekehrt die unteren 50 Prozent der Haushalte gerade noch über 1 Prozent
des Vermögens . Ich kann Ihnen auch eine Zahl des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nennen: 12,5 Millionen
Menschen in Deutschland gelten als einkommensarm .
Damit kann man sich doch nicht abfinden.
({2})
Wir brauchen eine Politik, die diese soziale Ungleichheit
bekämpft . Aber Sie thematisieren sie nicht einmal .
Wir haben viele Vorschläge gemacht . Der erste ist,
endlich an den enormen Reichtum heranzugehen, den es
in diesem Land gibt . Auch hierzu liegen Zahlen vor . Wir
haben in Deutschland mittlerweile Millionäre und Milliardäre wie Sand am Meer; wir stehen hier weltweit an
dritter Stelle .
({3})
Deshalb: Wer von nachhaltigen Entwicklungszielen
spricht, kann über die soziale Umverteilung des Reichtums nicht schweigen . Das sind zwei Seiten einer Medaille .
({4})
Das betrifft zweitens auch den Kampf gegen die globale Ungleichheit . Auch hier haben wir eine massive
Konzentration von Reichtum, wenn 62 Menschen weltweit über so viel Einkommen verfügen wie 3,5 Milliarden Menschen . Das ist die schreiende Ungerechtigkeit .
Das sind die großen Herausforderungen, mit denen wir
alle konfrontiert sind . Aber auch davon ist in Ihrem
Antrag nichts zu lesen . Dabei könnten Sie einen ganz
konkreten Beitrag leisten, indem Sie endlich Initiativen
unterstützen würden, die die massive, organisierte Steuervermeidung und Steuerflucht der multinationalen Konzerne, viele mit Sitz in Europa, bekämpfen . Sie könnten
eine Initiative der Länder des Südens unterstützen, die
eine bei den Vereinten Nationen angesiedelte internationale Steuerbehörde wollen, um endlich zu mehr Kontrolle und sozialer Gerechtigkeit zu kommen .
({5})
200 Milliarden Euro gehen den Ländern des Südens so
pro Jahr verloren . Damit könnten sie Armut bekämpfen,
sie könnten eine selbstständige ökonomische Entwicklung fördern, sie könnten eine Energiewende fördern, sie
hätten viel Geld zur Verfügung . Aber wer hat dagegengestimmt? Es war die Bundesregierung, die diese wichtige Initiative abgelehnt hat . Machen Sie erst einmal Ihre
Hausaufgaben! Unterstützen Sie lieber solche Initiativen,
bevor Sie solche schwachen Anträge schreiben!
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Hänsel . - Mit Zustimmung aller Fraktionen gibt Stefan Rebmann aus persönlichen Gründen seine Rede heute zu Protokoll .
Ich rufe den nächsten Redner auf . Das ist Uwe
Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute zum zweiten Mal über die Nachhaltigkeitsagenda, zum zweiten Mal zu später Stunde und
dann auch nur 30 Minuten . Ich habe den Eindruck, die
Koalition will dieses Thema nicht wirklich intensiv diskutieren, obwohl Sie genau wissen, dass die SDGs in ihrer Bedeutung durchaus mit der Paris-Agenda auf einer
Ebene liegen . Beide Verträge müssen sich ergänzen . Sie
wissen auch, dass in beiden Verträgen Schicksalsfragen
der Menschheit adressieren werden .
({0})
SDGs können nur erfolgreich werden, wenn die Gesellschaft breit darüber diskutiert . Aber Sie glauben, sich
wegducken zu können . Sie stehlen sich aus der Verantwortung, weil Sie Angst haben, die Botschaft der Nachhaltigkeitsagenda mit den Menschen zu diskutieren .
Noch mehr Angst haben Sie davor, eine konkrete Politik
hierfür zu entwickeln; denn Sie wissen, dass Sie Ihre Politik in vielen Fällen radikal verändern müssten .
({1})
Kollege Kekeritz, sind Sie einverstanden mit einer
Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Pfeiffer?
Aber sicher doch .
Herr Kollege Kekeritz, es tut mir leid, ich muss jetzt
einmal nachfragen . Sie behaupten hier Dinge, die Sie
überhaupt nicht behaupten können, weil Sie nämlich die
Rede unseres Kollegen Andreas Jung gar nicht gehört
haben .
({0})
Jetzt frage ich Sie: Wie können Sie behaupten, was wir
alles nicht tun, obwohl Kollege Jung genau erklärt hat,
wie es zu machen ist, wie wir die SDGs umsetzen .
({1})
Deshalb frage ich mich, worauf Sie sich jetzt eigentlich
beziehen .
({2})
Frau Kollegin Pfeiffer, es tut mir leid, dass ich die
Rede nicht gehört habe . Ich werde sie selbstverständlich
intensiv lesen .
({0})
Aber eines müsste uns beiden doch klar sein: An den Taten wollen wir Sie messen, nicht an den Worten .
({1})
Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Zum zweiten
Mal besprechen wir zwischen acht und neun Uhr abends
dieses hochwichtige Thema . Ich kann nur betonen: Die
SDGs haben allerhöchste Priorität; die sollten sie zumindest haben .
({2})
- Ja, ja . Freuen Sie sich darüber, dass ich nicht da war,
wenn es Ihnen weiterhilft, und genießen Sie noch den
Abend .
Ihrer Angst entsprechend legen Sie einen windelweichen Antrag vor; Kollegin Hänsel hat es angesprochen .
Er ist bezeichnend für die mutlose und für die - das
kann ich Ihnen auch sagen, Frau Kollegin Pfeiffer - an
Arbeitsverweigerung grenzende Politik der Großen Koalition . Die CDU/CSU-Fraktion scheint die Nachhaltigkeitsziele überhaupt nicht ernst zu nehmen . Das ist kein
Wunder; denn gerade Sie, Frau Kollegin Pfeiffer, die entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion, zweifeln
die Programmatik der SDGs ja immer wieder öffentlich
an und lassen daran im Prinzip nicht viel Positives . Ich
kann Ihnen sagen, dass dieser Antrag in unserer langen
gemeinsamen Chronik der Meinungsverschiedenheiten
einen neuen Höhepunkt darstellt .
Liebe SPD, arbeiten Sie an diesen Anträgen eigentlich
noch mit, oder setzen Sie Ihr Servus inzwischen unter jedes Text gewordene Nichts, das Ihnen Ihr Koalitionspartner auf den Tisch legt? In Ihrem Antrag steht nichts von
der notwendigen Koordinierung der SDGs mit den Beschlüssen von Paris . Ich lese nichts über die Einbindung
der Zivilgesellschaft . Nicht einmal die Information der
Bevölkerung hat es in Ihren Antrag geschafft . Außerdem
verlieren Sie keine Silbe über unsere Verantwortung, sagen nichts über unsere Produktions- und Lebensweise,
nichts über unseren Konsum, der endlich nachhaltig werden muss .
Wir müssen uns endlich positiv entwickeln . Deutschland ist Entwicklungsland . Noch ist Deutschland Weltmeister in der Kohleverstromung und ein bedrohlicher
Luftverschmutzer, führend im Fleisch- und im Textilverbrauch, und die Grundwasserbelastung hat uns ein
EU-Vertragsverletzungsverfahren eingebracht . Der Saubermann, der Musterknabe Deutschland existiert seit
zehn Jahren nicht mehr .
({3})
Bis vor kurzem waren die wirklichen ökologischen,
menschlichen und klimatischen Probleme ganz, ganz
weit weg . Da konnte man sie wirklich wunderbar ignoVizepräsidentin Claudia Roth
rieren . Heute sind die klimatischen Auswirkungen hier in
Deutschland ganz konkret zu spüren . Auch das Elend ist
massiv zu uns gekommen . Und die Koalition reagiert darauf mit einer politischen Verhaltensstarre und Abwehrstrategien .
({4})
Deutschland muss Vorreiter bei der Umsetzung
der SDGs werden . Wir müssen die Bevölkerung, aber
auch die Staatengemeinschaft mitziehen . Dafür ist der
G-20-Gipfel im nächsten Jahr eine hervorragende Gelegenheit .
({5})
Ich bin gespannt, ob Sie diese Gelegenheit tatsächlich
nutzen werden . Wir brauchen schlüssige Umsetzungsstrategien, auf nationaler wie auf europäischer Ebene,
und endlich eine kohärente, ressortübergreifende Zusammenarbeit der Ministerien . Das gesamte Regierungshandeln muss einem Menschenrechts- und Nachhaltigkeits-TÜV unterzogen werden . All das scheitert, weil Sie
Ihre Aufgaben als Parlamentarier einfach nicht ernst nehmen und sich lieber in Regierungslobhudeleien ergehen
und wachsweiche Anträge formulieren .
({6})
- Herr Zech, freuen Sie sich doch, dass ich zu spät gekommen bin .
Eigentlich wollte ich jetzt noch den Kollegen Rebmann
ansprechen .
Nein, das geht nicht mehr - eigentlich .
Das geht nicht mehr . Nichtsdestotrotz, Frau Präsidentin, möchte ich dem Kollegen Rebmann zu seiner neuen Aufgabe als entwicklungspolitischer Sprecher der
SPD-Fraktion herzlich gratulieren . Ich hoffe, dass er
kraftvoll und mit sehr viel Mut vor allem die CDU unter
Kontrolle bringt .
Danke schön .
({0})
Vielen Dank, Kollege Kekeritz . - Das mit der Leiche
hoffen wir aber nicht, was ich da gerade gehört habe .
({0})
- Gut . - Der letzte Redner in dieser Debatte: Peter Stein
für die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Werter Kollege Kekeritz, wer zu
spät kommt, den bestraft die Rede .
({0})
Um das zu beweisen, gehe ich auf Ihre Formulierung
„Text gewordenes Nichts“ und den Vorwurf der Nichteinbindung der Bevölkerung ein . Ich möchte nur einen
Satz aus dem Antrag vorlesen - vielleicht haben Sie ihn
ja gar nicht gelesen; zuhören konnten Sie schon nicht -:
({1})
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf . . .
- Punkt 2 das Parlament und die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der 2030-Agenda zu beteiligen, um auch
die Akzeptanz . . . bei der Bevölkerung zu steigern .
Das ist im Grunde der Beleg dafür, dass die Hälfte Ihrer
Rede Blabla und Geblubber gewesen ist .
({2})
Liebe Kollegen, die Verabschiedung der globalen Ziele,
SDGs genannt, im letzten Jahr war ein Meilenstein . Es
ist dabei nämlich nicht nur gelungen, die erfolgreichen
Millenniumsziele weiterzuentwickeln, sondern es ist
erstmalig auch gelungen, dass jeder Staat der Welt angesprochen worden ist, egal ob Industrie- oder Entwicklungsland . Damit betrifft das in letzter Konsequenz einen
jeden von uns . Insofern waren die Ergebnisse von New
York, des dritten Gipfels des Jahres 2015, eine Vorlage
für den vierten Gipfel, den Klimagipfel in Paris . Ich will
daher auf die internationale, die globale Verantwortung
eingehen, welche das SDG-Abkommen mit sich gebracht
hat .
Mit Blick auf die noch in der Entwicklung befindlichen Teile der Welt, die Staaten, die sich noch in der
Entwicklung befinden, nennt der Antrag der Koalition
die wichtigsten Aspekte und nimmt sie in unsere Verantwortung . Eine solide Finanzierung ist die Basis unserer
entwicklungspolitischen Vorgaben und unserer Vorhaben
und ist unerlässlich für die erfolgreiche Umsetzung .
({3})
Unser Antrag, der Antrag der Koalition, Herr Kekeritz,
enthält alle Details . Lesen, wie gesagt, bildet .
Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass die
Mittel für entwicklungspolitische Maßnahmen deutlich
aufgewachsen sind; das wissen auch Sie . Sie haben sich
mehr als verdoppelt . Das freut natürlich nicht nur uns
Entwicklungspolitiker, sondern das betrifft auch die anderen Ressorts, die sich daran beteiligen . Wir sehen ja
gerade, wie wichtig es ist, dass es auch ressortübergreiUwe Kekeritz
fendes Handeln gibt; dafür steht die Koalition . Denn die
globale Verantwortung schlägt gerade in diesen Tagen
in Wellen an die Küsten des europäischen Südens, der
südlichen EU-Mitgliedstaaten . Die Europäische Union
bleibt hier derzeit vieles schuldig . Wir möchten, dass sich
Deutschland nicht unter den Schuldigen befindet.
Im Weiteren weist der Antrag auf die Lage der Menschenrechte hin, entlang von Produktionsketten beispielsweise . Aufgeführt sind die ILO-Kernarbeitsnormen, die
Verantwortung, die wir mit Blick auf die biologische
Vielfalt haben, und die Bedeutung der kontinuierlichen
Evaluierung und Anpassung der Maßnahmenkataloge
für die Erreichung der gesteckten Ziele . Diese Liste ließe sich beliebig erweitern . Es ist richtig, dass nicht alles
im Antrag drinsteht; denn das alles ist schon beschlossen
worden .
Die Eigenschaften, die sich aus den SDGs ergeben,
teilen sich übrigens mit einem anderen wichtigen Thema .
Die große Konferenz hierzu liegt als fünfter Gipfel noch
vor uns. Ihr Gelingen wird enormen Einfluss auf das Gelingen oder auch das Scheitern des globalen Nachhaltigkeitsprozesses haben . Ich meine die Habitat-III-Konferenz in Quito im Oktober dieses Jahres . Habitat III wird
als erste Weltkonferenz nach der Verabschiedung der
Agenda 2030 stattfinden. Sie wird - so würde ich es bezeichnen - der erste Gradmesser dafür sein, ob wir bereit
sind, das, was wir dort beschlossen haben, auch konsequent umzusetzen .
In New York hat die Urbanisierung diesbezüglich ein
eigenes SDG bekommen . In Ziel 11 wird die nachhaltige Stadt beschrieben . Bei genauerem Hinsehen offenbart
sich, jedenfalls für mich, dass auch das Ziel 4, die höhere
Bildung, und das Ziel 9, bei dem es um Infrastruktur und
Innovationen geht, stark auf das Thema „Stadtentwicklung und Urbanisierung“ abheben .
Nach und nach wird klar, dass die meisten Ziele überwiegend, zumindest aber teilweise, die urbanen Räume
und die urbane Entwicklung tangieren werden, gerade
auch solche Themen wie Ernährung und Gesundheit .
Ein Beispiel dafür ist der enorme Anteil - derzeit rund
70 Prozent -, den die Städte am globalen Energieverbrauch und damit auch an den Treibhausgasemissionen
haben . Damit eröffnet sich im urbanen Raum das größte
Steuerungs- und Effizienz- bzw. Einsparpotenzial. Das
erklärt seinen möglichen signifikanten Einfluss auf die
globalen Nachhaltigkeitsbemühungen und deren Erfolge .
({4})
Ich fordere an dieser Stelle - ich nutze diese Gelegenheit ausdrücklich dazu -, dass wir uns in Quito stark engagieren, nicht unbedingt zwingend aus einer Begeisterung für die urbanen Themen heraus, sondern weil unser
Engagement dort für die Umsetzung der SGDs absolut
entscheidend ist . International ist das nämlich der nächstmögliche Termin und Ort, um unserer globalen Verantwortung für nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit
gerecht zu werden .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Kollege Stein . - Damit schließe ich die
Aussprache .1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
auf Drucksache 18/7632. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD auf Drucksache 18/7361 mit dem Titel „UN-Ziele
für nachhaltige Entwicklung - 2030-Agenda konsequent
umsetzen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt
haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat das
Bündnis 90/Die Grünen . Enthalten hat sich die Linke .
Tagesordnungspunkt 18 b . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7649 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe am Ende unserer heutigen Tagesordnung den
Zusatzpunkt 3 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Düngegesetzes und anderer
Vorschriften
Drucksache 18/7557
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({0})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Waldemar
Westermayer für die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf den Tribü-
nen! Wir diskutieren heute die Novellierung des Dünge-
gesetzes . Ich möchte gleich zu Beginn klarstellen, dass
Wirtschaftsdünger kein Abfall ist, sondern eine wertvolle
Energiequelle für Pflanzen darstellt. Eine optimierte Nut-
zung des Wirtschaftsdüngers ist somit ein wesentliches
Element in dem Bestreben, die Ernährung der Weltbe-
völkerung zu sichern, nämlich durch höhere Erträge bei
einem geringeren Rohstoffverbrauch .
In Bezug auf die Neuregelung sollten wir uns alle über
die Zielsetzung einig sein . Es geht um einen tragfähigen
Ausgleich zwischen einer pflanzenbedarfsgerechten
Düngung und der Erreichung unserer Umweltziele . Der
Schutz von Boden, Gewässern und Klima liegt dabei im
originären Interesse von uns allen . Deshalb haben wir in
Deutschland im Wasser- und Bodenrecht bereits ein ho-
1) Anlage 18
hes Regelungs- und Schutzniveau . Dieses hohe Niveau
schlägt sich auch in einem Bericht des Bundesamtes nieder, das im letzten Jahr dem Grundwasser überwiegend
Trinkwasserqualität bescheinigt hat . Auch werden die
strengen Grenzwerte für Nitrat in über 85 Prozent der
Grundwasserkörper eingehalten .
Trotzdem ist für uns klar, dass wir den vorhandenen
Überschreitungen bei einem Teil der Messstellen entgegenwirken müssen . Um diese Einträge ins Grundwasser
zu vermeiden, müssen wir die Vorschriften über die Düngung anpassen . Gerade in Gebieten mit belasteten Wasserkörpern hat die Reduzierung des Eintrags von Nitrat
eine hohe Priorität .
Dieser Problematik stellen wir uns; denn mit dem
vorliegenden Entwurf werden die Anforderungen an die
Düngung in Deutschland verschärft . Die neuen Regeln
für die Ausbringung von Wirtschaftsdünger, die verkürzten Ausbringungszeiten und die verringerten Ausbringungsmengen verlangen von unseren Betrieben ein
hohes Maß an Anpassungsfähigkeit . Auch die erhöhten
Anforderungen an die Ausbringungstechnik im Hinblick
auf deren Emissionen stellen für die Landwirte eine Herausforderung dar, wobei die Erfahrungen in den Niederlanden zeigen, dass die neue Technik für das Bodenleben
nicht immer förderlich ist .
Erwähnen möchte ich auch, dass die Novelle keine
Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau hat . Das
heißt nichts anderes - auch das gilt es anzusprechen -, als
dass die Kosten bei der Landwirtschaft hängen bleiben .
Dies bewirkt einen zusätzlichen Wettbewerbsnachteil für
unsere Landwirtschaft, auch im Hinblick auf verstärkte
Importe zum Beispiel von Rindfleisch aus Argentinien.
Bereits in der Vergangenheit hat die Landwirtschaft
ihren Beitrag zur Verminderung von Nährstoffverlusten geleistet . So konnten die Stickstoffüberschüsse in
der Flächenbilanz seit Anfang der 90er-Jahre um über
25 Prozent gesenkt werden . Gleichzeitig stieg im gleichen Zeitraum der Ertrag zum Beispiel von Weizen um
20 Prozent . Gerade im Hinblick auf die Hoftorbilanz
stellt sich deshalb schon die Frage, ob wir nicht besser
den etablierten Nährstoffvergleich weiterentwickeln sollten und damit den Anforderungen aus der Nitratrichtlinie
gerecht werden können .
({0})
Zusammengefasst: Wir brauchen praktikable Lösungen, die die Fruchtbarkeit unserer Böden erhalten und die
es gleichzeitig erlauben, eine ausreichende Nährstoffversorgung unserer Pflanzen mit Wirtschaftsdünger zu gewährleisten, und helfen, Handelsdünger einzusparen .
({1})
Abschließend möchte ich festhalten, dass der vorliegende Entwurf diese umsetzbaren Lösungen enthält .
Der Entwurf entwickelt die gute fachliche Praxis, die
wir haben, weiter und erfüllt die Anforderungen der
Nitratrichtlinie und des Nitratberichts aus 2012 . Durch
die Neuregelungen wird außerdem die Wirksamkeit des
Nationalen Aktionsprogramms zur Umsetzung der Richtlinie gewährleistet . Aus meiner Sicht haben wir einen guten, austarierten Kompromiss erarbeitet, der für die Düngung in Deutschland in Zukunft ein solides Fundament
garantiert .
Zum Schluss möchte ich auch noch betonen, dass wir
jetzt alle miteinander endlich zum Abschluss kommen
müssen. Ich möchte nicht, dass Deutschland offiziell von
der Europäischen Kommission verklagt wird .
({2})
Diese Peinlichkeit sollten wir uns ersparen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank, Kollege Westermayer . - Nächste Rednerin: Dr . Kirsten Tackmann für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Ja, es gibt wirklich Diskussionen, die so
lange dauern, dass man am Ende eigentlich froh ist, dass
wenigstens irgendwie entschieden wird . Wenn das das
Ziel der Koalition war, dann hat sie das wirklich erreicht .
Die Nitratbelastung im Grundwasser und in den Gewässern ist im Zeitraum der Debatten aber weiter gestiegen .
Das ist ein Problem für das Trinkwasser und für die Natur .
Bereits seit August 2013 liegen die gemeinsamen
Handlungsempfehlungen der drei Beratergremien des
Bundesagrarministeriums vor, und es geschieht nicht
oft, dass sich diese drei gemeinsam äußern . Bereits seit
Oktober 2013 läuft ein Vertragsverletzungsverfahren der
EU-Kommission gegen Deutschland . Unterdessen droht
sogar eine Klage vor dem EuGH. Ich finde, das ist eine
dunkelorange Karte für den selbsternannten Saubermann
und Musterschüler im Umwelt- und Klimaschutz .
({0})
Das kann nicht nur teuer werden, sondern ich finde, das
ist einfach nur peinlich .
Wir brauchen also endlich Regelungen, die der Nitratrichtlinie entsprechen - das ist überfällig -; denn das
Hickhack hat auch dazu geführt, dass die Betriebe sehr
verunsichert sind . Sie brauchen jetzt dringend Rechtssicherheit,
({1})
und die Neuregelungen müssen zumindest eine gewisse
Zeit lang Bestand haben, das heißt, sie müssen zu einer
deutlichen Nitratreduktion führen .
Halbherzigkeiten, auch wenn sie gut gemeint sind, werden sich schnell als vergiftetes Geschenk erweisen . Also
Hände weg davon, auch wenn es angesichts der großen
wirtschaftlichen Schwierigkeiten in vielen Betrieben
auch mir schwerfällt, weitere Belastungen zu beschließen . Die hohe Nitratbelastung im Grund- und in den
Oberflächengewässern lässt uns aber keine andere Wahl.
Rund ein Viertel aller deutschen Trinkwasserreservoirs gilt als zu stark nitratbelastet . Dabei geht es einerseits eben um historische Lasten . Nitratsünden werden
über 40 Jahre und länger vererbt . Andererseits geht es
hier auch um aktuell zu hohe Einträge, weil mehr gedüngt wird, als die Pflanzen aufnehmen können, und
der Überschuss gelangt dann nicht nur ins Grundwasser,
sondern über die Bäche und Flüsse letztlich auch in die
Nord- und in die Ostsee . Das schadet der Natur und übrigens auch dem Geldbeutel der Agrarbetriebe . Deswegen
ist fachgerechtes Düngen eigentlich unser aller Anliegen .
({2})
Dazu braucht man viel Wissen und gute Ortskenntnisse . Das spricht übrigens auch gegen ferngesteuerte Agrarunternehmen . Als Gesetzgeber müssen wir wirklich
sichern, dass überall richtig gehandelt wird . Schließlich
geht es hier um die öffentlichen Schutzgüter Wasser und
Boden .
Der heute eingebrachte Entwurf des Düngegesetzes
ist eine wichtige Weichenstellung, ja, Hauptinstrument
ist aber eigentlich die Düngeverordnung, die hier im
Parlament gar nicht behandelt wird . Deren Entwurf liegt
unterdessen in Brüssel zur Prüfung, und ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob sie den Ansprüchen Zielgenauigkeit, Angemessenheit und Praktikabilität wirklich
genügt .
Ich muss ehrlich sagen: Der Nachbesserungsbedarf,
den uns gerade auch die drei Beratungsgremien des
BMEL noch einmal verdeutlicht haben, macht mich ein
bisschen nervös . Es wäre wirklich ein Desaster für alle,
wenn der Entwurf durchfällt . Angesichts dessen bin ich
eigentlich schon froh, dass wenigstens im Gesetzentwurf Richtiges steht, zum Beispiel die Hoftorbilanz für
die Nährstoffe eines Betriebes . Das hatten auch die drei
Beratergremien empfohlen . Allerdings ist ihre Ausgestaltung noch offen .
({3})
Deswegen will ich lieber noch nicht so viel loben .
Der Bundesrat hat auch noch einige Verbesserungen vorgelegt, die wir durchaus teilen . Die Erweiterung
beim Zweck „Bodenschutz“ um das Schutzgut „Wasser“
macht Sinn, und beim Düngedeckel sollten die Standortbedingungen und die Vorbelastungen durchaus berücksichtigt werden . Auch die Erhöhung des Strafrahmens
von 50 000 Euro auf 200 000 Euro ist aus unserer Sicht
absolut richtig .
Das eigentliche Problem bei der Düngung ist aber, dass
es genau darum oftmals gar nicht geht, sondern eben um
die Entsorgung von Gülle . Ein Blick auf die Karte der
Nitratbelastung im Grundwasser zeigt das: Die Problemzonen sind eben die viehdichten Regionen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein .
41 Prozent der Grundwasserkörper in Niedersachsen waren 2014 nicht als Trinkwasser geeignet, nicht nur, aber
eben auch, weil zu viel Gülle auf zu wenig Fläche trifft .
Auch dieses Problem müssen wir lösen, und zwar nicht
durch Gülleentsorgung in Ostdeutschland, sondern durch
Anpassung der regionalen Viehdichte an die verfügbare
Fläche .
({4})
Dabei geht es mir eben nicht nur um die Vermeidung des
Ärgers mit Brüssel, sondern mir geht es auch um die Vermeidung des Ärgers unserer Enkel .
Deswegen ist hier viel Ehrgeiz gefragt . Einige Fragen sind offen . Diese werden wir in der Anhörung am
14 . März dieses Jahres weiter diskutieren . Aber für
Schattenboxen haben wir jedenfalls keine Zeit mehr .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank, Kollegin Tackmann . - Der nächste Redner ist Dr . Wilhelm Priesmeier für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich setze
in der Koalition auf den konstruktiven Dialog . Aber spätestens seit 1991 wissen wir ja alle, dass wir die europäische Nitratrichtlinie umzusetzen haben . Damals war Frau
Merkel Umweltministerin, heute ist sie Kanzlerin . Daran
kann man ermessen, wie lange der Zeitraum ist, bevor
eine Richtlinie effizient greift.
Die Vorgaben hätten wir 2013 erfüllen müssen, das
haben wir nicht gemacht . Auch die europäische Wasserrahmenrichtlinie hätten wir 2015 erfüllen müssen .
Ob wir sie erfüllt haben, wissen wir zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch nicht ganz genau . Wir müssen natürlich
auch sehen, dass wir als SPD auf die Dringlichkeit dieser Frage schon in unserem Antrag vom 26 . Juni 2012
hingewiesen haben und verschiedene Dinge eingefordert
haben .
Eine Forderung war, die Stickstoffüberschüsse auf
50 Kilogramm pro Hektar pro Jahr zu begrenzen und die
Stickstoffbilanz anhand einer Hoftorbilanz vorzunehmen . Eine weitere Forderung war, die Düngeverordnung
konsequent zu kontrollieren und wirksame Sanktionen
vorzusehen . Das erreichen wir jetzt unter anderem mit
den Vorschlägen, die seitens des Bundesrates mit der Erhöhung des Sanktionsrahmens gemacht werden .
({0})
Eine weitere Forderung war die Umsetzung . Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat natürlich
nicht gehandelt, sondern sie hat das Problem in die Zukunft verschoben, obwohl wir die Umsetzung angemahnt
haben . Seit 2013 läuft jetzt das Vertragsverletzungsverfahren wegen der unzureichenden Umsetzung . Auch im
Hinblick auf die Wasserrahmenrichtlinie gibt es bereits
eine Pilotanfrage . Ich befürchte, dass ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren die Konsequenz sein könnte .
Auch im Hinblick auf die NEC-Richtlinie ist absehbar,
dass wir diese ohne weitere gesetzliche Rahmenbedingungen, die wir zu schaffen haben, vermutlich nicht werden umsetzen können .
({1})
Das zentrale Element der Umsetzung dieser drei
Richtlinien sind das Düngerecht und auch die Düngeverordnung, sie basiert auf dem Düngegesetz . In wenigen Tagen werden wir erfahren, ob die jetzt vorliegende
Düngeverordnung ausreichend ist oder nicht . Aber wir
sollten nicht erst warten, bis wir flächendeckend und
überall 50 Milligramm Nitrat im Trinkwasser vorfinden.
Die zusätzlichen Kosten für sauberes Trinkwasser darf
am Ende nicht der Verbraucher und soll auch nicht die
Allgemeinheit bezahlen .
Am Beispiel von Niedersachsen möchte ich die hohe
Viehdichte beschreiben: 1 500 Biogasanlagen, 60 Millionen Tonnen Gülle, also 7,7 Tonnen pro Einwohner . Das
sind die Bilanzen, die wir in ganz Niedersachsen vorzuzeigen haben . Dazu kommt noch ein grenzüberschreitender Gülleimport aus den Niederlanden . Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, eine flächengebundene
Nutztierhaltung anzustreben . Wir sollten uns daranmachen, das konsequent umzusetzen; denn nur durch die
Bindung der Tierhaltung an die landwirtschaftliche Fläche erreichen wir, dass regionale Nährstoffkreisläufe
wieder funktionieren .
({2})
Um Stickstoff- und Phosphatüberschüsse in den Griff zu
bekommen - und nicht nur aus diesem Grunde - müssen
wir zumindest versuchen, das Problem zeitnah zu lösen .
Wenn ich davon ausgehe, wie viel Phosphat zum Beispiel ausgebracht wird - ein weiteres Problem, das wir
mit der jetzigen Düngeverordnung nicht entscheidend
angehen -, fehlen uns, wenn man nur das ersetzt, was die
Pflanzen dem Boden entziehen, so wie es in Niedersachsen ordnungsgemäß normalerweise sein sollte, allein in
der Weser-Ems-Region circa 450 000 Hektar Fläche . Die
gesamte niedersächsische Landwirtschaftsfläche reicht
nicht aus, um alle Nährstoffe bedarfsgerecht zu verteilen .
Das macht deutlich, wie drängend das Problem ist .
Wir haben uns verpflichtet, die Einleitung von
Phosphaten in die Nord- und Ostsee bis 2030 um 70 Prozent zu reduzieren . Auch das macht deutlich, wie groß
der Handlungsbedarf ist . Darüber hinaus reichen die Vorräte vermutlich nur noch 60 bis 100 Jahre . Phosphat ist
aber ein ganz wichtiger Rohstoff für unsere Welternährung, und wir sollten damit sparsam umgehen .
Für uns ist dabei in der weiteren Umsetzung neben der
Düngeverordnung die Hoftorbilanz das entscheidende,
zentrale Instrument, um gerade in den roten Gebieten auf
der Landkarte das Problem in den Griff zu bekommen .
Bei der Hoftorbilanz werden der Stickstoffeintrag in den
Bestand oder in den Betrieb, zum Beispiel durch Zufuhr
von Dünger, wie auch der Stickstoffaustrag erfasst .
Diese Bilanzierung - vereinfacht Flächenbilanz bzw .
Feld-Stall-Bilanz, was auch vielfach diskutiert wird - ist
in Summe die Hoftorbilanz . Sie ist wesentlich genauer
als alle Schätzverfahren und weiteren Verfahren, die wir
sonst kennen und die viele Gestaltungsspielräume enthalten .
({3})
- Manchmal geht es nicht ganz ohne Bürokratie, aber mit
ein bisschen Datenverarbeitung und IT geht es garantiert,
und dann wird es vielleicht auch einfacher, als wenn ich
es mit der Hand nach dem alten Schätzverfahren berechnen muss, Herr Kollege . Das sollten Sie zur Kenntnis
nehmen .
({4})
Im Dezember 2014 haben wir in der Koalition klar
vereinbart, dass die Rechtsgrundlagen für die Einführung
einer Hoftorbilanz geschaffen werden . Deshalb kann ich
es mitnichten nachvollziehen, dass wir erst 14 Monate
später ein entsprechendes Gremium zusammenrufen,
das sich damit beschäftigt, wie die Voraussetzungen für
die Hoftorbilanz in eine Verordnung zu bringen sind . Ich
glaube, da kann man wesentlich schneller sein . Das kann
man auch besser machen .
Ich erwarte jetzt im weiteren Fortgang für das Gesetzgebungsverfahren - davon sind viele Dinge abhängig -,
dass es einen klaren, nachvollziehbaren Zeitplan gibt,
wann die Hoftorbilanz im Rahmen einer Verordnung
verabschiedet werden kann und wann sie in Kraft tritt .
Ich hoffe, dass das zum 1 . Januar 2018 der Fall sein wird .
Was die Datenlage angeht, muss man einen Großteil
der Daten verfügbar machen, ganz einfach deshalb, um
das Vollzugsdefizit des alten Düngerechts zu beseitigen.
Dazu gehört auch, dass zum Beispiel in Niedersachsen
bisher nur 11 Prozent der Daten zum Stickstoffanfall und
lediglich 2 Prozent der Daten zur Stickstoffverwertung
von den Behörden ausgewertet werden können . Ich glaube, man kann einiges tun, um das Vollzugsdefizit zu beseitigen .
Einen wichtigen Beitrag dazu leisten in der jetzigen
Diskussion vor allen Dingen die Bundesländer mit ihren Anträgen im Bundesrat zu dem vorgelegten Entwurf
des Düngegesetzes . Ich gehe davon aus, dass das für uns
Ansporn ist, uns der Arbeit, die jetzt an dem Gesetzentwurf zu leisten ist, zu stellen . Wir können im Bundestag
Gesetzentwürfe der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren nicht schlechter, sondern nur besser machen .
Wir sollten uns daranmachen, diese Arbeit zügig zu erledigen und das Problem anzugehen . Ich fordere alle dazu
auf, die sich daran beteiligen wollen, ganz besonders den
Koalitionspartner . Es gibt noch viel zu tun . Packen wir
es an!
({5})
Vielen Dank, Kollege Priesmeier . - Nächster Redner:
Friedrich Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit über
vier Jahren ist Deutschland als europäischer Tabellenletzter gefordert, die Nichteinhaltung der EU-Nitratvorgaben abzustellen .
({0})
Vor allen Dingen die massierte Schweinehaltung mit den
hohen Güllemengen ist der Hauptverursacher der hohen
Nitratwerte .
Die Trinkwasserkunden erwarten, dass der Minister
die Probleme nicht länger aussitzt, sondern endlich reagiert .
({1})
Nachdem Minister Schmidt vollmundig erst für Weihnachten 2014 und dann für Weihnachten 2015 das Düngegesetz angekündigt hatte, liegt es nun seit Dienstag
völlig abrupt und überraschend auf dem Tisch, um die
für heute drohende Einleitung der Klage in Brüssel abzuwenden . Anscheinend wurde sie aber in Brüssel wieder
vertagt, und zwar für eine Woche, wie wir gehört haben .
Die grün mitregierten Länder haben den vorliegende
Gesetzentwurf tatkräftig erkämpft . Wir sehen trotzdem
die Gefahr, dass Sie von der CDU/CSU alles versuchen
werden, ihn vor der Bundestagswahl nicht mehr zu beschließen .
Den Schweinemästern wurde immer wieder signalisiert: Die Trias Minister Schmidt, Ministerpräsident
Seehofer und Bauernverband wird es schon verhindern .
Der Minister hat zwar die Partitur schreiben lassen,
aber der Dirigent des Verfahrens sitzt in München und
heißt Seehofer . Lassen Sie sich doch nicht länger von
den Blockaden aus Bayern ausbremsen, Herr Minister
Schmidt . Wenn sich die Bayern einmauern wollen, dann
wollen wir sie dabei nicht aufhalten . Aber wir Grüne sind
bereit, über Asyl für sie zu sprechen .
({2})
Die Menschen sind nicht mehr bereit, mit ihrer Wasserrechnung die Exzesse und Sünden einer falschen industriellen Tierhaltung zu bezahlen . Sie erwarten auch in
den viehdichten Regionen sauberes Trinkwasser . Trinkwasser ist Allgemeingut . Niemand hat das Recht, es zu
verschmutzen, auch nicht mit Gülle .
({3})
Um genau zu erfassen, wie viele Nährstoffe einen
landwirtschaftlichen Betrieb verlassen und auf die Flächen gelangen, brauchen wir mindestens in den roten
Gebieten, den sogenannten Hotspots, die Hoftorbilanz .
({4})
Das sind Gebiete mit besonders hoher Viehdichte und
folglich besonders hoher Nitratbelastung . Darin sind sich
alle Beiräte der Bundesregierung einig . Die Länder brauchen endlich für wirksame Kontrollen den Zugriff auf die
Nutzung der Daten, die zum Beispiel von InVeKos, dem
Datensystem der Landwirtschaft für die Flächenanträge,
und der Tierseuchenkasse erhoben werden, um festzustellen, wo die Gülleseen verbracht werden, und wo wie
viele Tiere in den Ställen stehen . Ohne diese Daten kann
eine wirksame Kontrolle nicht funktionieren . Ohne Datenabgleich lassen sich Verstöße und ihre Ursachen nicht
feststellen . Es geht um die schwarzen Schafe . Es geht
nicht um die verantwortlich handelnden Bäuerinnen und
Bauern, die Tiere und Fläche im Einklang halten .
({5})
Wollen Sie denn zig Millionen Euro Strafzahlungen
aus dem Agrarhaushalt für Ihr Nichtstun aus dem Fenster
werfen? Bei Frankreich haben wir erlebt, wie viele Millionen fällig werden, wenn man hier säumig ist . Dieses
Geld brauchen wir dringend, um den gebeutelten, notleidenden Milchbäuerinnen und Milchbauern, den Sauenhalterinnen und Sauenhaltern sowie dem gesamten ländlichen Raum zu helfen .
Heute ist die drohende Klage nochmals um eine
Woche vertagt worden . Wer weiß, wie lange sich die
EU-Kommission noch mit Nichtstun abspeisen lässt .
Wir alle wissen es nicht . Stattdessen beschäftigt sich das
Ministerium damit, wie man Unbeteiligte zu Tätern stilisiert . Wir fordern Sie auf: Lassen Sie die Verschärfung
für die Weidehaltung! Kühe gehören auf die Weide, nicht
in den Stall .
({6})
Lassen Sie doch endlich die durch nichts begründeten
Ausbringungssperrfristen für Festmist und Kompost .
Damit machen Sie viele bäuerliche Betriebe, die nichts
mit dem Nitratproblem zu tun haben, zu Tätern . Festmist
und Kompost stellen für die Wasserqualität kein Problem dar . Kümmern Sie sich doch endlich um die wahren
Probleme: 28 Millionen Schweine auf zu wenig Fläche,
hohe Gülleüberschüsse, die zu hohen Nitratwerten führen, weil die Pflanzen diese Fluten nicht mehr aufnehmen können . Nicht mehr nichts tun und aussitzen! Herr
Minister, fangen Sie endlich an, zu regieren! Doch wir
Grüne befürchten: Auch das ist wieder vergossene Milch
bei Ihnen .
({7})
Vielen Dank, Friedrich Ostendorff . - Der letzte Redner in der Debatte und für diesen Abend ist Johannes
Röring für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute in erster Lesung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Düngegesetzes vom 9 . Januar 2009, das das Inverkehrbringen und die Anwendung
von Düngemitteln, Bodenhilfsstoffen, Pflanzenhilfsmitteln und Kultursubstraten in Deutschland regelt . Die
Gesetzesnovelle ist ein wichtiger Schritt hin zu einem
ressourcenschonenden und nachhaltigen Umgang mit
Nährstoffen bei landwirtschaftlicher Erzeugung . Kontext
aller meiner Vorredner war, dass wir uns einig sind, dass
sauberes Wasser in Flüssen sowie sauberes Grund- und
Trinkwasser hohe, schützenswerte Güter sind .
({0})
Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Düngegesetzes
vom 9 . Januar 2009, das wir nun novellieren, haben wir
hier im Deutschen Bundestag eine Bundesverbringungsverordnung erlassen und den Ländern die Möglichkeit
gegeben, die Nährstoffströme besser in den Griff zu bekommen . Dies haben zwei Jahre später allerdings nur
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen umgesetzt .
({1})
Ich will damit nur sagen, dass wir uns nicht in einem
rechtsfreien Raum befinden. Vielmehr ist die Düngung in
Deutschland schon immer geregelt . Wir machen uns jetzt
daran, dies noch zu verbessern .
Im Übrigen, Kollege Ostendorff, hat die Bundesverbringungsverordnung den Landwirtschafts- und Umweltminister in NRW erst in die Lage versetzt, einen
Nährstoffbericht in Nordrhein-Westfalen zu machen .
Er ist im letzten Jahr veröffentlicht worden . Wir haben
gesehen, dass mit Blick auf diese Verbringungsverordnung - da ist von jedem Kreis die Bilanz gemacht worden - alle nordrhein-westfälischen Kreise diese Bilanz
gezogen und 170 Kilogramm unterschritten haben - auch
die Regionen mit intensiver Tierhaltung -, nur, Herr
Kollege Priesmeier, leider nicht der Kreis unserer Bundesumweltministerin: Kleve hat die Latte beim Wert von
170 Kilogramm gerissen .
Meine Damen und Herren, es ist kein rechtsfreier
Raum . Es ist schon intensiv geregelt, und wir machen
uns daran, diese Regelung noch besser zu machen .
({2})
Ich will deutlich machen, worüber wir reden, nämlich
über Düngung. „Düngung“ heißt Pflanzenernährung, also
die Pflanze so zu ernähren, dass sie ihr Ertragspotenzial
ausnutzen kann . Ich bin der Meinung: Wir müssen die
Pflanzen so stark düngen, wie sie Bedarf haben - nicht
mehr, aber auch nicht weniger .
Ich will ganz deutlich darauf hinweisen, wie wichtig hohe Pflanzenerträge in Deutschland sind. Denn sie
sind die Ernährungsgrundlage für Mensch und Tier in
Deutschland . Das sind viele Rohstoffe, die wir zusätzlich
gebrauchen . Dies in Balance zu bringen, ist uns wichtig . Das ist eine wichtige Dimension, die oft unterschätzt
wird . Wir haben im Moment in diesem Jahr gegenüber
2013/14 1 Million Menschen in Deutschland mehr zu
ernähren . Es gibt nur wenige Regionen auf der Erde, die
dies von einem Jahr auf das andere Jahr könnten . Wir
haben viele Sorgen um unsere neuen Bürger in unserem
Land; aber niemand spricht darüber, wie wir sie ernähren
sollen .
({3})
Das ist die Leistung der deutschen Bauern, und das hat
mit Pflanzen zu tun.
Also: Meine Damen und Herren, die Änderung des
Düngegesetzes schafft die Grundlage für die Novellierung der Düngeverordnung . Wir werden damit die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie einhalten und ihr gerecht
werden .
({4})
Die Kritik an der Grundwasserqualität der EU-Kommission basiert nämlich auf Messstellen, die Grundwasser
messen . Wir haben in Deutschland ein Belastungsmesssystem - ich will das noch einmal erwähnen -,
({5})
wo wirklich die Hotspots ausgewählt wurden zur Beurteilung der Frage, ob Trinkwasser in Ordnung ist .
({6})
Ein anderes repräsentatives Messnetz für die Europäische Umweltagentur zeigt, dass an 85 Prozent der
800 Messstellen in Deutschland der Trinkwassergrenzwert von 50 Milligramm eingehalten wird . Ich will nur
sagen: Die Situation ist doch meist besser, als dargestellt
wird .
Bei Grenzwertüberschreitung vor Ort müssen wir angepasste Lösungen suchen . Gemeinsam mit den Ländern
müssen wir uns auch daranmachen, die Messnetze zu
verbessern .
Düngegesetzgebung muss auch mit den Entwicklungen in der Praxis Schritt halten . Deswegen werden wir in
diesem Düngegesetz die Möglichkeit schaffen, auch die
Gärreste von Biogasanlagen in die Bilanzierung einzubeziehen . Das ist fachlich geboten und macht Sinn . Das ist
hier verankert .
Die Gesetzesnovelle bringt deutliche Verschärfungen für die tierhaltenden Betriebe . Ich will das deutlich
machen: Der Erfüllungsaufwand wird mit 56 Millionen
Euro geschätzt . Aber der Normenkontrollrat sagt, dass es
mehr als 230 Millionen Euro sind . Wir lasten also den
Betrieben, die im Moment in einer schwierigen Situation sind, noch erheblich mehr Bürokratiekosten auf, aber
auch Kosten für die Erfüllung insgesamt . Ich will das
nicht schmälern . Das muss gemacht werden, aber ich will
es nur an dieser Stelle deutlich erwähnen . Sie werden,
wenn wir nicht aufpassen, den Strukturwandel noch einmal deutlich beschleunigen . Denn man muss im Grunde für die Erfüllung der Vorgaben immer mehr Fläche
nachweisen . Wir dürfen keine Politik für Großgrundbesitzer machen. Wir müssen die kleinen und flächenarmen
Betriebe, die oft die Tierhaltung als Einkommensquelle
gewählt haben, auch im Blick behalten .
({7})
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .
Ganz schnell noch den Datenabgleich .
Schnell .
Ja . - Der ist wichtig . Ich stehe dazu, dass wir das machen müssen . Aber ich appelliere auch an die Grünen, die
den Datenschutz an vielen Stellen sehr hervorheben, dass
man nicht willkürlich in alle Datenbanken hineinschauen
darf . Ja, die Düngebehörde muss hineinschauen dürfen .
Dafür werden wir die Möglichkeiten schaffen .
Ich will aber als letzten Punkt noch ganz schnell etwas
erwähnen .
Ich bitte Sie, kommen Sie jetzt zum Ende .
Dieses Verfahren hätte schneller abgewickelt werden
können . Wir hätten das Düngegesetz schon haben können, Friedrich Ostendorff, richtig . Aber dieses ständige
Hin und Her, Peter Bleser, zwischen Bundeslandwirtschaftsministerium, das standgehalten hat,
({0})
und dem Umweltministerium hat zur Verlängerung geführt . Wir machen uns jetzt zügig daran, das Düngegesetz zu verabschieden .
Vielen Dank .
({1})
Angesichts der fortgeschrittenen Zeit habe ich keine
Zwischenfrage oder -bemerkung zugelassen . Ich hoffe,
Sie sehen mir das nach, zumal der FC Augsburg verloren
hat .
({0})
Auch Schalke hat verloren . Es ist traurig .
Ich schließe die Aussprache . Vielen Dank . - Bitte führen Sie die Düngedebatte lebendig weiter .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/7557 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe keine
anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen langen
Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 26 . Februar 2016, 9 Uhr,
ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Abend .