Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/18/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie alle herzlich begrüßen - bei gutem Wetter und hoffentlich ähnlich guter Laune . Zur Beförderung derselben möchte ich vor Eintritt in die Tagesordnung den Kollegen Ernst Dieter Rossmann, Bernhard Schulte-Drüggelte und Karl Lamers, die seit der letzten Sitzungswoche ihren 65 . Geburtstag gefeiert haben, ebenso herzlich gratulieren ({0}) wie dem Kollegen Alois Gerig, der gestern Glückwünsche zu seinem 60 . Geburtstag entgegennehmen konnte . Ihnen allen noch einmal alle unsere geballten guten Wünsche für das neue Lebensjahr . Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen in Syrien nach den Angriffen der Türkei auf syrisch-kurdisches Gebiet ({1}) ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Demokratie stärken - Dem Hass keine Chance geben Drucksache 18/7553 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stand der Aufklärung und Konsequenzen aus dem Abgasskandal ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn ({4}), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen Bundesweite Statistik einführen Drucksache 18/7547 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren Drucksache 18/7538 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({6}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise Amtsberg, Dr . Franziska Brantner, Beate WalterRosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken Drucksache 18/7549 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({7}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Dabei handelt es sich unter anderem um das Asylpaket II . Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden . Der Tagesordnungspunkt 5 - hier geht es um Anträge zum Thema „Schlussfolgerungen aus den Pkw-Abgasmanipulationen“ - soll abgesetzt und stattdessen der Antrag mit dem Titel „Demokratie stärken - Dem Hass keine Chance geben“ beraten werden . Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 14 abgesetzt und an dieser Stelle der Antrag mit dem Titel „Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen Bundesweite Statistik einführen“ debattiert werden . Die Tagesordnungspunkte 10 und 20 sollen ihre Plätze tauschen und der Tagesordnungspunkt 22 c zusammen mit dem Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen werden . Wenn Sie mit all dem einverstanden sind und eine ungefähre Vorstellung über die sich daraus neu ergebende Abwicklung der Tagesordnung erhalten haben, ({8}) werden Sie vermutlich auch zustimmend zur Kenntnis nehmen, dass es noch mehrere nachträgliche Ausschuss überweisungen gibt, die im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufgeführt sind: Der am 14 . Januar 2016 ({9}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Finanzausschuss ({10}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse Drucksache 18/7218 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({11}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Der am 28 . Januar 2016 ({12}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({13}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung ({14}) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse ({15}) Drucksache 18/7219 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({16}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Dies alles nehmen wir hiermit förmlich, zustimmend, einvernehmlich zur Kenntnis und verfahren heute dann so . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte ({17}) Drucksache 18/7482 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({18}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Die dazu vorgesehene Debatte soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung 77 Minuten dauern . - Auch dazu darf ich Einvernehmen feststellen . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Michael Meister . ({19})

Dr. Michael Meister (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002733

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bringen heute den Gesetzentwurf zum Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz in den Deutschen Bundestag ein . Damit setzen wir eine Reihe von Rechtsakten aus der Europäischen Union in deutsches Recht um . Es geht darum, dass wir im Nachgang zur Finanzkrise mehr Integrität und mehr Transparenz in die Finanzmärkte bekommen und insbesondere der Anlegerschutz weiter gestärkt wird . Wir haben als Reaktion auf die Finanzkrise bereits eine Reihe von Maßnahmen - insgesamt sind es 40 - in diesem Sinne auf europäischer Ebene verabschiedet und umgesetzt . Damit haben wir versucht, die Konsequenz bzw . die Schlussfolgerung aus dem zu ziehen, was auf dem amerikanischen Immobilienmarkt geschehen war, was dann aber aufgrund der Situation, dass wir intransparente Kapitalmarktstrukturen und intransparente Kapitalmarktprodukte hatten, vom amerikanischen Immobilienmarkt bis hierher zu uns kam und sich in unsere europäischen Finanzmärkte hineinfraß . Höhepunkt dieser Entwicklung war die Insolvenz von Lehman Brothers . Ich habe eben erwähnt, dass wir 40 Maßnahmen umgesetzt haben . Dennoch müssen wir uns darüber klar sein, dass wir auch mit Blick auf die Zukunft vor neuen Herausforderungen stehen . In diesem Zusammenhang will ich nur das Thema „Allokation von Finanzmitteln vor dem Hintergrund der Niedrigzinsphase“ sowie die geopolitischen Risiken, die sich auftun, erwähnen . All dies kann zu neuen Instabilitäten führen . Deshalb sind wir gut beraten, rechtzeitig präventiv an mehr Integrität, Stabilität und Transparenz zu arbeiten . Um deutlich zu machen, was wir bisher auf den Weg gebracht haben, nenne ich zum einen die Verschärfung der Eigenkapitalanforderungen und das Zusammenbringen von Entscheidungen und Haftung . Das Risiko muss Präsident Dr. Norbert Lammert bei dem liegen, der auch die Gewinnchancen wahrnimmt . Zum Zweiten geht es um die Frage, wie wir über europäische Banken Aufsicht führen . Wir haben gesehen, dass rein nationale Ansätze zu kurz greifen und wir deshalb eine europäische Lösung benötigen . Beim Thema Abwicklungsmechanismus - dabei geht es um den Fall, dass Banken in Schieflage kommen haben wir das Gleiche gemacht . Auch dort haben wir eine europäische Lösung implementiert . Ich glaube, es ist richtig, dass wir die Verantwortung vom Steuerzahler genommen und dem auferlegt haben, der Eigentümer und Gläubiger ist . Es ist in unserer Wirtschaftsordnung so, dass nicht der eine die Chancen hat und der andere die Risiken trägt . Ich habe relativ wenig Verständnis, dass in der jetzigen Situation, wo wir auf diese neuen Herausforderungen zugehen, einige darüber diskutieren, ob wir das, was wir an Bail-in-Regeln geschaffen haben, möglicherweise aussetzen oder aufheben sollten . Ich glaube, gerade jetzt kommt es darauf an, dass wir Kurs halten und die implementierten Regeln auch wirken lassen, meine Damen und Herren . ({0}) Wir haben eine Diskussion über die Frage, inwieweit Risiken in Europa vergemeinschaftet werden sollen . Dazu gibt es Vorschläge der Kommission . Ich möchte ganz klar und deutlich sagen: Das kann nicht die Antwort auf die Herausforderungen sein . Wir brauchen nicht die Vergemeinschaftung von Risiken, sondern wir benötigen dringend den Abbau vorhandener Risiken . Dazu muss jeder, der als Aufseher, als Politiker, aber auch als Mitglied von Organen der verschiedenen Institute Verantwortung trägt, seinen Beitrag leisten . Deshalb sagen wir Nein zu weiterer Vergemeinschaftung, aber Ja zum Abbau und zur Reduzierung dieser Risiken, meine Damen und Herren . ({1}) Die Europäische Union hat Vorschläge zum Thema Kapitalmarktunion unterbreitet . Wir sind der Meinung, dass es durchaus sinnvoll ist, darüber nachzudenken, ob wir gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen neben den bestehenden Finanzierungswegen weitere Finanzierungswege öffnen sollten . Das ist ein richtiger Ansatz . Es geht aber nicht darum, bestehende Wege zu begrenzen, sondern darum, mehr Wettbewerb und Alternativen zu schaffen . In diesem Sinne sind wir offen, die Diskussion darüber zu führen, wie wir eine Kapitalmarktunion ausgestalten können . Ich möchte den Kollegen im Deutschen Bundestag ausdrücklich Danke sagen, weil wir an einigen Stellen schneller vorangegangen und auch weiter gegangen sind, als es uns das europäische Recht vorgibt . Ich nenne an dieser Stelle den Hochfrequenzhandel, wo wir zügiger gehandelt haben, als dies von europäischer Seite aus vorgegeben war . Weiter nenne ich den grauen Kapitalmarkt, wo wir über das Kleinanlegerschutzgesetz auch national einen Schritt nach vorne gemacht haben . In diesem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz wird die Umsetzung verschiedener europäischer Verordnungen bzw . Richtlinien mit ihren Konsequenzen in nationale Gesetzgebung vorgeschlagen . Wir hatten eigentlich die Absicht, Ihnen mit diesem Gesetz auch die Umsetzung der überarbeiteten Finanzmarktrichtlinie MiFID II und der entsprechenden Verordnung MiFIR vorzulegen . Es ist leider so, dass auf europäischer Ebene die Ausgestaltung auf der zweiten Ebene nicht zügig genug vorangegangen ist . Deshalb können wir dies nicht mit diesem Gesetz vorlegen und werden dazu zu einem späteren Zeitpunkt einen eigenen Gesetzgebungsvorschlag unterbreiten . Insofern ist in diesem Finanzmarktnovellierungsgesetz die Marktmissbrauchsrichtlinie, die Marktmissbrauchsverordnung der Europäischen Union, die EU-Verordnung über die Zentralverwahrer und die EU-Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte enthalten . Zum Inhalt der einzelnen Verordnungen bzw . Richtlinien: Die neue Marktmissbrauchsverordnung regelt EU-weit einheitlich und mit unmittelbarer Geltung das Verbot des Marktmissbrauchs, also das Verbot des Insiderhandels und das Verbot der Marktmanipulation sowie die Anforderungen an eine Ad-hoc-Publizität . Die Verordnung baut dabei auf bestehenden Vorgaben der bisherigen Marktmissbrauchsrichtlinie auf und erstreckt diese insbesondere auf weitere Finanzinstrumente und Handels plätze . Die EU-Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation harmonisiert EU-weit die Straftatbestände und Rechtsfolgen von Marktmissbrauch . Der in Deutschland schon heute geltende Strafrahmen bei Marktmissbrauch von Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bleibt dabei erhalten . Die Zentralverwahrerverordnung, CSDR, legt Anforderungen an die Zulassung und laufende Aufsicht über die Zentralverwahrer sowie an Bankgeschäfte im Zusammenhang mit der Zentralverwahrertätigkeit fest . Die Verordnung verbessert zudem Wertpapierlieferungen in der Europäischen Union durch Festlegung eines einheitlichen Liefertermins für übertragbare Wertpapiere auf zwei Tage sowie die Festlegung von Maßnahmen gegen gescheiterte Wertpapierabwicklungen wie zum Beispiel die Einleitung eines Eindeckungsvorgangs . Die PRIIP-Verordnung führt ein EU-weit einheitliches Produktinformationsblatt für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte ein . Damit werden die Transparenz und das Schutzniveau für Kleinanleger auf dem Anlagemarkt verbessert . Wir folgen bei der Umsetzung dieser Richtlinien dem Prinzip der Eins-zu-eins-Umsetzung europäischen Rechts in deutsches Recht . Zudem werden allerdings auch nationale Regelungen in einigen wenigen Bereichen geändert, um Regelungslücken zu vermeiden und eine angemessene Aufsicht sicherzustellen . Die mit dem vorliegenden Gesetz umzusetzenden EU-Rechtsakte haben unterschiedliche Umsetzungsfristen . Deshalb wird auch dieses Gesetz gestaffelt in Kraft treten, im zweiten Halbjahr 2016 - so, wie es die jeweiligen EU-Rechtsakte als Grundlage vorsehen . Meine Damen und Herren, bei der Anpassung unserer bestehenden Finanzmarktgesetze fassen wir insbesondere folgende Gesetze an: zum einen das Wertpapierhandelsgesetz . Hier werden zahlreiche Vorschriften aufgehoben, deren Inhalt künftig unmittelbar in der entsprechenden europäischen Verordnung geregelt wird . Dies betrifft insbesondere den vorhin angesprochenen Insiderhandel, das Thema Marktmanipulation und die Ad-hoc-Publizität . Im Kreditwesengesetz werden vor allem die Aufsichtsbefugnisse der BaFin in Bezug auf die Zentralverwahrer an die Anforderungen der EU-Verordnung angepasst . In das Börsengesetz, das Kapitalanlagegesetzbuch und das Versicherungsaufsichtsgesetz werden die Ausführungen der PRIIP-Verordnung entsprechend eingearbeitet . Der Anwendungsbereich des Vermögensanlagengesetzes wird angepasst, um Aufsichtslücken bei den Direktinvestments in Sachgüter zu schließen . Ich habe vorhin das Thema Sanktionen angesprochen . Der Bußgeldrahmen bei Verstößen wird auf bis zu 20 Millionen Euro festgelegt . Wir führen bei juristischen Personen ein Bußgeld ein, das bis zu 1,5 Prozent des Umsatzes dieser juristischen Person betragen kann . Ich glaube, das ist ein sehr breites, sehr weites Gesetzgebungswerk . Ich hoffe darauf, dass wir in der vorgesehenen Zeit dazu kommen, diese europäischen Vorgaben in nationales Recht umzusetzen und damit einen Beitrag zu leisten, dass unsere Finanzmärkte noch stabiler, noch transparenter für die Teilnehmer werden und damit ein Stück weit mehr Sicherheit für alle gegeben ist . Ich freue mich auf die Diskussionen in den entsprechenden Fachausschüssen . Danke sehr . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin Karawanskij nun das Wort . ({0})

Susanna Karawanskij (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004322, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir steigen heute in den ersten Teil einer umfassenden Überarbeitung von verschiedenen Finanzmarktgesetzen ein . Die Bundesregierung versucht damit - Herr Meister, Sie haben es gerade dargestellt -, die Finanzmärkte stabiler und transparenter zu machen und auch den Anlegerschutz zu verbessern . ({0}) Dafür drehen Sie an einer Reihe von Schrauben, aber ich muss leider feststellen: Die Schrauben sind immer noch zu locker . ({1}) Sie justieren nach, aber wirklich Stabilität auf den Finanzmärkten sowie im Verbraucherschutz schaffen Sie damit nicht . Ich möchte einen Punkt herausgreifen, nämlich die Stärkung der Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse der Finanzaufsicht, der BaFin . Vor nicht allzu langer Zeit wurde im sogenannten Kleinanlegerschutzgesetz der BaFin die Möglichkeit zur Produktintervention bei Marktmissbrauch eröffnet . Sie darf also den Vertrieb von Finanzinstrumenten gegebenenfalls sogar untersagen . Das war ein wichtiger Schritt, den wir als Linke immer gefordert haben . Man könnte jetzt auch sagen: Links wirkt! Die BaFin hat also Eingriffsinstrumente, aber es kommt doch darauf an, dass sie diese auch entschieden nutzt . Daher sollte unmissverständlich klargemacht werden, dass die BaFin bei Missbrauch von ihrem Interventionsrecht Gebrauch machen muss . Sie muss auch dahin gelangen, dass sie Finanzinstrumente und -praktiken vermehrt einer inhaltlichen Prüfung anstatt wie bislang nur einer formalen Prüfung unterzieht . ({2}) Zum zweiten Punkt: Verbraucherschutz . Hier sitzt die Schraube bei der Bundesregierung tatsächlich noch zu locker . Auch wenn die Finanzaufsicht noch so genau prüft: Es wird weiterhin Anlagepleiten geben, die auch Kleinanleger treffen . Kleinanleger sind meist auf sich selbst gestellt . Ihnen fehlen die Informationen bzw . die Möglichkeiten, ihre Rechte durchzusetzen . Es wird auf Verjährung gespielt . Die Prospekte sind zum Teil nicht auf Deutsch . Die meisten Anleger haben keine Rechtsschutzversicherung . Die meisten Emittenten, deren Produkte Anleger geschädigt haben, haben schlichtweg keine Konsequenzen zu befürchten - vielleicht mal eine vereinzelte Klage, aber meistens sitzen sie die Pleite aus . Es wird nicht nur auf den Finanzmärkten spekuliert, es wird ebenso darauf spekuliert, dass sich die Anleger nicht adäquat wehren können . Da kann es doch nicht angehen, dass hier weiterhin suggeriert wird, man wolle Transparenz schaffen, aber nicht tatsächlich stärker zum Wohle der Anleger durchgegriffen wird . ({3}) Das Problem besteht doch darin, dass die BaFin erst dann eingreift, nachdem ein Finanzinstrument bereits auf dem Markt ist . Wir als Linke plädieren für eine Umkehr, nämlich für eine vorgelagerte Zulassungsprüfung für Finanzinstrumente, am besten auf europäischer Ebene . Das heißt, der Emittent müsste beweisen, dass sein Finanzinstrument gesamtgesellschaftlich und vor allen Dingen volkswirtschaftlich unbedenklich ist . Erst danach wird ein Finanzinstrument ausdrücklich zugelassen . Wenn es den Zulassungskriterien nicht entspricht, dann kann es eben nicht zugelassen werden . Wir brauchen einen wirksamen Finanz-TÜV und kein halbherziges Herumdoktern, zum Beispiel an Infoblättern . Damit würden Sie selbst mit der fünften oder zehnten Novellierung von Finanzmarktgesetzen nicht viel an Finanzmarktstabilität, Transparenz und letztendlich Anlegerschutz erreichen . Sie werden weiterhin mutlos herumdoktern . Tun Sie etwas in Richtung Finanzmarktregulierung und vor allen Dingen im Sinne eines wirksamen Anlegerschutzes . Vielen Dank . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung verschiedener EU-Richtlinien schützt insbesondere Kleinanleger . Das neue Gesetz soll Marktmissbrauch durch große Handelsplattformen, aber auch durch Manipulationsmöglichkeiten im Insiderhandel verhindern . Das ist richtig und wichtig . Aber das ist ein kleines Puzzleteil, das zu einem größeren Bild gehört, nämlich zu der Frage, ob das Finanzsystem insoweit sicher ist, als es finanz- und volkswirtschaftliche Krisen wie 2008/2009 verhindert, die verbunden waren mit Staatsverschuldung, hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Depression . Herr Kollege Meister hat in seiner Einführungsrede auf ein paar Punkte hingewiesen . Ich will sie unterstreichen . Wir haben eine EU-Abwicklungsrichtlinie für Banken umgesetzt, die vorsieht, dass das dort vorhandene und auch das nachgelagerte Eigenkapital haften müssen . Das ist in Europa aber bislang nicht überall umgesetzt worden . Ich komme mit einigen Kollegen gerade von einer Konferenz in Brüssel zur Situation in den Nationalstaaten . Dort spielte die Frage einer gemeinsamen Einlagensicherung eine Rolle . Wir haben sehr klargemacht, dass wir das als eine Endstufe einer Bankenunion sehen, aber nicht als den nächsten Schritt . Wir wollen keine Vergemeinschaftung von Risiken, ohne dass der Haftungsoder Sicherheitsrahmen steht . Dieser Sicherheitsrahmen muss zuvor stehen . ({0}) Da gibt es noch einiges zu tun . Ich habe auch die Stimmen aus der EZB und aus Italien gehört - dort hat das Bankensystem ähnlich geschwankt wie der Aktienkurs der Deutschen Bank in den letzten Wochen -, von einer möglichen Haftung der Gläubiger abzusehen . Ich will Ihnen ganz klar sagen: Wir Sozialdemokraten tragen so eine Veränderung nicht mit . Wir haben sehr deutlich in den letzten Jahren dafür gekämpft, dass Haftung und Risiko zusammengehören . Das heißt: Banken, Bankvorstände und Aktionäre müssen wissen, dass, wenn das Geschäftsmodell riskant ist, für Verluste auch der Aktionär und der Gläubiger einzustehen haben - und nicht die Steuerzahler . ({1}) Die Verunsicherung, die Nervosität, die hohe Marktvolatilität, die sich am Auf und Ab des DAX in den letzten Wochen insbesondere bei den Bankaktien gezeigt hat, sprechen dafür, dass wir in einer extrem kritischen Situation sind . Man kann nicht in der ersten Krisensituation die Dinge, die man in Sonntagsreden gefordert und in Gesetze gegossen hat, sofort abschaffen und sagen: Die setzen wir jetzt einmal aus . Das wäre nicht nur schlechter Stil, sondern auch Verrat an den Interessen des Gemeinwohls . Deswegen meine ich, dass sowohl die europäische Bankenaufsicht als auch die Europäische Zentralbank gut beraten sind, das bestehende Instrumentarium zu nutzen. Ich finde, dass die Aktionäre gut beraten sind, auf die Geschäftspolitik der einzelnen Banken insoweit Einfluss zu nehmen, als sie nicht riskant sein sollte. Wir haben bei der Deutschen Bank jahrzehntelang expansive, risikoreiche und unlautere Geschäftspolitik erlebt . Dafür kommt jetzt die Rechnung . Ich kann mich noch genau an die Gespräche mit Herrn Fitschen und Herrn Jain erinnern, die zwischenzeitlich Vorstände der Deutschen Bank waren - der eine ist immer noch einer der Vorstandsvorsitzenden -, in denen es hieß: Wir wollen immer noch die einzige europäische Investmentbank bleiben, während sich alle anderen europäischen Banken von dieser Idee verabschiedet haben . - Das war ein Fehler, und dafür zahlen sie heute dadurch, dass das Marktvertrauen verloren geht . Klar ist: Es kann auch anders gehen . Nehmen Sie die Commerzbank . Wir haben als Anteilseigner der Commerzbank sehr klar darauf gedrängt und auch durchgesetzt, dass sie sich aus dem globalen Spekulationskapitalismus zurückzieht und ganz normales Brot-und-Butter-Mittelstandsgeschäft macht . Das ist zwar nicht sonderlich sexy, aber zumindest so ertragreich, dass es der Wirtschaft in Deutschland nutzt und die Bank wieder in stabiles Fahrwasser bringt . ({2}) Nichtsdestotrotz, Kollege Meister, muss ich zwei Punkte ansprechen, bei denen wir als Sozialdemokraten im Bundestag noch mehr Initiativen der Bundesregierung und vor allem des Bundesfinanzministers erwarten - insbesondere vor dem Hintergrund der Krise 2009 . Der erste betrifft die Finanztransaktionsteuer, und der zweite betrifft das Trennbankensystem . Wir haben sehr klar in den Koalitionsverhandlungen vereinbart: Wir wollen ein scharfes Trennbankensystem . Diejenigen, die spekulieren wollen, können das gern machen - aber nur mit ihrem Eigenkapital und nicht mit den Einlagen, also nicht mit dem Spargroschen der Bürger . Dieses Trennbankensystem ist in Europa gerade in Verhandlung . Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament sind für eine scharfe Regelung; bei den Christdemokraten bin ich mir nicht so ganz sicher . Ich erwarte, dass die Bundesregierung den Koalitionsvertrag umsetzt, der sagt: Ganz scharfe Regelungen, so, wie die Expertenkommission unter Herrn Liikanen, dem Präsidenten der Zentralbank Finnlands, das vorgeschlagen hat . ({3}) Nur dann haben wir die Risiken so weit separiert, sodass ich über ein europäisches Einlagensystem diskutieren und gegebenenfalls positiv entscheiden kann . Dafür brauche ich aber die Sicherheit, dass das volatile, extrem anfällige Spekulationsgeschäft der Investmentbanken nicht durch den Spargroschen der Einleger geschützt ist . Der zweite Punkt ist die Finanztransaktionsteuer . Wir Sozialdemokraten haben uns 2012 hier im Bundestag in gemeinsamen Verhandlungen mit Union und FDP - auch die Grünen waren dabei - durchgesetzt . Wir haben den europäischen Rettungsfonds mitbeschlossen . Eine der Bedingungen für unsere Zustimmung war, dass diejenigen, die spekulieren, vor allen Dingen im Hochfrequenzhandel einen Teil der Lasten der Finanzkrise schultern, das heißt, dass die Kosten der Krise auch mit den Einnahmen aus einer Finanztransaktionsteuer bezahlt werden . Diese Einnahmen sind bislang nicht geflossen. Wir haben bisher keine entsprechende Steuereinnahme . Im Gegenteil: Die Kosten der Krisenbewältigung haben letztendlich die Schuldenlast des Bundes erhöht, und wir haben keine Gegenfinanzierung. Es gibt eine Initiative von noch zehn Ländern zur Finanztransaktionsteuer . Nach dem, was ich gehört habe Herr Moscovici, der zuständige Kommissar, hat uns das auf meine Frage in Brüssel sehr konkret gesagt -, geht es in die Schlussphase der Entscheidung . Im März wird klar, ob es eine europäische Finanztransaktionsteuer gibt oder nicht . Er hat gesagt, dass sich auch Deutschland bewegen und konstruktiv verhandeln muss. Der Bundesfinanzminister hat das hier im Bundestag immer betont . Er hat dafür auch ein Mandat des Bundestages: breite Bemessungsgrundlage, niedrige Sätze, keine Ausnahmen . ({4}) Worum ich bitte und was ich erwarte - das ist auch im Sinne dessen, was der Bundestag 2012 auf den Weg gebracht hat, also im Interesse der Kontinuität -, ist, dass Sie konstruktiv agieren und eine europäische Finanztransaktionsteuer als Ergebnis wollen und durchsetzen . Es bringt nichts, über die Kosten der Flüchtlingskrise zu diskutieren und eine höhere Benzinsteuer vorzuschlagen, während die Finanztransaktionsteuer entscheidungsreif auf dem Tisch liegt . Deswegen sage ich: Nehmen Sie Ihren Mut zusammen, und sorgen Sie Seite an Seite mit Frankreich dafür, dass im März entschieden wird, dass nach sieben Jahren Finanzkrise endlich auch diejenigen zur Kasse gebeten werden, die diese Krise verursacht haben . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gerhard Schick ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will als Erstes einen Blick auf unsere heutige Tagesordnung werfen: Drei Finanzmarktthemen stehen auf der Tagesordnung. Heute Morgen findet eine mit 77 Minuten angesetzte, große Debatte zu der Umsetzung einer EU-Richtlinie bzw . mehrerer EU-Normen statt . Der Anteil der Bundesregierung daran ist relativ gering . Es geht vielmehr um das, was von der europäischen Ebene kommt . Der Gesetzentwurf enthält viel Gutes, zum Beispiel härtere Sanktionen . Darüber reden Sie gerne morgens zur besten Sendezeit . ({0}) Mittags nutzen Sie die immer noch hohe Aufmerksamkeit für die Kritik an den europäischen Aufsichtsbehörden . Erst am Abend, wenn die Zeitungen gedruckt sind, ({1}) kommt das, was für Sie etwas unangenehmer ist, nämlich die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Dabei geht es um eine rechtsstaatliche Dreistigkeit . Dieses Thema gehört eigentlich zu dieser Debatte, weil es dabei auch um Anlegerschutz geht . ({2}) Was ist der Punkt? Normalerweise machen wir neue Gesetze für die Zukunft . In diesem Fall ist aber Folgendes passiert: Die Finanzmarktbranche hat gejammert, dass die bisherige Gesetzeslage für alte Fälle nicht günstig sei . Deswegen wird jetzt rückwirkend in die Rechtsposition von Verbraucherinnen und Verbrauchern beim Widerrufsrecht eingegriffen . Wo kommen wir hin, wenn das Schule macht? ({3}) Wenn Verbraucher aufgrund eines Gesetzes Probleme hatten, dann wurde noch nie - an so etwas kann ich mich jedenfalls überhaupt nicht erinnern - rückwirkend das Gesetz geändert . Wenn aber die Finanzbranche ruft, ändern Sie Gesetze auch rückwirkend . Das ist skandalös, und dass ein Verbraucherminister bei so etwas mitmacht, das geht überhaupt nicht . ({4}) Das, was uns jetzt vorliegt, geht zurück auf den Schock von 2008/2009 bzw . die Erinnerung daran . Damals hat man eine Expertengruppe unter dem früheren Direktor des Internationalen Währungsfonds beauftragt, Handlungsempfehlungen zu erarbeiten . Daraus ist die Marktmissbrauchsrichtlinie entstanden, weil man festgestellt hat, in der Europäischen Union sollten - ich zitiere - „rigorose und abschreckende Sanktionen gelten - die auch effektiv durchgesetzt werden sollten .“ Carsten Schneider ({5}) Ein Stück weit wird das jetzt vorgelegt, und das ist auch richtig . Aber man muss natürlich die Frage stellen: Warum nutzt eigentlich die Bundesregierung nicht systematisch die Möglichkeiten, die die Richtlinie bieten würde, um in Deutschland fehlende Sanktionen wirklich hart anzuziehen? An einigen Stellen erreichen Sie wahrscheinlich noch nicht einmal das Mindestniveau an Sanktionen, das die Richtlinie vorgibt . Ich will ein Beispiel nennen: Der Regierungsentwurf sieht im Hinblick auf die Strafbarkeit der Marktmanipulation vor, dass durch die jeweilige Handlung auch eine Einwirkung auf den Marktpreis erfolgt ist; das heißt, es muss ein Erfolg eingetreten sein . Nach der Richtlinie genügt bereits das Geben falscher oder irreführender Signale für eine Strafbarkeit . Das heißt, der Nachweis ist nach dem, was Sie jetzt vorlegen, wesentlich schwieriger zu erbringen, als es die Richtlinie eigentlich vorsieht . Ich frage mich: Warum sieht der Gesetzentwurf bezüglich Waren eine generelle Strafbarkeit vor, im Falle von vorsätzlichen Fehlinformationen bei Aktien aber nur, wenn es wirklich die Erlangung eines großen Vermögensvorteils gegeben hat? Unser Finanzminister gibt ja gern einmal den Harten . Aber wenn es um Finanzmarktakteure geht, wird er plötzlich relativ weich und nachsichtig . Da stimmen Ihre Maßstäbe nicht . ({6}) Die Ökonomen George Akerlof und Robert Shiller haben im Handelsblatt kürzlich einen Beitrag aus einem aktuellen Forschungsprojekt veröffentlicht . Es heißt „Phishing for Phools“ und behandelt das Thema „Manipulation und Täuschung“ . Es geht darin insbesondere um den Finanzmarkt, weil ein ganz relevanter Teil des Finanzmarktes leider auf Lug und Betrug basiert . Es muss doch einmal zur Kenntnis genommen werden - ich hoffe, auch in den Koalitionsfraktionen und im Bundesfinanzministerium -, dass wir in Anbetracht von Skandalen, bei denen die Marktpreise bei Zinsen, bei Devisen und beim Gold manipuliert und Märkte in Billionenumfang durch Preismanipulationen gestört worden sind, einmal sehr systematisch die Frage stellen müssen: Wie schaffen wir es eigentlich, endlich wieder Recht und Ordnung am Finanzmarkt zu etablieren? ({7}) Das ist kein Thema, bei dem wir einfach unsere Hände in den Schoß legen dürfen, sondern wir müssen sehen: All die großen Skandale sind, selbst wenn deutsche Unternehmen oder auch Finanzmarktunternehmen betroffen waren, nicht in Deutschland aufgedeckt worden . Beim Libor-Skandal waren es die britischen und amerikanischen Behörden, beim VW-Skandal waren es die amerikanischen Behörden . So könnte man diese Liste leider fortsetzen . Was heißt denn das? Es besteht wohl großer Handlungsbedarf in Deutschland . Da kann es doch nicht ausreichen, eine EU-Richtlinie nur so umzusetzen, wie es den Mindestanforderungen entspricht, sondern da muss man auch die deutschen Probleme endlich einmal angehen . ({8}) - Ja, da muss man auch beim Vollzug etwas tun . Deswegen ist der Bundesfinanzminister, der für die Rechts- und Fachaufsicht bei der BaFin zuständig ist, natürlich in besonderer Art und Weise gefragt . Ich hätte mich gefreut, wenn hier auch dazu ein paar Worte verloren worden wären . ({9}) Wir sehen, dass diese Sache so wichtig ist, dass viele Leute empört sind und es keine Stabilität gibt . Erst jüngst hat die Finanzaufsichtsbehörde, viel zu spät eingreifend, eine Bank schließen müssen, weil sie die Strafzahlungen nach einem Betrugsfall nicht leisten konnte, nämlich die Maple Bank . Das ist systemrelevant, und das ist stabilitätsrelevant . Deswegen brauchen wir in Deutschland eine Diskussion darüber und auch eine Gesetzgebung dazu . Wir müssen die Sanktionen im Unternehmensbereich endlich verschärfen und auch die individuelle Verantwortung von Unternehmen ausweiten . Das Spiel, dass der Vorgesetzte sagt: „Du musst die Ziele erreichen, und mich interessiert nicht, wie“ und sich nachher vor Gericht herausreden kann, indem er sagt: „Ich habe das doch nicht angewiesen“, muss aufhören, und zwar dadurch, dass es ein klares Strafbarkeits- und Sanktionsrecht gibt, auf der Unternehmensebene, aber auch auf der individuellen Ebene . Die britischen Parlamentskollegen haben entsprechende Vorschläge gemacht . Für die einzelnen Unternehmensbereiche soll zum Beispiel jeweils ein Vorstand auch strafrechtlich verantwortlich sein . Ich frage mich: Warum sehen wir so etwas hier im Bundestag nicht als Gesetzesinitiative von Ihnen? ({10}) Wir sehen auch, welche Bedeutung das für die aktuelle Diskussion hat . Bei der Deutschen Bank spielt das Risiko der Rechtsstreitigkeiten eine große Rolle: 12,7 Milliarden Euro an Strafzahlungen in den letzten Jahren, jetzt noch einmal Rückstellungen für weitere Milliardenstrafzahlungen, die vielleicht überhaupt nicht ausreichen . Das ist leider ein Problem für Deutschland insgesamt . Das sieht man derzeit an der Marktentwicklung . Ich will noch einmal eines zu der Diskussion sagen: Viele machen sich jetzt Gedanken darüber, wie stabil die Deutsche Bank ist . In dieser Diskussion hat sich auch der Bundesfinanzminister geäußert. Seither fragen sich alle: „War das eine Intervention, weil es der Deutschen Bank so schlecht geht? Wusste er mehr?“, usw. Ich finde, hier muss man eines einmal klar haben: Für jemanden in der Verantwortung des Bundesfinanzministers darf es in einer solchen Situation nur eine Regel geben - ich zitiere hier einen Satz aus dem CDU-Präsidium an einer anderen Stelle, der hier aber auch gilt -: „Einfach mal die Klappe halten .“ ({11}) Ja, der Bundesfinanzminister, der die Rechts- und Fachaufsicht über die Aufsichtsbehörde in Deutschland hat, hat hier eine eindeutige Verantwortung . Sie können an Elke König sehen, wie man so eine Frage beantwortet . ({12}) Sie sagt: Zu einzelnen Instituten äußere ich mich nicht . Das wäre auch Ihre richtige Antwort gewesen . Auf so etwas muss man sich bei einem Bundesfinanzminister verlassen können . ({13}) Nun zu Ihren Fehleinschätzungen . - Das Zitat „Wir haben das Schlimmste hinter uns“ von Wolfgang Schäuble zeigt, dass er das Wesen dieser Krise leider nicht verstanden hat . ({14}) - Ja . - Auch der Satz der Bundeskanzlerin: „Wir haben 80 Prozent der Finanzmarktregulierung geschafft“ zeigt, dass Sie nicht verstanden haben, um was es geht; ({15}) denn seit 2007 ist die Fehlentwicklung unverändert weitergegangen . ({16}) Die Finanzmärkte sind seit 2007 weiter schneller gewachsen als die Realwirtschaft, und in den westlichen Industriestaaten sind die Schulden im Verhältnis zur realen Wirtschaftsleistung von 269 Prozent auf 286 Prozent weiter gestiegen . Solange es so ist, dass der Finanzmarkt schneller wächst als die Realwirtschaft, werden wir keine Stabilität bekommen . Deswegen braucht es jetzt mehr reale Investitionen, bei denen dieser Bundesfinanzminister leider bremst, und es braucht eine schärfere Finanzmarktregulierung, wobei dieser Bundesfinanzminister leider auch bremst . Sie haben sich in Brüssel und in Basel gegen eine strikte Schuldenbremse für Banken gewehrt und ein Placebo-Trennbankengesetz hier in den Bundestag eingebracht und verabschiedet, das für die Stabilität unseres Finanzmarktes - das sehen wir jetzt an der Diskussion über die Deutsche Bank - überhaupt nichts bringt . Carsten Schneider hat es bereits gesagt: Die Christlich Demokratische Union bremst im Europäischen Parlament, wenn es darum geht, ein klares Trennbankengesetz zu machen, um endlich unseren Finanzmarkt zu stabilisieren . Deswegen muss an dieser Stelle eines klar sein: Wenn Sie so weitermachen, wird es keine Stabilität geben . Die Unsicherheiten werden uns dann weiter begleiten . Es braucht mehr reale Investitionen, eine härtere Finanzmarktregulierung und auch im strafrechtlichen und im zivilrechtlichen Bereich harte Sanktionen für Lug und Betrug . Danke . ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Matthias Hauer für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Matthias Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei den Ausführungen meines Vorredners konnte man fast vergessen, dass wir heute den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften beraten . Wie der Name schon erahnen lässt, ist das nur ein Teil eines größeren Pakets . Es geht um die Regulierung der Finanzmärkte und um die Stärkung des Anlegerschutzes . Im zweiten Teil werden wir zu einem späteren Zeitpunkt das deutsche Recht an die Finanzmarktverordnung MiFIR anpassen und die Finanzmarktrichtlinie MiFID II in deutsches Recht umsetzen . Eine Anmerkung vorab: Es ist bedauerlich, dass sich die Ausarbeitung der technischen Details auf europäischer Ebene verzögert . Das erschwert die nationale Umsetzung des zweiten Teils . Es ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, dass die Europäische Kommission den Zeitplan für die nationale Umsetzung nicht sachgerecht anpassen will . Jetzt zum heutigen Thema: Worum geht es bei dem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz? Der erste Teil umfasst vier europäische Rechtsakte aus drei Themenbereichen: erstens die Richtlinie und Verordnung zum Marktmissbrauch, zweitens die Verordnung über Zentralverwahrer, drittens die Verordnung über Basisinformationsblätter . Diese europäischen Rechtsakte verankern wir im deutschen Recht . Sie wurden als Lehre aus der Finanzkrise verabschiedet; wir haben gerade schon viel dazu gehört . Sie haben das Ziel, die Transparenz und die Integrität der Finanzmärkte zu stärken . Der Deutsche Bundestag hat in den vergangenen Jahren viel dafür getan, die Märkte zu stabilisieren und die Anfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren . Auch der heutige Gesetzentwurf dient in erster Linie dazu, die Anleger besser zu schützen . Erster Punkt: Bekämpfung von Marktmissbrauch . Wogegen gehen wir dabei auf europäischer Ebene vor? Gegen Insidergeschäfte, gegen die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen und gegen Marktmanipulationen . Prominentes Beispiel für Marktmanipulationen ist der Libor-Skandal . Dabei ging es um betrügerische Manipulationen von Referenzzinssätzen wie dem Libor . Die Manipulationen wurden in den Jahren 2011 und 2012 aufgedeckt . Der Skandal steht exemplarisch dafür, dass Marktmanipulationen erhebliche Auswirkungen haben können, gerade auch zulasten einfacher Bankkunden und Kreditnehmer . Banken haben sich dabei beispielsweise für bestimmte Privatkredite an den Libor-Zinssätzen zum Monatsanfang orientiert . Wenn durch gezielte Manipulationen solche Referenzzinssätze zum Monatsanfang zeitweise erhöht werden konnten, dann wurde daran gut verdient zum Schaden privater Kreditnehmer, die so überhöhte Zinssätze zahlen mussten . Leider sind die Regeln zum Marktmissbrauch in den Staaten der Europäischen Union bislang sehr unterschiedlich . Selbst schwere Verstöße werden nicht in allen Mitgliedstaaten strafrechtlich sanktioniert . Dort, wo Sanktionen möglich sind, variieren sie teilweise erheblich . Durch die unterschiedlichen Regelungen auf europäischer Ebene konnte der Marktmissbrauch in der Vergangenheit nur unzureichend bekämpft werden, auch weil Täter über Staatsgrenzen hinweg agieren . Die EU-weite Harmonisierung ist also sinnvoll . Regelungslücken in einzelnen EU-Staaten, die bisher von Tätern ausgenutzt werden konnten, werden nun geschlossen . Es ist gut und richtig, einheitlich in der gesamten EU scharfe Sanktionen bei Insiderhandel und Marktmanipulation zu ermöglichen . Die Manipulation von Zinssätzen wird verboten . Schwere Formen des Marktmissbrauchs werden EU-weit unter Strafe gestellt . Der Versuch, die Beihilfe und die Anstiftung werden strafbar . ({0}) Im deutschen Recht haben wir insbesondere die Strafund Bußgeldvorschriften den neuen europäischen Regelungen anzupassen . Wir berücksichtigen aber auch die technologische Entwicklung . Sowohl der Hochfrequenzhandel - in Deutschland schon geregelt - als auch neuartige Handelsplattformen werden dabei einbezogen . Zweiter Punkt: Anforderungen an Zentralverwahrer . Was machen Zentralverwahrer überhaupt? Sie registrieren neu emittierte Wertpapiere, sie führen zentrale Wertpapierkonten, und auf diesen Wertpapierkonten erfassen sie, wem welche Wertpapiere gehören . In der EU verwahren sie Wertpapiere im Gesamtvolumen von rund 39 Billionen Euro . Sie wickeln Wertpapiergeschäfte im Volumen von jährlich etwa 500 Billionen Euro ab . Die Verordnung über Zentralverwahrer vereinheitlicht nun europaweit, wie sie organisiert sind, wie sie Geschäfte tätigen, wie sie beaufsichtigt werden, aber auch wie sie gegebenenfalls sanktioniert werden . Ziel ist es, dass die Verwahrer Wertpapiergeschäfte ordnungsgemäß und pünktlich durchführen . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht einen umfassenden Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten vor . Wenn ein Zentralverwahrer gegen solche Vorschriften verstößt, dann wird es künftig teuer . 20 Millionen Euro Bußgeld sind möglich, bis zu 10 Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes - je nachdem, welcher der beiden Beträge höher ist . Dritter Punkt: die bessere Information für Kleinanleger . Mit dem Gesetzentwurf verankern wir zudem die Verordnung über Basisinformationsblätter im deutschen Recht . Diese Informationsblätter, auch Beipackzettel genannt, müssen Anlegern vor Vertragsabschluss bei bestimmten Anlageprodukten ausgehändigt werden . Egal, ob Anleger, Versicherungsnehmer oder Bankkunde: Sie wissen im Normalfall deutlich weniger über ein Produkt als der Anbieter . Wir wollen, dass Verbraucher vor Abschluss solcher Verträge umfassend informiert werden und dann gute Entscheidungen treffen können . Die Finanzmärkte werden immer komplexer . Neue Technologien verändern die Finanzmärkte rasant . Die Vielfalt von Angeboten und Produkten nimmt ständig zu . Gerade in einer solchen Zeit ist es besonders wichtig, dass Kleinanleger die wesentlichen Informationen erhalten, und zwar verständlich und übersichtlich . Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz haben wir die Situation der Kleinanleger bereits im vergangenen Jahr deutlich verbessert . Auch die Idee der Informationsblätter ist nicht neu . Wir in Deutschland sind bei diesem Thema in den letzten Jahren sehr aktiv gewesen . ({1}) Es gibt sie bei uns bereits für Anlageberatung bei Finanzinstrumenten, bei Verträgen über Versicherungen und zur Altersvorsorge, für Investmentvermögen und für viele Produkte des Grauen Kapitalmarkts . Bei der aktuellen Verordnung wird ein Basisinformationsblatt für verpackte Anlageprodukte vorgeschrieben . Als „verpackt“ gelten Anlageprodukte, bei denen das Geld nicht direkt, sondern indirekt am Kapitalmarkt angelegt wird, zum Beispiel in offenen oder geschlossenen Investmentfonds oder in fondsgebundenen Lebensversicherungen . Um diese komplexen Produkte besser verstehen zu können, werden klare Regeln für die Gestaltung der Basisinformationsblätter eingeführt . Der Aufbau wird standardisiert . Sie müssen nicht nur richtig sein, sondern auch kurz, prägnant und verständlich . Anleger können damit Chancen und Risiken, aber auch die Kosten produktübergreifend vergleichen . Wichtig für Kleinanleger ist auch, dass die Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung der Ersteller der Informationsblätter harmonisiert werden . Das heißt: Jeder Kleinanleger kann in Zukunft den Ersteller haftbar machen, wenn das Blatt irreführend oder fehlerhaft war und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist . Fazit für den Entwurf des Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzes ist: Die europäische Harmonisierung macht die Finanzmärkte transparenter und robuster gegen Krisen . Alle drei Teile des Gesetzentwurfs stärken den Anlegerschutz . Daran werden wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner weiter arbeiten . Vielen Dank . ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Axel Troost ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke . ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn der Bundestag europäische Richtlinien umsetzt, ist die Zeit häufig schon darüber hinweggeschritten. Doch jetzt holen uns die Entwicklungen an den Finanzmärkten wieder ein . Nach wie vor wabern Unmengen von Geldern frei um den Globus, mal hierhin, mal dorthin . Keiner weiß, wohin die Reise geht . Innerhalb weniger Wochen ist der DAX drastisch eingebrochen, und die mit Abstand größten Abstürze gab es bei den Bankaktien . Das hat natürlich auch reale Folgen . Schon rufen die ersten Bankvorstände wieder nach Hilfen von der EZB . Nach jahrelanger Deregulierung und seit 2009 etlichen Gegenmaßnahmen müssen wir feststellen, dass wir den Tiger immer noch nicht reiten können . Zu oft wurden hier Gesetze aufgelegt, die ich hier an dieser Stelle immer nur mit dem Ausdruck „zu spät und zu wenig“ gekennzeichnet habe . In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es unter anderem um Maßnahmen gegen Marktmissbrauch, es geht zum Beispiel um Insidergeschäfte und Manipulationen von Kursen . Von diesen kriminellen Praktiken sehen wir immer mehr, aber wir sehen immer auch nur die Spitze des Eisberges . Nur in einigen Fällen werden die betrügerischen Praktiken überhaupt aufgedeckt. Ich finde dabei den Umgang mit dem Hochfrequenzhandel, der von den neuen Regelungen erfasst wird, symptomatisch . Der Handel mit Wertpapieren, die in Bruchteilen von Sekunden gekauft und verkauft werden, macht in manchen Marktsegmenten mehr als 40 Prozent des gesamten Handelsvolumens aus . Solange aber einem Händler seine schädlichen Praktiken nicht nachgewiesen werden können, ist grundsätzlich jedes Geschäft erlaubt . Volkswirtschaftlich gibt es jedoch überhaupt keinen Grund, Finanzprodukte in Sekundenbruchteilen kaufen und verkaufen zu müssen und dafür immer wieder Kollateralschäden in Kauf zu nehmen . ({0}) Das Gleiche gilt für die Zulassung von Finanzprodukten . Auch hier können Anlegern die irrsinnigsten Finanzprodukte aufgeschwatzt werden, solange anschließend die Dokumentationspflicht ordentlich erfüllt wird. Das ist dann die gelobte unternehmerische Freiheit mit dem Ergebnis, dass Einzelne und der gesamtwirtschaftliche Nutzen dabei auf der Strecke bleiben . Jetzt möchte ich noch einige Ausführungen zur aktuellen Situation machen . Der Kollege Schneider und auch der Kollege Schick haben die Situation um die Deutsche Bank angesprochen . Ich bin vor einigen Monaten scharf kritisiert worden, weil ich hier in einer Rede die Deutsche Bank als möglicherweise kriminellste Bank der Welt bezeichnet habe . Ich habe seitdem - zusammen mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages - gründliche Recherchen unternommen . Das Ergebnispapier kann man auf meiner Internetseite oder auch auf den NachDenkSeiten nachlesen . Es gibt - um nur einiges daraus anzuführen - derzeit etwa 6 000 Verfahren gegen die Deutsche Bank, darunter - jetzt muss ich ablesen - Handel mit US-Hypothekenramsch, Umsatzsteuerbetrug, Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Insolvenz der Kirch-Gruppe, grob fehlerhafte Anlageberatung bei Zinswetten, betrügerische Cum-ex-Geschäfte, Manipulation von Devisenkursen, US-Staatsanleihen, Preisen von Edelmetallen und Manipulation von Referenzgrößen wie Libor und Euribor, Korrumpierung ausländischer Politiker, Geldwäsche und Sanktionsverstöße und noch einiges mehr . Alles, wie gesagt, recherchiert und nachlesbar . Bei den dabei verhängten Strafen nimmt die Deutsche Bank weltweit zugegebenermaßen nur den zehnten Platz ein . In der Euro-Zone ist sie aber mit deutlichem Abstand als Spitzenreiter auf Platz eins, was kriminelle Aktivitäten angeht, und das nicht nur in absoluten Zahlen, was die Strafzahlungen angeht, sondern auch in Relation zur jeweiligen Bilanzsumme . Aber es geht mir nicht in erster Linie um das Strafregister eines einzelnen Unternehmens . Es geht mir um Systemversagen . Der Kongress in Washington hat unermüdlich zahlreiche solcher Vergehen in diversen Ausschüssen aufgearbeitet, und zwar öffentlich. Bei uns im Bundestag findet so etwas überhaupt nicht statt . Der Kollege Schick und ich wissen, wovon wir in dieser Frage reden . ({1}) Jetzt steht die Deutsche Bank von allen Seiten unter Druck: von Investoren, Kunden und Gerichten . Von der Gefahr einer Pleite zu reden, wäre sicherlich unverantwortlich . Aber wer weiß, welche Milliardenstrafen noch kommen? Wer kann genau sagen, welche Gefahren von den 52 Billionen Euro an Derivaten ausgehen, die die Deutsche Bank in ihren Büchern hat? Niemand in diesem Hause kann behaupten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Pleite bei null liegt . In den letzten Jahren haben wir uns viel mit der Rettung und Abwicklung von Banken beschäftigt und dazu auch vieles verabschiedet . Aber wir waren uns alle immer einig, dass alle diese Maßnahmen nicht tragfähig sind, wenn es um ein Rieseninstitut wie die Deutsche Bank geht . ({2}) Das geisterte immer mehr als Schreckgespenst durch die Debatte . Jetzt sollten wir uns diesem Schreckgespenst endlich stellen . Wir sollten unser Bankensystem mit Sparkassen und Genossenschaftsbanken vernünftig weiterentwickeln . Aber die riesigen Bankkonzerne müssen eingedampft und verkleinert werden . Solange das nicht passiert ist, sind wir mit der Bankenregulierung noch lange nicht am Ende . Danke schön . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion . ({0})

Sarah Ryglewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf eines Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzes ziehen wir die richtigen Konsequenzen aus der Finanzkrise . Wir sorgen dafür, dass Integrität und Transparenz der Finanzmärkte in Deutschland gestärkt werden . Der Entwurf des Finanzmarktnovellierungsgesetzes steht in einer langen Reihe von Gesetzentwürfen, die wir in dieser Legislaturperiode zur Verbesserung des Verbraucher- und Anlegerschutzes im Finanzbereich entweder bereits beschlossen haben oder noch beraten . Aktuell beraten wir über den Entwurf eines Zahlungskontengesetzes, mit dem wir nicht nur einer großen Anzahl an Menschen, die bisher kontolos sind, ein Girokonto verschaffen, sondern auch die Marktmacht der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber den Banken stärken . Mit der Wohnimmobilienkreditrichtlinie sorgen wir für einen besseren Verbraucherschutz . Mit dem im letzten Jahr beschlossenen Kleinanlegerschutzgesetz haben wir die Position von Kleinanlegern auf dem Grauen Kapitalmarkt gestärkt . Das macht deutlich, dass wir eine Reihe von Gesetzen beschlossen haben, die sehr gut sind . Wir sind auf einem guten Weg . ({0}) Die Kleinanleger sind auch bei dem nun vorliegenden Gesetzentwurf im Fokus . Das ist nur gut und richtig; denn hier handelt es sich um eine besonders verletzliche Gruppe, die nur mit einer sehr geringen Marktmacht ausgestattet ist . Wir reden hier von Menschen, die eine verhältnismäßig kleine Summe investieren, um sich gegen Lebensrisiken abzusichern oder für das Alter vorzusorgen . Gerade für diese Menschen können Fehlinvestitionen schnell existenzbedrohend werden . Umso wichtiger ist, dass der Einzelne weiß, worauf er sich bei einer Anlageentscheidung einlässt, und sich darauf verlassen kann, dass er richtig beraten wird und alle Informationen, die ihm zugehen, fehlerfrei sind . ({1}) Denn wir können davon ausgehen, dass nur die wenigsten Kleinanlegerinnen und Kleinanleger ausgewiesene Finanzexpertinnen und Finanzexperten sind . Gleichzeitig gibt es viele Produkte auf dem Markt, die sich zwar großer Beliebtheit in der Bevölkerung erfreuen, aber leider häufig sehr komplex und unter Umständen für Kleinanlegerinnen und Kleinanleger wenig geeignet sind . Ob es sich nun um strukturierte Finanzprodukte, Derivate oder eine Kapitallebensversicherung handelt, es ist häufig sehr schwierig für den Einzelnen, abzuschätzen, welche Risiken welchen Ertragschancen gegenüberstehen . Natürlich ist gerade im derzeitigen Zinsumfeld der Anreiz groß, in ein Produkt zu investieren, das große Ertragschancen verspricht, aber für den Betreffenden nicht geeignet ist . Den Chancen steht im Extremfall das Risiko des Totalausfalls gegenüber . Das ist insbesondere dann dramatisch, wenn man sich gegen Lebensrisiken absichern möchte . Selbstverständlich soll jeder - der Kollege Petry sagte vorhin zu mir, des Menschen Wille sei sein Himmelreich - weiterhin in die Produkte investieren können, die ihm attraktiv erscheinen . Aber das Risiko, dem er sich aussetzt, muss klar erkennbar sein . Dem Anleger muss genauso klar sein, wie hoch die Ertragsaussichten letztendlich sind . Mit der PRIIP-Verordnung führen wir daher flächendeckend Basisinformationsblätter im Wertpapierhandelsgesetz ein . Mit dem Kapitalanlagegesetzbuch und dem Vermögensanlagengesetz stärken wir die Kleinanleger weiter, indem wir sie vor Vertragsabschluss mit allen wichtigen Informationen ausstatten, angefangen vom Risiko eines Produktes über Renditemöglichkeiten bis hin zu den Provisionen, die der Anbieter für den Verkauf an einen Anleger erhält . Damit kommen wir zur Anwendung . Mir ist dabei sehr wichtig, dass wir bei der Umsetzung auf Verständlichkeit achten; denn die besten Informationen helfen niemandem, wenn sie nicht verständlich sind . ({2}) Mindestens genauso wichtig ist, dass fehlerhafte Angaben in Zukunft bestraft werden . Wer fehlerhafte Informationsblätter verteilt, muss dafür die Konsequenzen tragen und im Schadensfall haften . Die BaFin ist zukünftig befugt, Bußgelder zu verhängen, wenn die Informationsblätter nicht den Anforderungen der PRIIP-Verordnung genügen . Damit fördern wir das Vertrauen der Menschen in die Finanzmärkte und stärken erneut die BaFin in ihrer Rolle als kollektiver Verbraucherschützer . Das ist eine Innovation, die wir der BaFin mit dem Kleinanlegerschutzgesetz im letzten Sommer als Aufsichtsziel gegeben haben . Wir werden als Parlamentarierinnen und Parlamentarier begleitend beobachten, ob die BaFin diese Rolle annimmt und konsequent zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher wahrnimmt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kommt es nicht von ungefähr, dass wir heute über das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz debattieren . Das eigentliche Kernstück der geplanten Finanzmarktnovellierung, die MiFID II, setzen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht um . Das ist sehr ärgerlich; denn mit der MiFID II wollten wir wichtige Verbesserungen auf den Weg bringen . Es ist sehr unbefriedigend - das kann man an dieser Stelle schon sagen -, dass wir noch nicht einmal wissen, wann wir uns mit dieser Richtlinie befassen werden . Mit der MiFID II würde unter anderem die BaFin das Recht erhalten, Vermarktung, Vertrieb und Verkauf von Finanzinstrumenten zu untersagen oder zu beschränken, wenn erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz aufkommen . Und dass sie es nicht hat, ist in der Tat ein großer Mangel; denn das eine ist die Information über verschiedene Produkte, und das andere ist, dass auf dem Markt Produkte angeboten werden, die vielleicht für den Anbieter attraktiv sind, dem Anleger aber wenig bringen . Außerdem würden Vertreiber von Finanzprodukten viel strengeren Bestimmungen darüber unterliegen, welche Produkte sie überhaupt auf den Markt bringen dürfen . Zum Abschluss möchte ich noch auf ein besonderes Anliegen hinweisen, das wir auch mit der MiFID II beraten werden: Das ist die Stärkung der Honorarberatung . Bisher ist es so, dass der Anteil der Honorarberatung in Deutschland verschwindend gering ist . Das ist in der Logik des Marktes begründet: Die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher wissen nicht, dass sie bei der provisionsbasierten Beratung, die sie bei ihrer Bank oder einem privaten Anbieter in der Regel erhalten, doch etwas bezahlen, nämlich eine hohe Provision . Es ist den Leuten oft auch nicht klar, dass das Produkt, das sie kaufen, sich dadurch für sie auch erst später rentiert . Beim direkten Vergleich zwischen Honorarberatung, bei der ich am Anfang etwas bezahle, und Provisionsberatung, bei der die Kosten eben versteckt sind, sagt der Verbraucher oft: Na, bei der Provisionsberatung sehe ich die Kosten nicht; es kostet nichts, und deswegen nehme ich die Honorarberatung nicht wahr . Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt sicherlich viele Finanzberater, die das Beste der Kunden im Sinn haben . Aber natürlich schauen sie auch immer ein Stück weit auf ihren eigenen Geldbeutel . Unser Ziel muss es sein, beide Beratungssysteme nebeneinander verlässlich zu etablieren, damit die Kunden wirklich die Wahl haben und dann auch die beste Beratung bekommen . ({3}) Ich komme zum Schluss . Mit dem vorliegenden Gesetz müssen Provisionen offengelegt werden . Wir sollten aber auch bei der Umsetzung der MiFID-II-Richtlinie dafür sorgen, dass wir dann die Honorarberatung insgesamt stärken und alle Anlageformen in den Blick nehmen . Jetzt freue ich mich erst einmal auf die weiteren Beratungen zum Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz und sehe gespannt den Beratungen zu MiFID II entgegen . Vielen Dank . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mathias Middelberg ist nun der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir beraten das Finanzmarktnovellierungsgesetz . Aber da die Debatte hier in einigen Punkten ein bisschen abgeschweift ist, nehme ich mir auch das Recht heraus, zwei Vorbemerkungen meinem Beitrag vorzuschalten . Die eine Vorbemerkung betrifft das Thema Finanztransaktionsteuer . - Leider ist der Kollege Schneider jetzt nicht mehr unter uns . Das bedauere ich . ({0}) - Ach, wunderbar . Das ist ja klasse . Dann bleiben Sie vielleicht noch einmal zwei, drei Minuten hier . Denn den Punkt möchte ich gern klarstellen . Sie haben an dem Punkt unseren Finanzminister Wolfgang Schäuble kritisiert und gemeint, er würde sich nicht adäquat einsetzen . Ich sage Ihnen aus unserer Erfahrung im Finanzausschuss - da wäre es gut, wenn Sie vielleicht einmal als Besucher vorbeischauten -, dass wir uns in jeder Finanzausschusssitzung mit dem Thema „Stand der Beratungen zur Finanztransaktionsteuer“ beschäftigen . ({1}) Ich kann mir in Europa unter den Ländern, die sich im Moment noch darum bemühen - das ist bedauerlicherweise eine überschaubare Anzahl; das sind weniger als die EU-Mitgliedsländer insgesamt -, keine Regierung und keinen Finanzminister vorstellen, der sich mehr um das Erreichen dieses Ziels, Implementierung einer Finanztransaktionsteuer, bemüht, als das bei Wolfgang Schäuble der Fall ist . ({2}) - Da erleben Sie sogar das Kopfnicken des Kollegen Troost aus der Fraktion Die Linke . - Also das, denke ich, sollte man wirklich festhalten . Wir sind als Deutschland auch in keiner Weise im Detail festgelegt . Wir machen keine Vorbedingungen zu diesem Thema, sondern wir diskutieren das offen und gehen auf jeden konstruktiven Vorschlag ein, der von den verschiedenen europäischen Ländern kommt . Also, es liegt mitnichten an unserer Regierung, es liegt mitnichten an Wolfgang Schäuble, sondern es liegt an der Situation in Europa, die - wie Sie es im Moment auch an anderen politischen Fragestellungen beobachten können - eben nicht immer nur durch Einheitlichkeit und Einigkeit geprägt ist . ({3}) Ich hoffe, dass wir bei diesem Thema weiterkommen . Aber wenn wir weiterkommen, dann kommen wir auf jeden Fall durch Wolfgang Schäuble weiter . ({4}) Der andere Punkt, den ich meinem Beitrag vorschalten will, ist eine Bemerkung zu dem Thema Banken und zu dem Stichwort „Deutsche Bank“ . Ich gehöre nicht zum engeren Sympathisantenkreis der Deutschen Bank und habe sie auch nicht auf ihrer Facebookseite geliket oder Ähnliches . Aber ich muss schon sagen, dass ich dieses regelmäßige Bashing der Deutschen Bank doch ein bisschen schlicht finde. Das will ich Ihnen ganz ehrlich sagen . ({5}) Lassen Sie uns die Sache einmal zu Ende denken . Es gibt ganz viele Punkte, die einen konkret am Geschäftsgebaren dieser Bank stören können, zumal in den letzten Jahren; das ist völlig zutreffend . Über diese konkreten Punkte können wir auch gerne sprechen . Das Problem erkennen wir, wenn wir das zu Ende denken . Wir sind, glaube ich, die dritt-, viert- oder fünftgrößte Volkswirtschaft auf diesem Erdball . Deshalb ist es auch ganz gescheit, wenn man im eigenen Land Finanzinstitute hat, die die eigene Wirtschaft, unsere großen, aber auch unsere mittelständischen Unternehmen, die alle international agieren, begleiten . Ich halte das für sehr gut und für ein erstrebenswertes Ziel . ({6}) Das muss nicht unbedingt eine Bank sein oder eine Adresse . Mir geht es auch nicht um konkrete Namen, aber ich glaube schon, dass es gut ist, wenn Deutschland auch in Zukunft noch einen attraktiven Kapitalmarkt hat und ein attraktiver Bankenstandort ist . Das halte ich für wichtig . ({7}) Eines sage ich Ihnen an dieser Stelle vorweg: Es ist kritisiert worden, dass unsere Gesetzgebung nicht funktionieren würde .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Middelberg, darf der Kollege Schneider eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne . ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Middelberg, vielen Dank für die Möglichkeit, im Rahmen meiner Frage klarzustellen, dass wir auch als Koalition - so habe ich das verstanden - der Auffassung sind, dass die Finanztransaktionsteuer ohne Ausnahmen eingeführt werden soll . Mir ist nämlich bekannt, dass von deutscher Seite aus das Bundesfinanzministerium Ausnahmen will, zum Beispiel bei Derivaten von Staatsanleihen . Frankreich will andere Ausnahmen . Frankreich will, dass das Market Making nicht besteuert wird . Herr Meister ist da . Im März haben wir die Verhandlungen in Brüssel . Ich würde gerne von Ihnen wissen: Ist auch die Unionsfraktion dafür, keine Ausnahmen zu machen, eine breite Bemessungsgrundlage, niedrige Steuersätze zu haben und auch die Frage der Besteuerung von Derivaten von Staatsanleihen in die Verhandlungen mit einzubeziehen? ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schneider, herzlichen Dank für diese Zwischenfrage . - Wir halten uns an das, was wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben . Da haben wir einen Rahmen für die Implementierung der Finanztransaktionsteuer festgelegt . In diesem Rahmen muss sich nachher das bewegen, was wir am Ende vereinbaren werden . Bis zu dem Zeitpunkt ist es auch richtig, dass die Bundesregierung offen über alle Varianten diskutiert . Nur, wir müssen im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit ein gewisses Quorum an Beteiligten überhaupt erst einmal auf eine einigende Linie bringen . Danach macht es Sinn, sich darüber konkret zu unterhalten, auch in diesem Parlament . ({0}) Jetzt möchte ich mit meinem Punkt zu dem Thema Banken fortfahren . Das ist mir wichtig, weil eben auch vom Kollegen Schick angesprochen wurde, viele Dinge würden nicht funktionieren, wir hätten nicht genug Gesetze implementiert und viel Fehlverhalten würde nicht aufgedeckt . Dann hat der Kollege Troost richtigerweise darauf hingewiesen - ich glaube, da gab es eine Empfehlung von dir, lieber Axel, wo man das nachlesen kann -, dass es 6 000 Fälle gibt, in denen sich die Deutsche Bank verantworten muss . Ich kann das im Einzelnen gar nicht nachvollziehen; aber wir lesen jeden Tag in der Presse, dass über die verschiedenen Verfahren, über das Kirch-Verfahren, über das Libor-Verfahren und über viele andere Dinge, die Verbraucher und Kleinanleger betreffen, berichtet wird . Das heißt, dass offensichtlich die Kontrollmechanismen und damit auch der Rechtsschutz in dem Bereich doch effizient funktionieren. Auch was andere Dinge angeht Insiderhandel, Manipulationen an den Wertpapiermärkten -, kommt es zu Verfahren, und zwar zu Verfahren, in denen Vorstände, Aufsichtsräte und andere auf der Anklagebank sitzen . Ich kann ehrlich gesagt nicht feststellen, dass unser Rechtssystem in dem Bereich unterentwickelt ist und nicht funktionieren würde . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist aber jetzt die letzte Zwischenfrage, die ich in dem Zusammenhang zulasse . - Bitte schön, Herr Schick . ({0})

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Man kann ein Mikrofon ja auch festhalten, und dann funktioniert das auch . - Danke, Herr Präsident, und danke, Herr Middelberg, für die Zulassung der Frage . - Mich würde interessieren, wie Sie den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland Ihre Aussage, dass die Aufklärung durch die Behörden gut funktioniert, vor dem Hintergrund erklären, dass die entscheidenden Skandale, in die die Deutsche Bank verwickelt ist, wie zum Beispiel in den Libor-Skandal, von britischen und US-Behörden und nicht von deutschen aufgedeckt wurde . Mich würde interessieren, ob Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären können, wie viele für die Finanzkrise Verantwortliche in Deutschland bisher rechtskräftig verurteilt worden sind, warum das so wenige sind und wie Sie vor dem Hintergrund dieser Defizite zu der Aussage kommen, dass das alles in Deutschland eigentlich ganz gut funktioniere . ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau . - Die Tatsache, dass überhaupt ein solches Verfahren stattfindet, und die Tatsache, dass die betreffende Bank, über die wir eben gesprochen haben, für das vergangene Jahr einen Verlust von 6,5 Milliarden Euro ausgewiesen hat - man bedenke auch, wie viele Milliarden Euro an Rückstellungen noch für die Durchführung von Rechtsverfahren nachgehalten werden -, wird doch jedes Bankhaus und wird auch jeden anderen Mitspieler, jeden anderen Mitbeteiligten am Finanzmarkt hinlänglich abschrecken. Wenn Strafverfahren stattfinden, wenn Vorstandsmitglieder oder andere Verantwortliche eines Unternehmens auf der Anklagebank sitzen, dann ist auch das schon eine hinreichende Lehre für sie, unabhängig davon, ob es zu einer Verurteilung kommt . Es ist in vielen Fällen zu einer Verurteilung gekommen . Um ganz konkret auf den Libor-Skandal einzugehen: Dieses Verhalten hat sich in London abgespielt . Da geht man jetzt vor Gericht; darüber wird dort jetzt verhandelt . Ich kann also nichts Unangemessenes feststellen; vielmehr stelle ich fest, dass die Systeme funktionieren, dass Dinge aufgedeckt werden, dass die örtlich zuständigen Behörden das letzten Endes leisten und dass die Vorgänge durch die Gerichte aufgearbeitet werden . Die Entscheidungsfindung der Gerichte spielt sich im Rahmen ihrer Unabhängigkeit ab . Das können wir hier beobachten, haben es aber nicht zu kommentieren . ({0}) Ich werde mich in meiner weiteren Rede ein bisschen zurückhalten; sonst provoziert es zu viele Zwischenfragen . ({1}) Ich möchte sagen, dass das, worüber wir heute reden, schon sehr wichtig ist; schließlich hat man immer den Eindruck, dass das ein bisschen technokratisch ist - die vielen kleinen Regelungen . Es ist schon wichtig, dass wir einen funktionierenden, einen sicheren Kapitalmarkt haben, aber auch einen Kapitalmarkt, in den jeder Vertrauen setzen kann, jeder große, aber auch jeder kleine Anleger . Das ist ganz entscheidend; denn ansonsten würde unsere Volkswirtschaft nicht vernünftig funktionieren . Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt, auch für unsere Banken, die zusätzlichen Eigenkapitalanforderungen unterliegen; das ist bereits erwähnt worden . Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt für unsere Industrie, die sich auf die Digitalisierung umstellen muss und erhebliche Anpassungsinvestitionen in diesem Bereich finanzieren muss. Wir brauchen einen funktionierenden, sicheren Kapitalmarkt für unsere Gründerszene, die Wachstums- und Gründungskapital benötigt . Weil die Banken so scharfen Eigenkapitalanforderungen unterliegen, stehen sie an den Märkten als Finanzierer nicht mehr in dem Maße zur Verfügung, wie es früher der Fall war . Das heißt, Unternehmen können Investitionen heute nicht mehr allein durch Banken finanzieren, sondern sie müssen dazu auch auf den Kapitalmarkt zurückgreifen . Auch das ist ein ganz wichtiges Motiv und ein Grund dafür, dass wir uns weiter um Sicherheit und um Zuverlässigkeit auf unseren Märkten bemühen . Es ist auch gut, dass wir das in Deutschland tun; denn in Deutschland sind wir im Moment noch unterentwickelt, was unsere Kapitalmärkte angeht . In den USA haben wir ein Verhältnis von Marktkapitalisierung zu Bruttoinlandsprodukt, also zur Wirtschaftsleistung, von über 100 Prozent . In Deutschland liegt dieses Verhältnis bei unter 40 Prozent . Die deutschen Unternehmen nutzen also ihren Kapitalmarkt viel zu wenig und müssten ihn viel stärker in Anspruch nehmen . ({2}) Wir haben auch im Hinblick auf die Sicherung unserer Altersvorsorge gute Gründe, uns um einen intakten Kapitalmarkt zu bemühen; denn angesichts des niedrigen Zinsumfeldes ist es nicht mehr für jeden eine attraktive Alternative, zu seiner örtlichen Bank zu gehen und zu sagen: Ich kaufe eine Bundesanleihe mit einer Verzinsung von null Komma irgendwas . - Vielmehr wird der eine oder andere überlegen müssen, ob er nicht besser in andere Finanzprodukte investiert, weil er dort höhere und bessere Renditen erzielt . ({3}) Mit diesem Gesetz schaffen wir ganz reale Verbesserungen . Meine Kollegen Dr . Meister und Matthias Hauer, aber auch die Kollegin Ryglewski haben die konkreten Verbesserungen im Gesetz angesprochen, sodass ich es mir erspare, hier die einzelnen Punkte aufzulisten . Wir kommen zu deutlich besseren Sanktionsmöglichkeiten, als wir sie früher hatten, gerade beim Insiderhandel . Das ist eine ganz konkrete Verbesserung auf unserem Kapitalmarkt, die gerade auch die Kleinanleger schützt . Wir implementieren den Beipackzettel für Finanzprodukte; er ist schon erwähnt worden . Wir in Deutschland sind diejenigen gewesen, die dieses Produktionsinformationsblatt damals im Kontext mit Riester-Produkten, aber auch mit anderen Finanzprodukten implementiert haben . Jetzt zieht die Europäische Union nach . ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich am Schluss . - Deswegen bilanziere ich: Es ist ein gutes Gesetz . Es ist ein guter Tag für die Anleger am Kapitalmarkt. Es ist ein guter Tag für einen effizienten, sicheren und vertrauenswürdigen Kapitalmarkt . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Petry für die SPD-Fraktion . ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir heute vorliegen haben, reizt natürlich, über Dinge zu sprechen, die nicht in dem Gesetz geregelt werden; das ist heute Vormittag schon vielfach passiert . Axel Troost und Gerhard Schick haben die Deutsche Bank und andere Dinge im Visier . Herr Middelberg hat eine gewagte These über Bankenfinanzierung und Kapitalmarkt geäußert . ({0}) Ich habe das so verstanden, dass die Regulierungen, die wir nun im Bankenwesen haben, dazu geführt haben, dass es schwieriger für sie wird, sich zu finanzieren, und dass deshalb der Kapitalmarkt einspringen muss . Ich bin sicher, dass wir darüber in der Diskussion bleiben werden . Wir haben natürlich schon sehr viel getan . Herr Dr . Meister hat es gesagt: Es waren 40 Regelungen in den letzten Jahren . Herr Dr . Meister, bei diesem Gesetz darf ich mich bei Ihnen ausdrücklich bedanken . Ich hatte bei der Diskussion um das Kleinanlegerschutzgesetz gesagt: Das versteht kein Mensch . - Selbst die Begründung war unlesbar . - Dieses Gesetz jetzt - ich weiß nicht, ob meine Aussage dazu geführt hat - kann man wirklich lesen und verstehen . Das ist für die Transparenz, auch die Transparenz für den Gesetzgeber, sehr wichtig . Dafür einen herzlichen Dank an Sie! ({1}) - Dafür kann man Herrn Dr . Meister einmal danken . Er hat uns im Zusammenhang mit den 40 Regelungen auch viel erklären müssen, ob es um den Grauen Kapitalmarkt oder das Kleinanlegerschutzgesetz ging, die Abwicklungsmechanismen, das Bail-in oder die Bankenunion . Jetzt ist die Frage, ob wir als dritte Stufe die Einlagensicherung verwirklichen, vor allem, wann und unter welchen Bedingungen wir sie verwirklichen und was dafür in Europa getan werden muss; Carsten Schneider hat dazu einiges ausgeführt . Das alles sind Dinge, die unter dem Leitmotiv stehen: Stärkung des Verbraucherschutzes, mehr Sicherheit für Kleinanleger, Transparenz am Markt, bessere Aufsicht, stärkere Sanktionsmechanismen . So ist auch das uns heute vorliegende Gesetz zu verstehen . Die Marktmissbrauchsrichtlinie, die Marktmissbrauchsverordnung, die EU-Verordnung über Zentralverwahrer und die EU-Verordnung über Basisinformationsblätter werden in nationales Recht umgesetzt . 98 Seiten dick ist die Vorlage . 17 Rechtsgebiete sind betroffen . Detailregelungen werden angepasst . Mit Sicherheit wird im Verfahren noch nachgesteuert werden . Es werden weitere Dinge auftauchen, die wir berücksichtigen müssen . Es geht darum, die Integrität der europäischen Finanzmärkte wiederherzustellen bzw . zu stärken . Märkte funktionieren nur dann effizient - das hat auch Herr Dr. Middelberg gesagt -, wenn die Marktakteure klare Regelungen haben . Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt; da sind wir einer Auffassung . Wenn er mit den einheitlichen Aufsichts- und Sanktionsbefugnissen versehen ist, die wir hiermit stärken, wenn die Transparenz für Anlegerinnen und Anleger gewährleistet ist, dann ist dies ein bedeutender Schritt hierzu . Die Finanzmärkte boomen; wir wissen dies . 800 Billionen Dollar im Derivatehandel weltweit, in Europa ein Fondsvolumen von 20 Billionen Euro - das sind gigantische Summen . Märkte sind vorhanden . Geld ist vorhanden . Die Regularien dazu müssen so gefasst sein, dass sie transparent sind und Sicherheit bieten . ({2}) Der Marktmissbrauch verfälscht Marktergebnisse und lässt die Integrität der Finanzmärkte erodieren . Das schadet dem Markt und untergräbt das Vertrauen der Anleger . Hier haben Herr Dr . Schick und Axel Troost ja die Deutsche Bank als Beispiel genannt . Herr Dr . Schick, eines habe ich nicht so ganz verstanden - es war ein bisschen widersprüchlich -, nämlich Ihre These „Trennbank - keine Krise“ . Das war so ein bisschen monokausal aufgearbeitet . Ich habe mich geDr. Mathias Middelberg fragt: Sind denn nicht eher, sage ich einmal, mögliches kriminelles Handeln und Betrugsfälle ausschlaggebend als die Regelungen, die dazu da sind, das zu verhindern? Denn auch neue Regelungen, die wir einführen, können natürlich missbraucht werden; Axel Troost hat darauf hingewiesen . Das hat mich so ein bisschen an Animal Farm erinnert: Zwei Beine sind schlecht, vier Beine sind gut . Das war mir zu einfach . Ich glaube, das ist komplexer, Herr Dr . Schick . Ich habe Sie vielleicht auch nicht ganz richtig verstanden . ({3}) - Dann können wir das nochmals ausdiskutieren . ({4}) - Sie dürfen keine Zwischenfrage mehr stellen, Herr Dr . Schick . Durch dieses Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz werden die strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten erweitert . Dies wird, fünf Jahre nach Bekanntwerden des Libor-Betrugsskandals, endlich zu den entsprechenden Sanktionen bei Marktmissbrauch und Insidergeschäften führen . Einen Aspekt - er ist schon zweimal genannt worden - möchte ich noch besonders betrachten, beispielhaft für das, was wir hier regeln: den Hochfrequenzhandel, den computerbasierten Handel mittels Algorithmen, der europaweit nicht einheitlich reguliert ist . Lothar Binding kennt sich als Mathematiker mit diesen Algorithmen natürlich besonders gut aus . ({5}) Die zulässige Datenmenge liegt hier bei 10 Gigabit pro Sekunde und 75 000 Mitteilungen pro Tag . Mit dieser Regelung ist Deutschland Vorreiter . Eben ist die Frage gestellt worden: Welchen volkswirtschaftlichen Sinn macht das Ganze? Es macht keinen Sinn . Es geht schlichtweg darum, ein Geschäft zu machen . Jetzt kann man nicht jedem verbieten, ein Geschäft zu machen; das ist auch klar . Das braucht man auch nicht . Aber die Regulierung sollte so erfolgen, dass die Kräfte, die dahinterstehen können, inklusive der Marktmanipulation durch solche Algorithmen, begrenzt, beaufsichtigt und auch kontrolliert werden, damit der Missbrauch weitestgehend verhindert werden kann . Die einheitlichen Regularien hierzu in Europa, was die Sanktionsmöglichkeiten angeht, sind Teil dieses Pakets . Das halte ich für sehr gut . Das ist ein Schritt nach vorne . Da bedeutet das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz natürlich einen großen Schritt für uns . ({6}) Es ist auch gesagt worden, dass die Finanzmarktrichtlinie und die Finanzmarktverordnung, MiFID II und MiFIR, jetzt noch nicht umgesetzt werden . Statt zum 3 . Januar 2017 soll dies nun erst 2018 der Fall sein . Das ist natürlich ärgerlich . Hier wäre - Sarah Ryglewski hat darauf hingewiesen - noch ein großer Schritt zu tun; aber dieser wird kommen . Auch hier werden wir im Zusammenhang mit dem Thema „mehr Transparenz und mehr Verbraucherschutz“ ein Augenmerk auf die Umsetzung in nationales Recht legen . Am Ende meiner Ausführungen möchte ich nochmals betonen, dass es bei diesem sehr komplexen Werk in der Diskussion mit Sicherheit noch an der einen oder anderen Stelle Veränderungsbedarf geben wird . Ich freue mich auf diese Diskussion . Ich bin auch sehr gespannt darauf, was noch von außen an uns herangetragen wird . Wir haben eben beschrieben, wie der Weltfinanzmarkt aufgebaut ist . Wir sprechen hier über schier undenkbar große Summen . Ich bin froh, dass wir dies heute Morgen in vertrauter Runde diskutieren können . Insoweit freue ich mich auf die kommende Diskussion . Mein besonderer Dank für das schnelle und geräuschlose Arbeiten gilt an dieser Stelle nochmals dem Bundesfinanzministerium und den beteiligten Ressorts . Wir werden in den kommenden Wochen intensiv diskutieren . Ich denke, der heutige Tag ist ein guter Tag für den Verbraucherschutz und für die Transparenz . Es ist ein guter Tag hier im Deutschen Bundestag . Glück auf! ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frank Steffel ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Frank Steffel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit eineinhalb Stunden diskutieren wir - ich vermute, zum hundertsten, zweihundertsten oder dreihundertsten Mal - in diesem Deutschen Bundestag über die Regulierung von Finanzmärkten . Vielen Zuhörerinnen und Zuhörern geht es wohl wie immer: Man merkt, wie mühsam das ist, man merkt, wie komplex das ist . Man versteht wahrscheinlich vieles nicht wirklich, hat aber hoffentlich das Gefühl, dass sich dieser Deutsche Bundestag sehr intensiv bemüht, die Lehren aus der Finanzmarktkrise zu ziehen und alles dafür zu tun, dass sich eine solche Krise in Europa nie mehr wiederholen kann . ({0}) Ziel auch dieses Gesetzes - wie aller Gesetze davor ist es einmal mehr, die europäischen Finanzmärkte vor einer Krise zu schützen, die ja nicht nur Auswirkungen auf den Banken- und Finanzbereich, sondern auch auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unseren Mittelstand, unsere Verbraucher und unsere Steuerzahler hat . Es sind viele, die dann die Zeche einer solchen Krise bezahlen müssen . Wir optimieren also heute - acht Jahre nach der Finanzkrise - einmal mehr die seitdem bereits eingeführten Finanzmarkgesetze . Lassen Sie mich an einem Tag wie heute ganz bewusst einmal festhalten: Wir optimieren das heute europaweit . Das heißt, die europäische Politik stellt einmal mehr in einem außerordentlich komplexen Sachverhalt ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis . Sie stellt unter Beweis, dass sie aus dieser Finanzkrise ihre Lehren gezogen hat . Und sie stellt unter Beweis, dass sie trotz aller unterschiedlichen Auffassungen in der Lage ist, gemeinsame Regelungen für Europa zu schaffen . Des Weiteren stellt sie unter Beweis, dass sie wachsam und bereit ist, Jahr für Jahr immer wieder Gesetze zu optimieren, die den Menschen in Europa dienen . Ich glaube, das ist gerade an einem Tag wie heute - bei vielen anderen Fragen, die wir zurzeit streitig diskutieren - ein gutes Signal Europas . ({1}) Ich möchte sehr bewusst auch im Rückblick noch einmal daran erinnern, dass sich die Europäische Union und die Staaten in Europa auch vor acht Jahren als handlungsfähig erwiesen haben . Viele von uns erinnern sich an die Finanzkrise und ihre Auswirkungen nur noch ganz entfernt . Aber: So lange ist das noch gar nicht her . Auch damals haben der Deutsche Bundestag und viele Parlamente in Europa Pakete von Maßnahmen gemeinsam diskutiert und entschieden, um die Folgen der Krise für Europa bzw . für die Menschen in Europa abzumildern . Wir können übrigens heute, acht Jahre nach der Krise, in Deutschland feststellen: Wir haben verdammt viel richtig gemacht . Auch damals war es übrigens eine Große Koalition, die gemeinsam gearbeitet und dazu beigetragen hat, dass wir heute - nur wenige Jahre nach der Krise - mit über 43 Millionen Menschen den höchsten Beschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben . ({2}) Wir haben heute - das ist uns allen besonders wichtig einen historischen Tiefstand bei der Arbeitslosigkeit, insbesondere aber bei der Jugendarbeitslosigkeit . Jeder Junge und jedes Mädchen in Deutschland hat heute die Chance, aus seinem Leben etwas zu machen . Das war vor acht Jahren keineswegs sicher . Und wir haben heute wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die insgesamt so positiv sind wie selten zuvor . Ich sage das sehr bewusst an einem Tag, wo natürlich die Interessenlage auf die Staats- und Regierungschefs abzielt und wir den Eindruck erwecken, als ob wir Krisen vor uns haben, die wir überhaupt nicht mehr bewältigen können . Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer soll denn diese Krise bewältigen, wenn nicht wir in Europa, wenn nicht wir in Deutschland? ({3}) Ich bin sicher, dass auch der heutige Gesetzentwurf dazu sind ja viele Details sehr umfangreich diskutiert worden - deutlich macht, dass Europa gemeinsam handelt, dass wir Gesetze auf europäischer Ebene verwirklichen, die wir übrigens in Deutschland vielfach schon vorher eingeführt hatten . Heute werden die Regeln für den Insiderhandel und zur Verhinderung von Marktmanipulationen durch europaweit einheitliche Regelungen abgelöst . Das ist ein gutes Signal Europas . Wir passen die Regelungen aktuellen Entwicklungen an, etwa den völlig neuen Handelsplattformen wie dem Hochfrequenzhandel, der sich vielfach schneller entwickelt, als wir Politiker überhaupt handeln können . Wir stärken die Integrität und Transparenz der Kapitalmärkte durch Regelungen zum Vertrieb von Wertpapieren und Kapitalanlagen . Der Anlegerschutz - viele haben darauf hingewiesen - wird einmal mehr deutlich verbessert . Die Strafen werden deutlich erhöht . Auch das ist ein wichtiger Teil dieses Gesetzespakets . Weiterhin erleichtern wir mit dem Gesetz das Tätigwerden von Whistleblowern, und wir erweitern auch die Eingriffsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden . Ich will das in aller Kürze noch einmal deutlich machen, weil es keineswegs selbstverständlich ist, dass sich sehr unterschiedliche Regierungen bzw . Länder Europas gemeinsam auf so umfangreiche Regelungen verständigt haben . Wir Deutschen - auch in dieser Hinsicht sollten wir zufrieden sein - waren einmal mehr an der Spitze der Bewegung . Wir haben aktiv mitgestaltet . Wir sind, Herr Dr . Meister, nicht nur unserer Verantwortung gerecht geworden, sondern wir waren einmal mehr Motor für Finanzmarktregulierung in Europa . ({4}) All diese Regelungen stärken die Verbraucherrechte und werden hoffentlich die Finanzmärkte sicherer machen und dazu beitragen, dass sich eine Krise wie vor acht Jahren nicht wiederholen kann . Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der etwas untergegangen ist - er hat mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf nur mittelbar zu tun -: Es ist im Rahmen dieser Regulierung auch gelungen, für die 120 größten Banken in Europa eine einheitliche Bankenaufsicht zu schaffen . Zusätzlich haben wir einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus . Dieser stellt sicher, dass im Fall einer Pleite einer europäischen Bank zunächst die Anteilseigner und Gläubiger und dann ein von den Banken gespeister Rettungsfonds die Schulden bedient und eben nicht einmal mehr der Steuerzahler . Diese Bankenunion ist ein Meilenstein der europäischen Integration . Vor der Finanzkrise war eine derart enge Zusammenarbeit undenkbar, und niemand konnte sich vorstellen, dass die nationalen Regierungen ihre Gesetzgebungskompetenz in einem so sensiblen Bereich wie der Bankenregulierung an Europa, an die EU abgeben würden . Das zeigt einmal mehr, meine Damen und Herren, dass wir Europäer in der Lage sind, gemeinsam unsere Probleme zu lösen . Trotz unterschiedlicher nationaler Interessen, was völlig normal ist und Europa auch im positiven Sinne ausmacht, finden wir eine zukunftsweisende Einigung und gehen zumeist gestärkt aus Krisen hervor . Deshalb sollten wir uns gerade an einem Tag wie heute dieser gemeinsamen Kraft bewusst sein, auch wenn der Weg häufig anstrengend ist. Es gibt dazu übrigens auf unserer Welt und in Europa ohnehin keine vernünftige Alternative . Diese Kraft Europas sollte uns aber auch Ansporn sein, in der aktuellen Krise an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten . Lassen Sie mich das abschließend sagen: Ich bin von Natur aus optimistisch . Deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dass die Staats- und Regierungschefs in den vor uns liegenden 48 Stunden einmal mehr in wichtigen Fragen der Europapolitik gemeinsame Beschlüsse fassen und Europa stärken werden und die europäische Zusammenarbeit in zwei, drei Tagen vertieft ist und besser dasteht, als es heute diskutiert wird . Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Optimist behält nicht zwingend öfter recht als der Pessimist, aber er lebt in jedem Falle glücklicher . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Mit dieser ermutigenden Perspektive schließe ich die Aussprache . Ich vermute, dass sie uns die Empfehlung erleichtert, der Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 18/7482 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuzustimmen . Hat jemand anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe nun unseren Zusatzpunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Demokratie stärken - Dem Hass keine Chance geben Drucksache 18/7553 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Sportausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch für diese Aussprache eine Dauer von 77 Minuten vorgesehen . - Das ist offensichtlich einvernehmlich . Also können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Anton Hofreiter für die antragsstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassismus . Rechtspopulistische, rassistische und rechtsextreme Kräfte verbreiten Hass und Hetze - auf der Straße, im Internet, im politischen Diskurs . Wir erleben eine Verrohung, die uns alle hier tief besorgt machen muss . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gewaltbereitschaft hat eine Dimension erreicht, die in Teilen noch schlimmer ist als in den 90er-Jahren . Heidenau, Tröglitz, Freital sind in den vergangenen Jahren zum Gesicht des hässlichen Deutschen geworden . Im niedersächsischen Salzhemmendorf wurde nachts ein Brandsatz in eine Flüchtlingsunterkunft geworfen . Nur durch Zufall entgingen die im Haus schlafenden Kinder dem Tod . Im brandenburgischen Bad Belzig haben Jugendliche eine hochschwangere Asylbewerberin aus Somalia zusammengeschlagen . - Dies sind nur wenige Beispiele, die das Ausmaß der rechten Gewalt zeigen . Aber es ist nicht nur die Häufigkeit, die mich erschreckt . Die neue Dimension besteht darin, dass die Gewaltbereitschaft bis tief in die Mitte der Gesellschaft vordringt . Biedermänner werden zu Brandstiftern . Ich bin mir sicher, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage: Dagegen müssen wir mit aller Macht vorgehen . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2015 gab es erschreckenderweise 14 000 rechtsextrem motivierte Straftaten, darunter 1 600 Straftaten im Zusammenhang mit der Unterbringung Geflüchteter, jeden Tag vier Anschläge auf Orte, an denen Menschen sich sicher fühlen sollen, Menschen, die bei uns Schutz suchen vor Gewalt, vor Folter, vor Bomben und vor Krieg . Ein Staat versagt, wenn er seine Schutzverantwortung für alle Menschen im Land nicht ernst nimmt . Rechte Gewalt ist in unserem Land tragischerweise wieder etwas Alltägliches geworden . ({1}) Wir sind es den Menschen und uns selbst schuldig, diese erschreckende Normalität nicht einen Tag länger zu akzeptieren . Zu oft bleiben die Täter unbehelligt . Wie kann es angehen, dass sich die Polizei 20 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen, nach Mölln und Solingen erneut so schwer damit tut, rechte Straftaten zu erkennen? Im schleswig-holsteinischen Escheburg etwa zündete ein Finanzbeamter eine geplante Asylunterkunft in der Nachbarschaft an . Das BKA will keine rechte Tatmotivation erkennen, selbst dann nicht, nachdem das zuständige Gericht den rassistischen Hintergrund eindeutig festgestellt hat . Oder nehmen wir den Fall Tröglitz . Dort tritt ein Bürgermeister aufgrund von Gewalt des rechten Mobs zurück . Kurz danach brennt die geplante Unterkunft für Geflüchtete. Nach Monaten wird ein NPD-Sympathisant als Täter festgenommen; aber auch in diesem Fall sieht das BKA keinen Grund, die Tat als vermutlich rechtsmotiviert einzustufen . Wer nicht imstande ist, wer nicht willens ist, rechte Straftaten zu erkennen, der gefährdet die innere Sicherheit unseres Landes . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechte Gewalt entsteht nicht aus dem Nichts . Sie kündigt sich in einer Radikalisierung der Sprache wie bei Pegida und AfD an und bleibt, tragischerweise auch auf der Facebookseite der CSU, zu oft unwidersprochen. Wir befinden uns in einer Abwärtsspirale, in der die unterste Schublade noch unterboten wird . Wir machen es uns zu leicht, wenn wir die Taten zu Taten einiger Verirrter oder Unbelehrbarer erklären . Pegida, AfD und Co . bereiten den Nährboden für rassistische Hetze und für das vergiftete gesellschaftDr. Frank Steffel liche Klima . Sie schüren Ängste, und sie spielen mit rassistischen Ressentiments . So befeuert die AfD die absurde Phantasie eines kulturell oder ethnisch homogenen deutschen Volkes, und CSU-Söder fürchtet eine massive Verringerung von Volksvermögen . Wir erleben hier einen massiven Missbrauch rechter Sprüche durch die CSU . Dabei ist die Obergrenze für destruktives CSU-Geschwätz doch längst erreicht . ({3}) Im Wahlprogramm der AfD in Baden-Württemberg wird vom Ende der deutschen und europäischen Kultur schwadroniert, das durch die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung hierher fliehen, angeblich besiegelt werden soll . Die AfD führt sich als geistiger Brandstifter auf und treibt damit die Verrohung des politischen Diskurses ganz entscheidend voran . Wer so hetzt wie die AfD, trägt Mitschuld daran, wenn Molotowcocktails geworfen werden und Unterkünfte brennen . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten, solchen Äußerungen entgegenzutreten, egal ob sie aus der eigenen Familie, aus dem Freundeskreis oder aus der eigenen Partei kommen . Sie machen mich zornig . ({5}) Wir müssen der Spaltung unserer demokratischen Gesellschaft entgegentreten, gemeinsam und entschlossen . Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben tragischerweise seit Jahrzehnten einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft . Ja, Deutschland ist leicht entflammbar. Rassistische Angstmache und krude Ideologien der Ungleichheit von Menschen dürfen keine Akzeptanz erfahren . Aber wenn Horst Seehofer auf niedrigstem Niveau von einer „Herrschaft des Unrechts“ schwadroniert oder ein sinnloses Ultimatum nach dem anderen stellt, statt ernsthaft nach Lösungen zu suchen, vergiftet er das politische Klima und trägt mit zum Vertrauensverlust in unserer Demokratie bei . ({6}) Wer von Flüchtlingsströmen redet, als würde es sich dabei um eine Naturkatastrophe handeln, wer Menschen zu Naturkatastrophen macht, der entmenschlicht sie und nimmt ihnen die Würde . Es sind aber Männer, Frauen und Kinder, die vor Krieg und Verfolgung zu uns fliehen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns und jeder, der sich öffentlich äußert, trägt Verantwortung dafür, wie wir über die Frauen, Männer und Kinder, die zu uns kommen, sprechen . Wir können uns in der Sache streiten, heftig und mit Leidenschaft . Aber lassen Sie uns bitte gemeinsam dafür sorgen, dass wir zu einer Debatte der Vernunft und der Menschlichkeit zurückkehren, anstatt die schrillen Töne der Hetze und der Hysterie anzustimmen . Es ist die Aufgabe von Politik, den Menschen die Sorgen zu nehmen, anstatt Ängste zu schüren . Es ist die Aufgabe von Politik, zu streiten, Probleme zu identifizieren und dann die Probleme zu lösen. ({8}) Ja, Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassismus . Es ist höchste Zeit, dass wir das erkennen und unmissverständlich für unsere demokratische und offene Gesellschaft kämpfen und einstehen . Die übergroße Mehrheit der Menschen in unserem Land erwartet von uns, dass wir davon sprechen, welch offene, bunte und lebenswerte Gesellschaft wir haben, und klar zeigen, dass wir diese offene und lebenswerte Gesellschaft verteidigen und sie weder im Internet noch auf der Straße noch im öffentlichen Diskurs den Hetzern, den Rassisten und den Rechtsradikalen überlassen . Vielen Dank . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Marian Wendt das Wort . ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die gesellschaftliche Entwicklung zu einem Mehr an Gewalt in unserem Land betrachte auch ich mit großer Sorge . In der Tat dürfen wir dem Hass und der Gewalt keine Chance bieten . Im Antrag der Grünen finde ich sehr gute Ansatzpunkte . Wer aber von politischer Gewalt und von Hass spricht und damit ausschließlich Gewalt und Hass durch Rechtsextremisten meint, verhält sich unredlich . ({0}) Diese Auffassung ist für mich engstirnig und ideologisch verbrämt . ({1}) Betrachten wir nur einmal die extremistischen Gewalttaten und Ereignisse des letzten Jahres, so stellen wir fest, dass wir unseren Blick weiten müssen . Ich zähle auf: die Ausschreitung der Linksextremisten am 12 . Dezember in Leipzig, die Ausschreitungen von Rechtsextremisten am 11 . Januar in Leipzig, die HoGeSa-Krawalle, die Krawalle bei der Eröffnung der EZB-Zentrale in Frankfurt und die unsäglichen Angriffe auf Polizisten in der Rigaer Straße hier in Berlin . Das alles macht uns klar: Gewalt herrscht auf vielen Seiten und hat viele Facetten in unserem Land . Auch die BKA-Berichte zu Gewalt gegen Asylbewerber und in Asylbewerberunterkünften, die uns diese Woche erreichten, zeigen dies leider einmal mehr . Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass „menschenfeindliches Gedankengut … nicht nur ein Problem der ‚rechten Ränder‘“ sei . Richtig, Hass und Gewalt sind auch Probleme des linken Randes . Ich hätte mir gewünscht, dass Sie dies hier klipp und klar benannt hätten . ({2}) Aber Sie bleiben Ihrer Linie treu und klammern einseitig eine Reihe von Problemstellungen aus . Allein in der Bundeshauptstadt gab es im Jahr 2015 ganze 25 Anschläge gegen Gotteshäuser, wovon 17 gegen christliche Kirchen gerichtet waren . Allein im zweiten Quartal des vergangenen Jahres hat die Bundesregierung 168 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund registriert . Wenn dabei nach dem Antisemitismus von rechts differenziert wird, sage ich klipp und klar: Wir haben auch einen Antisemitismus von links, der mitunter religiös motiviert ist . So wurde etwa ein Rabbiner in Berlin-Schöneberg von Arabern bespuckt . Auch da haben wir ein Problem . Ich möchte gar nicht erwähnen, dass ein gespürter Antisemitismus von 20 Prozent in unserer Bevölkerung herrscht, der vor allen Dingen von Anti-Israel-Propaganda und Israel-Kritik auch vonseiten der Linkspartei verfolgt wird . ({3}) Was wollen Sie damit erreichen? Warum verschweigen Sie auf den sechs Seiten Ihres Antrags die Gewalt und die Beschimpfung von christlichen Asylbewerbern durch muslimische Asylbewerber? Wo findet sich der lutherische Pfarrer Martens aus Berlin, der sich schützend vor diese bedrängten Menschen stellt, sich für ihre Belange engagiert und von den etablierten Kirchen ziemlich alleingelassen wird - so fühlt er sich -, in Ihrem Antrag wieder? Was politische Gewalt angeht, haben wir ein probates Mittel, eines, das sich auf diesem Gebiet bewährt hat, den Rechtsstaat . Diese Errungenschaft ist die erste Adresse, wenn es darum geht, politisch motivierte Gewalttaten aufzuklären und Gewalt zu verhindern . Wir müssen das BKA sicherlich genau im Blick haben; aber es einzuschüchtern und der ständige Vorwurf, es arbeite falsch, das ist die falsche Herangehensweise . ({4}) Unser Rechtsstaat verfügt über funktionierende Prozesse der Selbstreinigung und der kontinuierlichen Verbesserung, wie die Aufarbeitung der Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds ganz klar gezeigt hat . Der Vorwurf gegenüber der CDU, sie sei auf einem Auge blind, ist hier völlig fehl am Platze . ({5}) Im Zuge dieser kontinuierlichen Verbesserung hat die Große Koalition verschiedene Gesetzespakete in den Bundestag eingebracht, um politische Gewalt von rechts und links stärker zu bekämpfen . Wir haben eine Reform der Verfassungsschutzämter durchgebracht und damit eine bessere Vernetzung der Sicherheitsbehörden gewährleistet . Wir haben ein Mehr an Bundespolizei geschaffen . ({6}) Auch die Länder vergrößern ihre Personalkörper und führen neue Formen wie die sächsische Wachpolizei ein . Die Vorratsdatenspeicherung wird uns ebenfalls helfen, massiv Gewalt von rechts und links aufzuklären . Das haben zum Beispiel die Festnahmen im Januar 2015 in Leipzig gezeigt . Ich bin mir sicher - da bin ich ehrlich -: Der Rechtsstaat kann nicht alle Probleme lösen, die sich insbesondere durch gesellschaftliche Entwicklungen hervorgetan haben . Es kommt auf ein wirklich nachhaltiges zivilgesellschaftliches Engagement von uns allen an . Eine „Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit“, wie Sie es in Ihrem Antrag formulieren, meine ich damit nicht . Sie gehen eher von einem zivilgesellschaftlichen Engagement aus, das der Staat finanziert. Ich frage mich ehrlich: Ist das noch wahres und nachhaltiges zivilgesellschaftliches Engagement im eigentlichen Wortsinne? ({7}) Extremismusprävention darf doch keine groß angelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sein, sondern muss dem Ziel, Extremismus zu verhindern und Radikalisierungen vorzubeugen, dienen . ({8}) - Bleiben Sie ganz ruhig . Ich bringe gleich ein anderes Modell ins Spiel . - Aus meiner Sicht sollte es vielmehr um die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements gehen, das bei uns bereits eine breite Basis hat . Wir haben Sportvereine, die THW-Jugend, Kirchen und Musikvereine. Dort findet wirkliche Integration statt. ({9}) Dort werden Werte wie Toleranz, Teamwork und die Verantwortung füreinander miteinander gelebt . Dort sind finanzielle Mittel viel, viel besser angelegt als in aufgebauschten Anti-rechts-Programmen, die dann auch noch zur Finanzierung von Antifa-Strukturen genutzt werden . ({10}) Das wäre aus unserer Sicht der richtige Weg . ({11}) Integration kann in einem Sportverein oder einer Kirche doch viel tiefer gehen, weil sie Teil des wahren Lebens sind . Deswegen wäre es aus meiner Sicht besser geweMarian Wendt sen, viel mehr Punkte aufzuzeigen, an denen dieser Weg gegangen wird . ({12}) In diesen Bereichen engagieren sich Millionen von Menschen für die Integration von Asylbewerbern und bekämpfen damit auch den Rechtsextremismus . ({13}) Detlef Pollack hat das eindeutig belegt . Weil der Kollege Hofreiter das angesprochen hat und Sie sicherlich eine Positionierung von mir erwarten, möchte ich auf Pegida zurückkommen . ({14}) Man darf die Menschen - das habe ich bereits vor einigen Wochen hier gesagt - nicht pauschal für ihre Gedanken verurteilen . Wir müssen mit ihnen sprechen . Ich rede Pegida nicht nach dem Mund - das macht keiner -; aber wer Menschen in diesem Land und die Diskussion mit ihnen pauschal ablehnt, muss sich fragen lassen: Was tut ihr da? ({15}) Die Menschen haben Fragen, und diese Fragen müssen wir beantworten . ({16}) Die Frage ist doch: Warum gehen die Menschen zu Pegida und nicht zur CDU? ({17}) Das ist die entscheidende Frage . Es ist wie immer: Wenn wir nur mit dem Finger auf die anderen zeigen und sagen: „Die sind böse“, aber selber keine Antworten haben, werden wir dieses Problem nicht lösen . Wir müssen den Leuten doch zeigen, dass es unserem Land gut geht . Die Leute haben Angst, dass die Wirtschaft einbricht, dass sie ihre Arbeitsplätze verlieren . Aber wir können ihnen klipp und klar zeigen: Die unionsgeführte Bundesregierung hat Gutes getan . Wir haben den Reallohn gesteigert, allein im letzten Jahr um 2,4 Prozent . Wir haben mit 6,7 Prozent eine sehr niedrige Arbeitslosenquote . Das sind Dinge, mit denen wir den Menschen, die auf die Straße gehen, begegnen können . Das sind klare Antworten, die wir ihnen geben können . ({18}) Für mich ist wichtig: Angst ist ein ganz schlechter Partner . ({19}) Wir dürfen die Angst nicht in unsere Gesellschaft lassen . Mein Aufruf an Pegida ist: Fragt euch, wie wir dieses Land voranbringen können! Wir brauchen mündige Bürger und keine Scharfmacher, und wir brauchen weiterhin ein Strafgesetzbuch, das klipp und klar besagt, dass friedliche Demonstrationen erlaubt sind, das Gewalt aber ganz scharf ablehnt . ({20}) Wenn wir uns wieder auf diesen Weg begeben - alle miteinander, von rechts, von links, vom Ausländerextremismus bis hin zum religiösen Extremismus -, dann kann uns dies gelingen . Wenn wir aber andere Meinungen pauschal verunglimpfen und uns nicht friedlich mit ihnen auseinandersetzen, dann werden wir das Problem nicht lösen . Noch ein kurzes Wort zu Pegida . Ich weiß, dass in Dresden nur 7 von 100 Einwohnern mitmarschieren .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit .

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja . - Denen rufe ich ganz klar entgegen: Nein, ihr seid nicht das Volk - schon gar nicht meins -, höchstens ein Völkchen . Deswegen ist mein Aufruf, Hassreden vor allem gute und positive Reden entgegenzusetzen . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katja Kipping ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke . ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner, Herr Wendt, kommt von der sächsischen CDU . Ich finde, seine Rede hat sehr gut veranschaulicht, warum Pegida in Sachsen so stark werden konnte . Das war die Strategie der letzten 25 Jahre: Jeden Hinweis auf wachsende neofaschistische Gewalt hat die CDU relativiert, indem sie irgendwo auch einen linken Regelverstoß aufgetan hat . Diejenigen, die sich zivilgesellschaftMarian Wendt lich gegen Neonazis engagieren, werden von Sachsens CDU auch noch verunglimpft . ({0}) Doch nun zum Thema des Antrags . Wir erleben gegenwärtig mehrere beunruhigende Entwicklungen . Dazu gehört erstens die Zunahme von Angriffen, von rassistischen Angriffen auf Leib und Leben von Menschen . So hat sich die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verfünffacht . Zweitens stellen wir eine Verrohung des Sprechens fest . Nicht nur im Netz nehmen Wortmeldungen zu, die anderen Menschen das Menschsein absprechen . Drittens . Mit den Aufmärschen von Pegida, den selbsternannten Verteidigern des sogenannten Abendlandes, gibt es eine bewegungsförmige Organisation des Rassismus . Viertens können die Rechtspopulisten europaweit Wahlerfolge feiern . Diese vier Entwicklungen verstärken einander . Rassistische Bewegungen wie Pegida stehen für die Aufkündigung von Empathie und Mitmenschlichkeit . Insofern ist es die Pflicht aller Demokratinnen und Demokraten, gegen diesen Rassismus klar und deutlich Flagge zu zeigen . ({1}) Doch es sind nicht die selbsternannten Verteidiger des Abendlandes, die mir wirklich Angst machen . Mich ängstigt vielmehr das Versagen derjenigen, die eigentlich die Verteidiger der Demokratie sein müssten . Wenn einzelne rassistische Aufmärsche die Demokratie verhöhnen, dann ist das ärgerlich; aber das kann eine Demokratie aushalten . Wenn jedoch die Regierenden, die als Verfassungsorgan auf das Grundgesetz verpflichtet sind, anfangen, zu lavieren, und am Ende Stück für Stück die Forderungen der Rechtspopulisten in Gesetzestexte gießen, dann gibt es einen Rechtsruck . Wenn diejenigen, die die Verantwortung hätten, dagegenzuhalten, die Rhetorik und die Problembeschreibung der Rassisten übernehmen, dann droht das Pendel wirklich umzuschlagen . Wir erleben gegenwärtig: Aus lauter Angst vor den möglichen Erfolgen der AfD wird im Wochentakt eine Scheinlösung nach der anderen von der Union präsentiert, Scheinlösungen, die an den wirklichen Ursachen vorbeigehen, die aber die rassistische Problembeschreibung übernehmen und sie damit verstärken . ({2}) - Ja, große Teile der politischen Klasse, große Teile der Union versagen gegenwärtig, gerade weil sie das Lied der AfD mitsingen und dort einstimmen . ({3}) Ich habe dafür einige Beispiele . Nehmen wir nur einmal Horst Seehofer . Er ist immerhin Vorsitzender einer Partei, die Teil dieser Regierung ist . Er möchte die Bundesregierung wegen der Unantastbarkeit der Grenzen verklagen und führt sich dabei auf, als ob er Artikel 1 des Grundgesetzes umschreiben möchte, obwohl dieser Artikel durch die Ewigkeitsklausel geschützt ist . Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar . Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt . ({4}) Für Herrn Seehofer sind die bayerischen Obergrenzen aber offenbar ein höheres Gut als die Menschenwürde . ({5}) Das Grundgesetz entstand infolge der schweren und schmerzhaften Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, und es beginnt deswegen aus gutem Grund mit der Würde des Menschen, also aller Menschen und nicht nur der Deutschen . ({6}) Ein weiteres Beispiel für den Flirt mit dem Rechtspopulismus liefert Julia Klöckner . Sie, die immerhin Ministerpräsidentin und vielleicht noch mehr werden möchte, führt in Rheinland-Pfalz einen Wahlkampf gegen Flüchtlinge in der Art eines AfD-Imitationswettbewerbes . ({7}) Oder nehmen wir Thomas Strobl von der CDU . Er fordert, das Recht zum unbefristeten Aufenthalt sollten nur Menschen erhalten, die hinreichend Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der bundesdeutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung nachweisen können . ({8}) Aussagen wie diese verstärken das Vorurteil, dass die Geflüchteten nicht Deutsch lernen wollen. Ich erlebe in Gesprächen in Flüchtlingsunterkünften genau das Gegenteil . Dort wird Sorge darüber geäußert, dass nur Menschen einiger weniger Nationen die zertifizierten Sprachkurse angeboten werden . Die schwarz-rote BunKatja Kipping desregierung versagt gerade dabei, allen, die wollen, Sprachkurse anzubieten, ({9}) und ist sich nicht zu schade, den Schwarzen Peter den Geflüchteten zuzuschieben. Das ist schädlich. ({10}) Ganz offensichtlich schwebt Herrn Strobl eine Ausweitung der Einbürgerungstests vor . Ich fände es ja einmal interessant, zu sehen, wer hier in diesem Hohen Hause all die Fragen zur bundesdeutschen Gesellschaftsordnung beantworten könnte . ({11}) Mich würde auch interessieren, wer aus der Union den Inhalt von Artikel 3 des Grundgesetzes aufsagen könnte . Herr Strobl kann dies ganz offensichtlich nicht; denn sonst wüsste er, dass nach unserem Grundgesetz niemand wegen seiner Abstammung oder seiner Sprache benachteiligt werden darf . Ich fasse zusammen: Wer von rassistischen Anschlägen spricht, der darf über Pegida nicht schweigen, wer von Pegida spricht, der darf über die AfD nicht schweigen, ({12}) und wer von der AfD spricht, der darf nicht darüber schweigen, dass sich Teile der politischen Klasse inzwischen den Mantel des Rechtspopulismus umgelegt haben . ({13}) Der vorliegende Antrag stellt auf das wichtige Ziel ab, die Demokratie zu stärken . Wir hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, aber wir können aus ihr lernen . Das Scheitern der Weimarer Republik hing unter anderem damit zusammen, dass massive gesellschaftliche Umbrüche mit einer Wirtschaftskrise und mit sozialen Verwerfungen einhergingen . Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass man zum Rassisten wird . Wir wissen jedoch, dass Abstiegsängste und eine Gesellschaft, in der jeder auf Konkurrenzdruck und Ellbogeneinsatz getrimmt wird, den Menschenfeinden in die Händen spielen . Da müssen wir ansetzen . Wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass sich die Weimarer Verhältnisse hier und in Europa wiederholen . Deswegen brauchen wir eine Sozialgarantie und die berechtigte Hoffnung auf sozialen Fortschritt . ({14}) Das heißt: Es gilt, den Sozialstaat und den öffentlichen Sektor auf- und auszubauen und nicht zu zerschlagen sowohl hierzulande als auch überall in Europa . Vielen Dank . ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Uli Grötsch von der SPD-Fraktion ist der nächste Redner . ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin gemeinsam mit meiner Fraktion der Meinung, dass es gut ist, dass wir heute diese wertvolle Debatte führen, und danke den Antragstellern dafür, dass sie uns dies mit ihrem Antrag ermöglichen . Am Anfang meiner Ausführungen möchte ich aber schon sagen, Herr Wendt, dass es heute nicht um alle Formen von Gewalt geht . ({0}) Dann müsste man ja bis zur häuslichen Gewalt alle Formen der Gewalt einbeziehen, die wir natürlich alle, die wir hier sitzen, verurteilen . Heute geht es um Rassismus, um Hetze und um rechte Gewalt, und es stünde uns allen gut zu Gesicht, wenn wir in einer solchen Debatte bei diesem Thema blieben . ({1}) Ich möchte auch etwas dazu sagen, dass Sie zum Thema Pegida angeregt haben, dass wir mit den Menschen im Gespräch sein sollten . Natürlich sollte man mit den Menschen im Gespräch sein, und natürlich ist es unser aller Aufgabe, den Menschen ihre Ängste zu nehmen . Aber ich sage Ihnen schon: Mit den Anführern von Pegida - über die reden wir hier - würde ich nicht reden wollen, weil sie es sind, die in immer kürzeren Abständen fordern, dass man Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, um Schutz zu suchen, an der Grenze erschießen soll . Erschießen! Was für Leute sind das, die Sie hier - zumindest meiner Wahrnehmung nach - in Schutz nehmen? ({2}) Ich meine, dass wir in einer Debatte wie dieser nicht versuchen sollten, den Scheinwerfer von rechts nach links zu drehen, sondern der Scheinwerfer sollte dorthin scheinen, wo in diesen Tagen die Feinde der Demokratie sitzen, ({3}) und die sitzen rechts, meine Damen und Herren . ({4}) Ich sage Ihnen auch, dass ich nicht gedacht hätte, dass nach dem Auffliegen des NSU Rechtspopulisten und NPD-Light-Parteien in Deutschland wieder derart prominent werden können . Insbesondere im Osten unseres Landes ist es offenbar wieder salonfähig geworden - ich sage das alles andere als gerne -, rechtsradikal zu sein . Das hat uns im Innenausschuss letztens eine hohe Vertreterin einer deutschen Sicherheitsbehörde wortwörtlich gesagt . Ich sage Ihnen: Wir - damit meine ich die Große Koalition und am besten uns alle - werden es nicht zulassen, dass diejenigen, die sich in diesen Tagen für die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft engagieren, die dafür ihre gesamte Freizeit und ihre ganze Kraft aufwenden, von den rechten Hetzern und braunen Schlägertrupps diffamiert und selbst verfolgt werden . ({5}) Demokratie stärken, liebe Antragsteller, wird bei uns seit mehr als 150 Jahren sehr groß geschrieben . Wir haben das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ unserer Familienministerin Manuela Schwesig auf 50,5 Millionen Euro aufgestockt . Wenn Sie unseren Fraktionsbeschluss vom Januar gelesen haben, dann wissen Sie, dass das der SPD bei weitem nicht genug ist . Wir wollen das Programm bei den nächsten Haushaltsberatungen sogar auf mehr als 100 Millionen Euro verdoppeln; denn wir wollen den Anfängen wehren und gerade die jungen Menschen in Deutschland vor Extremismus schützen . ({6}) Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ gegen Rechtsextremismus haben wir auf 12 Millionen Euro verdoppelt . Auch die Bundeszentrale für politische Bildung, die, wie wir alle wissen, enorm wichtige Arbeit in diesem Bereich leistet, bekommt 10 Millionen Euro mehr . Liebe Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie mir: Als Obmann meiner Fraktion im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss bin ich durchaus in höchstem Maße sensibilisiert für rechtsterroristische Gefahr . Ich bin der Meinung, dass der von diesem Haus geforderte Mentalitätswechsel bei den Sicherheitsbehörden als Lehre aus dem NSU durchaus auf einem guten Weg ist . Eine eigens beim Bundeskriminalamt eingerichtete Clearingstelle liefert uns jetzt Zahlen zu Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte . Wenn dort die Lagen zur PMK-rechts nicht so erstellt werden, wie wir alle uns das wünschen, dann lassen Sie uns das doch einfach gemeinsam ändern . Dann kann das durch eine Weisung der Hausspitze beim BKA oder durch eine Weisung des BMI schnell und unkompliziert geändert werden . In dem Antrag sprechen Sie auch die offenen Haftbefehle gegen rechte Straftäter an, ein Thema, das uns alle in den letzten Wochen durchaus erschüttert hat. Ich finde es wichtig, dass wir dieses Thema im Fokus behalten . Ich glaube, wir alle miteinander sind der Meinung, dass jetzt die Länderinnenminister und die Länderpolizeien gefordert sind, diese Haftbefehle schnell zu vollstrecken . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Staat, Zivilgesellschaft und alle Parteien, die hier sitzen, an einem Strang ziehen und aufklären, dann können die selbsternannten Kümmerer keinen Keil durch unsere Gesellschaft treiben . ({7}) In Wahrheit - das wissen wir doch alle - sind sie nämlich keine Alternative, sondern sie sind die Feinde der Demokratie . Ich bin mir sicher: Früher oder später - es wäre mir heute lieber als morgen - wird die Maske endgültig fallen und wird auch der letzte Verirrte sehen, was für ein armseliges Menschenbild mit krankem Gedankengut hinter dieser rechtsextremen Fassade steckt . Ich komme zum Schluss . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in diesem Haus alle gemeinsam gegen die Kräfte in unserem Land vorgehen, die einen Keil durch unsere Gesellschaft treiben wollen, die dieses Land unter dem Deckmantel einer Alternative spalten wollen . Wir wollen kein geteiltes Land . Wir wollen kein gespaltenes Deutschland . Wir sind ein Land, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit all seinen Problemen und Kontroversen, aber auch in all seiner Vielfalt und mit all unseren Werten, und diese lassen wir uns von niemandem nehmen . Vielen Dank . ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr . Volker Ullrich . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten den Antrag „Demokratie stärken - Dem Hass keine Chance geben“ . Im Kern geht es dabei um die Geltung von Grundrechten, um die Würde des Menschen, um die Unverletzlichkeit der Person und um die gewaltfreie Auseinandersetzung im politischen Betrieb . Über tausend Angriffe auf Asylbewerber und Flüchtlingsheime machen betroffen und rufen unser aller Entsetzen hervor . Man muss formulieren, was es ist: Eine Schande, dass so etwas in unserem Land geschehen konnte! ({0}) Wir müssen uns diesem Hass und dieser Gewalt mit allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenstellen . Wir sind von tiefer Sorge geprägt, dass Radikalisierung, Hass und eine Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses zu GeUli Grötsch walt und damit auch zu Ausgrenzung von Andersdenkenden und anderen Menschen führt . Das ist auch ein Thema im Internet und in sozialen Medien . Es ist zu sagen, dass Meinungsfreiheit ein hohes Gut darstellt; das ist gar keine Frage . Sie ist konstituierend für eine demokratisch-politische Auseinandersetzung . Aber die Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen im Recht des anderen . Wer die Rechte des anderen verletzt, kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen . Deswegen muss klar und deutlich sein, auch in den sozialen Netzwerken: Hass und Aufrufen zu Gewalt müssen sich alle entgegenstellen . Wir brauchen eine Kultur der digitalen Zivilcourage . ({1}) Wenn allerdings Volksverhetzung, Holocaustleugnung und andere Straftaten zu beobachten sind, dann darf als Reaktion darauf kein „Like“ oder kein „Teilen“ erfolgen . Darauf gibt es nur eine Antwort, nämlich Besuch oder Post von Polizei und Justiz . Diese Antwort muss der Rechtsstaat geben . ({2}) Deswegen brauchen wir eine ordentliche Ausstattung bei Polizei und Justiz . Ich bin froh, dass der Bund durch die Bereitstellung von 3 000 neuen Stellen bei der Bundespolizei beherzt vorangegangen ist . Ich wünsche mir, dass auch die Länder diesem Beispiel folgen und Polizei und Justiz so ausstatten, dass wir den Feinden unserer Freiheit gerecht und beherzt trotzen können . Das ist die Verpflichtung jeder staatlichen Aufgabe. ({3}) Ich möchte auch daran erinnern, dass im Strafrecht einiges passiert ist . Wir haben nach der schrecklichen Terrorserie des NSU im Bereich der Strafzumessung reagiert . Jeder Richter in Deutschland hat bei der Strafzumessung rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe konkret zu beachten . Das ist seit einem Jahr geltendes Recht, und das ist richtig so . Wir haben auch die Position des Generalbundesanwalts gestärkt, damit er Ermittlungen frühzeitig an sich ziehen kann, um damit bei Vorliegen von fremdenfeindlichen oder rassistischen Straftaten eine bessere Koordinierung der Ermittlungsarbeit durchzuführen . Das sind richtige Punkte; das sollten wir heute betonen . Es muss aber, meine Damen und Herren, die Prävention im Vordergrund stehen . Hass und Gewalt dürfen sich gar nicht erst in den Köpfen breitmachen . Wir brauchen Prävention im Bereich der Zivilgesellschaft, aber auch in den Schulen und Universitäten . Wir brauchen Prävention gegen jede Art der Radikalisierung: Prävention gegen Rechtsextremismus ebenso wie Prävention gegen Linksextremismus oder salafistisches Gedankengut. Der Staat muss bei der Bildung ansetzen, damit Menschen sich insgesamt nicht radikalisieren . ({4}) Deswegen ist es richtig und darf in dieser Debatte auch erwähnt werden: So notwendig der Einsatz gegen rechte Gewalt, rechtsradikales Gedankengut, Rassismus, Hetze und Gewalt ist, so sehr darf der Rechtsstaat aber auch darauf aufmerksam machen, dass wir ein Problem von Linksradikalismus und von Salafismus haben. Wir müssen die Feinde unserer Freiheit insgesamt bekämpfen. Das ist die Verpflichtung unseres Gemeinwesens. ({5}) In diesem Zusammenhang möchte ich zu Ihrer Rede kommen, Frau Kollegin Kipping . Sie haben von der politischen Klasse gesprochen . Ich habe mir diesen Begriff genau notiert . Ich sage Ihnen deutlich: Der Begriff „politische Klasse“ ist in seiner Entstehungsgeschichte und in seinem Gebrauch ein demokratiefeindlicher Kunstbegriff . ({6}) Sie sollten Menschen, die Verantwortung für dieses Land tragen, nicht herabwürdigen, indem Sie von „Klasse“ sprechen . Das ist falsch, wenn es darum geht, die rechtsradikalen Hetzer in diesem Land zu bekämpfen . ({7}) Es ist auch nicht in Ordnung, dass Sie, Herr Kollege Hofreiter, wenn es darum geht, gegen Hass und Gewalt und gegen Radikalisierung auf unseren Straßen vorzugehen, automatisch den Bogen von Pegida über AfD bis hin zur CSU spannen . Das ist unlauter, und dem stellen wir uns mit aller Macht entgegen . ({8}) Ja, wir bekämpfen die AfD . Wir bekämpfen Pegida . Wir bekämpfen radikales Gedankengut . Aber das geht nur, wenn wir Verantwortung übernehmen und wenn die Politik Vertrauen in diesem Land schafft . Vertrauen werden wir nur dann erlangen, wenn wir die Probleme lösen und uns offen und ohne gegenseitige Schuldzuweisungen daranmachen, die drängenden Herausforderungen zu bewältigen . ({9}) Das sind Herausforderungen im Bereich der Flüchtlingspolitik und im Bereich der inneren Sicherheit . Wir werden diese Herausforderungen angehen . Da mögen Sie so viel schreien, wie Sie nur wollen . Verantwortung ist keine Frage der Lautstärke, sondern des Handelns . ({10}) Meine Damen und Herren, wir brauchen insgesamt ein Eintreten für die wertvolle freiheitlich-demokratische Grundordnung . Das geht durch beherztes politisches Handeln, aber auch durch Engagement dieser Zivilgesellschaft . Wer nichts tut, wer sich zurücklehnt, wer sich nicht engagiert, wird vielleicht morgen in einer Welt aufwachen, in der er dieses Nichtstun bitter bereuen würde . Nichtstun und Nichteintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist ein süßes Gift; aber es ist ein Gift, das wir nicht akzeptieren sollten . Lassen Sie uns gemeinsam gegen Extremismus, Hass und Hetze kämpfen, und lassen Sie uns gemeinsam die Verantwortung in diesem Staat wahrnehmen! Dafür sind wir gewählt, und daran sollten wir arbeiten . Vielen Dank . ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich gedacht, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass bei einem Thema wie heute, wenn es darum geht, gegen Hass, Hetze und rassistische Gewalt vorzugehen, alle im Hause dem Antrag folgen können, dass sie diese Debatte so wichtig finden, dass man mehr Präsenz zeigt ({0}) und dass man vor allen Dingen ernsthaft und sachlich über dieses Thema spricht, anders als Herr Wendt und Herr Ullrich es eben getan haben . ({1}) Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der, finde ich, im Antrag zu kurz kommt, und zwar die Analyse der Ursachen für die massive Zunahme fremdenfeindlicher Gewalt und Hasspropaganda . Es heißt im Antrag - das wurde schon vom Kollegen Hofreiter zitiert -: Es ist die Aufgabe aller demokratischen Kräfte, einer Spaltung der Gesellschaft unmissverständlich entgegenzutreten . Ich meine aber, dass diese Spaltung längst Realität ist . Die Kluft zwischen Arm und Reich war nie größer . Deutschland ist heute das Land mit der höchsten Vermögensungleichheit innerhalb der Euro-Zone, so der Paritätische Wohlfahrtsverband . 16 Prozent leben unter der Armutsgrenze . Die obersten 10 Prozent verfügen über die Hälfte des gesamten Vermögens, Tendenz steigend . Millionen Menschen sind prekär beschäftigt . Sie leben trotz Arbeit am Existenzminimum . Die Altersarmut nimmt rasant zu . All das sind Folgen einer jahrzehntelangen neoliberalen Politik der Umverteilung von unten nach oben, begleitet von fortschreitendem Demokratieabbau . Das ist der soziale Nährboden, auf dem Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Pegida und AfD gedeihen . Es sind nicht nur die Neonazis und die Pegida-Anhänger, die die Menschen gegeneinander aufhetzen . Herr Ullrich, Sie haben gerade wieder die entsprechenden Stichworte genannt . Auch in Ihren Reihen, in der Bundesregierung finden sich immer wieder Unterstützer für diese Hetzer . ({2}) Hier im Parlament: Einmal geht es gegen die Armutszuwanderer aus Bulgarien und Rumänien sowie vom Westbalkan, dann sind die Menschen aus Afghanistan angeblich nicht schutzbedürftig, dann wiederum geht es gegen die sogenannten Antanzer aus Nordafrika . Diese Rhetorik befeuert die fremdenfeindliche Mobilmachung von rechts außen . ({3}) Im Antrag der Grünen ist die Rede von Rassismus und Antisemitismus, Sexismus und Homophobie . Aber auch hier möchte ich anmerken: Es fehlt die seit Jahren anwachsende Islamfeindlichkeit . Sie muss genauso geächtet werden wie alle rassistischen Auswüchse . ({4}) Für das vergangene Jahr zählte die Bundesregierung - auf Anfrage der Linken - rund 70 Übergriffe auf muslimische Einrichtungen, von Nazischmierereien über eingeschlagene Fenster bis hin zu schweren Brandstiftungen . Allein in den ersten drei Wochen des neuen Jahres meldeten die Moscheegemeinschaften rund 80 weitere Angriffe . Nach den frauenfeindlichen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht haben Schmäh- und Bedrohungsszenarien sprunghaft zugenommen, wie die muslimischen Verbände beklagen . Es ist in der Tat nicht hinnehmbar, wie hier eine ganze Religionsgemeinschaft pauschal verächtlich gemacht wird . ({5}) Um es deutlich zu sagen: Die Täter von Köln müssen ermittelt und bestraft werden, keine Frage . ({6}) Doch es ist geradezu absurd, dass nun Nazis, Hooligans und Rocker, deren mittelalterliches Frauenbild sich kaum von dem der Salafisten unterscheidet, Bürgerwehren zum Schutze „unserer“ Frauen bilden, weil die vermeintlichen Täter von Köln nicht deutscher Herkunft sind . Lassen wir es nicht zu, dass das Eintreten gegen sexistische Gewalt und der Kampf gegen Rassismus gegeneinander ausgespielt werden . Es darf keine Angsträume in unseren Städten geben, weder für Frauen noch für Flüchtlinge und Migranten . Ich danke Ihnen . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Dr . Lars Castellucci spricht jetzt für die SPD . ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richten wir einmal den Scheinwerfer auf die AfD . Die stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD, Beatrix von Storch - das ist die Dame, die an der Grenze schießen will -, hat auf einem Parteitag gesagt: „Wir wollen die Demokratie verteidigen . Demokratie geht nur national .“ Ich sage: Ich will die Demokratie verteidigen, und zwar vor solchen Leuten wie Frau von Storch; denn Demokratie geht nur mit Anstand . ({0}) Vieles, was wir in diesen Tagen hören und lesen, ist nur schwer erträglich . Markus Frohnmaier - er ist Bundesvorsitzender der Jungen Alternative und Landtagskandidat bei uns im Südwesten - sagt: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht . ({1}) Alexander Gauland - den kennen Sie auch noch - sagt im Spiegel: Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der Flüchtlingskrise . Und: Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen . Sie war sehr hilfreich . Ein Armin Paul Hampel - er ist AfD-Chef in Niedersachsen - relativiert die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und sagt: … aber es ist doch klar, - Achtung! dass ein Gutteil dieser angeblichen Brandanschläge von den Flüchtlingen selbst kommt, meist aus Unkenntnis der Technik . Mal ehrlich, viele von ihnen dürften es gewohnt sein, in ihren Heimatländern daheim Feuer zu machen . Meine sehr verehrten Damen und Herren, nationalistisch, völkisch, zynisch oder auch nur dumm: Solchen Leuten kann man dieses Land nicht anvertrauen . ({2}) Einmal nur nebenbei: Sagen darf man diese ganzen Dinge übrigens . Das ist ja auch eines dieser Leitmotive, das aus dieser Szene kommt, man dürfe bestimmte Dinge in Deutschland nicht sagen . Ich frage mich: Woher kommen denn eigentlich diese Erfahrungen? Ich glaube, dahinter steckt etwas ganz anderes . Die Leute wissen: Wenn sie so etwas sagen, dann bekommen sie Widerspruch . Das sind aber zwei unterschiedliche Dinge . Sagen darf man es schon, aber mit Widerspruch muss man dann im Zweifel auch rechnen . ({3}) Man kann sich rassistisch äußern, dann muss man aber auch damit rechnen, ein Rassist genannt zu werden . Das ist Demokratie . ({4}) Am Sonntag wurde in Heidelberg der Ehrenbürgerin und Dichterin Hilde Domin gedacht . Sie ist vor zehn Jahren verstorben. Auch sie musste aus Deutschland fliehen. Es ist etwas exemplarisch, wie ihr Weg dann war . Vielleicht hilft das auch für eine Einschätzung unserer heutigen Zeit. Sie floh über Italien, dann Frankreich, dann Großbritannien, dann Kanada, bis sie in Santo Domingo landete und damit in einem Land, dem sie dann ihren Namen entliehen hat . Wir merken da also: Ja, die Menschen wollen eigentlich, wenn sie fliehen müssen, erst einmal in der Nähe bleiben, weil sie Hoffnung haben, wieder zurückzukönnen . Und wir lernen auch: Wenn es wieder möglich ist, zurückzugehen, dann gibt es viele, die auch wieder zurückwollen und mithelfen wollen, dass aus ihrem Land ein gutes Land wird . ({5}) Hilde Domin hat aus dieser eigenen Fluchterfahrung geschrieben: Jeder Verfolgte, der überlebt hat, weiß, dass er nur durch die Hilfe anderer noch hier ist . Diese Hilfe, die wir in Deutschland in diesen Tagen erleben, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für mich auch Ausdruck eines hohen demokratischen Bewusstseins . Denn Willy Brandt, als er „mehr Demokratie wagen“ gesagt hat, hat damit gesagt, er will zur Mitverantwortung ermutigen . Ich würde sagen, diese Saat von Bildungsreformen und mehr Demokratie ist aufgegangen . Das zeigt die Hilfe in diesem Land . Willy Brandt hätte einen klaren Blick auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen, aber er wäre auch stolz auf dieses Land . Demokratie, das ist Hilfe, mit anpacken, keine Hetze! ({6}) Aber das Wichtigste - auch noch einmal Hilde Domin, wie sie aus ihrer Lebenserfahrung zusammenfasst, worauf es im Umgang von Mensch zu Mensch ankommt -: . . . dass er den anderen als seinesgleichen behandelt . Dass er ihn in seiner Menschenwürde nicht kränkt, gleichgültig wie groß die Standes-, Begabungs-, Bildungs- und Glücksunterschiede auch sein mögen . Ja, Demokratie geht nur mit Menschenwürde . Das ist der Ausgangspunkt . Meine Damen und Herren von der AfD, Menschenwürde - und nicht Deutschenwürde . ({7}) Diese sogenannte Alternative für Deutschland bietet also keine Alternative für Deutschland, sondern in vielen Äußerungen kommt zum Ausdruck: Sie bietet eine Alternative zur Demokratie . Ich kann dazu nur sagen: Das haben wir schon gehabt . Das brauchen wir nicht wieder . ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen .

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geflüchtete und haupt- und ehrenamtlich Tätige in der Flüchtlingsarbeit sind häufig Zielscheibe von rassistischer Hetze, Hass und Gewalt. Die Anzahl flüchtlingsfeindlicher Straftaten wuchs in den vergangenen Jahren stetig . 2012 waren es 62 Straftaten, 2014 bereits knapp 900 und im letzten Jahr schon mehr als 1 600 . Das ist ein dramatischer Trend, dem wir gemeinsam mit allen Kräften Einhalt gebieten müssen . ({0}) Auch der Ton im politischen Diskurs wird rauer und widerwärtiger . Viele Akteure in Politik, Medien oder Initiativen werden beschimpft und bedroht . Verunglimpfungen wie „Volksverräter“ oder „grüne Zecke“, die ich persönlich am Rande von Legida-Demonstrationen regelmäßig höre, gehören dabei noch zu den harmloseren Beispielen . Besonders enthemmt geht es dabei im Internet zu . In den letzten Monaten bin ich besonders froh, nicht bei Facebook zu sein; denn bei Twitter müssen sich die Hetzer wenigstens kurz fassen . ({1}) Ich will jetzt keine Beispiele nennen, um den Trollen keine Bühne zu geben; denn ich denke, die meisten von uns Abgeordneten haben leider selber genügend Beispiele parat . Strafbare Internethetze muss unverzüglich aus dem Netz entfernt und geahndet werden, bevor sie Menschen zu Straftaten anstachelt . Hassdelikte müssen konsequenter bekämpft werden . All die Beleidigungen und Bedrohungen tragen dazu bei, dass der Hass noch weiter angestachelt wird . Das dürfen wir nicht zulassen . ({2}) Wir müssen uns mit allen rechtsstaatlichen und gesellschaftlichen Mitteln dafür einsetzen, dass Rassismus, menschenverachtende Hetze und Gewalt zurückgedrängt werden . Wo rechte Strömungen das friedliche Miteinander vergiften, müssen staatliche Institutionen mit einem rassismuskritischen Fokus arbeiten; dazu bedarf es auch der passenden Aus- und Weiterbildungen . Ebenso muss die interkulturelle Kompetenz von Behörden, Institutionen und Bildungseinrichtungen erhöht werden, unter anderem durch mehr Beschäftigte mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst . Die demokratischen Parteien müssen rassistischen Äußerungen auch aus den eigenen Reihen in aller Klarheit entgegentreten . Versuche, die AfD von rechts zu überholen, um dort nach Wählerstimmen zu fischen, sind inakzeptabel und gefährlich für das politische Klima in unserem Land . ({3}) Wer sich daran beteiligt, spielt den rechten Scharfmachern in die Hände . Manchmal ist es aber auch wichtig, wenn die demokratischen Parteien Geschlossenheit zeigen . Wie man es nicht macht, hat die Leipziger CDU zum Beispiel am 11 . Januar gezeigt, als sie sich an einer gemeinsamen Lichterkette in der Leipziger Innenstadt nicht beteiligen wollte . Ziel dieser Lichterkette war es, ein gemeinsames Zeichen für Weltoffenheit gegen die Legida-Demonstration zu setzen . Die Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla erklärte dazu -: Von parteiübergreifenden Aufrufen halte ich nichts, da sie die Unterschiede zwischen den Parteien und auch die Verantwortlichkeiten vermengen . ({4}) Das ist nun wirklich kontraproduktiv und abstrus . ({5}) Zivilgesellschaftliche Akteure und Geflüchtete brauchen den Schutz von Staat und Gesellschaft . Es ist deshalb großartig, dass so viele zivilgesellschaftliche Initiativen und engagierte ehrenamtliche Helferinnen und Helfer vor Ort wertvolle Arbeit für unsere Demokratie leisten . Dafür möchte ich ihnen ganz herzlich danken . ({6}) Aber auch der Staat ist stärker gefragt . Wir brauchen eine gut ausgestattete Demokratieoffensive auf allen poliDr. Lars Castellucci tischen Ebenen, um gemeinsam mit der Zivilgesellschaft unsere demokratische und pluralistische Gesellschaft zu verteidigen . Dafür ist unser Antrag eine Anregung . Wir haben zehn Eckpunkte zusammengetragen, die in diesem Maßnahmenpaket enthalten sein sollten . Ich freue mich schon jetzt auf die sicherlich sehr lebhaften Debatten in den Ausschüssen . Vielen Dank . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Barbara Woltmann . ({0})

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, als am Dienstagnachmittag Ihr Antrag auf unsere Schreibtische kam und ich das Thema sah, habe ich gedacht: Ja, ein wichtiges, ein gutes Thema, auch der Titel ist gut . Doch beim Lesen Ihres gesamten Antrags habe ich gedacht: Na ja, da bist du aber nicht mehr von allen Punkten so begeistert . Denn es haben mir doch viele Dinge gefehlt, ich fand den Antrag nicht vollständig und teilweise einseitig . Auch mir fehlen alle Facetten von Hass und Rassismus . Der Linksextremismus ist hier von meinen Kollegen schon angesprochen worden . Ich denke, wir müssen jedem Hass, jedem Rassismus, egal von welcher Seite er kommt, entgegenwirken, und zwar ganz entschieden . Da ist mir die Seite, woher er kommt, völlig egal; vielmehr ist jeder Hass, jeder Rassismus von allen Demokraten zu bekämpfen . Ich glaube, das ist sicherlich Konsens hier im Haus . ({0}) Drei Punkte sind für mich dabei wichtig: Erstens . Eine starke Demokratie braucht einen starken Rechtsstaat . Das beinhaltet die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols . Zweitens. Eine starke Demokratie braucht flächendeckende politische Aufklärung . Drittens . Eine starke Demokratie braucht auch klare Strukturen und ein klares Bekenntnis gegen Hass und Intoleranz . Diese Prämissen müssen erfüllt sein, um dem Hass von rechts gegen Ausländer, gegen Juden, gegen andere Gruppen, gegen andere Minderheiten, dem Hass von links, dem Hass von Salafisten oder Islamisten gegen unsere staatliche Rechts- und Grundordnung erfolgreich entgegentreten zu können . Allein die Zahlen der politisch motivierten Straftaten aus dem vergangenen Dezember sprechen leider eine deutliche Sprache: Insgesamt 1 820 politisch motivierte Straftaten, darunter 149 Gewalttaten und 665 Propagandadelikte, sind gemeldet worden - viel zu viele . Der Großteil der Straftaten ist von Rechtsextremen begangen worden . Ja, das ist so . Schockierend ist auch die Zahl der Straftaten gegen Asylunterkünfte im gesamten vergangenen Jahr - sehr besorgniserregend . 1 027 Straftaten sind registriert worden - eine Vervierfachung der Zahl im Vergleich zum Jahre 2014 . Aber auch im Bereich der linkspolitisch wie auch der islamistisch motivierten Kriminalität sind leider Zuwächse zu verzeichnen . Mich beunruhigen in diesem Zusammenhang insbesondere die Straftaten mit antisemitischem Hintergrund . Juden werden nicht mehr nur von Rechtsextremen drangsaliert, sondern in zunehmendem Maße auch von Tätern mit islamistischem Hintergrund . Dies führt hier in Berlin sogar dazu, dass Juden von sich aus das öffentliche Tragen der Kippa vermeiden . Meiner Meinung nach passt eine solche Entwicklung nicht in ein freiheitlich-demokratisches Deutschland . Sie haben recht, wenn Sie in Ihrem Antrag darauf hinweisen, dass die Bildung von Bürgerwehren das Gewaltmonopol des Staates infrage stellt . So etwas dürfen wir nicht zulassen; da bin ich ganz auf Ihrer Seite . ({1}) Auch stimmt es, dass die zunehmende Enthemmung bei Worten und Taten wirklich Anlass zu großer Sorge gibt . Das ist besorgniserregend, auch wenn man die verrohten, hassverbreitenden Äußerungen in den sozialen Netzwerken sieht, in denen die Anonymität viele dazu verleitet, sich auszutoben und zu hetzen . Vorredner haben schon darauf hingewiesen . Wir können alle froh sein, dass zum Beispiel Facebook jetzt auf unsere Forderungen reagiert hat und in Deutschland ein Team installiert hat, durch das Hetzkommentare gelöscht werden . Das ist wichtig, und das muss auch so passieren . Wir dürfen nicht zulassen, dass die Verfasser solcher Kommentare in den Netzen bleiben . ({2}) Ich spreche mich für einen starken Staat aus, der konsequent das Strafrecht anwendet und Straftäter gleich welcher Couleur entsprechend unserer Gesetze verfolgt und auch verurteilt . Zum Beispiel haben wir in § 130 StGB Volksverhetzung mit einer Strafe von immerhin bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug belegt . Wir haben in § 131 StGB die Gewaltdarstellung unter Strafe gestellt . Ein weiteres Beispiel ist, dass nach § 166 StGB die Beschimpfung von Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen unter Strafe gestellt ist . Auch Kollege Ullrich hat auf die Strafverschärfungen im letzten Jahr hingewiesen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich kann Ihren Antrag und Ihre Beweggründe sehr gut nachvollziehen . Sie zeichnen aber im Antrag das Bild eines inaktiven Staates, der sich der Herausforderung „Stärkung der Demokratie“ nicht stellen würde .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Woltmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte .

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Woltmann, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Straftaten, die sich gegen die Religionszugehörigkeit von Personen richten, zu Recht geahndet werden müssen . Wie erklären Sie sich vor diesem Hintergrund, dass bei der Definition von Hasskriminalität in § 46 StGB durch die Große Koalition das Kriterium der Religion anders als beim Volksverhetzungsparagrafen nicht vorkommt?

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte jetzt nicht der Justiz vorgreifen oder mich über die Gewaltenteilung hinwegsetzen . ({0}) - Ich habe nur auf die Paragrafen hingewiesen, die wir haben . Wenn wir merken, dass wir da eine falsche Position haben, werden wir uns sicherlich noch einmal kritisch fragen, ob wir unsere Position eventuell überdenken müssen . Insofern bin ich Ihnen dankbar, dass wir dieses Thema hier diskutieren; wir werden es auch in den Ausschüssen intensiv weiter diskutieren . Dass wir dort eine andere Position einnehmen müssen, will ich gar nicht ausschließen . Auch meine Position ist, dass wir alles tun müssen, um dieser Hasskriminalität oder diesem Hasspotenzial wirklich stark entgegenzuwirken . Ich will der Diskussion in meiner Fraktion nicht vorgreifen, aber ich denke, dass wir alles dafür tun müssen, um letzten Endes den Auswüchsen, den schlimmen Entwicklungen, die es gibt, entgegenzutreten . Das ist erst einmal meine Position . ({1}) Ich habe vorhin gesagt, dass ich es nicht gut finde, dass Sie in Ihrem Antrag das Bild eines inaktiven Staates malen und zum Ausdruck bringen, wir würden noch nichts tun . Dem muss ich widersprechen . Die Bundesregierung erstellt sorgfältig und regelmäßig umfassende Lagebilder zu rechten Straftaten . Ich finde es nicht richtig, ich finde es sogar unerhört, wenn Sie in Ihrem Antrag unterstellen, das Bundeskriminalamt und andere Organe würden ungenau arbeiten, und es gebe - jetzt zitiere ich aus Ihrem Antrag - „Kumpanei, Durchstecherei zu Gunsten von Rechtsextremisten . . . durch einzelne Beschäftigte in Sicherheitsbehörden“ . Wenn Sie diese für mich ungeheure Behauptung aufstellen, dann müssen Sie schon auch Ross und Reiter nennen und sagen, wo jemand das so getan hat . ({2}) Sie sprechen in Ihrem Antrag von „Angst-Räumen“, davon, dass durch rechtsextreme Bestrebungen in Regionen, Orten, Ortsteilen die staatliche Ordnung außer Kraft gesetzt wird . Das geschieht nicht nur von der rechten Seite, sondern auch von anderen Seiten . Ich fand es erschreckend, von Polizisten aus Neukölln oder auch aus Duisburg-Marxloh zu hören, wie dort mit der Polizei umgegangen wird . Das können wir so nicht dulden . Der Bund hat mit dem Haushalt 2016 einen beträchtlichen Stellenzuwachs bei der Bundespolizei beschlossen . Wir werden bis 2018 3 000 neue Stellen schaffen . Jetzt sind aber auch die Länder gefordert, ihren Beitrag zu leisten und bei der Polizei wieder mehr einzustellen . ({3}) Ich glaube, da ist in der Vergangenheit zu viel gespart worden . Wir können die Länder nur auffordern, bei der Polizei wieder mehr einzustellen . Einige Länder tun das bereits . Wir sollten allen Polizisten und Polizistinnen unseren Dank aussprechen - ich möchte das hier tun -; denn sie sind es, die tagtäglich ihren Kopf für uns und für unsere Sicherheit hinhalten . Wir brauchen als starke Demokratie auch eine flächendeckende Aufklärung . Völlig inakzeptabel ist für mich das Vorgehen in Schleswig-Holstein, wo Fälle geringfügiger Straftaten nicht mehr an die Staatsanwaltschaft übergeben werden sollen . ({4}) Das ist für mich ein Schlag ins Gesicht jedes billig und gerecht denkenden Bürgers . Das kann ich so nicht akzeptieren und nicht nachvollziehen . ({5}) Die Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit zur Demokratiestärkung geschieht schon auf vielfältige Weise auf allen Ebenen . Lassen Sie mich Beispiele nennen: Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und der Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend existieren bereits in vielen Bundesländern Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt . Das Bündnis für Demokratie und Toleranz, in dessen Beirat ich mitarbeiten darf, und der Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie“ engagieren sich gemeinsam bundesweit durch das Portal „Demokratie vor Ort“ . Sämtliche Initiativen, die den Bürgern ein demokratisches Engagement innerhalb unserer Gesellschaft anbieten, werden auf diesem Portal aufgeführt und rufen zum Mitmachen auf . Vom Sport bis hin in die Kultur fördert der Bund Demokratieprojekte . Der Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“ wird jährlich vom BfDT ausgeschrieben und zeichnet die Vielfalt zivilgesellschaftlichen Engagements aus . Letztes Jahr sind 327 Wettbewerbsbeiträge eingegangen . Das war eine Steigerung um mehr als 10 Prozent im Vergleich zum Jahr 2014 . Ebenso wird die Auszeichnung zum Botschafter für Demokratie und Toleranz, die jedes Jahr am Tag des Grundgesetzes, am 23 . Mai, verliehen wird, sehr gut angenommen . Auch über die Bundeszentrale für politische Bildung - Kollege Volker Ullrich hatte bereits darauf hingewiesen - wird sehr viel unternommen . Wir brauchen eine starke Demokratie, und eine starke Demokratie braucht klare Strukturen . Die Vermittlung von Chancen und Werten, die eine offene und vielfältige Gesellschaft bietet, muss auch über die Kitas und die Schulen erfolgen. Auch hier sind die Länder in der Pflicht; denn Bildung ist Ländersache .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Woltmann, Sie denken an die Zeit?

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben mich erschreckt .

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das tut mir leid . Das wollte ich nicht . ({0}) Ich wollte Sie nur auf die begrenzte Redezeit hinweisen .

Barbara Woltmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004447, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sofort fertig . - Ich rede nicht nur von Präventionsarbeit im Bereich Rechtsextremismus . Wir müssen den Salafismus, den Islamismus, den Linksextremismus genauso in den Blick nehmen . Ich sehe hier die islamischen Verbände in der Pflicht, ebenfalls ihren Beitrag zu leisten, zum Beispiel gegen Hassprediger . Wir stehen vor einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe . Alle staatlichen und zivilgesellschaftlichen Stellen sind aufgefordert, aktiv für unsere Demokratie einzutreten . Ich glaube, wir brauchen auch einen gesellschaftlichen Diskurs über die Frage, wie wir zusammenleben wollen, wie wir mit Minderheiten umgehen, und auch darüber, wie wir mit Egoismen umgehen, die immer mehr um sich greifen . Diesen gesellschaftlichen Diskurs halte ich für dringend geboten . Vielen Dank . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Sönke Rix spricht jetzt für die SPD . ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal - weil in den vorherigen Reden häufig die Polizisten und die Situation in der Bildungspolitik angesprochen worden sind und gesagt wurde, dass die Verantwortung bei den Ländern liege - unterstreiche ich das, was Sie gerade eben gesagt haben, Frau Kollegin: Mein Dank geht an alle Polizisten, die gerade angesichts der jetzigen Herausforderung, gerade in der jetzigen Zeit sehr viel zu tun haben . Dieser Dank sollte vom ganzen Hause kommen . ({0}) Mein Dank gilt auch den Lehrkräften und denjenigen, die im Bildungsbereich unterwegs sind und die im Wirtschaftspolitikunterricht, im Sozialkundeunterricht, im Gemeinschaftskundeunterricht demokratische Werte vermitteln, Demokratie vermitteln . Auch das ist in der heutigen Zeit und gerade im Fokus auf die aktuelle Situation keine einfache, aber eine besonders wichtige Aufgabe . Gerade jetzt sollten junge Menschen über die Situation aufgeklärt werden . ({1}) Es wird in diesem Zusammenhang häufig gesagt, dass deshalb jetzt auch die Länder gefragt sind, in diesen Bereichen mehr zu investieren, mehr Personal für Polizei und Bildung zur Verfügung zu stellen . Diese Forderung richtet sich natürlich in erster Linie immer, je nachdem, von wem es gesagt wird, an die Länder, in denen die eigene Partei gerade nicht regiert . Ich will aber zumindest dazusagen, dass die jetzigen Aufwüchse, die es in den meisten Bereichen in den vergangenen Jahren, ganz besonders in den letzten drei Jahren, tatsächlich gegeben hat, deshalb notwendig waren, weil die Einsparungen, insbesondere in Niedersachsen zum Beispiel, vor fünf Jahren vorgenommen worden sind, und da waren noch andere verantwortlich . Also: Der Finger, der auf die aktuellen Landesregierungen zeigt, zeigt immer auch auf einen selbst . ({2}) Deshalb sollten wir das vermeiden und uns insgesamt für mehr Personal starkmachen . ({3}) - Genau, auch da hat die Union einmal regiert, und wir mussten da einiges aufholen . ({4}) - Ich habe gerade eben gesagt, wir sollten es nicht tun . Aber schön, dass Sie es doch wieder tun . Das ist das Zeichen dafür, dass Sie nicht wollen, dass man gemeinsam für mehr Personal kämpft, sondern dass sie immer noch mit den Fingern auf die anderen zeigen wollen . ({5}) Meine Damen und Herren, ich will noch einmal den Fokus auf eine Partei richten, die im Moment alle hinter sich versammelt, die frustriert sind oder die mit der Situation nicht zurechtkommen . Einige davon sind sich vielleicht gar nicht bewusst, hinter welcher Partei sie sich da versammeln, nämlich der AfD . Die AfD vertritt rechtsextreme Positionen . Wenn sogar Herr Henkel, der damals die AfD mit gegründet hat, sagt: „Wir haben ein Monster geschaffen“ - er ist aus diesem Grunde ausgetreten - und wenn Herr Höcke sich darüber beschwert, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, weil man keine Nazisymbole zeigen darf, dann ist ganz klar: Bei der AfD handelt es sich um eine rassistische und rechtsextremistische Partei . Das sollten wir auch nicht kleinreden und irgendwie relativieren, sondern wir sollten als demokratische Parteien, die wir hier in diesem Hause vertreten sind, geschlossen darauf antworten . ({6}) Die Antwort auf die AfD darf nämlich nicht sein, dass man sagt: Na gut, die etwas harmloseren Forderungen von denen sind ja gar nicht so schlimm, die übernehmen wir einfach . Nein, Antwort muss sein, dass alle Demokraten geschlossen sagen: Mit der AfD machen wir nichts gemeinsam . Die AfD ist eine rechtsextreme Partei . Sie hat in diesem Lande, in diesem Haus und in allen anderen Parlamenten nichts zu suchen . ({7}) Wer die einfachen Antworten von der AfD übernimmt, der verlässt - das sollten wir nicht zulassen - auch den geschlossenen Kreis der Demokraten . Diese Geschlossenheit haben wir in den letzten Jahren eigentlich immer sehr hochgehalten . Meine Damen und Herren, ich will auch noch auf die Fragestellung eingehen, ob wir heute eigentlich über Linksextremismus, Salafismus oder Rechtsextremismus reden . In dem Antrag ist sehr eindeutig formuliert, was heute das Thema ist . ({8}) Das heißt mitnichten, dass man nicht auch über die anderen politischen Straftaten und die anderen politischen Extremisten diskutieren darf . Es aber immer wieder in diese Debatte mit einzubauen, ist eine Relativierung dessen, worüber wir hier eigentlich streiten müssen . Deshalb fordere ich Sie auf, dass wir, wenn wir über Nazis bzw . Rechtsextremismus sprechen, auch darüber bzw . über geeignete Maßnahmen gegen Nazis - und nicht gegen andere - diskutieren . ({9}) Wir haben ja im Hinblick auf Demokratie einen Konsens . Und wir haben einen Konsens, dass wir insgesamt gegen extremistische Gewalt angehen müssen . Aber warum immer diese Relativierung? ({10}) Wir machen es bei anderen Straftaten bzw . anderen Dingen auch nicht so, dass wir immer wieder auf andere Bereiche eingehen . Das sollten wir lassen; denn das hilft nur denen, die sagen: Wir sind ja gar nicht so schlimm, es gibt auch noch andere, schlimmere Sachen . ({11}) Voraussetzung für den Kampf gegen rechts ist auch eine starke Zivilgesellschaft. Ich finde es schon richtig, dass auch der Staat diese Zivilgesellschaft unterstützt . Es ist Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen - auch rechtlicher Art - zu setzen sowie finanzielle Mittel zu geben, damit die Zivilgesellschaft tatsächlich stark sein kann . ({12}) - Es gab dazu heute schon Fragestellungen, wie viel Geld denn dafür nötig ist und ob die Zivilgesellschaft so etwas eigentlich alleine machen sollte. Ich finde, der Staat hat die Aufgabe, die Zivilgesellschaft zu unterstützen . ({13}) - Das haben wir auch gemeinsam gemacht . Wir haben zum Beispiel gemeinsam die Mittel im Programm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesfamilienministeriums erhöht; das ist auch gut so . Deshalb geht abschließend mein Danke an all diejenigen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren . Das sind nicht nur diejenigen, die an den runden Tischen gegen rechte Gewalt sind oder bei Demonstrationen von Pegida und AfD Gegendemonstrationen organisieren . Es sind auch die Flüchtlingshelfer selbst . Die tragen dazu bei, dass Rechtsextremismus nicht wieder in großem Maße Bestandteil der Gesellschaft wird . Sie sind die Multiplikatoren für Demokratie und Toleranz . Deshalb sollten wir diese engagierten Menschen auch weiterhin kräftig unterstützen . ({14}) Aber auch jeder Einzelne von uns ist in Bezug auf seine Äußerungen und Taten bzw . bei seinen Diskussionen in der Nachbarschaft und der Familie gefragt, gegen Nazis bzw . Rechtsextreme - also auch gegen die AfD - zu agieren . Ich will ein positives Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen . Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Schlagzeile „Im Kreis Rendsburg-Eckernförde gibt es keinen Platz für die AfD“ gelesen habe . Das ist das Resultat mehrerer Anfragen nach großen Veranstaltungsräumlichkeiten und Gaststätten, in denen die AfD gerne Veranstaltungen durchführen wollte . Alle Betreiber von Veranstaltungsorten und Gaststätten haben gesagt: Nein, wir wollen die AfD nicht haben . - Das hört man öfter . Die Vertreter, bei denen angefragt wurde, haben sich in der Öffentlichkeit aber auch wie folgt geäußert: Nein, wir wollen die nicht deshalb nicht haben, weil wir keine Unruhe haben wollen . Vielmehr haben sie ganz deutlich Position bezogen und festgestellt: Wir stehen nicht zu den Inhalten der AfD, wir wollen keine Rechtsextremisten in unseren Häusern . - Für so viel zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit und für so viel Demokratiebewusstsein sage ich Danke . Davon brauchen wir mehr . Herzlichen Dank . ({15})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Bevor ich jetzt gleich dem Kollegen Jörg Hellmuth für die CDU/CSU das Wort erteile, darf ich den Hinweis geben, dass die vereinbarten Redezeiten keine Richtwerte sind, sondern eingehalten werden sollten . ({0}) Bitte schön . ({1})

Jörg Hellmuth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004299, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, rechtsextreme, rechtspopulistische und rassistische Hetze bzw . die Zahl der Kräfte, die diese verbreiten, nehmen zu . Diese Entwicklung erfüllt uns alle mit großer Sorge . Der Rechtsstaat mit all seinen Mitteln ist hier gefragt . Er hat natürlich die Aufgabe, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten . Der Bundestag - Kollege Ullrich hat das hier angeführt - hat in den letzten Wochen und Monaten das eine oder andere auf den Weg gebracht . Ob das schon ausreichend ist, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen . Die Tendenz zu rechtspopulistischer und rassistischer Hetze gibt es nicht erst seit gestern oder heute - es ist eine längere Entwicklung -; aber aufgrund der Übergriffe auf viele Asylunterkünfte hat man im Moment den Eindruck, dass wir hier eine völlig neue Dimension erreicht haben . Wie auch in anderen Städten fanden in meinem Wahlkreis in den letzten Jahren mitunter Demonstrationen der NPD statt . Der Ablauf war immer der gleiche: Der Ankündigung einer Demo der NPD folgte die Ankündigung einer Gegendemo durch Linksextreme . ({0}) Trotz diverser Kooperationsgespräche kam es zu Gewaltexzessen . Im Vorfeld wurde veranlasst, dass ein Großaufgebot der Polizei vor Ort ist, ({1}) die in jedem Fall die öffentliche Sicherheit gewährleisten konnte . Aber ich frage mich: Zu welchem Preis? ({2}) Wir im Bund haben im letzten Haushaltsjahr reagiert, haben 3 000 zusätzliche Stellen in der Bundespolizei geschaffen . Auch bei den Ländern gibt es ein Umdenken . Insbesondere in den neuen Bundesländern ist die Formel, dass die demografische Entwicklung zu einer Abnahme der Zahl der Polizeikräfte führt, außer Kraft gesetzt . Das ist so; daran führt im Moment kein Weg vorbei . Wenn man sich überlegt, dass selbst Fußballspiele der dritten und vierten Liga mittlerweile als Hochsicherheitsspiele eingestuft werden, dann fragt man sich: Wo soll das noch hinführen? Angesichts dieser Umstände habe ich mich des Öfteren gefragt: Wird es in Zukunft überhaupt noch genügend Jugendliche geben, die bereit sind, ihren Dienst bei der Polizei zu tun? Wir müssen also nicht nur das Personal aufstocken, sondern es auch mit modernsten Materialien ausrüsten . Auch hier haben wir im Haushalt das ein oder andere mit auf den Weg gebracht . Ich will einen anderen Aspekt benennen . Als wir mit der Arbeitsgruppe Innen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor einigen Monaten die Bundesbereitschaftspolizei in Fuldatal besuchten, bin ich mit einem Polizeiführer ins Gespräch gekommen, der gerade von einem Wochenendeinsatz aus Bayern zurückkam - das war im Herbst letzten Jahres -: viele Überstunden, Tag und Nacht Einsätze . Es war für ihn ein besonderes Ereignis, als ihm Flüchtlinge, mit denen er ins Gespräch gekommen war, sagten, dass sie auf ihrem langen Weg über die Balkanroute das erste Mal einen freundlichen Polizisten erlebt haben . Das sollten wir uns auch in Zukunft erhalten . Unsere Polizei kann auch zukünftig ein Stück dazu beitragen, dass in anderen Ländern, insbesondere der Europäischen Union, ein Umdenken bei der Polizeiarbeit erfolgt . ({3}) Wo liegen die Ursachen für die Entwicklung? Wie kann man gegensteuern? Ich denke, wir sind uns einig: Ein Patentrezept gibt es nicht . Aber ein, wenn nicht der Ansatz - einige meiner Vorredner sind schon darauf eingegangen -, ist sicherlich das Thema Bildung . Es muss gelingen, jedem Jugendlichen einen Schul- bzw . Berufsabschluss zu ermöglichen . Viele Schulen in meinem Wahlkreis haben das auf ihrer Agenda . Nachdem die Zahlen Ende der 90er-Jahre besorgniserregend waren, was den Anteil Jugendlicher ohne Abschluss betraf, haben wir jetzt wieder eine positive Entwicklung . Ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass wir in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren viele Millionen Euro in unsere Schullandschaft investiert haben . Trotz leerer Kassen haben wir, die kommunalen Spitzenverbände und das Kultusministerium gemeinsam Programme entwickelt, mit denen es insbesondere gelang, Strukturmittel der EU umzuleiten . Wie gesagt, hier sind wir in den letzten Jahren einen wesentlichen Schritt vorangekommen . In Ihrem Antrag, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen, heißt es unter Punkt 5 „Zivilgesellschaftliches Engagement schützen“ . Das ist wichtig, keine Frage . Ich will Ihnen aus meinem Wahlkreis ein Beispiel für ein solches zivilgesellschaftliches Demokratieprojekt nennen . In meinem Wahlkreis befindet sich der Geburtsort Otto von Bismarcks, dessen 200 . Geburtstag letztes Jahr gefeiert wurde . ({4}) Seit einigen Jahren gibt es einen Kooperationsvertrag zwischen Gemeinde, Landkreis, Land und der bundeseigenen Otto-von-Bismarck-Stiftung, ({5}) übrigens die einzige Außenstelle einer der Politikergedenkstiftungen in den neuen Ländern . Insbesondere zum Geburtstag des ehemaligen Reichskanzlers fanden in den letzten Jahren Demonstrationen der sogenannten „ Bismarck-Freunde“, nachweislich hauptsächlich NPD-Mitglieder, statt . ({6}) Die Leiterin der Otto-von-Bismarck-Stiftung vor Ort und ihre Mitarbeiter haben das Projekt „Kunst für Demokratie“ initiiert . Immer zum Geburtstag werden die legendären Kanonen eingehüllt, und es finden Theateraufführungen statt . Man hat damit erreicht, dass die „Bismarck-Freunde“ keine Kulisse für ihren Aufmarsch bekommen . Zum 200 . Geburtstag im letzten Jahr wurde ein weiteres Projekt von der Grundschule des Ortes initiiert: „Kunst öffnet Türen“ . Dort haben zahlreiche Vereine der Gemeinde und der umliegenden Orte Türen gestaltet und den Park damit zugestellt ({7}) - aber auch: für Demokratie -, um auch hier der NPD keine Kulisse zu bieten . Unter Punkt 10 sprechen Sie sich in Ihrem Antrag für eine Quote für Beschäftigte mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst aus . ({8}) Ich möchte davor warnen, dies umzusetzen . Meine eigene Erfahrung über viele Jahre in einer öffentlichen Verwaltung, wo wir nachweislich auch Mitarbeiter mit Migrationshintergrund eingestellt haben, die sich aber einem normalen Auswahlverfahren unterwerfen mussten, ist, dass man keinen bevorzugen sollte . Und wir sind in keinem Fall von denjenigen, die wir eingestellt haben, enttäuscht worden . Insofern können wir den einen oder anderen Punkt sicherlich noch in den Ausschusssitzungen debattieren . Vielen Dank . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der Kollege Matthias Schmidt für die SPD . ({0})

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hellmuth, in Sachen Bismarck haben Sie ja furchtbar viel Anlauf genommen, bis Sie am Ende zum Projekt gekommen sind . Ich glaube aber, das Projekt „Kunst für Demokratie“ war wirklich gut . ({0}) Aber so ganz genau habe ich es nicht verstanden . ({1}) Worüber ich aber sehr ernsthaft mit Ihnen reden möchte, ist: Sie kommen doch aus Sachsen-Anhalt, und Sie haben Wahlen vor der Tür . ({2}) Ich möchte Ihnen empfehlen, die Augen aufzumachen . Es ist 1998 in Sachsen-Anhalt der CDU ja schon einmal so gegangen, dass sie am Tag nach der Wahl wachgeworden ist, und die DVU hatte ein Wahlergebnis von unsäglichen 12,9 Prozent . Machen Sie bitte die Augen auf! Die Feinde der Demokratie stehen rechts . Von dort wird unser Rechtsstaat bekämpft, und dort müssen wir gemeinsam hin . ({3}) Wenn Sie von einer NPD-Kundgebung aus Ihrem Wahlkreis berichten und dann nur zu erwähnen wissen, dass es eine Gegendemo von Linksextremen gab, die Gewaltexzesse produziert hätten, läuft da etwas grundlegend falsch . ({4}) Ich glaube, in all unseren Wahlkreisen gibt es diese Situation, dass „besorgte Bürger“ unter dem Deckmantel der NPD oder andersherum die NPD unter deren Deckmantel Demonstrationen anmelden . Da müssen wir als Demokraten gemeinsam zusammenstehen und unsere Werte verteidigen . Das erwarte ich von Bundestagsabgeordneten . ({5}) Ich komme zum Thema . ({6}) Im Titel des Antrags heißt es: „Demokratie stärken“ . Genau darauf möchte ich meinen Schwerpunkt legen . Ich beginne mit einem Zitat von Pastor Martin Niemöller, deutscher Theologe, christlicher Widerstandskämpfer und U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg . Er hat einmal in einem Interview sinngemäß gesagt: Die einzig wahre Demokratie gab es auf meinem U-Boot . Das ist ein Satz, der sehr nachdenklich macht . Warum gibt es Demokratie im Zusammenhang mit Militär? Ich habe mir seinerzeit sein Buch Vom U-Boot zur Kanzel aus einem Antiquariat besorgt . Es ist sehr interessant, das nachzulesen . Möglicherweise macht es gerade die Schicksalsgemeinschaft auf einem U-Boot erforderlich, demokratisch zusammenzustehen, sich gegenseitig zu motivieren und sein eigenes Überleben zu sichern . Das Beispiel von Niemöller zeigt uns: Demokratie gibt es nicht nur hier im Parlament, im Bundestag, in den Landtagen, in den Kommunalparlamenten oder im Europaparlament, sondern Demokratie gibt es im Alltag im Großen und im Kleinen an ganz vielen Stellen . Es gibt Demokratie in der Familie - so hoffe ich zumindest -, in der Schule bei der Abstimmung über den Wandertag oder über die Klassenfahrt und gerne auch beim Elternabend . Es gibt Demokratie in Sportvereinen, die ich gern als die Schule der Demokratie bezeichne, im Bürgerverein, im Chor und auch im Kirchenkreis und mitunter am Arbeitsplatz . Das zeigt uns das Beispiel von Niemöller; das kann für uns alle als Arbeitgeber Mahnung sein . Wir haben das Potenzial der Demokratie in der Gesellschaft noch nicht ausgeschöpft, und wir sollten alle weiter daran arbeiten, das zu tun . Unser Staat schafft an vielen Stellen zahllose Möglichkeiten der gleichberechtigten Teilhabe . Einige Beispiele habe ich genannt . Gleichwohl müssen wir erleben, dass immer weniger Menschen ihre demokratischen Rechte wahrnehmen, und das an einer Stelle, wo es uns allen wehtut, nämlich bei den Wahlen . Das macht uns allen Sorgen, und wir müssen sehen, wie wir damit umgehen . Ein Teil der Menschen geht leider nicht mehr zur Wahl, weil sie die Demokratie radikal ablehnen, weil sie ein anderes System wollen . Wir kennen das aus unserer Geschichte . Der Staat muss darauf reagieren, einerseits mit Repression . Das NPD-Verbotsverfahren ist ein sehr gutes Beispiel dafür . Ich weiß, wovon ich rede: Die Bundeszentrale der NPD liegt leider in meinem Wahlkreis . Ich saß viele Jahre mit dem seinerzeitigen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt im Kommunalparlament und war dazu verdammt, mir seine rechtsextremen und rechtspopulistischen Thesen anzuhören; aber dafür waren wir gewählt . Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht im März den nächsten Schritt in die richtige Richtung geht und zu einem NPD-Verbot kommt, ({7}) wohl wissend, dass das NPD-Verbot nicht alle Probleme löst - ganz im Gegenteil . Wir müssen weiter zivilgesellschaftlich arbeiten, und dafür braucht es Prävention . Dafür braucht es Demokratiestärkung, die wir - viele Vorredner haben darauf hingewiesen - an vielen Stellen leisten . Eine Stelle ist noch nicht genannt worden: Das sind die Lehrerinnen und Lehrer in unseren Schulen . Sie sind allesamt, egal welches Fach sie unterrichten, ob Sport, Mathe, Geschichte oder Deutsch, Vorbilder der Demokratie und leisten eine prima Arbeit . Dafür ist ihnen zu danken . ({8}) Herr Präsident, ich ahne schon, dass Sie unglücklich wären, wenn ich noch lange weiterredete . Deswegen komme ich direkt zum Schluss . Der Antrag der Grünen greift tatsächlich viele Aspekte auf, die wir für eine Stärkung der Demokratie benötigen . Darüber werden wir in den Ausschüssen weiter diskutieren . Letztendlich geht es darum, das demokratische Bewusstsein und auch Freude an der Demokratie zu wecken . Liebe Gäste auf den Zuschauertribünen, das richtet sich genauso an Sie wie an uns Abgeordnete: Lassen Sie uns gemeinsam etwas bewegen für die Demokratie . Vielen herzlichen Dank . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7553 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist die Überweisung beschlossen . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 6, den ich hiermit aufrufe: Vereinbarte Debatte 25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag Matthias Schmidt ({0}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne gleich die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Patricia Lips für die CDU/CSU . ({1})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung oder, um den offiziellen Titel zu nennen, Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag: Warum eigentlich? Alle Fraktionen und, wie ich glaube, jeder einzelne Abgeordnete waren und sind der gemeinsamen Auffassung, dass der Deutsche Bundestag über das bestmögliche Wissen verfügen sollte, um als Gesetzgeber vor allen Dingen den rasch voranschreitenden wissenschaftlich-technischen Wandel gestaltend begleiten zu können . Es gab und gibt durchaus eine Vielzahl von Räten, Weisen, Kommissionen, Interessenvertretern und vielen anderen mehr, die uns Expertisen zur Verfügung stellen . Der Deutsche Bundestag verfügt darüber hinaus seit jeher auch über Beratungsinstrumente wie Enquete-Kommissionen, Anhörungen oder auch den Wissenschaftlichen Dienst, um Expertisen für die Arbeit der Gremien, aber auch die individuellen Mandatsaufgaben seiner Abgeordneten einzuholen . Damals wie heute gab und gibt es also eher selten den Politiker, der zu wenig Beratung erfährt, ob er will oder nicht . Zumeist handelt es sich bei den beschriebenen Einrichtungen oder Untersuchungen jedoch um einzelne, inhaltlich und zeitlich abgegrenzte Projekte, losgelöst voneinander und auch nicht automatisch eingebunden in die Abläufe des parlamentarischen Betriebes, so wertvoll sie im Einzelnen oft auch sind . Angesichts neuer Dimensionen - ich sagte es bereits - gerade technologischer Entwicklungen mit all ihren potenziellen Auswirkungen waren sich deshalb alle Fraktionen einig, das vorhandene Instrumentarium um ein kontinuierlich arbeitendes Gremium zu ergänzen . Es ging und geht dabei um eine Instanz, die Entwicklungen für die parlamentarischen Prozesse koordiniert, aufarbeitet und entsprechend darstellt, die ihre Aufträge - ganz wichtig - unmittelbar aus den Gremien des Deutschen Bundestages erhält und die bereits bei der Entwicklung der Themen im ständigen Dialog mit den Parlamentariern steht . Der damalige Ausschuss für Forschung und Technologie hat mit Beschluss des Deutschen Bundestages vor 25 Jahren die Aufgabe der Technikfolgenabschätzung als wissenschaftliches Beratungsinstrument für das gesamte Parlament erhalten; er stellt also eine Art Scharnierfunktion bzw . Verbindungsbüro für alle anderen Ausschüsse dar . Darüber hinaus wurde unserem Ausschuss auferlegt, die Grundsätze der parlamentarischen Technikfolgenabschätzung aufzustellen, eine Einrichtung - sprich: ein eigenes Büro - mit der Durchführung zu beauftragen und, falls notwendig, natürlich auch Weiterentwicklungen vorzunehmen . In 25 Jahren bleibt die Zeit ja nicht stehen . ({0}) Damit war der Grundstein für eine jetzt über 25 Jahre andauernde, erfolgreiche wissenschaftlich-technische Politikberatung gelegt . Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, was bedeutet das eigentlich: Technikfolgenabschätzung? Was verbirgt sich hinter dieser Arbeit, die auf der einen Seite eminent wichtig im Hinblick auf Fragen unserer gesellschaftlichen Entwicklung und der Auswirkungen ist, während der sehr sperrige Begriff auf der anderen Seite den allermeisten Menschen in diesem Land günstigstenfalls rudimentär bekannt sein dürfte? Ich komme noch darauf zurück . Das Forschungsgebiet der Technikfolgenabschätzung entstand in den 1960er-Jahren, zunächst in den USA, und es verbreitete sich von dort ab den 1970er-Jahren auch in Europa wie zum Beispiel bei uns . Die Technikfolgenabschätzung befasst sich mit der Beobachtung und Analyse von Trends in Wissenschaft und Technik und den damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere aber - das ist die Hauptaufgabe - mit der Abschätzung sich daraus ergebender Chancen und Risiken . Zudem soll die TA - ich benutze jetzt die Abkürzung - politische Handlungsempfehlungen für die Vermeidung von Risiken und für verbesserte Nutzung von Chancen geben . Ob es sich um Nanotechnologie handelt, um die Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften am Beispiel eines großräumigen Ausfalls der Stromversorgung, um Möglichkeiten und Auswirkungen des 3-D-Drucks - ganz aktuell -, um synthetische Biologie, Mediensuchtverhalten, elektronische Petitionsverfahren oder die Medikamentenentwicklung für Afrika: Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung hat bis heute über 200 Abschlussberichte zu seinen Untersuchungen vorgelegt, die sich intensiv mit den Folgen einer sich rasant entwickelnden Technologie in verschiedensten Bereichen auseinandersetzen . ({1}) Kolleginnen und Kollegen, es ist festzustellen - ich persönlich werte es als überaus positiv -, dass die Nachfrage nach TA-Untersuchungen aus unseren Gremien und den Fraktionen unseres Hauses in den letzten zehn Jahren stark gestiegen ist; das spiele ich von dieser Seite auch einmal in das Plenum zurück . Wir starten gerade wieder eine neue Runde der Abfrage . Dies zeigt, wie intensiv um Themen gerungen wird, wie hoch die Zahl zukunftsrelevanter Bereiche ist und dass diese auch als solche erkannt werden . Von Anfang an wird das Büro beim Deutschen Bundestag - in Kurzform auch „TAB“ genannt - vom heutigen Karlsruher Institut für Technologie betrieben . Was Vizepräsident Johannes Singhammer sind die Erfolgsfaktoren dieser 25-jährigen parlamentarischen Technikfolgenabschätzung und der Zusammenarbeit gerade mit diesem Institut? Zu nennen sind: der Betrieb des Büros durch eine interdisziplinär arbeitende und ausgewiesene Großforschungseinrichtung, vor allen Dingen natürlich die wissenschaftliche Unabhängigkeit und politische Neutralität, die Möglichkeit des Zugriffs auf externen Sachverstand durch die Vergabe von Gutachten und vor allen Dingen die Kontinuität auf parlamentarischer Seite durch Steuerung in einem ständigen Ausschuss, unserem Ausschuss, sowie die Einrichtung einer sogenannten Berichterstattergruppe aus den Reihen der Parlamentarier . Kolleginnen und Kollegen, das TAB, aber auch wir als zuständiger Ausschuss und stellvertretend unsere vier ständigen Berichterstatterkollegen, stehen sozusagen als parlamentarische Treuhänder für Technikfolgenabschätzung als eine Art Notare in einem Prozess der dauerhaften Probezeit bzw . internen Dauerevaluation . ({2}) Denn das Büro für Technikfolgen-Abschätzung ist natürlich kein Selbstzweck . In jeder neuen Wahlperiode muss sich die TA vorstellen, muss bei neuen Kolleginnen und Kollegen Vertrauen gewinnen und auch die Nützlichkeit unter Beweis stellen . Wir müssen uns immer wieder fragen: Entsprechen die Inhalte und die Ergebnisse der Untersuchungsberichte den Zielen und Wünschen der Antragsteller? Entsprechen Bearbeitungsdauer, Darstellungsweise und Sprache der Berichte den parlamentarischen Bedürfnissen? Wir haben daher auch immer wieder die Gelegenheit für eine Neujustierung und Erweiterung des Aufgabenspektrums genutzt . Wir haben dem Büro Partnerinstitutionen zur Seite gestellt, um die bisher eher klassisch technikzentrierte Arbeit um neue Themenbereiche zu erweitern und eine stärkere Vorausschau zu betreiben oder - in der jüngeren Vergangenheit - die Öffentlichkeit stärker an Ergebnisdiskussionen zu beteiligen . Vor allem Letzteres ist es wert, dass wir noch stärker als bisher das Augenmerk darauf lenken und gemeinsam Methoden für eine verstärkte Wahrnehmung auf dem Weg zu einem gesellschaftlichen Diskurs entwickeln . Lassen Sie mich noch einen kurzen Blick über den Deutschen Bundestag hinaus werfen . Ich sagte es eingangs bereits: Der Begriff und die Arbeit rund um die Technikfolgenabschätzung sind kein rein deutsches Phänomen . Auch die Möglichkeit eines regelmäßigen Austausches mit anderen Parlamenten und Büros macht diese Arbeit im Vergleich mit anderen Expertisen so erfolgreich . Der Deutsche Bundestag und sein Büro spielen eine wesentliche Rolle im europäischen Netzwerk der rund 17 Länder mit vergleichbaren parlamentarischen Einrichtungen . ({3}) Vor wenigen Jahren hatten wir die Präsidentschaft dieser Gemeinschaft inne, und nicht nur die Repräsentanten dieser Länder waren bei uns zu Gast, sondern auch Interessierte aus nahezu allen Kontinenten: aus den USA, aus Südamerika, aus Asien und aus Australien . Technikfolgenabschätzung ist zu Recht ein globales Thema . Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits Ende vergangenen Jahres konnten wir unser Jubiläum mit zahlreichen Gästen bei einer vielbeachteten und interessanten Veranstaltung feiern . Mit der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag wollen wir die Arbeit der Technikfolgenabschätzung auch an dieser Stelle würdigen und eine öffentliche Plattform herstellen . ({4}) Verbunden damit möchte ich deshalb auch im Namen unseres Ausschusses dem Büro ausdrücklich danken: Professor Grunwald als Leiter und den Herren Revermann und Sauter als Stellvertreter in Berlin gemeinsam mit ihrem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern . ({5}) Trotz eines annähernd gleichen Etats in den 25 Jahren arbeitet unser TAB bei gleichbleibender Personalstärke, jedoch stetig wachsender Nachfrage nach Beratungsleistungen und neuen Anforderungen im Hinblick auf die Ergebnisermittlung mit großem Engagement auf hohem Niveau . Herzlichen Dank dafür! In der kommenden Zeit ist es nun unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dies so bleiben kann . Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Ralph Lenkert spricht als Nächster für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Immer schneller entwickeln sich Wissenschaft und Technik, immer komplexer werden Zusammenhänge in der Gesellschaft und machen Bewertungen und politische Entscheidungen ohne systematische Analyse fast unmöglich . Seit Mitte der 90er-Jahre eröffnete das Internet uns allen völlig neue Möglichkeiten, aber es beschleunigte auch unser Leben . Es veränderte unsere Arbeit, wurde Bestandteil unserer Freizeit, ermöglichte schnellen Informationsaustausch und öffnete weltweit virtuelle Grenzen . Aber auch Gerüchte, gezielte Desinformationen, Hass und Lügen werden schnell im Netz verbreitet und können Menschen und Gesellschaften manipulieren und im schlimmsten Falle zerstören . Wie sollte man mit dieser Entwicklung umgehen? Braucht es neue Regeln und Gesetze, oder ist Aufklärung der bessere Weg? Für diese Entscheidungen benötigen wir Bundestagsabgeordnete unabhängige professionelle Beratung . Seit 25 Jahren gibt es deshalb die Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag . Wir würdigen mit unserer heutigen Debatte dieses Jubiläum . ({0}) Die Abgeordneten der Fraktionen, die Ausschüsse melden Themen mit Beratungsbedarf an . Wir Berichterstatter treffen dann die schwere Auswahl im Konsens und begleiten die Arbeit des TAB . Ich danke im Namen meiner Fraktion allen Berichterstattern, Ihnen, Frau Lips, als Ausschussvorsitzende, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats des TAB-Büros und allen Partnerinnen und Partnern für die gute Zusammenarbeit . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein konkretes Beispiel zur Arbeit des TAB: Erinnern Sie sich an die heftigen Auseinandersetzungen um CCS, Carbon Dioxide Capture and Storage, den Technologien zur Kohlendioxidabtrennung und -speicherung? CCS sollte Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken und Zementwerken unterirdisch einlagern und somit aus der Atmosphäre heraushalten, um das Klima zu schützen . Aber viele Fragen standen im Raum . Der TAB-Bericht Nummer 120/2007 betrachtete mögliche CCS-Technologien . Er analysierte mögliche Beiträge zum Klimaschutz . Er benannte aber auch, dass Menschen und Tiere bei einem plötzlichen Austreten von CO2 ersticken könnten, dass das Grundwasser kontaminiert werden kann . Diese Erkenntnisse führten zur Ablehnung von CCS bei vielen Menschen, auch bei der Linken . Das TAB-Hintergrundpapier 18/2012 stellte dann fest: CCS rechnet sich finanziell nicht und vor allem: Die Technologien verbrauchen so viel Energie und Ressourcen, dass ein positiver Gesamteffekt für das Klima unsicher ist . Die Bundesländer beschlossen daraufhin den Ausstieg aus CCS . ({2}) Politisch ist CCS somit - auch dank der TAB-Berichte erledigt . ({3}) Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielleicht kennen Sie den Roman BLACKOUT - Morgen ist es zu spät von Marc Elsberg, der sich am TAB-Bericht 141/2010 „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“ orientierte . Hier zwei Problembeispiele aus dem TAB-Bericht und dem Roman: Bei einem flächendeckenden Stromausfall brechen digitale Kommunikation, also Digitalfunk, Internet und IP-basierte Telefonie, innerhalb von Minuten zusammen . Mit Batterien funktionieren analoge Telefonnetze noch zwei Tage ohne externe Stromzufuhr . Das ist beim Internet aufgrund des deutlich höheren Strombedarfs und anderer Endgeräte nicht möglich . UKW- und Mittelwellenfunk kann mit Batterien oder einfachsten Ladegeräten dauerhaft funktionieren . Die vielen notwendigen Umsetzstationen des Digitalfunknetzes mit Notstrom zu versorgen, ist unbezahlbar . ({4}) Die Telekom aber schaltet derzeit trotzdem ihr analoges Telefonnetz aus Profitgründen ab. Polizei und Behörden stellen auf Digitalfunk um, und die alte Technik wird aus Kostengründen entsorgt . Im Moment ist dies bequem, aber im Katastrophenfall wird dies verheerende Auswirkungen haben . ({5}) Das TAB benannte schon vor sechs Jahren die Risiken der heutigen Entwicklung . Die Linke wird jede Entscheidung zum Erhalt oder zur Neueinrichtung der Kommunikationsstruktur für Havarien und Notfälle unterstützen . ({6}) Ein zweites Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie stehen im Supermarkt an der Kasse, und der Strom fällt aus . Elektronisches Bezahlen wird unmöglich, Bargeldzahlung könnte noch funktionieren . Hält der Stromausfall länger an, ist kein Handel, keine Notwirtschaft mehr möglich . ({7}) Die EU stellt nun aber aus Sicherheitsgründen das Bargeld infrage, weil sie vermutet, dass illegale Geldströme, Steuerhinterziehung und Kriminalität ohne Bargeld deutlich sinken könnten . Die bargeldlose Gesellschaft nutzt neben unserer Bequemlichkeit jedoch nur drei Gruppen: Banken, die mehr Transaktionsgebühren einstreichen, Händlern, weil man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einspart, und denen, die uns mit diesen Informationen überwachen oder manipulieren wollen . ({8}) Kriminelle und Steuerhinterzieher werden neue Wege finden, ihre schlechten Absichten umzusetzen. Denen schadet das fehlende Bargeld höchstens temporär . Ich meine, Bargeld ist Schutz vor lückenloser Überwachung und eine Absicherung bei Stromausfall . Der Bericht 141/2010 des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag empfiehlt übrigens, Bargeldreserven für Katastrophenfälle bereitzuhalten . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Internetauftritt des Petitionsausschusses des Bundestages entstanden neue Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe wie öffentliche Petitionen . Als der entsprechende Modellversuch im Jahre 2005 begann, wurde er durch zahlreiche Untersuchungen des TAB begleitet . Die Befragung der Wählerinnen und Wähler durch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag lieferte wichtige Beiträge zur Gestaltung der dauerhaften Plattform epetitionen .bundestag .de . Jede Internetnutzerin, jeder -nutzer kann jetzt Petitionen einstellen, mitzeichnen, diskutieren und die Entscheidungen des Petitionsausschusses nachverfolgen . ({10}) Auch dank des TAB wurde das Portal zum meistbesuchten Bereich des Internetauftritts des Deutschen Bundestages: ({11}) mit über 4 200 Petitionen von allgemeinem öffentlichen Interesse, fast 2 Millionen angemeldeten Nutzern, 250 000 Diskussionsbeiträgen und 3,6 Millionen Petitionsmitzeichnungen . ({12}) Liebe Haushälterinnen und Haushälter, insbesondere von der Union, wir sind uns fraktionsübergreifend einig: Die Technikfolgenabschätzung des Bundestages ist wichtig und unverzichtbar . Seit 2011 wurde der Jahresetat des TAB in Höhe von 2,1 Millionen Euro nicht mehr angepasst . Jetzt haben wir Berichterstatter gemeinsam für 2017 eine Erhöhung vorgeschlagen . Ja, 25 Prozent klingen viel . Aber es ist die erste Erhöhung seit sechs Jahren, und absolut sind es nur 527 000 Euro ({13}) eine verschwindend kleine Summe bei einem Bundesetat von über 300 Milliarden Euro . Auch die Forschungsausgaben stiegen im gleichen Zeitraum um 26 Prozent oder 2,6 Milliarden Euro - bei jährlichen Steigerungen fiel bloß dieser Prozentsatz nicht so auf . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Abgeordnete haben mit der Technikfolgenabschätzung des Bundestages ein wertvolles Instrument. Pflegen wir es! Stellen wir die notwendigen Mittel bereit! Erhöhen wir den Jahresetat des TAB auf 2,6 Millionen Euro - als Geburtstagsgeschenk! Die Linke dankt und gratuliert dem TAB und stimmt der Etaterhöhung zu . ({14}) Ich hoffe, Sie alle schließen sich dem an . Vielen Dank . ({15})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die SPD . ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herzlich willkommen im Plenarsaal des Deutschen Bundestages! Das hier ist wirklich der Platz, wo Gesetze beschlossen werden . Aber es ist nicht der Platz, wo Gesetze gemacht werden . Gesetze entstehen auf ganz unterschiedlichem Wege, beispielsweise wenn uns die Europäische Union Vorgaben macht und wir diese in nationale Gesetzgebung umsetzen - meistens ist das alles in Ordnung und klappt ganz gut - oder wenn ein Bürger in die Bürgersprechstunde kommt und sagt: „Ich habe ein Problem. Ich befinde mich irgendwo in einer Lücke zwischen zwei Gesetzen“, und wir dann versuchen, dafür etwas auf den Weg zu bringen, oder wenn aufgrund politischer Initiativen, indem also beispielsweise die SPD sagt: „Wir sind davon überzeugt, dass es jetzt an der Zeit ist, den Mindestlohn einzuführen, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse in diesem Punkt nicht mehr so sind, wie sie sein sollten“, ein hier eingebrachter Gesetzentwurf, nachdem man sich vorher mit dem Koalitionspartner darauf geeinigt hat, beschlossen wird . Ich finde es übrigens durchaus ärgerlich, wie wir die meisten Gesetzentwürfe - das habe ich an anderer Stelle schon einmal gesagt - vom Text her aufbauen . Oben steht immer der Titel, etwa „Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“, unter A . kommen dann das Problem und das Ziel, unter B . die Lösung, und unter „C . Alternativen“ steht: Keine . - Eigentlich lehrt die Erfahrung des Lebens: Es gibt immer eine Alternative . Handeln steht Unterlassen gegenüber und umgekehrt . Ich finde - das ist an uns gerichtet -: Wir müssen Politik deutlicher erklären und sagen, dass es zu Gesetzentwürfen eine Alternative gibt, möglicherweise auch eine politische Alternative . Wir müssen auch besser erläutern, warum wir uns für einen Weg entscheiden und der andere eben nicht zum Zug gekommen ist . Die beschriebene Alternativlosigkeit - das hatten wir in der vorangegangenen Debatte - müssen wir denen überlassen, die auf den Straßen populistische Sprüche skandieren und glauben, das Recht auf ihrer Seite zu haben oder im Besitz der richtigen alternativlosen Lösungen zu sein . ({0}) Die meisten Gesetze, die wir hier beschließen, erkennen die Situation in der Gesellschaft oder in der Gegenwart an und versuchen, diese zu verändern . Beim Mindestlohn etwa sagen wir: Wir können diese gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr akzeptieren . Wir versuchen, daran etwas zu ändern . Komplizierter ist es, wenn wir über technologische oder gesellschaftliche Entwicklungen reden und vielleicht über Gesetze nachdenken, die noch gar nicht wirklich zustande gekommen sind, die sich in der Zukunft bewegen, wo vielleicht die ersten Pflänzchen und Zeichen sichtbar sind . Das einschätzen zu können, ist schwieriger . Dabei ist ganz klar: Neue Technologien bergen immer Chancen und Risiken, und es geht darum, die Risiken nicht zu ignorieren oder zu verschweigen . Zu einer verRalph Lenkert nünftigen Politik gehört vielmehr, Risiken zu identifizieren, zu verhindern oder vielleicht zu minimieren . Wir leben in einer Zeit rasanter Technikentwicklung, und viele Menschen sind überfordert, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten . Mir geht das auch so . Vor 30 Jahren konnte ich das grüne Tastentelefon der Post - einige kennen es vielleicht noch; damals gab es noch nicht die Telekom - auseinandernehmen, und ich habe einigermaßen verstanden, wie es funktionierte . Beim Smartphone würde ich das heute nicht mehr empfehlen . Vor 30 Jahren konnte man beim Moped noch den Vergaser auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, und meistens lief es danach wieder . Heute ist schon der Glühlampenwechsel beim Auto fast nicht mehr möglich . Es ist alles komplizierter geworden, und Technik ist manchmal auch überfordernd . Deswegen war es ganz klug, dass vor fast 26 Jahren einige weise Kolleginnen und Kollegen - von ihnen ist, glaube ich, nur noch Edelgard Bulmahn im Parlament gesagt haben: Wir wollen nicht unvorbereitet mit sich entwickelnden Technologien oder gesellschaftlichen Entwicklungen umgehen, sondern wir brauchen eine von der Politik unabhängige wissenschaftliche Beratung, die wir beim Bundestag ansiedeln, die aber, was auch richtig ist, nicht weisungsgebunden ist . Wir sollten als Politik nicht in die Berichte hineinfummeln, die unabhängig und wissenschaftsgeleitet erarbeitet werden . Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung soll uns beraten . Es soll sich mit künftigen Technologien befassen, sie bewerten und Handlungsempfehlungen zu unterschiedlichen Wegen geben, die man gehen kann, und Alternativen benennen . Das sind spannende Fragen . Was ist denn eigentlich synthetische Biologie? Ist es eine Gefahr für uns oder eine Chance, wenn es heutzutage möglich ist, in seinem eigenen Badezimmer ein kleines Genlabor aufzubauen und käuflich zu erwerbende Genschnipsel so zu kombinieren, dass möglicherweise etwas Neues entsteht? Sollen wir Geo-Engineering oder Climate Engineering machen, da wir doch wissen, dass nach einem Vulkanausbruch die großen Mengen an Asche, die ausgestoßen werden, dazu führen, dass die Sonneneinstrahlung reduziert wird, und sich, wie wir es nach dem Ausbruch des Pinatubo 1991 erlebt haben, die Erdtemperatur um ein halbes Grad abkühlt? Wäre das nicht eine Möglichkeit, gegen den Klimawandel anzukämpfen, indem man große Mengen von Schwefeldioxid in die Stratosphäre pumpt und die Sonneneinstrahlung reduziert? Die Antwort, um das aufzulösen, hat ein guter Bericht des TAB gegeben: Das macht keinen Sinn, und die Gefahren sind viel zu groß . Aber ich wollte gar keine Antworten geben, sondern fast nur Fragen stellen: Wie ist es, wenn in der älter werdenden Gesellschaft immer weniger Pflegende vorhanden sind? Macht es Sinn, so wie es in Japan schon fast gang und gäbe ist, Roboter bei der Pflege von pflegebedürftigen bzw . älteren Menschen einzusetzen? Oder verschleiern wir damit ein Problem, das auf einer ganz anderen Ebene besteht? Ist es zu empfehlen, eine Gesundheits-App zu haben und regelmäßig Daten über seinen Blutdruck, Puls und die Herzfrequenz zu bekommen, oder ist es nicht eher ein Problem, damit umzugehen, wenn man nicht ordentlich informiert ist? All das sind Fragen, die wir dem TAB gestellt haben und auf die das Büro für Technikfolgen-Abschätzung gute Antworten geben kann, und zwar nicht nur eine oder gar die einzige wahre, sondern es zeigt - das ist auch seine Aufgabe - in der Regel den Politikerinnen und Politikern unterschiedliche Handlungsoptionen und Wege auf, die wir dann beschreiten können . Es ist unsere Verantwortung als Politik, den Weg zu nehmen, der den künftigen Generationen in 20 Jahren noch eine Möglichkeit offen lässt, sich anders zu entscheiden, und die Spielräume erhält, statt heute etwas zuzulassen, das künftigen Generationen keine Entscheidungsmöglichkeit mehr lässt . Wir sollten alles dafür tun - und das TAB hilft uns in unverzichtbarer Weise dabei -, hier keine Entscheidungen zu treffen, die wir nicht mehr zurückholen können . Vielen Dank . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Harald Ebner .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen . Ob das nun von Karl Valentin, Mark Twain oder anderen stammt, es ist auf jeden Fall eine treffende Begründung dafür, warum wir eine erfahrene, professionelle Institution für Technikfolgenabschätzung brauchen . Wie extrem man manchmal bei Voraussagen danebenliegen kann, zeigt vielleicht eine Aussage eines US-Staubsaugerproduzenten aus dem Jahr 1955 . Er meinte, nuklearbetriebene Staubsauger seien wahrscheinlich in zehn Jahren Realität . Zum Glück hat es nie einen Staubsauger mit Mini-AKW gegeben . Mehr noch: Inzwischen ist das Ende der großen Atomkraftwerke in Deutschland längst beschlossener Konsens, sodass in sieben Jahren auch aus den Steckdosen kein Atomstrom mehr - auch nicht für Staubsauger - kommen wird; das ist gut so . Hätten wir beizeiten eine Technikfolgenabschätzung vorgenommen, hätten wir vielleicht nie einen Atomausstieg 2 .0 nötig gehabt . ({0}) Gegen Irrtümer bei der Bewertung neuer Technologien ist niemand gefeit, auch wir nicht . Meine Partei hat ein paar schöne Irrtümer begangen . Vor 30 Jahren waren die Grünen - man stelle sich das vor - gegen die Digitalisierung des Fernsprechnetzes und das Satellitenfernsehen . Auch Computer waren damals für Grüne eine schwierige Sache . ({1}) Heute sind wir offensive Nutzer dieser Technologien . Eine wichtige Aufgabe der Technikfolgenabschätzung ist, die Irrtumswahrscheinlichkeit bei Entscheidungen über Technologien zu senken . ({2}) In anderen Bereichen sehe ich viele unserer kritischen Haltungen allerdings bestätigt . Die bereits genannte Atomkraft und die Agrogentechnik sind zwei Themen, bei denen sich nach anfänglicher Euphorie herausgestellt hat, dass sich diese Technologien nicht bewähren . So wurde zum Beispiel in mehreren TAB-Berichten zum Themenbereich Welternährung schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass nicht die Agrogentechnik, sondern moderne Ökolandbaumethoden für Kleinbauern die Schlüsselstrategie für die Welternährung sind . ({3}) Auch der schon genannte Bericht zum Climate Engineering macht deutlich, dass Ansätze wie Algendüngung keine Alternative zum konsequenten Klimaschutz durch Emissionsreduktion sind . Nicht nur bei den Risiken, sondern auch bei den Chancen von Technologien gibt es manchmal falsche Erwartungen, die zu politischen Fehlentscheidungen führen können . Die Beispiele belegen, wie schwierig es ist, technologische Entwicklungen sowie deren Potenziale und Risiken realistisch einzuschätzen . Je rasanter technologische Entwicklungen verlaufen, desto schwieriger wird es für uns, die entsprechenden Weichenstellungen vorzunehmen . Wir treffen schließlich regulatorische Entscheidungen für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit . Unser Handeln hat immer Auswirkungen auf kommende Generationen . Wir haben hier eine moralische Verpflichtung - der Kollege Röspel hat das bereits gesagt -, auch die Interessen unserer Enkel und Urenkel bei allen Entscheidungen mit zu bedenken und eventuelle Folgen bestmöglich zu ermitteln . Das ist Technikfolgenabschätzung und Nachhaltigkeitsdenken in bestem Sinne . Dafür brauchen wir Spezialisten und Experten, die uns beratend zur Seite stehen . Deshalb war es 1989 tatsächlich eine weise Entscheidung, dass der Bundestag in breiter Einigkeit unter den Fraktionen die Einrichtung einer eigenen Institution beschlossen hat . Konsens war damals auch, dass eine unabhängige Einrichtung zur Technikfolgenabschätzung nötig ist, um nicht länger auf die Expertise der Bundesregierung und ihrer Einrichtungen angewiesen zu sein . Ich finde es bestechend, dass sich das Parlament mit dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung eine Entscheidungs- und Bewertungssouveränität erarbeitet hat . Das halte ich für eine wirklich gute Sache . ({4}) Das TAB soll die Urteilsfähigkeit des Parlaments im Ganzen befördern . So hat es Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner Rede zur TAB-Jubiläumsfeier zu Recht betont . Voraussetzung für die breite Anerkennung der Arbeit des TAB ist, dass diese Arbeit über die Legislaturperiode hinaus getragen wird . Daher ist es so wichtig, dass Entscheidungen zur Projektarbeit vom Parlament unabhängig von den gerade aktuellen Mehrheitsverhältnissen getragen werden . Genau das soll durch das Konsensprinzip im Berichterstatterkreis, der eben die wesentliche Vorarbeit bei der Auswahl der Themen leistet, erreicht werden . So haben Sachargumente - so hoffe und erfahre ich das auch - ein stärkeres Gewicht . Das gegenseitige Zuhören und Eingehen aufeinander hat eine Chance . Ich glaube, an der Stelle ist es auch richtig, dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung, aber auch dem Sekretariat ganz herzlich dafür zu danken, dass sie diesen nicht immer einfachen Konsensprozess mit stoischer Geduld ertragen . Dazu gehört auch ein Dank an die Ausschussvorsitzende Lips, die das immer humorvoll begleitet und moderiert . ({5}) Ich hoffe sehr, dass dieses bewährte Prinzip der Zusammenarbeit auch in Zukunft erhalten bleibt . Und so haben wir das ja auch für diese Wahlperiode erneut in den Grundsätzen für die Arbeit des TAB festgehalten . Wie brennend aktuell unsere Arbeit ist, zeigt sich gerade auch dieser Tage angesichts der Meldungen über Genmanipulation an menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken . Das ist in mehrerlei Hinsicht bedenklich . Es geht um die Eingriffe in die menschliche Keimbahn, um verbrauchende Embryonenforschung . Dieser Vorstoß aus Großbritannien torpediert leider den sinnvollen internationalen Aufruf für ein Moratorium bei Genome Editing am Menschen . Ich bin froh, dass es eine ganz breite Einigkeit in der Wissenschaft gibt, hier vorsichtig zu sein . Das Thema Genome Editing greift auch ein TAB-Bericht auf, der sich mit synthetischer Biologie beschäftigt und uns hier auch Ratschläge an die Hand gibt, wie wir künftig die Risikoregulierung reformieren und die Risikoforschung stärken könnten . ({6}) Der Bedarf an unabhängiger Technikfolgenabschätzung ist heute größer denn je . Die aktuelle Arbeitsliste wurde vom Kollegen Röspel schon umfänglich vorgestellt . Das TAB leistet heute, meine ich, mehr als früher, aber sein Budget ist in diesen 25 Jahren nur einmal minimal erhöht worden . Die Kosten sind allerdings um mehr als 50 Prozent gestiegen . Da bleibt es nicht aus, dass das zulasten der Qualität und zulasten der Arbeitskapazität geht . Da meine ich: Wenn wir die hohe wissenschaftliche Qualität und die Leistungsfähigkeit des TAB erhalten wollen, ist eine Erhöhung der Finanzmittel wirklich das Gebot der Stunde . Ich bin sicher, dass die aktuell zu erarbeitende Halbzeitbilanz des TAB da eine gute Grundlage sein wird, um für den nächsten Haushalt eine Erhöhung hinzubekommen . Wenn wir heute unsere Anerkennung für die TAB-Arbeit in guten Worten ausdrücken, dann ist klar, dass wir dabei nicht stehen bleiben dürfen . Das TAB hat ein Geburtstagsgeschenk verdient . Ich würde mich freuen, wenn das im Konsens aller Fraktionen auf den Weg gebracht werden könnte . Danke schön . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr . Philipp Lengsfeld . ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das werde ich ganz sicher nicht tun, lieber Kollege . Aber vielleicht habe ich ja noch den einen oder anderen überraschenden Punkt in meinen Ausführungen . Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wissenschaftliche Politikberatung ist ein essenzielles und absolut selbstverständliches Tool eines demokratischen Parlaments . Es gibt deshalb viele Beratungsgremien und Instrumente vor und neben der Arbeit des TAB; das ist hier schon erwähnt worden . Aber es gibt Besonderheiten der Konstruktion TAB, die dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag eine spezielle, eine sehr herausgehobene Position zuweisen . ({0}) Ich will hier den einen oder anderen Punkt noch einmal vertiefen; viele Punkte sind ja schon angerissen worden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Besondere am TAB ist nicht, dass hier exzellente wissenschaftliche Gutachten zu wichtigen Themen erstellt werden; ein paar Themen sind ja schon genannt worden . Das ist selbstverständlich . Dies machen - wie schon erwähnt - andere auch . Vielmehr ist das Besondere, dass das TAB ein Instrument des Bundestages ist . Und ja - ich sage es einmal ganz deutlich -, das TAB ist abhängig vom Deutschen Bundestag . Wir geben die Haushaltsmittel . Die Diskussion über diese Mittel führen wir gerade. Aber das finde ich richtig und wichtig; denn selbst wenn man es nicht gerne offen ausspricht: Es gibt keine völlig unabhängige Forschung und Wissenschaft . ({1}) Nein, es kann keine völlig unabhängige Forschung und Wissenschaft geben; denn Forschung und Wissenschaft sind teuer und finanzieren sich nicht von selbst. Dies gilt natürlich auch für wissenschaftliche Politikberatung, die glücklicherweise nicht ganz so teuer ist . ({2}) Die Zahlen sind schon genannt worden . Ich sage es ganz deutlich: Ich bin froh, dass wir mit dem TAB bezahlte Wissenschaftler haben, die aber nicht von der Regierung oder von der heimischen Wirtschaft oder gar von fremden Regierungen oder ausländischen Firmen bezahlt werden, sondern die dem Deutschen Bundestag berichten und niemandem sonst . Der Kern guter wissenschaftlicher Beratung ist gerade nicht, dass man einen völlig unvoreingenommenen Berater findet, der einem dann ungefilterte Wahrheiten präsentiert; denn so einen völlig unvoreingenommenen Berater gibt es nicht, genauso wenig wie es die reine Wahrheit gibt, die man nur irgendwo ausbuddeln müsste . Der Trick ist vielmehr die richtige Anwendung des wissenschaftlichen Prinzips der Konkurrenz und der Überprüfbarkeit von Analysen und Empfehlungen . Dies funktioniert viel einfacher und viel besser, wenn man selber ein Instrument in der Hand hat und wenn klar im Titel genannt wird, wer der Auftraggeber ist . Beides ist beim TAB der Fall . ({3}) Ich nehme einmal ein aktuelles Beispiel aus unserem TAB-Portfolio . Ich freue mich, dass es bis dato noch nicht erwähnt wurde; das hat mich eigentlich gewundert . Ich meine den Bericht zur Sinnhaftigkeit der Zeitumstellungen, wie wir sie in Europa und den USA - ich sage aus meiner Sicht: leider - seit vielen Jahrzehnten haben . Für mich persönlich ist das eine der fragwürdigsten polit-technokratischen Erfindungen des letzten Jahrhunderts. Der Deutsche Bundestag hat das TAB beauftragt, eine Bilanzierung der Sinnhaftigkeit dieser Zeitumstellungen zu erstellen . Der Bericht ist gerade in der Finalisierung . Ich bin sicher, dass er dieses Haus noch beschäftigen wird . Natürlich gab es ganz klar einen Unwillen zum Beispiel in der EU-Kommission oder in vielen Regierungen, sich mit dieser Frage zu beschäftigen . Man machte zwar die Zeitumstellungen, aber hinschauen wollte keiner mehr so genau . Aber wir, das deutsche Parlament, machen es jetzt und nehmen so unsere ureigenste Aufgabe wahr, nämlich Regierungshandeln zu kontrollieren und zu hinterfragen . Es kann ja auch sein, dass herauskommt, dass alles paletti ist . Das glaube ich aber eher nicht . ({4}) Die wissenschaftliche Politikberatung durch das TAB ist dafür ein großartiges Instrument, unser Instrument, und dieses sollten wir pflegen und stärken; das ist hier schon gesagt worden . ({5}) Das TAB ist ein besonderes Instrument, und es hat auch besondere Arbeitsprinzipien . Auch die sind hier erwähnt worden, aber ich will sie noch einmal diskutieren, insbesondere das Konsensprinzip in der Berichterstatterrunde . Das ist sicherlich ein eher ungewöhnlicher Ansatz in der Demokratie, aber ich weiß die tiefere Weisheit des Konsensprinzips beim TAB mittlerweile sehr zu schätzen . Dazu muss man aber verstehen, was im Konsens beschlossen wird und was nicht . Die Berichterstatter des TAB beschließen im Konsens den Arbeitsplan, die Abnahme eines Berichts, und wir schreiben gemeinsam ein Vorwort . Der wichtigste Punkt ist natürlich der Arbeitsplan, also die Themensetzung . Über die Abfrage bei den Fraktionen, Arbeitsgruppen und Ausschüssen werden Themenvorschläge gesammelt . Anschließend werden die Themen bewertet, verdichtet und in Diskussionen mit dem TAB durch die Berichterstatter in ein handhabbares Arbeitsprogramm gegossen . Dann wird es mit zwei Absegnungsdurchgängen so vom TAB umgesetzt . Alle Berichte des TAB sind vom Deutschen Bundestag gewollt . Hätten wir das Konsensverfahren nicht und würde die Themensetzung zum Beispiel analog zur Redezeitverteilung erfolgen, dann würde die jeweilige Mehrheit dominieren und letztendlich jede Fraktion nur ihre eigenen Lieblingsthemen platzieren . Das Konsensprinzip durchbricht diesen Mechanismus zu einem großen Teil und erhöht so nach meinem Eindruck die Akzeptanz und Qualität für alle Berichte . Dies ist so wichtig, weil das TAB auch das Gütesiegel „Deutscher Bundestag“ trägt . Dies wird in der Öffentlichkeit durchaus stark wahrgenommen . Man denke nur daran, welche Wellen die deutlich kleineren Gutachten unseres Wissenschaftlichen Dienstes manchmal schlagen . Andere Gremien der Politikberatung machen auch Gutachten, aber hier erfolgt die Themensetzung teilweise auf eigene Initiative . Das ist ein großer Unterschied . So entstehen auch Gutachten zu, zumindest aus meiner Sicht, eher abseitigen Themen . Ich nenne hier einmal als drastisches Beispiel die Stellungnahme des Ethikrats zur Aufweichung des Inzesttabus in Deutschland . Der große Unterschied in der Genese dieser Gutachten, der für die Bewertung ebenfalls eine gewisse Rolle spielt, wird in der Öffentlichkeit nicht immer so klar wahrgenommen . Das Konsensprinzip der Berichterstatter gilt auch für die Abnahme der TAB-Berichte . Dies sehe ich als wichtiges Instrument der Qualitätssicherung . Es ist übrigens auch ein Grundprinzip wissenschaftlichen Arbeitens, zum Beispiel beim sogenannten Peer Review in Fachzeitschriften oder bei der Bewertung von Doktorarbeiten . Mehrere Reviewer reduzieren die Gefahr von Gefälligkeitsgutachten und Denkschablonen . Das Konsensprinzip funktioniert aber natürlich nur - auch das ist erwähnt worden - bei konstruktiver Zusammenarbeit . Deshalb möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich meinen Mitberichterstattern - die erste Hälfte dieser Debatte über das TAB ist ja praktisch eine Berichterstatterrunde -, dem Ausschusssekretariat und insbesondere der Vorsitzenden Patricia Lips danken . ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konsensprinzip endet aber bei der politischen Bewertung und Nutzung der TAB-Berichte . Auch diese Selbstverständlichkeit spreche ich noch einmal deutlich aus . Hier kann es kein Konsensprinzip geben . Es gibt auch keine einfachen Wahrheiten . Deshalb zeigt das TAB Handlungsoptionen auf und gibt nicht etwa einfache Handlungsrezepte vor, welche der Bundestag nur nachkochen muss . Der Umgang mit diesem Wissen unterscheidet uns ja von autokratischen Herrschaften . Ich habe es hier schon einmal gesagt, wiederhole es aber: Die Aralsee-Katastrophe als direkte Folge megalomanischer Bewässerungsund Kanalprojekte in Zentralasien zu sowjetrussischen Zeiten oder die vermutlich auch sehr dramatischen Folgen des Riesenprojekts Drei-Schluchten-Staudamm in China sind für mich Beispiele für politisch-technische Entscheidungen, wie sie in dieser Form in einer funktionierenden Demokratie nie fallen dürfen oder wo man zumindest sehr viel schneller gegensteuern würde . Dies ist übrigens auch ein Grund - das sage ich jetzt einmal ein bisschen provokativ; Kollege Mutlu, eine kleine Provokation extra für dich -, warum wir in dieser Wahlperiode nach intensiven Diskussionen zum Beispiel ein Gutachten zu den Folgen des massiven Ausbaus von regenerativen Energiequellen in Auftrag gegeben haben . Bei der Nutzung der Gutachten endet das Konsensprinzip; aber es startet die Arbeit für das ganze Haus . Denn natürlich geben wir das Geld für das TAB nicht als Weiterbildung aus . Ich weiß, dass es gerade in der letzten Legislatur auch Unzufriedenheit mit dem Konstrukt TAB gab . Es sind daraufhin jedoch wichtige Weichen gestellt worden. Wir haben jetzt flexiblere, vielfältigere und schnellere Instrumente . Aber der Kernpunkt bleibt: Wir, der Deutsche Bundestag, müssen die Gutachten letztendlich auch nutzen da erwähne ich jetzt einmal rein zufällig das Gutachten zur Zeitumstellung -; das ist das Prinzip wissenschaftlicher Politikberatung: Die Wissenschaftler analysieren die Situation und zeigen Optionen auf; handeln müssen wir aber selber . In diesem Sinne gratuliere ich dem TAB und uns zu 25 Jahren gemeinsamer Arbeit . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr . Simone Raatz . ({0})

Dr. Simone Raatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004380, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der VCI, also der Verband der Chemischen Industrie, hat vor Kurzem eine Studie mit dem Titel „Innovationen den Weg ebnen“ herausgegeben . Die Ergebnisse dieser Studie machen Folgendes deutlich: Wie innovativ ein Unternehmen ist, liegt nicht allein am Unternehmen selbst, sondern auch am gesellschaftlichen Umfeld . Fast 30 Prozent der chemischen Unternehmen beklagen eine ablehnende Haltung zur technischen Entwicklung in unserer Gesellschaft . Das regt zum Nachdenken an . Das sollten wir hinterfragen; denn es schränkt natürlich auch unsere Innovationsfähigkeit ein . Warum ist das so? Wir alle nutzen doch täglich neue Entwicklungen und Technologien und genießen ihr Vorhandensein . Das Smartphone oder unser Auto mit Navigationssystem - man kann vieles mehr nennen - sind doch alltägliche Produkte . All das macht uns das Leben leichter, und wir wollen es nicht missen . Eine mögliche Antwort auf das Verhalten, das die chemischen Unternehmen feststellen, gibt uns das Wissenschaftsbarometer von 2015 . Hiernach meinen 31 Prozent der Befragten, dass die Entwicklung einer neuen Technologie gestoppt werden sollte, wenn sie unbekannte Risiken birgt . Genau hier leistet das TAB-Büro seit 25 Jahren einen ganz wichtigen Beitrag . Das TAB gibt uns Bundestagsabgeordneten - das wurde von meinen Vorrednern hier schon erwähnt -, aber auch anderen Interessierten die Möglichkeit, sich mit naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen bereits im Vorfeld ihrer Realisierung auseinanderzusetzen . Zudem gibt uns die Technikfolgenabschätzung politische Handlungsempfehlungen an die Hand, sodass wir einschätzen können, mit welchen Risiken, aber auch mit welchen Potenzialen wir es zu tun haben . Ich denke, dass das für unsere politische Arbeit - das war hier schon Thema - von unschätzbarem Wert ist . Dafür möchte auch ich an dieser Stelle noch einmal danken . ({0}) Seit seiner Gründung hat das TAB zahlreiche Studien zu den unterschiedlichsten Fragestellungen verfasst und veröffentlicht . Einige Themen haben hier schon eine Rolle gespielt . So sind beispielsweise die Beiträge des TAB zur Bewertung der Grünen Gentechnik sehr wichtig, auch heute noch; ich glaube, der Bericht wurde 2005 veröffentlicht . Gerade in diesem Feld standen und stehen sich Kritiker und Befürworter nach wie vor kompromisslos gegenüber . Das Kuriose ist: Beide Seiten beziehen sich auf wissenschaftliche Studien und untermauern damit im Endeffekt gegenläufige politische Forderungen. Ich denke, das macht für uns die Entscheidung nicht in jedem Fall einfacher . Da ist auf der einen Seite die Industrie, die die Grüne Gentechnik ausschließlich positiv bewertet und mit ihr zum Beispiel die Ernährung einer stark wachsenden Bevölkerung als gesichert ansieht . Auf der anderen Seite befindet sich ein großer Teil der Bevölkerung, der insbesondere negative Auswirkungen auf unser Ökosystem und natürlich auch auf unsere Gesundheit vermutet . Umso wichtiger war und ist es, dass das TAB im Arbeitsbericht 104 dem Deutschen Bundestag und der interessierten Öffentlichkeit eine unabhängige und wissenschaftlich fundierte Sicht auf die kritischen Aspekte, aber auch auf die Potenziale der Grünen Gentechnik aufgezeigt hat . Mein Kollege hat zwar schon einige Sätze dazu gesagt, was „Unabhängigkeit“ bedeutet . Aber ich gehe erst einmal davon aus, dass unser TAB verschiedene Seiten beleuchtet und wir als Auftraggeber dafür sorgen, dass die Unabhängigkeit gewahrt ist . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grüne Gentechnik ist nur eines von vielen Beispielen, die verdeutlichen, dass unsere Bürger zu Recht Transparenz und einen ehrlichen Dialog über den Nutzen, aber auch über die Risiken fordern . Das spielt in der heutigen Diskussion in der Gesellschaft nach wie vor eine zu geringe Rolle . Nur wenn wir den Nutzen und die Risiken gleichermaßen betrachten, stellt sich die Akzeptanz von Innovationen ein . Wenn wir das nicht machen, sind die Leute kritisch und sagen: Ich weiß gar nicht, was auf mich zukommt . - Damit verhindern wir Innovationen . Um diese Akzeptanz herzustellen, ist es besser, die Leute möglichst früh einzubeziehen . Die Forschungseinrichtungen, die Industrie und wir als Politiker müssen darauf hinwirken, dass wir unsere Bürger in aktuelle Entwicklungen einbeziehen, noch bevor vielleicht ein Endprodukt da ist . Wir müssen einen kontinuierlichen Dialog produzieren und die Partizipation der Menschen von Anfang an ermöglichen . ({2}) Im Moment ist es bei vielen Dingen eigentlich eher noch eine Einbahnstraße . Man sagt: Hier habt ihr ein Produkt; das müsst ihr jetzt schön finden. - Dann sagen die Leute: Nein, das finden wir nicht unbedingt schön. ({3}) Da brauchen wir in der Gesellschaft noch mehr Diskussion und Anregungen, auch aus unserem TAB heraus . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiger Partner in diesem gesellschaftspolitischen Prozess ist, wie gesagt, das TAB . Darum bin ich außerordentlich dankbar, dass Edelgard Bulmahn diese Idee auf den Weg gebracht hat - das ist schon erwähnt worden - und Ulla Burchardt das im Endeffekt maßgeblich mit unterstützt hat . An dieser Stelle möchte ich auch dir, Patricia Lips, danken - du stehst heute halt im Mittelpunkt -, danken für dein Engagement, für deine Überzeugungskraft und deine Geduld . An dieser Stelle also noch einmal ein ganz herzlicher Dank an dich! ({4}) Ich bin guter Dinge, dass wir 2040 an gleicher Stelle „50 Jahre TAB“ feiern können . Damit das TAB auch dann auf der Höhe der Zeit ist, müssen wir es nach meiner Meinung konzeptionell weiterentwickeln und auch finanziell auf sicherere Füße stellen. Deswegen danke ich der Opposition insbesondere, dass sie den Vorschlägen zur finanziellen Aufstockung beipflichtet. Das ist ganz großartig . ({5}) Außerdem muss das TAB in die Lage versetzt werden, mehr tagesaktuelle Themen zu bearbeiten und seine wertvolle Arbeit noch breiter in die Öffentlichkeit zu tragen . Ich denke, die Bundestagsabgeordneten können nicht der alleinige Adressat sein . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss . Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung ist ein ganz wertvoller Bestandteil sowohl des Bundestags als auch unseres Ausschusses für Bildung und Forschung . Seine Rolle ist nach meiner Meinung heute noch bedeutender als vor 25 Jahren . Und: Die Bedeutung wächst stetig . Ich würde mich daher freuen, wenn wir weiterhin gemeinsam und vor allen Dingen parteiübergreifend weiter an diesem Diamanten schleifen, um seine Leuchtkraft noch zu verstärken . Vielen Dank . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Stefan Kaufmann, CDU/CSU . ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass auch unsere Ministerin Johanna Wanka dieser Debatte beiwohnt und damit ihre Wertschätzung für diesen Diamanten, wie Sie es, Frau Kollegin Raatz, formuliert haben, zum Ausdruck bringt . ({0}) 25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung beim Deutschen Bundestag: Das sind nahezu 200 vom Bundestag beauftragte Studien zu gesellschaftlich folgenreichen wissenschaftlich-technologischen Entwicklungslinien . Aber auch Enquete-Kommissionen, Bundes- und Landesministerien, Forschungs- und Bildungseinrichtungen, Behörden, Unternehmen und interessierte Öffentlichkeit nutzen die Ergebnisse der in den TAB-Berichten vorgestellten Szenarien und Handlungsoptionen . Dabei ist das deutsche Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag - wir haben es gehört - mit seinen 25 oder genau genommen 26,5 Jahren nicht einmal das älteste . Das OPECST in Frankreich besteht seit 1985 . Die Europäische Union hat bereits 1987 ein TA-Büro, das STOA, eingerichtet, und auch Großbritannien verfügt seit 1989 über ein Parliamentary Office of Science and Technology . Ich denke, wir sind uns einig hier im Raum: Für unsere tägliche Arbeit als Parlamentarier ist die wissenschaftlich fundierte Beratung unerlässlich . Keiner von uns kennt alle Bereiche des medizinischen Fortschritts, neuer Umwelttechnologien oder der neuesten digitalen Entwicklungen . Deshalb ist eine gründliche Technikfolgenabschätzung unglaublich wertvoll . ({1}) Ein Grundproblem der Technikfolgenabschätzung möchte ich kurz ansprechen, das sogenannte Collingridge-Dilemma . Es besteht darin, dass Wirkungen einer Technologie nicht leicht vorhergesehen werden können, solange die Technologie noch nicht ausreichend entwickelt oder verbreitet ist . Das Gestalten und Ändern, also das, was unsere Aufgabe als Politik ist, wird jedoch umso schwieriger, je fester die Technologie verwurzelt ist . In den letzten Jahren sieht sich die Technikfolgenabschätzung zudem genötigt, stärker auf die zunehmenden Partizipationsbestrebungen in der Gesellschaft einzugehen und dafür neue Beteiligungsformen zu entwickeln . ({2}) Allerdings setzt sich die Technikfolgenabschätzung durch eine pauschale Forderung nach mehr Partizipation gelegentlich auch dem Vorwurf der bloßen Legitimationsbeschaffung aus . Auch darüber müsste man vielleicht einmal nachdenken . Weil eben viel zu den Verfahren gesagt wurde, möchte ich noch zwei aktuelle Beispiele zur Arbeit des TAB herausgreifen, die mich besonders beeindruckt haben bzw . die besonders neugierig machen . Erstens ist das die bereits mehrfach zitierte Untersuchung zur Synthetischen Biologie aus dem Jahre 2015 . Seit gut zehn Jahren werden wir mit dem Begriff der Synthetischen Biologie, kurz: SynBio, konfrontiert . So werden Forschungsvorhaben, Methoden und Verfahren zu einem Umbau natürlicher Organismen bezeichnet, die weiter gehen, als dies bisher mithilfe der Gentechnik möglich war . Das BMBF spricht in diesem Zusammenhang von Biotechnologie 2020+ . Darüber hinaus wird auch gerne von Do-it-yourself-Biologie gesprochen . In der Gesellschaft ist dieses Thema jedoch bislang kaum angekommen . Es war das Biotech-Start-up Glowing Plant aus den USA, welches dieses Phänomen der Do-it-yourself-Biologie erst weltweit bekannt gemacht hat . Dieses Start-up will Glühwürmchen-DNA über Bakterien in Pflanzen injizieren und diese so im Dunkeln zum Leuchten bringen . Damit könnte Licht ohne elektrische Energie geliefert werden, was wiederum als natürliche Straßenbeleuchtung dienen könnte - eine irgendwie faszinierende Vorstellung . ({3}) Es wird geschätzt, dass es weltweit etwa 4 000 solcher Biohacker bzw . solcher Start-ups gibt . Für sie ist DNA eine Programmiersprache, mit der sich beliebige Objekte basteln lassen . Für einige ist natürlich die Manipulation von Organismen auch der nächste logische Zivilisationsschritt . Es soll inzwischen sogar ein Start-up geben, das einen 3-D-Drucker für lebendige Dinge bauen will . Ein Mitarbeiter dieses Start-ups wurde mit dem Satz zitiert: „Alles, was lebt, ist nicht optimal . Es kann verbessert werden .“ Oder noch extremer: „Es ist doch offensichtlich, dass irgendwann einmal jeder Mensch an einem Computer entworfen wird .“ Das wiederum, meine Kolleginnen und Kollegen, ist eine eher erschreckende Vorstellung . ({4}) Der hochinteressante TAB-Bericht hierzu zeigt aber auch andere Anwendungen auf. Hierzu gehören modifizierte Viren zur Krebsbekämpfung, genetisch veränderte Stechmücken zur Kontrolle des Denguefiebers sowie die Produktion des Pflanzenstoffes Artemisinin als wichtigem Bestandteil von Malariamedikamenten basierend auf Mikroorganismen mit neu konstruierten Stoffwechselwegen . Angesichts dieser nahezu uferlosen Möglichkeiten - dazu gehört im Übrigen auch die von Emmanuelle Charpentier entwickelte Gen-Schere - sind aus meiner Sicht tatsächlich mehr Investitionen in die Biosicherheitsforschung notwendig, um auch die Gefahren des Missbrauchs von biowissenschaftlicher Forschung im Allgemeinen und von Synthetischer Biologie im Besonderen zu verringern . ({5}) Jedenfalls wird sich der Bundestag aus meiner Sicht in Zukunft noch stärker mit diesem wichtigen Thema beschäftigen müssen . Der TAB-Bericht - da sind wir uns, denke ich, auch alle einig - wird hierzu eine erste wichtige Grundlage bieten . Darüber hinaus bin ich gespannt auf das gerade laufende Untersuchungsprojekt „Mensch-Maschine-Entgrenzungen - Zwischen künstlicher Intelligenz und Human Enhancement“ . Hierbei geht es vor allem um das Thema „Verschmelzung von Mensch und Maschine“ . Durch die extrem schell voranschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft stellen sich hier natürlich weitreichende Fragen . Ich habe im November letzten Jahres der Gründung des Max Planck ETH Centers for Learning Systems in Tübingen beigewohnt . Dort wurden uns selbstlernende Maschinen gezeigt . Sie kennen vielleicht das Spiel, bei dem eine Schnur mit einer Kugel herunterhängt und man versucht, die Kugel durch eine bestimmte Bewegung in ein Loch zu bekommen . Man untersuchte diese Bewegung, und es wurden dort Maschinen gezeigt, die nach mehreren Dutzend solcher Versuche die ihnen gestellte Aufgabe mit einer 100-prozentigen Sicherheit lösen konnten . Weiter wurden Algorithmen vorgestellt, die anhand Zehntausender Beispiele aus der Vergangenheit mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit die nächste Handlung eines Menschen vorhersagen können . Dazu nur eine Zahl: Siri - Sie kennen das vom iPhone - beantwortet pro Jahr - schätzen Sie einmal - 100 Milliarden mündliche Anfragen . Das Wissen, das hier generiert wird, ist natürlich Big Data im besten Sinne und auch ökonomisch von unschätzbarem Wert . Wenn Maschinen aber bereits in der Lage sind, selbst zu lernen und mit einer 100-prozentigen Präzision zu arbeiten, ist zu fragen: Welche Herausforderungen ergeben sich daraus? Und gibt es irgendwann sogar eine Maschine mit einem eigenen Bewusstsein? Wie aktuell all diese Fragen sind - der Kollege hat es schon angesprochen -, wurde mir auch bei meinem Japanbesuch im Oktober letzten Jahres deutlich . Japan steht vor einem demografischen Wandel, der noch viel dramatischer ist als in Deutschland . Die Bevölkerungszahl wird von 130 Millionen auf 100 Millionen heruntergehen . Japan setzt aber nicht etwa auf eine aktive Familienpolitik oder gar auf eine Einwanderungspolitik, sondern ganz massiv auf Robotik . Immer menschlicher werdende Roboter sollen alte Leute pflegen, im Haushalt helfen oder ihnen auch als Begleiter zur Seite stehen . Dieser aus unserer Sicht durchaus befremdliche Ansatz wird dort mit großem Aufwand vorangetrieben . Toshiba zum Beispiel investiert allein in den USA 1 Milliarde Dollar in die Erforschung künstlicher Intelligenz . Meine Damen und Herren, es liegt an uns, die richtigen Fragen aufzuwerfen, die sich mit diesen Herausforderungen verbinden, und entsprechende Aufträge zu erteilen . Ich bin froh, dass uns das TAB hierbei mit großer Expertise und fundierten Analysen zur Seite steht . Dies lassen wir uns übrigens - das Thema Geld wurde angesprochen - durchaus etwas kosten . Ich wünschte mir manchmal lediglich - auch das sei angemerkt - eine etwas kompaktere Fassung der TAB-Berichte . Das soll aber die insgesamt sehr positive Bewertung der Arbeit des TAB überhaupt nicht schmälern . Deshalb auch von meiner Seite aus abschließend ein ganz herzliches Dankeschön an alle Verantwortlichen bzw . Akteure und auch an dich, liebe Patricia Lips, für diese wichtige Arbeit . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr . Kaufmann . - Die nächste und letzte Rednerin in der Debatte ist Dr . Daniela De Ridder für die SPD . ({0})

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Welchen Nutzen bringt das Klonen von Tieren, und welche Gefahren birgt es? Kann die Kernfusion sämtliche Energieprobleme der Zukunft lösen? Welche Perspektiven hat der militärische Einsatz beispielsweise unbemannter Drohnen? Wie beeinflussen die neuen elektronischen Medien das Suchtverhalten von Menschen? Dies - ich komme darauf im Übrigen gleich noch einmal zurück - ist nur ein kleiner Auszug aus den über 100 Untersuchungen, die das Büro für Technikfolgenabschätzung in den vergangenen 25 Jahren durchgeführt hat . Die Analysen geben uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages regelmäßig Hinweise auf der Basis wissenDr. Stefan Kaufmann schaftlicher Erkenntnisse. Diese wiederum beeinflussen unsere politischen Entscheidungen . Sie haben es gehört: 1990 wurde das Büro für Technikfolgen-Abschätzung - kurz TAB genannt - vom Deutschen Bundestag genau mit dieser Absicht eingesetzt . Man wollte ein Gegengewicht zu den von Eigeninteressen beeinflussten Analysen der Wirtschaft schaffen. Der Begriff „Unabhängigkeit“ wurde vorhin schon einmal genannt . Noch eine Überlegung spielte damals eine entscheidende Rolle, liebe Kolleginnen und Kollegen . Man wollte nämlich die Bedenken der Menschen zerstreuen, die die technische Entwicklung mit immer größerer Skepsis betrachten . Heute stehen wir aber möglicherweise an einer anderen Stelle . Wir müssen heute möglicherweise eher fragen: Wie ist es denn mit dem Suchtverhalten in Bezug auf elektronische Medien? Ich will jetzt gar nicht fragen, wer während dieser Debatte, die wir jetzt führen, sein Handy bedient hat und wer noch dabei ist . Ehrlich gesagt, ich sehe sie, und die anderen sehen sie auch . Genau das ist aber möglicherweise ein Phänomen, das es zu beschreiben gilt . Als ich in den 1990er-Jahren noch wissenschaftlich gearbeitet habe, verfolgte mich das Thema der sogenannten kulturellen Diffusion des Handys . Gemeint war dieses Phänomen . Es ist ganz spannend, welche Beispiele Sie aus der TAB-Liste herausgesucht und angesprochen haben . Mich hat insbesondere das Thema des Suchtverhaltens im Umgang mit Handys angesprochen und an das erinnert, was ich selber einmal vorhatte wissenschaftlich zu untersuchen, nämlich die kulturelle Diffusion des Handys . Gemeint ist das Phänomen, dass Leute beispielsweise in Zügen, Straßenbahnen, Cafés oder auch im Deutschen Bundestag - wo auch immer - ihr Handy bedienen, dabei Kündigungen schreiben, Liebeserklärungen und Liebesschwüre abgeben oder vielleicht auch Schluss machen, als ob sie eine Tarnkappe aufhätten . Dieses Phänomen kennen Sie . Wir müssen uns immer wieder fragen: Was bedeutet das eigentlich kulturell, was bedeutet es für die Zukunft, und hat es vielleicht auch etwas mit dem generativen Verhalten zu tun? Genau diesen Fragen ist das TAB nachgegangen . Sie können sich vorstellen, dass es möglicherweise Folgeprojekte gibt . Ich weiß, es ist nicht üblich, an einem Geburtstag Wünsche an das Geburtstagskind zu richten . Ich will es gleichwohl tun . Ich hätte gerade in diesem Kontext zwei Fragen . Vielleicht sollten wir uns, da wir heute einmütig zusammenstehen, überlegen, ob wir das TAB nicht beauftragen wollen, gerade in diesem Kontext zwei kritischen Fragen nachzugehen . Die eine Frage treibt Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit Sicherheit noch mehr um als mich oder meine Fraktion, nämlich die Frage - auch das hat etwas mit kultureller Diffusion zu tun -: Was war eigentlich der Auslöser der Zunahme der Fluchtbewegungen im vergangenen Jahr? Manche in meinem Wahlkreis behaupten allen Ernstes, es seien die Selfies der Kanzlerin gewesen . Man kann das in Abrede stellen; aber man sollte es tatsächlich einmal wissenschaftlich untersuchen . Denn es gemahnt uns alle, wie wir mit unseren Handys umgehen . Eine zweite Frage gehört möglicherweise in diesen Kontext: Wozu führt eigentlich das tägliche Lancieren von Kurzbotschaften, etwa in Drei-Wort-Sätzen über WhatsApp-Gruppen, beispielsweise von Botschaften der AfD? Wie reagieren eigentlich junge Menschen, die noch nicht politisch gefestigt sind, auf solche Botschaften, die möglicherweise einen sehr manipulativen Charakter haben? Das sollte uns in der Tat sehr zu denken geben . Auch hier wünschte ich mir eine entsprechende Untersuchung . In der Tat begrüße ich die Debatte, die wir heute führen, deshalb umso mehr, weil es gilt, dem TAB nicht nur zu danken, sondern ihm auch ganz großes Vertrauen auszusprechen und seine Arbeit zu würdigen . Ich denke, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Leitung des TAB wissen sehr genau, dass wir ihre Arbeit zu schätzen wissen . Dies gilt umso mehr, liebe Patricia, für deine Arbeit . Herzlichen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, liebe Kollegin De Ridder . Ihrem Dank schließe ich mich an . Ich schließe die Aussprache und bedanke mich für be- denkenswerte Anregungen und Fragestellungen in dieser spannenden Debatte . Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. Oktober 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Nutzung und Verwaltung des Küstenmeers zwischen 3 und 12 Seemeilen Drucksache 18/7450 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. April 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die polizeiliche Zusammenarbeit und zur Änderung des Vertrages vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung Drucksache 18/7455 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . - Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e sowie 22 c auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e . Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses . Tagesordnungspunkt 23 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 277 zu Petitionen Drucksache 18/7383 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 277 ist einstimmig angenommen . Tagesordnungspunkt 23 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 278 zu Petitionen Drucksache 18/7384 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 278 ist angenommen mit Zustimmung von CDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen der Linken und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen . Tagesordnungspunkt 23 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 279 zu Petitionen Drucksache 18/7385 Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelübersicht kommen, erteile ich der Kollegin Martina Stamm-Fibich das Wort zu einer ergänzenden Berichterstattung .

Martina Stamm-Fibich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004413, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder zehnte Deutsche leidet unter Harn- und/oder Stuhlinkontinenz . Experten sprechen sogar von einer Volkskrankheit . Dennoch wagen viele Erkrankte nicht einmal einen Arztbesuch, weil die Krankheit ein solches Tabuthema ist . Sie werden durch ihre Scham vom gesellschaftlichen Leben abgehalten . Ein Facharzt sagte zu mir sehr treffend: An Inkontinenz stirbt man nicht, aber sie kann einem das Leben nehmen . - Dabei kann man qualitativ gute Inkontinenzprodukte bekommen, die viele Symptome lindern können . In den letzten Jahren hat sich die Qualität der Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln jedoch massiv verschlechtert . So liegt die Monatspauschale der gesetzlichen Krankenkassen für Inkontinenzhilfsmittel aktuell zum Teil unter 12,50 Euro, aber für eine qualitativ hochwertige, angemessene Versorgung müssten es mindestens 20 Euro sein . Die Konsequenz daraus sind Aufzahlungen, die derzeit zwischen 50 und 100 Euro pro Monat betragen, und die Betroffenen zahlen auf, weil die Produkte, die sie bekommen, in Anzahl oder Qualität einfach nicht ausreichen . Menschen, die viel unterwegs sind, brauchen andere Hilfsmittel als Menschen, die bettlägerig sind . Bei der Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln darf Wirtschaftlichkeit nicht der einzige Maßstab sein . ({0}) Krankenkassen müssen sicherlich nicht die individuelle Farbauswahl der Hilfsmittel bezahlen, aber sie müssen eine Versorgung sicherstellen, die die individuelle Lebensrealität der Betroffenen berücksichtigt . Vor zwei Jahren ist deshalb eine Petition beim Deutschen Bundestag eingegangen, in der die Abschaffung der Pauschale für Inkontinenzhilfsmittel gefordert wird . Stattdessen sollen die Krankenkassen einfach alle Kosten übernehmen, die anfallen . Die Abschaffung dieser Pauschale unterstützt der Petitionsausschuss nicht, aber wir haben das Problem erkannt und werden die Petition zur Erwägung an das Bundesministerium für Gesundheit überweisen . Ziel ist es, die Qualität der Versorgung zu verbessern . Individuelle Bedürfnisse müssen durch die Krankenkassen berücksichtigt werden, und Aufzahlungen für die Patientinnen und Patienten dürfen nur dann vorkommen, wenn der Bedarf über eine angemessene und qualitativ gute Versorgung hinausgeht . Mit dem Votum zu dieser Petition unterstreichen wir bewusst einen Prozess, den wir bereits in Gang gesetzt haben . In den mittlerweile zwei Jahren, in denen mich die Petition begleitet, habe ich das Problem an vielen Stellen deponiert, und die ersten Erfolge sind bereits zu verbuchen . ({1}) So hat die Barmer GEK im Dezember 2015 ihre Ausschreibungen über aufsaugende Inkontinenzmittel gestoppt . Die Krankenkasse setzt nun wieder auf klassische Hilfsmittelverträge . Fast zeitgleich hat der GKV-Spitzenverband angekündigt, dass das Haus die sogenannte Produktgruppe 15 „Inkontinenzhilfsmittel“ im Hilfsmittelverzeichnis überarbeiten wird . Hauptkriterium dieser Überarbeitung wird die Qualität der Produkte sein . Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben den Stein ins Rollen gebracht, aber wir sind noch nicht am Ziel . Auf der politischen Ebene haben wir viele Gespräche geführt . Das Bewusstsein für das Problem rund um die Ausschreibungen ist gewachsen . Derzeit überarbeitet das BMG die Regelungen der HilfsmittelversorVizepräsidentin Claudia Roth gung . An den Ausschreibungen soll festgehalten werden, aber neben dem Preis soll auch die Qualität entscheiden . Das ist der entscheidende Schritt hin zu einer guten Versorgung der Betroffenen . Ich freue mich, dass der Petitionsausschuss hier zu einem einstimmigen hohen Votum gekommen ist . Herzlichen Dank . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank an die Frau Kollegin Stamm-Fibich, die im Namen aller Fraktionen gesprochen hat . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Sammelübersicht 279 auf Drucksache 18/7385 . Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 279 ist einstimmig angenommen . Tagesordnungspunkt 23 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 280 zu Petitionen Drucksache 18/7386 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 280 ist angenommen mit Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Linken . Tagesordnungspunkt 23 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 281 zu Petitionen Drucksache 18/7387 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 281 ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dann sind wir mit den Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses durch, und ich komme zu Tagesordnungspunkt 22 c: Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung KOM({2}) 625 endg.; Ratsdok. 14926/15 hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon ({3}) Drucksache 18/7542 Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke . Dagegengestimmt haben CDU/ CSU und SPD . Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen . Jetzt rufe ich Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stand der Aufklärung und Konsequenzen aus dem Abgasskandal Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu verlassen bzw . einzunehmen, damit wir zügig anfangen können . Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort an Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen . ({4})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Abgasskandal ist jetzt seit fünf Monaten einer breiten Öffentlichkeit bekannt, und inzwischen ist auch klar: Es geht längst nicht mehr nur um VW . VW ist ohne Zweifel die Spitze des Eisbergs, weil man dort mit eindeutig illegalen Methoden versucht hatte, Grenzen für Stickoxidemissionen zu umgehen . Zumindest seit dem Wochenende ist auch die Geschichte in sich zusammengefallen, dass es ein paar wild gewordene Ingenieure im Konzern waren, die diese Manipulation veranlasst haben . Zumindest scheint es so, dass die Konzernspitze davon wusste und das billigend in Kauf genommen und weggeschaut hat . Das ist das Problem bei VW . Aber der eigentliche Skandal ist, dass das System der Manipulation der Abgaswerte und der Überschreitung von Grenzwerten von Abgasen allerorts und bei vielen Automarken stattfindet und, meine Damen und Herren, dass die Branche das nach wie vor billigend in Kauf nimmt . Das können wir nicht länger hinnehmen . ({0}) Jedem sollte jetzt klar sein, warum trotz Euro 4, 5 und 6 die Stickoxidwerte in unseren Städten nicht sinken . Das ist beileibe keine Lappalie, sondern es ist ein gigantisches Industrie- und Umweltproblem . Denn Tausende Menschen sterben in unserem Land an den Folgen von Verkehrsemissionen, und Zehntausende werden krank . Jeder Verkehrsminister dieser Republik müsste alles tun, um diesen Skandal zu bekämpfen und zu lösen, um das Problem aus der Welt zu schaffen . Aber nach fünf Monaten müssen wir feststellen: Was dieser Verkehrsminister Alexander Dobrindt zur Lösung dieses Problems beiträgt, ist gar nichts . Das ist inzwischen der Skandal im Skandal . ({1}) Wir haben im Deutschen Bundestag Dutzende Anfragen zum Thema gestellt, um herauszubekommen, was das Verkehrsministerium denn eigentlich nun in Sachen Abgasskandal tut . Die Antworten, die wir regelmäßig bekommen, sind eine solche Unverschämtheit - ich kann kein anderes Wort dafür benutzen -, dass wir ernsthaft in der Grünenfraktion überlegen, diese in gebundener Form als Dokument und Beleg dafür herauszugeben, wie diese Bundesregierung mit dem Thema Abgasskandal umgeht, ({2}) aber auch, wie sie die Informationsrechte des Parlaments missachtet . Das ist ein unglaubliches Umgehen mit dem, was eigentlich notwendig wäre . ({3}) Ich will nur ein Beispiel nennen: Wir haben x-mal gefragt, wer denn Mitglied dieser ominösen Untersuchungskommission ist, die unmittelbar nach Bekanntwerden des Abgasskandals eingesetzt wurde . Wir haben nie eine Antwort bekommen, bis heute nicht . Als das an die Presse durchsickerte, weil jemand anders die Information weitergegeben hat, wurde klar, warum diese Information nicht weitergegeben wurde: Diese Untersuchungskommission - man glaubt es ja kaum - besteht aus dem Minister, seinem Staatssekretär, ein paar Beamten des Ministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamtes und einem Professor, der früher in der Verkehrswirtschaft gearbeitet hat . Das sind genau die Leute, die jahrelang entweder beim Skandal mitgemacht haben oder zumindest weggeschaut und nicht gehandelt haben, trotz eindeutiger Informationen . Dazu kann ich nur sagen, obwohl ich als Grüner ein Freund von Tieren bin: Man kann die Frösche nicht damit beauftragen, den Sumpf trockenzulegen . Aber genau das tun Sie . ({4}) Wenn Sie es ernst meinen würden, dann würden Sie die Kritiker hereinholen, dann würden Sie unabhängige Fachleute hereinholen . Weil Sie das nicht tun, ist völlig klar: Sie wollen am Ende nicht aufklären und die nötigen Konsequenzen nicht ziehen . ({5}) Am Wochenende haben wir via Bild-Zeitung - darin ist übrigens mehr zu lesen als in den Antworten auf unsere Anfragen - erfahren, dass Dopingtests die große Antwort sein sollen, Stichproben, die man hin und wieder nehmen soll . Mal abgesehen davon, dass ein grüner Verkehrsminister das bereits im Oktober letzten Jahres gefordert hat und die Union damals geschimpft und gezetert hat, wie man Dopingtests fordern könne - jetzt fordert das Ihr eigener Minister -, ({6}) ist es unglaublich, dass fünf Monate nach Bekanntwerden des VW-Skandals die einzige Konsequenz aus dem Abgasskandal ein paar Stichprobenuntersuchungen sein sollen . Ich sage: Man kann über Dopingtests diskutieren, was wir aber eigentlich brauchen, ist ein Drogentest für diesen Minister, damit wir einmal herausbekommen, was er zum Frühstück raucht, wenn er draußen im Land und in der Welt erzählt, Deutschland sei vorbildhaft bei der Aufklärung dieses Skandals . Das ist doch absurd . Das ist Wirklichkeitsausblendung . ({7}) Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem Minister zwei Fragen zu stellen - er hat ja gleich Gelegenheit, darauf zu antworten -: Im Gegensatz zur EPA haben Sie VW einen Freifahrtschein erteilt . Es gibt eine Rückrufaktion, um eine neue Software aufzuspielen . Als Kunde würde ich gerne wissen: Wird mein VW in Zukunft die Grenzwerte für die Abgasemissionen im Realbetrieb einhalten, ohne dass es dabei zu einem Leistungsverlust kommt? Ich bitte Sie, das klar zu beantworten . Das wäre der eine Punkt . Ich bitte Sie, eine weitere Frage zu beantworten .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Aber schnell .

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin . - Wir haben gelernt, dass die Abgasreinigungseinrichtungen bei Außentemperaturen unter 10 Grad nicht richtig funktionieren . Ich würde gerne von Ihnen hören, Herr Dobrindt: Ist es legal, dass die Automobilunternehmen die Abgasreinigungseinrichtungen abschalten? Was unternehmen Sie dagegen? Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen? Nach fünf Monaten Beschäftigung mit dem Thema will ich hier einmal eine klare Aussage von Ihnen zu dem Thema hören: Ist es nicht nur VW, arbeitet am Ende die gesamte Automobilwirtschaft mit Manipulationen? ({0}) Laufen Sie nicht mit so einem Unsinn durch die Gegend, dass es nur einiger Dopingtests bedürfe . Das reicht an der Stelle nicht . Ich danke Ihnen . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Krischer . - Das Wort hat nun Minister Alexander Dobrindt . ({0})

Alexander Dobrindt (Minister:in)

Politiker ID: 11003516

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Krischer, Ihr ewiges Abspulen der immer gleichen Leier aus der grünen Mottenkiste ist an Einfallslosigkeit wirklich nicht zu überbieten . ({0}) Aber wenn sich hier im Deutschen Bundestag ein Grüner hinstellt und sagt, man dürfe die Frösche nicht fragen, wenn man den Sumpf trockenlegen will, dann bitte ich die Umweltschützer, ihre Beschwerden an die grüne Fraktion zu richten . Es ist ja unglaublich, Herr Krischer, was sich da auftut . ({1}) Ich kann Ihnen sagen: Wir haben beim Umgang mit dem VW-Skandal eine klare Strategie . ({2}) Wir treiben die Umsetzung auch energisch voran . Wir klären auf . Die Fehler werden beseitigt und die Prozesse optimiert . Das ist der Leitfaden zur Bewältigung der Krise, meine Damen und Herren . ({3}) Zur Aufklärung . Wir haben unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine Untersuchungskommission eingesetzt . Diese Untersuchungskommission hat seitdem über 30-mal getagt . ({4}) Sie hat strenge, spezifische Nachprüfungen angeordnet, übrigens nicht nur bei Volkswagen, sondern auch bei einer Reihe anderer Hersteller aus dem In- und Ausland . In Unterlagen wird Einsicht genommen . Wir fordern und begleiten die Aufklärung durch das Unternehmen aktiv . Wir machen Volkswagen klare Vorgaben, wie der Schaden zu beseitigen ist . ({5}) Das ist im Interesse der Kunden, im Interesse des Automobilstandorts Deutschland und auch im Interesse von Hundertausenden von Mitarbeitern in der Automobilindustrie, ({6}) die ihre Arbeit jeden Tag korrekt und gewissenhaft machen und es nicht verdient haben, von Ihnen unter Generalverdacht gestellt zu werden . ({7}) Die Zusammenarbeit zwischen unserer Untersuchungskommission und Volkswagen funktioniert übrigens kooperativ . ({8}) Das Unternehmen arbeitet erkennbar engagiert daran, seiner Verantwortung nachzukommen und den entstandenen Schaden zu korrigieren . ({9}) Die Untersuchungskommission hat eine großangelegte Überprüfung aller betroffenen VW-Dieselmodelle und aller Volumenhersteller angeordnet. Diese Tests finden nicht nur im Labor, also auf der sogenannten Rolle, sondern auch unter realen Bedingungen, das heißt auf der Straße, statt . Es gibt an dieser Stelle auch Cross-Checks . Sobald diese Nachprüfungen abgeschlossen sind, wird ein Gesamtergebnis vorliegen; ({10}) das ist Ihnen bekannt, es ist Ihnen mehrmals mitgeteilt worden . ({11}) Übrigens werden die Ergebnisse, die im Rahmen der Tests bei unseren Messungen erzielt werden, in dem Gesamtbericht detailliert veröffentlicht werden . ({12}) Das ist die Aufgabe, der wir nachkommen, um festzustellen, wie die ganze Branche mit diesem Thema umgeht . Das ist ein wesentlicher Teil der Aufklärung, die durch die Untersuchungskommission durchgeführt wird . Zur Fehlerbeseitigung . Wir haben Volkswagen bereits im Oktober letzten Jahres aufgefordert, einen verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan mit technischen Lösungen zur Beseitigung der Abschalteinrichtungen vorzulegen . Dabei haben wir auch klar zum Ausdruck gebracht, dass die Umrüstungen unter keinen Umständen zum Nachteil der Kunden durchgeführt werden dürfen . Volkswagen hat die Software- und Hardwarelösungen fristgeVizepräsidentin Claudia Roth recht vorgelegt . Daraufhin hat das Kraftfahrt-Bundesamt für die betroffenen Fahrzeuge verpflichtend den Rückruf angeordnet. Das heißt, ein verpflichtender Rückruf hat begonnen . Bereits im Januar dieses Jahres ist mit dem Amarok die erste Fahrzeugkategorie in den Rückruf und die Umrüstung gegangen . ({13}) Damit hat Volkswagen eine weitere unserer Vorgaben erfüllt . Wir erwarten, dass jetzt Zug um Zug weitere Modelle in die Werkstatt zurückgerufen werden, um sie in einen regelkonformen Zustand zu bringen . Das nächste Modell wird der Passat sein . Er wird im März zum Rückruf kommen . Das ist ein notwendiger Prozess für die Kunden, aber auch für Volkswagen, um Vertrauen zurückzugewinnen . Ich betone hier ganz ausdrücklich: Wir sind hier deutlich weiter als alle anderen Länder . Auch die Beispiele, die Sie genannt haben, zeigen das . Die technischen Lösungen sind in Deutschland erarbeitet und befinden sich bereits im Umsetzungsprozess . ({14}) Der Rückruf ist angeordnet, und die Fahrzeuge werden in einen regelkonformen Zustand gebracht . Das ist die Wahrheit, Herr Krischer . ({15}) Wir optimieren die Prozesse . ({16}) Ja, es ist richtig, dass die Untersuchungskommission auch an einem umfassenden Maßnahmenpaket im Zusammenhang mit zukünftigen Zulassungsverfahren arbeitet . ({17}) Klar ist dabei heute schon, dass wir die Offenlegung der Motorsoftware gegenüber der Typgenehmigungsbehörde und übrigens auch die Rotation der technischen Prüfdienste vorschreiben werden . Außerdem wird ein Antischadstoff-Dopingtest für Autos eingeführt . Das heißt, jedes Jahr werden Fahrzeuge unangemeldet aus dem bestehenden Markt herausgenommen und auf ihren Schadstoffausstoß und ihre Regelkonformität getestet . Dazu bauen wir eigene staatliche Prüfstände beim Kraftfahrt-Bundesamt unter Aufsicht des Bundesverkehrsministeriums auf . Das sind schlagkräftige Maßnahmen, damit jedem auch zukünftig klar ist: Der Versuch von Manipulation bleibt nicht unentdeckt . ({18}) Darüber hinaus haben wir auf europäischer Ebene auch das ist von Ihnen in den vergangenen Wochen ja kritisiert worden - die RDEs, die Real Driving Emissions, beschlossen . Das heißt, wir werden die Emissionen zukünftig nicht mehr nur auf der Rolle, sondern auch real auf der Straße kontrollieren . Konkret geht es schlichtweg darum, dass wir die Tests dem realen Fahrverhalten der Autofahrer annähern . Darüber hat es in Europa in der Tat eine lange Debatte gegeben, und es war die Bundesregierung, die im letzten Jahr dafür gesorgt hat, dass eine weitere Dynamik in diese Debatte gekommen ist . Inzwischen ist die Entscheidung in Brüssel gefallen, dass die RDEs eingeführt werden . Vor wenigen Tagen hat übrigens auch das Europäische Parlament zugestimmt, sodass dem nichts mehr im Wege steht . Auch das ist ein notwendiger Schritt, um bei der Kontrolle des Schadstoffausstoßes zukünftig das Fahrverhalten der Kunden stärker zu berücksichtigen . Herr Krischer, auch hier war es die Bundesregierung, die gehandelt und dafür gesorgt hat, dass Europa jetzt endlich zu Entscheidungen gekommen ist . ({19}) Herr Krischer, Sie haben der Bundesregierung heute hier und in ähnlicher Form auch vor wenigen Tagen öffentlich „Kumpanei“ - wörtlich - vorgeworfen . ({20}) Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Die Partnerschaft zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft, und Partnerschaft ist keine Kumpanei . ({21}) Wir klären im Sinne der Kunden, der Wirtschaft und der Beschäftigten in dieser Branche auf . ({22}) Ihr Kollege Winnie Hermann, der Verkehrsminister in Baden-Württemberg, lässt sich öffentlich damit zitieren: Mit 750 000 Arbeitsplätzen ist die Automobilindustrie nicht . . . so bedeutend, wie sie tut . Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen: Sagen Sie genau dieses und Ähnliches in den nächsten Wochen noch sehr oft, damit Sie am 13 . März 2016 auch die entsprechende Antwort der Menschen dafür bekommen . ({23})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Dobrindt . - Nächster Redner in der Debatte: Herbert Behrens für die Linke . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erinnern uns: Der VW-Konzern umging mit hoher krimineller Energie Abgasbestimmungen, um bei Dieselmotoren zu täuschen . Doch nicht nur Autos und Autofahrer auf dem amerikanischen Markt waren betroffen, sondern 11 Millionen Fahrzeugbesitzer weltweit . Mit der Manipulationssoftware wurden nicht nur Kundinnen und Kunden getäuscht, sondern vorsätzlich wurde die Gesundheit derjenigen geschädigt, die nicht im Auto sitzen, die in den Städten unterwegs sind, die an Straßen mit viel Autoverkehr wohnen, weil sie sich die Wohnungen in besseren Vierteln nicht leisten können . Diesen Skandal prangern wir an . Wir machen deutlich, dass hier Profit vor Gesundheit geht, und das ist inakzeptabel. ({0}) Der VW-Konzern ist in eine schwere Schieflage geraten . Mehrere Milliarden Euro müssen zurückgestellt werden, um Strafen, Schadenersatzforderungen und Nachrüstungen zu bezahlen . Die Belegschaft im Konzern ist hoch beunruhigt . Sie ängstigt sich, weil sie nicht weiß, was auf sie zukommt . Weniger Absatz, weniger Geld für Entwicklung und Forschung für sinnvolle Produkte auf dem Fahrzeugmarkt bedrohen die Arbeitsplätze . Die Zeche zahlen die Leiharbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlieren, und die Festangestellten, die auf vereinbarte Prämien verzichten müssen, schon jetzt . Noch beunruhigender ist, dass kein Ende des Skandals in Sicht ist . Darum ist die zügige Aufklärung so dringend nötig . ({1}) Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben Vorschläge gemacht, wie man das hinbekommt . Die Anträge liegen vor . Die hätten Sie sich ansehen können, um beispielsweise Maßnahmen, die in der Kommission offenbar beraten worden sind, zu bewerten . Von den Koalitionsfraktionen kam bis heute nichts - Fehlanzeige! Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, verlassen sich offenbar auf Ihren Chefaufklärer, Minister Dobrindt . Ich glaube, wenn man sich auf ihn verlässt, dann ist man schon verlassen . ({2}) Denn was haben Sie, Herr Dobrindt, als Chefaufklärer unternommen? Sie haben Schlagzeilen geliefert, indem Sie ganz fix eine Expertenkommission einberufen haben . Doch wer die Experten waren - wir haben es gerade gehört -, war lange nicht herauszufinden. Erst Monate danach waren Sie quasi gezwungen, zu erzählen, wer in der Kommission sitzt . Damit haben Sie eine öffentliche Kontrolle verhindert . Sie haben verhindert, dass wirklich unabhängige Experten zum Zuge kommen, um das zu untersuchen, was notwendig ist . Sie haben keine Untersuchungskommission gebildet, sondern eine Beratungskommission gegründet . So hörte sich das an, was Sie gerade vorgestellt haben . Die Böcke, die jetzt als Gärtner tätig sind, haben inzwischen 36-mal getagt . Ergebnisse - Sie haben eben gesagt, es gäbe ganz viele, offiziell wissen wir von keinem - oder Empfehlungen, die dabei herausgekommen sind? Fehlanzeige oder geheim! Sie verweisen uns auf den Abschlussbericht, sagen aber nicht, wann dieser kommt . Ich wäre schon froh, wenn wir einmal einen Zeitrahmen hätten . ({3}) Sie haben die Schlagzeilenproduktion weiter ohne Substanz angereichert durch Ihre merkwürdige Ankündigung einer Dopinguntersuchung . Dabei haben Sie völlig aus dem Blick verloren, dass es hier um die Gesundheitsgefährdung von Zehntausenden von Menschen geht . An der Stelle haben Sie Ihre Aufgabe überhaupt nicht wahrgenommen . Sie sind nicht mit der Automobilindustrie massiv in die Auseinandersetzung gegangen, um zu erklären, was geht und was nicht geht, sondern Sie haben sich darauf beschränkt, zu sagen: Wir prüfen . - Aber Sie müssen doch diejenigen an die Kandare nehmen, die Ursache dieser Prüfung sind, damit sich der Skandal nicht wiederholen kann . ({4}) Wir haben Ihnen in unseren Anträgen Alternativen vorgelegt . Die Linke fordert unter anderem eine von der Automobilindustrie unabhängige Expertenkommission . Die Mitglieder sollen von Umwelt- und auch von Verbraucherschutzverbänden benannt werden . ({5}) Wir brauchen die Verkehrs- und Automobilklubs am Tisch, weil dort auch Experten zu finden sind. ({6}) Die Dobrindt-Kommission ist aufzulösen . Möglicherweise vorhandene Ergebnisse mögen bitte der neuen Expertenkommission übergeben werden . Um die Beschäftigten des VW-Konzerns, die für diesen Betrug nicht verantwortlich sind, vor den Folgen zu schützen, muss die Bundesregierung alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um die wirklich Verantwortlichen auch finanziell zur Kasse zu bitten. ({7}) Das ist schwer durchzusetzen, das ist mir bewusst; denn die Bundesregierung hat andere Prioritäten . Die Kanzlerin, der Wirtschaftsminister und auch Sie, Herr Minister Dobrindt, treffen sich zwar mit den Chefs der mächtigen Automobilkonzerne im Land, doch es geht bei diesen Gesprächen zwischen Regierenden und Herrschenden nicht um die Klärung dringender Fragen, sondern um eine Industriepolitik ganz anderer Art . Man berät über Kaufprämien für Elektroautos . Am Ende dieser Diskussion - damit komme ich zum Schluss - sollten wir uns auf gemeinsame Ziele verständigen . Erstens. Gesundheit vor Profit. ({8}) Der Abgasskandal macht deutlich, dass wir hier erst am Anfang sind . ({9}) Zweitens . Wir brauchen eine sozial-ökologische Wende in der Mobilitätspolitik in Deutschland . Es hat sich gezeigt: Wir müssen Umweltpolitik und Mobilitätspolitik zusammen denken . Ansonsten haben wir ein Problem . ({10}) Drittens . Dieser Verkehrsminister - da gehen Sie von den Koalitionsfraktionen sicherlich nicht mit mir konform - muss aus dem Verkehr gezogen werden . Er ist erneut mit dem gescheitert, was er sich vorgenommen hat . Er klärt nicht auf, sondern verschleiert weiter . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Behrens . - Der nächste Redner ist Arno Klare für die SPD . ({0})

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Satz, den man George Washington zuschreibt, der da lautet: Vertrauen ist eine sehr langsam wachsende Pflanze. - Er hat recht . Ich füge hinzu - das ist gewissermaßen ein Insiderwitz -: „Defeat Devices“ sind in diesem Zusammenhang kein guter Dünger . Das sind die Softwarepakete, die dafür sorgen, dass das Fahrzeug die Überprüfung erkennt und die Abgasregelung ein wenig anders gestaltet wird . Ich habe an dieser Stelle in einer Aktuellen Stunde - ich glaube, das ist schon einige Monate her - fünf Punkte vorgestellt, die mir wichtig waren und die man im Zusammenhang mit diesem Skandal anpacken sollte . Ich habe seinerzeit gefordert - das war wirklich das erste Mal, dass das überhaupt gesagt worden ist -: Der Quellcode der emissionsrelevanten Motorsoftware muss offengelegt werden . ({0}) Ich habe damals von dem Verbraucherzentrale Bundesverband eine E-Mail bekommen, in der stand: Endlich hat das einmal jemand gesagt . - Dass das jetzt von der Politik in die allgemeine Begrifflichkeit übernommen worden ist, erweist sich als sehr positiv, wie ich finde. Natürlich muss der Datenschutz in diesem Zusammenhang gewährleistet sein . Man greift schließlich auf das Allerheiligste zu; das muss man einfach sehen . Die Motorsteuerungssoftware kann man nicht einfach wie eine Open-Source-Software behandeln . Ich habe damals in derselben Rede gesagt, dass es so etwas wie eine Kontrolle nach der ersten Kontrolle zur Typengenehmigung geben muss und diese immer wieder neu erfolgen muss . Ich habe auch erklärt, dass diese Kontrolle beim KBA, beim Kraftfahrt-Bundesamt, angesiedelt sein kann . Ob man dafür nun das Wort „Dopingkontrolle“ verwenden, ist eine semantische Besonderheit, aber es trifft genau das, was ich damals gesagt habe . Insofern bin ich relativ zufrieden darüber, dass der Minister meiner Forderung nachgekommen ist . ({1}) Ich habe noch etwas hinzugefügt . Wichtig wäre für mich auch, dass man bei der Abgasuntersuchung nicht nur die On-Board-Unit ausliest, sondern hinten am Endrohr misst . Die Formulierung, über die Kollege Wichtel, in dessen Richtung ich jetzt schaue, seinerzeit gelächelt hat, war: Analog schlägt in diesem Fall digital . - Der Meinung bin ich auch heute . Ich glaube, das muss bei der Dopingkontrolle noch ergänzt werden . Wir haben auch einen neuen Testzyklus vereinbart . Dazu gehört natürlich der Real-Driving-Emission-Test, um das, was auf dem Prüfstand gemessen wird, zu validieren . Ich sage aber an dieser Stelle noch einmal, ohne es in meiner begrenzten Redezeit ausführen zu können: Es wäre systemfremd, zu erwarten, dass dieser Konformitätsfaktor bei eins liegt . Der Real-Driving-Emission-Test findet auf der Straße statt, während der Labortest im Labor, also auf der Rolle, stattfindet. Diesen Test eins zu eins umzusetzen, geht nur, wenn der Labortest mit dem Real-Driving-Emission-Test identisch ist, sodass ich diesen Test gar nicht mehr brauche . Aber das will keiner . Also wird der Konformitätsfaktor oberhalb von eins liegen müssen . ({2}) Auf eines möchte ich noch hinweisen: Das Unternehmen selbst, der große VW-Konzern und seine Teilkonzerne, unternimmt selber entsprechende Anstrengungen . Ich war vor kurzem in Werlte . Das ist in Niedersachsen, also in der Heimat von Kirsten Lühmann, aber ein bissHerbert Behrens chen weiter im Westen gelegen . Dort läuft eine Anlage in industriellem Maßstab, die Wasserstoff produziert und diesen dann in Methan umwandelt . Dieses Methan wird ins Netz eingespeist, und man kann damit Fahrzeuge antreiben . Das, was dort mit einem Rieseninvestment gemacht wird, ist CO2- und THG-neutral . VW wird - wahrscheinlich in Salzgitter - neben einem Stahlwerk eine weitere dieser Anlagen bauen . Dieses Engagement sollte man durchaus honorieren . Denn bisher lohnen sich diese Anlagen betriebswirtschaftlich nicht . ({3}) Ich komme zum Schluss . Ich habe am Anfang gesagt, dass Vertrauen eine sehr langsam wachsende Pflanze ist. Ich bin relativ sicher, dass diese Pflanze auch einen vernünftigen Dünger braucht . Wenn man alles, was ich gerade schon gesagt habe, einmal Revue passieren lässt, dann ist das der Dünger, der im Moment bereits ausgebracht wird . Ich bitte um ein wenig Geduld, bis er wirkt . Von Ihnen, Herr Krischer - das ist mein Schlusssatz -, habe ich an dieser Stelle in der x-ten Aktuellen Stunde inhaltlich außer Polemik und lautstarkem Schreien nichts gehört . Das ist eine Bankrotterklärung grüner ökologischer Politik . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Klare . - Nächster Redner: Oliver Wittke für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Oliver Wittke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004445, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich denken, heute sei der 2 . Februar . Sie wissen: Der 2 . Februar ist in den Vereinigten Staaten der Murmeltiertag . Als ich gelesen habe, dass die dritte Aktuelle Stunde zum Thema Abgasskandal beantragt worden ist, habe ich in der Tat daran gedacht: Und täglich grüßt das Murmeltier . Fällt Ihnen eigentlich gar nichts Neues mehr ein, Herr Krischer? ({0}) Es ist in der Tat so, dass Sie keinem anderen politischen Thema im vergangenen halben Jahr so viele Aktuelle Stunden eingeräumt haben wie dem Abgasskandal bei VW . ({1}) Man hat ein Stück weit den Eindruck, es geht Ihnen gar nicht um Aufklärung oder darum, Neues auf den Weg zu bringen . Denn sonst würden Sie endlich Ihre Anträge zur Abstimmung ins Parlament einbringen . ({2}) Es geht Ihnen vielmehr darum, Ihren Feldzug gegen das Automobil fortzusetzen, daher spielen Sie immer wieder dieselbe Schallplatte . Es ist immer wieder dieselbe Leier . Wir sind dessen überdrüssig; denn Sie werden am Ende nicht damit durchkommen . Die Automobilindustrie ist und bleibt eine starke Branche in Deutschland, und wir werden dazu beitragen, dass das auch künftig so sein wird . ({3}) Im Übrigen haben Sie heute zum wiederholten Male den Versuch unternommen, Herr Krischer, in untauglicher Art und Weise das kriminelle Verhalten eines einzelnen Unternehmens auf eine ganze Branche zu übertragen . Das ist nicht seriös . ({4}) Ganz im Gegenteil: Es ist eine bodenlose Unverschämtheit, dass Sie einer gesamten Branche unterstellen, sie würde in betrügerischer Absicht Recht brechen . ({5}) - Nein, das ist nicht der Fall . Sie sind uns bis zum heutigen Tage den Nachweis schuldig geblieben, wo andere deutsche Automobilkonzerne sich angeblich rechtswidrig verhalten haben . ({6}) - Sie behaupten es immer wieder . Sie unterstellen es immer wieder, aber es stimmt nicht . Sie können den Nachweis nicht erbringen, weil der VW-Fall ein Einzelfall in Deutschland ist . ({7}) Das Gleiche gilt im Übrigen für den Kollegen Kühn von den Grünen . Der Kollege Kühn hat am 25 . September an diesem Pult erklärt, die deutsche Automobilindustrie habe nicht nur einen Kratzer abgekommen, sondern einen Kollateralschaden erlitten . Der Lack sei ab, so der Kollege Kühn wörtlich . Ich will Ihnen die Absatzdaten der deutschen Automobilindustrie der letzten Monate vortragen: Daimler hat 2015 ein Plus von 12 Prozent erzielt, BMW ein Plus von 6 Prozent . VW - hören Sie jetzt gut zu! - hat im ersten Monat dieses Jahres, im Januar 2016, ein Plus von 3,7 Prozent erzielt . Das alles fällt doch nicht vom Himmel . Wenn die Autos so schlecht wären, wären sie doch nicht weltweit nachgefragt . Die Automobilindustrie in Deutschland ist nach wie vor eine Spitzentechnologie, die mit Innovationen dazu beiträgt, Mobilität sicher, sauberer und erschwinglich zu machen . ({8}) Gleichwohl gilt - das will ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich zu Protokoll geben -: Die Betrügereien, die es bei VW gab, sind nicht nur ärgerlich; sie sind auch zu ahnden . Da muss es Konsequenzen geben . Aber Konsequenzen zieht man erst nach einer intensiven Analyse dessen, was passiert ist, und nach einer Bewertung der Vorgänge . Erst danach kann man Konsequenzen ziehen . Deshalb war das Vorgehen des Bundesverkehrsministers und des BMVI absolut richtig, zuerst einmal in Ruhe zu analysieren, was da passiert ist und was wir tun können, damit so etwas nie wieder vorkommt . Herr Kollege Dobrindt, ich sage an dieser Stelle ausdrücklich Danke schön für dieses besonnene, konsequente und zielgerichtete Verhalten Ihres Hauses . Genauso geht man mit solchen Krisen um, und nicht mit Klamauk, wie die Grünen das zum wiederholten Mal versucht haben . ({9}) Die Rückrufaktion ist eingeleitet . In der Europäischen Union werden - auch auf Initiative der Bundesregierung und insbesondere des Verkehrsministers Dobrindt - die Tests verschärft . Das Kraftfahrt-Bundesamt wird die Kontrollen weiter ausdehnen . Wir sind da auf einem guten Weg, auch wenn wir noch nicht am Ziel angekommen sind; das ist richtig . Wir werden uns noch im Ausschuss intensiv damit zu befassen haben, welche Rolle künftig das Kraftfahrt-Bundesamt spielen soll . Auch da haben wir noch an der einen oder anderen Stelle Fragen . Wir wünschen uns mehr als das, was in der Vergangenheit geschehen ist . Abschließend will ich Ihnen eines versichern: Wir als Unionsfraktion werden weiterhin Sorge dafür tragen, ({10}) dass die deutsche Automobilindustrie nach diesem Skandal nicht wie durch Sie, Herr Krischer und Herr Hofreiter, unter Generalverdacht gestellt wird, sondern den Stellenwert - auch in der öffentlichen Wahrnehmung - bekommt, den sie verdient, nämlich den einer innovativen Branche, die einen wichtigen Beitrag dazu leistet, die Mobilität in diesem Land dauerhaft zu sichern und Beschäftigung in Deutschland weiterhin zu ermöglichen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Wittke, auch dafür, dass Sie sich auf die Sekunde genau an die Redezeit gehalten haben . Nächste Rednerin: Jutta Krellmann für die Linke . ({0})

Jutta Krellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004080, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was bedeuten die Auswirkungen des Abgasskandals für die Beschäftigten? Für viele Leiharbeitnehmer, zum Beispiel in Zwickau, heißt es jetzt schon: Tschüs, VW! - Für sie ist es das Ende der Chance auf einen Dauerarbeitsplatz in der Stammbelegschaft . Für viele befristet Beschäftigte bedeutet es keine Festeinstellung oder keine Verlängerung der Befristung . Zulieferbetriebe halten Investitionen zurück und haben bereits Kurzarbeit beantragt . Die Betroffenheit ist dabei unterschiedlich hoch . Es gibt nach wie vor Standorte mit Mehrarbeit . Gleichzeitig wird am nächsten Standort bereits Kurzarbeit eingeführt . Im letzten Jahr lautete die zentrale Aussage der Interessenvertretung: Wir zahlen nicht für eure Krise! - Dabei muss es auch bleiben . ({0}) Schwieriger ist es in den Rand- und Zulieferbereichen . Viele Logistikunternehmen, die als Werkvertragsfirmen bei VW, Opel, Mercedes und Co . arbeiten, haben weder Tarifverträge noch Betriebsräte . Tarifverträge und Betriebsräte sind aber eine wichtige Voraussetzung, um Auswirkungen einer Krise im Interesse der Beschäftigten zu bewältigen . Auch hier gilt: Beschäftigungssicherung hat oberste Priorität . ({1}) Ich bin fest davon überzeugt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den verschiedenen Betrieben alles tun werden, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen . Sie werden dazu ihre ganze Kraft und Qualifikation einsetzen. Das setzt allerdings die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze voraus . Ihre betrieblichen Interessenvertretungen werden nichts unversucht lassen, um diese Krise zu überwinden . Kurzarbeit, Arbeitszeitverkürzung, Regelungen über Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen waren schon in der Vergangenheit Instrumente . Wo es keine Betriebsräte gibt, müssen welche geschaffen werden . ({2}) Dort, wo es aber welche gibt, endet deren Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Angelegenheiten . Das muss sich ändern . ({3}) Wir brauchen zukünftig Mitbestimmung über das Was, Wie und Wo in der Produktion . ({4}) Die Zeit ist reif, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der wirtschaftlichen Gestaltung ihrer Betriebe zu beteiligen . Was ist die unternehmerische Freiheit wert, wenn die einen ihren Arbeitsplatz verlieren und die anderen mit Abfindungen in Millionenhöhe nach Hause gehen? Deswegen benötigen Beschäftigte Mitsprache und Vetorechte, wenn sie bemerken, dass die Entwicklung in die falsche Richtung geht . ({5}) Für VW bedeutet die Auswirkung des Skandals deutlich reduzierte Absatzzahlen . Ein differenzierter Blick macht deutlich, dass der Abgasskandal einen längst eingesetzten Trend beschleunigt . Ein strukturelles Problem wird offensichtlich: Wie entwickelt sich die Automobilindustrie? In Norwegen oder in den USA wird seit Jahren verstärkt in E-Mobilität investiert; sie investieren in Forschung und Entwicklung und schaffen gleichzeitig die dazu notwendige Infrastruktur . Das Problem bei VW ist doppelt dramatisch: Zum einen muss dort mit Fehlmanagement, Betrug und verlorenem Vertrauen umgegangen werden, zum anderen geht es aber auch darum, den Anschluss an die technologische Entwicklung nicht zu verlieren . Wenn wir Pech haben, sehen wir nur noch die Schlusslichter dieser Entwicklung . Skandale muss man bewältigen . Vertrauensverlust muss behoben werden . Bei der Bewältigung der notwendigen Umstrukturierungen muss die Bundesregierung in großen Schritten die Bedingungen schaffen . Kaufprämien für Elektroautos genügen nicht . ({6}) Das braucht Mut und Kraft . Aber ohne die Beschäftigten geht es gar nicht . Um an der strategischen Neuausrichtung der Automobilbranche mitzuarbeiten, brauchen Beschäftigte Sicherheit . Packen wir es an - mit den Beschäftigten und nicht gegen sie! Vielen Dank . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Krellmann . - Die nächste Rednerin ist Dr . Birgit Malecha-Nissen für die SPD . ({0})

Dr. Birgit Malecha-Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ansehen von VW ist weltweit in Schieflage geraten; da dürfen wir uns nichts vormachen . Schon jetzt sind Konsequenzen aus dem Abgasskandal sichtbar: Während der Automarkt in Europa weiter kräftig gewachsen ist, hat der größte Automobilproduzent Europas, VW, Marktanteile verloren . Für die Innovationsmarke VW und seine Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht also viel auf dem Spiel . Was muss nun getan werden? Es ist wirklich wenig hilfreich, eine dritte Aktuelle Stunde durchzuführen . Wir brauchen jetzt eine sachliche und gründliche Debatte auch im Respekt vor den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern . ({0}) Hier steht an erster Stelle: Das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Autobranche muss wiederhergestellt werden . Bewusste Manipulationen und Verstöße gegen Umweltauflagen und Emissionsgrenzwerte haben das Vertrauen verspielt . Jetzt braucht es den konsequenten Willen der Industrie und ihrer Vorstände zu Aufklärung und Transparenz . Deshalb ist es unerlässlich, dass die vom Konzern eingeleiteten Rückrufaktionen verbraucherfreundlich ausgestaltet werden . Die betroffenen VW-Kunden müssen verstehen können, was denn nun um- oder nachgerüstet wird . Sie müssen auch sicher sein, ({1}) dass sie - nach Aussagen des VW-Vorstandes; Herr Minister Dobrindt hat das ja gerade auch gesagt - keinerlei Nachteile bei Verbrauch, Leistung und Geräuschentwicklung fürchten müssen . Denn das Ziel ist ja klar: die Einhaltung der Abgaswerte . Dies muss nach dem Eingriff durch Nachweise belegt werden . Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, des Weiteren braucht es mehr Transparenz und Kontrolle der Abgaswerte . Wir haben heute bereits über die Prüfverfahren gesprochen, die die Realität widerspiegeln müssen und möglichst schnell eingeführt werden sollen . Mir ist unverständlich, dass da fast 20 Jahre Stillstand herrschte . Deswegen wollen wir, dass das standardisierte und weitaus realitätsnähere Messverfahren WLTP und der neue Abgastest RDE - ich nenne jetzt einfach nur die Abkürzungen, weil wir das hier schon gehört haben spätestens 2017 EU-weit und in den Typgenehmigungsverfahren angewendet werden . Wir haben ja von dem Herrn Minister heute auch gehört, dass dem nichts mehr im Wege steht . Eine weitere zielführende Maßnahme können staatliche Prüfstände beim Kraftfahrt-Bundesamt sein . Weiterhin sollen Konzerne künftig ihre Motorsteuerungssoftware offenlegen, damit Manipulationen vorgebeugt werden kann . Das hat ja mein Kollege Arno Klare bereits dargestellt . Und wie auch jüngst von Herrn Minister Dobrindt vorgeschlagen - ich habe gerade gehört, mein Kollege hat es schon vor langer Zeit vorgeschlagen -, könnten verschärfte, unangemeldete Kontrollen - eben die sogenannten Dopingkontrollen - ein passendes Instrument sein . ({2}) Wichtig für die Vertrauensbildung und die Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist, dass das Kraftfahrt-Bundesamt dann auch umfänglich über Ergebnisse von Nachprüfungen informiert . An der Stelle wäre es vielleicht hilfreich - ein Hinweis an das Ministerium -, wenn uns ein Zwischenbericht der Untersuchungskommission zur Verfügung gestellt würde . ({3}) Der Produktionsstandort Deutschland mit den vielen Zulieferbetrieben und seinen Tausenden hart arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss gesichert bleiben . Arbeitsplätze dürfen nicht verloren gehen . Deshalb heißt es nun, nach vorne zu schauen und die Weichen für zukunftsfeste Perspektiven in der Automobilbranche zu stellen, Perspektiven, die ökonomische und ökologische Aspekte gleichermaßen berücksichtigen . Endlich müssen alternative Antriebsformen - ich nenne hier nur ganz kurz das Stichwort „Elektromobilität“ - stärker und konsequent in den Fokus genommen werden . ({4}) Damit sorgen wir für bessere Luft in den Städten; denn erhöhte Werte für Stickoxide und Rußpartikel sind eine Gefahr für unsere Gesundheit und ganz besonders für die unserer Kinder . Wir leisten damit natürlich auch einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele . Da ist im Verkehrssektor sicher noch viel Luft nach oben . ({5}) Die deutsche Automobilindustrie steht seit Jahrzehnten für hohe Qualität und Sicherheit, für Spitzentechnologie, Verbraucher- und Umweltschutz . Diese Position muss aber täglich neu gesichert werden . Ich bin mir sicher: Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure schaffen das . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Malecha-Nissen . - Nächster Redner: Stephan Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wissenschaftliche Tests, zum Beispiel im Auftrag des ZDF-Magazins Frontal 21, zeigen: Auf der Straße blasen Dieselfahrzeuge deutlich mehr Stickoxide aus als bei den offiziellen Tests im Labor. Die Grenzwerte werden von vielen Dieselfahrzeugen nicht eingehalten . Die Abgasreinigung muss aber nicht nur im Labor, sondern auch auf der Straße laufen . ({0}) Wie wäre es, wenn Handbremse, Gurt oder Airbag nur auf dem Rollenprüfstand im Labor funktionieren würden? Die Automobilindustrie will uns weismachen, dass die erheblichen Abweichungen zwischen den Labormessungen und den Nachprüfungen im realen Fahrbetrieb mit Unterschieden im Fahrverhalten und den äußeren Bedingungen zu erklären seien . So will kein anderer Hersteller Abschalteinrichtungen wie VW verwendet haben . Wer wie die Deutsche Umwelthilfe etwas anderes sagt, hat eine Armada von Anwälten im Haus oder ist mit Schadensersatzforderungen konfrontiert . Ich sage: Wer ehrlich ist, hat so etwas nicht nötig und muss sich auch nicht wie Daimler vor der Teilnahme an einem Fachgespräch der grünen Bundestagsfraktion drücken . ({1}) So gewinnt man Glaubwürdigkeit nicht zurück, sondern man bringt die deutsche Automobilindustrie auch industriepolitisch ins Abseits . Verkehrsminister Dobrindt stellt sich schützend vor eine Automobilindustrie, die bisher offensichtlich Kosten zulasten der Umwelt und der Gesundheit der Menschen eingespart hat . Dieselfahrzeuge können sehr wohl auf der Straße sauber sein, aber eine funktionierende Abgasreinigung ist halt nicht zum Nulltarif zu bekommen . Von einer lückenlosen Aufklärung des Abgasskandals, wie von Minister Dobrindt angekündigt, kann keine Rede sein . Das KBA bekam von Herrn Dobrindt den Auftrag, etwa 60 Dieselfahrzeuge verschiedener Hersteller hinsichtlich der Emissionen zu prüfen . Während Daimler-Chef Zetsche bereits Ende Januar in einem Zeitungsinterview gegenüber der Welt über Ergebnisse der Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamtes berichten konnte - Tenor: keine auffälligen Abgaswerte bei Daimler -, will uns der Verkehrsminister nicht einmal einen Termin für die Veröffentlichung der Ergebnisse nennen . Ich halte das für einen skandalösen Vorgang . ({2}) Durch welche Untersuchungen oder Gutachten kommt die Bundesregierung eigentlich zu der Einschätzung, dass die Umrüstpläne von VW auch tatsächlich zu sauberen Dieselmotoren führen? Diese Antwort bleibt der Verkehrsminister bisher schuldig . Ich frage mich schon, warum man bei VW kriminelle Energie braucht und einsetzt, wenn ein Bauteil, ein sogenannter Strömungstransformator, der bekanntlich nicht mehr als 1 Euro kostet, die Lösung sein soll, um Dieselmotoren sauber werden zu lassen . Den Ankündigungen des Ministers folgen keine Taten . „Aussitzen und Deckel drauf“ ist wohl die Devise . Bereits Mitte Dezember hat er angekündigt, künftig bei der Zulassung von Autos die Motorensoftware unter die Lupe zu nehmen . Zwei Monate später will er aber immer noch nicht verraten, wie, wann und wer künftig die Quellcodes anschauen soll . Dafür macht nun endlich Brüssel Druck und will die nationalen Zulassungsbehörden überprüfen . Das führt offensichtlich dazu, dass das Kraftfahrt-Bundesamt jetzt überlegt, endlich wieder Rollenprüfstände anzuschaffen, die man vor Jahren schon hatte, die man dann aber abgeschafft hat, weil man doch lieber den Zahlen der Automobilindustrie vertrauen wollte . Wir brauchen endlich wirksame Kontrollen . Die Behörde, die für die Fahrzeugzulassung zuständig ist, darf nicht für die Nachprüfung zuständig sein . Die Feldüberwachung im Verkehr sollte nicht durch das KraftDr. Birgit Malecha-Nissen fahrt-Bundesamt, sondern durch das Umweltbundesamt übernommen werden . ({3}) Da teilen wir den Vorschlag von Justizminister Maas . Nur habe ich nicht den Eindruck, dass es der Vorschlag der Bundesregierung ist . Ferner muss die Feldüberwachung endlich auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden, und es müssen Mittel und Personal dafür bereitgestellt werden . Auch hier höre ich von der Bundesregierung nichts . Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als Schlussbemerkung Folgendes sagen: Wir sind es den Menschen schuldig, die aufgrund der schlechten Luftqualität in vielen Städten an Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen leiden, dass dieser Abgasskandal politische Konsequenzen hat . Jetzt müssen den Worten endlich Taten folgen . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kühn . - Nächster Redner in der Debatte: Dr . Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt ist es langsam Zeit, einmal Zwischenbilanz in dieser Debatte in der heutigen Aktuellen Stunde zu ziehen . Ich habe mich ein bisschen gefragt: Kennen Sie eigentlich den Unterschied zwischen Staatsanwaltschaft und Parlament? Die Staatsanwaltschaft ist die Behörde, die für die Strafverfolgung und die Vollstreckung zuständig ist . Das Parlament hingegen ist hauptsächlich für die Verabschiedung von Gesetzen zuständig . ({0}) Hält jemand Gesetze nicht ein, ist es nicht Aufgabe des Parlaments, darüber zu urteilen - schon gar nicht vorschnell, Herr Hofreiter -, sondern die Aufgabe von Staatsanwaltschaften und Gerichten . ({1}) Was Sie seit Ende September hier machen, ist vor allem eines: Sie wollen vorschnell über eine ganze Branche urteilen und sie in Sippenhaft nehmen . Sie wollen Staatsanwaltschaft, Gericht und Parlament zugleich sein . ({2}) Das ist das Problem, das Sie haben . ({3}) Man merkt an der Häufigkeit, mit der Sie Aktuelle Stunden beantragen, dass der Wahlkampf in den Bundesländern offensichtlich begonnen hat . Aber Sie können sich darauf verlassen: Wir werden nicht zulassen, dass Sie einfach mal eben eine deutsche Schlüsselindustrie so beschädigen, dass sie nach den Landtagswahlen nicht wieder hochkommt . ({4}) - Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören . Ich sage Ihnen noch einmal: Die Automobilwirtschaft in Europa hat einen Anteil an der Wertschöpfung von 14 Prozent . Fast jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland hängt von der Automobilwirtschaft ab . Richtig ist: Mit der Manipulation bei den Abgaswerten ist erhebliches Vertrauen verspielt worden . Um das Vertrauen in die Automobilwirtschaft und auch in den Wirtschaftsstandort Deutschland international wiederherzustellen, müssten wir sichere Testverfahren nutzen . Wir sind uns hier im Hause, glaube ich, einig, dass wir möglichst schnell den WLTP-Zyklus und die Real-Driving-Emission-Tests brauchen . Wir können deshalb ganz froh sein, dass das Europäische Parlament inzwischen die entsprechenden Weichenstellungen vorgenommen hat . Es ist ein wichtiger Schritt, zu realistischen Emissionsangaben zu kommen, und allein das stärkt das Vertrauen der Verbraucher . Wir müssen aber auch genau beobachten, in welchem wirtschaftlichen Umfeld wir uns bewegen . Wir dürfen nicht überziehen . Ich wiederhole: Kraftfahrzeuge sind für Deutschland ein wichtiges Exportprodukt . ({5}) Wenn Sie sich einmal die internationale Großwetterlage anschauen, stellen Sie fest: Es ist ein düsteres Bild, das sich etwa bei den Importen Chinas ergibt . Diese Importe sind um 19 Prozent eingebrochen . Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen Börner hat es treffend beschrieben: China steckt in einem Transformationsprozess mit ungewissem Ausgang . Auch wenn Sie die Sanktionen etwa für den russischen Markt sehen, werden Sie erkennen: Das sind bestimmt keine Wachstumstreiber . Denken wir daran, dass der Anteil der nach Russland exportierten Fahrzeuge am Gesamtexport 2013, also vor den Sanktionen, noch 20 Prozent betragen hat, dann können wir erkennen, dass gerade jetzt zwei absolute Wachstumsmärkte für die Automobilindustrie anfangen, zu schwächeln . Da greife ich gern das Argument von den Linken auf, die sich Sorgen um die Beschäftigungslage bei den nur zeitweise Beschäftigten in der Automobilwirtschaft machen . Es droht uns weiter eine Abschwächung der Weltkonjunktur . Die Stimmung trübt sich im Moment ein . Der ZEW-Index ist im Februar von 9,2 auf 1,0 Punkte eingebrochen . Vor einem Jahr lag er noch bei 53 Punkten . Wenn ich in meinem Wahlkreis in Südwestfalen sehe, dass 52 000 Menschen im Bereich der Zulieferindustrie Stephan Kühn ({6}) von diesem Markt abhängen, meine Damen und Herren, dann ist das in der Tat ein Grund, zu sagen: Vorsicht! Das Kind nicht mit dem Bade ausschütten! ({7}) Die Unternehmen machen sich Sorgen . Sie machen sich nicht nur Sorgen um die Infrastruktur in Deutschland; sie machen sich bei all diesen Rahmenbedingungen natürlich auch Sorgen um den internationalen Wettbewerb . In diesen Zeiten müssen wir uns deshalb genau überlegen, mit wie viel Regulierung wir der Branche begegnen . Herr Krischer, es ist nicht damit getan, alle vier Wochen mal mit dem Ölkännchen am Feuer vorbeizulaufen, so wie Sie das hier machen . ({8}) Ohne Zweifel, wir müssen gesetzliche Leitplanken neu justieren . Wir hätten mit Ihnen gern über die gestellten Anträge gesprochen . Aber Sie haben es vorgezogen, für heute eine Aktuelle Stunde zu beantragen . Ich weiß nicht, ob das mit Blick auf die Landtagswahlen der richtige Weg ist . ({9}) Ich bin überzeugt, dass auch die vielen Arbeitnehmer in Baden-Württemberg sehr gut darüber nachdenken werden, wie sie ihre Entscheidung treffen, so wie Sie mit deren Arbeitsplätzen umgehen . Vielen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr . Heider . - Die nächste Rednerin in der Debatte: Kirsten Lühmann für die SPD . ({0})

Kirsten Lühmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004101, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Verehrte Zuhörende! Wie auch bei der letzten Aktuellen Stunde zu diesem Thema habe ich akribisch versucht, herauszufinden, welche aktuellen Dinge wir neu haben, die wir besprechen müssen . Ich bin dann auf die hier schon angesprochene Pressemitteilung gestoßen, nach der Herr Winterkorn schon im Mai 2014 von Manipulationen in Amerika wusste . ({0}) Das ist allerdings nicht neu . Wir alle wissen, dass im Mai 2014 die US-Umweltbehörde EPA an VW herangetreten ist, um über das Thema zu reden . Dass man darüber die Konzernspitze informiert, halte ich für normal . Die Frage, die dieser Pressebericht nicht beantwortet hat, ist: Hat Herr Winterkorn vor dem Aufspielen der Software davon gewusst? Hat er es gebilligt? Hat er es sogar angewiesen? Mein Vorredner hat dankenswerterweise darauf hingewiesen: Das ist eine Frage, die von den Ermittlungsbehörden geklärt wird und nicht von uns . - Also kann das nicht das Thema sein . Das Einzige, was mir aktuell noch eingefallen ist, ist, dass uns die Grünen Informationen über die Ergebnisse ihrer gestrigen Veranstaltung zur Zwischenbilanz im Abgasskandal geben wollten . An der Veranstaltung konnten wir nicht teilnehmen, weil zeitgleich eine Sitzung des Verkehrsausschusses stattfand . Aber aus den Reden der Grünen ist mir dazu auch nichts bekannt geworden . ({1}) Also glaube ich, dass wir uns nicht weiter damit beschäftigen sollten, warum wir hier heute eine Aktuelle Stunde haben, sondern die Zeit einfach zu einer kurzen Standortbestimmung nutzen sollten . ({2}) Zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten gibt es deutliche Unterschiede in der Philosophie der Kontrolle . ({3}) In den USA bescheinigt man mit seinem guten Namen, dass man Regularien einhält . Wird man dann beim Betrug erwischt, bekommt man eine saftige Strafe, eine deutlich höhere als bei uns . Wir hingegen haben eine Kultur der regelmäßigen Kontrollen . ({4}) Hier gilt es Veränderungen herbeizuführen und Kontrollen an die neuen Bedingungen anzupassen, und zwar zeitnah, liebe Kollegen und Kolleginnen . ({5}) Das heißt, wir müssen das Kraftfahrt-Bundesamt rechtlich wie auch technisch dazu in die Lage versetzen . Mein Kollege Arno Klare hat bereits in der Aktuellen Stunde Anfang November die Offenlegung der Quellcodes und Weiteres gefordert . Inzwischen ist das vom BMVI unterstützt worden . Wir sind uns mit Minister Dobrindt darüber einig, dass die Motorsoftware gegenüber dem KBA offengelegt werden muss . Wir müssen auch dafür sorgen, dass das KBA eigene Prüfstände bekommt, um selbstständig Kontrollen durchführen zu können . Das werden wir angehen . Doch bessere Prüfmöglichkeiten für die deutschen Behörden wird es am Ende nur mit einer europäischen Lösung geben, und zwar mit einer Lösung, die den realen Fahrbetrieb berücksichtigt . Die EU hat mit ihren Vorschriften im Paket zu den NOx-Grenzwerten einen ersten Schritt getan . Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass unsere Fraktion sich da auch etwas ambitioniertere Werte hätte vorstellen können; aber zumindest ist dieses Paket jetzt auf den Weg gebracht . Viel wichtiger ist das nächste Paket, das wir brauchen . Wir brauchen Regelungen zu den hier schon mehrfach angesprochenen Real Driving Emissions . Wir brauchen Rahmenbedingungen, die klar definiert sind, was die Geschwindigkeit, die enthaltenen Steigungen, die Temperatur und die Beschleunigung angeht . Diese müssen, wie gesagt, klar und eindeutig sein . Ich gehe davon aus, dass hier in diesem Hause Einigkeit darüber herrscht, dass wir diese klaren Vorschriften zeitnah brauchen und dass wir sie gemeinsam in Brüssel umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({6}) Erfreulich ist auch - was ja auch angesprochen wurde -, dass der Rückruf in Deutschland begonnen hat . Heute gab es einen Bericht in der auto motor und sport. Die haben die ersten umgerüsteten Fahrzeuge des VW Amarok getestet . Dabei sind ein paar interessante Sachen herausgekommen . Das Erste ist, dass es einige Fahrzeuge gab, die nach der Umrüstung einige PS mehr hatten als vorher . ({7}) Nun gut, das ist jetzt nicht ({8}) besonders positiv oder negativ . Allerdings wurde auch festgestellt, dass das Beschleunigungsverhalten im fünften und sechsten Gang besser geworden ist und, was für uns ja ganz wichtig ist, dass der Stickoxidausstoß gleich geblieben ist, ({9}) das heißt, die Werte werden eingehalten, es hat sich nichts verändert . ({10}) Das Zweite, was hier auch angesprochen wurde und über das wir reden sollten, ist die Tatsache, dass der Kraftstoffverbrauch auf 100 Kilometer um einen guten halben Liter höher geworden ist . Nun ist der Amarok ja nicht gerade als besonders sparsames Auto bekannt . ({11}) Wenn jetzt also im März die VW Passat zur Umrüstung kommen, werden wir uns das noch einmal anschauen; aber ich glaube nicht, dass das in dieser Höhe dort zu sehen sein wird . Die SPD-Fraktion hat im Januar dieses Jahres ein Positionspapier verabschiedet, in dem wir uns eindeutig für die Energiewende im Verkehr ausgesprochen haben . Es ist ein umfangreiches Papier . In ihm haben wir festgelegt, dass wir neben der Elektromobilität auch Brückentechnologien wie Erdgas weiterhin fördern; denn beide Technologien bieten sowohl für den Individualverkehr als auch für den ÖPNV immer noch große Potenziale die Elektromobilität auch bei leichten Nutzfahrzeugen, Erdgas und Wasserstoff auch im Schwerlastverkehr, der immer noch den höchsten Schadstoffausstoß aufweist . ({12}) Abschließend sei mir erlaubt, anzumerken, dass ich gerne diese und weitere Punkte mit Ihnen in einer ernsthaften Debatte erörtert hätte . Wir sind daher etwas erstaunt, dass die von den Grünen beantragte 77-minütige Kernzeitdebatte, ({13}) in der wir diverse Anträge hätten beraten und auch beschließen können, ({14}) abgesetzt wurde . ({15}) Ich gehe davon aus, ({16}) dass wir diese Debatte hier zeitnah nachholen und richtige Beschlüsse auf den Weg bringen . Herzlichen Dank . ({17})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Lühmann . - Der nächste Redner in der Debatte: Hans-Werner Kammer für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Hans Werner Kammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Wir hatten uns ja gerade schon sehr nett ausgetauscht . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Körpersprachlich .

Hans Werner Kammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Seit Anfang 2015 haben wir in diesem Hohen Haus 32 Aktuelle Stunden durchgeführt. Heute findet die dritte Aktuelle Stunde zur VW-Abgasaffäre statt . Zum Vergleich: Zur Gesamtsituation im Nahen Osten gab es vier Aktuelle Stunden, außerdem zwei zum Thema Terrorismus, in einer haben wir uns über das Thema Flüchtlinge unterhalten . Ich wiederhole jetzt noch einmal: drei Aktuelle Stunden zum VW-Skandal in nicht einmal einem halben Jahr . Dass die Grünen mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde falsche Schwerpunkte setzen, ist damit ganz offensichtlich; denn Neues ist kaum zu berichten . ({0}) Natürlich könnte es sein, dass es derzeit für die Grünen keine wichtigeren Themen gibt als den VW-Skandal . Vielleicht ist es aber auch so, dass die Grünen nur noch auf billige Effekthascherei setzen . Was mich am Umgang der Grünen mit der Abgasaffäre stört, sind jedoch weniger diese Zeitverschwendung und das parteipolitische Geplänkel; ({1}) das kennen wir ja leider zur Genüge von Ihnen . Vielmehr stört mich, dass die Grünen einen Feldzug gegen den Industrie- und Automobilstandort Deutschland führen . ({2}) Nur für einige wenige Schlagzeilen spielen Sie mit zahllosen Arbeitsplätzen . Sie sollten sich einmal vor Ort, auch bei den Autohändlern, informieren, wie sachlich die Kunden mit diesem Thema umgehen und wie betroffen teilweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - auch ob Ihres Verhaltens - sind . Ich denke dabei nicht nur an die 150 000 Beschäftigten in den sechs deutschen Standorten von VW, sondern auch an die Beschäftigten der VW-Werkstätten und der Zulieferbetriebe . Dass Sie deren Jobs gefährden, ist der Skandal an der Sache . ({3}) VW hat nach der Aufdeckung der Abgasmanipulation mehr als genug Eigeninteresse an der Aufklärung . Die Marke kämpft weltweit mit Imageproblemen . Erstmals seit 2002 gab es in 2015 einen Umsatzrückgang . Der Fahrzeugabsatz der Kernmarke VW sank in diesem Jahr um 4,8 Prozent . Es gab einen Absatzrückgang insbesondere in den USA, wo der Skandal auch aufgedeckt wurde . Der Konzern setzt alles daran, die Probleme abzustellen und Ähnliches für die Zukunft zu verhindern . Zusätzliche Panikmache wie diese überflüssige Debatte verunsichert die Kunden . Die grünen Ideologen sagen dazu: VW muss für das, was es getan hat, büßen . - Eine Krise bei VW schadet in erster Linie aber eben nicht denjenigen, die für den Skandal verantwortlich sind und nun selbstverständlich zur Verantwortung gezogen werden müssen . Nein, die Grünen schaden mit ihrer negativen Propaganda den kleinen Angestellten bei VW, den Händlern, den Werkstätten und den Zulieferbetrieben in ganz Deutschland . ({4}) Ich kann Sie daher nur eindringlich bitten, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen und diesen Klamauk endlich zu beenden . Das hilft niemandem . Ebenfalls nicht hilfreich ist der grüne Feldzug gegen den Verbrennungsmotor . Denn Sie sollten sich nicht einbilden, dass die Autofahrer auf das Fahrrad umsteigen, wenn sie das Vertrauen in deutsche Fahrzeugtechnik verlieren . Geben wir stattdessen VW die nötige Zeit, die Affäre aufzuklären und abzuarbeiten . Gleichzeitig haben wir - Minister Dobrindt hat das angekündigt - schon erste Konsequenzen gezogen . Durch die unangemeldeten Tests, die Ihnen noch nicht ausreichen, sowie durch die Offenlegung der Motorsoftware und der Testergebnisse erschweren wir in Zukunft Manipulationen . Die gesamte Branche wird aus den Fehlern von Volkswagen lernen . Verlässliche und transparente Verbrauchsangaben nutzen den Kunden und werden letztlich auch zu technischem Fortschritt und niedrigem Verbrauch führen . Das hilft mehr als Ihre Kampfreden gegen große Konzerne . Zum Schluss möchte ich den Grünen eines mit auf den Weg geben: Ich komme aus Niedersachsen . Niedersachsen wird bekanntlich von der SPD und den Grünen regiert . Im Dezember 2014 ist bekannt geworden, dass in den USA 482 000 Pkws zurückgerufen wurden . Das ist dies ist in Aufsichtsratsprotokollen nachzulesen - dem Aufsichtsrat bekannt . Ich wundere mich, dass sich die Regierung in Niedersachsen, an der die Grünen maßgeblich beteiligt sind, nie darum gekümmert hat . Dort sollten Sie aufklären! Das wäre Ihre Aufgabe . Herzlichen Dank . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Kammer . - Nächster Redner: Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Michael Donth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004262, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieder eine Aktuelle Stunde auf Verlangen der Grünen zum Thema „Abgasmanipulation bei VW“ . Was ist denn heute der aktuelle Anlass, um darüber zu sprechen? Eine Meldung der Bild am Sonntag, wonach Herr Winterkorn doch eine Mail bekommen und deshalb nachweislich gelogen haben solle . Mir war neu, welch hohe Bedeutung die Springerpresse und die Bild am Sonntag für die Grünen haben . Aber gut, jeder mag lesen, was ihm gefällt und zu ihm passt . ({0}) Eine unbestätigte Zeitungsmeldung ist also der Anlass, dass sich der Deutsche Bundestag in einer dringlichen Debatte mit der Abgasmanipulation beschäftigt . Ich bin der Meinung, dass der Deutsche Bundestag zurzeit viele andere Themen dringlich zu besprechen hätte . Aber nein, wir debattieren jetzt wegen einer E-Mail, die Herr Winterkorn angeblich 2014 erhalten haben soll . ({1}) Hier wird das parlamentarische Instrument der Aktuellen Stunde vor den Landtagswahlen aus reiner Profilierungssucht missbraucht . ({2}) Das gilt nicht nur für dieses Instrument: Seit September vergangenen Jahres gab es seitens der Opposition, federführend von den Grünen, zum Thema „Manipulation der Abgaswerte bei VW“ schon 23 mündliche Fragen, 20 schriftliche Fragen, elf Kleine Anfragen, eine öffentliche Anhörung und schon zweimal eine Aktuelle Stunde . ({3}) Wie viel Arbeitskraft das in den Ministerien und im Bundestag bindet! Auf diese Weise legen Sie den Politikbetrieb absichtlich fast lahm, um dann der Regierung Untätigkeit vorzuwerfen . ({4}) Bundesverkehrsminister Dobrindt hat bereits erste Schritte unternommen, damit solche Manipulationen in Zukunft nicht mehr vorkommen werden . So wird es eigene staatliche Prüfstände und unangekündigte Kontrollen nach dem Zufallsprinzip geben, dazu eine Rotation der Prüfdienste und eine Offenlegung der Motorsoftware . Die Rückrufaktionen für die betroffenen Fahrzeuge haben in Abstimmung und auf Anweisung des Kraftfahrt-Bundesamtes bereits begonnen - um nur die aktuellsten Punkte anzuführen . Auch die EU hat bereits reagiert und mehrere Vorschläge zur Verbesserung der Aufsicht über die Zulassungsbehörden und die technischen Prüfdienste gemacht . Erst vergangenen Freitag hat der Rat eine Verordnung beschlossen, die vorsieht, die Abgastests - wir haben es schon mehrfach gehört - unter realen Fahrbedingungen durchzuführen . Das ist etwas, wofür sich unser Verkehrsminister tatkräftig eingesetzt hat . Meine Damen und Herren, ich will damit nicht die Vorgänge um die manipulierten Abgastests relativieren . ({5}) Betrug in jeder Form ist Unrecht . Da muss ermittelt werden . Die Verantwortlichen müssen dafür auch den Kopf hinhalten . Ich möchte aber betonen, dass der Deutsche Bundestag - der Vorredner hat es schon gesagt - dafür nicht der richtige Ort ist . Dafür haben wir bei der Justiz, im Ministerium und auch bei VW entsprechende Strukturen zur Aufklärung . Der Deutsche Bundestag ist nicht das Dorf, durch das jeden Tag erneut die Sau getrieben werden muss . Bei den Grünen ist die Automobilindustrie, um in diesem Bild zu bleiben, eine besonders beliebte Sau . ({6}) Wahrscheinlich möchten Sie die Automobilindustrie am liebsten ganz abschaffen oder zumindest mit dieser permanenten Thematisierung schwer schädigen . Herr Krischer hat vorhin behauptet, dass bei den anderen Herstellern noch viel mehr betrogen wurde als bei VW . ({7}) In der Automobilindustrie haben rund 800 000 Menschen in Deutschland ihren Arbeitsplatz . Hinzu kommen Hunderttausende Beschäftigte in der Zulieferungsindustrie . Ein solches politisches Agieren ist für mich keine Politik zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger . Zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger zählt für mich, dass sie Arbeit haben, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber natürlich auch, dass sie saubere Luft zum Atmen haben . ({8}) Um dies zu erreichen, haben wir Abgasgrenzwerte und Mechanismen zu deren Überprüfung eingeführt . ({9}) Es ist wichtig, dass die Grenzwerte eingehalten werden und dies überprüft wird . ({10}) Es gilt jetzt, strukturiert vorzugehen, nämlich erst den Sachverhalt aufzuklären, dann eine Bewertung vorzunehmen und schließlich Konsequenzen zu ziehen . Das bedeutet im vorliegenden Fall für uns als Gesetzgeber, die Regelverstöße aufzuklären, dann die Regeln zu überprüfen und diese gegebenenfalls anzupassen . Grüner AkMichael Donth tionismus als wahltaktisches Manöver auf dem Rücken der Beschäftigten ist scheinheilig und damit fehl am Platz . Vielen Dank . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Donth . - Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist Ulrich Lange für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es jetzt schon mehrfach gehört: zum dritten Mal eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema . Sie treiben hier ihre Spielchen . Lieber Kollege Kühn, lieber Kollege Krischer, wenn Sie den Plenarplan gelesen hätten, dann wüssten Sie: Eigentlich hätten heute die Anträge aller Fraktionen auf der Tagesordnung gestanden, ({0}) mit einer Kernzeitdebatte und fachlichen Vorschlägen . ({1}) Aber darum geht es Ihnen nicht . Ihnen geht es, lieber Kollege Krischer - das haben Sie in Ihrer Rede geradezu eindrucksvoll unterstrichen -, um Hetze gegen die deutsche Automobilindustrie . ({2}) Ihre Rede, in der Sie über Drogen und anderes gesprochen haben, hatte den Charakter einer Rede beim Starkbieranstich während der Fastenzeit . ({3}) Dass Sie im Anschluss daran vielleicht ein Alcolock gebraucht hätten, das lasse ich einmal offen . ({4}) Natürlich sind Manipulationen illegal . Wir werden sie auch weiterhin nicht dulden; ich wiederhole das zum dritten Mal . Ich wiederhole auch, dass wir lückenlos aufklären . Wir sind froh, dass wir mit Alexander Dobrindt einen Bundesminister haben, der dies konsequent und sauber tut, auch zeitlich sauber . ({5}) Wir wehren uns dagegen, dass Sie eine ganze Branche unter Generalverdacht stellen . ({6}) Sie wollen ein Buch schreiben, Herr Krischer . Ich freue mich auf dieses Buch, insbesondere auf das erste Kapitel . ({7}) Das erste Kapitel des Buches heißt: Die Rolle der Grünen in Niedersachsen beim VW-Skandal . ({8}) Niedersachsen ist nämlich zweitgrößter Anteilseigner, und die Grünen sitzen in Niedersachsen in der Regierung . ({9}) Ich zitiere gerne Ihre Fraktionsvorsitzende im Niedersächsischen Landtag: Zwischen Volkswagen und Niedersachsen besteht eine enge Verbindung . ({10}) Das sehen wir Grünen … genauso wie alle anderen hier . Herr Krischer, Sie sprechen in Berlin und in Hannover zweierlei Sprachen . Das ist unehrlich . Das ist ein unredlicher Vorgang gegenüber dem Parlament . ({11}) Lieber Kollege Kühn, Sie beschweren sich darüber, dass Daimler an dem gestrigen Fachgespräch in der Sitzung des Verkehrsausschusses nicht teilgenommen hat . Ich habe fast Verständnis dafür; denn Daimler redet wohl lieber mit dem Automobilfreund Kretschmann in Baden-Württemberg . ({12}) Dass viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie an VW hängen, haben wir heute mehrfach beleuchtet . Aber gegen eines wehren wir uns, und zwar mit aller Vehemenz: Wir stecken mit niemandem unter einer Decke . ({13}) Wir machen seriöse, saubere Politik . ({14}) Dazu gehört zunächst die Aufklärung . ({15}) Wir stellen uns hinter die Beschäftigten, die täglich für „made in Germany“ stehen . Sie stehen weder zu den BeMichael Donth schäftigten noch zur Technologie . Das sollten Sie auch ehrlich sagen . ({16}) Wir wollen und werden nichts vertuschen . Wir hätten heute gerne über die Vorreiterrolle bei alternativen Antrieben geredet . Wir hätten gerne über moderne Mobilitätsmodelle geredet . ({17}) Wir hätten gerne über die Zukunft der Abgasmessung geredet, darüber, wie wir mit den Emissionstests umgehen . Diese Debatte haben Sie heute verhindert . Ihnen war Klamauk wichtiger als Sachpolitik . Sie sollten sich dafür - Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen . ({18}) Wichtig ist jetzt, dass wir das Vertrauen wiederherstellen, dass es keine voreiligen Beschuldigungen oder Verdächtigungen gibt und wir für einen sinnvollen Umgang mit den Untersuchungsergebnissen sorgen . Diese sind dann sachlich umzusetzen . Ich freue mich auf die sachliche Debatte, lieber Kollege Krischer, sofern Sie dazu in der Lage sind . Wir stehen zum Technologiestandort Deutschland . Wir stehen zu den Beschäftigten in der Automobilindustrie . Wir setzen weiter auf eine erfolgreiche Branche . Herzlichen Dank . ({19})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Lange . - Damit ist die Aktuelle Stunde beendet . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Europäisches System der Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln Drucksache 18/7539 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre und sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Darf ich bitten, Platz zu nehmen, damit wir dem ersten Redner zuhören können? - Ich eröffne die Debatte und gebe Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute einen Antrag über die Weiterentwicklung der europäischen Finanzaufsicht zu beraten, um sie nach Möglichkeit effizient zu machen. Zu Beginn sollte man sich die Frage stellen, wie die Entstehung war und die Entwicklung und warum wir heute an diesem Punkt sind, den wir diskutieren . Kernpunkt war das sogenannte Lamfalussy-Verfahren, in dem drei Strukturen geschaffen wurden: für den Banken-, den Wertpapier- und den Versicherungsbereich . Zielrichtung der Kommission des europäischen Parlaments und der beteiligten Staaten war es, die europäischen Kapitalmärkte zu deregulieren . Inzwischen hatten wir die Finanzkrise . Darum wurden diese Strukturen entsprechend weiterentwickelt . Man muss sich einmal anschauen, welche Aufgaben die drei neu geschaffenen Organisationen haben: Die ESAs, also die EBA, die EIOPA und die ESMA, haben auf der einen Seite die Aufgabe einer kohärenten Regulierung . Das heißt, auf europäischer Ebene werden die Vorgaben gemacht - im gesetzgeberischen Bereich auf Level 1 -, die, wenn sie Verordnungen sind, unmittelbar gelten, oder Richtlinien, die entsprechend umzusetzen sind und dann auf Level 2 und 3 - darauf komme ich noch zu sprechen - konkretisiert werden . Damit dies in Europa, etwa in Portugal, Polen oder Deutschland, kohärent angewendet wird, wurden diese Gremien geschaffen . Gleichzeitig haben sie die Aufgabe, auf Level 2 und Level 3 entsprechende Vorgaben, sogenannte technische Standards, zu definieren. Auf Level 2 sind die Vorgaben durch die delegierten Rechtsakte auf europäischer Ebene definiert. Auf Level 3 können diese Organisationen von sich aus definieren, welche Themen sie auf europäischer Ebene angehen wollen . Sie haben grundsätzlich das Recht dazu; aber die Frage ist, welchen Rechtsstatus dies im Vollzug hat . - Das ist die Ausgangsposition . Dazu kamen in den letzten Jahren die Bankenunion, der Abwicklungsmechanismus und die Aufsicht der Europäischen Zentralbank . Das heißt: Wir haben seitdem eine ganze Reihe von europäischen Institutionen, die sich mit dem Thema „Regulierung und Aufsicht“ national wie europäisch beschäftigen . Darum begrüßen wir, dass die Europäische Kommission eine Evaluierung angestoßen hat, wie wir zukünftig aufgrund der Erfahrungen die Aufsicht weiterentwickeln müssen . Es hat sich ein ganzer Wust entwickelt, den man kritisch prüfen muss, um es besser zu machen und zu optimieren, ohne zu sagen, dass es generell falsch gelaufen ist . Ich möchte bei Level 2 und Level 3 anfangen . Hier wird sehr viel faktische Normierung vorgenommen, die nicht vom Gesetzgeber vorgesehen wurde; die wurden von den Behörden entsprechend implementiert . Die Proportionalitätsprämisse wird nicht immer berücksichtigt das wird fraktionsübergreifend regelmäßig betont -, obwohl das Proportionalitäts- und das Subsidiaritätsprinzip, die unterschiedlichen Strukturen der Banken von diesen Gremien beachtet werden müssen . Das passiert aus unserer Sicht aber zu wenig - gerade mit Blick auf die Genossenschaftsbanken und Sparkassen . Außerdem haben wir eine erhebliche Regulierungsfülle . Ich glaube, eine Rücknahme bzw . Reduzierung der Regulierung wäre durchaus sinnvoll . Ferner wäre es gerade mit Blick auf die Sparkassen und Genossenschaftsbanken sinnvoll, die Zusammenarbeit in deutscher Sprache zu führen, um ihnen das Leben nicht noch schwerer zu machen . Wichtig ist aber insbesondere, dass diese Gremien ihre Kompetenzen nicht überschreiten . Es muss klar sein: Das, was der Gesetzgeber vorgegeben hat, kann nicht zurückgedreht werden, auch wenn es den Gremien nicht gefällt . Das bekannteste Beispiel hängt mit der MiFID zusammen - es ist eines von vielen -: Der Gesetzgeber hat ganz klar entschieden, dass die Honorar- und Provisionsberatung gleichberechtigt nebeneinanderstehen sollen; aber jetzt regulieren die entsprechenden Gremien das in der Form, dass die Provisionsberatung faktisch tot ist und es nur noch die Honorarberatung gibt . - Diese Gremien haben nicht das Recht, am Gesetzgeber vorbei Gesetzgebung zu machen . ({0}) Damit bin ich bei einem der zentralen Punkte: Transparenz hinsichtlich dessen, was in den Gremien passiert, und parlamentarische Kontrolle aus Sicht des Europäischen Parlaments und aus Sicht des Deutschen Bundestages . Um es noch einmal klar zu sagen, weil das immer wieder bewusst falsch verstanden wird: Mir geht es nicht darum, dass im Plenum oder im Ausschuss über einzelne Regulierungsmaßnahmen diskutiert wird . Die Struktur muss aber so sein, dass auf europäischer Ebene eine Kontrolle erfolgen kann wie die auf nationaler Ebene durch die BaFin . Davon sind wir auf europäischer Ebene momentan weit entfernt . Ich glaube, alle in diesem Parlament haben ein Interesse daran, diese Kontrolle zu erreichen . ({1}) Wir müssen dieses Ziel erreichen, weil sich die europäische Aufsichtspraxis infolge der jetzt anstehenden Gesetzgebungsmaßnahmen in den nächsten Jahren etablieren wird . Wenn der Vollzug in den nächsten Jahren etabliert wird und es normal wird, dass weder nationale Parlamente noch das Europäische Parlament involviert sind, dann wird ein Zurückdrehen des Rades noch schwieriger sein, als das jetzt schon ist . Die Aufsichtspraxis pendelt sich momentan zwischen den nationalen Aufsehern und der Europäischen Zentralbank ein . Es ist wichtig, dass wir die verschiedenen Maßnahmen hinsichtlich Normierung und Definition auf der europäischen Ebene zukünftig von Anfang an parallel und einheitlich betrachten . Momentan ist es so: Wir haben beispielsweise Basel, IFRS und Solvency, und jeder Experte schaut nur auf sein Fachgebiet . Die Kohärenz zwischen den einzelnen Maßnahmen wird von den Aufsehern aber nicht beachtet . Diese Kohärenz schlägt sich letztendlich bei den Banken und den Finanzdienstleistern nieder, verbunden mit der entsprechenden Bürokratie und den damit verbundenen Kosten . Diesbezüglich müssen die Aufseher von Anfang an auch auf der oberen Ebene zusammenarbeiten . ({2}) Lassen Sie mich noch etwas zur Rolle der BaFin und der Europäischen Zentralbank sagen . Ich erwarte zukünftig von der BaFin, dass sie gegenüber dem Deutschen Bundestag transparent agiert, sodass wir wissen, wie sie in diesen Gremien verhandelt und was ihre Zielrichtung ist, und ich erwarte, dass sich die BaFin - wir reden hier über den Vollzug; und die europäischen Regelungen werden sehr stark auf nationaler Ebene vollzogen - sehr stark am politischen Willen des Gesetzgebers orientiert . Sollte es auf Level 3 entsprechende Maßnahmen geben, die nicht unserer Zielrichtung entsprechen - das haben wir im Finanzausschuss und im Plenum des Bundestages schon gesagt -, dann sollte man die BaFin dazu auffordern, dies nicht zu implementieren und auf europäischer Ebene zu sagen, dass das in Deutschland nicht möglich ist . Wir haben seit einiger Zeit die Europäische Zentralbank als einen wichtigen Aufseher . Hierbei wird oft vergessen, dass die Europäische Zentralbank Teil der EBA ist . Die Europäische Zentralbank steht nicht über der EBA; sie ist ein Teil der EBA . Wir wissen, dass die Europäische Zentralbank hinsichtlich der Geldpolitik unabhängig ist; die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank bezieht sich aber nicht auf die Aufsicht . Wir erleben aktuell, dass in der Diskussion über AnaCredit klipp und klar gesagt wird, dass sehr viele Daten mit Blick auf die Geldpolitik gesammelt werden . Das mag so sein . Man kann darüber diskutieren, ob das mit Blick auf die Geldpolitik notwendig ist oder nicht . Bezogen auf die Kritik, dass Aufsicht und Geldpolitik in einem Haus stattfinden, hat man anfangs immer verkündet: Chinese Walls! Meine Damen und Herren, daran sollte man sich halten und nicht bereits heute klar sagen, dass diese Daten zukünftig für die Aufsicht verwendet werden . Dazu brauchen wir einen Dialog mit der Europäischen Zentralbank . Darum zeigt auch dieses Beispiel, wie notwendig es ist, dass wir das Thema der Kontrolle durch die Parlamente von parlamentarischer Seite gemeinsam angehen . ({3}) Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir haben die Kosten im Antrag insbesondere deswegen explizit erwähnt, weil wir auf europäischer Ebene bereits jetzt merken, dass es darum geht, wie diese Organisationen zukünftig finanziert werden. Dass eine Finanzierung und möglicherweise eine Ausweitung der Finanzierung notwendig ist, wird überhaupt nicht bestritten . Lassen Sie uns aber bitte zuerst die Evaluierung vornehmen und definieren, wer an welcher Position welche Funktionen hat, und dann über die Kosten reden . Wir sollten es nicht umgekehrt machen: erst die Bürokratie aufbauen und später über die Aufgaben reden . Das wäre genau der falsche Weg . Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag . Besten Dank . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Radwan . - Nächster Redner in der Debatte: Dr . Axel Troost für die Linke . ({0})

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch nach der Diskussion gestern im Finanzausschuss und nach dem Vortrag von Herrn Radwan lässt mich Ihr Antrag nach wie vor ziemlich ratlos zurück . ({0}) Was versprechen Sie sich eigentlich von diesem Antrag? Er fasst in weiten Bereichen Allgemeinplätze zusammen . Wenn Sie schreiben, dass sich durch die Schaffung der neuen europäischen Aufsichtsbehörden eine „zunehmende ‚Regulierungsdichte‘“ entwickelt, dann ist das reichlich banal . Das genau war die Aufgabe . Die neuen Behörden wurden als Lehre aus der Finanzkrise ausdrücklich zu dem Zweck geschaffen, die nationale Aufsicht weiter zu vereinheitlichen und für eine wirksamere Regulierung und Aufsicht zu sorgen . Wir haben immer kritisiert, dass die Regulierung und die Aufsicht nicht weit genug gehen . Aber ich kann mir nicht helfen: Der Grundtenor Ihres Antrags geht eher in die andere Richtung . Man hat das Gefühl, als wollten Sie das Wenige an verschärfter Finanzmarktregulierung eher zurückdrehen als es konsequent weiterentwickeln . Gemeinsame europäische Standards für Regulierung und Aufsicht - dafür wurden diese Institutionen geschaffen - heißt natürlich auch, dass es zu einem gewissen Maß an Gleichmacherei kommen muss, weil die Einrichtungen und die Bankenstrukturen in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich sind . Aber das Ziel muss lauten: Eine Großbank muss in Deutschland, Irland und Spanien möglichst gleich gut reguliert und beaufsichtigt werden . ({1}) Ein sicherlich ärgerlicher Nebeneffekt europäischer Standards ist, dass auch eine Großbank und eine kleine Volksbank innerhalb Deutschlands aufgrund der einheitlichen europäischen Standardisierung immer ähnlicher behandelt werden - eine Tendenz, die nun einmal in der Natur der Vereinheitlichung liegt, der man aber in der Praxis entgegentreten muss . Das haben wir bei allen möglichen Maßnahmen gemacht, als es um genau diese Sonderregelungen ging . In diesem Punkt sind wir uns völlig einig: Es muss aufgepasst werden, dass es hier nicht zu einer Überforderung gerade der kleinen Institute kommt . ({2}) Bei Ihnen bleibt aber als Hauptargument hängen, dass europäische Vorhaben zulasten Deutschlands gingen und man daher bei europäischen Finanzmarktprojekten zunächst einmal bremsen müsse . Das ist aus meiner Sicht so pauschal falsch und eher Stimmungsmache . ({3}) Ich erinnere an unsere Diskussion von heute Vormittag, auch über den Fall Deutsche Bank . Dank der Turbulenzen der letzten Wochen dürfte inzwischen jedem klar sein, dass auch ein Institut wie die Deutsche Bank nicht über jeden Verdacht einer ernsthaften Schieflage erhaben ist . Es gibt wohl niemanden hier im Raum, der glaubt, dass bei einer Schieflage der Deutschen Bank die Kosten allein mit Mitteln aus Deutschland auffangbar wären . Ich warne daher dringend davor, immer wieder den Eindruck zu erwecken, der Rest Europas hätte durch deutsches Geld und durch Deutschland als Zahlmeister Vorteile . Wir brauchen hier europäische Standards, auch als Absicherung . ({4}) Viel schlimmer als die Auswirkungen der bisweilen übertriebenen Aufsichtsstandards der EBA für Sparkassen und Volksbanken sind aus meiner und unserer Sicht die nach wie vor unzureichenden Finanzregulierungen und Aufsichtsstandards für die Großbanken . Wir haben weiterhin keinerlei Lösungen für das Problem „too big to fail“ . Die meisten Institute bzw . Großbanken sind seit der Krise nicht kleiner, sondern im Durchschnitt größer geworden . Wenn die nächste Bankenkrise kommt - und ich prophezeie Ihnen, sie wird kommen -, dann werden die Kosten angesichts der heutigen Großbankenstrukturen in Europa unvorstellbar sein . Statt diese Kosten aber vorausschauend zu begrenzen, sorgen Sie sich in Ihrem Antrag darum, dass - ich zitiere - „einem unkontrollierten Anwachsen der europäischen Aufsichtskosten . . . entgegengewirkt“ wird . Sie rechnen kleinlich in Millionen und vergessen drei- oder vierstellige Milliardenbeträge . Ich fürchte, Sie haben das eigentliche Problem aus den Augen verloren . ({5}) Sagen Sie den Aufsichtsbehörden nicht, was sie nicht machen sollen, sondern versuchen Sie, in einem Antrag festzulegen, was sie besser und anders machen sollen . Sagen Sie vor allen Dingen, wo klarer Handlungsbedarf ist . Solange Sie das nicht tun, werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, weil er völlig unzureichend ist . ({6}) Ein letzter Punkt . Wir Linke und auch die Grünen waren diejenigen, die immer gesagt haben: Die Aufsicht darf nicht zur EZB . Sie haben von der Chinese Wall gesprochen und gesagt: Es gibt keine Alternative dazu; das müssen wir machen . - Wir haben uns immer über diese chinesische Mauer kaputtgelacht . Sie ist inzwischen ein Mäuerchen, über das man im Sitzen von der einen zur anderen Seite gucken kann . Es ist völlig klar: Wenn irgendeine Maßnahme Richtung Italien ergriffen wird, weiß keiner, ob das eine geldpolitische Maßnahme ist oder eine Maßnahme, die der Bankenrettung dient, weil man entsprechende Informationen durch die Aufsicht hat . - Dieses Problem haben Sie gegen unsere Vorstellungen geschaffen . Danke schön . ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Axel Troost . - Der nächste Redner ist Manfred Zöllmer für die SPD . ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Welt der Finanzmärkte hat sich seit der Finanzmarktkrise durchgreifend verändert . Da ist kaum ein Stein auf dem anderen geblieben . Es gibt zwar immer noch einige, die behaupten, es hätte sich überhaupt nichts verändert; aber das ist nicht richtig . Diejenigen, die das behaupten, sind entweder ahnungslos oder böswillig - oder beides . Die wichtigsten Veränderungen hat es auf und mit der europäischen Ebene gegeben . Wir haben den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus geschaffen . Damit wurden endlich die richtigen Schlussfolgerungen aus der Krise gezogen . Übernational agierende Unternehmen müssen auch übernational überwacht und reguliert werden . Finanzmarktkrisen machen nicht an nationalen Grenzen halt . Die Etablierung der Bankenunion in Europa war deshalb konsequent und richtig, lieber Axel . ({0}) Es war mir wichtig, dies am Anfang meiner Ausführungen deutlich zu machen, damit kein falscher Zungenschlag entsteht . Aus unserer Sicht ist Europa Teil der Lösung . Ich glaube, das ist ganz wichtig, und das sollten wir festhalten . ({1}) Es ist eine Vielzahl von Institutionen entstanden, die sich um Regulierung, Aufsicht und Abwicklung kümmern . Seit 2010 sind drei europäische Institutionen - im Folgenden nenne ich sie vereinfachend ESAs - als Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Finanzmärkte errichtet worden . Das sind nicht die einzigen; aber damit beschäftigt sich unser Antrag hauptsächlich . Daneben gibt es natürlich weiterhin nationale Aufsichtsbehörden . In Deutschland sind das für den Bereich der Banken die BaFin, die Bundesbank und natürlich die EZB, die für die Geldpolitik und für die systemrelevanten Banken in Europa zuständig ist . Politisches Ziel war und ist es, die Regulierung und die Beaufsichtigung in Europa kohärenter und konvergenter zu machen . Dazu brauchen wir Regeln, die eine Aufsichtsarbitrage, also Vorteile durch unterschiedliche Auslegungen, nicht zulassen . Es ist normal, dass eine völlige Umgestaltung der Aufsichtsstruktur neben einer Verbesserung von Konvergenz und Kohärenz der Aufsicht auch Probleme in der Praxis mit sich bringt . Neugeschaffene Institutionen versuchen natürlich, sich ihre Reputation und Existenzberechtigung durch einen manchmal überbordenden Aktionismus zu sichern, und wenn es ein überbordender Aktionismus ist, dann muss man das auch entsprechend benennen . Wir haben auf der anderen Seite natürlich auch verbleibende nationale Aufsichtsbehörden, die ebenfalls versuchen, ihre Existenzberechtigung deutlich zu machen; das ist ja völlig klar . Es gibt eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen, die entsprechend konkretisiert und in der Praxis umgesetzt werden müssen . All das geschieht in Ländern mit sehr unterschiedlicher Struktur der Finanzmärkte . - Lieber Axel, allein die deutsche Struktur mit ihren drei Säulen ist ja einmalig in Europa . Es gibt nichts Vergleichbares . Wir wollen das doch um jeden Preis erhalten, weil es sich bewährt hat . Das ist doch ein ganz wichtiges Ziel . ({2}) Wir sind damit beim Kern des Problems . Unser Anliegen ist es, zu einer effizienten Weiterentwicklung des Gesamtsystems zu kommen und mit einer Bestandsaufnahme auch auf kritische Entwicklungen hinzuweisen . Das hat nichts damit zu tun, dass wir irgendetwas zurücknehmen wollen, sondern es geht um Weiterentwicklung . Der wichtigste Punkt ist und bleibt die Forderung nach strikter Beachtung des Proportionalitätsgrundsatzes . Was heißt das? Kleine Institute - Sparkassen, Genossenschaftsbanken und kleine Privatbanken - müssen anders beaufsichtigt und reguliert werden als systemrelevante Großbanken . Die systemrelevanten Banken bedürfen einer strengen und starken Regulierung, die - da gebe ich dir recht - noch nicht abgeschlossen ist; ich will hier nur das Stichwort „Trennbanken“ nennen . ({3}) Risikoarme Institute dürfen jedoch nicht regulatorisch erdrosselt werden . Diese Gefahr besteht an manchen Punkten . Das würde unsere Struktur beschädigen, und das ist etwas, was wir nicht wollen . ({4}) Die ESAs sollen in dem Rahmen tätig werden, der ihnen vom demokratisch legitimierten europäischen Gesetzgeber vorgegeben wurde . Es kann nicht sein, dass Beschlüsse des Europäischen Parlaments durch Umsetzungsvorgaben ins Gegenteil verkehrt werden; Herr Kollege Radwan hat das Beispiel eben genannt . Darüber hinaus ist es notwendig, die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der europäischen mit den nationalen Aufsichtsbehörden in den jeweiligen Gremien zu vertiefen und weiterzuentwickeln . Darüber hinaus brauchen wir eine Diskussion über Aufsichtsstrukturen bei der Bankenaufsicht auch in Zukunft . Die doppelte Zuständigkeit der EZB für GeldpoDr. Axel Troost litik und Bankenaufsicht ist auf Dauer nicht akzeptabel . Wir Sozialdemokraten haben das von Anfang an so formuliert . Nur, wir waren in einer Situation, in der die EZB die einzige funktionierende Institution war, die diese Aufgabe zum damaligen Zeitpunkt übernehmen konnte . Deswegen war die Entscheidung damals richtig . ({5}) Wir wollen dies nicht aus den Augen verlieren, obwohl wir natürlich wissen, dass Europa in der gegenwärtigen Situation mit ganz anderen Problemen kämpft . Aber auch wenn das so ist, ist es Aufgabe des Deutschen Bundestages, die Arbeit der ESAs zu bewerten und nicht nur die bemerkenswerte Aufbauarbeit zu loben, was wir ausdrücklich tun, sondern auch auf Aspekte hinzuweisen, die der Verbesserung bedürfen . Das ist nicht antieuropäisch . Das tun wir mit diesem Antrag . Ich würde mich freuen, wenn unser Anliegen auch die Unterstützung der Opposition findet. Wenn sich die Linken wie im Ausschuss enthalten, ist das für eure Situation ja schon fast wie Zustimmung . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Gerhard Schick von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es so wie Axel Troost . Der Antrag hat verschiedene Punkte und lässt einen ein bisschen ratlos zurück . Ich habe den Eindruck, dass es das besondere Anliegen eines Kollegen war, der früher im Europäischen Parlament saß, das Thema aufzubringen . Deswegen ist es ein guter Tag für Alexander Radwan, bringt Europa aber irgendwie nicht voran . ({0}) Ich will einzelne Punkte aufgreifen, erstens die Proportionalität bei der Bankenaufsicht . Wir sind uns insofern einig, als klar ist: Die Besonderheiten kleiner Institute müssen besonders berücksichtigt werden . Es darf nicht dazu kommen, dass eine Regulierung, die für Großbanken passt, dann kleine Banken erdrückt und es damit insgesamt zu einer Konzentrationstendenz kommt . Wir sind dagegen . Das haben Sie allerdings auch schon im Frühjahr 2012 in einem ähnlichen Entschließungsantrag gefordert . Ich frage mich, warum es nötig ist, den Bundesfinanzminister daran noch einmal zu erinnern. Anscheinend sind Sie damit nicht ganz zufrieden . ({1}) Vor allem aber greift diese Forderung ein Stück weit zu kurz, wenn sie sich nur an die europäischen Aufsichtsbehörden richtet . Vielmehr werden wir das auch in den Regulierungen selber festschreiben müssen . Wir sind seit Langem der Auffassung, dass es für kleine Banken einen eigenen Regulierungsansatz braucht; denn wenn die Regulierungsvorgaben so sind, wie sie heute sind, dann kommen die Aufsichtsbehörden irgendwann an ihre Grenze und können die besonderen Geschäftsmodelle von kleinen Instituten, insbesondere von denen, die regional eingegrenzt mit besonders eng gefasstem Geschäftsmodell tätig sind, nicht mehr berücksichtigen . Deswegen ist die Idee einer Small Bank Box richtig, das heißt, in die Regulierung eine eigene klare Regelung für kleine Banken aufzunehmen . Damit ist klar: Wenn wir über die internationale Bankenregulierung sprechen und verhandeln, dann ist das nicht immer wieder eine Bedrohung für das Geschäftsmodell kleinerer Institute . An dieser Stelle gehen wir über Ihre Forderung noch hinaus . ({2}) Der zweite Punkt, den ich hier nennen will, - Sie haben es angesprochen - ist die Frage der Zuständigkeiten bei der Bankenaufsicht mit Blick auf EBA und EZB . Bei Ihrer Forderung zur weiteren Ausgestaltung bleiben Sie unseres Erachtens auf halber Strecke stehen . Es reicht nicht, die Geldpolitik und Bankenaufsicht bei der EZB stärker zu trennen . Es ist auch nicht ausreichend, eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen EBA und EZB vorzunehmen . Vielmehr muss man bei der nächsten Vertragsänderung dazu kommen, dass eine eigene Institution für die Bankenaufsicht zuständig ist . Wenn man hier für die Zukunft Ideen vorträgt, dann gehört unseres Erachtens dieser Punkt auf die Tagesordnung . Es wird nicht ausreichen, diese Trennung nur innerhalb der EZB vorzunehmen . ({3}) Worin wir uns relativ einig sind, ist die Frage der Kontrolle der europäischen und nationalen Behörden durch die jeweiligen Parlamente . Diese muss verstärkt werden . Es kann nicht sein, dass Aufsichtsbehörden ein Eigenleben entwickeln . Wir allerdings haben insgesamt nicht den Eindruck, dass man die Finanzaufsichtsbehörden bremsen muss, wie das in Ihrem Antrag mitschwingt . Ich bin froh, wenn eine Finanzaufsichtsbehörde wirklich versucht, den Finanzmarkt sauber aufzustellen . Da könnte sich vielleicht die BaFin in Deutschland an der einen oder anderen Stelle eher noch eine Scheibe abschneiden . Ihre Forderung, dass auch die Mitarbeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in den Gremien der ESAs transparenter wird und somit für den Deutschen Bundestag besser nachvollziehbar, richtet sich an die von Ihnen getragene Bundesregierung . Die Frage, welche Informationen wir über das Handeln der BaFin haben, entscheidet der Bundesfinanzminister. An dieser Stelle haben Sie unsere ausdrückliche Zustimmung . Das kritisiere ich schon seit Jahren . Vielleicht wissen Sie, dass ich mit einigen Fraktionskollegen in dieser Frage in Karlsruhe vorstellig geworden bin, weil das komplette Abschirmen aller Informationen, die die BaFin betreffen, vor den Kontrollmöglichkeiten des Parlaments unseres Erachtens nicht gerechtfertigt ist und dazu führt, dass wir die parlamentarische Kontrolle nicht umsetzen können . ({4}) Es gab ein Petitum des Bundesrechnungshofes, über das Sie gesagt haben, das wollten Sie aufgreifen. Das finden wir richtig . An dieser Stelle gibt es eine Lücke, dass ein Teil des Aufsichtshandelns weder vom Bundesrechnungshof, also der deutschen Institution, noch vom Europäischen Rechnungshof, also der europäischen Institution, geprüft werden kann . Diese Lücke muss geschlossen werden . Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen . Wenn ich einen Strich unter Ihren Antrag ziehe, kann ich feststellen: einige richtige Punkte und einige Punkte, die zu kurz greifen . Wir sehen nicht, dass dieser Antrag die Debatte entscheidend verändern wird . Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Antrag enthalten . Ich glaube, wenn wir etwas in Europa bewirken wollen, dann ist es wichtig, dass man gemeinsam eine klare Forderung aufstellt, die wir in Richtung Straßburg und Brüssel gemeinsam vertreten . Vielleicht gelingt es beim nächsten Mal, dass wir vorab im Finanzausschuss nicht nur eine Selbstbefassung haben, sondern uns wirklich zusammensetzen und schauen, was wir gemeinsam erreichen wollen . Danke schön . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Klaus-Peter Flosbach von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit den Jahren 2007 und 2008 haben wir uns auch im Deutschen Bundestag mit gewaltigen Herausforderungen beschäftigen müssen . Wir hatten erst die Finanzkrise, dann die Wirtschaftskrise und anschließend die Staatsschuldenkrise, die von vielen als Euro-Krise bezeichnet wurde . ({0}) Wenn wir heute die Wirtschaft in Deutschland sehen die niedrigste Arbeitslosenquote, den höchsten Beschäftigungsgrad, steigende Löhne und eine Finanzwirtschaft, die wieder funktioniert -, dann können wir sagen: Mit all den Maßnahmen, die wir in den letzten sechs, sieben Jahren umgesetzt haben, haben wir in Deutschland auch ein Stück Stabilität geschaffen . Insofern ist das auch ein Stück Erfolg der deutschen Politik . ({1}) Wir haben, wie Sie alle wissen, 40 Gesetzespakete teilweise von der europäischen Ebene und teilweise als Vorreiter im deutschen Parlament umgesetzt, und wir haben von den Grünen und von den Linken viel Kritik bekommen, dass das alles nicht ausreicht, obwohl wir bei all diesen Maßnahmen in Europa meistens die Ersten waren . Die wirtschaftliche Betrachtung Deutschlands heute zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind . Es ging nicht nur um mehr Eigenkapital, außerbörsliche Derivate, die Regulierung von Ratingagenturen und ähnliche Fragen, sondern es ging um Themen, die die gesamte Wirtschaft betreffen . Wenn wir Themen diskutieren, die die Regulierung des Finanzmarkts betreffen, dann ist es nicht nur wichtig, dass wir gute Gesetze machen, die auch umgesetzt werden, sondern diese Gesetze müssen auch kontrolliert werden . ({2}) Dazu brauchen wir eine exzellente, herausragende Aufsicht in Deutschland und vor allen Dingen auch in Europa . Meine Damen und Herren, in den Krisenjahren haben wir erlebt, dass die Produkte, die Märkte und die Teilnehmer zum großen Teil international aufgestellt waren, die Kontrolle bzw . die Aufsicht aber national . Darin lag eine sehr große Problematik. Denn der nationale Einfluss auf die Firmen war nicht so groß, wie er hätte sein müssen . Deshalb wurden viele Dinge auch nach der Phase der Deregulierung einfach nicht gesehen . Ich erinnere mich wie viele Kollegen in diesem Raum noch an das Jahr 2007, als das Thema IKB im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages behandelt wurde und die Crème de la Crème der deutschen Finanzpolitik bis hin zur Aufsicht uns nicht erläutern konnte, in welcher problematischen Situation wir uns befinden. Eine der ersten Maßnahmen war, auf europäischer Ebene Aufsichtsgremien zu schaffen . Damals wurden drei Aufsichtsbehörden geschaffen, und zwar die EBA, die Europäische Bankaufsichtsbehörde, dazu die EIOPA für die Versicherungen und die ESMA für die Wertpapiere . Sie sollen vor allen Dingen die Aufsicht besser verzahnen und wirksame Regulierungen nach gemeinsamen Regeln finden. Das war bis dato nicht der Fall. Der Ausschuss für Systemrisiken ist noch hinzugekommen . Man muss den Finanzmarkt nicht nur national in das Unternehmen hinein betrachten, sondern auch von außen, „makroprudenziell“, wie es heißt . Mit diesen verschiedenen Säulen - dazu kommt die nationale Aufsicht, die unmittelbar in die Firmen hineinragt, in Deutschland die BaFin und die Bundesbank -, haben wir ein neues Modell auf europäischer Ebene kreiert . Diese europäischen Aufsichtsbehörden müssen aber jetzt Maßnahmen für inzwischen 28 europäische Länder treffen . In der Tat haben wir - das haben auch einige Kollegen angesprochen - völlig unterschiedliche Strukturen im Bankenbereich . Wir in Deutschland haben das sogenannte Drei-Säulen-System . Dazu gehören die Volksbanken und Raiffeisenbanken, die öffentlich-rechtlichen Banken - das sind die Landesbanken und vor allen Dingen die über 400 Sparkassen - und der gesamte private Bereich . Das sind völlig unterschiedliche Säulen, die auch völlig unterschiedliche Anforderungen an die Regulierung in ihrem Bereich haben . In diesem Zusammenhang gibt es die größte Kritik an den europäischen Aufsichtsbehörden, nämlich dass sie gegen zwei Prinzipien verstoßen, die vom Gesetzgeber vorgegeben worden sind . Das eine ist das Subsidiaritätsprinzip, das heißt, man muss auf europäischer Ebene nicht das regeln, was man auf nationaler Ebene regeln kann . Das andere ist: Man muss beim Handeln die Proportionalität beachten, das heißt, kleine Banken müssen klein reguliert werden und große müssen groß reguliert werden . In dieser Frage unterstütze ich die Kritik an den europäischen Aufsichtsbehörden . ({3}) Dieser Konflikt führt dazu, dass wir auch zurzeit deutliche Defizite in der europäischen Aufsicht haben. Die Kommission hat in einem Bericht dargelegt, dass es einen bemerkenswerten Erfolg in der Aufbauarbeit gibt . Aber sie hat auch Defizite und Fehlentwicklungen aufgezeigt und deutlich gemacht, dass wir die jetzigen Aufgaben der europäischen Aufsichtsbehörden überdenken müssen . Wir selbst werden selbstverständlich dieses Thema noch erweitern müssen, allein schon aus dem Grund, dass wir am Ende 2014 die Umsetzung der Europäischen Bankenunion beschlossen haben . Europäische Bankenunion bedeutet, dass die 120 großen Finanzunternehmen bzw . die drei größten Finanzunternehmen im jeweiligen Land von der Europäischen Zentralbank kontrolliert werden . Die anderen, die kleinen und regionalen Banken werden im Wesentlichen von den nationalen Behörden kontrolliert . Allein aus diesem Grund muss überdacht werden, welche Rolle eine europäische Aufsichtsbehörde mit ihren Vorgaben für Banken, Versicherungen und Wertpapiere spielen soll . Für uns ist dabei immer wichtig gewesen, dass die Regeln so getroffen werden, dass wir einen stabilen Finanzmarkt haben und dass nicht der Steuerzahler für Fehler der Banken herangezogen wird . Das ist unser zentraler Punkt . Das wollen wir in diesem Bereich auch so umsetzen . ({4}) Wo es viele Beteiligte in der Aufsicht gibt - Europäische Zentralbank, die drei verschiedenen europäischen Aufsichtsbehörden, die deutschen Behörden und die sogenannten Systemausschüsse -, gibt es auch mehrfache Zuständigkeiten . Die Kritik lautet daher, dass die europäischen Aufsichtsbehörden inzwischen den Rahmen, den ihnen der Gesetzgeber vorgegeben hat, deutlich überschritten haben, dass die Standards und Leitlinien weit über die sogenannten regulatorischen politischen Vorgaben hinausgehen . Da müssen wir selbstverständlich aufpassen, gerade wenn es um Subsidiarität und Proportionalität geht . Bei der Subsidiarität geht es vor allem um die enorme Regulierungsdichte, die unmittelbar in die nationale Aufsicht hineinragt . Bei der Proportionalität geht es darum, dass die kleinen Unternehmen nicht in geringerem Maße kontrolliert werden, sondern vielfach die gleichen Anforderungen wie die Großunternehmen erfüllen müssen . Das kann nicht der Sinn einer europäischen Vorgabe und Regulierung sein . ({5}) Es gibt zu viele Daten . Vieles wird nicht in deutscher Sprache vorgegeben . Zudem gibt es zu viele Normsetzungen . Wenn ich mir die aktuelle Diskussion mit der Europäischen Zentralbank über die Forderung nach AnaCredit vor Augen führe, wonach jeder Kredit über 25 000 Euro mit 100 Informationen belegt werden muss, dann frage ich mich natürlich, was eigentlich die Aufgabe der Europäischen Zentralbank ist . Ist es ihre Aufgabe, die Großen zu kontrollieren, damit es nicht zu einer erneuten Finanzkrise kommt, oder ist es ihre Aufgabe, die Kleinen mit Daten zu belasten, was hohe Kosten verursacht und nichts zur Finanzstabilität beiträgt? ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen gute Aufseher nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa . Sie sind für uns als Parlamentarier mit die wichtigsten Ansprechpartner . Kollegen haben bereits darauf hingewiesen, dass die Zukunft der Europäischen Zentralbank nicht in der Aufsicht, sondern in der Geldpolitik liegen sollte und dass wir zu einer Trennung von Aufsicht und Geldpolitik kommen müssen . Für uns als Abgeordnete ist wichtig, mit den Aufsehern intensiv zusammenzuarbeiten; denn unsere Aufgabe ist, weitere Krisen zu verhindern und immer dafür zu sorgen, dass der Steuerzahler für Krisen anderer nicht herangezogen wird . Vielen Dank . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte hat Christian Petry von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beiträge von Gerhard Schick und Axel Troost waren bemerkenswert . Besonders bemerkenswert war für mich, dass sich beide ratlos gaben . Sie wären ratlos . ({0}) Wenn allerdings Ratlosigkeit zu Enthaltung führt, dann müsste man einmal darüber nachdenken, ob man das nicht zum System macht . ({1}) Da für die Opposition die Enthaltung eine der höchsten Formen der Zustimmung ist, fühlen wir uns dadurch geehrt . ({2}) - Herr Gerhard Schick, wie ich sehe, sitzen Sie nun in den Reihen der Linksfraktion . Das habe ich erst jetzt bemerkt . Manfred Zöllmer hat an dem vorliegenden Antrag wesentlich mitgearbeitet und verhandelt . Wir haben zuerst gedacht, dass es Ihnen nicht auffällt, dass es das Verdienst dieses Kollegen war . Manfred Zöllmer hat in Verhandlungen dafür gesorgt, dass hier einiges hineinkommt . Das ist dann aber Gerhard Schick aufgefallen, und er hat es genannt . Ich glaube jedenfalls, dass wir in der Überschrift unseres Antrags „Europäisches System der Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“ ein gutes Ziel formuliert haben . Das ist ein klares Bekenntnis zum europäischen System der Finanzaufsicht . Es ist zudem ein klares Bekenntnis, dass wir Effizienz in der Weiterentwicklung wollen . Es ist hier genannt worden, dass die Gründung der Finanzaufsicht ja einen gewissen Hintergrund hatte: eine Krise . Herr Kollege Flosbach hat hier ausführlich und auch sehr nachvollziehbar dargelegt, wie die EBA, die EIOPA und die ESMA für Banken, Versicherungen und Wertpapiere gegründet wurden . Es gab klare Koordinierungs- und Regelungsaufgaben in diesem Bereich . Die Aufsichtskompetenz musste auch dort liegen, damit man der Krise entgegentreten kann . Wir wollten und wollen ja in vielen Dingen, die wir hier geregelt haben, mehr Transparenz, mehr Schutz, mehr Aufsicht und auch mehr Sanktionsmöglichkeiten, wenn etwas schiefläuft. ({3}) Diese Dinge sind letztlich auch in diesem Antrag implementiert, Herr Kollege Trost . ({4}) Im Übrigen: Es wurde eben gesagt, es würden sich gewisse Punkte an die Bundesregierung richten . Der ganze Antrag richtet sich an die Bundesregierung . Darin steht: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf“, all die Punkte zu tun . Es ist doch eine vorzügliche Aufgabe des Parlaments, hier die Dinge zu formulieren, die es für weiterentwicklungsbedürftig hält . Der Kommissionsbericht zur Arbeit der ESAs fällt positiv aus . Wir teilen diese Einschätzung . Man sollte hier auch nicht den Eindruck erwecken, das wäre negativ . Insgesamt gesehen sind wir froh, dass diese Aufsichts- und Kontrollgremien ihre Arbeit tun . Bei allem Positiven muss man die Level-3-Regelungen, die genannt worden sind, im Auge haben . Wenn sie für eine große Bank gemacht sind, aber auf eine kleine Bank letztlich auch Anwendung finden sollen, dann sollten die kompetenten Ansprechpartner von uns auf unsere Auffassung hingewiesen werden . Die Proportionalität und die Subsidiarität müssen erhalten bleiben . Das heißt, beides muss sich in den Regelungen wiederfinden. Es kann keine starre Regelung, Vereinheitlichung aller entsprechenden Aufsichtskriterien geben, sondern es muss an die entsprechende Situation vor Ort angepasst sein . Aber es muss auch klar sein: Es muss Transparenz herrschen, es muss Sicherheit herrschen, und eine Lockerung oder eine Änderung der Vorgehensweise darf nicht zu neuen Risiken führen . Dies müssen wir hier - wie auch im Antrag gefordert - entsprechend umsetzen . ({5}) Die Arbeit der ESAs hat also schon deutliche Fortschritte gebracht . Auch die nationalen Aufsichtsbehörden sind nach diesem Prozess wesentlich effektiver, und die Risiken sind minimiert . Ich möchte am Schluss noch auf einen Punkt eingehen, der mir besonders wichtig ist . Also nicht unbedingt, dass jetzt alles auch in deutscher Sprache vorliegen muss . Das ist ein netter Wunsch, aber das ist nicht unbedingt mein zentraler Punkt . Ich bin der Auffassung, dass wir perspektivisch die Trennung von Bankenaufsicht und Geldpolitik bei der EZB als Schwerpunkt im Auge behalten sollten . Die kleine chinesische Mauer, wie sie Axel Troost genannt hat, ist letztlich also aufgebaut und ist als große chinesische Mauer entstanden, aus der Not geboren, weil man in dieser Situation die Aufsicht über systemrelevante Banken in der Euro-Zone verorten musste . Die Gründung des SSM zeigt, dass Europa die Weltmarktkrise meistern will und daraus die richtigen Lehren gezogen hat . Ihn - in Ermangelung von Alternativen zum damaligen Zeitpunkt bei der EZB zu verorten, darf natürlich nicht dazu führen, dass wir sagen, dies soll auf Ewigkeit so bleiben . Wir müssen darauf hinarbeiten, dass es hier wiederum eine Trennung der beiden Funktionen gibt . ({6}) Perspektivisch müssen Bankenaufsicht- und Geldpolitik voneinander getrennt werden . Denn wenn bei steigenden Inflationsraten eigentlich eine Leitzinserhöhung notwendig wäre, dies aber gleichzeitig angeschlagene Banken gefährdet, dann sind das natürlich zwei Dinge, die miteinander nicht vereinbar sind und die man betrachten muss . Ein zweiter Punkt: Die demokratische Legitimation des SSM ist zurzeit natürlich nicht in ausreichendem Maße gegeben . Auch hier sind wir als nationales Parlament mit im Boot . Ich denke, das ist ein legitimes Ansinnen, das wir nicht aus den Augen verlieren sollten . Auch dem trägt dieser Antrag Rechnung . Alles in allem bin ich überzeugt, dass wir mit diesem Antrag eine gut formulierte Handlungsoption als Auftrag für die Bundesregierung haben . Die Aufforderung geht an die Bundesregierung, hier diese Schritte in die Wege zu leiten . Ich glaube, das ist von denjenigen, die es ausgearbeitet haben, gut gemacht . Herzlichen Dank dafür . Es findet sich sehr viel wieder; und wird es in dieser Form umgesetzt, glaube ich, wird das große Ziel mehr Transparenz, mehr Effektivität, mehr Sicherheit im Finanzwesen auch erreicht werden . Lassen Sie uns in diesem Sinne zusammenarbeiten! Glück auf! ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa- che 18/7539 mit dem Titel „Europäisches System der Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“. Wer stimmt für den Antrag? - Das ist die Koalition . Wer stimmt da- gegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition ohne Gegenstimmen und bei Enthaltung der Opposition angenommen worden . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Ge- schlechts Drucksachen 18/8, 18/7375 b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1}) gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Volker Beck ({2}), Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare Drucksachen 18/5098, 18/7257 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Debatte und bitte die Kolleginnen und Kollegen, zügig die Plätze einzunehmen und die Gespräche einzustellen . Jetzt hat nur noch der Redner das Wort, und das ist Harald Petzold von der Fraktion Die Linke . ({3})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den Besuchertribünen! Seit 850 Tagen liegt der Gesetzentwurf zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, den meine Fraktion eingebracht hat, dem Deutschen Bundestag zur Beratung vor . Seit 850 Tagen ist diesem Parlament und vor allen Dingen der Großen Koalition nichts dazu eingefallen, wie sie sich zu diesem Gesetz positionieren wollen, und das, obwohl die SPD im Bundestagswahlkampf „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns“ versprochen hat, und das, obwohl sie einen Koalitionsvertrag geschlossen hat, in dem es heißt: Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Menschen auf Grund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden . Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen . 850 Tage gleichstellungspolitischer Stillstand und keine Gleichstellung zu 100 Prozent, 850 Tage gleichstellungspolitischer Tiefschlaf sogar; denn die wenigen Trippelschritte, die Sie gegangen sind, sind Sie nur deswegen gegangen, weil das Bundesverfassungsgericht Sie per Urteil dazu gezwungen hat, die Sukzessivadoption einzuführen . Wer sich die Wirkung dieses Gesetzes genauer anschaut, wird berechtigterweise die Frage stellen: Welches Argument gibt es eigentlich noch, um die volle Adoption zu verweigern? Mit dem Recht auf Sukzessivadoption kann man es praktisch erreichen, dass zwei Lebenspartner ein Kind gemeinsam adoptieren können . Deswegen sage ich: Ihr Verhalten ist Betrug an Wählerinnen und Wählern, vor allen Dingen ist das Verhalten der SPD Betrug an ihren Wählerinnen und Wählern . Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sollten sich schon einmal die Frage stellen, warum es immer wieder Ihre Vertreter im Rechtsausschuss sind, die, wenn wir den Gesetzentwurf auf die Tagesordnung setzen wollen, beantragen, dass er nicht behandelt wird . Sie sollten aufpassen, dass nicht die Union Ihnen im Wahlkampf 2017 das Argument entgegenhalten kann: Es waren immer die Kolleginnen und Kollegen der SPD, die verhindert haben, dass das Gesetz behandelt werden kann . - Damit sind Sie dann die Letzten, die hier im Parlament Nein sagen, obwohl wir eigentlich eine rechnerische Mehrheit für das Gesetz haben . ({0}) Sie haben nicht einmal bemerkt, dass wir inzwischen das 15-jährige Jubiläum des Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft haben, ({1}) eines Gesetzes, das seinerzeit tatsächlich einen historischen Wendepunkt dargestellt hat und mit dem Deutschland wirklich an der Spitze all derjenigen gewesen ist, die sich darum bemüht haben, dass Lesben und Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle endlich in der Gesellschaft gleichbehandelt werden . Es gab vor einigen Tagen eine interessante Veranstaltung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, auf der die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, CDU, einen sehr interessanten Satz gesagt hat . Wenn Sie mir schon nicht glauben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dann glauben Sie doch wenigstens Frau Süssmuth, die gesagt hat: Es ist notwendig, dass wir angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen neue Ideen entwickeln, ein neues Denken an den Tag legen, um Blockaden aufzulösen . Ich sage Ihnen: Die Freigabe der Abstimmung über die Möglichkeit der Eheschließung gleichgeschlechtlicher Lebenspartner wäre Ausdruck eines solchen Denkens . Sie von der Union können Ihrem Fraktionsvorsitzenden ausrichten, er könne ganz beruhigt bleiben; niemand wolle ihn zwingen, mit Ja zu stimmen . Aber ich will, dass wir ein neues Denken an den Tag legen, diese Abstimmung freigeben, sodass endlich all die, die mit Ja stimmen wollen - auch die in der Union -, mit Ja stimmen können . Dann können wir die hier im Deutschen Bundestag vorhandene rechnerische Mehrheit endlich nutzen . ({2}) Ich kann Ihnen versichern - die Geschäftsordnung gibt es ja her -: Sie werden von uns als Opposition weiterhin mit diesem Thema beschäftigt werden . Die Zehnwochenfrist für die nächste Berichterstattung zum Umgang mit diesem Gesetz hat mit der gestrigen Ausschusssitzung angefangen . Sie können sich sicher sein: Spätestens vor der Sommerpause, also zum Jahrestag des Inkrafttretens des Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft, werden Sie die nächste Debatte dazu bekommen . Ich bin gespannt, ob die Große Koalition bis dahin eine Idee entwickelt hat, wie sie mit diesem Gesetzentwurf umgehen will . Ich danke für die Aufmerksamkeit . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Stefan Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wieder einmal führen wir hier im Haus eine Debatte zum Thema Öffnung der Ehe . Dabei ist die Rollenverteilung klar: Die Opposition will uns bei einem Thema vorführen, das unbestritten schon lange wichtig ist, bei dem sie aber genau weiß, dass die Regierung noch nicht so weit ist . ({0}) Ohne die Regierung und ohne die sie tragenden Parteien, Herr Kollege Kahrs, geht es nun einmal nicht, selbst wenn die Zustimmung zur Öffnung der Ehe in der Bevölkerung nach allen Umfragen stetig zunimmt und mittlerweile wohl sogar bei mehr als zwei Dritteln liegt . Was bleibt der Opposition also? Sie muss überzeugen, und zwar durch Sachlichkeit, und das ist ihr Ding nicht oder jedenfalls nicht immer . Ja, ich verstehe Ihre Ungeduld; ({1}) aber Sie müssen auch uns verstehen, liebe Kollegen . Wir brauchen Zeit . Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich gleichermaßen die, die noch am tradierten, kirchlich geprägten Begriff der Ehe hängen, wie jene, die, mich eingeschlossen, aktiv für eine Öffnung dieser Position werben und streiten - in der Partei und außerhalb der Partei . Sie glauben gar nicht, was es, wenn es konkret wird, noch für Widerstände gibt . Ich könnte Ihnen ein Lied davon singen, zum Beispiel davon, was mein Mann Rolf und ich im Zuge unserer kirchlichen Segnungsfeier im Mai letzten Jahres erlebt haben . Aber auch hier gilt: Wir müssen in unserer gesamten Gesellschaft noch Überzeugungsarbeit leisten . Die meisten von Ihnen wissen: Ich befinde mich seither in einem durchaus kritischen Dialog mit den Kirchen und insbesondere auch mit meiner eigenen Kirche, der römisch-katholischen Kirche . Ich führe diesen Dialog auch, weil mein Glaube mir wichtig und nicht nur Fassade ist und weil ich nicht ohne Weiteres hinnehmen will, dass die römisch-katholische Kirche noch keinen wirklichen Weg des Umgangs mit gleichgeschlechtlich Liebenden gefunden hat . Doch selbst in der katholischen Kirche, jedenfalls in Deutschland, spüre ich eine wachsende Offenheit, vielleicht noch nicht beim Rütteln am Sakrament der Ehe, aber im Umgang mit gleichgeschlechtlich Liebenden . Da sind übrigens die vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken im Mai letzten Jahres in Würzburg beschlossenen Erklärungen ein ermutigendes Signal . Man sucht nach Wegen, die Verbindung zweier Menschen gleichen Geschlechts in einer Feier vor Gott segnen zu können . Warum also tun wir uns als Gesetzgeber so schwer? ({2}) Warum verengen wir die Ehe weiterhin auf die Verbindung von Mann und Frau? Oder aber: Wem schadet es, wenn wir die Ehe öffnen? ({3}) - Jetzt hören Sie doch erst einmal zu . - Ich darf dazu kurz aus der Predigt von Pfarrer Pfützner bei unserer alt-katholischen Segnungsfeier im Mai letzten Jahres zitieren: Unsere Gesellschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten . . . eine erstaunliche, aber auch notwendige Entwicklung gemacht, und diese Entwicklung ist an den Kirchen nicht spurlos vorübergegangen . ({4}) Heraushalten werden sie sich daraus schon deshalb nicht können, weil in ihnen homosexuelle Menschen leben und weil diese Menschen, die sich in unserer Gesellschaft Gott sei Dank nicht mehr verstecken möchten, - auch in den Kirchen nicht Harald Petzold ({5}) gerade dort, wo die Liebe Thema eins ist und wo der Glaube an einen Gott lebt, den wir als grenzenlos erfahren, als grenzenlos auch in der Liebe . Jesus hat uns gerade diese Seite gezeigt, und er ist so nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Ablehnung gestoßen . Aber gerade das lässt aufhorchen: Wer bestimmt denn, bis wo die Liebe gehen und was als Liebe bezeichnet oder nicht bezeichnet werden darf? Und was macht die so sicher, die genau zu wissen scheinen, wo die Grenze ist? Das ist es, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es geht um Liebe, es geht um gelebte Verantwortung, und es geht um Werte . Es geht also nicht nur um ein Rechtsinstitut . Deshalb sollten wir die Debatte auch nicht kleiner machen, als sie ist . Nein, es geht um ein Symbol . Es geht um die Ehe als Symbol für ein stabiles Band, das nach außen dokumentiert, dass zwei Menschen, die sich lieben, zusammengehören und füreinander Verantwortung übernehmen - ein Leben lang -, die füreinander da sind, in guten wie in schlechten Tagen . Das nennt man gemeinhin Ehe . Und, ach ja: Auch im allgemeinen Sprachgebrauch sind zwei Menschen gleichen Geschlechts verheiratet und nicht verpartnert . Übrigens wurde meinem Mann Rolf und mir letztes Jahr von nahezu allen Gratulanten zur Hochzeit gratuliert - und nicht zur Verpartnerung . ({6}) - Auch von der CDU . - Die Word-Spracherkennung kennt das Wort „verpartnert“ im Übrigen nicht, bis heute nicht, trotz 15 Jahre Lebenspartnerschaftsgesetz . ({7}) Wie ist nun die Rechtslage? Die zivilrechtliche Definition dessen, was Ehe ist, obliegt dem Gesetzgeber . Hierbei steht es ihm meines Erachtens frei, das zivilrechtliche Institut der Ehe abweichend vom naturrechtlich oder kirchlich geprägten Begriff der Ehe zu regeln . Das gerne ins Feld geführte Urteil des Verfassungsgerichts zum Ehebegriff stammt aus einer anderen Zeit und könnte ohne auf das Argument des gewandelten Zeitgeistes abstellen zu müssen - eine Revision erfahren . Klar ist aber auch, meine Damen und Herren: Die Neufassung des Ehebegriffs fällt einer Partei, die, wie das bei uns der Fall ist, das C im Namen trägt, schwerer als einer Partei, die sich betont atheistisch gibt . ({8}) Und nun ist es ja auch nicht so, dass unser Staat schon völlig säkularisiert wäre . Noch immer spielt der christliche Glaube für viele Menschen jedenfalls im Alltag eine wichtige Rolle, ({9}) und damit spielen auch die Handlungsanleitungen der christlichen Kirchen eine wichtige Rolle, lieber Herr Kollege Beck . Das können die Vertreterinnen und Vertreter einer Volkspartei nicht per se ignorieren . Deshalb sage ich nochmals: Geben Sie uns Zeit, die noch Zögernden mitzunehmen und zu überzeugen, und setzen Sie uns nicht monatlich mit Schaufensteranträgen unter Druck, wie Sie das tun, Herr Kollege Petzold . ({10}) Übrigens: Besinnen wir uns nicht gerade dieser Tage angesichts der Ereignisse in Köln und vielerlei Sorgen um eine Erosion unseres Wertekanons - wieder stärker unserer christlich-jüdischen Wurzeln? Ist es nicht bis in Teile der Opposition hinein opportun, ein Bekenntnis der hierher Flüchtenden zu unserer Rechts- und Werteordnung einzufordern und zu betonen, dass wir zur Verteidigung unserer Werte unseren eigenen Glauben wieder stärker und selbstbewusster leben sollten? ({11}) Seien wir doch an dieser Stelle auch einfach mal froh darüber und dankbar dafür, liebe Kollegin Künast, was wir erreicht haben: Die Gleichstellung nämlich und die Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen ({12}) wird gerade im Zusammenhang damit, was als Wertekanon in Deutschland zu akzeptieren ist, nicht mehr infrage gestellt . Im Gegenteil: Es wird selbst von Kolleginnen und Kollegen, die sich betont konservativ geben, ausdrücklich eingefordert . ({13}) Auch die Kanzlerin Angela Merkel hat auf unserem Parteitag am 14 . Dezember betont, dass Deutschland ein Land sein solle „mit der Absage an jede Form von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung homosexueller Menschen“ . ({14}) - Du bist doch gleich dran, Johannes . Und dennoch - auch das soll heute gesagt sein - mache ich mir Sorgen, Sorgen auch um eine zunehmend rechtspopulistische und rechtsextreme Tendenz in unserer Gesellschaft . Die Zahl derer, die meinen, sich endlich - wieder - trauen zu dürfen, ihre Meinung zu sagen und nicht vor dem sogenannten Mainstream zurückweichen zu müssen, steigt . Unverhohlen werden wieder öffentlich diskriminierende und verhetzende Parolen skandiert und gepostet . Mit der Einleitung „Man wird ja wohl noch sagen dürfen . . .“ werden herabwürdigende oder gar hetzerische Äußerungen keinen Deut besser oder erträglicher . Da gilt es, weiterhin dagegenzuhalten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist sehr vielen unter uns ein gemeinsames Anliegen - und zwar über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Das finde ich zunächst einmal ermuDr. Stefan Kaufmann tigend . Lassen Sie uns an diesen Gemeinsamkeiten weiter arbeiten . Ich möchte mit Ihnen zusammen diejenigen, die sich mitunter aus für sie schwerwiegenden Gründen in der Frage noch schwertun, überzeugen und mitnehmen . Am Ende sollte dann ein breiter Konsens stehen: hier im Deutschen Bundestag, aber auch in unserer Gesellschaft . Szenen, wie wir sie in europäischen Partnerstaaten gesehen haben, mit Demonstrationen gegen die „Ehe für alle“ oder gar unseren Status quo hier - ich denke nur an Italien -, wird hierzulande keiner von uns wollen . Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist eine Errungenschaft . Ich weiß sie sehr zu schätzen . Nun gilt es aber, die Gleichstellung zu vollenden und bestehende Stigmatisierungen zu beseitigen . Diese Stigmatisierung haben wir ja schon im Kleinen, wenn man in Formularen als Personenstand „verpartnert“ statt „verheiratet“ angeben muss . Es ist eine persönliche Entscheidung jedes Einzelnen, ob er oder sie das angeben möchte, wie sie oder er liebt . Auch deshalb ist es fair, gleicher Liebe den gleichen Rechtsrahmen zu geben . Nun haben viele Kritiker einer Eheöffnung Sorge, dass die Ehe als Institution entwertet wird . Aber ist nicht genau das Gegenteil der Fall? Wird das Institut der Ehe nicht vielmehr gestärkt? Freuen wir uns doch darüber, dass diese klassische Institution Ehe und die mit ihr verbundenen Werte im Kontext der aktuellen Debatte geradezu eine Renaissance erleben . Entscheidend ist doch: Es wird niemandem etwas genommen, es wird kein Kind weniger geboren, es wird keine Ehe weniger geschlossen, und es gibt auch keinen Widerspruch zu Artikel 6 Grundgesetz; denn am besonderen Schutz der Ehe wird nicht gerüttelt und will niemand rütteln . Und zur Frage des Geschlechts der Ehepartner sagt das Grundgesetz nichts . ({15}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der festen Überzeugung, dass wir am Ende dieser notwendigen Debatte ({16}) auch einen Großteil jener Bürgerinnen und Bürger mitgenommen haben, die jetzt noch Probleme haben mit der Vorstellung, dass gleiche Liebe auch den gleichen Namen verdient, und dass wir dann in einem großen Konsens das nachvollziehen, was viele, auch katholisch geprägte Staaten wie Spanien, Portugal, Irland oder Brasilien ({17}) in der Vergangenheit in Gesetze gegossen haben . ({18}) Ich bin jedenfalls voller Zuversicht, Herr Kollege Kahrs, ({19}) und in der Gewissheit dessen, was kommt, auch sehr aufgeräumt und gelassen . Danke schön . ({20})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Renate Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kaufmann, ich will einmal bei Ihrem Wertekanon ansetzen . Angesichts Ihrer Rede fragt man sich fast, was Sie eigentlich in Ihrer Fraktion noch wollen, außer lange zu diskutieren . ({0}) Sie haben über den Wertekanon geredet . Was Sie aber nicht gemacht haben, ist, auch über den Wert zu reden, den ein parlamentarisches Verfahren hat . Sie haben sich in Ihrer ganzen Rede nicht zu der Tatsache geäußert, dass wir hier nach zehn Sitzungswochen einen Zwischenbericht verlangen müssen und nicht zu einer Entscheidung kommen . Sie haben von einem Konsens gesprochen und davon, dass wir am Ende hier gemeinsam Arm in Arm stehen . Aber wann soll das Ende dieses Diskurses eigentlich sein? ({1}) Dazu hätte ich gerne einmal einen Hinweis . Ein Blick in die GO, weil wir jetzt einen Zwischenbericht haben: In § 54 GO heißt es, dass Ausschüsse den Sinn und Zweck haben, die Verhandlungen des Bundestages vorzubereiten . Manche Leute sagen sogar, dass dort die eigentliche Arbeit stattfindet. Wenn Sie sich einmal anschauen, was die Aufgabe der Ausschüsse ist, dann finden Sie in § 62 Absatz 1 folgende Formulierung: Die Ausschüsse sind zu baldiger Erledigung der ihnen überwiesenen Aufgaben verpflichtet. Das waren jetzt schon mehr als zehn Sitzungswochen . Wir können ja nicht immer irgendwo in einer Erdumlaufbahn hinter einer internationalen Raumstation herfliegen und sagen: Ist mir doch egal, wann wir jemals zur Landung kommen . - Zu baldiger Erledigung der Aufgaben: Es ist ja offensichtlich so, dass maximal zehn Wochen eine baldige Erledigung darstellen, sonst würden wir jetzt nicht hier im Plenum diskutieren . Man muss sich schon fragen, was eigentlich los ist . Wenn ich so zwischen Ihnen, den Koalitionsfraktionen, sitze, frage ich mich, wer eigentlich an dieser Verzögerung schuld ist . Ich hätte gerne, dass wir auch bei Themen und Tagesordnungspunkten, die die Oppositionsfraktionen beantragen, zu einer Erledigung kommen . ({2}) Wenn Sie, Herr Kaufmann, über den Wertekanon reden, den man zum Beispiel den vielen Flüchtlingen beibringen sollte, dann frage ich Sie: Wie wäre es denn mit dem Wertekanon, dass bei uns Parlamentarismus funktioniert und auch Oppositionsfraktionen das Recht haben, Anträge einzubringen, eine erste Lesung zu haben, Ausschussarbeit und eine zweite Lesung und Verabschiedung? ({3}) Sie können ja dann dagegen stimmen . Auch das wird man doch wahrscheinlich im Integrationskurs den Flüchtlingen mitteilen . Sie reden von Beratungsbedarf . Im Gegensatz zum Kollegen Petzold komme ich nicht auf 800 Tage, sondern, wenn ich einmal zähle - das Jahr hat zumindest meistens 365 Tage; 1990 hat der Kollege Beck sozusagen den ersten Antrag eingebracht -, bei mir macht das 9 490 Tage . So lange denkt die CDU/CSU nach, kommt aber zu keinem Ergebnis . ({4}) Ich finde das unter parlamentarischen Gesichtspunkten nicht in Ordnung und weiß auch nicht, welches Spiel zwischen CDU und SPD da gespielt wird und wer jetzt eigentlich blockiert . Ich habe das Gefühl, Sie wollen es inhaltlich nicht, und Sie wollen die Abstimmung nicht, damit Sie nicht zeigen müssen, was Koalition bedeutet . Ich denke aber, dass Sie da eigentlich durch müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das hier an dieser Stelle einmal namentlich zu benennen . Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben hier vor kurzem eine fraktionsunabhängige Abstimmung zum Thema „Sterbehilfe“ gehabt . Vielleicht hat es die SPD verschlafen, auch zum Thema „Ehe für alle“ eine solche fraktionsunabhängige Initiative zu verhandeln und in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen . ({5}) Das wäre eine Möglichkeit gewesen . ({6}) Zum Inhalt, meine Damen und Herren: Vor 15 Jahren ist das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz unterzeichnet worden . Der Vater der eingetragenen Lebenspartnerschaft, Volker Beck, sitzt dort . Wir hätten schon damals gerne mehr gemacht, aber der Bundesrat hat uns nicht zu einer Mehrheit verholfen . Heute aber haben wir eine gesellschaftliche Mehrheit, die so weit geht, dass 68 Prozent aller Deutschen sagen: Ja, ich bin für eine Gleichstellung auch bei der Ehe . Sogar fast genauso viele Mitglieder der katholischen Kirche sagen das . 67 Prozent der Angehörigen protestantischer Kirchen - bei der Gesamtbevölkerung sind es 63 Prozent - sagen: In Regenbogenfamilien werden Kinder genauso gut erzogen wie in den Heterofamilien, und sie können dort genauso gut aufwachsen . Warum wollen Sie da eigentlich noch weitere 1 000 Tage nachdenken? ({7}) Seit 2005 hat sich eigentlich nichts Wesentliches mehr verändert . Es gab hier und da kleine Rechtsbereinigungen . Ich will Ihnen die eine Frage stellen: Warum soll gleichgeschlechtlichen Paaren in Zukunft die Ehe weiter verwehrt werden? Warum tragen wir das wie eine Monstranz - quasi als Symbol einer bewussten Diskriminierung - durch dieses Land? Schwarz-rot trägt mittlerweile die schwarz-rote Laterne in Europa . International - in den USA und in Irland - ist es anders . Selbst das Bundesverfassungsgericht ist weiter als die Mehrheit im Deutschen Bundestag . Bei der Sukzessivadoption hat es uns - anders als es uns Herr Lange bei der Veranstaltung neulich erzählte - mit einer Fristsetzung gezwungen, sie endlich umzusetzen . Das Bundesverfassungsgericht hat in vielen Entscheidungen immer wieder gesagt: Es gibt keinen Grund für eine Ungleichbehandlung . Deshalb rufe ich der ganzen CDU/CSU und auch der SPD zu: Nehmen Sie sich ein Herz! Herr Kaufmann, seien Sie nicht nur stolz auf das alte Partnerschaftsgesetz, sondern nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass man am Ende sagen muss: Jetzt habe ich Mut, meine Stimme zu erheben und entsprechend abzustimmen . Ich habe den Mut, endlich die Ungleichbehandlung von Dingen, die gleich sind, zu beenden . - Denn Liebe ist gleich Liebe . Verantwortung ist gleich Verantwortung . Es gibt keine Liebe zweiter Klasse . Wenn wir den § 1353 BGB endlich öffnen und das Wort „gleichgeschlechtlich“ hineinschreiben würden, dann wäre weder Herrn Harbarth noch Herrn Kauder noch sonst jemandem in dieser Republik, der verheiratet ist, etwas genommen . Es ist genug Ehe für alle da . Wir müssen es jetzt nur anpacken . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . KarlHeinz Brunner von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich ja die gestern durch die Kanzlerin vorgetragene Regierungserklärung heute zum Anlass nehmen, ganz positiv über die Ehe für alle zu sprechen; denn die Kanzlerin hatte gestern so schön klar und deutlich erklärt, Nichtdiskriminierung stehe bei den Verhandlungen um die Europäische Union nicht zur Disposition . Da sagte ich mir: Gut so, Frau Merkel, es gibt keine Diskriminierung - nicht wegen Herkunft oder Nationalität, des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Religion, keine am Arbeitsplatz und - weshalb wir hier heute zusammengekommen sind - schon gar keine wegen sexueller Orientierung . Lieber Kollege Kaufmann, ich muss, sosehr ich Sie persönlich schätze, nach diesen Ausführungen sagen: Diese positive Stimmung des gestrigen Tages ist doch etwas getrübt worden . Sie haben sich, wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, auf die Lehre der römisch-katholischen Kirche zurückgezogen . Wir haben, soweit ich weiß, seit Bismarck doch eigentlich die Zivilehe, für die der Gesetzgeber bzw . das Hohe Haus und die deutsche Bevölkerung zuständig sind . ({0}) Meine Kolleginnen und Kollegen, aber genau diese Diskriminierung, die gestern als No-Go angesehen wurde, geschieht jeden Augenblick in unserem Land . Sie geschieht aus vielen Reihen - insbesondere aus denen der verehrten Freunde der Union - heraus . Die Union lehnt eigentlich ohne Begründung - Sie haben wieder keine richtige Begründung gebracht - die Ehe für alle grundsätzlich ab, und sie nimmt uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in diesem Parlament in die Mithaftung . Wir sollen für die Koalitionsräson herhalten, nur weil die Union nicht in der Lage und bereit ist, eine Entscheidung darüber zu treffen, wie man Ungleichbehandlungen in diesem Land endlich verhandlungs- und koalitionsvertragstreu - Kollege Petzold hat es vorgelesen - beseitigen kann . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bisher noch nicht oft genug über das Thema „Ehe für alle“ diskutiert. Ich finde es zwar dramatisch, dass wir uns in den Ausschüssen wegen Vertagung seit nunmehr zehn Wochen mit den Anträgen beschäftigen müssen und hier im Hohen Hause nicht zur Entscheidung kommen . Aber ich bin der Auffassung: Das Thema kann nicht oft genug auf der Tagesordnung stehen, damit wir endlich das Ergebnis erreichen, das wir in diesem Land erreichen müssen, nämlich die Ehe für alle, ganz gleich, welchen Geschlechts . Liebe Kollegin Künast, bevor wir jetzt in diesem Bereich zu Verklärungen kommen, möchte ich eines festhalten - ich habe Ihnen heute sogar applaudiert und fand gut, was Sie gesagt haben; ({1}) bis auf einen Punkt, zu dem ich ganz deutlich sage, dass wir der Legendenbildung vorbeugen sollten -: Nicht der Kollege Beck ist der Vater der Lebenspartnerschaft; es war letztendlich das rot-grüne Kabinett unter Gerhard Schröder, ({2}) das dafür gesorgt hat, dass es zum Gesetz werden konnte und es in diesem Land nunmehr seit 15 Jahren die eingetragene Lebenspartnerschaft gibt . ({3}) Meine Kolleginnen und Kollegen, ich finde es bedauerlich - das sage ich ganz deutlich -, dass Herr Kauder heute nicht unter uns ist . Er war vorhin da, aber er ist rechtzeitig gegangen . Denn ich hätte Herrn Kauder gesagt: So kann es nicht gehen . - Ich verspüre nichts von dem Erfolg - davon hat er gestern gesprochen -, den die Koalition haben will . Wenn man nämlich gesellschaftspolitische Fragen gegen die Mehrheit der Deutschen fernab des Gewissens der einzelnen Abgeordneten behandeln will, dann entspricht das nicht dem Willen zum Sieg . Ich meine, die Menschen haben es verdient, dass der Politpoker, für den sie in Geiselhaft genommen werden, endlich beendet wird . Es ist notwendig, die Abstimmung hier im Deutschen Bundestag freizugeben . Ich bitte nicht nur unseren Koalitionspartner, sondern ich fordere ihn dazu auf . Ich akzeptiere es, wenn der eine oder andere sagt: Nein, ich will die Ehe für alle nicht, ich persönlich möchte eine andere Lebensweise in Deutschland haben . - Aber ich habe es ziemlich satt - das sage ich ganz deutlich -, dass wir Abgeordnete, weil einige es nicht wollen, darüber nicht unserem Gewissen unterworfen entscheiden können . Die Abstimmung muss freigegeben werden, damit die Aussage, Nichtdiskriminierung stehe nicht zur Disposition, keine Phrase bleibt, sondern endlich mit Leben erfüllt wird . Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen eine rechtliche Debatte, die sich aber nur schwer von einer Wertediskussion trennen lässt . Daher vorweg: Es darf nach unserem Menschenbild für die Beurteilung, Anerkennung und Würde eines Menschen keine Rolle spielen, wen oder wie er liebt . Verbindungen zwischen zwei Menschen, die auf Dauer angelegt und durch Verantwortung füreinander geprägt sind, geben dieser Gesellschaft Stabilität und Halt . ({0}) Sie haben die Unterstützung des Staates verdient . ({1}) Vor 15 Jahren hat der Deutsche Bundestag das Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft geschaffen . ({2}) Das war ein wichtiger Schritt zur Anerkennung und Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare . ({3}) Ich möchte nicht verhehlen, dass die volle rechtliche Gleichstellung mit der Ehe, beispielsweise im Steuerrecht, nicht durch den Gesetzgeber, sondern erst durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts erreicht werden konnte . ({4}) Auch muss uns der Umstand bewegen, dass selbst unter Geltung dieses Grundgesetzes viele Männer aufgrund des § 175 Strafgesetzbuch verurteilt worden sind . Das war unter keinem Gesichtspunkt richtig . ({5}) Das muss dieser Staat deutlich zum Ausdruck bringen . Die heutige Debatte dreht sich um die Frage der Gleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Hinblick auf die rechtliche Situation . Festzuhalten ist: Eine Diskriminierung liegt nicht bereits dann vor, wenn Einrichtungen, die gleich sind oder gleiche Rechte besitzen, lediglich sprachlich unterschiedlich bezeichnet werden . Anknüpfungspunkt für Diskriminierung ist zunächst eine unterschiedliche Behandlung in den Rechtsfolgen . Soweit die Rechtsfolgen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft im Hinblick auf gewichtige Elemente der gegenseitigen Verantwortung und des gemeinsamen Einstehens füreinander wie Unterhalt, Hinterbliebenenversorgung, Steuerrecht, Erbrecht und Zeugnisverweigerungsrecht sich nicht von der Ehe unterscheiden, liegt keine rechtliche Diskriminierung vor . Es ist vielmehr festzuhalten: Dieser Bundestag hat zuletzt durch die Änderung von 27 Gesetzen im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz Lebenspartnerschaften in der rechtlichen Wirkung der Ehe gleichgestellt . ({6}) Ich möchte dennoch den Umstand nicht verschweigen, ({7}) dass die unterschiedlichen Bezeichnungen - hier Ehe, dort Lebenspartnerschaft, hier verheiratet, dort verpartnert - Diskussionen und ehrlich empfundene Wünsche außerhalb der rechtlichen Sphäre nach einer einheitlichen Sprache auslösen . Bereits jetzt sind im allgemeinen Sprachgebrauch und damit in der Lebenswirklichkeit die Begriffe „verheiratet“ oder „Hochzeit“ längst Standard geworden, und zwar unabhängig von der Frage, ob die Partner verschieden- oder gleichgeschlechtlich sind . Viele gleichgeschlechtliche Paare sind zu Recht stolz auf ihre Lebenspartnerschaft . Ich kann aber sehr gut nachempfinden, dass nicht wenige Lebenspartner sehr ungern auf Formularen oder im allgemeinen Sprachgebrauch „verpartnert“ angeben wollen . Die Angabe des Familienstands dient dazu, nach außen kundzutun, ob und in welcher Verantwortungsgemeinschaft jemand steht . Die Preisgabe der sexuellen Orientierung kann und darf damit aber nicht gemeint sein, sie spielt für diesen Informationszweck auch keine Rolle . Ich verstehe den Umstand und den Wunsch, dass viele Lebenspartner ihrer gegenseitigen Verantwortung und ihren gemeinsamen Werten einen besonderen Rahmen geben wollen . Das führt uns zum eigentlichen Kern dieser Debatte, der folgende Frage zugrunde liegt: Kann der Gesetzgeber durch einfachgesetzliche Änderungen im bürgerlichen Recht die Ehe für Personen gleichen Geschlechts einführen, oder bedarf es dazu einer Grundgesetzänderung? ({8}) Dieser Frage müssen wir uns sehr sorgfältig widmen; ({9}) denn selbst gut- und wohlgemeinte Anliegen sollten uns nicht dazu verleiten, bei verfassungsrechtlichen Fragen die gebotene Sorgfalt und die richtige Einschätzung außer Acht zu lassen . ({10}) Artikel 6 Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates . ({11}) Der Ehebegriff ist nicht definiert und deswegen zwingend durch die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu erschließen . Ehe ist danach die auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss und Gleichberechtigung beruhende, geschlossene Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau . Das Verfassungsgericht sieht bis heute letztes Urteil 2013 - die Ehe in ständiger Rechtsprechung als Institut der Verbindung zwischen Mann und Frau an . Auch der Gesetzgeber des Jahres 2001 hat daran nichts geändert . Ob man diese verfassungsrechtliche Situation für politisch richtig oder falsch hält, als gut oder schlecht empfindet, das muss jeder für sich selbst entscheiden. ({12}) Es ändert nichts daran, dass der Bundestag beim weiteren Vorgehen diese Lage zwingend zu berücksichtigen hat . ({13}) Auch die jüngeren Urteile können an dieser Situation nichts ändern . Die verfassungsrechtliche Begründung für die im Ergebnis richtige Gleichstellung war nicht die Berufung auf Ehe und Familie, ({14}) sondern der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, der zu Recht gerügt worden ist . ({15}) Kein Mensch in einer Ehe hat weniger Rechte, weil Menschen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft die gleichen Rechte besitzen . Ich fasse zusammen: Eine Öffnung des Instituts der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare unterliegt der Wertentscheidung des verfassungsgebenden Gesetzgebers . ({16}) Daher reicht eine einfachgesetzliche Änderung im BGB nicht aus . ({17}) Das müssen wir im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss beachten . ({18}) Wer das Institut der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen möchte, muss das Grundgesetz ändern . ({19}) Deswegen, meine Damen und Herren und auch Herr Kollege Brunner, sollten wir hier nicht von „Geiselhaft“ oder „Politikpoker“ sprechen, sondern von Debattenbeiträgen, die sich an unserer Verfassung orientieren . Das wäre die richtige Tonlage gewesen . ({20}) Wir werden über diese Fragen sprechen müssen . Das benötigt Zeit und kluge Beratungen . ({21}) Ich will nicht verschweigen, dass es dazu in der Union unterschiedliche Auffassungen gibt . Wir sollten aber nicht den Fehler begehen, ({22}) dass jedem, der aus guten Gründen eine abweichende Meinung vertritt, gleich ein Diskriminierungswille unterstellt wird . ({23}) Das wäre nicht fair und würde die Fronten verhärten . Meine Damen und Herren, Ehe und Familie, auch und gerade Familien mit Kindern, sind der Kernbereich der sozialen Sphäre der Menschen . Debatten darüber dürfen nicht verletzen oder ausgrenzen oder Gruppen gegeneinander ausspielen, sondern sie müssen die Menschen zusammenführen und einen . ({24}) Das ist unser Ansatz bei der Debatte . Herzlichen Dank . ({25})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Johannes Kahrs von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt zwei Rednern der Union lauschen dürfen, die hier nur herumgeeiert haben . ({0}) Im Kern ist die Sachlage doch klar: Rot-Grün hat das Lebenspartnerschaftsgesetz vor 15 Jahren beschlossen . ({1}) Geschrieben hat es Margot von Renesse . Wir alle wollen es . Die CDU ist im Bundesrat dagegen zu Felde gezogen . Die CDU ist zum Bundesverfassungsgericht gezogen . Am Ende hat die CDU/CSU-Fraktion nie freiwillig mitgestimmt . Wenn sie mitgestimmt hat, wurde sie genötigt . ({2}) Freiwillig war das alles nie . ({3}) Wenn überhaupt etwas stattgefunden hat, hat es stattgefunden, weil entweder Rot-Grün irgendetwas beschlossen hat oder weil tapfere Bürgerinnen und Bürger dieses Landes vor das Verfassungsgericht gezogen sind und Recht bekommen haben . Das waren die beiden Motoren dieser ganzen Veranstaltung . ({4}) Weiterhin ist es so, dass es natürlich ganz wunderbar ist, dass die Kollegen von der Union - ich muss es fast ablesen - noch Zeit brauchen, um die Meinungsbildung in der Union voranzutreiben, und Beratungsbedarf haben . Ernsthaft: Ich bin seit 1998 im Deutschen Bundestag, ({5}) und seit 1998 denkt die Union nach . Wenn das das Tempo ist, in dem Sie zu Ihrer Meinungsbildung kommen, wenn das das Tempo ist, in dem Sie nachdenken, wundert mich überhaupt nichts mehr in diesem Land . ({6}) Dass Sie sich nicht einigen können, erklärt dann nämlich, warum wir in ganz vielen Punkten nicht vorwärtskommen . Ich will ja gar nicht auf den Streit in der Koalition in den letzten Wochen zu sprechen kommen . Es ist ja nicht so, dass sich CDU, CSU und SPD streiten . Da streiten sich CDU und CSU, dann streitet man sich in der CDU wie die Kesselflicker. Dagegen sind wir ein Hort der Stabilität . ({7}) Wenn man sich Ihre Leistung in dieser Frage anschaut, dann kann man sie doch gar nicht anders als blamabel finden. Und jetzt: Familien mit Kindern, Leute, die anständig verheiratet sind - das will niemand niemandem nehmen, weil wir alle aus solchen Familien gekommen sind, weil es auch vollkommen in Ordnung ist und niemand ein Problem damit hat -, als Grund dafür anzuführen, dass andere, die auch füreinander einstehen, nicht heiraten können sollen, grenzt ans Absurde . ({8}) Mit Ihrem Herumgeschwurbel, das man sich ja hier anschauen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie nicht weiter . Nachdem das schon 15 Jahre dauert und Sie jetzt noch mehr Zeit brauchen, sage ich Ihnen ganz einfach: Ich habe die Schnauze voll, und zwar bis hier . ({9}) Ich habe diese Rede in unterschiedlichen Varianten zwei oder drei Dutzend Male gehalten . Ich musste mir jedes Mal von unterschiedlichsten Rednerinnen und Rednern der Union anhören, warum Sie gerade nervlich dazu nicht in der Lage sind, ({10}) warum Sie noch nachdenken müssen, warum Sie noch einen Volkshochschulkurs brauchen, warum Sie noch ein bisschen Nachhilfe in Rechtsfragen brauchen . Ich weiß nicht, was Sie noch alles brauchen . Sie können von uns gern verfassungsrechtliche Gutachten haben . Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist gern bereit, Ihnen dazu etwas zu übersenden. Selbst das Porto würde ich noch selbst finanzieren . Im Ergebnis kann all das doch nicht angehen . Ich finde, das muss in dieser Legislaturperiode beendet werden . Ich bin der Opposition, den Linken und den Grünen, wirklich dankbar, dass sie das Thema immer wieder aufs Tapet bringt . ({11}) Denn dann darf ich diese Rede immer wieder halten . Im Kern ist es ja so, dass CDU und CSU - ich bin Haushälter - immer gern von der schwarzen Null reden . In diesem Punkt stimmt das mal . ({12}) Da sitzen nämlich jede Menge von der Sorte . ({13}) Es reicht . Ich habe einfach keine Lust mehr . Ich verspreche Ihnen eines: Wenn das Thema hier im Deutschen Bundestag noch einmal aufkommt, dann werden wir in der SPD-Fraktion darüber abstimmen, wie wir hier abstimmen . ({14}) Und ich sage Ihnen: In der SPD-Fraktion werden wir, glaube ich, eine Mehrheit haben . ({15}) Entweder Sie raffen sich jetzt mal auf und kriegen es hin, dass die Abstimmung geöffnet wird, oder Sie werden hier im Deutschen Bundestag eine Abstimmungsniederlage erleiden! Und die wäre auch verdient! Vielen Dank . ({16})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzte Rednerin hat Petra Rode-Bosse von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Petra Rode-Bosse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004627, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Menschen - es geht um Menschen! Was verbinden sie mit dem Begriff der Ehe? Die meisten denken sicher an Menschen, die füreinander da sind, die füreinander sorgen, die sich wertschätzen, die füreinander Verantwortung tragen, die sich mit großer Zuneigung begegnen, die sich lieben . Sicherlich könnte man noch vieles Weitere ausführen, doch diese wenigen Worte sind schon ein wichtiger Beleg dafür, dass Ehe und Familie zu Recht den besonderen Schutz unseres Grundgesetzes genießen . Im Grundgesetz steht auch, dass alle Menschen gleich sind und niemand benachteiligt werden darf . Das tun wir aber, wenn wir gleichgeschlechtlichen Paaren immer wieder sagen: Ihr seid nicht gleichberechtigt . Wir erkennen eure Liebe nicht als gleichwertig an . - Im Grundgesetz wird übrigens nicht näher aufgeführt, dass die Ehe ausschließlich Paaren aus Frau und Mann vorbehalten ist . Lassen Sie uns doch davon ausgehen, wie weitsichtig die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren, als sie bewiesen haben, dass sie gesellschaftlichen Wandel einschließen . Das Grundgesetz ist offen für die normative Kraft des Faktischen, oder, um es einfacher auszudrücken, das Grundgesetz ist offen für gesellschaftliche Veränderungen . Seien wir doch ehrlich: Die Gesellschaft hat sich verändert . Die Lebenswirklichkeit ist längst eine andere als jene, die sich bei uns in zwei Gesetzen wiederfindet zwei Gesetze und damit zwei verschiedene Modelle: einmal die Ehe und einmal die eingetragene Lebenspartnerschaft. Das ist vollkommen überflüssig. Es erleidet doch niemand einen Nachteil, wenn auch Männer Männer und Frauen Frauen heiraten dürfen . ({0}) Die diffuse Angst vor der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist völlig unbegründet . Wir sollten uns endlich trauen, mit der Gesellschaft Schritt zu halten . Die Politik darf nicht länger der Realität hinterherhinken . ({1}) 20 Staaten weltweit haben das bereits anerkannt . Auch bei uns in Europa haben schon 12 Länder die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht und sich dafür geöffnet . Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Länder werden nicht nur von Sozialdemokraten, Grünen und Linken regiert . Die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare ist ein internationales Symbol für Weltoffenheit, für Freiheit, für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung . ({2}) Häufig wird Deutschland - und das völlig zu Recht - als Wegbereiter für genau diese Werte angesehen . Doch bei der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare haben wir eindeutig Nachholbedarf . Überholte Konventionen und überkommene Vorstellungen von Partnerschaft und Ehe dürfen nicht entscheidend sein . Der Mensch ist entscheidend . Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen . Danke sehr . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ganz herzlichen Dank und gleichzeitig auch Gratulation zu Ihrer ersten Rede, Frau Rode-Bosse . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache und rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts Drucksache 18/7456 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und wir können die Aussprache beginnen . Wenn Sie bitte zügig die Plätze einnehmen würden . Darf ich auch die Kollegen von der CDU/CSU bitten, ihre Plätze einzunehmen, ({2}) und die von der SPD auch? Als erste Rednerin in der Debatte hat die Staatsministerin Monika Grütters für die Bundesregierung das Wort . ({3})

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Zu unserem Selbstverständnis als Kulturnation gehört zuerst einmal der Konsens, dass Kunst, dass Kulturgut keine Ware wie jede andere ist und auch keine Geldanlage wie jede andere; denn Kulturgüter sind zunächst einmal Spiegel unserer Geschichte und unserer Identität . Der Regierungsentwurf zur Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes, den wir heute in den Bundestag einbringen, ist Teil einer historischen Entwicklung, die in manch hitziger Debatte der vergangenen Monate ein wenig aus dem Blickfeld geraten ist . Die erste rechtliche Regelung des Kulturgutschutzes - ich glaube, dass es ganz wichtig ist, diesen Kontext herzustellen -, eine, wie es damals hieß, „Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken“ aus dem Jahr 1919, war der bitteren Erfahrung von Plünderungen ungeheuren Ausmaßes im Ersten Weltkrieg in Deutschland und Europa sowie dann auch des drohenden Ausverkaufs deutschen Kulturbesitzes geschuldet . Auf den Zweiten Weltkrieg, also auf wirklich leidvolle Erfahrungen auch mit Raub- und Beutekunst hier bei uns, wenn auch selbstverschuldet, folgte das Kulturgutschutzgesetz von 1955, das national wertvolles Kulturgut seitdem durch die Eintragung in Verzeichnisse der Länder vor Abwanderung schützt und das wir heute, also ziemlich genau 60 Jahre danach, novellieren wollen . Zwischenzeitlich, nämlich mit der UNESCO-Konvention zum Kulturgutschutz aus dem Jahr 1970, ist ebendieses Thema auch international auf die Tagesordnung gekommen . Ausgerechnet Deutschland hat die UNESCO-Konvention aber erst mit 37-jähriger Verspätung ratifiziert. Die EU wiederum hat 1992 ihrerseits entsprechende Bestimmungen eingeführt . Auch da sind wir als eines der letzten von 28 Ländern wieder einmal mit deutlicher Verzögerung am Werk . Trotz unserer eigenen - teilweise selbstverschuldeten - Erfahrung mit dem Verlust von Kulturgut und trotz unserer auch historisch begründeten Verantwortung für den Schutz des kulturellen Erbes - nicht nur unseres eigenen, sondern auch des fremden - fristet der Kulturgutschutz bei uns, in der viel gerühmten Kulturnation Deutschland, seit Jahrzehnten eher ein Schattendasein, meine Damen und Herren . Deutschland hinkt der europäischen und der internationalen Entwicklung nach wie vor hinterher . Zwar haben sich viele Regelungen zum Kulturgutschutz bewährt, zum Beispiel dass wir zur Identifizierung dessen, was wir national wertvoll finden, Sachverständige befragen und dies nicht der Politik überlassen . Andere Regelungen der jetzigen Gesetzeslage haben sich aber nicht bewährt, zum Beispiel diejenigen zur Einfuhr von Kulturgütern aus Kriegs- und Krisenregionen . Dabei geht es etwa um den Handel mit antiken Kulturgütern . Indem wir die Einfuhr unterbinden, wollen wir ja versuchen, tatsächlich auch organisierte Kriminalität zu verhindern . Diese Regelungen haben sich, wie gesagt, nicht bewährt . Deshalb haben sich die Parteien, auch aufgrund eines Evaluierungsberichts der Bundesregierung aus dem Jahr 2013, im Koalitionsvertrag darauf verständigt, den Kulturgutschutz in Deutschland zu novellieren . Das muss im Rahmen eines Gesetzes geschehen, das einer Kulturnation würdig ist, und zwar, wie ich meine, in zweierlei Hinsicht: Erstens bei der Einfuhr . Deutschland muss endlich seinen Beitrag zur Eindämmung des illegalen Handels mit Kulturgütern leisten . Hier geht es um nicht weniger als um den Schutz des internationalen, des weltweiten kulturellen Erbes der Menschheit . Zweitens bei der Ausfuhr, also beim Schutz unseres eigenen kulturellen Erbes . In den wenigen Ausnahmefällen, in denen Kulturgüter als emblematisch für unsere Geschichte und Identität gelten und anerkannt werden, muss es auch bei uns möglich sein, diese wenigen Stücke hier auch künftig vor Abwanderung ins Ausland und vor Zerstörung zu schützen . In diesen wenigen Fällen kann es natürlich zu Konflikten kommen: zwischen legitimen privaten Eigentümerinteressen, zum Beispiel dem Interesse nach möglichst hohen Verkaufspreisen, und einem dem möglicherweise entgegenstehenden öffentlichen Interesse an der Bewahrung des besonderen Werts eines Werks für Deutschland . Hier müssen wir fair und angemessen verhandeln . Das ist uns - auch diese Erinnerung möchte ich hier noch einmal ganz deutlich formulieren - in den vergangenen 60 Jahren, seit wir das Gesetz haben, fast ausnahmslos konfliktfrei gelungen. Es gab in den vergangenen Jahren so gut wie keinen nennenswerten Streit über solche Fälle . Deshalb glaube ich und bin sehr zuversichtlich, dass wir das mit den Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf auch künftig hinbekommen, zumal Museen und private Eigentümer und Sammler in vielerlei Hinsicht deutlich bessergestellt werden als nach der jetzigen Regelung . Die Unterstützung für die Gesetzesnovelle ist denn auch viel breiter, als manche schrille Stimme in der Debatte der letzten Wochen es vermuten lässt . Ich bedanke mich insbesondere beim Deutschen Kulturrat, beim Deutschen Museumsbund, beim Internationalen Museumsrat, beim Bundesverband Bildender Künstlerinnern und Künstler, beim Deutschen Künstlerbund, beim Bundesverband der Fördervereine Deutscher Museen für bildende Kunst; darin vertreten sind sehr viele Sammler, Leihgeber und Eigentümer sowie Vertreter von Sammlern . Zu den Unterstützern gehören auch die 18 Staaten, deren Botschafter sich bei mir ausdrücklich für den jetzigen Gesetzentwurf bedankt haben - aus Süd- und Mittelamerika sind sie gesammelt bei mir erschienen, andere, aus dem Mittleren und Nahen Osten, kamen einzeln -, und nicht zuletzt auch die Kulturminister unserer 16 Bundesländer . Der Bundesrat hat die Zustimmung dieser Kulturminister in seiner Stellungnahme im Dezember bekräftigt . Kunst- und Kulturgüter, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben nicht nur einen Preis, sondern vor allen Dingen einen Wert . Diese Überzeugung trägt den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Kulturgutschutzrechts . In diesem Sinne bitte ich Sie um Ihre Zustimmung . Vielen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Sigrid Hupach von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Sigrid Hupach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004309, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UNESCO-Konvention von 1970 gegen die rechtswidrige Einfuhr, Ausfuhr oder Übereignung von Kulturgut endlich in wirksames nationales Recht umzusetzen, ist längst überfällig . Deshalb unterstützt meine Fraktion dieses Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfes . Das Kulturgüterrückgabegesetz von 2007 hat sich, wie von der Linken bei seiner Einführung übrigens schon befürchtet und wie von Bund und Ländern im Evaluationsbericht von 2013 einhellig festgestellt, als wirkungslos erwiesen . Die erdrückenden Bilder der barbarischen Kulturzerstörungen in Mosul, Hatra, Nimrud und Palmyra machen mehr als deutlich, dass sich auch Deutschland endlich darum kümmern muss, den illegalen Handel mit Raubkunst und Artefakten aus archäologischen Raubgrabungen zu verhindern bzw . wenigstens zu erschweren . ({0}) Jedoch - das muss man auch sagen - sind es nicht nur Terrormilizen, die sich dieser Finanzierungsquelle bedienen . Viele Menschen treibt die blanke Not dazu . Auch dagegen muss und dagegen kann man etwas tun: mit humanitärer Hilfe, mit solidarischer Entwicklungszusammenarbeit und mit Programmen für Wissenstransfer, Ausbildung und Forschung . ({1}) Für Letzteres gibt es bereits gute Projektansätze des Deutschen Archäologischen Instituts und des Museums für Islamische Kunst mit Partnern vor Ort . Sie sollten in der ganzen Diskussion um den Schutz des gemeinsamen kulturellen Erbes nicht vergessen werden und ihre Finanzierung gesichert werden . Ausdrücklich unterstützen wir das Vorhaben, die Bestände öffentlicher Museen und Sammlungen generell unter Schutz zu stellen . Dafür hatte sich schon die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem Schlussbericht aus dem Jahre 2007 ausgesprochen . Als öffentliche Bildungseinrichtungen müssen die Museen aber auch vor allem finanziell gestärkt werden: mit mehr Fachpersonal, mit höheren bzw . überhaupt mit Ankaufetats, mit mehr Mitteln für den Erhalt und die Pflege ihrer Bestände, mit einer abgestimmten Strategie für die Digitalisierung oder auch mit Optionen auf freien Eintritt . ({2}) Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden, sage ich es deutlich: Der Kunsthandel ist natürlich ein wichtiges Moment für die Kunst- und Kulturentwicklung . Die öffentlich inszenierte Empörung über den staatlichen Eingriff ins Eigentum oder das Reden vom Ende des Kunsthandelsstandortes Deutschland sind aber unangebracht . Sie verdeutlichen eher, dass der Gesetzentwurf offenbar an der richtigen Stelle ansetzt . Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf klar regelt, dass NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut bei der Restitution von allen Ausfuhrbeschränkungen ausgenommen ist . ({3}) Das ist deswegen enorm wichtig, da nicht nur wir hoffen, dass die angekündigte verstärkte Provenienzforschung und der seit langem versprochene Gesetzentwurf zur erleichterten Rückgabe von NS-Raubkunst aus privaten Sammlungen endlich zu mehr „fairen und gerechten Lösungen“ führen wird und es zukünftig mehr Rückgaben an die Opfer von Kunstraub bzw . ihre Erben geben wird . ({4}) Es ist Zeit, dass nun endlich auch die parlamentarische Debatte zu diesem wichtigen Gesetzesvorhaben beginnt: mit einem eigenen Anhörungsverfahren, bei dem alle berechtigten Interessen gehört werden sollten, vor allem diejenigen, die bisher nicht ausreichend einbezogen wurden . Bei einzelnen Fragen sehen wir noch Änderungs- und Klärungsbedarf . So müssen manche Begriffe geschärft werden . Und der Geltungsrahmen einzelner Regelungen muss noch klarer gefasst werden . Dies gilt vornehmlich für die naturwissenschaftlichen Museen und Sammlungen und die dazugehörige Forschung . Uns ist hierbei wichtig, dass die Formulierungen klar und deutlich im Gesetz selbst stehen und nicht in einzelnen Hintergrundpapieren, wie zum Beispiel in dem zur Paläontologie, die nicht rechtsverbindlich sind . Insofern begrüßen wir ausdrücklich, dass viele der ursprünglich geplanten Verordnungsermächtigungen aus dem Entwurf genommen wurden . Beim Kulturgutschutz geht es um das kulturelle Erbe von uns allen, und da sollten wir Abgeordnete auch mitreden dürfen . Wichtig ist für uns daher auch, dass die Sachverständigenausschüsse in den Ländern ihre Entscheidungen transparent machen und dass das Gesetz nach fünf Jahren auf seine Wirksamkeit evaluiert wird . Wir sollten uns außerdem nicht davor scheuen, öffentlich die Frage zu diskutieren: Was ist für uns, für unsere Gesellschaft eigentlich wertvolles, identitätsstiftendes Kulturgut? Dazu gehört auch, sich über die Verpflichtungen zu verständigen, die sich aus dieser Klassifizierung ergeben . Es geht dabei ja nicht nur um ein Etikett, sondern um den Erhalt, die Pflege und die öffentliche Zugänglichmachung . Diese Diskussion muss eigentlich auch vor dem Hintergrund europäischer und globaler Zusammenhänge geführt werden: hier im Bundestag und vor allem mit den Bürgerinnen und Bürgern . In diesem Sinne werden wir uns gern in die Debatte einbringen und vor allem darauf achten, dass wir am Ende ein wirklich wirksames Gesetz zum Kulturgutschutz erhalten werden und kein entschärftes wie 2007 . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Siegmund Ehrmann von der SPD-Fraktion . ({0})

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Zustandekommen des Gesetzentwurfes ist von einer erbitterten Debatte begleitet gewesen: „Kalte Enteignung“, „Zerstörung des Kunstmarktes“, gar „Renationalisierung der Kulturpolitik“ sind einige Begriffe, die mir noch in den Ohren klingen . Auch gab es drängende Fragen, die Zweifel säen sollten: Welche Kulturgüter werden durch das Gesetz vor welchen Gefahren geschützt? Welche kulturpolitischen Ziele werden damit verfolgt? Und werden sie tatsächlich verwirklicht? Der im Koalitionsvertrag verabredete Ansatz ist richtig . Nach der Evaluation, die Mängel aufgezeigt hat, ist es gut, dass wir vereinbart haben, drei geltende Gesetze in einem guten Gesetz zusammenzufassen: das bisherige Kulturgutschutzgesetz, das Kulturgüterrückgabegesetz und das Umsetzungsgesetz der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten. Die Debatte selbst wiederum löst bei mir Bilder aus, mit denen ich auch eine Begleitmusik verinnerlicht habe . Ich erinnere an die Bilder von den Plünderungen archäologischer Stätten im Nahen Osten, auf der Arabischen Halbinsel, aber auch an den illegalen Handel mit Antiken . Damit verbunden sind oftmals die ins Leere laufenden Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden . Ein anderes Bild ist aber zum Beispiel die Entscheidung von Herrn Baselitz, seine Werke aus Wut über das geplante Gesetz aus Museen abzuziehen . All das schwingt mit . Worum geht es im Kern? Ein Blick in die Geschichte: Die Frage des Schutzes national wertvollen Kunstbesitzes in unserem Land stellte sich - Frau Staatsministerin hat darauf hingewiesen - in einer neuen Qualität erstmals unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beim Übergang von der konstitutionellen Monarchie zu einer parlamentarischen Demokratie . Der Weimarer Reichstag erkannte, dass die durch das Adelsrecht definierten Bindungen des Besitzes entfallen und damit die Gefahr besteht, dass Kunstwerke, Sammlungen und Bibliotheken veräußert würden, deren Verlust unersetzbar sein würde . So ist im Mai 1920 tatsächlich eine Verordnung beschlossen worden, nach der Gegenstände, die einen geschichtlichen Wert haben, nur mit staatlicher Genehmigung veräußert, verpfändet, wesentlich verändert oder ausgeführt werden dürfen . Bereits Anfang der 20er-Jahre wurde die Inventarisierung hervorragender Kunstgegenstände vorgeschlagen, deren Ausfuhr einer besonderen Genehmigung bedurfte . Professor Dube, der im letzten Jahrhundert, von 1983 bis 1999, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin war, hat das herausgearbeitet, und das beschreibt, wie ich finde, sehr gut den eigentlichen Schutzzweck: Damals wie heute ist unbestritten, daß Gesellschaften Anspruch auf ihr Patrimonium - also ihr kulturelles Erbe geltend machen dürfen . Die Bewahrung historischer, geistesgeschichtlicher und künstlerisch wichtiger Güter ist deswegen unverzichtbar, weil sich nur in ihnen die historische Erinnerung … anschaulich manifestieren lässt . … Dem steht nicht entgegen - so Dube die Überzeugung, daß die Kultur des ganzen Erdkreises allen Menschen zu eigen ist . … Staaten haben nicht allein deswegen Anspruch auf Güter der materiellen Kultur, weil diese innerhalb eines bestimmten Territoriums entstanden sind . Damit wird auch ein Spannungsverhältnis deutlich . Diese Grundgedanken nahm der Deutsche Bundestag 1955 im Kulturgutschutzgesetz auf, modifizierte manches Detail . Aber der Grundgedanke, der Anfang der 20er-Jahre festgeschrieben wurde, ist aufgegriffen worden . Er kam ins Wanken, als 1993 der europäische Binnenmarkt eingeführt wurde und deshalb der Export von Kunstgütern im innereuropäischen Markt nicht mehr der Genehmigung unterlag . Die anderen europäischen Staaten bis auf die Niederlande und Deutschland haben darauf reagiert . Diese Schutzlücke schließen wir jetzt mit dieser Gesetzesinitiative . Ich will nicht verhehlen, dass es ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen den einzelstaatlichen Bemühungen, national wertvolles Kulturgut zu schützen, und der Idee eines gemeinsamen Kulturerbes der Menschheit gibt, das sorgfältig ausbalanciert werden will . Gleichwohl stelle ich ausdrücklich fest: Es geht nicht um einen rückwärtsgewandten Kulturgutschutz . Der Vorwurf, der Gesetzentwurf würde in einem Europa der kulturellen Vielfalt „Kulturgut ohne Migrationshintergrund“ deklarieren, geht fehl . Im Gegenteil: Es geht um das originäre Recht der Staaten, das kulturelle Erbe zu bewahren, zu dem uns im Übrigen auch die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt verpflichtet. Zum zweiten Themenkomplex, zum Kulturgutrückgaberecht und zum illegalen Kunsthandel: Nach Schätzungen der UNESCO und des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung liegen die Umsätze des Antikenhandels jährlich bei geschätzten 6 Milliarden bis 8 Milliarden US-Dollar . Es handelt sich um ein weites Feld organisierter Kriminalität und Terrorfinanzierung. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will ausdrücklich klarstellen, dass es mir fernliegt, ehrbare Antikenhändler zu diffamieren oder zu stigmatisieren . Aber auch diesen muss daran gelegen sein, mit Objekten zu handeln, die zweifelsfreier Provenienz sind . Deshalb sind die im Entwurf geforderten Sorgfaltspflichten unabdingbar; möglicherweise müssen sie im Detail sogar noch verschärft werden . Wenn Sie sich mit den Spezialisten von BKA und LKA unterhalten, erfahren Sie, wie oft sie dringend Tatverdächtige laufen lassen müssen, weil nicht belegt werden kann, dass wissentlich mit Hehlerware gehandelt wurde . Hier müssen wir als Gesetzgeber wirksamere Instrumente für die Prävention, die Strafverfolgung, aber auch die Rückgabe an die Herkunftsstaaten schaffen . Diesem Anspruch trägt das Gesetz mit den Regelungen über die Sorgfaltspflichten im Wesentlichen Rechnung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rahmen der Ausschussberatungen werden wir uns intensiv mit kritischen Einwänden auseinandersetzen müssen . Wir sind als SPD-Fraktion in intensiven Gesprächen mit diversen Akteuren und haben dazu auch schon ein Fachgespräch durchgeführt . Vor wenigen Tagen hat das Aktionsbündnis Kulturgutschutz einen Forderungskatalog unterbreitet . Auch mit diesen Argumenten müssen wir uns im Fachausschuss intensiv auseinandersetzen . Das schließt nach meiner Überzeugung auch ein, dass wir uns mit dem Für und Wider eines Vorkaufsrechts nach britischem Vorbild auseinandersetzen müssen . Es ist nicht zu verkennen, dass die Unterschutzstellung eines Kulturgegenstandes einen Eingriff in das Eigentumsrecht darstellt, der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aber sehr wohl mit Artikel 14 des Grundgesetzes im Einklang steht . Gleichwohl wird die Frage, ob der Ausgleich reicht, zu klären sein . Ich bin sicher, dass wir am Ende des Gesetzgebungsverfahrens einen überzeugenden Rechtsrahmen geschaffen haben, der in eine gute Zukunft führt . Herzlichen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Ulle Schauws von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit letztem Sommer begleitet uns nun die öffentliche Debatte über die Novellierung des Kulturschutzgesetzes . Diese Novellierung war keine Idee der Bundesregierung . Sie ist notwendig, weil die EU-Richtlinie zum Kulturschutz umgesetzt werden muss . Leider ist die Bundesregierung diese Aufgabe alles andere als professionell angegangen . ({0}) Durch diffuse Kommunikation und einen angeblich unautorisierten Referentenentwurf ist viel Verunsicherung unter Kunsthändlerinnen und Kunsthändlern, Sammlerinnen und Sammlern sowie Künstlerinnen und Künstlern entstanden . So übertrieben die Ängste mitunter gewesen sind, Sie, Frau Kulturstaatsministerin, waren an der aufgeheizten und feindseligen öffentlichen Debatte alles andere als unschuldig . ({1}) Mit Verlaub, wie Sie den Gesetzentwurf kommuniziert haben, war unprofessionell und unbedacht . Wir hätten uns bei einem solch wichtigen Gesetz auf jeden Fall mehr Weitblick und vor allen Dingen handwerkliche Professionalität gewünscht . Dann wäre auch Ihnen einiges erspart geblieben, und es hätte sich nicht dieses generelle Misstrauen unter Händlern und Sammlern gegenüber der Politik ausbreiten können . Man muss klar sagen: Das wirre Vorgehen des BKM hat das Ansehen der Politik beschädigt . Die Menschen dachten: Die wissen nicht, was sie tun . - Das ist ärgerlich . Jetzt liegt uns also nach langem Hin und Her und der versuchten Schadensbegrenzung durch Ihr Haus ein richtiger Gesetzentwurf vor . Wir haben endlich eine seriöse Diskussionsgrundlage . Es wurde höchste Zeit dafür . Es steht viel Richtiges und Vernünftiges darin; das will ich überhaupt nicht bestreiten . Die vorgesehenen Regelungen sorgen für mehr Rechtssicherheit und geben der Politik Instrumente an die Hand, um Kulturgut wirksam zu schützen . Dennoch muss man feststellen, dass das, worum es im Kern geht, also um „national wertvolles Kulturgut“, unbestimmt bleibt . Es fehlt eine befriedigende und ausreichende Definition. Gerade in Zeiten der Globalisierung versteht längst nicht jeder von selbst, was „national wertvolles Kulturgut“ bedeuten soll . In dieser zentralen Frage bleibt der Gesetzentwurf viele Antworten schuldig . Hier ist aus meiner Sicht noch viel öffentliche Debatte notwendig . ({2}) Denn es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, als sei die Bestimmung, was national wertvoll ist, je nach Fall Sache des Geschmacks der politisch Verantwortlichen . Der Eindruck politischer Willkür wäre fatal . Ich fände es deshalb notwendig, dass hierzu ein runder Tisch zur gemeinsamen Definition von national wertvollem Kulturgut geschaffen wird . Dort müssten dann nicht nur die Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Ländern, sondern auch ausgewiesene Kunstexpertinnen und Kunstexperten sitzen . Im Rahmen des runden Tisches sollte ein Kriterienkatalog erarbeitet werden, der dann als Handreichung den betroffenen Museen, Händlern und Sammlern zur Verfügung gestellt wird . So ließe sich Transparenz herstellen . ({3}) Die Sorgen, die in den letzten Monaten entstanden sind, könnten abgebaut werden . Daneben könnten die Ergebnisse dieses runden Tisches im Internet veröffentlicht werden . Neues Vertrauen schaffen durch mehr Transparenz! Ein weiterer Punkt ist wichtig . Wir dürfen bei der ganzen Diskussion über Ausfuhrgenehmigungen nicht vergessen, was die EU-Richtlinie ebenso verlangt, nämlich dass die Einfuhr und Rückgabe von Kulturgut in einem Gesetz neu geregelt wird . Es ist allgemein bekannt, dass Deutschland wegen seiner laschen Gesetzgebung seit langem ein Umschlagplatz für geraubte Kulturgüter ist . Hier lohnt es sich, genauer in den vorliegenden Gesetzentwurf zu schauen . Ich muss leider sagen: Einiges ist noch immer zu lax und wird den Raubhandel mit archäologischen Kulturgütern nicht effektiv und nachhaltig bekämpfen können . Sie alle werden sicherlich den Artikel „Scherbenhaufen“ im aktuellen Spiegel gelesen haben . Darin äußern sich einige Fachleute kritisch, weil der Gesetzentwurf keine klaren Herkunftsnachweise mehr vorsieht . Viele fragen sich jetzt zu Recht, warum die Bedenken der Fachleute im Gesetzentwurf nicht berücksichtigt wurden, warum hier nicht mehr Austausch zwischen Expertinnen und Experten sowie dem Ministerium stattgefunden hat . Da frage ich: Waren die Eingaben der Händlerlobby am Ende doch wichtiger? Ein weiteres Beispiel: Der Gesetzentwurf enthält Sorgfaltspflichten für den gewerblichen Handel mit Kulturgütern . Das ist grundsätzlich äußerst notwendig und begrüßenswert, um den illegalen Handel endlich zu erschweren. Diese Sorgfaltspflichten aber gleichzeitig mit weitreichenden Ausnahmen zu versehen, ist kontraproduktiv und praxisfern, und zwar aus dem einfachen Grund, dass beispielsweise eine Befreiung von der Sorgfaltspflicht für archäologisches Kulturgut unter 100 Euro dazu führen wird, dass archäologische Objekte zerstückelt werden, um eingeführt zu werden . Das ist jetzt schon längst gängige Praxis, und es würde durch diesen Gesetzentwurf weiter gefördert werden . Dieser kleine und unscheinbare, aber extrem folgenreiche Punkt zeigt: Es gibt an diesem Gesetzentwurf noch viel zu tun . Wir werden uns als Opposition konstruktiv, aber weiter kritisch einbringen, damit es am Ende doch noch ein gutes Schutzgesetz wird . Vielen Dank . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ansgar Heveling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Ansgar Heveling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004056, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! … durch die Natur gleichsam . . . abgeschieden, liegt sie unabhängig zwischen zwei mächtigen Reichen, dem römischen und parthischen, und wird bei jedem Zwiste auf beiden Seiten zu gewinnen gesucht . Von der parthischen Stadt Seleucia am Tigris ist sie 337 000 Schritte entfernt, von der nächsten Küste Syriens aber 203 000; Damaskus liegt 27 000 Schritte näher . So beschreibt bereits Plinius der Ältere in seiner Naturalis historia um circa 50 nach Christus - urheberrechtlich korrekt sei darauf hingewiesen: hier in der Übersetzung von Max Freiherr von Oppenheim - die Königin der Wüste, die syrische Stadt Palmyra . Heute liegen nach der Besetzung durch die Terrormiliz des sogenannten IS im Mai 2015 weite Teile der Ausgrabungsstätten von Palmyra, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, in Schutt und Asche . Erst plünderten die Dschihadisten mehrere Mausoleen, dann enthaupteten sie den Chef-Archäologen von Palmyra und zerbombten schließlich das übriggebliebene Ruinengelände . So geschehen nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak . Auch die antiken Stätten Nimrud und Mosul seien an dieser Stelle stellvertretend für den abscheulichen Raubzug des IS genannt . Die Ausbeutung und Zerstörung dieser bedeutenden Kulturstätten, die Zeugnisse der Menschheitsgeschichte sind, ist nicht rein ideologischer Natur . Der illegale Handel mit Raubkunst - überall hin und damit auch zu uns nach Deutschland - ist eines der lukrativen Geschäfte der Terrormiliz . Er ist nach dem Handel mit Drogen, Öl oder Waffen eine wichtige Einnahmequelle des IS . Deutschland steht hier gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft in der Verantwortung, den illegalen Handel mit Kulturgütern, insbesondere aus Kriegs- und Krisengebieten, weiter zu bekämpfen und in diesem Fall international wertvolle Kulturgüter zu schützen und für nachfolgende Generationen zu bewahren . ({0}) Im Einklang mit der UNESCO-Konvention von 1970 tragen wir diesem Ziel mit den nun vorliegenden Änderungsvorschlägen zu Einfuhrbestimmungen und Sorgfaltspflichten ergänzend verstärkt Rechnung, reagieren gleichzeitig auf den Bericht der Bundesregierung zum Kulturgutschutz und setzen die EU-Richtlinie zur Rückgabe von Kulturgutschutz vom Mai 2014 in geltendes Recht um . Über diese eine Säule oder Seite der Medaille der Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes - wie es im Bericht der Bundesregierung geradezu allegorisch heißt sind wir uns auch weitgehend einig, denke ich . Schwieriger wird es allerdings beim Betrachten der zweiten Seite der Medaille, namentlich dem Ausbau des Schutzes von deutschem Kulturgut vor Abwanderung . Diese zweite Säule des Gesetzentwurfs sorgt für große Unruhe in der deutschen Kunstszene, wobei ich nicht glaube, dass man diese Unruhe der Kulturstaatsministerin anlasten kann . Denn es ist richtig, dass man, wenn man einen Paradigmenwechsel vorhat, diesen auch zur Diskussion stellt. Und in dieser Diskussion befinden wir uns gerade . Das ist eigentlich ein politisch-parlamentarisch normaler, richtiger und wichtiger Vorgang, und den werden wir auch in den Beratungen im Parlament sicherlich weiter aufgreifen . ({1}) Die Sorgen vor einer vermeintlichen Enteignung sind an manchen Stellen so groß gewesen, dass einzelne zeitgenössische Künstler bereits Dauerleihgaben an deutsche Museen zurückgezogen haben . Auch wenn die Werke lebender Künstler von der Novellierung kaum betroffen sind - zum einen wird ihr Werk nicht von den neuen Ausfuhrbestimmungen erfasst, und zum anderen ist ein Eintrag in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes der Länder nur mit einer persönlichen Genehmigung möglich -, zeigt dieser beispielhaft genannte Vorgang, dass noch erheblicher Klärungs-, aber auch Erklärungsbedarf besteht und wir einiges in den kommenden Wochen im Deutschen Bundestag zu beraten haben, bevor wir das Gesetz verabschieden . Schon heute sind Ausfuhrregelungen im Kulturgutschutzgesetz von 1955 für das Verbringen von Kulturgütern ins außereuropäische Ausland geregelt . Diese Beschränkung auf Nicht-EU-Länder eröffnet ohne Frage die Möglichkeit, Kulturgut ohne Ausfuhrgenehmigung erst ins europäische Ausland und von dort weiter ins außereuropäische Ausland zu bringen, ohne dass die Frage der nationalen Bedeutung dann noch eine Rolle spielt . Zukünftig wollen wir, so wie es mittlerweile in fast allen EU-Staaten geregelt ist, Ausfuhrgenehmigungen auch für den europäischen Binnenmarkt einführen und hierbei insgesamt das Kategorieprinzip anwenden, das - anders als das Listenprinzip - den rechtlichen Vorgaben anderer EU-Mitgliedstaaten und der UNESCO-Vertragsstaaten entspricht . Dazu, wie wir das alles im Detail ausgestalten, wird es noch intensive Beratungen im Bundestag geben, wobei deutlich festzuhalten ist: Beide Säulen, Ausfuhr- und Einfuhrregelungen, werden und müssen sich im zukünftigen Kulturgutschutzgesetz wiederfinden. Wie so oft das Wichtigste zum Schluss . Mein Eindruck ist, dass dies bei der kontroversen Debatte um die einzelnen Regelungen bisher leider ein wenig zu kurz gekommen ist: Erstmals erfolgt eine klare und verbindliche Festlegung des Begriffs, was national wertvolles Kulturgut ist, durch ein Gesetz . Das ist aus meiner Sicht einer der zentralen Dreh- und Angelpunkte des zukünftigen Kulturgutschutzgesetzes . Inhalt und Verfahren werden damit erstmals gesetzlich geregelt . Das ist aus der Sicht des Parlaments als Souverän und im Hinblick auf unser Land als Nation einer tradierten Rechtskultur nicht nur ein qualitativer Fortschritt, sondern ein Schritt, der uns gut zu Gesicht steht . Es werden auch in Zukunft nur wenige ausgewählte Kulturgüter unter die Regelung fallen, nämlich diejenigen, die in besonderer Weise die Identität und Geschichte unseres Landes widerspiegeln und deren Abwanderung tatsächlich ein großer Verlust für uns und für kommende Generationen bedeuten würde . Vielen Dank . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Eva Högl von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neuregelung des Kulturgüterschutzrechts ist das wichtigste Gesetz in dieser Legislaturperiode im Kulturbereich . Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir eine gute Grundlage für unsere Beratungen . Die Koalition hat sich Dreierlei vorgenommen: den Kulturgutschutz zu stärken, das illegal ausgeführte Kulturgut anderer Staaten zurückzugeben - dazu gehört vor allen Dingen, strengere Regelungen für die Einfuhr von Kulturgut einzuführen und die Voraussetzungen dafür deutlich zu verschärfen; da haben wir wirklich Handlungsbedarf - sowie deutsches Kulturgut besser vor Abwanderung ins Ausland zu schützen . Ich sage ganz deutlich: Bei diesem letzten Punkt müssen wir uns auch darüber im Klaren sein, dass die Regeln, die wir bisher hatten, gut funktionierten und nicht alles überarbeitungsbedürftig ist, wir also durchaus vorsichtig und sensibel an Neuregelungen herangehen müssen . Insbesondere die Regelungen zur Ausfuhr deutschen Kulturguts sind sehr umstritten . Ich habe die Debatte so wahrgenommen, dass diese gar nicht im Grundsatz umstritten waren, also niemand wirklich bestritten hat, dass wir unser deutsches Kulturgut vor der Abwanderung ins Ausland schützen wollen, sondern dass die Details sehr umstritten waren . Da muss ich sagen: Das war nicht ohne Grund . Deswegen müssen wir uns in den Beratungen wirklich sehr gründlich über die Details beugen . Dass wir gründlich beraten, ist auch vor dem Hintergrund wichtig, dass wir tatsächlich mit diesem Gesetzentwurf über eine sehr scharfe Regelung, die vorgeschlagen wird, diskutieren, nämlich eine Genehmigungspflicht für die Ausfuhr aller nationalen Kulturgüter, und zwar unabhängig davon, ob sie in einem Verzeichnis stehen . Das ist natürlich erst einmal eine sehr scharfe Regelung . Ich sage auch ganz deutlich, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, ob wir wirklich strengere Regelungen im Binnenmarkt brauchen . Auch das müssen wir sorgfältig prüfen . Ja, 26 von 28 Mitgliedstaaten haben diese Regelung, und, ja, es kann auch richtig sein, dass wir uns dieser Regelung anschließen und nicht mit den Niederlanden zusammen die einzigen Mitgliedstaaten sind, die keine solche Regelung haben . Aber wir müssen uns auch fragen, ob es tatsächlich noch zeitgemäß ist, im Binnenmarkt solche strengen Regelungen zu formulieren . Etwas, was in diesem Gesetzentwurf steht, finde ich ganz hervorragend - ich knüpfe an das an, was der Kollege Heveling schon gesagt hat -, nämlich die gesetzliche Definition von national wertvollem Kulturgut. Ich halte es für ganz entscheidend, dass wir uns darüber gemeinsam Gedanken machen . Im Gesetzentwurf steht viel, was ein guter Anknüpfungspunkt für das ist, wonach wir beurteilen können, ob wir nationales Kulturgut im Land behalten wollen und ob wir eben nicht gestatten, dass es ausgeführt wird: Es muss besonders bedeutsam sein für unser kulturelles Erbe . Es muss identitätsstiftend sein . Es muss ein wesentlicher Verlust für den deutschen Kulturbesitz sein, wenn das entsprechende Kulturgut abwandert, und es muss ein herausragendes kulturelles öffentliches Interesse daran bestehen, dieses Kulturgut im Land zu halten . Darüber werden Sachverständige sorgfältig befinden. Das halte ich für eine wirklich gute Regelung. Das zeigt aber auch, dass ein ganzer Teil der Aufregung, die es um genau diese Regelung gegeben hat, völlig überzogen war; denn wir alle wissen: Alle Voraussetzungen müssen vorliegen . Daher werden tatsächlich nur sehr wenige Kulturgüter betroffen sein, für die dann ein absolutes Ausfuhrverbot gilt . Für mich ist auch wichtig, dass die Kriterien um die Sichtbarkeit, um die öffentliche Zugänglichkeit erweitert werden. Ich finde, „identitätsstiftend“ hat immer etwas damit zu tun, dass Kunstwerke nicht in irgendeinem Tresor oder Keller lagern, sondern dass sie im Land tatsächlich wahrgenommen werden können . Eine letzte Bemerkung, und zwar zum Vorkaufsrecht . Die damit verbundene Idee tauchte im Zusammenhang mit dieser Diskussion auf . Auf den ersten Blick wirkt es durchaus sympathisch, dass der Staat die Kulturgüter ankauft, um sie dann der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen . Wenn wir uns mit dem Vorkaufsrecht aber näher beschäftigen, dann sehen wir, dass dieses Instrument nicht uneingeschränkt zum Schutz unseres Kulturgutes geeignet ist . Deswegen hoffe ich, dass wir in den Beratungen diesen Aspekt noch aufgreifen und uns sorgfältig damit auseinandersetzen . Ich sage es noch einmal: Wir haben eine gute Beratungsgrundlage . Ich freue mich wirklich sehr auf die Fachgespräche und auf die folgenden Beratungen in unserem Ausschuss . Vielen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Jetzt hat das Wort Dr . Astrid Freudenstein von der CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn behauptet wird, daß eine Substanz keine Nebenwirkung zeigt, so besteht der dringende Verdacht, daß sie auch keine Hauptwirkung hat . Was der deutsche Pharmakologe Gustav Kuschinsky auf Medikamente münzte, gilt in ähnlicher Form auch für unsere Gesetze . Wenn ein Gesetz gar keine Nebenwirkungen zeigt, wirkt es vermutlich überhaupt nicht . Die Kunst der Arzneimittelherstellung ebenso wie die der Gesetzgebung besteht also darin, die erwünschte Wirkung zu potenzieren und die unerwünschten Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten . Wenn das gelingt, dann haben wir gut gearbeitet . Die Wirkungen, die wir uns von dem Kulturgutschutzgesetz wünschen, haben meine Vorredner bereits ausführlich beschrieben: Wir wollen zum einen mit dem Gesetz Raubgrabungen und den illegalen Handel mit Kulturgut verhindern und damit vor allem das Kulturgut anderer Länder schützen, und wir wollen zum anderen unser eigenes, national wertvolles Kulturgut vor Abwanderung ins Ausland schützen . Der erste Punkt ist relativ unumstritten; doch um den zweiten Punkt hat sich eine recht lebhafte Debatte entwickelt . Papiere führten zu teils heftigen Reaktionen, auch zu Überreaktionen . Es ist sicher notwendig, Befürchtungen und Ängste ernst zu nehmen, und es ist auch notwendig, die Debatte zu versachlichen und ein kompliziertes Gesetzesvorhaben zu erklären . Die Eintragung von national wertvollem Kulturgut gibt es bei uns bereits seit mehr als 60 Jahren, seit 1955 . Die Diskussion der vergangenen Monate hat auch gezeigt, dass das nicht allen bekannt war . Man könnte auch sagen: In vielen Fällen hat das Gesetz bisher nicht so gewirkt, wie es hätte wirken sollen . ({0}) Ein Gesetz, das nicht wirkt, braucht allerdings niemand . Man muss es folglich abschaffen, oder man muss so nachbessern, dass es wirkt . Wir bessern nach, weil wir nachbessern müssen . Wir wollen Kulturgut nicht nur auf dem Papier schützen, sondern eben auch in der Realität . Wir müssen auch nachbessern, um im internationalen Kontext nicht ins Hintertreffen zu geraten; Frau Staatsministerin Grütters hat das bereits ausgeführt . Es ist völlig klar, dass es bei diesem neuen, wirkungsvolleren Kulturgutschutzgesetz auch Nebenwirkungen geben wird: Das Gesetz kann durchaus dazu führen, dass manches schwieriger und aufwendiger wird . Es kann auch dazu führen, dass Kunsthändler einen Antrag mehr schreiben müssen als bisher . Und es kann in letzter Konsequenz in Einzelfällen dazu führen, dass Händler ihr national wertvolles Kulturgut in Deutschland für weniger Geld an den Mann bringen, als sie es vielleicht in London getan hätten . An dieser Stelle wird es natürlich spannend, weil es um nationale, aber eben auch um berechtigte finanzielle Interessen geht: Je höher die Grenzwerte, umso wirkungsloser - aber eben auch umso nebenwirkungsärmer - wird unser Gesetz . Es kommt jetzt darauf an, die Interessen abzuwägen und ins Lot zu bringen . Klar ist aber auch: Ein Gesetz, von dem am Schluss nichts und niemand betroffen ist, brauchen wir hier nicht zu verabschieden . Eine positive Nebenwirkung des Gesetzes kann man aber schon erkennen: In Deutschland wurde vermutlich noch nie so viel darüber diskutiert, welches Kulturgut uns wirklich wertvoll ist, welche Kulturgüter für uns identitätsstiftend sind . Das steht uns, die wir uns gerne und völlig zu Recht als Kulturnation bezeichnen, auch gut zu Gesicht, wie ich meine . Mit drei Beispielen dazu, was in Bayern bereits als national wertvolles Kulturgut eingetragen worden ist, möchte ich Ihnen eine Vorstellung davon geben, um was es gehen soll: Erst vor kurzem wurde ein Exemplar des Archaeopteryx aus dem Steinbruch Schamhaupten eingetragen . Der Urvogel ist für die naturwissenschaftliche Forschung und für die Evolutionsgeschichte von herausragendem Interesse . Wertvoll ist auch das ritterliche Schwert aus der Regierungszeit Heinrichs des Löwen . Es stammt aus dem 12 . Jahrhundert und ist ein erstklassig erhaltenes Exemplar, von ganz besonderer Bedeutung für die bayerische Landesgeschichte und vor allem für die Geschichte des „baierischen“ Herzogtums . Ebenfalls völlig zu Recht auf der Liste: die einzigartige Sammlung „Der Blaue Reiter“ aus dem Lenbachhaus in München . Der Blaue Reiter ist eine der bedeutendsten Künstlergruppen der Avantgarde zu Beginn des 20 . Jahrhunderts und eng mit München und Bayern verbunden zweifelsohne wertvoll und identitätsstiftend . Mit der Gesetzesnovelle wollen wir nun Kulturgüter wie die drei genannten besser als bisher schützen . Dafür braucht es klare, angemessene und auch verständliche Regeln und - das ist wichtig -: Wir müssen bürokratische Nebenwirkungen kleinhalten . Regeln, die wirken, ohne jemanden über Gebühr zu belasten, daran werden wir in den nächsten Wochen arbeiten . Herzlichen Dank . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Debatte . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/7456 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen Drucksache 18/7546 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Agnieszka Brugger, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eckpunkte für ein Rüstungsexportkontrollgesetz Drucksachen 18/4940, 18/7030 Über den Antrag auf Vorlage eines Rüstungsexportkontrollgesetzes werden wir später namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich kann die Aussprache eröffnen . - Herr Pfeiffer, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit . - Als erste Rednerin in der Aussprache hat Agnieszka Brugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jede, wirklich jede Bundesregierung - das sage ich auch mit einem selbstkritischen Blick auf die rot-grüne Regierungszeit - beteuert immer, dass in Deutschland eine restriktive Rüstungsexportpolitik betrieben wird . ({0}) Leider entspricht das nicht der Realität; denn so sieht die Faktenlage aus: Deutschland ist seit Jahren unter den Top Fünf der Waffenexporteure weltweit, und das ist kein Ranking, auf das man stolz sein kann . ({1}) Abgesehen von ein paar kleineren Schwankungen sind die Rüstungsexporte nach wie vor ein Milliardengeschäft . Allein im ersten Halbjahr 2015 sind Rüstungsexporte im Wert von über 3 Milliarden Euro genehmigt worden . Morgen kommen wahrscheinlich die neuen Zahlen für das Gesamtjahr 2015 . Ich vermute leider, dass sie erschreckend hoch sein werden . In der Regel gingen in den letzten Jahren mehr als die Hälfte dieser Rüstungsexporte in Staaten jenseits von NATO und EU . Darunter befanden sich schmutzige Deals mit Ländern wie Katar und Saudi-Arabien, in denen eine katastrophale Menschenrechtslage herrscht und die aktuell Teil einer Kriegsallianz sind, die ohne Rücksicht die Menschen im Jemen brutal bombardiert . ({2}) Es gehörten aber ebenso Skandale dazu wie der, dass G36-Gewehre in Mexiko in den Händen korrupter Polizisten auftauchten und dann gegen unbewaffnete Studenten eingesetzt wurden . Eine solche Politik als restriktiv zu bezeichnen, das ist doch zynisch . ({3}) Trotz einiger Kurskorrekturen, zum Beispiel bei der Transparenz, trotz all seiner großen Töne und schönen Worte hat Sigmar Gabriel hier keine grundlegende Trendwende eingeleitet . Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen schöner Rhetorik und hässlicher Realität klafft hier eine erschreckend große Lücke der Verantwortungslosigkeit . ({4}) Es gibt kaum ein politisches Thema, bei dem das, was gesagt wird, in so krassem Widerspruch zu dem steht, was getan wird . Dabei gibt es in Deutschland die sehr guten und sehr strengen Politischen Grundsätze für Exporte, die jeder Minister in den Himmel lobt und auf die man sich in Sonntagsreden gerne beruft, die Menschenrechte zu einem zentralen Kriterium bei den Entscheidungen erheben und die sehr hohe Hürden für den Verkauf von Kriegswaffen an Staaten jenseits von NATO und EU aufstellen . Die zentrale Frage, die sich hier aufdrängt, ist: Wenn diese Grundsätze so strikt sind, wie kann es dann eigentlich sein, dass es in der Praxis zur Regel geworden ist, dass sie immer wieder verletzt und gebrochen werden? ({5}) Wie kann es dazu kommen, dass Frieden, Sicherheit und Menschenrechte immer wieder Exportprofiten und Gewinninteressen der Rüstungslobby geopfert werden? Ein Teil der Antwort hat auch mit dem Charakter dieser Grundsätze zu tun . Sie sind vom Inhalt her richtig und gut, sie bestehen aber eben vor allem auf dem Papier . Es mangelt ihnen an Durchsetzungskraft und Verbindlichkeit . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten und müssen wir als Parlament dringend ändern . ({6}) Natürlich gibt es mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz und mit dem Außenwirtschaftsgesetz gesetzliche Grundlagen im Bereich der Rüstungsexporte . Die Kriterien aus den Politischen Grundsätzen sind aber eben nicht wirklich im Gesetzestext verankert . Das wäre aber notwendig, um ihnen endlich das Gewicht zu verleihen, das sie verdienen . ({7}) Im Mai haben wir Grüne Ihnen Eckpunkte für ein neues, ein echtes Rüstungsexportgesetz vorgelegt . Diese hat die Koalition leider abgelehnt . Trotzdem waren wir Grüne anscheinend nicht ganz so erfolglos: Die guten Argumente der Kollegin Keul aus der Bundestagsdebatte haben Widerhall gefunden, und sie konnten offensichtlich Sigmar Gabriel zum Denken anregen . ({8}) Denn vor einem Monat hat der Wirtschaftsminister erklärt, er denke jetzt darüber nach, ein Rüstungsexportgesetz auf den Weg zu bringen und eine Expertenkommission dazu einzurichten . Wir freuen uns natürlich sehr, wenn Regierungsmitglieder die guten grünen Ideen aufgreifen . Aber zwischen Nachdenken und Handeln besteht ja bekanntermaßen noch ein großer Unterschied . Und so ganz trauen wir diesen vielversprechenden Ankündigungen noch nicht; denn gerade bei den Rüstungsexporten haben wir in den letzten Jahren oft genug erlebt, dass der Wirtschaftsminister den typischen Gabriel macht: Erst viel Wind erzeugen, dann aber nicht liefern . ({9}) Meine Damen und Herren, als aufmerksame und hartnäckige Opposition geben wir uns natürlich nicht mit Ihren schönen Schlagzeilen zufrieden . Uns interessiert, was Sie in der Realität daraus machen . Das ist ein Prozess, den wir konstruktiv begleiten wollen . Deshalb haben wir auch nachgefragt, wie es denn jetzt weitergeht . Wir wollten wissen: Wie sieht es mit dem Zeitplan aus, wie ist die Besetzung der Kommission? Welche Rolle soll das Parlament dabei spielen? Am Montag erhielt ich zu all diesen Fragen eine lapidare Antwort aus dem Hause Gabriel, nämlich dass er noch nachdenke und dass es noch keine Details gebe . Einen Monat nachdem die Pressestatements verkündet waren, keinen Schritt weiter zu sein, ist doch ein bisschen peinlich . ({10}) Herr Minister, wenn Sie in diesem Schneckentempo weitermachen, dann können wir vielleicht in der übernächsten Wahlperiode mit einem Gesetzentwurf rechnen . Deshalb stellen wir heute hier einen zweiten Antrag, über den wir nachher namentlich abstimmen . Er enthält keine inhaltlichen Vorfestlegungen . Er besteht nur aus einem Satz und fordert Sie dazu auf, Herr Gabriel, Ihr Versprechen auch wahrzumachen und dem Parlament noch in dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Beratung und Abstimmung vorzulegen . ({11}) Liebe Abgeordnete von SPD und Union, wenn Sie also den Vorschlägen Ihres eigenen Vizekanzlers, die ihn offensichtlich nicht besonders interessieren, folgen und ihn auf diesem richtigen Weg unterstützen wollen, dann bleibt Ihnen ja fast nichts anderes übrig, als unserem grünen Antrag heute hier zuzustimmen . ({12}) Sie, Herr Minister, haben die Chance, zu zeigen, dass das hier kein weiterer Fall von „groß posaunt und dann noch nichts gemacht“ ist . Und wir als Parlament könnten ein schönes, klares und gemeinsames Zeichen setzen, dass in Zukunft bei den Rüstungsexporten das Kriterium der Achtung der Menschenrechte keine leere Sprechblase mehr ist und dass Friedens- und Sicherheitspolitik ausufernden Waffenexporten klare und enge Grenzen setzen . Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen, damit wir noch in dieser Legislaturperiode endlich über ein Rüstungsexportgesetz abstimmen können . ({13})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die CDU/ CSU-Fraktion ist der Kollege Klaus-Peter Willsch . ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Brugger, wir brauchen kein Rüstungsexportgesetz . ({0}) Immer wieder debattieren wir hier im Parlament solche Fragen . Es gibt zu diesem Thema wirklich keinen Mangel an öffentlicher Erörterung . Sie versuchen immer wieder, den Eindruck zu erwecken, es gehe hier alles wie auf einem levantinischen Basar zu . Das ist bei uns klar geregelt . Und wir glauben, dass es so, wie es geregelt ist, richtig geregelt ist . ({1}) - Sie können sich gerne noch zu Wort melden, wenn Sie der Auffassung sind, dass Frau Brugger nicht ausreichend vorgetragen hat . ({2}) Hier wird ständig versucht, den Eindruck zu erzeugen, die Rüstungsexportpolitik in Deutschland sei nicht klar geregelt . Ihr liegen jedoch die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Kriegsgütern in der aktuellen Fassung vom 19. Januar 2000 zugrunde. Das fiel in die Regierungszeit von Rot-Grün . Joschka Fischer war damals, wenn ich mich recht erinnere, Außenminister . Jede Rüstungsexportgenehmigung ist eine Einzelfallentscheidung . Es gibt keinen Anspruch auf eine Genehmigung . Gemäß Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirtschaftsverordnung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgüter genehmigungspflichtig. Es wird nicht genehmigt, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass damit interne Repression oder sonstige Menschenrechtsverletzungen ausgeübt werden . ({3}) - Ich weiß ja, dass Sie schon alles wissen, aber ich kann nicht ausschließen, dass vielleicht der falsche Eindruck, den Sie, Frau Brugger, zu verbreiten versuchen, bei den Zuschauerinnen und Zuschauern hängen bleibt . ({4}) Deshalb will ich das noch einmal darstellen: Die Prüfung und Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern obliegt dem Bundessicherheitsrat . Der Bundessicherheitsrat tagt unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin . Zusätzlich gehören ihm an der Vizekanzler bzw . der Wirtschaftsminister, die Minister der Verteidigung, des Auswärtigen, des Innern, der Justiz, der Finanzen, der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . Der Chef des Bundeskanzleramtes, der Regierungssprecher und der Generalinspekteur der Bundeswehr nehmen ebenfalls teil . In ihm ist also alles versammelt, was in der Regierung hierzu Kompetenz aufzuweisen hat . ({5}) Bei der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung handelt es sich eben nicht um einen formalen Akt . Es besteht kein Anspruch auf die Erteilung einer Genehmigung . Zahlreiche Gesetze und Vereinbarungen, die ich Ihnen - damit nicht bei irgendjemandem der Eindruck bestehen bleibt, in diesem Bereich würde irgendetwas ungeregelt geschehen - noch einmal in Erinnerung rufen möchte, sind beim Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern zu beachten . ({6}) Dabei handelt es sich um das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, das Außenwirtschaftsgesetz, den Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren sowie um die Prinzipien der OSZE zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen . Erst im März letzten Jahres hat die Bundesregierung als Ergänzung zu den Politischen Grundsätzen noch die Grundsätze für die Erteilung von Genehmigungen für die Ausfuhr von Kleinen und Leichten Waffen vorgelegt .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Kollege Willsch, das ist jetzt eine gute Gelegenheit, um zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Keul zulassen .

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, wenn ich irgendeine rechtliche Regelung vergessen haben sollte, die Sie nachtragen wollen, Frau Keul, bitte sehr .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön .

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank . - Es ehrt mich, dass Sie mir zutrauen, die rechtlichen Regelungen besser zu kennen . Wenn all das, was Sie vorgetragen haben, so toll ist, dann frage ich Sie: Wie kann dann Ihr Koalitionspartner bzw . der Wirtschaftsminister auf die Idee kommen, dass wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz brauchen? Können Sie uns das erklären?

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das müssen Sie im Zweifelsfalle meinen Minister selbst fragen . Ich weiß aber, dass in dieser Bundesregierung viel nachgedacht wird . Es ist auch klug, immer viel über alles Mögliche nachzudenken . Da ist der Vizekanzler keine Ausnahme . ({0}) Der Export an Nicht-EU- und Nicht-NATO-Staaten wird äußerst restriktiv gehandhabt . Frau Brugger, Sie kennen doch die Berichte . Sie wissen, dass wir über die Hälfte an NATO-Partner und Gleichgestellte, also Australien, Schweiz usw ., exportieren . Da können Sie sich doch wirklich nicht hierhinstellen und sagen, wir würden freigiebig in alle Himmelsrichtungen deutsche Waffen verteilen . ({1}) Der Export von Kriegswaffen wird - so heißt es im Rüstungsexportbericht; das könnten Sie nachlesen nur ausnahmsweise genehmigt, wenn im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen Deutschlands für die Erteilung einer Genehmigung sprechen . ({2}) Ich will Ihnen, um das greifbar zu machen, deutlich machen, was das für Sicherheitsinteressen sein können . Zum Beispiel könnte es in unserem Sicherheitsinteresse liegen, die Abwehr terroristischer Bedrohungen zu unterstützen oder den internationalen Drogenhandel zu bekämpfen . Bei der Ausfuhr von Marineausrüstung geht es regelmäßig darum, dass wir Staaten ertüchtigen wollen, ihren Küstenschutz durchzuführen und damit einen Beitrag zur Gewährleistung der Freiheit der Handelswege auf See zu leisten . All das sind natürlich Aspekte, die wir berücksichtigen, und das ist auch berechtigt . Die Bundesregierung hat beispielsweise den bereits genehmigten Export eines Gefechtsübungszentrums nach Russland untersagt, weil die Krim von den Russen besetzt worden ist und wegen der Rolle, die Russland in dem eingefrorenen Konflikt in der Ostukraine spielt. Im Falle der Waffenlieferung an die Regierung der autonomen Region Kurdistan im Irak handelt es sich um eine politische Ausnahmeentscheidung - das wissen Sie -, und sie ist in diesem Haus breit getragen worden . ({3}) Die akute Bedrohung der Bevölkerung im Irak durch die Halsabschneider vom IS, vom „Islamischen Staat“, war anders nicht abzuwenden . Ich will hier nicht mit billiger Kriegsrhetorik irgendetwas schönreden . Die Lage war so, dass dort wirklich die Gefahr bestand, dass Völkermord begangen wird, dass die Menschen vertrieben werden, dass die Menschen dem IS unterworfen werden, und es gab keine anderen Bodentruppen als die, die wir dann beliefert haben . Ich will Ihnen eine friedensethische Stellungnahme des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland zu diesem Thema nicht vorenthalten . Im Nachgang einer Reise des Landesbischofs Dr . Bedford-Strohm in den Irak vom September 2014 hieß es zu den Waffenlieferungen an die Peschmerga - ich zitiere -: Die kurdischen Milizen sind die einzigen lokalen Gegner, welche dem IS militärisch entgegentreten können . Militärische Mittel erscheinen in der gegenwärtigen Lage als die letzte verbliebene Möglichkeit, um wirksame und schnelle Hilfe zu bringen . Nach evangelischem Verständnis kann militärische Gewalt zur Abwendung schwerster anhaltender Menschenrechtsverletzungen, angesichts von Völkermord und Vertreibung, als letzter Ausweg legitim sein, wenn alle anderen gewaltärmeren Mittel versagen . ({4}) Ich bitte Sie, mal ein bisschen aus der Kuschelecke herauszukommen . Wenn man Ihre Position zu Ende denkt, dann stellen Sie die eigene Armee letztlich auch infrage . Es gibt natürlich Interessen in der Welt; es gibt die Notwendigkeit, zu unterstützen und zu helfen, wenn wir können . Wir machen uns der Unterlassenen Hilfeleistung schuldig, wenn wir das dann nicht tun . Übrigens wurde das Gleiche auch von katholischer Seite als eine „Art von Völkermord“ kategorisiert . Der Vertreter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen, Erzbischof Silvano Tomasi, sprach sich als Ultima Ratio für den Einsatz von Gewalt aus, „um die Aggressoren zu stoppen“ . Weiter sagte Tomasi wörtlich: Andernfalls werden wir in Zukunft beklagen, dass wir solch eine schreckliche Tragödie zugelassen haben . Mit Blick auf die linke Seite unseres Hauses und auch auf Sie, Frau Brugger, muss ich sagen, dass wir mit Friedensmärschen, Handauflegen und Stuhlkreisen die IS-Mörderbande nicht stoppen werden . ({5}) Selbst der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, hat erkannt, dass man den IS - ich zitiere - „nicht mit der Yogamatte unterm Arm“ bekämpfen kann . Ein bisschen mehr Realismus in den Debatten auch hier in diesem Haus würde Ihnen guttun . Ich will Ihnen ein anderes historisches Beispiel nennen: Die Amerikaner hat es im Zweiten Weltkrieg - da waren sie noch gar nicht in diesen Krieg eingetreten einiges an Überwindung gekostet, die Rote Armee mit dem Lend-Lease Act zu unterstützen . Sie haben es damals getan, um einen ökonomischen und militärischen Zusammenbruch der Sowjetunion zu verhindern, und haben damit einen Beitrag dazu geleistet, dass Hitlers Angriffsarmee in Russland gestoppt werden konnte . Auch das zeigt, dass die Vorgänge nicht ganz eindimensional sind, sondern dass wir die verschiedenen Aspekte immer sehr sorgfältig bewerten und gewichten müssen . Wir haben nicht den Eindruck, dass das in der Bundesregierung falsch gemacht wird, sondern wir glauben, dass es richtig gemacht wird . ({6}) Insofern ist es nicht notwendig, dass wir ein Gesetz auf den Weg bringen; denn es ist bereits alles geregelt . Ich halte es mit Montesquieu, von dem bekanntlich folgender Satz stammt: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist jetzt der Kollege Jan van Aken, Fraktion Die Linke . ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Grünen fordern in ihrem Antrag ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Das finden wir richtig, da stimmen wir zu. Da Herr Gabriel auch schon darüber nachdenkt, könnten wir eigentlich heute hier mit rot-rot-grüner Mehrheit - die gibt es, das vergessen wir gerne - darüber abstimmen . ({0}) Das große Problem ist nur, dass an diesem Punkt unsere Gemeinsamkeit aufhört . ({1}) Ich habe mir noch einmal den Antrag der Grünen vom letzten Mai durchgelesen . Da schreiben Sie: Das Ziel des Rüstungsexportkontrollgesetzes ist es, die geltenden Politischen Grundsätze der Bundesregierung in ein Gesetz zu überführen . - Das können Sie gerne tun, aber das würde überhaupt nichts verändern, und das wissen Sie auch . Dass die Politischen Grundsätze ständig gebrochen werden, wie Sie das eben behauptet haben, Frau Brugger, ist nicht richtig . ({2}) Die Grundsätze sind butterweich . Sie dürfen sogar das hat Herr Gabriel im letzten Jahr gemacht - die Lieferung von Panzern nach Katar genehmigen, ({3}) sie dürfen die Lieferung einer ganzen Sturmgewehrfabrik nach Saudi-Arabien genehmigen, sie dürfen auch die Lieferung von Pistolen an die USA genehmigen . ({4}) Alles ist dadurch gedeckt . ({5}) Claudia Roth protestiert dagegen, das verstehe ich auch . ({6}) Denn Sie, Frau Roth, haben diese 1999 ({7}) gemeinsam mit Herrn Erler von der SPD verhandelt . Ich weiß auch, dass Sie beide die Waffenexporte wirklich reduzieren wollten . Da stehen viele gute Sachen drin: Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Kriegs- und Krisengebiete . Aber Sie wissen auch - das hat Frau Keul an dieser Stelle schon offen zugegeben -: Sie sind mit diesem Versuch komplett gescheitert, weil trotz dieser Politischen Grundsätze in den letzten Jahren die Waffenexporte gestiegen und gestiegen sind . Das müssen wir endlich stoppen, und das geht mit diesen Politischen Grundsätzen nicht . ({8}) Das liegt zum Beispiel daran, dass in den Grundsätzen einerseits glasklar steht, dass in sonstige Länder außerhalb der NATO keine Ausfuhr von Kriegswaffen genehmigt wird - super, der Satz geht aber weiter -, es sei denn, dass besondere außenpolitische Interessen dafür sprechen . Tatsächlich gibt es in jedem einzelnen Fall offenbar ein außenpolitisches Interesse, wodurch die Menschenrechte jedes Mal hinten runterfallen . Frau Roth, Frau Brugger, Sie kennen die Zahlen: Jedes Jahr werden 17 000 Anträge gestellt, und 16 900 Anträge werden durchgewinkt . Ungefähr 100 Anträge werden abgelehnt . Daran sieht man: Ihre Politischen Grundsätze sind butterweich . Ich verstehe bis heute nicht, warum Sie die in ein Gesetz gießen wollen . ({9}) Denn wenn Sie das zu einem Gesetz machen, dann zementieren Sie den Status quo, dann werden Sie zementieren, dass Deutschland auch in 20 Jahren immer noch der größte Waffenexporteur Europas ist, und das wollen wir stoppen . ({10}) Ein Minimum, welches in einem solchen Gesetz geregelt werden sollte, wäre ein generelles Verbot von Kleinwaffenexporten . Ich frage Sie von den Grünen: Warum sind Sie nicht dazu bereit? Wir haben es von Herrn Gabriel gehört, wir haben es von Ihnen gehört . Eigentlich sind wir uns bis auf den rechten Teil dieses Hauses fast alle einig, dass Kleinwaffenexporte nicht zu verantworten sind. Kleinwaffen - das hat Kofi Annan gesagt -, das sind die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit . ({11}) Keine einzige Kleinwaffe darf von diesem Land aus irgendwohin exportiert werden, ob nach Saudi-Arabien, nach Mexiko oder in die USA . ({12}) Jetzt werden Sie natürlich alle aufschreien: Wieso nicht in die USA, wenigstens an NATO-Staaten dürfe man doch liefern? Ich möchte Sie nur daran erinnern und das verstehe ich bis heute nicht -, dass der letzte große Exportskandal ausdrücklich die USA betraf . Von Sig Sauer bei uns oben im schönen Norden wurden 100 000 Pistolen an die USA geliefert . Sie wurden umetikettiert und gleich nach Kolumbien weiterverschifft . Damit haben die Amerikaner deutsches Exportrecht wissentlich und willentlich gebrochen . Deswegen sagen wir: Keine Ausnahmen! ({13}) Wir fordern ein generelles Verbot von Kleinwaffenexporten . ({14}) Einem Rüstungsexportkontrollgesetz, das dies enthält, würden wir auch zustimmen . Noch ein letzter Punkt, bevor ich zum Ende komme . Herr Gabriel nutzt morgen die Gelegenheit, auf der Bundespressekonferenz die Waffenexportzahlen 2015 vorzustellen . Sie werden gigantisch hoch sein . Wir wissen, dass im ersten Halbjahr 2015 schon mehr genehmigt worden ist als im ganzen Jahr 2014: Exporte mit einem Volumen von 6,5 Milliarden Euro in einem halben Jahr . Wir hören also morgen von Rüstungsexporten in einem Umfang von 8, 9, 10, 11 Milliarden Euro - und das von einem Minister, der Wahlkampf gegen Waffenexporte gemacht hat . Dann frage ich mich: Woran ist er gescheitert? Er ist genau an diesem System gescheitert, am System der Politischen Grundsätze von Claudia Roth und von Herrn Erler, das auf „Ja“ gestellt ist . ({15}) Wir wollen ein Rüstungskontrollgesetz, das auf „Nein“ gestellt ist, damit von deutschem Boden nie wieder irgendwo Kriege befeuert werden . Im Übrigen - das wissen Sie - bin ich der Meinung, dass Deutschland überhaupt keine Waffen mehr exportieren sollte . Das Kleinwaffenexportverbot ist ein Anfang . Aber ich finde: Irgendwann sollten wir uns ein Beispiel an Japan nehmen . Japan hat 40 Jahre lang kein einziges Rüstungsgut in die Welt exportiert ({16}) und war damit relativ erfolgreich . Ich danke Ihnen . ({17})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön . - Jetzt hat Matthias Ilgen, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Matthias Ilgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004310, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mich gleich direkt an Herrn van Aken wenden, weil ich es mal wieder sehr unseriös finde, wie die Linke mit den Zahlen um sich wirft . ({0}) Ich finde, man muss dann schon bei den Fakten bleiben . Wenn Sie die hohe Zahl der Exportgenehmigungen ansprechen, müssen Sie auch sagen, wie viele der genehmigten Exporte in NATO-Staaten gegangen ist und wie viele nicht . Dann sehen die Zahlen auf einmal ganz anders aus . ({1}) Sie schlagen vor, wir sollten am besten gar nichts mehr, wenn ich das gerade richtig verstanden habe, in NATO-Staaten liefern . So, Herr van Aken, wird man nie regierungsfähig; das steht fest . ({2}) Wir haben seit dem Wiedereintritt der SPD in die Bundesregierung 2013 eine deutliche Reduktion der Exporte zum Beispiel bei den Kleinwaffen erfahren, von 2013 auf 2014 um 43 Prozent . Im Vergleich der ersten Halbjahre 2015 zu 2014 waren es wiederum 42 Prozent . Ich kann also nicht feststellen, dass Ihre Aussagen zu den Kleinwaffen gerade in irgendeiner Art und Weise mit den Fakten, nämlich der Realität der kleinen Schritte und des Weniger - das waren beide Mal fast 50 Prozent - in irgendeiner Art und Weise übereinstimmen . Und deswegen ist es schlichtweg falsch . ({3}) Darüber hinaus hat das Wirtschaftsministerium für weitere Verschärfungen gesorgt . Wir haben die Post-Shipment-Kontrollen eingeführt . ({4}) - Ja, 1 . März, entschuldigen Sie bitte . Wir führen sie zum 1 . März ein . Aber wir haben bzw . das Wirtschaftsministerium hat sie beschlossen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Ilgen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen van Aken?

Matthias Ilgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004310, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Herr van Aken .

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Ilgen, seit sechs Jahren fordern die Grünen und wir die Post-Shipment-Kontrollen . Jetzt hat Herr Gabriel sie angekündigt . Jetzt sagen Sie: Zum 1 . März kommen sie . Können Sie einmal genauer beschreiben, was das bedeutet? Wissen Sie, was der Beschluss der Bundesregierung zu den Post-Shipment-Kontrollen beinhaltet? Wissen Sie, dass da nicht drinsteht: Alle exportierten Waffen werden später vor Ort kontrolliert? Wissen Sie, dass da zum Beispiel Ausnahmen drinstehen? Wissen Sie, dass im ursprünglichen Beschluss der Bundesregierung zum Beispiel die Ausnahme enthalten war, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie dabei nicht beeinträchtigt werden darf? Und wissen Sie, was das in der Praxis heißen könnte? Dass Sie vielleicht am Ende keine einzige Kontrolle irgendwo durchführen werden, weil jedes Mal Heckler & Koch, Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann sagen werden: Wenn wir das jetzt zulassen, wäre unsere Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt . Wissen Sie, dass die Post-Shipment-Kontrollen, die Sie vorschlagen, nur Schaumschlägerei sind? ({0})

Matthias Ilgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004310, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr van Aken, ich weiß jedenfalls, dass Ihre Argumente Schaumschlägerei sind . ({0}) Denn es steht in den Bestimmungen über die Post-Shipment-Kontrollen eindeutig, dass es sozusagen als Bestrafung für diejenigen Staaten und Menschen, an die wir liefern und die unseren Rechtsgrundlagen zuwiderhandeln, keine künftigen Exporte geben wird . Das steht da eindeutig drin . Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung entsprechend handeln wird und wir als Parlament das nachvollziehen . Deswegen kann ich Ihrer Argumentation nicht folgen; tut mir leid . ({1}) Die neuen Kleinwaffengrundsätze wurden angesprochen . Der „Neu für Alt“-Grundsatz und das Prinzip „Neu, Vernichtung bei Aussonderung“, dass also die neu gelieferten Waffen bei der Aussonderung vernichtet werden, werden für zusätzliche Limitierungen in diesem Bereich sorgen . Meine Damen und Herren der Opposition, ich finde: Wir sind auf dem richtigen Weg. Darüber hinaus haben wir rechtliche Grundlagen . Jetzt kommen wir zum eigentlichen Thema, der Frage des Rüstungsexportkontrollgesetzes . Die rechtlichen Grundlagen, die wir bisher haben, sind die Politischen Grundsätze der Bundesregierung, der Gemeinsame Standpunkt des Rates zu jeder Lieferung auch innerhalb der Europäischen Union, das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz und auch Verträge auf völkerrechtlicher Ebene, die Waffenlieferungen einschränken, etwa der Arms Trade Treaty . Der Bundeswirtschaftsminister hat vorgeschlagen, dass man, um das rechtlich vernünftig zu ordnen, gegebenenfalls ein Gesetz machen könnte . ({2}) - Ich finde es gut, dass Sie klatschen, Frau Roth. - Absicht des Ministers ist es, eine Expertenkommission zur Prüfung aller Ideen zur Schaffung eines solchen Rüstungsexportgesetzes als Ersatz für all die Richtlinien, die ich eben genannt habe, einzuberufen . Wir als SPD-Fraktion begrüßen das ausdrücklich; denn damit wird es transparenter und klarer für alle . Meine Damen und Herren von den Grünen, ich finde, Sie könnten dieses Vorgehen des Ministers durchaus als Schritt in die richtige Richtung ausdrücklich loben und anerkennen . ({3}) Was tun Sie stattdessen? Statt zu warten, was diese Expertenkommission hervorbringt, heben Sie darauf ab, dass er das vor einem Monat vorgeschlagen hat . Wir werden sehen, was passiert . Der Minister hat eine Pressekonferenz angekündigt . Auch wir warten, was kommt . Wir gehen aber davon aus, dass diese Expertenkommission wirklich zeitnah eingerichtet wird . Wir sollten alle gemeinsam auf die Ergebnisse warten, die uns diese Kommission vorstellt . Wir sagen an dieser Stelle ganz klar: Es gilt der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“; denn wir wollen es ordentlich machen, oder? ({4}) - Nein . Ob die Zusammenfassung der bisherigen Gesetzeslage, die der Bundesminister beabsichtigt, zudem Ihrer Idee - jetzt diskutieren wir darüber, was für ein Rüstungsexportgesetz wir hier machen wollen - entsprechen wird, das wage ich zu bezweifeln . Woher der Wind bei Ihrer Idee eines Rüstungsexportkontrollgesetzes wirklich weht, kann man Ihren alten Anträgen entnehmen . Sie fordern da zum Beispiel ein Klagerecht für NGOs, wenn es um Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung geht . ({5}) - Ja, das ist quasi ein Verbandsklagerecht . ({6}) Ich finde, das ist ohnehin schon eines der problematischsten Gesetze, die wir in Deutschland haben - hinsichtlich der Ausgestaltung des Verbandsklagerechts, nicht grundlegend . ({7}) Wie wir es gemeinsam ausgestaltet haben, ist es problematisch; ({8}) denn das ist in vielen anderen Bereichen ein wahnsinniges Verhinderungsinstrument in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung . ({9}) Auf den Rüstungsbereich wollen wir das aber nicht eins zu eins übertragen . Darum geht es nicht . ({10}) Wir wollen das nicht eins zu eins übertragen . Ich glaube nicht, dass wir das wirtschaftliche Wachstum mit Waffen exporten vergleichen sollten . Wir wollen aber auf jeden Fall darauf hinweisen, dass es nicht Teil unserer Forderungen sein wird, Klagerechte für Verbände in diesem Bereich einzuführen . Wir halten davon nichts, und wir werden das auch so nicht machen . In Ihrem Antrag auf Drucksache 18/6201 vom 30 . September 2015 haben Sie ganz klar eingefordert, dass wir als Bundesregierung bei CETA darauf achten, dass es keine Sonderklagerechte für Unternehmen und Verbände vor irgendwelchen Gerichten gibt . Das können Sie doch nicht jetzt - ich finde, das muss man an dieser Stelle einmal sagen -, bei den Waffenexportgesetzen, einfordern . ({11}) Sie messen ständig mit zweierlei Maß . Das ist der Grund, warum ich mit einem norddeutschen Sprichwort auf Niederdeutsch, also Plattdeutsch, enden will: Snell hett sick totlopen . Ich bleibe dabei: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit . Deswegen werden wir Ihren Antrag heute ablehnen . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt die Kollegin Gisela Manderla, CDU/CSU-Fraktion . - Bitte schön . ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt kaum ein Thema in unserem Land, über das heftiger und kontroverser diskutiert und debattiert wird als über den Umgang mit Rüstungsgütern . Vor allem kochen die Gemüter hoch, wann immer es um den Export dieser Produkte geht . Dabei täten gerade wir in Deutschland gut daran, eine Versachlichung dieser Debatte anzustreben . Wir sollten mit Blick auf die gesellschaftliche Orientierung die Fragen stellen: Welche Rolle soll Deutschland zukünftig in der Welt einnehmen? Welchen Wert hat die Verteidigung unserer Grundwerte, und mit welchem Instrumentarium wollen wir eben jene Grundwerte erhalten und beschützen? Apropos Versachlichung: Unsere Handlungsgrundlage ist der Koalitionsvertrag. Dort ist fixiert, dass Deutschland ein elementares Interesse an einer innovativen leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie hat, und zwar nicht in erster Linie aus wirtschaftlicher, sondern vor allem aus außen-, sicherheits- und technologiepolitischer Sicht, und das aus guten Gründen . Mit Blick auf unsere Außen- und Sicherheitspolitik geht es vorrangig um zwei Punkte: Erstens geht es um die Verteidigungsfähigkeit im NATO-Bündnis und im Rahmen der Europäischen Union . Um diese künftig sicherzustellen, bilden wir mit Konzepten wie „Framework Nations“, den Anlehnungspartnerschaften oder „Smart Defence“ zunehmend mehr transnationale Fähigkeiten aus . Wer auf den Prozess fortschreitender Bündnisintegration und die hierfür notwendige Arbeitsteilung gestalterischen Einfluss nehmen will, der muss auch über die entsprechenden Kapazitäten verfügen: in den Streitkräften selbst, aber auch in Ausrüstungs- und Ausbildungsfragen . Zweitens geht es um die Fähigkeit, diejenigen Herausforderungen, die sich in Europas unmittelbarer Nachbarschaft für unsere Sicherheit ergeben, direkt und aktiv anzugehen . Das entspricht übrigens nicht nur unserer gewachsenen Verantwortung, sondern wird auch zunehmend von unseren Freunden und Partnern so erwartet, und das auch völlig zu Recht, wie ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({0}) Vor allem die Entwicklungen der letzten beiden Jahre haben uns schmerzlich vor Augen geführt, wie schnell Konflikte entstehen und eskalieren können. ({1}) Hierauf müssen wir schneller und entschlossener reagieren können . Dafür braucht Deutschland die entsprechenden Fähigkeiten . Nun könnte man ja sagen, die hierfür nötigen Systeme lassen sich doch allesamt im Ausland erwerben . Das mag stimmen . Allerdings sind eigene rüstungstechnologische Fähigkeiten eine zentrale Voraussetzung, um den europäischen Integrationsprozess im Rüstungsbereich mitzugestalten . Sie gewähren Teilhabe und Einfluss bei Entwicklung, Beschaffung und Betrieb von entscheidenden militärischen Systemen, vor allem wenn sie, wie es in Deutschland in einigen Bereichen zum Glück noch der Fall ist, im globalen Vergleich immer noch State of the Art sind . Einmal verloren gegangen, sind wehrtechnische Fähigkeiten jedoch nicht oder nur unter größtem Aufwand wieder aufzuholen . Die deutsche wehrtechnische Industrie trägt mit ihren Produkten zentral dazu bei, dass die Bundeswehr als ein Instrument der Politik vernünftig ausgerüstet ist und mit ihrem Fähigkeitsspektrum die Breite der sicherheitspolitischen Herausforderungen abdecken kann . ({2}) Der Kunde Bundeswehr allein reicht heute aber längst nicht mehr aus, um die wehrtechnischen Kapazitäten auch nur zu erhalten, geschweige denn in Sachen Forschung und Entwicklung am Ball zu bleiben . Zu gering ist der investive Spielraum im Einzelplan Verteidigung im Bundeshaushalt . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Manderla, darf ich Sie einmal kurz unterbrechen? - Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich Ihre Stimmkarten etwas geräuschloser zu besorgen und auch die Gespräche in den Fluren zu unterlassen; denn jetzt hat die Kollegin Manderla das Wort . Sie hat auch das Recht darauf, dass Sie ihr zuhören . ({0})

Gisela Manderla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Selbst der avisierte und dringend angezeigte Mittelaufwuchs für die Bundeswehr wird bei weitem nicht ausreichen, diese Realität umzukehren . So ist die deutsche wehrtechnische Industrie beinahe folgerichtig bereits zu 50 bis 70 Prozent von Exportmärkten abhängig . Lieferungen von Rüstungsgütern sind faktisch aber kaum noch möglich, in Teilen nicht einmal mehr an NATO-Verbündete bzw . europäische Partner . Gerade dieser Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nur schwer erträglich; das will ich hier deutlich zum Ausdruck bringen . ({0}) Denn wenn sich selbst unsere engsten Partner nicht darauf verlassen können, dass wir ihnen vertraglich zugesicherte Systeme, Ersatzteile und einzelne Bauteile liefern bzw . nachliefern, was ist unseren Verbündeten diese Partnerschaft dann noch wert? Deutsche Unternehmen haben es zunehmend schwerer, sich in internationalen Lieferketten und Kooperationen mit NATO-Partnern zu behaupten . Die Aufträge gehen an Firmen aus anderen Staaten, die in der Regel mit erheblicher staatlicher Flankierung unterstützt werden . Aus dem Qualitätssiegel „made in Germany“ ist das Label „German-free“ geworden - angesichts der qualitativen und technologischen Wertigkeit vieler deutscher Systeme und Komponenten eine geradezu absurde Entwicklung, meine Damen und Herren . ({1}) Deutschland hat bereits jetzt mit die restriktivsten Regelungen für den Rüstungsexport weltweit . Mit den im letzten Jahr noch zusätzlich eingeführten Kleinwaffengrundsätzen, lieber Herr Kollege van Aken, und einer weiteren Verschärfung der Endverbleibskontrollen - sie wurden schon angesprochen; Stichwort Post-Shipment-Kontrollen - kamen weitere Regularien dazu . ({2}) Die Unzahl deutscher Auflagen, Bedingungen, Einschränkungen und Hürden sucht weltweit jetzt schon ihresgleichen . Mit weiteren, noch restriktiveren Maßnahmen riskieren wir eine Strangulierung der gesamten Branche; und das ist mit uns, der Unionsfraktion in diesem Hause, nicht zu machen . ({3}) Entscheidungen über Rüstungsexporte unterliegen stets schwierigen und komplexen Abwägungsprozessen . Sie müssen unter Einbeziehung vieler Aspekte getroffen werden . Eindimensionale Begründungen reichen nicht aus . Sie müssen vielmehr in die oben genannten grundsätzlichen Erwägungen eingebettet sein . In der Gesamtschau - das wissen Sie - reden wir heute über eine Hochtechnologiebranche in Deutschland mit rund 300 000 inländischen Arbeitsplätzen, deren Wertschöpfungsniveau beträchtlich ist und deren interaktive Wirkung enorme Synergien mit anderen Branchen erzeugt . Die Bedeutung der wehrtechnischen Industrie ist aber nicht einfach nur an simplen Umsätzen abzulesen, sondern sie stellt einen ganz elementaren Grundpfeiler in unserer Sicherheitsvorsorge dar und ist deshalb von herausragender Bedeutung . Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich ende, gestatten Sie mir noch ein deutliches Wort zum hier heute vorliegenden Antrag und vor allen Dingen zu dem Impuls im Mai letzten Jahres . Die Unterstellung, Deutschland würde seiner Friedenspflicht nicht nachkommen, ist ungeheuerlich, und angesichts der umfangreichen Bemühungen in unseren Bündnissen - seien sie diplomatischer oder militärischer Art - ist sie ein Schlag ins Gesicht unserer Soldatinnen und Soldaten und unserer zivilen Kräfte, die sich tagtäglich abmühen, den Störern der internationalen Ordnung Einhalt zu gebieten . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Karl Heinz Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004256, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist immer etwas kritisch, als Letzter zu sprechen, und dann auch noch vor einer namentlichen Abstimmung, wenn sich das Hohe Haus über alle Themen austauschen möchte, die so wichtig sind . Es geht mir genauso wie vielen Menschen in unserem Land . Wenn man über Rüstungsexportkontrolle spricht, dann kann jeder mitdiskutieren - in jeder Form und in jeder Ausgestaltung . Es ist das ideale Thema an jedem Stammtisch . Man vergleicht einen Panzer oder einen Tornado ganz selbstverständlich mit dem G36 oder auch nur einer Jagdmunition . Warum sage ich dies? Ich sage dies deshalb, weil es bei der Diskussion über die Rüstungsexportkontrolle zweifelsohne um mehr geht, als nur platt zu fordern, nicht mehr Waffen in irgendwelche Staaten zu exportieren, seien es befreundete und unkritische Staaten oder, was ausgeschlossen sein muss, kritische Staaten . ({0}) Das Thema ist weitaus vielschichtiger, differenzierter und vor allen Dingen komplizierter zu betrachten . ({1}) Bereits heute gelten zahllose Vorschriften . Die Kleinwaffengrundsätze wurden im vergangenen Jahr verändert, und die Post-Shipment-Kontrollen kommen . Es ist richtig, dass Bundesminister Gabriel, der weiß, dass eine Reihe von Richtlinien Auslegungen erlauben, Auslegungen einmal industriefreundlich und einmal weniger industriefreundlich vornimmt . Er hat zu Recht vorgeschlagen, innere Klarheit bzw . Rechtssicherheit und vor allen Dingen auch äußere Klarheit durch ein eigenes Rüstungsexportgesetz zu schaffen . ({2}) Liebe Kollegin Brugger, ich glaube, es ist zu kurz gesprungen, wenn man sagt, man sollte nicht arg lang nachdenken, vom 15 . Januar 2016 bis zum 16 . Februar 2016 hätte das erledigt sein sollen; ({3}) denn Nachdenken ist die Voraussetzung für richtiges Handeln, und für das Regierungshandeln gilt das erst recht . Deshalb ist es richtig, zuerst intensiv nachzudenken, eine Expertenkommission einzubinden und mit dieser Expertenkommission die richtigen abgewogenen Vorschriften und gesetzlichen Regelungen zu erarbeiten und vorzustellen, die eine wirksame und effektive Arbeit ausgewogen und umfassend ermöglichen . ({4}) Es geht nicht allein darum, jetzt ganz schnell das Außenwirtschaftsgesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz und Ähnliches zu ändern . Es geht nicht darum, die Frage zu beantworten: Wie können für Kleinwaffen, die größte Gefahr in unserer Gesellschaft und auf unserer Welt, wirksame Endverbleibskontrollen durchgeführt werden, sei es durch Chips, sei es durch Laser oder Ähnliches? Vielmehr gehört dazu auch, nicht nur über Waffenexporte zu reden, sondern auch über die Waffen, die tatsächlich in Umlauf gebracht werden . Die Abrüstungspolitik insgesamt muss als eine Einheit gesehen werden . Deutschland muss und wird - soweit bin ich mir sicher - im Rahmen der weltweiten Abrüstung und der Schaffung von mehr Sicherheit weiter aktiv seinen Beitrag leisten . Auch ich will dies . Deshalb, glaube ich, müssen wir eine ganz bestimmte Art der Kriegsführung in den Expertenrunden mutig ansprechen, von der wir heute viel zu wenig sprechen: die extralegalen Tötungen . Dadurch wird versucht, Konflikte und das Recht auf Selbstverteidigung über alle Maßen hinweg räumlich und zeitlich zu entgrenzen, also durch Drohnenangriffe in anderen Ländern zu töten, ohne das Völkerrecht zu berücksichtigen . Extralegale Tötungen - ich sage dies, weil ich die Gelegenheit habe, als Letzter zu sprechen - dürfen nie und nimmermehr zur völkerrechtlichen Gewohnheit werden . ({5}) Wir dürfen sie nicht akzeptieren . Vor allen Dingen dürfen sie niemals und schon gar nicht mit unserer Hilfe ins Völkerrecht eingehen . Sie sehen, meine Damen und Herren, Rüstungskontrolle, Abrüstung, die Schaffung von Frieden auf dieser Welt sind wesentlich komplexer, als schnell mal einen Antrag zu stellen, schnell mal einen Gesetzentwurf vorzulegen und schnell mal zu handeln . Vielmehr bedarf es einer weisen und intensiven Diskussion und Beratung . Ich glaube, dass dies die Expertenkommission sehr wohl tun kann . Ich bin mir sicher, dass Sigmar Gabriel und das Ministerium für Wirtschaft auf dem richtigen Weg sind, die entsprechenden Regelungen zu treffen und den Frieden zu sichern . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Wir sind damit am Ende der Debatte angelangt und kommen zur Abstimmung über den An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 18/7546 mit dem Titel „Rüstungsexportkontrollge- setz vorlegen“ . Wir stimmen nun über den Antrag auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament- lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind jetzt alle Plätze an den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung über den Antrag . Sind Kollegen oder Kolleginnen im Saal, die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? - Ich sehe, das ist nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben .1) Wir haben jetzt noch eine weitere Abstimmung durch- zuführen . Ich darf Sie alle bitten, wieder Platz zu neh- men . Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20 b . Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Eckpunkte für ein Rüstungsexportkontrollgesetz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7030, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4940 abzulehnen . Wer stimmt für die- se Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen bei 1) Ergebnis Seite 15301 C Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie Drucksachen 18/5922, 18/6286 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Drucksache 18/7584 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gesetzliche Deckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite Drucksachen 18/2741, 18/7584 Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auch Änderungen handelsrechtlicher Vorschriften . Außerdem liegen zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber . ({2})

Ulrich Kelber (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003450

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie abschließend beraten können . Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist es wichtig, dass sie jetzt von den neuen Möglichkeiten, ihren neuen Rechten beim Abschluss eines Immobilienkredits Gebrauch machen können . Ich will nur stichwortartig die Verbesserungen aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher nennen - die Kolleginnen und Kollegen werden darauf näher eingehen -: verbesserte vorvertragliche Informationen, Schutz vor Risiken bei Fremdwährungskrediten, Beratungsangebote bei Dispokrediten, die Möglichkeit anbieterunabhängiger Honorarberatung und das Widerrufsrecht auch bei Null-Prozent-Finanzierung . Heute Morgen haben wir in weiteren Bereichen im Rahmen eines anderen Gesetzes zusätzliche Verbraucherrechte eingeführt, unter anderem das Widerrufsrecht auf dem Grauen Kapitalmarkt . Es gibt also eine Reihe positiver Punkte . Zur Transparenz gehört aber, auch auf den Punkt einzugehen, über den in den letzten Wochen kritisch diskutiert wurde, nämlich über das Auslaufen des sogenannten ewigen Widerrufsrechts . Dies ist lange innerhalb der Bundesregierung - Finanzministerium und Verbraucherschutzministerium - abgewogen worden . Wir sind zu dem Ergebnis gekommen - das haben wir dem Bundestag vorgeschlagen -, dass auch Personen, denen der Verbraucherschutz ein Anliegen ist, dem Auslaufen der Altfälle 6 bis 14 Jahre nach Zustandekommen des Vertrages zustimmen können . Es geht darum, dass Immobilienkreditverträge, die zwischen 2002 und 2010 zustande gekommen sind, teilweise mit einem ewigen Widerrufsrecht belastet sind, weil manche Bankinstitute nicht mehr von der gesetzlichen Musterwiderrufsbelehrung Gebrauch gemacht haben, als diese von einigen Gerichten infrage gestellt wurde . Ich will die Gründe nicht im Einzelnen bewerten . Die Verträge sind nicht wegen einer schlechten oder falschen Information, die zu Benachteiligungen geführt hat, entstanden, vielmehr sind sie wegen eines Formfehlers mit Rechtsunsicherheiten für beide Seiten behaftet . Man darf sicherlich sagen, dass es kein echtes verbraucherpolitisches Anliegen ist, das Widerrufsrecht einer Vertragspartei noch aufrechtzuerhalten, wenn der Kredit bereits vollständig getilgt wurde und der Vertrag zur beiderseitigen Zufriedenheit erfüllt worden ist . Wie wir sehen, geht es größtenteils nicht um Kunden, die sich über zu hohe Vorfälligkeitsentschädigungen beschwert haben . Vielmehr wird dieses Widerrufsrecht von Rechtsanwaltskanzleien sozusagen als Widerrufsjoker genutzt, nach dem Motto: Nutzen Sie die jetzt niedrigeren Zinsen! - Aus meiner Sicht sind vor allem Banken und Sparkassen belastet, die Kredite zu fairen Konditionen angeboten und nicht versucht haben, zu übervorteilen . Aber diese müssen heutzutage damit rechnen, dass ihre Bilanzen durch hohe Kosten aus abgelaufenen, erfüllten Verträgen belastet werden . Es ist keineswegs sicher, dass dieses Widerrufsrecht ewig von den Verbraucherinnen und Verbrauchern genutzt werden kann; denn wahrscheinlich werden in Zukunft einige Gerichte entscheiden, dass das Widerrufsrecht nach 10, 14 oder 16 Jahren verwirkt ist . Aber so lange, bis entsprechende höchstrichterliche Urteile ergehen, herrscht Rechtsunsicherheit auf beiden Seiten . Das ist weder aus Verbrauchersicht noch aus Gründen der Finanzmarktstabilität sinnvoll . Deswegen glaube ich, dass es nun richtig ist, zu sagen: Verbraucherinnen und Verbraucher haben drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzentwurfs Zeit, sich zu überlegen, ob sie ihr Widerrufsrecht bei Verträgen aus den Jahren 2002 bis 2010 wahrnehmen wollen . Die Regierung hat im September letzten Jahres angekündigt, eine solche Regelung vorzuschlagen . Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben folglich neun Monate Zeit . Von „zu schnell“ und „überrumpeln“ kann also keine Rede sein . Neben all den Vorteilen, die ich zu Beginn aufgezählt habe, wird diese Regelung dazu beitragen, dass wir in Deutschland zwei Dinge behalten: die europaweit besVizepräsidentin Ulla Schmidt ten Konditionen bei Immobilienkrediten, also die niedrigsten Zinsen, und gleichzeitig eine hohe Kultur bei den Festzinsen, also Berechenbarkeit aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher . Daher hoffe ich, dass der Gesetzentwurf auf breite Unterstützung bei Ihnen stößt . Vielen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 583 . Mit Ja haben gestimmt 116, mit Nein haben gestimmt 467 . Damit ist der Antrag abgelehnt . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 582; davon ja: 116 nein: 466 enthalten: 0 Ja CDU/CSU Josef Göppel SPD Detlef Müller ({0}) DIE LINKE Dr . Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Diether Dehm Klaus Ernst Annette Groth Dr . Andre Hahn Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Ulla Jelpke Kerstin Kassner Jan Korte Katrin Kunert Sabine Leidig Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Birgit Menz Niema Movassat Norbert Müller ({1}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({2}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr . Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({3}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Marieluise Beck ({4}) Dr . Franziska Brantner Katja Dörner Katharina Dröge Dr . Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({5}) Christian Kühn ({6}) Markus Kurth Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({7}) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Peter Altmaier Artur Auernhammer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . Andre Berghegger Dr . Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({8}) Axel E . Fischer ({9}) Dr . Maria Flachsbarth Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({10}) Michael Frieser Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Dr . Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({11}) Mark Helfrich Uda Heller Michael Hennrich Peter Hintze Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({12}) Karl Holmeier Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({13}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller ({14}) Stefan Müller ({15}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Dr . Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Anita Schäfer ({16}) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Gabriele Schmidt ({17}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({18}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({19}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl ({20}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({21}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({22}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({23}) Sabine Weiss ({24}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({25}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G . Wöhrl Tobias Zech Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({26}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Martin Burkert Dr . Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr . h .c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr . Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({27}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({28}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({29}) Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr . Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange ({30}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({31}) Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post ({32}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({33}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({34}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({35}) Matthias Schmidt ({36}) Dagmar Schmidt ({37}) Carsten Schneider ({38}) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz ({39}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr . Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Dirk Wiese Waltraud Wolff ({40}) Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Brigitte Zypries Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die Kollegin Caren Lay . ({41})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Rechte von Menschen, die einen Kredit aufgenommen haben, um sich damit ein Haus zu bauen oder eine Eigentumswohnung zu finanzieren. Für viele, ja für die meisten ist es der größte Kauf in ihrem Leben, der größte Kredit, den sie aufnehmen . Da sind die Konditionen zum Teil kompliziert, die Vertragswerke für manche unverständlich, und der Häuslebauer ist ja auch auf die Bank und auf den Kredit angewiesen . Diese Situation nutzen die Banken gern, um zuzuschlagen mit versteckten Gebühren, mit versteckten Kosten . Deswegen sagen wir als Linke: Es ist höchste Zeit, die Rechte der Kunden gegenüber den Banken zu stärken . ({0}) Der Impuls für die Gesetzesänderung heute - auch das gehört allerdings zur Wahrheit hinzu - kommt nicht etwa von der Regierung, kommt nicht aus der Koalition in Berlin; es ist wieder einmal die EU, die Deutschland zwingt, eine Richtlinie umzusetzen . Das ist ja leider bei der Verbraucherpolitik inzwischen an der Tagesordnung . ({1}) Bei dieser Umsetzung schaffen Sie es allerdings am Ende des Tages, also heute, dass mit einer Richtlinie, mit der die Rechte der Verbraucher gestärkt werden sollen, den Verbraucherinnen und Verbrauchern letztlich Möglichkeiten genommen werden . Das kann ich überhaupt nicht verstehen. Wir finden das völlig inakzeptabel. ({2}) Ich möchte auf drei konkrete Punkte eingehen . Das Erste sind die sogenannten Vorfälligkeitsentschädigungen . Also: Wer seinen Kredit vorzeitig kündigen möchte - dahinter stecken ja manchmal auch Schicksale wie Todesfälle, Trennung vom Partner, von der Partnerin oder Arbeitslosigkeit -, muss Gebühren, hohe Gebühren, zu hohe Gebühren - wie wir finden - an die Banken zahlen . Nach Aussagen der Verbraucherzentralen fallen da in Deutschland bis zu 15 Prozent der Kreditsumme an . Bei 100 000 Euro wären das dann also 15 000 Euro, die man an Entschädigung an die Bank zahlen muss . Das ist wirklich fett . Diese Vorfälligkeitsentschädigungen sind die höchsten in ganz Europa . Wir können das nicht akzeptieren . Deswegen sagen wir als Linke: Machen Sie es doch so wie unsere europäischen Nachbarn, und deckeln Sie endlich diese Gebühren! ({3}) Leider verpasst die Koalition auch dieses Mal die Chance, das umzusetzen, was uns die EU hier ermöglicht hätte . Der zweite Punkt - wir haben als Fraktion Die Linke viele Anträge dazu gestellt - sind die Dispozinsen . Ich darf Sie erinnern: Die Dispozinsen liegen in Deutschland durchschnittlich immer noch bei 10 Prozent . Wenn wir uns jetzt angucken, dass die Banken ihr Geld zu einem historisch niedrigen Leitzins bekommen, sind die Gewinne, die die Banken hier auf Kosten derjenigen einfahren können, die im Dispo stecken, einfach nicht akzeptabel . Wir als Linke haben deswegen gesagt: Lassen Sie uns die Dispozinsen gesetzlich bei 5 Prozent über dem Leitzinssatz der EZB deckeln! Das würde den Banken immer noch 5 Prozent Gewinn sichern . Aber alles andere ist doch unanständig, alles andere bedeutet, Reibach auf Kosten von Menschen zu machen, die auf den Dispo angewiesen sind . Das ist völlig inakzeptabel . ({4}) Den Vogel abgeschossen hat die Koalition aber mit der Änderung des Widerrufsrechts . Ohne Not sollen wir heute eine Änderung zulasten der Verbraucher beschließen, eine Änderung, zu der uns die EU-Richtlinie überhaupt nicht anhält . Die Banken haben einfach jahrelang falsche Widerrufsbelehrungen verschickt . Das ermöglicht den Verbrauchern, solange das nicht korrigiert wird, ihre Darlehensverträge zu kündigen . Das ist den Banken ein Dorn im Auge . Ich finde, die Banken könnten diesen Fehler beheben, indem sie eine korrekte Nachbelehrung vornehmen . Das tun sie aber nicht, weil sie fürchten, dass sie damit schlafende Hunde wecken . Stattdessen haben die Banken Lobbyismus betrieben - offenbar bei Abgeordneten des Deutschen Bundestags, bei der Regierung und beim Bundesrat - und haben gesagt: Liebe Politiker, regelt das doch einmal für uns! Und genau das sollen wir heute auch für die Banken zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher tun . Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie Sie sich hier von den Banken vor den Karren spannen lassen . Das machen wir als Linke nicht mit . ({5}) Damit belohnt der Gesetzgeber am Ende diejenigen, die sich besonders verbraucherfeindlich verhalten . Es ist einfach völlig unnötig, das Widerrufsrecht an dieser Stelle zu ändern . Meine Damen und Herren, das manager magazin, nicht gerade im Verdacht, der Linken nahezustehen, darf ich zum Abschluss zitieren . Es titelte: „Wie die Bankenlobby einen Minister dazu bringt, die Rechte ihrer Kunden zu beschneiden“ . Der Autor führt fort, dieses Gesetz sei „ein einziger Kniefall vor der Bankenlobby“ . Ich möchte ergänzen: Das war auch für mich ein Lehrstück von Lobbyismus im Deutschen Bundestag, in der Bundesrepublik Deutschland, wie ich es selten erlebt habe . Wir können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen . Vielen Dank . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Dr . Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion . ({0}) Vizepräsidentin Ulla Schmidt

Dr. Stefan Heck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir bringen heute ein Gesetz auf den Weg, das im Wesentlichen eine europäische Richtlinie umsetzt . Wir erhöhen damit insgesamt den Verbraucherschutz auf einem wichtigen Sektor der Kreditgewährung . Ich möchte noch einige Punkte gleich im Einzelnen herausgreifen . Ich glaube, dass die Beratungen der letzten Wochen gezeigt haben, dass unser Baufinanzierungssystem sich insgesamt bewährt hat . Es steht auf festen Füßen . Wir sollten insbesondere an den Regelungen zur Vorfälligkeitsentschädigung festhalten . Hier sind Eingriffe in die Vertragsfreiheit fehl am Platz . Die Vorfälligkeitsentschädigung sichert gerade unser Festzinssystem und ist die Voraussetzung für langfristige Zinsgarantien, auch und gerade im Interesse der Verbraucher . Es ist gut, dass wir daran heute nicht rütteln . Ich will besonders noch auf diejenigen Punkte eingehen, die wir in den letzten Wochen im Zuge der Ausschussberatungen weiter verbessert haben . Ja, Frau Lay, wir haben uns intensiv mit den Folgen beschäftigt, die das ewige Widerrufsrecht hat . Hier haben nicht irgendwelche Banken, wie Sie eben gesagt haben, sondern wir als Gesetzgeber, der Staat selber, eine Situation geschaffen, die zu ganz erheblicher Rechtsunsicherheit führt . Mit der von uns gelieferten Vorlage haben wir Regelungen geschaffen, die Probleme hervorrufen und die dazu führen, dass Widerrufsbelehrungen zwischen den Jahren 2002 und 2010 fehlerhaft sind . Das heißt, es gibt heute noch Verträge, die vor teilweise 6 bis 13 Jahren geschlossen worden sind und die längst abgewickelt sind, aber durch einen Fehler, den wir selbst verursacht haben, immer noch widerrufen werden können . Sie fragen, wem das nützt . Das nützt vor allem einer ganz beträchtlichen Zahl von Rechtsanwälten, die viele Prozesse angestoßen haben . Wenn Sie fragen, wem das schadet, dann antworte ich Ihnen: Das sind nicht die großen internationalen, europäischen und deutschen Banken, die wir alle kennen, sondern es sind gerade die kleinen Institute, die Regionalbanken, die kommunalen Banken und die Sparkassen, die wir immer ganz besonders im Blick haben sollten . ({0}) Hier ist ein Zustand entstanden, den wir nicht sehenden Auges hinnehmen können . Ich glaube, dass wir im Interesse der Rechtssicherheit und am Ende auch des Rechtsfriedens eine Änderung vornehmen müssen . Wir schlagen Ihnen heute eine Erlöschensregelung nach drei Monaten vor . Das heißt, alle, die bis jetzt schon 6 bis 13 Jahre Zeit hatten, ihre Verträge zu widerrufen, bekommen nun noch einmal drei Monate Zeit, ihre individuellen Verträge zu prüfen und mit Rechtsanwälten oder Verbraucherzentralen darüber zu sprechen, ob bei ihnen ein Widerrufsrecht besteht . Ich bin überzeugt: Wir haben Ihnen gerade zu diesem Punkt eine ausgewogene und maßvolle Lösung vorgelegt, die längst überfällig war und mit der wir heute den lange fälligen Rechtsfrieden schaffen . Wir haben in dieses Gesetzespaket noch zwei weitere Regelungen aufgenommen, die der schon länger anhaltenden Niedrigzinsphase geschuldet sind . Die erste betrifft die betriebliche Altersvorsorge . Hier führen niedrige Zinsen dazu, dass Firmen immer mehr Geld für ihre Pensionen zurücklegen müssen . Es besteht die Gefahr, dass eine ganz unverschuldete finanzielle Schieflage entsteht . Wir schlagen Ihnen heute vor, dass wir nunmehr den Zinsdurchschnitt der letzten zehn Jahre zugrunde legen, also den bisher geltenden Zeitraum von sieben Jahren auf zehn Jahre erhöhen . Ich glaube, dass auch das dringend notwendig ist, weil wir damit gerade den Arbeitnehmern, aber auch den Unternehmen helfen . Wie wir heute den Schlagzeilen entnehmen konnten, leidet selbst das Erzbistum Köln unter dieser Situation . Wir machen heute das wichtige Instrument der betrieblichen Altersvorsorge zukunftsfest . ({1}) Es gibt noch eine zweite Auswirkung, die der Niedrigzinsphase ganz unmittelbar geschuldet ist . Auch in diesem Zusammenhang verbessern wir die Rechte des Endverbrauchers heute maßgeblich . Wir stellen fest, dass in der Niedrigzinsphase immer mehr hochwertige Waren zinsfrei finanziert werden können. Bislang stand bei einer unentgeltlichen, also zinsfreien, Finanzierung der Verbraucher schlechter da als bei einer Finanzierung, bei der Zinsen vorgesehen sind . Dies wird die Koalition heute ändern . Es kann nicht sein, dass sich ein Endverbraucher schlechterstellt, weil er bessere Kreditkonditionen aushandeln konnte . Ich glaube, dass wir uns im weiteren Verfahren - es ist noch eine Verordnung vorgesehen - noch um ein paar Details kümmern müssen . Etwa bei der sogenannten Alte-Hasen-Regelung, die die Gewerbeordnung betrifft, müssen wir Klarstellungen vornehmen, was die ununterbrochene Tätigkeit angeht . Ich komme zum Schluss . Ich glaube, dass wir heute einen guten Kompromiss vorlegen . Wir achten das Prinzip der Vertragsfreiheit . Wir sichern bewährte Finanzierungsmodelle, und wir verbessern den Verbraucherschutz . Herzlichen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herzlichen Dank . - Es spricht jetzt der Kollege Dr . Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei diesem Gesetzgebungsvorhaben möchte ich nicht auf alles eingehen - das lässt die Zeit nicht zu -, sondern drei Punkte in den Vordergrund rücken . Der erste ist die Vorfälligkeitsentschädigung . Anders als es der Kollege Heck gerade gesagt hat, ist die Forderung der Opposition nicht, diese Entschädigung abzuschaffen, sondern es geht darum, sie zu deckeln oder zumindest - das ist wirklich die Grundanforderung - dafür zu sorgen, dass sie nicht immer wieder zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher falsch berechnet wird . Der Anreiz dafür ist gerade in dieser Niedrigzinssituation für die Banken sehr groß. Ich finde, das kann man nun wirklich nicht durchgehen lassen: dass die Leute selber nachrechnen müssen, weil hier immer wieder und komischerweise immer zulasten des Verbrauchers falsch gerechnet wird . Dagegen müsste man etwas tun . Sinnvollerweise geht es auch um eine Begrenzung der Höhe . Wenn die Höhe exzessiv ist, dann wird es für die Kunden völlig inflexibel. Dementsprechend ist unsere Forderung. Wir fordern nicht die Abschaffung der Entschädigung . Bauen Sie da keinen Pappkameraden auf . ({0}) Der zweite Punkt betrifft das Widerrufsrecht . Wer die Anhörung dazu verfolgt hat, hat wahrnehmen müssen, dass der Vertreter der Bankenbranche auf eine Frage hin nicht sagen konnte oder wollte, wie viele Fälle es eigentlich wirklich gibt, in denen Verbraucher dieses Recht in einer nicht legitimen Weise nutzen . Wenn es sehr viele Missbrauchsfälle gäbe, hätte man es ja sagen können . Aber auf diese Frage gab es keine Antwort, wahrscheinlich weil die Fallzahlen ziemlich niedrig sind und sich das Ganze deswegen als ein ziemlicher Popanz herausgestellt hätte . Vor allem ist eines zu fragen: Wenn es Rechtsunsicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt, an welchen Stellen haben wir denn in den letzten Jahren rückwirkend in die vertraglichen Vereinbarungen eingegriffen? An dieser Stelle wird das getan. Ich finde, man sollte sich schon überlegen, was für ein Präzedenzfall das ist . Wir teilen auf jeden Fall nicht die Ansicht, dass an dieser Stelle eine faire Interessenabwägung vorgenommen wird . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Schick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heck?

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön .

Dr. Stefan Heck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr . Schick, Sie konnten leider bei der zweiten Anhörung nicht dabei sein, die wir separat zu den Regelungen des Widerrufsrechts durchgeführt haben . Wir haben uns sehr intensiv mit der Vorgeschichte beschäftigt . Wir haben uns gefragt: Wie ist die Situation, die wir heute haben, entstanden? Wir haben in den Gesetzgebungsmaterialien nachgeschaut . Da steht - Zitat -: Der Unternehmer müsste daher auch noch Jahre nach Vertragsschluss mit einem Widerruf des Verbrauchers rechnen; dies ist gerade in den Fällen einer zwar nicht unterbliebenen, aber fehlerhaften Widerrufsbelehrung nicht hinnehmbar . Das bezieht sich auf die Schuldrechtsreform, die Ihre Partei damals, 2002, mitverantwortet hat . Deswegen meine Frage: Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir heute Rechtsfrieden herstellen, einen Zustand, den Sie damals eigentlich auch wollten?

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erstens haben Sie die Anhörung sehr geschickt gelegt, auf den Montagabend, zudem ganz kurzfristig anberaumt . Das war wieder ein super Zeitablauf . Zweitens zur Sache . Die Frage ist, ob man etwas nach vorn hin anders regelt . Was den Rechtsfrieden angeht: Wir haben ständig rechtliche Auseinandersetzungen zwischen Verbrauchern und Verbraucherinnen auf der einen Seite und Banken oder Versicherungen auf der anderen Seite . Ich erinnere mich an die Käuferinnen und Käufer von Lehman-Zertifikaten. Da wurde im Nachhinein deutlich, dass man die Verjährungsfrist auf eine Art und Weise bestimmt hat, die nicht gut war . Da hat es aber auch keine rückwirkende Änderung gegeben . Deswegen ist die Frage, ob man den Rechtsfrieden hier nicht sehr einseitig definiert und einen Maßstab anlegt, den Sie selber an vielen anderen Stellen nicht anlegen würden, und das ist genau unser Kritikpunkt . ({0}) Ich will zu einem dritten Punkt kommen, den Pensionsrückstellungen . Ja, die Niedrigzinssituation ist eine Herausforderung für viele wirtschaftlich Beteiligte; das ist richtig . Aber die Frage ist: Was ist jetzt die richtige gesetzgeberische Antwort darauf? Sie haben vorgeschlagen, dass man die Höhe des durchschnittlichen Zinses über einen längeren Zeitraum berechnet . Was macht das eigentlich? Das macht nichts anderes, als ein Problem in die Zukunft zu schieben, und das geschieht gegen die ausdrückliche Empfehlung der Deutschen Bundesbank . Denn es löst das wirtschaftliche Problem nicht wirklich . Sie haben einen Vorschlag gemacht, der sich zunächst einmal gar nicht schlecht angehört hat, nämlich dass die Unternehmen die eingesparten Rückstellungen nicht ausschütten dürfen . Es ist aber in der von Ihnen gerade angesprochenen Anhörung deutlich geworden - wir haben uns darüber auch im Finanzausschuss noch einmal unterhalten -, dass das für die Personengesellschaften nicht funktioniert und dass sich das in einem Konzern durch Gewinnverschiebung umgehen lässt, sodass das, was sich zunächst nach einer guten Regelung angehört hat, in der Praxis voraussichtlich nicht funktionieren wird . Vielmehr laufen wir Gefahr, dass kurzfristig nur der Shareholder Value maximiert wird, und zwar auf Kosten der Sicherheit der Pensionsansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . ({1}) Deswegen halten wir das nicht für eine taugliche Lösung . Eine andere Frage ist, ob der tatsächliche Aufwand auch im Steuerrecht zu berücksichtigen ist. Das, finde ich, ist eine durchaus denkbare Position . Mit Ihrem Vorschlag wird ein Problem nur in die Zukunft geschoben und kein Problem wirklich gelöst . In der Summe können wir diesem Gesetz deswegen nicht zustimmen und werden das durch unsere Ablehnung zum Ausdruck bringen . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Dr . Johannes Fechner . ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir beschließen heute ein Gesetz mit sehr wichtigen Regelungen für Unternehmen in Deutschland, aber auch für Bankkunden . Das jahrelange Zinstief, dessen Ende niemand absehen kann, zwingt die Unternehmen in ihren Jahresabschlüssen zu höheren Rückstellungen für ihre Pensionsverpflichtungen. Diese Rückstellungen mindern den Gewinn und den Eigenkapitalanteil, und das kann Jobs und Investitionen gefährden . Wir wollen aber gerade Betriebe, die ihren Mitarbeitern Direktzusagen für eine Betriebsrente gemacht haben, nicht im Regen stehen lassen, und deshalb verlängern wir den Berechnungszeitraum für die Abzinsung der Rückstellungen von sieben Jahre auf zehn Jahre . Wichtig dabei ist: Die durch den neuen Zinssatz ersparten Rückstellungen dürfen nicht als Gewinn an die Aktionäre oder an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, sondern sie müssen im Betriebsvermögen bleiben und sichern so die Pensionsverpflichtungen dauerhaft ab. Jetzt gab es Diskussionen . Ich habe heute eine Meldung aus dem Handelsblatt gelesen, in der der SPD-Fraktion Erpressung vorgeworfen wird . Erpressung ist uns natürlich völlig wesensfremd . Nur um der historischen Wahrheit Genüge zu tun: Der Entwurf des Bundesjustizministers sah einen Berechnungszeitraum von zwölf Jahren vor . In den Ressortabstimmungen, die dann stattfanden, ist dieser Zeitraum auf Druck oder Empfehlung des Bundesfinanzministers auf zehn Jahre gekürzt worden. Dass der Berechnungszeitraum auf zehn Jahre gekürzt wurde, ist also auf die Anregung oder die Empfehlung, den Wunsch, den Druck des Bundesfinanzministeriums zurückzuführen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Fechner .

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Winkelmeier-Becker?

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kenne sogar schon die Frage, aber gerne .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Aber sie darf sie stellen?

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön . ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann hast du dir hoffentlich eine Antwort überlegt . Stimmst du mir zu, lieber Kollege Johannes Fechner, ({0}) oder stimmen Sie mir zu - gerne, Frau Künast, wenn Sie auf Etikette so viel Wert legen -, dass wir uns als Sprecher dieser Großen Koalition in dieser Frage noch einmal explizit darüber ausgetauscht haben, ob wir als Parlamentarier, als die die Regierungskoalition tragenden Fraktionen uns darauf einigen können, die Frist auf zwölf Jahre zu verlängern, dass wir als CDU/CSU-Fraktion uns ausdrücklich dafür ausgesprochen haben, dies zu tun, und dass dann seitens der SPD-Fraktion diese Bereitschaft nicht bestanden hat? Und ist es nicht so, dass wir als Parlament diese Entscheidung verbindlich zu treffen haben, unabhängig davon, was uns die Ministerien vorgeben?

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich haben wir hier das letzte Wort; das ist klar . Ich habe deswegen ja dargestellt, wie der historische Ablauf war und dass es das CDU-geführte Finanzministerium war . Allzu groß war der Protest in den Reihen der Union auch nicht . ({0}) - Das war so . - Ich möchte Herrn Schäuble hier ausdrücklich in Schutz nehmen . Es gibt ja durchaus Argumente für diese Position, die etwa der Vertreter der Deutschen Bundesbank in der Anhörung auch dargestellt hat . Ich meine aber, um meine Antwort versöhnlich zu beenden, dass sowohl Sie, liebe Kollegin Lisa WinkelmeierDr. Gerhard Schick Becker, als auch der Kollege Hirte und der Staatssekretär Meister explizit im O-Ton gesagt haben: Wir haben es hier mit einem vernünftigen Kompromiss zu tun . - Allzu ausgeprägt war also die Rauflust in der Unionsfraktion, hier auf zwölf Jahre - gegen das eigene Finanzministerium - zu gehen, auch nicht; das möchte ich so festhalten . ({1}) Letztendlich finde ich, dass wir doch einen vernünftigen Kompromiss gefunden haben . Das zeigt sich auch daran, dass von den Wirtschaftsverbänden bis hin zum Deutschen Gewerkschaftsbund ja zunächst einhellig diese Lösung gefordert wurde, aber auch der jetzige Kompromiss begrüßt wurde . Auch in der Anhörung hat sich das so ergeben . Zum Verbraucherschutz im Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Diesbezüglich, finde ich, sind für die Bankkundinnen und Bankkunden doch eine ganze Reihe von Verbesserungen in diesem Gesetz enthalten . Auch bei den Null-Prozent-Finanzierungen wird es eine verpflichtende Kreditwürdigkeitsprüfung und ein Widerrufsrecht geben, um Verbraucher vor übereilten Vertragsabschlüssen zu schützen . Wir stellen zudem klar, dass ein Darlehen nur gekündigt werden kann, wenn der Darlehensnehmer mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden Raten - zumindest teilweise und auch nicht nur mit einem kleineren Betrag, sondern entsprechend der Laufzeit in Höhe eines gewissen Prozentsatzes des Darlehensbetrages - in Verzug ist, und es ist eine Abmahnung erforderlich, die eine einvernehmliche Lösung als Gesprächsangebot enthalten muss . Oft ist die Vorfälligkeitsentschädigung, um auch dieses Thema anzusprechen, aus Sicht der Bankkunden in der Höhe nicht transparent und nachvollziehbar . Deswegen haben wir hier die wichtige Neuerung, dass wir bei den allgemeinen Verbraucherdarlehen ganz klar regeln, dass die Vorfälligkeitsentschädigung nur 1 Prozent des vorzeitig zurückgezahlten Betrages ausmachen darf . Ich finde, das ist eine Verbesserung. Hier können jetzt alle sehen, was auf sie zukommt, wenn etwa wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes oder einer Scheidung die finanzielle Leistungsfähigkeit zurückgeht und sie vorzeitig das Darlehen kündigen . Ich will nicht verschweigen, dass die SPD-Fraktion in diesem Verfahren gerne noch andere Punkte untergebracht hätte, etwa eine gesetzliche Deckelung des Dispozinses . Wir hätten uns, um die Härtefälle bei der Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen, auch vorstellen können, eine Ermächtigung der Bundesregierung aufzunehmen, in der klare Kriterien dazu, wann ein solcher Härtefall vorliegt und wie dann die Transparenz bei der Vorfälligkeitsentschädigung zu gewährleisten ist, aufgenommen werden sollten . Das war leider nicht möglich . Wir hoffen, dass wir das ein andermal hier beschließen können . In diesem Sinne glaube ich, dass wir hier ein gutes Gesetz haben, dass wir für die Pensionsrückstellungen eine vernünftige Lösung gefunden haben und dass sehr viele Vorteile für die Verbraucher in dem Gesetz enthalten sind, sodass wir diesem Gesetz zustimmen sollten . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Professor Dr . Heribert Hirte das Wort . ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Zu diesem Gesetz möchte ich jetzt nur einen Punkt ansprechen: Das Thema „Abzinsungssatz für Pensionsrückstellungen“ hat eine relativ lange Vorgeschichte . Schon im vergangenen Sommer haben wir, als wir das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz beraten und beschlossen haben, zusammengesessen und - nachdem große Teile der deutschen Wirtschaft und der Deutsche Gewerkschaftsbund auf uns zugekommen waren und erklärt haben, dass es hier ein großes Problem gibt, das wir lösen müssen - gesagt, dass wir diesen Punkt ansprechen wollen . Wir haben deshalb - ich betone das - gemeinsam eine Entschließung verabschiedet, in der wir gesagt haben, dass wir dieses Problem angehen wollen . Die Beratungen haben länger gedauert, als wir es vorgesehen, als wir es erhofft hatten . Wir wollten das eigentlich schon vor dem 31 . Dezember 2015 zu Ende bringen . Jetzt stehen wir da und müssen dieses Gesetz im Jahr 2016 mit möglicher Rückwirkung beschließen . Im Kern - das möchte ich jetzt noch einmal sagen - geht es aber um die Frage: Wie bewerten wir Rückstellungen in der Bilanz? Rückstellungen sind Verbindlichkeiten . Je größer sie sind, desto größer ist die Schuldenlast bzw . das Fremdkapital des Unternehmens . Die Frage ist: Wie bewerten wir Rückstellungen für erst in ferner Zukunft kommende bzw . drohende mögliche Verbindlichkeiten? Wie zinsen wir die auf den heutigen Zeitpunkt ab? Herr Schick, Sie haben gesagt, wir gehen das Problem jetzt nicht richtig an . Es gibt dafür verschiedene Lösungsansätze . Wir könnten eigentlich sagen, dass wir - das ist übrigens der Ansatz des Pensionssicherungsvereins - die Zinsen der nächsten 10, 15 oder 20 Jahre nehmen . Weil wir den Zinssatz der Zukunft, der Grundlage für die Abzinsung ist, nicht kennen, haben wir bisher den Zinssatz der Vergangenheit genommen . Der war aber letztlich gegriffen; sieben Jahre waren es . Diese sieben Jahre führen zu zufälligen Ergebnissen . Weil wir sehen, dass das ein zufälliges Ergebnis ist, das zu einer Belastung für die Unternehmen und die von den Pensionen profitierenden Arbeitnehmer führt, nehmen wir jetzt den vorgeschlagenen Zeitraum von zehn Jahren . Wir hätten uns - ich sage es noch einmal deutlich zwölf Jahre gewünscht . Herr Fechner, wir hatten das auch in den Arbeitsgruppen untereinander so verabredet . ({0}) - Doch! Wir haben untereinander so über diesen Punkt geredet und waren der Meinung: In diese Richtung sollte die Lösung gehen . ({1}) Wenn Sie jetzt sagen, das Bundesfinanzministerium habe nicht zugestimmt, dann erzählen Sie die Geschichte nicht bis zum Ende. Das Bundesfinanzministerium hat in der Tat auf eine Stellungnahme der Deutschen Bundesbank verwiesen und gesagt: Die ursprünglich einmal von Herrn Naumann vorgeschlagene Lösung sei so nicht vernünftig . - Wir haben aber an dieser Lösung gearbeitet . Und das Bundesfinanzministerium - hier sitzt als sein Vertreter Herr Spahn - hat gesagt: Ja, wir machen das mit . - Am Ende - und das ist das Ende der Geschichte - waren Sie es, die den zwölf Jahren nicht mehr zugestimmt haben . Noch gestern im Rechtsausschuss hat Herr Hakverdi gesagt: Wir müssten darüber nachdenken, ob die zehn Jahre reichen oder ob es nicht vielleicht zwölf Jahre sein können . - Wir denken gerne und sofort darüber nach . Beim nächsten Verfahren können wir die Zahl „zehn“ gegen die Zahl „zwölf“ auswechseln .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Professor Hirte, Sie haben jetzt den Widerspruch des Kollegen Fechner ausgelöst . Sind Sie damit einverstanden, dass er Ihnen eine Frage stellt oder eine Bemerkung macht?

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit der Frage, ja; mit dem Widerspruch nicht .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön .

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hirte, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass es weder vonseiten der Parteispitze noch der Fraktion noch von irgendjemand anderem eine Verabredung gab, im parlamentarischen Verfahren den Berechnungszeitraum auf zwölf Jahre auszuweiten? Eine solche Vereinbarung gab es nicht . Es gab aber die ausdrückliche Aussage von Ihnen oder auch von Herrn Meister, dass es eine vernünftige Lösung ist, bei den zehn Jahren zu bleiben . Und wenn ich mich an das Nicken des Staatssekretärs Spahn vor wenigen Minuten erinnere, als ich von einem vernünftigen Kompromiss sprach, kann ich feststellen, dass offensichtlich auch er dieser Meinung ist . Sie sollten hier also nicht den Anschein erwecken, dass die Große Koalition zu sehr streiten würde . ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diesen Anschein erwecke ich natürlich nicht . An keiner Stelle streiten wir . Das habe ich noch überhaupt nicht erlebt . ({0}) Ich stimme Ihnen - das ist der Punkt, den Sie genannt haben - ausdrücklich zu: Es ist ein vernünftiger Kompromiss, den wir am Ende hinbekommen haben . Ich stimme Ihnen nur nicht in dem Punkt zu - wenn Sie da Zustimmung haben wollen, können Sie die nicht bekommen -, dass wir von den zwölf Jahren abgewichen sind, weil wir davon nicht mehr überzeugt gewesen seien . So hörte sich das bei Ihnen - auch in einer Presseerklärung, die Sie herausgegeben haben - heute an . ({1}) Ich darf das weiter aufgreifen: Gerade zu dem zentralen Kritikpunkt, der über die Bundesbank an das Bundesfinanzministerium weitergegeben wurde, war gesagt worden, dass das die Schuldentragfähigkeit der Unternehmen in der Zukunft beeinflussen könne. Das war der Grund, warum das Bundesfinanzministerium und die Bundesbank dagegen waren . Aber genau in diesem Punkt haben wir - im Übrigen im Einverständnis - nachgebessert . Wir haben eine Ausschüttungssperre vorgesehen, sodass im Ergebnis nur eines passiert: Das, was in der Bilanz früher als Fremdkapital gekennzeichnet war, wandert zum Eigenkapital herunter . Das bedeutet, wir haben den Ausweis geändert, ohne dass Geld das Unternehmen verlässt . Damit haben wir dem Gedanken der Deutschen Bundesbank Rechnung getragen . Die Gesichtspunkte, die Sie angeführt haben, gelten jetzt nicht mehr . Sie hätten also zustimmen können . Damit komme ich zum nächsten Punkt . Ich glaube, wir haben eine in dieser Situation vernünftige Lösung gefunden, auch was das Übergangsrecht angeht . Wir erlauben nämlich den Unternehmen, die jetzt die Bilanz noch nicht festgestellt haben, die neue Regelung, die - da stimme ich Ihnen zu - ein gesunder, vernünftiger Kompromiss, aber eben auch nur ein Kompromiss ist, rückwirkend für das Jahr 2015 anzuwenden, sodass die Lasten in der Bilanz auch für das Jahr 2015 richtiger als bislang dargestellt werden können . Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der mit dieser Regelung nicht zusammenhängt, gerade weil Sie so schön auf die Position des Bundesfinanzministeriums und der Bundesbank verweisen . Wir haben ganz am Anfang - ich erinnere mich daran, wie wir es hier im letzten Sommer beraten haben - auch über einen weiteren Punkt nachgedacht, nämlich darüber, ob nicht eigentlich auch die steuerliche Begleitregelung angepasst werden müsste . Da waren wir uns in der Großen Koalition einig, dass wir das nicht angehen wollten . Wenn diesbezüglich aber die Bundesbank zitiert wird, dann kann ich nur sagen: Die Deutsche Bundesbank hat - wie im Übrigen auch der Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft - gesagt, dass wir eigentlich auch an diese Regelung herangehen müssten . Das haben wir aus RückDr. Heribert Hirte sichtnahme auf unseren Koalitionspartner nicht weiter verfolgt . Der Sache nach ist das überzeugend . Was das Bilanzrecht anbelangt, sind wir bei den Rückstellungen nur auf die Pensionsverpflichtungen eingegangen . Selbstverständlich gibt es auch noch andere langfristige Rückstellungen . Als Jurist denkt man dann über die Frage nach: Müsste man nicht gemäß dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch da einschreiten? Das haben wir nicht gemacht . Insofern: Es gibt noch einiges zu tun . Das Gesetz ist gut für die Unternehmen, gut für die Arbeitnehmer und gut für die Wirtschaft . Deshalb ist es im Ergebnis ein vernünftiger Kompromiss . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - An dieser Stelle hätte der Kollege Metin Hakverdi das Wort bekommen . Er ist leider er- krankt . Ich denke, auch in Ihrem Namen können wir ihm gute Besserung wünschen . Im Einvernehmen mit allen Fraktionen kann er seine Rede zu Protokoll geben .1) Jetzt hat der Kollege Dr . Volker Ullrich, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie hat hohe praktische Relevanz . Es regelt nicht nur die rechtlichen Beziehungen zwischen Darlehensnehmern und Darlehensgebern im Bereich der Häuslebauer, sondern betrifft auch weite Teile des Privatkonsumbereiches . Ich möchte auf vier Punkte zu sprechen kommen, die die Debatte geprägt haben . Erstens . Wir lassen das System der Vorfälligkeitsentschädigungen unangetastet . Ich weiß und will nicht verhehlen, dass manchmal Härtefälle auftreten und sich Menschen aufgrund von Scheidung oder Krankheit aus Darlehensverträgen lösen müssen . Diese Härtefälle müssen wir lösen, und die Banken sollen sie sensibel behandeln . Aber der Sinn und Zweck der Vorfälligkeitsentschädigung ist die Gewährleistung unseres deutschen Festzinsniveaus, das dazu führt, dass unsere Häuslebauer und Käufer von Wohnungen Planungssicherheit haben, über viele Jahrzehnte hinweg . Diese Planungssicherheit führt dazu, dass wir in Deutschland mit das beste Wohnimmobiliendarlehenssystem haben . Daran halten wir fest . ({0}) Zweitens . Wir beschränken den Widerruf für Verträge, die zwischen 2002 und 2010 abgeschlossen worden sind . Es ist keine rückwirkende Änderung von Vertragsbezie- hungen, sondern nur eine Einschränkung eines Gestal- 1) Anlage 2 tungsrechtes . Normalerweise ist das Widerrufsrecht auf zwei Wochen beschränkt, bei fehlender Widerrufsbelehrung auf ein Jahr . Hier handelt es sich um ein ewiges Widerrufsrecht . Hier geht es um Verträge, die mittlerweile seit über einem Jahrzehnt potenziell eines Widerrufs harren . Ich muss sagen: In der Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Widerrufsrecht haben wir einen guten Kompromiss gefunden . Jeder kann noch widerrufen, aber er muss sich innerhalb von drei Monaten endlich dazu entschließen . Dieser Kompromiss ist gut für die Rechtssicherheit und damit auch für die Planungssicherheit von Verbrauchern und Banken . ({1}) Der dritte Punkt betrifft die Null-Prozent-Finanzierung . Wir beseitigen damit eine Verbraucherfalle . Bisher ist es so: Jemand, der einen Kredit mit einem Zins abschließt und dem das Produkt, das er mit diesem Kredit erwirbt, kaputtgeht, kann die Darlehensraten gegenüber dem Verkäufer beispielsweise des Handys oder des Laptops verweigern . Wird allerdings eine Null-Prozent-Finanzierung abgeschlossen, handelt es sich nach bisheriger Rechtslage nicht um einen entgeltlichen Vertrag . Damit steht dem Käufer dieses Rückgaberecht nicht zu . Geht also der Laptop oder das Handy kaputt, bleibt er auf dem Gerät sitzen, muss aber dennoch die Darlehensraten zahlen . Das ist nicht in Ordnung, das ändern wir heute . Damit schaffen wir für viele Verbraucher ein Mehr an Rechtssicherheit . ({2}) Der letzte Punkt betrifft die Frage: Wie gehen wir in der Situation anhaltend niedriger Zinsen mit der Altersvorsorge in den Unternehmen um? Ich glaube, dass die Politik insgesamt auf die Frage der anhaltend niedrigen Zinsen eine Antwort finden muss. Die Antwort, die wir heute geben, lautet, dass wir den Referenzzeitraum für die Rückstellungen verlängern . Damit bleibt zunächst einmal mehr Geld im Unternehmen . Wir sorgen dafür, dass dieses Geld nicht ausgeschüttet, sondern im Unternehmen thesauriert wird, um damit langfristig Arbeitsplätze zu sichern . Somit ist auch dieser Teil des Gesetzes für Arbeitnehmer eine gute Lösung . ({3}) Ich will nicht verhehlen, dass am Ende des Tages die Unternehmen die zugesagte Pensionsrückstellung auch leisten müssen, und zwar in der Höhe, in der sie sie zugesagt haben . ({4}) Trotzdem darf uns die Regelung positiv stimmen, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie ist eine erste Antwort auf die anhaltende Niedrigzinsphase, und sie sorgt dafür, dass Unternehmen in ihrer finanziellen Struktur gestärkt werden und damit nachhaltiger und langfristiger planen können . Das ist ein weiteres positives Signal . Deswegen, meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen . Es ist ein gutes Gesetz . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Wir stimmen jetzt über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohn- immobilienkreditrichtlinie ab . Zu dieser Abstimmung sind mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts- ordnung eingegangen .1) Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp- fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7584, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksachen 18/5922 und 18/6286 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange- nommen . Wir kommen damit zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7585 . Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Die Linke . Wer stimmt dagegen? - CDU/ CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält sich? - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Entschließungs- antrag abgelehnt . Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7586 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti- onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abge- lehnt . Tagesordnungspunkt 11 b . Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/7584 fort . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss- empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2741 mit dem Titel „Gesetz- liche Deckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . 1) Anlagen 3 und 4 Damit sind wir am Ende der Beratungen zu Tagesordnungspunkt 11 . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Möhring, Matthias W . Birkwald, Eva BullingSchröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen - Bundeseinheitliche Finanzierung voranbringen Drucksache 18/7540 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . - Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Cornelia Möhring, Fraktion Die Linke . ({1})

Cornelia Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004111, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit meinem 16 . Lebensjahr bin ich frauenpolitisch aktiv . Seit dieser Zeit habe ich auch mit dem Thema unserer Debatte zu tun . Das ist, ehrlich gestanden, ziemlich lange her, nämlich 40 Jahre . Für mich persönlich ist das kein Problem; denn ich fühle mich gar nicht so alt . Aber dass wir das Problem „Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen“ in diesen 40 Jahren noch nicht gelöst haben, ist wirklich ein großes Problem . ({0}) Vor 40 Jahren feierte das erste autonome Frauenhaus seine Gründung, und in den darauffolgenden 40 Jahren sind weitere gegründet worden . Mittlerweile gibt es rund 350 Frauenhäuser, nicht nur autonome, sondern auch trägerinnengestützte . Ihre Finanzierung ist aber seit 40 Jahren nicht gesichert . Es sind Frauennotrufe und Beratungsstellen entstanden, und auch ihre Finanzierung ist nicht gesichert. Ich finde, dieser Zustand ist für ein Land, das sich aktuell als Land der Frauenrechte stilisiert, nicht tragbar . ({1}) Zum 40 . Geburtstag der Frauenhäuser ist es endlich an der Zeit, sie angemessen auszustatten und ihre Finanzierung bundeseinheitlich abzusichern . ({2}) Warum ist das Thema ein Dauerbrenner, auch hier im Parlament? Weil sich nichts Wesentliches ändert und alle Bundesregierungen in dieser Frage im Mikroschneckentempo agieren . Es wird immer vorgebracht: Ja, es gibt das Hilfetelefon . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, so hilfreich das bundesweite Hilfetelefon auch ist, es ist nicht genug und nicht annähernd eine Lösung für die desolate Lage des Hilfe- und Unterstützungssystems . ({3}) 18 000 Frauen und ebenso viele Kinder - das sind 36 000 -, 36 000 Frauen und Kinder suchen jährlich Schutz in einem Frauenhaus . Das sind etwa 100 pro Tag . Nach einem Bericht der Bundesregierung werden mindestens 9 000 pro Jahr abgewiesen und können nicht aufgenommen werden . Sie gehen nicht aus Jux und Dollerei in ein Frauenhaus . Ich zitiere einmal aus einem Aufruf der autonomen Frauenhäuser . Darin heißt es: Sie flüchten vor der Misshandlung durch ihre Ehemänner, Lebenspartner oder Väter . Frauen werden erniedrigt, beschimpft, isoliert, bedroht und massiv in ihrem Selbstwertgefühl verletzt . Die körperlichen Übergriffe reichen von Schubsen und Ohrfeigen über Schlagen und Treten bis hin zu sexualisierter Gewalt, schweren Misshandlungen mit Gegenständen, Würgen, Angriffen mit Waffen und sogar Mord . Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frauen und ihre Kinder brauchen dringend Platz in Schutzräumen . ({4}) Wo bleibt hier die effektive Antwort der Bundesregierung? Seit Jahren wird das Thema verschoben, den Ländern und Kommunen aufgeladen und die Verantwortung des Bundes ignoriert . Es gibt 16 Bundesländer und mindestens 16 unterschiedliche Regelungen für die Finanzierung . Von der Finanzierung hängt es aber ab, ob eine gewaltbetroffene Frau und ihre Kinder den notwendigen Schutz bekommen . Eine schnelle und unbürokratische Aufnahme in ein Frauenhaus kann das Leben dieser Frauen und Kinder retten . Doch wenn sie keinen Platz finden, kann ihr Leben gefährdet sein. Nicht nur für die gewaltbetroffenen Frauen ist die Situation nicht länger tragbar . Das Personal arbeitet meist deutlich an oder über der Belastungsgrenze, ohne dass angemessene Gehälter gezahlt werden können . Sie geben trotzdem alles . Das ist doch wirklich unerträglich . ({5}) Ich appelliere ernsthaft an Sie: Es muss Schluss damit sein, dass die Verantwortung den Ländern und Kommunen zugeschoben wird . Der Bund muss endlich mehr tun . ({6}) Ministerin Schwesig hat vor fünf Wochen das Jahr der Frauen ausgerufen . Das begrüße ich sehr . Zeigen Sie am Beispiel der Frauenhäuser, dass Sie das echt ernst nehmen! Meine Fraktion fordert mit dem vorliegenden Antrag einen Rechtsanspruch, weil er Rechtssicherheit schafft für die gewaltbetroffenen Frauen und die Trägerinnen der Einrichtungen . Ein Rechtsanspruch wäre einklagbar . Er wirkt aber natürlich nur, wenn auch die Finanzierung gesichert ist, und er darf auf keinen Fall zu mehr Verwaltung und Bürokratie führen . Was erwarte ich und was erwartet meine Fraktion von dieser Bundesregierung? Arbeiten Sie endlich gezielt an Lösungen, damit das Problem gelöst wird! Ich finde, das ist eine Erwartung, die im Jahr der Frauen tatsächlich umgesetzt werden könnte . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Pantel, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Sylvia Pantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004370, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist ein gemeinsames Ziel aller Fraktionen im Haus . Wann immer Frauen von Gewalt betroffen sind, ist die schnelle Hilfe vor Ort nötig . Nicht jede Frau, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden ist, kann sich selbst einen sicheren Schutzraum organisieren. Oft fehlen die finanziellen Mittel und die Unterkunft, um kurzfristig mitsamt der Kinder vor einem gewalttätigen Partner zu fliehen. Dass wir den Frauen helfen müssen und Zufluchtsorte, geschützte Räume und Hilfsangebote für sie zur Verfügung stellen müssen, steht für mich und meine Fraktion außer Frage . ({0}) Darum müssen wir uns kümmern . Im städtischen Raum sind Hilfe und Unterstützungseinrichtungen meist leichter zu erreichen als in den ländlichen Gegenden . Dabei sind die Gegebenheiten und Hilfsnetze vor Ort sehr unterschiedlich . Da stimme ich Ihnen nicht zu: In den vergangenen 40 Jahren ist sehr viel passiert, und wir haben zum Teil sehr gut funktionierende und auch gut ausgestattete Frauenhäuser . ({1}) Klar ist, dass Frauenhäuser kurzfristige Zufluchtsorte für die betroffenen Frauen sein sollen . Der Schutz vor Gewalt und die Beratung und Betreuung in den Frauenhäusern sollen es den Betroffenen ermöglichen, über ihre Zukunft selbstbestimmt und ohne äußeren Druck und ohne Angst entscheiden zu können . Die Mitarbeiter und die Ehrenamtlichen in den Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern leisten unter großem persönlichem Einsatz einen unschätzbaren Dienst für die Opfer von Gewalt . Um diese wertvolle Arbeit dauerhaft leisten zu können, muss die Finanzierung siCornelia Möhring cher und verlässlich sein . Da stimme ich mit Ihnen vollkommen überein . ({2}) Deshalb ist die Forderung nach einer sicheren Finanzierung berechtigt . Das Problem bei Ihrer Forderung ist, dass Sie eine Bundesfinanzierung einfordern, obwohl die Länder zuständig sind . Das ist in unserem Land geregelt . ({3}) Wir haben in den Ländern bereits ganz verschiedene und sinnvolle Modelle, mit denen die Frauenhäuser finanziert werden . ({4}) Ich kann Ihnen nur sagen: Ich war in meinem Wahlkreis in einem Frauenhaus . Auch wir haben ein Jubiläum unseres Gleichstellungsbüros gefeiert . Auf meine Nachfrage erhielt ich die Antwort: Bei uns läuft es . - Da werden keine Frauen abgewiesen . ({5}) - Ja, in Düsseldorf . Das ist richtig . ({6}) Das ist eine Sache, die die Kommunen und Länder zu regeln haben und nicht der Bund . Leider ist die Qualität der Versorgung in den Ländern sehr unterschiedlich . Aber man muss im Land dafür sorgen, dass die Finanzierung geregelt ist; ({7}) denn dafür sind die Länder verantwortlich . Es kann nicht die Lösung sein, dass immer der Bund einspringt, wenn die Länder ihren Aufgaben nicht nachkommen . Ganz im Gegenteil: Ich halte es für einen Skandal, wenn einige Länder in diesem sensiblen Bereich, beim Schutz von Frauen vor Gewalt, ihren Verpflichtungen nicht nachkommen . Aber der Bund ist die falsche Stelle . Die Länder sind für eine solide Finanzierung der in ihrem Hoheitsbereich jeweils gewählten Schutzmodelle verantwortlich . Der Bund hat die Länder in vielen anderen Bereichen entlastet, damit sie ihren Aufgaben nachkommen können . ({8}) Wir müssen darauf drängen, dass die Länder diese Entlastungen an die Kommunen weiterleiten, gerade dann, wenn diese auch Projekte wie die Finanzierung der Frauenhäuser sicherstellen sollen . Wir haben Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren kontinuierlich entlastet . Für soziale Leistungen der Kommunen stellt der Bund 2016 7,7 Milliarden Euro zur Verfügung . Die richtigen Hilfestrukturen für die Betroffenen zu finden, ist eine Aufgabe für die Experten vor Ort . Eine zentrale staatliche Maßnahme kann nicht unsere Antwort auf diese Herausforderung sein; das wäre der falsche Weg . Zielführender wäre es, wenn sich die Länder auf gemeinsame Standards einigen könnten, die keine Verschlechterung der gut aufgestellten Frauenhäuser zur Folge hätten . Vor Ort gibt es die notwendigen Netzwerke und die Flexibilität, um auf die individuelle Situation und die Bedürfnisse der Frauen eingehen zu können . ({9}) Ich möchte auf eine Ihrer Forderungen eingehen . In Ihrem Antrag fordern Sie, Frauen sollten keinen Nachweis mehr erbringen müssen, Opfer von Gewalt zu sein . Ich stimme Ihnen zu, dass es nicht sein darf, dass Frauen vom Hilfesystem ausgeschlossen werden . Aber ein Anspruch muss schon nachgewiesen werden . In einer idealen Welt wäre das in der Tat nicht nötig . In einer idealen Welt würde aber auch niemand Sozialleistungen erschleichen, schwarzfahren oder sonst wie unberechtigt Leistungen beziehen . Sicher können wir darüber reden, wie solche Regelungen umgesetzt werden . ({10}) - Hören Sie doch zu; dann brauchen Sie sich nicht aufzuregen . - Eine Kontrolle aber, ob jemand die Leistungen zu Recht bezieht, muss sein . ({11}) Dass wir heute über die Finanzierung von Frauenhäusern diskutieren, ist wichtig . Wir stellen hier und heute noch einmal fest, dass die Länder ihren Pflichten nachkommen müssen . Länder und Kommunen müssen durch die unterschiedlichen Angebote vor Ort dafür sorgen, dass Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind, Hilfe erhalten . Deshalb sind alle Konzepte, die eine gewaltfreie Konfliktlösung fördern, zu unterstützen. Das heißt aber nicht, dass der Bund sie dann auch finanzieren muss. Herzlichen Dank . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort .

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Über Gewalt gegen Frauen ist seit der Silvesternacht so viel wie in den letzten Jahren nicht geredet worden . Es ist wichtig, dass diese Gewalt, aber vor allem die Betroffenen im Fokus bleiben; denn jede dritte Frau in Deutschland hat schon einmal Gewalt erfahren . Unsere politische Verantwortung ist es, Gewalt gegen Frauen - egal wo, ob im öffentlichen oder im häuslichen Raum - nicht aus dem Blick geraten zu lassen . ({0}) Das Gewaltschutzgesetz war ein Meilenstein zum Schutz von Frauen vor Gewalt . Für Frauen in Not sind Frauenhäuser oft eine existenzielle Anlaufstelle. Sie finden hier Sicherheit, auch mit ihren Kindern, und hier kann die Gewalt vor der Tür bleiben . Tatsache aber ist, dass wir seit vier Jahrzehnten über die mangelnde Finanzierung der Frauenhäuser sprechen . Tatsache ist, dass Frauen in Deutschland oft keinen Frauenhausplatz bekommen . Tatsache ist, dass Hilfe oft zur Glückssache und zu einer Frage des passenden Zeitpunkts wird . Ich sage Ihnen: Das kann so nicht weitergehen . Hier widerspreche ich auch den Ausführungen der Kollegin Pantel . Die Situation ist tatsächlich von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich . Ich sehe da auch eine Verantwortung des Bundes, über die wir reden müssen . ({1}) Morgen starten die autonomen Frauenhäuser - die Kollegin Möhring hat das gerade gesagt - aus Anlass ihres 40-jährigen Bestehens die 16-Tage-16-Bundesländer-Tour unter dem Motto „Gewalt gegen Frauen beenden! Frauenhausfinanzierung jetzt sichern!“. Sie fordern, dass die Politik endlich verantwortliche Lösungen für eine verlässliche Finanzierung findet. Ich finde, sie haben recht . ({2}) Ich will Ihnen sagen, was ich nicht nachvollziehen kann: Es gibt immer eine große Betroffenheit - wir haben gerade Beispiele gehört -, wenn das Schicksal einzelner Frauen in Frauenhäusern und die Not der Frauenhäuser und der Mitarbeiterinnen konkret sichtbar werden; das erlebe ich auch bei der SPD und der Union . Wir haben mit dem Ausschuss schon gemeinsame Begehungen von Frauenhäusern durchgeführt . Wenn es dann aber um die konkreten Schritte geht und die sichere Finanzierung der Hilfen für Frauen angesprochen wird, ist die Zurückweisung an die Länder und Kommunen, wie gerade passiert, immer die leichteste Übung, obwohl wir - und das sage ich ganz deutlich - im Bund etwas machen können . Ich finde das ermüdend und Ihre Argumente an dieser Stelle auch nicht durchgängig glaubwürdig . Sie sehen die Not von Frauen, aber tun an dieser Stelle nichts. Ich finde, verantwortliche Politik ist auch, zu prüfen, was wir seitens des Bundes tun können . ({3}) Aus dem Frauenministerium kommt hier ebenfalls zu wenig . Das Ministerium hat zuletzt 2013 etwas gegen Gewalt an Frauen getan . Da wurde nämlich das Hilfetelefon eingerichtet . Zu den Frauenhäusern hat Ministerin Schwesig lediglich eine Bedarfsanalyse angekündigt . Ich sage „angekündigt“ . Dafür braucht man nicht zweieinhalb Jahre Regierungszeit . Gewaltschutz für Frauen steht hier nur im Kleingedruckten . ({4}) Noch etwas: Die Pflicht zum Gewaltschutz gilt in Deutschland auch für geflüchtete Frauen, die in Unterkünften leben und besonders verwundbar sind . Was aber hat Innenminister de Maizière gemacht? Er hat ein vereinbartes Konzept für den Gewaltschutz gekippt . Wichtige Mindeststandards wie abschließbare Toiletten und getrennte Duschen in den Unterkünften sind nicht vorgesehen . Dem Anspruch eines Gewaltschutzes und der EU-Aufnahmerichtlinie wird die Bundesregierung somit nicht gerecht, und das kritisieren wir Grüne aufs Schärfste . ({5}) Hinzu kommt: Betroffene Flüchtlingsfrauen bekommen aufgrund der Residenzpflicht bei Gewalterfahrungen durch den Partner oder auch durch andere Männer in der Unterkunft im Zweifel keinen Schutz . Das geht überhaupt nicht . Nötig wäre - die Kollegin Möhring hat das gesagt, und das steht auch in diesem Antrag - ein Rechtsanspruch für alle Frauen auf einen Frauenhausplatz . Das hätte eine positive Signalwirkung . ({6}) Darin sind wir uns in der Opposition nach einem gemeinsamen Fachgespräch von Linken und Grünen einig . Klar ist auch, dass ein Rechtsanspruch an ein tragfähiges Finanzierungskonzept gekoppelt sein muss. Ich finde, hier bleibt der Antrag ein wenig zu vage . Die Antwort auf die Frage, wie die finanzielle Verantwortung in Bezug auf den Rechtsanspruch und das gesamte Hilfesystem mit dem Bund geregelt werden kann, bleibt offen . So sind Länder und Kommunen mit der Finanzierung wieder alleine . Wir unterstützen den Antrag der Linken auf einen Rechtsanspruch . Er geht in die richtige Richtung . Wir wollen eine fundierte Lösung für den Schutz der Frauen . Dafür braucht es schlicht und einfach auch eine Mitfinanzierung durch den Bund, und die müssen wir hier besprechen . Wenn Sie von Union und SPD weiterhin den Gewaltschutz für Frauen wichtig finden und das auch nach Silvester weiter diskutieren wollen, dann sollten Sie zuvor endlich auch im Bund konsequent handeln . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Gülistan Yüksel . ({0})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundesweit werden jährlich circa 12 000 bis 13 000 Anzeigen wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung erstattet . Trotz der erschreckenden Höhe sind dies allerdings nur Fälle, die zu einer Anzeige führen . Tatsächlich wird jede dritte Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt . Mehr als die Hälfte aller Frauen hat schon einmal eine sexuelle Belästigung erfahren . - Dies sind erschreckende Zahlen . Sie stammen zum einen aus den Ergebnissen einer europaweiten Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und zum anderen aus den Auswertungen des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ . Besonders verheerend ist: Hinzu kommt noch eine große Dunkelziffer; denn viele Frauen schämen sich, auszusprechen, was ihnen widerfahren ist . Es ist die Aufgabe eines Staates, seine Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt zu schützen . Ein starkes Hilfesystem ist elementar, um schutzbedürftigen Frauen und ganz wichtig - auch deren Kindern Halt und Schutz zu bieten . ({0}) Ein Hilfesystem funktioniert dann am besten, wenn sich die Akteure keine Gedanken über eine sichere Finanzierung machen müssen . Eine einheitliche Finanzierung für Frauenhäuser ist deshalb mehr als wünschenswert . ({1}) Das sehen wir auch in der SPD-Fraktion so . Wir wollen, dass Hilfsangebote wie Beratungsstellen ausgebaut und Frauenhäuser bedarfsgerecht und bundeseinheitlich finanziert werden. Eine Tagessatzfinanzierung ist keine gute und dauerhafte Lösung . ({2}) Es hat aber nichts mit dem Hin- und Hergeschiebe von Verantwortung zu tun, wenn ich auf Folgendes hinweise: Die Hauptverantwortung für die Finanzierung des Frauenunterstützungssystems liegt bei den Ländern . ({3}) Diese Aufteilung ist in unserem föderalen System so vorgesehen . Diese Länderverantwortlichkeit hat auch Vorteile; denn lokale Akteure sind näher an den Menschen und ihren Problemen . Sie können somit eine bedarfsgerechte Infrastruktur vor Ort gewährleisten . Die Länder selbst bestehen auch auf dieser Verantwortlichkeit; das sollten wir berücksichtigen . Eine wirkliche Änderung der momentanen Finanzierungssituation lässt sich deswegen nur gemeinsam verwirklichen . ({4}) Es ist deshalb gut und wichtig, dass die Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz der Länder letztes Jahr ein länderoffenes Arbeitsgremium zum Thema „Betreuung und Beratung für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder“ eingesetzt hat . Auch der Bund ist durch das Familienministerium an dieser Arbeitsgruppe beteiligt . Berichte aus der aktuellen Arbeit des Gremiums lassen erkennen, wie schwierig es ist, eine tragfähige Einigung unter den Ländern zu erreichen . Einige Länder befürchten, dass eine bundeseinheitliche Regelung eine Absenkung von Standards mit sich bringen würde . Die Forderung nach einem gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder klingt zuerst nach einer guten Lösung, findet aber bei den Ländern keine Mehrheit . Wie Sie selbst von Sachverständigen und aus Expertengesprächen wissen, ist ein Rechtsanspruch mit vielen Schwierigkeiten und neuen Hürden verbunden . Wir sollten die Realität nicht aus den Augen verlieren: Gewalt findet in der Regel im Verborgenen zwischen zwei Menschen statt. Die meisten Frauen flüchten in ein Frauenhaus, ohne sich die erlittene Gewalt vorher vom Arzt oder der Polizei attestieren zu lassen . Ein Rechtsanspruch bedeutet aber in der Regel, dass die betroffene Frau einen notwendigen Nachweis erbringen muss . Was passiert mit der Frau, die keine objektiven Beweismittel vorlegen kann? Wird ihr dann der Platz im Frauenhaus verweigert? Frauenhäuser weisen deshalb zu Recht darauf hin, dass ein Rechtsanspruch eine neue Aufnahmehürde bedeuten kann . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich auch der Bund beteiligt und weiter verstärkt beteiligen muss . Wir haben in Deutschland ein gutes Netz an Einrichtungen und Unterstützungsangeboten, die Hilfestellungen bieten . Gewaltbetroffene Frauen können in unserem Land regelmäßig und bundesweit Beratung und Unterstützung sowie Schutz finden. Aber auch kleine Lücken im Hilfesystem sind unbedingt ernst zu nehmen . Wir haben in der Koalition vereinbart, ressortübergreifend Maßnahmen zu bündeln und Lücken im Hilfesystem zu schließen . Studentinnen, Auszubildende, Frauen mit Migrationshintergrund und auch Flüchtlingsfrauen haben mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen . Ich möchte hier unterstreichen: Im Sinne aller schutzsuchenden Frauen muss eine sichere Finanzierung des FrauenUlle Schauws hauses gewährleistet sein, unabhängig von Einkommen, Aufenthaltsstatus oder Herkunftsort . ({5}) Wir arbeiten an der Schließung dieser Finanzierungslücken in unseren Sozialgesetzen . Das Familienressort ist mit dem hierfür federführenden Arbeits- und Sozialministerium im Gespräch . Im Rahmen der länderübergreifenden Arbeitsgruppe führt der Bund 2016 ein Modellprojekt durch . Darin wird untersucht, wie eine bedarfsgerechte Ausstattung in einzelnen Regionen bezüglich Schutz und Beratung aussehen könnte . Aus den hier gewonnenen Erkenntnissen werden konkrete Vorschläge erarbeitet, die der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz als Beratungsund Beschlussgrundlage dienen soll . Außerdem gehen wir die Reform des Sexualstrafrechts an . Ich freue mich, dass der Referentenentwurf unseres Ministers Heiko Maas zur Schließung von Schutzlücken in der Strafbarkeit der Vergewaltigung nun auch das Nadelöhr Kanzleramt passiert hat und sich in der Anhörung befindet. ({6}) Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Gewalt gegen Frauen muss öffentlich gemacht werden und darf kein Tabuthema sein . Gewalt widerfährt den Betroffenen jeden Alters und über alle sozialen Grenzen hinweg . Wir wissen: Dies ist beileibe kein Randthema, sondern ein Thema aus der Mitte der Gesellschaft . Es ist die Aufgabe von Staat und Gesellschaft, dies zu thematisieren . Wir müssen den Frauen zur Seite stehen . Wir müssen gemeinsam auf das Thema aufmerksam machen und gemeinsam weiter nach sinnvollen und praktikablen Lösungen in unserem Hilfesystem suchen . Gewalt, in welcher Form auch immer, darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben . Herzlichen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Gudrun Zollner, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Gudrun Zollner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit . Leider muss jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt durch ihren Partner erleben, und jede einzelne ist eine zu viel . Beleidigungen, Schläge, Demütigungen, Vergewaltigungen und lebensgefährliche Verletzungen führen zum Teil zu lebenslangen seelischen Folgen . Meist braucht es viele Anläufe, bis die Betroffenen bereit und in der Lage sind, sich aus der Gewaltsituation zu lösen . Die Frauen brauchen dafür Beratung und Zuwendung, und sie brauchen einen sicheren Ort . Als zentrale Anlaufstelle und Einrichtung für Opfer von häuslicher Gewalt sind Frauenhäuser seit nunmehr 40 Jahren unverzichtbar geworden . Gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise kommen auf die Frauenhäuser neue Herausforderungen zu . Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen gehört nicht erst seit Köln zu den langfristigen Schwerpunkten der Bundesregierung . Im Rahmen der durch das Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzverteilung stehen wir alle in der Verantwortung . Insgesamt verfügt Deutschland über ein ausdifferenziertes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen . Im März 2013 startete das Hilfetelefon - viele meiner Vorrednerinnen haben das angesprochen -: Kostenlos, anonym und vertraulich kann sich jede Frau Rat durch erfahrene Fachkräfte holen - in bis zu 15 verschiedenen Sprachen . Sehr wichtig ist dies für die zu uns kommenden Flüchtlingsfrauen . Frauen mit Behinderungen haben einen besonderen Hilfebedarf, da sie überdurchschnittlich häufig von Gewalt betroffen sind . Hierzu sind in Bayern im Januar 2014 Projekte gestartet worden: eine zentrale, barrierefreie Service-Homepage mit Informationsmaterial, Fortbildungen für Beraterinnen in Frauenhäusern und Notrufe zur Thematik „Gewalt und Behinderung“ . ({0}) Frauenbeauftragte werden in Einrichtungen der Behindertenhilfe ausgebildet . Das Vorhandensein, die Ausgestaltung und die finanzielle Absicherung von Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder liegen aber in erster Linie bei den Bundesländern . Im Rahmen der landesrechtlich konkretisierten Aufgabe der Daseinsvorsorge liegt die Zuständigkeit auch bei den Kommunen . Ich möchte die Bundesländer aufrufen, ihre Kommunen bei diesen wichtigen Aufgaben zu unterstützen und die Entlastungen an sie weiterzugeben . Es entspricht unserem föderalen Prinzip, in der unterschiedlichen Ausgestaltung vor Ort grundsätzlich eine Chance zu sehen . Damit werden Spielräume eröffnet, um den Bedürfnissen mit den regionalen Unterschieden Rechnung zu tragen . Das ist auch gut so . ({1}) Dies sehen auch die Bundesländer so, und das wurde auch von der Gleichstellungsministerkonferenz so gesehen . Festgestellte gewachsene Unterschiede der Versorgungsinfrastruktur für gewaltbetroffene Frauen sind auch Ausprägungen der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und deuten nicht automatisch auf Versorgungsdefizite hin. Ich kann auch nicht erkennen, dass eine Verlagerung der Aufgaben auf den Bund automatisch alles besser machen würde . Das würde auch bedeuten, dass die Länder ihre finanziellen Mittel für diese Aufgabe nicht mehr bereithalten würden . Kurzum: Der Bund müsste die Leistungen der Länder ersetzen . Ich darf erinnern, dass erst kürzlich der Bundesrechnungshof vor einer Überlastung des Bundeshaushalts durch die umfangreichen UnterstütGülistan Yüksel zungsleistungen an die Länder und Kommunen gewarnt hat . Liebe Kolleginnen und Kollegen, packen wir gemeinsam die Herausforderungen zum Schutz von Frauen und Kindern an! Konzentrieren wir uns auf die Aufgaben, für die wir als Bund zuständig sind! Länder und Kommunen werden verantwortungsvoll ihre Pflichten übernehmen. Ich erinnere: Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Gesetz vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird, weil nicht der Bund, sondern die Länder zuständig sind . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7540 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schreiben vom 27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union vom 15. Februar 2010, 22. Januar 2013 und 16. März 2015 in Verbindung mit den Resolutionen 1872 ({0}) und 2158 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/7556 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster Redner in dieser Debatte der Staatsminister Michael Roth für die Bundesregierung . ({3})

Not found (Gast)

Einen wunderschönen guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Region am Horn von Afrika ist seit vielen, zu vielen Jahren ein Dauerbrennpunkt in der globalen Krisenlandschaft . Das gilt insbesondere für das krisengeplagte Somalia . Mehr als 20 Jahre Bürgerkrieg, humanitäre Notlagen und islamistischer Terror haben ihre Spuren im Land hinterlassen . Da ist es wenig verwunderlich, dass Somalia in den vergangenen Jahren nur sehr selten mit positiven Schlagzeilen von sich reden machte . Angesichts der aktuellen politischen Entwicklung blickt die internationale Gemeinschaft derzeit wieder mit verhaltenem Optimismus auf Somalia . Am 27 . Januar hat sich das somalische Kabinett nach einem ausgesprochen schwierigen, aber letztlich erfolgreichen Prozess auf ein Wahlmodell für nationale Wahlen noch in diesem Jahr geeignet . Das Jahr 2016 kann also zu einem Wendepunkt in der Entwicklung des Landes werden . Die jüngsten Entwicklungen unterstreichen den Willen der somalischen Regierung, die politischen Geschicke des Landes künftig wieder eigenverantwortlich wahrzunehmen . Das ist unser gemeinsames Ziel: Mittelfristig soll Somalia politisch, wirtschaftlich und militärisch wieder auf eigenen Beinen stehen . Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Das beschlossene Wahlverfahren unterscheidet sich von den in Europa vorherrschenden Vorstellungen demokratischer Teilhabe . Als sogenanntes somalisches Modell trägt es jedoch der inneren Verfasstheit der somalischen Gesellschaft, der politischen Kultur und ihren Traditionen Rechnung . Wir werden den Prozess der Umsetzung mit dem Ziel begleiten, so viel Transparenz und Demokratie wie möglich zu erreichen . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der 2012 beschlossenen Übergangsverfassung begann ein ausgesprochen steiniger Weg der kleinen Schritte zum Wiederaufbau funktionsfähiger staatlicher Strukturen . Diesen Weg gehen die Somalis unter denkbar schwierigen Bedingungen . Die islamistische Terrormiliz al-Schabab überzieht das Land mit Terroranschlägen . Daneben bringen Dürren und Hungersnöte Somalia immer wieder an den Rand einer humanitären Katastrophe . Dennoch gilt Somalia dank der gemeinsamen Anstrengungen der Somalis und der internationalen Gemeinschaft mittlerweile nicht mehr als ein sogenannter Failed State, also als gescheiterter Staat . Aber wir haben es noch immer mit einem fragilen Staat zu tun . Aber bis wir tatsächlich von Good Governance sprechen können, ist es vermutlich ein noch ausgesprochen langer und beschwerlicher Weg . Nicht nur auf den ersten Kilometern, sondern auf der gesamten Strecke bleibt Somalia auf unsere Unterstützung angewiesen . Unsere Stabilisierungspolitik zielt weiter auf die Schaffung eines Mindestmaßes an effektiver Staatlichkeit . Es geht nicht um die großen, hehren Ziele, es geht erst einmal um die elementaren Grundbedürfnisse der Bevölkerung . Neben der Versorgung mit Wasser, Nahrung, Energie und einem funktionierenden Gesundheitswesen muss der somalische Staat auch das elementarste menschliche Grundbedürfnis erfüllen, nämlich Frieden, Stabilität, Sicherheit . Unser militärisches Engagement im Rahmen der EU-Ausbildungsmission EUTM Somalia ist eingebettet in einen umfassenden Ansatz . Es gibt eine Reihe von bilateralen Projekten, die wir auf den Weg gebracht haGudrun Zollner ben, mit denen wir zivilgesellschaftliche und staatliche Strukturen stärken und eben die demokratische Teilhabe fördern wollen . Auch das wieder anlaufende Engagement der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Somalia wird künftig eine noch größere Rolle spielen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten nicht vergessen: Der Aufbau der somalischen Armee erfolgt von Grund auf . Parallel dazu stehen aber auch die somalischen Soldaten an der Seite von AMISOM im Kampf gegen die Terrormilizen von al-Schabab . Die Zusammenarbeit im Sicherheitssektor in einem Land, das sich in einem bewaffneten Konflikt befindet, ist eine ausgesprochen schwierige Aufgabe . Dennoch hat der Aufbau der somalischen Sicherheitskräfte in den vergangenen Jahren wichtige Fortschritte gemacht . Die internationale Gemeinschaft und die somalische Regierung haben sich auf Planungsgrundlagen und Ziele für den Aufbau der Armee und der Polizei geeinigt . Die Strukturen des Somalia-Paktes haben zu deutlich mehr Transparenz, verbindlichen Absprachen geführt, und über das „Wer macht was?“ gibt es zwischen somalischer Regierung, den Vereinten Nationen und den internationalen Gebern inzwischen einen belastbaren politischen Dialog . Die Mission EUTM Somalia hat sich als ein wichtiger und geschätzter Partner etabliert . Trotz eines nach wie vor schwierigen Umfeldes hat die Mission bereits viel erreicht . Insgesamt haben wir seit 2010 5 000 somalische Soldaten ausgebildet - zunächst in Uganda und zwischenzeitlich, seit 2014, nun auch auf somalischem Boden in Mogadischu . Mit unseren EU-Partnern und der Hohen Vertreterin Frederica Mogherini stimmen wir darin überein: Dieses Engagement soll auch über die Laufzeit des aktuellen Mandats hinaus, also über Dezember 2016 hinaus, fortgesetzt werden . Wir tun das, gleichwohl wir wissen, dass es sich um ausgesprochen schwierige Rahmenbedingungen handelt . Gerade deshalb setzen wir uns ja auch für Verbesserungen ein, etwa dafür, dass sich die Mission in enger Abstimmung mit AMISOM künftig noch stärker auf die Unterstützung beim Aufbau der Verwaltungs- und Führungsstrukturen der somalischen Streitkräfte verlegt . Wir können hier als Europäerinnen und Europäer einen entsprechenden Mehrwert aufbringen . Wir wollen die ersten Erfolge bei der „Ertüchtigung“ der somalischen Streitkräfte nachhaltig sichern und langfristig in die alleinige somalische Verantwortung überführen . Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen uns aber auch: Das Bewusstsein der militärischen Eliten in Somalia für den Mehrwert einer funktionsfähigen Streitkräfteorganisation, die rechenschaftspflichtig gegenüber der zivilen politischen Führung ist, ist immer noch vergleichsweise gering ausgeprägt. Gerade bei diesen Defiziten soll die Ausbildung künftig ansetzen . Wir setzen unsere Hoffnungen vor allem auf die jüngere Generation . Die im Rahmen der EU-Mission ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten machen uns Mut . Hier wächst eine motivierte, gut ausgebildete, mit den Grundsätzen des humanitären Völkerrechts vertraute neue Generation somalischer Militärs heran . Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie bei allen Schwierigkeiten um Ihre tatkräftige Unterstützung und um Zustimmung zur Fortsetzung dieses Mandats . Vielen herzlichen Dank . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Alexander Neu von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Somalia - so wird es gesagt - ist ein fragiler Staat . „Die Stabilisierung des Landes ist eine Generationenaufgabe“, so steht es im Antrag der Bundesregierung . Ziel sei es, den Aufbau tragfähiger staatlicher Strukturen in Kooperation mit anderen internationalen Organisationen herbeizuführen . Die Methode wird als umfassend bezeichnet: außenpolitische Instrumente, sicherheitspolitische Instrumente, entwicklungspolitische Instrumente . EUTM Somalia, seit Februar 2010 in Kraft, soll ein sicherheitspolitisches Instrument sein . Die Bundeswehr beteiligt sich mit bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Sicherheitssektorenreform . Was hier so honorig als Staatsaufbau dargestellt wird, ist nicht nur honorig, sondern natürlich auch machtpolitisch eigennützig, aber dabei wenig effektiv . In Mogadischu herrscht ein Regime, das man durchaus als autoritär-islamistisch bezeichnen kann . Die Scharia, die vor einigen Jahren eingeführt wurde, steht über der Verfassung . Faktisch konkurrieren in Somalia zwei islamistische Gruppierungen, wobei die eine davon, die als moderater betrachtet wird - ob sie es ist oder nicht, sei dahingestellt -, von der Europäischen Union unterstützt wird . Ich räume ein: Man kann sich die Partner im internationalen Umfeld nicht immer aussuchen . Man muss sie aber als das benennen, was sie sind . Diese Partner sind Islamisten . Der Fortschritt, der im Antrag der Bundesregierung dargestellt wird, ist mehr als widersprüchlich . Die Bundesregierung sagt auf der einen Seite, es sei eine positive Entwicklungsperspektive erkennbar . Als Beispiel wird die Einführung der vorläufigen Verfassung 2012 genannt. Demgegenüber heißt es aber auch: Eine weitverbreitete Korruption, organisierte Kriminalität, Terrorismus, unsichere Lebensverhältnisse sowie eine fehlgeleitete wirtschaftliche Entwicklung seien maßgeblich verantwortlich und ursächlich für die prekäre Sicherheitslage . Das ist eine gute Analyse; denn Armut als Ursache für Terror wird hier analysiert . Eine außerordentlich ehrliche Analyse vonseiten der Bundesregierung, die wir so gar nicht gewohnt sind . ({0}) - Nein, leider nicht. Wir würden es gut finden. Jetzt hat sie es einmal geschafft, und das lobe ich auch . Aber was unternimmt die Bundesregierung dagegen? Der sozioökonomische Aufbau Somalias ist immer noch völlig unterentwickelt . Der Aufbau repressiver Instrumente, das heißt militärischer Fähigkeiten, dominiert . Aber auch das läuft irgendwie nicht so richtig rund . Der Aufbau militärischer Fähigkeiten geht auch deshalb fehl, weil dem wirtschaftlichen Aufbau keine Priorität zukommt . Symptomatisch hierfür ist: Im letzten Jahr, am 9 . Juni, haben somalische Soldaten eine Straßensperre errichtet, nahe des Trainingscamps Dschasira . Die Soldaten haben das deshalb gemacht, weil sie unzufrieden über den ausbleibenden Sold waren . Das ist ein Zeichen für die nach wie vor unterentwickelte sozioökonomische Sphäre . Nichts wird dagegen gemacht . Man lässt Somalia im Bereich der sozialen Entwicklung weiter am Boden liegen . Mir fehlt immer noch eine Bilanzierung, wie viele der ausgebildeten Soldaten - die Zahl 5 000 ist vorhin genannt worden - noch im Dienst der somalischen Streitkräfte sind . Wie viele von denen sind übergelaufen? Nichts davon steht in dem Antrag . Das fehlt . Eine ehrliche Bilanzierung der Effektivität dieser Trainingsmaßnahme verweigern Sie, weil Sie genau wissen, dass die Bilanz desaströs sein würde . Aber es gibt weitere Gründe, warum Somalia nicht auf die Beine kommt . Einer davon ist der US-Drohnenterror, der das alltägliche Leben überschattet . Die Normalisierung ist einfach gar nicht möglich . Warum hierzu keine kritischen Worte seitens der Bundesregierung? Nichts dazu . Das westliche Verständnis von Staatsaufbau macht das Projekt, euphemistisch formuliert, zu einer Generationenaufgabe, wie es die Bundesregierung in weiser Voraussicht konstatiert hat . Realistisch ausgedrückt, wird der westliche Staatsaufbau zum Scheitern verurteilt sein . Sie ahnen es, und wir wissen es . Die Linke lehnt einen militärisch gestützten Staatsaufbau ab und somit auch die Mission EUTM Somalia . ({1}) Ich danke Ihnen . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Jürgen Hardt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heute hier vorgelegte Mandat ist ein wichtiger Baustein im Rahmen des gesamten Netzwerkansatzes, den die Welt für Somalia hat . Wir haben in Somalia das vielleicht drastischste und schrecklichste Beispiel eines Failed States in den letzten Jahrzehnten gehabt, in dem es an allem mangelte, was in irgendeiner Weise Staatlichkeit und Schutz der Bürger ausmachte . Es ist deswegen ein ganz weiter Weg, dieses Land tatsächlich zu einer prosperierenden Demokratie zu machen . Der Staatsminister hat darauf hingewiesen, welche Schwierigkeiten es gibt, dort Wahlen durchzuführen und dort Verhältnisse herzustellen, die wir auch nach westlichen Maßstäben als demokratisch bezeichnen können . Aber es ist eine ganze Reihe geschehen . Der Netzwerkansatz ist offensichtlich der richtige . EUTM Somalia, die Ausbildungsmission der Europäischen Union, fügt sich ein in die Mission EUCAP NESTOR, in die Operation Atalanta, also in unser Antipirateriemandat . Es fügt sich ein in die Bemühungen der Afrikanischen Union, der ostafrikanischen Kooperation und natürlich auch der Vereinten Nationen, die dort gemeinsam agieren . Wir haben vor zwei Jahren die Ausbildungsmission direkt in die Hauptstadt verlegt . Es hat damals Diskussionen gegeben, auch hier im Haus, auch in den Ausschüssen und in den Arbeitsgruppen: Können wir das verantworten? Ist es zumutbar, dass unsere Soldatinnen und Soldaten dort Dienst tun? - Die Antwort nach zwei Jahren lautet: Es ist verantwortbar gewesen . Gerade Soldaten der Afrikanischen Union schützen den deutschen und den internationalen Ausbildungsbeitrag insgesamt in hervorragender Art und Weise, sodass wir jetzt sagen können: Es war richtig, direkt ins Land zu gehen . Es ist auch dadurch eine höhere Effizienz der Ausbildungsleistung zu verzeichnen - das zeigen die Zahlen -, dass allein in den letzten zwei Jahren 1 500 Personen ausgebildet wurden . Ich halte es auch für ein schönes Beispiel für den vernetzten Ansatz, dass wir nicht nur die militärische Ausbildung und die Polizeiausbildung durchführen, sondern dass wir auch den zivilen Wiederaufbau des Landes fördern . Wir haben zusätzlich Mittel in Höhe von 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, und wir werden auch Altmittel der Entwicklungszusammenarbeit aus früheren Jahrzehnten freisetzen - Mittel, die zuvor aufgrund der Entwicklung in Somalia nicht eingesetzt werden konnten -, sodass wir deutlich mehr finanzielle Mittel für den zivilen Wiederaufbau des Landes als für die Komponente der militärischen Ausbildung aufwenden . Ich kann an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen in den Ausschüssen nur empfehlen, der Verlängerung dieses Mandates genauso zuzustimmen wie den Mandaten, die sich im Rahmen des Netzwerkansatzes der Weltgemeinschaft darum ranken . Ich kann guten Gewissens sagen, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten eine sinnvolle, verantwortbare und auch hinreichend sichere Aufgabe übertragen . Ich wünsche allen Soldatinnen und Soldaten, die diesen Einsatz ausführen - das sind im Augenblick 9; es werden vielleicht einmal bis zu 20 sein; das ist die Mandatsobergrenze, die vorgeschlagen wird -, jedes Soldatenglück, damit sie heil wieder nach Hause kommen, wenn der Einsatz beendet ist . In diesem Sinne eine gute Beratung in den Ausschüssen . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Agnieszka Brugger von Bündnis 90/ Die Grünen hat als nächste Rednerin das Wort .

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Mandate der Bundesregierung zu Auslandseinsätzen lesen sich oft sehr technisch. Aber ich finde, bei diesem Mandat, bei der europäischen Ausbildungsmission für die somalischen Sicherheitskräfte, merkt man ganz besonders, wie oberflächlich und extrem technokratisch Sie die Situation in Somalia beschreiben . Wer ein Gespür für die Situation der Menschen in Somalia bekommen möchte, dem empfehle ich eine Reportage aus der Zeit, die im Januar dieses Jahres erschienen ist . Dort wird die bewegende Geschichte von einem Koch erzählt, der 2008, als in Mogadischu die Gewalt regierte, in sein Land zurückgekehrt ist, um es wieder aufzubauen . Diese Geschichte handelt von Hoffnung, von Mut, von Lebensfreude und von wirtschaftlichem Aufschwung, aber eben auch ganz viel von Angst, von Gewalt und von Korruption . Diese Reportage ist übrigens auch eine empfehlenswerte Lektüre für all die Menschen, die nicht wissen, was Heimat und Heimweh bedeuten können, und die meinen, dass die Flüchtlinge alle nur hierbleiben wollen und nicht in ihre Länder zurückkehren . Nach 25 Jahren Bürgerkrieg gab es auch positive Entwicklungen in Somalia . Wer aber zum Beispiel glaubt, dass die gesunkene Anzahl der Terroranschläge durch die Verbrecher von al-Schabab quantitativ ein Zeichen für die Verbesserung der Sicherheitslage ist, der täuscht sich leider . Gerade in den letzten Wochen erschütterte eine Reihe von Attentaten das Land, die in ihrer Qualität leider immer schlimmer und grausamer werden . Die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und zahlreiche Staaten engagieren sich seit Jahren in Somalia . Seit Jahren warnen alle Expertinnen und Experten immer wieder und weisen darauf hin, dass die zentrale Ursache für die Probleme in Somalia, bei der man ansetzen muss, die fehlende Staatlichkeit und die Schwäche der politischen Institutionen sind . Ja, auch im politischen Bereich hat es in den letzten Jahren einige Fortschritte gegeben . Aber Sie fokussieren sich sehr stark auf die Militäreinsätze, und diese wichtigen Fragen werden vernachlässigt . Wer will, dass das Engagement in Somalia zum Erfolg führt, der muss viel mehr für den Staatsaufbau tun . Weil Sie da zu wenig machen, ist die Gefahr groß, dass auch dieser europäische Militäreinsatz am Ende nicht nur wirkungslos bleibt, sondern sogar noch mehr Schaden anrichtet . Sie haben in den letzten Jahren erst in Uganda und dann in Somalia mehrere Tausend Soldaten ausgebildet . Immer dann, wenn wir die Bundesregierung nach den Erfahrungen und nach der Bilanz fragen, hüllen Sie sich in Schweigen und in Nichtwissen . Das hat man auch in Ihrer Rede sehr stark gemerkt, Herr Roth . Einen Militäreinsatz kann man doch nicht so begleiten und gestalten . Das zeugt von einer Oberflächlichkeit und einer Ignoranz, die gefährlich ist . ({0}) Meine Damen und Herren, in einem Land, das auch wegen der Rivalitäten der mächtigen Clans nicht zur Ruhe kommt, birgt es große Gefahren, Sicherheitskräfte auszubilden, wenn sie keiner wirksamen politischen Kontrolle unterliegen . Wir haben Hinweise, dass sehr stark nur aus einem Clan rekrutiert wird, was in der Konsequenz die Spannungen verstärkt . Wir hören, dass Sold nicht gezahlt wird oder nur willkürlich gezahlt wird und in den Taschen der Kommandeure verschwindet . Wir sehen hohe Desertionsraten . Wir erfahren von Soldaten, die anschließend zu den Milizen gehen oder sich gar al-Schabab anschließen . Es gibt Vorfälle, bei denen Soldaten in Uniform die Zivilbevölkerung bedrängen, statt sie zu beschützen . Immer wieder verschwinden auch Waffen . Von alldem will die Bundesregierung noch nie wirklich etwas gehört haben . Da muss man sagen: Eine verantwortungsvolle Politik sieht wirklich anders aus . ({1}) Meine Damen und Herren, vor einem Jahr haben wir Grüne das Mandat einstimmig abgelehnt . Wir haben mit Nein gestimmt, nicht deshalb, weil man die Menschen in Somalia alleinlassen soll; dieses Nein war vor allem ein Appell an die Bundesregierung, endlich die Konfliktursachen anzugehen und den Aufbau der staatlichen Institutionen viel stärker zu unterstützen . Es ist wirklich schade, dass Sie dieses Jahr untätig haben verstreichen lassen; denn nur dann, wenn man da etwas tut, kann man einen Beitrag dazu leisten, dass immer mehr Menschen wie jener Koch sich entschließen, in ihre Heimat zurückzugehen, und kann man sicherstellen, dass die Weichen dort so gestellt werden, dass die Menschen eine neue Zukunft für ihr Land aufbauen können . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Florian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um die Fortschritte messen zu können, die in den vergangenen Jahren in Somalia gemacht wurden, müssen wir uns a) in Erinnerung rufen, wie wir ange- fangen haben, und müssen wir b) das ins Verhältnis zu den doch sehr ambitionierten Zielen setzen . Die Ziele sind, zunächst einmal eine Basissicherheit und langfristig funktionsfähige somalische Sicherheitsstrukturen und Streitkräfte aufzubauen . Jahrelang galt Mogadischu als einer der gefährlichsten Orte der Welt . Es wurde im Volksmund „Stalingrad Ostafrikas“ genannt . Noch immer ist das Land am Horn von Afrika eine der unsichersten und ärmsten Regionen . Dürreperioden, wie jetzt durch das Wetterphänomen El Niño ausgelöst, treffen den Krisenstaat hart . Fast die Hälfte der Einwohner, fast 5 Millionen Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen . Die Vereinten Nationen schlagen deshalb entsprechend Alarm . Somalia wird sich sicherlich noch lange als fragiler Staat darstellen und auf Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen bleiben . Doch wird eine rein pessimistische Bewertung dem Land nicht gerecht . Teile erholen sich langsam, auch wenn die Entwicklung sicherlich nicht geradlinig verläuft . Mogadischu ist heute die am zweitschnellsten wachsende Stadt der Welt . Obwohl man die Sicherheitslage weiterhin als schwierig bewerten muss, erholt sich die Stadt langsam, baut sich aus Ruinen wieder auf, versucht, wieder normal zu sein . So minimal die Fortschritte sind - ich will das nicht überzeichnen -: Die Menschen suchen nach Perspektiven. Erste qualifizierte Arbeitskräfte aus der ganzen Welt sind nach Somalia zurückgekommen, um beim Wiederaufbau des Staates zu helfen . Mehr als 20 Hochschulen wurden in den letzten Jahren in der Stadt eröffnet . Restaurants und Läden entstehen . Manche sprechen von einer Art Gründungssituation . Wie gesagt: Man muss alles ins richtige Verhältnis setzen . Wir werden im Februar ein GIZ-Büro eröffnen und Vorhaben zur staatlichen Wasserversorgung und Ernährungssicherung beginnen . Neben den strukturellen Fortschritten geben die politischen Entwicklungen Grund zu ein bisschen Hoffnung . So einigte sich das somalische Kabinett am 27 . Januar dieses Jahres auf ein gesamtstaatliches Wahlsystem für die anstehenden Wahlen, die im August 2016 durchgeführt werden sollen . Das sind insgesamt schon ein paar gute Zeichen, wenn wir auf die Anfänge zurückblicken . Erste Fortschritte zeigen den richtigen Ansatz der Mission EUTM Somalia, aber eben auch vernetzt mit EUCAP NESTOR und EU NAVFOR . Mittlerweile wurden im Rahmen von EUTM Somalia über 5 000 Soldatinnen und Soldaten ausgebildet - wir haben es schon gehört -, 1 500 davon seit Anfang 2014 in Mogadischu . Die entsprechend ausgebildeten Kräfte gelten als vergleichsweise zuverlässig und schlagkräftig . Auch hier muss man das ins richtige Verhältnis setzen . Seit dem Beginn der Mission hat sich die Sicherheitslage in Somalia insgesamt verbessert . War Somalia vor Kurzem noch das gefährlichste Seegebiet weltweit für Handelsschiffe, gab es 2015 keine Entführungen mehr . Auch im Kampf gegen al-Schabab zeichnen sich Erfolge ab . Wir dürfen nicht vergessen: Die afrikanische Terrororganisation hatte einst ähnliche Strukturen wie heute der sogenannte IS im Mittleren Osten . AMISOM und Teile der somalischen Armee haben die Islamisten aus zentralen Gebieten vertrieben . Entscheidend hierbei: Mit dem Territorium verliert die Terrororganisation auch zunehmend an Steuereinnahmequellen und lokaler Unterstützung . Mehrere schwierige Wahrheiten ergeben sich daraus für uns, die für Somalia wie auch teilweise ähnlich für andere Krisenregionen gelten . Erstens . Al-Schabab verbindet ihre politische Agenda mit einer dschihadistischen Doktrin, die über Somalia hinausgeht . Zudem besteht laut der somalischen Regierung die Möglichkeit, dass Mitglieder von Boko Haram auch durch al-Schabab-Milizen in Somalia trainiert wurden . Eine solche potenzielle panafrikanische Allianz zeigt, wie wichtig die Stabilisierung Somalias für West- und Ostafrika ist . Zweitens . Mit ihrer medialen Strategie, Tweets, YouTube-Videos usw . wirbt al-Schabab weiterhin auch über Somalia hinaus viele Dschihadisten an . Narrative wie das Feindbild der westlichen und afrikanischen Kreuzzügler beherrschen diesen Diskurs, gegen den wir bisher kaum erfolgreich agieren . Drittens . Die somalische Terrormiliz kann rein militärisch nicht besiegt werden . Viele Kämpfer der al-Schabab-Miliz sind nicht aus ideologischen Gründen dort, sondern aus wirtschaftlichen . Die Wechselwirkung ist offenkundig . Sicherheit bedingt Entwicklung wie Entwicklung Sicherheit bedingt . Viertens . Somalia wird im Kampf gegen die al-Schabab-Miliz einen langen Atem benötigen . Eine einfache territoriale Eindämmung wird aufgrund der Anpassungsfähigkeit nicht funktionieren . Die Organisation wird auch in nächster Zeit eine terroristische Bedrohung bleiben . Klar ist auch, dass Kräfte der Afrikanischen Union sowie die Ausbildungsunterstützung der Europäischen Union auf absehbare Zeit notwendig bleiben . Unser Engagement in Somalia war und bleibt daher weiterhin notwendig . Vielen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7556 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist das auch so beschlossen . Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn ({0}), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen Bundesweite Statistik einführen Drucksache 18/7547 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach groben Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe gibt es in Deutschland circa 350 000 Wohnungslose . Das sind so viele, wie in einer mittleren Großstadt, zum Beispiel Bielefeld, leben . Die Bundesregierung verhält sich aber so, als würde es die gar nicht geben; denn in den offiziellen Armutszahlen tauchen sie nicht auf. Auch im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird es wieder keine offiziellen Zahlen zu Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit und extremer Armut in Deutschland geben. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis . ({0}) Nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe leben fast 40 000 Menschen auf der Straße, darunter Kinder und Jugendliche . Das ist eines reichen Landes wie Deutschland unwürdig . Ziel sollte es sein, dass niemand auf der Straße leben muss . ({1}) Es ist zu befürchten, dass durch die hohe Zahl von Geflüchteten die Zahl der Menschen, die keine Wohnung haben oder auf der Straße leben müssen, sogar noch steigt . Auch deswegen ist es gerade jetzt wichtig, mehr Anstrengungen gegen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit zu unternehmen . Um das zu erreichen, brauchen wir genaue Statistiken über das Ausmaß, die Struktur und vor allem die Ursachen . Da reicht die grobe Schätzung einer Nichtregierungsorganisation nicht aus . Wir müssen genau wissen, wer betroffen ist, um zielgenau handeln zu können . ({2}) Ich nenne zwei Beispiele für mögliche Ursachen, bei denen die Bundespolitik verantwortlich ist . Handelt es sich um Unionsbürgerinnen bzw . -bürger, die vom Bezug von Grundsicherung ausgeschlossen sind? Wie man hört, will die Bundesregierung für diese Gruppe das Grundrecht auf Existenzminimum sogar noch einschränken . Wir halten das für falsch . ({3}) Oder handelt es sich um junge Erwachsene, die keine Grundsicherung erhalten? Alle Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die verschärften Sanktionen gegen junge Erwachsene und die Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft kontraproduktiv sind . Auch in der Politik gibt es eigentlich einen breiten Konsens, was diese Frage angeht . Allein die CSU ist dagegen . Hören Sie endlich auf, sich von der CSU vorführen zu lassen, und schaffen Sie die verschärften Sanktionen gegen junge Erwachsene und die Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft endlich ab . ({4}) Damit beseitigen Sie eine Ursache von Obdachlosigkeit . Die Bundesregierung aber duckt sich weg und behauptet, für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit sei man nicht zuständig . Zuständig dafür seien nur die Länder und die Kommunen . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist verantwortungslos . ({6}) Wegschauen und wegducken ist der falsche Weg . ({7}) Sagen Sie nicht, es geht nicht . Nordrhein-Westfalen hat schon lange eine Wohnungslosenstatistik . Und Bayern, Herr Kollege Straubinger und liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ({8}) ist nach Nordrhein-Westfalen wieder einmal das zweite Land, das zumindest eine Piloterhebung durchgeführt hat, die ganz gut funktioniert hat . ({9}) Also, daran kann man sich orientieren . Es gibt also keinen Grund, warum es nicht möglich sein sollte, auch eine bundesweite Statistik einzuführen . ({10}) Geben Sie sich einen Ruck! Schaffen wir gemeinsam eine Grundlage für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit . Denn niemand bei uns sollte auf der Straße leben müssen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Matthias Zimmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den Städten - insofern will ich dem Kollegen StrengmannKuhn völlig recht geben - gewinnt das Thema Wohnungsnot ganz erheblich an Brisanz . Viele deutsche Städte wachsen durch Urbanisierung bzw . Zuwanderung . Für viele Städte ist das natürlich eine Herausforderung nicht zuletzt weil im unteren Preissegment relativ wenig Wohnraum zur Verfügung steht . Es ist ja richtig: Mit dem Wegfall der Gemeinnützigkeit 1988 und dem Rückzug des Bundes aus der öffentlichen Förderung hat ein deutlicher Abbau des sozialen Wohnungsbaus stattgefunden . Das führt nun dazu, dass über Jahre Versäumtes kompensiert werden muss . Das wird aber gemacht . Wir haben mit der Föderalismusreform 2006 die Zuständigkeit für die Wohnraumförderung auf die Länder übertragen - Bund und Länder haben das einvernehmlich beschlossen -, weil wir regional sehr unterschiedliche Wohnungsbedarfe haben . Seitdem unterstützt der Bund die Länder bei der sozialen Wohnraumförderung mit jährlich rund 520 Millionen Euro . Im Rahmen der Asyldebatte hat der Bund zugesagt, diesen Betrag bis einschließlich 2019 zu verdoppeln . Obwohl das Thema also ein rein kommunales ist, unterstützt der Bund die Länder derzeit im sozialen Wohnungsbau mit 1 Milliarde Euro jährlich . Lieber Kollege Strengmann-Kuhn, manchmal ist es ja auch gut, wenn man eine schwarz-grüne Regierung wie die in Hessen - loben kann . In Hessen hat sich die schwarz-grüne Regierung im Rahmen des „Aktionsplans zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ verpflichtet, bis 2019 insgesamt 10 000 neue Wohnungen zu fördern . In den Städten hat ein Umdenken begonnen, nicht erst unter dem Eindruck der Asylkrise . In Frankfurt beispielsweise werden jedes Jahr 45 Millionen Euro in die Hand genommen, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern . Insofern ist die Wohnungsfrage eine ganz zentrale soziale Frage der nächsten Jahre, vor allen Dingen in den Städten . Ich sage deshalb „vor allen Dingen in den Städten“, weil bundesweit auch etwa 2 Millionen Wohnungen leer stehen . Deswegen müssen wir uns sehr genau überlegen, wie wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau einsetzen, was die Länder sinnvollerweise tun können . Wir sollten uns beispielsweise überlegen, in den Kommunen einen bestimmten Prozentsatz der zur Verfügung stehenden Grundstücke für genossenschaftliches Wohnen oder sozialen Wohnungsbau zu reservieren, sie nicht notwendigerweise direkt an den Markt zu geben . Ich glaube, das ist eigentlich eine ganz gute Idee . Die Diskussionen über sozialen Wohnungsbau, genossenschaftliches Wohnen und vieles andere zeigen, wie sehr das Thema Wohnungsnot bereits in der öffentlichen Diskussion präsent ist . ({0}) Nun wird im Antrag der Grünen gefordert, eine bundesweite Statistik über Obdachlosigkeit einzuführen . Ja, warum auch nicht? ({1}) Wir führen über alles Mögliche eine Statistik - warum nicht auch über Obdachlosigkeit? Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe fordert schon seit vielen Jahren eine solche Statistik . Wir beide, Herr StrengmannKuhn, saßen vor etwa einem Jahr bei einer Veranstaltung der Bundesarbeitsgemeinschaft zusammen auf dem Podium und haben eine Diskussion darüber geführt . Aus Erfahrung wissen wir, dass Wohnungslosigkeit ein früher Indikator für zunehmenden Problemdruck auf dem Wohnungsmarkt ist . Deswegen kann es für die Politik vor Ort durchaus wichtig sein, hier frühzeitig entsprechende Daten zur Verfügung zu haben . Hier liegt aber das erste Problem . In meinem Wahlkreis, in Frankfurt, ist die Situation wie folgt: Ein Teil der Obdachlosen wird durch die Fachstelle zur Verhinderung von Obdachlosigkeit betreut, ein anderer im Rechtskreis des SGB XII . Nicht zu vergessen sind Bezieher von Leistungen nach dem SGB II ohne Wohnung, die über eine spezielle Außenstelle des Jobcenters betreut werden . Zusätzlich wird über den Kältebus die Zahl derjenigen erhoben, die auf der Straße nächtigen - im Winter täglich, im Sommer 14-tägig . Die Zahl dieser Menschen wurde in den letzten drei Jahren immer mehr durch Osteuropäer nach oben getrieben, wobei die Zahl der Menschen aus dem klassischen Klientel der Wohnungslosenhilfe stagnierte oder zurückging; diese Menschen haben sich andere Nischen gesucht . Was ich nicht nur aus meinem Wahlkreis, sondern auch von anderen kommunal Aktiven höre: Die Wohnungslosen, die sich von den genannten Anlaufstellen helfen lassen, sind vor Ort auch bekannt . Hier bedarf es jetzt keiner weiteren Instrumente für die Erfassung . Viel problematischer verhält es sich mit den Menschen, die sich bewusst der staatlichen Erfassung entziehen . Diese Menschen statistisch zu erfassen, wäre ein personalintensives Unterfangen . Die Kommunen müssten dafür vermutlich Personal abstellen, das durch die Straßen geht, um jeden einzelnen Betroffenen statistisch zu erfassen . Das wäre ein ganz erheblicher Aufwand für ein relativ kleines Ergebnis, zumal die Menschen mit einer solchen Erfassung natürlich noch nicht von der Straße weg sind . Wichtiger wäre aber, die Daten bei den verschiedenen Sozialleistungsträgern abrufen zu können . ({2}) Dabei ist eine eindeutige Fallidentifizierung nötig, aber trotzdem der Datenschutz zu wahren, und die Daten sollten möglichst einfach aus den vorhandenen IT-Systemen abgegriffen werden können . Mit anderen Worten: Ein erster Schritt dessen, was Wolfgang Strengmann-Kuhn hier gefordert hat, wäre schon getan, wenn es vor Ort gelänge, schnell und unkompliziert ein Lagebild über Obdachlosigkeit und ihre Gründe zu bekommen . Denn das ist es doch, was wir letztendlich wollen: kleinräumige und zeitnah aufbereitete Daten, damit vor Ort schnell und effizient gehandelt werden kann. Ich finde, wir sollten uns einmal ansehen, ob wir da als Bundesgesetzgeber helfen können, etwa was die Frage des Datenschutzes oder die Kompatibilität der Software unterschiedlicher Träger sozialer Hilfen angeht . Nun wäre das sicherlich ein erster Schritt, ein etwas genaueres Bild davon zu bekommen, was sich im Bereich Obdachlosigkeit tut . Was aber wäre der Mehrwert einer nationalen Berichterstattung, wie sie den Grünen in ihrem Antrag vorschwebt? Das ist, glaube ich, die entscheidende Frage . Die Notwendigkeit einer solchen Statistik wird damit begründet, die Fachwelt finde es sinnvoll . Das kann ich als Wissenschaftler nachvollzieDr. Matthias Zimmer hen; aber nicht alles, was statistisch erfasst werden kann, macht für die politische Arbeit auch Sinn - leider! Nun macht der Antrag dann eine sonderbare Verrenkung, indem behauptet wird, eine bundesweite Statistik sei die Voraussetzung, um auf kommunaler Ebene eine gute und wirksame Wohnungsnothilfeplanung zu entwickeln und die entstehenden Kosten besser kalkulieren zu können . Mit anderen Worten: Wenn ich weiß, wie viele Wohnsitzlose es in anderen Teilen Deutschlands gibt, kann ich in Frankfurt besser planen . Das ist eine stramme Aussage, die ich bei den Praktikern so nicht bestätigen konnte . Ich halte es auch für Unfug, weil sich nur große Städte oder ähnlich strukturierte Landkreise sinnvoll miteinander vergleichen lassen . Für die politische Praxis spielen zeitnahe und regionale Zahlen eine Rolle, aber nicht bundesweit erhobene . Bleibt die Begründung, dass man es einfach wissen will, etwa im Rahmen von Armuts- und Reichtumsstudien; das ist im Vortrag von Wolfgang Strengmann-Kuhn angesprochen worden . Ob dies allein aber den zusätzlichen Aufwand in den Kommunen rechtfertigt, also ob eine vernünftige Kosten-Nutzen-Relation entsteht, das wage ich zu bezweifeln . ({3}) Meine Damen und Herren, ob die Bundesländer es stattdessen tun sollten, kann ich nicht abschließend beurteilen . Nordrhein-Westfalen macht eine eigene Statistik, in Hessen diskutieren wir über eine eigene Statistik . Hier ist auch der regionale Bezug noch gegeben, bei einer Statistik, die vom Bund geführt würde, allerdings nicht . Deswegen komme ich persönlich zu dem Schluss: Die im Antrag vorgebrachten Argumente überzeugen nicht . Aber wir sollten uns sehr wohl darüber unterhalten, wie man die statistische Erhebung vor Ort deutlich verbessern kann . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Caren Lay das Wort . ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute Nacht wird es in Berlin wieder minus 2 Grad Außentemperatur haben, gestern hat es dazu noch geschneit . Während so manch einer hier mit dem Fahrdienst in die warme Stube fährt, sind viele andere noch auf der Suche nach einem Platz zum Übernachten . Wohnungslosigkeit - das lässt sich nicht abstreiten ist ein zunehmendes Problem in Deutschland . Das sieht jeder, der mit offenen Augen durch die Städte geht . Das belegen auch die Zahlen, die wir kennen . Schätzungsweise 335 000 Menschen waren im letzten Jahr ohne Wohnung . Das ist gemessen an den Schätzungen der Jahre davor ein Anstieg um 18 Prozent . Das sagt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, die diese Zahlen seit Jahren erhebt und bei der ich mich an dieser Stelle sehr herzlich für ihr Engagement bedanken möchte . ({0}) 335 000 Obdachlose in einem reichen Land, mit steigender Tendenz - das ist ein Armutszeugnis für unser Land . Wir können da nicht länger zusehen . ({1}) Wohnen ist doch ein Grundrecht . Deswegen ist es unsere Verantwortung in der Politik, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch dieses Grundrecht auch wahrnehmen kann . Für die nächsten Jahre prognostiziert die BAGW sogar noch einen Anstieg und geht davon aus, dass schon in wenigen Jahren die Grenze von einer halben Million Wohnungsloser überschritten sein wird . Und wer erst einmal seine Wohnung verloren hat, der hat wenige Chancen, schnell einen anderen Lebensweg einzuschlagen . Jeder Vermieter wird stutzig, wenn er keine aktuelle Adresse aufweisen kann, jeder potenzielle Arbeitgeber auch. Die Wohnungslosigkeit ist häufig der Beginn eines Teufelskreises . Wir müssen alles daransetzen, dass Menschen aus diesem Teufelskreis aussteigen können . ({2}) Verlässliche Zahlen über die steigende Wohnungslosigkeit zu haben, das ist der erste Schritt . Das ist immer so . Damit sagen wir als Gesellschaft, damit sagen wir als Politik: Wir haben das Problem erkannt . Wir setzen alles daran, es statistisch sauber zu erfassen . Das ist die Grundlage, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen . Damit komme ich zu meinem nächsten Punkt . Wir begrüßen den Antrag der Grünen . Wir, die Fraktion Die Linke, haben vor wenigen Jahren einen ähnlichen Antrag gestellt . Er trug den Titel „Obdach- und Wohnungslosigkeit erkennen und bekämpfen“ . Den zweiten Punkt vermisse ich ein wenig im Antrag der Grünen . Steigende Mieten sind der Nährboden für Wohnungslosigkeit . Wir hatten in vielen Großstädten in den letzten fünf Jahren Mietsteigerungen von 20, 30, 40, in Berlin bis zu 50 Prozent . Die Mietenexplosion und die Wohnungsnot sind hausgemacht . Das fällt nicht einfach vom Himmel . Das ist Ergebnis einer falschen und verfehlten Miet- und Wohnungspolitik . Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen . ({3}) Eine Privatisierungswelle sondergleichen auch der Bundesregierung in den letzten Jahren und das Zusammenstreichen von Sozialwohnungen führten dazu, dass hier in zehn Jahren über 1 Million Sozialwohnungen weggefallen sind . Ihre positive Einschätzung kann ich da beim besten Willen nicht teilen . ({4}) Jährlich fallen 80 000 bis 100 000 Wohnungen aus der Sozial-, der Belegungs- und der Preisbindung, aber neu gebaut werden gerade einmal 10 000 Wohnungen im Jahr . Das steht doch in gar keinem Verhältnis . Hier sind andere Anstrengungen nötig . ({5}) Bei allen Sonntagsreden über den sozialen Wohnungsbau kann ich die Beschlusslage hier nicht erkennen . Sie beschließen Steuerabschreibungsmodelle für Reiche . Das ist Gießkannenförderung . Das ist nicht der richtige Weg . Das ist überhaupt nicht zielführend . ({6}) Meine Damen und Herren, zu guter Letzt wenige Punkte, wie wir die Wohnungslosigkeit bekämpfen wollen . Wir sagen ganz klar - da kann ich an meinen Vorredner anschließen -: Sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV wäre einer der wichtigen Schritte . ({7}) Eine ganz wesentliche Ursache sind die Zwangsräumungen . 22 Zwangsräumungen im Schnitt am Tag allein in Berlin sind doch eine Schande . Das haben Sie mit der letzten Mietrechtsnovelle begünstigt, die die Union mit zu verantworten hat . Sie haben Zwangsräumungen erleichtert . Das müssen wir dringend rückgängig machen . ({8}) Zu guter Letzt, meine Damen und Herren: Wir brauchen einen sinnvollen und starken Neustart im sozialen Wohnungsbau . Da muss man mehr Geld in die Hand nehmen, und da muss man die Gemeinnützigkeit wieder einführen . Aber auf diese Gießkannenförderung, die Sie beschlossen haben, können wir verzichten . Das wird keinem Wohnungslosen nutzen . Vielen Dank . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dagmar Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort .

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem von den Grünen! Ich danke Ihnen für Ihre Initiative; denn sie gibt uns Gelegenheit, ein immens wichtiges sozialpolitisches Thema, nämlich die Wohnungspolitik, zu diskutieren . Sie fordern in Ihrem Antrag die Einführung einer bundesweiten Statistik, um auf dieser Basis Wohnungslosigkeit wirkungsvoll anzugehen . Die Bundesregierung hat dies in ihrer Antwort auf Ihre Kleine Anfrage abgelehnt, weil die Zuständigkeit seit der Föderalismusreform I von 2006 bei den Ländern liegt . Für beide Positionen gibt es gute Argumente . Ich persönlich habe immer große Sympathien für eine gute Datenbasis für gute Politik . Aber weder haben alle grün mitregierten Länder eine Wohnungslosenstatistik, die die Basis für eine im Länderzuständigkeitsbereich liegende Wohnungspolitik wäre, noch macht die Bundesregierung deswegen keine Politik gegen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit, weil es keine Statistik gibt . ({0}) Ich kann das Lob für Hessen, Herr Zimmer, leider nicht teilen . In meinem schwarz-grün regierten Heimatland Hessen sind es wiederum allein die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die sich des Themas Obdachlosigkeit angenommen haben . Leider hat Schwarz-Grün die Streichung der Mittel der Obdachlosenhilfe durch die ehemalige schwarz-gelbe Landesregierung nicht zurückgenommen . Ich hätte Ihnen da mehr Kraft gewünscht . ({1}) Als vorbildlich kann ich das Land Nordrhein-Westfalen nennen . Auch die sozialdemokratische Sozialministerin Altpeter in Baden-Württemberg hat die Initiative ergriffen ({2}) und sich des Themas „Berichterstattung und Konzeptionierung im Bereich der Wohnungslosigkeit“ angenommen . ({3}) Je weiter man sich von den Kommunen entfernt, desto schwieriger wird es mit der Zielgenauigkeit . Deswegen macht es Sinn, die konkrete Planung auf Länderebene durchzuführen . Das heißt aber nicht, dass die Bundespolitik hierbei keine Verantwortung übernehmen würde . Ganz konkret hat unsere Ministerin Andrea Nahles bei der Steuerung der Mittel aus dem Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen einen Schwerpunkt auf Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen gelegt . Das ist gut und richtig so . ({4}) Die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland steigt, und das fordert uns auf allen Ebenen zum Handeln auf . Es ist bereits erwähnt worden: Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren 2014 335 000 Menschen ohne Wohnung . Sie erwartet, dass die Zahl bis 2018 auf mehr als eine halbe Million steigt . Gleichzeitig macht sie für den Bund folgende Handlungsfelder aus, die alle von der Koalition bereits angegangen wurden und werden: Da wäre erstens die Verbesserung der sozialen Lage durch angemessene Regelsätze und durch die BekämpCaren Lay fung des Niedriglohnsektors . Mit der Einführung des Mindestlohns haben wir einen riesengroßen Schritt getan . ({5}) Mit der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen werden wir weitere Schritte gehen, und die Frage der Regelsätze werden wir noch dieses Jahr aufrufen . Ja, auch ich hätte große Sympathien dafür gehabt, wenn man gesagt hätte, dass man bei den Kosten der Unterkunft nicht mehr sanktionieren darf . Aber wir haben mit einer längst überfälligen Wohngeldreform die finanzielle Situation von 870 000 Haushalten, vor allem von Rentnerinnen und Rentnern und Familien mit Kindern, verbessert, auch wenn es für die Opposition, wie üblich, etwas mehr hätte sein dürfen . Zweitens . Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum, vor allem Kleinwohnungen und Wohnungen in den Ballungsräumen . Das ist für uns nicht erst ein Thema, seitdem die Flüchtlinge ein Thema sind . Bereits im Koalitionsvertrag haben wir einen Dreiklang aus Stärkung der Investitionstätigkeit, Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus und einer mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung festgeschrieben . Was heißt das konkret? Die Stichworte lauten: Mietpreisbremse und - das ist bereits erwähnt worden - jährlich 500 Millionen Euro mehr für den Wohnungsbau . ({6}) Vor allem aber haben wir das sehr erfolgreiche Programm „Soziale Stadt“ wieder zum Leben erweckt; denn nicht nur Wohnungen, sondern auch ein lebenswertes Wohnumfeld und soziale Unterstützung im Quartier sind wichtig . Deswegen geht es am Ende des Tages um die Handlungsfähigkeit und die Ausstattung der Kommunen . Da haben wir viel Geld in Bewegung gesetzt: Wir entlasten die Kommunen bis 2018 um insgesamt 25 Milliarden Euro . Das ist eine echte Hausnummer . ({7}) Der Respekt gegenüber den Ärmsten - um nichts anderes geht es, wenn man sich um Menschen kümmert, die es alleine nicht schaffen, wenn man ihnen wieder auf die Beine hilft, auch wenn es lange dauert - ist Ausdruck des sozialen Zusammenhalts unserer Gesellschaft . Dieses soziale Klima, diesen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt wünschen sich auch die allermeisten derjenigen, die nicht persönlich betroffen sind und es auch nie sein werden . „Vier eigene Wände machen einen Menschen frei“, sagt ein persisches Sprichwort . Diese Freiheit ist in Deutschland ein Grundrecht . Deshalb gilt es, Wohnungen zu bauen und den Sozialstaat zu stärken und dabei zu klotzen und nicht zu kleckern . Glück auf! ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das mit dem „Glück auf!“ gefällt mir sehr gut . Ich komme aus einer Region, in der das leider bald nur noch Kulturgut ist . Lassen Sie mich im Anschluss an die Kollegin Schmidt auf einige Punkte eingehen . Wer kein Dach mehr über dem Kopf hat, verliert auch alles andere . Das Thema Integration wurde gerade schon angesprochen . Ich glaube, das ist ein sehr wichtiges Thema, und zwar nicht nur bezogen auf die Statistik . Für uns Sozialdemokraten ist es sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass Menschen selbstbestimmt in einer guten Wohnung und einem guten Lebensumfeld aufwachsen können, dass sie dort Arbeit finden und alt werden können. Das ist für uns ein ganz großes Ziel . Deswegen sind wir für Ihren Antrag dankbar, der zwei Teile hat: Einmal geht es darum, Wohnungslosigkeit zu verhindern, und das andere Thema ist die Statistik . Ich danke außerordentlich Frau Ministerin Hendricks, die sich Zeit genommen hat, um heute hier zu sein und der Debatte über dieses wichtige Thema beizuwohnen . ({0}) Das zeigt, wie wichtig es uns Sozialdemokraten und der Ministerin ist, dass wir auf dem Wohnungsmarkt bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen schaffen . ({1}) Ich möchte ergänzen, was bisher passiert ist - die Frau Ministerin hat das im Ausschuss deutlich gemacht -: Wir haben es ja nicht dabei bewenden lassen, zu sagen, dass wir die Mittel für die soziale Wohnraumförderung verdoppeln wollen . Uns ist sehr bewusst, dass wir zurzeit einen großen Nachholbedarf haben, dass wir mehr bezahlbaren Wohnraum für die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen schaffen müssen . Frau Hendricks hat angekündigt, dass sie zusätzlich 1 Milliarde Euro in die Hand nehmen möchte, um zusätzlich Wohnraum zu schaffen, insbesondere in Ballungsgebieten . Ich hoffe, dass wir uns da durchsetzen können . ({2}) Mein zweiter Punkt . Ich möchte darauf hinweisen, dass sich die Ministerin eindeutig für eine ressortübergreifende Strategie bei dem Programm „Soziale Stadt“ eingesetzt hat . Das ist ein wichtiges Thema . Es geht insDagmar Schmidt ({3}) besondere um die Frage, wie wir die einzelnen Handlungsfelder, die Fachpolitiken auf Bundesebene, auf Landesebene und auf kommunaler Ebene so bündeln können, dass die Kompetenzen der Fachleute in der Politik zusammengeführt werden, sodass man jedem Menschen effizient helfen kann. Darüber hinaus hat die Ministerin gesagt: Wir brauchen eine Stiftung . - Ich kann das nur sehr begrüßen, weil das Programm „Soziale Stadt“ ein Programm ist, das natürlich davon abhängt, dass einzelne Stadtteile zunächst einen negativen Weg genommen haben . ({4}) Ich gehe davon aus, wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass eine Stiftung auf den Weg gebracht wird, damit wir auch präventiv in den Städten für gute Lebensbedingungen sorgen können . Sie haben da unsere Unterstützung, Frau Hendricks; darauf können Sie in der SPD zählen . ({5}) Jetzt noch ein Satz zur Statistik; das war ja vom Kollegen von der CDU doch ein gewisser Rittberger . Eine belastbare Statistik, die vor Ort natürlich erforderlich ist, kann dazu beitragen, dass wir, wenn sie aggregiert wird, auf Bundesebene für das sorgen können, was im Grundgesetz steht, nämlich für gleichwertige Lebensverhältnisse. Da hat der Bund eine Verpflichtung, und ich glaube, da sind wir, die SPD, stringent . Wir haben schon in der letzten Legislatur gefordert, dass es eine bundesweite Statistik geben sollte, und wir werden uns weiterhin dafür einsetzen . Herzlichen Dank und Glück auf! ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7547 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist das so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes Drucksache 18/6986 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0}) Drucksache 18/7578 Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der Aussprache hat Hiltrud Lotze von der SPD-Fraktion das Wort . ({1})

Hiltrud Lotze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004344, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute Abend den - ich lese einmal den gesamten Titel vor - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes . Vom Titel her ist das eine Herausforderung . Inhaltlich ist es ein gutes und wichtiges Gesetz, weil es im Kern um unser wichtigstes Lebenselixier geht, nämlich ums Wasser . Mit diesem Gesetz beenden wir heute einen mehrjährigen Streit um die Frage der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie in das Wasserhaushaltsgesetz . Grundsätzlich zielt die EU-Wasserrahmenrichtlinie auf die Herstellung eines guten Zustands aller Gewässer . Gewässer sind dann in einem guten Zustand, wenn sie, vereinfacht gesagt, vom Menschen nur gering beeinflusst sind . Die EU-Wasserrahmenrichtlinie sieht vor, dass sich alle, die Wasser in irgendeiner Form nutzen, finanziell daran beteiligen müssen, dass die Gewässer in einem guten Zustand sind . Das ist der Kostendeckungsgrundsatz . Umweltverbände und die Europäische Kommission waren der Meinung, dass auch in unserem Wasserhaushaltsgesetz eine Kostenbeteiligung zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie festgeschrieben werden muss, und haben deswegen geklagt . Dazu muss man wissen, dass in Deutschland unter Wasserdienstleistungen die Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung verstanden werden . Diese Bereiche werden zur Kostendeckung herangezogen . Allerdings wird zum Beispiel das Aufstauen des Wassers für die Stromerzeugung aus Wasserkraft oder das Nutzen des Wassers für die Schifffahrt nicht als Wasserdienstleistung betrachtet . Deswegen werden diese Bereiche bei der Anwendung des Kostendeckungsgrundsatzes - wer nutzt, muss zahlen - auch nicht berücksichtigt . Die jetzige Bundesregierung und ihre Vorgänger haben die Wasserrahmenrichtlinie so interpretiert: Für den Fall, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht erreicht werden, sollen sich die übrigen Wassernutzer, also die eben Genannten, an den Kosten beteiligen . Diese Beteiligung müsse aber nicht unbedingt finanzieller Art sein . - Ich weiß, das ist ein bisschen kompliziert . Ich versuche, das hier so deutlich wie möglich zu erläutern . Der Europäische Gerichtshof hat nach der Klage die grundsätzliche Rechtsauffassung der Bundesrepublik Deutschland bestätigt: Deutschland muss alle Wassernutzer an den Kosten beteiligen . - Wie dies zu geschehen hat, ist aber nicht festgelegt . Obwohl der EuGH festgestellt hat, dass die Bundesrepublik bisher nicht gegen die Wasserrahmenrichtlinie verstoßen hat, sind zur Klarstellung minimale Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz notwendig . Und die nehmen wir heute hier mit diesem Gesetzentwurf vor . Im Klartext heißt das: Das Wasserhaushaltsgesetz wird ergänzt, für die Wassernutzer bleibt aber alles beim Alten . Für niemanden entstehen zusätzliche Kosten . Das Land Baden-Württemberg war nun der Meinung, hier könne eine Rechtsunsicherheit in dem Sinne entstehen, dass das verfassungsmäßige Recht der Länder, Abgaben zu erheben, beschnitten werden könne . Die Grünen haben das in ihren Änderungsantrag aufgenommen, und auch der Bundesrat hat auf Initiative von Baden-Württemberg den Wunsch formuliert, eine Länderöffnungsklausel einzuführen . Aus unserer Sicht - da teilen wir auch die Auffassung des Ministeriums - ist eine solche Klausel unnötig; denn nach dem vorliegenden Gesetzentwurf können Bund und Länder das Kostendeckungsprinzip bei der Wassernutzung auch dann uneingeschränkt anwenden, wenn die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie schon erreicht werden . Deswegen werden wir den Änderungsantrag der Grünen ablehnen . Das Gleiche gilt auch für den Entschließungsantrag, in dem unter anderem gefordert wird, im Wasserhaushaltsgesetz ein Fracking-Verbot zu verankern . ({0}) - Der Applaus ist im Prinzip richtig . ({1}) Wir werden diesen Entschließungsantrag trotzdem ablehnen . ({2}) Aber Achtung: Wir lehnen ihn nicht ab, weil wir etwa für Fracking sind . Ganz im Gegenteil! ({3}) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Es ist eine umfassende Fracking-Gesetzgebung auf dem Weg, ({4}) und dieser wollen wir hier nicht durch ein Detail vorgreifen . Ich will den Fokus heute Abend noch auf ein anderes Wasserthema lenken, nämlich auf die Nitratrichtlinie . Wenn wir in Deutschland das Grundanliegen der Wasserrahmenrichtlinie - nämlich den guten Zustand aller Gewässer - erreichen wollen, dann müssen wir diese Nitratrichtlinie umsetzen; denn wir alle wissen: Unsere Böden und damit auch die Gewässer sind noch immer zu stark durch Düngemittel, und hier vor allem mit Nitrat, belastet. 82 Prozent der Oberflächengewässer haben letztes Jahr die Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie nicht erfüllt . Wir alle wissen auch, dass der Hauptverursacher dieses Zustandes die Landwirtschaft ist . Bei allem Verständnis für die Landwirtschaft will ich hier ganz deutlich sagen: Die Verzögerung bei der Umsetzung der Nitratrichtlinie ist nicht dem Umweltressort zuzuschreiben . ({5}) Dass es auch anders geht, zeigt sich beispielhaft in meiner Region, in Lüchow-Dannenberg - Lüneburg . Hier beteiligen sich derzeit 20 landwirtschaftliche Betriebe an einem mehrjährigen niedersächsischen Modellversuch . Diese Betriebe werden in Düngefragen intensiv beraten - und das kostenlos . Das Ergebnis ist, dass bis zu 20 Prozent weniger Düngemittel und damit weniger Nitrat eingesetzt werden . Man kann also sehen: Es funktioniert . Deswegen ist uns und mir als Umweltpolitikerin sehr daran gelegen, dass wir die Verschärfung des Düngemittelgesetzes und der Düngemittelverordnung zur Umsetzung der Nitratrichtlinie schnell verabschieden . ({6}) Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das muss uns klar sein: Wenn wir alle zusammen nicht mehr für die Verbesserung der Wasserqualität tun, dann werden wir in mehrfacher Hinsicht einen hohen Preis dafür zahlen . Ich komme zurück zu dem Gesetzentwurf . Mit der Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes setzen wir ein weiteres Element der Wasserrahmenrichtlinie in nationales Recht um . Wir als SPD-Fraktion stimmen zu . Und wir arbeiten zusammen mit unserer Ministerin weiter intensiv daran, unser Wasser noch besser zu schützen . Vielen Dank . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf zum Wasserhaushaltsgesetz, WHG, übernimmt EU-Vorgaben unverändert in deutsches Recht . Durch ihn werden also Wasserdienstleistungen klarer definiert. An Positivem kann ich zum Gesetzentwurf sagen: Es wird nichts schlechter . Leider verpasst die Koalition jedoch die Chance, unseren, durch verschiedenste Nutzung stark belasteten Bächen, Flüssen und Seen wirklich zu helfen . Und das ist schon fahrlässig . ({0}) Damit Gesetzesänderungen neben dem bürokratischen Sinn auch noch gut für die Gewässer sind, haben wir von der Linken Ihnen zwei Entschließungsanträge vorgelegt . Mit Ihrer Zustimmung könnten Sie dann doch noch etwas Positives für unsere Gewässer erreichen . Der erste Entschließungsantrag schließt eine Gesetzeslücke bei Kleinwasserkraftwerken . Nach § 34 Wasserhaushaltsgesetz dürfen Stauanlagen nur zugelassen werden, wenn die Bewirtschaftungspläne und Bewirtschaftungsziele des Gewässers nicht beeinträchtigt werden . Leider haben Bäche und Gewässer mit weniger als 10 Quadratkilometern Einzugsgebiet keine Bewirtschaftungspläne . Gewiefte Juristen hebeln jetzt über diese Lücke Bestimmungen zum Umwelt-, Natur- und Artenschutz aus, die unsere Gewässer vor umweltschädlichen Kleinwasserkraftwerken schützen sollten . Auch die Betreiber von Schneekanonen nutzen diese Möglichkeit, um Stauanlagen zu bauen . Doch gerade diese oft unbelasteten Kleingewässer sind ein Rückzugsort für viele Tierarten, unter anderem für die vom Aussterben bedrohte Flussperlmuschel und viele Köcherfliegenarten. Schließen wir diese Gesetzeslücke! Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! ({1}) Den zweiten Entschließungsantrag stellt die Linke, so wie die Kollegen von den Grünen, um insbesondere Fracking über das Wasserrecht zu verbieten . Wir wollen, dass für die Wassernutzung, egal ob zur Rohstoffgewinnung, als Kühlwasser oder für die exportierende Landwirtschaft, ein Nutzungsentgelt bezahlt werden muss, welches der Höhe der Belastungen für die Natur entspricht . ({2}) Auch dies würde unseren Gewässern helfen . Mit der Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes wendet die Koalition ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren durch die EU ab . ({3}) Gut . Aber ein anderes Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen Verstoßes gegen die Wasserrahmenrichtlinie läuft derzeit gegen die Bundesrepublik . Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren kämpfen Umweltschützer, Anliegergemeinden, Anglervereine, die Linke, die SPD in NRW und Niedersachsen für eine gesunde Werra und für eine gesunde Weser . ({4}) Fische in diesen Flüssen sehen wie Zombies aus, von Salzwasser zerfressen . Am Ufer entstehen Salzwiesen wie an der Nordsee . Und über den Witz „Was kann man sich bei Fischen aus der Weser sparen? - Das Salzen!“ lacht kein Betroffener mehr . Der Vier-Punkte-Plan von K+S, also Kali und Salz, und Hessen wird von der EU nicht akzeptiert, weil er den guten Zustand für Werra und Weser in eine ferne Zukunft verschiebt . Kali und Salz erzielte zwischen 2010 und 2014 über 2,4 Milliarden Euro Gewinn und schüttete in diesem Zeitraum 937 Millionen Euro an die Aktionäre aus . Der alternative Entsorgungsplan der Firma K-UTEC kostet laut Schätzung des Bundesumweltamtes rund 800 Millionen Euro . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies könnte die Firma Kali und Salz leisten, ohne dass dadurch Arbeitsplätze gefährdet wären . ({5}) Die Linke fordert das Bundesumweltministerium und alle Kolleginnen und Kollegen auf: Jetzt, wo das Wasserhaushaltsgesetz EU-konform ist, sollten wir uns gemeinsam um Werra und Weser kümmern, damit wir auch dieses Vertragsverletzungsverfahren ausräumen können . Vielen Dank . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ulrich Petzold von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Wasserrahmenrichtlinie in der Bundesrepublik de facto längst korrekt umgesetzt . Das hat uns mit seinem Urteil vom 11 . September 2014 die Zweite Kammer des Europäischen Gerichtshofes mit der Zurückweisung der Klage der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik klar bestätigt . Es gibt daher durchaus fundierte Rechtsauffassungen, dass eine formale Umsetzung der Vorgaben des Artikels 9 der Wasserrahmenrichtlinie im Wasserhaushaltsgesetz nicht mehr erforderlich ist, da dieses bereits durch eine Reihe bundes- und landesrechtlicher Vorschriften erreicht ist . Wenn wir jetzt trotzdem eine Gesetzesnovelle vornehmen, ist das der Rechtsklarheit geschuldet . In dem Gesetzentwurf geht es daher nur noch um eine rechtlich saubere Formulierung von Wasserdienstleistung und Wassernutzung sowie Ausnahmen im Kostendeckungsprinzip im Wasserhaushaltsgesetz und nicht um eine allgemeine Öffnung des Gesetzes oder darum, sozusagen im Vorbeigehen gleich auch noch das Fracking zu verbieten . Umso bedauerlicher ist es, dass wir mehrere Anläufe brauchten, um juristische Klippen zu umschiffen . Das ist jetzt endgültig geschafft . Wir können mit der zweiten und dritten Lesung des Vorhabens ein Kapitel abschließen, das wir seit 2009, ja eigentlich seit 2007 ständig behandeln . Wir alle wissen, dass es im Rahmen der Umsetzung noch weiter gehende Wünsche im Bundesrat gibt; doch wir dürfen das grundsätzliche Ziel der Wasserrahmenrichtlinie nicht aus den Augen verlieren: Jegliche Wassernutzung, die die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie gefährdet, ist nach dem Kostendeckungs- und Verursacherprinzip zu behandeln . Wenn also die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie gefährdet sind, sind spezielle ökonomische und fiskalische Instrumente einzusetzen, die sowohl im Bundes- als auch im Landesrecht verankert sein können . Dazu haben sich die Bundesländer ja damals im Wasserhaushaltsgesetz eine Öffnungsklausel erkämpft . Dabei ist im Bundesrecht das Kostendeckungsprinzip so anzuwenden, dass eine Gefährdung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie grundsätzlich nicht zu erwarten ist . Dazu gibt es zwischen Bund und Ländern wohl auch keine unterschiedliche Rechtsauffassung . Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist es jedoch nicht geboten, eine Kostendeckung durchzusetzen, wenn die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie auch ohne eine Abgabe auf die Wassernutzung erreicht werden . Wenn der Wunsch dennoch bestehen sollte, eine solche Wassernutzung, die die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht gefährdet, zu einer Abgabe heranzuziehen, liegt das eindeutig in der Regelungskompetenz der Länder und bedarf daher nur der Nutzung der vorhandenen Öffnungsklausel, die der Bund ja eingeräumt hat . Auffassungsunterschiede zwischen Bund und Ländern gibt es darin - das ist ja auch weidlich von der Opposition aufgegriffen worden -, wie die Öffnung für Wasserentnahmeentgelte zu formulieren ist . Wenn die Grünen in ihrem Änderungsantrag bezweifeln, ob die Formulierung des Bundes nicht doch das verfassungsgemäße Recht der Länder beschneidet, ein Wasserentnahmeentgelt zu erheben, kann ich wiederum nur auf Minister Untersteller aus Baden-Württemberg verweisen, der zwar auch gern die von den Grünen vorgeschlagene Formulierung im Gesetz hätte, aber die Formulierung des Bundes nicht einfach von der Hand weist . Eine Umweltabgabe mit dem wirtschaftlichen Vorteil der Wasserentnahme oder Wassernutzung für den Entnehmenden oder Nutzer zu begründen, ohne dass der Nutzer die ökologischen Ziele der Wasserrahmenrichtlinie gefährdet, halte ich für problematisch . Die Abschöpfung eines ökonomischen Vorteils für einen Nutzer durch eine ökologische Abgabe, ohne dass der Allgemeinheit ein ökologischer Nachteil entsteht, ist für mich ein juristisches Vabanquespiel . Wenn die Länder mit der Nutzung oder Entnahme von Wasser aus einem Gewässer Geld verdienen wollen, dann sollen sie es auch so begründen und nicht noch ökologisch verbrämen . Dazu haben sie eine eigene Regelungskompetenz, die wir mit diesem Gesetzentwurf sogar noch stärken . Im Bergbau wird zur Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile die Förderabgabe genutzt, was von den Ländern sinngemäß genauso gut auf das Allgemeingut Wasser angewendet werden könnte . Ob es sinnvoll ist, die Gewinnung erneuerbarer Energie aus Wasserkraft mit einem Wasserpfennig künstlich zu verteuern, stelle ich hier infrage, insbesondere dann, wenn der Betreiber einer solchen Energiegewinnungsanlage alles getan hat, um zum Beispiel mit Fischrechen und Fischtreppen ökologischen Schaden zu verhindern und dadurch selbst Leistungseinbußen in Kauf nimmt . ({0}) Genauso ist es für mich die Frage, ob man auf die Schifffahrt, eigentlich das ökologisch vorteilhafteste Transportmittel, eine Abgabe erheben muss . Wenn das einige Länder machen wollen, sollen sie es tun . Aber ich bin eigentlich dagegen, dass der Bund das regelt . Wie wichtig es ist, dass in Deutschland seit Langem das Kostendeckungsprinzip bei der Wasserentnahme und der Wassernutzung gilt, ist in seiner ganzen Dramatik in den neuen Bundesländern zu erkennen . Die DDR-Subventionitis hatte dort den Wasserverbrauch in Wirtschaft, Gewerbe und Haushalten in dramatische Höhen schnellen lassen, was letztendlich dazu führte, dass im Sommer Wasserknappheit herrschte, obwohl eigentlich genügend Wasser vorhanden gewesen wäre . So verbrauchte ein DDR-Durchschnittshaushalt pro Tag mehr als 20 Eimer voll Wasser . Schon 1991 sank der Verbrauch in Sachsen-Anhalt, meinem Heimatland, auf 160 Liter pro Tag und Haushalt und stagniert in den letzten Jahren bei circa 90 Liter pro Tag und Haushalt . Damit liegt er etwa 28 Liter unter dem Durchschnittsverbrauch in der Bundesrepublik . Ziele sind also noch zu setzen . Doch auch in der Wirtschaft konnte der Wasserverbrauch in meinem Heimatland sehr stark gesenkt werden . Der Wasserverbrauch sank natürlich mit dem Zusammenbruch der Planwirtschaft ({1}) dramatisch ab; das ist ganz klar . Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die wirtschaftliche Erholung zum Beispiel in der sachsen-anhaltischen Industrie nicht in einer deutlichen Zunahme des Wasserverbrauchs widerspiegelt . Wasserkreislauf und Wassermehrfachnutzung haben sich durchgesetzt . ({2}) - Ja, gerne . - Vom Gesamtverbrauch der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt gehen 48 Prozent des Wasserverbrauchs in eine Kreislaufnutzung, 9 Prozent in eine Mehrfachnutzung und nur noch 43 Prozent in eine Einfachnutzung . Damit ist Sachsen-Anhalt natürlich kein Sonderfall; denn diese Zahlen decken sich mit den Ergebnissen in vielen anderen Bundesländern . Die Bundesrepublik kann auch hier Vorbild sein . Bei dem Ziel der Wasserrahmenrichtlinie, durch eine entsprechende Kostenzuweisung die Ressource Wasser als Lebensgrundlage für kommende Generationen nicht zu übernutzen, sind wir zumindest bei der Wassernutzung auf einem guten Weg . Selbstverständlich gibt es noch genügend Probleme auch in der Bundesrepublik im Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie . Von den zuständigen Behörden werden als wichtigste Verzögerungsursachen bei der Umsetzung der Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zeitaufwendige Genehmigungsverfahren und der Abstimmungsbedarf bei konkurrierenden Interessen genannt . Für mich ist es schon eine Frage, ob für eine Maßnahme zur Verbesserung des hydromorphologischen Zustandes, also der Veränderung des Abflussverhaltens und der räumlichen Ausdehnung eines Gewässers, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen erforderlich sind . Es wird auch weiter eine Aufgabe für die Zukunft bleiben, die Wasserrahmenrichtlinie in einem vernünftigen und nach allen Seiten ausgewogenen Verhältnis ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen . In dem Gesetzentwurf sehe ich eine gute Grundlage dafür . Herzlichen Dank dafür, Frau Ministerin! ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte spricht jetzt Peter Meiwald von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen . ({0})

Peter Meiwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004351, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden, auch wenn der Kollege Petzold das gerade ein bisschen infrage gestellt hat, wieder einmal darüber, wie wir ein Vertragsverletzungsverfahren der EU abwehren und deutsches Recht endlich so anpassen können, dass es EU-rechtskonform ist . Wieder einmal! Aktuell sind 14 Verfahren gegen die Bundesrepublik im Umweltbereich anhängig . Dabei geht es gerade hier um unsere wichtigste Lebensgrundlage - unser Wasser . Was könnte, ja was müsste man alles tun, um diese Ressource zu schützen? Im ehemaligen Umweltmusterland Deutschland liegt vieles im Argen, auch wenn es immer wieder heißt: Wir sind auf einem guten Weg . Wir haben aber die Überdüngung mit Nitraten und Phosphaten; und das Vertragsverletzungsverfahren Frau Lotze hat es angesprochen - wegen Nichteinhaltung der Nitratrichtlinie ist noch lange nicht abgewendet . Also, da bin zumindest ich nicht davon überzeugt, dass das, was jetzt für die Düngeverordnung und für die Düngegesetzgebung vorgelegt wird, ausreichen wird, um die Ziele der Nitratrichtlinie zu erfüllen . ({0}) Wir haben die Wassergefährdung durch Arzneimittel wie Antibiotika aufgrund ihres massiven Einsatzes in der industriellen Tierhaltung, aber eben auch in der Humanmedizin . Wir haben Mikroplastik aus Kosmetika, Autoreifen und Plastikmüll in unserem Wasser und natürlich - es ist angesprochen worden - Salze und Eisenverbindungen aus dem Bergbau in unseren Gewässern . Und nicht zuletzt, Frau Lotze, haben wir Frack-Fluide und Lagerstättenwasser aus der Öl- und Erdgasgewinnung . Diese Novelle wäre doch jetzt ein guter Anlass gewesen, das Vorsorgeprinzip als Leitmotiv deutscher Umweltpolitik endlich wieder einmal etwas hervorzuholen . ({1}) Doch für alle, die darauf gehofft hatten, bleibt nur zu konstatieren: Dieses unambitionierte Gesetz ist im wörtlichen Sinne ein Schlag ins Wasser . Auch zukünftig werden sich Wasserverschmutzer weiträumig der Beteiligung an den Kosten der Herstellung des guten ökologischen und des guten chemischen Zustandes unserer Gewässer entziehen können . Bergbauunternehmen und Landwirtschaft werden dankbar dafür sein, dass Sie ihnen einen Freibrief ausstellen für die Kaperfahrt auf Kosten der lebenswichtigen Ressource Wasser . Dabei schaffen Sie - das ist gerade in Zweifel gezogen worden - durch Ihren Gesetzentwurf auch noch ohne Not neue Rechtsunsicherheit für unsere Bundesländer . Der § 6 a Wasserhaushaltsgesetz in der von der Bundesregierung eingebrachten Fassung könnte dazu führen, dass nur noch solche Wasserentgelte zulässig sind, die der Erreichung der Bewirtschaftungsziele direkt dienen und dafür erforderlich sind . Sie stellen so die Entgeltregelungen der Länder, die gerade noch so hervorgehoben worden sind, zur Disposition . Und das sagt eben nicht nur Kollege Untersteller in Baden-Württemberg, sondern das sagt der Bundesrat in Gänze . Also, hier gibt es durchaus Klärungsbedarf; und es wird versäumt, das jetzt ordentlich zu regeln . ({2}) Es geht dabei nicht um einen Pappenstiel . Wir sprechen von 380 Millionen Euro, die zum Beispiel in 2014 in den Ländern durch die Wasserpfennige, durch die Wasserentnahmeentgelte zur Verfügung gestanden haben: zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, dafür, dass Bewirtschaftungspläne auch mit Geld hinterlegt sind und nicht nur irgendwo als „Plan“ stehen . Und wenn diese Einnahmequelle versiegte, hätte das katastrophale Auswirkungen auf die Länderhaushalte und vor allen Dingen auf die betroffenen Bürgerinnen und Bürger . Ich möchte noch etwas zu den Entschließungsanträgen der Linken sagen . Im Grundsatz teilen wir die Inhalte; das ist völlig klar . Wir haben allerdings bei unserer Prüfung festgestellt, dass sie die Ziele nicht so ganz treffen . Deswegen werden wir uns dazu der Stimme enthalten . Aber das Ziel, zu sagen, wir müssen da vorangehen, ist natürlich im Kern richtig . Dann zur Verpressung: Frau Lotze, ich würde mich ja freuen, wenn wir da so optimistisch sein könnten, dass das Verpassen einer entsprechenden Regelung in dieser Wasserhaushaltsgesetzgeschichte nur dem geschuldet ist, dass Sie ein anderes Gesetz vorbereiten, das dann das Fracking verhindern wird . Wenn das so wäre, wären wir ja alle entspannt und erleichtert . ({3}) Den Optimismus teile ich, ehrlich gesagt, nicht, und ich glaube, viele in diesem Hohen Haus und vor allen Dingen viele in unserer Bevölkerung teilen diesen Optimismus nicht . Fracking wird auf diesem Weg nicht verhindert . Eine Chance ist vertan, und ich sehe nicht, dass Sie als Regierung die Kraft haben werden, etwas vorzubrinUlrich Petzold gen, was das Problem Fracking für unsere Bevölkerung in Zukunft vermeidet und damit dem Vorsorgegrundsatz, den wir aus gutem Grund in Europa haben, endlich zur Durchsetzung verhilft . Schade drum, eine vertane Chance! ({4}) In diesem Sinne: Wir als Grüne haben entsprechend unsere Änderungsanträge und unseren Entschließungsantrag eingebracht . Dem so schwachen Gesetzentwurf ({5}) können wir in dieser Form leider nicht zustimmen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes . - Bei diesem Titel muss ich es richtig ablesen . ({0}) Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7578, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6986 in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/7579? - Bündnis 90/Die Grünen . ({1}) Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalition bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke . Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/7580, ebenfalls Bündnis 90/Die Grünen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Opposition . Wer stimmt dagegen? - Die Koalition . Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden . Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7581 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden . Ich lasse über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7582 abstimmen . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden . Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7583 auf . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Nein . Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beziehungen zu Kuba weiter verbessern Drucksache 18/7541 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in dieser Debatte hat Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke das Wort . ({3})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke sehr, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein schönes Zeichen ist doch die Überschrift unseres Antrages „Beziehungen zu Kuba weiter verbessern“ . Das signalisiert ja, dass wir sehr wohl zur Kenntnis nehmen und uns darüber freuen, dass sich die Beziehungen verbessert haben, heißt aber nicht, dass man an einem Endpunkt angekommen ist . Wir wollen also die Beziehungen weiter verbessern . Das ist unsere Absicht . ({0}) Ich finde es eigentlich angesichts der schwierigen außenpolitischen Themen, über die wir hier öfter diskutieren, sehr schön, einmal ein Thema zu haben, über das man mit etwas Freude reden kann . Für mich sind in den letzten Wochen und Monaten 50 Jahre Eiszeit, die wir in den Beziehungen zu Kuba gehabt haben, so langsam zu Ende gegangen . Die Eiszeit war gekennzeichnet durch die Antwort der USA auf die kubanische Revolution . Es gab eine ganze Serie von Mordanschlägen auf Fidel Castro, die Eiszeit war geprägt durch das Nicht-zurKenntnis-Nehmen der Umgestaltung der kubanischen Gesellschaft und durch eine Geringschätzung der kubanischen Kultur . Kuba sollte für die USA weiter Bordell und Vergnügungsort bleiben . Das ist gestoppt worden . Schon das allein finde ich einen ganz wichtigen Schritt, den ich aus meiner Sicht mit voller Sympathie betrachte und unterstütze . ({1}) Die Eiszeit geht also zu Ende; das Tauwetter beginnt . Aber man weiß nie, gerade in den Tropen, was Tauwetter mit sich bringt . Es lohnt sich, darüber nachzudenken . Man reibt sich die Augen, was plötzlich alles möglich wird. Ich finde es schon fantastisch, dass sich der Papst und der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche in Kuba und nicht woanders treffen, um über die Beziehungen zwischen der katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche zu reden . ({2}) - Ja, ich wäre gern dabei gewesen; das gebe ich zu . Aber leider haben sie mich nicht eingeladen . ({3}) Das war das Missliche dabei . Ich finde ziemlich toll, dass in Kuba ein Friedensabkommen zwischen der Guerilla-Organisation FARC und der Regierung Kolumbiens ausgehandelt worden ist, unter Mithilfe der kubanischen Regierung . Dadurch wird eine offene Wunde in Lateinamerika, dieser furchtbare Bürgerkrieg, endlich geschlossen . Das sind doch Fortschritte, die man begrüßen sollte . Ich weiß nicht, wer von Ihnen einmal die Gelegenheit ergriffen hat, zur Literaturmesse nach Havanna zu fahren . Viele der zurzeit großen, interessanten Schriftsteller aus Lateinamerika kommen aus Kuba: Leonardo Padura und andere . Sie sind in der Gesellschaft wirklich prägend . ({4}) All das könnte auch unsere Gesellschaft bereichern . Wenn es Wirklichkeit werden sollte, dass Obama nach Kuba fährt, dann nehme ich mir zwei Tage frei, um das zumindest am Fernseher mitzuerleben . Ein Treffen von US-Präsident Obama mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro und seinem Bruder Fidel möchte ich gern aufgezeichnet wissen . ({5}) Ich finde, dass Fidel unwahrscheinlich viel geleistet hat . Ich bin sehr glücklich - ich will das auch bei dieser Gelegenheit sagen - über die aktive Tätigkeit vieler Hilfsorganisationen, die Kuba unterstützt haben . Kuba war nie ganz allein; denn Kuba war für die Linke in Deutschland und in Europa immer so etwas wie ein Signal, von dem wir alle profitiert haben. Deswegen geht mein Dank an solche Organisationen wie das Netzwerk Kuba und Cuba Sí . Mit Kuba zusammen eine solche Entwicklungszusammenarbeit zu machen, das hat einen Sinn . Ich sage extra mit Blick auf die SPD: Mein Dank geht auch an Steinmeier, dass er nach Kuba gefahren ist. Ich finde, es ist ein gutes Signal eines deutschen Außenministers, keinen Bogen um Kuba zu machen, sondern dorthin zu fahren . Herzlichen Dank . ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Professor Dr . Egon Jüttner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Egon Jüttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Beziehungen zu Kuba weiter verbessern“ lautet der Titel des Antrags . Ich glaube, wir sind uns alle in diesem Hohen Hause darin einig, dass zwischen Deutschland und Kuba normale und gute Beziehungen aufgebaut werden müssen . Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Kuba hat ein wichtiges Zeichen gesetzt auch für die Entwicklung der Beziehungen Kubas zur Europäischen Union und zu Deutschland . Wir müssen nun alles unternehmen, die im Jahr 1996 zurückgefahrenen Beziehungen wieder aufleben zu lassen und durch entsprechende Abkommen mit Leben zu erfüllen . Ein wichtiger Auftakt hierfür war der Besuch von Außenminister Steinmeier im vergangenen Jahr mit der Unterzeichnung einer Gemeinsamen Erklärung über die Zusammenarbeit beider Länder . ({0}) Darin heißt es - ich darf zitieren -, „dass die Zusammenarbeit darauf abzielt, einen engeren allgemeinen Dialog und Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Bildung, Kultur und Sport zwischen beiden Ländern und ihren Völkern zu fördern . . .“ . Im Klartext heißt das, dass unter anderem ein Kulturabkommen abgeschlossen werden soll, um die Rahmenbedingungen für eine gute Zusammenarbeit im kulturellen Bereich zu schaffen . Dabei gibt es viele Anknüpfungspunkte an erfolgreiche Kulturprojekte der Vergangenheit wie etwa den deutschen Auftritt beim Havanna Filmfestival oder beim Havanna Festival für Alte Musik oder die Deutsche Theaterwoche Havanna . Dazu gehören auch die Verbesserung der Möglichkeit für Deutschunterricht oder der erweiterte Austausch im Hochschulbereich . Ich denke, das Interesse an einer solchen verbesserten Zusammenarbeit ist auf beiden Seiten hoch . ({1}) Der Abschluss eines bilateralen Kulturabkommens ist auch deshalb wichtig, weil dadurch eigenständige Vertretungen des Goethe-Instituts und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes errichtet werden können . Ein weiterer Erfolg, meine Damen und Herren, ist, dass Bundeswirtschaftsminister Gabriel auf seiner Reise nach Kuba im Januar dieses Jahres gemeinsam mit dem kubanischen Außenhandelsminister eine Absichtserklärung unterschrieb, die die Eröffnung eines deutschen Büros zur Förderung von Handel und Investition konkretisierte . Dieses soll deutsche Unternehmen in Kuba über Investitionsmöglichkeiten beraten . Ursprünglich war zwar eine bilaterale Außenhandelskammer von deutscher Seite angestrebt . Nun muss aber das vorgesehene Verbindungsbüro alles unternehmen, damit der Handelsaustausch und die Investitionstätigkeit vorankommen . Bisher ist in diesem Bereich äußerst wenig geschehen . Deutschland möchte mit der Eröffnung eines Büros in Kuba in der schwierigen Zeit der wirtschaftlichen Anpassung Kuba als Partner auf Augenhöhe zur Seite stehen und beraten . Wichtig ist auch, dass die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba wieder aufgenommen wird . Die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit ist seit 2003 eingestellt . Bisher beschränkte sich diese auf Kleinstprojekte der deutschen Botschaft, auf kirchliche Träger und auf wenige deutsche Entwicklungsträger wie die Welthungerhilfe . Hier ist es dringend erforderlich, dass ein deutsch-kubanisches Abkommen zur entwicklungspolitischen Zusammenarbeit abgeschlossen wird . Die nächste Verhandlungsrunde des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit Kuba soll voraussichtlich im Mai 2016 stattfinden. Die Gespräche sind in die Politik der schrittweisen Annäherung eingebunden, für die sich die Bundesregierung entschieden hat . Meine Damen und Herren, auch wenn es in der Frage der Menschenrechte, der bürgerlichen Freiheiten, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Presse- und Versammlungsfreiheit in Kuba weiterhin Defizite gibt, so sollten wir den eingeschlagenen Weg einer besseren Zusammenarbeit mit Kuba fortsetzen . Ein Dialog über Menschenrechte ist eher möglich, wenn man ohnehin im Gespräch ist und in bestimmten Bereichen bereits zusammenarbeitet: ({2}) etwa bei der Modernisierung der Infrastruktur, in der Landwirtschaft oder bei der Förderung erneuerbarer Energien . Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass es in Kuba allmählich zu einem Wandel und somit auch zu einem besseren Leben für die Menschen dort kommen wird . Ich danke Ihnen . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Tom Koenigs von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Wolfgang Gehrcke, dieser Antrag sagt „Achtung der Souveränität und Nichteinmischung“ . Mit diesen beiden Begriffen hat die Sowjetunion 25 Jahre den Sicherheitsrat blockiert . Das ist die Sprache des Kalten Krieges . Wollt ihr das wirklich, die Nichteinmischung in menschenrechtlichen Fragen? ({0}) Wir kämpfen doch gerade dafür, dass wir uns einmischen . Die Europäische Gemeinschaft hat ein einziges Mal einen Gemeinsamen Standpunkt bezogen und auch durchgehalten und hat darin die Zusammenarbeit mit Fortschritten bei den Menschenrechten konditioniert . Ein einziges Mal ist das geschehen, und da sagt ihr: Der Gemeinsame Standpunkt soll aufgegeben werden? ({1}) Der Antrag atmet noch ein Zweites aus, nämlich: Auf die politischen Rechte achten wir mal nicht so genau, aber die sozialen Rechte in Kuba werden gefeiert . ({2}) Das ist zwar zweifellos wichtig, aber dies ist genau die Auseinandersetzung, bei der jeder Menschenrechtler sagt: Die Menschenrechte sind unteilbar . ({3}) Das war aber auch - vielleicht verstehst du das da besser - die Auseinandersetzung zwischen Rosa Luxemburg und Lenin . Sie hat immer gesagt: Die Freiheit muss auch mit den wirtschaftlichen Fortschritten einhergehen . - Für die Austragung dieses Widerspruchs sind Millionen in den Gulags gestorben . ({4}) Wenn du das nicht weißt, dann frag doch mal bei deiner Taschen-Rosa-Luxemburg nach, die weiß das, oder bei der Stiftung . ({5}) Der Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union sagt ganz deutlich, dass das Ziel ein Prozess des Übergangs in eine pluralistische Demokratie ist . Selbst Raúl Castro ist dafür; denn das ist genau das, was aus den Verhandlungen mit der FARC herauskommen soll . Wenn es nämlich in Kolumbien keine pluralistische Demokratie gibt, dann kann die FARC sich auch nicht am politischen Prozess beteiligen . Die sind da also schon viel weiter . Deshalb muss man dies auch unterstützen . Es wird im Gemeinsamen Standpunkt weiterhin gesagt, dass die Europäische Union den Standpunkt vertritt, „eine umfassende Zusammenarbeit mit Kuba von Fortschritten im Bereich der Menschenrechte und der politischen Freiheit“ abhängig zu machen . Was ist denn dagegen zu haben? Außerdem wird richtigerweise gefordert - das fehlt in diesem Antrag völlig -, dass die „Entlassung aller politischen Häftlinge und die Einstellung der Schikanierung und Bestrafung von Dissidenten“ zu fördern ist . Diese Zivilgesellschaft - eine aktive Zivilgesellschaft - wird Kuba dringend brauchen . ({6}) Denn es ist ja nicht so, dass das Land einfach geöffnet werden soll . Die Investoren aus den USA stehen doch schon da . Dieses Land und alle seine Fortschritte, aber auch seine politischen Freiheiten werden ausverkauft selbst wenn es diese Freiheiten gewinnt -, wenn es keine politisch aktive, ungemütliche und auch dissidente Zivilgesellschaft gibt . Deshalb: Setzen wir uns weiter für die Prinzipien des Gemeinsamen Standpunktes ein! Unterstützen wir die dortige Zivilgesellschaft und laufen nicht alten 60er-, 50er-, 40er-Jahre-Standpunkten wie Souveränität und Nichteinmischung hinterher! ({7}) Wir brauchen in Kuba eine aktive Zivilgesellschaft, wir brauchen Dissidenten, wir brauchen mehrere Parteien, und wir brauchen politische Freiheit . Venceremos! ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Klaus Barthel von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast hätte ich gesagt: Liebe Kubanerinnen und Kubaner! ({0}) Aber das haut dann doch nicht ganz hin . Momentan geben sich die Staatschefs in Kuba die Klinke in die Hand . Im letzten Jahr gab es, glaube ich, einen Zuwachs von 25 Prozent an deutschen Touristen . Das heißt also: Da tut sich offensichtlich etwas . Ich glaube, zu dem, was in der Überschrift des Antrags steht, kann man auf jeden Fall feststellen: Wir machen das . - Das stellt der Antrag ja auch richtigerweise fest . Aber es ist auch richtig und wichtig, darüber zu sprechen . Sie haben auch die Initiativen der Bundesregierung gewürdigt . Sigmar Gabriel hat bei seinem Besuch in Havanna ausdrücklich von einer neuen Phase der Beziehungen gesprochen . Wir fordern schon lange, wie es im Antrag steht, die Blockade aufzuheben . Es gibt entsprechende Beschlüsse der UN-Vollversammlung . Wir haben uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer dafür eingesetzt, dass zumindest der europäische Standpunkt aufgehoben oder korrigiert wird . Da gibt es, glaube ich, inzwischen einen breiten Konsens . Den europäischen Standpunkt hält sowieso niemand oder fast niemand in Europa ein . Wir begrüßen, dass es jetzt diplomatische Beziehungen zwischen den USA und Kuba gibt, dass es den Gefangenenaustausch gibt - Stichwort „Cuban Five“ -, dass einzelne Boykottmaßnahmen jetzt von Obama aufgehoben worden sind, dass es Flugverbindungen geben soll, dass der Präsident selber nach Kuba reisen wird . Ich glaube, das Wichtige daran ist, dass das nicht nur ein Signal an die Kubaner ist, sondern an die ganze Region, an ganz Lateinamerika, weil sich diese Länder gemeinsam dafür eingesetzt haben, die künstliche Isolierung des Landes zu beenden . Damit wurde eben auch - das ist ja schon gesagt worden - die Rolle Kubas bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei den diplomatischen Bemühungen in Bezug auf Kolumbien gewürdigt . Im Antrag fehlt allerdings ein Blick auf die Entwicklung in Kuba selber . Ich glaube, sowohl Gehrcke als auch Tom Koenigs sind da einfach irgendwo stehen geblieben . Seit den Zeiten des Kalten Krieges hat sich in dem Land einiges verändert . Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen . Es gibt nämlich inzwischen eine deutliche Selbstkritik an den Zuständen im Land . Auch Raúl Castro sagt: Die Blockade ist nicht an allem schuld, was bei uns zum Beispiel wirtschaftlich schiefläuft. Es gibt zu viele einseitige Abhängigkeiten, momentan von Venezuela und früher von der Sowjetunion . Wir brauchen Korrekturen zum Beispiel in unserem Wirtschaftssystem . Es wird aber gehandelt . Seit 2011 gibt es die Aktualisierung des Modells . Es gibt über 600 neue Rechtssetzungen . Es gibt Reisefreiheit und weniger Repression . Tom Koenigs, das muss man einfach zur Kenntnis nehmen . Es gibt mehr und mehr Zugänge zum Internet, selbstständige Unternehmen und zumindest das BeTom Koenigs mühen, die Produktivität im Staatssektor zu erhöhen . Weiterhin gibt es ein neues Investitionsgesetz . Auch darüber müsste man einmal etwas sagen . Des Weiteren müsste man mehr darüber diskutieren, dass es sich nicht mehr um die alte Welt handelt . Zum Beispiel gibt es jetzt auch den Erfolg, dass Kuba seine Schulden im Pariser Club abwickeln kann . Worauf kommt es also in dieser Situation an? Über diese Frage sollten wir, glaube ich, reden . Ich bin froh, dass Kollege Jüttner es auch so sieht, dass wir jetzt gegenseitiges Vertrauen aufbauen müssen . Es kommt darauf an - das hat auch Sigmar Gabriel bei seinem Besuch so formuliert -, dass wir alle Gespräche auf Augenhöhe führen und nicht irgendwelche Vorbedingungen stellen . Tom Koenigs, so kämen wir auch in Kolumbien nicht weiter, wenn wir vorher darauf bestünden, dass alle das akzeptieren, was wir so gewohnt sind . Wenn wir so vorgingen, kämen wir bei Verhandlungen keinen Zentimeter voran . Ich glaube, es ist wichtig, dass wir respektieren, dass Kuba seinen eigenen Weg gehen und nicht neue Abhängigkeiten produzieren will . Das Land will, dass es keine Rekolonialisierung - zum Beispiel durch die USA - gibt. Es muss seine Wirtschaft diversifizieren. Dabei muss es seine eigenen Bedürfnisse beachten . Das müssen wir akzeptieren und dann versuchen, die Beziehungen auf voller Breite weiterzuentwickeln . Kollege Jüttner hat die wesentlichen Punkte genannt . Natürlich muss sich aber auch die Regierung in Kuba noch ein ganzes Stück bewegen . Wenn es Investitionen geben soll, muss es weniger Bürokratie, Vorschriften und Gängelung geben . Es muss mehr Bewegungsmöglichkeiten auch für nichtstaatliche Einrichtungen - für die Außenhandelskammern, die politischen Stiftungen usw . - geben . Man muss insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen entgegenkommen, damit auch sie - auch wenn sie nicht riesige Rechtsabteilungen unterhalten können, die sich mit der kubanischen Bürokratie auseinandersetzen - dort investieren können . Und es muss noch vieles mehr geschehen . Zum Schluss müssen wir, glaube ich, einen Schritt weiter gehen . Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, dass die Lage in Kuba und in Lateinamerika relativ ruhig ist und dass es dort Fortschritte gibt . Man ist heute ja schon froh, wenn es irgendwo auf der Welt einmal keinen Bürgerkrieg, Krieg oder Chaos gibt . Wir müssen uns aber auch darüber klar sein, dass in Lateinamerika die Lage nicht überall glänzend ist . Sie ist sehr labil und von Land zu Land sehr differenziert zu sehen . Ich nenne in diesem Zusammenhang die Themen Rohstoffe und Krise der Schwellenländer . Es gibt Probleme im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung in China . Der Klimawandel trifft Kuba zum Beispiel sehr stark, aber auch andere Länder der Region . Wir sollten also unser Interesse für eine solche Region nicht erst dann entdecken, wenn es wieder Mord und Totschlag gibt . Wir sollten das tun, bevor die nächste Krise kommt . Kuba sollten wir dabei unterstützen, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen . Wir sollten versuchen, mit unseren Instrumenten - das sind KfW-Kredite, Hermesbürgschaften usw . - die Investitionen in diesem Land zu unterstützen . Es gibt ja einen Vorschlag, der über 300 Projekte einbezieht . Dazu hat Kuba eigene Vorstellungen entwickelt . Wir sollten die internationale Rolle Kubas stärken und stützen und auch die sozialen und ökologischen Aspekte beachten . Zum Schluss . Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Wandel, den es in Kuba selber, aber auch von den USA aus gibt, eine Unterstützung braucht, wenn er erfolgreich sein und eine eigene Dynamik entwickeln soll; denn da ist noch viel zu tun . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner hat Charles Huber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! ({0}) Herr Kollege Gehrcke, es ist, wie Sie es gesagt haben: Wir kämpfen heute im Plenum ein bisschen um den Heiligenschein. „Wer mich sucht, findet mich in Kuba“, lautet ein Spruch einer bekannten Persönlichkeit . Ich sage es mal so: Wer da war, kann das ein bisschen nachvollziehen . Wer durch die Altstadt von Havanna gelaufen ist, weiß, was es mit diesem Spruch auf sich hat . Einige, die nach Kuba reisen, sagen: Ich will da noch mal hin, bevor alles anders wird . - Ich denke, genau dieses Anderswerden ist das, was uns deutsche Politiker beschäftigt - das kam in den vorangegangenen Reden zum Ausdruck -, zugegebenermaßen beschäftigt dies aber auch die Kubaner, nämlich, wie dieses Anderssein dann aussehen mag, in welcher Form es sich vollzieht und inwiefern der mögliche Wegfall der Sanktionen im Kontext zur heiß diskutierten Systemfrage steht . In puncto Menschenrechte möchte ich sagen: Aus geschichtlicher Perspektive war Kuba vor der Revolution de facto ein Apartheidstaat, ein Staat, in dem Benachteiligung und sogar Sklaverei ein wesentlicher Teil des Systems waren . Und wenn wir über Menschenrechte in Kuba reden, sollte dies auch hier einmal Erwähnung gefunden haben . ({1}) Kuba muss seine Wirtschaft diversifizieren, um eine nachhaltige Entwicklung erreichen und somit sozialen Frieden garantieren zu können, und dafür muss es auch eine Diversifizierung seiner Wirtschaftspartnerschaften herbeiführen, und dies - sage ich einfach mal so möglichst außerhalb sozialistisch geprägter Systeme . Kollege Gehrcke, wir sind uns in vielen Punkten einig; aber ich denke, dieser Punkt ist bei uns beiden die Krux . Werfen wir einen Blick auf sozialistisch geprägte Systeme, sehen wir, dass es diesen auch in den Zeiten hoher Rohstoffpreise nicht gelungen ist, stabile Volkswirtschaften aufzubauen, bzw . sie den Versuch erst gar nicht unternommen haben . Wenn wir von Wirtschaftspartnerschaften reden, dann ist festzuhalten, dass Deutschland für Kuba zweifellos ein starker und verlässlicher Partner wäre . 1 200 mittelständische deutsche Firmen sind Weltmarktführer in ihrer Technologie . Diese könnten den Kubanern helfen, Kapazitäten in vielen Sektoren aufzubauen, damit Kuba nicht ausschließlich auf den Tourismus angewiesen ist . Ich denke hierbei ganz besonders an das System der dualen Ausbildung . Was man Kuba zugutehalten muss, ist, dass es der Bevölkerung den Zugang zum Bildungssystem und zu kompetenter medizinischer Versorgung ermöglicht hat . ({2}) Das ist gerade im lateinamerikanischen Vergleich vorbildlich . Zum Thema Sicherheit sei gesagt: Gehen Sie durch die Straßen Havannas, egal zu welcher Tageszeit - Sie können sich sicher fühlen . Auch das ist im globalen, zumindest aber im regionalen Kontext - das weiß jeder, der die mittelamerikanische Region kennt - schon fast ein Alleinstellungsmerkmal . Dass man diese positiven Errungenschaften in eine mögliche neue Ära hinüberrettet, ist für das Land und seine Regierung mit Sicherheit eine große Herausforderung; aber es wäre sicherlich sinnvoll . Eine ähnliche, aber wesentlich kompliziertere Aufgabe stellt meines Erachtens die Besitzfrage dar . Hier muss im Hinblick auf den sozialen Frieden auch darauf geachtet werden, dass der Großteil von Gebäuden und Besitztümern nicht nur auf ein paar wenige zurückfällt, und zwar auf jene, die vorher im Land das Sagen hatten und mittlerweile im Ausland leben . Denn bereits jetzt hat in Bezug auf Transferleistungen der Teil der Bevölkerung deutliche ökonomische Vorteile, der Verwandte außerhalb des Landes hat . Die kubanische Regierung hat aber bereits angekündigt, einer Ghettoisierung dahin gehend entgegenzuwirken; denn das ist ein großes Problem sehr erfolgreicher südamerikanischer Volkswirtschaften - Beispiel Brasilien . Menschen, die in der Innenstadt von Havanna wohnen, soll ermöglicht werden, auch nach der Renovierung der Häuser dort zu bleiben . Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt . ({3}) Wir haben einen hervorragenden Botschafter in Kuba - das sage ich vor dem Hintergrund der Reise, die wir, Klaus, gemeinsam getätigt haben -, der für die Reise, die zu Beginn des Jahres stattgefunden hat, ein tolles Programm zusammengestellt hat . Professor Jüttner hat das Kulturabkommen angesprochen, das hoffentlich vor einer baldigen Unterzeichnung steht . Es liegt nicht an Deutschland, dass das noch dauert; Kuba lässt uns ein bisschen warten . Wir haben diesen Punkt bei Vizepräsident Bermudez dezidiert angesprochen . Was Kultur im Bereich des Marketing eines Landes bewirken kann, verdeutlicht der Film Buena Vista Social Club meines ehemaligen Kollegen Wim Wenders auf besonders beeindruckende Art und Weise . Präsident Obama wird als erster amtierender Präsident nach 88 Jahren Kuba besuchen . Das ist ein gutes Zeichen . Ich bin mir nicht sicher, was das Datum angeht . ({4}) - In einem Monat, vielen Dank . Kuba muss sicher nicht in der Systemfrage das „alte“ Kuba bleiben . Es braucht vielmehr eine Erneuerung, aber eben eine sanfte .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, das ist ein schöner Abschlusssatz . Sie müssen nämlich sofort zum Schluss kommen .

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sofort fertig . Ich muss eines noch loswerden . - Das Modell der sozialen Marktwirtschaft wäre hier sicher keine schlechte Variante . Das Land muss seine gesamte Bevölkerung in dieser Phase mitnehmen, damit aus den Gewinnern der Revolution nicht die Verlierer der Transformation werden . ({0}) Vielen Dank, Frau Präsidentin . ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7541 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall, sonst würde sich jetzt jemand hier regen . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19 . Februar 2016, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend .