Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/25/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz . Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung . Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich der Kollegin Eva BullingSchröter herzlich zu ihrem 60 . Geburtstag gratulieren, den sie vor wenigen Tagen gefeiert hat . ({0}) Alle guten Wünsche des Hauses für das neue Lebensjahr . Wir müssen noch eine Schriftführerwahl durchführen . Die SPD-Fraktion schlägt vor, die Kollegin Dr. Dorothee Schlegel als Nachfolgerin für den Kollegen Detlev Pilger als Schriftführerin zu berufen . Können Sie sich damit anfreunden? ({1}) - Trotz vorgetäuschter schwerwiegender Bedenken in den Reihen der eigenen Fraktion stelle ich hierzu das Einvernehmen des Hauses fest . ({2}) Dann ist die Kollegin Schlegel hiermit als Schriftführerin bestellt . ({3}) Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Vereinbarte Debatte zu den Ereignissen von Clausnitz und Bautzen ({4}) ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({5}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für mehr Transparenz in der Internationalen Atomenergie-Organisation sowie eine starke und unabhängige Weltgesundheitsorganisation Drucksache 18/7658 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({6}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({7}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Gesundheit Federführung strittig ZP 3 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Düngegesetzes und anderer Vorschriften Drucksache 18/7557 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({8}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit ZP 4 Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen- nenden Mitglieder des Kuratoriums des Deut- schen Instituts für Menschenrechte gemäß § 6 Absatz 2 Nummer 4 und 5 des Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deut- schen Instituts für Menschenrechte - DIMRG Drucksache 18/7703 Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- weit erforderlich, abgewichen werden . Sind Sie auch mit dieser Vereinbarung einverstanden? - Das ist offenkun- dig der Fall . Also können wir so verfahren . Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren Drucksache 18/7538 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck ({9}), Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes Streichung der obligatorischen Widerrufsprüfung Drucksache 18/6202 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10}) Drucksachen 18/7645, 18/7685 b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern Drucksache 18/7537 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({11}) Drucksachen 18/7646, 18/7686 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr . Konstantin von Notz, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besser schützen Drucksachen 18/6646, 18/7697 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Einführung beschleunigter Asylverfahren werden wir später zwei namentliche Abstimmungen durchführen . Zu diesem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dauer von 77 Minuten vorgesehen . Auch dazu gibt es offenkundig Einvernehmen . Also verfahren wir so . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Ole Schröder . ({13})

Dr. Ole Schröder (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003628

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer sichtbar hilft, produziert unter Umständen mehr Nachfrage nach solcher Hilfe, als er befriedigen will und kann … Diesem Problem muss man sich stellen . Das sind die Worte von Gertrude Lübbe-Wolff, von 2002 bis 2014 Richterin am Bundesverfassungsgericht . Wenn wir uns der Flüchtlingskrise als einer der größten humanitären Herausforderungen der Nachkriegsgeschichte stellen, dann müssen wir uns gerade auch der Herausforderung für die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft und unserer Systeme, insbesondere unseres Aufnahmesystems, stellen und entschlossen die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen . Eine dieser Konsequenzen ist das vorliegende Gesetzespaket, das wir heute beraten und von dem fünf deutliche Signale ausgehen: erstens Schutz und Hilfe nur für die, die wirklich Schutz und Hilfe brauchen; zweitens schnellere und entschlossene Rückführung von Menschen, die nur behaupten, Schutz zu suchen, aber in Wahrheit aus anderen Gründen nach Deutschland kommen; drittens härterer Umgang mit denen, die im Asylverfahren nicht mitwirken oder sich durch Tricks einen längeren Aufenthalt in Deutschland erschleichen wollen . Viertens . Für ausländische Straftäter gibt es keine Zukunft in Deutschland . Wir werden sie zukünftig schneller aus unserem Land ausweisen . Fünftens - das ist ein ganz wichtiger Punkt -: Eine Gesellschaft, die hilft, hat ein zwingendes Interesse daran, die eigene Fähigkeit zur Hilfe und zur Integration zu erhalten . ({0}) Dieses Interesse ist Pflicht und Auftrag für die Politik in Deutschland . Dieses Interesse teilen wir mit allen Menschen, auch mit denjenigen, die zu uns gekommen sind und selbst Migranten waren . Die Bundesrepublik hat das Ziel, den Flüchtlingsstrom dauerhaft und nachhaltig spürbar zu reduzieren . Daran arbeiten wir, und daran werden wir uns in den nächsten Monaten auch messen lassen . Wir tun das mit großem Einsatz in Europa, mit internationalen Maßnahmen, Stichwort „Türkei“ . Ich verweise auf das Bemühen unseres Außenministers um eine Waffenruhe in Syrien oder auf die internationale Geberkonferenz . Wir tun das natürlich auch national, unter anderem mit den Maßnahmen, die wir heute im Plenum beraten und beschließen werden . Drei dieser Maßnahmen sind mir besonders wichtig . Ich beginne mit dem beschleunigten Verfahren . Wir sagen jetzt: Wir entscheiden noch schneller über Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten und über Personen, die sich der Mitwirkung an einem ordentlichen Verfahren verweigern, zum Beispiel, weil sie ihre Fingerabdrücke nicht abgeben wollen, über ihre Identität täuschen oder ihre Identitätsdokumente einfach vernichten . Es ist nicht zu viel verlangt von jemandem, der einen Asylantrag in Deutschland stellt, dass er seinen Namen nennt, wahrheitsgemäß sagt, aus welchem Land er kommt, und sich am Asylverfahren angemessen beteiligt . ({1}) Präsident Dr. Norbert Lammert Wer das nicht macht, dem können wir auch kein Asylrecht in Deutschland einräumen, der muss unser Land wieder verlassen . Das müssen wir auch so deutlich sagen . Mitwirken, die Wahrheit sagen und seine Ausweisdokumente vorlegen, das ist eine legitime Erwartung in einem Rechtsstaat . Verstöße dagegen werden wir jetzt stärker als bisher mit Sanktionen belegen . Diese Ordnung ist auch wichtig für die Bereitschaft der Bevölkerung, weiter Flüchtlinge aufzunehmen . Sie ist fair gegenüber der weit überwiegenden Zahl von Antragstellern, die sich ordentlich dem Asylverfahren in Deutschland stellen . ({2}) Mein zweiter Punkt, Abschiebehindernisse . Welchen medizinischen Standard verlangen wir im Herkunftsland? Auch hier treffen wir eine grundsätzliche Entscheidung . Wir sagen: Für eine Abschiebung muss es eine solide, angemessene medizinische Versorgung geben . Aber wir können im Zielstaat nicht die gleiche medizinische Versorgung auf allerhöchstem Niveau erwarten, wie wir sie hier in Deutschland kennen . Wann müssen Atteste vorgelegt werden? Diese Frage ist wichtig, weil manche Ausreisepflichtige Atteste zurückhalten und am Tag der Rückführung überraschend vorlegen, um einer Abschiebung zuvorzukommen . Wir regeln jetzt, dass eine ärztliche Bescheinigung, die die Abschiebung verhindert, unverzüglich nach deren Ausstellung bei der Ausländerbehörde vorgelegt werden muss . Der weit verbreiteten Praxis der sogenannten Atteste auf Vorrat bereiten wir damit ein Ende . ({3}) Wir helfen in Deutschland denen, die Schutz brauchen . Aber wir sagen auch: Die Motivation, nach Deutschland zu kommen, muss Schutz oder Flucht und darf nichts anderes sein . Die dritte Maßnahme, die ich ansprechen möchte, ist die Einschränkung des Familiennachzugs . Wir müssen und werden die Aufnahmefähigkeit unseres Landes aufrechterhalten . Diesem Ziel dient die Einschränkung des Familiennachzugs . Den Kritikern sage ich: Die Koalition hat sich diese Entscheidung wahrlich nicht einfach gemacht . ({4}) Aber, meine Damen und Herren, sie ist dringend erforderlich . Unser Land hat auch unter moralischen Gesichtspunkten keine Pflicht, sich selbst und seine Bürger durch humanitäre Hilfe zu überfordern . ({5}) Deshalb ist diese Entscheidung richtig und notwendig . Noch ein letzter Punkt: Es ist viel gesagt worden über die Konsequenzen der Silvesternacht in Köln . Auch ich habe hier bereits zu diesem Thema gesprochen . Deswegen will ich an dieser Stelle nur Folgendes sagen: Vielleicht glauben manche, dass das friedliche Zusammenleben in Deutschland eine Selbstverständlichkeit darstellt . Aber: Unsere Art zu leben, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen und die Freiheit, die wir kennen ({6}) all das ist nicht in allen Ländern und Kulturen der Welt selbstverständlich . ({7}) Das gilt zum Teil eben auch für die Herkunftsländer der Menschen, die derzeit zu uns kommen . Deswegen sage ich deutlich: Einer Haltung, die den Respekt und die Achtung zum Beispiel gegenüber einer Frau von der Begleitung eines Mannes, vom Tragen bestimmter Kleidung oder von irgendetwas anderem abhängig macht, werden wir uns entgegenstellen . ({8}) Auch wenn diese Haltung mit Religion begründet wird, hat jedenfalls dieses Verständnis von Religion bei uns im Land nichts zu suchen, meine Damen und Herren . ({9}) In unserem Land gibt es Regeln, die für alle Menschen und alle Situationen gelten, unabhängig von Geschlecht oder Glauben . ({10}) Sie werden von keiner anderen Kultur und von keiner Religion relativiert . Meine Damen und Herren, das muss die Botschaft sein . Ihre Durchsetzung ist unser aller Auftrag . Daran müssen wir denken . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke .

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 26 . Mai 1993 beschloss der damalige Bundestag in Bonn die bis dato schlimmste Zertrümmerung des Grundrechts auf Asyl . Gregor Gysi sagte in der damaligen Debatte zum Klima dieser Debatte: Außer Kraft gesetzt wurden die Maßstäbe der Menschlichkeit und der Vernunft . ({0}) Nur drei Tage später, am 29 . Mai 1993, gab es den Anschlag in Solingen mit fünf Toten . In 23 Jahren wurde offenbar nichts gelernt in diesem Haus . ({1}) Jedes Antiasylpaket, das am konkreten Problem nichts, aber auch gar nichts ändert, ist eine indirekte Bestätigung von Hetzern und Menschenfeinden; um es einmal ganz klar zu sagen . ({2}) Heute wird nun das Asylpaket II beraten, das richtigerweise Antiasylpaket II heißen muss: mit beschleunigten Verfahren in speziellen Aufnahmeeinrichtungen, mit Abschiebung übrigens auch von traumatisierten Menschen und - das ist wirklich der größte Hammer bei der ganzen Sache - mit der Behinderung des Familiennachzugs auch bei Minderjährigen . Die Folge davon wird sein, dass sich Frauen, Kinder und Männer wieder über das Mittelmeer auf den Weg machen werden . Seit September sind 340 Kinder im Mittelmeer elendig ertrunken . Es kann doch nicht sein, dass wir hier so etwas beschließen sollen, was das befördert, liebe Kolleginnen und Kollegen . Unfassbar! ({3}) In dieser Debatte - man muss versuchen, das ein wenig geradezurücken - wollen wir ein paar Anmerkungen zu der Begleitmusik machen, zunächst einmal zum bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer . Der redet in der jetzigen Situation allen Ernstes von einer Herrschaft des Unrechts . Das ist auf der einen Seite dermaßen abgedreht und lächerlich, aber auf der anderen Seite - das ist das eigentliche Problem - ist es so dermaßen gefährlich . Im Übrigen benutzt er eine Begrifflichkeit, die damals Fritz Bauer benutzt hat, als er den Vorwurf erhoben hat, Deutschland sei unter dem Nationalsozialismus ein Unrechtsstaat gewesen . Das ist bodenlos und abgrundtief, es ist nicht zu fassen; deshalb müssen wir uns gemeinsam dagegen verwahren . ({4}) Es sind zurzeit Wahlkämpfe, was dazu führt, dass es auf konservativer Seite offenbar kein Halten mehr gibt . Ich möchte etwas zu Julia Klöckner und Guido Wolf sagen . ({5}) Letzterer ist eine politische Fachkraft aus Baden-Württemberg, die keiner kennt; deswegen will ich sie erwähnen . ({6}) Dieses Gerede über Tageskontingente geht an der Verfassung und an den Grundrechten völlig vorbei . Wir wollen einmal versuchen, historisch einzuordnen, was das eigentlich bedeutet . Nehmen wir einmal ein Beispiel, nämlich Willy Brandt, der 1934 ins Exil nach Dänemark und Norwegen gehen konnte . Wenn es in diesen Ländern damals Tageskontingente gegeben hätte, was hätte die Folge sein können? Vielleicht: Entschuldigung, es ist 13 Uhr, das Tageskontingent ist voll, bitte gehen Sie zurück . - Das kann doch nicht allen Ernstes Grundlage einer seriösen Debatte sein; - um es klar zu sagen . ({7}) Liebe Freundinnen und Freunde von der SPD, ihr müsst euch deshalb genau überlegen, mit wem ihr hier eigentlich zusammenarbeitet und wer so etwas fordert . ({8}) Ich will sagen: Logischerweise brauchen wir eine europäische Lösung. Ich finde, Merkel muss mehr Druck machen . ({9}) Ich finde auch, sie soll nicht mit Erdogan paktieren. Ich will nur eines sagen: Sie kann in Europa gar keinen Druck entfalten, wenn Sie, ihre eigenen Leute, sie jeden Tag demontieren . Wie soll das denn funktionieren; - um es einmal klar zu sagen? ({10}) Es ist doch ein Witz, dass ich, ein Linker, Sie darauf hinweisen muss . Da stimmt doch etwas nicht . In drei Monaten haben wir nun zwei Antiasylpakete; Sie haben schon angekündigt, dass das dritte kommen wird . Ich frage mich natürlich: Wo ist eigentlich ein umfangreiches Integrationspaket? Wo ist eigentlich das große Fluchtursachenbekämpfungspaket? Wir haben Rekordwaffenexporte wie noch nie in der Bundesrepublik . Jetzt werden Sie sagen: Die Waffenexporte zu reduzieren, hilft uns morgen nicht . - Das mag sein, aber wir müssen doch irgendwann einmal anfangen, diesen Irrsinn zu beenden . Das kann doch nicht wahr sein . ({11}) Sie haben in dieser Woche den Armutsbericht gesehen . Die Armut grassiert in diesem Land . ({12}) Ich frage mich: Wo ist die soziale Offensive? Wo ist die Investition in den Wohnungsbau und in Bildung? Warum packen Sie es nicht endlich an, die Kommunen vernünftig finanziell auszustatten? Sie regen sich auf, aber ich habe noch mehr . Es kommt noch mehr . Sie können sich entspannen . ({13}) Wo sind die Investitionen eigentlich? Das kann doch nicht wahr sein . Ich glaube in der Tat, dass sowohl Deutschland als auch Europa an einem wirklichen Scheideweg sind, an einem historischen Moment, wo sich entscheiden wird, ob wir den Weg Ungarns gehen oder ob wir den Weg der Solidarität, der Nächstenliebe, wie die Christen sagen würden, und des sozialen Aufbruchs gehen wollen . Das ist die Kernfrage . Deswegen brauchen wir nicht nur einen Aufstand der Anständigen, sondern wir brauchen einen anständigen Aufstand gegen Ihre Art, Politik zu machen . Das ist zentral . ({14}) Dafür brauchen wir jeden, dem es eiskalt den Rücken herunterläuft, wenn von Menschen als Viehzeug gesprochen wird . Diese Menschen brauchen wir . Wir brauchen die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die täglich ganz leise und still Großartiges leisten . Sie brauchen wir . ({15}) Wir brauchen die jungen Menschen, die bei jedem Hasskommentar Tausende Gegenkommentare organisieren, die volle Kante dagegenhalten . Diese Leute brauchen wir . ({16}) Wir brauchen eigentlich auch eine sozialdemokratische Partei, die eine klare, unzweideutige Haltung hat, auch aus ihrer Geschichte abgeleitet . Ich würde mir wünschen, dass Sie heute so entscheiden würden, wie es Tausende von Ihren Mitgliedern an der Basis jeden Tag tun . Wir bräuchten so eine SPD in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({17}) Ja, wir brauchen auch - auch das will ich sagen; das habe ich noch nie in meinem Leben gesagt - die vielen Mitglieder der CDU, die den Ausspruch von Angela Merkel „Wir schaffen das“ als einen Auftrag zur Nächstenliebe im Alltag begriffen haben . Auch sie brauchen wir; - um es klar zu sagen . ({18}) Ich komme zum Schluss . Wenn Sie die berechtigte Empörung und den Abscheu über das, was in den letzten Tagen in diesem Land passiert ist, wirklich ernst meinen und wenn Sie daraus konsequent einen deutlichen Schluss ziehen wollen, dann muss dieser Bundestag heute geschlossen Nein zu diesem Asylpaket sagen . ({19}) Vielen Dank . ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Herr Kollege Gall . ({0}) Reinhold Gall, Minister ({1}): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Keine Sorge, ich komme heute nicht mit neuen Vorschlägen zum Asylrecht aus der Länderebene . Ich halte es - im Gegensatz zur baden-württembergischen CDU - mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mit Herrn Kauder, der vor kurzem gesagt hat: „Jeden Tag neue Vorschläge führen, glaube ich, nicht zum Ziel .“ ({2}) Ich bin gerne gekommen, um Ihnen die Erwartungen und auch die Notwendigkeiten aus Ländersicht näherzubringen . Wir alle machen doch tagtäglich die Erfahrung, dass die Menschen in Deutschland erwarten - wie ich meine: zu Recht -, dass sich Bund und Länder nicht in gegenseitigen Schuldzuweisungen übertreffen . Sie erwarten, dass sich die Politik, dass wir uns alle angemessen unserer gemeinsamen Verantwortung in der Flüchtlingsfrage stellen . Wolfsgeheul oder populistische Vorschläge, ob auf Wahlplakaten zum Ausdruck gebracht oder in Kameras gesprochen, helfen jedenfalls nach meinem Dafürhalten nicht weiter . ({3}) Als Innenminister des Landes Baden-Württemberg bin ich mir dieser gemeinsamen Verantwortung durchaus bewusst, und deshalb werde ich alle Anstrengungen der Bundesregierung und des Bundestages unterstützen, die wirklich helfen, die gemeinsamen Herausforderungen, und zwar die der gesamten Bandbreite, gemeinsam zu meistern: von Aufnahme und Unterbringung über Rückführung und Abschiebung bis hin zur Integration derer, die bei uns bleiben können . Die Länder sind in ihrem Handeln auf den Bund angewiesen . Wenn man von uns Ländern stringentes Handeln erwartet, dann muss der Bund die Rahmenbedingungen schaffen, damit wir konsequent handeln können . ({4}) Ich sage ausdrücklich: Wir müssen konsequent handeln können zum Schutz der Menschen, die aus Angst um ihr Leben vor Krieg und Zerstörung zu uns flüchten und einen Anspruch auf Aufnahme haben, konsequent aber auch gegenüber denjenigen, die keinen Anspruch auf Asyl haben . Deshalb hat der Bundestag, haben Sie Ende des letzten Jahres erste richtige Weichen im Asylrecht gestellt . Aber ich will schon sagen: Mit der Aufnahme von Albanien, Kosovo und Montenegro in die Liste sicherer Herkunftsstaaten ist es nicht getan . ({5}) Die Möglichkeiten, die sich hieraus ergeben, müssen effizient genutzt und auch bis zum Verfahrensende angewandt werden können . Deshalb haben wir in Baden-Württemberg unter meiner Verantwortung eine Stabsstelle Flüchtlingsunterbringung und auch einen Arbeitsstab „Rückkehrmanagement“ eingerichtet . So konnten wir im vergangenen Jahr die Zahl der Abschiebungen in unserem Bundesland mehr als verdoppeln . ({6}) Was mir noch wichtiger ist - darauf sollten vielleicht auch andere ihr Augenmerk richten -: Die Zahl der freiwilligen Ausreisen konnten wir um 150 Prozent erhöhen . ({7}) Das macht im Übrigen deutlich, welche der beiden Maßnahmen die erfolgreichere ist . Machbar war das Ganze deshalb, weil Sie dafür gesorgt haben, dass die Verfahren optimiert werden konnten und weil wir auch eine gezielte Beratung zur freiwilligen Ausreise installieren konnten . Ich wiederhole: Mit dieser Beratung waren wir wesentlich erfolgreicher als mit zwangsweisen Rückführungen . Um diesen Weg weiterzugehen, muss die Diskussion um die Aufnahme weiterer Länder wie Marokko, Algerien und Tunesien zu einem Abschluss gebracht werden . ({8}) Vor allem ist es zwingend notwendig, dass in Verhandlungen mit diesen Staaten - auch da sind Sie wieder gefordert - das Laissez-Passer-Verfahren anerkannt wird . Wir alle wissen doch, dass Letzteres überhaupt erst ermöglicht, dass in vielen Fällen die Rückführung, übrigens auch die freiwillige, tatsächlich funktionieren kann . Insofern bin ich sehr froh, dass die Bundesregierung nun den Vorschlag zur Schaffung einer Clearingstelle Passbeschaffung, den Baden-Württemberg bereits Mitte des letzten Jahres in die Diskussion eingebracht hat - es sei mir gestattet, darauf hinzuweisen -, konkret umsetzen möchte . Auch hiervon erwarte ich mir weitere wertvolle Verfahrensbeschleunigungen . Meine Damen und Herren, wir wissen doch alle auch da muss man sich immer wieder ein Stück weit ehrlich machen -: Vielfach scheitern Rückführungsversuche aus vorgebrachten medizinischen Gründen . Um hier teilweise unnötigen Verzögerungen von Rückführungen, aber auch von Missbrauch - das gehört zur Wahrheit dazu entgegenzuwirken, müssen die Rahmenbedingungen für die Erstellung ärztlicher Atteste im Zusammenhang mit Abschiebungen präzisiert werden . Auch das beinhaltet ja dieses Paket . Aber selbstverständlich muss sichergestellt sein - darüber gibt es überhaupt keine Diskussion, finde ich jedenfalls -, dass auch zukünftig schwere, gravierende Erkrankungen einer Abschiebung entgegenstehen . ({9}) Wir sprechen hier aber auch über beschleunigte Verfahren in besonderen Aufnahmeeinrichtungen . Baden-Württemberg - unser Bundesland - kann darauf verweisen, dass wir mit unserem zentralen Registrierungszentrum in Heidelberg bereits eine entsprechende Einrichtung geschaffen haben . Waren es ursprünglich ja, da gab es auch Handlungsbedarf - die Landesprozesse, die wir dort optimieren und beschleunigen mussten, kamen später - auch da gab es Handlungsbedarf - die Bundesprozesse hinzu . Beides haben wir jetzt nahezu optimal miteinander vernetzt . Das heißt, wir haben ein Konzept aus einem Guss geschaffen . Das sogenannte baden-württembergische Modell, meine Damen und Herren, ist bundesweit beispielgebend . ({10}) - Ich weiß gar nicht, warum darüber gelacht wird, wenn uns der Bundesinnenminister bei einem Besuch vor Ort diesbezüglich eine hohe Effizienz und gute Arbeit bescheinigt hat . ({11}) Ich sage dies deshalb, meine Damen und Herren, weil derart geordnete und beschleunigte Strukturen uns nicht nur bei der Steuerung bei der Flüchtlingsunterbringung helfen, sie vermögen auch das Sicherheitsrisiko zu minimieren und insbesondere besondere Schutzräume für Frauen und Kinder zu schaffen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel zu? Reinhold Gall, Minister ({0}): Gerne .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön .

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Gall . Guten Morgen! - Ich muss sagen, ich finde es eigentlich einen absoluten Skandal, dass Sie hier einen bundesweiten Wettbewerb aufmachen, welches Bundesland am besten und am meisten abschiebt, ({0}) Minister Reinhold Gall ({1}) und sich hier noch mit stolz geschwellter Brust damit hinstellen: Wir haben die meisten Abschiebungen geschafft . - Ja, wo leben wir jetzt eigentlich? ({2}) Dann stellen Sie hier noch Ihr Baden-Württemberg-Konzept vor . Ich frage Sie einmal etwas anderes - wir sollten einmal einen anderen Wettbewerb aufmachen -: Welches Bundesland baut eigentlich die meisten Wohnungen und hat die meisten Pflegekräfte und die meisten Kitas? Und da kann ich Ihnen sagen, Baden-Württemberg - das wissen Sie ganz genau - ist in den letzten Jahren eines der Schlusslichter im sozialen Wohnungsbau . 70 Millionen Euro haben Sie für Wohnungsbau ausgegeben . In Bayern waren es 260 Millionen Euro . ({3}) Das ist Ihr Baden-Württemberg-Konzept . Erzählen Sie doch vielleicht einmal, wie man hier in dem Land etwas konstruktiv aufbauen kann, und sagen Sie nicht, wie man destruktiv immer mehr Menschen abschieben kann . Das ist ja wirklich eine Blamage für Baden-Württemberg . ({4}) Reinhold Gall, Minister ({5}): Es wird Sie nicht wundern, wenn ich diese Vorwürfe, diese Anwürfe mit aller Schärfe zurückweise, weil sie eben nicht den Tatsachen entsprechen. Wir befinden uns nicht im Wettbewerb - das will ich ausdrücklich sagen -, welches Bundesland die meisten Menschen zurückführt oder ausweist . Ich habe ausdrücklich deutlich gemacht, dass unsere Schwerpunktsetzung ist, die Menschen zu beraten, unser Land freiwillig wieder zu verlassen, weil ihr Asylantrag nicht zum Erfolg führen kann, sie keine Aussicht auf Gewährung des Asylrechts haben . Damit habe ich ausdrücklich geworben, die Schwerpunkte richtig zu setzen . ({6}) Im Übrigen: Zu den sonstigen Vorhaltungen, die das Thema Wohnungsbau anbelangen: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Baden-Württemberg die Mittel für den Wohnungsbau in den letzten Jahren verdreifacht hat und dass wir uns vorgenommen haben, in den kommenden Jahren 25 000 neue Wohnungen zu bauen . Und wir werden in Baden-Württemberg die Ziele, die wir uns vorgenommen haben, auch erreichen . Nur so viel zu Ihren Vorhaltungen . ({7}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen aber - ich hatte es gesagt - nicht jeden Tag neue Vorschläge und Diskussionen, wir brauchen Hilfestellungen bei unseren konkreten Aufgaben . Diese müssen sich letztendlich an der Lebenswirklichkeit orientieren, und sie müssen vor allen Dingen auch in der Praxis umsetzbar sein und funktionieren . Deshalb will ich sagen: Der Gesetzentwurf zur Einführung beschleunigter Asylverfahren gibt uns diese Hilfestellung, die wir auf der Länderebene brauchen . Meine Damen und Herren, wir bekennen uns zu dieser gemeinsamen Verantwortung, die wir in diesem Themenfeld haben . Deshalb befürworte auch ich diesen Gesetzentwurf . Die Landesregierung unseres Bundeslandes wird bei der Bewältigung der Herausforderungen dieses Themenfeldes - wer sollte denn bestreiten, dass es enorme Herausforderungen gibt? - weiterhin die Kultur des Gespräches pflegen - darauf lege ich großen Wert - und sachlich das ausloten, was miteinander gelingen kann . Herr Korte, zu dem Punkt, wie eigentlich wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit dem Thema Flüchtlinge umgehen, will ich schon einmal sagen: Ich bin mir mehr als sicher, dass es mehr Sozialdemokratinnen und mehr Sozialdemokraten gibt, die sich in der Flüchtlingshilfe, insbesondere auch im Ehrenamt, engagieren, als beispielsweise Mitglieder Ihrer Partei . ({8}) Meine Damen und Herren, diesem von uns gepflegten Stil der Problemlösung wird dieser Gesetzentwurf gerecht, und deshalb bitte ich auch aus Ländersicht, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen . Herzlichen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Diakonie, Caritas, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Amnesty International, Deutsches Institut für Menschenrechte, Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband, Deutscher Anwaltverein, Neue Richtervereinigung, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Bundespsychotherapeutenkammer, medico international, IPPNW - das sind noch nicht alle Verbände, die sich gegen Ihr Asylpaket II aussprechen, und, wie ich finde, zu Recht, meine Damen und Herren. ({0}) Sie haben einen eilig erarbeiteten Gesetzentwurf vorgelegt und im Eiltempo hier durch das parlamentarische Verfahren gebracht, nachdem Sie ein ewiges Hickhack in der Koalition hatten, und zwar so, dass die Verbände überhaupt nicht richtig darauf reagieren konnten . Jetzt geht es in Kurzform um Folgendes: Sie trennen Familien; Sie liefern unbegleitete Minderjährige der Behördenwillkür aus - das nennt der Justizminister übrigens Humanität -; Sie bitten Asylbewerber für Integrationskurse zur Kasse, die sie gar nicht besuchen können; Sie erleichtern Abschiebungen von Kranken; Sie ermöglichen SchnellHeike Hänsel verfahren, bei denen Geflüchtete nicht einmal in die Nähe eines Anwalts oder einer Anwältin kommen; und bei den Ausweisungen gehen Sie nach dem Motto „Erst ausweisen und dann fragen, wohin das führt und ob das überhaupt funktioniert“ vor . Meine Damen und Herren, das ist ein bisschen so wie mit dem Falschfahrer auf der Autobahn, der im Radio hört, dass ein Falschfahrer unterwegs ist, und dann sagt: Wieso einer? Hunderte! - Die Menschen, die sich engagieren, und die Verbände wissen sehr genau, warum sie dieses Paket kritisieren . Das ist nicht Maß und Mitte, das ist Chaos und Panik . ({1}) Dass in diesen Tagen der Menschenrechtsbeauftragte dieser Bundesregierung zurücktritt, weil er nicht aushält, was nicht auszuhalten ist, das kann ich nur zu gut verstehen . ({2}) Meine Damen und Herren von der Union, ich beneide Sie ja wirklich nicht um Frau Klöckner, die mit nationalen Lösungen alle EU-Bemühungen der Kanzlerin torpediert, ({3}) die sich mit dem Grenzschließer Herrn Kurz und mit Herrn Di Fabio trifft, der die Klage Bayerns gegen die eigene Bundesregierung mit vorbereitet . Herr Kauder muss wöchentlich den Laden zur Ordnung rufen, es bringt aber nichts . Ich habe das Gefühl, beim Satz „… verteidigt Merkel gegen Kritik aus den eigenen Reihen“ brauchen die Journalistinnen und Journalisten nur noch auf den Knopf zu drücken, weil er so oft auftaucht, dass er schon zur Phrase geworden ist - eine gefährliche Phrase, wie ich finde, meine Damen und Herren. ({4}) Herr Wolf, der Koautor von Frau Klöckner, zerstreitet sich mit seinem Erzrivalen Herrn Strobl . ({5}) Dass die Menschen in Baden-Württemberg von so einer Truppe nicht regiert werden wollen, ergibt sich faktisch von selbst . ({6}) Herr Gall, wir haben eine andere Position, was die Frage der Herkunftsländer angeht, der sogenannten sicheren, weil wir es vor allen Dingen für Symbolpolitik ({7}) und für in der Sache nicht hilfreich halten . Aber wenn Herr Kauder, dessen Not ich ja verstehen kann, ausgerechnet Winfried Kretschmann jetzt vorwirft, er würde irgendetwas verzögern, ({8}) was Sie in den Fraktionen von SPD und Union nicht auf die Reihe kriegen: So ein Vorwurf der Verantwortungslosigkeit und Verzögerung ist so ähnlich, als würden Sie dem Papst vorwerfen, dass er nicht evangelisch wird . Das ist doch absurd, meine Damen und Herren! ({9}) Das alles könnte lustig sein, wenn es nicht gleichzeitig dazu führen würde, dass wieder mehr Menschen - Frauen und Kinder - auf den gefährlichen Booten landen und sich in Lebensgefahr begeben . ({10}) Das alles könnte vielleicht noch hingenommen werden, wenn nicht Ehrenamtliche Tag für Tag sich fragen, was hier eigentlich los ist, während sie gleichzeitig die Arbeit wegschaffen, die der Innenminister liegen lässt . Ihr Paket hilft niemandem . Punkt eins - das ist ein ganz zentraler; ich muss es wiederholen -: Den Familiennachzug auszusetzen, ist unverantwortlich . Es ist schäbig . Es stiftet natürlich Unruhe in den Unterkünften . ({11}) Es verhindert Integration . Jetzt reden Sie von Einzelfallprüfung . Würde eigentlich einer von uns mit seinen eigenen Kindern so umgehen? ({12}) Was sagt der 14-Jährige seiner Mutter am Telefon? Ihr könnt nicht nachkommen . Ich bin kein Einzelfall . Mir geht es nicht schlecht genug . ({13}) Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet? Können Sie sich vorstellen, welcher Vater, der seine Familie, seine Frau, seine Kinder in Aleppo weiß, hier in Ruhe Deutsch lernt und sich in das Arbeitsleben integriert? Meine Damen und Herren, das, was Sie immer mit „Wert der Familie“ hochhalten und wo wir Ihnen gerne zustimmen würden, reißen Sie hier mit dem Hintern grandios ein . Überlegen Sie sich noch einmal - wir werden dies heute hier extra zur Abstimmung stellen -, ob Sie wirklich den Familiennachzug aussetzen wollen . Das wird noch nicht einmal dafür sorgen, dass deutlich weniger Menschen kommen . Es wird aber zu Verunsicherung führen, und es wird dazu führen, dass gerade Kinder und Jugendliche neuerlich in eine dramatische Situation kommen nach all dem, was sie schon im Krieg und auf der Flucht erlebt haben . ({14}) In Ihrem Asylpaket gibt es wieder kein Wort zur Integration . Sie sind dabei, die bei der Gastarbeitergeneration gemachten Fehler zu wiederholen . In den Erstunterkünften treffen wir Menschen, die seit Monaten darauf warten, den Asylantrag überhaupt stellen zu können . Jetzt sollen ihnen 10 Euro dafür abgezogen werden, dass sie einen Integrationskurs machen, den sie im Zweifelsfall gar nicht bekommen, weil es nicht genügend gibt . Das Ganze geht nach dem Motto: Der geflüchtete Afghane zahlt einen Kurs für den geflüchteten Eritreer, der ihn bekommen könnte, der aber noch ewig warten muss, weil es nicht genügend gibt . Meine Damen und Herren, das ist doch absurd! ({15}) Kümmern Sie sich darum, dass Integration gelingt! Kümmern Sie sich um die Belange von Frauen und Kindern! Dass Manuela Schwesig nicht eine einzige Maßnahme zum Schutz der Kinder in den Entwurf geschrieben hat, ist deprimierend . Und der Justizminister hat es wieder nicht geschafft, dass der § 177 StGB endlich deutlich zugunsten der Frauen ausgelegt wird . Ein Nein muss ein Nein sein - Sie haben das nach Köln versprochen . Wir geben Ihnen gerne unseren Gesetzentwurf . Sie können ihn direkt auf Ihr Papier drucken .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin .

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber das muss doch endlich geschehen . Das kann doch nicht weiter in der Schublade bleiben . ({0}) Ganz zum Schluss will ich Herrn Minkmar zitieren, der zu Recht gesagt hat: Flüchtlingskrise? Eine Krise ist das im Leben der Geflüchteten, für uns ist das nur eine Aufgabe . - Gehen Sie die endlich ernsthaft an! ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir leben in wahrlich herausfordernden Zeiten: herausfordernde Zeiten für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger sowie für ganz Europa, herausfordernde Zeiten für uns Abgeordnete und vor allem für unsere Bundeskanzlerin, die wie keine andere für eine Lösung der Flüchtlingsfrage in Europa und für die Werte Europas kämpft . ({0}) Und es sind herausfordernde Zeiten für unsere Demokratie in Deutschland . Rechtspopulisten erreichen nicht nur in Bundesländern, in denen Landtagswahlen anstehen, Rekordumfragewerte . Politische Beobachter sehen die demokratischen Parteien in einer der schwersten Vertrauenskrisen seit der Gründung der Bundesrepublik . Meine Damen und Herren, solch schwierige Zeiten erfordern entschiedene Maßnahmen - Maßnahmen, die zeigen, dass der Gesetzgeber handlungsfähig ist, und Maßnahmen, die zeigen, dass wir die Situation beherrschen und den ungeregelten Zuzug in den Griff bekommen . Die Regelungen des Asylpakets II bewirken genau das . Wir werden mit einem weiteren Maßnahmenbündel den Zustrom in unser Land weiter verringern, und wir werden dafür sorgen, dass diejenigen, die keine Berechtigung haben, bei uns zu bleiben, unser Land zügig wieder verlassen müssen . ({1}) Wir machen es uns dabei nicht leicht . Und keiner bestreitet, dass es zum Teil harte Maßnahmen sind . Sie sind jedoch fair und ausgewogen ({2}) und angesichts der Situation in den Kommunen und Ländern notwendig . Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem lieber Kollege von Notz, Sie haben in der ersten Lesung des Gesetzespaketes viele harte Worte gegen eine Regierung und gegen ein Land gefunden, das derzeit den Flüchtlingen hilft wie kein zweites . ({3}) Viele waren übertrieben, und die meisten waren unzutreffend . Nur in einem Punkt stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, nämlich, als Sie ganz am Ende Ihrer Rede gefordert haben, dass wir als Demokraten gemeinsam an einer Lösung arbeiten sollten . Was der ganzen Debatte nicht hilft - das sage ich ganz offen -, ist die permanente, aber widerlegte und unlautere Behauptung, die vorgesehenen Maßnahmen seien rechtswidrig . Die sehr ausführliche Anhörung der Sachverständigen hat das in aller Klarheit widerlegt . Alle Regelungsinhalte des Gesetzespakets sind zweifelsohne rechtmäßig und in vollem Umfang mit höherrangigem Recht vereinbar . ({4}) Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen: Zum einen an den beschleunigten Verfahren: Diese sieht das Europarecht für Asylbewerber ohne Bleibeaussicht ausdrücklich vor . ({5}) Es wird für die Betroffenen keine Absenkung der Standards, etwa bei der Unterbringung, geben . Auch der Personenkreis ist klar eingeschränkt . Damit bleibt der Gesetzentwurf sogar noch hinter dem Rahmen der Richtlinie zurück . Ein effektiver Rechtsschutz bleibt gewährleistet . Meine Damen und Herren, schnelle Verfahren sind nicht unfair . Im Gegenteil: Sie sind im Interesse aller Beteiligten, im Interesse der Schutzsuchenden, die Klarheit möchten, aber auch im Interesse der Kommunen und des BAMF, die dadurch entlastet werden . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler zu?

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte sehr, Frau Vogler .

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Kollegin, wenn Sie hier behaupten, die von Ihnen hier vorgesehenen Maßnahmen, für die wahrscheinlich nachher eine große Mehrheit dieses Hauses stimmen wird, seien rechtlich in Ordnung und mit höherrangigem Recht vereinbar, dann möchte ich doch mal von Ihnen wissen: Wie ist das zum Beispiel mit dem UN-Sozialpakt vereinbar, den Deutschland bereits vor 40 Jahren ratifiziert hat und in dem es heißt: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an“? Wie ist das mit Artikel 2 des Grundgesetzes vereinbar, in dem es heißt: „Jeder“ - nicht nur jeder Deutsche oder Einheimische, sondern jeder - „hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“? ({0}) Wie ist das damit vereinbar, dass Sie künftig auch schwer traumatisierte, schwer erkrankte Menschen abschieben wollen und davon ausgehen wollen, dass jemand reisefähig ist, sofern er nicht in der Lage ist, anhand sehr eng gewählter Kriterien das Gegenteil zu beweisen? Wie ist die Verweigerung des Familiennachzugs für unbegleitete Kinder und Jugendliche mit Artikel 10 der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar, die auch von diesem Land ratifiziert wurde und in der es heißt, dass Anträge auf Familienzusammenführung „von den Vertragsstaaten wohlwollend, human und“ - ich betone „beschleunigt“ zu bearbeiten sind? In dem Gesetzespaket der Großen Koalition sind meiner Ansicht nach schwerwiegende Menschenrechtsbrüche angelegt . Insofern frage ich Sie, wie Sie als Juristin tatsächlich hier ernsthaft das Gegenteil behaupten können . ({1})

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kollegin, Sie stellen es so dar, als ob hier die Menschen, die zu uns kommen, schlecht behandelt werden . Sie haben die Einhaltung des Rechts auf Schutz und körperliche Unversehrtheit infrage gestellt . Ich glaube, das kann nicht Ihr Ernst gewesen sein . ({0}) Sie haben weiterhin ausgeführt, dass Menschen, die krank sind, in Zukunft pauschal zurückgeführt und abgeschoben werden sollten . Dazu kann man zum einen sagen - wir haben es auch vom Innenminister gehört -, dass es eben ein häufiges Abschiebungshindernis ist, dass es falsche Gesundheitsatteste gibt, dass Menschen eine Krankheit vorschieben, nur um nicht abgeschoben zu werden . ({1}) Dem wollen wir in Zukunft begegnen; das wird aber nicht pauschal geschehen . Es gibt weiterhin die Möglichkeit, eine ernsthafte und lebensgefährliche Erkrankung, eine Bedrohung des Lebens, geltend zu machen und dann auch Abschiebungsschutz zu bekommen . Man soll sich aber nicht mit der pauschalen Behauptung, man habe eine Krankheit, eine Traumatisierung, einer Abschiebung widersetzen können, wenn die Gesundheitsversorgung im Heimatland genauso erfolgen kann . ({2}) Ihr Vorwurf, jetzt könne jeder pauschal abgeschoben werden, auch wenn er krank ist, ist schlicht unzutreffend und falsch . Zum Familiennachzug - Sie haben es erwähnt -: Die Kinderrechtskonvention, das Grundgesetz und auch der EGMR halten es zwar für wünschenswert, dass die Familie zusammenlebt, aber ein Recht darauf, dass die Familie vor allem in Deutschland zusammenlebt, kann weder aus der UN-Kinderrechtskonvention noch aus dem Grundgesetz noch aus anderem höherrangigem Recht abgeleitet werden . ({3}) Ich darf aus dem Gutachten von Herrn Professor Thym zitieren, einem der Sachverständigen, der in aller Klarheit gesagt hat: Die bisweilen aufgestellte Behauptung, dass aus den europäischen oder internationalen Menschenrechten ein unbedingtes Nachzugsrecht für Flüchtlinge folge, das durch die Neuregelung auf jeden Fall verletzt werde, ist schlicht falsch … Ich denke, klarer kann man es nicht ausdrücken, ({4}) und ich hoffe, Ihre Fragen zum Familiennachzug damit beantwortet zu haben . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kleinen Augenblick noch . - Es gibt eine ganze Reihe von weiteren Wortmeldungen, die ich jetzt alle nicht zulasse . Wir haben uns auf eine bestimmte Debattenzeit verständigt . Die haben wir durch eine Reihe von Zusatz - ({0}) - Ich übersehe die Situation, glaube ich, relativ gut . Wir haben eine Debattenzeit vereinbart, die ich durch die Zulassung mehrerer Zwischenfragen aus einer Fraktion, die nach der Rednerliste nicht mehr zu Wort kommt, bereits erweitert habe . Die Fraktion der Grünen ist noch mit einem weiteren Redner auf der Rednerliste vertreten . Für die anderen Fraktionen gilt das auch . Deswegen lasse ich jetzt weitere Zwischenfragen nicht zu . ({1})

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Kollegen, Ihre Behauptungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit sind unhaltbar und nicht nachvollziehbar . Verzichten Sie darauf! ({0}) Was ich ebenfalls nicht nachvollziehen kann - das wurde hier auch schon vorgehalten -, ist die Kritik an der Geschwindigkeit des Gesetzgebungsverfahrens . Wir machen es uns nicht leicht, aber das Tempo ist richtig und notwendig - nicht, weil kriminelle Rechtsradikale durch ihre Verbrechen medienwirksam Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, sondern die Geschwindigkeit ist notwendig, um die Akzeptanz für unser Asylsystem in der breiten Mitte der Bevölkerung zu erhalten ({1}) und, wie wir es auch von Innenminister Jäger gehört haben, um die Kommunen und die Verantwortlichen vor Ort wirksam zu entlasten . ({2}) Gerne, meine Damen und Herren, möchte ich auf die vorliegenden Anträge der Grünen eingehen, die gut gemeint sind, aber, ehrlich gesagt, bei der Bewältigung der Probleme wenig hilfreich sind . So soll künftig nicht mehr vom BAMF überprüft werden, ob die Schutzgründe bei anerkannten Flüchtlingen auch nach mehreren Jahren noch bestehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Asylrecht ist ein Recht auf Zeit und kein automatisches dauerhaftes Bleiberecht . Wer nicht schutzbedürftig ist, muss in sein Herkunftsland zurückkehren . Das ist der zentrale Grundsatz unseres Asylsystems, auf den sich auch ein großer Teil der Akzeptanz für dieses stützt . ({3}) Die Widerrufsprüfungen durch das BAMF müssen daher bestehen bleiben . Was Sie hingegen in Ihrem zweiten Antrag verlangen, ist durchaus wünschenswert . Wir tun alles, was wir können, um gerade Frauen und Kindern ein Höchstmaß an Schutz zukommen zu lassen - weit mehr im Übrigen als andere Länder . Nun führen wir ein, dass künftig ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss, wer Kinder und Jugendliche in Flüchtlingseinrichtungen betreuen will . Außerdem hat die Bundesregierung - anders, als Sie es behauptet haben - bereits ein Schutzkonzept für Frauen und Kinder in Flüchtlingsunterkünften vorgelegt . ({4}) Dieses sieht bauliche Maßnahmen und Schulungen der Helfer vor . Wir machen also sehr viel . Gleichzeitig müssen wir aber - das müssen auch Sie einsehen - die Machbarkeit vor Ort im Auge behalten und genau hinschauen, was tatsächlich geleistet werden kann . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einige Sätze zum Thema sichere Herkunftsländer sagen . Es freut mich, dass auch Innenminister Gall der Debatte heute folgen kann . Auch bei diesem Thema tragen Sie mit Ihrer Blockade leider nicht im Geringsten zur Lösung der Herausforderungen bei, sondern Sie verschärfen diese noch . Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir brauchen die Einstufung von Algerien, Tunesien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten, ({6}) und wir werden sie hier in diesem Hohen Haus auch früher oder später beschließen müssen . ({7}) Wissen Sie, der Zustrom aus den Maghreb-Staaten erinnert mich fatal an letztes Jahr, als wir mit einem massiven Zustrom vom Balkan konfrontiert waren . Auch hier haben wir schnell die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten auf den Tisch gelegt . Es dauerte jedoch fast ein Jahr, bis Sie sich endlich dazu durchringen konnten, diesem notwendigen Schritt zuzustimmen . ({8}) In dieser Zeit kamen etwa 150 000 Menschen vom Balkan zu uns, die wir jetzt nach und nach zurückführen müssen . Im Zuge der Einstufung der Balkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten gingen - auch durch andere flankierende Maßnahmen - die Zahlen rasch zurück . ({9}) Die Menschen wussten sehr bald, dass sie in Deutschland keine Bleibeperspektive haben . Gleichzeitig können die Anträge aus dieser Region - das ist auch wichtig - bei uns im beschleunigten Verfahren bearbeitet werden . Die Zahl der Entscheidungen hat sich verdoppelt . Inzwischen wird bei Migranten aus dem Balkan innerhalb weniger Tage entschieden . Das entlastet und sorgt dafür, dass wir den Menschen aus Syrien und dem Irak heute überhaupt noch Schutz bieten können . ({10}) Meine Damen und Herren, bei den Maghreb-Staaten begehen wir den gleichen Fehler, nämlich dass wir zu lange warten, ein zweites Mal . Auch hier steigen die Zahlen . ({11}) Fast ein Viertel der Asylbewerber, die 2015 aus diesen Staaten kamen, ist alleine im Dezember gekommen . Auch hier liegt die Einstufung als sichere Herkunftsländer als wirksame Maßnahme zur Entlastung auf dem Tisch . Darüber diskutiert man nicht monatelang . Man beschließt es zügig und schnell . ({12}) Doch auch hier verweigern Sie sich der Verantwortung für unser Land . Sie müssen sich schon entscheiden: Wollen Sie, dass noch mehr Algerier, Marokkaner und Tunesier in unser Land kommen, oder wollen Sie mithelfen, die Zahlen zu reduzieren? ({13}) Da helfen jetzt auch keine Schuldzuweisungen, Frau Göring-Eckardt, dass die Koalition selbst für den Zeitplan und die Verzögerung verantwortlich sei . Mit mehr Mut und der Entschlossenheit der Union hätten wir in dieser Woche diese Länder als sichere Herkunftsländer beschließen können . ({14}) Das wäre das klare Signal gewesen: Es lohnt sich nicht, nach Deutschland zu kommen . Stattdessen belasten die Verzögerungstaktik und die Mutlosigkeit von Grün und auch von Rot unsere Städte und Kommunen . ({15}) Meine Damen und Herren, der französische Bischof und Staatsmann Talleyrand sagte einmal: Opposition ist die Kunst, so geschickt dagegen zu sein, dass man später dafür sein kann . ({16}) Nehmen Sie sich diesen Ratschlag gerade hinsichtlich der sicheren Herkunftsländer, aber auch im Fall des gesamten Asylpakets II zu Herzen . Sie waren einst dagegen . Stimmen Sie heute dem Gesetzespaket zu . Vielen Dank . ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Warken, Sie haben in Ihrer Rede wirklich den Geist der Abschiebepolitik vorgetragen, ({0}) der unsäglich ist . Sie haben nichts Konstruktives vorzutragen - im Gegenteil . Vor allen Dingen der rechten Seite dieses Hauses geht es nur noch darum: Wie werden wir Menschen los, die Schutz suchen? Wie können wir sie am besten abschieben? Und das ist einfach unerträglich und ekelhaft . ({1}) Wenn Sie schon nicht mehr darüber diskutieren wollen, auf welche Weise sichere Herkunftsstaaten einzustufen sind, dann kann ich Ihnen nur sagen: Lesen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus den 90er-Jahren . Da ist sehr genau beschrieben worden, dass auch die internationalen NGOs befragt werden müssen . ({2}) Natürlich haben Sie das nicht getan . Und was haben wir für eine Situation? In den Abschiebelagern bzw . in den Sonderlagern sind Roma-Familien, die man meines Erachtens nicht einfach so abschieben kann . Diese Menschen sind schutzbedürftig! Da kann man sich hier nicht einfach hinstellen und so tun, als sei es völlig berechtigt, Tausende von Menschen von heute auf morgen abzuschieben . Das ist wirklich unerträglich . ({3}) Da Sie hier aus Gutachten der von Ihnen bestellten Sachverständigen zitiert haben, möchte ich wenigstens sagen: Innerhalb von fünf Tagen werden diese Gesetzentwürfe hier durchgepeitscht . Es gibt auch Gutachten, die ganz klar sagen, dass mit der Einschränkung beim Familiennachzug, den Sie hier jetzt behindern wollen, gegen die UN-Flüchtlingskonvention, die UN-Kinderrechtskonvention und auch gegen EU-Recht verstoßen wird . Aber das interessiert Sie gar nicht . Es ist doch interessant, dass zum Beispiel die Neue Richtervereinigung moniert, dass die Anhörung zu den Verschärfungen wörtliches Zitat - allenfalls „der Form halber“ durchgeführt wurde und dass das federführende BMI, also das Innenministerium, keinerlei Interesse an inhaltlichen Äußerungen hatte . Das ist doch echt ein Skandal, meine Damen und Herren . ({4}) Sie sagen hier auch nur die halbe Wahrheit . Reden wir einmal über einen 13-jährigen Jungen, der als unbegleiteter Flüchtling aus Syrien gekommen ist . Es geht doch darum, dass die Wartezeiten heute schon sehr lange sind . Wenn Sie den Familiennachzug für zwei Jahre aussetzen, kommt man - wir haben das einmal durchgerechnet auf Wartezeiten von insgesamt drei bis vier Jahren . Das heißt, dieser Jugendliche muss bis zu vier Jahre auf seine Eltern verzichten . ({5}) Auch das finde ich unmenschlich. ({6}) Es ist wirklich ein Skandal, dass Sie hier sagen - so hat Herr Schröder das formuliert -: Schutz und Hilfe nur für diejenigen, die Hilfe brauchen . - Wollen Sie etwa sagen, dass diese jungen Menschen ihre Eltern nicht brauchen? Was sind Sie bloß für Eltern? ({7}) Da muss ich mich wirklich an den Kopf fassen . ({8}) Ich will noch einen Punkt zu den Minderjährigen sagen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie müssen bitte auf die Zeit achten .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 105 Anerkennungen von subsidiär, also vorübergehend, schutzberechtigten Kindern gezählt . Auch daran wird deutlich, wie kleinkariert Ihre Flüchtlings- und Asylpolitik ist . ({0}) Meine Redezeit ist leider abgelaufen, zum Schluss will ich aber wenigstens noch einen Satz sagen: Wer einer Partei angehört, die das Wort „christlich“ oder sogar noch das Wort „sozial“ in ihrem Parteinamen hat, kann den Gesetzentwürfen heute nicht zustimmen . So denken wir . Wir werden auch weiterhin gegen diese Maßnahmen kämpfen . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Staatsministerin Aydan Özoğuz. ({0})

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Korte hat ganz zu Beginn seiner Rede Willy Brandt erwähnt . Ich habe schnell noch einmal nachgeguckt, ob ein Zitat von Willy Brandt, das mir in den Kopf kam, stimmt . Dieser sagte - Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -: Ich glaube nicht, dass diejenigen recht haben, die meinen, Politik besteht darin, zwischen schwarz und weiß zu wählen. Man muss sich auch häufig zwischen den verschiedenen Schattierungen des Grau hindurchfinden. ({0}) Ich glaube, dass gerade Willy Brandt das sehr beherzigt hat . Alle hier im Hause vertretenen Parteien regieren auch in den Ländern und wissen eines ganz genau: Es muss uns mindestens nachdenklich machen, dass sich bei vielen in unserer Bevölkerung das Gefühl eingeschlichen hat, wir hier im Deutschen Bundestag würden unsere Arbeit nicht mehr machen, wir würden streiten und nichts auf den Weg bringen, wir würden in der Flüchtlingspolitik nicht mehr so richtig organisieren, wir hätten gar keine richtigen Regelungen . ({1}) - Wir haben bisher durchaus auch viele gute Regelungen, wie ich finde. ({2}) Wir arbeiten ja seit vielen Monaten nun wirklich täglich an diesen Gesetzentwürfen . Und ich glaube, jeder hier im Haus weiß, was sich seit 1993 alles verändert hat - seither gab es ja ganz unterschiedliche Regierungen - und was wir alles zum Besseren gewendet haben . Damals gab es ja schon einmal eine Situation, in der wir Flüchtlinge in sehr hoher Zahl bei uns hatten . Wenn man das mit heute vergleicht, muss man sagen: Heute sehen wir in Deutschland ein komplett anderes Bild . Da muss ich Ihnen recht geben . ({3}) Deutschland ist - neben Schweden und einigen anderen Ländern - ein Land, das eine unglaublich hohe Zahl von Flüchtlingen aufgenommen hat bzw . aufnimmt und ihnen helfen kann und auch will . Aber eines hat mich heute Morgen schwer schockiert - das möchte ich hier sagen -: das Interview mit Viktor Orban in einer großen Tageszeitung mit vier Buchstaben - es ist eine ganze Seite lang -, in dem er eine Menge sagt ({4}) - ich sage gleich noch etwas zu den Gesetzentwürfen -, zum Beispiel zu Europa, zu den verschiedenen Ländern und dazu, wie man selber bleiben will . ({5}) Er sagt aber kein einziges Wort dazu, dass die Flüchtlinge, um die es geht, Menschen sind, die Hilfe brauchen, und dazu, wie wir es in Europa gemeinsam schaffen können, den Flüchtlingen zu helfen . ({6}) Nur zu sagen: „Ich wünsche Angela Merkel viel Glück“, empfinde ich als eine Unverschämtheit; das möchte ich einmal so deutlich sagen . ({7}) Jetzt zu den Gesetzentwürfen . Mir ist wichtig, dass wir die Asylverfahren endlich beschleunigen . Ich sage das auch so; denn das gehört zur Ehrlichkeit dazu . Alle sollen schneller wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht und ob sie einen Grund auf Asyl vortragen können oder nicht . Das ist wichtig, auch für Länder und Kommunen und für alle, die Flüchtlinge unterstützen . Das hören wir immer wieder, wenn wir vor Ort sind . ({8}) Vorhin ging es um die Frage: Was wäre eigentlich, wenn die Sozialdemokraten nicht mitregieren würden? Das kann ich Ihnen sagen . Wenn die SPD nicht mitregieren würde, dann hätten wir heute Transitzonen mit Haftanstalten an unseren Grenzen, und es gäbe eine allgemeine Einschränkung des Familiennachzugs . So wäre es doch . ({9}) Ich glaube, uns wäre es nicht eingefallen - das habe ich eingangs mit den Grautönen im Brandt-Zitat gemeint -, Einschränkungen gerade an diesen Stellen vorzunehmen . Weil das Thema Familiennachzug hier in der Debatte sehr pauschal behandelt wurde, möchte ich deutlich machen, dass hierzu viele Regelungen getroffen wurden . Erstens . Die getroffenen Regelungen betreffen bei weitem nicht alle, sondern nur eine kleine Gruppe von Flüchtlingen . Sie alle sind Menschen; gar keine Frage . Aber es ist nur eine kleine Gruppe, die den subsidiären Schutz bekommt . 1 700 Menschen waren es 2015 und sind eben etwas anderes als 1,1 Millionen Menschen; das muss man klar sehen . ({10}) Das Zweite ist, dass die Regelung zum Familiennachzug nach zwei Jahren automatisch außer Kraft tritt . Das heißt, wer in einigen Monaten zu uns kommt, der ist von der Regelung bezüglich der zwei Jahre nicht vollumfänglich betroffen . Wer beispielsweise in einem Jahr zu uns kommt, für den gilt sie nur ein Jahr . Das ist notwendig, um ein Stück weit für eine Atempause zu sorgen, auch wenn es nur um eine kleine Gruppe geht . Das ist aber auf jeden Fall etwas anderes, als zu sagen, es sei grundsätzlich etwas beim Familiennachzug geändert worden . ({11}) Sehr wichtig ist mir, dass nach den §§ 22 und 23 Aufenthaltsgesetz weiterhin Ausnahmen für Härtefälle möglich sind . Wir sollten, glaube ich, den Worten des Bundesinnenministers Glauben schenken, der meiner Fraktion sehr deutlich gesagt hat - darauf vertrauen wir, und Vertrauen ist etwas Wichtiges in der Politik -: Es wird keine Weisung an das BAMF geben, die Entscheidungspraxis bei syrischen Schutzsuchenden zu ändern . Das möchte ich ganz deutlich unterstreichen . ({12}) Jeden Tag neue Vorschläge zu machen, führt wirklich nicht zum Ziel; wie ich gerade hörte, hat auch Herr Kauder das schon gesagt . Ich glaube, das sollten wir alle unterstreichen . Deswegen möchte ich eine Sache gerne richtigstellen - in der letzten Woche ist hier nämlich etwas gesagt worden, was falsch war; aber was eine große Wirkung in unser Land hinein haben kann . -: Der Kollege Strobl stand hier und meinte, es sei ein Integrationshindernis, dass wir im Zuwanderungsgesetz für anerkannte Flüchtlinge nach drei Jahren ein unbefristetes Daueraufenthaltsrecht eingeführt haben und dass dieses Recht voraussetzungslos sei - ich zitiere -, „gleichviel, ob man straffällig geworden ist“ . So haben Sie es gesagt, Herr Kollege Strobl . Aber Sie wissen ganz genau: Das Ausweisungsrecht gilt auch für anerkannte Flüchtlinge . Ich möchte Sie bitten, solche Sachen von dieser Stelle Staatsministerin Aydan Özoğuz aus nicht mehr zu sagen, nur weil sich das für Sie irgendwie gut anhört . ({13}) Soweit ich weiß, hat aber auch die Union diese Regelungen damals mitgetragen . Zuletzt komme ich auf das, was auch Frau GöringEckardt schon angesprochen hat . Wir brauchen tatsächlich ein Integrationspaket; ({14}) wir brauchen es jetzt und schnell . Viele Dinge haben wir schon verbessert . Übrigens haben wir das in der Vergangenheit oftmals schon gemeinsam mit den Grünen gemacht . Es sollte auf jeden Fall so sein, dass junge Auszubildende nach der Drei-plus-zwei-Regelung behandelt werden . Wir hatten doch in der Vergangenheit die Situation, dass Hochschulabsolventen mit dem Tag ihrer Exmatrikulation das Land verlassen sollten . ({15}) Jeder hat gesagt, wie absurd das ist . Bei Auszubildenden sollte es also so sein: Wenn sie mit der Ausbildung fertig sind, sollen sie ihre Kenntnisse im Betrieb anwenden und zwei Jahre bleiben können . Und dann gibt es sowieso eine Bleibeperspektive für sie . ({16}) Es ist klar, dass wir für Flüchtlinge den Arbeitsmarktzugang weiter verbessern müssen . Wir dürfen aber auch niemals diejenigen vergessen, die schon seit vielen Jahren in unserem Land keine Arbeit finden. Und natürlich müssen wir noch über den sozialen Wohnungsbau sprechen . Das ist doch für uns alle hier ein ganz wichtiges Anliegen . Es gilt übrigens besonders für die Metropolen, wo schon jetzt kaum Wohnungen vorhanden sind .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Staatsministerin .

Not found (Gast)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident . - Ich kann nur dafür werben, dass wir dieses Paket jetzt gemeinsam tragen und auch sehr schnell sagen, wie die Integration all derjenigen, die bei uns bleiben - es werden viele sein -, sehr schnell und sehr gut gelingen kann . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katja Dörner ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Asylpaket II ist ein Sammelsurium von Scheinlösungen . Was aber noch viel schlimmer ist: Es geht voll zulasten der Schwächsten unter den Geflüchteten, die zu uns kommen . Und weil das so ist, können wir diesem Asylpaket auf keinen Fall zustimmen . ({0}) Wie kommt man auf die Idee, den Familiennachzug einzuschränken? Wie kommt man als CDU und CSU auf eine solche Idee, für die die Familie doch angeblich einen so hohen Stellenwert hat? Damit müssen Sie uns gar nicht mehr kommen . ({1}) Wem die Achtung der Familie nur für manche etwas wert ist, dem ist sie nichts wert . Das dokumentieren Sie mit dem Asylpaket II . Was wird denn tatsächlich passieren? Sie werden doch nicht die Zahl der Geflüchteten reduzieren. Nein, Sie zwingen noch mehr Kinder und Frauen in morsche Boote . Ich muss dabei an den kleinen Aylan Kurdi denken. Ich finde, das sollten auch Sie tun, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen . ({2}) Es erschüttert mich, dass Sie ernsthaft die Abschiebung von schwer traumatisierten und schwerkranken Menschen massiv erleichtern wollen, dass posttraumatische Belastungsstörungen ausdrücklich als Abschiebehindernis ausgeschlossen werden . Es soll künftig reichen, dass eine Behandlung kranker, auch schwerkranker Menschen im Herkunftsland grundsätzlich möglich erscheint . Das heißt, es kommt gar nicht darauf an, ob diese schwerkranke Person im Herkunftsland tatsächlich versorgt werden kann . Das ist doch der Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Frau Warken, Sie argumentieren hier mit angeblich vorgetäuschten Krankheiten und falschen Attesten . Ich finde, das ist gegenüber den Ärztinnen und Ärzten in diesem Lande eine unglaubliche Unterstellung . ({4}) Es gibt für diese Behauptung überhaupt keine Belege, und ich möchte, dass Sie es unterlassen, hier so etwas zu sagen . Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es darf doch nicht sein, dass die Sorge über die Anzahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dazu führt, dass wir die Grundsätze der Menschlichkeit über Bord werfen . Wenn Sie das aus meinem Mund nicht gerne hören wollen, dann lege ich Ihnen Staatsministerin Aydan Özoğuz die gemeinsame Stellungnahme der EKD und des Kommissariats der Deutschen Bischöfe ans Herz . ({5}) Diese hätte ich hier heute eins zu eins vortragen können . Ich habe sie bei mir . Sie können sie sich gerne einmal angucken . Wir haben noch 25 Minuten Zeit, zu entscheiden, ob wir wirklich den Schwächsten der Geflüchteten die Unterstützung entziehen wollen . Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dieses Asylpaket enthält nichts, was nach vorne gewandt ist, Perspektiven schafft und Integration befördert . Es enthält auch nichts von dem, was schon angekündigt worden ist . Der sichere Aufenthalt während einer Ausbildung ist hier angesprochen worden . Das ist für junge Flüchtlinge superwichtig . Die Unternehmen wollen das . Der Vizekanzler hat angekündigt, das schnellstmöglich in Gesetzesform zu gießen. Ich weiß nicht, was Ihre Definition von „schnellstmöglich“ ist . ({6}) Wir denken, „schnellstmöglich“ wäre schon vor Wochen gewesen . Spätestens wäre es aber heute . Also, wann lassen Sie Ihren Ankündigungen endlich Taten folgen? Ich will diese Frage auch auf einen Punkt in diesem Paket beziehen, der uns sehr ärgert: Was ist mit verbindlichen Schutzkonzepten für Frauen und Kinder in den Flüchtlingsunterkünften? ({7}) Auch die waren angekündigt und sollten mit ins Paket hinein . Die Familienministerin, die heute aus guten Gründen nicht hier sein kann, hat im Oktober ganz klar formuliert, dass die Schutzvorschriften, die in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gelten, auch für Flüchtlingskinder in Flüchtlingsunterkünften gelten sollen . Es ist beschämend, dass auch dieser Ankündigung bis heute keine Taten gefolgt sind . ({8}) Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hat uns ganz klar und deutlich aufgefordert, den Gesetzentwurf nachzubessern und Mindeststandards zum Kinderschutz darin aufzunehmen . Das ist kein „Nice to have“, sondern die Kinder haben ein Recht darauf . Wir haben heute einen Antrag dazu vorgelegt, über den wir auch abstimmen lassen . Es reicht eben nicht, grundsätzlich zu sagen, dass man Schutzkonzepte gut findet, wie es Union und SPD im Ausschuss getan haben, sondern man muss auch tatsächlich etwas tun . Wir fordern Sie auf, Ihre Verantwortung für den Schutz von Frauen und Kindern in den Flüchtlingsunterkünften endlich ernst zu nehmen und unserem Antrag zuzustimmen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält die Kollegin Andrea Lindholz das Wort . ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! CDU und CSU verfolgen in der Asylpolitik im Wesentlichen drei Ziele: Unser erstes Ziel ist die massive und dauerhafte Reduzierung der Zuwanderung . ({0}) Unser zweites Ziel ist es, die Kontrolle über die Zuwanderung zu verbessern . Unser drittes Ziel ist es, dass wir die Zustimmung für die Migration in Deutschland grundsätzlich erhalten . Nach den vergangenen Monaten müssen wir das Tempo und das Volumen der Zuwanderung begrenzen, wenn wir die Hilfsbereitschaft und die Aufnahmefähigkeit in Deutschland erhalten wollen . Hier nützen uns polemische Reden wie die des Kollegen Korte heute überhaupt nicht, ({1}) und ich frage mich, wo die Fraktionsspitze der Linken bei diesem so wichtigen Gesetzespaket, das angeblich mit Skandalen versehen ist, heute ist . Vielleicht ist sie gestern am Nockherberg hängen geblieben . Die meisten anderen, die ich dort gesehen habe, sind heute aber hier . ({2}) Um auf die Leistungen Bayerns einzugehen, möchte ich Ihnen einmal eines sagen: Bayern versorgt ein Viertel aller unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, und das sind aktuell 15 500 . Bayern stellt 3,2 Milliarden Euro für die Integration zur Verfügung, damit wir im Bereich der Lehrer und in anderen Bereichen mehr Stellen schaffen und 28 000 neue Sozialwohnungen bauen können . Wer also die Leistungen Bayerns nicht schätzt, sondern hier in Reden pauschal auf die CSU und auf Herrn Horst Seehofer einschlägt, der geht an der Realität vorbei . In Bayern wird gehandelt, während von den Linken hier nur geredet wird . ({3}) Wir müssen auch im Interesse derjenigen, die zu uns kommen, noch schneller als bisher festlegen, wer in Deutschland bleibeberechtigt ist und damit auch integriert werden soll und wer seiner Ausreisepflicht nachkommen muss und daher auch keinen Anspruch auf Integrationshilfe hat . Diese Entscheidungen müssen wir auch konsequent durchsetzen . Wir haben in den vergangenen Monaten einiges erreicht . Die Ernennung von Ländern zu sicheren Herkunftsstaaten, wie wir das mit den Ländern des Westbalkans getan haben - über 99 Prozent aller entsprechenden Anträge waren aussichtslos -, ist richtig . Wir haben vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel im September letzten Jahres bescheinigt bekommen, dass sich dadurch die Anzahl der Asylanträge deutlich reduziert . Es geht nicht darum - Frau Kollegin Jelpke hat sich auch schon verabschiedet -, Einzelfallentscheidungen abzuschaffen; denn nach wie vor wird jeder Einzelfall geprüft . Es geht lediglich um eine Beweislastumkehr . Mit der Reform des Bleiberechts im letzten Juli haben wir bereits die Ermessensentscheidung eingeführt . Wir haben entschieden, dass derjenige, der sich gut integriert hat, zügiger ein Bleiberecht bekommt . Wer aber die Sicherheit gefährdet und sich nicht an unsere Regeln hält und damit auch nicht schutzberechtigt ist, der muss schneller ausgewiesen werden . Wir haben mit den Wiedereinreisesperren die freiwillige Ausreise gefördert und auch die Zahl aussichtsloser Folgeanträge reduziert . Im Oktober letzten Jahres haben wir hier im Deutschen Bundestag das Asylpaket I beschlossen . Wir haben damit Länder und Kommunen finanziell massiv entlastet. Wir haben aber auch Leistungen für Ausreisepflichtige gekürzt und die Ankündigung des Abschiebetermins verboten . Im letzten Jahr waren 200 000 Personen ausreisepflichtig, aber trotz all dieser Maßnahmen sind nur 20 000 Abschiebungen erfolgt . Da sieht man, dass wir an diesem Punkt einfach noch besser werden müssen, damit wir Platz für diejenigen haben, die unseren Schutz wirklich brauchen . ({4}) Wir haben im Januar dieses Jahres mit dem Gesetz zum besseren Datenaustausch zwischen den Behörden nicht nur die gesetzlichen Grundlagen für ein gewaltiges IT-Projekt geschaffen, sondern auch dafür gesorgt, dass jetzt alle Asylbewerber mit ihren Qualifikationen und ihren Sprachkenntnissen systematisch erfasst und in einer zentralen Datenbank registriert werden sowie ihre Fingerabdrücke und vieles mehr im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung durch unsere Nachrichtendienste konsequent und zielgerichtet zusammengeführt werden . Wir haben mit dem Bundeshaushalt 2016 über 1 800 neue Stellen für Bundespolizei und BKA geschaffen . Auch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden 4 000 neue Stellen zur Verfügung gestellt, um die Asylverfahren zu beschleunigen und damit aber auch eine schnellere Anerkennung zu erreichen und diesen Flüchtlingen eine schnellere Integration zu ermöglichen . Wir haben schon im letzten Jahr beschlossen, dass Asylbewerber mit einer guten Bleibeperspektive bereits nach drei Monaten, auch wenn ihre Verfahren noch nicht abgeschlossen sein sollten, arbeiten dürfen, dass sie schneller an Integrationskursen teilnehmen dürfen aber eben nur diejenigen mit guter Bleibeperspektive . Es ist daher nicht richtig, wenn heute der Vorwurf erhoben wird, die rechte Seite würde sich nur um Abschiebungen und Ausweisungen kümmern . Das Gegenteil ist der Fall . ({5}) Die Mittel für die Integrationskurse sind auf 559 Millionen Euro verdoppelt worden . Mit den heute vorliegenden Gesetzentwürfen gehen wir einen weiteren Schritt . Wir haben in den vergangenen Monaten vieles debattiert, um zu schauen, wie wir die Situation für unser Land verbessern können . Diese Entscheidungen machen uns nicht immer glücklich, aber sie sind notwendig . Dazu gehört das Asylpaket II, das wir heute verabschieden und mit dem es ermöglicht wird, dass die Bundespolizei unter anderem künftig die Länder bei der Passersatzbeschaffung unterstützt . Wir schaffen besondere Aufnahmeeinrichtungen, in denen alle Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive Schnellverfahren von drei Wochen durchlaufen können . Wir haben die Residenzpflicht gestärkt, indem wir den Leistungsanspruch der Asylbewerber ruhen lassen, wenn sich der Asylbewerber nicht in der ihm zugewiesenen Kommune meldet . Es kann nicht sein, dass die Asylbewerber selbst entscheiden, wo sie sich in Deutschland aufhalten . Wir brauchen eine gesteuerte Migration . Das ist für unsere Kommunen auch dringend erforderlich . Die Aussetzung des Familiennachzuges ist ein Einschnitt, ja . Aber wir knüpfen an eine Regelung an, die bis Mitte letzten Jahres bestanden hat . An dieser Stelle habe ich weder von den Grünen noch von den Linken, seit ich im Bundestag bin, einen großen Aufschrei gehört . Es geht lediglich um die Aussetzung des Familiennachzuges für subsidiär Geschützte und auch nur für einen Zeitraum von zwei Jahren . ({6}) Das ist weder unmenschlich noch inhuman, sondern es ist notwendig, damit wir die Einwanderungszahlen zumindest in manchen Bereichen reduzieren können . Mir kann niemand erklären, was es mit „human“ zu tun hat, wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder allein auf die Flucht nach Deutschland schicken . Ich werde das nicht verstehen . ({7}) Mit dem Gesetz zur erleichterten Ausweisung ausländischer Straftäter reagieren wir zu Recht auf die Gewalt in der Silvesternacht . Bestimmte Delikte sollen bei Verstößen künftig immer ein schwerwiegendes Ausreiseinteresse begründen . Dazu gehören Straftaten gegen das Leben, das Eigentum, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, und dazu gehört auch der Widerstand gegen Vollzugsbeamte . Auch hier gilt: Der Einzelfall wird geprüft . Auch hier gilt: keine pauschale Aberkennung von Titeln und pauschale Zurückführung . So ist das in allen Fällen, die wir geregelt haben . Es wird der Einzelfall berücksichtigt . Auch hier gilt eine besondere Hürde . Nicht jedes strafbare Verhalten führt danach zu einer Aberkennung von Aufenthaltstiteln oder zu einer Nichtermöglichung im bestehenden Verfahren . Die Hürde ist mit einem StrafAndrea Lindholz maß von einem Jahr ebenfalls hoch gesetzt, sodass wir auch hier nicht von einer unbilligen und pauschalen Härtefallregelung sprechen können . Das Gegenteil ist der Fall .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen . ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem die Kollegin Jelpke vorhin so schön überzogen hat, können wir, glaube ich, die 30 Sekunden verkraften .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, das habe ich zu entscheiden, ob überhaupt und wie lange gegebenenfalls eine vorgesehene Redezeit überschritten wird . ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte Sie daher, diesem Gesetzespaket heute zuzustimmen . Wir sind auf einem richtigen Weg, und es wird nicht das letzte Gesetzespaket in dieser Legislaturperiode bleiben . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nur rein nachrichtlich, Frau Kollegin Lindholz: Sie haben genau die eine Minute mehr gesprochen wie die Kollegin Jelpke auch . - Nun hat der Kollege Hartmann für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der bereits zitierte Willy Brandt formulierte vor 36 Jahren, 1980, in der Einleitung zum Nord-Süd-Bericht: „Die Globalisierung von Gefahren und Herausforderungen - Krieg, Chaos, Selbstzerstörung - erfordert eine Art ‚Weltinnenpolitik‘ .“ Die Flüchtlingskrise ist der Brennpunkt von Innen- und Außenpolitik . Das belegt die Notwendigkeit eines solchen Gedankens der Weltinnenpolitik . ({0}) Zweiter Gedanke, meine Damen und Herren: Die Rahmenbedingungen für uns Deutsche sind gut: 19 Milliarden Euro Haushaltsüberschuss, ein hoher Bundesbankgewinn, wie gestern bekannt wurde, und mit 43 Millionen Erwerbstätigen in diesem Land eine so hohe Beschäftigung wie nie zuvor . „Wir schaffen das“ bedeutet: wenn wir es wollen . Aus dem „Wir schaffen das“ leitet sich eine Gesamtverantwortung ab . „Wir schaffen das“ ist der Leitgedanke eines umfassenden Programms . Dieser Leitgedanke ist ein Appell an alle politisch Handelnden und Verantwortungsträger auf allen staatlichen Ebenen: Bund, Länder und Kommunen . ({1}) Aber lassen Sie uns endlich damit aufhören, alles nur in Schwarz und Weiß zu denken . Deutschland ist und bleibt ein liberales, weltoffenes Land, das international geachtet wird und seine besondere Verantwortung besonnen wahrnimmt . ({2}) Dafür stehen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht nur theoretisch ein, sondern in Regierungsverantwortung in den Ländern und im Bund . ({3}) Lassen Sie uns insbesondere aber auch damit aufhören, Tag für Tag über singuläre hektische Maßnahmen zu reden . Das ist kleingeistig und wenig zielführend . In einer immer komplexeren Welt gibt es keine einfache Lösung, die man in einem Satz zusammenfassen kann . ({4}) Mehr noch: Es ist keine Politik . Politik muss nach Erhard Eppler Ziele und Orientierung bieten . Politik, so wird er zitiert, kommt aus der Frage, wie Menschen leben wollen und wie nicht . Sie formuliert das Gemeinwohl gegenüber den Einzelinteressen . Politik ist etwas anderes als der Vollzug von Sachzwängen . Politik braucht Ziele, Entwürfe und Utopien und muss auch die Spannung zwischen Entwurf und Wirklichkeit aushalten, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({5}) Wir brauchen Augenmaß und kühlen Kopf, Herz und frohen Mut . Ich benenne drei Herausforderungen . Was ist jetzt zu tun? Die erste Herausforderung ist das Fundament jeder Lösung dieser Krise: Wir müssen die Krisenstaaten und die Regionen stabilisieren, um den Zuzug zu reduzieren, um Flucht durch Bekämpfung von Fluchtursachen unnötig zu machen . Das gelingt nur international und europäisch . Die Kanzlerin und Frank-Walter Steinmeier allen voran setzen sich jeden Tag dafür ein . ({6}) Manche mögen zweifeln und denken, dass Deutschland überfordert sei . Aber wir sind nicht allein . Deutschland ist stark und kann viel . Es war niemals unser Ziel, allein zu handeln . Zur Wahrheit gehört auch: Deutschland hat eine Verantwortung, die unteilbar ist und die wir wahrnehmen . Die zweite Herausforderung ist unsere strukturelle Verantwortung als Bund . Wir müssen alles tun, was zur Ordnung und Beschleunigung der Verfahren nötig ist . Wir müssen diese Verfahren ordnen, um den Menschen schneller zu eröffnen, wer bleiben kann und wer eine Perspektive hat, um endlich mit der Integration zu beginnen . Darüber hinaus müssen wir aber auch den anderen sagen: Ihr habt keine Perspektive; ihr habt keine Chance . - Das ist übrigens nichts anderes als die Herrschaft des Rechts, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({7}) Aber wir erwarten auch vom Innenminister, dass alle Zusagen betreffend Verfahrensbeschleunigung und Personalgewinnung, die öffentlich getroffen worden sind, eins zu eins eingehalten werden . Sonst kommt es nicht zur Ordnung der Verfahren . Die dritte Herausforderung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Wir müssen und wir können die langfristige Herausforderung meistern und diese Krise als echte Chance nutzen, um neue Mitbürger zu integrieren, um den Standort Deutschland zu stärken und um gemeinsam stärker zu werden . Das ist die zentrale Ebene, die wir national beeinflussen können. Wir wissen: Erfolgreiche Integration ist ein Gewinn, kulturell und moralisch, aber auch wirtschaftlich . ({8}) Wie wollen wir zukünftig zusammenleben? Das ist die Frage, die wir jetzt beantworten müssen . Integration erfasst alle: die, die hier leben, und die, die neu hinzugekommen sind . Das ist Integration . Es ist kein loses Miteinander oder Nebeneinander . Integration fußt für mich auf einem neuen Gesellschaftsvertrag, der von allen hier Lebenden - ich betone: allen hier Lebenden - positiv geschlossen werden muss . Es geht uns alle an . Dann kann Integration ein echter Erfolg für unser Land sein und eine Gesellschaft prägen, die das zukünftige Deutschland ist . ({9}) Es ist richtig: Wir brauchen einen Integrationsplan . Wir brauchen einen Integrationspakt für Deutschland . Aber wir fangen nicht bei null an . Wir wissen genau, was zu tun ist . Wir haben in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe sehr deutlich gemacht, wo die Herausforderungen und die Handlungsfelder bestehen . Wir haben darüber hinaus in diesen Tagen in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen den ersten Integrationsplan vorgelegt . Wir fangen nicht bei null an . Wir wissen genau, was zu tun ist . ({10}) Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Integration gelten auch für diejenigen, die hier leben . Kein anständiger Deutscher kann sich auf unseren Rechtsstaat berufen, wenn er Molotowcocktails auf Asylbewerberheime schmeißt . ({11}) Kein anständiger Deutscher darf sich darauf berufen! Die Werteordnung ist auch zu leben . Sprachförderung, Integrationskurse, Arbeitsmarkt, Bildung sowie Wohnungsbau und Quartiere, das alles gehört zusammen. Wir wissen, dass das auch finanziert werden muss . Wir werden über einen längeren Zeitraum mehr Geld brauchen, und zwar für die Bewältigung der Folgen der Demografie sowie für Integration und Migration . Wenn wir aber die notwendigen Mittel investieren, dann kommt jeder Euro mehrfach zurück . ({12}) Sehr zentral in einem föderalen Staat ist: Es kann nicht sein, dass allein die Kommunen diese Aufgabe tragen und für die Integration zahlen müssen, die späteren Gewinne einer erfolgreichen Integration aber vor allen Dingen auf Landes- und Bundesebene sowie in den Sozialkassen vereinnahmt werden . Das müssen wir gemeinsam anpacken . ({13}) Abschließend: Wenn ich heute - genauso wie ein großer Teil meiner SPD-Bundestagsfraktion - dem zweiten Asylpaket zustimme, dann tue ich das in der Erwartung, dass es zu einer echten Verfahrensbeschleunigung kommt, ohne die Qualität und die Angemessenheit jeder Einzelfallentscheidung und -prüfung infrage zu stellen . ({14}) Ich tue das in der Erwartung, dass wir nun weitgehend alles Erforderliche in den Asylpaketen I und II getan haben . Damit reicht es dann aber auch . Wir können uns nun endgültig der Integration und den nächsten Integrationspaketen zuwenden . Wir müssen aber die Vereinbarung, die wir in der Koalition getroffen haben, auch einhalten . ({15}) Die Herausforderung liegt auf der Hand .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Verständigung auf den gemeinsamen Integrationspakt steht noch aus .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn wir aber mutig sind und Orientierung bieten, dann schaffen wir das . Dann machen wir das . Ich möchte enden mit den Worten eines großen Deutschen, von Heinrich Heine: „Ein kühnes Beginnen ist halbes Gewinnen .“ Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Jutta Eckenbach für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, heute einmal in einer innenpolitischen Debatte als Sozialpolitikerin reden zu dürfen . Den ganzen Morgen war von Integrationsmaßnahmen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden die Rede . Gestatten Sie mir zu Beginn, ein Wort direkt an die Grünen zu richten, wenn sie mir denn zuhören . Gestern war im Ausschuss die Rede davon, dass sich Kirchen, Wohlfahrtsverbände wie die AWO und zahlreiche andere Vereinigungen gegen das Asylpaket II aussprechen . Ich finde: Es ist das gute Recht der Kirchen, ihre eigene Meinung deutlich zu machen . Daran ersehen Sie, wie groß deren Sorgen sind . Das heißt aber nicht, dass der Gesetzgeber an diesen Stellen immer genau diesen Institutionen folgen muss . Wir haben hier in Deutschland eine andere Aufgabe . Wir hören den Kirchen und den Wohlfahrtsverbänden wie der AWO zu . Wir unterstützen sie bei allen Maßnahmen, die sie benötigen . Aber die Gesetzgebung liegt beim Deutschen Bundestag . Wir müssen im Deutschen Bundestag auch der sozialen Verantwortung gerecht werden, die wir in Deutschland nun einmal haben . ({0}) Es gilt, für unsere Bürgerinnen und Bürger in unseren Kommunen, in unserem Land für soziale Gerechtigkeit zu sorgen . ({1}) Lassen Sie mich als Sozialpolitikerin auch noch deutlich sagen: Wir reden seit Monaten über die Flüchtlinge in Deutschland . Wir haben jedoch in Deutschland auch diejenigen Menschen, die seit vielen Jahren langzeitarbeitslos sind . ({2}) Wir haben in Deutschland auch Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, die gerade an der Leistungsuntergrenze liegen . ({3}) - Da brauchen Sie gar nicht so zu schreien, meine Damen und Herren . ({4}) Sie wissen, dass sich gerade diese Bundesregierung deutlich für diese eingesetzt hat und weiterhin einsetzen wird . ({5}) Ich will auch dies noch einmal deutlich sagen, denn auch das gehört zum sozialen Frieden in Deutschland: ({6}) Wenn davon gesprochen wird - davon war heute Morgen auch die Rede -, dass jedem einzelnen Flüchtling 10 Euro für Integrations- und Sprachkurse abgenommen werden, so ist diese Aussage falsch . Unser Anliegen ist, dass wir nicht die vollen Leistungen auszahlen, die wir nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zahlen müssten . Wir streichen zum Beispiel Leistungen für Fernsehund Videogeräte . Wir streichen Leistungen für Datenverarbeitungssoftware . Wir streichen Leistungen für langlebige Verbrauchsgüter, für Kultur, Sport und Camping . Wir streichen Leistungen für außerschulischen Unterricht und Hobbykurse sowie Gebühren für Kurse . All das macht zusammen 10 Euro . Genau um diese 10 Euro werden die Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gekürzt . ({7}) Das ist eine Maßnahme, die wir durchaus in Deutschland einführen können . Wir haben das übrigens schon einmal getan . Damals gab es nicht so einen großen Aufschrei . ({8}) Wir müssen hier auch das Wort der sozialen Gerechtigkeit benutzen ({9}) und alles dafür tun, unserer Rolle gerecht zu werden . Lassen Sie uns aber auch noch einmal über die gesetzliche Grundlage unseres Handelns reden . Das Asylrecht in Deutschland hat seine Grundlage in Artikel 16 a Grundgesetz . Daraus ergibt sich eine Berechtigung auf Asyl in Deutschland . Eine Berechtigung auf Asyl hat allerdings nicht, wer aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommt . Ich glaube, dass wir dazu kommen müssen, auch hier deutlich zu sagen, dass wir diese Menschen wieder zurückführen . Wir haben heute Morgen einige Reden gehört, auch vom Innenminister des Landes Baden-Württemberg . Gestatten Sie mir dazu die Anmerkung, dass es in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg und in vielen anderen Bundesländern noch nicht einmal dazu gekommen ist, das Asylpaket I umzusetzen . Hehre Worte sind ganz schön . Gesetze können wir hier verabschieden; sie müssen aber von Ländern und Kommunen umgesetzt werden . ({10}) Wenn ich erfahre, wie viele Gelder wir letztlich auch von Bundesseite für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt haben, bin ich sehr erstaunt, wenn ich heute Morgen höre, dass wir für den sozialen Wohnungsbau, der dringend notwendig ist, mehr tun sollen . Aber bitte, meine Damen und Herren, es ist an den Kommunen und an den Bundesländern, dies zu tun . ({11}) Ich weiß, dass Richtlinien in einigen Bundesländern überhaupt noch nicht umgesetzt worden sind, die wir in Berlin längst als Erleichterung beschlossen haben . Ich kann nur an alle vor Ort appellieren: Sorgen Sie dafür, dass Sie in Ihren Kommunen sozialen Wohnungsbau generieren . Die Gelder stehen bereit, die KfW stellt zusätzliche Mittel bereit . Aber lamentieren Sie doch bitte nicht hier in Berlin, dass wir keine Möglichkeiten hätten, sozialen Wohnungsbau auszugestalten . Machen Sie es, tun Sie es . Das würde dazu beitragen, dass wir unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland wesentlich weiter kämen . ({12}) Es war immer die Rede davon, dass wir jetzt noch mehr Integrationsmaßnahmen brauchen . Natürlich brauchen wir sie . Aber schauen wir einmal, was wir schon alles gemacht haben . ({13}) Wir haben zahlreiche Vorgaben gemacht . Ich könnte sie Ihnen alle nennen, aber so viel Redezeit habe ich nicht . Wir haben sie allerdings weder strukturiert noch geordnet . ({14}) Jedes Ministerium - gestatten Sie mir diese Worte macht an den Stellen ein bisschen . Wir müssen die Maßnahmen strukturieren und zusammenfassen . Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass das Bundesinnenministerium mit dieser gesellschaftlichen Aufgabe - Stichwort „Demografie“ - betraut wird. ({15}) Ich finde, dies wäre ein guter Ansatz, um geordnete Verfahren durchzuführen . Übrigens habe ich gehört, dass in vier Ministerien jeweils das Grundgesetz in arabischer Sprache gedruckt wird. Das kostet unnötig Geld und ist nicht effizient. ({16}) Daher sollten wir diese Maßnahmen sein lassen und zu einer gemeinsamen Lösung kommen . Ich denke, das führt in die richtige Richtung . ({17}) Wir sind in Deutschland auf einem guten Weg . Wir haben den Weg begonnen und werden ihn konsequent weitergehen . Ich bedanke mich an dieser Stelle recht herzlich auch bei der Bundeskanzlerin, die im Moment vor keiner leichten Aufgabe steht . ({18}) Die Außenpolitik ist im Moment ein wichtiges Feld . Um die Aufgaben in Deutschland zu bewältigen, müssen wir als Grundvoraussetzung andere Länder mitnehmen . Wir alle sollten daran mitwirken, die Bundeskanzlerin in ihrer schwierigen Aufgabe, die momentan in Europa vor ihr liegt, zu unterstützen . Wir als Gesetzgeber im Deutschen Bundestag haben auch unsere Pflicht zu erfüllen, und diese Pflicht heißt heute, das Asylpaket II mit allen Facetten zu verabschieden . Es wäre schön gewesen, wenn wir es um den Programmpunkt der sicheren Herkunftsstaaten hätten ergänzen können . Das ist gerade von meinen beiden Kolleginnen angesprochen worden . Dazu noch ein Wort an die Grünen über ihr Verhalten in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz, das ich mit Zeitungsmeldungen belegen kann . ({19}) - Ja, das ist so; fragen Sie Herrn Mostofizadeh in Nordrhein-Westfalen, der sich gewehrt hat, den Kreis der sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern . Ich denke, es wäre schön, wenn sich die Grünen auf Bund- und Länderebene hier einigen könnten . Dann hätten wir diesen Punkt heute mit verabschieden können, und wir wären einen großen Schritt weitergekommen . ({20}) Das hätte im Zuge der Integration geholfen . Gerade ist das hehre Wort gefallen, wir alle müssten unsere Aufgaben wahrnehmen . Ja, das gilt aber nicht nur für den Bund, das gilt auch für die Länder und die Kommunen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren . Ich weise darauf hin, dass ich eine ganze Reihe persönlicher Erklärungen zur Abstimmung erhalten habe, die wir wie üblich dem Protokoll beifügen .1) Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/7645 und 18/7685, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/7538 anzu- nehmen . Dazu hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt, über Artikel 2 Nummer 4 - hier geht es um das Aufenthaltsgesetz mit den Regelungen für den Fami- liennachzug - einerseits und über den Gesetzentwurf im Übrigen andererseits getrennt abzustimmen . Wir werden so verfahren . Wir stimmen zunächst über den Artikel 2 Nummer 4 des Gesetzentwurfes - Familiennachzug - ab . Dazu hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentliche Ab- stimmung beantragt . Diese Abstimmung führen wir jetzt 1) Anlagen 2 bis 12 durch . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir anzuzeigen, wenn das geschehen ist . - Sind alle Urnen besetzt? Das ist der Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung . Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht erkennbar . Dann schließe ich diese Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung, weil die Gesamtabstimmung über den Gesetzentwurf naturgemäß erst nach Auszählung der Einzelabstimmung möglich ist . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet . - Deswegen schlage ich vor, dass Sie wieder in Frieden Platz nehmen und wir dann zu einem geordneten weiteren Verfahren kommen . Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren, hier zum Artikel 2 Nummer 4, bekannt: abgegebene Stimmen 581 . Mit Ja haben gestimmt 427, mit Nein haben gestimmt 147, Enthaltungen gab es 7 . Damit ist auch dieser Artikel des Gesetzentwurfes in zweiter Beratung angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 581; davon ja: 427 nein: 147 enthalten: 7 Ja CDU/CSU Stephan Albani Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . Andre Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E . Fischer ({2}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({3}) Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Gerda Hasselfeldt Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({5}) Karl Holmeier Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Steffen Kanitz Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Katharina Landgraf Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Präsident Dr. Norbert Lammert Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({6}) Dr . Michael Meister Dr . Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({7}) Stefan Müller ({8}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Anita Schäfer ({9}) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({10}) Gabriele Schmidt ({11}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({12}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({13}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({14}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl ({15}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({16}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Kai Wegner Marcus Weinberg ({17}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({18}) Sabine Weiss ({19}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({20}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr . Matthias Bartke Bärbel Bas Lothar Binding ({21}) Burkhard Blienert Dr . Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Petra Crone Bernhard Daldrup Sabine Dittmar Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Bettina Hagedorn Metin Hakverdi Ulrich Hampel Michael Hartmann ({22}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({23}) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Anette Kramme Dr . Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange ({24}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr . Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({25}) Michelle Müntefering Dr . 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Jens Zimmermann Brigitte Zypries Nein SPD Ulrike Bahr Klaus Barthel Marco Bülow Dr . Lars Castellucci Dr . Karamba Diaby Dr . Ute Finckh-Krämer Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Petra Hinz ({33}) Cansel Kiziltepe Daniela Kolbe Helga Kühn-Mengel Hilde Mattheis Klaus Mindrup Sabine Poschmann Dr . Simone Raatz Mechthild Rawert René Röspel Susann Rüthrich Dagmar Schmidt ({34}) Swen Schulz ({35}) Ewald Schurer Frank Schwabe Svenja Stadler Christoph Strässer Waltraud Wolff ({36}) DIE LINKE Jan van Aken Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr . Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr . Gregor Gysi Dr . Andre Hahn Dr . Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Kerstin Kassner Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({37}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({38}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Dr . Axel Troost Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({39}) Volker Beck ({40}) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Kai Gehring Anja Hajduk Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn ({41}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({42}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang Strengmann- Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Enthalten CDU/CSU Dr . Norbert Lammert SPD Willi Brase Thomas Jurk Ulli Nissen Stefan Rebmann Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 18/7538 auf . Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist auch der Ge- setzentwurf im Übrigen in zweiter Lesung angenommen . Wir kommen nun zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Hierzu gibt es einen Antrag der Fraktion Die Linke, über den Gesetzentwurf in der dritten Beratung namentlich abzustimmen . Ich bitte wie- der die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Positi- onen einzunehmen und mir zu signalisieren, wenn alle Abstimmungsurnen jeweils von Opposition und Koali- tion besetzt sind . - Hier vorne fehlt noch ein Schriftfüh- rer der Opposition . - Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung . Ist ein Kollege oder eine Kollegin anwesend, der seine oder die ihre Stimme noch nicht abgegeben hat? - Ich habe den Eindruck, dass alle, die im Saal sind, nun ihre Stimmkarten abgegeben haben . Dann schließe ich die- se Abstimmung . Ich bitte um Auszählung . Das Ergebnis wird später während des nächsten Tagesordnungspunktes bekannt gegeben .1) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/7674 . Wer stimmt für diesen Ent- schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stim- men der Koalition abgelehnt . Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes . Hier geht es um die Streichung der obligatorischen Widerrufsprüfung . Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 18/7645 und 18/7685, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/6202 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um ihr Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mehrheitlich abgelehnt . Damit entfällt nach un- serer Geschäftsordnung die dritte Beratung . Unter Tagesordnungspunkt 3 b geht es um die Ab- stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur er- leichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern . Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den Druck- sachen 18/7646 und 18/7686, den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf der Drucksache 18/7537 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wol- len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stim- men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition in zweiter Beratung angenommen . 1) Ergebnis Seite 15491 A Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis, nämlich bei Zustimmung der Koalition und Ablehnung der Opposition, angenommen . Unter dem Tagesordnungspunkt 3 c geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besser schützen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/7697, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/6646 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit der Mehrheit des Hauses angenommen . Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen . Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse Drucksachen 18/7218, 18/7452 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({43}) Drucksache 18/7696 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Aussprache eine Stunde dauern . - Dazu höre ich keinen Widerspruch . Dann ist das so vereinbart . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung dem zuständigen Bundesminister Christian Schmidt . ({44})

Christian Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr sterben in Deutschland 120 000 Menschen an den Folgen des Rauchens . Das sind mehr als 10 Prozent aller Sterbefälle . Die direkten Kosten und die indirekten Kosten gemeinsam werden nach der Statistik des Statistischen Bundesamtes und des Deutschen Krebsforschungszentrums auf knapp 80 Milliarden Euro jährlich geschätzt . Diese Zahlen sind frappierend, und sie zeigen dringenden Handlungsbedarf auf . Unser Ziel muss sein, dass wir insbesondere denen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie zur Zigarette greifen oder nicht, das Rauchen vergällen . Wir wollen nicht dem Einzelnen die Entscheidung abnehmen; erPräsident Dr. Norbert Lammert wachsene Menschen müssen darüber selbst entscheiden . Aber wir wollen denen, die auf dem Weg zu dem sind, was ich beschrieben habe, einen guten Rahmen bieten, um sich nicht für das Rauchen zu entscheiden, sondern Nichtraucher zu bleiben . Das heißt, wir müssen die gesundheitlichen Gefahren nüchtern beschreiben . Aber die nüchterne Beschreibung allein sorgt noch nicht für eine persönliche Bewegtheit . Mein Ziel ist es deswegen, neben vielen Detailregulierungen einen erkennbaren Hinweis und einen emotionalen Anreiz für alle zu geben und deutlich zu machen: Lasst lieber die Finger davon! Eines der Mittel sind Text-Bild-Warnhinweise . Die Bilder sind nicht schön, sie könnten aus medizinischen Fachblättern stammen: offene Raucherbeine, Raucherlungen, schwarze Zahnstummel . Die Entscheidung des Einzelnen bleibt trotzdem bei ihm . Mit diesen Warnhinweisen möchten wir jedenfalls zum Nachdenken anregen . Sie sind Bestandteil der Richtlinie auf europäischer Ebene, die wir heute mit dem Tabakerzeugnisgesetz umsetzen wollen . Ich will noch einmal sagen: Mein Ziel ist, dass die, die noch nicht mit dem Rauchen begonnen haben, nicht verführt werden . Insofern bestand der erste Teil der Gesetzgebung in diesem Zusammenhang darin, dass ich gemeinsam mit Kollegin Schwesig eine Änderung des Jugendschutzgesetzes auch im Hinblick auf E-Zigaretten und E-Shishas - ich werde darauf noch zu sprechen kommen - in das Gesetzblatt gebracht habe . Der Deutsche Bundestag hat sich ausführlich mit diesem Thema befasst . - Herzlichen Dank . Wir werden jetzt im zweiten Schritt mit der Umsetzung des Tabakerzeugnisgesetzes wirksame Regelungen zum gesundheitlichen Verbraucherschutz vorlegen . Heute finden die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs statt . Ich bedanke mich dafür, weil wir damit im Rahmen unserer Möglichkeiten zeitnah für Rechtssicherheit sorgen . Wir setzen die Tabakproduktrichtlinie mit Sorgfalt, aber auch mit Augenmaß um . Das heißt, wir müssen auch festhalten, dass Tabak und Tabakerzeugnisse keine verbotenen Produkte sind . Die Wirtschaft hat Anspruch auf Rechtssicherheit . Wir leisten das . Ich gebe zu, dass die Umsetzung der Tabakproduktrichtlinie auf den letzten Metern Schwierigkeiten bereitet hat . Wir mussten leider fast zwei Jahre warten, bis die Kommission die technischen Daten herausgegeben hat . In einem Fall ist dann noch die deutsche Grammatik nicht beachtet worden, und es war eine Änderung notwendig . Wir sollten daher immer deutlicher für Deutsch als Amts- und Arbeitssprache in der Europäischen Union werben . Vielleicht hilft das auch dem einen oder anderen in der Kommission weiter, die deutsche Sprache bei Warnhinweisen richtig anzuwenden . ({0}) Wir werden die Warnhinweise auf die wirklichen Einstiegsdrogen beschränken - Zigarren sind keine Einstiegsdrogen - und uns insbesondere auf diesen Bereich konzentrieren . Wir wollen, dass entsprechende Zusatzstoffe nach wissenschaftlicher Bewertung nicht mehr zugelassen werden. Das griffigste und bekannteste Beispiel ist die Mentholzigarette, die wir in einer Übergangsfrist bis zum Jahr 2020 noch akzeptieren, danach nicht mehr . Nach wissenschaftlichen Aussagen bieten solche Aromastoffe einen Anreiz, zu rauchen, und führen mindestens zu einem Gewöhnungseffekt . Soweit mir bekannt ist, hat Helmut Schmidt, der bekannteste Raucher, bis zum Schluss Mentholzigaretten geraucht . ({1}) Nicht jeder leidet darunter, man kann auch als Raucher ein hohes Alter erreichen; aber wir müssen verhindern, dass durch Aromastoffe ein leichterer Übergang zur Sucht entsteht . Dafür wollen wir mit der Umsetzung der Richtlinie sorgen . ({2}) Ich will den roten Faden wieder aufnehmen: Es wird eine Übergangsfrist von einem Jahr zum Abverkauf der noch nach altem Recht produzierten Zigaretten und Tabakwaren geben, das heißt bis zum 20 . Mai 2017 . Auch wenn die Frist knapp bemessen ist, bringt sie eine Erleichterung; denn für den einen oder anderen mittelständischen Betrieb ist die technische Umstellung schon eine große Herausforderung . Wir werden E-Shishas und E-Zigaretten einbeziehen, zumal der Bundesgerichtshof sie erst vor kurzem, quasi vorauseilend zur jetzigen Gesetzgebung, mit Tabakprodukten gleichgestellt hat . Wir müssen verhindern, dass über die Möglichkeit, mit E-Shishas und E-Zigaretten Umwege zu organisieren, der Tabakkonsum im Ergebnis doch nicht sinkt . Man lese die jährlichen Berichte der Kollegin Mortler, der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, in denen sie detailliert darstellt, welche Probleme und Gefahren daraus entstehen . Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat uns auf diesem Weg auch sehr unterstützt . Es geht um gesundheitlichen Verbraucherschutz und darum, dass Werbung für Zigaretten in den Bereichen, wo sie allgemein zugänglich sind, nicht mehr vorkommt . Bereits seit 2006 ist die Werbung für Zigaretten in Medien, Zeitungen, Fernsehen usw . nicht mehr erlaubt . Wir werden in der Beratung eines weiteren Gesetzes zur Umsetzung einer entsprechenden WHO-Richtlinie über Außen- und Kinowerbung zu sprechen haben . Nach der Notifizierung durch die Europäische Kommission werde ich zeitnah eine entsprechende Vorlage vorlegen . Es geht nicht darum, die Möglichkeit des Erwerbs einzuschränken . Es geht vielmehr darum, denen, die bisher nur eine Idee von einem Geschmack haben, die Idee und den Geschmack zu vergällen . Herzlichen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren bekannt geben: abgegebene Stimmen 580, mit Ja haben gestimmt 429, mit Nein haben gestimmt 147, Enthaltungen 4 . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 429 nein: 147 enthalten: 4 Ja CDU/CSU Stephan Albani Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . Andre Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E . Fischer ({2}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({3}) Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Gerda Hasselfeldt Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({5}) Karl Holmeier Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Steffen Kanitz Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({6}) Dr . Michael Meister Dr . Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({7}) Stefan Müller ({8}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Anita Schäfer ({9}) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({10}) Gabriele Schmidt ({11}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({12}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({13}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({14}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Thomas Stritzl Thomas Strobl ({15}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({16}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({17}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({18}) Sabine Weiss ({19}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({20}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr . Matthias Bartke Bärbel Bas Lothar Binding ({21}) Burkhard Blienert Dr . Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Petra Crone Bernhard Daldrup Sabine Dittmar Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Bettina Hagedorn Metin Hakverdi Ulrich Hampel Michael Hartmann ({22}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({23}) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Anette Kramme Dr . Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange ({24}) Dr . Karl Lauterbach Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr . Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({25}) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({26}) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post ({27}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Martin Rabanus Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({28}) Johann Saathoff Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({29}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({30}) Matthias Schmidt ({31}) Carsten Schneider ({32}) Elfi Scho-Antwerpes Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Spinrath Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr . Frank-Walter Steinmeier Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Brigitte Zypries Nein CDU/CSU Axel Knoerig SPD Ulrike Bahr Klaus Barthel Marco Bülow Dr . Lars Castellucci Dr . Karamba Diaby Dr . Ute Finckh-Krämer Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Petra Hinz ({33}) Cansel Kiziltepe Daniela Kolbe Helga Kühn-Mengel Hilde Mattheis Klaus Mindrup Sabine Poschmann Dr . Simone Raatz Mechthild Rawert René Röspel Susann Rüthrich Dagmar Schmidt ({34}) Swen Schulz ({35}) Ewald Schurer Svenja Stadler Christoph Strässer Waltraud Wolff ({36}) DIE LINKE Jan van Aken Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr . Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr . Gregor Gysi Dr . Andre Hahn Dr . Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Kerstin Kassner Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({37}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({38}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Dr . Axel Troost Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({39}) Volker Beck ({40}) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Kai Gehring Anja Hajduk Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn ({41}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({42}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Enthalten SPD Willi Brase Thomas Jurk Ulli Nissen Stefan Rebmann Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Tempel, Fraktion Die Linke . ({43})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Da wir nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums jährlich mehr als 110 000 Todesfälle infolge des Tabakkonsums verzeichnen müssen und wir laut Eurobarometer von rund 700 000 Todesfällen in der EU sprechen, ist es allerhöchste Zeit, dass wir Maßnahmen beschließen, um die Zahl solcher Todesfälle zu reduzieren . ({0}) Ich möchte allerdings davor warnen, sich allzu stolz auf die Schultern zu klopfen; denn es ist traurig, wie lange um solche Veränderungen gerungen werden muss . Es ist traurig, dass wir unsere Möglichkeiten zur Minimierung des Rauchkonsums auch weiter nicht nutzen werden . Es ist auch traurig, dass in dem Gesetz ein „U-Boot“ platziert wird, eine Regelung, die nur scheinbar präventiven Zwecken dient und sich tatsächlich sogar negativ auswirken könnte . Ich möchte aber mit drei positiven Beispielen beginnen . Erstes Beispiel . Die Warnhinweise auf Tabakverpackungen bestehen künftig nicht nur aus einem Text, sondern aus einer Kombination von Text und Bild . ({1}) Da es bereits Länder gibt, die positive Erfahrungen damit gemacht haben - da kann man ja auch einmal hinschauen -, gibt es keinen Grund, die Möglichkeit einer etwas drastischeren Warnung nicht auch bei uns zu ergreifen . Wir sind allerdings davon überzeugt, dass mit standardisierten Verpackungen sogar ein noch größerer Effekt erzielt werden könnte . Zweites Beispiel . Um den Zigarettenschwarzmarkt zu bekämpfen, sollen Verpackungen fälschungssicherer gemacht werden . Das ist eine richtige Maßnahme; denn strenge Verbraucherschutznormen werden natürlich nur von denen beachtet, die legale Produkte in Umlauf bringen . Drittes Beispiel . Es wird mehr Einschränkungen bei der Werbung für Tabakprodukte geben . Dazu gehören Hörfunkwerbung, Werbung in Druckerzeugnissen, Verbot von Sponsoring usw . An der Stelle muss ich nun leider mit den positiven Ausführungen zum Gesetzentwurf aufhören; denn wenn ich sage, die Werbemöglichkeiten für Tabakwerbung werden eingeschränkt, dann heißt das: Bestimmte Formen der Werbung wird es weiterhin geben . Ich darf noch einmal gegenüberstellen: Durch den Konsum von Tabakprodukten sind mehr als 100 000 Tote jedes Jahr zu verzeichnen, aber gleichzeitig sind bestimmte Formen der Werbung weiter erlaubt, Tabakprodukte dürfen weiterhin beworben werden . Das ist ein Paradoxon, also überhaupt nicht zu erklären . ({2}) Wer Geld für Werbung ausgibt, erwartet selbstverständlich, dass dieses Geld mit Gewinn durch einen höheren Umsatz wieder erwirtschaftet wird . Tabakwerbung erhöht den Umsatz von Tabakprodukten . Tabakwerbung konterkariert alle Maßnahmen, die zur Konsumprävention eingesetzt werden . Tabakwerbung erhöht die Zahl konsumierter Zigaretten . Wir wissen, dass wir den Bürgern Rauchen, Kiffen, Spielen, Trinken usw . nicht verbieten können, aber den Umsatz dieser Produkte mit Werbung zu fördern, das muss aufhören . Deswegen gibt es auch hier keinen Grund, wie im Ausschuss gesagt, auf weitere EU-Richtlinien und Regelungen zu warten . ({3}) Und dann gibt es da leider das „U-Boot“ im Gesetzentwurf, von dem ich eben schon gesprochen habe . Wissen Sie, wir Linke hätten dem Paket präventiver Maßnahmen sehr gerne zugestimmt; denn viele Regelungen, auch wenn sie noch nicht ausreichend sind, entsprechen dem, was wir seit langem fordern und wofür wir auch gekämpft haben . Aber nicht überall, wo Sie Prävention draufschreiben, ist auch Prävention drin . Damit komme ich zur E-Zigarette . Sie bekommen alle viel Post dazu . Mit dem faktischen Verbot von Aromastoffen versuchen Sie, die E-Zigarette deutlich unattraktiver zu machen, sie als Konkurrenz für die klassische Tabakzigarette deutlich zu schwächen . E-Zigaretten sollen, um es vereinfacht zu sagen, nicht mehr schmecken . Ist das Prävention? Schauen wir uns das einmal genauer an . Grundsätzlich begrüßt die Linksfraktion die mit der Novellierung der EU-Tabakproduktrichtlinie verabschiedeten Regelungen zur E-Zigarette . Fantasievolle, peinliche Irrwege wie die Einstufung der E-Zigarette als Arzneimittel dürften damit endgültig Geschichte sein . ({4}) Schauen wir auf die Gründe für die Verwendung der E-Zigarette in Deutschland. Dazu finden wir Zahlen im Tabakatlas: zu 35,4 Prozent, um weniger zu rauchen, zu 28 Prozent als Alternative zur Tabakzigarette, zu 18 Prozent als Hilfsmittel, um langsam mit dem Rauchen aufzuhören, zu 10 Prozent zur Benutzung in Nichtraucherbereichen, zu 7,8 Prozent zum Schutz der Gesundheit von Menschen in der Umgebung, also zum Schutz vor Passivrauchen . Haben Sie sich mit den Motiven überhaupt beschäftigt? Kennen Sie diese Zahlen? Ist an diesen Motivationen irgendetwas auszusetzen? Sind das nicht überwiegend Motive, die wir unterstützen sollten, die wir unterstützen wollen? ({5}) Vizepräsidentin Ulla Schmidt Nur noch einmal, um frühzeitig einem Irrtum vorzubeugen: Der Konsum von E-Zigaretten ist ein riskanter Konsum, und wer gesund leben will, braucht weder Tabak- noch E-Zigarette . Aber es gibt zumindest einen Unterschied zwischen der E-Zigarette und der klassischen Tabakzigarette: Das Inhalieren von Verbrennungsrückständen beim Tabakkonsum, zum Beispiel Teer, entfällt und damit ein wesentlicher Teil des Schadenspotenzials . Was ist also zu tun? Wir brauchen eine Balance von Maßnahmen . Das Erste ist: Wir wollen nicht, dass Nichtraucher zur E-Zigarette greifen und in das Rauchen einsteigen . Damit wären wir beim kompletten Werbeverbot; denn Werbung soll natürlich zum Konsum animieren . Damit sind wir bei der Aufklärung, bei Beipackzetteln, Informationen, Warnhinweisen usw . Das alles würde die Linke mittragen . Aber was machen wir mit den vielen Rauchern, die es bereits gibt? Und davon haben wir ja eine ganze Menge im Land . Wie reden wir mit denen, die bisher nicht aufhören wollten und ihren Rauchkonsum auch nicht einschränken wollten? Soll ich die Motive für den Griff zur E-Zigarette noch einmal aufzählen? Weniger rauchen, kein Teer mehr inhalieren, langsame Entwöhnung vom Rauchen usw . Meine Damen und Herren, es mag ja Menschen geben, denen die alte Tabakzigarette bisher zu gefährlich war und die jetzt mit der vielleicht etwas weniger gefährlichen E-Zigarette mit dem Rauchen, mit dem Dampfen beginnen . Ich hatte bisher allerdings nicht das Glück, auch nur einen davon zu finden. ({6}) Wir bekommen alle sehr viel Post dazu, und über manche Medien kann man auch einmal nachfragen . Ich streite nicht ab, dass es solche Menschen gibt, ich habe nur noch keinen gefunden . Vielleicht meldet sich jemand hier im Haus, der sagt: Ich habe bisher keine Zigaretten geraucht, rauche aber jetzt die E-Zigarette . Mich würde das Motiv interessieren . Verwechseln Sie in dieser Diskussion bitte eines nicht: Menschen, die mal probiert haben, sind noch keine Raucheinsteiger . Einige Sachverständige haben sich im Gesundheitsausschuss dieses Mittels bedient und von Probierern gesprochen . Probierer sind noch keine Konsumeinsteiger . Ganz ehrlich, meine Damen und Herren, nehmen Sie einmal Folgendes an: Jemand, den Sie sehr gerne haben, raucht 40 Zigaretten am Tag, und seit Jahren schaffen Sie es nicht, ihm oder ihr das auszureden . Was ist denn mit der Idee, dieser Person zu sagen: „Versuche es doch mal alternativ mit der E-Zigarette“? Da fallen zumindest einige schwerwiegende Schadstoffe weg . Vielleicht kann das Gesundheitsrisiko so wenigstens minimiert werden . Natürlich bleibt ein Potenzial, Krebs oder andere Suchterkrankungen zu bekommen, vorhanden . Aber wäre das nicht wenigstens ein Einstieg? Und wenn ein starker Raucher sich auf diese Idee einlässt, dann wird das Rauchen - das werden Sie sehr häufig beobachten - auch in der Quantität etwas nachlassen, weil das einfach etwas umständlicher ist, als sich schnell einen Glimmstängel anzustecken . Die E-Zigarette ist etwas weniger gefährlich . Das Gesundheitsrisiko ist geringer, und es schmeckt vielleicht auch noch etwas besser . Ich jedenfalls mache das so mit Menschen, die ich mag . Das habe ich aktuell anlässlich eines 30 . Geburtstages so getan . So sollten wir als Gesetzgeber mit unseren Bürgern umgehen . Das sollte unser gemeinsames Anliegen sein . ({7}) Wenn man die E-Zigarette unattraktiver macht, indem man faktisch die Aromastoffe verbietet, sodass die E-Zigarette ganz einfach nicht mehr schmeckt, werden sehr wahrscheinlich weniger Tabakkonsumenten auf die E-Zigarette umsteigen . Die möglichen präventiven und schadensminimierenden Effekte würden verschenkt . Eine solche Regelung kann also nur die Tabakindustrie erfreuen, und deren Konkurrenz wird so kleingehalten . Der präventive Charakter dieses Gesetzes, meine Damen und Herren, wird damit konterkariert . Eine Zustimmung zum Gesetzentwurf ist für die Linke aufgrund dieser Regelung ausgeschlossen . Es ist traurig, dass Sie eine solche Wettbewerbsunterstützung für Tabakprodukte als „U-Boot“ in dem Entwurf eines Gesetzes verstecken, das eigentlich zur Erhöhung der Produktsicherheit und zur Verbesserung der Prävention gedacht ist . Danke schön . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Rainer Spiering für die SPD-Fraktion . ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Bevor ich einsteige: Herr Tempel, das war der beste Werbeblock für E-Zigaretten, den ich in letzter Zeit in der Primetime gehört habe . Herzlichen Glückwunsch zu diesem Werbeblock in der Primetime! ({0}) Wir sprechen heute über das Tabakerzeugnisgesetz . Der Minister hat etliches von dem, was technologisch abzuarbeiten ist, dargestellt . Ich möchte mich vorab bei all denen bedanken, die sich an der Debatte beteiligt haben . Es waren ausgesprochen schwierige Diskussionen . Da ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen will - das werde ich in diesem Moment auch nicht tun -, möchte ich sagen: Wir haben es mit einem Wirtschaftszweig zu tun, dessen Gebaren bei der Wahl seiner Mittel für mich fremd ist; das will ich deutlich sagen . ({1}) Es war sehr schwierig, in diesem Punkt Einvernehmen herzustellen . Herr Tempel, Sie haben eben die E-Zigarette angesprochen . Nun spricht ein direkt Betroffener; denn ich bin Raucher . Ich werde mir Ihre Erwägungen durch den Kopf gehen lassen . Ob sie zünden, weiß ich nicht . Bei dieser Frage geht es nämlich um eine Abwägung: Auf der einen Seite haben wir die Zigarette . Hierzu hat Herr Tempel Zahlen genannt, die ich so nicht kenne . Gleichwohl, es ändert nicht viel: Die Zigarette ist ein gesundheitsschädliches Konsumgut . Auf der anderen Seite haben wir den freien Willen von Menschen, etwas zu konsumieren, was für sie nicht gut ist . Dieser Abwägung mussten wir Rechnung tragen . Das versuchen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu tun . Er wird natürlich nicht perfekt sein . Aber ich glaube, er ist gut und im Rahmen des Möglichen das Beste, was wir derzeit tun können . Er geht auch konform mit dem EU-Recht, was ich ebenfalls für sehr wichtig und sehr wertvoll halte; wir sind uns da mit unseren europäischen Partnern einig . Der Gesetzentwurf versucht, die Risiken, die das Rauchen mit sich bringt, so weit wie möglich einzuschränken, und das unter Beibehaltung der Möglichkeiten des Konsums . Das ist ein schwieriger Schritt, und er ist, glaube ich, gelungen . ({2}) Bei der Auseinandersetzung mit der Zigarette ist mir etwas aufgefallen. Es ist ja häufig so, dass einem, wenn man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt, auch Widersprüche auffallen . Über den Widerspruch, den ich Ihnen gleich nennen werde, werden Sie sich vielleicht wundern . Als ich mich mehr und mehr mit den Folgen des Rauchens auseinandergesetzt habe, während ich gleichzeitig an den Sitzungen des Ausschusses für Landwirtschaft teilgenommen habe, haben sich für mich Widersprüche aufgetan, die mich wirklich erschrocken haben . Wir diskutieren über ein Konsumgut, von dem wir wissen, dass es schädlich ist . Gleichzeitig erleben wir, dass die Landwirtschaft schwer um ihre Existenz kämpft . Ich bin vor vier oder fünf Wochen in eine Filiale einer großen Einzelhandelskette gegangen, um für das Abendessen das Notwendige zu kaufen, unter anderem Kartoffeln . Dabei habe ich festgestellt, dass 1 Kilogramm Schnitzel für 4 Euro angeboten wird . Gleichzeitig wird eine Schachtel Zigaretten, die 6 Euro kostet, den Verkäufern geradezu aus den Händen gerissen . Kolleginnen und Kollegen, das geht so nicht . Das passt in unserem Land nicht zusammen . ({3}) Das ist keine Anerkennung der Leistungen in der Landwirtschaft . Wir müssen dringend darüber nachdenken, ob die Prozesse, die wir dort erleben, richtig sind, oder ob wir dem, was durch menschliche Arbeit geschaffen wird, nicht mehr Rechnung tragen sollten, um so den Bäuerinnen und Bauern und ihren Produkten zu viel mehr Anerkennung zu verhelfen . Sollten wir uns nicht viel intensiver damit beschäftigen, wie wir die Dinge, die uns krank machen, beseitigen können? Nikotin ist ein hochwirksames Nervengift; das wissen wir alle . Wir müssen daher alles tun, um das Nikotin und seine Folgen in den Griff zu bekommen . Ich glaube - das habe ich eben schon einmal gesagt -, dass der Gesetzentwurf dem Rechnung trägt . Der Minister hat die Umsetzungsfrist angesprochen . Wahrscheinlich wird es am Ende des Tages darüber die heikelste Diskussion geben . Man muss dazu sagen: Es gibt die technische Möglichkeit des Umsetzens, so die Experten . Da es sie gibt und ich großes Vertrauen in die Fähigkeiten der deutschen Technologie habe, gehen wir jetzt diesen Weg . Das ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass sich die Tabakindustrie uneins war und uns die Möglichkeiten genommen hat, überhaupt gesetzgeberisch tätig zu werden . Das ist nämlich die Wahrheit dahinter: Die Umsetzungsfrist ist an der Tabakindustrie selbst gescheitert . ({4}) Wenn wir uns jetzt mit der Zukunft auseinandersetzen, werden wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, was wir in Zukunft noch machen wollen. Wir befinden uns jetzt beim ersten Gesetzentwurf . Ein zweiter wird folgen, der sich mit der Werbung und den Zusatzstoffen beschäftigen wird . Wir werden die Zusatzstoffe sehr kritisch beobachten müssen, die dem Raucher etwas suggerieren, was das reale Produkt überhaupt nicht bringt . Das beste Beispiel ist Menthol . Wir kennen Menthol als etwas eigentlich Gesundheitsförderndes . Beim Inhalieren des Zigarettendampfes wird suggeriert: Wir nehmen etwas zu uns, das gesundheitsfördernd ist . Das glauben wir; in Wahrheit ist es aber gesundheitsschädlich . ({5}) - Herr Kauder, das weiß ich, und das wissen Sie . Helmut Schmidt hat es bestimmt auch gewusst . Es hat ihn schlicht und ergreifend nicht interessiert . Damit kommen wir an die Stelle, wo der einzelne Mensch die Möglichkeit haben muss, selbst zu entscheiden . ({6}) - Herr Kauder, wir als Gesetzgeber sollten aber dafür Sorge tragen, die Menschen davor zu schützen, etwas zu tun, was sie vielleicht selber gar nicht wollen . ({7}) - Danke für die Zustimmung . Wir werden also die charakteristischen Aromen, die schädlich sind, vom Markt nehmen . Und wir werden uns mit den Zusatzstoffen Vitamine, Koffein und Taurin beschäftigen und sie vermutlich auch per Gesetzeskraft verbieten . Und das ist auch gut und richtig so . Wie sieht die Zukunft aus? Wir werden uns mit dem Werbeverbot auseinandersetzen müssen . Die Anhörung hat sehr deutlich ergeben, dass das Bedürfnis nach Konsum in jungen Jahren entsteht . Wir werden alles daransetzen müssen, Kollege Tempel, um das Konsumverhalten von vornherein so zu steuern, dass junge Menschen nicht auf die Idee kommen, etwas zu konsumieren, das für ihren Lebensweg schädlich ist . Das ist die Aufgabe des Gesetzgebers . ({8}) Deswegen werden wir uns intensivst bemühen, ein durchgängiges Werbeverbot zu erlassen, um junge Menschen davon abzuhalten, etwas zu tun, was für sie nicht gut und richtig ist . Man könnte natürlich der Zigarettenindustrie auch anbieten, eine Werbung mit einem Plakat zu machen, das zu 65 Prozent Warnhinweise enthält . Ob ihr das so gefällt, weiß ich nicht . Ich würde eher vermuten, dass das nicht der Fall sein wird . Es wird aber im nächsten Schritt unsere Aufgabe sein, bei der Außenwerbung - bei der Werbung insgesamt - ein großes Augenmerk darauf zu richten, etwas klarzustellen . Deutschland ist das einzige EU-Land, das noch Außenwerbung erlaubt; denn in Bulgarien ist sie mittlerweile auch nicht mehr erlaubt . Ich glaube, wir sollten uns da der Weisheit der europäischen Staaten anschließen und Außenwerbung auch in Deutschland untersagen . ({9}) - Herr Kauder, zu Ihrer Linken hat man vernünftigerweise auch geklatscht . ({10}) - Das ist nett von Ihnen, Herr Kauder . Dafür bin ich Ihnen dankbar . ({11}) Ich möchte meine Ausführungen damit beenden, mich noch einmal ausdrücklich beim Minister für die gute Zusammenarbeit zu bedanken . Ich glaube, wir haben im Rahmen des Möglichen das getan, was wir tun konnten, um hier heute einen ausgesprochen schwierigen Gesetzentwurf einvernehmlich zu verabschieden . Herzlichen Dank . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Der Kollege Frank Tempel hat jetzt für eine Kurzintervention um das Wort gebeten . Bitte schön .

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben jetzt zum Schluss beim Thema Jugendschutz noch einmal kurz Werbeverbote angesprochen . Da werden Sie mich voll an Ihrer Seite haben . Den Jugendlichen nicht mehr zu suggerieren, dass etwas cool ist, ist durchaus ein sehr wirksames präventives Mittel . Zum Thema Werbeblock muss ich aber noch ein paar Worte sagen: Etwas zu schadensärmeren bzw . schadensminimierenden Lebensweisen zu sagen, ist noch lange keine Werbung . Vielleicht wissen Sie, dass englische Gesundheitsbehörden gerade gezielt darauf setzen, starke Raucher zum Umstieg auf die E-Zigarette zu bewegen . Auch da gibt es keinen Lobbyismus für die E-Zigarette . Vielmehr ist es durchaus ein erwiesener Fakt, dass das auch bei der E-Zigarette erwiesenermaßen vorhandene Risiko nicht so hoch ist wie beim Konsum einer normalen Zigarette und dass man die Zahlen bei vielen Erkrankungen und den Herzinfarkten sowie die Sterberisiken durchaus minimieren kann, wenn man auf diesem Gebiet etwas unternimmt . Dass ich regelmäßig sage: „Leute, geht Sport treiben“, ist keine Werbung für eine Fitnesskette, sondern die Aufforderung, auf eine andere Lebensweise umzusteigen und sich zu überlegen, ob man nicht wenigstens in Teilen etwas ändern kann, wenn man schon nicht komplett gesund leben will . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Möchten Sie darauf antworten, Herr Spiering? Sie müssen nicht . - Danke . Jetzt hat der Kollege Dr . Harald Terpe, Bündnis 90/ Die Grünen, das Wort .

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist wieder einmal eine verpasste Chance, einen umfassenden Verbraucherschutz durchzusetzen . Herr Spiering, es ist eben nicht das Beste, was man mit einem Gesetzentwurf zu diesem Thema machen konnte . Deutschland geht in der Tabakpolitik nach wie vor einen Sonderweg - und das eigentlich schon seit vielen Jahren; darauf haben auch Sie hingewiesen . Es war für die anderen europäischen Länder gar nicht so wichtig, dass in der Richtlinie etwas zum Verbot von Tabakwerbung gesagt wird, weil es dieses Verbot in anderen Ländern schon gibt . Aber für uns ist das ein Problem . ({0}) Statt die Prävention durch ein komplettes Werbeverbot für Tabakprodukte zu stärken, sind Ihnen die wirtschaftspolitischen Interessen der Tabak- und der Werbeindustrie wichtiger als der Gesundheitsschutz der Verbraucherinnen und Verbraucher . Ich frage mich tatsächlich - die Zahlen wurden ja genannt -, wieso über 100 000 Tote pro Jahr - hinzu kommen noch Millionen von Erkrankten infolge des Tabakrauchens - nicht Grund genug sind, auf jegliche Tabakwerbung zu verzichten . ({1}) Wie sieht denn der Alltag in Deutschland aus? Die Großflächenplakate und die Kinowerbung sind schon anRainer Spiering gesprochen worden . In Berlin werden vor Hochschulen kostenlos Zigaretten abgegeben, und dies wird auch noch mit der kostenlosen Abgabe anderer Produkte, zum Beispiel Croissants, verbunden, damit es die Jugend sozusagen triggert, zu rauchen . ({2}) Wir waren bei der Frage, wie Werbung auf Jugendliche wirkt . Sie können jetzt sagen: Wir haben doch im Jugendschutzgesetz die Tabakwerbung vor 18 Uhr verboten . - Die jungen Menschen gehen aber auch abends ins Kino, sie sind an den Universitäten und nehmen Großflächenplakate wahr. Deswegen: Sie werden dort manipuliert und zum Rauchen animiert, und ich denke, damit muss Schluss sein . ({3}) - Natürlich . Das ist nicht Quatsch . ({4}) Seit hundert Jahren wissen die Psychologen, dass Werbung eine Wirkung im Gehirn erzeugt und die freie Selbstbestimmung untergräbt . Das ist nicht bei den Älteren, die meistens im Korsett ihrer Haltungen gefangen sind, sondern bei den Jüngeren ein Problem . Genau dort setzt die Tabakwerbung an, und sie gehört verboten . ({5}) Während beim Tabakrauchen also wesentliche Präventionsschritte unterbleiben, werden bei der Regulierung der E-Zigaretten starke Geschütze aufgefahren . Damit Sie mich jetzt nicht falsch verstehen: Bei den technischen Geräten muss es Verbraucherschutz und Sicherheit geben . Der Nikotingehalt muss reguliert werden, indem ein Grenzwert gesetzt wird, wie dies die EU ja auch vorgibt, weil Nikotin ein starkes Gift ist und eine Überdosis Nikotin akut zum Tode führen kann . Es besteht also kein Zweifel daran, dass das richtig ist, und das hat die EU ja auch vorgegeben . ({6}) Es wird formuliert, dass in den Liquids nur Stoffe verwendet werden sollen, die mit Sicherheit nicht gesundheitsschädlich sind . ({7}) - Das sind ungefähr alle . Ich bin Mediziner, und, ja, die Dosis macht das Gift . ({8}) Das ist eine Überregulierung, die auch zulasten der Verbraucher gehen kann, weil man mit diesem faktischen Verbot Verbraucher sozusagen in die Illegalität abdrängt, und wir wissen, was das auch für einen wirksamen Verbraucherschutz bedeutet . ({9}) Ich will das jetzt nicht im Einzelnen weiter ausführen, aber letztendlich muss man hier noch einmal ansetzen und überlegen, ob das wirklich die richtige Maßnahme ist oder ob man damit nicht auch wirksamen Verbraucherschutz und Prävention untergräbt oder konterkariert . Also: Mit dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf verpassen Sie die Chance einer größtmöglichen Prävention und konterkarieren diese . Deswegen können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen . Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin für die CDU/ CSU-Fraktion ist die Kollegin Kordula Kovac . ({0})

Kordula Kovac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004604, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe vor ein paar Wochen hier gestanden, als ich zum Tierschutz geredet habe, und habe mich sehr darüber gefreut, dass mein Fraktionsvorsitzender als Einziger von allen Fraktionsvorsitzenden hier war - genauso wie am heutigen Donnerstagmorgen, an dem es um wichtige Themen in diesem Land und um unseren Ausschuss geht . Danke, Fraktionsvorsitzender, dass Sie da sind . ({0}) - Genau . ({1}) - Aber kein Vorsitzender . Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt zum Thema . „Die Menschen werden immer rauchen“, hat unser verstorbener Altkanzler Helmut Schmidt gesagt . Er wird damit recht behalten . Auch nach Verabschiedung des Tabakerzeugnisgesetzes werden die Menschen weiter rauchen . Die Entscheidung, mit dem Rauchen anzufangen oder aufzuhören, ist jedem selbst überlassen . Diese Entscheidungsfreiheit wird auch von niemandem infrage gestellt . Aber diese Entscheidungsfreiheit steht in Abwägung zu Gründen des Allgemeinwohls, im Besonderen zum gesundheitspolitischen Verbraucherschutz . Der Schutz der Volksgesundheit ist nicht nur ein wichtiges Gut, sondern Verfassungsauftrag . Es steht unumstritten fest: Rauchen gefährdet die Gesundheit! 120 000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Rauchens . Auch das Dampfen, das Rauchen von elektronischen Zigaretten und elektronischen Wasserpfeifen, gefährdet die Gesundheit . Es mag sein, dass E-Zigaretten Hilfe beim Ausstieg aus dem Rauchen sein können . Es stimmt aber ebenso, dass diese Zigaretten, insbesondere wenn sie nach Schokolade oder anderen Aromen schmecken, den Einstieg ins Rauchen erleichtern . Durch elektronische Zigaretten wird suggeriert, dass es eine gesunde Variante des Rauchens gibt . Das ist schlichtweg nicht richtig . E-Zigaretten sind vielleicht weniger schädlich als herkömmliche Zigaretten . Sie sind aber in keinem Fall gesund, Herr Kollege . ({2}) Aus diesem Grund begrüße ich es außerordentlich, dass mit dem Tabakerzeugnisgesetz erstmalig auch Regeln hinsichtlich von nikotinhaltigen E-Zigaretten und E-Wasserpfeifen erlassen werden . Hiermit wird eine Gesetzeslücke geschlossen . E-Zigaretten und E-Wasserpfeifen liegen bei jungen Menschen im Trend . 11,3 Prozent der 12- bis 17-Jährigen haben schon eine E-Zigarette oder E-Shisha probiert, ({3}) ohne jemals eine Tabakzigarette geraucht zu haben . Wir haben daher im Januar dieses Jahres ein Verbot der Abgabe von elektronischen Zigaretten und Wasserpfeifen an Kinder und Jugendliche und des Konsums für Kinder und Jugendliche im Bundestag beschlossen . Der Bundesgerichtshof hat am 8 . Februar dieses Jahres E-Liquids, die auf Rohtabak basieren, als Tabakerzeugnis klassifiziert. Dadurch ist bis zur Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes, des Tabakerzeugnisgesetzes, ein faktisches Verkaufsverbot von E-Zigaretten ausgesprochen worden . Der Branche entstehen dadurch Millionenverluste . Umso wichtiger ist es, dass wir dieses Gesetz nun zügig verabschieden, um Rechtssicherheit zu schaffen . ({4}) Im April 2014 hat die EU die sogenannte Tabakproduktrichtlinie erlassen . In der Richtlinie wird eine Ausweitung von Text- und Bildwarnhinweisen vorgeschrieben, den Warnhinweisen mit den sogenannten Schockbildern . Darüber hinaus werden wir Regeln zu Zusatzstoffen erlassen . Charakteristische Aromastoffe wie Menthol ebenso wie Tabak oder Nikotin in Filter, Papier oder Kapseln sind zukünftig verboten . Deutschland ist verpflichtet, diese Richtlinie bis zum 20. Mai 2016 in nationales Recht umzusetzen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, anders als bei anderen Richtlinien fallen Umsetzungsfrist und die Frist zur Produktionsumstellung zusammen . Eine Nachfrage der Bundesregierung ergab, dass bereits 2015 feststand, dass es aus europäischer Sicht keinen Spielraum gibt, diesen Konstruktionsfehler der Richtlinie nachträglich zu beheben: weder für Deutschland oder für Polen noch für Rumänien oder andere Länder . Da die genauen Details zur technischen Umstellung in der Produktion durch die EU allerdings erst im November 2015 vorlagen und einige erst in der letzten Woche, stellt dieser Sachverhalt vor allem kleine und mittelständische Unternehmen vor Herausforderungen . Die Anhörung von Sachverständigen hat noch einmal deutlich gemacht, dass die notwendige Produktionsumstellung kostenintensiv ist und nicht unbedingt am fehlenden Willen, sondern auch an den zu wenigen zur Verfügung stehenden Maschinen scheitern könnte . Trotzdem: Eine Verlängerung der Frist würde mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringen . ({5}) Eine Fristverlängerung würde einen EU-Vertragsbruch hinsichtlich der Umsetzung von Richtlinien bedeuten, mit der Gefahr, dass ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet würde . Außerdem würde dadurch das faktische Verkaufsverbot von E-Zigaretten ebenfalls verlängert und dringend benötigte Rechtssicherheit nicht geschaffen werden . Und nicht zu vergessen - das wurde heute Morgen schon deutlich gesagt -: Auch aus Verbraucherschutzgründen erscheint eine Fristverlängerung nicht zielführend . Sollte die Tabakproduktrichtlinie nicht, wie geplant, zum Stichtag in Kraft treten, bleiben Produkte, auf deren Schachtel keine Schockbilder zu sehen sind, länger im Umlauf . Regeln zu Inhaltsstoffen ebenso wie zu den bislang unregulierten E-Zigaretten werden weiter aufgeschoben . Das ist nicht in unserem Sinne und, ich denke, auch nicht im Sinne der Opposition . ({6}) Meine Damen und Herren, es ist uns allen klar, dass das Gesetz im Spannungsfeld zwischen gesundheitlichem Verbraucherschutz und dem Erhalt von Arbeitsplätzen und Industriestandorten in Deutschland steht . ({7}) Die Frage nach der Fristverlängerung ist zu einer Frage des Wettbewerbs geworden . Die Uneinigkeit der Tabakindustrie darf aber nicht dominierender Gegenstand einer verbraucherschutzrechtlichen Regelung werden, zumal die Verhältnismäßigkeit der Einflussnahme durch die Tabakwirtschaft zu Recht infrage gestellt werden kann . Mancher Auftritt, liebe Kolleginnen und Kollegen, war reif für die heute-show . Sie wissen, was ich meine . Vor diesem Hintergrund halten wir an der von der EU vorgegebenen Frist fest . Diese schwierige Entscheidung ist letztendlich eine Abwägung mit Augenmaß zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem Allgemeinwohl . Vergessen Sie nicht: Die Frist nicht zu verlängern, bietet auch für die Industrie Vorteile, nämlich dringend benötigte und umgehende Rechtssicherheit . Durch das Wiederaufgreifen der Exportklausel in § 42 sind wir außerdem der Wirtschaft entgegengekommen, indem wir die Ausfuhr von Produkten, die nicht den Vorgaben des Gesetzes entsprechen und zur Lieferung ins Ausland bestimmt sind, trotzdem erlauben . Behauptungen, wonach wir durch das Gesetz die Wirtschaft zugunsten des Verbraucherschutzes einseitig und unzumutbar belasten, sind somit nicht zutreffend . Ich bitte Sie daher abschließend um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, damit wir den uns durch die EU gestellten Anforderungen nachkommen und unseren eigenen Ansprüchen an den gesundheitlichen Verbraucherschutz gerecht werden können . Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Nicole Maisch, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die Backen aufbläst, muss hinterher auch pfeifen . Das würde ich mir beim Thema Rauchen von der Großen Koalition wünschen . ({0}) Es ist noch kein Dreivierteljahr her, als Minister Schmidt in der Bild-Zeitung großspurig ein komplettes Werbeverbot für Zigaretten und Tabak angekündigt hat . Er hat das begründet: Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass eine allgegenwärtige Werbung in der Öffentlichkeit den Einstieg in das Rauchen aktiv fördert . Recht hat der Mann . Aber was hat er daraus gelernt? Nichts . ({1}) Wenn man es noch ein bisschen großspuriger haben will, dann kann man die alten Zitate der Drogenbeauftragten Mortler nachlesen . Sie hat nämlich gesagt: Wenn wir - also die Große Koalition glaubhaft bleiben sollen, ist für mich ein Tabakwerbeverbot auf Plakaten überfällig . Ein Jahr später hat sie noch einen draufgelegt: Wir müssen alles tun, um die tödlichen Auswirkungen des Tabakkonsums zu begrenzen . . . . Tabakwerbung muss in Deutschland verboten werden . „Alles tun“, „muss verboten werden“: Darunter macht es die CSU nicht, und ein halbes Jahr später erinnert sich niemand von Ihnen mehr daran . Das, meine Damen und Herren, ist peinlich . ({2}) Wir brauchen endlich sinnvolle Maßnahmen zur Prävention und Werbebeschränkung als erwiesenermaßen wirksamen Schutz von Kindern und Jugendlichen . Das wäre eine vernünftige drogenpolitische Forderung von Ihnen gewesen . Ansonsten hört man von Ihnen eher die Verteidigung der Prohibition, zum Beispiel bei Cannabis . Aber hier wäre einmal eine sinnvolle Maßnahme zur Prävention möglich gewesen . Leider haben Sie sich dagegen entschieden . Sie sind vor einer Lobby eingeknickt . Das ist peinlich . ({3}) Wider besseres Wissen lassen Sie die Tabakindustrie weiterhin ungehindert Kampagnen fahren, die ganz gezielt an Kinder und Jugendliche gerichtet sind . Nehmen wir als Beispiel die „Maybe“-Kampagne für die Zigarettenmarke Marlboro: ein schnuckeliger junger Typ in zerrissenen Jeans mit seiner E-Gitarre und darunter „Maybe never wrote a song“ oder „Maybe never feels free“ . Da sind doch nicht wir erwachsenen Frauen und Männer die Zielgruppe, sondern das ist ganz gezielt an die Jungen und Mädchen auf den Schulhöfen gerichtet: Wenn du cool sein willst, wenn du frei und schön sein willst, dann sind Nikotin und Teer die Stoffe, die du unbedingt brauchst . - Das wird weitergehen . Das haben Sie mit diesem schlechten Gesetz öffentlich sanktioniert . ({4}) Sie sind damit europäisches Schlusslicht . Wir sind das allerletzte Land in der EU - Bulgarien wurde vorhin als ähnlich schlecht dargestellt; selbst dort ist man mittlerweile weiter -, wo man noch mehr oder weniger ungehindert für Zigaretten werben darf. Ich finde es einfach peinlich, dass wir bei diesem wichtigen Thema noch immer europäisches Schlusslicht sind . ({5}) Lange Rede, kurzer Sinn: Die Lobby hat Ihnen die Luft abgelassen . Das ist ein schlechtes Gesetz . Sie sind deutlich unter den Möglichkeiten der Richtlinie geblieben . Deshalb kann man das nur ablehnen . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Ursula Schulte . ({0})

Ursula Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor knapp einem Monat den Kinder- und Jugendschutz gestärkt . Wir haben nämlich beschlossen, dass Tabakwaren und elektronische Zigaretten nicht mehr an Kinder und Jugendliche abgegeben werden dürfen . ({0}) Wir haben sichergestellt, dass elektronische Zigaretten und E-Shishas auch über den Versandhandel nur an Erwachsene abgegeben werden dürfen . Ich sage ganz selbstbewusst: Das haben wir gut gemacht . ({1}) Denn Tabakprodukte, ob konventionell oder elektronisch, haben in Kinderhänden nichts zu suchen . ({2}) Ich bin froh, dass wir heute im Rahmen der Tabakproduktrichtlinie noch einmal über die E-Zigarette diskutieren . Der Verband des eZigarettenhandels hat, bezogen auf diesen Umsetzungsprozess, selber noch einmal herausgestellt: Die aus der Tabakproduktrichtlinie abgeleiteten Regelungen des Gesetzentwurfes hinsichtlich E-Zigaretten sind umfassend und regeln alle wesentlichen Aspekte des Produktes . - Der Verband führt weiter aus: Damit erhält die derzeit unregulierte E-Zigarette einen strikten regulatorischen Rahmen . - Ich hätte diese Feststellung nicht besser formulieren können . ({3}) Mit der Tabakproduktrichtlinie geben wir exakt einen regulatorischen Rahmen, der aber nicht verbietet - das ist meiner Meinung nach entscheidend -, Konsum weiterhin ermöglicht und den Menschen ihre persönliche Verantwortung lässt . Jeder Erwachsene kann nach wie vor selber entscheiden, ob er raucht und wie viel er raucht . In der öffentlichen Anhörung vom 17 . Februar 2016 haben wir von den Fachexperten gehört, dass gerade die bunten E-Zigaretten und die vielfältigen Aromen für Kinder und Jugendliche besonders verführerisch sind . Sie werden durch die süßen Aromen angefixt und zum Probieren verleitet . ({4}) Genau daran hat die Industrie ein Interesse . Das kann aber nicht in unserem Interesse liegen . Das müssen wir doch verhindern . Die Vermarktung der E-Zigarette als trendiges Lifestyleprodukt kommt gerade Kindern und Jugendlichen entgegen . Die Werbung ist oft emotional, appelliert an das Gemeinschaftsgefühl und unterstützt die Risikobereitschaft dieser Zielgruppe . Deshalb müssen wir ganz genau hinschauen, wo und wann wir Werbung für E-Zigaretten und E-Shishas überhaupt noch zulassen . ({5}) - Dazu komme ich gleich . - Wir müssen auch hinterfragen, ob es im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes gerechtfertigt ist, Werbung im Kino nach einer bestimmten Uhrzeit zu erlauben und Außenwerbung vor allem auch bei großen Ereignissen zu gestatten . Herr Minister, da können wir ruhig ein bisschen forscher nach vorne gehen . Im Übrigen wäre ich für ein komplettes Werbeverbot . Das ist aber meine persönliche Meinung . ({6}) Wir haben zu überlegen, ob es gerechtfertigt ist, dass in Supermärkten und an Tankstellen E-Produkte teilweise im Bereich von Süßigkeiten platziert werden . Das suggeriert doch Harmlosigkeit, unterstützt den Konsumwunsch und verführt zum Kauf . Das können und dürfen wir nicht länger zulassen . ({7}) Im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes kann ich die Forderung des Deutschen Krebsforschungszentrums nach einem umfassenden Werbe-, Marketing- und Sponsoringverbot nicht nur für Tabakprodukte, sondern auch für E-Zigaretten und E-Shishas nur unterstützen, gerade weil Werbung zum Rauchen animiert . Weil oft nicht wahrnehmbar ist, ob für ein nikotinhaltiges oder ein nikotinfreies Produkt geworben wird, ist das meiner Meinung nach zwingend erforderlich . Ich billige allen Erwachsenen zu, Herr Tempel, sich auch für das Dampfen zu entscheiden . Bei Kindern und Jugendlichen sehe ich das allerdings vollkommen anders . Sie müssen geschützt werden, weil auch das Dampfen bei ihnen gesundheitsgefährdend wirken kann und weil sie die langfristigen Folgen des Raucheinstiegs und des Rauchens nicht abschätzen können . ({8}) - Prima . - E-Zigaretten, meine Damen und Herren, mögen für Erwachsene weniger schädlich sein als Tabakzigaretten; harmlos sind sie allerdings nicht . Ich möchte kurz auf einen Aspekt eingehen, der mir in den letzten Wochen immer öfter begegnet ist . Die Richtlinie spricht von Inhaltsstoffen „von hoher Reinheit“ . Diese Formulierung erhält vor dem Hintergrund, dass viele Dampfer ihre Kartuschen selbst befüllen, eine völlig neue Bedeutung . Dies, so das Bundesinstitut für Risikobewertung, führt zu unbegrenzten Möglichkeiten . Wir müssen uns deshalb die Frage stellen, was ein Dampfer im konkreten Fall tatsächlich inhaliert und wie gesundheitsschädlich diese Mischungen eigentlich sind . Deswegen ist die Erweiterung der Liste der verbotenen Zusatzstoffe für mich mehr als folgerichtig . Wir können und wollen nicht alles regeln . Das ist auch nicht mein Ansatz . Wir müssen aber gerade in Bezug auf den Kinder- und Jugendschutz präventiv handeln . Zu den verhaltenspräventiven Maßnahmen gehören für uns die Frage der Verfügbarkeit der Produkte, die Frage der Werbung, die Frage des Nichtraucherschutzes und die Frage nach einer entsprechenden Preis- bzw . Steuerpolitik . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Deutschland, wenn wir die Tabakproduktrichtlinie umgesetzt und die nachfolgenden Gesetze verabschiedet haben, einen umfassenden Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den Gefahren des Rauchens in allen Facetten . Jetzt ist es an der Zeit, sich danach der letzten verbliebenen legalen und gesellschaftlich am meisten akzeptierten Droge zu widmen . Ich meine damit den Alkohol . Ich mache mir vor allem Sorgen um die Kinder, die in einem Elternhaus aufwachsen, in dem die Eltern Alkoholiker sind . Diese Kinder erleiden bedingt durch die häusliche Situation, häufig unbeachtet von der Gesellschaft, körUrsula Schulte perliche und seelische Schäden, um die wir uns dringend zu kümmern haben . ({9}) Das weiß ich sehr genau, weil ich das in meiner Tätigkeit als Kommunalpolitikerin erfahren habe . Das ist natürlich eine wunderbare Aufgabe für unsere Drogenbeauftragte, Frau Mortler . Aber ich hoffe, dass wir alle uns in diesem Hause einig sind, dass in diesem Bereich noch einiges zu tun ist . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Marlene Mortler, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in unserem Land und weltweit . ({0}) Es gibt noch schlimmere Zahlen . Es sind nicht mehr 110 000 Tote durch Tabakkonsum, sondern die aktuellen Zahlen aus dem frisch erschienenen Tabakatlas besagen, dass 2013 über 121 000 Menschen in unserem Land an den Folgen des Rauchens starben . 3 000 Menschen sterben an den Folgen des Passivrauchens . Die Statistik besagt außerdem: Menschen, die regelmäßig rauchen, leben im Schnitt zehn Jahre kürzer . Zählt man die direkten und die indirekten Kosten des Rauchens für unsere Volkswirtschaft zusammen, kommt man auf fast 80 Milliarden Euro . Meine Damen und Herren, diese für mich verrückte Zahl zeigt: Gesundheitlicher Verbraucherschutz, also die negativen Folgen des Rauchens, wurden über Jahre und Jahrzehnte in unserem Land ignoriert, verharmlost, ausgeblendet - auch von mir . Auch ich war mal Raucherin . 2006 habe ich hier im Bundestag für mich beschlossen: Marlene, du belügst dich doch nur . Rauchen ist doch Betrug am Gehirn . Du redest dir ein, das Rauchen baut Stress ab, und dir geht es besser . - Das Gegenteil war der Fall . Heute, 2015 - ich bin immer noch Nichtraucherin -, ({1}) kann ich sagen: Mir geht es seitdem wesentlich besser . ({2}) Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema Lobbyismus ist heute mehrfach angesprochen worden . Ich meine: Der Lobbyismus gehört zu unserer Demokratie . Das ist ein ganz normaler Vorgang . Wäre es allerdings allein nach der Tabaklobby gegangen, wären wir heute keinen Schritt weiter . Dieser Einsatz ging bis zum letzten möglichen Tag, bis zur letzten möglichen Stunde . Darum sage ich an der Stelle ein riesiges Dankeschön allen, die standhaft geblieben sind . Ich danke erstens Europa, das diese Tabakprodukte-Richtlinie auf den Weg gebracht hat, ich danke aber vor allem unserem Bundeslandwirtschaftsminister, den ich als Drogenbeauftragte der Bundesregierung immer wieder bestärkt und zu dem ich gesagt habe: Christian, lieber Minister, halte Linie . Deshalb - wen wundert es? begrüße ich als Drogenbeauftragte der Bundesregierung diesen Gesetzentwurf außerordentlich . Denn herausgekommen - auch das möchte ich gerne festhalten - ist ein Gesetz, das eins zu eins die Richtlinie umsetzt . Auch hierüber haben wir massiv debattiert, gestritten, diskutiert . Es ist auch ein Gesetz herausgekommen, das nicht nur die Interessen der Wirtschaft wahrt, sondern vor allem den gesundheitlichen Verbraucherschutz stärkt . ({3}) Die vorgeschriebenen Bildwarnhinweise werden aus meiner Sicht ihre Wirkung nicht verfehlen . Warum? Weil wir seriöse Studien haben, unter anderem aus Australien, die belegen, dass diese Bilder gerade junge Menschen vom Rauchen abhalten nach dem Motto: Bilder sagen mehr als tausend Worte . Das heißt, dass gerade Kinder und Jugendliche sehr wohl auf Werbung, auf Bilder, auf Produktgestaltung reagieren . Diese Bildwarnhinweise helfen selbstverständlich auch denjenigen, die sich zum Rauchstopp entschieden haben, dabei, nicht wieder anzufangen . Jede Packung darf in Zukunft - auch das ist ein wichtiger Erfolg - nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn sie ein individuelles Erkennungsmerkmal trägt, wenn sie außerdem ein fälschungssicheres Sicherheitsmerkmal aufweist . Das heißt, die Rückverfolgbarkeit und die Echtheit von Tabakerzeugnissen werden dadurch in Zukunft gewährleistet . Tabakprodukten dürfen also keine Zusatzstoffe beigemischt werden, bei denen klar und wissenschaftlich gesichert ist, dass sie die Gefahren des Rauchens noch einmal steigern würden . Ich komme zur Aussage von Kollegin Maisch . Liebe Kollegin, Sie sind doch, sooft es geht, im Ausschuss . Darum habe ich nicht verstanden, warum Ihnen entgangen ist, dass unser Minister sehr wohl das Tabakwerbeverbot auf den Weg gebracht hat . ({4}) Nur, es liegt zur Notifizierung in Brüssel. Diese Zeit müssen wir dem Minister und diesem Gesetz zugestehen . Damit es klar ist: In Ihrer Regierungsverantwortung hatten Sie jederzeit die Möglichkeit, das Tabakwerbeverbot einzuleiten . Minister Schmidt wird der erste Minister sein, der das Gott sei Dank am Ende auf den Weg gebracht und mit unserer Zustimmung umgesetzt hat . ({5}) Ich komme zum Schluss . Dieses Gesetz wird nicht unser Problem mit dem Rauchen und seinen Folgen gänzlich lösen, aber es wird das Leben einer Vielzahl junger Menschen länger und besser machen . Deswegen ist es ein gutes Gesetz . Als Drogenbeauftragte der Bundesregierung kündige ich hier an, dass ich im nächsten Monat, im März, eine Kampagne - das ist kein Verbot - starten werde, die sich an Menschen richtet, die immer noch nicht wissen, dass Rauchen in Anwesenheit von Kindern im Auto schädlich ist . Auch dafür möchte ich sie sensibilisieren . Ich freue mich, wenn Sie nun alle unserem Gesetz zustimmen . Herzlichen Dank . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Marcus Held . ({0})

Marcus Held (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004297, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute haben wir ein schwieriges Thema auf der Tagesordnung, nämlich das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse . Das Hauptziel wird erreicht, nämlich den Jugendschutz für Tabakwaren auch auf E-Zigaretten und E-Shishas auszudehnen, insbesondere wenn es um den Versandhandel geht . Das ist faktisch eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie, und das ist auch gut so . Jugendschutz ist für uns alle ein wichtiges und hohes Gut, im Übrigen auch für die Dampfer und die Raucher . Dies gilt auch in Bezug auf alle anderen Genussmittel, zum Beispiel Alkohol . Leider bereitet uns das Thema „Komasaufen bei Jugendlichen“ viel zu oft Kopfzerbrechen . ({0}) Wenn wir heute aber auch §§ 13 und 14 dieses Gesetzes beschließen, dann entscheiden wir über künftige Inhaltsstoffe sowie über die Beschaffenheit von E-Zigaretten und von Nachfüllbehältern; denn wir ermächtigen das Landwirtschaftsministerium und das BMWi, entsprechende Rechtsverordnungen zu erlassen . Diese Rechtsverordnungen sollen das Ziel haben, dass die Inhaltsstoffe von E-Zigaretten eine hohe Reinheit haben und damit kein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen . Auch das ist ganz klar im Interesse der Konsumenten, nämlich der Dampfer, und auch der Betreiber von Dampfer-Shops . Was wir bei künftigen Regelungen, die in den nächsten Wochen und Monaten noch intensiv diskutiert werden müssen, aber unbedingt zu beachten haben: Die E-Zigarette muss neben den herkömmlichen Zigaretten eine reale Chance haben . Genau das werden wir gemeinsam im Auge behalten . Die E-Zigarette ist zwar ein Genussmittel, aber bietet den Rauchern häufig eine legale Chance, die Nikotininhalation ohne Schadstoffe durchzuführen; denn beim Rauchen beruht die Schädlichkeit auf der Inhalation des Rauches . Kohlenstoffdioxid, Kohlenmonoxid, Stickstoffoxide, Benzol, Formaldehyd, Blausäure, all diese Stoffe fallen beim Dampfen weg . Auch das Nikotin wird in deutlich geringeren Maßen konsumiert . Bei E-Zigaretten geht man von 3,5 Nanogramm pro Einheit aus, bei einer regulären Zigarette von 20 Nanogramm . Auch das ist mittlerweile untersucht . Wir als SPD sind für den Jugendschutz; wir sind aber auch für die kleinen Leute . Gerade in den niedrigsten sozialen Schichten unserer Gesellschaft ist die Raucherquote leider am höchsten . Deshalb ist es wichtig, dass zur Attraktivierung des Umstiegs ein entsprechender finanzieller Vorteil gegeben ist, und das ist gegenwärtig der Fall . Ich hatte in den letzten Monaten unzählige Bürgerinnen und Bürger in meinen Sprechstunden, Menschen, die jahre- und jahrzehntelang geraucht haben und jetzt auf das Dampfen umgestiegen sind . Sie erzählten mir von ihren Erfahrungen . Ein Koch berichtete mir, dass er plötzlich wieder Geschmack hat und Gewürze wahrnimmt . Ein Rettungssanitäter berichtete mir, dass er bei seiner anstrengenden Arbeit plötzlich wieder Luft bekommt . Ich habe in den letzten Wochen und Monaten viele weitere positive Mitteilungen zu hören bekommen . Geben wir den Menschen gemeinsam eine Chance, nicht mehr der Gefahr ausgesetzt zu sein, irgendwann am Tabakrauch zu sterben . Geben wir den Menschen das Werkzeug an die Hand, erstmals in der Geschichte der Tabakprävention, schmerzfrei aus dem Tabakkonsum auszusteigen, gerne auch mit Fruchtaromen als Geschmackszugabe, deren Schädlichkeit zwar behauptet wird, bisher aber immer noch nicht nachgewiesen ist . Wir werden uns in der weiteren Diskussion dafür einsetzen, dass das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird, sondern erst dann schärfere Regelungen beschlossen werden, wenn es tatsächlich klare Hinweise darauf gibt, dass das Dampfen oder die Zugabe von bestimmten Liquids schädlich ist . Herzlichen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Carola Stauche, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Carola Stauche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004162, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland gibt es Millionen Raucherinnen und Raucher . Ich gebe zu: Auch ich gehöre zu ihnen . Ich genieße es, zu rauchen und immer wieder festzustellen, dass man in Raucherecken sehr gut Kommunikation betreiben kann, mit anderen Menschen ins Gespräch kommt . Gleichzeitig möchte ich klarstellen: Ich weiß, welche Gesundheitsgefahren vom Rauchen ausgehen, besonders für Kinder und Jugendliche . Ich will hier nicht dem Rauchen das Wort reden; aber wir sollten anerkennen, dass Tabak zu den Genussmitteln gehört, die in Deutschland geschätzt, genutzt und erlaubt sind . ({0}) Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass viele der heutigen Konflikte zum Rauchen nicht neu sind, sondern immer wieder auftreten . Wie allgemein bekannt ist, stammt die Tabakpflanze vom amerikanischen Kontinent; vielleicht hätten wir den nicht entdecken sollen . ({1}) Schon lange vor der Ankunft der Europäer am Ende des 15 . Jahrhunderts wurde Tabak auf verschiedenen Wegen konsumiert, und nach 1492 verbreitete er sich schnell im Rest der Welt . Es gab immer wieder Versuche, den als schädlich empfundenen Tabakgenuss zu unterbinden: massive Tabaksteuererhöhungen, Verbot des Rauchens mit Androhung von drastischen Strafen, Warnungen vor Verwahrlosung . Auch religiöse Begründungen gab es . Doch alle Versuche, das Rauchen zu verbieten, scheiterten . Es existiert ein berühmtes Zitat von Goethe zum Thema Rauchen . Er sagte: Das Rauchen macht dumm, es macht unfähig zum Denken und Dichten . Es ist auch nur für Müßiggänger, für Menschen, die Langeweile haben . ({2}) Er war ein erklärter Gegner des Rauchens . Niemand durfte in seiner Nähe dieser Leidenschaft nachgehen bis auf eine Ausnahme: Seinem guten Freund Schiller gestattete er das Rauchen in seiner Umgebung, wenn er ihn auch für den Tabakgenuss kritisierte . Und Schiller war, wie wir alle wissen, ein ebenso bedeutender Künstler wie Goethe . Keinesfalls war er unfähig zum Denken und Dichten oder ein gelangweilter Müßiggänger, sondern er gilt bis heute zu Recht als einer der größten Dichter Deutschlands . ({3}) Was lernen wir daraus? Seit der Einführung des Tabakrauchens gibt es eine Debatte über das Für und Wider . Es gibt Versuche, das Rauchen einzuschränken, es stärker zu besteuern oder ganz zu verbieten . Auch abseits von staatlichen Regulierungen stritten und streiten Befürworter und Gegner des Rauchens bis heute . Mir ist natürlich bewusst, dass zwischen Tabakkonsum damals und heute Unterschiede bestehen, gerade auch in puncto Herstellungsverfahren und Verfügbarkeit . Die wesentlichen Konfliktpunkte sind jedoch die gleichen. Es ist ein Problem, das sich wohl auf Dauer nicht lösen lässt, auch nicht mit dem heute hier zu behandelnden Gesetzentwurf oder mit zukünftigen Gesetzen . Die Aufgabe des Staates muss es aber sein, Gesundheit und Aufklärung zu fördern, ohne unnötig in die Freiheitsrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern und auch der Wirtschaft einzugreifen . Gerade der Jugendschutz ist uns sehr wichtig . Deshalb haben wir bereits in der zurückliegenden Sitzungswoche E-Zigaretten für Kinder und Jugendliche verboten . Aber wir müssen uns fragen: Wenn sich Erwachsene aus freien Stücken für das Rauchen entscheiden, sind wir es dann, die sie daran hindern wollen? Wir können und dürfen den Bürgerinnen und Bürgern nicht alles vorschreiben . Aufklärung und Jugendschutz sind wichtig . Der mündige Verbraucher aber ist uns ebenso wichtig . Ich freue mich, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine sinnvolle Umsetzung der EU-Tabakproduktrichtlinie erreicht haben . Es war ein langes und hartes Ringen, um das umzusetzen, was die EU vorschreibt . Allerdings muss ich Kritik an der EU üben: Bestimmte konkrete Informationen zur Umsetzung wurden uns erst sehr spät bekannt gegeben . So konnten wir das Gesetz nicht früher endgültig behandeln . In der Konsequenz bleibt den Tabakherstellern nur eine sehr kurze Frist zur Umsetzung der neuen Regelungen . Das ist ein Punkt, wo vonseiten der EU gewisse Härten gerade für die mittelständischen Zigarettenhersteller hätten vermieden werden können . Doch insgesamt können wir festhalten: Nach langem Arbeiten an diesem Thema sind wir nun zu einer Umsetzung gelangt . Das ist gut und wichtig . Wir haben eins zu eins umgesetzt, was uns die EU-Richtlinie vorgibt . Ich danke ausdrücklich Herrn Bundesminister Christian Schmidt und seinem Haus für den Entwurf, den wir heute beschließen werden . Ich denke, wir haben hier einen tragfähigen Kompromiss gefunden zwischen Jugendschutz und Gesundheitsschutz einerseits und der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher andererseits . Ich danke Ihnen recht herzlich und bitte, dem Gesetzentwurf zuzustimmen . Danke . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse . Zu dieser Abstimmung liegt eine persönliche Erklärung gemäß § 31 Absatz 1 unserer Ge- schäftsordnung vor .1) Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/7696, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/7218 und 18/7452 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Mit Nein haben die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Herr Koschyk gestimmt . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- 1) Anlage 13 entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck ({0}), Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Integration ist gelebte Demokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt Drucksache 18/7651 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Dagegen gibt es keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . Vielleicht können die Raucher oder Antiraucher ihre Gespräche draußen fortsetzen . Das gilt auch für Herrn Minister Schmidt . - Jetzt will er schon zu den Grünen . Gut, ein Fraktionswechsel heute . ({2}) Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Volker Beck, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein herzliches Willkommen, Herr Minister, in unserer Fraktion . Sie laufen ja Gefahr, dass Ihr Parteivorsitzender irgendwann einmal alle Minister Ihrer Partei aus der Bundesregierung abruft, weil diese Bundesregierung angeblich Unrecht produziert . Deshalb: Wenn Sie Asyl brauchen, ist bei uns immer noch ein Stühlchen für Sie frei . ({0}) Wir haben heute Vormittag viel über Flüchtlinge, über das Asylpaket II und über das neue Ausweisungsrecht geredet . Das Thema Integrationspolitik, die große Herausforderung in diesem Jahr und in den nächsten Jahren, spielte dabei faktisch keine Rolle . Nur in zwei Aspekten hat Ihr Asylpaket auch integrationspolitische Relevanz . Der eine Aspekt ist der Familiennachzug . Es ist einfach integrationsfeindlich und verfassungsrechtlich mehr als problematisch, wenn Familien nicht zusammenleben können; denn die Familie ist ein wichtiger Kristallisationspunkt und eine Stütze beim Integrationsprozess . ({1}) Der zweite Aspekt ist die Vereinbarung der Parteivorsitzenden . Sie haben im Asylbewerberleistungsgesetz für einzeln lebende Menschen die Leistungen um 8 Euro gekürzt zur Finanzierung der Integrationskurse, allerdings unabhängig davon, ob der Asylbewerber tatsächlich einen Integrationskurs besuchen kann . Das ist so, als würde man Fahrradfahrer die Lkw-Maut zum Bau von Autobahnen bezahlen lassen . Das ist absurd . Das ist ein Stück aus dem Tollhaus . ({2}) Die Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, ist, die Hunderttausend Menschen, die zu uns kommen, zu integrieren . Dabei müssen wir beachten, dass diese Menschen ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen . Sie kommen aus einem Bürgerkrieg . Viele von ihnen, die jungen Leute, haben Jahre des Schulbesuchs durch den Bürgerkrieg verloren, weil Schulen einfach nicht vorhanden waren, weil die Menschen auf der Flucht waren . Es kommen qualifizierte Menschen zu uns; es kommen Menschen, die keinen Berufsabschluss, keine Schulbildung haben . Darauf müssen wir jetzt mit Integrationsprogrammen entsprechend reagieren . Deshalb ist es gut, dass viele Länder angefangen haben, die Schülerinnen und Schüler mit Willkommens- und Vorbereitungsklassen auf die Schule vorzubereiten und sie entsprechend zu integrieren . ({3}) Es gibt auch beispielhafte Programme, wie an der Fachhochschule in Magdeburg, die dafür sorgen, dass Studentinnen und Studenten die Möglichkeit haben, ein Studium an der Universität zu absolvieren . Dies wird durch entsprechende Deutschkurse und Vorbereitungsklassen auf den Weg gebracht . Dafür brauchen wir aber die Flexibilität der Leistungsträger, und hier gibt es erhebliche rechtliche Unsicherheiten . Es wäre die Aufgabe von Frau Wanka, dafür zu sorgen, dass nicht wegen des Vermittlungszwangs am Ende Menschen vom Studium und von den vorbereitenden Deutschkursen abgehalten werden . Wir brauchen diese jungen Menschen als Akademiker zur Gestaltung der Zukunft unseres Landes . ({4}) Wir brauchen auch mehr Flexibilität, damit Menschen im Erwachsenenalter Hauptschul- und Sekundarabschlüsse nachholen können . Das ist gut für die Flüchtlinge, und das ist auch gut für viele Inländerinnen und Inländer mit gescheiterten Bildungsbiografien. Jeder hat eine weitere Chance im Bildungssystem verdient . Das brauchen wir für die Flüchtlinge und die Integration im Land . ({5}) Sprache ist der Schlüssel für gelungene Integration . 2004 haben wir Grüne das mit den Integrationskursen im Zuwanderungsgesetz als Prinzip verankert . Danach kann jeder zu Integrationskursen verpflichtet werden. Wer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, kann auch entsprechend sanktioniert werden . Deshalb sind die DeVizepräsidentin Ulla Schmidt batten von Frau Klöckner mit ihren Integrationspflichten und von Herrn Wolf mit seinem Integrationsführerschein völlig überflüssig und nutzlos. ({6}) Das Problem ist nicht, dass die Menschen nicht integriert werden wollen . Wir müssen ihnen vielmehr Angebote machen . Ich bin erstaunt über Herrn Seehofer und seine CSU . In diesem Jahr wurde in Wildbad Kreuth erneut die Forderung erhoben, die Integrationspflicht, die Unterordnung unter unsere Werte, müsse in die bayerische Verfassung geschrieben werden . ({7}) Diese Debatte hatten wir schon 2011 . Dann wurde sie beendet, weil Ihnen Juristen gesagt haben, dass das weiße Salbe ist und alles großer Unfug . ({8}) Ihr Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung hat damals gesagt: Es ist schön, dass es eine stille Beerdigung ohne Blumen und Kränze gibt . ({9}) Die Aufnahme der Integrationspflicht in die Verfassung ist nicht ein Lazarus, den Herr Seehofer einfach wiederbeleben kann, sondern ein mausetotes Projekt . ({10}) Lassen Sie das einfach stecken, und lassen Sie uns daran arbeiten, echte Integrationsinitiativen voranzubringen . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sie denken bitte an die Redezeit, Herr Beck .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme zum Schluss . - Was jetzt wirklich ansteht, ist, dass wir allen, die Deutsch lernen wollen, ein Angebot machen . Sie haben sich letztes Jahr dafür gefeiert, dass Asylbewerber aus Syrien, Iran, Irak und Eritrea Zugang zu Integrationskursen bekommen . Ich habe die Bundesregierung im Januar gefragt: Wie viele haben ein solches Angebot bekommen? 15 000, immerhin . Aber das BAMF hat im Februar bekannt gegeben, dass 60 000 einen Antrag gestellt haben . Das heißt: Überhaupt nur jeder Vierte aus den privilegierten Ländern bekommt die Chance zu einem Integrationskurs . Asylbewerber aus anderen Ländern haben überhaupt keinen Zugang . - Wir müssen daran arbeiten, dass jeder einen Platz bekommt und schnell und frühzeitig integriert wird, statt in den Feuilletons der Zeitungen Ersatzdebatten über Integrationspflichten und den Integrationsführerschein zu führen. So wird ein Schuh daraus . ({0}) So kann Deutschland aus der Aufgabe, vor der wir stehen, eine Chance für die Zukunft unseres Landes machen . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Barbara Woltmann, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man merkt es an der Rede meines Vorredners und an der Diskussion heute Morgen zu unserem Gesetzespaket: Kaum ein Thema beschäftigt uns so sehr wie die Flüchtlingskrise, insbesondere angesichts der Zahl von rund 1 Million Flüchtlingen, die im letzten Jahr zu uns gekommen sind . In einem Punkt gebe ich Ihnen recht - hier stimme ich Ihrem Antrag zu -: Die Integration ist eine der großen Aufgaben, vor denen wir stehen . Ich sehe dies durchaus als Pflichtaufgabe aller staatlichen Ebenen, aber auch der Zivilgesellschaft an . Die Integrationsbemühungen müssen sich auf diejenigen konzentrieren, die eine Bleibeperspektive haben . Dabei ist für uns klar: Integration ist keine Einbahnstraße . Sie kann nur gelingen, wenn auch die Flüchtlinge selbst aktiv mitwirken . Hier gilt für uns der Leitsatz: Fördern und Fordern! Die Grundlage für ein Zusammenleben und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stellt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung dar . Unsere Werte müssen geachtet, aber auch gelebt werden: die Achtung der Würde aller Menschen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit . Damit Integration gelingen kann, fordern wir als CDU/CSU-Fraktion den Abschluss verbindlicher Integrationsvereinbarungen, geregelt über ein Integrationspflichtgesetz. Wir brauchen eine Verbindlichkeit, die Rechte und Pflichten beider Seiten festlegt . Uns ist dabei sehr wichtig, dass der Integrationsprozess - ich sagte es schon - von den Flüchtlingen selbst aktiv mit angegangen wird . Wir müssen über spürbare Konsequenzen für diejenigen nachdenken, die sich dem verweigern . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sprechen in Ihrem Antrag von der Notwendigkeit zügiger, qualifizierter Asylverfahren. Dann wundere ich mich schon, dass Sie heute Morgen dem Asylpaket II nicht zugestimmt haben . Denn damit haben wir eine Beschleunigung beschlossen . Es ist auch im Sinne der Flüchtlinge, die zu uns kommen, dass schnell eine Entscheidung getroffen wird . ({0}) Die Zuwanderung nach Deutschland stellt insbesondere die Kommunen im gesamten Bundesgebiet vor erhebliche Herausforderungen; denn die Kommunen sind schließlich diejenigen, die die Menschen unterbringen und auch integrieren müssen . ({1}) Ich halte es für besonders wichtig, dass die Asylbewerber, die Flüchtlinge sehr schnell aus den zentralen Sammelunterkünften herauskommen und am besten dezentral untergebracht werden . Auch das ist ein richtiger und wichtiger Schritt in Richtung Integration . Um all das umsetzen zu können, hat der Bund schon vieles auf den Weg gebracht . Wenn man Ihren Antrag liest, hat man manchmal das Gefühl, Sie glaubten, dass noch gar nichts gemacht worden ist . Dass man immer noch mehr machen kann und wahrscheinlich auch muss, das stellt gar keiner in Abrede . Meine Kollegin Eckenbach hat heute Morgen schon darauf hingewiesen, dass wir darüber nachdenken müssen, ob man die Aufgaben vielleicht besser konzentrieren kann, damit sie nicht in so vielen verschiedenen Ministerien angesiedelt sind . Solche Punkte sollten wir im Laufe der nächsten Zeit diskutieren . Ich möchte einige Beispiele nennen für das, was wir schon alles auf den Weg gebracht haben: Insbesondere haben wir für die Durchführung von Integrationskursen Geld in den Haushalt eingestellt, nämlich etwa eine halbe Milliarde Euro . Im Haushalt des Ressorts „Arbeit und Soziales“ stehen fast 2 Milliarden Euro bereit, um Aufgaben mit Flüchtlingsbezug durchführen zu können . Dazu gehören die berufsbezogene Sprachförderung und auch die Eingliederung in Arbeit . Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt die Kommunen mit einer neuen Förderrichtlinie zur kommunalen Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte . Alle Kreise und kreisfreien Städte können sich um die Finanzierung der Stellen von bis zu drei kommunalen Koordinatoren bewerben . Damit können sie die Verwaltungen vor Ort entlasten . Auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat drei Bundesprogramme zur Stärkung der Qualität in der Kindertagesbetreuung auf den Weg gebracht . Für die Umsetzung werden jährlich 100 Millionen Euro bereitgestellt . Damit sollen 4 000 zusätzliche halbe Stellen in den Kitas finanziert werden. Weiterhin werden 113 Millionen Euro für berufsbezogene Sprachkurse bereitgestellt . Ich bin Ihnen dankbar, Herr Beck, dass Sie den Erwerb der deutschen Sprache angesprochen haben . Ja, das ist eine Schlüsselqualifikation. Wie lautet immer die Antwort auf die Frage „Was ist wichtig?“? Sprache, Sprache, Sprache! Ohne ausreichende Sprachkenntnisse ist Integration einfach nicht möglich . Vielfach fehlt die Kenntnis der lateinischen Schrift. Wir haben es häufig mit Analphabeten zu tun . Da müssen wir noch sehr viel tun . Wenn Sprachkompetenzen vorhanden sind, können wir sicherlich abstufen und mit niedrigschwelligen Angeboten beginnen . Dann kann auch die Integration durch Arbeit gelingen . Das ist ein wichtiger Schritt . Wir wollen die Menschen mit Bleibeperspektive sehr schnell in Arbeit bringen . Gute Ausbildung und Arbeit sind Voraussetzungen für die Integration in unsere Gesellschaft . Wir haben schon im letzten Jahr ein Gesetz auf den Weg gebracht, nach dem Asylbewerber bzw . Flüchtlinge bereits nach drei Monaten mit und nach 15 Monaten ohne Vorrangprüfung arbeiten können . Es ist auch wichtig, schnell herauszufinden, welche Qualifikation die Menschen mitbringen. Welche Berufserfahrung haben sie? Welche Teilqualifikationen haben sie? Diese Informationen sollten in den Ankunftsnachweis aufgenommen werden, sodass die Daten anschließend bekannt sind . Sehr positiv ist, dass allerorten auch Aktivitäten mit den Handwerkskammern und den Landwirtschaftskammern laufen, um zu sehen: Was bringen die Menschen tatsächlich mit? Wir wissen, dass die Berufsanerkennung jetzt leichter läuft . Da muss man immer noch einmal hinschauen, ob wir schon alles getan haben oder noch besser werden können . Ich möchte aber auch auf die Belange der Frauen und insbesondere der Mütter eingehen . Dem muss besonders Rechnung getragen werden; denn die Betreuung von Kindern darf nicht dazu führen, dass Frauen die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen oder Sprachkursen nicht möglich ist . Das heißt, wir müssen in der Zeit für eine Kinderbetreuung sorgen . Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen gleichermaßen Zugang zu den Kursen haben . Ebenso ist die Schulpflicht für Mädchen einschließlich der Teilnahme am Sportunterricht und an Klassenfahrten unerlässlich . Bei den Integrationsprozessen müssen wir uns deutlich vor Augen halten: Wenn die Integration der Mütter gelingt, wird auch die Integration der Kinder viel leichter vorangebracht . Festzuhalten gilt: Integration geht uns alle an . Wir wissen, welche tollen Projekte in den Wahlkreisen laufen; jeder könnte sicher ganz viele benennen . In meinem Wahlkreis haben sich die Kommunen zu dem Förderverein „pro:connect“ zusammengeschlossen, der mit vielen Ehrenamtlichen Arbeitgeber und arbeitssuchende Zuwanderer zusammenbringt und Fragen rund um Arbeitserlaubnis, Arbeitsplätze oder Praktika beantwortet . Ich möchte auch das Sonderprogramm Bundesfreiwilligendienst erwähnen, über das wir 10 000 neue Stellen bereitstellen wollen, auch für die Flüchtlingsarbeit . Das Angebot richtet sich nicht nur an Deutsche, sondern auch an Flüchtlinge . Sie sehen also - und Sie wissen es selber aus Ihren Wahlkreisen -: Es gibt zahlreiche Projekte und Förderungen, die die Integration in Deutschland voranbringen und stärken . Wir sind da auf einem sehr guten Weg . Zum Schluss möchte ich betonen: Integration ist auch davon abhängig, dass die Anzahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, in Zukunft spürbar reduziert wird . Sonst sind irgendwann alle unsere Systeme hoffnungslos überfordert . So weit dürfen wir es gar nicht erst kommen lassen . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Als Nächstes hat Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke, das Wort . ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind im Moment Zeugen eines immer stärkeren Auseinanderdriftens der Gesellschaft in Deutschland, ganz besonders zwischen Arm und Reich . Während die Reichen immer reicher werden, verfestigt sich die Armut in diesem Land . Insgesamt sind 13 Millionen Menschen von Armut betroffen, ganze Regionen stürzen ab; ich sehe das in meinem Wahlkreis in Bochum und im Ruhrgebiet, aber auch in Nordrhein-Westfalen insgesamt . So stieg die Armutsquote in Nordrhein-Westfalen auf 17,5 Prozent der Bevölkerung, im Ruhrgebiet gar auf 20 Prozent . ({0}) Diese Entwicklung ist kein Naturgesetz . ({1}) Sie ist die Folge einer neoliberalen Politik von Union und SPD und leider auch von den Grünen in den letzten Jahren . ({2}) Diese Entwicklung darf, insbesondere angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, so nicht weitergehen . ({3}) Im Kern ist es diese Entwicklung, die die Willkommenskultur und die Aufnahmebereitschaft in unserer Gesellschaft weiter abnehmen lässt bzw . minimiert . Wir brauchen deshalb eine Erneuerung unseres Sozialstaates für alle in unserem Land lebenden Menschen . Das ist die Voraussetzung für soziale Integration . ({4}) Einst war der Sozialstaat gerade auch für Krisen und besondere Herausforderungen konzipiert . Aber was wir heute erleben, ist nichts anderes als organisiertes Staatsversagen . In den vergangenen 20 Jahren wurden allein im öffentlichen Dienst 1 Million Stellen abgebaut, zum größten Teil zulasten der öffentlichen Sicherheit, über die Sie überall klagen . Infolge der Privatisierungen verfügen die Kommunen kaum noch über einen eigenen Bestand an sozialem Wohnraum, der dringend notwendig ist . Wir brauchen deshalb eine radikale Wende, sonst kann die soziale Integration aller in unserem Land lebenden Menschen nicht gelingen . ({5}) Flüchtlinge und Schutzsuchende werden für diese Probleme verantwortlich gemacht, dabei haben sie die Probleme in unserer Gesellschaft lediglich überdeutlich gemacht . Wir stehen in Deutschland schon lange vor dem Problem, dass viele öffentliche Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden, weil man zu feige war und ist, das Geld dort zu holen, wo es im Überfluss vorhanden ist. ({6}) Beispielsweise haben sich die Vermögen von Multimillionären und Milliardären in Deutschland explosionsartig entwickelt, während über die Hälfte der Bevölkerung sogar noch im Aufstieg Wohlstand und Vermögen verloren hat . Deshalb sollte meiner Meinung nach gerade angesichts der sozialen Herausforderungen, vor denen wir stehen, dringend eine andere Steuerpolitik auf der Tagesordnung stehen . ({7}) Wir müssen das klare Signal setzen, dass der Tisch für die Integration von den Reichen gedeckt wird und nicht von denjenigen, die in den letzten Jahren immer zu kurz gekommen sind, von den Niedriglöhnern, von den prekär Beschäftigten oder von den Leiharbeitern . Integration wird gelingen, wenn Deutschland auch im Inneren wieder eine sozial gerechtere Politik macht und damit Solidarität schafft . Schauen wir uns die Zahlen an: Nicht einmal 20 Prozent der Kosten für die Integration bekommen die Länder vom Bund zurück . Letztes Jahr haben sie 17 Milliarden Euro eingestellt, aber sie haben lediglich 2 Milliarden Euro zurückbekommen . Die Kommunen werden regelrecht im Stich gelassen . So schafft man es meiner Meinung nach nicht . Deshalb wollen wir eine andere Sozialpolitik . Wir fordern ein 25-Milliarden-Sofortprogramm des Bundes für 2016 für eine soziale Offensive für mehr gemeinnützigen, sozialen Wohnungsbau, für mehr Bildung, für die Stärkung des öffentlichen Dienstes, für öffentliche Beschäftigung und zusätzliche Integrationsmaßnahmen . Mittelfristig fordern wir ein 100-Milliarden-Investitionsprogramm für die Erneuerung des Sozialstaats in Deutschland, weil wir der Auffassung sind, dass es sich lohnt, durch soziale Integration in die Zukunft des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu investieren . ({8}) Die Linke ist der Überzeugung: Ein Neuanfang für soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit in diesem Land kann eine Chance sein . Wir sollten diesen Neuanfang mit den Schutzsuchenden in diesem Land anstreben, anstatt die Neiddebatte, die Sie hier immer führen, weiter zu befördern . ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr . Lars Castellucci . ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir über Integration sprechen . Das ist wirklich eine Riesenaufgabe, die vor uns steht . Man kann manchmal schon Zweifel haben, ob einem das gelingt . Ob sich zum Beispiel die CSU - Herr Frieser spricht ja gleich - noch in diese Bundesregierung integriert, das weiß ich nicht genau, oder Bayern in Deutschland . ({0}) Machen wir ernsthaft weiter. Ich finde, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zum Thema Integration viel Vernünftiges aufgeschrieben . Ich bin froh - damit schließe ich an die Worte der Kollegin Woltmann an -, dass wir in der Lage sind, das auch umzusetzen . Wir haben das ist gesagt worden - schon vieles getan: Wir haben in die Integrationskurse investiert, wir haben den Arbeitsmarktzugang erleichtert, und wir haben verabredet, dass es - dazu liegen die ersten Entwürfe schon vor - eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe geben wird, die noch im nächsten Monat ein Integrationskonzept der Bundesregierung vorstellen wird . Ich bin sicher, da wird vieles von dem drin sein, was Sie hier vorschlagen . Also: Sie schreiben Papiere, wir handeln . ({1}) Frau Kollegin Dağdelen, Sie sprachen von organisiertem Staatsversagen . Ich möchte Sie fragen: Welches Land hätte das, was wir im letzten Jahr erlebt haben, eigentlich besser bewältigt? Welches Land hätte es besser erreicht? ({2}) Ich frage Sie noch etwas: Was ist Ihr Staatsverständnis? ({3}) - Sie können das gleich sagen . Ich lasse das dann zu . Nach meinem Staatsverständnis sind wir alle der Staat . Dazu gehören die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, die Wissenschaft - alle sind mit dabei. Ich finde, das, was wir im letzten Jahr erleben konnten, war eine großartige Gesamtleistung . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Haben Sie der Frau Dağdelen damit schon geantwortet, oder lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu? ({0}) - Das hat sich erledigt . - Danke . Es ist immer gut, wenn die Antworten vor der Frage kommen . ({1})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe diesen Antrag einerseits gerne gelesen, andererseits habe ich mich aber auch aufgeregt . Die Frage ist: Wie wollen wir diese Debatte führen? 1 Milliarde Euro für Flüchtlinge beim Thema Wohnen, 1 Milliarde Euro für Flüchtlinge beim Thema Arbeitsmarkt; wir brauchen hier und da Geld . Die Frage ist: Was für einen Eindruck sollen die Menschen draußen im Land eigentlich bekommen? Schauen wir einmal auf das Jahr 2015 . Ich versuche, mich in die Menschen hineinzuversetzen, zu überlegen, wie es ihnen so geht . Im ersten Halbjahr haben sie den Eindruck: Die vertickern unser ganzes Geld nach Griechenland . - Und im zweiten Halbjahr sehen sie: Da kommen jetzt auch noch die ganzen Flüchtlinge . ({0}) Dann sitzen die Leute da und fragen sich: Wo bleibe ich denn eigentlich? Ich muss nicht irgendwie rechts sein, um so etwas zu denken, sondern ich muss nur den Fernseher einschalten, um den Eindruck zu bekommen, dass es um die - in Anführungszeichen - „normalen“ Menschen, die hier schon lange leben, gar nicht mehr geht . Diesen Eindruck müssen wir mit allen Mitteln verhindern, weil das nicht stimmt und weil dieser Eindruck sehr schädlich ist, weil er dieses Land spaltet . ({1}) Deswegen muss der erste Satz zum Thema Integration lauten: Integration richtet sich an alle . ({2}) Integration ist eine Aufgabe für das ganze Land . Integration heißt Zusammenhalt . Spielregeln? Ja, aber für alle . Bildung? Ja, aber für alle . Ausbildungsplätze? Ja, aber für alle . Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen . ({3}) Wenn ich irgendwo fremd bin und dazukomme, dann muss ich mich integrieren . Das ist keine Frage . Das mache ich . Dann passe ich mich sogar ein bisschen an . Ich denke nicht: „Die Welt, in die ich komme, muss so funktionieren, wie ich drauf bin“, sondern ich schaue mir das erst einmal an . Individuell ist das richtig, und es ist gut, wenn der Staat diese Anpassungsprozesse fördert und sie einfordert . Aber die eigentliche staatliche Aufgabe ist, ans Ganze zu denken, das ganze Land im Blick zu haben . Integration richtet sich an alle Menschen in diesem Land . Jetzt ein Kommentar zum Thema Integrationspflichten; darüber werden wir demnächst sprechen . Im Kern geht es dabei um Wertevermittlung: Wie bekommen wir es hin, dass es in diesem Land ein bisschen in die Richtung geht, wie wir hier leben wollen? ({4}) Ich drehe das jetzt einmal um: Ich finde, die Flüchtlinge, die zu uns kommen, helfen uns gerade bei der Wertevermittlung; denn sie holen ganz schön viel Gutes aus diesem Land heraus . Ich sehe Großherzigkeit, ich sehe Anpacken, und ich sehe Hilfsbereitschaft . Das sind die Werte, die uns starkmachen . Die Flüchtlinge helfen uns gerade dabei, dass sie zutage treten . ({5}) Zur Wertevermittlung könnte man in Flüchtlingsunterkünften Grundgesetze verteilen . Man könnte die Flüchtlinge auch etwas unterschreiben lassen . Ich glaube aber, das ist zu kurz gesprungen . Ich denke, es ist ein bisschen so wie bei der Erziehung . Da gibt es ja den berühmten Spruch: Kinder kann man nicht erziehen; sie machen einem ohnehin alles nach . - Als Elternteil kann ich das zwar nicht bestätigen, aber als Kind habe ich mich daran gehalten . ({6}) Jetzt stellt sich in diesem Land natürlich die Frage . Wem werden es die Menschen nachmachen? Denen, die helfen, oder denen, die hetzen? Das ist die eigentliche Frage, um die es geht . Wir müssen alles dafür tun, dass die Werte, die in unserer Zivilgesellschaft im Rahmen der Hilfe zutage treten, beispielgebend sind, und vorleben, wie wir in diesem Land zusammenleben wollen . Auch die Wertevermittlung ist keine Einbahnstraße, wir sind vielmehr dazu berufen, uns gemeinsam zu fragen: Wie wollen wir in diesem Land leben, und wie bekommen wir das gemeinsam hin? Wertevermittlung ist etwas, was sich an alle richtet . ({7}) Johannes Rau hat es so formuliert: Es kommt nicht auf die Herkunft des Einzelnen an, sondern darauf, dass wir gemeinsam die Zukunft gewinnen . Ich bin sicher: Das wird uns gelingen . Das wird uns mit denen, die hier bleiben und sich mit unserer Hilfe gut integrieren, sogar gut gelingen . Vielen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Michael Frieser, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns gerade schon darüber unterhalten, wie oft hier die Rede davon ist, dass es sich bei der Integrationspolitik nicht um eine Einbahnstraße handelt . Fünfspurige Autobahnen brauchen wir, und zwar in beide Richtungen! Nur dann wird Integration irgendwann funktionieren . ({0}) Wir müssen uns wirklich bei den Grünen bedanken . Sie geben uns mit diesem Antrag zur Integrationspolitik, die uns allen sehr am Herzen liegt, wieder einmal die Gelegenheit, heute zu diesem Thema zu reden . Das ist aber eher eine Open-Space-Debatte, weniger etwas ganz Konkretes . Vielleicht liegt das auch ein bisschen an dem Antrag . ({1}) Er ist zwar sonderpreiswürdig, was Copy and Paste angeht . Aber er enthält nichts, was wir nicht schon einmal gelesen hätten . Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass es sehr vieles gibt, was deckungsgleich ist . Ich will ebenso nicht in Abrede stellen, dass es im Hinblick auf die Anstrengungen des Staates auch absolut gleichgelagerte Interessen gibt, und das über das ganze Haus verteilt . Die entscheidende Frage ist meistens die der Ausprägung . Das gilt auch bezüglich der Integrationsfähigkeit der Regierungsmitglieder, Herr Kollege - auch was die CSU anbetrifft . ({2}) Ich will einen kurzen Ausflug machen. Ich halte das, was unser Entwicklungsminister Gerd Müller im Augenblick tut, für einen ganz wesentlichen Beitrag . Er sorgt dafür, dass Integrationspolitik in unserem Land dadurch möglich ist, dass in den Ländern, in denen Menschen tatsächlich Entwicklungshilfe brauchen, ein Verbleib und eine positive Entwicklung möglich sind . Das ist ein echtes Integrationsangebot, auch innerhalb der Regierung . Ich glaube, dass wir bei der Frage: „Was müssen wir im Hinblick auf Integrationskurse und Integrationsangebote machen?“, keine Nachhilfe brauchen . Im wievielten Jahr hintereinander heben wir die Mittel an dieser Stelle eigentlich an? Ich will, damit es nicht zu beliebig wird, nur ein Element herausgreifen: Wir haben wieder einmal bei den berufsbedingten Sprachkursen draufgesattelt, weil uns vollkommen klar ist, dass Integration eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die den Menschen in seiner gesellschaftlichen Ganzheit umfassen muss, auch was die Arbeit betrifft . Jetzt zu der entscheidenden Frage: Wie kann man sich dem Thema Sprache nähern? Ich darf daran erinnern man muss das auch hier immer wieder tun -, wie sehr die CSU beschimpft worden ist, als sie vor Jahren deutlich gemacht hat: Ohne Deutsch gibt es keine Integration; ohne das Erlernen der Sprache ist Integration nicht möglich . - Da war von „Zwangsgermanisierung“ die Rede . Gott sei Dank, kann ich nur sagen, dass das heute State of the Art ist - das war ein doppelter Witz -, da wir der Meinung sind: Das Erlernen der Sprache ist der entscheidende Schlüssel . ({3}) - Herr Beck, regen Sie sich nicht gleich auf; ich gebe Ihnen gleich ein paar weitere Möglichkeiten, sich noch etwas mehr aufzuregen . Die entscheidende Frage ist doch: Wohin integriert man sich? Es ist ein Wunschkonzert - das kommt auch in dem Antrag, der heute debattiert wird, zum Ausdruck -, wenn man nur sagt, was der Staat alles leisten und vorfinanzieren muss. Die entscheidende Frage lautet: Was will ich am Ende durch die Integration erreichen? Wo hinein soll sich derjenige, der sich integrieren soll und die Motivation dazu hat, eigentlich begeben? Er soll sich in eine Gesellschaft hineinbegeben, bei welcher - ja, ich muss es sagen - der Begriff „Leitkultur“ zumindest ausdrückt, worum es uns geht . Sie können das - das ist mir relativ egal - anders nennen . Es geht um die entscheidende Botschaft: Was sind denn die Grundlagen dieses Staates? Was ist der Kitt, der diesen Staat zusammenhält? ({4}) Was ist die entscheidende Botschaft, wenn es um die Grundlagen und Werte geht, an die man sich in der Gesellschaft zu halten hat? Es geht am Ende auch um eine gewisse Erziehung und eine Integration mit Blick auf einen Verfassungspatriotismus . Denn unsere Verfassung gibt Auskunft darüber, was die wirklich wesentlichen Botschaften dieser Gesellschaft sind, die dazu führen, dass wir zusammenkommen . ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es tut mir furchtbar leid: Ich glaube nicht, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau - in diesem Zusammenhang sind bestimmte Vorkommnisse und nicht nur die Ereignisse zu Silvester in Köln zu erwähnen - im Rahmen eines zwei- bzw . dreitägigen oder auch zweiwöchigen Genderkurses vermittelt werden kann . Das wird nicht reichen . Es kommt darauf an, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben, sich in dieser Gesellschaft anzudocken . Das ist kein planwirtschaftlicher Grundsatz . Dieser Staat kann und wird das nicht allein leisten können . Diese Gesellschaft wird das nur miteinander - indem man aufeinander zugeht - schaffen . Wir wissen, dass wir bestimmte Maßgaben brauchen, deren Umsetzung nicht freiwillig zu bekommen ist . Der Mensch ist ein Gewohnheitstier . Es ist nun einmal so, dass die intrinsische Motivation normalerweise nicht automatisch kommt . Sie braucht auch eine Aufforderung von außen . Diese Aufforderung müssen wir gegebenenfalls als Staat setzen . Das wird durch das Gebot „Fordern und Fördern“ nur teilweise ausgedrückt . Bayern hat ein Integrationsgesetz - ein Integrationsgesetz! - vorgelegt, das klarmacht, was der Bürger an Angeboten von uns zu erwarten hat und was er dafür zu leisten hat . Darauf müssen wir schauen . Mit dem erwähnten Gesetz wird eine Integrationsvereinbarung umgesetzt, von der wir meinen, dass es nur so gehen wird . Am Anfang muss klar sein, was wir von einem Menschen, der hier eine Bleibeperspektive hat, erwarten . ({6}) Klar muss sein, was passiert, wenn er sich der Integration verschließen sollte . Das betrifft nicht die Mehrheit . Ich glaube, dass die Mehrzahl der Menschen, die hierherkommen, wirklich bereit sind, sich in diese Gesellschaft zu integrieren, und dass sie es wollen, sich selbst eine Perspektive für ihr Leben aufzubauen . Wir haben das immer so definiert: Erfolgreiche Integrationspolitik ist dann gegeben, wenn ein Mensch in der Lage ist, für sein eigenes Leben zu sorgen, aber auch dieser Gesellschaft etwas zu geben . - Das sollte man auf jeden Fall berücksichtigen . ({7}) - Jetzt soll Herr Beck, bevor sein Arm lahm wird, die Möglichkeit erhalten, etwas zu fragen, Frau Präsidentin .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Ja, vielen Dank . - Herr Kollege Beck .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bevor Sie sich für den Nobelpreis bewerben, weil Sie gerade das Rad neu erfunden haben, möchte ich Sie doch darauf aufmerksam machen, dass wir 2005 mit dem Zuwanderungsgesetz Integrationskurse geschaffen haben . Danach gibt es für jeden, der eine Aufenthaltserlaubnis erhält, das Recht, innerhalb von zwei Jahren diese Kurse zu besuchen . Es gibt in Bezug auf die Leute, die es brauchen, auch die Möglichkeit, diese zu verpflichten und bei Nichteinhaltung dieser Verpflichtung sowohl entsprechende sozialrechtliche als auch aufenthaltsrechtliche Sanktionen zu verhängen . Das alles ist seit zehn Jahren Gesetz . Das einzige Problem, das wir aktuell haben, besteht darin, dass wir nicht genügend Integrationskursplätze haben . Wir haben aber nicht das Problem, neue Sanktionsdebatten führen zu müssen . Ich bin gar nicht gegen Sanktionen; es ist aber so, dass wir sie einfach schon haben . Warum sagen Sie, dass man hier etwas machen müsste, was längst Gesetzeslage ist?

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warum ich solche Dinge erzähle, ist eher eine psychologische Frage . Ich beantworte Ihre Frage aber gerne: weil ich es für notwendig erachte; denn es stimmt natürlich nur zum Teil . Es ist unstrittig, dass wir die Möglichkeit geschaffen haben, zu reagieren . Sie wissen, dass es auf sehr vielen verschiedenen Ebenen funktioniert . Es ist in Bezug auf sehr viele Integrationsleistungen aber eine Mär, dass das theoretisch möglich ist . Das betrifft eben nicht den gesamten Katalog der Möglichkeiten, die der Staat bietet . ({0}) Es geht entscheidend nicht nur um die Frage der Verweigerung von Integrationskursen, sondern auch um die Frage, welche Art von Beratungsleistung erbracht wird . Es geht dabei auch um die Frage von Bildung bzw . Aus- und Weiterbildung . ({1}) Deshalb bitte ich, einmal einen kurzen Blick in das bayerische Integrationsgesetz zu werfen . Es ist jetzt - extra für Sie - neu aufgelegt . Darin wird diese Frage nachhaltig beantwortet . Ich möchte ganz gerne noch einen Gedanken äußern, der mir wichtig ist . Mir geht es auch um die entscheidende Frage - ich will nicht immer nur von „Sanktionen“ reden, weil das immer nach „Dampfhammer“ klingt -, ({2}) was der zukünftige Beitrag ist, den eine wirklich große Gemeinschaft an Integrationswilligen leisten kann, und es geht für uns natürlich auch darum, zu sehen, wie die Herausforderungen des demografischen Wandels für unser Land aussehen . Wo gibt es für uns die Notwendigkeit, andere Strukturen zu schaffen? Es ist eine Mär, zu glauben, dass unser demografisches Grundproblem hier im Land einfach durch die Zuwanderung gelöst werden kann . Es ist aber auch wahr, dass hierin eine sehr große Chance für die Menschen liegt, die sich hier eine Perspektive aufbauen wollen . Es werden dann Dinge eingeführt, die sofort wieder als Zwangsmaßnahme bezeichnet werden . So etwas wie eine Wohnsitzauflage ist aber nun einmal notwendig, um die Menschen dahin zu bringen, wo sie an einem Aufbauprozess teilhaben können, zu dem wir sie anhalten wollen . ({3}) Es geht um eine entscheidende Botschaft . Wir müssen erkennen: Die Menschen werden sich nicht nur durch die anfänglichen Integrationskurse und das anfängliche staatliche Bildungsangebot weiterentwickeln, sondern sie werden ihren Beitrag zum Bestand und zur Weiterentwicklung dieser Gesellschaft an dem Ort leisten können, an dem sie Arbeit und Auskommen finden. Genau das kann gute Integrationspolitik meines Erachtens bieten . Klar ist aber auch: Hier sind Anstrengungen des Staates notwendig, aber diejenigen, die zu uns kommen, müssen auch bereit sein, sich zu integrieren und sich dieser Herausforderung zu stellen . Integration kann keine Planwirtschaft sein, und sie ist auch keine Option, sondern ein Gebot . Die Einhaltung dieses Gebots müssen wir von allen verlangen, die wir in dieser Gesellschaft auf Dauer als eine positive Bereicherung ansehen wollen . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke . ({0})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir schaffen das“: Das ist die Botschaft . Sie ist mutig und ganz klar solidarisch, aber sie weckte auch manchen Zauderer und manchen, der etwas dagegen tut . Genau deshalb ist es höchst wichtig, dass wir etwas tun, um dieses Zitat zu untersetzen . Es bedarf der klaren Ansage: Wer ist „wir“? Ist es die Weltbevölkerung? Schwierig, sie blutet an vielen Stellen dieser Welt . Die Europäische Union? Wohl kaum . Sind es wir hier, die wir als Bundestag und Bundesregierung, aber auch vor Ort, in den Ländern und in den Kommunen Verantwortung haben? Wenn man sich genau anguckt, wer das Gros der Aufgaben bewältigt hat, dann sieht man, dass das in den Kommunen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber vor allem und in ganz hohem Maße auch Vereine, Verbände und ehrenamtlich Tätige waren . Hier muss man noch einmal sagen: Ich bin wirklich begeistert, dass so viele Menschen nach wie vor uneigennützig mitarbeiten und bei dieser Hilfe und Unterstützung nicht aufgeben . ({0}) Neben der Aussage dazu, wer „wir“ ist, fehlen vor allem auch die Unterstützung und die Aussage dazu, was wir und wie wir das erreichen wollen . Das Integrationskonzept, das eigentlich von allen gefordert wird und dringend notwendig ist, ist hier das Gebot der Stunde, und es werden klare Aussagen zur Untersetzung dieser Aufgabe gebraucht . Dieses Integrationskonzept muss Aussagen zu ganz wichtigen Fragen enthalten . Ich denke natürlich auch an die Sprache . Wir haben hier gehört, dass es Integrationskurse gibt . Aber es sind viel zu wenige; das ist ganz klar . Es gibt auch die Entscheidung, dass Menschen, die keine optimistische Bleibeperspektive haben, an diesen Integrationskursen nicht mehr teilnehmen dürfen . Stellen Sie sich einmal vor, der Lehrer geht morgens in die Klasse und sagt einigen, dass sie nicht mehr am Unterricht teilnehmen dürfen . Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die unsere Hilfe und unsere Unterstützung wollen . ({1}) Wir brauchen klare Aussagen dazu, wie die Teilhabe am Arbeitsmarkt möglich ist . Ich sage ganz deutlich: Es geht hier um die Teilhabe aller Menschen am Arbeitsmarkt . Hier brauchen wir Lösungen, und wir wissen: Die Wirtschaft wird das nicht alleine stemmen können . Deshalb ist hier staatliche Unterstützung durch entsprechende Arbeitsmarktprogramme gefordert . Dies verlangen wir, und dies muss finanziell untersetzt werden. ({2}) Wir brauchen im Übrigen für alle einen Zugang zu Bildung . Das gilt für Kindertagesstätten genauso wie für die Schulen und für die berufliche Bildung. Hier ist es wichtig, dass die Schulpflicht nicht mit dem 18. Geburtstag ausläuft, sondern dass der Schulbesuch fortgesetzt werden kann . Wir haben davon gehört - das sind wirkliche Schicksale -, dass Menschen über Jahre nicht zur Schule gehen konnten . Sie müssen diesen Schulbesuch, zu dem noch Sprachschwierigkeiten kommen, nachholen . Hier müssen also die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden . ({3}) Natürlich muss die Politik allen einen Zugang zu höherer Bildung ermöglichen . Die Anerkennung von Berufsausbildung und von Studien muss geregelt werden, damit dies realisierbar wird . Nicht zuletzt müssen auch die Finanzen geregelt werden . Wenn den Gemeinden und Kreisen die Aufwendungen nur zu einem geringen Teil erstattet werden, dann wird das in den Kommunen zu neuen Schwierigkeiten führen . Deshalb müssen wir hier Aussagen treffen, wie wir helfen können . Ich war kürzlich im Landkreis Vorpommern-Greifswald . Der Kreis hat schon seit vielen Jahren 100 Millionen Euro Schulden . Trotzdem muss er zusätzliches Personal einstellen, was er auch will, um Flüchtlingen helfen und sie integrieren zu können . Der Kreis hat auch eine schwierige Aufgabe bei der Unterbringung von nichtbegleiteten Jugendlichen zu bewältigen . Das wird in diesem Jahr etwa 7 Millionen Euro zusätzlich kosten . Wir brauchen eine Ausstattung, die demgemäß ist . Da kann der Bundesfinanzminister nicht sagen: Die Länder haben einen Überschuss; jetzt seht zu, wie ihr das hinbekommt . - So werden wir das nicht schaffen . ({4}) Wir werden die Aufgabe nur lösen, wenn wir, Bund, Länder, Gemeinden und die vielen Ehrenamtlichen, an dieser Aufgabe gemeinsam arbeiten . Das ist das Einzige, was zum Erfolg führt . Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Matthias Schmidt . ({0})

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen in diesen Tagen sehr viel über Demokratie, und das hat seinen Grund . Die Bilder aus Clausnitz und Bautzen haben uns alle erschüttert und zeigen: Genau hierauf muss unser Augenmerk liegen, und das nicht erst seit diesen Vorfällen . Alle Demokratinnen und Demokraten waren und sind gefordert, dazu eine Haltung einzunehmen; denn Hetze, Gewalt und Terror gegen Menschen, die bei uns Schutz suchen, betreffen uns alle . Feinde von rechts bekämpfen nicht nur Flüchtlinge . Sie bekämpfen die Demokratie . Hier müssen wir zusammenstehen . ({0}) Wir haben dieses Thema in der gestrigen Debatte ausführlich erörtert und haben es gemeinsam als ein sächsisches Phänomen beschrieben . Aber seien wir ehrlich: Es ist nicht ein rein sächsisches Phänomen, sondern ein deutsches Phänomen . Wir alle haben in unseren Wahlkreisen Flüchtlingsunterkünfte . Ich denke, nicht nur in den Flüchtlingsunterkünften in meinem Wahlkreis, sondern auch in denen in Ihren Wahlkreisen wird von der Zivilgesellschaft hervorragende Arbeit geleistet, vor der wir alle nur täglich den Hut ziehen können . Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Würde eine Flüchtlingsunterkunft bei mir im Wahlkreis brennen, was Gott verhüten möge, dann müsste ich sagen: Ich kenne die Leute in meinem Wahlkreis, die davor stehen und applaudieren würden . Diese Entwicklung, die in Sachsen schon weiter vorangeschritten ist, dürfen wir nicht hinnehmen, sondern, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dagegen gemeinsam aufstehen und als Demokraten Geschlossenheit zeigen . ({1}) Ich bin sehr froh, in einem Land zu leben, in dem Schutzsuchende noch immer ein Dach über dem Kopf bekommen und ein faires Verfahren . Das muss auch so bleiben . Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen greift nun einen Aspekt heraus, um die Demokratie zu stärken, nämlich die Integration . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen recht: Die Integration von Flüchtlingen ist gelebte Demokratie . Sie zu stärken, ist ebenfalls ein wichtiges Ziel, absolut d’accord . Nun ist das allerdings nur ein Aspekt . Zu Recht sprechen Sie auch das Asylverfahren an, werfen es aber immer mit der Integration in einen Topf . Da geht einiges durcheinander . Darum will ich versuchen, das ein wenig zu ordnen . Welche Abfolge, welche Schritte durchläuft ein Flüchtling? Die erste Phase ist die von der Einreise bis zur Antragstellung . Diese Phase ist unerträglich lang . Ich habe davon gehört, dass man für die Terminvergabe zur Antragstellung im BAMF einen Vorlauf von neun Monaten braucht . Das kann nicht sein . Wir müssen alle dafür sorgen, dass diese Frist verkürzt wird . Wir müssen darüber auch mit der Bundesregierung reden . Ich glaube, das ist überwiegend ein exekutives Problem, aber möglicherweise ist es auch legislativ . Darüber müssen wir gemeinsam nachdenken . Erst nach dieser Phase beginnt der zweite Teil, nämlich das eigentliche Asylverfahren beim BAMF . In unserem Koalitionsvertrag haben wir uns geeinigt, dass das gesamte Asylverfahren nicht länger als drei Monate dauern soll . Das ist unverändert weiter unser Ziel . Der Koalitionsvertrag stammt allerdings aus dem Jahr 2013, und die Anzahl der Flüchtlinge hat sich inzwischen verfünffacht . Wenn man die fünffache Zahl von Menschen in das System hineinbringt, dann ist es völlig klar, dass das ganze System mehr Zeit braucht . Gleichwohl hat die Koalition bzw . die Bundesregierung auch beim BAMF gehandelt und wichtige und richtige Schritte unternommen . Nach Abschluss des Asylverfahrens gibt es, grob gesagt, zwei Möglichkeiten: Entweder bekommt der Flüchtling einen anerkannten Schutzstatus, kann bleiben und muss integriert werden, oder er muss zurückgeführt werden. Ich finde, bei diesem Teil müssen wir unbedingt die freiwillige Ausreise noch stärken . Da gibt es einen Wildwuchs in den Ländern . Lassen Sie uns das genauer ansehen . Innenminister Gall hat das heute sehr detailliert dargestellt . Kommen wir zum eigentlichen Gegenstand Ihres Antrags, der Integration . Natürlich gibt es da einen Zusammenhang: Wenn die Verfahren so beschleunigt sind, dann wird sich das auch positiv auf die Integration auswirken . In Ihrem Antrag wird das allerdings - ich habe es schon gesagt - ein wenig vermischt . Sie fordern ein Integrationskonzept und machen das Asylverfahren zum Bestandteil der Integration. Ich finde, das ist nicht zielführend . Wir sollten das sauber voneinander trennen . ({2}) Sie kritisieren in Ihrem Antrag erheblich die Bundesregierung. Ich finde, damit haben Sie nicht recht. Ja, die Verfahren dauern insgesamt viel zu lange, wie gesagt . Aber es wurde auch einiges auf den Weg gebracht . Mir ist klar, dass Sie als Opposition die Regierung nicht loben müssen . Aber Sie sollten auch nicht alles negieren, was die Große Koalition auf den Weg gebracht hat . Die vielen neuen Stellen beim BAMF habe ich bereits genannt . Das BAMF hatte kürzlich noch 1 600 Mitarbeiter, inzwischen sind es über 4 000 . Wir haben mit dem sogenannten Datenaustauschverbesserungsgesetz den einheitlichen Ausweis, den Ankunftsnachweis, eingeführt . Im Bereich der Integration wurden die Mittel erheblich aufgestockt, und einen erleichterten Arbeitsmarktzugang gibt es bereits seit Juli 2014 . Lassen Sie uns das so zusammenfassen: Es wurde bereits gehandelt, und die Große Koalition handelt weiter . Dennoch gibt es in Ihrem Antrag selbstverständlich viele Dinge, die ich auch begrüße: Wohnkonzepte, Bildung, Gesundheitsversorgung, der Kampf gegen Hetze . Das ist alles richtig . Gleichwohl: Die Koalition führt ihren Kurs weiter . Wir werden die Verfahren weiter beschleunigen, und zwar von der Einreise bis zum Ende des Asylverfahrens . Wir werden die freiwillige Rückkehr stärken und die Integration vorantreiben . Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen in den Ausschüssen . Vielen herzlichen Dank . ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen .

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Integration braucht Offenheit statt Vorurteile und Ressentiments . Sie braucht selbstverständlich die Bereitschaft der Neuankommenden, aber auch der aufnehmenden Gesellschaft, sich füreinander zu öffnen . Wer will, dass Schutzsuchende in Deutschland ankommen, die deutsche Gesellschaft, unsere Verfassung, unsere Geschichte und unsere Werte kennenlernen, der muss mit genau dieser Haltung auch auf die Menschen, die zu uns geflüchtet sind, zugehen. Genau hier, meine Damen und Herren, liegt das Problem . ({0}) Wer, statt unsere offene und demokratische Gesellschaft vom allerersten Tag an zu vermitteln, mit Restriktionen und Maßnahmen willkommen heißt, die allein der Reduzierung von Flüchtlingszahlen dienen, der wird an dem Anspruch unseres Grundgesetzes scheitern . Liebe Kolleginnen und Kollegen - das müssen Sie mir sozusagen im Nachklang zu der Debatte über das Asylpaket gestatten -, Rechtsstaatlichkeit vermittelt sich doch dann am besten, wenn man das Grundrecht auf Asyl ernst nimmt und wenn man in dieser Frage nicht mit zweierlei Maß misst . ({1}) Um das einmal auf den Punkt zu bringen: Wie bitte sollen wir Menschen in einer Unterkunft vermitteln, warum ein Syrer Anrecht auf einen Sprachkurs hat, eine afghanische Frau aber nicht, weil ihre Bleibeperspektive angeblich sehr viel schlechter ist, und das, obwohl beide aus denselben Gründen geflohen sind? ({2}) Wie sollen wir vermitteln, dass der Wert der Familie bei uns grundgesetzlich geschützt ist, wenn wir Kindern den Matthias Schmidt ({3}) Nachzug ihrer Eltern verweigern oder Vätern den Nachzug der im Kriegsgebiet verbliebenen Familie? ({4}) Wie sollen wir Rechtsstaatlichkeit vermitteln, wenn künftig Bewährungsstrafen zur Ausweisung führen können, wenn wir Menschen für Sprachkurse bezahlen lassen, die sie gar nicht in Anspruch nehmen können? Weil diese Form der Asylpolitik im Widerspruch zu den Werten steht, die wir vermitteln wollen, behindern wir automatisch die Integration . Deswegen kann man, Herr Schmidt, das nicht trennen . Integration und Asylpolitik gehören genau an dieser Stelle zusammen . ({5}) Flucht und Migration geschehen nicht planbar, nicht auf wirtschaftlichen Befehl hin . Sie sind auch nicht steuerbar oder in Gänze vorhersehbar . Das mussten wir alle im vergangenen Jahr lernen; da bin ich bei Ihnen, Herr Castellucci . Es war nach meiner Auffassung in Ordnung, für eine bestimmte Zeit zu sagen, dass wir flexibel reagieren müssen, dass wir nicht alle bisherigen Standards bei der Aufnahme von Flüchtlingen umsetzen können . Es war auch in Ordnung und in Wirklichkeit auch ein großer Gewinn für unser Land, dass die Zivilgesellschaft die entstandenen Lücken in einem bewundernswerten Maße und sehr selbstlos gefüllt hat . Aber diese Situation darf kein Dauerzustand bleiben . Das sage ich, nicht weil ich befürchte, dass eine allgemeine Überforderung einsetzt das ist nicht der Fall -, sondern weil ich finde, dass es jetzt an der Zeit ist, dass Politik zurückgibt, verantwortungsbewusst und nach vorne schauend handelt und vor allem aus den gemachten Fehlern oder - besser - Versäumnissen lernt . ({6}) Wir brauchen uns nichts vorzumachen: Dieses Jahr wird neue, wird mehr Herausforderungen mit sich bringen . Dieses Jahr wird schwieriger als das vergangene; denn es werden weiterhin Menschen in Deutschland Schutz suchen, und andere, die schon hier sind, müssen integriert werden. Wir hatten ein Jahr Zeit, uns fit zu machen für diese Aufgabe, und ja, es ist viel passiert, vor allen Dingen vor Ort, aber nicht genug . Wir sind davon überzeugt, dass Integration, wenn man sie richtig angeht, nicht Überforderung zur Folge hat, sondern eine enorme Chance eröffnet . Wir haben nun in unserem Antrag dargelegt, wie unsere Erfahrungen, aber auch unsere Strukturen besser genutzt werden können und wo dringend Strukturen aufgebaut werden müssen . Ich habe wahrgenommen, dass es durchaus Bereitschaft gibt, über einzelne Punkte unseres Antrags zu reden . Also kann unser Antrag nicht so falsch sein . Ich kann nicht auf alle Punkte eingehen . Aber ich möchte zwei Dinge hervorheben . Integration gelingt über Bildung und Arbeit; auch darüber sind wir uns alle einig . Deshalb muss im Zentrum unserer Bemühungen der Spracherwerb stehen . Daher ist es hochgradig absurd, wenn wir den Zugang zu Sprach- und Integrationskursen an eine statistische Bleibeperspektive von Menschen knüpfen und das Herkunftsland zum einzigen Kriterium machen; das ist falsch . Das wird nicht dazu führen, dass wir die Menschen langfristig in unserem Land integrieren . ({7}) Der Teufelskreis geht weiter . Es ist schön, dass Sie sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, endlich dazu durchgerungen haben, der Forderung der IHK nach einem Drei-plus-zwei-Modell nachzukommen; zumindest nehme ich das so wahr. Das finde ich richtig . Aber hier wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht; denn auch hier brauchen wir die Sprachkurse zwingend. Da ist der Bund weiterhin in der Pflicht. Ja, mir ist bewusst, dass die Mittel für die Sprachkurse aufgestockt wurden, Herr Frieser . Das alles ist richtig . Aber das ist nicht analog zu den gestiegenen Flüchtlingszahlen geschehen . Deshalb müssen Sie zuvor anhand der Nationalität und nicht nach Sinnhaftigkeit eine Auswahl treffen . Statt also die noch nicht verplanten 6 Milliarden Euro aus der Rücklage des vergangenen Jahres für die schwarze Null im Wahljahr 2017 zurückzuhalten, sollte die Bundesregierung - auch mit unserer Unterstützung schleunigst einen Nachtragshaushalt vorlegen; denn Integration ist nicht zum Nulltarif zu haben, Herr Castellucci; da bin ich bei Ihnen . Diese Mittel brauchen wir für die Integration, vor allen Dingen für die Sprachkurse . Geben Sie sich also einen Ruck! Bitte ein bisschen mehr Druck aus den Reihen des Parlaments, damit wir den Nachtragshaushalt für die Sprachkurse noch durch das Parlament bekommen! Herzlichen Dank . ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Cemile Giousouf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004279, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über den Antrag der Kollegen von den Grünen . Wir können, glaube ich, festhalten, dass wir alle das Ziel haben, den gesellschaftlichen Frieden in diesem Land zu schützen . ({0}) Wir wollen, dass dieser Prozess gelingt . Wir werden die Menschen, die zu uns kommen und hier bleiben, unterstützen . Auch wenn wir - das zeigt der vorliegende Antrag - politisch anderer Meinung sind, haben wir alle das gleiche Ziel . Die Geschichte des Einwanderungslandes Deutschland hat gezeigt: Einwanderung hat unser Land bereichert . Wir sind nicht nur kulturell gewachsen . Nein, Einwanderer haben ihren maßgeblichen Anteil am Wirtschaftsstandort Deutschland geleistet . Sie haben von Deutschland profitiert, und unser aller Heimat hat von ihnen profitiert. ({1}) Wir werden auch jetzt mit aller Kraft daran arbeiten, dass Menschen, die neu zu uns kommen und die auch hier bleiben, eine Perspektive bekommen . Damit sind wir in der Mehrheit . Die Möchtegern-Vaterlandsverteidiger, die Schutzbedürftige bedrohen, Kinder bedrohen, Frauen bedrohen, die Flüchtlingsunterkünfte anzünden, die sich nicht schämen, auf dem Rücken der Flüchtlinge Geld zu machen und diese gleichzeitig zu verachten, diese Gruppe, diese Minderheit gehört nicht zu uns . Wir können sie nicht ausweisen, aber wir werden sie mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen . Wir sind uns einig, dass wir in der aktuellen Situation alle Energie nutzen müssen, damit die Integration der Flüchtlinge möglichst schnell erfolgt . Nur bedarf es dazu nicht der Erkenntnis Ihres Antrages; das wissen wir schon lange, und wir setzen es vor allem auch um . Aber der Wettbewerb der Ministerien um mehr Geld ist hierbei nicht besonders zielführend . Wir brauchen eine kluge Priorisierung und Schwerpunktsetzung . Die CDU kümmert sich seit über zehn Jahren intensiv um die Integrationspolitik . Wir haben die nötigen Strukturen und Maßnahmen geschaffen . Wir haben die Leitplanken für das Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft ausformuliert und in konkreten Instrumenten umgesetzt. Von diesen Maßnahmen profitieren wir im Moment maßgeblich. Ich finde es, ehrlich gesagt, unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, jetzt so zu tun, als hätten wir noch nie einen Menschen in diesem Land integriert oder noch nie ein Flüchtlingskind eingeschult . ({2}) Ich finde es verantwortungslos, welche Stimmung Sie erzeugen . ({3}) Der Sachverständigenrat für Migration hat uns vor Jahren bereits bescheinigt, dass Integration trotz einiger Problemzonen gesellschaftlich und politisch in Deutschland ein Erfolgsfall ist . Im internationalen Vergleich stehen wir besser da, als unser Ruf ist, an dem Sie maßgeblich beteiligt sind . Im Vergleich zu anderen Einwanderungsländern wie Schweden oder den Niederlanden hat es Deutschland besser geschafft, Menschen zu integrieren . Kommen wir zu Ihrem Antrag . Sie bemängeln in Ihrem Antrag, dass sich die Koalition im vergangenen Jahr nur mit asylrechtlichen Fragen beschäftigt habe, die Integration der Flüchtlinge aber kaum eine Rolle gespielt habe . Ich frage mich tatsächlich, was Sie in den Sitzungswochen machen . Wir haben die Integrationskurse für Asylbewerber mit guten Bleibeaussichten geöffnet . Die Mittel wurden für 2016 verdoppelt . Die Anforderungen für die Lehrkräftezulassung wurden angepasst, die Lehrkräftevergütung wurde erhöht, die Zahl der Teilnehmer in einem Kurs wurde hochgesetzt, und die Trägerstrukturen wurden ausgebaut . Allein in diesem Jahr werden voraussichtlich über 5 000 neue Integrationslehrer zugelassen . Gestern haben wir auch aktuelle Zahlen des BAMF bekommen . Pro Tag wird seit Januar über 2 600 Anträge entschieden, während es im ersten Halbjahr noch 890 Entscheidungen täglich waren . Seit Oktober 2015 wurden zudem 130 000 Altfälle abgearbeitet . Ich bin in vielen dieser Außendienststellen des BAMF unterwegs . Ich möchte hier Folgendes sagen: Diese Arbeit und dieser Prozess, diese Anhörungen zu machen, diese Interviews durchzuführen, zu prüfen, ob die Ausweise tatsächlich echt sind oder nicht, und den Menschen auch einmal sagen zu müssen, dass sie vielleicht keine Bleibeperspektive haben, sind wirklich keine leichten Aufgaben . Wir sollten, anstatt den Behörden ständig auf die Füße zu treten, einfach diesen Menschen auch einmal für ihren Einsatz und dafür danken, dass sie sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe stellen . ({4}) Was haben wir noch gemacht? Der Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und Geduldete wurde erleichtert . Wir haben für 2016 im Haushalt zusätzlich zum ESF-Programm Bundesmittel für berufsbezogene Deutschsprachförderung aufbauend auf die Integrationskurse bereitgestellt . Wir unterstützen studierfähige Flüchtlinge mit den Studienkollegs . Wir haben 10 000 neue Plätze beim Bundesfreiwilligendienst geschaffen . Die Kompensationsmittel für den sozialen Wohnungsbau für 2016 bis 2019 wurden verdoppelt . Schön, dass Sie in Ihrem Antrag feststellen, dass das die richtigen Maßnahmen sind . Aber das wussten wir auch vorher . Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Maßnahmenkatalogs vom CDU-Bundesvorstand vom 15 . Februar . Darin haben wir noch einmal festgehalten, welche Maßnahmen wir ausbauen werden . Wir sind uns alle einig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dieser Integrationsprozess nur in Zusammenarbeit mit Bund und Ländern erfolgreich sein kann . Da frage ich mich, ob Sie, lieber Herr Beck, den Ton, den Sie hier im Bundestag anschlagen, auch bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wählen . ({5}) Wie sieht es in den Regionen Deutschlands, wo Sie, liebe Grüne, an der Regierung sind, mit der Verantwortung aus? Ich komme aus Nordrhein-Westfalen . Ich kann Ihnen sagen: Es tut einfach nur weh, wenn ich sehe, welche Integrationspolitik in meiner Heimat gemacht bzw . nicht gemacht wird . ({6}) Über Jahre aufgebaute Strukturen gehen den Bach runter . Dabei geht es nicht nur um Menschen mit EinwanCemile Giousouf derungsgeschichte . Die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat eine traurige Bilanz gezogen . ({7}) Laut dieser Studie stieg die Kinderarmut in der Zeit der rot-grünen Landesregierung zwischen 2010 und 2014 von 20,9 Prozent auf 23,6 Prozent an . NRW ist das Bundesland mit den meisten armen Kindern . 684 000 Kinder sind in NRW arm . ({8}) Erklären Sie mir doch einmal, warum der Anteil an Kitakindern mit Zuwanderungsgeschichte in NRW sinkt, während der Zuzug ausländischer Familien zunimmt . Unter einer grünen Bildungsministerin geht die frühkindliche Bildung von ausländischen Kindern zurück . ({9}) Das ist fatal, wenn man weiß, dass das, was Kinder vor dem Schuleintritt lernen, zentral für den gesamten weiteren Bildungs- und damit auch Integrationsweg ist . Es fehlt in meiner Heimat an Lehrplänen für die Sprachförderung, es fehlt an Lehrkräften, es fehlt an Räumlichkeiten, in denen nicht der Putz von der Decke fällt . ({10}) Sie haben keinen Plan für die Beschulung der Flüchtlingskinder in Nordrhein-Westfalen . ({11}) In Ihrem Antrag fordern Sie mehr Prävention, Gewaltschutzkonzepte, eine stärkere Polizei und Justiz . Glückwunsch! Das finde ich alles sehr gut. Richtig so. Bitte setzen Sie es doch um, lieber Herr Beck . ({12}) Falls Sie nicht wissen, wie das geht, dann würde ich Ihnen empfehlen, einen Blick nach Bayern zu werfen . Ich weiß, die Kollegen von der CSU werden häufig kritisiert . Aber in dieser Hinsicht hilft ein Blick zu den Freunden nach Bayern . Die Staatsregierung hat jüngst ein Integrationskonzept beschlossen . Die bayerische Staatsregierung nimmt 490 Millionen Euro in die Hand, um die Flüchtlinge in Arbeit und Bildung zu integrieren . ({13}) In einem ersten Schritt soll bis Ende 2016 20 000 Flüchtlingen ein Praktikums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz angeboten werden . Danach sollen jährlich 60 000 erfolgreiche Arbeitsmarktintegrationsprozesse folgen . Wenn ich mir das anschaue und Nordrhein-Westfalen mit Bayern vergleiche, dann kann ich nur sagen: Ich bin überzeugt, dass die Kolleginnen und Kollegen in Bayern das schaffen werden . ({14}) So sieht verantwortliche Politik aus . Deswegen vergebe ich den Ehrentitel „Integrationspartei“ heute einmal ausnahmsweise an die CSU und wünsche weiterhin gutes Gelingen . Herzlichen Dank . ({15})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Abgeordneten Rainer Spiering, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich habe schon immer die Redner bedauert, die kurz vor der namentlichen Abstimmung sprechen mussten, weil sie gegen diesen Bienenschwarm anreden mussten . Jetzt hat es mich selbst erwischt . Gut, dann ist das so .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege, vielleicht nutzen wir die Gelegenheit: Wollen wir versuchen, für einen kurzen Moment Ruhe einkehren zu lassen? Es sind so viele gekommen, die noch den Schluss der Integrationsdebatte unbedingt hören wollen . Denen wollen wir Gelegenheit geben, zuzuhören . ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe während der Zeit, als ich zugehört habe, gedacht: Was wäre wohl, wenn du als Berufsschullehrer diese Plenardebatte übertragen hättest und deine Klasse teilgenommen hätte? Ich stelle mir die Frage, ob es bei diesem großen Thema sinnvoll ist, Länderbashing zu betreiben, weil wieder irgendwo Wahlkampf ist . Ich glaube, es ist vor dem Hintergrund dieses Themas nicht notwendig und auch nicht richtig . ({0}) Ich habe über viele Jahre als Berufsschullehrer mit jungen Menschen unterschiedlicher Kulturen zu tun gehabt . Es sind junge Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern gewesen . Ich kann Ihnen sagen: Es hat immer Spaß gemacht, es hat viel Freude gemacht, und es hat uns alle bereichert . Aber es gibt auch Erfahrungen dazu: Du kannst jede Gruppe und jede Klasse immer nur begrenzt belasten . Das heißt, wenn wir integrieren wollen, dann müssen wir die Kapazitäten für die Integration haben, um sie gut durchführen zu können . Das wollen wir, und das können wir . ({1}) Eine weitere Bemerkung, bei der es mir um unser Land geht . Deutschland ist das Land in Europa, das am ehesten die Fähigkeiten und die Kraft hat, diese Anstrengung überhaupt durchzuführen; Deutschland hat die Kraft und die Fähigkeit, es zu tun . Aber dann muss man dem Land auch die Möglichkeit geben, sich entsprechend zu entwickeln . Das müssen wir behutsam machen, und zwar über Integrationsschritte . Wir müssen die Integration gut, gezielt und dosiert durchführen, damit wir jede und jeden auf dem Wege mitnehmen können . Meine Erfahrung in den Klassen ist folgende gewesen: Wenn ich mich intensiv genug mit den jungen Menschen, und zwar aller Kulturen und aller Nationalitäten, übrigens inklusive der deutschen Nationalität, befasst habe, dann war am Ende des Tages klar: Es gilt eins in Deutschland für jede, für jeden, für jeden aus jeder Kultur - das deutsche Grundgesetz und nichts anderes . ({2}) Ich habe den Antrag der Grünen intensiv gelesen; ich habe mit dem Kollegen Mutlu gerade darüber gesprochen . Dieser Antrag hat mir einige Denkaufgaben gegeben . Ich habe darin einen Passus gefunden, der zumindest für mich sehr nachdenkenswert war: Dort geht es um die Frage, wie wir das Riesenpotenzial der deutschen Berufsbildung zur Integration nutzen . Ich sage Ihnen einmal über alle Parteigrenzen hinweg und vor allem mit der großen Hinwendung an unser Land, das es geschafft hat, diese Berufsbildung durch die Menschen dieses Landes über 50 Jahre zu stabilisieren und weiterzuentwickeln, übrigens mit allen Länderregierungen und mit allen Bundesregierungen, ohne dass man dazu irgendein Länder-Bashing durchführen muss: Die deutsche Berufsbildung ist das, was wir erhalten haben . Die deutsche Berufsbildung ist am ehesten dazu in der Lage, die Probleme, die wir haben, anzupacken und zu lösen . Es gilt immer noch: Hand, Herz, Kopf . Wir können die Menschen an den Werkbänken zusammenführen, und wir können sie zusammen arbeiten lassen . Wenn sie das schaffen, dann schaffen sie die Interaktion vor Ort durch Bewältigung gemeinsamer Projekte . Insofern lautet mein großer Aufruf: Lassen Sie uns die Berufsschulen in diesem Land stärken . Lassen Sie den Berufsschulen den Raum, die Zeit und die Kraft, Integration durchzuführen; denn sie sind der Ort, wo Interaktion an einem sächlichen Beispiel stattfinden kann. ({3}) Das können wir leisten . Aber dafür müssen wir unsere Bemühungen in den Schulen intensivieren . Dazu gehört als erstes Medium in der Tat die Sprache . Egal ob ich Physik, Chemie, Mathematik oder irgendetwas anderes unterrichte: Ich kann nur über die Sprache kommunizieren . Wir müssen auch in die Berufsschulbildung eine wesentlich bessere Stärkung der deutschen Sprache einfließen lassen, um die Menschen, die zu uns kommen, teilhaben und mit uns interagieren zu lassen . Erst wenn das geschieht, können sie verstehen, übrigens auch das Grundgesetz, und dementsprechend handeln . Deswegen meine dringliche Aufforderung, die Sprachförderung zu verbessern . Was wir zur Stärkung der Berufsschulen auch brauchen, ist, dass mehr Sozialarbeiter in Haupt- und Realschulen, in die berufsbildenden Schulen gehen, damit die Probleme, die jetzt zwangsläufig auftreten, gelöst werden können . Das zu bewerkstelligen, ist eine Bundesaufgabe . Damit kann man die Länder nicht alleinlassen; das gilt für alle Länder, auch für Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt . Sie brauchen an dieser Stelle unsere Hilfe . Die Bundesrepublik Deutschland kann es . Herzlichen Dank fürs intensive Zuhören . ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7651 an die in der Tagesordnung vorge- sehenen Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 25 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer Vorschriften ({1}) Drucksache 18/7560 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martina Renner, Dr . André Hahn, Dr . Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Katrin GöringEckardt, Dr . Anton Hofreiter und weiterer Abgeordneter Ergänzung des Untersuchungsauftrages des 1. Untersuchungsausschusses - Hilfsweise: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Drucksache 18/7565 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für mehr Transparenz in der Internationalen Atomenergie-Organisation sowie eine starke und unabhängige Weltgesundheitsorganisation Drucksache 18/7658 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({2}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({3}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Gesundheit Federführung strittig Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zuerst zu den unstrittigen Überweisun- gen; Tagesordnungspunkt 25 a und 25 b . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist so be- schlossen . Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die Federführung strittig ist; Zusatzpunkt 2 . Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7658 mit dem Ti- tel „Für mehr Transparenz in der Internationalen Atom- energie-Organisation sowie eine starke und unabhängige Weltgesundheitsorganisation“ an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federfüh- rung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit . Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit verlangt . Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/ Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD abgelehnt gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke . Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- schlag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, die die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie verlangen . Wer stimmt für diesen Überwei- sungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke angenommen worden . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 h auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Tagesordnungspunkt 26 a: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Durchführungsverordnung der Kommission zur Erneuerung der Zulassung von Glyphosat SANTE/10026/2016 ({4}) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Voreilige Neuzulassung von Glyphosat stop- pen Drucksache 18/7675 Hierzu liegen mehrere Erklärungen nach § 31 Ab- satz 1 unserer Geschäftsordnung vor .1) Wir stimmen auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen über den Antrag namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze an den Urnen alle besetzt? Hier links fehlt noch ein Vertreter der Regie- rungsfraktionen . - Sind jetzt alle Plätze ordnungsgemäß besetzt? - Das ist der Fall . Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag . Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall . Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben .2) Tagesordnungspunkte 26 b bis 26 h . Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses . Tagesordnungspunkt 26 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 282 zu Petitionen Drucksache 18/7569 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das einstimmig so beschlossen . Tagesordnungspunkt 26 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 283 zu Petitionen Drucksache 18/7570 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist auch die Sammelübersicht 283 einstimmig so beschlossen . Tagesordnungspunkt 26 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 284 zu Petitionen Drucksache 18/7571 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich? - Dann ist das beschlossen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen 1) Anlagen 14 und 15 2) Ergebnis Seite 15522 C Vizepräsident Peter Hintze die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Tagesordnungspunkt 26 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 285 zu Petitionen Drucksache 18/7572 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 285 so wie vorgelegt einstimmig beschlossen . Tagesordnungspunkt 26 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 286 zu Petitionen Drucksache 18/7573 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen . Tagesordnungspunkt 26 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 287 zu Petitionen Drucksache 18/7574 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke so beschlossen . Tagesordnungspunkt 26 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 288 zu Petitionen Drucksache 18/7575 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({12}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Intelligente Mobilität fördern - Die Chancen der Digitalisierung für den Verkehrssektor nutzen Drucksachen 18/7362, 18/7635 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn ({13}), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Intelligente Mobilität fördern - Rechtssichere Regelung zur Ausweisung von Carsharing-Stationen schaffen Drucksache 18/7652 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({14}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster Redner der Abgeordnete Thomas Jarzombek, CDU/ CSU-Fraktion . ({15})

Thomas Jarzombek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004061, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe zu: Ich bin schon ein Stück weit stolz, dass wir es geschafft haben, diese Initiative heute in die abschließende Lesung zu bringen, und ich glaube, dass wir hier heute einen Beschluss fassen, der sehr viel Positives für die Zukunft des Straßenverkehrs mit sich bringt . Um noch einmal zu erklären, was das wesentliche Ziel unserer Initiative ist: Es besteht darin, dass wir überall da, wo heute physische Verkehrsinfrastrukturen sind, eine Dateninfrastruktur drüberlegen . Was bedeutet das? Das bedeutet beispielsweise, dass es für Sie, wenn Sie durch eine Stadt fahren, und zwar vollkommen egal, ob mit dem Auto oder mit dem Fahrrad, von großem Interesse ist, zu wissen, wann die nächste, die übernächste und die überübernächste Ampel rot oder grün ist . Denn dann kann man genau die Geschwindigkeit annehmen, die moderne Technik einem empfiehlt, damit man nicht umsonst auf die Ampel zustrampelt oder zufährt, sondern entspannt mit dem so gewählten Tempo bei Grün ankommt . ({0}) Wer schon einmal hier in Berlin über die Karl-Liebknecht-Straße geradelt ist, der weiß aus eigener Erfahrung, wovon ich da rede . ({1}) Das gilt genauso für die Autofahrer; dadurch können wir sehr viel an Emissionen, an Feinstaub, an CO2-Emissionen und vor allen Dingen auch an Lärm einsparen . Unsere Vision ist die rollende Stadt, in der kein Verkehrsträger mehr bremsen und beschleunigen muss . In unserem Antrag steht - das möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal präzisieren - als allererster Vizepräsident Peter Hintze Punkt unter III ., dass wir eine verkehrsträgerübergreifende Lösung unterstützen . Das bedeutet eben auch, dass man den Menschen den Umstieg vom Auto auf die Bahn einfacher macht . Warum werden Park-and-Ride-Plätze so oft doch nicht angenommen? Weil es für den Autofahrer eben kompliziert ist, herauszufinden: Habe ich wirklich einen Zeitvorteil, wenn ich umsteige? Wo sind die Parkplätze? Ist überhaupt noch einer frei? Wie komme ich zum Bahnsteig? Welches Ticket brauche ich? Womit bezahle ich das? Hier gibt es heute schon Lösungen im Auto, ohne hier für einzelne Produkte bayerischer Automobilhersteller Werbung machen zu wollen, die ganz gezielt empfehlen, auf ein anderes Verkehrsmittel - auf eine U-Bahn, eine S-Bahn, eine Straßenbahn - umzusteigen, und zusammen mit dieser Information das Ticket auf das Handy liefern . Das ist genau das, was wir nach vorne treiben wollen . Dazu gehört, dass wir alle mobilitätsbezogenen Daten, die wir haben, in digitaler Form zur Verfügung stellen . Ich komme jetzt zu dem Schreiben des VDV - darüber habe ich mich wirklich gewundert -, das uns alle erreicht hat und an dem man merkt, dass der digitale Wandel offenbar schon zu den ersten Verteilungskämpfen im Verkehr führt . Der Verband der Verkehrsunternehmen schreibt uns erstens, die Leute würden vor allem Bus und Bahn fahren, weil sie so schlecht einen Parkplatz finden. Deshalb dürften wir nichts machen, was die Parkplatzsuche erleichtert. Das finde ich schwierig, um es einmal ganz vorsichtig zu sagen . Er schreibt uns zweitens, dass selbstfahrende Autos insbesondere von öffentlichen Nahverkehrsunternehmen betrieben werden müssen. Das finde ich eine interessante These . Ich glaube, in einer privatrechtlich organisierten Welt wird das nicht möglich sein . Aber man kann sicher einmal darüber reden . Ich weiß zum Beispiel, dass die BVG schon aktiv daran arbeitet und prüft, ob nicht selbstfahrende Autos eine gute Ergänzung zur S-Bahn sein können, gerade in den Bereichen, wo die Wege zur Bahnhaltestelle sehr weit sind . Als Drittes schreibt uns der VDV, dass die Mobilitätsdaten, die wir jetzt überall als offene Daten zur Verfügung stellen wollen, von den Nahverkehrsunternehmen nicht zur Verfügung gestellt werden können, weil das Betriebsgeheimnisse sind . Deshalb sage ich es jetzt ganz präzise, auch für das Protokoll, damit es hinterher keine Interpretationsschwierigkeiten gibt: ({2}) Wir wollen gerade die Daten von Nahverkehrsunternehmen als offene Daten zur Verfügung stellen, ({3}) gerade diese, und zwar nicht nur die Fahrplandaten, sondern auch die Echtzeitdaten, anhand derer man ersehen kann, wann das Verkehrsmittel wirklich ankommt . Das betrifft auch die Bezahlschnittstelle . Wenn ich auch über Google das Straßenbahnticket kaufen kann, dann ist das doch kein Nachteil, sondern ein Vorteil; denn je mehr Verkehrsstellen es gibt, desto mehr kann man verkaufen . Das ist eine alte betriebswirtschaftliche Regel . Diese gilt auch für öffentliche Nahverkehrsunternehmen . ({4}) Bevor ich ganz gezielt in Richtung Ministerium sage, was sich in diesem Antrag noch findet, muss ich an dieser Stelle das Ministerium einmal loben, weil es sehr viele gute Initiativen gemacht hat . Die Staatssekretärin hat sich selber sehr engagiert, einen Hackathon gemacht mit jungen Unternehmensgründerinnen und -gründern, wie man Verkehrsdaten besser nutzen kann . Das ist, glaube ich, vorbildhaft auch für andere Ministerien . Es gibt einen Modernitätsfonds, mit dem Verkehrslösungen, auch die Entwicklung von neuen Lösungen finanziert werden können . Das ist ganz hervorragend . Aber wir schreiben im Antrag außerdem - auch das sage ich ausdrücklich, damit hier keine Unklarheit herrscht -: Wir wollen ein digitales Straßengesetz . Hier bitte ich vor dem Hintergrund, wie viel Zeit wir noch in dieser Legislaturperiode für Gesetzgebung haben, Gas zu geben . Das ist ein wirklich wichtiges Thema; denn moderne Fahrzeuge generieren immer mehr Daten über Straßenzustände . Sie haben Kameras und scannen, wo wie große Löcher im Boden sind . Das ist für uns wichtig . Wir haben gleichzeitig die Diskussion über den Bundesverkehrswegeplan . Wir reden immer darüber, dass wir Verkehrsinfrastrukturen nach einer gewissen Dauer austauschen . Aber wir wissen gar nicht, ob sie dann noch gut oder wirklich schon schlecht sind . Viel interessanter ist es, wenn wir mit den Daten aus modernen Fahrzeugen ein richtiges Straßenkataster über die Qualität der Straßenzustände bekommen, und das vielleicht auch in Echtzeit . Wenn überfrierende Nässe auftritt und morgens in den Straßen Löcher aufplatzen und Autos mit ihren Kameras diese für die Stoßdämpfer registrieren, könnten sie entsprechende Daten auch an uns als Staat übersenden . ({5}) Dann könnte man mit Teerlastern zu diesen Stellen fahren und die Straßen genau da ausbessern, wo die Not am größten ist, weil tatsächlich schon morgens um 9 Uhr ein perfekter Straßenzustandsbericht vorliegt . Das ist, was wir brauchen . Wir brauchen ein digitales Straßengesetz, mit dem wir nicht nur von uns aus die Bereitstellung offener Daten wie Ampeldaten und Nahverkehrsdaten für Dritte regeln, sondern auch dafür sorgen, dass Dritte uns Daten zukommen lassen, mit denen wir eine bessere Verkehrsplanung vornehmen können - zum Wohle aller; denn alle können davon profitieren. Wir brauchen für all diese Dinge Testversuche - noch mehr als bisher . Wir sehen, dass in Kalifornien immer so viele schöne Pilotprojekte durchgeführt werden . Ich finde es von daher sehr gut, dass das Bundesverkehrsministerium begonnen hat, auf der A 9 ein digitales Testfeld einzurichten . Wir brauchen mehr von solchen Testfeldern . Wir brauchen so etwas auch für den urbanen und den teilurbanen Raum, für Stadtverkehre . Es ist sehr wichtig, dass man dafür offen ist, neue Technologien auszuprobieren und erste Einsatzszenarien zu entwickeln, sodass Menschen aus aller Welt zu uns pilgern, um sich anzuschauen, was da möglich ist . Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben hier ein gutes Programm vorgelegt . Ich freue mich sehr auf seine Umsetzung . Die Grünen haben, glaube ich, nicht ganz verstanden, dass wir über Digitalisierung der Infrastruktur reden . Deshalb haben sie einen Gegenantrag zum Thema Carsharing eingebracht . ({6}) Ich habe den Zusammenhang nicht verstanden. Ich finde den Vorschlag interessant, Carsharing-Fahrzeuge auf Taxispuren fahren zu lassen; so liest man jedenfalls . Dazu wird aber der Kollege Bilger gleich noch etwas sagen . Ich bedanke mich . ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Voreilige Neuzulassung von Glyphosat stoppen“, Drucksache 18/7675, bekannt: abgegebene Stimmen 565 . Mit Ja haben gestimmt 117, mit Nein haben gestimmt 445, enthalten haben sich 3 Kolleginnen und Kollegen . Der Antrag ist damit abgelehnt . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 566; davon ja: 117 nein: 446 enthalten: 3 Ja CDU/CSU Josef Göppel SPD Dr . Sascha Raabe DIE LINKE Jan van Aken Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr . Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Annette Groth Dr . Gregor Gysi Dr . Andre Hahn Dr . Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Katja Kipping Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({0}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({1}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Dr . Axel Troost Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({2}) Volker Beck ({3}) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Kai Gehring Anja Hajduk Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Sven-Christian Kindler Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Christian Kühn ({4}) Renate Künast Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Peter Meiwald Irene Mihalic Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({5}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({6}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . Andre Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Axel E . Fischer ({7}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({8}) Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr . Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({9}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({10}) Karl Holmeier Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Steffen Kanitz Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({11}) Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Volker Mosblech Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Anita Schäfer ({14}) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt ({15}) Gabriele Schmidt ({16}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({17}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({18}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({19}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl ({20}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({21}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg ({22}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({23}) Sabine Weiss ({24}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({25}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Klaus Barthel Dr . Matthias Bartke Bärbel Bas Lothar Binding ({26}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Dr . Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Siegmund Ehrmann Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr . Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Michael Hartmann ({27}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({28}) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({29}) Thomas Hitschler Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Anette Kramme Dr . Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({30}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({31}) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({32}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann René Röspel Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({33}) Susann Rüthrich Sarah Ryglewski Johann Saathoff Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({34}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({35}) Matthias Schmidt ({36}) Dagmar Schmidt ({37}) Carsten Schneider ({38}) Elfi Scho-Antwerpes Swen Schulz ({39}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr . Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff ({40}) Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Brigitte Zypries Enthalten SPD Detlef Müller ({41}) Gülistan Yüksel Als nächstem Redner in unserer Aussprache erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herbert Behrens, Fraktion Die Linke, das Wort . ({42})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Intelligente Mobilität fördern - Die Chancen der Digitalisierung für den Verkehrssektor nutzen“ - Mensch, was ist das für ein Titel! ({0}) Der Titel des Antrags lässt Großes erwarten; aber wenn man hineinschaut, dann stellt man, wie so häufig bei der Großen Koalition und auch in der Werbung, fest: mehr Schein als Sein; Marketing ist alles . Ihr Antrag befasst sich eben nicht mit den Bedürfnissen der Menschen nach bezahlbarer und gesunder Mobilität . Der Antrag bedient fast ausschließlich die Interessen der Industrie . Sie sagen ganz klar - ich zitiere -: Es gilt, die technologische Vorreiterrolle auszubauen und in allen Bereichen Leitmarkt und Leitanbieter für die Zukunft der individuellen Mobilität zu werden . Aber genau das ist nicht das Denken von morgen; das ist das Denken von gestern . ({1}) Die Chancen der Digitalisierung können genutzt werden, um verkehrs- und umweltpolitische Ziele zu erreichen; das ist wahr . Aber Sie setzen auf die falschen Ziele . Ein Ziel könnte doch beispielsweise sein, an Stuttgarts Straßen eben nicht mehr Tafeln aufzustellen, auf denen ein Feinstaubalarm angekündigt wird . Ein Ziel könnte sein, die Menge der Autos in den Städten zu reduzieren . ({2}) Ein Ziel - ganz analog - könnte auch sein, die Geschwindigkeiten im Straßenverkehr zu verringern . Das ist intelligente Verkehrspolitik, wie wir sie verstehen . ({3}) Ihre fatale Philosophie ist stetes Wachstum in allen Bereichen . Staatssekretär Ferlemann hat es einmal so formuliert - ich zitiere -: Wir wollen mehr Verkehr auf allen Verkehrsträgern . Es fehlt wirklich jegliche verkehrspolitische Vision, wie man mit dem Begriff „intelligente Mobilität“ umgehen kann . Auf den Punkt gebracht: Für uns geht es im ersten Schritt um Verkehrsvermeidung . Gerade in Sachen Verkehrsvermeidung hat die Digitalisierung großes Potenzial . Die Fraktion der Grünen ist in ihrem Antrag auf diesen Punkt unter einem Aspekt eingegangen, nämlich Vernetzung des öffentlichen Verkehrs mit Carsharing . Das finden wir gut und: Es ist schnell umsetzbar. Ich wundere mich schon sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, wie Sie den Menschen sehen . Er ist für Sie offenbar kein Individuum, sondern eher ein Transportgut . Mehr noch: Die Beschäftigten im Verkehrssektor werden von Ihnen ganz unverblümt als Risikofaktor bezeichnet . Das ist schon ein starkes Stück . ({4}) Daran ändert auch ein Passus nichts, den wohl die SPD nach langer Kärrnerarbeit hineinformuliert hat, der lautet: All die durch die Digitalisierung des Verkehrssektors hervorgerufenen Veränderungen müssen stets in enger Kooperation von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden begleitet werden . ({5}) Das ist nicht mehr als die Petersilie auf einer industriepolitischen Speise . ({6}) Mobilität muss für die Menschen einen Zugewinn an Freiheit bringen . Mobilität muss den Klimawandel stoppen . Darauf müssen wir all unsere Fantasie und Kreativität richten . Nur so, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, haben Sie die Chance, das selbstgesteckte Ziel zu erreichen, nämlich bis 2020 jährlich bis zu 10 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß im Verkehrssektor einzusparen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, die Digitalisierung produziert enorme Datenströme . Mit Ihrem Konzept besteht die Gefahr, dass Autofahrerinnen und Autofahrer gläsern werden . Die Daten, die beim Fahren oder beim Buchen von Fahrten gespeichert werden, dürfen deshalb nur anonymisiert verwendet werden . Wer die Chancen der Digitalisierung wirklich für alle nutzen will, darf nicht ausschließlich die Interessen der Unternehmen bedienen . ({7}) Für unsere Fraktion steht der Mensch im Mittelpunkt . Wir wollen eine sozialökologische Wende auch in der Verkehrspolitik, das heißt saubere, sichere und gesunde Mobilität . Das ist gut für die Beschäftigten im Verkehrswesen und in der Industrie genauso wie für die Millionen Kundinnen und Kunden . Vielen Dank . ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Andreas Rimkus, SPD-Fraktion . ({0})

Andreas Rimkus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004387, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Am Anfang des 20 . JahrVizepräsident Peter Hintze hunderts lebten 165 Millionen Menschen in der Stadt . In diesem Jahrhundert werden es erstmalig über 50 Prozent der gesamten Weltbevölkerung sein; es sind mittlerweile 3,4 Milliarden Menschen . Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die OECD, geht sogar davon aus, dass im Jahr 2050 6,4 Milliarden Menschen in den Ballungszentren unserer Welt wohnen und arbeiten werden . Aus verkehrspolitischer Sicht stehen deshalb nicht nur ökologische, sondern vor allem auch logistische Herausforderungen an . Mit der Urbanisierung steigt die Verkehrsbelastung . Schon heute nehmen Staulängen und Stauzeiten in den meisten deutschen Großstädten im Vergleich zu den Vorjahren kontinuierlich zu . Dies ist nicht nur ein Kapazitäts-, sondern vor allen Dingen auch ein ökologisches Problem . Gleichzeitig bieten aber neue Mobilitätskonzepte Möglichkeiten, diesen Herausforderungen zu begegnen . Dazu zählt vor allem die Einführung automatisierter Verkehrsleitung und Verkehrslenkung . Automatisierte Kolonnenfahrten, weniger Wegeabstände sowie weniger Unfälle durch automatisch situationsangepasstes Fahren optimieren den Verkehr und ermöglichen eine Kapazitätssteigerung der vorhandenen Verkehrsnetze . Dies verbessert nicht nur den Verkehrsfluss, sondern bietet auch enorme Chancen für den Umweltschutz . Darum sollten wir neben innovativen Wohnkonzepten auch die Idee einer Straße des 21 . Jahrhunderts, die Wohnen, Arbeiten und Mobilität zusammendenkt, in den Blick nehmen . Wenn man so will, ist das die intelligente Mobilität von morgen . Daher fordern wir in unserem Antrag nicht nur eine verkehrsträgerübergreifende Strategie, sondern auch einen Aktionsplan „Digital vernetztes Auto“ und ein digitales Straßengesetz . ({0}) - Finde ich auch . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zukunftsgerichtete Konzepte müssen Mobilitätsbedürfnisse und ökologische Technologie miteinander verknüpfen und dabei Effizienzen heben . So verbessert man nicht nur den Komfort was immer in den Vordergrund gestellt wird -, sondern vor allen Dingen schützen wir damit die Umwelt . Denn die Attraktivität von urbanen Räumen hängt eben neben umfangreichen Freizeitangeboten und guten beruflichen Perspektiven vor allem auch von einer effizienten und gut funktionierenden Verkehrsvernetzung ab; dies gilt natürlich auch für den ländlichen Raum, der nicht zu kurz kommen soll und auch deutlich benannt werden sollte . Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Vision Zero, also die Vision, die Zahl der Schwerverletzten und Toten im Straßenverkehr auf null zu reduzieren, lässt sich aus meiner Sicht nur mithilfe von automatisierten Prozessen verwirklichen . Hierfür wollen wir die Weichen stellen und dabei besonders die Fragen des Datenschutzes in den Blick nehmen . Denn es gilt, was ich bereits bei der Einbringung unseres Antrags deutlich gesagt habe: Der Datenschutz und die Selbstbestimmung über die persönlichen Daten sollten für uns immer an erster Stelle stehen . ({2}) Für die Integration neuer Technologien fungieren Städte insofern als Innovationstreiber, beispielsweise in den Bereichen Carsharing, Elektromobilität und eben auch automatisiertes Fahren . 1961 forderte Willy Brandt: ({3}) „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“ Das Image des verdreckten, hektischen und lärmenden Molochs Stadt ist überwunden . Deutsche Großstädte haben dieses Image gerade durch emissionsarme Technologien hinter sich gelassen, aber wir sind, wie wir wissen, noch lange nicht am Ziel . Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Rahmen für die weiteren Wegmarken in der Bundesrepublik wollen wir mit dem vorliegenden Antrag stecken, nicht nur, um die Systemintegration von automatisierten Verkehrsleitsystemen voranzubringen, sondern auch, um als Exportnation weltweit mit an der Spitze bei modernen Vernetzungstechnologien zu stehen und den weltweiten Bedarf mit technologischen Innovationen zu begleiten . Ich möchte noch einmal deutlich machen, vor welchen Hürden wir noch stehen . Vom Datenschutz über versicherungsrechtliche Fragen bis hin zu technischen Rahmensetzungen: Es sind noch lange nicht alle Antworten gefunden . Ein wichtiger Baustein für eine Mobilitätswende hin zu Vernetzung bilden Apps auf dem Mobiltelefon, satellitengestützte Navigationssysteme und die Möglichkeit, diese Programme überall zu nutzen und Informationen mobil zu verarbeiten . Dies haben wir mit dem vorliegenden Antrag in den Blick genommen und deutlich gemacht, dass wir zum einen Technologieförderung brauchen sowie den Ausbau von digitaler Infrastruktur und zum anderen natürlich auch bei der Unterstützung aus dem Weltraum vorankommen müssen, nämlich bei unseren Satellitensystemen . Das gilt für den Verkehr am Boden, auf dem Wasser und in der Luft . Weil wir als Technologiestandort Deutschland weiterhin vorne sein wollen, brauchen wir gute Strategien, klare Spielregeln, zielgerichtete Forschungsförderung, Rechtssicherheit und vor allem den Willen, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken . Wir in der Großen Koalition wollen das gemeinsam hinbekommen . Schönen Dank . ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Matthias Gastel, Bündnis 90/Die Grünen .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Antrag von CDU/CSU- und SPD-Fraktion enthält manch richtige Darstellungen . ({0}) Ein wirklich schlüssiges Konzept für intelligente Mobilität haben Sie uns damit aber leider nicht vorgelegt . ({1}) Ja, es ist richtig: Ein automatisierter Verkehr führt zu effizienter Motorsteuerung und weniger Ressourcenverbrauch . Aber wer wirklich etwas gegen die Verschwendung von natürlichen Ressourcen und für den Klimaschutz tun möchte, darf nicht ständig nur von Autos und Lkws reden . Ja, es ist richtig: Ein voll vernetzter und automatisierter Verkehr kann ein Beitrag sein, die Zahl der Verkehrsopfer zu senken . Aber wer wirklich etwas für die Verkehrssicherheit tun möchte, der sollte nicht so zimperlich sein bei der Einräumung von Möglichkeiten für die Kommunen, Tempo-30-Zonen auszuweisen; Herr Dobrindt hat ja einen solch zimperlichen Vorschlag einer veränderten Straßenverkehrsordnung vorgelegt . Ja, es ist richtig: Wir brauchen intelligente Stromnetze und die Elektromobilität als Bausteine für die Energiewende im Verkehr . Wer wirklich etwas für die Elektromobilität machen will, kommt deswegen um eine Kaufprämie für Elektroautos nicht herum . Diese darf aber nicht aus dem Haushalt finanziert werden - das wäre nämlich weder ökologisch noch sozial sinnvoll -, sondern es braucht eine Umlage auf klimafeindliche Spritschlucker. So muss man diese Kaufprämie finanzieren. ({2}) Wer wirklich etwas für die Elektromobilität machen will, der muss vor allem festhalten: Wir haben längst eine bewährte Elektromobilität, und zwar auf der Schiene . Mit dem Entwurf des Bundesverkehrswegeplans wird sich zeigen, ob Sie die tatsächlich notwendigen Elektrifizierungen von Bahnstrecken entsprechend hoch priorisieren . ({3}) Ja, es ist richtig: Die Digitalisierung kann die Suche nach Parkplätzen erleichtern . Wer aber wirklich vermeidbaren Verkehr vermeiden möchte, sollte sich zunächst einmal fragen, warum so viele Menschen glauben, nicht auf das Auto verzichten zu können, und weshalb öffentliche Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen nicht so attraktiv sind, dass mehr Menschen häufiger das Auto stehen lassen . Von besseren Bus- und Bahnangeboten könnten nämlich alle profitieren, auch diejenigen, die mangels Auto überhaupt nie einen Stellplatz suchen müssen . ({4}) Ja, es ist richtig: Echtzeitinformationen können Lkw-Fahrern helfen, an der Autobahn freie Rastplätze zu finden und Ruhezeiten einzuhalten. Wer aber den Transport von Gütern zukunftsfähig machen möchte, wer ihn entsprechend weiterentwickeln möchte, der sollte vor allem die Bedingungen für den Wettbewerb zwischen Bahn und Lkw ins Lot bringen . Mit dem Trassenpreissystem hätten Sie die Chance, auf das Grenzkostenprinzip zurückzugehen und damit einen Riesenbeitrag für mehr Wettbewerbsfähigkeit der Bahn gegenüber dem Lkw auf der Straße zu leisten . ({5}) Ja, es ist richtig: In der Digitalisierung steckt viel Potenzial, und darin stecken große Chancen . Aber so, wie Sie das angehen, ist das einzig und allein schlicht und ergreifend nur technokratisch . Was ich vermisse, ist der Ausblick auf eine lebenswerte Umwelt . Was ich vermisse, ist die Vision von Innenstädten mit Lebensqualität, die nicht im motorisierten Individualverkehr ersticken und in denen einem Auto nicht länger mehr Platz eingeräumt wird als einem Kind . Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag zum Carsharing - Herr Jarzombek, das ist ein ergänzender Antrag - verhelfen wir Ihnen dazu, Ihr Verständnis von intelligenter Mobilität wirklich ein Stückchen intelligenter zu machen . ({6}) Durch digitale Kommunikationstechnologie ist das Teilen von Fahrzeugen viel einfacher geworden . Das hat einen Boom ausgelöst: Bereits 1 Million Menschen in Deutschland nutzen Carsharing . Dabei macht das Teilen ökologisch und ökonomisch Sinn . Ein Carsharingauto ersetzt sechs Einzelfahrzeuge von Privaten . Dies führt zu weniger Ressourcen- und Platzverbrauch in dichtgedrängten Städten sowie zu einer zweckmäßigeren Pkw-Nutzung . Das Auto wird nur dann genutzt, wenn es tatsächlich nötig ist, und wenn es nicht nötig ist, wird mit dem Bus, der Bahn oder eben dem Fahrrad gefahren, und es werden verstärkt verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombiniert . Auch das macht die Digitalisierung möglich . Eine wesentliche Voraussetzung für die weitere gedeihliche Entwicklung des Carsharings ist die rechtssichere Ausweisung von Stellplätzen in den Innenstädten, am Bahnhof, in den Vororten oder auch im ländlichen Raum . Ein Gesetzentwurf wurde von Minister Dobrindt bereits mehrfach, auch schon vor längerem, angekündigt; aber er hat bis heute leider nicht geliefert . ({7}) Dabei ist die Sache nicht allzu schwierig . Das lässt sich einfacher lösen als die CSU-Maut für Ausländer . Entscheidend ist, dass die Kommunen auch Stellplätze für bestimmte Carsharinganbieter ausweisen können; denn die stationsbasierten Carsharingkonzepte sind genau darauf angewiesen . Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag auf, endlich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen . Das mittlerweile bereits zehnjährige Ringen um ein einfaches Gesetz muss endlich ein Ende haben . ({8}) Mit einem attraktiveren Bus- und Bahnangebot, mit einer stärkeren Rolle des Fahrrads, mit verbrauchsreduzierten Autos und eben mit Carsharing wird Mobilität wirklich intelligenter . ({9})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Steffen Bilger, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir zurzeit so intensiv über die Mobilität der Zukunft diskutieren . Unsere Debatte vor vier Wochen und unser Koalitionsantrag zur intelligenten Mobilität sind eine gute Grundlage für die heutige Diskussion . Worum geht es uns als Koalition? Uns geht es darum, Mobilität zu ermöglichen, effizient und nachhaltig, aber eben nicht mit Verboten und Überregulierung, wie es sich andere hier wünschen . In unserem Antrag machen wir deutlich: Die Vernetzung der Mobilität wird kommen, und sie wird neben vielen anderen Vorteilen auch einen handfesten Beitrag zu einer besseren Umwelt- und Klimabilanz leisten . Vieles von dem, was vielleicht im Jahr 2050 oder auch schon früher Standard sein wird, können wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen . Aber diese ferne Zukunft müssen wir heute schon vorbereiten . Das tun wir mit den Maßnahmen in unserem Antrag . Schließlich wollen wir nicht nur, dass intelligente Mobilität Realität wird, sondern dies soll auch zu unseren Bedingungen geschehen und nach unseren Bedürfnissen ausgerichtet sein . Nach allem, was wir heute wissen, wird die Vernetzung und Digitalisierung der Mobilität intelligent und nahezu komplett sein . Für viele Datenschützer klingt das nach einem Horrorszenario . Aber ich halte es für durchaus möglich, dass wir beides bekommen: intelligent vernetzte Mobilität und sauberen Datenschutz wie auch Datensicherheit . Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat es diese Woche wieder deutlich gemacht: Wir haben einen beispiellosen Investitionshochlauf . ({0}) In den nächsten Jahren wird so viel Geld in die Verkehrsinfrastruktur fließen, wie es laut der nach Daehre benannten Expertenkommission für den Bund nötig ist . Das, meine Damen und Herren, ist wirklich eine enorme Leistung . Diese Anstrengung ist aber auch dringend erforderlich . ({1}) Diesem Investitionshochlauf steht aber in gewisser Weise der nächste Bundesverkehrswegeplan gegenüber . ({2}) Nicht alles, was dort an vordringlichem und weiterem Bedarf ermittelt wurde und wird, kann in den nächsten Jahren gebaut werden . Das liegt natürlich auch an den Planungs- und Baukapazitätsengpässen . ({3}) Wenn wir aber sehen, wie die Wachstumsprognosen im Verkehrsbereich aussehen, merken wir: Wir brauchen zusätzlich zum dringend notwendigen Erhalt und zusätzlich zu Aus- und Neubau neue Verfahren, um den Verkehr zu stemmen . So wird allein der motorisierte Personenverkehr bis 2030 um 13 Prozent zunehmen; im Güterverkehr wird die Verkehrsleistung sogar um 39 Prozent steigen . Diese Zahlen machen deutlich, dass wir insgesamt viele Ansätze benötigen, um auch in Zukunft Mobilität zu ermöglichen . Einer dieser Ansätze ist das Carsharing . Sharingkonzepte sind ja gerade in aller Munde . ({4}) Einige Firmen haben es mit der Kunst der Vermittlung solcher Angebote sogar zu Milliardenbewertungen geschafft . Carsharing hingegen ist nicht ganz so neu wie die internetbasierten Aufsteiger der letzten Zeit . Seit über 25 Jahren gibt es das Autoteilen nun schon . Diese Woche wurde eine Studie veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kam, dass das Carsharing nirgendwo so beliebt ist wie in Deutschland . Auf den ersten Blick, meine Damen und Herren, ist das vielleicht erstaunlich; auf den zweiten aber ist es sonnenklar . Das Carsharing hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt . Die Erfolge in Deutschland haben ihre Ursachen nicht zuletzt in den Investitionen großer Anbieter, insbesondere von Tochterunternehmen der Autohersteller . Die großen Hersteller aus dem Süden haben den Markt der Mobilitätsdienstleistungen für sich erkannt und die sogenannten Freefloater, also die stationsunabhängigen Carsharingangebote, massiv ausgebaut . 50 Prozent aller Carsharingautos in Europa kann man hierzulande leihen . Das liegt auch daran, dass sich das Carsharing aus der Ökoecke - ich weiß die geleistete Pionierarbeit sehr zu schätzen - in die Mitte der Gesellschaft bewegt hat . Heute wünscht sich jede moderne Stadt ein Carsharingangebot, weil dies einfach dazugehört und von vielen Bürgern erwartet wird . Deutschland ist also weit vorne . Diesen Vorsprung gilt es nun per Gesetz zu erweitern, damit die bereits existierenden Vorteile noch weiter ausgebaut werden können . ({5}) Mir persönlich und vielen anderen in der Koalition war es schon während der Koalitionsverhandlungen ein Anliegen, uns durch ein Carsharinggesetz zu der Unterstützung des Carsharings zu bekennen . Für mich hätte viel dafür gesprochen, dieses Gesetz gemeinsam mit dem Elektromobilitätsgesetz vorzulegen, ({6}) wobei ich mir schon die Frage stelle, wie man die Forderungen des Antrags der Grünen zur Förderung sowohl des Carsharings als auch der Elektromobilität dann miteinander hätte vereinen können . Aber wie auch immer: Ich glaube, über die Sinnhaftigkeit eines Carsharinggesetzes dürften wir uns hier weitestgehend einig sein . ({7}) Die Verkehrspolitiker kennen die Problemlage . Sie ist im Wesentlichen juristischer Natur . ({8}) Nun bin ich ja selbst Jurist und weiß, dass zwei Juristen durchaus zu unterschiedlichen Bewertungen ein und desselben Sachverhalts kommen können . ({9}) Es wäre aber nicht verantwortlich, eine juristisch fragwürdige Regelung vorzulegen . Bevorrechtigungen sind im Straßenverkehr eine komplexe Materie . Daher gilt einmal mehr: Gründlichkeit vor Schnelligkeit . ({10}) Sowohl die Regierung als auch die Mehrheitsfraktionen wollen dieses Gesetz, und es wird kommen . ({11}) Darauf können sich Anbieter und Nutzer von Carsharing genauso verlassen wie die Kommunen, die solche Angebote auf ihrer Gemarkung machen wollen . Damit leisten wir dann, zusätzlich zu unserem vorliegenden Antrag, einen weiteren Beitrag zur Förderung intelligenter Mobilitätsformen . ({12})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr . Birgit Malecha-Nissen, SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Birgit Malecha-Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine elektronische Seekarte, das Radarbild auf dem Monitor, alles im Blick - der Kapitän steuert seinen Frachter . Das Spannende ist: Er navigiert nicht auf einem Schiff, sondern ohne Mannschaft vom Festland aus . Das klingt wie Science-Fiction, ist es jedoch nicht . Es ist das europäische Forschungsprojekt MUNIN . Dabei geht es um die Entwicklung eines autonomen Schiffes . Seit Jahren wird an einem Konzept gearbeitet, um Schiffe unbemannt über die Ozeane fahren zu lassen . Sieht so die Zukunft aus? Fakt ist, der digitale Wandel wird die Mobilität revolutionieren . Dabei müssen wir eine verkehrsträgerübergreifende Strategie entwickeln, die auch den Klimaschutz besonders im Blick hat . ({0}) Denn nur mit intelligenten digitalen Steuerungslösungen lassen sich in der Zukunft Staus und logistische Engpässe verringern . Deswegen ist für uns die Digitalisierung im Verkehrsbereich eine große Chance . Diesen Weg gehen wir zusammen mit unserem Koalitionspartner im vorliegenden Antrag . Dazu gehört auch Carsharing . Deswegen begrüße ich in Teilen den Antrag bezüglich eines Carsharinggesetzes der Kolleginnen und Kollegen der Grünen . Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss besonders auch im Hinblick auf Carsharing und individuelle Mobilität im Spannungsfeld zum öffentlichen Nahverkehr . Ich denke, da werden wir bestimmt eine spannende Diskussion haben . Sehr verehrte Damen und Herren, wir stehen nicht am Anfang der digitalen Revolution . Das wird besonders am Beispiel komplexer Logistikketten in unseren Häfen deutlich . Digitale Steuerungslösungen gehören bereits zum Alltag moderner Häfen . Die Anforderung an eine reibungslose Güterumschlagslogistik ist extrem hoch . Lassen Sie mich das am Beispiel des Hamburger Hafens verdeutlichen . Schon jetzt sind die Ablade- und Verladeprozesse automatisiert und werden vom Terminal aus gesteuert . 43 Prozent der umgeschlagenen Seegüter kommen und gehen noch per Lkw . Das sind laut HHLA 1,8 Millionen Fahrten im Jahr, was zu langen Staus im Hafen und an den Zufahrten bis hin zu den Autobahnen führt . Zudem hat sich auf der Seeseite einiges geändert . Innerhalb kürzester Zeit muss ein großes Containerschiff - ein Riesenpott - ent- und beladen werden . Das „smartPORT logistics“-Konzept mit seiner digitalen Lkw-Abfertigungssoftware soll diese Abläufe in Zukunft massiv beschleunigen . Die Testphase läuft seit Monaten und wird weltweit beobachtet . Ich bin auf die weitere Entwicklung gespannt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem technischen Fortschritt - das ist uns als Sozialdemokraten besonders wichtig - dürfen wir die Beschäftigten nicht aus dem Blick verlieren . Daher muss der Prozess der Digitalisierung immer in enger Kooperation zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden begleitet werden . ({1}) Denn der Weg von technischer Revolution zu sozialem Fortschritt kann nur über starke Mitbestimmungsrechte gehen . Fakt ist: Durch die Automatisierung werden viele neue Jobs entstehen . Jedoch werden dadurch auch in den nächsten Jahren viele Arbeitsplätze wegfallen . Erst im Januar dieses Jahres demonstrierten beispielsweise viele Tausend Hafenarbeiter in Rotterdam . Sie alle bangen um ihren Arbeitsplatz . Das zeigt: Die Ängste sind Realität, und wir sind schon in der Zukunft angekommen . Deswegen brauchen wir neben der digitalen Strategie zwingend eine vorausschauende Beschäftigungsstrategie . Diese muss die Bewältigung der Herausforderungen der digitalen Entwicklung gut vorbereiten und begleiten . Es müssen passgenaue Weiterbildungsprogramme entwickelt werden, damit sich betroffene Beschäftigte beruflich neu ausrichten können. Ebenso werden neue Ausbildungsmodule benötigt, um den Bedarf an neuen Fachkräften in der digitalen Branche künftig abdecken zu können . Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, intelligente Mobilität und sozialer Fortschritt gehören zusammen . Dafür setzen wir uns ein . Vielen Dank . ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Letzter Redner in dieser Aussprache ist der Abgeordnete Florian Oßner, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Florian Oßner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht überraschend: Abermals bringt der Antrag der Grünen, lieber Herr Gastel, erwartungsgemäß nicht viel Neues hervor . ({0}) Er hinkt dem hinterher und wiederholt teilweise das, was die Koalitionsfraktionen und das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zurzeit umsetzen bzw . in naher Zukunft umsetzen werden . ({1}) Sowohl das BMVI als auch wir in der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wollen Carsharing als umweltfreundliches Mobilitätsangebot voranbringen . Kollege Steffen Bilger hat das sehr gut ausgeführt . Derzeit arbeiten wir daran, mit einem entsprechenden Gesetz die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen . ({2}) Es ist erstaunlich, vonseiten der Grünen immer wieder zu hören, in moderne Mobilität investieren zu müssen . Geht es aber darum, den Datenschutz entsprechend anzupassen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dann blockieren die Grünen wieder . Liebe Grünen, diese Widersprüchlichkeit ist wirklich schier unerträglich . ({3}) Im letzten Jahrzehnt haben wir einen enormen technischen Fortschritt erlebt . Es ist jetzt an uns Verkehrspolitikern, die richtigen Weichen zu stellen . Die Gelegenheit hierfür war noch nie so günstig wie jetzt . Wir investieren in unsere Infrastruktur, und zwar auf Rekordniveau . Die Investitionen sind also so hoch wie noch nie . Hier können wir ein großes Lob an unseren Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ({4}) - und heute stellvertretend an unsere Parlamentarische Staatssekretärin Dorothee Bär - schicken . Auch ein herzliches Dankeschön an das gesamte Ministerium für diesen immensen Kraftakt! ({5}) Neben den finanziellen Mitteln müssen aber auch die notwendigen technologischen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Weichen in Richtung Zukunft zu stellen . Das Auto ist ein entscheidender Faktor des Internets der Dinge . Vernetzte Fahrzeuge bieten viele Möglichkeiten . Bei Diebstahl kann das Fahrzeug zum Beispiel digital gestoppt werden . Straßenkarten, Informationen des eigenen Fahrzeugs und anderer Fahrzeuge sowie der Wunsch des Fahrers werden intelligent verknüpft . Die Automobilbranche arbeitet derzeit an der Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge, und Parkassistenten sowie Bremshilfen bei geringen Geschwindigkeiten sind bereits heute Realität . Um dies alles zu erreichen, muss der Mobilfunkstandard 5G so schnell wie möglich eingeführt werden . Auch dies wird in unserem Antrag gefordert . Nur wenn wir Industrie 4 .0 richtig ausgestalten und somit die gesamte digitale Revolution sichern und stärken, werden wir unsere Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft erhalten . In keinem anderen Land der Welt hat der Verkehr eine so große Bedeutung für die Industrie, den Mittelstand und die Arbeitsplätze . Deutschland ist Logistikweltmeister . Mit BMW, Mercedes-Benz, VW und den Tochterunternehmen sitzen hier mit die wichtigsten Automobilhersteller der Welt . In Deutschland werden Züge und Flugzeuge gebaut; aber auch viele Werften haben ihren Sitz in Deutschland . Die Digitalisierung sorgt dafür, dass wir in diesen Branchen auch in Zukunft federführend sein werden . Sie wird zu mehr Wirtschaftswachstum und damit am Ende auch zu mehr Beschäftigung führen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken, lassen Sie deshalb bitte Ihre ständigen und übertriebenen Angriffe auf Unternehmen wie VW . Sie gefährden den Investitionsstandort Deutschland damit maßgeblich . ({6}) Die Digitalisierung des Mobilitätssektors bietet aber auch große Chancen, um die Umwelt- und Klimabelastungen sowie den Verkehrslärm zu reduzieren . Sie kann auch deutlich zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen und uns dabei helfen, dass es zukünftig zu wesentlich weniger Verkehrstoten kommt . Als zuständiger Berichterstatter für den Bereich Demografie der Arbeitsgruppe für Verkehr und digitale Infrastruktur sehe ich aber auch große Potenziale, wenn es darum geht, wie wir Menschen zukünftig helfen können, im Alter länger mobil zu bleiben, um eine längere Teilhabe am öffentlichen Leben zu gewährleisten . Selbstfahrende Autos können insbesondere in ländlichen Räumen eine Lösung hierfür sein . Innovationen dafür werden aber nicht nur in Kalifornien vorangebracht, sondern auch auf der A 9 in Bayern . Das dort eingerichtete Digitale Testfeld Autobahn ist schon jetzt ein weltweites Erfolgsmodell . Das muss der Maßstab moderner Mobilitätspolitik für uns sein . ({7}) Am Flughafen München rollt seit letzter Woche eine vollautomatische U-Bahn, die zweite dieser Art nach Nürnberg . Die Digitalisierung im Mobilitätssektor hält somit tatsächlich in allen Bereichen Einzug . Mit dem vorliegenden Antrag zum aus meiner Sicht bedeutendsten Verkehrsthema der Zukunft zeigt diese Koalition, dass wir Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen haben . Ich bitte deshalb um die Zustimmung für den Antrag der Koalitionsfraktionen . Herzliches Vergelts Gott fürs Zuhören . ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache . Tagesordnungspunkt 6 a . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD mit dem Titel „Intelligente Mobilität fördern - Die Chancen der Digitalisierung für den Verkehrssektor nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7635, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/7362 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Tagesordnungspunkt 6 b . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7652 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes ({0}) Drucksache 18/7316 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1}) Drucksache 18/7634 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Manfred Behrens, CDU/ CSU-Fraktion . ({2})

Manfred Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf beschäftigt sich mit der Modernisierung eines leistungsfähigen Wasserstraßennetzes in der Bundesrepublik Deutschland . Für die deutsche See- und Binnenschifffahrt ist eine effizient arbeitende Wasser- und Schifffahrtsverwaltung von höchster Bedeutung . Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes ist für die Sicherheit der Schifffahrt zuständig und damit für einen reibungslos fließenden Schiffsverkehr . Die Reform der WSV ist eine der größten Verwaltungsreformen des Bundes . Sie ist notwendig, um das deutsche Wasserstraßennetz zu erhalten, auszubauen und zukunftsorientiert zu gestalten . Dazu benötigen wir eine geordnete Struktur . Die Reform sieht vor, dass die sieben Direktionen in einer Generaldirektion konzentriert werden . Dieser Schritt der Reform ist getan, und die folgenden Strukturveränderungen in der Behörde schreiten weiter voran . Dazu hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur einen ersten Fortschrittsbericht zur Umsetzung vorgelegt . Die 39 Wasser- und Schifffahrtsämter werden im nächsten Schritt in 17 Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter umgeformt . ({0}) Diese dezentralen Ämter vereinen Fachkompetenz und regionale Entscheidungskompetenz . Die Weiterentwicklung von den bisher regionalen zu funktionalen Zuständigkeiten erfolgt schrittweise im laufenden Betrieb . Mit der Errichtung der genannten Generaldirektion wurde der Grundstein für die WSV-Reform gelegt . Der heutige Gesetzentwurf skizziert nun in einem nächsten Schritt die organisatorischen Änderungen, welche durch die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes eingetreten sind . Der Gesetzentwurf enthält eine Verordnungsermächtigung, die es dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erlaubt, die notwendigen Anpassungen auch in allen betroffenen Rechtsvorschriften vorzunehmen . Außerdem wird das Bundesbesoldungsgesetz entsprechend der neuen Stellenstruktur geändert . Der Gesetzentwurf wurde federführend im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur beraten . Der Bundesrat forderte in seiner Stellungnahme, die Arbeitsfähigkeit der WSV durch ausreichendes Personal und gute Arbeitsbedingungen sicherzustellen . In meinem Bundesland Sachsen-Anhalt mit dem Standort Magdeburg bedeutet dies, dass insbesondere für den Erhalt der Wasser- und Schifffahrtswege und für die Umsetzung von Investitionen zusätzliches Personal erforderlich ist . Den Standort Magdeburg kennzeichnen drei wesentliche Punkte: erstens die zentrale Lage im Elbkorridor im Herzen des ostdeutschen Wasserstraßensystems, zweitens die bereits 150 Jahre lange Tradition der Elbstrombauverwaltung vor Ort und drittens das Wasserstraßenkreuz Magdeburg und die zahlreichen Bauwerke wie der Mittellandkanal, die Schleuse Niegripp und das Schiffshebewerk Rothensee . ({1}) Magdeburg ist ein traditioneller und kompetenter Standort und bietet Bedingungen, auch in Zukunft zentral für die Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt an der Elbe zu sorgen . ({2}) Das Ziel einer guten Zusammenarbeit mit anderen Standorten sowie guter Arbeitsbedingungen vor Ort muss an oberster Stelle stehen, um zukünftig eine erfolgreiche Arbeit leisten zu können . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Herbert Behrens, Fraktion Die Linke . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung war vor vielen Jahren nicht als Reformprojekt angelegt - eine Reform war es nie -, sondern als Abbauprojekt bzw . als Abwrackunternehmen, was dazu führen sollte, dass die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung lediglich eine sogenannte Gewährleistungsverwaltung wird . Das heißt, man passt nur noch auf, dass die, die die privaten Aufträge übernehmen, die Arbeit richtig machen . Im Zuge des Verfahrens sagte Staatssekretär Scheurle seinerzeit: Die Aufgaben bestehen in der „Überwachung und Regulierung Privater, die infolge von Privatisierung Leistungen erbringen, die zuvor der Staat im Rahmen seines Daseinsvorsorgeaufkommens wahrgenommen hat“ . Das stand immer hinter dieser Reform, und es hat nicht dazu geführt, dass wir jetzt eine Behörde haben, bei der sichtbar ist, dass sie an den Aufgaben orientiert ist . Es ist vielmehr eine Behörde geworden, die gerade noch schafft, das Personal von der einen zu der anderen Stelle zu schieben . Das hat nichts mit einer wegweisenden oder zukunftsweisenden Reform zu tun . Das ist vom Anfang bis zum Ende ein Abbruchunternehmen gewesen . Das kritisieren wir . ({0}) Seit 1993 wurde jede dritte Stelle bei der WSV abgebaut . Ausscheidende Kolleginnen und Kollegen wurden nicht ersetzt . Auszubildende wurden nach ihrem Abschluss nicht übernommen . Nur unter dem Druck der Belegschaften ist es vor gut anderthalb Jahren gelungen, den weiteren Personalabbau, der bereits an den Kern der Verwaltung ging, zu beenden, um die krassesten Folgen der Kahlschlagpläne abzuwehren . Die Folgen des Personalabbaus sind, wie ich schon sagte, deutlich spürbar . Wir haben beispielsweise bei der WSV Berlin heute 403 Beschäftigte . Nach der Wende waren es noch 900 . Die Arbeiten haben nicht wesentlich abgenommen . Sie haben sich verändert; das ist klar . Die Produktivität hat auch zugenommen . Insofern ist es keine Manfred Behrens ({1}) Überraschung, dass die Beschäftigten weniger werden . Aber dieser dramatische Personalabbau ist die Folge einer verkorksten, einer verdrehten WSV-Reform . Das Arbeitspensum ist nämlich fast gleich geblieben und von den verbliebenen Kräften zu bewältigen . Das kann nur noch schlecht funktionieren, wie die Kolleginnen und Kollegen sagen . Wenn einer krank ist oder jemand in Urlaub geht, sind sie gleich am Limit und können ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen . Auch für die Nutzer der Kanäle und Schleusen ist das spürbar . Sie haben damit zu kämpfen, dass sie nicht mehr denselben Service zur Verfügung haben wie früher . So ist beispielsweise eine Schleuse in Wendisch Rietz im Osten Brandenburgs im Sommer nur noch bis 18 Uhr in Betrieb . Das heißt für Wassersportler und Wochenendausflügler, dass sie sich sputen müssen, wenn sie die Schleuse noch benutzen wollen . Bis heute hat sich die WSV nicht von diesem Personalkahlschlag erholt . Um- und Ausbaumaßnahmen an Schleusen und Kanälen konnten nicht umgesetzt werden . Hunderte Millionen Euro mussten zurückgegeben werden, weil sie nicht verbaut werden konnten . Die Gewerkschaft Verdi hat Ende letzten Jahres eine Beschäftigtenbefragung gemacht, um herauszufinden, was das Ergebnis dieser vermeintlichen Reform ist . Es gibt erschütternde Beispiele, finde ich. Zum Beispiel wurde angegeben, dass freie Stellen nicht besetzt werden können, weil das dafür erforderliche Personal fehlt . Das Betriebsklima hat sich verschlechtert . 70 Prozent der Beschäftigten berichten, dass die Arbeit intensiver geworden ist . Zwei Drittel befürchten eine Versetzung an einen anderen Ort . Fast 40 Prozent fühlen sich nicht mehr sicher und häufig gehetzt. ({2}) - Ja, in der Tat sind das arme Leute . Auf der anderen Seite ist eine Behörde genauso wie ein Betrieb oder ein Unternehmen abhängig von den Beschäftigten und damit auf einen entsprechenden Umgang mit den Beschäftigten angewiesen . ({3}) Kollege Kammer, Sie haben bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs gesagt: mit den Beschäftigten . Die Beschäftigten würden an der Reform beteiligt werden, und es sei gelungen, auf die Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen . Das ist nicht so . Zu diesem Schluss kommen Sie, wenn Sie mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort sprechen . ({4}) Die Errichtung der zentralen Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Bonn wirkt sich nicht positiv aus . Die überwältigende Mehrheit der Beschäftigten hält es für falsch, Kompetenzen in der Bonner GDWS zu bündeln . Nicht weniger, sondern mehr Kompetenz vor Ort wird gefordert . Das sehen die Bundesländer genauso . Künftig sollen sie aber an Entscheidungen, die die Bundesländer betreffen, gar nicht mehr beteiligt werden . Deshalb fordern wir in unserem Änderungsantrag, die Beteiligung der Länder über den Bundesrat zu erhalten . Die Binnenschifffahrt könnte einen wichtigen Beitrag zu einer Verkehrswende hin zu ökologischen Verkehrsträgern leisten . Binnenschiffe sind leise und stoßen weniger Schadstoffe pro Tonnenkilometer aus als andere Verkehrs träger . Aber der Anteil der Binnenschifffahrt sinkt seit Jahren kontinuierlich . Die Zerschlagung der bewährten Strukturen der WSV hat zu diesem Trend beigetragen . Die Schaffung einer Zentralstelle verschärft diese Entwicklung . Das ist kein gutes Zeichen für eine ökologisch orientierte Verkehrspolitik . ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Gustav Herzog, SPD-Fraktion . ({0})

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung hat ihr Ziel in einer kurzen, klaren Botschaft zusammengefasst: Wir machen Schifffahrt möglich . - Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist, dabei zu helfen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir einen weiteren Meilenstein setzen . Aber das Gesetz als solches ist nicht gerade berauschend . Da ist ganz viel Technik drin . Wir werden als SPD-Bundestagsfraktion dem Gesetzentwurf zustimmen . Lieber Kollege Behrens von der Linken, wir werden den Änderungsantrag Ihrer Fraktion ablehnen, weil wir es für nicht erforderlich halten, die Mitbestimmungsrechte der Länder über den Bundesrat auszuweiten . Bedenken Sie: In den 75 Verordnungen, die geändert werden, geht es in der Regel nur um Textänderungen, aber nicht um Inhalte . Es geht überwiegend um rein bundespolitisches Handeln . Bei aller Freundschaft zu den Ländern: Das, was Sie fordern, ist nicht notwendig . ({0}) Für die Länder ist viel wichtiger, dass Ansprechpartner vor Ort sind, dass der Landrat, der Bürgermeister oder der Feuerwehrkommandant im Fall einer Havarie wissen, mit wem sie zu telefonieren haben, und ihre Leute bei der WSV kennen . Das ist wichtig, und das machen wir mit diesem Gesetz fest . Wir bleiben in der Fläche kompetent vertreten . ({1}) Ich kann den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der CDU/CSU - das hätte früher auch für die Kollegen von der FDP gegolten - einen Rückblick auf den 27 . Oktober 2010 nicht ersparen . In jenem berühmten Herbst der Entscheidungen haben Sie als schwarz-gelbe Koalition im Haushaltsausschuss eine Entscheidung getroffen, die da lautete: Wir zerschlagen die WSV . Wir machen aus einer Durchführungsverwaltung eine GeHerbert Behrens währleistungsverwaltung, mit dem Ziel, Personal abzubauen und zu privatisieren . - Nun wende ich mich an den Magdeburger Kollegen Behrens von der Union . Damals sind die Beschäftigten auf die Straße gegangen und haben Schilder mit der Aufschrift „Dem Osten das Wasser nicht abgraben“ hochgehalten . Ihre Solidarität habe ich damals vermisst . ({2}) Unter Herrn Ramsauer war geplant, über 2 000 Stellen abzubauen und ein Viertel aller Standorte zu schließen, bis hin zu der irren Idee, in den Ämtern eine Trennung zwischen Infrastruktur und Betrieb vorzunehmen . Das ist alles im Zuge des 6 . Berichts zur Reform der WSV einkassiert worden . Dafür bin ich dem Bundesminister sehr dankbar . Herr Staatssekretär, richten Sie es ihm aus . ({3}) Er hat das, was wir mit der Koalitionsvereinbarung möglich gemacht haben, umgesetzt . Wir haben damals in die Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben, dass wir die Reform zusammen mit den Beschäftigten weiterentwickeln wollen . Wir haben auch hineingeschrieben: Wir wollen die Kompetenz in der Fläche erhalten, wir wollen, dass die Beschäftigten dort sind, wo sie gebraucht werden . - Das steht im 1 . Fortschrittsbericht . Es gibt eine Garantie für alle Standorte . Die Beschäftigten wissen - sozialverträglich -: Sie müssen nur anderswo hin, wenn sie es wirklich wollen . Und der Bundesminister hat auch eine klare Aussage getroffen: Wir wollen nicht weiter privatisieren und vergeben, sondern wir wollen in Zukunft sehr genau darauf schauen, wo die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung eigene Kompetenz braucht . Die wollen wir wieder aufbauen, und das ist auch der richtige Kurs . ({4}) Mein Dank geht insbesondere an unsere Haushälter . Bettina Hagedorn und Norbert Brackmann haben sich in enger Abstimmung mit uns Verkehrspolitikern immer dafür eingesetzt, dass ausreichende Mittel zur Verfügung stehen und dass auch in den letzten zwei Jahren das Personal wieder aufgestockt wird . Es geht nicht wie in der Vergangenheit mit dem Abbau von Personal und dem Hineintragen von Verunsicherung in die Belegschaft weiter, sondern wir stellen wieder Leute ein, müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass wir da in Konkurrenz zu vielen anderen stehen . Planungsingenieure, Bauingenieure, Juristen, die die Planfeststellungsverfahren vorantreiben wir streiten uns da um dieselben Leute . Deswegen ist unser Auftrag, als Parlament und als Abgeordnete dafür zu sorgen, dass die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung ein attraktiver Arbeitgeber wird, wo die Leute gern hingehen . Diese Aufgabe haben auch wir als Abgeordnete zur erfüllen . ({5}) Ich habe angesprochen, dass unsere Haushälter gut Geld zur Verfügung stellen . Der Bundesminister hat auch schon an anderen Stellen gesagt: Geld ist nicht mehr das Problem . - Wir mussten sogar Gelder zurückgeben . In den Jahren von 2009 bis 2014 haben wir aus dem Haushalt für Unterhalt und Bau von Wasserstraßen 700 Millionen Euro nicht ausgeben können . Die Straßenbauverwaltungen der Länder, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben sich darüber gefreut . Sie waren in der Lage, das Geld auszugeben . ({6}) Das sage ich als kleinen Hinweis für die aktuelle Diskussion über eine Bundesfernstraßengesellschaft . Die Befürworter einer solchen Bundesfernstraßengesellschaft hätten es etwas einfacher in der Diskussion, wenn sie sagen könnten: Wir haben das in der Vergangenheit bei unserer eigenen Firma hervorragend gemacht . - Diesen Beweis zu führen, ist, glaube ich, etwas schwierig . Meine persönliche Auffassung lautet: Ich will bei der Aufteilung der Aufgaben - Wasserstraßen sind Bundessache, Straßenbau und -unterhaltung sind Ländersache - bleiben . ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Diskussion wird eines klar: Bevor wir den Investitionshochlauf umsetzen können, müssen wir gemeinsam für einen Personalhochlauf bei unserer Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung sorgen . Wir müssen auch den Ländern diese Möglichkeit geben . ({8}) Bei all den Reformen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir eines bedenken: Die machen diese Reformschritte während der ganz normalen Arbeitszeit . Sie sind ja dabei an den Schleusen, an den Dükern, an den Deichen, an den Wehren . Das wird alles gemacht, während wir gleichzeitig einen Umbau der Wasserstraßenund Schifffahrtsverwaltung vornehmen . Daher richtet sich mein Dank an die Beschäftigten, die draußen eine so tolle Arbeit leisten und auf die wir stolz sein können . ({9}) Denn unsere Wasserstraßen oder Wasserstraßen überhaupt sind etwas ganz Besonderes . Ohne Schiene und Straße zu nahe treten zu wollen, muss ich doch sagen: Schiene ist doch langweilig . Da fahren Züge . Wir können noch Güterzüge, Nahverkehrs- und Fernverkehrszüge unterscheiden . Auf der Straße ist das Bild schon etwas bunter . Da dürfen Lkws, Pkws, Motorräder, manchmal auch Fahrräder fahren, und sogar Fußgänger sind unterwegs . Aber unsere Wasserstraßen sind multifunktional . Sie sind für die Ökologie unheimlich wichtig . Wir werden Weltmeister im Bau von Fischtreppen . Für den Tourismus sind die Wasserstraßen wichtig . Ich sehe den Kollegen Stefan Zierke hier . Wenn Sie mit Ihren Liebsten einmal ein Picknick machen wollen, ({10}) gehen Sie dann an den Autobahnzubringer oder an die Weiche? Nein, Sie gehen an den Kanal, Sie gehen an den Fluss . Das ist das äußere Zeichen, wie wichtig dieser Verkehrsträger auch unter ökologischen Gesichtspunkten ist . Deswegen lohnt es sich, in diesen zu investieren . ({11}) Dazu kommt: Für Millionen von Menschen ist die Wasserver- und -entsorgung wichtig . Beim Hochwasserschutz arbeiten wir jetzt auch sehr eng mit den Ländern zusammen. Herr Staatssekretär, ich finde es gut, dass wir gemeinsam mit dem Umweltministerium - Stichwort: Bundesprogramm „Blaues Band“ - eine Menge machen, um deutlich zu zeigen: Es gibt keinen Widerspruch zwischen Ökologie und Binnenschifffahrt und Seeschifffahrt . Das können wir gut gemeinsam machen . ({12}) Die Wasserstraßen erzeugen Energie, und, ja, sie sind auch für den Transport wichtig und notwendig . Da fängt aber das Problem an, weil unsere Bundeswasserstraßen häufig eindimensional sind. Auf der Schiene können wir den Verkehr umleiten, auf der Straße sind wir das gewöhnt . Aber wenn ich irgendwo eine Schleuse wegen einer Havarie oder weil eine Reparatur ansteht zumachen muss, ({13}) dann kann ich schlecht das große Motorschiff mit 2 000 Tonnen Gewicht herausheben, herumtragen und wieder ins Wasser setzen . Das ist die besondere Herausforderung an die Zuverlässigkeit unserer Bundeswasserstraßen . Der müssen wir uns stellen . Um zu zeigen, wie wichtig sie für die Volkswirtschaft sind, will ich daran erinnern, was los war, als im Nord-Ostsee-Kanal bei Brunsbüttel eine Schleuse kaputt war oder als die „Waldhof“ im Rhein havariert war und der Rhein für einige Tage blockiert war . Die WSV hat eine tolle Arbeit geleistet; trotzdem hat die Havarie deutlich gemacht, wie wichtig die Wasserstraßen für unsere Volkswirtschaft sind . Es lohnt sich, darin zu investieren, auch im Hinblick auf den Bundesverkehrswegeplan . Da will ich noch einen Hinweis geben . Wir haben Schleusen, die in 10 bis 15 Jahren grundsaniert werden müssen . Eine solche Grundsanierung dauert nicht wenige Tage oder Wochen, sondern sie kann Monate, wenn nicht sogar ein Jahr dauern . Wenn eine solche Schleuse einen ganzen Wasserweg sperren kann, stellt sich ganz klar die Frage, ob wir im Hinblick auf diese Grundsanierungen nicht überall für Redundanzen, also für zweite Schleusen sorgen müssen, damit die Durchgängigkeit bleibt . Liebe Genossinnen und Genossen - ({14}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war eine Einladung an Sie alle . - Wir erwarten mit Spannung in der nächsten Sitzungswoche den Bundesverkehrswegeplan, ({15}) die näheren Informationen zum Fortschrittsbericht und dazu, wie die Reviere abgegrenzt sind, wie die innere Struktur ist und wie abgeschichtet wird . Wir erwarten den Netzzustandsbericht, Herr Staatssekretär . Ich hoffe, es ist das letzte Mal, dass ich von dieser Stelle aus daran erinnern muss . Wir erwarten auch einen Wassertourismusbericht . Es liegt also viel Arbeit vor uns . Packen wir es gemeinsam an, machen wir Schifffahrt möglich . Danke schön . ({16})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Dr . Valerie Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . Der Versprecher kam eben nach Ende der Redezeit . Daran lag es wahrscheinlich . ({0})

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wo bin ich heute hier gelandet? ({0}) - SPD-Parteitag? ({1}) - Kollege Herzog, auch für einen SPD-Parteitag waren das schwer zu ertragende elf Minuten . ({2}) Da müssen Sie vielleicht ein bisschen mehr liefern als das, was Sie heute gemacht haben . Aber immerhin haben wir es geschafft, dass wir die heutige Debatte gegen 14 Uhr führen - im Moment ist es 14 .39 Uhr -; sonst sind wir immer gegen 22 Uhr an der Reihe . Warten Sie einmal ab . Ich bin ja dafür bekannt, dass ich auch um 22 Uhr noch das eine oder andere an Stimmung in die Hütte hineinbringen kann . Vielleicht gelingt mir das jetzt auch noch . Schauen wir mal . Sie alle warten ja schon ganz gespannt darauf . Alle Vorrednerinnen und Vorredner haben es schon gesagt: Die Wasserstraßen sind ein wichtiger, aber leider immer wieder vergessener Verkehrsträger in Deutschland . Sie leisten einen entscheidenden Beitrag dazu, dass vor allem der Güterverkehr ökologischer als etwa auf der Straße abgewickelt wird . Aber der Bund muss sich auch fragen, ob und wie er das umfangreiche Netz noch weiter erhalten kann . - Der Staatssekretär nickt . Er weiß, dass er nicht so viel Geld hat . - Welche Aufgaben muss der Bund noch erbringen? Welche tragfähigen Instrumente brauchen wir dafür langfristig? Oder soll alles so weiterlaufen wie in den letzten Jahrhunderten, wie es Kollege Herbert Behrens vielleicht ganz gerne haben möchte? Die Zeit, diesen Fragen nachzugehen, Herr Staatssekretär, hatte die Bundesregierung; aber intelligente Lösungen habe ich von Ihnen dazu bisher nicht gehört . Sie doktern stattdessen weiter an einer Reform herum, die keine ist . Machen Sie sich einmal tiefschürfende Gedanken, wie Sie die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung zukünftig aufstellen wollen . Ihre Verkehrspolitik ist in Anbetracht der Probleme, die unserem Land im Infrastrukturbereich bevorstehen, genauso marode wie die Schleusen und Wehre, die wir in den Wasserstraßen finden. ({3}) Sie versuchen, das Problem einfach durch mehr Stellen für ein marodes bürokratisches System zu übertünchen . Hier müssen Sie uns schon etwas mehr liefern . Oder wollen Sie etwa, dass alles bald zusammenbricht? ({4}) Wir brauchen endlich ein weitsichtiges und als Dienstleistung für die Schifffahrt aufgestelltes System Wasserstraße . ({5}) Noch sehe ich hier jedoch weiterhin nur das Festhalten an der preußischen hierarchischen Verwaltungsstruktur . Wäre es nicht sinnvoller, auf eine Zentralstelle hinzuarbeiten, die den Ämtern nicht mehr so viel hineinredet, sondern sie auch einmal arbeiten lässt, eine Zentralstelle mit weniger Aufgaben, also hauptsächlich mit hoheitlichen Tätigkeiten? Herr Staatssekretär, nehmen Sie das doch einmal mit . Stecken Sie das Ihrem Minister, specken Sie also auf den höheren Verwaltungsebenen ab, und verlagern Sie Entscheidungen auf die Ebene der ausführenden Ämter . Die Mitarbeiter vor Ort würden es Ihnen wirklich danken . Sie sehnen sich geradezu danach, nicht nur die Verantwortung für die Sicherheit der Anlagen aufgebürdet zu bekommen, sondern sie wollen auch die notwendige Entscheidungskompetenz vor Ort haben . Jedes Mal wegen 50 000 Euro über mehrere Ebenen nach Bonn zu laufen - da sitzt nämlich die ganze Verwaltung, nicht hier in Berlin ({6}) und auf Entscheidungen zu warten, bremst das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur aus . Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Hause, dazu gehört aber auch die Bereitschaft in der Politik, also hier von uns allen, auch einmal loszulassen und nicht bei jeder Detailfrage mitreden zu wollen . ({7}) Das ist schwer für Politiker - das weiß ich -; das ist nicht so ganz einfach . Haben Sie schon einmal etwas von Führungskultur gehört? Dazu gehört auch das Prinzip „Führen durch Ziele“ oder - wenn es Ihnen neudeutsch lieber ist - „Management by Objectives“ . So sollten wir das machen und uns damit auch politisch über einen längeren Zeitraum verpflichten. Dann könnte sich das System Wasserstraße wirklich regenerieren . Neben einer ineffizienten Verwaltungsstruktur drückt uns nämlich eine weitere wichtige Aufgabe: der Abbau des gewaltigen Sanierungsstaus . Vor allem bei den Wasserstraßen haben wir es mit uralten Bauwerken zu tun . Hätten frühere Generationen nicht so gute Arbeit geleistet, stünden wir vor noch viel größeren Herausforderungen . Um diesen Sanierungsstau abzubauen, müssen wir die Vorhaben auch planen . Dazu passen aber die vorhandenen Strukturen überhaupt nicht . Man kann ja gar keinen neuen Planer einstellen; denn man bezahlt sie einfach zu schlecht . Hinzu kommt dieses starre System mit gehobenem und höherem Dienst . So kommt man nicht weiter . Wir brauchen daher neue Lösungen . Die zukünftigen Anforderungen kann man nur noch über ein betriebswirtschaftlich arbeitendes System bewältigen . Eine ausreichende Anzahl an Wasserbauern, Bauingenieuren, Vermessern, Architekten oder Juristen erhält man mit den verkrusteten Behördenstrukturen doch nicht mehr; denn da macht einem das undurchlässige Besoldungs- und Tarifrecht einen Strich durch die Rechnung . Das zeigt, Herr Staatssekretär, Sie haben ein Verwaltungsproblem . Ich hoffe, das wissen Sie auch . - Nein, doch nicht? Dann nehmen Sie das einmal mit! ({8}) Und Sie haben vor allen Dingen keine Idee, wie Sie es lösen wollen . Nur mehr Geld und mehr Stellen reichen nicht . Und diese heute zu beschließenden Gesetzesänderungen sind doch nur ein klitzekleiner Schritt hin zu einer echten Reform . Dem wollen wir zwar im Interesse der Beschäftigten nicht im Wege stehen -

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, Sie haben ein Zeitproblem . Ihre Redezeit ist schon überschritten . ({0})

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Herr Präsident, ich komme jetzt auch zum Ende . Sogar da will die Linkspartei nicht mitmachen und macht sogar noch ein neues Diskussionsfeld mit den Ländern auf . Da gehen wir garantiert nicht mit . Herr Staatssekretär, Sie haben wirklich engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, die sich für das System Wasserstraße richtig einsetzen . Fahren Sie diese bitte nicht „sauer“ . Bieten Sie ihnen moderne Strukturen mit eigener Verantwortung . Dann werden Ihnen das Ihre Mitarbeiter, unsere Mitarbeiter, und vor allen Dingen auch die Kunden danken . Zur Erreichung dessen ist der Weg leider noch deutlich weiter, als uns das Herr Herzog in seiner Parteitagsrede hier darstellen wollte . ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Matthias Lietz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Matthias Lietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004094, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist nicht leicht, wenn man am Ende dieser Debatte im Rahmen der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs des Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes zu sprechen hat . Es ist vorgesehen, innerhalb dieses Gesetzes eine Neuordnung vorzunehmen und die Verordnungen dem anzupassen . Vielleicht gestatten Sie mir aus diesem Grund erst einmal einen kleinen Rückblick - das ist ja von dem einen oder anderen Kollegen auch schon gemacht worden und auch von meinem lieben Kollegen Herzog -, damit wir uns noch einmal daran erinnern können, was denn eigentlich der Ausgangspunkt gewesen ist . Warum haben wir uns auf diesen Weg begeben? Ich habe recherchiert: Es war bereits im Jahr 1999, als eine Projektgruppe „Entwicklungskonzepte für eine zukunftsorientierte Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Konzentration der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung auf Kernaufgaben“ eingerichtet wurde . Zielrichtung war es, zu prüfen, welche Aufgaben durch die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung mit welcher Intensität selber wahrgenommen werden müssen oder sollen und welche wiederum nicht, welche Aufgaben durch Dritte wahrgenommen werden können oder sollen, und welche Aufgaben gegebenenfalls sogar entfallen können . Dazu gab es 2001 einen Abschlussbericht . Das Ergebnis ist Ihnen bekannt . Es war - inhaltlich zusammengefasst -: Es besteht ein dringender Reformbedarf . Wir haben ja auch aus allen Fraktionen heute erfahren, dass wir gemeinsam versucht haben, diesen Reformbedarf auf unterschiedlichen Wegen umzusetzen . Aber lassen Sie mich dabei eines deutlich machen: Es muss uns gelingen, wenn wir diese Reform auf den richtigen Weg bringen wollen, sie den aktuellen Gegebenheiten anzupassen und vor allen Dingen die Mitarbeiter auch das ist schon öfter gesagt worden - auf diesem Weg mitzunehmen . Das gelingt in Zukunft nur in tragfähigen Strukturen . Als Berichterstatter im Verkehrsausschuss ist mir bei den Gesprächen vor Ort immer wieder gesagt worden, dass eine Reform überfällig ist, dass die Reform durchaus auch auf der Verwaltungsebene selbst und von den Mitarbeitern begrüßt wird und dass es dann, wenn wir an diese Reform und an die Umsetzung herangehen - an diesem Punkt sind wir ja angelangt -, wichtig ist, unaufgeregt und mit großen Zielen vor Augen und ohne politische Ränkespiele daranzugehen . Ich habe in den letzten Jahren erlebt, vor allem in der letzten Legislatur, dass wir es dann oftmals auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen haben . So lautet auch eine klassische und typische Frage, die immer wieder gestellt wird: Wo ist denn der künftige Standort des Wasser- und Schifffahrtsamtes? Was wird in meinem Bereich stattfinden? Das ist aus meiner Sicht nicht zielführend - auch nicht die Debatte um den Standort Bonn -, sondern einzig und allein die Frage: Wie erfüllen wir die vor uns stehenden Aufgaben? Es muss uns dabei allen bewusst sein, dass eine solche Reform kein Wunschkonzert darstellen kann . Es wird immer positive und negative Seiten geben, und es geht darum, einen zielgerichteten Konsens zu finden. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir jetzt den Stand erreicht haben, dass es eine Generaldirektion in Bonn gibt und die bestehenden Standorte erhalten bleiben, ist aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung . Ich hoffe, dass wir mit dem Gesetz die Verwaltung und letztendlich auch den zuständigen Minister in die Lage versetzen, diese Aufgaben umzusetzen . Gerade als einer, der seinen Wohnsitz in einem Seebad hat, der die Ostsee unmittelbar vor sich hat, möchte ich am Schluss noch einmal deutlich machen, dass für mich der Erhalt der Wasserstraßen, der Schleusen, der Wehre, der Häfen eine der wichtigsten Aufgaben sein wird, die vor uns stehen . Leider - auch das wurde heute bereits angesprochen - sehen wir dort die Ökologie und die damit verbundene Ökonomie oftmals im Widerstreit . Ich will ein Beispiel nennen: Es ist kein Lobeszeichen für uns, dass wir gerade die Debatte um die Schiffbarkeit, um die wirtschaftliche Nutzung der Elbe erst einmal beiseitelassen . Auszeichnen würde es uns, wenn wir uns dieser Diskussion um die Elbe mit großer Intensität stellen würden . Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass auf, im und am Wasser die Zukunft, gerade auch der Wirtschaft in Ostdeutschland, liegt . Ich bin mir sicher, dass unsere Wasserstraßen verkehrstechnisch und touristisch eine große Bedeutung haben, dass wir in Zukunft dort, wo wir diese vorfinden, auch Arbeitsplätze schaffen können und damit eine große Sicherheit für die Menschen vor Ort . Vielen Dank . ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Hans-Werner Kammer, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Hans Werner Kammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich wusste gar nicht, was man alles in eine Debatte hineinpacken kann, bei der es im Grunde nur um eine rein sachliche Anpassung in mehreren Dutzend Gesetzen geht; aber es ist ja auch interessant . Hier sitzen heute Experten für Schifffahrt . Jeder hier weiß im Grunde: Ein Schiff ist im Hafen sicherer als auf hoher See . Ein Schiff im Hafen kommt allerdings auch nicht voran . Das beschreibt die Entwicklung der WSV in den vergangenen Jahrzehnten sehr gut . Über viele Jahre hat sich bei der WSV nichts getan . Für Politik und Beschäftigte war es eine beruhigende Stille . Aber die WSV ist gealtert und so auch zum Sanierungsfall geworden . Die WSV darf dabei allerdings nicht dasselbe Schicksal erleiden wie das Traditionsschiff „Roland von Bremen“, das 2014 im Bremer Hafen gesunken ist . Dass die WSV dringend reformiert werden muss, darüber besteht zumindest heute weitgehend Einigkeit; das habe ich der Debatte entnommen . Die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hat die dringend notwendige Reform angeschoben . Zwischenzeitlich haben wir allerdings einige der abenteuerlichen Ideen unseres damaligen Koalitionspartners aus dem Reformkonzept entfernt . Auftragsverwaltung und Privatisierung muss niemand mehr fürchten . Wir konzentrieren uns auf das Wichtige, nämlich die Modernisierung einer Verwaltung, die in vielen Bereichen noch auf dem Stand der Nachkriegszeit war . Gleichzeitig ist es gelungen, die Mitarbeiter besser zu beteiligen . Der Dank dafür gebührt insbesondere unserem Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der bei der Reform besonnen nachjustiert und den Dialog mit den Beschäftigten gesucht hat . ({0}) Ein wesentlicher Bestandteil der Reform ist die Zentralisierung der Verwaltung durch die neue Generaldirektion . Die WSV hat endlich einen eigenen Häuptling . Die Struktur der sieben Direktionen war nicht mehr zeitgemäß . Viele zentrale Steuerungsaufgaben kann die WSV nun selbst übernehmen . Die Fachverwaltung gewinnt dringend notwendige Unabhängigkeit von der Ministerialverwaltung . Durch eine Stärkung der Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter bleibt die WSV auch in der Fläche ein verlässlicher Ansprechpartner . Gleichzeitig hat die Große Koalition aus den Personalproblemen Konsequenzen gezogen . Mithilfe der Unterstützung unserer Kollegen aus dem Haushaltsausschuss - von unserer Seite waren das Norbert Brackmann, Eckhardt Rehberg, Norbert Barthle - konnten nach vielen Jahren des Jobabbaus wieder neue Schlüsselstellen geschaffen werden . Der Kollege von der SPD hat es angesprochen: Wir stehen aber auch in Konkurrenz zur Wirtschaft . Das muss man einfach sehen . Die Reform der WSV ist jedoch noch nicht abgeschlossen . Sie ist aber mit der Schaffung der GDWS, die nun auch gesetzlich verankert wird, eindeutig auf dem richtigen Weg . Die Opposition hat in erster Lesung und im Ausschuss kritisiert, die Reform werde zu langsam umgesetzt . Dazu kann ich nur sagen - ich habe auch vorhin schon zur Schifffahrt gesprochen -, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Wenn das Schiff den Hafen verlassen soll und der Anker gelichtet wird, heißt es nicht gleich „Volle Fahrt voraus!“ . Denn dann erleiden Sie Schiffbruch . ({1}) Das Schiff WSV hat Fahrt aufgenommen, aber noch nicht die hohe See erreicht . Liebe Opposition, wer nicht auf Grund laufen will, muss Geduld haben . Gerade die Grünen, die in sieben Jahren Regierungsbeteiligung rein gar nichts auf den Weg gebracht haben, sollten sich hier nicht zu weit über die Reling lehnen . ({2}) Seit Beginn der Reform hören wir von Frau Wilms, wir sollten dem Ministerium einheizen . Dabei haben die Grünen selbst jahrelang auf dem Sonnendeck gelegen . ({3}) Frau Wilms erzählt uns auch immer wieder, wir müssten das Anlagevermögen der WSV ausweisen, um Transparenz zu schaffen . Was auf jeden Fall dabei transparent würde, Frau Wilms, ist, dass wir weitaus mehr in den Erhalt der Wasserstraßen investieren - das kann ich dem Kollegen Herzog jetzt nicht ersparen -, als es Rot-Grün jemals in den sieben Jahren getan hat, in denen sie Regierungsverantwortung getragen haben . ({4}) Ich muss an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Der Kollege Manfred Behrens hat sich nachdrücklich immer wieder in Magdeburg für den Erhalt der ostdeutschen Wasserstraßen eingesetzt . Solidarität war hier eindeutig gegeben . ({5}) Aber - ich kann das auch Ihnen nicht ersparen, Herr Behrens - die Linken sind keinen Deut besser . Auch Herr Behrens will, dass es vorwärtsgeht . Gleichzeitig wirft er aber den Anker . Ihr Änderungsantrag mit dem Inhalt, die Bundesländer bei jeder Anpassung der Rechtsverordnungen zustimmen zu lassen, soll doch nur die Reform verzögern . ({6}) Mal wieder schwelgen die linken Nostalgiker lieber in alten Zeiten . Dass gerade die Sozialisten eine Verwaltungsstruktur aus Kaisers Zeiten am vehementesten verteidigen, ist dabei eine besondere Ironie der Geschichte . ({7}) In erster Lesung haben Sie, Kollege Behrens, gesagt, die GDWS sei eine Briefkastenfirma. Ich hatte nie Probleme, dort jemanden zu erreichen . ({8}) Vielleicht scheitert die Kommunikation daran, dass Ihre Partei einmal wieder tote Briefkästen benutzt . ({9}) Bei der Koalition hingegen ist die Reform der WSV in besten Händen . Minister Dobrindt als erfahrener Lotse, Enak Ferlemann als Steuermann, ({10}) der mit der Opposition sachlich umgeht, der aber auch den Klabautermann durchaus einmal von Bord jagt, werden die Reform der WSV sicher auf Kurs bringen und zu einem guten Ende führen . Herzlichen Dank . ({11})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nachdem wir jetzt den Hafen dieser Debatte sicher erreicht haben, schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes . Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7634, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7316 anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7647 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist das mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke abgelehnt . Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Befristungen im öffentlichen Dienst stoppen Drucksache 18/7567 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke, das Wort . ({1})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Mutter hatte sich Anfang der 70er-Jahre gewünscht, dass ich eine Ausbildung im öffentlichen Dienst beginne . ({0}) Damals galt: Wer einen gut bezahlten Job haben will, geht in die Privatwirtschaft; wer einen sicheren Job haben will, geht in den öffentlichen Dienst . ({1}) Diese Zeiten sind aber lange vorbei . ({2}) - Deswegen bin ich Abgeordnete geworden . Genau! Heute ist jede zehnte Stelle im öffentlichen Dienst befristet . Das betrifft mehr als eine halbe Million Beschäftigte . Fast die Hälfte von ihnen sind junge Leute im Alter von 25 bis 34 Jahren . Kein Wunder, dass die Arbeit im öffentlichen Dienst gerade für junge Leute immer unattraktiver wird! Befristung bedeutet eine permanente Unsicherheit und in der Lebens- und Familienplanung ebenfalls keine Sicherheit . Von den über 5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst geht die Hälfte bis 2030 in Rente . Trotzdem erfolgt heute nahezu jede zweite Einstellung befristet . Wie kurzsichtig handelt dieser Staat eigentlich, wenn er seinen Nachwuchs durch systematische Befristungen bewusst kleinhält? ({3}) So, Kolleginnen und Kollegen, kann man sich auch selbst schachmatt setzen . In der anstehenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst verlangen die Gewerkschaften neben einer Lohnerhöhung eine tarifliche Regelung, die Befristungen zum Ausnahmefall macht . ({4}) Am 21 . März beginnen die Tarifverhandlungen in Potsdam . Verhandlungsführer für den Bund ist der Bundesinnenminister - ausgerechnet Herr de Maizière! Sein Meisterstück hat er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgeliefert . Seitdem ist dieses Amt bei chaotischer Personalpolitik und desaströsem Management ganz vorn . In keiner anderen Verwaltung offenbart sich ein so deutliches Staatsversagen, das von ganz oben ausgeht . ({5}) Zur Erinnerung: Nachdem der Bundesinnenminister den Leiter des Bundesamts gefeuert hatte, ließ er die strukturellen Ursachen für die Nichtbewältigung der Asylanträge einfach bestehen . Das bedeutete eine bewusste personelle Unterbesetzung bei gleichzeitig rapide wachsenden Aufgaben . Neben einem neuen Leiter müssen jetzt vor allem befristet Beschäftigte die Aufgabe stemmen . Das ist die Antwort auf die Frage, warum ein so zentrales Amt in einer solchen zentralen Frage nicht funktionsfähig ist . Eine derart unfähige Personalpolitik grenzt schon an Sabotage . ({6}) Das Beispiel zeigt eins ganz deutlich: Mit befristet beschäftigtem Personal können zentrale staatliche Anforderungen nicht durchgeführt werden . Das betrifft nicht nur die Beschäftigten des Bundes, sondern auch die der Kommunen . Die kommunalen Arbeitgeber reden angesichts der anstehenden Tarifrunde reflexartig von leeren Kassen . Sie nehmen die Flüchtlingssituation zum Anlass, die Forderung nach mehr Lohn und Gehalt im Vorfeld abzuwehren . Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun . Die Beschäftigten in den Verwaltungen machen gerade angesichts der vielen Asylsuchenden in Deutschland einen sehr guten Job und bewältigen die Aufgaben in den Kommunen . ({7}) Damit das so bleibt, sind Rahmenbedingungen wichtig, und die werden hier gemacht . Deswegen fordern wir in unserem Antrag die ersatzlose Streichung der sachgrundlosen Befristung . ({8}) Die Befristung zur Erprobung muss ebenso wie die Befristung wegen Zweckbindung von Haushaltsmitteln aus dem Gesetz entfernt werden . Wenn bei demselben Arbeitgeber zweimal aufeinanderfolgend aus sachlichen Gründen befristet wurde, ist von einem unbefristeten Arbeitsbedarf auszugehen . Schluss mit den Kettenbefristungen! Schluss mit den sachgrundlosen Befristungen! Schluss mit dem ganzen Befristungsirrsinn! ({9}) Die Bundesregierung kann in ihren Ministerien und Behörden mit positivem Beispiel vorangehen . Dass der Staat über Jahre hinweg systematisch Personal abgebaut hat, spüren die Menschen in der ganzen Republik . Versuchen Sie mal, einen Termin zu kriegen, um ihren Ausweis zu verlängern . ({10}) - Richtig . - Besonders schlimm ist die Situation im öffentlichen Dienst in Baden-Württemberg . Die Befristungsquote liegt dort deutlich über dem Bundesdurchschnitt . Das ist ein eklatantes Versagen der Landesregierung Kretschmann . Es ist im ureigenen Interesse von Staat und öffentlicher Verwaltung, dass dort gute Arbeit geleistet wird . Das setzt gute Arbeitsbedingungen und einen guten Verdienst voraus . Ich bin damals dem Rat meiner Mutter nicht gefolgt und bin stattdessen Gewerkschaftssekretärin und dann Bundestagsabgeordnete geworden . Sie und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst können sich aber darauf verlassen, dass wir die Kolleginnen und Kollegen weiterhin unterstützen . Vielen Dank . ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Wilfried Oellers . ({0})

Wilfried Oellers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004365, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Legislaturperiode beraten wir zum sechsten Mal einen Antrag der Fraktion Die Linke zum Befristungsrecht . ({0}) Zum ersten Mal thematisieren Sie die Befristungen im öffentlichen Dienst, die Sie stoppen wollen . Ihre Forderungen sind trotz geänderter Überschrift gleich geblieben . Sie wollen die sachgrundlose Befristung, den Befristungsgrund der Erprobung und die Möglichkeit der sogenannten Haushaltsmittelbefristung abschaffen . Den Katalog der Sachgründe wollen Sie als abschließend ansehen sowie eine Sachgrundbefristung nur mit einer einmaligen Verlängerung vorsehen . Alle diese Forderungen stellten Sie bereits mit Ihrem letzten Antrag hierzu vor etwa viereinhalb Monaten vor, nun lediglich in einem anderen Gewand . ({1}) Darüber hinaus fordern Sie nun die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass im öffentlichen Dienst nicht befristet eingestellt wird . Natürlich sehen wir von der Union auch am liebsten nur unbefristete Arbeitsverhältnisse . Die Realität zeigt jedoch, dass dies aus den unterschiedlichsten Gründen nicht immer möglich ist . Richtigerweise stellen Sie fest, dass die Befristungen von Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst häufiger vorzufinden sind als in der Privatwirtschaft; diese Feststellung machen Sie erstmals . Um die Befristung jedoch in einer Gesamtschau darzustellen, sei erwähnt, dass nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2014 die Befristungsquote der Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren bei 6,9 Prozent lag . Dies ist der niedrigste Stand seit 2005 . ({2}) Berücksichtigt man, dass vor 2005 die Erhebungen aufgrund einer ungenauen Methode ermittelt wurden, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die derzeitigen Werte sogar die niedrigsten seit 25 Jahren sind; zwischenzeitlich war sogar ein Anstieg auf circa 9 Prozent zu verzeichnen . Stiegen die Befristungen bis 2010 im Rahmen der Wirtschaftskrise an, so ist seit 2010 ein stetiger Rückgang zu verzeichnen . So kommen Menschen auch in schwierigen Zeiten in Arbeit . Diese Entwicklung kann doch nur als positiv bezeichnet werden . Sie zeigt vor allem auch, dass die Befristungen ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument sind, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten angemessen reagieren zu können . Wenn dann in wirtschaftlich guten Zeiten Befristungen rückläufig sind wie zurzeit, dann zeigt dies auch, dass die Arbeitgeber verantwortungsvoll mit diesem Flexibilisierungsinstrument umgehen und es, der wirtschaftlichen Situation angemessen, anpassen . Mit dieser Feststellung kann ich natürlich nicht ausschließen, dass in Einzelfällen Missbrauch betrieben worden ist bzw . betrieben wird . Diese Fälle sind mit der derzeitigen Rechtslage aber lösbar . Hierzu gilt es jedoch, die Gerichte anzurufen . Einzelne Missbrauchsfälle dürfen in meinen Augen nicht dazu führen, dass gesetzliche Regelungen verschärft werden . ({3}) Damit verhindert man nicht die Missbrauchsfälle . Man verhindert sie nur dadurch, dass sie gerichtlich aufgeklärt und sanktioniert werden . Mit einer Verschärfung trifft man zuallererst diejenigen, die redlich handeln, und schränkt sie weiter ein, da sie sich an die neue Rechtslage halten werden . Es kann aber nicht das Ziel sein, den Großteil der redlichen Unternehmer und Arbeitgeber durch schärfere Regelungen zu bestrafen, nur weil es einige schwarze Schafe gibt, die mit geltendem Recht sanktioniert werden können . Im Rahmen der Gesamtbetrachtung darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Befristungen neben ihrer Flexibilisierungsfunktion auch eine Brücke für Arbeitslose in den Arbeitsmarkt darstellen . ({4}) Die Übernahmequote ist bemerkenswert; Sie sollten sie sich anschauen, Frau Krellmann . Bei 43 Prozent befristeter Neueinstellungen im Jahr 2014 wurde eine Übernahmequote von 58 Prozent erreicht, Tendenz steigend . ({5}) Das IAB kommt in seinem Forschungsbericht aus dem Jahr 2015 zu der Feststellung, dass gerade die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung häufig als eine Brücke in den Arbeitsmarkt fungiert . ({6}) - Lesen Sie sich die Feststellungen des IAB durch . ({7}) Das ist darauf zurückzuführen, dass die sachgrundlose Befristung eine unbürokratische Einstellungsmöglichkeit darstellt . Berücksichtigt man all das vor dem Hintergrund der Rekordbeschäftigungszahlen - über 43 Millionen Erwerbstätige, über 30 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bei circa 2,9 Millionen Arbeitslosen -, so zeigt dies, dass die derzeitige Rechtslage, natürlich gepaart mit der guten wirtschaftlichen Situation, die Menschen in Arbeit bringt, und das muss doch auch schließlich unser Ziel sein . ({8}) Dem steht auch nicht entgegen, dass die Altersgruppe von 15 bis 24 Jahre eine Befristungsquote von 23 Prozent ausweist, da sie in den folgenden Altersgruppen bis hin zur ältesten Altersgruppe - 55 bis 64 Jahre - auf 3,7 Prozent absinkt . Dies zeigt: Auch wenn der Berufseinstieg zunächst durch eine Befristung erfolgt, so geht er in der Regel in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis über . ({9}) Betrachtet man den Bereich des öffentlichen Dienstes genauer, so macht man folgende Feststellung: Beim gesamten Befristungsanteil im Jahr 2014 von 10,3 Prozent liegt der Schwerpunkt der Befristungen im wissenschaftlichen Bereich . ({10}) Das IAB hat in seinem Forschungsbericht festgestellt, dass die Befristungen im öffentlichen Dienst lediglich 5,6 Prozent betragen würden, wenn man den wissenschaftlichen Bereich einmal ausklammern würde . ({11}) Betrachtet man die Entwicklung von 2004 bis 2014, so stellt man zwar einen Anstieg von 4,3 Prozent auf 5,6 Prozent fest; allerdings ist der Befristungsanteil seit 2010 leicht rückläufig. Eine derartige Quote ist sicherlich vertretbar und erfordert keine gesetzlichen Veränderungen und schon gar keine Verschärfung der Rechtslage . Anders muss man dies sicherlich bewerten, wenn man sich die Befristungsanteile in den wissenschaftlichen Einrichtungen anschaut, die etwa 50 Prozent der Befristungen im öffentlichen Dienst ausmachen . Die Entwicklung in diesem Bereich ist als sehr kritisch zu bewerten . Lag der Befristungsanteil im Jahre 2004 insgesamt bei 26,3 Prozent, stieg er bis 2014 auf insgesamt 43,6 Prozent an . Die Entwicklung im wissenschaftlichen Bereich bedurfte also einer gesonderten Betrachtung . Daher haben wir uns in der Koalition das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 genauer angeschaut . Es regelt die Bedingungen der befristeten Arbeitsverträge wissenschaftlicher Mitarbeiter während der Qualifizierungsphase . Die rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen des Gesetzes führten dazu, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur Einjahresverträge erhielten und der erste Vertrag meist sogar eine Laufzeit von unter einem Jahr hatte . Diesen Fehlentwicklungen ist die unionsgeführte Koalition im letzten Jahr durch ein Änderungsgesetz entgegengetreten, mit dem unsachgemäße Kurzbefristungen für junge Wissenschaftler künftig verhindert werden . Sachgrundlose Befristungen sollen nach dem neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz nur in Ausnahmefällen möglich sein . Wissenschaftliche Mitarbeiter mit Daueraufgaben wie zum Beispiel Angestellte, Labor- oder Technikmitarbeiter dürfen keine sachgrundlos befristeten Verträge mehr erhalten . All diese und weitere Verbesserungen werden im kommenden Monat, im März 2016, in Kraft treten . ({12}) Damit ist ein wesentlicher Bereich der Befristungen im öffentlichen Dienst durch die unionsgeführte Koalition verbessert worden . ({13}) Dies wird die Zahl der Befristungen insgesamt, aber insbesondere im öffentlichen Dienst, reduzieren und den Menschen damit Planungssicherheit geben . Das IAB kommt in seinem Forschungsbericht zu dem Ergebnis, dass befristete Beschäftigungen im öffentlichen Sektor vielfach zum Einsatz gebracht werden, um temporäre Personalausfälle zu kompensieren . Mich freut es, in diesem Zusammenhang ein positives Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen zu können: Eine Behörde hatte insgesamt vier Mitarbeiter im Wege der Schwangerschaftsvertretung befristet beschäftigt . Rechtlich war dies nicht zu beanstanden . Nach einigen Verlängerungen der Arbeitsverträge, erneut im Wege der Schwangerschaftsvertretung, entschied der Behördenleiter, diese vier Mitarbeiter unbefristet einzustellen, um den Mitarbeitern Planungssicherheit zu geben und weil er der berechtigten Annahme war, dass Schwangerschaftsvertretungen in seinem Hause auch zukünftig erforderlich sein werden . ({14}) Besonders freut mich natürlich, dass der Behördenleiter Mitglied der CDU ist . ({15}) Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der Linken, muss ich sagen, dass wir als Union sehr verantwortungsbewusst mit der Befristung umgehen . Die notwendigen Rechtsveränderungen wurden bereits vorgenommen . Natürlich müssen wir als Gesetzgeber die Entwicklung weiter genau beobachten und gegebenenfalls Änderungen vornehmen; ({16}) aber mit Augenmaß . Ihre Vorschläge haben dieses Augenmaß nicht . Die Befristung ist in der derzeitigen Form als Flexibilisierungsinstrument und als Brückenfunktion zu erhalten, weil sie den Menschen im Ergebnis zugutekommt . Danke schön . ({17})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate MüllerGemmeke, Bündnis 90/Die Grünen .

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute zum vierten Mal in dieser Legislaturperiode über die Befristungen, wenn auch immer aus unterschiedlichen Blickwinkeln . Sie von der Unionsfraktion reden das Thema immer noch klein. Sie verweisen häufig darauf, dass die meisten Beschäftigten einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben . Das stimmt zwar, aber das gilt beispielsweise nicht für die Berufseinsteiger, für die junge Generation, also für die Fachkräfte von morgen . Uns geht es bei diesem Thema vor allem um die Neueinstellungen; denn jeder zweite neue Arbeitsvertrag hat ein Verfallsdatum . Das ist die Realität . Das ist heute normal, aber genau das ist das Problem . Nehmen Sie das doch bitte endlich zur Kenntnis . ({0}) Uns Grünen geht es vor allem um die sachgrundlose Befristung. So werden nur flexible Randbelegschaften aufgebaut, und der Kündigungsschutz wird umgangen . Wir meinen, sachgrundlos zu befristen, ist unnötig . Wir haben genügend Befristungsgründe; ({1}) das müssten auch die Sozialdemokraten wissen . Wenn Sie schon ständig streiten, können Sie doch auch noch das Thema der sachgrundlosen Befristung aufmachen . ({2}) Wir kritisieren das übrigens auch im Hinblick auf die Bundesministerien . Ich habe eine Kleine Anfrage gestellt . Das Ergebnis war: 50 Prozent der Neuanstellungen waren befristet, und zwei Drittel der Befristungen waren sogar sachgrundlos . Damit liegen die Bundesministerien weit vorne, sogar vor der Privatwirtschaft . Das ist kein gutes und verantwortungsvolles Signal . So werden die Bundesministerien ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht . ({3}) Aber auch ganz grundsätzlich haben Befristungen negative Folgen für die Beschäftigten: Erstens . Eine Befristung bedeutet oft weniger Gehalt . Das gilt nicht nur am Anfang, wenn die Beschäftigten befristet in die Arbeitswelt einsteigen . Sie verdienen auch danach weniger . Zweitens . Wer befristet angestellt ist, steht unter größerem Druck . Befristet Beschäftigte machen mehr Überstunden, sie nehmen weniger Urlaub, sie übernehmen mehr zusätzliche Aufgaben, und sie fordern, wie gesagt, auch weniger Geld - das alles, damit eine mögliche Entfristung nicht in Gefahr gerät . So werden Beschäftigte gefügig gemacht . Das geht gar nicht . ({4}) Drittens . Alle Jugendstudien berichten von einer Generation, die durchaus optimistisch in die Zukunft schaut . Einzige Ausnahme ist die Jobsituation . Junge Menschen, die immer wieder nur einen Job auf Zeit haben, kommen in der Arbeitswelt nie richtig an . Sie wissen nicht, ob sie nach einiger Zeit wieder auf der Suche sind . Sie wissen auch nicht, ob sie in eine andere Stadt ziehen müssen . Es erfordert beispielsweise auch einigen Mut, sich in dieser Situation für ein Kind zu entscheiden . Der Berufseinstieg gestaltet sich für junge Menschen zunehmend schwieriger und brüchiger . Job und Einkommenssicherheit sind aber schlichtweg ökonomische Voraussetzungen für eine eigenständige Lebensgestaltung . Genau das fehlt vielen jungen Menschen . Das ist nicht akzeptabel . ({5}) Viertens . Befristungen verschärfen natürlich auch den Fachkräftemangel . Die Möglichkeit, einen festen Arbeitsvertrag zu bekommen, ist im öffentlichen Dienst geringer als in der Privatwirtschaft . Da werden junge Menschen häufig lange hingehalten. Natürlich wechseln die jungen Menschen dann zwangsläufig in die Wirtschaft. Wer nur auf Zeit angestellt ist, kann sich nur seltener weiterbilden . Es gibt auch kaum Aufstiegschancen . In der Konsequenz wird der öffentliche Dienst junge Menschen, die besonders motiviert sind, bald nicht mehr bekommen. Mit Blick auf den demografischen Wandel und die Altersstruktur im öffentlichen Dienst ist das fatal . Sehr geehrte Regierungsfraktionen, natürlich brauchen wir befristete Verträge: für Projektarbeit, die nur befristet ist, für Schwangerschaftsvertretungen, bei langer Krankheit usw. Aber für Daueraufgaben - für Pflegepersonal, Erzieherinnen, aber auch Verwaltungspersonal - brauchen wir keine befristeten Verträge . Wenn der öffentliche Dienst das nicht selber kapiert, dann muss eben der Gesetzgeber handeln . Die Lösung der Linken im Hinblick auf die Kettenverträge überzeugt mich nicht; das habe ich bereits in der letzten Debatte gesagt . Dazu sollten Sie im Ausschuss endlich eine Anhörung beantragen . Bei der sachgrundlosen Befristung sind wir uns aber einig: Sie sollte schleunigst abgeschafft werden . Flexibilität darf keine Einbahnstraße sein; denn die Menschen brauchen soziale Sicherheit . Zeigen Sie endlich Empathie! Werden Sie endlich tätig! Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele HillerOhm für die SPD . ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass wir wieder einmal über das schwerwiegende Problem der sachgrundlosen Befristungen sprechen . Wir haben das hier schon des Öfteren getan . Die Argumente und die Positionen haben sich nicht geändert . ({0}) Allerdings gibt es nach wie vor das Problem der sachgrundlosen Befristungen . Möglicherweise löst es sich durch immer wieder neue Debatten hier im Bundestag von selber auf . Das wäre ja schön . Ich fürchte aber, dass das nicht der Fall sein wird . Also müssen wir hier zu anderen Lösungen kommen . Unsere Position ist nach wie vor klar: Wir lehnen sachgrundlose Befristungen ab . ({1}) Sie sind für die Beschäftigten unwürdig . Sie lassen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Not im Ungewissen über ihre berufliche Zukunft. Und, meine Damen und Herren, sie sind vor allem dann unnötig, wenn die Konjunktur - so wie es jetzt der Fall ist - brummt . Arbeitgeber sollten froh sein, gutes Personal zu bekommen . Dieses Personal sollen sie dann auch mit vernünftigen Verträgen und guter Bezahlung halten . Es gibt heute kein stichhaltiges Argument mehr für sachgrundlose Befristungen . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie prangern in Ihrem Antrag diesmal den öffentlichen Dienst an . Ich habe selbst im öffentlichen Dienst, und zwar im Hochschulbereich, gearbeitet . ({3}) Damals bin ich aus miesen Arbeitsbedingungen als freie Journalistin in der Hoffnung in den öffentlichen Dienst gewechselt, geregelte Arbeitszeiten, gute Arbeitsbedingungen sowie gute Perspektiven für mich und meine damals kleine Tochter zu haben . Die Arbeit war gut, der Arbeitsvertrag war es nicht . Er war befristet . Zweimal wurde er verlängert, ehe ich endlich ins unbefristete Angestelltenverhältnis übernommen wurde . Ich weiß noch sehr genau, wie es sich angefühlt hat, zu warten und zu hoffen und nicht zu wissen, wie es beruflich einmal weitergehen wird . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich keinem . ({4}) Befristete Arbeitsverträge ohne Angabe eines Grundes haben weder in der Wirtschaft noch im öffentlichen Dienst etwas zu suchen . Befristungen insgesamt werden wir nicht abschaffen können . Es wird zum Beispiel weiterhin Elternzeit- und Krankheitsvertretungen geben müssen . Sie sind auch sinnvoll . Schaut man auf den Wissenschaftsbereich, so werden wir auch hier nicht alle befristeten Arbeitsverhältnisse abschaffen können . Sie können sinnvoll sein, damit zum Beispiel junge Nachwuchskräfte an den Universitäten weiterhin ihren Doktor machen können . Leider wurde aber gerade im Wissenschaftsbereich Schindluder mit Befristungen getrieben . Ich bin deshalb froh, dass wir mit unserer Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes jetzt ein deutliches Stoppschild gesetzt haben . ({5}) Künftig werden beispielsweise unsachgemäße Kurzbefristungen unterbunden . Nichtwissenschaftliches Personal fällt nun zum Glück überhaupt nicht mehr unter das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, da diese Personengruppe überwiegend Daueraufgaben leistet . Insofern kann es hier auch nur Dauerstellen geben . Das ist gut . Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, unsere Reform wird hoffentlich schnell Früchte tragen und die Zahl der Befristungen im öffentlichen Dienst sinken lassen . Ja, es ist richtig, der öffentliche Dienst sollte mit gutem Beispiel vorangehen und seinen Beschäftigten vernünftige Perspektiven bieten .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Hiller-Ohm, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Krellmann?

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich .

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank Frau Hiller-Ohm, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen . - Sachgrundlose Befristungen gibt es seit dem 1 . Mai 1985 . 1985! So lange sind sie schon möglich . Seit diesem Zeitpunkt stehen sie in der Kritik . Und seit dieser Zeit wird die Zahl der Betroffenen nicht kleiner, sondern jedes Jahr größer - egal wie die wirtschaftliche Situation gerade ist . Ich kenne das aus der Industrie und aus dem öffentlichen Dienst . Wie lange sollen die Beschäftigten noch warten, bevor sich da endlich etwas tut? Sie argumentieren sehr richtig . Das alles kann ich unterstützen, und ich finde, dass das absolut in Ordnung ist . Was aber soll ich meinen Kollegen sagen, wenn sie fragen, wie lange sie noch warten sollen, bis endlich etwas passiert?

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sollen bis zu den nächsten Wahlen warten, dann richtig wählen und dadurch für andere Mehrheiten hier im Bundestag sorgen . ({0}) Dann wird das Problem auch beseitigt werden . ({1}) Frau Krellmann, Sie haben recht: Im öffentlichen Dienst sieht es schlecht aus . Er sollte mit gutem Beispiel vorangehen . Ich habe ja berichtet, dass ich selber auch darunter zu leiden hatte . Für mich ist es zu einem guten Ende gekommen, für viele andere Menschen erfüllt sich diese Hoffnung aber nicht . Es ist nicht nötig, junge Menschen, die man dringend braucht, auf Zeit einzustellen und wie einen Fisch am Haken zappeln zu lassen . Das ist geradezu kontraproduktiv, da es aufgrund des demografischen Wandels immer weniger Menschen geben wird, die überhaupt für den öffentlichen Dienst zur Verfügung stehen werden . Schon heute ist eine deutliche Überalterung in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes festzustellen . Meine Damen und Herren, ich fürchte, wir können in dieser Legislaturperiode mit unserem derzeitigen Koalitionspartner kein Gesetz mehr auf die Beine stellen, das Verträge mit sachgrundlosen Befristungen untersagt, und den Katalog mit den zulässigen Gründen für Befristungen nicht mehr kritisch durchforsten . ({2}) Schade eigentlich! Deshalb setze ich meine Hoffnungen jetzt auf die Gewerkschaften . Verdi und der Deutsche Beamtenbund haben befristeten Arbeitsverträgen ohne Sachgrund im öffentlichen Dienst - allerdings nur denen ohne Sachgrund, Frau Kollegin Krellmann - den Kampf angesagt . Dies soll zentrales Thema in der Tarifrunde 2016 sein . Das ist gut so . Ich wünsche Verdi und dem Beamtenbund viel Erfolg . Macht Schluss mit den unwürdigen befristeten Arbeitsverhältnissen! ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Uwe Lagosky . ({0})

Uwe Lagosky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt eine Fraktion in diesem Hohen Haus, die sagt: Wir wollen den öffentlichen Dienst ausbauen: Hierfür sollen 50 Milliarden Euro jährlich in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit, Pflege, öffentliche Sicherheit und Kultur eingesetzt werden . Dadurch entstehen 1 Million Vollzeitarbeitsplätze zu regulären, tariflichen Bedingungen. Das versprach die Linke 2013 zur Bundestagswahl . 50 Milliarden Euro entsprechen ungefähr 16 Prozent des Bundeshaushaltes 2016 . Diese 50 Milliarden in Kombination mit Ihren arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Projekten, die hier schon vorgeschlagen wurden, würden für Deutschland zusätzliche Schulden zulasten der nächsten Generationen bedeuten . Daher fährt unser Land besser damit, dass es eine wirtschaftende, CDU/CSU-geführte Regierung hat . ({0}) Verbindendes Element zu wohl allen Fraktionen - das muss man auch dazu sagen - ist ihr Einsatz für die Beschäftigten in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst . Sie alle halten unsere Gesellschaft funktionsfähig und verdienen daher unsere Wertschätzung . Was uns trennt, ist der Umgang mit den Fakten . Dass befristete Neueinstellungen im öffentlichen Dienst mit circa 59,5 Prozent gegenüber 39,9 Prozent in der Privatwirtschaft eine größere Rolle spielen, ist unbestritten und vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu Recht herausgehoben worden . Allerdings sollte erwähnt werden, dass die Anteile befristeter Einstellungen im öffentlichen Dienst gerade seit Angela Merkels Regierungsantritt deutlich zurückgegangen sind, nämlich um exakt 15,2 Prozent in den letzten neun Jahren . Vielsagend finde ich die personalwirtschaftlichen Vorgaben der jeweiligen Ressorts, die die Bundesregierung der Linksfraktion in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Kenntnis gab . Darin heißt es: Da vielfach über Bedarf ausgebildet wird, ist die Bundesverwaltung generell bestrebt, ehemaligen Auszubildenden zumindest einen befristeten sachgrundlosen Anschlussvertrag anzubieten . . ., wenn mangels freier Planstellen und Stellen keine unbefristete Übernahme erfolgen kann . In der Antwort der Bundesregierung zum Verteidigungsministerium steht unter anderem: Im Hinblick auf die Steigerung der Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr ist grundsätzlich darauf hinzuwirken, dass die unbefristete Beschäftigung verstärkt zielgerichtet genutzt und insbesondere bei fortschreitender Klarheit über die Organisationsstrukturen wieder zum Regelfall wird . ({1}) Generell geregelt ist das in einem Erlass, der dazu auf den Weg gebracht wurde . Auf Bundesebene sind wir also schon dabei, die Situation zu verbessern . Wenn es darum geht, wie von Ihnen gefordert, auf die Länder einzuwirken, kann ich nur sagen: Sie sollten einmal das Gespräch mit Ihrem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow suchen . Dem Länderbericht über Thüringen des IAB-Betriebspanels ist zu entnehmen: Über die Hälfte aller Betriebe in den Branchen öffentliche Verwaltung und Erziehung und Unterricht griffen auf befristete Arbeitsverträge zurück . ({2}) Weiter heißt es in dem Bericht zu Thüringen: In den meisten Branchen wich die Häufigkeit von Entfristungen in Thüringen vom westdeutschen und ostdeutschen Durchschnitt ab . In Thüringen entfristete die öffentliche Verwaltung mit 9 Prozent auffällig selten, in Ost- und Westdeutschland lag hier der Anteil im Durchschnitt bei 24 und 38 Prozent . ({3}) Also: Vor der eigenen Tür kehren, hilft auch . Aber zurück zu Ihrem Antrag . Für befristete Arbeitsverhältnisse gibt es unterschiedliche Gründe . Beim öffentlichen Dienst sind die wichtigsten Befristungsmotive laut IAB-Forschungsbericht ein befristeter Ersatzbedarf mit 39,6 Prozent, ({4}) eine befristete Finanzierung der Stelle, die sogenannte Haushaltsmittelbefristung, mit 20,1 Prozent, ein befristeter zusätzlicher Bedarf mit 13,6 Prozent .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Lagosky, die Kollegin Krellmann möchte erneut eine Zwischenfrage stellen . Gestatten Sie sie?

Uwe Lagosky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, diese gestatte ich nicht . Ich möchte gerne weitersprechen . - Befristungen auf Probe spielen mit 9,4 Prozent im Vergleich zu diesen Befristungen in der Privatwirtschaft mit 28 Prozent eine geringere Rolle . Würden nun, wie von der Linksfraktion gefordert, insbesondere die Passagen zur Befristung auf Probe aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz gestrichen, hätte das Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft . Davon steht in ihrem Antrag natürlich nichts . Wozu Befristungen gut sind, egal wie man dazu steht, wurde in der Anhörung zur sachgrundlosen Befristung am 17 . März 2014 deutlich . Hier stellte der Sachverständige der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fest, dass 75 Prozent der befristet Beschäftigten in reguläre Arbeit kommen . Demnach haben Befristungen für unseren Arbeitsmarkt eine wichtige Brückenfunktion; das ist hier heute schon mehrfach angeklungen . Wir wollen diese erhalten . Im öffentlichen Sektor, den wir bei dieser Frage ja besonders berücksichtigen müssen, spielen Verlängerungen mit 38,3 Prozent eine größere Rolle als Übernahmen mit 31,4 Prozent und Personalabgänge mit 29,7 Prozent . „Im öffentlichen Sektor sind demnach die Übernahmechancen geringer als in der Privatwirtschaft“, so der IAB-Forschungsbericht 2015 . Deshalb müssen Bund, Länder und Kommunen alle Umstände, die mit einer Verlängerung befristeter Verträge verbunden sind, intensiv prüfen und so dafür sorgen, dass die Verlängerungen von Befristungen rechtskonform sind . Zur Ausbildungssituation ist zu sagen: Durch die Ausbildung über Bedarf im öffentlichen Dienst bietet sich jungen Menschen eine berufliche Perspektive. Natürlich sind wir uns einig, dass junge Berufseinsteiger nach ihrer Ausbildung möglichst eine unbefristete Anstellung bekommen sollten . Wir unterscheiden uns jedoch dadurch, dass wir es eben den Betrieben überlassen, ob eine unbefristete Einstellung erfolgt oder nicht . Damit liegt diese Entscheidung bei der Wirtschaft in den Händen der Unternehmer und der Sozialpartner . In den Ministerien und Verwaltungen entscheiden die Verwaltungsleitungen, in welchem Umfang unbefristete Übernahmen erfolgen . Diese Entscheidungsträger müssen die wirtschaftliche Situation und den Stellenplan im Blick haben . ({0}) Abschließend: Befristete Arbeitsverhältnisse spielen bei Neuanstellungen im öffentlichen Dienst nach wie vor eine große Rolle . Trotzdem ging ihr Anteil auf Bundesebene seit 2005 erheblich zurück . Die obersten Bundesbehörden und ihre nachgeordneten Institutionen sind bereits im Rahmen ihrer Möglichkeiten bestrebt, den befristet Beschäftigten gute Lösungen zu bieten . Für gesetzliche Änderungen sehen wir zurzeit keine Grundlage . Herzlichen Dank . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für eine Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Krellmann .

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Lagosky, Sie sind Betriebsrat, und Sie sind Gewerkschafter . ({0}) - Ich höre gerade: ein guter Betriebsrat . - Ich kenne keinen Betriebsrat, der sich für sachgrundlose Befristungen ausspricht - keinen einzigen . Ich bin im Grunde irritiert darüber, dass es dann, wenn eine Große Koalition etwas vereinbart hat und ein Punkt nicht dabei ist, nicht möglich ist, darüber zu reden . Für mich heißt Große Koalition im Moment: null Bewegung, ({1}) gerade in einer Frage, die ganz viele Menschen betrifft . Große Koalition heißt ferner, dass man nicht außerhalb von Koalitionsvereinbarungen über Dinge reden kann, die man richtig findet, sodass man in dieser politischen Situation nichts ändern kann . Ich biete Ihnen an, mit Ihnen über sachgrundlose Befristungen zu reden . Das tue ich gerne . Mich würde interessieren, was Ihre Gewerkschaft zu der Position sagt, die Sie hier vertreten .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Lagosky, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu erwidern .

Uwe Lagosky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004335, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Krellmann, Sie haben meine Betriebsratstätigkeit angesprochen . Für mich standen immer der Mensch und natürlich auch die Frage im Mittelpunkt, wie ich jemanden in eine unbefristete Beschäftigung bringen kann . Wenn es in gewissen Übergangszeiten nur die Möglichkeit gab, über eine befristete Stelle in eine unbefristete Stelle zu kommen, dann habe ich dieses auch befördert, aber in die Richtung, dass es am Ende des Tages eine unbefristete Stelle gab . Es gab durchaus Zeiten, in denen ein Unternehmen das gilt für alle Unternehmen in allen Branchen - in die Situation gerät, dass sporadische Arbeitsleistungen notwendig sind . Auch diese Zeiten haben wir gehabt mit Blick auf Investitionen, die in der Zukunft lagen . Dann haben wir befristet eingestellt . Wir haben unseren Kolleginnen und Kollegen, die für einen befristeten Zeitraum eingestellt wurden, gesagt, dass sie nach diesem Zeitraum den Betrieb wieder verlassen . Auch das gehört zur Wahrheit und zur Klarheit dazu, die Betriebsräte aufrechterhalten müssen, wenn sie in unseren Betrieben unterwegs sind; sie müssen das den Menschen sagen . Entscheidend ist aber, dass es gelungen ist, über eine derartige Personalpolitik in den Betrieben, in denen ich als Konzernbetriebsratsvorsitzender und Betriebsratsvorsitzender Verantwortung getragen habe, durchaus für eine Personalentwicklung und auch eine Personalsteigerung zu sorgen, teilweise auch über befristete Verträge . Das ist, glaube ich, beispielhaft für alle Betriebe in Deutschland . Insofern hoffe ich, dass das Ihre Frage beantwortet . Herzlichen Dank . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt hat das Wort für die SPD der Kollege Markus Paschke . ({0})

Markus Paschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004371, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit Herrn Oellers beginnen; denn in seiner Rede sind mir ein paar Dinge aufgefallen . Eine kleine Richtigstellung: Die Koalition ist nicht unionsgeführt; die SPD-Fraktion wird immer noch von einem Sozialdemokraten geführt, und das ist auch gut so . ({0}) Vielleicht ist die Regierung unionsgeführt, weil die Kanzlerin von der Union gestellt wird, aber nicht die Koalition . Da reden wir, denke ich, auf Augenhöhe . Ich finde, das Thema Befristungen verdient durchaus eine differenzierte Betrachtung . Was gar nicht geht, sind Fälle, wie ich sie auch in meinem Wahlkreis erlebt habe: Dort war ein Mitarbeiter 14 Jahre lang beim Landkreis beschäftigt, aber nicht unbefristet, sondern mit 16 befristeten Verträgen . Diese Verträge führten auch alle Sachgründe an: Mal war es eine Vertretung, mal eine Haushaltsbefristung . Diese Form von Kettenbefristungen - das sage ich ganz deutlich - halte ich im öffentlichen Dienst für völlig unangebracht und falsch . ({1}) Wir sind sicherlich einer Meinung: Daueraufgaben im öffentlichen Dienst müssen mit unbefristet Beschäftigten erfüllt werden . Langfristiger Bedarf - dazu zähle ich auch Springer - kann kein Grund für eine Befristung sein . Mit seinem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht schon 2012 den Weg zur Wende bereitet: Es verlangte in seiner Entscheidung, dass eine umfassende Missbrauchskontrolle bei Befristung - auch unter Einbeziehung der Zahl und der Gesamtdauer der geschlossenen befristeten Arbeitsverträge - zu erfolgen hat . Anders ausgedrückt: Auch wenn für die einzelne Befristung Sachgründe vorliegen, sprechen 16 Verträge in 14 Jahren eine deutliche Sprache: Das ist nämlich Missbrauch . Es wird Zeit, dass wir die klugen Urteile des Bundesarbeitsgerichts endlich in der Gesetzgebung umsetzen . Da ich schon bei der Gesetzgebung bin: Mir fällt glatt ein, dass wir auch im Koalitionsvertrag Regelungen zum Thema „gute Arbeit“ vereinbart haben . Wir haben vereinbart, den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen zu beenden . Deswegen fordere ich Sie an dieser Stelle ausdrücklich auf, endlich die Blockadehaltung, die Sie hier eingenommen haben, aufzugeben . ({2}) Wie ich sehe, habe ich meine Zeit schon überschritten . ({3}) Deswegen kann ich den zweiten Teil zur Befristung gar nicht mehr vortragen . Nur so viel: Der öffentliche Dienst leistet wichtige Arbeit für die Menschen in unserem Land . Er kann nicht rein betriebswirtschaftlich betrachtet werden . Andererseits darf er auch nicht das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswerfen . Da ist ein Ausgleich, eine differenzierte Betrachtung nötig . Differenziert betrachten, aber Missbrauch bekämpfen, das ist unser Motto als Sozialdemokraten . Danke schön . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Herr Kollege Paschke . - Nicht Ihre Zeit, sondern nur Ihre Redezeit ist überschritten . ({0}) Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bernd Rützel für die SPD . ({1})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, es ist richtig: Bis Ende der 80er-Jahre galt der Satz: Gehʼ zum Staat, da hast du einen sicheren Arbeitsplatz . - Die Sicherheit war vielen wichtig, und dafür nahm man geringere Verdienste und auch schlechtere Aufstiegsmöglichkeiten in Kauf . Diese Sicherheit gibt es heute nicht mehr . Der öffentliche Dienst ist Spitzenreiter bei den Befristungen, - und zwar nicht nur bei der Anzahl, sondern auch in Bezug auf die Länge der Befristungen . ({0}) Im Durchschnitt muss jeder Befristete fünf Jahre warten, bis er vielleicht übernommen wird . Dadurch ist die Attraktivität des öffentlichen Dienstes gesunken . Es gibt immer weniger junge Menschen im Staatsdienst, und dadurch wird das Durchschnittsalter der Beschäftigten immer höher . Bis 2020, also in rund vier Jahren, gehen 18 Prozent - fast jeder Fünfte - und bis 2030, also in den nächsten 14 Jahren, die Hälfte aller im öffentlichen Dienst Beschäftigten in den Ruhestand . Die brauchen Nachwuchs! Das geht aber nur mit sicheren und verlässlichen Arbeitsplätzen und guten Rahmenbedingungen . Ich wiederhole das, was ich schon oft von diesem Pult aus gesagt habe: Sachgrundlose Befristungen verbauen Lebenschancen und damit eine langfristige Perspektive . Sie helfen nicht, sie schaden . ({1}) Das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, hat die Situation beleuchtet . Warum ist das so? Man könnte sagen: Weil es im öffentlichen Dienst weniger Minijobs, weniger Leiharbeit, weniger Praktika und weniger freie Mitarbeit als in der Privatwirtschaft gibt, wird das Instrument der Befristung stärker genutzt, um flexibel zu sein. - Das ist für mich kein ausschlaggebendes Argument . Ein wichtiges Argument aus meiner Sicht ist aber, dass es nicht genügend Planstellen gibt . Die Aufträge müssen aber erledigt werden . Deshalb will ich an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst sagen, die mit ganz vielen Überstunden nicht nur auf die aktuellen Herausforderungen in der Flüchtlingskrise reagieren, sondern die unseren Staat, unser Zusammenleben und unsere Ordnung funktionieren lassen und die dabei mit Problemen konfrontiert werden, die sie vielleicht so noch nie hatten, aber Lösungen suchen und Lösungen finden. Die jammern nicht, sondern die packen an . Sie sind motiviert, und sie sind wirkliche Staatsdiener . Deswegen freue ich mich auch, dass in den Tarifverhandlungen, die anstehen, das noch einmal auf den Punkt gebracht wird . Zusammenfassend und abschließend will ich sagen: Wo es gute Sachgründe gibt - der Katalog ist lang genug -, ist eine Befristung von Arbeitsverhältnissen in Ordnung . Sachgrundlose Befristungen dagegen verwehren den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Mindestmaß an Sicherheit . Es wird Zeit, dass man bald wieder sagen kann: Gehʼ zum Staat, da hast du einen sicheren Arbeitsplatz . Vielen Dank . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7567 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe ausschließlich Zustimmung zu diesem Vorschlag . ({0}) Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung ({1}) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems KOM({2}) 586 endg.; Ratsdok. 14649/15 hier: Politischer Dialog mit der Europäischen Kommission Drucksache 18/7644 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch sehe und höre ich nicht . Dann ist das damit beschlossen . Deshalb eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Antje Tillmann für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({3})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben bei der Regulierung der Finanzmärkte seit 2009 viel Richtiges verabredet und einiges davon auch schon gut umgesetzt . Ich nenne die EZB-Aufsicht . 130 der größten europäischen Banken sind der EZB unterstellt und fallen jetzt unter ihre Aufsicht . Wir haben mit dem Abwicklungsmechanismus eine Institution geschaffen, mit der im Ernstfall eine geordnete Sanierung oder Abwicklung möglich wird, ohne auf das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zurückgreifen zu müssen . Im Ernstfall gilt dann vorrangig die Haftung der Eigentümer und Gläubiger in Höhe von 8 Prozent der Bilanzsumme; das ist der sogenannte Bail-in . Diese Richtlinie war bis zum 31 . Dezember 2014 umzusetzen . Drei Staaten haben das bis heute aber immer noch nicht getan . In ihrer Mitteilung „Auf dem Weg zur Vollendung der Bankenunion“ vom 24 . November 2015 stellt deshalb die Kommission richtigerweise fest - ich zitiere -: Daher besteht die oberste Priorität darin, … dass die Mitgliedstaaten die BRRD … - also die Abwicklungsrichtlinie vollständig umsetzen . Leider melden sich auch schon die ersten Länder zu Wort, die die Pflicht, 8 Prozent der Bilanzsumme als Haftungskapital vorzuhalten und im Zweifel von Eigentümern und Gläubigern einzufordern, wieder infrage stellen . Die Kommission hat recht, wenn sie sagt - ich zitiere -: Dies erfordert eine konsequente Anwendung der Bail-in-Regelungen der BRRD, um sicherzustellen, dass die Kosten für die Abwicklung von ausfallenden … Banken primär von deren Anteilsinhabern und Gläubigern getragen werden . Ich ergänze: nicht mehr von den Steuerzahlern . ({0}) Die Kommission erkennt auch Risiken, die immer noch in Bankbilanzen vorhanden sind, zum Beispiel das Risiko, das Staatsschulden auf heimische Bankensysteme haben können . Staatsschulden in Bankbilanzen stellen ein großes Risiko dar, insbesondere bei Staaten, denen es finanziell nicht gut geht. Ich nenne zusätzlich latente Steuern, die in erheblichem Umfang in den letzten Jahren zu mehr Risiken in den Bankbilanzen geführt haben . Auch dazu schreibt die Kommission richtigerweise - ich zitiere -: … müssen nationale Wahlmöglichkeiten und Ermessensspielräume bei der Anwendung der Aufsichtsregeln doch noch weiter reduziert werden . In Klammern: Die Bilanzen müssen noch krisenfester gemacht werden . Wir haben uns dann auf einen Abwicklungsfonds als weiteres Instrument verständigt, und zwar in einer Größenordnung von 55 Milliarden Euro . Diesen Fonds füllen die Banken je nach Größe mit Beiträgen selbst, und er steht dann zur Verfügung, wenn die haftenden Mittel von Eigentümern und Gläubigern nicht ausreichen . Aber: Erst ab diesem Jahr finden die ersten Einzahlungen in den Abwicklungsfonds überhaupt statt . Seine Zielgröße soll der Fonds dann auch erst 2023 erreichen . In manchen Ländern ist die Übertragung der Bankenabgabe auf den gemeinsamen Abwicklungsfonds noch nicht geregelt, und in vielen Ländern ist die Vereinbarung zur Kreditaufnahme innerhalb des Abwicklungsfonds noch offen . Es gibt also auch hier noch erhebliche Vollzugsdefizite. Die Schlussfolgerung der Kommission im Verordnungsentwurf, über den wir heute sprechen - Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems -, vom 24 . November 2015 muss dann schon hinterfragt werden . Hier steht nämlich - ich zitiere -: Während die ersten beiden Stufen mit der Einrichtung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus ({1}) und des einheitlichen Abwicklungsmechanismus ({2}) schon verwirklicht wurden, steht die Schaffung einer gemeinsamen Einlagensicherung noch aus . Wie ich oben dargestellt habe, ist hier noch gar nicht viel verwirklicht . Wir haben viel beschlossen, aber die Verwirklichung ist durchaus noch fragmentarisch . Wir bestehen darauf, dass diese Aufgaben zuerst erfüllt werden . ({3}) Als Letztes haben wir 2014 mit der Änderung der Einlagensicherungsrichtlinie beschlossen, dass alle Banken in der Europäischen Union einem nationalen Einlagensicherungssystem angehören müssen, das mit Kapital in Höhe von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen ausgestattet sein muss . Das heißt, wir stärken nationale Einlagensicherungssysteme . Alle EU-Staaten hätten diese Einlagensicherungsrichtlinie bis zum 3 . Juli 2015 umsetzen müssen . Fünf Länder haben bis zum heutigen Zeitpunkt das aber nicht getan . Ich zitiere gern ein weiteres Mal aus der Mitteilung der Kommission, die wirklich lesenswert ist: Daher besteht die oberste Priorität darin, sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die … DGSD - also die Einlagensicherungsrichtlinie vollständig umsetzen . Selbst wenn die Umsetzung in allen Staaten erfolgt ist, haben sie für die sukzessive Erfüllung der aus der Richtlinie folgenden Pflichten noch bis 2024 Zeit. Erst dann muss das nationale Einlagensicherungssystem das geforderte Kapitel aufweisen . Ich habe versucht, im Vorfeld in Erfahrung zu bringen, wie viel Geld in den Einzelstaaten in diesem Jahr in dieses System schon eingezahlt wurde . Offensichtlich hat die Kommission keinen Überblick darüber . Trotz all dieser Umsetzungsmängel hat die Kommission jetzt ihren Verordnungsentwurf zur Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems mit folgenden Worten begründet - ich zitiere -: Risiken würden breiter gestreut . - Aber genau darum geht es uns nicht . Wir wollen in diesem System Risiken minimieren . ({4}) Wir wollen nicht einfach Risiken aus Einzelstaaten auf die Allgemeinheit der Europäischen Union übertragen, sondern wir wollen, dass überall die Risiken minimiert werden . ({5}) Auch da zitiere ich wieder gerne aus der Mitteilung, die am selben Tag wie der Verordnungsentwurf bekannt gemacht wurde, der heute zur Diskussion steht: Die mit diesen Maßnahmen einhergehende Risikoteilung muss jedoch durch Maßnahmen flankiert werden, die gleichzeitig mit der schrittweisen Errichtung des EDIS - also der vergemeinschafteten Einlagensicherung zur Reduzierung der Risiken im Bankensektor ergriffen werden . Das Gegenteil schlägt der Verordnungsentwurf derselben Kommission am selben Tag vor . Erst vergemeinschaften und dann weiter über Risiken diskutieren, das ist nicht der richtige Weg . Wir sollten uns zügig daranmachen, die Risiken und Umsetzungsdefizite zu reduzieren. Wenn wir das geschafft haben, kann über weitere Vergemeinschaftungen wohl diskutiert werden, aber die Reihenfolge muss richtig sein: Risiken herunter, dann über Vergemeinschaftung nachdenken . Ich danke Ihnen . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Axel Troost, Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Koalition gegen ein gemeinsames europäisches Einlagenversicherungssystem hat, was den Forderungsteil angeht, vor drei Monaten hier schon einmal in praktisch gleicher Form vorgelegen . Wir haben ihn damals abgelehnt, und wir lehnen ihn auch heute ab . Was sich an dem Antrag geändert hat, sind im Wesentlichen erstens der Adressat und zweitens die Begründung . Im November ging der Antrag noch an die Bundesregierung, um ihr den Rücken zu stärken, gegen die Forderungen der Kommission vorzugehen . Jetzt ist die Kommission der Adressat geworden . Im November waren wir uns zumindest noch einig, dass es inakzeptabel ist, dass in einer gemeinsamen Sicherung die Sparkassen und Volksbanken für die Einlagen riskanter Geschäftsmodelle der Groß- und Investmentbanken geradestehen müssen . Auch darin stimmen und stimmten wir durchaus überein . Einer Europäisierung der Einlagensicherung kann unsererseits nur zugestimmt werden, wenn unterschiedliche Banktypen und unterschiedliche Geschäftsmodelle auch unterschiedlich abgesichert werden, wenn also die Einlagensicherungssysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht verwendet werden können, um die privaten Banken zu sichern . ({0}) Den entsprechenden Teil haben Sie aber leider komplett aus der Begründung gestrichen . Nach acht Jahren Finanz- und Bankenkrise wissen wir alle, dass eine Regierung nicht einmal eine einzelne Großbank, geschweige denn ein gesamtes Bankensystem in die Insolvenz schicken kann, weil das verheerende Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch den Staatshaushalt hätte . Sie haben trotz aller Regulierungsschritte im Hinblick auf das Problem „too big to fail“, wie es auf Englisch so schön heißt, also „zu groß, um es kaputtgehen zu lassen“ bzw . „so groß, dass es mit staatlichen Mitteln gerettet werden muss“, nicht an einer Verkleinerung der Großbanken gearbeitet . Meine Vorrednerin, Frau Tillmann, hat den Abwicklungsmechanismus, so wie er beschlossen ist, dargestellt . Aber wir sind uns immer einig gewesen, dass das bei den wirklich großen Einheiten, den Großbanken, nicht ausreichen wird . Ein Rettungsfonds als letzte Maßnahme, der europaweit 50 Milliarden Euro im Jahr 2023 umfassen wird, wird nicht einmal reichen, um auch nur eine große Bank zu retten . Insofern müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass in diesem Bereich nicht nur nichts geschehen ist, sondern dass auch aufgrund von wirtschaftlichen Schieflagen im Rahmen der Bankenkrise mittelgroße Banken in Europa mit Unterstützung der Regierungen im Rahmen der Bankenrettung zu angeschlagenen Megabanken fusioniert worden sind . Wir haben damals das Gegenteil gefordert, und das tun wir auch jetzt . Wir glauben, man muss Regulierung betreiben, indem man den Bankensektor insgesamt umbaut, ihn stabiler macht und die Sparkassen und Genossenschaftsbanken - auch die in anderen Ländern stärkt und auf der anderen Seite die Gigagroßbanken deutlich verkleinert . ({1}) In diesem Bereich hat die Bundesregierung weder national noch auf europäischer Ebene wirkliche Initiativen ergriffen . Das ist nicht verwunderlich, weil man sich damit natürlich mit den Mächtigsten dieser Gesellschaft und dieser Wirtschaft anlegt; aber es ist notwendig, wenn man Einlagensicherung vernünftig betreiben will, wenn man sicherstellen will, dass Bankenpleiten und daraufhin der Einsatz von Steuergeldern verhindert werden können . ({2}) Ich habe in der Novemberdebatte 2015 gesagt: Es wäre also mehr als ratsam, schon jetzt die Sicherungseinrichtungen für die Einlagen „möglichst breit aufzustellen und nicht selbstgefällig zu glauben, die nächsten Bankenzusammenbrüche und Entschädigungsfälle in Europa würden immer nur weit entfernt von Frankfurt passieren“ . Das war im November . Seitdem ist es in der Tat so, dass man sich auch in Deutschland vorstellen kann, dass es zu Schieflagen im Bankenbereich in Frankfurt kommen kann . Die Aktienkurse insgesamt sind in den letzten drei Monaten um 25 Prozent gesunken . Die Commerzbank hat einen Absturz ihrer Aktie um 40 Prozent erlebt . Der Wert der Aktie der Deutschen Bank hat sich mehr als halbiert . Insofern: Davon auszugehen, dass nur in anderen Ländern, aber nicht in Deutschland Probleme auftauchen, ist, glaube ich, sehr vermessen . Deswegen wollen wir eine Europäisierung des Sicherungssystems . Natürlich muss in den anderen Ländern Druck gemacht werden, dass die entsprechenden Maßnahmen, was Bankenabwicklung und Rettungsfonds angeht, umgesetzt werden . Aber wir brauchen eine europäische Lösung für die Einlagensicherung . Danke schön . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Manfred Zöllmer . ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Bankkunden in Deutschland wurden im letzten Monat von ihrer Bank oder Sparkasse über eine Umstellung der Einlagensicherung informiert, über die Obergrenze von 100 000 Euro pro Konto und über ein paar andere Veränderungen, die wir hier beschlossen haben . Angesichts der aktuellen medialen Debatte über einen möglichen Bankencrash in Deutschland fragen sich viele: Wie sicher ist eigentlich mein Geld? Die Krisenhysterie, die von manchen verbreitet wird, geht mir - das muss ich in aller Deutlichkeit sagen - wirklich auf den Geist . Deshalb sei für alle Hysteriker noch einmal klargemacht: In Deutschland ist das hohe Schutzniveau für Einlagen garantiert . Mit dem Einlagensicherungsgesetz wurde in Deutschland die europäische Richtlinie zur Einlagensicherung fristgemäß umgesetzt . ({0}) Wir haben festgelegt, dass jedes Land seinen eigenen Einlagensicherungsfonds bis zur Höhe von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen national aufbauen muss . Die bewährten Institutssicherungssysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken und die Sicherungssysteme der privaten Banken bleiben erhalten . Axel, eines muss ich jetzt zu deiner Rede sagen: Ihr fallt mit eurer Position den Sparkassen und Genossenschaftsbanken voll in den Rücken; denn die Sicherungssysteme würden bei einer Veränderung nicht erhalten werden können . ({1}) Damit sei nun die dritte Säule der Bankenunion in Europa erst einmal aufgebaut, dachten wir . So dachten wir, aber offensichtlich nicht die Europäische Kommission . Vor kurzem hat sie einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der in sieben Jahren in drei Stufen eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung in Europa zum Ziel hat . Der deutsche Einlagensicherungsfonds soll also auch in Zukunft zur Finanzierung der Einlagensicherung in anderen europäischen Ländern herhalten, wenn dort Banken abgewickelt werden müssen . Welchen Sinn macht das? Die aktuelle Lage in Europa ist, vorsichtig formuliert, unübersichtlich . Es gibt eine Vielzahl von Krisenherden . Seit Anbeginn der Diskussion über die Bankenunion haben wir Sozialdemokraten deutlich gemacht, dass eine gemeinsame Einlagensicherung in Europa erst dann umgesetzt werden kann, wenn dafür die Voraussetzungen gegeben sind . Wir sind davon überzeugt, dass eine Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu mehr, sondern zu weniger Stabilität in Europa führen würde . ({2}) Zum Stichwort „Solidarität“ . Solidarität ist im Nachgang der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise durch Deutschland nun wirklich in beeindruckender Weise geleistet worden . Ich nenne hier nur als Stichworte „ESM“ und „Bankenabwicklungsfonds“ . Das jetzige System, das wir in Europa beschlossen haben, ist ein flexibles System. Es besteht die Möglichkeit, von anderen Einlagensicherungen Kredite zu bekommen, und die Sicherungssysteme einzelner Länder können auch, wenn das gewollt ist, zusammengelegt werden. Wir haben damit ein flexibles und schlagkräftiges Einlagensicherungssystem in Europa aufgebaut . Voraussetzung dabei ist, dass die einzelnen Länder die Vorgaben auch entsprechend umsetzen . Das ist bisher leider noch nicht in vollem Umfang geschehen . Bei der Aufarbeitung der Finanzmarktkrise haben wir beharrlich das Ziel verfolgt, den Steuerzahler in Zukunft nicht mehr für die Zockerei der Banken bluten zu lassen . ({3}) Mit der Umsetzung der Abwicklungsrichtlinie und den Bail-in-Regeln müssen in Zukunft die Eigentümer und die Gläubiger die Haftung übernehmen, nicht die Steuerzahler . Aber mit einer gemeinsamen Einlagensicherung zum jetzigen Zeitpunkt würde dieses Vorhaben unterlaufen . Die Gefahr von Fehlanreizen würde deutlich erhöht . ({4}) - Aber natürlich, liebe Kollegin von den Grünen . - Die Gefahr von Fehlanreizen würde erhöht . Nationale Politiker könnten dann das Insolvenzregime unterlaufen und die Haftung abwälzen . Nationale Regierungen könnten den Banken zusätzliche Risiken aufbürden, Banken schwächen . Andere Länder müssten dann für die Folgen einer falschen Politik haften . Statt Risiken in den Banken zu reduzieren, könnten zusätzliche Risiken aufgebaut werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen erreichen, dass die von Banken für Staaten und die von Staaten für Banken ausgehenden Risiken weiter deutlich verringert werden . Risiko und Haftung müssen zusammenfallen . ({5}) Wir können also feststellen: Das Vorhaben der Kommission führt nicht zu mehr Stabilität, sondern letztendlich zu mehr Instabilität in Europa . Dies wollen wir verhindern . Die Umsetzung des Vorhabens soll nach Auffassung der Kommission auf Artikel 114 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union gestützt werden, weil dann eine qualifizierte Mehrheit ausreicht. Mehrere Rechtsgutachten, unter anderem auch des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, haben deutlich gezeigt, dass dies keine tragfähige Rechtsgrundlage ist, weil damit ein neues Finanzierungsinstrument auf europäischer Ebene geschaffen würde . Wenn dies jemand will, muss er schon für Einstimmigkeit in Europa sorgen . Wir wollen eine solche Zwangshaftung jedenfalls nicht . Wir erwarten, dass sich die Kommission dafür einsetzt, dass geltendes europäisches Recht auch in allen Ländern umgesetzt wird . Eine vergemeinschaftete Einlagensicherung kann es erst dann geben, wenn die vorhandenen Risiken in den Banken abgebaut worden sind, die Banken in Europa über ausreichend Kapital verfügen, um im Krisenfall Verluste ausgleichen zu können, und die nationalen Sicherungstöpfe aufgebaut sind . Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Antrag stärken wir der Bundesregierung für die Verhandlungen in Brüssel den Rücken und signalisieren der Kommission, dass sie bei diesem Vorhaben mit falscher Geschwindigkeit auf einem falschen Gleis unterwegs ist . Wenn das, was die Kommission vorhat, so umgesetzt würde, dann wäre es so, als ob man einen Vampir zum Chef der Blutbank machen würde . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die Grünen .

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einschneidende Finanzkrisen überfordern jedes noch so stabile nationale System, auch das deutsche . Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Nur in Irland und Griechenland wurde mehr Steuergeld für die Rettung strauchelnder Banken ausgegeben als in Deutschland . Unsere Landesbanken waren es, die während der Finanzkrise mehr von der Freigiebigkeit unseres Finanzministers als von der viel beschworenen Institutssicherung der Sparkassen profitierten. Auch die Einlagensicherung der Privatbanken wurde von der Pleite des deutschen Ablegers von Lehman Brothers völlig überfordert . Schon heute besteht also eine Rückversicherung in Deutschland als Gratisleistung des deutschen Steuerzahlers . Aber genau damit, meine Damen und Herren, muss ein für alle Mal Schluss sein in Deutschland und in Europa . ({0}) Deswegen müssen die deutsche Kreditwirtschaft und der deutsche Finanzminister ihre Fundamentalopposition gegenüber einem europäischen Einlagensicherungssystem endlich aufgeben . ({1}) Doch auch die Europäische Kommission macht einen Fehler, wenn sie die schrittweise Vergemeinschaftung der Einlagensicherung fordert. Wir finden, klüger wäre eine europäische Rückversicherung der nationalen Töpfe, die nur im Falle einer nationalen Überlastung greift . Ein solches europäisches Rückversicherungssystem bietet ausreichend Sicherung und ausreichend Gestaltungsspielraum, um funktionierende nationale Systeme wie die Institutssicherung der Sparkassen und der Genossenschaftsbanken und das in sie bestehende Vertrauen der Bankkunden zu bewahren. Die Refinanzierung der Rückversicherung sollte aus unserer Sicht über risikobasierte Gebühren der Banken und nicht über nationale Systeme erfolgen . Aber was machen Sie? Anstatt dem Ansinnen der Kommission mit einem vernünftigen Gegenvorschlag, wie ich ihn gerade skizziert habe, im Geiste der europäischen Gemeinschaft zu begegnen, stoßen Sie unsere Partner in Europa durch sture Denkverbote nur vor den Kopf . ({2}) Sie poltern in Ihrem Antrag, dass „Vorschläge für die Errichtung einer europäischen Einlagensicherung, auch in Form einer Rückversicherung, nicht akzeptabel sind“ . Warum verbauen Sie hier wertvolle Optionen für die Zukunft? Wenn Sie sich eine europäische Einlagenversicherung zwar nicht jetzt, aber mittelfristig durchaus vorstellen können, wie im Ausschuss und auch hier zu vernehmen war, warum steht das dann nicht im Antrag, meine Damen und Herren von der Koalition? ({3}) Warum stattdessen diese bockige Verweigerungshaltung mit offenen Drohgebärden gegenüber unseren europäischen Nachbarn? Das ist nicht nur destruktiv . Es ist auch nicht besonders glaubwürdig für die Sozialdemokratie, wenn deutsche Sozialdemokraten hier Nein sagen, aber in Brüssel Ja sagen . ({4}) Das trägt nicht zu Ihrer Glaubwürdigkeit bei und ist auch gefährlich, meine Damen und Herren . Denn eines hat uns die Euro-Krise doch gelehrt: Kundeneinlagen bei Banken müssen sicher sein - überall in Europa . ({5}) Der integrierte Binnenmarkt und die gemeinsame Währung funktionieren nur, wenn 1 Euro bei einer spanischen Bank nicht weniger wert ist als 1 Euro bei einer deutschen Bank . Ansonsten kommt es bei den ersten Anzeichen einer Krise zu Kapitalflucht und zu einem sich selbst verstärkenden Teufelskreis, der das ganze System, auch das deutsche, gefährden kann . Deshalb brauchen wir neben der einheitlichen Aufsicht und dem einheitlichen Abwicklungsfonds zur Vollendung der Bankenunion den gemeinsamen Fonds zur Rückversicherung der Einlagen . Leider sind wir Grünen derzeit die einzige Partei, die hier und in Brüssel dieselbe Position vertreten . Dabei wissen Sie doch, dass Sie Ihre Blockade gar nicht aufrechterhalten können . Der Internationale Währungsfonds fordert uns dazu auf, die Bankenunion zu vervollständigen . ({6}) Auch die fünf Präsidenten, darunter Herr Juncker, Christdemokrat, und Martin Schulz, deutscher Sozialdemokrat, sagen: Wir brauchen jetzt ein europäisches Einlagensicherungssystem . - Aber was machen Sie? Mit dem Versuch einer Subsidiaritätsrüge haben Sie beim Thema Einlagensicherung schon einmal unser Land in Europa blamiert . ({7}) Was haben Sie daraus gelernt? Weil das mit der Rüge so gut geklappt hat, drohen Sie jetzt mit einer Subsidiaritätsklage . Herzlichen Glückwunsch, meine Damen und Herren . Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Kommissionsvorschlag - ich sagte es - hat seine Schwächen . Aber wir sollten daran arbeiten, ihn zu verbessern, und ihn nicht blockieren . Wir brauchen die dritte Säule . Deswegen lassen Sie mich zum Schluss vier Punkte aus grüner Sicht festhalten: Erstens . Eine europäische Einlagensicherung ist wichtig und richtig, aber als reine Rückversicherung . Zweitens . Bei den Beiträgen zur Rückversicherung muss gelten: riskanteres Geschäft, höhere Beiträge . Drittens . Für den Steuerzahler dürfen keine neuen Kosten entstehen . Die Beiträge müssen die Auszahlungen langfristig decken . Viertens . Voraussetzung für die Teilnahme an der Rückversicherung muss die Umsetzung klarer Haftungsund Abwicklungsregeln sein und selbstverständlich auch die Reduktion nationaler Risiken . Das darf aber kein Vorwand sein, Europa vollständig zu blockieren . ({8}) Ich schließe frei nach einem in diesem Hohen Hause so oft bemühten Satz: Scheitert dieser Koalitionsantrag, gewinnt Europa . Deswegen: Lehnen Sie ihn ab, meine Damen und Herren . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alexander Radwan . ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute schon einige Bemerkungen gehört wie die, dass Europa möglicherweise scheitern wird . Konzentrieren wir uns auf das, was wir heute thematisieren, und schauen wir, ob der in Sonntagsreden immer wieder gepriesene Kampf für die Regionalbanken auch in spürbarem Handeln deutlich wird . Wir haben als Deutscher Bundestag mit unserem ersten Antrag zur Einlagensicherung rechtzeitig unsere Position zur Bankenunion bezogen . Es ging um verschiedene Bereiche wie Abwicklungsmechanismus, Einlagensicherung und Aufsicht . Das ist eine Reihenfolge, die abgearbeitet werden muss . Dabei tauchte am Horizont auch die Frage auf: Soll jetzt auch ein Vorschlag für einen Einlagensicherungsfonds entwickelt werden? - Das war die Ausgangslage vor der entsprechenden Initiative der Europäischen Kommission . Deswegen hatte sich der Antrag damals auch an die Bundesregierung gerichtet . Jetzt kommunizieren wir über den Vorschlag der Europäischen Kommission . Ich halte eine Subsidiaritätsrüge vom Grundsatz her für richtig, da wir so gegenüber der Kommission signalisieren, was wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Diskussion von diesem Vorschlag halten . Ich halte es für falsch, im Europäischen Parlament und im Rat immer nur zuzuschauen, was passiert, und hier dann bei der Umsetzung zu lamentieren: Was passiert denn jetzt mit den Regionalbanken? Jetzt können Sie beweisen, dass Sie Beschlüsse mittragen, die den Regionalbanken in der Perspektive helfen . ({0}) Heute ist der Tag, nicht erst, wenn es um die Umsetzung geht . ({1}) - Ich komme jetzt dazu . Man muss sich einmal den Ablauf anschauen . Sie kennen ihn; Frau Kollegin Tillmann hat darauf hingewiesen - darüber sind sich alle Redner einig -: Die Bankenunion baut auf verschiedenen Elementen auf, die erst vollendet werden müssen . Wir wissen aber, dass die Mitgliedstaaten - erstens - noch nicht alles umgesetzt haben . Es wäre die primäre Aufgabe der Kommission, auf eine Umsetzung hinzuwirken, bevor sie mit einem nächsten Vorschlag kommt . Zweitens erleben wir momentan, dass die entsprechenden Maßnahmen aufgeweicht werden sollen . Es ist bekannt - nicht erst, seitdem es in den Zeitungen steht -, dass Italien und Frankreich ein anderes Verständnis vom Bail-in haben als der Rat und das Parlament . Für diejenigen, die es nicht verstehen: Bail-in heißt, dass wir zukünftig bei Bankenpleiten nicht mehr den Steuerzahler heranziehen wollen, sondern die einzelnen Haftungen erst einmal vor Ort abgewickelt werden; dies gilt für mindestens 8 Prozent der Verbindlichkeiten . In der Kommission wird auf Druck der Mitgliedstaaten momentan daran gearbeitet, diese Regelung auszuhöhlen . Jetzt kommt der Vorschlag der Kommission . Wenn es nach Ihrer Strategie geht, Frau Kollegin, dann haben wir am Schluss einen Verordnungsvorschlag der Kommission, der mit Sicherheit nicht die von Ihnen genannten vier Punkte berücksichtigen wird . Europa ist - das wissen Sie - kein Wunschkonzert . Vielmehr wird am Schluss ein europäischer Kompromiss stehen, der dazu führt, dass unsere Banken im Rahmen einer Einlagensicherung für andere Banken und damit auch für entsprechende Staatsschulden in Haftung genommen werden, bevor das ganze Konstrukt überhaupt steht . ({2}) - Doch, Herr Kollege . Wenn der Verordnungsvorschlag noch nicht vorliegen würde, könnten wir gar nicht darüber diskutieren und würde er nicht verabschiedet werden . Sie sagen schlicht und ergreifend, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, applaudieren aber, wenn der dritte Schritt vor dem ersten gemacht wird . Hören Sie mit dieser Heuchlerei auf! ({3}) 400 bis 500 Millionen Euro müssten nach den jetzigen Kalkulationen des Genossenschaftswesens für die europäische Einlagensicherung aufgebracht werden . Das ist ungefähr der Betrag, der zurzeit für die Institutssicherung gezahlt wird . In der Perspektive werden wir im Genossenschaftswesen und im Sparkassenwesen die Diskussion haben, ob man dann nicht gleich in die europäische Einlagensicherung einzahlen und den anderen Bereich der Einlagensicherung dafür vernachlässigen sollte . Das Ergebnis des jetzigen Vorschlags wäre, dass Genossenschaftsbanken und Sparkassen doppelt zahlen . Wir können gerne über „too big to fail“ und andere Probleme diskutieren . Aber heute ist die Frage: Ist der Weg, den die Europäische Kommission geht, zum jetzigen Zeitpunkt der richtige? Da sagen Sie Ja, mit dem Ergebnis, dass am Schluss eine Verordnung unmittelbar mit einem Gesetz umzusetzen sein wird, ohne dass die anderen Maßnahmen entsprechend umgesetzt sind . Die Alternative wäre, dass wir als Deutscher Bundestag der Regierung den Auftrag geben: Stoppen Sie das zum jetzigen Zeitpunkt! Sorgen Sie dafür, dass sich die Kommission dafür einsetzt, die Bankenunion erst einmal Realität werden zu lassen! ({4}) Uns geht es darum, in diesem Prozess die Regionalbanken zu stärken . Uns geht es darum, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen - das ist ein wichtiger abschließender Punkt -, dass die Eigenverantwortung der Banken und Mitgliedstaaten gestärkt wird . Darum gilt das, was Wolfgang Schäuble im Rat gesagt hat: Erst ist die Nullgewichtung der entsprechenden Staatsanleihen durchzusetzen, damit hier eine Vergleichbarkeit vorhanden ist . Ansonsten wird die Vergemeinschaftung der Schulden und Risiken in diesem Bereich - davon haben Sie am Anfang Ihres Beitrags gesprochen - auf die Regionalbanken und die kleinen Banken, die eine hohe Stabilität aufweisen, ausgeweitet, bevor die anderen Maßnahmen ergriffen sind . Insofern sage ich Ihnen heute klipp und klar: Setzen Sie sich nicht nur in Sonntagsreden für die Stärkung der Regionalbanken ein, sondern kämpfen Sie mit uns, wenn es notwendig ist, wenn die Zeit dafür gekommen ist jetzt ist die Zeit dafür -, dass auf europäischer Ebene keine Entscheidungen getroffen werden, die unsere Regionalbanken schwächen . Besten Dank . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Christian Petry spricht als Nächster für die SPD . ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich empfinde es so, als ob es in dieser Debatte eine Trennlinie gäbe, als ob es darum ginge, pro oder kontra Europa zu sein . Das gibt der Antrag, den wir heute hier debattieren, aber überhaupt nicht her . Ganz im Gegenteil: Es wird ein Antrag verabschiedet, mit dem eine Säule Europas gestärkt werden soll, mit dem verwirklicht werden soll, was wir schon lange beschlossen haben, aber in einem seriösen, stabilen System, nämlich nach der Bankenunion, dem Abwicklungsmechanismus und der Aufsicht zu einem Einlagensicherungssystem in Europa zu gelangen . Die Frage ist, ob das sofort geschehen soll und mit einer Rückversicherung, bei der man die Risiken auf die Versicherungsbranche überträgt - da kann natürlich auch einiges schiefgehen; es ist nicht so, als wäre da alles prima -, oder ob man zunächst noch die großen Banken verkleinert bzw . trennt, damit man nicht immer mit der Systemrelevanz argumentiert . Aber am Ende - Frau Tillmann hat es vorhin ausgeführt - steht doch der gemeinsame Wunsch, ein gemeinsames Sicherungssystem zu verwirklichen . ({0}) Was hatten wir bisher? Bisher haben wir die Rettung von Banken - bei uns und in anderen Ländern - über den Steuerzahler finanzieren lassen. Dann kamen die Bail-in-Instrumentarien . Bei der Einlagensicherung halte ich dies für unabdingbar, damit am Ende nicht wieder der Steuerzahler haftet. Es gibt ja das griffige Argument: Der deutsche Sparer ist verantwortlich für andere . - Wir ersetzen „deutscher Sparer“ aber im Moment durch „deutscher Steuerzahler“, da der im Ernstfall für andere einspringen muss . ({1}) Hier müssen wir einen Weg finden; Herr Radwan hat das auch angesprochen . Das System muss in allen Ländern stabil und sicher sein . Dann kann man es mit den genannten Instrumentarien auf die europäische Ebene heben . Man kann über alles reden, auch über Versicherungen; das ist keine Frage . Die Kommission geht diesen Weg nicht . Letztlich müssen die notwendigen geschätzten 45 Milliarden Euro, die wir für ein stabiles System brauchen, am Ende europäisiert durch die Beiträge eingebracht werden . Deshalb ist es gut, dass wir heute auf die notwendigen Vorarbeiten hinweisen . Es gibt drei Punkte, die teilweise schon genannt wurden: Zum einen ist die Rechtsgrundlage durchaus fragwürdig . Sie ist bequem; dagegen kann man nichts sagen . Aber ist sie wirklich richtig? Der Kollege Dörflinger aus dem Europaausschuss wird gleich sagen: Wir müssen über die Ansätze reden . - Das können wir immer . Nur, arbeiten wir mit solchen rechtlichen Tricks in Europa, mit intergouvernalen Vereinbarungen, wenn gar nichts mehr geht, oder müssen wir Europa so weiterentwickeln, dass wir zu tragbaren Instrumentarien kommen? In diesem Fall wurde es genannt: Es ist fragwürdig . Zum anderen wurde die Folgenabschätzung des Vorhabens von der Kommission nicht in ausreichendem Maße eingebracht . Auch das ist zu kritisieren . Das tun wir; es ist Bestandteil unseres Antrags . Zum Dritten ist zu erwähnen, dass alle wichtigen Gesetze auf der europäischen Ebene, was die ersten beiden Säulen der Bankenunion betrifft, in vielen Staaten noch nicht umgesetzt sind . Das sind doch wirklich gute Gründe, zu sagen: Wir beauftragen die Bundesregierung zum jetzigen Zeitpunkt, in den Verhandlungen mit der Kommission nochmals eine Änderung des Vorgelegten herbeizuführen, um dann, wenn in Europa tatsächlich alle Hausaufgaben gemacht sind, zur Vollendung der Bankenunion zu kommen . Ich halte es für eminent wichtig, dass wir die Frage der Einlagensicherung - weg vom Steuerzahler, hin zur Haftung und zur Sicherung der Banken untereinander in einem Einlagensicherungssystem - auf Sicht lösen, und zwar insgesamt in Europa . Von meiner Seite stellt sich nur die Frage: Mit welcher Geschwindigkeit tun wir dies, und was sind die Voraussetzungen? Wir haben die Voraussetzungen genannt, sie sind in den europäischen Staaten zu schaffen . Wir sind gerne konstruktiv dabei und nehmen alle Vorschläge auf . Wir arbeiten hoffentlich dauerhaft gemeinsam an dem Ziel, in den nächsten Jahren ein europäisches Einlagensicherungssystem auf einen stabilen Weg zu bringen, damit die Bankenunion, wie wir es bereits beschlossen haben, verwirklicht werden kann . In diesem Sinne wünsche ich uns gutes Arbeiten . Glück auf! ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Thomas Dörflinger für die CDU/CSU. ({0})

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, dass ich zum Ende dieser Debatte, die überwiegend von Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Finanzpolitik bestritten worden ist, mit Ausnahme von Christian Petry als Europapolitiker, ({0}) das, was wir diskutieren, in einen europapolitischen Zusammenhang einordne . Wir haben gestern im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union abseits der engeren finanzpolitischen Agenda gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister über die folgenden Fragen nachgedacht. Erstens: Was macht die europäische Krise heute im Kern aus? Zweitens: Was führt uns aus dieser Krise heraus? Wir waren uns unabhängig von in Nuancen unterschiedlichen Einschätzungen einig, dass es im Kern eine Vertrauenskrise der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Institutionen ist, die sich auch darin begründet, dass nicht jede Entscheidung so ohne Weiteres nachvollziehbar ist, was in einem direkten Zusammenhang mit dem steht, was Alexander Radwan eben vorgetragen hat, nämlich dass man eine zweite Baustelle eröffnet, während die erste noch nicht abgearbeitet ist . Das ist quasi das Kronbeispiel für das Zusammenspiel von nationalem und europäischem Einlagensicherungssystem: Wenn es hierzu Vorschläge gibt, die sich nicht nur zeitlich, sondern auch qualitativ überlappen, dann blickt niemand mehr so richtig durch, was eigentlich gewollt ist . Ich kann meine Vorredner, egal von welcher Fraktion, in ihrer Position nur unterstützen, wenn sie sagen: Die eigentliche Kernbotschaft der Finanz- und Bankenkrise der Jahre 2008 ff . war, dass wir dem alten marktwirtschaftlichen Grundsatz, dass Risiko und Haftung zusammengehören müssen, auf Dauer wieder Geltung verschaffen . Das heißt, dass jedes Mitgliedsland der Europäischen Union wissen muss, dass es die Verpflichtung hat, das System der nationalen Einlagensicherung umzusetzen was wir in der Bundesrepublik Deutschland schon seit vielen Jahren mit Erfolg praktizieren -, und dass logischerweise wir, alle 28 Mitgliedstaaten, miteinander in der Verpflichtung stehen, zunächst einmal der Aufforderung der Europäischen Kommission Genüge zu tun, diese nationalen Einlagensicherungssysteme einzurichten . ({1}) Das ist bislang von einer Reihe von Mitgliedstaaten umgesetzt worden - Antje Tillmann hat zu Recht darauf hingewiesen - und von einer Reihe von Mitgliedstaaten eben nicht . Damit kommen wir zu einem zweiten Kernproblem der Europapolitik: die Kommission als Hüterin der Verträge einerseits und die Kommission als Gesetzgeberin andererseits . Das muss nicht in jedem Einzelfall zwangsläufig zu einem Konflikt führen, aber im vorliegenden Fall ist das offensichtlich ein Konflikt, weil die Kommission als Hüterin der Verträge eigentlich primär das Augenmerk hätte darauf richten müssen, dass der Richtlinienvorschlag zur Errichtung der nationalen Einlagensicherungssysteme zunächst einmal von allen umgesetzt wird . Wenn man auf die Idee kommt - was meine und unsere Position nicht ist -, dass es darüber hinaus noch anderer Maßnahmen bedarf, kann man anschließend darüber nachdenken, aber erst machen wir die eine Baustelle zu . Erst dann diskutieren wir darüber, ob wir eine zweite Baustelle aufmachen . ({2}) In diesem Zusammenhang kann ich Herrn Zöllmer nur unterstützen, der gefordert hat, dass wir uns sowohl unter finanzpolitischen als auch unter europapolitischen Gesichtspunkten noch einmal mit der Rechtsgrundlage des Vorschlages befassen . Artikel 114 AEUV, der besagt, dass die Verhältnisse innerhalb des Binnenmarktes angeglichen werden sollten, ist nach meiner festen Überzeugung - da teile ich Ihre Einschätzung - gerade im vorliegenden Fall nicht einschlägig . Wenn wir uns im ersten Schritt zunächst auf die Institute konzentrieren, die Mitglied der Bankenunion sind, und es für alle anderen nicht gilt, dann ist die Folge nicht mehr Wettbewerb, sondern Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Europäischen Union . David Cameron geht es bei seinem Vorschlag, der in einem anderen Zusammenhang gemacht wird, natürlich genau um diesen Punkt, und er fühlt sich in seiner Auffassung bestätigt . Deswegen macht die Kommission am Ende des Tages mit ihrem Vorschlag genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich will . ({3}) Deswegen ist mein Ansatz - ich weiß nicht, ob es Zufall ist, dass der Deutsche Sparkassen- und Giroverband seine Geschäftszahlen für 2015 gerade heute veröffentlicht hat; vermutlich schon -, dass wir uns gemeinsam in der Verpflichtung sehen, die gut funktionierenden Regionalbankensysteme, in der Sparkassenorganisation genauso wie im Genossenschaftswesen, vor Gefahren, die ihnen zum Beispiel aus einem solchen Vorschlag der Europäischen Kommission drohen, zu schützen und gemeinsam dafür zu sorgen, dass das positive Ergebnis für 2015, das unsere Sparkassen am heutigen Tag präsentiert haben - davon profitieren mittelbar letztlich auch Vereine und Verbände in unseren Wahlkreisen -, dieser und vergleichbarer Organisationen auch in Zukunft in der Weise erhalten bleibt, dass sie ihrer Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit nachkommen können . Herzlichen Dank . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/7644 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung ({0}) Nr . 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems, hier: Politischer Dialog mit der Europäischen Kommission . Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Antrag ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Damit verlassen wir diesen Tagesordnungspunkt, und ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cem Özdemir, Claudia Roth ({1}), Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren Drucksache 18/7648 Über diesen Antrag - darauf weise ich jetzt schon hin - werden wir später namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Widerspruch oder abweichende Meinungen sehe ich keine . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Cem Özdemir für Bündnis 90/Die Grünen .

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute befassen wir uns zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode mit dem Völkermord an den Armeniern, den Aramäern, den Assyrern und anderen christlichen Minderheiten wie den Chaldäern und den Pontusgriechen, der vor 100 Jahren im Osmanischen Reich stattgefunden hat . Das war bereits vor 100 Jahren Thema im Reichstag . Eduard Bernstein und Karl Liebknecht, damals noch Mitglieder der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, ({0}) haben die Reichsregierung zum Handeln gegen die drohende Ausrottung ihrer christlichen Mitbrüder und -schwestern aufgefordert - vergeblich . Es gab übrigens auch einen prominenten Katholiken und Zentrumspolitiker, Matthias Erzberger, der versuchte, zu retten, was nicht mehr zu retten war . Die Reichsregierung hatte sich für eine Politik entschieden, die man heute wohl als die zynische Variante der Realpolitik bezeichnen würde . Es ging darum, einen Verbündeten, den man dringend brauchte, koste es, was es wolle, bei der Stange zu halten . Wenn man die Zeitungen von heute liest, kommt einem manches davon ziemlich bekannt vor; denn auch aktuell geht es für die Bundesregierung vor allem darum, den türkischen Staatspräsidenten - das Thema von heute ist ein Beispiel dafür - auf keinen Fall zu verärgern . Nach der allseits gelobten Debatte vom 24 . April des vergangenen Jahres haben wir, Koalitionsabgeordnete wie Oppositionsabgeordnete, uns in die Hand versprochen, dass wir den Geist dieser Debatte und die Worte unseres Bundespräsidenten, aber auch die Worte unseres Bundestagspräsidenten - ich will mich für deren Gradlinigkeit hier noch einmal ausdrücklich bedanken ({1}) in einen interfraktionellen Antrag münden lassen . Der Antrag, der heute vorliegt, ist das Resultat dieses Prozesses . Sie wissen es: Wir haben mit den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gemeinsam verhandelt . Leider haben dann die Spitzen der Koalitionsfraktionen beschlossen, dass dieser Antrag nicht gemeinsam eingebracht werden soll, aus Furcht - man muss sagen: aus vorauseilendem Gehorsam -, weil das Herrn Erdogan möglicherweise verärgern könnte . Dazu muss man wissen: Nach dem 24 . April letzten Jahres gab es gar keine Reaktion aus der Türkei . Das heißt, Sie spannen den Schirm schon auf, bevor es regnet . Wir von Bündnis 90/Die Grünen stehen zu diesem Kompromiss . Er war damals übrigens vor allem für uns ein Kompromiss . Denn dieser Antrag besteht zu weit über 80 Prozent aus Ihrem ursprünglichen Antrag, ergänzt um wenige Spiegelstriche von uns und die Rede des Bundespräsidenten . Ich kann nicht verstehen, warum Thomas Dörflinger man diesem Antrag nicht zustimmen kann, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen . ({2}) Ich will auch das sehr klar sagen: Was der Deutsche Bundestag debattiert und beschließt, kann und darf einzig und allein hier in Deutschland entschieden werden . Kein ausländischer Staatspräsident hat zu entscheiden, was in Deutschland beschlossen wird, und keine Vorlage dieses Parlamentes darf ausländischen Staatsleuten zur Vorlage gemacht werden . ({3}) Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da machen? Ist Ihnen klar, welche Einladung Sie damit im Hinblick auf künftige Beratungen des Bundestages aussprechen? Ich frage mich auch, welches Geschichtsverständnis dem eigentlich zugrunde liegt, wenn man weiß, welche Mitverantwortung wir als Rechtsnachfolger des Deutschen Kaiserreiches für die Vernichtung der Armenier haben . Allein die historische Verantwortung und das Geschichtsbewusstsein sollten dazu führen, dass Sie heute gemeinsam mit uns stimmen . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wahrscheinlich auch das Argument des falschen Zeitpunkts kommen wird: Ich weiß, für diese Frage gibt seit 100 Jahren keinen richtigen Zeitpunkt . ({5}) Übrigens: Bei einem interfraktionellen Antrag hätten Sie den Zeitpunkt bestimmen können; Sie hätten das völlig in der Hand gehabt . Ich hätte allem zugestimmt - Hauptsache, wir machen das interfraktionell und setzen damit jenseits der Parteipolitik ein Zeichen, dass dieses Parlament in Gänze nach 100 Jahren für das, was damals Schreckliches geschehen ist, Verantwortung übernimmt . Vielleicht ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Definition von Realpolitik - ich glaube, ein bisschen verstehe ich von diesem Thema -, dass unsere keine zynische, sondern eine wertegeleitete Realpolitik ist . Das würde ich mir bei diesem Thema auch bei Ihnen wünschen . ({6}) Meine Damen, meine Herren, um auch das sehr klar zu sagen: Das Schicksal von Armeniern und von Christen in der Türkei darf nicht mit dem verrechnet werden, was aktuell in der Flüchtlingspolitik geschehen muss . ({7}) Lassen Sie mich zum Schluss, da ich nur wenig Redezeit habe, den armenischen Erzbischof Karekin Bekdjian, den Primas der Diözese der Armenischen Kirche in Deutschland, der mir folgende Zeilen geschrieben hat, zitieren: Unser Ziel ist Wahrheit und Versöhnung . In der Türkei erhebt die Zivilgesellschaft ihre Stimme . Sie setzt sich mit der eigenen Geschichte offen auseinander - trotz drohender Unterdrückung seitens des Staates . Ein klares Signal aus Deutschland würde diese Kräfte stützen und den Dialog, auch den innertürkischen, stärken . Denn wahre Demokratie beginnt mit Bekenntnis . Deutschland kann einen spürbaren Beitrag zu Wahrheit und Versöhnung leisten, wenn es die Wahrheit gemäß der UN-Genozidkonvention ausspricht . Ich zitiere weiter: Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, handeln Sie am 25 . Februar 2016 im Sinne der Wahrheit! Diesen Worten der Verständigung und der Versöhnung habe ich nichts hinzuzufügen . Herzlichen Dank . ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Klaus Brähmig . ({0})

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich steht außer Frage: Die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über 1 Million ethnischer Armenier durch das jungtürkische Regime 1915 war ein Völkermord . Leider ist er nicht der einzige geblieben, an dem Deutschland im 20 . Jahrhundert direkt oder indirekt beteiligt war . Wir als Regierungskoalition und wahrscheinlich das ganze Hohe Haus gedenken in Respekt der Opfer und wissen um die Verantwortung, die damaligen Verbrechen weder zu verdrängen noch zu beschönigen . Als Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung werde ich mich persönlich mit meinen Kollegen bei der Konzeption der Dauerausstellung im Deutschlandhaus dafür einsetzen, dass diese historische Katastrophe für das stolze armenische Volk eine angemessene Würdigung erhält . ({0}) Selbstverständlich dürfen wir als Deutsche niemanden über den Umgang mit seiner Vergangenheit belehren . Allerdings können wir auf unsere Erfahrung hinweisen, und alle Völker, die Schuld auf sich geladen haben, ermutigen, sich der eigenen Geschichte zu stellen . ({1}) Das haben wir Deutsche nach anfänglich heftigen Verdrängungsversuchen wie kein anderes Volk getan . InsoCem Özdemir fern können wir uns heute beim Thema „Aufarbeitung von Vergangenheit“ durchaus als Vorbild sehen, ({2}) aber mit verflixt viel Abstand zum Kriegsende. Deswegen können wir sagen, dass nur ein selbstkritisches Bekenntnis zur Wahrheit eine Chance auf Versöhnung eröffnet .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Brähmig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte .

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Kollege Brähmig, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Mit Blick auf das Selbstbewusstsein Deutschlands und seine eigene Geschichte habe ich eine Frage bezüglich des Völkermordes an Sie, den das Deutsche Reich an den Herero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 in seiner damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika - das ist heute Namibia - begangen hat . Bis heute scheut der Deutsche Bundestag in Gänze, diesen Völkermord als genau das zu benennen, was er ist: ein Völkermord . Ich wundere mich schon, wie Sie sagen können, dass wir hier allen Anlass haben, selbstbewusst anderen Ländern zu sagen, wie sie handeln müssen . Also wann wird auch die CDU/CSU-Fraktion bereit sein, eine Entschließung des Bundestages zu unterstützen, die diesen Völkermord auch als Völkermord benennt? ({0})

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Liebich, das ist heute nicht das Thema . Ich denke, zu gegebener Zeit kann man auch darüber sprechen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, zugleich ist dieses Verhalten Grundvoraussetzung, aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen und die Fehler nicht zu wiederholen . Dabei verweise ich ausdrücklich auf die aktuelle Situation in der Levante . Wir als Deutsche können in diesem Fall schon gar nicht mit erhobenem Zeigefinger auftreten, da die deutsche Reichsregierung über die türkischen Gräueltaten umfassend informiert war, ({0}) dem Massaker aber tatenlos zusah . Wer diese Mitschuld leugnet, verliert seine Glaubwürdigkeit gegenüber den beteiligten Nationen Armenien und Türkei . ({1}) Bereits in der Plenardebatte des letzten Jahres haben sich alle demokratischen Parteien deutlich zu den Geschehnissen positioniert . Unzweifelhaft haben alle Fraktionen die damaligen Geschehnisse historisch als Völkermord eingeordnet . Insofern mag zwar der heutige zusätzliche Antrag von Bündnis 90/Die Grünen durch Verschriftlichung der weiteren Klarheit dienen . Gleichzeitig bezweifle ich aber, dass ein Beschluss zum jetzigen Zeitpunkt unserem gemeinsamen Ziel - dem einer sachlichen Aufarbeitung in der Türkei durch die Türkei dienen wird . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Realität in der Diskussion lautet: Wer sich mit dem Thema „Völkermord an den Armeniern“ auseinandersetzt, klagt niemanden an, der heute noch lebt . - So wie wir Deutsche uns gegen die Erbschuldthese nach dem Zweiten Weltkrieg gewehrt haben, so müssen die Türkei und die Türken nicht befürchten, dass ihnen und ihren Enkelkindern die Schuld aufgeladen wird . ({3}) Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht für das verantwortlich, was vor 100 Jahren geschah . Sie kann aber dafür Sorge tragen, dass eine unrühmliche Vergangenheit in eine gute Zukunft gewendet werden kann . Diese Sensibilität für Geschichte könnte der Türkei auch bei der Lösung innenpolitischer Probleme behilflich sein. ({4}) Von uns muss auch ausdrücklich anerkannt werden, dass gerade die Türkei mit der Aufnahme von weit über 2 Millionen syrischen Flüchtlingen eine gewaltige humanitäre Hilfeleistung erbringt . Dies kann meines Erachtens aber nicht dazu führen, dass wir völlig unkritisch miteinander umgehen . Aber Diplomatie ist auch eine Anerkennung des Machbaren und eine Analyse der eigenen Interessen . Deshalb brauchen wir keine Anträge, die einseitig zum türkeikritischen Signal hochstilisiert werden könnten . Wir als deutsche Volksvertreter haben derzeit doch ein besonderes Interesse daran, die Zusammenarbeit mit der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise fortzusetzen . Damit meine ich nicht nur, dass die Türkei beim Stopp des Flüchtlingsstroms Verantwortung übernimmt . Zur Wahrheit gehört doch auch, dass sich der Großteil der Syrer immer noch Hoffnung auf eine Zukunft im eigenen Land macht . Insofern sollten wir durch eine schnelle Bereitstellung von deutlich höheren Finanzmitteln den Menschen einen menschenwürdigen Verbleib in der Türkei ermöglichen, bis Syrien befriedet ist . ({5}) Nach meinen Informationen sieht auch die Genfer Flüchtlingskonvention idealtypisch immer eine krisennahe Unterbringung für Flüchtlinge vor . Das wäre ein Erfolg, denn die risikoreiche Reise würden sich die MenKlaus Brähmig schen - gerade auch Familien - ersparen, und nach einer erfolgreichen Befriedung fiele die Rückkehr viel leichter. Auch könnte damit den Schleusern, Schleppern und kriminellen Organisationen das Handwerk gelegt werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts unserer eigenen Geschichte kann ich nur sagen: Aufarbeitung der Vergangenheit ist besonders effizient und nachhaltig, wenn sie aus eigenem Antrieb geschieht . Insofern dürfen wir die Türkei zu einer kritisch-historischen Selbstreflexion einladen . Erfolg wird dieses Projekt aber erst dann zeigen, wenn die türkische Bevölkerung selber Fragen stellt und trotzdem selbstbewusst in die Zukunft schaut . Sie als Angehörige der Partei der Grünen, die immer alles hofft und an das Gute im Menschen appelliert, sollten hier einmal mehr auf Hoffnung setzen . Ich habe die Hoffnung, dass in zukünftigen Jahren auch in der Türkei eine Jugend vorhanden ist, die mehr Offenheit für historische Wahrheit und Versöhnung zeigt . ({6}) Das geschieht jedoch nur dann, wenn kein Druck von außen ausgeübt wird . Dem Ziel des Antrages bleiben wir aufgeschlossen gegenüber und sehen es als notwendig an . Gleiches gilt für die Partnerschaft mit dem armenischen Volk und seinen aktuellen Herausforderungen . Aus den oben genannten Gründen können meine Fraktion und ich diesem Antrag heute nicht zustimmen . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vergangenen Jahr waren sich in der Tat alle Fraktionen und Redner hier einig, dass es sich bei den Massakern und den Vertreibungen von 1,5 Millionen Armeniern um einen Völkermord handelt . Es würde diesem Hause wirklich gut anstehen, diese Einigkeit in einen gemeinsamen Antrag münden zu lassen . Die Grünen setzten sich aber nur mit den Regierungsfraktionen zusammen . ({0}) Die Linke, die damals als PDS eine der ersten Fraktionen war, die dieses Thema hier auf die Tagesordnung gesetzt haben, wurde einfach außen vor gelassen. Das finde ich wirklich beschämend . ({1}) Um den türkischen Despoten Erdogan vor der erhofften Flüchtlingsabschottung nicht zu verärgern, hat die Bundesregierung das Thema Armenien nun in der Tat auf Eis gelegt . Ganz offenbar - das ist wirklich ein Skandal lässt sich die Bundesregierung von Ankara diktieren, welche Anträge hier zur Abstimmung gebracht werden . Der jetzt von den Grünen vorgelegte Antrag weist leider zwei entscheidende Schwächen auf: Zum einen drückt er sich vor einer klaren Einordnung der Vernichtung der Armenier als Völkermord, und zum anderen verharmlost er die deutsche Mitverantwortung daran . In der Überschrift wird der Völkermord zwar benannt, doch im Antragstext heißt es nur verwaschen, das Schicksal der Armenier stehe - ich zitiere - „beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja, der Völkermorde, von denen das 20 . Jahrhundert auf so schreckliche Weise gekennzeichnet ist“ . Ich möchte hier auf den polnischen Juristen Raphael Lemkin verweisen . Dieser hat sich bei seiner Ausarbeitung der UN-Konvention gegen Völkermord von 1948 ausdrücklich - neben dem Holocaust - auf den Armeniergenozid bezogen . Meine Damen und Herren, ohne das deutsch-türkische Bündnis im Ersten Weltkrieg wäre der Völkermord an den Armeniern so nicht möglich gewesen . Das haben zahlreiche Historiker nachgewiesen . Hohe deutsche Offiziere sprachen sich für die Vernichtung der Armenier aus . Einige unterzeichneten Deportationsbefehle und ließen armenische Stadtviertel beschießen . Ein deutsches U-Boot rettete jungtürkische Verantwortliche vor der drohenden Strafverfolgung . Darüber findet sich in dem heute vorgelegten Antrag kein Wort . Beklagt wird lediglich „die unrühmliche Rolle des deutschen Reiches“, das nicht einmal versucht habe, dieses Verbrechen zu stoppen . Das ist eine massive Verharmlosung der deutschen Rolle . Es handelt sich hier vielmehr um Beihilfe zum Völkermord . Um zur Aussöhnung von Türken und Armeniern beizutragen, müssen wir uns erst einmal vorbehaltlos zur ganzen deutschen Mitverantwortung bekennen . Alles andere wäre unglaubwürdig und kontraproduktiv . ({2}) Einer solchen Geschichtsklitterung, wie sie im Antrag der Grünen hier heute vorliegt, werden wir nicht zustimmen können . Wir werden uns enthalten . Zum Jahrestag im April werden wir unseren Antrag, den wir vor einem Jahr hier eingebracht haben, erneut zur Debatte stellen . Jetzt noch einiges zur aktuellen Situation: Heute führt die türkische Regierung wieder einen erbarmungslosen Krieg im eigenen Land . Panzer beschießen kurdische Städte, Zivilisten werden lebendig verbrannt, Hunderttausende sind auf der Flucht, darunter aramäische Christen, deren Vorfahren den Genozid überlebt hatten . Auch die historische armenische Sankt-Giragos-Kirche in Diyarbakir wurde gerade von türkischen Soldaten zerstört . Indessen fordert der Bundesinnenminister, man solle die Türkei als Gegenleistung für die Flüchtlingsabschottung nicht mehr kritisieren . ({3}) - Das hat er genau so gesagt: dass wir uns zurückhalten sollen . ({4}) Das erinnert an einen deutschen Reichskanzler von 1915, der Kritik am türkischen Bündnispartner mit den Worten untersagte: Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen . . .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Jelpke .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zu meinem letzten Satz .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nein, Sie haben mich jetzt missverstanden . Ich wollte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiler gestatten .

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, bitte .

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Jelpke, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Ich kenne die Intention und die Ansicht der Linken zu dem Land Armenien, aber auch zu der Türkei sehr gut, das können Sie mir glauben . Als Präsident des Deutsch-Armenischen Forums wünschte ich mir auch so schnell wie möglich eine Lösung in der Sache . Ich glaube aber, dass das Thema Genozid zu wichtig ist, als dass man es zum Spielball der Politik werden lässt . Bald wird bei uns gewählt . In Baden-Württemberg gibt es circa 5 000 Wählerinnen und Wähler, die selber oder deren Nachfahren armenischer Herkunft sind . Es wird der Sache nicht gerecht, wenn man zu diesem Zeitpunkt die Regierungskoalition vor sich hertreiben und nur aus diesem Grunde eine schnelle Entscheidung haben will . ({0}) Ein Antrag der Koalition zu diesem Thema ist fertig, sodass wir ihn in Kürze einbringen könnten . ({1}) Ich glaube, die Art und Weise der Polemik und des Vorführens der Regierungskoalition passen nicht dazu . Dazu ist das Thema viel zu wichtig . Wir werden den Antrag der CDU/CSU-Fraktion baldigst einbringen . Ich würde ihm dann zustimmen . ({2}) Jetzt aber die Frage an Sie . Wenn wir unseren Antrag einbringen, werden dann auch Sie diesem Antrag zustimmen? Sie haben gesagt, Sie werden sich bei der Abstimmung über den vorliegenden Antrag enthalten, weil Sie einen eigenen Antrag vorlegen wollen . Sie hätten heute die Möglichkeit, dem vorliegenden Antrag zuzustimmen . Sie haben aber auch später die Möglichkeit, dem CDU/ CSU-Antrag zuzustimmen . Wenn Ihnen die Sache so wichtig ist, tun Sie das und zeigen Sie Gesicht . Ich wäre Ihnen dafür sehr dankbar . ({3})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, erster Punkt . Wenn Sie genau diesen einen Antrag vorlegen sollten, ist die Frage, ob die Kritik, die ich hier sehr deutlich formuliert habe, darin berücksichtigt wird . Es geht darum, den Mord an dem armenischen Volk eindeutig so zu bezeichnen und nicht so vernuschelt zu formulieren . Zweiter Punkt . Es geht darum, die deutsche Mitbeteiligung und Mitverantwortung, die Rolle, die Deutschland dabei gespielt hat, aufzuarbeiten und sich dazu zu bekennen . - Das ist der erste Schritt, um zu einer wirklichen Verständigung bzw . zu Frieden zwischen Armeniern und Türken zu kommen . Dritter Punkt. Ich finde sehr wohl, dass die aktuelle Situation in der Türkei/Kurdistan genau damit etwas zu tun hat . Sie verschieben den Antrag und legen das Thema auf Eis, weil Sie Erdogan nicht verärgern wollen. Ich finde es schon schlimm genug, dass diese Bundesregierung aus vielerlei Gründen zu dem verbrecherischen Krieg schweigt, den Erdogan in der Türkei/Kurdistan führt . Ich habe hier gesagt: Es werden Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt. Fast über 200 000 Menschen fliehen aus dieser Region . Ihre Politik, was die Türkei angeht, ist wirklich ein Skandal . Deswegen meine ich, dass es richtig ist, auf die aktuelle Situation hinzuweisen und zu zeigen, warum und weshalb die Bundesregierung sich so verhält . Man muss auch klar sagen: Die Bundesregierung steht in dieser Tradition . Auch heute wieder - ich habe gerade zitiert, was der damalige Reichskanzler 1915 gesagt hat -: Sie schweigen, damit die Flüchtlingsabschottung funktioniert . Das geht mit uns nicht . Damit ist meine Rede zu Ende . Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als Nächster spricht der Kollege Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion . ({0})

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24 . April 1915 begann in Konstantinopel das, was sich zu einem Völkermord am armenischen Volk entwickelte . Dort wurden Menschen verhaftet und verschleppt, die nichts, aber auch gar nichts angestellt hatten . Der Grund, warum sie verfolgt wurden, war einzig und allein, dass sie Armenier sind . Es begannen Verschleppungen, Vertreibungen und Vergewaltigungen schlimmster Art . Viele der Menschen, denen man erst ihre Ehre und dann ihr Leben genommen hat, haben noch nicht einmal ein Grab, weil sie einfach in die Wüsten getrieben wurden, wo sie am Ende elendig verhungerten, verdursteten und starben . Es war deshalb gut und richtig, dass genau am 24 . April 2015 zum 100 . Jahrestag des Völkermords an den Armeniern der Deutsche Bundestag in einer, wie ich finde, sehr bewegenden Debatte sich dieses Themas angenommen hat . ({0}) Diese Debatte war davon geprägt, dass so deutlich wie noch nie in diesem Hohen Hause Vertreter aller Fraktionen das, was geschehen ist, auch so benannt haben, wie es sich gehört, nämlich dass es dort einen Völkermord gegeben hat . ({1}) Es war, glaube ich, auch eine Debatte, die aus meiner Sicht deshalb eine Sternstunde des Parlamentarismus war, weil die Rednerinnen und Redner in dieser Debatte mit ihren Wortbeiträgen wirklich versucht haben, ein würdiges und ernsthaftes Gedenken an die Opfer zum Ausdruck zu bringen . Denn das sollte am 100 . Jahrestag im Vordergrund stehen . Es war aber nicht nur deshalb eine Sternstunde, weil es gute Redebeiträge von allen Kolleginnen und Kollegen gab, sondern auch - ich habe es schon betont -, weil der Bundestag zwar noch nicht in einer schriftlichen Entschließung, aber in dieser Debatte keinen Zweifel daran gelassen hat, dass es sich hierbei um einen Völkermord gehandelt hat . Es war für mich auch deshalb eine Sternstunde des Parlaments, weil es für mich auch eine Art Selbstbehauptung des Parlamentarismus war, auch dann heiße Eisen anzufassen und klar zu formulieren, wenn vielleicht der eine oder andere in der Bundesregierung das nicht so gerne sieht. Ich finde, dass das einem Parlament auch gut ansteht . Das Parlament ist nicht der verlängerte Arm einer Regierung, sondern ein eigenständiges Verfassungsorgan . ({2}) Ich bin sehr unglücklich darüber, dass wir heute in der Situation sind, die sich in dieser Debatte ausdrückt, weil wir alle gemeinsam - ich will da überhaupt keine Schuldzuweisungen aussprechen - es nicht geschafft haben, nachdem wir einen so guten Auftakt hatten, mit dieser Debatte möglichst schnell auch zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen, der sicherlich der Sternstunde des Bundestages am 24 . April 2015 gewissermaßen noch eine Krone aufgesetzt hätte . ({3}) Ich finde, dass die heutige Debatte auch deshalb keine Sternstunde des Parlamentarismus ist - ich habe die große Sorge; ich unterstelle niemandem, dass das gewollt ist -, weil die heutige Debatte in der Art, wie sie geführt wird, nicht dem Anspruch gerecht wird, das Gedenken an die Opfer in den Mittelpunkt einer solchen Debatte zu stellen . Ich halte es für völlig legitim, dass eine Fraktion in diesem Hause sagt: Diese Herumeierei und dieses Warten, wenn über vorliegende Anträge nicht abgestimmt wird, machen wir nicht mehr mit, und deshalb bringen wir einen Antrag - der sogar durchaus konsensfähig wäre erneut ein . - Dagegen ist nichts zu sagen . Es gehört zu den Aufgaben und ist auch die Pflicht von Oppositionsfraktionen, da, wo sie kritische Punkte sehen - auch in parlamentarischen Debatten -, die Bundesregierung zu kritisieren, etwa dann, wenn sie das Gefühl haben, dass die Bundesregierung in ihren Äußerungen zum Beispiel gegenüber der Türkei nicht klar genug ist . ({4}) Natürlich ist es richtig, dass man mit dem Satz „Es ist nicht der richtige Zeitpunkt“ alles auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben kann . Aber ich glaube, es ist auch richtig, zu sagen - und ich will es deutlich aussprechen -, dass mit einer Entschließung zu diesem Thema zehn Tage vor einem EU-Türkei-Gipfel niemandem gedient ist, weder den Problemen, die wir dort lösen wollen, noch dem Gedenken an das armenische Volk . ({5}) Der Antrag, der eingebracht wurde, trägt die, wie ich finde, sehr treffende und gute Überschrift „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren“ . Aber wir merken in dieser Debatte: Wir debattieren heute weniger über den Völkermord und das Gedenken daran als über die Frage - diese ist durchaus legitim -, ob sich die Bundesregierung richtig verhält . Aber hätte es dazu der Aufsetzung eines Antrags über einen Völkermord bedurft, oder hätte man besser zum Beispiel in einer Aktuellen Stunde oder in einem Entschließungsantrag auf dieses Thema hinweisen können? Mir bereitet Sorge, dass dieser gut formulierte Antrag zu einem Vehikel für etwas wird, was eigentlich nicht Inhalt dieses Antrags ist . Dann kommen wir zu einem Punkt, wo es schwierig wird, in der heutigen Debatte dem Gedenken an die Opfer gerecht zu werden . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Nietan, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann zu?

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Bitte .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, und vielen Dank, Herr Nietan, für die Zulassung der Zwischenfrage . - Meine Frage an Sie lautet: Mein Kollege Cem Özdemir hat mehrfach darauf hingewiesen, dass unser Antrag nicht vom Himmel gefallen ist, sondern dass wir seit fast einem Jahr mit allen anderen Fraktionen darüber diskutieren, wie wir uns als Parlament zu dieser Frage verhalten, und zwar gemeinsam und nicht nur durch Redebeiträge . Sie haben gerade betont, heute sei nicht der richtige Zeitpunkt . Wann ist denn der richtige Zeitpunkt aus Sicht der SPD-Fraktion?

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank für die Frage. - Ich finde, dass wir unsere Aufgabe verfehlen würden, wenn wir nicht vor Ablauf des Gedenkjahres, also vor dem 24 . April dieses Jahres, zu einer klaren Entscheidung des Bundestages kämen . Spätestens dann ist der Zeitpunkt gekommen, dass wir uns als Parlament damit auseinandersetzen und eine mit möglichst breiter Mehrheit getragene Entschließung treffen . Das ist meine Antwort . ({0}) - Cem, ich gehe darauf gleich noch ein . Ich wiederhole: Das ist heute eine unglückliche Situation. Ich finde es schade, dass es nicht möglich war, interfraktionell zu vereinbaren, dass diese Sitzungswoche nicht der richtige Zeitpunkt für eine solche Diskussion ist und dass eine Verschiebung besser ist . Ich betone noch einmal: Ich will auf niemanden zeigen . Ich glaube, dass wir uns alle nicht mit Ruhm bekleckert haben . Wir hätten verhindern können, in die heutige Situation zu kommen . Nun kommt es dazu - das wissen wir alle; das weißt du auch, Cem -, dass die Koalitionsfraktionen dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nicht zustimmen werden . Die Fraktion Die Linke wird sich enthalten . Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass dieser Antrag heute nicht aus inhaltlichen Gründen keine Mehrheit findet. Ich hoffe zudem, dass der eine oder andere Nationalist in der Türkei nicht auf die Ablehnung durch den Deutschen Bundestag hinweist und behauptet, jetzt sehe man, wie weit man damit gekommen sei . Ich will denjenigen in der Türkei, die solche Gedanken hegen, deutlich sagen: Die Tatsache, dass die Beratungen über diesen Antrag bisher nicht so richtig rundgelaufen sind, sollte niemanden in der Türkei darüber hinwegtäuschen, dass die Zeit, mit Drohungen die Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Verantwortung der türkischen Regierung und des türkischen Volkes hinauszuzögern, vorbei ist . Es wurde gesagt, dass es weite Teile der türkischen Zivilgesellschaft und viele andere Menschen auf der Welt satt haben, dass man sich nicht mehr der geschichtlichen Verantwortung stellt . Deshalb hoffe ich sehr, dass wir bis zum 24 . April dieses Jahres zu einem Antrag kommen . Ich würde mich freuen, wenn es ein gemeinsamer Antrag wäre, gar keine Frage . Wir müssen das auch tun, weil es unsere Verantwortung gegenüber den Opfern ist, keinen Zweifel daran zu lassen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland ihrer Mitverantwortung für das, was damals geschehen ist, stellt . Diese Mitverantwortung hat es gegeben . Ich hoffe, dass es mit einem Beschluss in diesem Jahr nicht zu Ende ist . Ich würde mir sehr wünschen, dass wir überlegen, welchen Beitrag wir auch mit der täglichen Arbeit leisten können, um etwas dazu beizutragen, dass der Völkermord und die geschichtliche Wahrheit nicht unter den Teppich gekehrt werden können . Deshalb fände ich es nicht schlecht, zum Beispiel darüber nachzudenken, welche Möglichkeit es für die Zivilgesellschaft gibt, an den vielen guten Dokumenten, die im Auswärtigen Amt lagern, und die eindeutig beweisen, dass es sich um einen Völkermord gehandelt hat, teilzuhaben . Man kann sie zum Beispiel aufarbeiten, richtig zusammenstellen und auf einer Internetplattform in Deutsch, Englisch, Türkisch sowie Armenisch veröffentlichen . Das wäre zum Beispiel etwas, durch das wir ein sichtbares Zeichen setzen können, dass wir nicht nur Beschlüsse fassen, sondern dass wir auch aktiv daran arbeiten wollen, dass die Wahrheit von keiner Seite unter den Teppich gekehrt werden kann . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es zu Beginn gesagt: Am 24 . April 1915 begann ein schrecklicher Völkermord . Wir dürfen keine Gelegenheit auslassen, deutlich zu machen, dass wir diesen Völkermord nicht unter den Teppich kehren . Wir dürfen bei aller Realpolitik auch nicht in den Verdacht geraten, dass wir ihn unter den Teppich kehren wollen, wenn das für uns einen Vorteil bedeuten könnte . In diesem Sinne wünsche ich mir sehr, dass die Dinge, die auf dem Weg bis heute nicht so gut gelaufen sind, uns allen den richtigen Anstoß geben, uns unterzuhaken und alles dafür zu tun, dass wir möglichst im April dieses Jahres in diesem Hohen Hause ein klares Zeichen dafür setzen, dass wir der Verantwortung gegenüber den Opfern gerecht werden, und auch ein klares Zeichen dafür, dass der Deutsche Bundestag seinen Beitrag zur Versöhnung leistet . Wir wissen es alle: Versöhnung kann nur dann funktionieren, wenn die Wahrheit, die historische Wahrheit offen ausgesprochen wird . Vielen Dank . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Dr . HansPeter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! In einer beeindruckenden Rede hat Bundespräsident Joachim Gauck im April vergangenen Jahres der Hunderttausenden Armenier gedacht, die Opfer von Vertreibung und Massakern wurden . Die schrecklichen Ereignisse liegen zwar über 100 Jahre zurück, doch der Bundespräsident hatte recht, als er dort gesagt hat: Wir gedenken der Opfer, damit sie und ihr Schicksal nicht vergessen werden . Wir erinnern an sie - Herr Özdemir um ihrer selbst willen . Und zu keinem anderen Zweck . ({0}) Wir Deutsche haben am allerwenigsten das Recht, in Angelegenheiten von Völkermord über andere Nationen zu richten . Gerade das Inkommensurable des Holocaust verbietet es uns für alle Zeiten, über andere Nationen zu richten . Doch erwächst aus dem vorangegangenen Tun aus unserer jüngsten Geschichte eine ganz besondere Garantenstellung, was Menschenrechtsverletzungen angeht . Sie müssen, wann immer sie geschehen sind und geschehen, von uns benannt werden und von uns bekämpft werden . An diesem Rednerpult hat uns vor 15 Jahren Elie Wiesel ermahnt . Er hat gesagt: Wer sich dazu herbeilässt, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal . Das soll uns eine Mahnung sein . Als Adolf Hitler im August 1939 den Überfall auf Polen befahl, erwartete er von uns Militärs, „mitleidlos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung … in den Tod zu schicken“ . Als Begründung fügte er 1939 die menschenverachtende Behauptung hinzu: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ Vor zehn Jahren gedachte der Deutsche Bundestag in großer Sachlichkeit, Ernsthaftigkeit und Übereinstimmung über die Parteigrenzen hinweg des Massakers an den Armeniern . Der damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Fritz Kuhn, legte in seiner Rede Wert darauf, nicht auf die Türken zu zeigen, um zu entlarven oder jemanden vorzuführen . Nicht im Gestus eines hohen Gerichts, sondern im ehrlichen Bemühen um die historische Wahrheit sollte die zarte Pflanze der in der Türkei aufkeimenden Erinnerungskultur behütet werden . Das war seine Rede . Wie wohltuend unterscheidet sich dieses damalige Bemühen des Grünen Fritz Kuhn von den heutigen parteipolitischen Aktionen der Grünen . ({1}) Aus dem unbeschreiblichen Leid der armenischen Opfer soll heute parteipolitisch Kapital geschlagen werden; denn worum geht es den Grünen heute wirklich? In wenigen Tagen finden entscheidende Gespräche mit der Türkei statt . Die Bundesregierung versucht, zwischen der Türkei und der Europäischen Union eine Verhandlungslösung in der uns alle sehr bedrängenden Einwanderungs- und Flüchtlingskrise zu finden. Das ist auch ein Versuch, das kriminelle Geschäft der Menschenhändler zu stoppen, dem bereits Tausende von Flüchtlingen im Mittelmeer zum Opfer gefallen sind . In dieser geradezu historischen Situation ist es das Hauptanliegen der Grünen, die diplomatischen Beziehungen zur Türkei zu belasten . ({2}) Das ist schändliches und destruktives Oppositionsverhalten, Herr Özdemir . ({3}) - Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie fallen der Kanzlerin in den Rücken! Wir unterstützen sie bei dem Gipfel! Bleiben Sie doch bei der Wahrheit!) Auch wenn der heutige Antrag der Grünen mit unserer Position inhaltlich übereinstimmt - das wissen Sie -, ({4}) halten wir es, Herr Özdemir, mit Lukas, nachzulesen im Kapitel 4, dritter Vers . Dort sagt Lukas: Gutes in böser Absicht vorgeschlagen, dazu sage man Nein . - Deswegen sagen wir Nein zu diesem Antrag . ({5}) Gutes in böser Absicht vorgeschlagen, dazu sagen wir Nein . ({6}) Wir sagen Nein zu Ihrem Antrag von heute; denn wir wollen das Gedenken nicht instrumentalisieren wie Sie, sondern wir bleiben bei unserem Bemühen, konstruktiv zu einer Versöhnung zwischen den Türken und den Armeniern beizutragen . Aus diesem Grunde werden wir noch in diesem Halbjahr einen Antrag stellen, der Ihnen bekannt sein wird . ({7}) Dann hoffen wir auf konstruktive Mitwirkung . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Dr . Johann Wadephul, ebenfalls von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir geht es ähnlich wie dem Kollegen Nietan, der auch bedauert hat, dass wir nicht schon im vergangenen Jahr die von der CDU/CSU und der SPD gemeinsam erarbeitete Resolution zum Völkermord hier zur Abstimmung gebracht und abgeschlossen haben . Insofern will ich durchaus mit einem Mea Culpa aus Sicht der Unionsfraktion beginnen und feststellen, dass es uns nicht gelungen ist, über die doch in diesem Hause gemeinsam getragene Auffassung, dass es ein Völkermord war, was an den Armeniern verübt worden ist, abzustimmen, und dass es selbstverständlich eine Mitschuld deutscher verantwortlicher Politiker zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts gegeben hat . Daher will ich durchaus zuerst an meine eigene Brust schlagen und sagen: Das hätten wir damals tun müssen . Insofern haben wir eine gewisse Mitverantwortung dafür, dass dieser Antrag jetzt hier zur Abstimmung kommt . ({0}) Dennoch kann ich Ihnen, Herr Kollege Özdemir, nicht ersparen, zu sagen, dass es wahrscheinlich keinen ungünstigeren Zeitpunkt gab, um diesen Antrag zur Abstimmung hier im Deutschen Bundestag zu bringen, als jetzt in dieser politischen Situation, in der wir uns in Europa befinden. ({1}) Es mutet mich immer wieder eigenartig an, dass gerade die Grünen, die uns in den letzten 10, 15 Jahren immer vorgeworfen haben, nicht Türkei-freundlich genug zu sein, die uns ständig aufgefordert haben, möglichst morgen die Türkei mit vollen Rechten in die Europäische Union aufzunehmen, uns heute vorwerfen, dass wir mit der Türkei kooperieren und versuchen, mit der Türkei zu gewissen Vereinbarungen zu kommen . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Wadephul, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende bringen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Okay .

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist doch völlig unbestritten: Die Bundeskanzlerin hat in der letzten Debatte noch einmal gesagt, dass von deutscher Seite selbstverständlich - das ist unverzichtbar und im Übrigen auch von Ihnen gar nicht bestritten - jederzeit und in allen Gesprächen das angesprochen wird, was es an Menschenrechtsverletzungen, Verletzungen der Meinungsfreiheit oder an gescheiterter Kurdenpolitik in der Türkei gibt . All das sprechen wir gegenüber der türkischen Regierung an . Auf parlamentarischer Ebene machen wir das, Herr Kollege; auch auf Regierungsebene wird das gemacht . Wir nehmen gegenüber der Türkei kein Blatt vor den Mund . Darüber gibt es gar keine Diskussion . ({0}) Aber was bewirken Sie mit einem Antrag in dieser Situation? Die Türkei ist ja auch kein monolithischer Block . Mit einem Antrag in dieser Situation stärken Sie die europakritischen Kräfte in der Türkei, die es dadurch in der türkischen Innenpolitik einfach haben, auf Europa zu zeigen, und die es den europafreundlichen Kräften, denjenigen, die für Meinungsfreiheit sind, denjenigen, die wirklich zur Europäischen Union mit ihren Werten wollen, schwermachen . Das wollen wir nicht . Wir wollen in der Tat die Verhandlungen weiterführen, und wir wollen mit den positiven Kräften in der Türkei zusammenarbeiten . Darin könnten Sie uns unterstützen . Da wäre der Einsatz in der Tat gut angebracht . Insofern ist es zum jetzigen Zeitpunkt einfach falsch, diesen Antrag zu stellen . ({1}) Ich denke, wir sollten uns besinnen, ob nicht eine weitere Auseinandersetzung angesichts des Umstandes, dass wir doch darüber einig sind, wie wir diese Sache beurteilen, abgeschlossen werden sollte, ob wir nicht in die parlamentarischen Beratungen zurückkehren und ob wir uns nicht an einen Tisch setzen sollten . Wenn es ein Thema gibt, das sich - Wahlen hin oder her - nun wirklich nicht eignet für Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen, dann ist es doch ein so schwerwiegendes und auch belastendes Thema wie ein Völkermord . Auf die besondere deutsche Sensibilität und Rücksichtnahme haben alle meine Vorrednerinnen und Vorredner schon hingewiesen . Darüber besteht hier bei uns im Deutschen Bundestag doch ein großer Konsens . Deswegen kann der Appell nur sein, dass wir uns, anstatt über eine solche Sache streitig abzustimmen, zusammenDr. Hans-Peter Uhl setzen und den großen Konsens, den es in diesem Hause eigentlich gibt - diesen Hinweis nehme ich gerne auf -, nun auch in absehbarer Zeit zu Ende bringen, indem wir zügig zu einer Beschlussfassung hier im Deutschen Bundestag kommen . Nochmals: In der jetzigen Situation, angesichts der Flüchtlingskrise erweisen Sie all denjenigen, die sich darum bemühen, für mehr Menschlichkeit, für mehr Humanität gerade in der Türkei zu sorgen, einen Bärendienst . Deswegen ein letzter Appell an die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, heute von einer Abstimmung abzusehen und noch einmal in Gespräche mit uns einzutreten . Wir sind dazu bereit; Sie haben das gehört . Wir Koalitionsfraktionen stehen zu unserer Debatte aus dem vergangenen Jahr . Es ist möglich, hier im Hohen Hause einen ganz großen Konsens in dieser Frage zu finden. Unsere Hand ist ausgestreckt . Ergreifen Sie sie . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Der Kollege Özdemir erhält die Möglichkeit zu einer Kurzintervention .

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege, ich bedaure es, dass Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben . Dann hätte ich Ihnen nämlich gesagt, dass wir ein Jahr lang unsere Hand ausgestreckt haben; fragen Sie die Kollegen der SPD-Fraktion und der Unionsfraktion . Erstens . Wir haben gesagt: Wir sind bereit, inhaltlich auf Sie zuzugehen . Wir haben gesagt: Wir sind bereit, vom Zeitpunkt her auf Sie zuzugehen . Wir haben gesagt: Wir sind bereit, vom Format her auf Sie zuzugehen . Wir haben keine Anhörung durchgeführt . Wir haben gesagt: Wir warten auf Sie, bis Sie so weit sind . Ihre Kollegen - nicht meine Kollegen - haben gesagt: Wir brauchen noch ein bisschen Zeit . Bitte wartet . Ich habe meiner Fraktion gesagt: Wir warten so lange, bis die Unionsabgeordneten so weit sind . Mir wurde signalisiert: Es wird einen interfraktionellen Antrag geben . Darauf habe ich mich eingelassen . Ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir unseren Antrag, der viel weiter ging, zurückgezogen haben - für die Sache . Also bitte, kommen Sie mir nicht mit dem Vorwurf, dass es uns nicht um die Sache gehe . ({0}) Zweitens . Sie berufen sich auf die Zivilgesellschaft . Viele meiner Freunde gehören ihr an; manche von ihnen sitzen gerade im Gefängnis, beispielsweise weil sie kritische Journalisten sind . Raten Sie einmal, wofür diese Vertreter der Zivilgesellschaft heute hier wären . Ich kann es Ihnen sagen: Sie wären der Meinung, dass man mit der Türkei natürlich über die Flüchtlingsfrage verhandeln muss, dass man der Türkei beim Umgang mit den Flüchtlingen natürlich helfen muss - was denn sonst? -; aber sie würden auch sagen: Mit autoritären Herrschern muss man auch verhandeln können . Man darf ihnen nicht jeden Wunsch von den Augen ablesen . ({1}) Das ermutigt sie nämlich zu einer falschen Politik, also zum Gegenteil dessen, was doch auch Sie wollen, Herr Kollege . Also ein bisschen Selbstachtung im Umgang mit Herrn Erdogan würde ich schon auch noch empfehlen . Drittens . Sie haben das mit der Türkei und der EU angesprochen, dass wir Grünen da seit 15 Jahren immer eine entsprechende Position hätten . Jetzt will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Als wir mit der SPD zusammen regiert haben, haben wir die Beitrittsverhandlungen begonnen, aber mit einer Türkei, die auf einem Reformweg war . Wir haben die Möglichkeiten der Verhandlungen damals erfolgreich genutzt, um uns dafür einzusetzen, dass die Türkei Reformen in der Politik macht, was die religiösen, was die politischen Minderheiten angeht . Sie haben doch dann den Kurs mit der privilegierten Partnerschaft eingeschlagen . Und jetzt, wo sich die Türkei in die falsche Richtung entwickelt, entdecken Sie die Beitrittsverhandlungen wieder . Das hat doch nichts mit Werten zu tun . Das ist reine Taktik, meine Damen und Herren . ({2}) Das schadet der Zivilgesellschaft, das schadet der Demokratie, das schadet unseren Partnern in der Türkei, den proeuropäischen Kräften, um die es Ihnen leider nicht so richtig geht . Aber ich will versöhnlich enden . Meine Damen, meine Herren, ich habe ja gehört, was mein Kollege hier gesagt hat . Ich möchte ihm übrigens ausdrücklich danken; denn ich weiß, an ihm lag es nun wirklich nicht, dass es hier nicht geklappt hat . Das lag an anderen, die heute nicht anwesend sind; das wissen wir . Aber ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Wenn das ernst gemeint ist mit dem 24 . April, mit einer Resolution oder einem Beschluss hier, der wirklich besagt: „Erstens war es ein Völkermord; zweitens gibt es eine deutsche Mitverantwortung; drittens erwächst daraus eine Aufgabe für die Zukunft, dass Deutschland sich dafür einsetzt, dass die Grenze zwischen Armenien und der Türkei eines Tages so wird wie die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich“, dann machen wir da gerne mit . Aber dann sagen Sie es hier auch, dass Sie das vorhaben, und keine Tricks, meine Damen und Herren . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Wadephul, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung .

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Özdemir, wir wissen alle, wir sind in Wahlkampfzeiten . Sie sind in besonderen Wahlkampfzeiten . Das erklärt möglicherweise Ihre Aufregung . ({0}) - Seien Sie doch ein bisschen ruhiger und gelassener bei dieser Frage . Sowohl der Kollege Nietan als auch ich als auch der Kollege Dr . Uhl haben gesagt: Wir sind bereit, über diesen Antrag mit Ihnen jetzt zügig zu sprechen, ihn zu finalisieren und ihn hier zu verabschieden . Es gibt nichts Gutes, außer man tut es . Also, dann lassen Sie uns jetzt an die Arbeit gehen, und lassen Sie uns das zügig in den nächsten Wochen abschließen! ({1}) Ich bin jetzt nicht autorisiert, für diese Fraktion eine temporäre Erklärung abzugeben, wann wir das schaffen, ob der 24 . wirklich realistisch ist . Aber es gibt die Zusage auch unseres Fraktionsvorsitzenden, dass das jetzt in den nächsten Wochen gemacht wird . Vielleicht ist das ein Weg für Sie, Herr Kollege Özdemir, über die Sache noch einmal nachzudenken und den Antrag zurückzustellen . ({2}) Das ist - ich will jetzt Ihre Worte gar nicht aufgreifen ({3}) ein ehrlich gemeintes Angebot der CDU/CSU-Bundestagsfraktion . ({4}) Und ich sage noch einmal: Diese Hand ist ehrlich ausgestreckt, nehmen Sie sie an! ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Özdemir, Sie haben noch einmal das Wort .

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist hier in der Debatte deutlich geworden, dass es uns um die Sache geht, und ich glaube, nicht nur meiner Fraktion, sondern vielen hier im Haus, egal von welcher Fraktion . Ich habe das jetzt gerade gehört . Das habe nicht nur ich gehört, das haben viele Menschen draußen auch gehört . Da oben sitzen Vertreter von verschiedenen Kirchen, der armenischen Kirche, der aramäischen Kirche, der assyrischen Kirche, der griechisch-orthodoxen Kirche, der evangelischen Kirche, der katholischen Kirche . Sie alle verbindet ein Wunsch: dass wir 100 Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen endlich so weit sind, dass nicht eine Fraktion, sondern alle Fraktionen - ich habe ja vorher Zentrumspolitiker und sozialdemokratische Politiker zitiert, die vor 100 Jahren mutig waren, im Gegensatz zu manchen ihrer Kollegen - in der Tradition, in einer guten deutschen Tradition sich hier gemeinsam zur Verantwortung bekennen . Das heißt - ich sage es noch einmal im Klartext, damit es im Protokoll steht - erstens: Es war ein Völkermord . Das sagen wir glasklar . Zweitens . Es gibt eine deutsche Mitverantwortung, zu der wir uns bekennen . Drittens . Daraus erwächst Verantwortung für die Zukunft, dass sich am türkisch-armenischen Verhältnis endlich etwas ändert, dass sich das verbessert, dass die Grenze sich öffnet . Wenn das die Zusage ist und es ein Antrag wird, an dem nicht nur die Koalitionsfraktionen arbeiten, sondern bei dem wir zusammenarbeiten, dann ziehen wir unseren Antrag zurück und machen das gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das war zur Geschäftsordnung gesprochen . ({0}) Ich gehe jetzt davon aus, dass der Antrag zurückgezogen ist, das heißt, wir werden keine Abstimmung dazu durchführen . Die Abstimmung entfällt, weil der Antrag durch den Antragsteller zurückgezogen wurde . ({1}) Deshalb werden jetzt von meiner Seite auch keine weiteren Kurzinterventionen zugelassen, sondern so, wie verabredet, werden in den kommenden Tagen und Wochen die Verhandlungen über einen gemeinsamen interfraktionellen Antrag geführt werden . Damit schließe ich diese Debatte . ({2}) Ich möchte noch eine Anmerkung für die Kolleginnen und Kollegen machen, die eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung abgegeben haben, und darauf hinweisen: Da wir keine Abstimmung durchgeführt haben, entfallen natürlich auch schriftliche Erklärungen und werden von daher auch nicht ins Protokoll aufgenommen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir jetzt zum nächsten Tagesordnungspunkt; das ist der Tagesordnungspunkt 11: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen Drucksache 18/7204 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) Drucksache 18/7691 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es keinen Widerspruch . Dann ist das auch so beschlossen . Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben, würde ich gern in der Debatte fortfahren . Ich bitte darum, die Gespräche jetzt zu beenden bzw . an anderer Stelle fortzuführen . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner erhält Matthias Hauer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({4})

Matthias Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Wochen der intensiven Beratung bringen wir heute das Zahlungskontengesetz hier im Plenum zum Abschluss . Wir machen damit den Wechsel beim Girokonto einfacher, wir erhöhen die Transparenz bei den Kosten für Bankentgelte, und wir schaffen einen Rechtsanspruch auf ein Basiskonto für alle . Kurzum: Wir stärken mit dem Zahlungskontengesetz die Rechte der Bankkundinnen und Bankkunden in Deutschland . ({0}) Für welches Girokonto bei welcher Bank soll man sich entscheiden? Diese Frage stellen sich viele von uns . Man entscheidet das, dann ändern sich Lebensphasen, dann ändern die Banken manchmal auch Gebühren oder Serviceleistungen, und dann scheut man einen Kontowechsel, weil die Entgelte oftmals wenig transparent sind, aber auch, weil ein Kontowechsel bislang sehr mühselig war . Beide Punkte gehen wir mit dem heutigen Umsetzungsgesetz an . Verbraucher sollen Bankentgelte besser vergleichen können. Wie geht das? Durch zertifizierte und unabhängig betriebene Vergleichswebsites sollen sie kostenlos und sachgerecht den Vergleich von Kontoentgelten durchführen können . Ein guter Schritt zu mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher . ({1}) Mit einem Mehr an Transparenz ist es aber nicht getan . Der Kontowechsel wird erleichtert . Künftig werden Banken und Sparkassen ihren Kunden dabei helfen müssen, den Wechsel des Girokontos zu einem anderen Institut vornehmen zu können . Dadurch wird der Wechsel unbürokratischer, schneller und einfacher . Es wird nicht mehr notwendig sein, Daueraufträge mühselig einzeln beim neuen Institut einzurichten, Lastschriftempfänger einzeln anzuschreiben . Damit kann nun Schluss sein . Nach Kundenwunsch werden diese Informationen direkt übermittelt . Der Kunde entscheidet, welche Informationen genau der neuen Bank mitgeteilt werden und welche nicht . Die Bankkunden können mit dem Kontowechselservice also flexibler auf Angebote am Markt reagieren, ein echter Mehrwert für die Bankkunden . In den Beratungen haben wir uns dafür entschieden, dass wir den Kontowechsel auch online möglich machen wollen, das heißt ohne Medienbruch . Dass man ein Dokument auf dem Computer online ausfüllt, es dann aber ausdrucken, unterschreiben und verschicken muss, wollen wir nicht . Es soll möglich sein, alles komplett online im Rahmen des Onlinebanking durchzuführen . Es soll aber auch auf Wunsch des Bankkunden genauso möglich sein, das schriftlich zu tun . ({2}) Insgesamt wird mit dem Gesetz der Wechsel einfacher, die Hürden werden abgebaut, sich für ein anderes Girokonto bei einem anderen Institut zu entscheiden . Wir stärken damit die Rechte der Kontoinhaberinnen und Kontoinhaber in Deutschland . Es gibt aber auch Menschen in unserem Land, die kein Girokonto haben . Der Versorgungsgrad in Deutschland ist deutlich höher als in den meisten anderen EU-Ländern, aber dennoch haben knapp 1 Million Menschen - so die Schätzung der EU-Kommission aus dem Jahr 2013 kein Konto . Miete zahlen, Gehalt bekommen, viele Geschäfte des Alltags - ohne Girokonto kaum denkbar . Mit dem Zahlungskontengesetz geben wir diesen Menschen einen Rechtsanspruch auf ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen . Wir bauen damit eine Brücke zu den Menschen, die oft am Rande der Gesellschaft stehen . Deshalb ist es auch richtig, dass eine entsprechende Infokampagne diese Möglichkeit ausweist . Wir möchten, dass auch obdachlose oder andere einkommensschwache Menschen ein Konto eröffnen können; denn ein Girokonto ist Grundvoraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben in Deutschland . ({3}) Im parlamentarischen Verfahren haben wir den guten Gesetzentwurf noch besser gemacht . Wir haben die Gesellschaft für deutsche Sprache einbezogen . Dadurch ist das Antragsformular für das Basiskonto deutlich einfacher und verständlicher geworden . Wir stellen sicher, dass das Basiskonto auch direkt als Pfändungsschutzkonto eröffnet werden kann . Insofern abschließend: Zunächst einmal der Dank für die konstruktive Zusammenarbeit der letzten Wochen zum einen den beteiligten Ministerien, federführend und Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn damit stellvertretend genannt das Bundesfinanzministerium, zum anderen aber auch den Berichterstatterkolleginnen und -kollegen der anderen Fraktionen . Schon in der Anhörung und auch in den Stellungnahmen der Sachverständigen ist viel Lob für den Gesetzentwurf der Bundesregierung geäußert worden . Dem Lob schließen wir uns als CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich an . Das Gesetz ist sogar so gut geworden, dass selbst die Opposition nicht widerstehen kann und Zustimmung angekündigt hat . Das freut mich und darf gerne Vorbildcharakter für andere Gesetze haben . Vielen Dank . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Dr . Axel Troost von der Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade schon gesagt worden: Man kann sich eigentlich gar nicht vorstellen, heute ohne ein Girokonto auszukommen, vom Zahlungsverkehr abgeschnitten zu sein, seine Miete nicht per Dauerauftrag überweisen zu können oder im Beruf bzw . auf Ämtern zu bestimmten Terminen in einer Schlange stehen zu müssen, um Bargeld ausgezahlt zu bekommen . Man ist ohne ein Anrecht auf ein Konto im Prinzip entmündigt . Trotzdem gibt es rund 1 Million Menschen, denen bisher der Zugang zu einem Girokonto verweigert wurde . Es sind insbesondere ausländische Studierende, Saisonarbeiter, Asylsuchende, Geduldete und auch Obdachlose, denen die Banken die Eröffnung eines Kontos verweigern . Die Linke hat in den letzten zehn Jahren fünf Anträge in den Deutschen Bundestag eingebracht, mit denen wir zum Ausdruck gebracht haben: Wir wollen ein Recht auf ein Basiskonto, ein Konto für alle . - Immer sind die Anträge hier im Hohen Haus abgelehnt worden . Man hat argumentiert, es reiche die freiwillige Selbstverpflichtung der Banken, die zugesagt hatten, hier aktiv zu werden . Aber nur die Sparkassen haben reagiert, die anderen Geld institute eben nicht . Insofern ist der bisherige Zustand unmöglich . ({0}) Jetzt hat sich endlich etwas getan . Aber weit gefehlt, wenn Sie glauben, dass bei der CDU/CSU oder bei der SPD nun neue Gedanken eingezogen wären . Nein! Wieder einmal setzen wir jetzt europäisches Recht in deutsches Recht um . ({1}) Insofern kommen die Bundesregierung und die Große Koalition gar nicht darum herum, dieses gesetzlich umzusetzen . Und dass dies in Brüssel so beschlossen worden ist, ist insbesondere auf die Arbeit der Linken im Europaparlament zurückzuführen . Sie hat dort erhebliche Arbeit hineingesteckt, bis die Richtlinie im April 2014 zustande kam . Ich erwähne explizit Jürgen Klute, der damals Verhandlungsführer war . ({2}) Insofern ist heute, was diese Frage angeht, wirklich ein guter Tag . Es ist in der Tat so, dass von der Koalition noch vieles aufgenommen worden ist . Dadurch ist der Gesetzentwurf in der Tat noch besser geworden . Es gibt eine feste Frist von zehn Tagen für die Kontoeröffnung . Wir schaffen die Option, das Basiskonto von Anfang an als Pfändungsschutzkonto einzurichten und zu führen . Wir schaffen auch Rechtssicherheit für die Betroffenen, indem wir dafür sorgen, dass das Konto nicht sofort gekündigt werden kann, wenn einmal Gebühren auflaufen, sondern eine Kündigung erst dann erlaubt ist, wenn 100 Euro Gebühren aufgelaufen sind . Trotzdem gibt es aus unserer Sicht im Prinzip schon Nachbesserungsbedarf, weil die Fragen der angemessenen Gebühren und der Dispozinsen nicht gesondert geregelt sind . Man darf sich da nichts vormachen: Wir reden hier auch über einkommensschwache Personen, für die jährliche Kontoführungsgebühren von 40 oder 50 Euro nicht unerheblich sind . Insofern wird man da sicherlich noch einmal nachfassen müssen . Insbesondere im ländlichen Raum ist die Dichte der Banken und Sparkassen natürlich nicht so hoch, dass es Konkurrenz gäbe, die sozusagen Einfluss auf die Gebührenhöhe in Form von geringeren Gebühren hätte . Insofern haben wir Linke immer noch Wünsche, die wir gerne erfüllt sähen, um das Gesetz noch sozialer zu machen . Alles in allem glaube ich aber, dass mit diesem Gesetz jetzt eine Regelung gefunden worden ist - deswegen werden wir auch zustimmen -, die 1 Million Menschen die Möglichkeit gibt, ein Konto zu eröffnen . Das ist gut so . In diesem Fall kann man nur sagen: Gut, dass die europäische Gesetzgebung hier entsprechende Vorgaben für die Bundesrepublik Deutschland gemacht hat . Danke schön . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Sarah Ryglewski von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Sarah Ryglewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der ersten Lesung des Zahlungskontengesetzes habe ich gesagt: Lassen Sie uns ein gutes Gesetz noch besser machen! Ich glaube, heute können wir alle sagen: Das ist uns gemeinsam gelungen . ({0}) Deswegen möchte ich diesmal mit dem Dank beginnen . Ich möchte auch nicht nur dem Kollegen Hauer von der Union und meinem Kollegen Dr . Zimmermann sowie den beiden beteiligten Bundesministerien danken, sondern auch den Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken . Ich fand die Zusammenarbeit über weite Strecken hinweg sehr konstruktiv . Ich glaube, wir haben auch verschiedene Anregungen, die aus den Verbänden gekommen sind, sehr gut eingearbeitet . Nun ist es schon fast verdächtig, wenn sich sowohl Regierung und Opposition als auch die Verbraucherverbände und die deutsche Kreditwirtschaft in der Bewertung eines Gesetzes weitgehend einig sind . ({1}) Nur, hier würde ich sagen: Diese seltene Einigkeit ist kein Grund zur Skepsis, sondern vielmehr ein Indiz dafür, dass uns hier etwas wirklich Gutes gelungen ist, auch wenn der Kollege Dr . Troost schon ein bisschen Wasser in den Wein gegossen hat . Nichtsdestotrotz ist es ein sehr gutes Gesetz; denn wir schaffen heute nicht mehr und nicht weniger als einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto und verbessern damit substanziell die Lebenssituation von vielen Menschen in Deutschland . ({2}) Eigentlich wollte ich nicht weiter ausführen, dass ein solches Gesetz gegen Kontolosigkeit schon viel früher möglich und auch nötig gewesen wäre, aber die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr . Troost veranlassen mich, noch einige Sätze dazu zu sagen . Natürlich hat es in Deutschland immer verschiedene Impulse gegeben, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen . Da kann ich auch an verschiedene Initiativen der SPD sowohl in diesem Hause - das habe ich beim letzten Mal schon ausgeführt - als auch im Bundesrat erinnern . Natürlich ist es auch so, dass eine EU-Richtlinie nicht vom Himmel fällt . Sie haben die Arbeit der Linken in Europa gelobt . Aber ich glaube, man darf, ohne vermessen zu sein, hier auch darauf hinweisen, dass die Initiative in der Bundesregierung deutlich von der SPD ausgegangen ist . ({3}) Doch wir wollen uns das hier nicht kaputtmachen, indem wir kleinlich werden; wir haben ja alle sehr gut daran gearbeitet . Ich möchte uns noch einmal die wichtigsten Ziele bei der Ausgestaltung des Basiskontos in Erinnerung rufen: Für mich waren das der leichte Zugang zum Basiskonto, niedrige Entgelte und ein angemessener Funktionsumfang . Klar ist: Das Basiskonto muss ein echtes Konto für jedermann sein . Deswegen darf eine Bank nur aus sehr guten und sehr eng begrenzten Gründen eine Kontoeröffnung ablehnen . Wir alle wissen, dass die Kundengruppe, auf die das Basiskonto zugeschnitten ist, nicht unbedingt die ist, die eine Bank gerne in ihren Filialen sieht . Deswegen wären größere Spielräume bei den Ablehnungstatbeständen oder eine Auffangklausel, wie sie ja von der Kreditwirtschaft gefordert wurden, sehr, sehr gefährlich gewesen . Damit hätten wir womöglich gerade die Verbraucherinnen und Verbraucher ausgeschlossen, die wir mit dem Gesetz erreichen wollen . ({4}) Jetzt ist das Verfahren klar: Es gibt klare Gründe für die Ablehnung . Die Leute bekommen einen Bescheid . Wenn sie mit diesem Bescheid nicht einverstanden sind, können sie bei der BaFin prüfen lassen, ob die Ablehnung berechtigt ist . Es ist auch gut, dass wir deutlich gemacht haben, dass nach Antragstellung nur noch zehn Tage vergehen dürfen, bis das Konto eröffnet wird . Somit kann es nicht zu Verschleppungen kommen . Ein weiterer Barriereabbau betrifft die Antragsformulare, in deren Gestaltung wir die Gesellschaft für deutsche Sprache einbezogen haben . Ich möchte jedoch, weil ich sehe, dass meine Redezeit dem Ende entgegengeht, noch etwas zu den Entgelten sagen . Wir hatten die ganz große Sorge, dass es versteckte Entgelte gibt, dass es heißt: Das Basiskonto hat eine niedrige Grundgebühr, aber der typische Kunde, der eben nicht über einen Internetzugang verfügt, der vielleicht auch nicht internetaffin ist, muss dann horrende Gebühren für beleghafte Überweisungen zahlen . - Das wollten wir verhindern . Wir haben hier die Formulierung der Verbraucherzentrale übernommen, dass sich die Entgelte an den Kosten für das günstigste Kontomodell mit dem jeweiligen Nutzungsumfang orientieren und nicht darüber hinausgehen sollen . Ein letzter Satz zur Onlinefähigkeit: Wir wollten, dass das Basiskonto kein Konto light ist . Deswegen war für uns klar: Das Basiskonto muss unbedingt onlinefähig sein . In Zeiten, in denen Leute sogar ihren Partner über das Internet finden, ist Onlinefähigkeit absolute Basis; das ist 21 . Jahrhundert . Ich habe vorhin gesagt: Ich glaube, es ist ein guter Tag . Es ist ein guter Tag für uns in diesem Hause, aber es ist vor allem ein guter Tag für viele Menschen, für die eine unwürdige Situation endlich ein Ende findet. Vielen Dank . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Nicole Maisch von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird endlich ganz okay; ({0}) das muss man heute auch vonseiten der Opposition neidlos zugeben . Für mittlerweile fast 1 Million Menschen in Deutschland, die ohne Girokonto leben müssen, ohne ein normales Wirtschaftsleben mit regulärem Job, Mietvertrag, Telefonanschluss oder Zeitungsabo, ist dieses Gesetz ein Fortschritt . Das kann man anerkennen, und das ist gut so . Aber es gehört zur Wahrheit dazu, zu sagen, dass seit vielen Jahren klar war, dass die Selbstverpflichtung der Kreditwirtschaft nicht funktioniert . Das ist jetzt die dritte Legislatur, in der ich zusammen mit meiner Fraktion die Linken haben das ähnlich gemacht - immer wieder Anträge auf ein Girokonto für alle einbringe . Aber Sie haben in unterschiedlichen Konstellationen immer alle abgelehnt, egal ob Steinbrück oder Schäuble Finanzminister war . Auch der vorliegende Gesetzentwurf ist ja nicht auf Ihre eigene Initiative für kontolose Menschen hin entstanden; vielmehr war der Grund die Umsetzung einer Richtlinie . Sie mussten von Brüssel zum Jagen getragen werden. Ich finde, das hätte man heute ruhig einmal zugeben können . ({1}) Aber - das gehört zum Gesetzgebungsprozess dazu das Gesetz hat sich im Laufe des Verfahrens verbessert; das ist nicht immer der Fall . Wir haben in der letzten Woche die Wohnimmobilienkreditrichtlinie beschlossen, bei der sich im Laufe des Verfahrens alles Mögliche verschlechtert hat . In diesem Fall gab es Verbesserungen, aber man hätte an einigen Punkten doch noch nachschärfen, Dinge besser machen können . Der erste Punkt: die Kosten . Es ist gut, dass Sie jetzt definieren, dass das Nutzerverhalten maßgeblich für das Gebührenmodell ist . So kann vermieden werden, dass einer hochbetagten Dame ein Onlinekonto angedreht wird, bei dem sie für jede Papierüberweisung 1 Euro bezahlen muss. Es ist gut, dass Sie das so definiert haben, aber trotzdem hätte es eine hieb- und stichfeste Formulierung zur Kostenbegrenzung gebraucht . ({2}) Die Erfahrung mit dem P-Konto lehrt uns: Wo kein wirklicher Wettbewerb besteht - und das ist bei der Kundengruppe, für die wir das Girokonto für alle machen, leider der Fall -, da funktioniert auch der normale Preiswettbewerb nicht . Deshalb hätte es hier eine Regelung gebraucht . Punkt zwei - für uns auch ganz wichtig -: die anspruchsberechtigten Personen . In den vorherigen Diskussionen haben Sie ja immer darauf hingewiesen, dass es Ihnen wichtig ist, dass die Menschen, die zu uns flüchten, möglichst schnell ein Girokonto bekommen . Aber wenn ich Ihre Vorlage richtig verstanden habe, dann sind jene Flüchtlinge nicht erfasst, die nur über einen Ankunftsnachweis oder eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender verfügen . Da die Verfahren im Moment oft viele Wochen und Monate dauern, wäre es schön gewesen, eine entsprechende Regelung einzufügen, damit die Menschen schneller am Leben hier teilnehmen können . ({3}) Punkt drei - das war auch in der Anhörung ein wichtiges Thema -: der Pfändungsschutz . Sie haben gut geregelt, dass bei Eröffnung des Basiskontos der Pfändungsschutz auf dem neuen Konto geregelt ist . Es ist aber nicht sichergestellt, dass dadurch der Pfändungsschutz auf einem alten Konto sofort automatisch gelöscht wird . Weil man zwei P-Konten nicht gleichzeitig führen kann, gehen wir davon aus, dass das in der Praxis zu Problemen führen wird, die Sie einfach hätten vermeiden können . Der nächste Punkt, mit dem wir nicht zufrieden sind, ist die Transparenz von Vergleichswebsites . Es ist grundsätzlich gut, dass es eine staatliche Zertifizierung von Vergleichswebsites geben soll. Aber wir finden: Zwingende Voraussetzung für eine solche Zertifizierung muss sein, dass alle wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Website und Anbieter offengelegt werden, sodass die Kundinnen und Kunden auf Euro und Cent sehen: So viel Geld fließt zwischen Bank und Websiteanbieter. Sie haben gesagt, dass Sie in der Verordnung noch einiges regeln können. Aber wir finden: Man hätte schon im Gesetz klare Bestimmungen treffen können . Lange Rede, kurzer Sinn, es wäre besser gegangen, aber unterm Strich bleibt: Unsere langjährige Forderung nach einem Konto für alle hat sich endlich erfüllt . Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Alexander Radwan von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht heute, wie bereits meine Vorredner ausgeführt haben, um die Umsetzung der Zahlungskontenrichtlinie in nationales Recht . Man merkte bei manchen Vorrednern, dass für sie das, was aus Europa kommt - das hat sich vielleicht so eingeschliffen -, von Haus aus etwas ist, das ohne nationale Beteiligung erfolgt . Wir haben jedoch, Herr Kollege Troost, die vorangegangene Debatte geführt, um Europa beeinflussen zu können. Es ist nicht so, dass entsprechende Richtlinien auf der europäischen Ebene ohne deutsche Beteiligung verabschiedet werden . Bei aller Wertschätzung der Linken: Es war die Bundesregierung und es war das von der Union geführte Finanzministerium, die an dieser Richtlinie entsprechend mitgewirkt haben . Diese Richtlinie ist nicht gegen ihren Widerstand entstanden und jetzt umzusetzen, sondern sie waren daran beteiligt . So sollte man mit Europa umgehen und auch offen und ehrlich sagen, wer an den Entscheidungen beteiligt ist, und nicht behaupten, dass es umgekehrt ist . ({0}) Weil wir uns eben entschieden haben, auf europäischer Ebene eine Richtlinie zu erlassen, sind wir heute in der Lage, einen Gesetzentwurf zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verabschieden . Ich möchte drei Punkte konkretisieren, die in der Diskussion angesprochen worden sind: Der erste Punkt betrifft den Zugang zu einem Konto, zu einem Basiskonto . Es wurde bereits gesagt, dass es um die Umsetzung einer europäischen Richtlinie geht . In anderen Staaten in Europa sehen die Zugangsmöglichkeiten weitaus schlechter aus; wir hatten hier eine Selbstverpflichtung. Wir gehen aber jetzt diesen Weg mit und setzen dies entsprechend um . Diese Umsetzung erfolgt auch nicht - darauf sollte man schon Wert legen - aufgrund der aktuellen politischen Lage, sondern die Diskussion darüber läuft schon länger . So werden nun viele Personen davon profitieren. Der zweite Punkt betrifft Vergleichbarkeit und Transparenz . Ich halte es für sehr wichtig, dass Vergleiche transparent und nachvollziehbar sind . Die Webseite, die entstehen soll, ist der richtige Weg: öffentlich zertifiziert. Auch und gerade angesichts der aktuellen Zinslage - das sollten wir bei dieser Diskussion über Entgelte im Blick behalten - wird die Struktur der Finanzierung der Banken erheblich problematischer . Gebühren werden zukünftig als Finanzierungsinstrument von den Banken verstärkt herangezogen werden . Gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen bei den Zinsen und der Bankenrefinanzierung ist dies ein wichtiges Instrument, um den Bürgern klarzumachen, welche Kosten bei einer möglichen Entscheidung auf sie zukommen . ({1}) Der dritte Punkt betrifft den Kontowechsel . Der Kontowechsel wird erheblich einfacher werden, da wir ihn hinsichtlich Lastschriften und Daueraufträgen weiter vereinfachen . Wir haben intensiv über einen Medienbruch diskutiert, also inwieweit man das zukünftig online machen kann oder nicht . Dazu möchte ich schon grundsätzlich sagen: Wir leben in einer Zeit der Digitalisierung . Wir stehen vor der Herausforderung, das traditionelle Bankengeschäft weiterzuentwickeln; wir müssen uns aber davor hüten, bestimmte Entwicklungen zu blockieren, weil wir dadurch vermeintlich etwas schützen können, was in dieser Form möglicherweise gar nicht mehr zu schützen ist . Darum haben wir uns dafür entschieden, hier keinen Medienbruch zu machen . Das sollte auch in Zukunft unsere Linie sein . Wir wollen auf der einen Seite, dass die Banken regional verankert sind, vor Ort gute Geschäfte machen können und sich aus sich selbst heraus entwickeln können, und auf der anderen Seite wollen wir, dass die neuen Entwicklungen genutzt werden und wir in Deutschland und in Europa auch zukünftig entsprechende Player haben . Das werden wir aber nicht schaffen, wenn wir dann bei einzelnen Gesetzgebungsvorhaben von der Linie abweichen . Darum ging es hier bei der Frage des Medienbruchs . Wir hatten das Gleiche beim Crowdfunding, und wir werden ähnliche Diskussionen bei der PSD II haben . Dahinter steht zukünftig immer die Entscheidung, in welche Richtung wir grundsätzlich gehen . Von daher ein Dankeschön dafür, dass die Augen für zukünftige Entwicklungen offengehalten wurden . Wichtig ist die deutsche Sprache . Wir haben ja den Versuch unternommen, die Formulare verständlicher zu gestalten . Das ist mit Blick auf den Verbraucherschutz letztlich immer die Aufgabe . Denn - das haben wir auch bei den ganzen Dokumentationspflichten gemerkt - was nützt Verbraucherschutz, was nützen Informationen für den Verbraucher, wenn er sich einem Konvolut entsprechender Formulare gegenübersieht, wenn er ein Juristendeutsch vorgelegt bekommt, das er nicht nachvollziehen kann? Das wäre nicht im Sinne des Verbraucherschutzes . Die Formulare müssen leicht verständlich und nachvollziehbar sein, um den Verbraucher entsprechend schützen zu können . Das sagen sowohl die Finanzinstitute als auch die Verbraucherschützer . Darum ist das ein richtiger Ansatz; denn wir machen Verbraucherschutz für den Verbraucher und nicht für Juristen . Ich sage das, obwohl ich selber einer bin . Insofern ist hier das Ziel erreicht . Ich danke allen Beteiligten für die gute, konstruktive Arbeit bei der Umsetzung dieser Richtlinie für den Verbraucher in Deutschland . Besten Dank . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debattenrunde hat Dr . Jens Zimmermann von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir Schluss mit der Stigmatisierung und Diskriminierung Hunderttausender Menschen in Deutschland . Alle Bürgerinnen und Bürger bekommen jetzt Zugang zu einem Konto und können damit am alltäglichen Wirtschaftsleben teilnehmen . Damit geht ein jahrelanger Kampf glücklich zu Ende . Das ist ein großer Erfolg . ({0}) Ich will die spezielle Situation, über die wir im Gesetzgebungsverfahren diskutiert haben, verdeutlichen . Denn auf der einen Seite geht es um viele Bürgerinnen und Bürger, die jahrelang nach einer Möglichkeit gesucht haben, ein Girokonto zu bekommen . Auf der anderen Seite haben uns viele Initiativen und Kommunen darauf hingewiesen, dass das ein Thema ist, das auch viele Flüchtlinge betrifft . Ich will drei Punkte ansprechen, weshalb ich glaube, dass uns dieses Gesetz an dieser Stelle hilft und dass es auch vielen Geflüchteten hilft. Erstens . Es ist nun einmal eine sicherere Variante, auch kleine Beträge auf ein Konto zu überweisen . Ich habe in meinem Wahlkreis Unterkünfte besucht, in denen das Taschengeld bar ausgezahlt wird . Wenn das Geld dort am 1 . eines Monats an 100 Personen in bar ausgezahlt wird, birgt das auch Risiken . Der zweite Punkt ist: Dadurch werden auch die Kommunen und die Landkreise entlastet, die das alles handeln müssen . Mit der Möglichkeit, so etwas unbar, also per Überweisung, zu machen, helfen wir auch ihnen . Drittens - auch das ist ein wichtiger Punkt - hilft es bei der Bekämpfung von Geldwäsche . Hier hatten ja einige große deutsche Banken Bedenken; darüber haben wir in der ersten Lesung diskutiert . Zum Glück hat sich in der Anhörung herausgestellt, dass diese Bedenken unbegründet sind und somit auch in den USA keine Strafverfolgung droht . Von der Kollegin der Grünen ist angesprochen worden: Ein entscheidender Punkt an dieser Stelle ist, zu ermöglichen, dass im Hinblick auf die entsprechenden Dokumente, die zur Eröffnung eines Kontos notwendig sind, auch die sogenannte Identitätsprüfungsverordnung angepasst wird . Dafür ist das Bundesinnenministerium zuständig . Es hat mich sehr gefreut, dass der Bundesinnenminister in dieser Woche zu diesem Thema gesagt hat, dass der neue Ankunftsnachweis für genau solche Dinge geschaffen wurde, und er somit auch die Ausweisfunktion erfüllen wird . Insofern sind wir als SPD-Fraktion da sehr entspannt . Wir werden natürlich darauf achten, dass diese Verordnung schnellstmöglich angepasst wird, weil wir glauben, dass dies ein ganz wichtiger Punkt ist . ({1}) Meine Damen und Herren, wir schaffen heute mehr Gerechtigkeit für ganz viele Deutsche, und wir machen das Leben für viele Geflüchtete, die bei uns Unterschlupf gefunden haben, um einiges leichter . Ich glaube, deshalb ist dies ein wirklich gelungener und guter Gesetzentwurf . Vielen Dank . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, da- mit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskon- ten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundle- genden Funktionen. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7691, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 18/7204 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf in dritter Le- sung einstimmig angenommen worden . Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7702 . Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Die Opposition . Wer stimmt dagegen? - Die Koalition . Gibt es eine Enthaltung? - Das ist nicht der Fall . Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi- on abgelehnt worden . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausstieg aus Stuttgart 21 - Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren Drucksache 18/7566 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Offene Fragen zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 aufklären Drucksachen 18/3647, 18/5399 Zu dem letztgenannten Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben diese beiden Fraktionen einen Änderungsantrag vorgelegt . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat Sabine Leidig von der Fraktion Die Linke das Wort . ({1})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wenn Verschwendung, Murks und Machtpolitik bei Großprojekten so offensichtlich sind wie beim BER und bei Stuttgart 21 und niemand dafür geradestehen muss, dann macht das politikverdrossen . Und das wollen wir nicht . ({0}) Deshalb gibt es unseren neuen Antrag „Ausstieg aus Stuttgart 21 - Die Deutsche Bahn AG vor einem finanziellen Desaster bewahren“ . Sie erinnern sich sicher alle: Als 2009 der Baubeginn beschlossen wurde, haben Sie behauptet, dass die Bahn dann auf der europäischen Magistrale - ich weiß schon gar nicht mehr, von wo aus - nach Bratislava schneller und um zehn Minuten früher in Ulm wäre, und das für schlappe 3 Milliarden Euro . Hartmut Mehdorn hat damals Stein und Bein geschworen, dass es so sein würde . Kurz zuvor allerdings hat das unabhängige Verkehrsplanungsunternehmen Vieregg-Rössler die Kosten für Stuttgart 21 auf 6,9 Milliarden Euro veranschlagt . Später musste dann Bahnchef Grube Mehrkosten zugeben . Er legte sich fest, 4,5 Milliarden Euro seien die Sollbruchstelle, weil es sonst ein völlig unwirtschaftliches Projekt sein würde . Auf dieser Grundlage haben dann die Bewohner von Baden-Württemberg - nachdem die CDU abgewählt war - darüber abgestimmt, ob das Land aussteigen soll . Die Projektbetreiber plakatierten damals überall die falsche Behauptung, dass beim Ausstieg 1,5 Milliarden Euro für nichts fällig würden . Unter diesen Bedingungen war die knappe Mehrheit dagegen . Was aber kam danach? Im Dezember 2012 musste Herr Grube zugeben, dass die Kosten viel höher sein werden als die 4,5 Milliarden Euro . Sie würden nämlich 6,5 Milliarden Euro betragen . Der Kostendeckel war krachend gesprengt worden . Vieregg und Rössler hatten mit ihrer Kostenschätzung offensichtlich recht gehabt . Die einzig vernünftige Konsequenz wäre gewesen, den Ausstieg zu beschließen . Das hätte der Aufsichtsrat der Bahn im März 2013 tun müssen . Zu diesem Zeitpunkt waren zwar die Bäume im Park gefällt und ein Teil des denkmalgeschützten Bahnhofes war abgerissen worden, aber der eigentliche Bau war noch gar nicht begonnen worden . Was aber geschah? Aus politischen Gründen hat die Kanzlerin höchstpersönlich interveniert und dafür gesorgt, dass wider besseres Wissen weitergemacht wird . Im Jahr der Bundestagswahl sollte die CDU und nicht die Bürgerbewegung triumphieren - zum Schaden der Bahn übrigens . Denn keiner der anderen Projektpartner ist bereit, sich an den gewaltigen Mehrkosten zu beteiligen . Und Frau Merkel wird ihre Schatulle auch nicht öffnen . Mittlerweile sind nun genau die Probleme zutage getreten, vor denen zum Beispiel die „Ingenieure gegen Stuttgart 21“ von Anfang an gewarnt hatten: Es sei viel zu viel Grundwasser abzupumpen . Der Brandschutz sei nicht ausreichend, und es gebe Fehlplanungen bei der Flughafenanbindung usw . - Deshalb hat Vieregg-Rössler jetzt eine neue Kostenstudie vorgelegt . Das Projekt wird nicht 6,5 Milliarden Euro, sondern 9,8 Milliarden Euro kosten . Stellen Sie sich vor: Auf der einen Seite werden gerade sämtliche Nachtreisezüge gestrichen, weil sich die Investitionen in neue Schlafwagen angeblich oft nicht lohnen . Auf der anderen Seite soll die Deutsche Bahn dieses Milliardengrab finanzieren. Das ist völlig absurd. ({1}) Wir verlangen, dass der Bund jetzt endlich die Notbremse zieht . Als Eigentümer der Bahn haben Sie die Verantwortung, wirtschaftlichen Schaden von diesem öffentlichen Unternehmen abzuwenden . Sie dürfen nicht zulassen, dass diese Milliarden an Steuergeldern so verschwendet werden . Ihren Mitgliedern im Aufsichtsrat auch Frau Lühmann - droht übrigens eine Klage wegen Verletzung ihrer Aufsichtspflicht. Sorgen Sie dafür, dass die Bahn aus Stuttgart 21 aussteigt! ({2}) Jetzt das Positive zum Schluss: Es gibt gute Alternativen . Auch die sind mitsamt den Ausstiegskosten seriös berechnet worden . Der bestehende Bahnhof kann restauriert werden . Er erhält ein neues Dach und verfügt danach über viel größere Kapazitäten . Die Baugrube kann für Nahverkehrsangebote genutzt werden . ({3}) In jedem Fall würden die K-21-Vorschläge mindestens 5,9 Milliarden Euro weniger kosten als Stuttgart 21 Geld, das für sinnvolle Zwecke gebraucht wird .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie ignorieren zwar meinen Hinweis, dass Ihre Redezeit beendet ist, sie ist aber trotzdem beendet .

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss und bedanke mich beim Aktionsbündnis und bei allen Aktiven gegen Stuttgart 21, die immer wieder für Aufklärung und konkrete Alternativen sorgen . Das ist wirkliche Demokratie . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke bitten, ihre Buttons abzunehmen . Wir haben eine Geschäftsordnung, nach der das Zeigen von Plakaten und Symbolen - das gilt auch für das Tragen von Buttons - durch die Abgeordneten im Deutschen Bundestag nicht zulässig ist . Diese Geschäftsordnung haben wir alle gemeinsam miteinander beschlossen, und ich erwarte, dass auch die Kolleginnen und Kollegen der Linken sich daran halten . - Ich bitte Sie deshalb nochmals, die Buttons abzunehmen . ({0}) - Ja, alle . Ich kann die Sitzung solange auch unterbrechen . ({1}) - Ich habe die Kolleginnen und Kollegen vorhin ohne öffentliche Ankündigung darum gebeten . Sie haben aber dieser Bitte keine Folge geleistet . Deshalb muss ich das jetzt öffentlich ansprechen . Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir das im Einvernehmen hätten regeln können . ({2}) - Es soll hier um die Sache gehen . ({3}) - Generell nicht, auch zu anderen Themen nicht . Als nächster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle das Wort . ({4})

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Kollegin Leidig, nach Ihrer Rede und Ihrem Antrag nach zu urteilen, kann ich nur sagen: Der sofortige Stopp und der Ausstieg aus diesem Projekt wären für die Bahn der größte wirtschaftliche Schaden . Ich rate Ihnen sehr und lade Sie ein: Kommen Sie einmal nach Stuttgart, und gucken Sie sich an, was dort unter der Oberfläche schon entstanden ist. ({0}) Gucken Sie sich auch an, was auf der Strecke Richtung Ulm schon entstanden ist . Dann kommen Sie vielleicht irgendwann in der Wirklichkeit an . Ich habe bei Ihnen zwar Zweifel, aber vielleicht schaffen Sie es doch . Dann ist bei Ihnen auch ein Erkenntnisgewinn möglich . ({1}) Meine Damen und Herren, Stuttgart 21 ist, auch wenn die Opposition das etwas anders sieht, ein Projekt von nicht nur regionaler, baden-württembergischer und deutscher, sondern auch von europäischer Bedeutung . ({2}) Durch dieses Projekt werden Städte und Regionen mit 34 Millionen Menschen und 16 Millionen Arbeitnehmern miteinander verknüpft . Ich wiederhole das für Sie gerne nochmals, Frau Leidig: Die Strecke führt von Paris über Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, München, Wien und Bratislava bis nach Budapest . ({3}) Das ist das Rückgrat einer gesamteuropäischen Schienenverbindung und ein Zeichen des verkehrlichen Zusammenwachsens ganz Europas . ({4}) Nebenbei bemerkt, verehrte Kollegin: Eine eindeutige Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg will dieses Projekt . ({5}) Bei der Volksabstimmung am 27 . November 2011 haben sich fast 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gegen den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung ausgesprochen . ({6}) Damit ist das grün-rote Stuttgart-21-Kündigungsgesetz gescheitert, und zwar krachend . ({7}) Die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg haben mit Weitsicht gehandelt, und diese Weitsicht würde ich gerne auch in den vorgelegten Anträgen der Grünen und der Linken wiederfinden. Das scheint aber leider nicht der Fall zu sein . ({8}) Am 5 . März 2013 hat sich auch der Aufsichtsrat der Bahn aufgrund der plausiblen Darlegung der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit durch den Vorstand für die Fortführung des Projekts Stuttgart 21 und gegen einen Abbruch ausgesprochen . Auch das nehmen wir zur Kenntnis . Ich fordere das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart und alle Projektbeteiligten auf, daran mitzuarbeiten und dazu beizutragen, dass dieses Projekt zügig und ohne weitere Behinderungen vorangebracht werden kann . ({9}) An dieser Stelle appelliere ich insbesondere an die Grünen: Machen Sie doch einmal etwas anderes als diese turnerischen Spagatübungen . Es gibt einen grünen Ministerpräsidenten, einen grünen Landesverkehrsminister und einen grünen Oberbürgermeister, die als Beteiligte zum Gelingen dieses Projektes beitragen müssen . Nur die grüne Bundestagsfraktion spricht sich gegen dieses Projekt aus . ({10}) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Sie müssen der Öffentlichkeit einmal erklären, wie Sie das zusammenbekommen . Ich bekomme das nicht zusammen . Ich weiß, dass die grüne Basis es nicht gut findet. Aber Ihr grüner Landesverkehrsminister hat öffentlich kundgetan, dass er konstruktiv-kritisch zum Gelingen dieses Projektes beitragen will . ({11}) Das finde ich gut und richtig. Konstruktiv-kritisch sind wir alle . Aber er hat dadurch mit Ihnen und Ihrer grünen Basis ein kleines Problem . Wir als Bundesregierung stehen zu unseren Vereinbarungen und zu unseren Zusagen . Wir haben gesagt: 563,8 Millionen Euro übernehmen wir als Festbetrag . Das ist der Anteil, der für die Einbindung der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm in den Knoten Stuttgart auch ohne Verwirklichung von Stuttgart 21 erforderlich gewesen wäre . Zu dieser Zusage stehen wir klar und eindeutig . ({12}) Darüber hinaus übernehmen wir auch für die Gesamtfinanzierung der Strecke Wendlingen-Ulm ab dem Jahr 2016 die entsprechenden Notwendigkeiten . All das ist im Planfeststellungsbeschluss und im Bundesverkehrswegeplan enthalten . Es geht voran . Ich habe mich erst unlängst beim Durchschlag des Steinbühltunnels im November 2015 vor Ort kundig machen können . Wir sind bei dieser Bahnstrecke Richtung Ulm voll im Zeitplan . ({13}) Darüber hinaus soll dann, wenn die Bahnstrecke bis Ulm fertiggestellt ist, der Weiterbau Richtung Augsburg in Angriff genommen werden, damit dann die gesamte Strecke mit 200 km/h befahren werden kann . ({14}) Das, meine Damen und Herren, ist dann hoffentlich ein gutes Beispiel für eine moderne Mobilitätspolitik des Bundes . Dass dieses Projekt sehr mühsam zustande gekommen ist, will ich gerne zugestehen . Aber wenn es dann fertig ist, wird es ein Beispiel für eine wirklich zukunftsweisende Mobilitätspolitik sein . Daran sollten Sie mitwirken, anstatt dagegen zu sein . Aber das ist Ihre eigene Entscheidung . Diese muss man Ihnen überlassen . Wir sind überzeugt: Das Projekt ist im Zeitplan und geht einer guten Vollendung entgegen . Danke . ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Matthias Gastel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der November 2011 war ein ganz besonderer Monat, nämlich der Monat, in dem die Grünen, nachdem sie in Baden-Württemberg an die Regierung kamen, den Bürgerinnen und Bürgern Baden-Württembergs das erste Mal die Möglichkeit gegeben haben, an einer wichtigen Sachentscheidung, nämlich der Mitfinanzierung von Stuttgart 21 durch das Land, mitzuwirken . Wir als Grüne haben für das Ja zum Ausstieg gekämpft . Wir haben leider verloren . ({0}) Als gute Demokraten akzeptieren wir selbstverständlich dieses Ergebnis . ({1}) Dieses Ergebnis hat für uns zwei Dinge zur Folge . Der erste Punkt ist unser Versprechen des kritischen Begleitens . Der Antrag, über den wir heute diskutieren, ist Teil der Einlösung dieses Versprechens, das Projekt Stuttgart 21, das durch die Volksabstimmung keineswegs besser geworden ist, kritisch zu begleiten . Der zweite Punkt ist der Kostendeckel, Sabine Leidig, aber natürlich bezogen auf den Landesanteil . Es gibt keinen Kostendeckel auf den Gesamtbetrag . Das ist logisch . Es kann nur um den Anteil des Landes gehen . Da sind wir Grünen die Garanten dafür, dass der Kostendeckel weiterhin gilt . ({2}) Winfried Kretschmann hat nach der Volksabstimmung gesagt: Es ist nicht verboten, schlechte Bahnhöfe zu bauen . - Damit hat er recht . Er akzeptiert damit das Votum; das tun wir Grüne alle . ({3}) Aber er sagt auch, dass wir keineswegs der Meinung sind, dass der Bahnhof dadurch in der Sache besser geworden wäre . Dieser Bahnhof, der dort geplant wird, ist ein grottenschlechter Bahnhof . Das ist ein Rückbau von Infrastruktur für einen Haufen Geld . ({4}) Mit unserem Antrag bezwecken wir mehrere Dinge . Wir wollen, dass eine aktuelle Kostenberechnung vorgenommen wird . Wir wollen, dass die Kosten, die am Ende tatsächlich zu erwarten sind, endlich offengelegt werden; denn dieses Projekt lastet auf dem Bahnkonzern wie Blei . Gerade in den Zeiten, in denen die Gewinne schrumpfen und die Verschuldung steigt, wird dieses Projekt zunehmend zum Problem des Konzerns und damit auch des Eigentümers, nämlich des Bundes, der sich nicht länger damit herausreden kann, er habe damit überhaupt nichts zu tun . ({5}) Wir wollen Offenheit und Transparenz für dieses Projekt . Dazu gehört auch, die Prüfberichte des Bundesrechnungshofs vorzulegen, sobald sie fertig sind . Dazu gehört, die Rolle des Aufsichtsrats und vor allem der Mitglieder der Bundesregierung, die dem Aufsichtsrat angehören, klarzustellen, wenn es darum geht, ein Projekt weiterzubetreiben, das längst die Wirtschaftlichkeit verloren hat . Was den Flughafen angeht - da gibt es inzwischen deutliche Verbesserungen -, wollen wir, dass auch die Gäubahn-Lösung endlich entwickelt wird, wie es Heiner Geißler in seinem Schlichterspruch gefordert hat . Wir brauchen eine Nutzungskonzeption für die Gäubahn zwischen Stuttgart-Vaihingen und Stuttgart-Hauptbahnhof . Ansonsten sind wir Grünen natürlich sehr froh und dankbar für die Lösung am Flughafen, die durch das Zutun von Winne Hermann und anderen Projektpartnern möglich geworden ist . Hier gibt es auf jeden Fall deutliche Verbesserungen . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Gastel, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte schön .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Bitte .

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Gastel, es ist wunderbar, was Sie im Deutschen Bundestag über die Verantwortlichkeiten ausführen . Aber ich muss noch einmal darauf zurückkommen, dass Sie gerade festgestellt haben, dass Sie über Ihre Landesregierung zum Gelingen des Projektes beitragen wollen . Ich verstehe insofern den Antrag nicht . Wenn Sie etwas nachrechnen wollen, warum machen Sie es dann nicht über die eigene Regierung in Stuttgart, an der Sie beteiligt sind? ({0})

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Lange, als ob eine Landesregierung ein Milliardenprojekt, das nicht ihr eigenes Projekt, sondern das Projekt der Deutschen Bahn ist, nachrechnen könnte . Wir kommen doch noch nicht einmal an alle Unterlagen heran . Wie soll denn eine Landesregierung ein solches Projekt, das sie selber nicht betreibt, nachrechnen können? Das ist schlicht und ergreifend unmöglich . ({0}) Das kann nur die Deutsche Bahn machen . Deswegen fordern wir, dass der Bundestag über die Bundesregierung den Bahnkonzern dazu zwingt, die Dinge offenzulegen und nachzukalkulieren, um zu sehen, ob die Wirtschaftlichkeit überhaupt noch gegeben ist . Wir wollen wissen, wie es um das Kosten-Nutzen-Verhältnis steht . ({1}) Das kann keine Landesregierung nachrechnen . Eine Landesregierung hat doch gar keinen Zugang zu den Unterlagen, und sie hat auch nicht das Personal dafür . ({2}) Es ist wirklich absurd, was Sie für Vorstellungen haben, Herr Kollege Lange . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Lange, das geht nicht . Sie können eine Zwischenfrage stellen, aber Sie müssen schon mit der Antwort darauf leben . ({0}) - Herr Kollege Lange, Sie hatten eine Zwischenfrage . Sie können sich zu einer Kurzintervention melden - die Möglichkeit haben Sie -, aber bitte keine Erwiderungen auf eine Antwort .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zurück zu unserem Antrag . Ein weiterer Punkt ist: Wir fordern eine neue Kapazitätsberechnung; denn wir haben nach wie vor große Zweifel, ob dieser Tiefbahnhof die Verkehre abwickeln kann, die notwendig sind, um Menschen möglichst pünktlich, zuverlässig und in größerer Zahl als bisher mit dem System Bahn zu befördern . ({0}) Im Übrigen ist seit Beginn der Diskussion um Stuttgart 21 das Thema Deutschland-Takt neu dazugekommen . Das heißt, wir wollen optimale Umsteigebeziehungen bieten . Dazu brauchen wir Bahnhöfe mit der entsprechenden Kapazität, in denen Züge auch auf Fahrgäste aus verspäteten Zügen warten können . Dabei kann man sich nicht nur auf einen Hauptbahnhof beschränken, wo es nur darum geht, schnell aus- und einzusteigen, und dann fährt der Zug husch, husch schnell weiter . Das ist nicht der Bahnhof der Zukunft . Deswegen wollen wir eine neue Kapazitätsberechnung . ({1}) Die Anhörung des Verkehrsausschusses auf Grundlage unseres Antrages hat eindeutig erbracht, dass es Kapazitätsengpässe gibt, insbesondere an den Zulaufstrecken . Dieser These hat niemand widersprochen . Im Gegenteil: Sie ist bestätigt worden . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Sie müssen zum Schluss kommen .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Fazit zu unserem Antrag: Das, was hier geplant wird, ist und bleibt ein teurer Murks, der nicht funktionieren wird . Er wird am Ende der Deutschen Bahn und damit schließlich auch dem Eigentümer, dem Bund, massiv auf die Füße fallen . Deswegen muss der Bund anfangen, sich endlich für dieses Projekt zu interessieren,

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist vorbei .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- kritische Nachfragen zu stellen und Antworten einzufordern . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin spricht Annette Sawade von der SPD-Fraktion . ({0})

Annette Sawade (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004223, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebes Publikum auf den Tribünen! Lieber Matthias Gastel, in der Anhörung, von der du vorhin gesprochen hast, wurden viele Fragen beantwortet . Bei dem Problem, das die Zulaufstrecken betrifft, wurde zugesagt, dass die Zuständigen vom VCD und Professor Martin miteinander reden . Ich denke, dass die Gespräche stattfinden werden. Insofern hat die Anhörung ein Ergebnis gezeitigt . ({0}) Ich selbst kann nicht mehr sagen, wie oft Stuttgart 21 Thema hier im Deutschen Bundestag war . Für mich jedenfalls ist es an dieser Stelle eine Premiere, das Thema aber nicht . In meiner gesamten Zeit als Stadträtin in Stuttgart von 1994 bis 2009 war Stuttgart 21 ein Dauerbrenner mit wechselnder Intensität . Ich landete 1994 mitten in diesem Thema . Es gab Bürgerforen . Wir machten Führungen auf dem vorgesehenen Gelände und hatten zahlreiche Podiumsdiskussionen . ({1}) - Das weiß ich besser als Sie . ({2}) Dann herrschte Funkstille . Die Projektgruppen wurden zurückgebaut, bis es zur Wiederbelebung im Jahr 2009 mit der Finanzierungsvereinbarung kam . Dann kamen plötzlich Widerstände und Ablehnungen; das alles ist bekannt . Ich glaube, die einen haben gedacht: „Das kommt nicht mehr“, und die anderen haben gedacht: „Das ziehen wir einfach durch .“ Beides waren falsche Schlüsse . Gelernt haben wir alle aus diesen Vorgängen, auch aus dem schlimmen 30 . September 2010, und der Schlichtung, die die Fortführung des Projektes unter Auflagen zum Ergebnis hatte . Aber gestatten Sie mir in Erinnerung an die gestrige Debatte folgende Bemerkung: Vergleiche der rassistischen Übergriffe und Demonstrationen im sächsischen Clausnitz und Bautzen mit den Demonstrationen der S-21-Gegner verbieten sich einfach . Wir können keine Verharmlosung der rassistischen Demonstrationen gebrauchen . ({3}) Zurück zu Stuttgart . Ja, Diskussionen und die erforderliche Transparenz der Planungen bei solchen Projekten sind notwendig, weil auch diese Projekte leben und weiterentwickelt werden . Aber bereits in den 90er-Jahren gab es die ersten Umplanungen . Die sogenannten Zwischenangriffe wurden aufgrund der Mitsprache der Bevölkerung dahin verlegt, wo sie am wenigsten störten . Ja, manche heftige, konstruktive Kritik und die Forderung nach mehr Transparenz, das hat schon geholfen, Veränderungen, und zwar nicht nur kleine, zu bewirken . Heute ist deutlich sichtbar: In Stuttgart sowie zwischen Wendlingen und Ulm wird heftig gebaut; der Staatssekretär hat das bereits erwähnt . ({4}) Von rund 59 Kilometer sind bereits 12,6 Kilometer Tunnel ausgehoben . Auf der Neubaustrecke WendlingenUlm sind es 27,7 Kilometer von rund 62 Kilometer . Ein Viertel des Gesamtbudgets ist bereits bezahlt . 50 Prozent der Aufträge sind vertraglich gebunden . Einmal nachdenken bitte, was ein Stopp allein an Vertragsstrafen kosten würde! ({5}) Hier auf diesem Bild sehen Sie die große Baustelle in Stuttgart . Es gibt mächtige Baugruben . Ich weiß nicht, ob das bei einem Stopp so bleiben soll . Wir möchten schließlich wieder ein schönes Stadtzentrum haben . ({6}) Als regelmäßige Umsteigerin am Hauptbahnhof in Stuttgart erlebe ich die wöchentlichen Veränderungen . Stillstand oder Chaos sieht anders aus . Im Antrag der Linken, über den wir heute debattieren, finden wir auf wenige Zeilen verteilt und bereits in der Überschrift Worte wie Desaster, Stopp, Ausstieg, Schaden . Ich denke, wir sollten zur sachlichen Diskussion zurückfinden; denn Horrorszenarien sind - hören Sie bitte gut zu! - nie gut für eine sachliche und ergebnisorientierte Debatte . Sie verstellen uns nur den Blick . ({7}) Wie ich schon eingangs sagte, ist die Debatte wichtig, aber dort, wo schon Entscheidungen getroffen werden können, wo Verbesserungen und Weiterentwicklungen zur Diskussion stehen . Natürlich gehören Fragen der Sicherheit, der Feinplanung und der Kostenentwicklung offen besprochen . Grundsätzlich ein Projekt zu befürworten, bedeutet ja nicht, sich nicht kritisch mit diesem Projekt auseinanderzusetzen . Der Statements zu S 21 sind viele . Viele werden ständig wiederholt . Aber vom steten Wiederholen allein werden Argumente nicht besser oder überzeugender . Am 6 . Mai 2015 hatten wir die letzte öffentliche Anhörung ich sprach darüber -, und in zwei Wochen folgt die nächste . Und nun noch dieser neue Antrag der Linken! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier möglicherweise ein wenig Wahlkampf gemacht werden soll, anstatt sachlich und konstruktiv voranzukommen, was wir alle doch wohl wollen . Ich zitiere: „Die Mehrheit wollte S 21 . Also wird es jetzt gebaut .“ Das hat Winfried Kretschmann nach dem Ergebnis der Volksabstimmung im November 2011 gesagt . 58,8 Prozent waren dafür . Er hat es im Anschluss daran als „erlebnispsychologisch interessant“ bezeichnet . Mal sehen . ({8}) Mittlerweile arbeiten sowohl der Verkehrsminister als auch der Oberbürgermeister von Stuttgart an der Entwicklung des Projekts mit . Da gibt es die Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung des Rosensteinviertels . Diese würde es nie geben, wenn das Gleisvorfeld nicht abgebaut würde . ({9}) Sie wird noch wesentlich verbessert durch den Rückbau der teilweise 17 Meter hohen Überwerfungsbauwerke im Gleisvorfeld . Damit kann endlich das berühmte Grüne U der IGA von 1993 erweitert und geschlossen werden . ({10}) Selbst die Grünen hatten im März 1999 - bitte gut zuhören - die große städtebauliche Chance durch den Wegfall des Gleisvorfeldes erkannt, in einem Antrag im Gemeinderat dazu Forderungen formuliert und ihre Zustimmung zum Ankauf des Geländes in Aussicht gestellt . ({11}) Auch die Lösung am Flughafenterminal durch das dritte Gleis gehört zu diesen konstruktiven Verbesserungen . Ja, es ist auch ein ingenieurtechnisch ungeheuer anspruchsvolles Projekt. Die Topografie Stuttgarts und auch der Albaufstieg fordern unseren Ingenieurinnen und Ingenieuren alles ab . Um mit Wolfgang Dietrich, dem ehemaligen Sprecher des Projektbeirates zu sprechen, zitiere ich: Wer immer gegen die Bahn schreibt, schreibt … damit wiederholt auch gegen Menschen . Gegen Planer oder Ingenieure, die für ihre Arbeit haften . Deshalb spreche ich an dieser Stelle meine ganze Hochachtung den Menschen, den Spezialisten sowie allen Bauarbeiterinnen und Bauarbeitern auf dieser Baustelle aus . Leider werden uns über kurz oder lang diese Fachleute fehlen . Deswegen müssen wir dringend an der Ausbildung und Beschäftigung dieser Menschen arbeiten . ({12}) Ich komme noch kurz auf zwei Punkte zurück . Zu den Kosten: Der Finanzierungsrahmen für S 21 beträgt unverändert 6,5 Milliarden Euro . Andere Zahlen sind Spekulation . ({13}) Die geplanten Rückbaukosten sind zu niedrig gegriffen . Was ist die Alternative? Seien wir doch mal ehrlich: Allein die Bauverzögerungen haben sehr viel Geld gekostet . Neue Brandschutzverordnungen müssen umgesetzt werden, und das kostet Geld . Eine Grobplanung kann nicht jedes Detail voraussehen . Risiken müssen eingeplant werden . Das ist keine Entschuldigung für die anfangs fehlende Transparenz und Kommunikation .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .

Annette Sawade (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004223, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich muss hier fertig werden . ({0}) Ein kleines Beispiel aus meinem privaten Leben: Man kauft ein altes Haus - laut Vertrag „gekauft wie gesehen“ - und stellt dann fest, dass die Anlage zur Warmwasserversorgung zu erneuern ist . Kosten: zusätzlich 10 Prozent der Renovierungskosten . Lasse ich es so, wie es ist? Nein, ich investiere und habe damit einen Mehrwert geschaffen . Um mit dem Vater von Stuttgart 21, Professor Heimerl, zu sprechen: Wer aufhört, besser werden zu wollen, hört auf, gut zu sein . ({1}) - Nein, hat er nicht . - Ich komme noch einmal auf Professor Heimerl zurück . Er, der bei diesem Projekt nie polemisch wurde und teilweise sehr harsch angegangen wurde, sagt heute zu S 21: In Stuttgart 21 sei viel mehr drin, als er ursprünglich vorgeschlagen habe . - Und weiter: Aber alles, was ich damals wollte und geplant habe, wird letztlich mit Stuttgart 21 verwirklicht . Bleiben wir offen für Verbesserungen, für hohe Transparenz und Kommunikation . Lassen wir weiterbauen und begleiten dieses Projekt weiterhin konstruktiv, kritisch, vertrauensvoll und mit dem notwendigen Schuss Optimismus . Vielen Dank . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner in der Debatte hat Stefan Bilger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich mal wieder eine Stuttgart-21-Debatte; man hat das ja fast schon vermisst . ({0}) Ich muss sagen: Es war schon mal mehr los . Bei den Grünen sind vielleicht acht Abgeordnete anwesend . Bei den Linken sind es vielleicht knapp zehn . ({1}) - Nein, keine Sorge, die Beschlussfähigkeit wollen wir natürlich nicht anzweifeln . Aber das zeigt vielleicht schon, was sich in dieser Diskussion bewegt hat . Wir von der Union haben uns noch nie vor der Diskussion über dieses Projekt gescheut . Der Einsatz hat sich gelohnt . Denn die Mehrheit der Baden-Württemberger hat sich - das wurde schon angesprochen - bei der Volksabstimmung am 27 . November 2011 ganz klar hinter Stuttgart 21 gestellt . ({2}) Seitdem - das kann ich als jemand aus der Region Stuttgart sagen - wird auch kaum mehr in der Bevölkerung über dieses Projekt diskutiert und gestritten . ({3}) Nun sind aber bald Landtagswahlen in Baden-Württemberg . Für die Linken ist es anscheinend die letzte Hoffnung, um Aufmerksamkeit zu erzielen, den verbliebenen harten Kern der Stuttgart-21-Gegner zu reaktivieren . Ich will klar sagen, dass man natürlich auch gegen Stuttgart 21 sein konnte, und zwar durchaus mit beachtlichen Argumenten, wie das bei einem solch großen Projekt mit vielen Pros, aber auch mit einigen Kontras immer ist . Wie es die meisten Projektgegner bereits getan haben, kann auch ich Sie nur auffordern, endlich das Votum der Baden-Württemberger zu respektieren und nicht immer neue Querschüsse zu versuchen . ({4}) Dass Sie dies auf Grundlage eines gemeinsamen Antrags mit den Grünen tun, verdient allerdings eine besondere Betrachtung; denn der Antrag ist insofern spannend, als die Grünen so tun - das wurde gerade schon angesprochen -, als ob sie selbst an dem Projekt gar nicht beteiligt wären . Aber im Gegensatz zur Bundesregierung sind Vertreter der baden-württembergischen Grünen eben auch Projektpartner von Stuttgart 21 ({5}) noch über die Landesregierung, aber auch über die Stadt Stuttgart . So erklärt sich auch, dass Sie hier im Bund mit Ihrem Antrag noch gegen die verbesserte Flughafenanbindung gewettert haben, als die grün-rote Landesregierung endlich dem Druck nachgegeben und sich zu einer besseren Lösung durchgerungen hatte . Das wenigstens haben Sie noch mit einem Änderungsantrag korrigiert .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Bilger, die Kollegin Leidig hat die Bitte um eine Zwischenfrage .

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe den Eindruck gewonnen, es sei Konsens, dass keine Zwischenfragen mehr von Kollegin Leidig zugelassen werden . Deswegen will ich mich diesem Konsens nicht verschließen . ({0}) Eines wird doch einmal mehr deutlich: Während die offizielle Maxime der Landesgrünen nach dem positiven Volksentscheid ist, stillzuhalten und Stuttgart 21 fertigzustellen - Ihrem Wahlprogramm habe ich entnommen, das Ergebnis der Volksabstimmung sei für Sie bindend -, wird hier wieder einmal Fundamentalopposition betrieben - und dann noch zusammen mit den Linken . ({1}) Auf der einen Seite wollen Sie das Ergebnis der Volksabstimmung respektieren, auf der anderen Seite mit den Linken gemeinsame Sache machen . Das passt nicht zusammen . ({2}) Es passt auch noch etwas gar nicht zu Ihrem ansonsten sehr staatstragenden Wahlkampf: einmal mehr bürgerliches Erscheinungsbild, in Wahrheit linke Politik . Das ist die typische grüne Doppelzüngigkeit . ({3}) Stuttgart bekommt einen eleganten Bahnhof und einen modernen Bahnknoten, um den wir beneidet werden und von dem die gesamte Region und das gesamte Land Baden-Württemberg profitieren werden. ({4}) Die Landeshauptstadt bekommt neue Chancen bei der Stadtentwicklung . Neue Wohnungen in bester Innenstadtlage, Büros und Gewerbeflächen und zudem mehr Grünanlagen als zuvor werden entstehen . Wir brauchen ohnehin eine Erneuerung des Stuttgarter Hauptbahnhofs . Die ganze Region Stuttgart braucht eine bessere Verkehrsinfrastruktur . ({5}) Wir profitieren nicht zuletzt von den Investitionen rund um Stuttgart 21 . Denken Sie doch bitte auch einmal an die vielen Arbeitsplätze, die an diesem Projekt hängen . ({6}) Es ist für die Pendler besser, und - noch einmal - die demokratische Legitimierung durch zahlreiche Beschlüsse von Volksvertretern und durch die Volksabstimmung wiegt weitaus mehr als Ihre parteipolitisch motivierten Spielchen in Berlin . Die Argumente sprechen für Stuttgart 21, und daran hat sich in den vergangenen Jahren auch nichts geändert . Trotz der ganzen bereits erfolgten Bauarbeiten ist übrigens noch nichts eingestürzt, die Mineralquellen sind nicht versiegt, und auch sonst geht der Bau erfreulich problemlos voran . Verbesserungen während des Baus sind dabei immer möglich . Erst vor kurzem wurde das Brandschutzkonzept noch einmal verbessert, ({7}) obwohl das bisherige Konzept bereits genehmigt war . Ich würde mich wirklich freuen, wenn alle politisch Verantwortlichen endlich in diesem Sinn für den Erfolg des Projekts arbeiten würden, zur Verbesserung beitragen, wo nötig oder möglich, und ansonsten nicht ständig Sand ins Getriebe streuen würden . Politik für Baden-Württemberg sieht jedenfalls anders aus . ({8}) Ich kann Sie nur auffordern: Begleiten Sie den weiteren Baufortgang endlich konstruktiv . Hören Sie auf mit dieser Form der Fundamentalopposition, und lassen Sie diese albernen Vorstöße, den Bau von Stuttgart 21 zu stoppen . Mit Verlaub, damit würden wir uns wirklich in der ganzen Welt nur lächerlich machen . ({9}) Wir würden als unfähig dastehen, aber vor allem hätten auch die Menschen im Schwabenland, dem Land der sparsamen Häuslebauer, kein Verständnis dafür . In dieser Debatte wurde einmal mehr deutlich: Wer wirklich eine konstruktive Begleitung des Projekts will, der sollte dafür sorgen, dass die Grünen der nächsten Landesregierung nicht mehr angehören . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Leidig erhält das Wort zu einer kurzen Kurzintervention . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Bilger, so ist eben parlamentarische Demokratie . Da müssen Sie jetzt durch . Ich möchte einige Punkte festhalten, die ich für sehr wesentlich halte . Es ging bei Stuttgart 21 von Anfang an um die Frage, was dieses Projekt kosten wird, jenseits der Frage, ob es überhaupt Sinn macht . Die lasse ich jetzt einmal ausgeklammert . Es gab eine eindeutige Festlegung, nicht nur des Bahnchefs Grube, sondern auch des damaligen Verkehrsministers Ramsauer, dass 4,5 Milliarden Euro die absolute Obergrenze für das Gesamtprojekt sind, weil es ansonsten ein unwirtschaftliches Projekt für den Konzern Deutsche Bahn AG wäre . Dann, etwa ein Jahr später, hat derselbe Herr Grube nachrechnen müssen, weil die an ihn gerichteten Fragen nicht aufhörten, und er musste feststellen, dass dieses Projekt 2 Milliarden Euro teurer wird . Daher muss man einfach sagen: Schon allein dadurch ist es ein unwirtschaftliches Projekt . Die Einzigen, die von Anfang an die Kosten realistisch abgeschätzt haben, waren von dem unabhängigen Unternehmen Vieregg-Rössler, das übrigens für die Schweizer Bahn extrem viele Aufträge erfolgreich abwickelt . Jetzt hat dasselbe Unternehmen eine aktuelle Kostenschätzung von 9,8 Milliarden Euro vorgelegt . Ich kann einfach nicht begreifen, wie Sie sich hinstellen und sagen können: Es ist alles in Ordnung . - Da ist überhaupt nichts in Ordnung . Ihre Zusagen, Ihre Versprechen sind gebrochen, und der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG hat die Verantwortung dafür, wirtschaftlichen Schaden vom Unternehmen abzuhalten. Ich finde, Sie müssen sich ernsthaft überlegen, wie die Vertreter der Bundesregierung in der nächsten Aufsichtsratssitzung am 15. März 2016 auf den Bahnvorstand Einfluss nehmen bzw . ob sie aufhören, dafür zu sorgen, dass der Bahnvorstand wider besseres Wissen - Herr Grube will das Projekt nämlich längst nicht mehr - handelt und er endlich die Möglichkeit hat, diesem Desaster zu entkommen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Bilger, Sie haben jetzt die Möglichkeit zur Erwiderung .

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Leidig, ich glaube, wir sollten alle darauf achten, dass der Zeit- und Kostenplan eingehalten wird . Dazu gehört eben auch, dass man nicht ständig weiter Sand ins Getriebe streut . Dazu können wir alle einen Beitrag leisten . Man gewinnt ja fast den Eindruck, so wie Sie sich hier die ganze Zeit einbringen, Ihnen wäre es lieber, wenn es immer teurer werden würde . Ich freue mich als Baden-Württemberger über dieses Zukunftsprojekt, das in Stuttgart gebaut wird, das für ganz Baden-Württemberg eine gewaltige Bedeutung hat . Ich freue mich über jeden Euro, der dort investiert wird . Ihr Vorschlag, das Projekt jetzt abzubrechen, ist wirklich das Absurdeste, was man sich vorstellen kann, Frau Kollegin Leidig . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zu den Abstimmungen . Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/7566 ab . Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und mitberatend an den Haushaltsausschuss . Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung an die Ausschüsse? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalition und von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden . Die Überweisung ist so beschlossen . Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/7566 nicht in der Sache ab . Ich komme zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Offene Fragen zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 aufklären“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5399, den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3647 abzulehnen . Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Drucksache 18/7694 vor . Über diesen Änderungsantrag stimmen wir zunächst ab . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesstatistikgesetzes und anderer Statistikgesetze Drucksache 18/7561 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der Aussprache hat Herr Dr . Tim Ostermann von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({1})

Dr. Tim Ostermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004367, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir widmen uns heute der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesstatistikgesetzes und anderer Statistikgesetze . Da könnte man auf den ersten Blick den Eindruck gewinnen: Das ist ja recht trocken . ({0}) Bei näherem Hinsehen ({1}) stellt man aber fest, dass Statistiken das staatliche Handeln in einem nicht unerheblichen Maße beeinflussen. Kaum eine politische Entscheidung wird heute gefällt, ohne dass vorher einschlägige Statistiken konsultiert und analysiert werden . Ordentliche und gut geführte Statistiken sind wichtig; denn dadurch können ausgewogene politische Entscheidungen getroffen werden . ({2}) Daher debattieren wir heute ein Thema, das die informationelle Basis unseres Staates und damit unserer Gesellschaft betrifft . Da dies heute die erste Lesung des Gesetzentwurfs ist, will ich zunächst einmal die Highlights des Entwurfs wiedergeben . Das Gesetz will den Rechtsrahmen der Bundesstatistik praxisgerecht modernisieren . Diese Modernisierung umfasst vier Aspekte . Der erste Aspekt ist die verstärkte Nutzung von bereits vorhandenen Verwaltungsdaten bei der Erstellung von Statistiken . Dies dient der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Entlastung der Wirtschaft . ({3}) Die Regelung macht Sinn . Wenn bestimmte Daten ohnehin schon bei Verwaltungsstellen vorhanden sind, ist es effizienter, diese Daten von den Stellen abzurufen, anstatt sie in einer aufwendigen Befragung von Bürgern und Unternehmen zu erheben . Für Privatpersonen und Wirtschaft sinkt dadurch der Aufwand . Und das ist gut so . Richtig ist, dass auf der anderen Seite bei der Verwaltung zunächst ein höherer Erfüllungsaufwand entsteht . Beim Statistischen Bundesamt muss zunächst jemand prüfen, ob überhaupt geeignete Daten für eine entsprechende Statistikerstellung zur Verfügung stehen . Dieses Verfahren ist in zwei Schritte aufgeteilt . Zunächst müssen in einem groben Prüfvorgang diejenigen Daten identifiziert werden, die für eine nähere Prüfung infrage kommen. Anschließend findet eine Einzeldatenprüfung mit der entsprechenden Prozessumstellung statt, damit die Daten künftig automatisiert dem Statistischen Bundesamt zur Verfügung stehen . Sofern die Daten im Kompetenzbereich der Länder liegen, kommt auch auf diese ein zusätzlicher Erfüllungsaufwand zu . Die Daten müssen dort zunächst anonymisiert und anschließend in ein Format gebracht werden, das vom Statistischen Bundesamt verwendet werden kann . Meines Erachtens ist dieser Mehraufwand allerdings gerechtfertigt . Wenn Daten ohnehin vorliegen, sollten sie nutzbar gemacht werden, anstatt Bürger und die Wirtschaft für eine erneute Erhebung in Anspruch zu nehmen . ({4}) Ich denke, dies entspricht zum einen dem Effizienzgedanken, zum anderen aber auch dem Gedanken, Privatpersonen und Unternehmen von staatlichen Handlungen möglichst zu verschonen . Auch das ist für unsere Fraktion wichtig . Im Übrigen folgt dies auch einer Vorgabe der EU-Verordnung über europäische Statistiken aus dem Jahr 2015 . ({5}) Zusätzlich findet sich dieser Gedanke auch in einem Kabinettsbeschluss aus dem Jahr 2014 wieder . Das Bundeskabinett hatte seinerzeit Eckpunkte zur Entlastung der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie beschlossen . Der zweite Aspekt des Gesetzentwurfs ist die Anpassung des deutschen Rechts an das europäische Recht . Die EU-Verordnung aus dem letzten Jahr habe ich ja bereits erwähnt. Einerseits geht es hier um begriffliche Anpassungen, andererseits aber auch um eine Bekräftigung der Koordinierungszuständigkeit des Statistischen Bundesamtes . In den Bereich der Harmonisierung fällt im Übrigen auch ein erweiterter, letztlich aber natürlich vollständig anonymisierter Zugang zu Daten für die Wissenschaft . Der dritte Aspekt ist eine höhere Flexibilität bei der Anordnung von bestimmten Bundesstatistiken und freiwilligen Erhebungen für besondere Zwecke . Hier besteht das Ziel darin, schnell auf veränderte Datenbedarfe zu reagieren - etwa seitens der Europäischen Union oder oberster Bundesbehörden . Dazu ist eine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen vorgesehen, mit denen die Erstellung von Statistiken zur Erfüllung von EU-Lieferpflichten angeordnet werden kann. Hierbei geht es vor allem um Wirtschafts- und Umweltstatistiken, bei denen seitens der Befragten ohnehin eine Auskunftspflicht besteht. Sensible Erhebungen, die möglicherweise Grundrechte berühren, sind hiervon nicht erfasst und bedürfen nach wie vor einer gesetzlichen Grundlage . Zwar kann auch in diesen Bereichen eine Erhebung durchgeführt werden, jedoch besteht keine Auskunftspflicht, und die Befragten äußern sich nur auf freiwilliger Basis . Die Bundesregierung erstattet dem Deutschen Bundestag im Übrigen alle zwei Jahre Bericht über alle auf Grundlage dieser Ermächtigung angeordneten Statistiken . Der vierte und damit letzte Aspekt ist die Schaffung von Rechtsklarheit . Schwerpunkt ist hier die weitere Ausgestaltung eines Statistikregisters, das bisher schon existierte, jedoch noch weiter konkretisiert werden muss . Das Statistische Bundesamt wird künftig bezüglich dieses Registers die zentrale Koordinierungsfunktion übernehmen . Die Ämter der Länder wirken jedoch bei der Pflege mit und dürfen das Register ebenfalls nutzen. So sieht also das Gesetzespaket aus . Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein Großteil dieser Regelungen auf den vom Statistischen Beirat verfassten Empfehlungen zur Fortentwicklung der amtlichen Statistik beruht . Ich meine, dass mit diesem Gesetzentwurf eine begrüßenswerte Modernisierung unseres Bundesstatistikgesetzes vorgeschlagen wird . Das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates . Gleichwohl hat sich dieser in einer Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf geäußert . Der Bundesrat kritisiert darin, dass durch den Gesetzentwurf in die Kompetenzen der Länder eingegriffen würde . ({6}) So moniert der Bundesrat etwa, dass die Aufwertung des Statistischen Bundesamtes zulasten der Kompetenzen der Statistischen Landesämter ginge . Diese Aufwertung ist aus meiner Sicht jedoch nicht nur aufgrund der EU-Verordnung rechtlich geboten, sondern sie ist auch effektiv . Die Koordinierung und Überprüfung des Qualitätsstandards muss an zentraler Stelle erfolgen, und dies ist nun einmal die Bundesebene . Ein zweiter Kritikpunkt des Bundesrates ist die bereits angesprochene Prüfung von Datenbeständen durch das Statistische Bundesamt . Der Bundesrat sieht es hier als angemessen an, zunächst eine Prüfung durch die Landesämter voranzustellen . Eine Vorschaltung der Landesämter würde aus meiner Sicht aber zu einem Mehraufwand und zu Zeitverzug führen . Die Datenanforderung durch das Bundesamt sollte aber wenigstens im Benehmen mit den entsprechenden Landesministerien erfolgen . Dies hat die Bundesregierung bereits aufgegriffen und einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet . Mit diesen zwei Beispielen möchte ich verdeutlichen: Es besteht sicherlich Gesprächsbedarf hinsichtlich einiger Regelungen in dem Gesetzentwurf . Insgesamt ist der Entwurf jedoch stringent und durchdacht . ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf könnte das Statistikwesen im Sinne der Praxis, aber auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen modernisiert werden. Ich habe eben von Effizienz gesprochen . Darum lasse ich noch zwei Minuten Redezeit übrig . ({8}) Ich freue mich auf die anstehende Beratung im Innenausschuss und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich dachte schon, Sie wollten mir die zwei Minuten schenken . Schade! - Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Wir beraten hier heute über einen von der Bundesregierung eingebrachten Vorschlag zur Reform des Bundesstatistikgesetzes, die - ich zitiere - „eine praxisgerechte Modernisierung des rechtlichen Rahmens der Bundesstatistik“ bezweckt . Was nach einer Routineanpassung klingt, greift in Wirklichkeit in einen bürgerrechtlich äußerst sensiblen Bereich ein . Die grundlegende Novellierung des Bundesstatistikgesetzes erfolgte 1987 aufgrund des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichts . Das damals vom Gericht eingeführte Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss für uns weiter Geltung haben . ({0}) Meine Damen und Herren, wenn der vorliegende Gesetzesantrag zu größerer Transparenz bei der Datenerhebung und -aufbereitung führt, begrüßen wir das natürlich . Auch einzelne Elemente, wie etwa die vorgesehenen technischen Vorkehrungen zur Pseudonymisierung, sehen wir als Fortschritt . Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten . Äußerst kritisch sieht die Linke das geplante Anschriftenregister . Zu jeder Anschrift im gesamten Bundesgebiet sollen Postleitzahl, Gemeindebezeichnung, Straßenbezeichnung mit Hausnummer, Geokoordinate, Gesamtzahl der Personen je Anschrift sowie Wohnraumeigenschaften gespeichert werden. Das ist nicht weniger als eine Kartografierung der gesamten deutschen Bevölkerung . Begründet wird dies mit stichprobenartigen Befragungen wie bei dem EU-weiten Zensus von 2011 . Doch der nächste EUZensus steht erst 2021 an . Niemand kann sagen, ob die EU dann überhaupt noch in ihrer aktuellen Form bestehen wird . Doch die Bundesregierung will schon jetzt fleißig Daten horten, und zwar höchst sensible Daten; denn es gibt eine Menge Leute, die zum Beispiel gerne wüssten, in welchen Einfamilienhäusern nur noch eine Person lebt oder gar keine, zum Beispiel Immobilienmakler oder auch Einbrecherbanden . Wenn solche Angaben dann noch mit weiteren Datenbanken zusammengeführt werden, ist es schnell vorbei mit der Anonymität . Ich denke hier an das sogenannte Geoscoring, also die Ermittlung der Kreditwürdigkeit von Kunden anhand ihres Wohnortes . Die Bundesregierung muss erklären, wie sie die sensiblen Daten vor Missbrauch schützen will . Sie muss offenlegen, ob und wie sie zukünftige Begehrlichkeiten und Nutzungsansprüche von Sicherheitsbehörden oder kommerziellen Anbietern unterbinden kann . Meine Damen und Herren, es wurde eben schon gesagt: Auch der Bundesrat hat Bauchschmerzen bei dem Gesetz . Denn einige neue Regelungen greifen direkt in die Länderzuständigkeit ein . Zudem fehlt ein Umsetzungskonzept . Klar ist nur, dass die Länder den Löwenanteil der Kosten tragen sollen . Wir meinen: Bundesländer brauchen Statistiken gerade im Bereich der Wirtschaft, um eine eigene Politik umzusetzen . Doch sie sollten auch weiterhin die volle Gewalt über diese Daten behalten . Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf sind noch viele Fragen offen . Wir werden hier gewiss nicht die Katze im Sack kaufen . Dafür ist uns das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung viel zu wichtig . Schönen Dank . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Matthias Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Jelpke, es ist völlig richtig: Die Statistiken sind ein bürgerrechtlich sensibler Bereich . Aber Einbrecherbanden und Makler zu bemühen, um Probleme zu konstruieren, ist schon ganz schön weit hergeholt . ({0}) Aber Sie haben recht: Wir haben heute die erste Lesung und wollen uns den Gesetzentwurf genauer ansehen . Auch ich habe noch Kritikpunkte und Nachfragen . Darauf komme ich gleich . Ich wollte meine Rede mit einem Satz von Pythagoras beginnen . Sie alle kennen sicherlich einen Satz von Pythagoras, den Satz von Pythagoras: a2 + b2 = c2 . Sie sehen vor Ihrem geistigen Auge vielleicht noch das rechtwinklige Dreieck . Den Beweis konnten wir alle in der Schule führen . Darüber wollen wir heute aber gar nicht sprechen, ich wollte nämlich einen anderen Satz von Pythagoras zitieren . ({1}) - Okay, in Ordnung . - Pythagoras hat gesagt: „Die Zahl ist das Wesen aller Dinge .“ Heute möchte man den Satz folgendermaßen erweitern: Zahlen und Daten sind das Wesen aller Dinge . - Jetzt sind wir endlich beim Bundesstatistikgesetz angekommen, wie Sie es sich gedacht haben . ({2}) Der Umgang mit Zahlen und Daten hat sich seit Pythagoras erheblich geändert, Daten- und Zahlenfluss haben sich beschleunigt . Wir alle wissen, dass wir mit einem Mausklick oder dem Handy E-Mails im Nu versenden können, Überweisungen tätigen können, Daten senden können . Das hat natürlich das Datenvolumen in der Wirtschaft vervielfacht . Aber nicht nur dort . Ich frage mich manchmal - auch bei uns im Bundestag fällt sehr viel an -, wie unsere Kollegen vor 20 Jahren gearbeitet haben . Sie haben sicherlich ganz anders gelebt und gearbeitet als wir heute . Der Datenaustausch erfolgt natürlich auch zwischen Behörden . Die Daten laufen an vielen Stellen zusammen: im Bund, im Land und bei den Kommunen . Darüber hinaus werden zum Beispiel Wirtschaftsdaten bei der Deutschen Bundesbank erhoben . Bevor Statistiken erstellt werden konnten, mussten Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger bisher immer wieder befragt werden - ein mühsamer und aufwendiger Prozess für das Statistische Bundesamt, die Unternehmen und die Menschen . Frau Jelpke hat schon darauf hingewiesen: Es gab immer wieder Widerstand gegen Statistiken. Besonders signifikant war das bei der Volkszählung 1987 . Auch ich war seinerzeit als Volkszähler unterwegs und erinnere mich an eine harte Zeit . ({3}) - Ja, ich war auf der anderen Seite . Vielleicht haben wir uns gesehen; ({4}) ich weiß es nicht . Allerdings war ich in Marburg unterwegs . Bei dem Gesetzentwurf, der uns jetzt vorliegt, geht es darum, Auskunftspflichtige und Statistiker zu entlasten. Das allein ist schon ein guter Grund, einen Gesetzentwurf einzubringen . Aber es geht auch um die Modernisierung und Vereinfachung von Verfahren mit dem Ziel, Wirtschaft und Privatpersonen zu entlasten . Kollege Ostermann hat schon beschrieben, wie es gedacht ist . Ich will es den Zuschauerinnen und Zuschauern einmal erklären: Wenn man beispielsweise erheben wollte, welche Berufe Bundestagsabgeordnete haben und welchen Altersklassen sie angehören, dann könnte man allen 630 Abgeordneten einen Fragebogen zuschicken, abwarten, bis die Antworten kommen, und sie dann auswerten . Man kann sich aber auch Gedanken darüber machen, ob die entsprechenden Daten nicht schon an anderer Stelle vorhanden sind, so zum Beispiel bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages oder in Kürschners Volkshandbuch, und sie gegebenenfalls einfach auswerten . Genau das wollen wir jetzt dem Statistischen Bundesamt aufgeben: Es muss bei jeder Statistik zunächst prüfen, ob die Daten nicht an anderer Stelle vorhanden sind, und vorhandene Verwaltungsdaten gegebenenfalls nutzen . Teilweise wird das auch schon gemacht, aber eben nicht flächendeckend. Wir wollen mit dem neuen Gesetz erreichen, dass es flächendeckend passiert. Zweitens - Kollege Ostermann, Sie haben auch darauf hingewiesen - geht es um eine Flexibilisierung bei der Anordnung von Bundesstatistiken. Hier, finde ich, ist ein bisschen Vorsicht angebracht . Flexibilisierung - das klingt ja immer sehr positiv und kann auch positiv sein . Aber bisher galt der eindeutige Grundsatz: keine Statistik ohne Gesetz . Jetzt soll die Bundesregierung ermächtigt werden, unter bestimmten Voraussetzungen Statistiken per Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen . Da, Herr Kollege Krings, ist es gut, dass wir die Ausschussberatungen haben; denn man muss einfach tiefer einsteigen, damit klar wird, warum der Bundestag diese Rechte an die Bundesregierung abtreten soll, welchen Hintergrund und Sinn das hat . Dafür gibt es die Ausschussberatungen . Herr Kollege Ostermann, Sie haben auch darauf hingewiesen: Auch Statistiken für besondere Zwecke können erhoben werden, dann allerdings ohne Auskunftsverpflichtung. Es ist sicherlich immer gut, wenn es ohne Auskunftsverpflichtung passiert. Gleichwohl sollten wir im Innenausschuss auch darüber reden, zu welchen Zwecken das gemacht werden soll . Wie bei vorangegangenen Änderungen des Bundesstatistikgesetzes müssen auch hier EU-Recht und nationales Recht in Einklang gebracht werden . ({5}) Das werden wir jetzt mit diesem Gesetz tun . Die Standards werden angeglichen . Bei der Gelegenheit können wir den Menschen danken, die jeden Tag in den statistischen Ämtern der Länder und des Bundes für die Statistik und mit der Statistik arbeiten und uns alle mit sehr soliden Zahlen und Daten versorgen . Wir könnten fast kein Gesetzesvorhaben hier im Bundestag voranbringen, wenn wir nicht auf die Daten zugreifen könnten . Auch im Alltag begegnen uns die statistischen Daten an sehr vielen Stellen . Sie bilden die Grundlage für die Planung von Kindergärten und Schulen, von Krankenhäusern und Arztpraxen, von Wohnungen und des öffentlichen Nahverkehrs . Die Statistiken sind kaum wegzudenken . Der Gesetzentwurf ist damit im parlamentarischen Verfahren angekommen . Wir werden seine Beratung in den Ausschüssen begleiten . Ich freue mich auf die Diskussionen mit Ihnen allen in den Ausschüssen . Ich ende mit einem Zitat der Grande Dame der Statistik, von Elisabeth Noelle-Neumann, die gesagt hat: „Statistik ist … das Informationsmittel der Mündigen .“ Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Schmidt . - Schönen guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe als letztem Redner in dieser Debatte Dr . Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen das Wort . ({0})

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne, Sie haben sich vielleicht vor langer Zeit um eine Karte für die Besuchertribüne im Deutschen Bundestag beworben, ({0}) und jetzt sind Sie ausgerechnet bei der Debatte zum Bundesstatistikgesetz gelandet . Das klingt erst einmal langweilig, aber es ist tatsächlich ein interessantes Thema . Denn es geht uns alle an . Wir alle sind davon betroffen . Insofern ist dies eine gute Debatte . Das Bevölkerungsstatistikgesetz stellt die rechtliche Grundlage für die Erhebungen der Bundesstatistik dar, die Auskünfte über die Veränderungen in Zahl und Zusammensetzung der Bevölkerung gibt, von uns allen also . Klar ist: Derartige Erhebungen stellen eine wichtige Grundlage zielgerichteten staatlichen Handelns dar . Klar ist aber auch: Gerade in Zeiten von geheimdienstlichen Massenüberwachungsansätzen und Big-Data-Geschäftsmodellen müssen sie auf das tatsächlich Notwendige beschränkt sein, meine Damen und Herren . ({1}) An der Frage der Statistik entscheiden sich zentrale Fragen der Zukunft der digitalen Informations- und Wissensgesellschaft . Die mächtigen Treiber des Statistikwesens sind heute vor allem die großen Player des Silicon Valley; Mark Zuckerberg ist ja gerade in Berlin . Sie durchforsten bestehende Datenheuhaufen nach geringsten Abweichungen von statistisch errechnetem Normalverhalten . Das tun sie leider viel zu oft außerhalb jeglicher Gemeinwohlorientierung, fernab einer funktionierenden Aufsicht und bisher rechtlich weitgehend unreguliert. Die auf diesem Weg gewonnenen Profile sind nicht nur höchst aussagekräftig, für datenverarbeitende Konzerne stellen sie eine genauso lukrative Einnahmequelle dar, wie sie für das Individuum eine erhebliche Gefahr für dessen informationelle Selbstbestimmung sind . Das wurde hier schon angesprochen . Das Spannungsfeld zwischen in der Sache berechtigten modernen statistischen Erhebungsverfahren und dem notwendigen Schutz der persönlichen Informationen der Bürgerinnen und Bürger ist offenkundig . Gerade in der durchdigitalisierten Welt ist es Aufgabe des Gesetzgebers, sicherzustellen, dass die Errungenschaften moderner Erhebungsverfahren bestmöglich genutzt werden, gleichzeitig aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unbedingt erhalten bleibt, meine Damen und Herren . ({2}) Nachdenklich stimmen uns Aussagen des neuen Chefs des Bundesamtes für Statistik, der unter anderem Big Data als wichtiges Aufgabenfeld seiner Behörde ausgemacht hat . Ist das wirklich der richtige Ansatz, sich ausgerechnet diejenigen als Beispiel zu nehmen, die mit oftmals höchst fragwürdigen Praktiken das Ziel verfolgen, unsere noch so privaten Lebensbereiche statistisch berechenbar und kommerziell verwertbar zu machen? Wir sagen: Nein . ({3}) Solange es noch keine funktionierenden Mechanismen zur nicht wieder umkehrbaren Anonymisierung der Daten gibt, sind wir sehr gut beraten, hier deutliche Zurückhaltung an den Tag zu legen . Neben der Beschränkung auf die tatsächlich absolut notwendigen Informationen brauchen wir nachvollziehbare, transparente Abläufe Matthias Schmidt ({4}) und Verfahren, die Sicherstellung der Richtigkeit der Informationen und die zeitgemäße Absicherung des Statistikgeheimnisses . Der vorliegende Entwurf zeigt hier und da jedoch genau in die entgegengesetzte Richtung . Er enthält eine Reihe von Verschiebungen der Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in Richtung des Bundesamtes . Hier verweise ich auf die Ausführungen des Bundesrates . Wir erwarten eine sachorientierte Debatte, an welcher Stelle wir eine Zentralisierung wollen, aber wo eben auch nicht . Der Entwurf enthält zudem eine ganze Reihe von relevanten Grundrechtseingriffen, zumindest in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die nicht allein auf Rechtmäßigkeit hin zu diskutieren sind, sondern auch hinsichtlich der Frage, ob sie datenschutzpolitisch in die richtige Richtung gehen . Auch da kann man durchaus Zweifel haben . Wir erwarten daher auch hier eine auf der Grundlage der jüngst verabschiedeten Datenschutzverordnung geführte Diskussion, eine Erläuterung und Änderung des Gesetzentwurfs . Gerade in diesen Zeiten müssen wir dem Persönlichkeits- und Privatheitsschutz endlich die Bedeutung beimessen, die ihm angesichts immer neuer Datenerhebungs- und -auswertungsmöglichkeiten in Rechtsstaaten zukommen muss . Statt grundlegende Errungenschaften des Datenschutzes und damit den Kernbereich unserer verfassungsrechtlichen Identität infrage zu stellen, wie es derzeit leider das Bundesinnenministerium und neuerdings - man kann es kaum fassen - auch Peter Altmaier tut - ob es nun im Namen der Terrorbekämpfung oder im Namen fragwürdiger Geschäftsmodelle des Silicon Valley ist -, müssen wir das Ziel verfolgen, bestehende Schutzmechanismen auszubauen und innovativ weiterzuentwickeln . Das muss dieses Parlament hier leisten . Wir stehen für konstruktive Debatten zur Verfügung . Ganz herzlichen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Konstantin von Notz . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7561 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall, und die Überweisung ist so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Nicole Maisch, Dr . Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine faire und transparente private Altersvorsorge und ein stabiles Drei-Säulen-System Drucksache 18/7371 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte teilnehmen, zügig Platz zu nehmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre vieles, aber keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Sind wir startbereit? - Das sieht so aus . Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort Markus Kurth für Bündnis 90/Die Grünen .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Einmal im Jahr bekommen Sie von der gesetzlichen Rentenversicherung Informationen über Ihre zu erwartende gesetzliche Rente . Das Pendant dazu ist der jährliche Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung, der jedes Jahr Auskunft über das Gesamtsicherungsniveau gibt . Wenn Sie da hineinschauen, dann werden Sie sehen, dass das Niveau der gesetzlichen Rente, ausgehend von 53 Prozent im Jahr 2001, ({0}) Jahr für Jahr absinkt und bis zum Jahr 2030 bei rund 44 Prozent ankommen wird . Aber der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung suggeriert: Alles kein Problem; denn es gibt ja die geförderte private Altersvorsorge, vulgo Riester-Rente, und die wächst und wächst und wächst, sodass man später unter dem Strich keinen Cent Einbußen hat und das Gesamtsicherungsniveau weiterhin oberhalb von 50 Prozent liegt; so alljährlich die optimistische Prognose der Bundesregierung . Allerdings, wie bei allen Sachen, die sich erst einmal gut anhören, lohnt sich ein Blick ins Kleingedruckte . Denn dann sieht man, dass bestimmte Annahmen zugrunde gelegt werden: Es werden 4 Prozent Rendite pro Jahr erzielt ({1}) können Sie sich das heutzutage vorstellen? -, die Anbieter haben nur 10 Prozent Verwaltungskosten oder weniger - ist das realistisch? - und alle 36 Millionen Antragsberechtigten sind in vollem Umfang versichert und zahlen brav Jahr für Jahr 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens in die Riester-Rente ein . Ich sage Ihnen: Es sind gerade einmal 6,4 Millionen Versicherte, die das in diesem Umfang tun . Mich erinnert der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung an das Märchen Des Kaisers neue Kleider, in dem im Grunde genommen alle wissen: Der Kaiser ist nackt . Niemand aber wagt es, dieses auszusprechen . In diesem Fall müssten wir ernsthaft über das gesetzliche Rentenniveau und über Nutzen oder Nichtnutzen der Riester-Rente diskutieren . Das tun wir von Bündnis 90/ Die Grünen an dieser Stelle . ({2}) Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, der drei klare Kriterien enthält: Erstens . Wir wollen ein einfaches und nachvollziehbares Basisprodukt, in dem zunächst alle versichert sind . Wer das nicht möchte, der kann dann „herausgehen“; herausoptieren nennen wir das . Wir sagen: Angesichts Tausender intransparenter Produkte brauchen wir ein klares Produkt in öffentlich-rechtlicher Hand, das für die Verbraucher nachvollziehbar ist und ihnen Sicherheit gibt . ({3}) Zweitens . Wir wissen, dass gerade Geringverdienerinnen und Geringverdiener unterdurchschnittlich riestern . Das heißt, wir werden die Förderung - wenn es nach unserem Vorschlag geht - umstellen und bei der Zulagenförderung einen Zuschlag für Geringverdiener einführen und das durch die Einstellung der steuerlichen Förderung entsprechend gegenfinanzieren. Das ist wichtig, damit wir diejenigen erreichen, die am stärksten von Altersarmut bedroht sind . Sie werden von der gegenwärtigen Förderung nämlich kaum erfasst. Vielmehr fließt die Förderung - das sind 3 Milliarden Euro pro Jahr - überwiegend an die Empfänger der oberen 20 Prozent der Einkommen . Drittens wollen wir einen klaren verbraucherschutzpolitischen Auftrag . Wir wollen, dass die Menschen nachvollziehen können, wie viel sie für Provisionen bezahlen . Wir wollen, dass sie ihre Produkte kennen . Es liegt nämlich der Verdacht nahe, dass viele Produkte von Leuten verkauft worden sind, denen der Verbraucherschutz überhaupt nicht am Herzen lag . Carsten Maschmeyer, der ehemalige Inhaber eines ebenso legendären wie obskuren Finanzvertriebs, hat vor 15 Jahren zu seinen Vertrieblern gesagt: Es ist . . . so, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen . Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß, und sie wird sprudeln . Und dann hat er seinen Vertrieblern noch gesagt: Ihre Vision ist die Provision . Wir sind der Ansicht: So etwas Wichtiges wie die Altersvorsorge gehört nicht in die Hände von obskuren Drückerkolonnen . ({4}) Das ist der dritte Punkt in unserem Vorschlag . Ich hoffe, wir diskutieren darüber sinnvoll in den Ausschüssen . Ich bin mir sicher, dass das neuen Schwung in die Debatte bringen wird, und ich hoffe, dass wir zu einer Reform der Riester-Rente kommen . Vielen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Markus Kurth . - Der nächste Redner ist Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Da ist uns ja ein Antrag mit einem sehr ambitionierten Titel vorgelegt worden, in dem für eine transparente private Altersvorsorge plädiert wird und ein stabiles Drei-Säulen-System versprochen wird . Ich habe gedacht: Jetzt kommt der große Entwurf ({0}) der Grünen mit einem Vorschlag, wie man das Drei-Säulen-System der Alterssicherung in Deutschland insgesamt stärken kann . Aber Fehlanzeige; es geht nur um das Riestern . ({1}) Da hat man irgendwie den Eindruck, die Grünen wollen ein bisschen was verwischen, oder sie bereuen etwas, wollen es nur nicht deutlich sagen . Das, was Herr Kurth hier als Märchen vorgetragen hat, hat ja einen Verfasser . ({2}) Die Schreiber dieses Märchens waren damals Rote und Grüne unter Bundesarbeitsminister Walter Riester . ({3}) Jetzt wollen wir einmal festhalten: Wenn da jemand ein Märchen erfunden hat, dann waren die Grünen die Miterfinder dieses Märchens und sollten dafür auch geradestehen . ({4}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was brauchen wir wirklich? Ich finde, es sollte der Vergangenheit angehören, dass wir ein System gegen das andere ausspielen . Die Wahrheit ist - von daher stimmt die Überschrift des Antrags; danach kommt aber nichts -: Wir brauchen drei starke Säulen der Alterssicherung in Deutschland, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wissen, dass sie auch in Zukunft mit einer insgesamt starken Altersversorgung rechnen können, von der sie auch im Alter leben können . ({5}) Die erste starke Säule ist und bleibt die gesetzliche Rentenversicherung . ({6}) Wir haben in dieser Großen Koalition mit dem Rentenpaket bewiesen: Wir stärken die Altersversorgung durch die gesetzliche Rentenversicherung . ({7}) Und mit dem, was wir in unserer Koalitionsarbeitsgruppe zur Flexirente verabredet haben - das wollen wir noch in Gesetzesform gießen -, beweisen wir, dass wir zusätzlich dafür sorgen wollen, dass die gesetzliche Rentenversicherung flexibler wird und es vor allen Dingen besser möglich ist, seine Rentenansprüche zum Ende seines Berufslebens noch einmal zu steigern . Also lautet die klare Botschaft dieser Legislaturperiode: CDU/CSU und SPD sorgen dafür, dass die erste Säule, die gesetzliche Rentenversicherung, stärker wird und auch in Zukunft der starke Arm der Altersvorsorge bleibt . ({8}) Genauso klar ist: Um auch in Zukunft eine ausreichende und auskömmliche Altersversorgung zu haben, brauchen wir auch eine starke zweite und dritte Säule . Nun war es so: Nach der Rentenreform 2001 haben wir erlebt, dass sowohl die Zahl der Abschlüsse von Riester-Sparverträgen als auch die Zahl der Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung Jahr für Jahr angestiegen sind . Das, was politisch initiiert worden ist, hat also funktioniert . Wir stellen nur leider fest, dass bei beiden ergänzenden Altersvorsorgeformen etwa seit dem Jahr 2009, was den weiteren Aufwuchs anbelangt, eher Stillstand herrscht, und damit darf man sich nicht zufriedengeben .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Weiß, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Markus Kurth?

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Weiß, dass Sie die Frage zulassen . Ich habe angesichts der vorgerückten Stunde lange mit mir gerungen, ob ich etwas sagen soll . ({0}) Aber ich kann Ihre Bemerkung, dass die Große Koalition die gesetzliche Rente mit dem Rentenpaket gestärkt hätte, nicht einfach so stehen lassen; denn das Gegenteil ist richtig, und das wissen Sie . Sie haben sie geschwächt; denn Sie haben zusätzliche Ausgaben, insbesondere die sogenannte Mütterrente, nicht adäquat finanziert. ({1}) Sie finanzieren sie aus der Rücklage. Sie wissen, dass das Rentenniveau aufgrund der deshalb früher fällig werdenden Beitragssatzerhöhungen und der Rückwirkungen der verschiedenen Faktoren eher sinkt . ({2}) Würden Sie mir also zustimmen, dass Sie unter dem Strich zwar für einige Personen Leistungsverbesserungen durchgesetzt haben, dass das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt deswegen aber niedriger und nicht höher ist? ({3})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kurth, was das Rentenniveau anbelangt, ist die Frage, wie die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes ist, viel wesentlicher . ({0}) Wir hatten in diesem Jahr eine Rentenanpassung, bei der sich der Nachhaltigkeitsfaktor positiv auf das Rentenniveau ausgewirkt hat . ({1}) Die Schätzung für dieses Jahr werden wir noch bekommen . Ich gehe davon aus, dass sich der Nachhaltigkeitsfaktor aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung erneut positiv auswirkt, dass das Rentenniveau also nicht sinkt, sondern stabilisiert wird . Das ist der entscheidende Punkt . Bei der Mütterrente war der Aspekt der Gerechtigkeit für uns der entscheidende Punkt . ({2}) Peter Weiß ({3}) Verehrter Herr Kollege Kurth, man kann über Zahlen hin und her diskutieren: Die gesetzliche Rente wird von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dann als gerecht empfunden, ({4}) wenn sie die Leistung, die erbracht wurde, gerecht abbildet . ({5}) Wir haben die Regelung, dass für alle ab 1992 geborenen Kinder bei der Rente drei Kindererziehungsjahre anerkannt werden . Zu Recht haben uns Mütter und Väter gefragt: Warum gibt es für die vor 1992 geborenen Kinder keine ähnliche Regelung? ({6}) Darum haben wir uns entschlossen, die Mütterrente für vor 1992 geborene Kinder zu verdoppeln . Das ist eine der bisher größten Gerechtigkeitstaten im Bereich der Rentenversicherung, die wir vor allen Dingen für erziehende Mütter durchgesetzt haben . ({7}) Wir haben in der Koalitionsvereinbarung im Hinblick auf die Stärkung der zusätzlichen Altersvorsorge vor allen Dingen verabredet, etwas dafür zu tun, dass die betriebliche Altersvorsorge wieder an Dynamik gewinnt, für die Unternehmen interessanter und vor allen Dingen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiver wird . Ich glaube übrigens, dass es in einer Niedrigzinsphase richtig ist, genau hier anzusetzen; denn da, wo wir große Kollektive versichern, können wir insgesamt mit einer höheren Rendite rechnen . Dazu haben wir einen ganzen Maßnahmenkatalog erarbeitet, über den wir diskutieren werden . Um einen Bezug zu Ihrem Antrag herzustellen - das ist ein ganz wichtiger Punkt -: Wenn man die zusätzliche Altersvorsorge für Niedrigverdiener interessant machen will, dann wäre es zum Beispiel entscheidend, die Möglichkeit der betrieblichen Altersvorsorge mit der Riester-Förderung zu verknüpfen . ({8}) Wir müssen sie vereinfachen und attraktiver gestalten; das würde zu einer echten Dynamik führen . Aus Riester-Förderung und bAV eine starke zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen, ist ein Reformpunkt, den wir als Große Koalition angehen wollen . Hinzu kommt: Als Sie Riester angesprochen haben, haben Sie, sehr geehrter Herr Kurth, völlig unterschlagen, dass wir das Märchen, das die Grünen mit erfunden haben, schon kräftig umgeschrieben haben, indem wir Korrekturen vorgenommen haben . Wir haben das einheitliche Produktinformationsblatt, das wirklich mehr Transparenz schafft, eingeführt . Wir haben die Kosten beim Anbieterwechsel begrenzt . Wir haben als zusätzliches Angebot den Wohn-Riester geschaffen . ({9}) Wir haben innerhalb der Riester-Verträge die Möglichkeit, die Erwerbsunfähigkeit abzusichern, verbessert . Wir haben die Förderung für Kinder verbessert . ({10}) Wir haben die Riester-Rente im Vergleich zu dem, was die Grünen damals ins Gesetz geschrieben haben, also schon kräftig reformiert . ({11}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir werden ein Gutachten zur betrieblichen Altersvorsorge erhalten, das das Bundesfinanzministerium in Auftrag gegeben hat . Wir werden im Herbst dieses Jahres den alle vier Jahre vorzulegenden Altersvorsorgebericht der Bundesregierung bekommen . Ich plädiere dafür, bei einem so sensiblen und ernsten Thema wie der Altersversorgung, bei dem es um die Frage geht: „Habe ich mein Geld richtig investiert, um eine gute Altersversorgung zu bekommen?“, nicht im Nebel herumzustochern, sondern sich auf valide Daten zu verlassen . Deswegen schlage ich vor, über diese Frage im Angesicht des Altersvorsorgeberichts, der uns exakte Daten und Informationen liefern wird, zu diskutieren und nicht vorab einen etwas schwächlichen Antrag wie den der Grünen zu beraten . Vielen Dank . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Weiß . - Der nächste Redner: Matthias W . Birkwald für die Linke . ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Markus Kurth! Peter Weiß hat es ja eben schon gesagt: Die Grünen haben gemeinsam mit der SPD im Jahr 2002 die Riester-Rente eingeführt . Das Ziel war ausdrücklich, mit Riester die vorher von SPD und Grünen beschlossenen dramatischen Kürzungen der gesetzlichen Peter Weiß ({0}) Rente auszugleichen . Heute wissen wir: Das ist grandios gescheitert . ({1}) Der Focus brachte es am 8 . Dezember 2014 mit sehr bösen Worten auf den Punkt: „Lasst Riester sterben“, lautete das Fazit . Nun, ich wünsche Herrn Riester ein langes Leben . Meine Damen und Herren, in anständiger Sprache ausgedrückt müsste es heißen: „Lasst die Riester-Rente sterben .“ Denn für die große Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner gilt nämlich: Mit der Riester-Rente ist die politisch willkürlich in die gesetzliche Rente gerissene Lücke nicht zu schließen . ({2}) Darum sage ich: Wir brauchen auf gar keinen Fall eine neue Deutschland-Rente, wie sie drei Minister der schwarz-grünen Regierung in Hessen vorgeschlagen haben . Und ein neues Basisprodukt, wie es im Antrag der Grünen-Bundestagsfraktion heißt, brauchen wir ebenfalls nicht . Das alles ist nur Herumdoktern an Symptomen . ({3}) Worum geht es? Die gesetzliche Rente muss wieder zum Leben reichen . ({4}) Dazu bleiben Sie in Ihrem Antrag verdächtig vage, liebe Grünen . Stattdessen stellen sich zwei CDU- und ein grüner hessischer Minister hin und sagen: Oh, es ist ja dramatisch, wie die gesetzliche Rente in den Keller rasselt . Und sorry, das mit der Riester-Rente auszugleichen, funktioniert leider nicht . - Und dann wiederholen sie und die Grünen im Bundestag die jahrelange Kritik des Bundes der Versicherten, vieler Betroffener und der Linken, Riestern sei zu teuer, Riestern sei zu komplex, und die Rendite bei den Riester-Verträgen sei zu gering . Stimmt alles! ({5}) Nur die SPD braucht für diese Erkenntnis noch ein bisschen . Wir Linken sagen Ihnen schon lange: Versicherungskonzerne haben in erster Linie ein Interesse an Provisionen, Gebühren, hohen Verwaltungskosten und fetten Gewinnen . Ihr Interesse an bezahlbarer und langfristiger Altersvorsorge sowie einem bezahlbaren Schutz der Erwerbsminderung ist deutlich übersichtlicher . Also bis auf die SPD sind sich endlich alle einig: Riestern ist gescheitert . Das können Sie übrigens heute im Handelsblatt bei Peter Thelen unter der Überschrift „Baufällige Altersversorgung“ nachlesen . Was will die schwarz-grüne Hessenkoalition jetzt machen? Sie will die Versicherungskonzerne durch den Staat ersetzen . Hallo, geht es noch? Sie wollen einen Staatsfonds einführen, der dann bis zu 60 Prozent der von den Versicherten einkassierten Gelder für ein neues Riester-Produkt in Aktien anlegen soll . In Aktien! Den Finanzplatz Frankfurt wird das freuen . Die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner, die in der nächsten Finanzkrise auf ihr Vorsorgekapital angewiesen sein werden, müssen dann in die Röhre schauen . Zocken mit der Rente nenne ich das . Und das, meine Damen und Herren, will die Linke nicht . ({6}) Liebe Grüne, warum haben Sie nicht den Durchblick und vor allem den Mumm, den die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft der CDU hat? Komisch, dass der Kollege Weiß, der da Mitglied ist, kein Wort darüber gesagt hat . Der erste Stellvertretende Bundesvorsitzende der CDA, Christian Bäumler, sagt: Die Riester-Rente ist spätestens mit der Niedrigzinsphase an die Wand gefahren . Und was fordert er? Er will Riester rückabwickeln . Das ist konsequent und vor allem eines: Es ist richtig . ({7}) Wir Linken fordern die Rückabwicklung schon seit 2008 und ganz explizit in unserem Antrag von 2013 „Riester-Förderung in die gesetzliche Rente überführen“ . Das ist gut; denn das würde die Rentenversicherung stärken . Die 3,6 Milliarden Euro Riester-Förderung pro Jahr aus Steuermitteln täten der Rentenversicherung gut . Darum fordere ich die Bundesregierung auf: Stoppen Sie den Verfall der gesetzlichen Rente . Erhöhen Sie das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent, also auf das Niveau von 2001 . ({8}) Wer dann noch zusätzlich vorsorgen will, kann und muss, sollte nicht erst ab 55 und auch nicht erst ab 50, sondern vom ersten Arbeitstag an freiwillige Zusatzbeiträge in die gesetzliche Rente einzahlen können . Sie, liebe Grüne, deuten diese Option in Ihrem Antrag an . Darauf können wir uns einigen . Das wäre attraktiv . Riester- und Deutschland-Renten sind es auf keinen Fall . Herzlichen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . Kollege Birkwald . - Der nächste Redner ist Ralf Kapschack für die SPD .

Ralf Kapschack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004321, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Mit Statistik haben die meisten hier im Saal wahrscheinlich nicht viel zu tun, aber sicherlich mit dem Thema Altersversorgung . Wie bekommen wir es angesichts der demografischen Entwicklung und bei langfristig steigenden Beiträgen hin, auch in Zukunft eine lebensstandardsichernde Altersversorgung zu gewährleisten? Das ist heute die Frage, und das war auch vor 15 Jahren die Frage . Damals war das Ergebnis die Riester-Rente, eine private zusätzliche Altersversorgung, die geplante Einbußen bei der gesetzlichen Rente ausgleichen sollte - die sogenannte dritte Säule neben gesetzlicher und betrieblicher Rente . Das war die Idee . Richtig funktioniert hat es nicht, zugegeben . ({0}) Das lag aber nicht in erster Linie an Walter Riester, sondern nicht zuletzt auch an den Widerständen in der Öffentlichkeit und auch in den Institutionen . Konkret: Die ursprünglich geplante obligatorische Lösung scheiterte an einer Medienkampagne gegen die damals so diffamierte „Zwangs-Riester-Rente“ . ({1}) Die Idee, für jeden Versicherten bei der Rentenversicherung noch ein sogenanntes Vorsorgekonto für die zusätzliche private Altersversorgung anzulegen, scheiterte, wie man hört, an der Rentenversicherung . ({2}) Das Ergebnis: Die Riester-Rente ist zu unübersichtlich - darin sind wir alle uns, glaube ich, einig - und oft zu teuer . Durch die niedrigen Kapitalmarktzinsen schlagen hohe Provisionen und Vertriebskosten erst recht voll auf die Rendite durch . Viele nehmen Riester gar nicht erst in Anspruch, vor allem jene nicht, die auf eine zusätzliche Altersversorgung angewiesen sind . Deshalb brauchen wir gerade dort dringend eine Verbesserung . Für die SPD geht es in der aktuellen Debatte darum, wie wir gerade diejenigen erreichen, die bislang keine eigene Altersversorgung finanzieren können. ({3}) Wie erreichen wir gerade diejenigen, die ahnen, dass jede private Vorsorge von der Grundsicherung „weggefressen“ wird? ({4}) Die aktuelle Anrechnung auf die Grundsicherung muss deshalb auf den Tisch - genauso die bisherige staatliche Förderung . Die Idee im Antrag der Grünen, Neuverträge auf eine reine Zulagenförderung umzustellen, finde ich sehr sympathisch . Mit deutlich höheren Zulagen würde die eigene Vorsorge gerade für Geringverdiener attraktiver . Daneben schlagen Sie ein einfaches Basisprodukt vor, das staatlich organisiert werden soll . Das kommt unserer Forderung nach großen Einheiten sehr entgegen . Kollektive Lösungen können die Kosten für Verwaltung und Vertrieb reduzieren und haben deutlich bessere Anlagemöglichkeiten . Darin sind wir uns einig . Man kann es beklagen, aber realistisch betrachtet wird es auf Dauer ohne eine private und wahrscheinlich auch ohne eine kapitalgedeckte Altersversorgung nicht gehen . Für uns ist die betriebliche Altersversorgung die beste Form der privaten und zugleich kollektiven Altersversorgung . Dazu wird Martin Rosemann gleich noch etwas sagen . Aber natürlich geht es auch darum, das Niveau der gesetzlichen Rente - der ersten und zentralen Säule - zu stabilisieren . ({5}) Aus der CDU - Matthias Birkwald hat das schon gesagt - gibt es dazu ja durchaus interessante Vorschläge . Herr Bäumler fordert, das Rentenniveau schrittweise wieder anzuheben, weil sich die Riester-Rente nicht durchgesetzt hat . ({6}) Ich finde das eine gute Überlegung, aber ich bin mir nicht sicher, ob er dafür in seiner eigenen Partei eine Mehrheit findet. Die Zukunft der Altersversorgung betrifft jeden - früher oder später . Die DGB-Gewerkschaften haben angekündigt, eine angemessene Rente zu ihrem zentralen Thema der nächsten Monate zu machen . Dort werden Antworten erwartet . Auch deshalb ist es sinnvoll, notwendig und an der Zeit, sich darüber auseinanderzusetzen, wie die Altersversorgung in Zukunft aussehen soll und welche Rolle die private und die gesetzliche Rente dabei spielen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Kapschack . - Nächster Redner: Matthäus Strebl für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Riester-Rente, die Deutschland-Rente und auch das Sozialpartnermodell sind zurzeit in aller Munde . Ich vertrete die Position, dass die Altersvorsorge aus einem abgestimmten Dreiklang bestehen muss . In der ersten Säule haben wir durch das Rentenpaket umfangreiche Leistungsverbesserungen auf den Weg gebracht . Neben der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung ist aber auch die kapitalgedeckte Altersvorsorge der zweiten und dritten Säule als Gegengewicht zur Altersarmut unabdingbar . Die Einführung der Riester-Rente, um darauf zu sprechen zu kommen, vor 15 Jahren diente dazu, den sinkenden Renten entgegenzuwirken und den Generationenvertrag zu stärken . Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass die Riester-Rente kein Wundermittel ist . Der Grundgedanke war vielmehr die Schaffung einer weiteren Vorsorge und nicht eine unschlagbare Renditeoptimierung . Zweifelsfrei gibt es auch Probleme . Die Riester-Rente ist, wie viele Kritiker bemängeln, ein sehr komplexes System mit einer Vielzahl von unterschiedlichen MögRalf Kapschack lichkeiten, fürs Alter vorzusorgen . Das Misstrauen in Finanzdienstleistungen seit der Wirtschafts- und Finanzkrise und die mitunter hohen Abschluss-, Vertriebs- und Verwaltungskosten lassen den Unmut über Riester-Sparverträge nicht sinken . Durch die seit Jahren andauernde Niedrigzinsphase ist die kapitalgedeckte Altersvorsorge natürlich weniger attraktiv als noch bei der Einführung der Riester-Rente 2002 . Die Idee 2001/2002 war, dass mit Riester alle Einkommensschichten erreicht werden sollten . Deshalb, werter Kollege Kurth, lehne ich Ihren Vorschlag ab, dass die Förderung auf eine reine Zulagenförderung umgestellt werden soll und vornehmlich nur noch Geringverdiener gefördert werden sollen . ({0}) Werte Kolleginnen und Kollegen, viele Kritiker fordern insbesondere in den letzten Wochen schlagzeilenträchtig die Abschaffung der Riester-Rente . Dieser Forderung möchte ich widersprechen . Allerdings stimme ich zu, wenn Forderungen nach der Vereinfachung der Riester-Rente und der Förderungsbedingungen laut werden . Eine Optimierung halte ich deshalb für geboten und unausweichlich . Werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sprechen in Ihrem Antrag zumindest ansatzweise die sogenannte Deutschland-Rente der schwarz-grünen Landesregierung in Hessen an . Wir beide waren vor kurzem in der hessischen Landesvertretung, in der diese Deutschland-Rente vorgestellt worden ist . Ich bin aber nicht zu 100 Prozent überzeugt worden . ({1}) Dennoch: Dieser Vorschlag enthält einige interessante Ideen . Gleichwohl sind uns noch nicht alle Details bekannt . Wir werden derartige Ideen natürlich diskutieren und prüfen müssen . Eine abschließende Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt halte ich daher für voreilig . Ein weiteres Thema des Antrags, das mir sehr wichtig ist, möchte ich gerne noch ansprechen, nämlich transparente und verständliche Informationen . Darüber hat auch schon der Kollege Karl Schiewerling gesprochen, der eine säulenübergreifende und transparente Auskunft angeregt hat . Wir beraten uns deshalb bereits mit Vertretern aller drei Säulen, um eine einheitliche Information für alle Beschäftigten zu ermöglichen . Dabei stellen sich auch zahlreiche Fragen, etwa nach Datenschutz und Datensicherheit . Letztendlich kann jeder Einzelne nur ausreichend vorsorgen, wenn er eine Vorstellung davon hat, was er im Alter zur Verfügung hat . Wir dürfen aber nicht dem Irrglauben verfallen, dass wir eine exakte Aussage über den genauen Betrag der späteren Gesamtversorgung treffen können . ({2}) Es wäre nämlich falsch, dies den Bürgerinnen und Bürgern zu versprechen . Schließlich hängt der Betrag von zu vielen Faktoren ab . Zudem stellt sich die Frage, welche Kaufkraft der Betrag nach Abzug der Inflation in 20 oder 30 Jahren noch hat . Gestatten Sie mir noch einen Hinweis zum Schluss . Sie sprechen in Ihrem Antrag von einem „stabilen Drei-Säulen-System“ . Jedoch können Sie keinen nennenswerten Vorschlag zur betrieblichen Altersvorsorge bieten . ({3}) Wir haben im Koalitionsvertrag die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge verankert . Ich werbe dafür, dass wir die Hemmnisse sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Arbeitnehmern abbauen, um eine Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge zu erreichen . ({4}) Nur so können wir im Zusammenspiel mit beiden Seiten gute Lösungen ermöglichen . Dazu gehört insbesondere die Zulagenförderung für Geringverdiener, die Frage der Haftung der Arbeitgeber oder zum Beispiel auch das Thema der Doppelverbeitragung. Das Gutachten des Bundesfinanzministeriums, so wie das der Kollege Weiß schon gesagt hat, wird sich auch mit der riestergeförderten betrieblichen Altersvorsorge befassen . Die Ergebnisse, mit denen wir in Kürze rechnen, sollten wir daher abwarten . Ich teile zwar einige Kritikpunkte Ihres Antrags, werter Kollege Kurth, halte aber die Vorschläge so für nicht umsetzbar und praktikabel . Deshalb werden wir den Antrag ablehnen . Herzlichen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Strebl . - Der letzte Redner in der Debatte ist Dr . Martin Rosemann für die SPD . ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich will es auch noch einmal ganz deutlich sagen: Die gesetzliche Rente ist und bleibt die zentrale Säule der Altersversorgung in Deutschland, ({0}) und ich denke, wir müssen alle daran arbeiten, dass es auch so bleibt . Am wichtigsten dafür sind aber - das zeigen auch die Erfahrungen gerade der vergangenen Jahre - eine gute Beschäftigungsentwicklung, eine geringe Arbeitslosenquote und vor allem viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse . Deswegen geht es darum, gute Arbeit und guten Lohn für möglichst viele Menschen in Deutschland sicherzustellen . ({1}) Deshalb müssen wir die Tarifbindung stärken, die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen, Flüchtlingen faire Chancen auf dem Arbeitsmarkt geben, Langzeitarbeitslose auf ihrem Weg zurück auf den Arbeitsmarkt unterstützen und Geringqualifizierte weiter fördern. Daran haben wir Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren gearbeitet, und daran arbeiten wir auch weiterhin . ({2}) Klar ist aber auch, dass der demografische Wandel und die mit ihm verbundenen Herausforderungen sich nur dann bewältigen lassen, wenn wir die Lasten gerecht zwischen den Generationen verteilen und die Alterssicherung auf mehrere Säulen stützen . Das war damals vor 15 Jahren die wahre Leistung von Rot-Grün, dass genau das erkannt worden ist . Im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung heißt es - ich zitiere -: Die Alterssicherung steht im demografischen Wandel stabiler, wenn sie sich auf mehrere starke Säulen stützt . ({3}) Deswegen werden wir die betriebliche Altersvorsorge stärken . Sie muss auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Klein- und Mittelbetrieben selbstverständlich werden . Daher werden wir an unterschiedlichen Punkten ansetzen: erstens am Haftungsrisiko für die Betriebe, ein Hemmnis vor allem für viele kleine Betriebe, in die betriebliche Altersversorgung einzusteigen; zweitens an der Förderung vor allem für Geringverdiener - Herr Kapschack hat es schon angesprochen -, und vor allem müssen wir drittens wegkommen von individuellen Lösungen hin zu kollektiven, auch kollektiven kapitalgedeckten Systemen . Wer könnte das besser organisieren als die Sozialpartner, meine Damen und Herren? Damit können wir die Verbindlichkeit erhöhen, mehr Beschäftigte erreichen, die Vertriebs- und Verwaltungskosten reduzieren und optimale Anlagestrategien ermöglichen . Dabei, Herr Birkwald, geht es um alles, nur nicht darum, mit dem Geld zu zocken . ({4}) Ich meine, dass im Hinblick auf diese Ziele das von Bundesministerin Andrea Nahles vorgelegte Sozialpartnermodell eine gute Grundlage für die weitere Diskussion ist . Wir sind gerne bereit, konstruktive Vorschläge natürlich von den Sozialpartnern, aus der Wissenschaft, aber auch aus der Opposition mit in die Diskussion aufzunehmen . Denn es ist immer besser, wenn viel Expertise in eine solche Diskussion einfließt. Ich glaube aber, insgesamt müssen wir die betriebliche Altersvorsorge in Deutschland in dem Sinne weiterentwickeln, dass sie von einem Instrument der betrieblichen Personalpolitik zu einem Instrument der Sozialpolitik wird . Herzlichen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Rosemann . - Damit schließe ich die Aussprache und wünsche Ihnen eine sehr konstruktive weitere Debatte in dieser sehr wichtigen Frage . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7371 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Designgesetzes und weiterer Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes Drucksache 18/7195 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Drucksache 18/7684 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall .1) Dann kommen wir direkt zur Abstimmung . Der Aus- schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7684, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 18/7195 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom- men . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe- ben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . 1) Anlage 16 Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Medizinische Versorgung für Geflüchtete und  Asylsuchende diskriminierungsfrei sichern Drucksache 18/7413 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich bitte die Rednerinnen und Redner sowie die interessierten Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann . Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Kathrin Vogler für die Linke . ({3})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute Morgen haben wir in diesem Haus über Asylpolitik debattiert . Dabei wurde deutlich, dass die Große Koalition bei dem Ziel, Flüchtlinge möglichst schnell abzuschieben, auch auf traumatisierte und kranke Menschen kaum noch Rücksicht nimmt. Wir finden das weder christlich noch sozial . Deswegen lehnt die Linke das ab . ({0}) Wenn ich vor Ort mit Aktiven aus der Flüchtlingshilfe spreche, dann sind die großen Probleme in der Gesundheitsversorgung ein großes Thema . Das liegt am Asylbewerberleistungsgesetz . Nach diesem Gesetz ist nämlich medizinische Versorgung grundsätzlich nur dann zu gewähren, wenn es sich um Schwangerschaft, Entbindung, akute Erkrankungen und Schmerzzustände handelt . Oft verweigern die zuständigen Behörden und Gerichte die Behandlung einer chronischen Erkrankung sogar dann, wenn körperliche Unversehrtheit oder sogar das Leben bedroht sind . ({1}) Ein besonders drastisches Beispiel vom Verwaltungsgericht Gera: Ein junger Mann aus Bangladesch leidet an einer Hüftgelenksnekrose . Seine beiden Hüftköpfe sind nahezu zerstört . Laufen kann er kaum . Er erleidet ganz schlimme Schmerzen . Medizinisch geboten wäre eine Operation, um die Schmerzen und die Behinderung dauerhaft zu beseitigen . Doch er bekommt nur Opiate, also starke und abhängig machende Schmerzmittel; denn das sei eine chronische Erkrankung, und es bestehe keine Gefahr für Leib und Leben. Ich finde, das ist eine massive Menschenrechtsverletzung . ({2}) Das ist ein Verstoß gegen Artikel 12 des UN-Sozialpakts, der in der Bundesrepublik Deutschland seit 40 Jahren geltendes Recht ist . Das ist nicht hinnehmbar . ({3}) Die Linke fordert darum, dass die Einschränkung auf Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände ersatzlos gestrichen wird . Hierbei steht die Linke übrigens an der Seite der Ärztinnen und Ärzte . Denn sie werden derzeit genötigt, entweder gegen geltendes Recht oder gegen ihre berufliche Ethik zu verstoßen. Das wollen wir ändern . Wir wollen Recht und Ethik endlich wieder in Übereinstimmung bringen . ({4}) Perspektivisch wollen wir, dass auch die Menschen, die auf der Flucht zu uns kommen, ordentlich krankenversichert sind . Ihre Beiträge soll zunächst der Bund übernehmen . Damit soll er die Kommunen entlasten . Als Übergangslösung sollten alle Menschen zumindest überall in Deutschland eine Gesundheitskarte erhalten, mit der sie jederzeit zum Arzt gehen können . ({5}) Manche Kommunen sorgen sich, dass dann die Kosten aus dem Ruder laufen könnten . Aber aufgrund der Erfahrungen in Hamburg und Bremen können wir das doch inzwischen deutlich widerlegen . Daher ist es genau andersherum: Die Ausstattung der Flüchtlinge mit Gesundheitskarten hat erstens Verwaltungskosten gespart und zweitens auch noch Gesundheitskosten . Denn wenn kranke Menschen gleich zum Arzt gehen können, werden so mancher Rettungswageneinsatz und mancher Krankenhausaufenthalt gar nicht erst nötig . ({6}) Denn was passieren kann, wenn Verwaltungsmitarbeiter ohne medizinische Qualifikation darüber entscheiden müssen, ob ein Flüchtling zum Arzt gehen kann oder nicht, zeigt ein weiteres Beispiel, diesmal aus Zirndorf: Ein Kleinkind litt an einer septischen Hirnhautentzündung . Der Sachbearbeiter erkannte die Schwere der Erkrankung nicht und verweigerte den Eltern, das Kind ins Krankenhaus zu bringen oder einen Notarzt zu rufen . Der Junge lag danach monatelang im Koma und überlebte nur mit schwersten Behinderungen . Dass so etwas in unserem Land passieren kann, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist wirklich eine Schande . Dafür muss man sich schämen . ({7}) Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, wie es in Artikel 2 unseres Grundgesetzes steht, gilt aus gutem Grund für alle Menschen . Ich rufe Sie auf: Setzen Sie es mit uns gemeinsam um! ({8}) Vizepräsidentin Claudia Roth

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Vogler . - Der nächste Redner ist Reiner Meier für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Reiner Meier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004350, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Vormittag haben wir das Asylpaket II beschlossen . ({0}) Ein wichtiges Ziel darin ist, dass möglichst viele Asylanten ({1}) möglichst bald Gewissheit darüber haben, ob sie in unserem Land bleiben können oder nicht . Zugleich ist es ein wichtiges Signal für unsere Kommunen, ({2}) die zu Recht fragen: Wo sollen wir die vielen Flüchtlinge noch menschenwürdig unterbringen? ({3}) In dieser Situation wollen Sie nun Leistungen ausweiten und weitere Anreize zur Migration schaffen . ({4}) Ich nehme das Ergebnis an dieser Stelle vorweg: ({5}) Die von Ihnen so wortreich skandalisierte Diskriminierung findet in unserem Land einfach nicht statt. Nehmen Sie das zur Kenntnis! ({6}) Erstens ist schon die Prämisse Ihres Antrags falsch . Sie gehen davon aus, dass allein der volle Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung menschenwürdig ist . ({7}) Das stimmt nicht, meine Damen und Herren . Richtig ist: Jeder Flüchtling, der zu uns kommt, erhält bei uns alle unaufschiebbaren Behandlungen, und zwar von Anfang an ({8}) und solange es nötig ist, bis sein Asylantrag entschieden ist . ({9}) Natürlich bietet die GKV auch Leistungen, die weit darüber hinausgehen, an . Dazu gehören aber auch Angebote, die nur dann sinnvoll sind, wenn der Patient über einen längeren Zeitraum behandelt werden kann . ({10}) Zweitens . Anders als Sie behaupten, berücksichtigt das geltende Recht durchaus die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und lässt im Härtefall besondere Leistungen zum Beispiel bei Kleinkindern durchaus zu . Ich frage mich zunehmend, wie Ihre ständige Kritik auf jemanden wirken muss, der in seinem Heimatland praktisch keinen Zugang zu jeglicher medizinischen Versorgung hatte . Drittens . Auch wenn Sie das nur ungern anerkennen: Was Sie fordern, kostet sehr viel Geld, viel Geld der Steuerzahler, das meines Erachtens an anderer Stelle dringend benötigt wird, sei es für die Integration von Flüchtlingen ({11}) oder - noch wichtiger - für die Bekämpfung der Fluchtursachen . ({12}) Wir erwarten schon ohne Ihre Forderungen in den nächsten zwei Jahren Kosten von bis zu 50 Milliarden Euro für die Versorgung der Flüchtlinge, und Sie sagen, wir tun nichts? Das glauben Sie doch wohl selbst nicht . ({13}) Auch wenn Deutschland ein wirtschaftlich starkes Land ist, stößt es hier an seine finanziellen Grenzen. Schließlich müssen wir auch über die Gerechtigkeit in der Gesundheitspolitik sprechen . ({14}) Die medizinische Versorgung von Asylbewerbern wird, anders als die gesetzliche Krankenversicherung, nämlich aus Steuermitteln finanziert, und das halte ich auch für sachgerecht; denn die Versorgung der Asylbewerber ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . ({15}) Es ist aber kaum vermittelbar, wenn Sie heute fordern, den Leistungsumfang für gesetzlich Versicherte und ALG-II-Empfänger jenem von Asylbewerbern gleichzustellen . ({16}) Es macht eben schon einen Unterschied, ({17}) ob jemand zur Stabilität unseres Sozialstaats aktiv beigetragen hat oder nicht . Diesen Unterschied können Sie nicht einfach einebnen, meine Damen und Herren, das ist nicht möglich . Im Übrigen reden wir bei Asylbewerbern über einen zeitlich begrenzten Status . Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat zugesagt, die Asylverfahren auf eine Dauer von drei Monaten zu reduzieren . Für Antragsteller mit geringen Bleibeperspektiven werden die beschleunigten Verfahren schon nach drei Wochen abgeschlossen sein . In dieser Übergangsphase, in der noch völlig offen ist, ob jemand in Deutschland bleibt oder nicht, halte ich eine Ausweitung des Leistungsumfangs für sehr problematisch, ja auch kontraproduktiv . ({18}) Was wir brauchen, sind klare, vollziehbare Regeln im Asylverfahren und keine neuen Anreize zur Verfahrensverschleppung . ({19}) Ich bedanke mich . ({20})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Meier . - Die nächste Rednerin: Maria Klein-Schmeink für Bündnis 90/Die Grünen .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Meier, ich empfehle Ihnen Lektüre, Information . Da gibt es eine, die relativ neu und relativ aktuell ist: Das ist das Gutachten der Expertenkommission der Robert-Bosch-Stiftung unter Leitung des CDU-Vorsitzenden von NRW, Armin Laschet . Sie hat eine große Handreichung herausgegeben, in der steht, was zu tun ist, um die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen zu verbessern . Genau dieses Gutachten lege ich Ihnen sehr ans Herz . Schauen Sie sich das einmal genau an . Dann werden Sie sehen, dass Sie fast alle Behauptungen, die Sie eben getroffen haben, zurücknehmen müssen . ({0}) Denn darin wird sehr deutlich gemacht, dass es erstens humaner und medizinethisch richtiger ist, wenn wir Flüchtlinge so früh wie möglich in die medizinisch-gesundheitliche Regelversorgung einbeziehen, dass zweitens als Instrument dafür sehr gut geeignet ist, eine Gesundheitskarte auszugeben, jedenfalls an die Gruppe derjenigen, die nicht mehr im Erstaufnahmeverfahren sind, und dass wir drittens dafür Sorge tragen müssen, dass nicht die Kommunen diese Kosten tragen müssen, sondern der Bund, weil das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist . ({1}) In dieser dreifachen Aufgabenstellung macht es Sinn, das Versorgungssystem insgesamt neu auszurichten . ({2}) Auf genau diesen Punkt zielt dieser Antrag der Linken, der im Übrigen im letzten Jahr fast genauso schon einmal gestellt worden ist . ({3}) Es hat seither auch von unserer Seite viele Initiativen gegeben, um diese beiden wichtigen Punkte hinzubekommen: Zum einen geht es um die Beseitigung der Defizite, die es in der Versorgung von Asylbewerbern gibt, insbesondere im Bereich der Prävention, der Rehamaßnahmen, der gesamten gesundheitlichen Maßnahmen, die außerhalb von Akut- und Schmerzversorgung notwendig sind . Zum anderen sollten Sie sich vor Augen führen, wie viel bürokratischer Aufwand damit verbunden ist, dass die Kommunen gezwungen sind, extra Behandlungsscheine auszugeben und diese abzurechnen . Außerdem kann man nicht an den Rabattverträgen der gesetzlichen Krankenversicherungen teilnehmen . Das wären Vorschläge zugunsten einer besseren Versorgung . Das wäre besser, als in mehr Bürokratie zu investieren, wie Sie es derzeit tun . ({4}) Schauen Sie sich einmal eine Studie der Uni Heidelberg an; sie ist letztes Jahr veröffentlicht worden . In dieser Studie hat man anhand der statistischen Realdaten Ausgaben für Asylbewerber innerhalb und außerhalb der Regelversorgung verglichen . Auch da hat sich herausgestellt: Die Versorgung von Asylbewerbern außerhalb des Regelsystems ist 22 Prozent teurer, ({5}) als wenn man sie ganz normal in unserem System - hausärztlich, kinderärztlich usw . - behandeln würde . Das ist die Wahrheit; aber dieser Wahrheit verschließen Sie sich . ({6}) Warum tun Sie das? Sie tun dies, weil Sie ein Signal der Abschottung setzen wollen . Genau darum geht es; das haben Sie heute Morgen sehr deutlich gezeigt . Sie haben auch gezeigt, dass Sie sich als Gesundheitspolitiker in keiner Weise dafür eingesetzt haben, die schlimmen Verschärfungen, die heute Morgen beschlossen worden sind, auch nur ansatzweise aufzuhalten . Ich habe von Ihrer Seite keinerlei Initiative dagegen erlebt . Es gab nur ganz wenige Abgeordnete, die sich diesen Verschärfungen entgegengestellt haben. Ich muss sagen: Ich finde das perfide. Dieses Symbol zur Abschreckung ist nicht human, das ist unvernünftig . ({7}) Gehen Sie endlich in sich, und schauen Sie sich an, wie rationale Menschenrechtspolitik betrieben wird . Dafür wäre es wirklich höchste Zeit . Wie gesagt, ich empfehle Ihnen das genannte Gutachten . ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink . - Nächste Rednerin: Heike Baehrens für die SPD-Fraktion . ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor genau einer Woche wurde uns hier vom Fraktionsvorsitzenden der Linken vorgeworfen, blindlings immer neue Asylgesetze auf den Weg zu bringen . Da passt es überhaupt nicht, wenn Sie mit dem heute vorliegenden Antrag eine grundlegende Veränderung bei der gesundheitlichen Versorgung von Asylbewerbern fordern, anstatt zunächst einmal abzuwarten, wie sich das längst Beschlossene in der Praxis bewährt . ({0}) Wir als SPD setzen uns für eine gute und angemessene medizinische Versorgung von Flüchtlingen ein . Wer das hier im Haus bezweifelt, hat in den letzten Monaten nicht aufgepasst . Worauf es derzeit beim Thema „Flüchtlinge und Asyl“ aber vor allem ankommt, ist, sich politisch für gesellschaftlichen Zusammenhalt starkzumachen; denn dieser Zusammenhalt scheint momentan an allen Ecken und Enden zu bröseln, und er wird auch von manchen bewusst untergraben . Da ist es wenig hilfreich - ja, ich finde es sogar regelrecht kontraproduktiv -, wenn die hier mit großer Mehrheit beschlossenen Asylgesetze als diskriminierend bezeichnet werden und die Linken der Regierung mit ihrem Antrag sogar vorwerfen, die Menschenrechte zu verletzen . ({1}) Mit solchen ungerechtfertigten Anschuldigungen und Überzeichnungen heizen Sie die ohnehin schon zugespitzte öffentliche Debatte noch weiter an . Ich fordere Sie als demokratisch gewählte Abgeordnete dieses Landes auf, endlich verbal abzurüsten . Das, Frau KleinSchmeink, ist auch ein bisschen an Sie gerichtet, nachdem Sie hier eben das Wort „perfide“ benutzt haben. ({2}) Wir brauchen keine weitere Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger, und wir brauchen keine sozialpolitischen Experimente wie die Einbeziehung von Asylbewerbern in die „Versicherungspflicht“, so haben Sie es ja genannt, der GKV . Viel dringender und notwendiger ist das, was wir heute Morgen in diesem Haus beschlossen haben, nämlich die Beschleunigung der Verfahren . Je schneller ein Verfahren abgeschlossen ist, desto schneller erhalten die Betroffenen auch Anspruch auf soziale Leistungen und, mehr noch, desto schneller erhalten sie den Zugang zum Arbeitsmarkt . ({3}) Nur so erhalten Asylsuchende die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt selber zu bestreiten und ihren Versicherungsbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung aus eigener Kraft zu bezahlen, was die Menschen auch wollen . Dafür mit einem breitangelegten Integrationskonzept Brücken zu bauen, darauf sollten wir uns jetzt konzentrieren . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Klein-Schmeink?

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Gut . - Frau Klein-Schmeink, bitte .

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke für die Zulassung der Frage . - Frau Baehrens, mit dem heute verabschiedeten Asylpaket wurde auch eine große und umfangreiche Änderung bei den Abschiebehindernissen vorgenommen . Da heißt es: Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern . Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche, konkrete Gefahr für Leib und Leben nach Satz 1 darstellen . Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann hingegen zum Beispiel in den Fällen von posttraumatischer Belastungsstörung regelmäßig nicht angenommen werden . Meinen Sie wirklich, dass das, was ich vorhin ausgeführt habe, tatsächlich eine Überzeichnung war? Ist es nicht sogar so, dass man sagen muss, dass ich gar nicht in der Deutlichkeit auf das Schlimme, was Sie heute Morgen hier entschieden haben, hingewiesen habe? ({0})

Heike Baehrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Klein-Schmeink, wir haben uns über diesen Sachverhalt vorgestern Abend im Gesundheitsausschuss schon ein wenig ausgetauscht . Ich habe auch da bereits gesagt, dass unsere Auffassung von schwerwiegender Erkrankung selbstverständlich auch die psychischen Erkrankungen umfasst, die als Posttraumata oder ähnliche Erkrankungen bezeichnet werden . ({0}) - Nein, wir müssen unterscheiden, Frau Vogler - das wissen Sie auch ganz genau -, zwischen dem, was wortwörtlich im Gesetz steht, und dem, was in der Begründung steht . Die konkrete Entscheidung obliegt nach wie vor den Ärzten und den Psychotherapeuten, die im Einzelfall entscheiden müssen . ({1}) Ich werde auf das Thema aber im Weiteren noch einmal zu sprechen kommen . Ich komme zurück zum Antrag der Linken . Schlicht falsch ist es, wenn Sie als Linksfraktion in Ihrem Antrag behaupten, der medizinische Versorgungsanspruch von Flüchtlingen werde auf unterhalb des medizinisch Notwendigen begrenzt . Am Umfang der medizinischen Versorgung wurde nichts geändert und wird nichts geändert; ({2}) denn selbstverständlich haben Asylsuchende in unserem Land Anspruch auf ausreichende medizinische Versorgung . Dies wird gewährleistet durch die Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz . Einen leichteren Zugang zu diesen Leistungen wollen wir Flüchtlingen ja gerade dadurch ermöglichen, dass sie eine Gesundheitskarte erhalten, die sie berechtigt, direkt zum Arzt zu gehen, anstatt sich zuerst ans Sozialamt wenden zu müssen . Das genau, Frau Vogler, ist die Antwort auf diese furchtbaren Vorkommnisse, die Sie vorhin zitiert haben . Die Antwort lautet: Es muss ein direkter Zugang zum Arzt und auch ins Krankenhaus ermöglicht werden . Dies wird möglich, indem die Flüchtlinge und Asylsuchenden eine Gesundheitskarte erhalten . ({3}) Nun kritisieren Sie in Ihrem Antrag erstaunlicherweise, dass dadurch Ärzte über die Notwendigkeit von Behandlungen zu entscheiden hätten . „Ja, wer denn sonst?“, frage ich Sie . Genau das wollen wir doch mit der Gesundheitskarte erreichen . Wir wollen, dass endlich medizinisch geschultes Fachpersonal entscheidet und nicht fachfremde Mitarbeiter der Sozialämter entscheiden, die ohnehin durch andere Aufgaben überlastet sind . Dass Ärzte eine Differenzierung vornehmen müssen, was im Einzelfall medizinisch notwendig ist oder eben nicht, ist nicht „unzumutbar“, wie Sie schreiben, sondern im Gegenteil originärer ärztlicher Auftrag . ({4}) Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge garantiert den Betroffenen also eine gesundheitliche Versorgung ohne Umwege, entlastet die Sozialverwaltung und nutzt das Know-how und die vorhandenen Strukturen der Krankenkassen . ({5}) Das ist, wo es umgesetzt wird, ein ganz wichtiger Fortschritt für alle Beteiligten . Jetzt kommt es darauf an, das tatsächlich umzusetzen, und dazu fordern wir die Länder auf . ({6}) Wir alle wissen, die Umsetzung dieser und anderer Verbesserungen, die wir beschlossen haben, braucht Zeit . Diese Zeit sollten Sie nicht dafür nutzen, den Eindruck zu vermitteln, als würde sich nichts entwickeln; denn neben der Einführung der Gesundheitskarte haben wir noch einiges mehr auf den Weg gebracht, das hier noch einmal erwähnt werden soll: Wir haben den Anspruch von Flüchtlingen auf Schutzimpfungen eingeführt . Wir haben die Situation von Traumageschädigten verbessert, Frau Klein-Schmeink, ({7}) durch Programme zur Förderung von Traumazentren, aber auch durch die Ermächtigung von mehr Ärzten und Psychotherapeuten zu ihrer Behandlung . ({8}) Zudem haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Ärzte, die selbst Asyl hier in Deutschland suchen, sich rasch an der gesundheitlichen Versorgung in den Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften beteiligen können - im Übrigen ein ganz wichtiger Beitrag zur besseren medizinischen Versorgung, weil damit auch die Sprachbarriere überwunden wird, die ansonsten ein großes Problem darstellt . ({9}) Schon diese wenigen Beispiele mögen belegen, dass wir als Große Koalition sehr verantwortlich mit der Aufgabe umgehen, die gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden zu verbessern . Lassen Sie uns doch einfach gemeinsam an der Umsetzung konkreter und sachgerechter Lösungen weiterarbeiten; denn was wir angesichts der hohen Zuzugszahlen brauchen, sind Entscheidungen mit Maß und Ziel und auch so etwas wie humanitärer Pragmatismus . ({10}) Vielen Dank . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Baehrens . - Der letzte Redner in dieser Debatte ist Heiko Schmelzle für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Heiko Schmelzle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004400, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, zeichnet ein Zerrbild der Realität in unserem Land . Ihre Behauptung, Asylbewerbern werde die Möglichkeit auf ein menschenwürdiges Leben in unserer Mitte versagt, weise ich auf das Entschiedenste zurück . ({0}) Die Realität sieht anders aus: Unzählige Menschen in Deutschland versuchen im Ehrenamt, aber auch in den zuständigen Ministerien, Behörden und Ämtern alles, ({1}) um das Leid der bei uns ankommenden Flüchtlinge zu lindern . Denjenigen, die jeden Tag aufs Neue ihre Solidarität in der Flüchtlingshilfe zeigen, gilt von dieser Stelle heute mein aufrichtiger Dank . ({2}) Anfang des zurückliegenden Jahres wäre es unvorstellbar gewesen, dass Deutschland mehr als 1 Million Menschen vorübergehend aufnimmt . Es ist vielleicht nicht alles perfekt gelaufen; aber es läuft in erstaunlich geordneten Bahnen . Es gibt kaum ein Land, das so viel für Flüchtlinge getan hat . Auf das Erreichte können die Menschen in unserem Land stolz sein . Um es mit den Worten unseres Bundespräsidenten zu sagen: „Danke Deutschland!“ ({3}) Unser Asylrecht ist ein Gut von unschätzbarem Wert; denn das deutsche Asylrecht hat durch Artikel 16 a Grundgesetz Verfassungsrang . Es ist meine persönliche Überzeugung, dass Deutschland gerade mit Blick auf die dunkle Seite seiner eigenen Geschichte politisch Verfolgten Schutz bieten muss . Darum darf das Asylrecht aber kein Schlupfloch für illegale Migration oder die Ausnutzung unserer Sozialsysteme sein . ({4}) Damit kommen wir zum Kern Ihres Antrags . Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, die Behauptung aufstellt, wegen der derzeitigen Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz bestehe die Gefahr - ich zitiere -, „dass selbst unaufschiebbare Behandlungen unter Gefahr für Leib und Leben verschleppt werden“, der setzt sich nicht sachlich mit der Frage nach Art und Umfang einer angemessenen medizinischen Versorgung für Asylbewerber auseinander . ({5}) Richtig ist, dass Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Deutschland nach 15 Monaten vollumfänglich die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen können . ({6}) - Ja, aber waren es bis vor kurzem nicht noch 48 Monate? Haben wir nicht gehandelt? ({7}) Wir sind von 48 Monate auf 15 Monate runtergegangen . Das ist doch auch eine Geste gewesen . ({8}) Im Falle einer akuten Notfallbehandlung im Krankenhaus oder bei Zahnärzten können Krankenhausträger und Ärzte unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen ihren Aufwendungsersatzanspruch gegenüber dem jeweiligen Leistungsträger geltend machen . Ihre Forderung, allen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Berechtigten vom ersten Tag an den Zugang zu sämtlichen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren, wäre ein Konjunkturprogramm für Schlepperbanden und würde unsere Anstrengungen, die Zuwanderung aus sicheren Drittstaaten zu reduzieren, konterkarieren . Vor allem aber würde die Gesellschaft überfordert . Es würde eine Situation geschaffen, in der es attraktiv würde, in Deutschland, trotz offenkundiger Aussichtslosigkeit, Asyl zu beantragen, ({9}) um medizinische Leistungen im Rahmen der GKV in Anspruch zu nehmen . ({10}) Das ist falsch verstandene Nächstenliebe . ({11}) Der innere Zusammenhalt in Deutschland darf nicht gefährdet werden . Das wird man aber sicher nicht erreichen, wenn künftig jedermann, egal ob er Leistungsberechtigter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ausländischer Studierender oder ausländischer Rentner, der seinen Lebensabend in Deutschland verbringen möchte, ist, Anspruch auf alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung hat . Meine Damen und Herren, mit Drucksache 18/5370 hatten Sie von der Fraktion Die Linke zur Jahresmitte 2015 bereits einen Antrag mit dem Titel „Medizinische Versorgung für Asylsuchende und Geduldete diskriminierungsfrei sichern“ gestellt . ({12}) Es hat mich schon erstaunt, dass der heute vorliegende Antrag fast wortgleich ist . Was ich aber überhaupt nicht verstehen kann, ist, dass Sie trotz der seitdem extrem gestiegenen Flüchtlingszahlen nach wie vor nicht an der Finanzierbarkeit Ihrer Forderungen zweifeln . Eine Öffnung sämtlicher Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für jeden, der nach Deutschland kommt, würde unsere Gesellschaft aus meiner Sicht über kurz oder lang finanziell überfordern. ({13}) Die Bürgerinnen und Bürger verlangen mit Blick auf die rasant gestiegenen Flüchtlingszahlen als Gegenleistung für ihre Solidarität eine Politik mit Augenmaß . Es gilt, unser Land vor Überforderung zu schützen . Ihr Antrag wird diesem Anliegen leider nicht gerecht . ({14}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Schmelzle . - Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7413 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Modernisierung des Vergaberechts ({1}) Drucksachen 18/7318, 18/7417 Nr. 2, 18/7693 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Sind Sie damit einverstanden? - Ich bin mir nicht ganz sicher, weil es um das Vergaberecht geht . - Sie sind also einverstanden, dass die Reden zu Protokoll genommen werden .1) Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/7693, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 18/7318 zuzustim- men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss- empfehlung ist angenommen bei Zustimmung von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung - 2030-Agenda konsequent umsetzen Drucksachen 18/7361, 18/7632 Buchstabe a b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Roth ({3}), Dr . Valerie Wilms, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1) Anlage 17 Nachhaltige Entwicklungsziele in Deutschland konsequent umsetzen Drucksache 18/7649 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({4}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre und sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Debatte . Der erste Redner ist Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion . ({5})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachhaltige Entwicklungsziele konsequent umsetzen die Überschriften der beiden Anträge der Koalition und der Grünen sind fast wortgleich . Das zeigt, dass wir hier bei allem Streit, den wir wahrscheinlich auch in dieser Debatte haben werden, doch eine große Gemeinsamkeit haben . Die Gemeinsamkeit hat sich auch darin gezeigt, dass wir gemeinsam begrüßt haben, dass es in New York gelungen ist, die SDGs zu vereinbaren . Das ist ein wichtiger Schritt . Wir haben jetzt endlich, nach vielen Jahren, nach Jahrzehnten des Ringens einen Weltzukunftsvertrag mit Nachhaltigkeitszielen, die eben nicht nur für Entwicklungsländer im klassischen Sinn gelten, sondern global für alle . Deutschland ist damit im Sinne der SDGs zum Entwicklungsland geworden . Auch wir müssen uns entwickeln . Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher . ({0}) Das eine ist die Freude darüber, dass es in New York gelungen ist, die SDGs zu vereinbaren; das andere ist, dass wir in New York auch - ich will den Begriff nennen, obwohl er im letzten Jahr fast Unwort des Jahres geworden wäre - Hausaufgaben mitgenommen haben . Was sind diese Hausaufgaben? Wir müssen zeigen, dass wir unserem Anspruch, Vorreiter bei der Nachhaltigkeit zu sein, gerecht werden . Das müssen wir durch eine ambitionierte Umsetzung der SDGs zeigen . Dazu gehören drei Dimensionen . Erstens geht es um den Prozess . Wir müssen hier einen breiten gesellschaftlichen Dialog anstoßen . Wir müssen eine breite Debatte führen . Wir müssen den Gedanken der Nachhaltigkeit in jede Gemeinde tragen, so wie es nach der Konferenz in Rio mit der Lokalen Agenda 21 gelungen ist . Wir müssen diesen Prozess neu befeuern . Das tut die Bundesregierung im Rahmen eines Dialogprozesses . Wenn hinsichtlich der Umsetzung der SDGs ein Entwurf vorliegt, soll sich jeder online beteiligen können . Das ist notwendig . So können wir die Menschen dafür gewinnen . Wir müssen alles tun, um sie dafür zu begeistern . Jeder soll mitmachen können . ({1}) Zweitens geht es um die Struktur . Wie setzen wir die 17 Ziele und 169 Unterziele um? Ich möchte ganz ausdrücklich dafür plädieren, der Nachhaltigkeitsstrategie dabei ein besonderes Gewicht beizumessen . Wann immer es geht, müssen wir die Maßnahmen zur Umsetzung in die Nachhaltigkeitsstrategie integrieren; das sind für uns die Zehn Gebote für Nachhaltigkeit . Diese Strategie muss noch viel mehr als im Moment zu einem Instrument werden, an dem sich der Erfolg oder Misserfolg der jeweiligen Bundesregierung bemisst . Wir müssen die Nachhaltigkeitsstrategie stärken, indem wir die SDGs umsetzen und dabei alles, was geht, in die Strategie integrieren . Drittens geht es selbstverständlich darum, dass wir die Inhalte konsequent umsetzen . Wenn wir uns die Fortschrittsberichte zur Umsetzung unserer nationalen Strategie, die es in der Vergangenheit immer wieder gegeben hat, anschauen, dann erkennen wir, dass wir in Deutschland bei vielem gut und bei manchem Vorreiter sind; aber wir haben in anderen Bereichen auch noch Aufholbedarf . Ich will in der verbleibenden Zeit einige Punkte ansprechen, die ich für besonders wichtig halte . Nach New York wird unsere Glaubwürdigkeit auch daran bemessen, dass wir die Dinge, die angekündigt sind, im Rahmen unseres Engagements in der internationalen Entwicklungshilfe einlösen . Da kommt dem vor langem gemachten Versprechen, 0,7 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben, also die ODA-Quote zu erfüllen, zentrale Bedeutung zu . Die Kanzlerin und die Bundesregierung haben angekündigt, das zu tun . Wir müssen das jetzt umsetzen, mit einem ganz konkreten Stufenplan, der aufzeigt, wie wir das in den nächsten Jahren erreichen können . ({2}) Ich will zweitens den Bereich „nachhaltiger Konsum und nachhaltige Lieferketten“ ansprechen . Wir müssen uns darüber klar sein, dass das, was wir hier tun - ob es das Einkaufen von Kleidung ist, ob es der Konsum von Schokolade oder Kakao ist -, Auswirkungen auf die Bedingungen der Menschen in den Entwicklungsländern hat und damit auf die Frage, ob sie in ihren Herkunftsländern Perspektiven und Chancen haben . Wir müssen zum Beispiel in den Gesprächen mit dem Textilbündnis oder mit dem Forum Nachhaltiger Kakao vorankommen und damit unserer Verantwortung gerecht werden, nicht nur für Nachhaltigkeit in Deutschland, sondern für internationale Nachhaltigkeit . Das sind zwei Bereiche, die ich in der kurzen Zeit ansprechen konnte . Es gilt aber, mit demselben Nachdruck alle Ziele, die in der Strategie verankert sind, umzusetzen . Dabei wird der Bundestag eine ganz entscheidende Rolle spielen . Herzlichen Dank . ({3}) Vizepräsidentin Claudia Roth

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Andreas Jung . Ich bedanke mich bei dem Vorsitzenden unseres Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung . Den gibt es in keinem anderen Parlament dieser Welt; den haben nur wir . Ich hoffe, dass dieser Beirat zukünftig noch mehr Kompetenzen bekommt und dass Sie Ihre Arbeit über alle Fraktionen hinweg sehr engagiert fortführen können . Es sind ja Kollegen aus allen Fraktionen sehr aktiv dabei . ({0}) Die nächste Rednerin in der Debatte: Heike Hänsel für Die Linke . ({1})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Guten Abend, meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Jung, Sie haben gerade die Titel der vorliegenden Anträge genannt . Es gibt dabei aber einen kleinen entscheidenden Unterschied . Zum einen geht es um die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele . Zum anderen geht es um die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele in Deutschland . Das Entscheidende ist doch, dass bei den Vereinten Nationen erstmalig eine internationale Entwicklungsagenda verabschiedet wurde, die alle Länder gleichermaßen verpflichtet, die Ziele umzusetzen . Davon ist in Ihrem Antrag leider herzlich wenig zu sehen, und das ist das Problem . ({0}) Sie legen einen Antrag vor, der sich allgemein mit den SDGs beschäftigt, und machen ein paar Vorschläge dazu . Aber entscheidend ist doch, dass endlich für alle Politikbereiche in Deutschland formuliert wird, was es hieße, nachhaltige Entwicklung zu betreiben . Hier hört man herzlich wenig von Ihnen . Es kann doch nicht sein, dass Sie weiter so verfahren: Wir haben einerseits schöne SDG-Anträge; aber was die Agrarpolitik angeht, wollen Sie weiterhin die Agrarbetriebe finanzieren. Die Subventionen laufen weiter . - Es braucht endlich eine Kehrtwende, wenn Sie ernsthaft nachhaltige Entwicklungsziele umsetzen wollen . Das betrifft auch viele andere Bereiche . ({1}) Es gibt ein großes Überziel bei den Vereinten Nationen, nämlich den Kampf gegen die soziale Ungleichheit . Darauf möchte ich mich konzentrieren . Dazu steht in Ihrem Antrag eigentlich gar nichts . Auch in Deutschland ist die soziale Ungleichheit in den letzten Jahren massiv angestiegen . Oxfam hat Anfang des Jahres neue Zahlen veröffentlicht, die darlegen, dass die oberen 10 Prozent der Haushalte in Deutschland mittlerweile über 52 Prozent des Vermögens verfügen und umgekehrt die unteren 50 Prozent der Haushalte gerade noch über 1 Prozent des Vermögens . Ich kann Ihnen auch eine Zahl des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes nennen: 12,5 Millionen Menschen in Deutschland gelten als einkommensarm . Damit kann man sich doch nicht abfinden. ({2}) Wir brauchen eine Politik, die diese soziale Ungleichheit bekämpft . Aber Sie thematisieren sie nicht einmal . Wir haben viele Vorschläge gemacht . Der erste ist, endlich an den enormen Reichtum heranzugehen, den es in diesem Land gibt . Auch hierzu liegen Zahlen vor . Wir haben in Deutschland mittlerweile Millionäre und Milliardäre wie Sand am Meer; wir stehen hier weltweit an dritter Stelle . ({3}) Deshalb: Wer von nachhaltigen Entwicklungszielen spricht, kann über die soziale Umverteilung des Reichtums nicht schweigen . Das sind zwei Seiten einer Medaille . ({4}) Das betrifft zweitens auch den Kampf gegen die globale Ungleichheit . Auch hier haben wir eine massive Konzentration von Reichtum, wenn 62 Menschen weltweit über so viel Einkommen verfügen wie 3,5 Milliarden Menschen . Das ist die schreiende Ungerechtigkeit . Das sind die großen Herausforderungen, mit denen wir alle konfrontiert sind . Aber auch davon ist in Ihrem Antrag nichts zu lesen . Dabei könnten Sie einen ganz konkreten Beitrag leisten, indem Sie endlich Initiativen unterstützen würden, die die massive, organisierte Steuervermeidung und Steuerflucht der multinationalen Konzerne, viele mit Sitz in Europa, bekämpfen . Sie könnten eine Initiative der Länder des Südens unterstützen, die eine bei den Vereinten Nationen angesiedelte internationale Steuerbehörde wollen, um endlich zu mehr Kontrolle und sozialer Gerechtigkeit zu kommen . ({5}) 200 Milliarden Euro gehen den Ländern des Südens so pro Jahr verloren . Damit könnten sie Armut bekämpfen, sie könnten eine selbstständige ökonomische Entwicklung fördern, sie könnten eine Energiewende fördern, sie hätten viel Geld zur Verfügung . Aber wer hat dagegengestimmt? Es war die Bundesregierung, die diese wichtige Initiative abgelehnt hat . Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben! Unterstützen Sie lieber solche Initiativen, bevor Sie solche schwachen Anträge schreiben! ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Hänsel . - Mit Zustimmung aller Fraktionen gibt Stefan Rebmann aus persönlichen Gründen seine Rede heute zu Protokoll . Ich rufe den nächsten Redner auf . Das ist Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute zum zweiten Mal über die Nachhaltigkeitsagenda, zum zweiten Mal zu später Stunde und dann auch nur 30 Minuten . Ich habe den Eindruck, die Koalition will dieses Thema nicht wirklich intensiv diskutieren, obwohl Sie genau wissen, dass die SDGs in ihrer Bedeutung durchaus mit der Paris-Agenda auf einer Ebene liegen . Beide Verträge müssen sich ergänzen . Sie wissen auch, dass in beiden Verträgen Schicksalsfragen der Menschheit adressieren werden . ({0}) SDGs können nur erfolgreich werden, wenn die Gesellschaft breit darüber diskutiert . Aber Sie glauben, sich wegducken zu können . Sie stehlen sich aus der Verantwortung, weil Sie Angst haben, die Botschaft der Nachhaltigkeitsagenda mit den Menschen zu diskutieren . Noch mehr Angst haben Sie davor, eine konkrete Politik hierfür zu entwickeln; denn Sie wissen, dass Sie Ihre Politik in vielen Fällen radikal verändern müssten . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kollege Kekeritz, sind Sie einverstanden mit einer Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau Pfeiffer?

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber sicher doch .

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kekeritz, es tut mir leid, ich muss jetzt einmal nachfragen . Sie behaupten hier Dinge, die Sie überhaupt nicht behaupten können, weil Sie nämlich die Rede unseres Kollegen Andreas Jung gar nicht gehört haben . ({0}) Jetzt frage ich Sie: Wie können Sie behaupten, was wir alles nicht tun, obwohl Kollege Jung genau erklärt hat, wie es zu machen ist, wie wir die SDGs umsetzen . ({1}) Deshalb frage ich mich, worauf Sie sich jetzt eigentlich beziehen . ({2})

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Pfeiffer, es tut mir leid, dass ich die Rede nicht gehört habe . Ich werde sie selbstverständlich intensiv lesen . ({0}) Aber eines müsste uns beiden doch klar sein: An den Taten wollen wir Sie messen, nicht an den Worten . ({1}) Ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Zum zweiten Mal besprechen wir zwischen acht und neun Uhr abends dieses hochwichtige Thema . Ich kann nur betonen: Die SDGs haben allerhöchste Priorität; die sollten sie zumindest haben . ({2}) - Ja, ja . Freuen Sie sich darüber, dass ich nicht da war, wenn es Ihnen weiterhilft, und genießen Sie noch den Abend . Ihrer Angst entsprechend legen Sie einen windelweichen Antrag vor; Kollegin Hänsel hat es angesprochen . Er ist bezeichnend für die mutlose und für die - das kann ich Ihnen auch sagen, Frau Kollegin Pfeiffer - an Arbeitsverweigerung grenzende Politik der Großen Koalition . Die CDU/CSU-Fraktion scheint die Nachhaltigkeitsziele überhaupt nicht ernst zu nehmen . Das ist kein Wunder; denn gerade Sie, Frau Kollegin Pfeiffer, die entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion, zweifeln die Programmatik der SDGs ja immer wieder öffentlich an und lassen daran im Prinzip nicht viel Positives . Ich kann Ihnen sagen, dass dieser Antrag in unserer langen gemeinsamen Chronik der Meinungsverschiedenheiten einen neuen Höhepunkt darstellt . Liebe SPD, arbeiten Sie an diesen Anträgen eigentlich noch mit, oder setzen Sie Ihr Servus inzwischen unter jedes Text gewordene Nichts, das Ihnen Ihr Koalitionspartner auf den Tisch legt? In Ihrem Antrag steht nichts von der notwendigen Koordinierung der SDGs mit den Beschlüssen von Paris . Ich lese nichts über die Einbindung der Zivilgesellschaft . Nicht einmal die Information der Bevölkerung hat es in Ihren Antrag geschafft . Außerdem verlieren Sie keine Silbe über unsere Verantwortung, sagen nichts über unsere Produktions- und Lebensweise, nichts über unseren Konsum, der endlich nachhaltig werden muss . Wir müssen uns endlich positiv entwickeln . Deutschland ist Entwicklungsland . Noch ist Deutschland Weltmeister in der Kohleverstromung und ein bedrohlicher Luftverschmutzer, führend im Fleisch- und im Textilverbrauch, und die Grundwasserbelastung hat uns ein EU-Vertragsverletzungsverfahren eingebracht . Der Saubermann, der Musterknabe Deutschland existiert seit zehn Jahren nicht mehr . ({3}) Bis vor kurzem waren die wirklichen ökologischen, menschlichen und klimatischen Probleme ganz, ganz weit weg . Da konnte man sie wirklich wunderbar ignoVizepräsidentin Claudia Roth rieren . Heute sind die klimatischen Auswirkungen hier in Deutschland ganz konkret zu spüren . Auch das Elend ist massiv zu uns gekommen . Und die Koalition reagiert darauf mit einer politischen Verhaltensstarre und Abwehrstrategien . ({4}) Deutschland muss Vorreiter bei der Umsetzung der SDGs werden . Wir müssen die Bevölkerung, aber auch die Staatengemeinschaft mitziehen . Dafür ist der G-20-Gipfel im nächsten Jahr eine hervorragende Gelegenheit . ({5}) Ich bin gespannt, ob Sie diese Gelegenheit tatsächlich nutzen werden . Wir brauchen schlüssige Umsetzungsstrategien, auf nationaler wie auf europäischer Ebene, und endlich eine kohärente, ressortübergreifende Zusammenarbeit der Ministerien . Das gesamte Regierungshandeln muss einem Menschenrechts- und Nachhaltigkeits-TÜV unterzogen werden . All das scheitert, weil Sie Ihre Aufgaben als Parlamentarier einfach nicht ernst nehmen und sich lieber in Regierungslobhudeleien ergehen und wachsweiche Anträge formulieren . ({6}) - Herr Zech, freuen Sie sich doch, dass ich zu spät gekommen bin . Eigentlich wollte ich jetzt noch den Kollegen Rebmann ansprechen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, das geht nicht mehr - eigentlich .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das geht nicht mehr . Nichtsdestotrotz, Frau Präsidentin, möchte ich dem Kollegen Rebmann zu seiner neuen Aufgabe als entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion herzlich gratulieren . Ich hoffe, dass er kraftvoll und mit sehr viel Mut vor allem die CDU unter Kontrolle bringt . Danke schön . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kekeritz . - Das mit der Leiche hoffen wir aber nicht, was ich da gerade gehört habe . ({0}) - Gut . - Der letzte Redner in dieser Debatte: Peter Stein für die CDU/CSU-Fraktion . ({1})

Peter Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werter Kollege Kekeritz, wer zu spät kommt, den bestraft die Rede . ({0}) Um das zu beweisen, gehe ich auf Ihre Formulierung „Text gewordenes Nichts“ und den Vorwurf der Nichteinbindung der Bevölkerung ein . Ich möchte nur einen Satz aus dem Antrag vorlesen - vielleicht haben Sie ihn ja gar nicht gelesen; zuhören konnten Sie schon nicht -: ({1}) Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf . . . - Punkt 2 das Parlament und die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der 2030-Agenda zu beteiligen, um auch die Akzeptanz . . . bei der Bevölkerung zu steigern . Das ist im Grunde der Beleg dafür, dass die Hälfte Ihrer Rede Blabla und Geblubber gewesen ist . ({2}) Liebe Kollegen, die Verabschiedung der globalen Ziele, SDGs genannt, im letzten Jahr war ein Meilenstein . Es ist dabei nämlich nicht nur gelungen, die erfolgreichen Millenniumsziele weiterzuentwickeln, sondern es ist erstmalig auch gelungen, dass jeder Staat der Welt angesprochen worden ist, egal ob Industrie- oder Entwicklungsland . Damit betrifft das in letzter Konsequenz einen jeden von uns . Insofern waren die Ergebnisse von New York, des dritten Gipfels des Jahres 2015, eine Vorlage für den vierten Gipfel, den Klimagipfel in Paris . Ich will daher auf die internationale, die globale Verantwortung eingehen, welche das SDG-Abkommen mit sich gebracht hat . Mit Blick auf die noch in der Entwicklung befindlichen Teile der Welt, die Staaten, die sich noch in der Entwicklung befinden, nennt der Antrag der Koalition die wichtigsten Aspekte und nimmt sie in unsere Verantwortung . Eine solide Finanzierung ist die Basis unserer entwicklungspolitischen Vorgaben und unserer Vorhaben und ist unerlässlich für die erfolgreiche Umsetzung . ({3}) Unser Antrag, der Antrag der Koalition, Herr Kekeritz, enthält alle Details . Lesen, wie gesagt, bildet . Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass die Mittel für entwicklungspolitische Maßnahmen deutlich aufgewachsen sind; das wissen auch Sie . Sie haben sich mehr als verdoppelt . Das freut natürlich nicht nur uns Entwicklungspolitiker, sondern das betrifft auch die anderen Ressorts, die sich daran beteiligen . Wir sehen ja gerade, wie wichtig es ist, dass es auch ressortübergreiUwe Kekeritz fendes Handeln gibt; dafür steht die Koalition . Denn die globale Verantwortung schlägt gerade in diesen Tagen in Wellen an die Küsten des europäischen Südens, der südlichen EU-Mitgliedstaaten . Die Europäische Union bleibt hier derzeit vieles schuldig . Wir möchten, dass sich Deutschland nicht unter den Schuldigen befindet. Im Weiteren weist der Antrag auf die Lage der Menschenrechte hin, entlang von Produktionsketten beispielsweise . Aufgeführt sind die ILO-Kernarbeitsnormen, die Verantwortung, die wir mit Blick auf die biologische Vielfalt haben, und die Bedeutung der kontinuierlichen Evaluierung und Anpassung der Maßnahmenkataloge für die Erreichung der gesteckten Ziele . Diese Liste ließe sich beliebig erweitern . Es ist richtig, dass nicht alles im Antrag drinsteht; denn das alles ist schon beschlossen worden . Die Eigenschaften, die sich aus den SDGs ergeben, teilen sich übrigens mit einem anderen wichtigen Thema . Die große Konferenz hierzu liegt als fünfter Gipfel noch vor uns. Ihr Gelingen wird enormen Einfluss auf das Gelingen oder auch das Scheitern des globalen Nachhaltigkeitsprozesses haben . Ich meine die Habitat-III-Konferenz in Quito im Oktober dieses Jahres . Habitat III wird als erste Weltkonferenz nach der Verabschiedung der Agenda 2030 stattfinden. Sie wird - so würde ich es bezeichnen - der erste Gradmesser dafür sein, ob wir bereit sind, das, was wir dort beschlossen haben, auch konsequent umzusetzen . In New York hat die Urbanisierung diesbezüglich ein eigenes SDG bekommen . In Ziel 11 wird die nachhaltige Stadt beschrieben . Bei genauerem Hinsehen offenbart sich, jedenfalls für mich, dass auch das Ziel 4, die höhere Bildung, und das Ziel 9, bei dem es um Infrastruktur und Innovationen geht, stark auf das Thema „Stadtentwicklung und Urbanisierung“ abheben . Nach und nach wird klar, dass die meisten Ziele überwiegend, zumindest aber teilweise, die urbanen Räume und die urbane Entwicklung tangieren werden, gerade auch solche Themen wie Ernährung und Gesundheit . Ein Beispiel dafür ist der enorme Anteil - derzeit rund 70 Prozent -, den die Städte am globalen Energieverbrauch und damit auch an den Treibhausgasemissionen haben . Damit eröffnet sich im urbanen Raum das größte Steuerungs- und Effizienz- bzw. Einsparpotenzial. Das erklärt seinen möglichen signifikanten Einfluss auf die globalen Nachhaltigkeitsbemühungen und deren Erfolge . ({4}) Ich fordere an dieser Stelle - ich nutze diese Gelegenheit ausdrücklich dazu -, dass wir uns in Quito stark engagieren, nicht unbedingt zwingend aus einer Begeisterung für die urbanen Themen heraus, sondern weil unser Engagement dort für die Umsetzung der SGDs absolut entscheidend ist . International ist das nämlich der nächstmögliche Termin und Ort, um unserer globalen Verantwortung für nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit gerecht zu werden . Herzlichen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Stein . - Damit schließe ich die Aussprache .1) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 18/7632. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/7361 mit dem Titel „UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung - 2030-Agenda konsequent umsetzen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt hat das Bündnis 90/Die Grünen . Enthalten hat sich die Linke . Tagesordnungspunkt 18 b . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7649 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe am Ende unserer heutigen Tagesordnung den Zusatzpunkt 3 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Düngegesetzes und anderer Vorschriften Drucksache 18/7557 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({0}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Waldemar Westermayer für die CDU/CSU-Fraktion . ({1})

Waldemar Westermayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004611, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf den Tribü- nen! Wir diskutieren heute die Novellierung des Dünge- gesetzes . Ich möchte gleich zu Beginn klarstellen, dass Wirtschaftsdünger kein Abfall ist, sondern eine wertvolle Energiequelle für Pflanzen darstellt. Eine optimierte Nut- zung des Wirtschaftsdüngers ist somit ein wesentliches Element in dem Bestreben, die Ernährung der Weltbe- völkerung zu sichern, nämlich durch höhere Erträge bei einem geringeren Rohstoffverbrauch . In Bezug auf die Neuregelung sollten wir uns alle über die Zielsetzung einig sein . Es geht um einen tragfähigen Ausgleich zwischen einer pflanzenbedarfsgerechten Düngung und der Erreichung unserer Umweltziele . Der Schutz von Boden, Gewässern und Klima liegt dabei im originären Interesse von uns allen . Deshalb haben wir in Deutschland im Wasser- und Bodenrecht bereits ein ho- 1) Anlage 18 hes Regelungs- und Schutzniveau . Dieses hohe Niveau schlägt sich auch in einem Bericht des Bundesamtes nieder, das im letzten Jahr dem Grundwasser überwiegend Trinkwasserqualität bescheinigt hat . Auch werden die strengen Grenzwerte für Nitrat in über 85 Prozent der Grundwasserkörper eingehalten . Trotzdem ist für uns klar, dass wir den vorhandenen Überschreitungen bei einem Teil der Messstellen entgegenwirken müssen . Um diese Einträge ins Grundwasser zu vermeiden, müssen wir die Vorschriften über die Düngung anpassen . Gerade in Gebieten mit belasteten Wasserkörpern hat die Reduzierung des Eintrags von Nitrat eine hohe Priorität . Dieser Problematik stellen wir uns; denn mit dem vorliegenden Entwurf werden die Anforderungen an die Düngung in Deutschland verschärft . Die neuen Regeln für die Ausbringung von Wirtschaftsdünger, die verkürzten Ausbringungszeiten und die verringerten Ausbringungsmengen verlangen von unseren Betrieben ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit . Auch die erhöhten Anforderungen an die Ausbringungstechnik im Hinblick auf deren Emissionen stellen für die Landwirte eine Herausforderung dar, wobei die Erfahrungen in den Niederlanden zeigen, dass die neue Technik für das Bodenleben nicht immer förderlich ist . Erwähnen möchte ich auch, dass die Novelle keine Auswirkungen auf das allgemeine Preisniveau hat . Das heißt nichts anderes - auch das gilt es anzusprechen -, als dass die Kosten bei der Landwirtschaft hängen bleiben . Dies bewirkt einen zusätzlichen Wettbewerbsnachteil für unsere Landwirtschaft, auch im Hinblick auf verstärkte Importe zum Beispiel von Rindfleisch aus Argentinien. Bereits in der Vergangenheit hat die Landwirtschaft ihren Beitrag zur Verminderung von Nährstoffverlusten geleistet . So konnten die Stickstoffüberschüsse in der Flächenbilanz seit Anfang der 90er-Jahre um über 25 Prozent gesenkt werden . Gleichzeitig stieg im gleichen Zeitraum der Ertrag zum Beispiel von Weizen um 20 Prozent . Gerade im Hinblick auf die Hoftorbilanz stellt sich deshalb schon die Frage, ob wir nicht besser den etablierten Nährstoffvergleich weiterentwickeln sollten und damit den Anforderungen aus der Nitratrichtlinie gerecht werden können . ({0}) Zusammengefasst: Wir brauchen praktikable Lösungen, die die Fruchtbarkeit unserer Böden erhalten und die es gleichzeitig erlauben, eine ausreichende Nährstoffversorgung unserer Pflanzen mit Wirtschaftsdünger zu gewährleisten, und helfen, Handelsdünger einzusparen . ({1}) Abschließend möchte ich festhalten, dass der vorliegende Entwurf diese umsetzbaren Lösungen enthält . Der Entwurf entwickelt die gute fachliche Praxis, die wir haben, weiter und erfüllt die Anforderungen der Nitratrichtlinie und des Nitratberichts aus 2012 . Durch die Neuregelungen wird außerdem die Wirksamkeit des Nationalen Aktionsprogramms zur Umsetzung der Richtlinie gewährleistet . Aus meiner Sicht haben wir einen guten, austarierten Kompromiss erarbeitet, der für die Düngung in Deutschland in Zukunft ein solides Fundament garantiert . Zum Schluss möchte ich auch noch betonen, dass wir jetzt alle miteinander endlich zum Abschluss kommen müssen. Ich möchte nicht, dass Deutschland offiziell von der Europäischen Kommission verklagt wird . ({2}) Diese Peinlichkeit sollten wir uns ersparen . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Westermayer . - Nächste Rednerin: Dr . Kirsten Tackmann für die Linke . ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ja, es gibt wirklich Diskussionen, die so lange dauern, dass man am Ende eigentlich froh ist, dass wenigstens irgendwie entschieden wird . Wenn das das Ziel der Koalition war, dann hat sie das wirklich erreicht . Die Nitratbelastung im Grundwasser und in den Gewässern ist im Zeitraum der Debatten aber weiter gestiegen . Das ist ein Problem für das Trinkwasser und für die Natur . Bereits seit August 2013 liegen die gemeinsamen Handlungsempfehlungen der drei Beratergremien des Bundesagrarministeriums vor, und es geschieht nicht oft, dass sich diese drei gemeinsam äußern . Bereits seit Oktober 2013 läuft ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland . Unterdessen droht sogar eine Klage vor dem EuGH. Ich finde, das ist eine dunkelorange Karte für den selbsternannten Saubermann und Musterschüler im Umwelt- und Klimaschutz . ({0}) Das kann nicht nur teuer werden, sondern ich finde, das ist einfach nur peinlich . Wir brauchen also endlich Regelungen, die der Nitratrichtlinie entsprechen - das ist überfällig -; denn das Hickhack hat auch dazu geführt, dass die Betriebe sehr verunsichert sind . Sie brauchen jetzt dringend Rechtssicherheit, ({1}) und die Neuregelungen müssen zumindest eine gewisse Zeit lang Bestand haben, das heißt, sie müssen zu einer deutlichen Nitratreduktion führen . Halbherzigkeiten, auch wenn sie gut gemeint sind, werden sich schnell als vergiftetes Geschenk erweisen . Also Hände weg davon, auch wenn es angesichts der großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten in vielen Betrieben auch mir schwerfällt, weitere Belastungen zu beschließen . Die hohe Nitratbelastung im Grund- und in den Oberflächengewässern lässt uns aber keine andere Wahl. Rund ein Viertel aller deutschen Trinkwasserreservoirs gilt als zu stark nitratbelastet . Dabei geht es einerseits eben um historische Lasten . Nitratsünden werden über 40 Jahre und länger vererbt . Andererseits geht es hier auch um aktuell zu hohe Einträge, weil mehr gedüngt wird, als die Pflanzen aufnehmen können, und der Überschuss gelangt dann nicht nur ins Grundwasser, sondern über die Bäche und Flüsse letztlich auch in die Nord- und in die Ostsee . Das schadet der Natur und übrigens auch dem Geldbeutel der Agrarbetriebe . Deswegen ist fachgerechtes Düngen eigentlich unser aller Anliegen . ({2}) Dazu braucht man viel Wissen und gute Ortskenntnisse . Das spricht übrigens auch gegen ferngesteuerte Agrarunternehmen . Als Gesetzgeber müssen wir wirklich sichern, dass überall richtig gehandelt wird . Schließlich geht es hier um die öffentlichen Schutzgüter Wasser und Boden . Der heute eingebrachte Entwurf des Düngegesetzes ist eine wichtige Weichenstellung, ja, Hauptinstrument ist aber eigentlich die Düngeverordnung, die hier im Parlament gar nicht behandelt wird . Deren Entwurf liegt unterdessen in Brüssel zur Prüfung, und ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob sie den Ansprüchen Zielgenauigkeit, Angemessenheit und Praktikabilität wirklich genügt . Ich muss ehrlich sagen: Der Nachbesserungsbedarf, den uns gerade auch die drei Beratungsgremien des BMEL noch einmal verdeutlicht haben, macht mich ein bisschen nervös . Es wäre wirklich ein Desaster für alle, wenn der Entwurf durchfällt . Angesichts dessen bin ich eigentlich schon froh, dass wenigstens im Gesetzentwurf Richtiges steht, zum Beispiel die Hoftorbilanz für die Nährstoffe eines Betriebes . Das hatten auch die drei Beratergremien empfohlen . Allerdings ist ihre Ausgestaltung noch offen . ({3}) Deswegen will ich lieber noch nicht so viel loben . Der Bundesrat hat auch noch einige Verbesserungen vorgelegt, die wir durchaus teilen . Die Erweiterung beim Zweck „Bodenschutz“ um das Schutzgut „Wasser“ macht Sinn, und beim Düngedeckel sollten die Standortbedingungen und die Vorbelastungen durchaus berücksichtigt werden . Auch die Erhöhung des Strafrahmens von 50 000 Euro auf 200 000 Euro ist aus unserer Sicht absolut richtig . Das eigentliche Problem bei der Düngung ist aber, dass es genau darum oftmals gar nicht geht, sondern eben um die Entsorgung von Gülle . Ein Blick auf die Karte der Nitratbelastung im Grundwasser zeigt das: Die Problemzonen sind eben die viehdichten Regionen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein . 41 Prozent der Grundwasserkörper in Niedersachsen waren 2014 nicht als Trinkwasser geeignet, nicht nur, aber eben auch, weil zu viel Gülle auf zu wenig Fläche trifft . Auch dieses Problem müssen wir lösen, und zwar nicht durch Gülleentsorgung in Ostdeutschland, sondern durch Anpassung der regionalen Viehdichte an die verfügbare Fläche . ({4}) Dabei geht es mir eben nicht nur um die Vermeidung des Ärgers mit Brüssel, sondern mir geht es auch um die Vermeidung des Ärgers unserer Enkel . Deswegen ist hier viel Ehrgeiz gefragt . Einige Fragen sind offen . Diese werden wir in der Anhörung am 14 . März dieses Jahres weiter diskutieren . Aber für Schattenboxen haben wir jedenfalls keine Zeit mehr . Vielen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Tackmann . - Der nächste Redner ist Dr . Wilhelm Priesmeier für die SPD . ({0})

Dr. Wilhelm Priesmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich setze in der Koalition auf den konstruktiven Dialog . Aber spätestens seit 1991 wissen wir ja alle, dass wir die europäische Nitratrichtlinie umzusetzen haben . Damals war Frau Merkel Umweltministerin, heute ist sie Kanzlerin . Daran kann man ermessen, wie lange der Zeitraum ist, bevor eine Richtlinie effizient greift. Die Vorgaben hätten wir 2013 erfüllen müssen, das haben wir nicht gemacht . Auch die europäische Wasserrahmenrichtlinie hätten wir 2015 erfüllen müssen . Ob wir sie erfüllt haben, wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht ganz genau . Wir müssen natürlich auch sehen, dass wir als SPD auf die Dringlichkeit dieser Frage schon in unserem Antrag vom 26 . Juni 2012 hingewiesen haben und verschiedene Dinge eingefordert haben . Eine Forderung war, die Stickstoffüberschüsse auf 50 Kilogramm pro Hektar pro Jahr zu begrenzen und die Stickstoffbilanz anhand einer Hoftorbilanz vorzunehmen . Eine weitere Forderung war, die Düngeverordnung konsequent zu kontrollieren und wirksame Sanktionen vorzusehen . Das erreichen wir jetzt unter anderem mit den Vorschlägen, die seitens des Bundesrates mit der Erhöhung des Sanktionsrahmens gemacht werden . ({0}) Eine weitere Forderung war die Umsetzung . Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat natürlich nicht gehandelt, sondern sie hat das Problem in die Zukunft verschoben, obwohl wir die Umsetzung angemahnt haben . Seit 2013 läuft jetzt das Vertragsverletzungsverfahren wegen der unzureichenden Umsetzung . Auch im Hinblick auf die Wasserrahmenrichtlinie gibt es bereits eine Pilotanfrage . Ich befürchte, dass ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren die Konsequenz sein könnte . Auch im Hinblick auf die NEC-Richtlinie ist absehbar, dass wir diese ohne weitere gesetzliche Rahmenbedingungen, die wir zu schaffen haben, vermutlich nicht werden umsetzen können . ({1}) Das zentrale Element der Umsetzung dieser drei Richtlinien sind das Düngerecht und auch die Düngeverordnung, sie basiert auf dem Düngegesetz . In wenigen Tagen werden wir erfahren, ob die jetzt vorliegende Düngeverordnung ausreichend ist oder nicht . Aber wir sollten nicht erst warten, bis wir flächendeckend und überall 50 Milligramm Nitrat im Trinkwasser vorfinden. Die zusätzlichen Kosten für sauberes Trinkwasser darf am Ende nicht der Verbraucher und soll auch nicht die Allgemeinheit bezahlen . Am Beispiel von Niedersachsen möchte ich die hohe Viehdichte beschreiben: 1 500 Biogasanlagen, 60 Millionen Tonnen Gülle, also 7,7 Tonnen pro Einwohner . Das sind die Bilanzen, die wir in ganz Niedersachsen vorzuzeigen haben . Dazu kommt noch ein grenzüberschreitender Gülleimport aus den Niederlanden . Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, eine flächengebundene Nutztierhaltung anzustreben . Wir sollten uns daranmachen, das konsequent umzusetzen; denn nur durch die Bindung der Tierhaltung an die landwirtschaftliche Fläche erreichen wir, dass regionale Nährstoffkreisläufe wieder funktionieren . ({2}) Um Stickstoff- und Phosphatüberschüsse in den Griff zu bekommen - und nicht nur aus diesem Grunde - müssen wir zumindest versuchen, das Problem zeitnah zu lösen . Wenn ich davon ausgehe, wie viel Phosphat zum Beispiel ausgebracht wird - ein weiteres Problem, das wir mit der jetzigen Düngeverordnung nicht entscheidend angehen -, fehlen uns, wenn man nur das ersetzt, was die Pflanzen dem Boden entziehen, so wie es in Niedersachsen ordnungsgemäß normalerweise sein sollte, allein in der Weser-Ems-Region circa 450 000 Hektar Fläche . Die gesamte niedersächsische Landwirtschaftsfläche reicht nicht aus, um alle Nährstoffe bedarfsgerecht zu verteilen . Das macht deutlich, wie drängend das Problem ist . Wir haben uns verpflichtet, die Einleitung von Phosphaten in die Nord- und Ostsee bis 2030 um 70 Prozent zu reduzieren . Auch das macht deutlich, wie groß der Handlungsbedarf ist . Darüber hinaus reichen die Vorräte vermutlich nur noch 60 bis 100 Jahre . Phosphat ist aber ein ganz wichtiger Rohstoff für unsere Welternährung, und wir sollten damit sparsam umgehen . Für uns ist dabei in der weiteren Umsetzung neben der Düngeverordnung die Hoftorbilanz das entscheidende, zentrale Instrument, um gerade in den roten Gebieten auf der Landkarte das Problem in den Griff zu bekommen . Bei der Hoftorbilanz werden der Stickstoffeintrag in den Bestand oder in den Betrieb, zum Beispiel durch Zufuhr von Dünger, wie auch der Stickstoffaustrag erfasst . Diese Bilanzierung - vereinfacht Flächenbilanz bzw . Feld-Stall-Bilanz, was auch vielfach diskutiert wird - ist in Summe die Hoftorbilanz . Sie ist wesentlich genauer als alle Schätzverfahren und weiteren Verfahren, die wir sonst kennen und die viele Gestaltungsspielräume enthalten . ({3}) - Manchmal geht es nicht ganz ohne Bürokratie, aber mit ein bisschen Datenverarbeitung und IT geht es garantiert, und dann wird es vielleicht auch einfacher, als wenn ich es mit der Hand nach dem alten Schätzverfahren berechnen muss, Herr Kollege . Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen . ({4}) Im Dezember 2014 haben wir in der Koalition klar vereinbart, dass die Rechtsgrundlagen für die Einführung einer Hoftorbilanz geschaffen werden . Deshalb kann ich es mitnichten nachvollziehen, dass wir erst 14 Monate später ein entsprechendes Gremium zusammenrufen, das sich damit beschäftigt, wie die Voraussetzungen für die Hoftorbilanz in eine Verordnung zu bringen sind . Ich glaube, da kann man wesentlich schneller sein . Das kann man auch besser machen . Ich erwarte jetzt im weiteren Fortgang für das Gesetzgebungsverfahren - davon sind viele Dinge abhängig -, dass es einen klaren, nachvollziehbaren Zeitplan gibt, wann die Hoftorbilanz im Rahmen einer Verordnung verabschiedet werden kann und wann sie in Kraft tritt . Ich hoffe, dass das zum 1 . Januar 2018 der Fall sein wird . Was die Datenlage angeht, muss man einen Großteil der Daten verfügbar machen, ganz einfach deshalb, um das Vollzugsdefizit des alten Düngerechts zu beseitigen. Dazu gehört auch, dass zum Beispiel in Niedersachsen bisher nur 11 Prozent der Daten zum Stickstoffanfall und lediglich 2 Prozent der Daten zur Stickstoffverwertung von den Behörden ausgewertet werden können . Ich glaube, man kann einiges tun, um das Vollzugsdefizit zu beseitigen . Einen wichtigen Beitrag dazu leisten in der jetzigen Diskussion vor allen Dingen die Bundesländer mit ihren Anträgen im Bundesrat zu dem vorgelegten Entwurf des Düngegesetzes . Ich gehe davon aus, dass das für uns Ansporn ist, uns der Arbeit, die jetzt an dem Gesetzentwurf zu leisten ist, zu stellen . Wir können im Bundestag Gesetzentwürfe der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren nicht schlechter, sondern nur besser machen . Wir sollten uns daranmachen, diese Arbeit zügig zu erledigen und das Problem anzugehen . Ich fordere alle dazu auf, die sich daran beteiligen wollen, ganz besonders den Koalitionspartner . Es gibt noch viel zu tun . Packen wir es an! ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Priesmeier . - Nächster Redner: Friedrich Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen .

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit über vier Jahren ist Deutschland als europäischer Tabellenletzter gefordert, die Nichteinhaltung der EU-Nitratvorgaben abzustellen . ({0}) Vor allen Dingen die massierte Schweinehaltung mit den hohen Güllemengen ist der Hauptverursacher der hohen Nitratwerte . Die Trinkwasserkunden erwarten, dass der Minister die Probleme nicht länger aussitzt, sondern endlich reagiert . ({1}) Nachdem Minister Schmidt vollmundig erst für Weihnachten 2014 und dann für Weihnachten 2015 das Düngegesetz angekündigt hatte, liegt es nun seit Dienstag völlig abrupt und überraschend auf dem Tisch, um die für heute drohende Einleitung der Klage in Brüssel abzuwenden . Anscheinend wurde sie aber in Brüssel wieder vertagt, und zwar für eine Woche, wie wir gehört haben . Die grün mitregierten Länder haben den vorliegende Gesetzentwurf tatkräftig erkämpft . Wir sehen trotzdem die Gefahr, dass Sie von der CDU/CSU alles versuchen werden, ihn vor der Bundestagswahl nicht mehr zu beschließen . Den Schweinemästern wurde immer wieder signalisiert: Die Trias Minister Schmidt, Ministerpräsident Seehofer und Bauernverband wird es schon verhindern . Der Minister hat zwar die Partitur schreiben lassen, aber der Dirigent des Verfahrens sitzt in München und heißt Seehofer . Lassen Sie sich doch nicht länger von den Blockaden aus Bayern ausbremsen, Herr Minister Schmidt . Wenn sich die Bayern einmauern wollen, dann wollen wir sie dabei nicht aufhalten . Aber wir Grüne sind bereit, über Asyl für sie zu sprechen . ({2}) Die Menschen sind nicht mehr bereit, mit ihrer Wasserrechnung die Exzesse und Sünden einer falschen industriellen Tierhaltung zu bezahlen . Sie erwarten auch in den viehdichten Regionen sauberes Trinkwasser . Trinkwasser ist Allgemeingut . Niemand hat das Recht, es zu verschmutzen, auch nicht mit Gülle . ({3}) Um genau zu erfassen, wie viele Nährstoffe einen landwirtschaftlichen Betrieb verlassen und auf die Flächen gelangen, brauchen wir mindestens in den roten Gebieten, den sogenannten Hotspots, die Hoftorbilanz . ({4}) Das sind Gebiete mit besonders hoher Viehdichte und folglich besonders hoher Nitratbelastung . Darin sind sich alle Beiräte der Bundesregierung einig . Die Länder brauchen endlich für wirksame Kontrollen den Zugriff auf die Nutzung der Daten, die zum Beispiel von InVeKos, dem Datensystem der Landwirtschaft für die Flächenanträge, und der Tierseuchenkasse erhoben werden, um festzustellen, wo die Gülleseen verbracht werden, und wo wie viele Tiere in den Ställen stehen . Ohne diese Daten kann eine wirksame Kontrolle nicht funktionieren . Ohne Datenabgleich lassen sich Verstöße und ihre Ursachen nicht feststellen . Es geht um die schwarzen Schafe . Es geht nicht um die verantwortlich handelnden Bäuerinnen und Bauern, die Tiere und Fläche im Einklang halten . ({5}) Wollen Sie denn zig Millionen Euro Strafzahlungen aus dem Agrarhaushalt für Ihr Nichtstun aus dem Fenster werfen? Bei Frankreich haben wir erlebt, wie viele Millionen fällig werden, wenn man hier säumig ist . Dieses Geld brauchen wir dringend, um den gebeutelten, notleidenden Milchbäuerinnen und Milchbauern, den Sauenhalterinnen und Sauenhaltern sowie dem gesamten ländlichen Raum zu helfen . Heute ist die drohende Klage nochmals um eine Woche vertagt worden . Wer weiß, wie lange sich die EU-Kommission noch mit Nichtstun abspeisen lässt . Wir alle wissen es nicht . Stattdessen beschäftigt sich das Ministerium damit, wie man Unbeteiligte zu Tätern stilisiert . Wir fordern Sie auf: Lassen Sie die Verschärfung für die Weidehaltung! Kühe gehören auf die Weide, nicht in den Stall . ({6}) Lassen Sie doch endlich die durch nichts begründeten Ausbringungssperrfristen für Festmist und Kompost . Damit machen Sie viele bäuerliche Betriebe, die nichts mit dem Nitratproblem zu tun haben, zu Tätern . Festmist und Kompost stellen für die Wasserqualität kein Problem dar . Kümmern Sie sich doch endlich um die wahren Probleme: 28 Millionen Schweine auf zu wenig Fläche, hohe Gülleüberschüsse, die zu hohen Nitratwerten führen, weil die Pflanzen diese Fluten nicht mehr aufnehmen können . Nicht mehr nichts tun und aussitzen! Herr Minister, fangen Sie endlich an, zu regieren! Doch wir Grüne befürchten: Auch das ist wieder vergossene Milch bei Ihnen . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Friedrich Ostendorff . - Der letzte Redner in der Debatte und für diesen Abend ist Johannes Röring für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute in erster Lesung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Düngegesetzes vom 9 . Januar 2009, das das Inverkehrbringen und die Anwendung von Düngemitteln, Bodenhilfsstoffen, Pflanzenhilfsmitteln und Kultursubstraten in Deutschland regelt . Die Gesetzesnovelle ist ein wichtiger Schritt hin zu einem ressourcenschonenden und nachhaltigen Umgang mit Nährstoffen bei landwirtschaftlicher Erzeugung . Kontext aller meiner Vorredner war, dass wir uns einig sind, dass sauberes Wasser in Flüssen sowie sauberes Grund- und Trinkwasser hohe, schützenswerte Güter sind . ({0}) Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Düngegesetzes vom 9 . Januar 2009, das wir nun novellieren, haben wir hier im Deutschen Bundestag eine Bundesverbringungsverordnung erlassen und den Ländern die Möglichkeit gegeben, die Nährstoffströme besser in den Griff zu bekommen . Dies haben zwei Jahre später allerdings nur Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen umgesetzt . ({1}) Ich will damit nur sagen, dass wir uns nicht in einem rechtsfreien Raum befinden. Vielmehr ist die Düngung in Deutschland schon immer geregelt . Wir machen uns jetzt daran, dies noch zu verbessern . Im Übrigen, Kollege Ostendorff, hat die Bundesverbringungsverordnung den Landwirtschafts- und Umweltminister in NRW erst in die Lage versetzt, einen Nährstoffbericht in Nordrhein-Westfalen zu machen . Er ist im letzten Jahr veröffentlicht worden . Wir haben gesehen, dass mit Blick auf diese Verbringungsverordnung - da ist von jedem Kreis die Bilanz gemacht worden - alle nordrhein-westfälischen Kreise diese Bilanz gezogen und 170 Kilogramm unterschritten haben - auch die Regionen mit intensiver Tierhaltung -, nur, Herr Kollege Priesmeier, leider nicht der Kreis unserer Bundesumweltministerin: Kleve hat die Latte beim Wert von 170 Kilogramm gerissen . Meine Damen und Herren, es ist kein rechtsfreier Raum . Es ist schon intensiv geregelt, und wir machen uns daran, diese Regelung noch besser zu machen . ({2}) Ich will deutlich machen, worüber wir reden, nämlich über Düngung. „Düngung“ heißt Pflanzenernährung, also die Pflanze so zu ernähren, dass sie ihr Ertragspotenzial ausnutzen kann . Ich bin der Meinung: Wir müssen die Pflanzen so stark düngen, wie sie Bedarf haben - nicht mehr, aber auch nicht weniger . Ich will ganz deutlich darauf hinweisen, wie wichtig hohe Pflanzenerträge in Deutschland sind. Denn sie sind die Ernährungsgrundlage für Mensch und Tier in Deutschland . Das sind viele Rohstoffe, die wir zusätzlich gebrauchen . Dies in Balance zu bringen, ist uns wichtig . Das ist eine wichtige Dimension, die oft unterschätzt wird . Wir haben im Moment in diesem Jahr gegenüber 2013/14 1 Million Menschen in Deutschland mehr zu ernähren . Es gibt nur wenige Regionen auf der Erde, die dies von einem Jahr auf das andere Jahr könnten . Wir haben viele Sorgen um unsere neuen Bürger in unserem Land; aber niemand spricht darüber, wie wir sie ernähren sollen . ({3}) Das ist die Leistung der deutschen Bauern, und das hat mit Pflanzen zu tun. Also: Meine Damen und Herren, die Änderung des Düngegesetzes schafft die Grundlage für die Novellierung der Düngeverordnung . Wir werden damit die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie einhalten und ihr gerecht werden . ({4}) Die Kritik an der Grundwasserqualität der EU-Kommission basiert nämlich auf Messstellen, die Grundwasser messen . Wir haben in Deutschland ein Belastungsmesssystem - ich will das noch einmal erwähnen -, ({5}) wo wirklich die Hotspots ausgewählt wurden zur Beurteilung der Frage, ob Trinkwasser in Ordnung ist . ({6}) Ein anderes repräsentatives Messnetz für die Europäische Umweltagentur zeigt, dass an 85 Prozent der 800 Messstellen in Deutschland der Trinkwassergrenzwert von 50 Milligramm eingehalten wird . Ich will nur sagen: Die Situation ist doch meist besser, als dargestellt wird . Bei Grenzwertüberschreitung vor Ort müssen wir angepasste Lösungen suchen . Gemeinsam mit den Ländern müssen wir uns auch daranmachen, die Messnetze zu verbessern . Düngegesetzgebung muss auch mit den Entwicklungen in der Praxis Schritt halten . Deswegen werden wir in diesem Düngegesetz die Möglichkeit schaffen, auch die Gärreste von Biogasanlagen in die Bilanzierung einzubeziehen . Das ist fachlich geboten und macht Sinn . Das ist hier verankert . Die Gesetzesnovelle bringt deutliche Verschärfungen für die tierhaltenden Betriebe . Ich will das deutlich machen: Der Erfüllungsaufwand wird mit 56 Millionen Euro geschätzt . Aber der Normenkontrollrat sagt, dass es mehr als 230 Millionen Euro sind . Wir lasten also den Betrieben, die im Moment in einer schwierigen Situation sind, noch erheblich mehr Bürokratiekosten auf, aber auch Kosten für die Erfüllung insgesamt . Ich will das nicht schmälern . Das muss gemacht werden, aber ich will es nur an dieser Stelle deutlich erwähnen . Sie werden, wenn wir nicht aufpassen, den Strukturwandel noch einmal deutlich beschleunigen . Denn man muss im Grunde für die Erfüllung der Vorgaben immer mehr Fläche nachweisen . Wir dürfen keine Politik für Großgrundbesitzer machen. Wir müssen die kleinen und flächenarmen Betriebe, die oft die Tierhaltung als Einkommensquelle gewählt haben, auch im Blick behalten . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ganz schnell noch den Datenabgleich .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Schnell .

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja . - Der ist wichtig . Ich stehe dazu, dass wir das machen müssen . Aber ich appelliere auch an die Grünen, die den Datenschutz an vielen Stellen sehr hervorheben, dass man nicht willkürlich in alle Datenbanken hineinschauen darf . Ja, die Düngebehörde muss hineinschauen dürfen . Dafür werden wir die Möglichkeiten schaffen . Ich will aber als letzten Punkt noch ganz schnell etwas erwähnen .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich bitte Sie, kommen Sie jetzt zum Ende .

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieses Verfahren hätte schneller abgewickelt werden können . Wir hätten das Düngegesetz schon haben können, Friedrich Ostendorff, richtig . Aber dieses ständige Hin und Her, Peter Bleser, zwischen Bundeslandwirtschaftsministerium, das standgehalten hat, ({0}) und dem Umweltministerium hat zur Verlängerung geführt . Wir machen uns jetzt zügig daran, das Düngegesetz zu verabschieden . Vielen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Angesichts der fortgeschrittenen Zeit habe ich keine Zwischenfrage oder -bemerkung zugelassen . Ich hoffe, Sie sehen mir das nach, zumal der FC Augsburg verloren hat . ({0}) Auch Schalke hat verloren . Es ist traurig . Ich schließe die Aussprache . Vielen Dank . - Bitte führen Sie die Düngedebatte lebendig weiter . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7557 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen langen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 26 . Februar 2016, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend .