Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie alle
herzlich begrüßen - bei gutem Wetter und hoffentlich
ähnlich guter Laune . Zur Beförderung derselben möchte
ich vor Eintritt in die Tagesordnung den Kollegen Ernst
Dieter Rossmann, Bernhard Schulte-Drüggelte und
Karl Lamers, die seit der letzten Sitzungswoche ihren
65 . Geburtstag gefeiert haben, ebenso herzlich gratulieren
({0})
wie dem Kollegen Alois Gerig, der gestern Glückwünsche zu seinem 60 . Geburtstag entgegennehmen konnte . Ihnen allen noch einmal alle unsere geballten guten
Wünsche für das neue Lebensjahr .
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen in Syrien nach den Angriffen der Türkei auf syrisch-kurdisches Gebiet
({1})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck ({2}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Demokratie stärken - Dem Hass keine Chance
geben
Drucksache 18/7553
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Stand der Aufklärung und Konsequenzen aus
dem Abgasskandal
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn
({4}), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen Bundesweite Statistik einführen
Drucksache 18/7547
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({5})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
ZP 5 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren
Drucksache 18/7538
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({6})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Dr . Franziska Brantner, Beate WalterRosenheimer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte von Kindern im Asylverfahren stärken
Drucksache 18/7549
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({7})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Dabei handelt es sich unter anderem um das Asylpaket II . Von der Frist für den Beginn der Beratungen
soll, soweit erforderlich, abgewichen werden . Der Tagesordnungspunkt 5 - hier geht es um Anträge zum Thema
„Schlussfolgerungen aus den Pkw-Abgasmanipulationen“ - soll abgesetzt und stattdessen der Antrag mit dem
Titel „Demokratie stärken - Dem Hass keine Chance
geben“ beraten werden . Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 14 abgesetzt und an dieser Stelle der Antrag mit
dem Titel „Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen Bundesweite Statistik einführen“ debattiert werden . Die
Tagesordnungspunkte 10 und 20 sollen ihre Plätze tauschen und der Tagesordnungspunkt 22 c zusammen mit
dem Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen werden . Wenn
Sie mit all dem einverstanden sind und eine ungefähre
Vorstellung über die sich daraus neu ergebende Abwicklung der Tagesordnung erhalten haben,
({8})
werden Sie vermutlich auch zustimmend zur Kenntnis nehmen, dass es noch mehrere nachträgliche
Ausschuss überweisungen gibt, die im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufgeführt sind:
Der am 14 . Januar 2016 ({9}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Finanzausschuss ({10}) zur Mitberatung überwiesen
werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse
und verwandte Erzeugnisse
Drucksache 18/7218
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({11})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Der am 28 . Januar 2016 ({12}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({13}) zur
Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen
der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung ({14}) Nr. 537/2014 im Hinblick auf
die Abschlussprüfung bei Unternehmen von
öffentlichem Interesse ({15})
Drucksache 18/7219
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({16})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Dies alles nehmen wir hiermit förmlich, zustimmend,
einvernehmlich zur Kenntnis und verfahren heute dann
so .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte
({17})
Drucksache 18/7482
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({18})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss
Die dazu vorgesehene Debatte soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung 77 Minuten dauern . - Auch
dazu darf ich Einvernehmen feststellen . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die
Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär
Michael Meister .
({19})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
bringen heute den Gesetzentwurf zum Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz in den Deutschen Bundestag
ein . Damit setzen wir eine Reihe von Rechtsakten aus
der Europäischen Union in deutsches Recht um . Es geht
darum, dass wir im Nachgang zur Finanzkrise mehr Integrität und mehr Transparenz in die Finanzmärkte bekommen und insbesondere der Anlegerschutz weiter gestärkt
wird .
Wir haben als Reaktion auf die Finanzkrise bereits
eine Reihe von Maßnahmen - insgesamt sind es 40 - in
diesem Sinne auf europäischer Ebene verabschiedet und
umgesetzt . Damit haben wir versucht, die Konsequenz
bzw . die Schlussfolgerung aus dem zu ziehen, was auf
dem amerikanischen Immobilienmarkt geschehen war,
was dann aber aufgrund der Situation, dass wir intransparente Kapitalmarktstrukturen und intransparente Kapitalmarktprodukte hatten, vom amerikanischen Immobilienmarkt bis hierher zu uns kam und sich in unsere
europäischen Finanzmärkte hineinfraß .
Höhepunkt dieser Entwicklung war die Insolvenz von
Lehman Brothers . Ich habe eben erwähnt, dass wir 40
Maßnahmen umgesetzt haben . Dennoch müssen wir uns
darüber klar sein, dass wir auch mit Blick auf die Zukunft vor neuen Herausforderungen stehen . In diesem
Zusammenhang will ich nur das Thema „Allokation von
Finanzmitteln vor dem Hintergrund der Niedrigzinsphase“ sowie die geopolitischen Risiken, die sich auftun,
erwähnen . All dies kann zu neuen Instabilitäten führen .
Deshalb sind wir gut beraten, rechtzeitig präventiv an
mehr Integrität, Stabilität und Transparenz zu arbeiten .
Um deutlich zu machen, was wir bisher auf den Weg
gebracht haben, nenne ich zum einen die Verschärfung
der Eigenkapitalanforderungen und das Zusammenbringen von Entscheidungen und Haftung . Das Risiko muss
Präsident Dr. Norbert Lammert
bei dem liegen, der auch die Gewinnchancen wahrnimmt .
Zum Zweiten geht es um die Frage, wie wir über europäische Banken Aufsicht führen . Wir haben gesehen, dass
rein nationale Ansätze zu kurz greifen und wir deshalb
eine europäische Lösung benötigen .
Beim Thema Abwicklungsmechanismus - dabei geht
es um den Fall, dass Banken in Schieflage kommen haben wir das Gleiche gemacht . Auch dort haben wir
eine europäische Lösung implementiert . Ich glaube, es
ist richtig, dass wir die Verantwortung vom Steuerzahler genommen und dem auferlegt haben, der Eigentümer
und Gläubiger ist . Es ist in unserer Wirtschaftsordnung
so, dass nicht der eine die Chancen hat und der andere
die Risiken trägt .
Ich habe relativ wenig Verständnis, dass in der jetzigen Situation, wo wir auf diese neuen Herausforderungen zugehen, einige darüber diskutieren, ob wir das, was
wir an Bail-in-Regeln geschaffen haben, möglicherweise
aussetzen oder aufheben sollten . Ich glaube, gerade jetzt
kommt es darauf an, dass wir Kurs halten und die implementierten Regeln auch wirken lassen, meine Damen
und Herren .
({0})
Wir haben eine Diskussion über die Frage, inwieweit
Risiken in Europa vergemeinschaftet werden sollen .
Dazu gibt es Vorschläge der Kommission . Ich möchte
ganz klar und deutlich sagen: Das kann nicht die Antwort
auf die Herausforderungen sein . Wir brauchen nicht die
Vergemeinschaftung von Risiken, sondern wir benötigen
dringend den Abbau vorhandener Risiken . Dazu muss jeder, der als Aufseher, als Politiker, aber auch als Mitglied
von Organen der verschiedenen Institute Verantwortung
trägt, seinen Beitrag leisten . Deshalb sagen wir Nein zu
weiterer Vergemeinschaftung, aber Ja zum Abbau und
zur Reduzierung dieser Risiken, meine Damen und Herren .
({1})
Die Europäische Union hat Vorschläge zum Thema
Kapitalmarktunion unterbreitet . Wir sind der Meinung,
dass es durchaus sinnvoll ist, darüber nachzudenken, ob
wir gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen
neben den bestehenden Finanzierungswegen weitere
Finanzierungswege öffnen sollten . Das ist ein richtiger
Ansatz . Es geht aber nicht darum, bestehende Wege zu
begrenzen, sondern darum, mehr Wettbewerb und Alternativen zu schaffen . In diesem Sinne sind wir offen, die
Diskussion darüber zu führen, wie wir eine Kapitalmarktunion ausgestalten können .
Ich möchte den Kollegen im Deutschen Bundestag
ausdrücklich Danke sagen, weil wir an einigen Stellen
schneller vorangegangen und auch weiter gegangen sind,
als es uns das europäische Recht vorgibt . Ich nenne an
dieser Stelle den Hochfrequenzhandel, wo wir zügiger
gehandelt haben, als dies von europäischer Seite aus vorgegeben war . Weiter nenne ich den grauen Kapitalmarkt,
wo wir über das Kleinanlegerschutzgesetz auch national
einen Schritt nach vorne gemacht haben .
In diesem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz
wird die Umsetzung verschiedener europäischer Verordnungen bzw . Richtlinien mit ihren Konsequenzen in
nationale Gesetzgebung vorgeschlagen . Wir hatten eigentlich die Absicht, Ihnen mit diesem Gesetz auch die
Umsetzung der überarbeiteten Finanzmarktrichtlinie
MiFID II und der entsprechenden Verordnung MiFIR
vorzulegen . Es ist leider so, dass auf europäischer Ebene die Ausgestaltung auf der zweiten Ebene nicht zügig
genug vorangegangen ist . Deshalb können wir dies nicht
mit diesem Gesetz vorlegen und werden dazu zu einem
späteren Zeitpunkt einen eigenen Gesetzgebungsvorschlag unterbreiten . Insofern ist in diesem Finanzmarktnovellierungsgesetz die Marktmissbrauchsrichtlinie, die
Marktmissbrauchsverordnung der Europäischen Union,
die EU-Verordnung über die Zentralverwahrer und die
EU-Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte enthalten .
Zum Inhalt der einzelnen Verordnungen bzw . Richtlinien: Die neue Marktmissbrauchsverordnung regelt
EU-weit einheitlich und mit unmittelbarer Geltung das
Verbot des Marktmissbrauchs, also das Verbot des Insiderhandels und das Verbot der Marktmanipulation sowie
die Anforderungen an eine Ad-hoc-Publizität . Die Verordnung baut dabei auf bestehenden Vorgaben der bisherigen Marktmissbrauchsrichtlinie auf und erstreckt
diese insbesondere auf weitere Finanzinstrumente und
Handels plätze .
Die EU-Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen bei
Marktmanipulation harmonisiert EU-weit die Straftatbestände und Rechtsfolgen von Marktmissbrauch . Der
in Deutschland schon heute geltende Strafrahmen bei
Marktmissbrauch von Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren
oder Geldstrafe bleibt dabei erhalten .
Die Zentralverwahrerverordnung, CSDR, legt Anforderungen an die Zulassung und laufende Aufsicht über
die Zentralverwahrer sowie an Bankgeschäfte im Zusammenhang mit der Zentralverwahrertätigkeit fest . Die
Verordnung verbessert zudem Wertpapierlieferungen in
der Europäischen Union durch Festlegung eines einheitlichen Liefertermins für übertragbare Wertpapiere auf
zwei Tage sowie die Festlegung von Maßnahmen gegen
gescheiterte Wertpapierabwicklungen wie zum Beispiel
die Einleitung eines Eindeckungsvorgangs .
Die PRIIP-Verordnung führt ein EU-weit einheitliches
Produktinformationsblatt für verpackte Anlageprodukte
für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte ein .
Damit werden die Transparenz und das Schutzniveau für
Kleinanleger auf dem Anlagemarkt verbessert .
Wir folgen bei der Umsetzung dieser Richtlinien
dem Prinzip der Eins-zu-eins-Umsetzung europäischen
Rechts in deutsches Recht . Zudem werden allerdings
auch nationale Regelungen in einigen wenigen Bereichen geändert, um Regelungslücken zu vermeiden und
eine angemessene Aufsicht sicherzustellen .
Die mit dem vorliegenden Gesetz umzusetzenden
EU-Rechtsakte haben unterschiedliche Umsetzungsfristen . Deshalb wird auch dieses Gesetz gestaffelt in Kraft
treten, im zweiten Halbjahr 2016 - so, wie es die jeweiligen EU-Rechtsakte als Grundlage vorsehen .
Meine Damen und Herren, bei der Anpassung unserer
bestehenden Finanzmarktgesetze fassen wir insbesondere
folgende Gesetze an: zum einen das Wertpapierhandelsgesetz . Hier werden zahlreiche Vorschriften aufgehoben,
deren Inhalt künftig unmittelbar in der entsprechenden
europäischen Verordnung geregelt wird . Dies betrifft insbesondere den vorhin angesprochenen Insiderhandel, das
Thema Marktmanipulation und die Ad-hoc-Publizität .
Im Kreditwesengesetz werden vor allem die Aufsichtsbefugnisse der BaFin in Bezug auf die Zentralverwahrer an
die Anforderungen der EU-Verordnung angepasst . In das
Börsengesetz, das Kapitalanlagegesetzbuch und das Versicherungsaufsichtsgesetz werden die Ausführungen der
PRIIP-Verordnung entsprechend eingearbeitet . Der Anwendungsbereich des Vermögensanlagengesetzes wird
angepasst, um Aufsichtslücken bei den Direktinvestments in Sachgüter zu schließen .
Ich habe vorhin das Thema Sanktionen angesprochen . Der Bußgeldrahmen bei Verstößen wird auf bis zu
20 Millionen Euro festgelegt . Wir führen bei juristischen
Personen ein Bußgeld ein, das bis zu 1,5 Prozent des Umsatzes dieser juristischen Person betragen kann .
Ich glaube, das ist ein sehr breites, sehr weites Gesetzgebungswerk . Ich hoffe darauf, dass wir in der vorgesehenen Zeit dazu kommen, diese europäischen Vorgaben
in nationales Recht umzusetzen und damit einen Beitrag
zu leisten, dass unsere Finanzmärkte noch stabiler, noch
transparenter für die Teilnehmer werden und damit ein
Stück weit mehr Sicherheit für alle gegeben ist . Ich freue
mich auf die Diskussionen in den entsprechenden Fachausschüssen .
Danke sehr .
({2})
Für die Fraktion Die Linke erhält die Kollegin
Karawanskij nun das Wort .
({0})
Schönen guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir steigen heute
in den ersten Teil einer umfassenden Überarbeitung von
verschiedenen Finanzmarktgesetzen ein . Die Bundesregierung versucht damit - Herr Meister, Sie haben es
gerade dargestellt -, die Finanzmärkte stabiler und transparenter zu machen und auch den Anlegerschutz zu verbessern .
({0})
Dafür drehen Sie an einer Reihe von Schrauben, aber ich
muss leider feststellen: Die Schrauben sind immer noch
zu locker .
({1})
Sie justieren nach, aber wirklich Stabilität auf den Finanzmärkten sowie im Verbraucherschutz schaffen Sie
damit nicht .
Ich möchte einen Punkt herausgreifen, nämlich die
Stärkung der Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse
der Finanzaufsicht, der BaFin . Vor nicht allzu langer
Zeit wurde im sogenannten Kleinanlegerschutzgesetz
der BaFin die Möglichkeit zur Produktintervention bei
Marktmissbrauch eröffnet . Sie darf also den Vertrieb von
Finanzinstrumenten gegebenenfalls sogar untersagen .
Das war ein wichtiger Schritt, den wir als Linke immer
gefordert haben . Man könnte jetzt auch sagen: Links
wirkt! Die BaFin hat also Eingriffsinstrumente, aber es
kommt doch darauf an, dass sie diese auch entschieden
nutzt . Daher sollte unmissverständlich klargemacht werden, dass die BaFin bei Missbrauch von ihrem Interventionsrecht Gebrauch machen muss . Sie muss auch dahin
gelangen, dass sie Finanzinstrumente und -praktiken vermehrt einer inhaltlichen Prüfung anstatt wie bislang nur
einer formalen Prüfung unterzieht .
({2})
Zum zweiten Punkt: Verbraucherschutz . Hier sitzt
die Schraube bei der Bundesregierung tatsächlich noch
zu locker . Auch wenn die Finanzaufsicht noch so genau
prüft: Es wird weiterhin Anlagepleiten geben, die auch
Kleinanleger treffen . Kleinanleger sind meist auf sich
selbst gestellt . Ihnen fehlen die Informationen bzw . die
Möglichkeiten, ihre Rechte durchzusetzen . Es wird auf
Verjährung gespielt . Die Prospekte sind zum Teil nicht
auf Deutsch . Die meisten Anleger haben keine Rechtsschutzversicherung . Die meisten Emittenten, deren
Produkte Anleger geschädigt haben, haben schlichtweg
keine Konsequenzen zu befürchten - vielleicht mal eine
vereinzelte Klage, aber meistens sitzen sie die Pleite aus .
Es wird nicht nur auf den Finanzmärkten spekuliert, es
wird ebenso darauf spekuliert, dass sich die Anleger
nicht adäquat wehren können . Da kann es doch nicht
angehen, dass hier weiterhin suggeriert wird, man wolle
Transparenz schaffen, aber nicht tatsächlich stärker zum
Wohle der Anleger durchgegriffen wird .
({3})
Das Problem besteht doch darin, dass die BaFin erst
dann eingreift, nachdem ein Finanzinstrument bereits auf
dem Markt ist . Wir als Linke plädieren für eine Umkehr,
nämlich für eine vorgelagerte Zulassungsprüfung für Finanzinstrumente, am besten auf europäischer Ebene . Das
heißt, der Emittent müsste beweisen, dass sein Finanzinstrument gesamtgesellschaftlich und vor allen Dingen
volkswirtschaftlich unbedenklich ist . Erst danach wird
ein Finanzinstrument ausdrücklich zugelassen . Wenn es
den Zulassungskriterien nicht entspricht, dann kann es
eben nicht zugelassen werden .
Wir brauchen einen wirksamen Finanz-TÜV und kein
halbherziges Herumdoktern, zum Beispiel an Infoblättern . Damit würden Sie selbst mit der fünften oder zehnten Novellierung von Finanzmarktgesetzen nicht viel an
Finanzmarktstabilität, Transparenz und letztendlich Anlegerschutz erreichen . Sie werden weiterhin mutlos herumdoktern . Tun Sie etwas in Richtung Finanzmarktregulierung und vor allen Dingen im Sinne eines wirksamen
Anlegerschutzes .
Vielen Dank .
({4})
Carsten Schneider ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
vorliegende Gesetzentwurf zur Umsetzung verschiedener EU-Richtlinien schützt insbesondere Kleinanleger .
Das neue Gesetz soll Marktmissbrauch durch große Handelsplattformen, aber auch durch Manipulationsmöglichkeiten im Insiderhandel verhindern . Das ist richtig und
wichtig .
Aber das ist ein kleines Puzzleteil, das zu einem
größeren Bild gehört, nämlich zu der Frage, ob das Finanzsystem insoweit sicher ist, als es finanz- und volkswirtschaftliche Krisen wie 2008/2009 verhindert, die
verbunden waren mit Staatsverschuldung, hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Depression .
Herr Kollege Meister hat in seiner Einführungsrede
auf ein paar Punkte hingewiesen . Ich will sie unterstreichen . Wir haben eine EU-Abwicklungsrichtlinie für Banken umgesetzt, die vorsieht, dass das dort vorhandene
und auch das nachgelagerte Eigenkapital haften müssen .
Das ist in Europa aber bislang nicht überall umgesetzt
worden . Ich komme mit einigen Kollegen gerade von einer Konferenz in Brüssel zur Situation in den Nationalstaaten . Dort spielte die Frage einer gemeinsamen Einlagensicherung eine Rolle . Wir haben sehr klargemacht,
dass wir das als eine Endstufe einer Bankenunion sehen,
aber nicht als den nächsten Schritt . Wir wollen keine Vergemeinschaftung von Risiken, ohne dass der Haftungsoder Sicherheitsrahmen steht . Dieser Sicherheitsrahmen
muss zuvor stehen .
({0})
Da gibt es noch einiges zu tun . Ich habe auch die
Stimmen aus der EZB und aus Italien gehört - dort hat
das Bankensystem ähnlich geschwankt wie der Aktienkurs der Deutschen Bank in den letzten Wochen -, von
einer möglichen Haftung der Gläubiger abzusehen . Ich
will Ihnen ganz klar sagen: Wir Sozialdemokraten tragen
so eine Veränderung nicht mit . Wir haben sehr deutlich
in den letzten Jahren dafür gekämpft, dass Haftung und
Risiko zusammengehören . Das heißt: Banken, Bankvorstände und Aktionäre müssen wissen, dass, wenn das
Geschäftsmodell riskant ist, für Verluste auch der Aktionär und der Gläubiger einzustehen haben - und nicht die
Steuerzahler .
({1})
Die Verunsicherung, die Nervosität, die hohe Marktvolatilität, die sich am Auf und Ab des DAX in den letzten Wochen insbesondere bei den Bankaktien gezeigt hat,
sprechen dafür, dass wir in einer extrem kritischen Situation sind . Man kann nicht in der ersten Krisensituation
die Dinge, die man in Sonntagsreden gefordert und in
Gesetze gegossen hat, sofort abschaffen und sagen: Die
setzen wir jetzt einmal aus . Das wäre nicht nur schlechter
Stil, sondern auch Verrat an den Interessen des Gemeinwohls .
Deswegen meine ich, dass sowohl die europäische
Bankenaufsicht als auch die Europäische Zentralbank
gut beraten sind, das bestehende Instrumentarium zu nutzen. Ich finde, dass die Aktionäre gut beraten sind, auf
die Geschäftspolitik der einzelnen Banken insoweit Einfluss zu nehmen, als sie nicht riskant sein sollte.
Wir haben bei der Deutschen Bank jahrzehntelang
expansive, risikoreiche und unlautere Geschäftspolitik
erlebt . Dafür kommt jetzt die Rechnung . Ich kann mich
noch genau an die Gespräche mit Herrn Fitschen und
Herrn Jain erinnern, die zwischenzeitlich Vorstände der
Deutschen Bank waren - der eine ist immer noch einer
der Vorstandsvorsitzenden -, in denen es hieß: Wir wollen immer noch die einzige europäische Investmentbank
bleiben, während sich alle anderen europäischen Banken
von dieser Idee verabschiedet haben . - Das war ein Fehler, und dafür zahlen sie heute dadurch, dass das Marktvertrauen verloren geht .
Klar ist: Es kann auch anders gehen . Nehmen Sie
die Commerzbank . Wir haben als Anteilseigner der
Commerzbank sehr klar darauf gedrängt und auch
durchgesetzt, dass sie sich aus dem globalen Spekulationskapitalismus zurückzieht und ganz normales
Brot-und-Butter-Mittelstandsgeschäft macht . Das ist
zwar nicht sonderlich sexy, aber zumindest so ertragreich, dass es der Wirtschaft in Deutschland nutzt und die
Bank wieder in stabiles Fahrwasser bringt .
({2})
Nichtsdestotrotz, Kollege Meister, muss ich zwei
Punkte ansprechen, bei denen wir als Sozialdemokraten
im Bundestag noch mehr Initiativen der Bundesregierung
und vor allem des Bundesfinanzministers erwarten - insbesondere vor dem Hintergrund der Krise 2009 . Der erste
betrifft die Finanztransaktionsteuer, und der zweite betrifft das Trennbankensystem .
Wir haben sehr klar in den Koalitionsverhandlungen
vereinbart: Wir wollen ein scharfes Trennbankensystem .
Diejenigen, die spekulieren wollen, können das gern machen - aber nur mit ihrem Eigenkapital und nicht mit den
Einlagen, also nicht mit dem Spargroschen der Bürger .
Dieses Trennbankensystem ist in Europa gerade in Verhandlung .
Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament
sind für eine scharfe Regelung; bei den Christdemokraten bin ich mir nicht so ganz sicher . Ich erwarte, dass
die Bundesregierung den Koalitionsvertrag umsetzt, der
sagt: Ganz scharfe Regelungen, so, wie die Expertenkommission unter Herrn Liikanen, dem Präsidenten der
Zentralbank Finnlands, das vorgeschlagen hat .
({3})
Nur dann haben wir die Risiken so weit separiert, sodass ich über ein europäisches Einlagensystem diskutieren und gegebenenfalls positiv entscheiden kann . Dafür
brauche ich aber die Sicherheit, dass das volatile, extrem
anfällige Spekulationsgeschäft der Investmentbanken
nicht durch den Spargroschen der Einleger geschützt ist .
Der zweite Punkt ist die Finanztransaktionsteuer . Wir
Sozialdemokraten haben uns 2012 hier im Bundestag in
gemeinsamen Verhandlungen mit Union und FDP - auch
die Grünen waren dabei - durchgesetzt . Wir haben den
europäischen Rettungsfonds mitbeschlossen . Eine der
Bedingungen für unsere Zustimmung war, dass diejenigen, die spekulieren, vor allen Dingen im Hochfrequenzhandel einen Teil der Lasten der Finanzkrise schultern,
das heißt, dass die Kosten der Krise auch mit den Einnahmen aus einer Finanztransaktionsteuer bezahlt werden .
Diese Einnahmen sind bislang nicht geflossen. Wir haben
bisher keine entsprechende Steuereinnahme . Im Gegenteil: Die Kosten der Krisenbewältigung haben letztendlich die Schuldenlast des Bundes erhöht, und wir haben
keine Gegenfinanzierung.
Es gibt eine Initiative von noch zehn Ländern zur Finanztransaktionsteuer . Nach dem, was ich gehört habe Herr Moscovici, der zuständige Kommissar, hat uns das
auf meine Frage in Brüssel sehr konkret gesagt -, geht
es in die Schlussphase der Entscheidung . Im März wird
klar, ob es eine europäische Finanztransaktionsteuer gibt
oder nicht . Er hat gesagt, dass sich auch Deutschland bewegen und konstruktiv verhandeln muss. Der Bundesfinanzminister hat das hier im Bundestag immer betont . Er
hat dafür auch ein Mandat des Bundestages: breite Bemessungsgrundlage, niedrige Sätze, keine Ausnahmen .
({4})
Worum ich bitte und was ich erwarte - das ist auch im
Sinne dessen, was der Bundestag 2012 auf den Weg gebracht hat, also im Interesse der Kontinuität -, ist, dass Sie
konstruktiv agieren und eine europäische Finanztransaktionsteuer als Ergebnis wollen und durchsetzen . Es bringt
nichts, über die Kosten der Flüchtlingskrise zu diskutieren und eine höhere Benzinsteuer vorzuschlagen, während die Finanztransaktionsteuer entscheidungsreif auf
dem Tisch liegt . Deswegen sage ich: Nehmen Sie Ihren
Mut zusammen, und sorgen Sie Seite an Seite mit Frankreich dafür, dass im März entschieden wird, dass nach
sieben Jahren Finanzkrise endlich auch diejenigen zur
Kasse gebeten werden, die diese Krise verursacht haben .
({5})
Gerhard Schick ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will als Erstes einen Blick auf unsere heutige Tagesordnung werfen: Drei Finanzmarktthemen stehen auf der
Tagesordnung. Heute Morgen findet eine mit 77 Minuten angesetzte, große Debatte zu der Umsetzung einer
EU-Richtlinie bzw . mehrerer EU-Normen statt . Der
Anteil der Bundesregierung daran ist relativ gering . Es
geht vielmehr um das, was von der europäischen Ebene
kommt . Der Gesetzentwurf enthält viel Gutes, zum Beispiel härtere Sanktionen . Darüber reden Sie gerne morgens zur besten Sendezeit .
({0})
Mittags nutzen Sie die immer noch hohe Aufmerksamkeit für die Kritik an den europäischen Aufsichtsbehörden . Erst am Abend, wenn die Zeitungen gedruckt sind,
({1})
kommt das, was für Sie etwas unangenehmer ist, nämlich
die Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Dabei geht es um eine rechtsstaatliche Dreistigkeit . Dieses
Thema gehört eigentlich zu dieser Debatte, weil es dabei
auch um Anlegerschutz geht .
({2})
Was ist der Punkt? Normalerweise machen wir neue
Gesetze für die Zukunft . In diesem Fall ist aber Folgendes passiert: Die Finanzmarktbranche hat gejammert,
dass die bisherige Gesetzeslage für alte Fälle nicht günstig sei . Deswegen wird jetzt rückwirkend in die Rechtsposition von Verbraucherinnen und Verbrauchern beim
Widerrufsrecht eingegriffen . Wo kommen wir hin, wenn
das Schule macht?
({3})
Wenn Verbraucher aufgrund eines Gesetzes Probleme
hatten, dann wurde noch nie - an so etwas kann ich mich
jedenfalls überhaupt nicht erinnern - rückwirkend das
Gesetz geändert . Wenn aber die Finanzbranche ruft, ändern Sie Gesetze auch rückwirkend . Das ist skandalös,
und dass ein Verbraucherminister bei so etwas mitmacht,
das geht überhaupt nicht .
({4})
Das, was uns jetzt vorliegt, geht zurück auf den
Schock von 2008/2009 bzw . die Erinnerung daran . Damals hat man eine Expertengruppe unter dem früheren
Direktor des Internationalen Währungsfonds beauftragt,
Handlungsempfehlungen zu erarbeiten . Daraus ist die
Marktmissbrauchsrichtlinie entstanden, weil man festgestellt hat, in der Europäischen Union sollten - ich zitiere - „rigorose und abschreckende Sanktionen gelten - die
auch effektiv durchgesetzt werden sollten .“
Carsten Schneider ({5})
Ein Stück weit wird das jetzt vorgelegt, und das ist
auch richtig . Aber man muss natürlich die Frage stellen:
Warum nutzt eigentlich die Bundesregierung nicht systematisch die Möglichkeiten, die die Richtlinie bieten
würde, um in Deutschland fehlende Sanktionen wirklich hart anzuziehen? An einigen Stellen erreichen Sie
wahrscheinlich noch nicht einmal das Mindestniveau an
Sanktionen, das die Richtlinie vorgibt . Ich will ein Beispiel nennen: Der Regierungsentwurf sieht im Hinblick
auf die Strafbarkeit der Marktmanipulation vor, dass
durch die jeweilige Handlung auch eine Einwirkung auf
den Marktpreis erfolgt ist; das heißt, es muss ein Erfolg
eingetreten sein . Nach der Richtlinie genügt bereits das
Geben falscher oder irreführender Signale für eine Strafbarkeit . Das heißt, der Nachweis ist nach dem, was Sie
jetzt vorlegen, wesentlich schwieriger zu erbringen, als
es die Richtlinie eigentlich vorsieht .
Ich frage mich: Warum sieht der Gesetzentwurf bezüglich Waren eine generelle Strafbarkeit vor, im Falle
von vorsätzlichen Fehlinformationen bei Aktien aber nur,
wenn es wirklich die Erlangung eines großen Vermögensvorteils gegeben hat? Unser Finanzminister gibt ja gern
einmal den Harten . Aber wenn es um Finanzmarktakteure geht, wird er plötzlich relativ weich und nachsichtig .
Da stimmen Ihre Maßstäbe nicht .
({6})
Die Ökonomen George Akerlof und Robert Shiller
haben im Handelsblatt kürzlich einen Beitrag aus einem aktuellen Forschungsprojekt veröffentlicht . Es heißt
„Phishing for Phools“ und behandelt das Thema „Manipulation und Täuschung“ . Es geht darin insbesondere um
den Finanzmarkt, weil ein ganz relevanter Teil des Finanzmarktes leider auf Lug und Betrug basiert . Es muss
doch einmal zur Kenntnis genommen werden - ich hoffe,
auch in den Koalitionsfraktionen und im Bundesfinanzministerium -, dass wir in Anbetracht von Skandalen,
bei denen die Marktpreise bei Zinsen, bei Devisen und
beim Gold manipuliert und Märkte in Billionenumfang
durch Preismanipulationen gestört worden sind, einmal
sehr systematisch die Frage stellen müssen: Wie schaffen
wir es eigentlich, endlich wieder Recht und Ordnung am
Finanzmarkt zu etablieren?
({7})
Das ist kein Thema, bei dem wir einfach unsere Hände
in den Schoß legen dürfen, sondern wir müssen sehen:
All die großen Skandale sind, selbst wenn deutsche Unternehmen oder auch Finanzmarktunternehmen betroffen
waren, nicht in Deutschland aufgedeckt worden . Beim
Libor-Skandal waren es die britischen und amerikanischen Behörden, beim VW-Skandal waren es die amerikanischen Behörden . So könnte man diese Liste leider
fortsetzen . Was heißt denn das? Es besteht wohl großer
Handlungsbedarf in Deutschland . Da kann es doch nicht
ausreichen, eine EU-Richtlinie nur so umzusetzen, wie es
den Mindestanforderungen entspricht, sondern da muss
man auch die deutschen Probleme endlich einmal angehen .
({8})
- Ja, da muss man auch beim Vollzug etwas tun . Deswegen ist der Bundesfinanzminister, der für die Rechts- und
Fachaufsicht bei der BaFin zuständig ist, natürlich in besonderer Art und Weise gefragt . Ich hätte mich gefreut,
wenn hier auch dazu ein paar Worte verloren worden
wären .
({9})
Wir sehen, dass diese Sache so wichtig ist, dass viele
Leute empört sind und es keine Stabilität gibt . Erst jüngst
hat die Finanzaufsichtsbehörde, viel zu spät eingreifend,
eine Bank schließen müssen, weil sie die Strafzahlungen
nach einem Betrugsfall nicht leisten konnte, nämlich die
Maple Bank . Das ist systemrelevant, und das ist stabilitätsrelevant . Deswegen brauchen wir in Deutschland
eine Diskussion darüber und auch eine Gesetzgebung
dazu . Wir müssen die Sanktionen im Unternehmensbereich endlich verschärfen und auch die individuelle
Verantwortung von Unternehmen ausweiten . Das Spiel,
dass der Vorgesetzte sagt: „Du musst die Ziele erreichen,
und mich interessiert nicht, wie“ und sich nachher vor
Gericht herausreden kann, indem er sagt: „Ich habe das
doch nicht angewiesen“, muss aufhören, und zwar dadurch, dass es ein klares Strafbarkeits- und Sanktionsrecht gibt, auf der Unternehmensebene, aber auch auf der
individuellen Ebene . Die britischen Parlamentskollegen
haben entsprechende Vorschläge gemacht . Für die einzelnen Unternehmensbereiche soll zum Beispiel jeweils
ein Vorstand auch strafrechtlich verantwortlich sein . Ich
frage mich: Warum sehen wir so etwas hier im Bundestag
nicht als Gesetzesinitiative von Ihnen?
({10})
Wir sehen auch, welche Bedeutung das für die aktuelle
Diskussion hat . Bei der Deutschen Bank spielt das Risiko
der Rechtsstreitigkeiten eine große Rolle: 12,7 Milliarden Euro an Strafzahlungen in den letzten Jahren, jetzt
noch einmal Rückstellungen für weitere Milliardenstrafzahlungen, die vielleicht überhaupt nicht ausreichen . Das
ist leider ein Problem für Deutschland insgesamt . Das
sieht man derzeit an der Marktentwicklung .
Ich will noch einmal eines zu der Diskussion sagen:
Viele machen sich jetzt Gedanken darüber, wie stabil die
Deutsche Bank ist . In dieser Diskussion hat sich auch
der Bundesfinanzminister geäußert. Seither fragen sich
alle: „War das eine Intervention, weil es der Deutschen
Bank so schlecht geht? Wusste er mehr?“, usw. Ich finde,
hier muss man eines einmal klar haben: Für jemanden
in der Verantwortung des Bundesfinanzministers darf es
in einer solchen Situation nur eine Regel geben - ich zitiere hier einen Satz aus dem CDU-Präsidium an einer
anderen Stelle, der hier aber auch gilt -: „Einfach mal die
Klappe halten .“
({11})
Ja, der Bundesfinanzminister, der die Rechts- und
Fachaufsicht über die Aufsichtsbehörde in Deutschland
hat, hat hier eine eindeutige Verantwortung . Sie können
an Elke König sehen, wie man so eine Frage beantwortet .
({12})
Sie sagt: Zu einzelnen Instituten äußere ich mich nicht . Das wäre auch Ihre richtige Antwort gewesen . Auf so
etwas muss man sich bei einem Bundesfinanzminister
verlassen können .
({13})
Nun zu Ihren Fehleinschätzungen . - Das Zitat „Wir haben das Schlimmste hinter uns“ von Wolfgang Schäuble
zeigt, dass er das Wesen dieser Krise leider nicht verstanden hat .
({14})
- Ja . - Auch der Satz der Bundeskanzlerin: „Wir haben
80 Prozent der Finanzmarktregulierung geschafft“ zeigt,
dass Sie nicht verstanden haben, um was es geht;
({15})
denn seit 2007 ist die Fehlentwicklung unverändert weitergegangen .
({16})
Die Finanzmärkte sind seit 2007 weiter schneller gewachsen als die Realwirtschaft, und in den westlichen
Industriestaaten sind die Schulden im Verhältnis zur realen Wirtschaftsleistung von 269 Prozent auf 286 Prozent
weiter gestiegen . Solange es so ist, dass der Finanzmarkt
schneller wächst als die Realwirtschaft, werden wir keine
Stabilität bekommen . Deswegen braucht es jetzt mehr reale Investitionen, bei denen dieser Bundesfinanzminister
leider bremst, und es braucht eine schärfere Finanzmarktregulierung, wobei dieser Bundesfinanzminister leider
auch bremst .
Sie haben sich in Brüssel und in Basel gegen eine
strikte Schuldenbremse für Banken gewehrt und ein
Placebo-Trennbankengesetz hier in den Bundestag eingebracht und verabschiedet, das für die Stabilität unseres Finanzmarktes - das sehen wir jetzt an der Diskussion über die Deutsche Bank - überhaupt nichts bringt .
Carsten Schneider hat es bereits gesagt: Die Christlich
Demokratische Union bremst im Europäischen Parlament, wenn es darum geht, ein klares Trennbankengesetz
zu machen, um endlich unseren Finanzmarkt zu stabilisieren .
Deswegen muss an dieser Stelle eines klar sein: Wenn
Sie so weitermachen, wird es keine Stabilität geben . Die
Unsicherheiten werden uns dann weiter begleiten . Es
braucht mehr reale Investitionen, eine härtere Finanzmarktregulierung und auch im strafrechtlichen und im
zivilrechtlichen Bereich harte Sanktionen für Lug und
Betrug .
Danke .
({17})
Ich erteile dem Kollegen Matthias Hauer für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Bei den Ausführungen meines Vorredners konnte man fast vergessen, dass wir heute den Entwurf eines
Ersten Gesetzes zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften beraten . Wie der Name schon erahnen lässt, ist
das nur ein Teil eines größeren Pakets . Es geht um die
Regulierung der Finanzmärkte und um die Stärkung des
Anlegerschutzes . Im zweiten Teil werden wir zu einem
späteren Zeitpunkt das deutsche Recht an die Finanzmarktverordnung MiFIR anpassen und die Finanzmarktrichtlinie MiFID II in deutsches Recht umsetzen .
Eine Anmerkung vorab: Es ist bedauerlich, dass sich
die Ausarbeitung der technischen Details auf europäischer Ebene verzögert . Das erschwert die nationale Umsetzung des zweiten Teils . Es ist aus meiner Sicht nicht
nachvollziehbar, dass die Europäische Kommission den
Zeitplan für die nationale Umsetzung nicht sachgerecht
anpassen will .
Jetzt zum heutigen Thema: Worum geht es bei dem
Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz? Der erste Teil
umfasst vier europäische Rechtsakte aus drei Themenbereichen: erstens die Richtlinie und Verordnung zum
Marktmissbrauch, zweitens die Verordnung über Zentralverwahrer, drittens die Verordnung über Basisinformationsblätter . Diese europäischen Rechtsakte verankern
wir im deutschen Recht . Sie wurden als Lehre aus der
Finanzkrise verabschiedet; wir haben gerade schon viel
dazu gehört . Sie haben das Ziel, die Transparenz und die
Integrität der Finanzmärkte zu stärken .
Der Deutsche Bundestag hat in den vergangenen Jahren viel dafür getan, die Märkte zu stabilisieren und die
Anfälligkeit für neue Finanzkrisen zu reduzieren . Auch
der heutige Gesetzentwurf dient in erster Linie dazu, die
Anleger besser zu schützen .
Erster Punkt: Bekämpfung von Marktmissbrauch .
Wogegen gehen wir dabei auf europäischer Ebene vor?
Gegen Insidergeschäfte, gegen die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen und gegen Marktmanipulationen .
Prominentes Beispiel für Marktmanipulationen ist der
Libor-Skandal . Dabei ging es um betrügerische Manipulationen von Referenzzinssätzen wie dem Libor . Die
Manipulationen wurden in den Jahren 2011 und 2012
aufgedeckt . Der Skandal steht exemplarisch dafür, dass
Marktmanipulationen erhebliche Auswirkungen haben
können, gerade auch zulasten einfacher Bankkunden und
Kreditnehmer .
Banken haben sich dabei beispielsweise für bestimmte Privatkredite an den Libor-Zinssätzen zum Monatsanfang orientiert . Wenn durch gezielte Manipulationen
solche Referenzzinssätze zum Monatsanfang zeitweise
erhöht werden konnten, dann wurde daran gut verdient zum Schaden privater Kreditnehmer, die so überhöhte
Zinssätze zahlen mussten .
Leider sind die Regeln zum Marktmissbrauch in den
Staaten der Europäischen Union bislang sehr unterschiedlich . Selbst schwere Verstöße werden nicht in allen Mitgliedstaaten strafrechtlich sanktioniert . Dort, wo
Sanktionen möglich sind, variieren sie teilweise erheblich .
Durch die unterschiedlichen Regelungen auf europäischer Ebene konnte der Marktmissbrauch in der Vergangenheit nur unzureichend bekämpft werden, auch weil
Täter über Staatsgrenzen hinweg agieren . Die EU-weite
Harmonisierung ist also sinnvoll . Regelungslücken in
einzelnen EU-Staaten, die bisher von Tätern ausgenutzt
werden konnten, werden nun geschlossen . Es ist gut und
richtig, einheitlich in der gesamten EU scharfe Sanktionen bei Insiderhandel und Marktmanipulation zu ermöglichen .
Die Manipulation von Zinssätzen wird verboten .
Schwere Formen des Marktmissbrauchs werden EU-weit
unter Strafe gestellt . Der Versuch, die Beihilfe und die
Anstiftung werden strafbar .
({0})
Im deutschen Recht haben wir insbesondere die Strafund Bußgeldvorschriften den neuen europäischen Regelungen anzupassen . Wir berücksichtigen aber auch die
technologische Entwicklung . Sowohl der Hochfrequenzhandel - in Deutschland schon geregelt - als auch neuartige Handelsplattformen werden dabei einbezogen .
Zweiter Punkt: Anforderungen an Zentralverwahrer .
Was machen Zentralverwahrer überhaupt? Sie registrieren neu emittierte Wertpapiere, sie führen zentrale
Wertpapierkonten, und auf diesen Wertpapierkonten erfassen sie, wem welche Wertpapiere gehören . In der EU
verwahren sie Wertpapiere im Gesamtvolumen von rund
39 Billionen Euro . Sie wickeln Wertpapiergeschäfte im
Volumen von jährlich etwa 500 Billionen Euro ab .
Die Verordnung über Zentralverwahrer vereinheitlicht
nun europaweit, wie sie organisiert sind, wie sie Geschäfte tätigen, wie sie beaufsichtigt werden, aber auch
wie sie gegebenenfalls sanktioniert werden . Ziel ist es,
dass die Verwahrer Wertpapiergeschäfte ordnungsgemäß
und pünktlich durchführen .
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht einen
umfassenden Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten
vor . Wenn ein Zentralverwahrer gegen solche Vorschriften verstößt, dann wird es künftig teuer . 20 Millionen
Euro Bußgeld sind möglich, bis zu 10 Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes - je nachdem, welcher der beiden
Beträge höher ist .
Dritter Punkt: die bessere Information für Kleinanleger . Mit dem Gesetzentwurf verankern wir zudem die
Verordnung über Basisinformationsblätter im deutschen
Recht . Diese Informationsblätter, auch Beipackzettel
genannt, müssen Anlegern vor Vertragsabschluss bei bestimmten Anlageprodukten ausgehändigt werden . Egal,
ob Anleger, Versicherungsnehmer oder Bankkunde: Sie
wissen im Normalfall deutlich weniger über ein Produkt
als der Anbieter . Wir wollen, dass Verbraucher vor Abschluss solcher Verträge umfassend informiert werden
und dann gute Entscheidungen treffen können .
Die Finanzmärkte werden immer komplexer . Neue
Technologien verändern die Finanzmärkte rasant . Die
Vielfalt von Angeboten und Produkten nimmt ständig
zu . Gerade in einer solchen Zeit ist es besonders wichtig,
dass Kleinanleger die wesentlichen Informationen erhalten, und zwar verständlich und übersichtlich . Mit dem
Kleinanlegerschutzgesetz haben wir die Situation der
Kleinanleger bereits im vergangenen Jahr deutlich verbessert . Auch die Idee der Informationsblätter ist nicht
neu . Wir in Deutschland sind bei diesem Thema in den
letzten Jahren sehr aktiv gewesen .
({1})
Es gibt sie bei uns bereits für Anlageberatung bei Finanzinstrumenten, bei Verträgen über Versicherungen und zur
Altersvorsorge, für Investmentvermögen und für viele
Produkte des Grauen Kapitalmarkts .
Bei der aktuellen Verordnung wird ein Basisinformationsblatt für verpackte Anlageprodukte vorgeschrieben .
Als „verpackt“ gelten Anlageprodukte, bei denen das
Geld nicht direkt, sondern indirekt am Kapitalmarkt angelegt wird, zum Beispiel in offenen oder geschlossenen
Investmentfonds oder in fondsgebundenen Lebensversicherungen .
Um diese komplexen Produkte besser verstehen zu
können, werden klare Regeln für die Gestaltung der Basisinformationsblätter eingeführt . Der Aufbau wird standardisiert . Sie müssen nicht nur richtig sein, sondern auch
kurz, prägnant und verständlich . Anleger können damit
Chancen und Risiken, aber auch die Kosten produktübergreifend vergleichen . Wichtig für Kleinanleger ist auch,
dass die Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung der
Ersteller der Informationsblätter harmonisiert werden .
Das heißt: Jeder Kleinanleger kann in Zukunft den Ersteller haftbar machen, wenn das Blatt irreführend oder
fehlerhaft war und ihm dadurch ein Schaden entstanden
ist .
Fazit für den Entwurf des Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzes ist: Die europäische Harmonisierung
macht die Finanzmärkte transparenter und robuster gegen Krisen . Alle drei Teile des Gesetzentwurfs stärken
den Anlegerschutz . Daran werden wir gemeinsam mit
unserem Koalitionspartner weiter arbeiten .
Vielen Dank .
({2})
Axel Troost ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn der Bundestag europäische Richtlinien umsetzt, ist
die Zeit häufig schon darüber hinweggeschritten. Doch
jetzt holen uns die Entwicklungen an den Finanzmärkten
wieder ein .
Nach wie vor wabern Unmengen von Geldern frei
um den Globus, mal hierhin, mal dorthin . Keiner weiß,
wohin die Reise geht . Innerhalb weniger Wochen ist der
DAX drastisch eingebrochen, und die mit Abstand größten Abstürze gab es bei den Bankaktien . Das hat natürlich
auch reale Folgen . Schon rufen die ersten Bankvorstände
wieder nach Hilfen von der EZB . Nach jahrelanger Deregulierung und seit 2009 etlichen Gegenmaßnahmen müssen wir feststellen, dass wir den Tiger immer noch nicht
reiten können . Zu oft wurden hier Gesetze aufgelegt, die
ich hier an dieser Stelle immer nur mit dem Ausdruck „zu
spät und zu wenig“ gekennzeichnet habe .
In dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es unter anderem um Maßnahmen gegen Marktmissbrauch, es geht
zum Beispiel um Insidergeschäfte und Manipulationen
von Kursen . Von diesen kriminellen Praktiken sehen wir
immer mehr, aber wir sehen immer auch nur die Spitze
des Eisberges . Nur in einigen Fällen werden die betrügerischen Praktiken überhaupt aufgedeckt. Ich finde dabei
den Umgang mit dem Hochfrequenzhandel, der von den
neuen Regelungen erfasst wird, symptomatisch .
Der Handel mit Wertpapieren, die in Bruchteilen von
Sekunden gekauft und verkauft werden, macht in manchen Marktsegmenten mehr als 40 Prozent des gesamten Handelsvolumens aus . Solange aber einem Händler
seine schädlichen Praktiken nicht nachgewiesen werden
können, ist grundsätzlich jedes Geschäft erlaubt . Volkswirtschaftlich gibt es jedoch überhaupt keinen Grund,
Finanzprodukte in Sekundenbruchteilen kaufen und verkaufen zu müssen und dafür immer wieder Kollateralschäden in Kauf zu nehmen .
({0})
Das Gleiche gilt für die Zulassung von Finanzprodukten . Auch hier können Anlegern die irrsinnigsten Finanzprodukte aufgeschwatzt werden, solange anschließend
die Dokumentationspflicht ordentlich erfüllt wird. Das
ist dann die gelobte unternehmerische Freiheit mit dem
Ergebnis, dass Einzelne und der gesamtwirtschaftliche
Nutzen dabei auf der Strecke bleiben .
Jetzt möchte ich noch einige Ausführungen zur aktuellen Situation machen . Der Kollege Schneider und auch
der Kollege Schick haben die Situation um die Deutsche
Bank angesprochen .
Ich bin vor einigen Monaten scharf kritisiert worden,
weil ich hier in einer Rede die Deutsche Bank als möglicherweise kriminellste Bank der Welt bezeichnet habe .
Ich habe seitdem - zusammen mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages - gründliche
Recherchen unternommen . Das Ergebnispapier kann
man auf meiner Internetseite oder auch auf den NachDenkSeiten nachlesen .
Es gibt - um nur einiges daraus anzuführen - derzeit etwa 6 000 Verfahren gegen die Deutsche Bank,
darunter - jetzt muss ich ablesen - Handel mit US-Hypothekenramsch, Umsatzsteuerbetrug, Beihilfe zur
Steuerhinterziehung, Insolvenz der Kirch-Gruppe, grob
fehlerhafte Anlageberatung bei Zinswetten, betrügerische Cum-ex-Geschäfte, Manipulation von Devisenkursen, US-Staatsanleihen, Preisen von Edelmetallen
und Manipulation von Referenzgrößen wie Libor und
Euribor, Korrumpierung ausländischer Politiker, Geldwäsche und Sanktionsverstöße und noch einiges mehr .
Alles, wie gesagt, recherchiert und nachlesbar .
Bei den dabei verhängten Strafen nimmt die Deutsche
Bank weltweit zugegebenermaßen nur den zehnten Platz
ein . In der Euro-Zone ist sie aber mit deutlichem Abstand
als Spitzenreiter auf Platz eins, was kriminelle Aktivitäten angeht, und das nicht nur in absoluten Zahlen, was
die Strafzahlungen angeht, sondern auch in Relation zur
jeweiligen Bilanzsumme .
Aber es geht mir nicht in erster Linie um das Strafregister eines einzelnen Unternehmens . Es geht mir um
Systemversagen .
Der Kongress in Washington hat unermüdlich zahlreiche solcher Vergehen in diversen Ausschüssen aufgearbeitet, und zwar öffentlich. Bei uns im Bundestag findet
so etwas überhaupt nicht statt . Der Kollege Schick und
ich wissen, wovon wir in dieser Frage reden .
({1})
Jetzt steht die Deutsche Bank von allen Seiten unter
Druck: von Investoren, Kunden und Gerichten . Von der
Gefahr einer Pleite zu reden, wäre sicherlich unverantwortlich . Aber wer weiß, welche Milliardenstrafen noch
kommen? Wer kann genau sagen, welche Gefahren von
den 52 Billionen Euro an Derivaten ausgehen, die die
Deutsche Bank in ihren Büchern hat? Niemand in diesem
Hause kann behaupten, dass die Wahrscheinlichkeit einer
Pleite bei null liegt .
In den letzten Jahren haben wir uns viel mit der Rettung und Abwicklung von Banken beschäftigt und dazu
auch vieles verabschiedet . Aber wir waren uns alle immer einig, dass alle diese Maßnahmen nicht tragfähig
sind, wenn es um ein Rieseninstitut wie die Deutsche
Bank geht .
({2})
Das geisterte immer mehr als Schreckgespenst durch die
Debatte . Jetzt sollten wir uns diesem Schreckgespenst
endlich stellen . Wir sollten unser Bankensystem mit
Sparkassen und Genossenschaftsbanken vernünftig weiterentwickeln . Aber die riesigen Bankkonzerne müssen
eingedampft und verkleinert werden . Solange das nicht
passiert ist, sind wir mit der Bankenregulierung noch lange nicht am Ende .
Danke schön .
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sarah Ryglewski
für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf eines Ersten
Finanzmarktnovellierungsgesetzes ziehen wir die richtigen Konsequenzen aus der Finanzkrise . Wir sorgen dafür, dass Integrität und Transparenz der Finanzmärkte in
Deutschland gestärkt werden . Der Entwurf des Finanzmarktnovellierungsgesetzes steht in einer langen Reihe
von Gesetzentwürfen, die wir in dieser Legislaturperiode
zur Verbesserung des Verbraucher- und Anlegerschutzes
im Finanzbereich entweder bereits beschlossen haben
oder noch beraten . Aktuell beraten wir über den Entwurf
eines Zahlungskontengesetzes, mit dem wir nicht nur einer großen Anzahl an Menschen, die bisher kontolos sind,
ein Girokonto verschaffen, sondern auch die Marktmacht
der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber den
Banken stärken . Mit der Wohnimmobilienkreditrichtlinie sorgen wir für einen besseren Verbraucherschutz . Mit
dem im letzten Jahr beschlossenen Kleinanlegerschutzgesetz haben wir die Position von Kleinanlegern auf dem
Grauen Kapitalmarkt gestärkt . Das macht deutlich, dass
wir eine Reihe von Gesetzen beschlossen haben, die sehr
gut sind . Wir sind auf einem guten Weg .
({0})
Die Kleinanleger sind auch bei dem nun vorliegenden Gesetzentwurf im Fokus . Das ist nur gut und richtig;
denn hier handelt es sich um eine besonders verletzliche
Gruppe, die nur mit einer sehr geringen Marktmacht ausgestattet ist . Wir reden hier von Menschen, die eine verhältnismäßig kleine Summe investieren, um sich gegen
Lebensrisiken abzusichern oder für das Alter vorzusorgen . Gerade für diese Menschen können Fehlinvestitionen schnell existenzbedrohend werden . Umso wichtiger
ist, dass der Einzelne weiß, worauf er sich bei einer Anlageentscheidung einlässt, und sich darauf verlassen kann,
dass er richtig beraten wird und alle Informationen, die
ihm zugehen, fehlerfrei sind .
({1})
Denn wir können davon ausgehen, dass nur die wenigsten Kleinanlegerinnen und Kleinanleger ausgewiesene
Finanzexpertinnen und Finanzexperten sind .
Gleichzeitig gibt es viele Produkte auf dem Markt, die
sich zwar großer Beliebtheit in der Bevölkerung erfreuen, aber leider häufig sehr komplex und unter Umständen
für Kleinanlegerinnen und Kleinanleger wenig geeignet
sind . Ob es sich nun um strukturierte Finanzprodukte,
Derivate oder eine Kapitallebensversicherung handelt, es
ist häufig sehr schwierig für den Einzelnen, abzuschätzen, welche Risiken welchen Ertragschancen gegenüberstehen . Natürlich ist gerade im derzeitigen Zinsumfeld
der Anreiz groß, in ein Produkt zu investieren, das große Ertragschancen verspricht, aber für den Betreffenden
nicht geeignet ist . Den Chancen steht im Extremfall das
Risiko des Totalausfalls gegenüber . Das ist insbesondere dann dramatisch, wenn man sich gegen Lebensrisiken
absichern möchte .
Selbstverständlich soll jeder - der Kollege Petry sagte vorhin zu mir, des Menschen Wille sei sein Himmelreich - weiterhin in die Produkte investieren können, die
ihm attraktiv erscheinen . Aber das Risiko, dem er sich
aussetzt, muss klar erkennbar sein . Dem Anleger muss
genauso klar sein, wie hoch die Ertragsaussichten letztendlich sind . Mit der PRIIP-Verordnung führen wir daher
flächendeckend Basisinformationsblätter im Wertpapierhandelsgesetz ein . Mit dem Kapitalanlagegesetzbuch
und dem Vermögensanlagengesetz stärken wir die Kleinanleger weiter, indem wir sie vor Vertragsabschluss mit
allen wichtigen Informationen ausstatten, angefangen
vom Risiko eines Produktes über Renditemöglichkeiten bis hin zu den Provisionen, die der Anbieter für den
Verkauf an einen Anleger erhält . Damit kommen wir zur
Anwendung . Mir ist dabei sehr wichtig, dass wir bei der
Umsetzung auf Verständlichkeit achten; denn die besten
Informationen helfen niemandem, wenn sie nicht verständlich sind .
({2})
Mindestens genauso wichtig ist, dass fehlerhafte Angaben in Zukunft bestraft werden . Wer fehlerhafte Informationsblätter verteilt, muss dafür die Konsequenzen tragen und im Schadensfall haften . Die BaFin ist zukünftig
befugt, Bußgelder zu verhängen, wenn die Informationsblätter nicht den Anforderungen der PRIIP-Verordnung
genügen . Damit fördern wir das Vertrauen der Menschen
in die Finanzmärkte und stärken erneut die BaFin in ihrer
Rolle als kollektiver Verbraucherschützer . Das ist eine
Innovation, die wir der BaFin mit dem Kleinanlegerschutzgesetz im letzten Sommer als Aufsichtsziel gegeben haben . Wir werden als Parlamentarierinnen und Parlamentarier begleitend beobachten, ob die BaFin diese
Rolle annimmt und konsequent zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher wahrnimmt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich kommt es
nicht von ungefähr, dass wir heute über das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz debattieren . Das eigentliche
Kernstück der geplanten Finanzmarktnovellierung, die
MiFID II, setzen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht um .
Das ist sehr ärgerlich; denn mit der MiFID II wollten
wir wichtige Verbesserungen auf den Weg bringen . Es
ist sehr unbefriedigend - das kann man an dieser Stelle
schon sagen -, dass wir noch nicht einmal wissen, wann
wir uns mit dieser Richtlinie befassen werden .
Mit der MiFID II würde unter anderem die BaFin das
Recht erhalten, Vermarktung, Vertrieb und Verkauf von
Finanzinstrumenten zu untersagen oder zu beschränken, wenn erhebliche Bedenken für den Anlegerschutz
aufkommen . Und dass sie es nicht hat, ist in der Tat ein
großer Mangel; denn das eine ist die Information über
verschiedene Produkte, und das andere ist, dass auf dem
Markt Produkte angeboten werden, die vielleicht für den
Anbieter attraktiv sind, dem Anleger aber wenig bringen .
Außerdem würden Vertreiber von Finanzprodukten
viel strengeren Bestimmungen darüber unterliegen, welche Produkte sie überhaupt auf den Markt bringen dürfen .
Zum Abschluss möchte ich noch auf ein besonderes
Anliegen hinweisen, das wir auch mit der MiFID II beraten werden: Das ist die Stärkung der Honorarberatung .
Bisher ist es so, dass der Anteil der Honorarberatung in
Deutschland verschwindend gering ist . Das ist in der
Logik des Marktes begründet: Die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher wissen nicht, dass sie bei der
provisionsbasierten Beratung, die sie bei ihrer Bank oder
einem privaten Anbieter in der Regel erhalten, doch etwas bezahlen, nämlich eine hohe Provision . Es ist den
Leuten oft auch nicht klar, dass das Produkt, das sie kaufen, sich dadurch für sie auch erst später rentiert . Beim
direkten Vergleich zwischen Honorarberatung, bei der
ich am Anfang etwas bezahle, und Provisionsberatung,
bei der die Kosten eben versteckt sind, sagt der Verbraucher oft: Na, bei der Provisionsberatung sehe ich die
Kosten nicht; es kostet nichts, und deswegen nehme ich
die Honorarberatung nicht wahr .
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt sicherlich
viele Finanzberater, die das Beste der Kunden im Sinn
haben . Aber natürlich schauen sie auch immer ein Stück
weit auf ihren eigenen Geldbeutel . Unser Ziel muss es
sein, beide Beratungssysteme nebeneinander verlässlich
zu etablieren, damit die Kunden wirklich die Wahl haben
und dann auch die beste Beratung bekommen .
({3})
Ich komme zum Schluss . Mit dem vorliegenden Gesetz müssen Provisionen offengelegt werden . Wir sollten
aber auch bei der Umsetzung der MiFID-II-Richtlinie dafür sorgen, dass wir dann die Honorarberatung insgesamt
stärken und alle Anlageformen in den Blick nehmen .
Jetzt freue ich mich erst einmal auf die weiteren Beratungen zum Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz und
sehe gespannt den Beratungen zu MiFID II entgegen .
Vielen Dank .
({4})
Mathias Middelberg ist nun der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Wir beraten das Finanzmarktnovellierungsgesetz .
Aber da die Debatte hier in einigen Punkten ein bisschen
abgeschweift ist, nehme ich mir auch das Recht heraus,
zwei Vorbemerkungen meinem Beitrag vorzuschalten .
Die eine Vorbemerkung betrifft das Thema Finanztransaktionsteuer . - Leider ist der Kollege Schneider jetzt
nicht mehr unter uns . Das bedauere ich .
({0})
- Ach, wunderbar . Das ist ja klasse . Dann bleiben Sie
vielleicht noch einmal zwei, drei Minuten hier . Denn den
Punkt möchte ich gern klarstellen .
Sie haben an dem Punkt unseren Finanzminister
Wolfgang Schäuble kritisiert und gemeint, er würde sich
nicht adäquat einsetzen . Ich sage Ihnen aus unserer Erfahrung im Finanzausschuss - da wäre es gut, wenn Sie
vielleicht einmal als Besucher vorbeischauten -, dass
wir uns in jeder Finanzausschusssitzung mit dem Thema „Stand der Beratungen zur Finanztransaktionsteuer“
beschäftigen .
({1})
Ich kann mir in Europa unter den Ländern, die sich im
Moment noch darum bemühen - das ist bedauerlicherweise eine überschaubare Anzahl; das sind weniger als
die EU-Mitgliedsländer insgesamt -, keine Regierung
und keinen Finanzminister vorstellen, der sich mehr
um das Erreichen dieses Ziels, Implementierung einer
Finanztransaktionsteuer, bemüht, als das bei Wolfgang
Schäuble der Fall ist .
({2})
- Da erleben Sie sogar das Kopfnicken des Kollegen
Troost aus der Fraktion Die Linke . - Also das, denke ich,
sollte man wirklich festhalten .
Wir sind als Deutschland auch in keiner Weise im Detail festgelegt . Wir machen keine Vorbedingungen zu diesem Thema, sondern wir diskutieren das offen und gehen
auf jeden konstruktiven Vorschlag ein, der von den verschiedenen europäischen Ländern kommt . Also, es liegt
mitnichten an unserer Regierung, es liegt mitnichten an
Wolfgang Schäuble, sondern es liegt an der Situation in
Europa, die - wie Sie es im Moment auch an anderen
politischen Fragestellungen beobachten können - eben
nicht immer nur durch Einheitlichkeit und Einigkeit geprägt ist .
({3})
Ich hoffe, dass wir bei diesem Thema weiterkommen .
Aber wenn wir weiterkommen, dann kommen wir auf
jeden Fall durch Wolfgang Schäuble weiter .
({4})
Der andere Punkt, den ich meinem Beitrag vorschalten will, ist eine Bemerkung zu dem Thema Banken und
zu dem Stichwort „Deutsche Bank“ . Ich gehöre nicht
zum engeren Sympathisantenkreis der Deutschen Bank
und habe sie auch nicht auf ihrer Facebookseite geliket
oder Ähnliches . Aber ich muss schon sagen, dass ich dieses regelmäßige Bashing der Deutschen Bank doch ein
bisschen schlicht finde. Das will ich Ihnen ganz ehrlich
sagen .
({5})
Lassen Sie uns die Sache einmal zu Ende denken . Es
gibt ganz viele Punkte, die einen konkret am Geschäftsgebaren dieser Bank stören können, zumal in den letzten
Jahren; das ist völlig zutreffend . Über diese konkreten
Punkte können wir auch gerne sprechen . Das Problem
erkennen wir, wenn wir das zu Ende denken . Wir sind,
glaube ich, die dritt-, viert- oder fünftgrößte Volkswirtschaft auf diesem Erdball . Deshalb ist es auch ganz gescheit, wenn man im eigenen Land Finanzinstitute hat,
die die eigene Wirtschaft, unsere großen, aber auch unsere mittelständischen Unternehmen, die alle international
agieren, begleiten . Ich halte das für sehr gut und für ein
erstrebenswertes Ziel .
({6})
Das muss nicht unbedingt eine Bank sein oder eine
Adresse . Mir geht es auch nicht um konkrete Namen,
aber ich glaube schon, dass es gut ist, wenn Deutschland
auch in Zukunft noch einen attraktiven Kapitalmarkt hat
und ein attraktiver Bankenstandort ist . Das halte ich für
wichtig .
({7})
Eines sage ich Ihnen an dieser Stelle vorweg: Es ist
kritisiert worden, dass unsere Gesetzgebung nicht funktionieren würde .
Herr Kollege Middelberg, darf der Kollege Schneider
eine Zwischenfrage stellen?
Ja, gerne .
({0})
Herr Kollege Middelberg, vielen Dank für die Möglichkeit, im Rahmen meiner Frage klarzustellen, dass wir
auch als Koalition - so habe ich das verstanden - der
Auffassung sind, dass die Finanztransaktionsteuer ohne
Ausnahmen eingeführt werden soll . Mir ist nämlich bekannt, dass von deutscher Seite aus das Bundesfinanzministerium Ausnahmen will, zum Beispiel bei Derivaten
von Staatsanleihen . Frankreich will andere Ausnahmen .
Frankreich will, dass das Market Making nicht besteuert
wird .
Herr Meister ist da . Im März haben wir die Verhandlungen in Brüssel . Ich würde gerne von Ihnen wissen: Ist
auch die Unionsfraktion dafür, keine Ausnahmen zu machen, eine breite Bemessungsgrundlage, niedrige Steuersätze zu haben und auch die Frage der Besteuerung von
Derivaten von Staatsanleihen in die Verhandlungen mit
einzubeziehen?
({0})
Herr Kollege Schneider, herzlichen Dank für diese Zwischenfrage . - Wir halten uns an das, was wir im
Koalitionsvertrag festgelegt haben . Da haben wir einen
Rahmen für die Implementierung der Finanztransaktionsteuer festgelegt . In diesem Rahmen muss sich nachher
das bewegen, was wir am Ende vereinbaren werden . Bis
zu dem Zeitpunkt ist es auch richtig, dass die Bundesregierung offen über alle Varianten diskutiert . Nur, wir
müssen im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit ein
gewisses Quorum an Beteiligten überhaupt erst einmal
auf eine einigende Linie bringen . Danach macht es Sinn,
sich darüber konkret zu unterhalten, auch in diesem Parlament .
({0})
Jetzt möchte ich mit meinem Punkt zu dem Thema
Banken fortfahren . Das ist mir wichtig, weil eben auch
vom Kollegen Schick angesprochen wurde, viele Dinge
würden nicht funktionieren, wir hätten nicht genug Gesetze implementiert und viel Fehlverhalten würde nicht
aufgedeckt . Dann hat der Kollege Troost richtigerweise
darauf hingewiesen - ich glaube, da gab es eine Empfehlung von dir, lieber Axel, wo man das nachlesen kann -,
dass es 6 000 Fälle gibt, in denen sich die Deutsche Bank
verantworten muss .
Ich kann das im Einzelnen gar nicht nachvollziehen;
aber wir lesen jeden Tag in der Presse, dass über die verschiedenen Verfahren, über das Kirch-Verfahren, über
das Libor-Verfahren und über viele andere Dinge, die
Verbraucher und Kleinanleger betreffen, berichtet wird .
Das heißt, dass offensichtlich die Kontrollmechanismen
und damit auch der Rechtsschutz in dem Bereich doch
effizient funktionieren. Auch was andere Dinge angeht Insiderhandel, Manipulationen an den Wertpapiermärkten -, kommt es zu Verfahren, und zwar zu Verfahren,
in denen Vorstände, Aufsichtsräte und andere auf der
Anklagebank sitzen . Ich kann ehrlich gesagt nicht feststellen, dass unser Rechtssystem in dem Bereich unterentwickelt ist und nicht funktionieren würde .
({1})
Das ist aber jetzt die letzte Zwischenfrage, die ich in
dem Zusammenhang zulasse . - Bitte schön, Herr Schick .
({0})
Man kann ein Mikrofon ja auch festhalten, und dann
funktioniert das auch . - Danke, Herr Präsident, und danke, Herr Middelberg, für die Zulassung der Frage . - Mich
würde interessieren, wie Sie den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland Ihre Aussage, dass die Aufklärung
durch die Behörden gut funktioniert, vor dem Hintergrund erklären, dass die entscheidenden Skandale, in die
die Deutsche Bank verwickelt ist, wie zum Beispiel in
den Libor-Skandal, von britischen und US-Behörden und
nicht von deutschen aufgedeckt wurde . Mich würde interessieren, ob Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären
können, wie viele für die Finanzkrise Verantwortliche in
Deutschland bisher rechtskräftig verurteilt worden sind,
warum das so wenige sind und wie Sie vor dem Hintergrund dieser Defizite zu der Aussage kommen, dass das
alles in Deutschland eigentlich ganz gut funktioniere .
({0})
Genau . - Die Tatsache, dass überhaupt ein solches
Verfahren stattfindet, und die Tatsache, dass die betreffende Bank, über die wir eben gesprochen haben, für das
vergangene Jahr einen Verlust von 6,5 Milliarden Euro
ausgewiesen hat - man bedenke auch, wie viele Milliarden Euro an Rückstellungen noch für die Durchführung
von Rechtsverfahren nachgehalten werden -, wird doch
jedes Bankhaus und wird auch jeden anderen Mitspieler,
jeden anderen Mitbeteiligten am Finanzmarkt hinlänglich abschrecken. Wenn Strafverfahren stattfinden, wenn
Vorstandsmitglieder oder andere Verantwortliche eines
Unternehmens auf der Anklagebank sitzen, dann ist auch
das schon eine hinreichende Lehre für sie, unabhängig
davon, ob es zu einer Verurteilung kommt . Es ist in vielen Fällen zu einer Verurteilung gekommen .
Um ganz konkret auf den Libor-Skandal einzugehen:
Dieses Verhalten hat sich in London abgespielt . Da geht
man jetzt vor Gericht; darüber wird dort jetzt verhandelt . Ich kann also nichts Unangemessenes feststellen;
vielmehr stelle ich fest, dass die Systeme funktionieren,
dass Dinge aufgedeckt werden, dass die örtlich zuständigen Behörden das letzten Endes leisten und dass die
Vorgänge durch die Gerichte aufgearbeitet werden . Die
Entscheidungsfindung der Gerichte spielt sich im Rahmen ihrer Unabhängigkeit ab . Das können wir hier beobachten, haben es aber nicht zu kommentieren .
({0})
Ich werde mich in meiner weiteren Rede ein bisschen
zurückhalten; sonst provoziert es zu viele Zwischenfragen .
({1})
Ich möchte sagen, dass das, worüber wir heute reden,
schon sehr wichtig ist; schließlich hat man immer den
Eindruck, dass das ein bisschen technokratisch ist - die
vielen kleinen Regelungen . Es ist schon wichtig, dass wir
einen funktionierenden, einen sicheren Kapitalmarkt haben, aber auch einen Kapitalmarkt, in den jeder Vertrauen
setzen kann, jeder große, aber auch jeder kleine Anleger .
Das ist ganz entscheidend; denn ansonsten würde unsere
Volkswirtschaft nicht vernünftig funktionieren .
Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt,
auch für unsere Banken, die zusätzlichen Eigenkapitalanforderungen unterliegen; das ist bereits erwähnt worden .
Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt für
unsere Industrie, die sich auf die Digitalisierung umstellen muss und erhebliche Anpassungsinvestitionen
in diesem Bereich finanzieren muss. Wir brauchen einen funktionierenden, sicheren Kapitalmarkt für unsere
Gründerszene, die Wachstums- und Gründungskapital
benötigt .
Weil die Banken so scharfen Eigenkapitalanforderungen unterliegen, stehen sie an den Märkten als Finanzierer nicht mehr in dem Maße zur Verfügung, wie es früher
der Fall war . Das heißt, Unternehmen können Investitionen heute nicht mehr allein durch Banken finanzieren,
sondern sie müssen dazu auch auf den Kapitalmarkt zurückgreifen . Auch das ist ein ganz wichtiges Motiv und
ein Grund dafür, dass wir uns weiter um Sicherheit und
um Zuverlässigkeit auf unseren Märkten bemühen .
Es ist auch gut, dass wir das in Deutschland tun; denn
in Deutschland sind wir im Moment noch unterentwickelt, was unsere Kapitalmärkte angeht . In den USA
haben wir ein Verhältnis von Marktkapitalisierung zu
Bruttoinlandsprodukt, also zur Wirtschaftsleistung, von
über 100 Prozent . In Deutschland liegt dieses Verhältnis
bei unter 40 Prozent . Die deutschen Unternehmen nutzen
also ihren Kapitalmarkt viel zu wenig und müssten ihn
viel stärker in Anspruch nehmen .
({2})
Wir haben auch im Hinblick auf die Sicherung unserer Altersvorsorge gute Gründe, uns um einen intakten
Kapitalmarkt zu bemühen; denn angesichts des niedrigen
Zinsumfeldes ist es nicht mehr für jeden eine attraktive
Alternative, zu seiner örtlichen Bank zu gehen und zu sagen: Ich kaufe eine Bundesanleihe mit einer Verzinsung
von null Komma irgendwas . - Vielmehr wird der eine
oder andere überlegen müssen, ob er nicht besser in andere Finanzprodukte investiert, weil er dort höhere und
bessere Renditen erzielt .
({3})
Mit diesem Gesetz schaffen wir ganz reale Verbesserungen . Meine Kollegen Dr . Meister und Matthias Hauer,
aber auch die Kollegin Ryglewski haben die konkreten
Verbesserungen im Gesetz angesprochen, sodass ich es
mir erspare, hier die einzelnen Punkte aufzulisten .
Wir kommen zu deutlich besseren Sanktionsmöglichkeiten, als wir sie früher hatten, gerade beim Insiderhandel . Das ist eine ganz konkrete Verbesserung auf unserem
Kapitalmarkt, die gerade auch die Kleinanleger schützt .
Wir implementieren den Beipackzettel für Finanzprodukte; er ist schon erwähnt worden . Wir in Deutschland
sind diejenigen gewesen, die dieses Produktionsinformationsblatt damals im Kontext mit Riester-Produkten, aber
auch mit anderen Finanzprodukten implementiert haben .
Jetzt zieht die Europäische Union nach .
({4})
Herr Kollege .
Ich bin gleich am Schluss . - Deswegen bilanziere ich:
Es ist ein gutes Gesetz . Es ist ein guter Tag für die Anleger am Kapitalmarkt. Es ist ein guter Tag für einen effizienten, sicheren und vertrauenswürdigen Kapitalmarkt .
Vielen Dank .
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Petry für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir heute vorliegen haben, reizt natürlich,
über Dinge zu sprechen, die nicht in dem Gesetz geregelt
werden; das ist heute Vormittag schon vielfach passiert .
Axel Troost und Gerhard Schick haben die Deutsche
Bank und andere Dinge im Visier . Herr Middelberg hat
eine gewagte These über Bankenfinanzierung und Kapitalmarkt geäußert .
({0})
Ich habe das so verstanden, dass die Regulierungen, die
wir nun im Bankenwesen haben, dazu geführt haben,
dass es schwieriger für sie wird, sich zu finanzieren, und
dass deshalb der Kapitalmarkt einspringen muss . Ich bin
sicher, dass wir darüber in der Diskussion bleiben werden .
Wir haben natürlich schon sehr viel getan . Herr
Dr . Meister hat es gesagt: Es waren 40 Regelungen in den
letzten Jahren . Herr Dr . Meister, bei diesem Gesetz darf
ich mich bei Ihnen ausdrücklich bedanken . Ich hatte bei
der Diskussion um das Kleinanlegerschutzgesetz gesagt:
Das versteht kein Mensch . - Selbst die Begründung war
unlesbar . - Dieses Gesetz jetzt - ich weiß nicht, ob meine
Aussage dazu geführt hat - kann man wirklich lesen und
verstehen . Das ist für die Transparenz, auch die Transparenz für den Gesetzgeber, sehr wichtig . Dafür einen
herzlichen Dank an Sie!
({1})
- Dafür kann man Herrn Dr . Meister einmal danken .
Er hat uns im Zusammenhang mit den 40 Regelungen
auch viel erklären müssen, ob es um den Grauen Kapitalmarkt oder das Kleinanlegerschutzgesetz ging, die
Abwicklungsmechanismen, das Bail-in oder die Bankenunion . Jetzt ist die Frage, ob wir als dritte Stufe die Einlagensicherung verwirklichen, vor allem, wann und unter
welchen Bedingungen wir sie verwirklichen und was dafür in Europa getan werden muss; Carsten Schneider hat
dazu einiges ausgeführt .
Das alles sind Dinge, die unter dem Leitmotiv stehen:
Stärkung des Verbraucherschutzes, mehr Sicherheit für
Kleinanleger, Transparenz am Markt, bessere Aufsicht,
stärkere Sanktionsmechanismen . So ist auch das uns heute vorliegende Gesetz zu verstehen .
Die Marktmissbrauchsrichtlinie, die Marktmissbrauchsverordnung, die EU-Verordnung über Zentralverwahrer und die EU-Verordnung über Basisinformationsblätter werden in nationales Recht umgesetzt . 98 Seiten
dick ist die Vorlage . 17 Rechtsgebiete sind betroffen . Detailregelungen werden angepasst . Mit Sicherheit wird im
Verfahren noch nachgesteuert werden . Es werden weitere Dinge auftauchen, die wir berücksichtigen müssen . Es
geht darum, die Integrität der europäischen Finanzmärkte
wiederherzustellen bzw . zu stärken . Märkte funktionieren nur dann effizient - das hat auch Herr Dr. Middelberg
gesagt -, wenn die Marktakteure klare Regelungen haben . Wir brauchen einen funktionierenden Kapitalmarkt;
da sind wir einer Auffassung . Wenn er mit den einheitlichen Aufsichts- und Sanktionsbefugnissen versehen ist,
die wir hiermit stärken, wenn die Transparenz für Anlegerinnen und Anleger gewährleistet ist, dann ist dies ein
bedeutender Schritt hierzu .
Die Finanzmärkte boomen; wir wissen dies . 800 Billionen Dollar im Derivatehandel weltweit, in Europa ein
Fondsvolumen von 20 Billionen Euro - das sind gigantische Summen . Märkte sind vorhanden . Geld ist vorhanden . Die Regularien dazu müssen so gefasst sein, dass sie
transparent sind und Sicherheit bieten .
({2})
Der Marktmissbrauch verfälscht Marktergebnisse und
lässt die Integrität der Finanzmärkte erodieren . Das schadet dem Markt und untergräbt das Vertrauen der Anleger .
Hier haben Herr Dr . Schick und Axel Troost ja die Deutsche Bank als Beispiel genannt .
Herr Dr . Schick, eines habe ich nicht so ganz verstanden - es war ein bisschen widersprüchlich -, nämlich
Ihre These „Trennbank - keine Krise“ . Das war so ein
bisschen monokausal aufgearbeitet . Ich habe mich geDr. Mathias Middelberg
fragt: Sind denn nicht eher, sage ich einmal, mögliches
kriminelles Handeln und Betrugsfälle ausschlaggebend
als die Regelungen, die dazu da sind, das zu verhindern?
Denn auch neue Regelungen, die wir einführen, können
natürlich missbraucht werden; Axel Troost hat darauf
hingewiesen . Das hat mich so ein bisschen an Animal
Farm erinnert: Zwei Beine sind schlecht, vier Beine sind
gut . Das war mir zu einfach . Ich glaube, das ist komplexer, Herr Dr . Schick . Ich habe Sie vielleicht auch nicht
ganz richtig verstanden .
({3})
- Dann können wir das nochmals ausdiskutieren .
({4})
- Sie dürfen keine Zwischenfrage mehr stellen, Herr
Dr . Schick .
Durch dieses Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz
werden die strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen
Sanktionsmöglichkeiten erweitert . Dies wird, fünf Jahre
nach Bekanntwerden des Libor-Betrugsskandals, endlich
zu den entsprechenden Sanktionen bei Marktmissbrauch
und Insidergeschäften führen .
Einen Aspekt - er ist schon zweimal genannt worden - möchte ich noch besonders betrachten, beispielhaft
für das, was wir hier regeln: den Hochfrequenzhandel,
den computerbasierten Handel mittels Algorithmen, der
europaweit nicht einheitlich reguliert ist . Lothar Binding
kennt sich als Mathematiker mit diesen Algorithmen natürlich besonders gut aus .
({5})
Die zulässige Datenmenge liegt hier bei 10 Gigabit pro
Sekunde und 75 000 Mitteilungen pro Tag . Mit dieser Regelung ist Deutschland Vorreiter . Eben ist die Frage gestellt worden: Welchen volkswirtschaftlichen Sinn macht
das Ganze? Es macht keinen Sinn . Es geht schlichtweg
darum, ein Geschäft zu machen . Jetzt kann man nicht
jedem verbieten, ein Geschäft zu machen; das ist auch
klar . Das braucht man auch nicht . Aber die Regulierung
sollte so erfolgen, dass die Kräfte, die dahinterstehen
können, inklusive der Marktmanipulation durch solche
Algorithmen, begrenzt, beaufsichtigt und auch kontrolliert werden, damit der Missbrauch weitestgehend verhindert werden kann . Die einheitlichen Regularien hierzu
in Europa, was die Sanktionsmöglichkeiten angeht, sind
Teil dieses Pakets . Das halte ich für sehr gut . Das ist ein
Schritt nach vorne . Da bedeutet das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz natürlich einen großen Schritt für
uns .
({6})
Es ist auch gesagt worden, dass die Finanzmarktrichtlinie und die Finanzmarktverordnung, MiFID II und
MiFIR, jetzt noch nicht umgesetzt werden . Statt zum
3 . Januar 2017 soll dies nun erst 2018 der Fall sein . Das
ist natürlich ärgerlich . Hier wäre - Sarah Ryglewski hat
darauf hingewiesen - noch ein großer Schritt zu tun; aber
dieser wird kommen . Auch hier werden wir im Zusammenhang mit dem Thema „mehr Transparenz und mehr
Verbraucherschutz“ ein Augenmerk auf die Umsetzung
in nationales Recht legen .
Am Ende meiner Ausführungen möchte ich nochmals
betonen, dass es bei diesem sehr komplexen Werk in der
Diskussion mit Sicherheit noch an der einen oder anderen Stelle Veränderungsbedarf geben wird . Ich freue
mich auf diese Diskussion . Ich bin auch sehr gespannt
darauf, was noch von außen an uns herangetragen wird .
Wir haben eben beschrieben, wie der Weltfinanzmarkt
aufgebaut ist . Wir sprechen hier über schier undenkbar
große Summen . Ich bin froh, dass wir dies heute Morgen
in vertrauter Runde diskutieren können . Insoweit freue
ich mich auf die kommende Diskussion . Mein besonderer Dank für das schnelle und geräuschlose Arbeiten gilt
an dieser Stelle nochmals dem Bundesfinanzministerium
und den beteiligten Ressorts . Wir werden in den kommenden Wochen intensiv diskutieren . Ich denke, der heutige Tag ist ein guter Tag für den Verbraucherschutz und
für die Transparenz . Es ist ein guter Tag hier im Deutschen Bundestag .
Glück auf!
({7})
Frank Steffel ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit eineinhalb
Stunden diskutieren wir - ich vermute, zum hundertsten,
zweihundertsten oder dreihundertsten Mal - in diesem
Deutschen Bundestag über die Regulierung von Finanzmärkten . Vielen Zuhörerinnen und Zuhörern geht es wohl
wie immer: Man merkt, wie mühsam das ist, man merkt,
wie komplex das ist . Man versteht wahrscheinlich vieles nicht wirklich, hat aber hoffentlich das Gefühl, dass
sich dieser Deutsche Bundestag sehr intensiv bemüht, die
Lehren aus der Finanzmarktkrise zu ziehen und alles dafür zu tun, dass sich eine solche Krise in Europa nie mehr
wiederholen kann .
({0})
Ziel auch dieses Gesetzes - wie aller Gesetze davor ist es einmal mehr, die europäischen Finanzmärkte vor
einer Krise zu schützen, die ja nicht nur Auswirkungen
auf den Banken- und Finanzbereich, sondern auch auf
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, unseren Mittelstand, unsere Verbraucher und unsere Steuerzahler hat .
Es sind viele, die dann die Zeche einer solchen Krise bezahlen müssen . Wir optimieren also heute - acht Jahre
nach der Finanzkrise - einmal mehr die seitdem bereits
eingeführten Finanzmarkgesetze .
Lassen Sie mich an einem Tag wie heute ganz bewusst
einmal festhalten: Wir optimieren das heute europaweit .
Das heißt, die europäische Politik stellt einmal mehr
in einem außerordentlich komplexen Sachverhalt ihre
Handlungsfähigkeit unter Beweis . Sie stellt unter Beweis, dass sie aus dieser Finanzkrise ihre Lehren gezogen
hat . Und sie stellt unter Beweis, dass sie trotz aller unterschiedlichen Auffassungen in der Lage ist, gemeinsame
Regelungen für Europa zu schaffen . Des Weiteren stellt
sie unter Beweis, dass sie wachsam und bereit ist, Jahr
für Jahr immer wieder Gesetze zu optimieren, die den
Menschen in Europa dienen . Ich glaube, das ist gerade an
einem Tag wie heute - bei vielen anderen Fragen, die wir
zurzeit streitig diskutieren - ein gutes Signal Europas .
({1})
Ich möchte sehr bewusst auch im Rückblick noch
einmal daran erinnern, dass sich die Europäische Union
und die Staaten in Europa auch vor acht Jahren als handlungsfähig erwiesen haben . Viele von uns erinnern sich
an die Finanzkrise und ihre Auswirkungen nur noch ganz
entfernt . Aber: So lange ist das noch gar nicht her . Auch
damals haben der Deutsche Bundestag und viele Parlamente in Europa Pakete von Maßnahmen gemeinsam
diskutiert und entschieden, um die Folgen der Krise für
Europa bzw . für die Menschen in Europa abzumildern .
Wir können übrigens heute, acht Jahre nach der Krise, in Deutschland feststellen: Wir haben verdammt viel
richtig gemacht . Auch damals war es übrigens eine Große Koalition, die gemeinsam gearbeitet und dazu beigetragen hat, dass wir heute - nur wenige Jahre nach der
Krise - mit über 43 Millionen Menschen den höchsten
Beschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben .
({2})
Wir haben heute - das ist uns allen besonders wichtig einen historischen Tiefstand bei der Arbeitslosigkeit,
insbesondere aber bei der Jugendarbeitslosigkeit . Jeder
Junge und jedes Mädchen in Deutschland hat heute die
Chance, aus seinem Leben etwas zu machen . Das war
vor acht Jahren keineswegs sicher . Und wir haben heute
wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die insgesamt so
positiv sind wie selten zuvor . Ich sage das sehr bewusst
an einem Tag, wo natürlich die Interessenlage auf die
Staats- und Regierungschefs abzielt und wir den Eindruck erwecken, als ob wir Krisen vor uns haben, die wir
überhaupt nicht mehr bewältigen können . Meine Damen
und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer soll
denn diese Krise bewältigen, wenn nicht wir in Europa,
wenn nicht wir in Deutschland?
({3})
Ich bin sicher, dass auch der heutige Gesetzentwurf dazu sind ja viele Details sehr umfangreich diskutiert
worden - deutlich macht, dass Europa gemeinsam handelt, dass wir Gesetze auf europäischer Ebene verwirklichen, die wir übrigens in Deutschland vielfach schon
vorher eingeführt hatten . Heute werden die Regeln für
den Insiderhandel und zur Verhinderung von Marktmanipulationen durch europaweit einheitliche Regelungen
abgelöst . Das ist ein gutes Signal Europas . Wir passen
die Regelungen aktuellen Entwicklungen an, etwa den
völlig neuen Handelsplattformen wie dem Hochfrequenzhandel, der sich vielfach schneller entwickelt, als
wir Politiker überhaupt handeln können . Wir stärken die
Integrität und Transparenz der Kapitalmärkte durch Regelungen zum Vertrieb von Wertpapieren und Kapitalanlagen . Der Anlegerschutz - viele haben darauf hingewiesen - wird einmal mehr deutlich verbessert . Die Strafen
werden deutlich erhöht . Auch das ist ein wichtiger Teil
dieses Gesetzespakets . Weiterhin erleichtern wir mit dem
Gesetz das Tätigwerden von Whistleblowern, und wir erweitern auch die Eingriffsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden .
Ich will das in aller Kürze noch einmal deutlich machen, weil es keineswegs selbstverständlich ist, dass sich
sehr unterschiedliche Regierungen bzw . Länder Europas
gemeinsam auf so umfangreiche Regelungen verständigt
haben . Wir Deutschen - auch in dieser Hinsicht sollten
wir zufrieden sein - waren einmal mehr an der Spitze der
Bewegung . Wir haben aktiv mitgestaltet . Wir sind, Herr
Dr . Meister, nicht nur unserer Verantwortung gerecht geworden, sondern wir waren einmal mehr Motor für Finanzmarktregulierung in Europa .
({4})
All diese Regelungen stärken die Verbraucherrechte und
werden hoffentlich die Finanzmärkte sicherer machen
und dazu beitragen, dass sich eine Krise wie vor acht
Jahren nicht wiederholen kann .
Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der etwas
untergegangen ist - er hat mit dem heute vorliegenden
Gesetzentwurf nur mittelbar zu tun -: Es ist im Rahmen
dieser Regulierung auch gelungen, für die 120 größten
Banken in Europa eine einheitliche Bankenaufsicht zu
schaffen . Zusätzlich haben wir einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus . Dieser stellt sicher, dass im Fall
einer Pleite einer europäischen Bank zunächst die Anteilseigner und Gläubiger und dann ein von den Banken
gespeister Rettungsfonds die Schulden bedient und eben
nicht einmal mehr der Steuerzahler . Diese Bankenunion
ist ein Meilenstein der europäischen Integration . Vor der
Finanzkrise war eine derart enge Zusammenarbeit undenkbar, und niemand konnte sich vorstellen, dass die
nationalen Regierungen ihre Gesetzgebungskompetenz
in einem so sensiblen Bereich wie der Bankenregulierung an Europa, an die EU abgeben würden .
Das zeigt einmal mehr, meine Damen und Herren,
dass wir Europäer in der Lage sind, gemeinsam unsere
Probleme zu lösen . Trotz unterschiedlicher nationaler Interessen, was völlig normal ist und Europa auch im positiven Sinne ausmacht, finden wir eine zukunftsweisende
Einigung und gehen zumeist gestärkt aus Krisen hervor .
Deshalb sollten wir uns gerade an einem Tag wie heute
dieser gemeinsamen Kraft bewusst sein, auch wenn der
Weg häufig anstrengend ist. Es gibt dazu übrigens auf
unserer Welt und in Europa ohnehin keine vernünftige
Alternative . Diese Kraft Europas sollte uns aber auch
Ansporn sein, in der aktuellen Krise an gemeinsamen
Lösungen zu arbeiten .
Lassen Sie mich das abschließend sagen: Ich bin von
Natur aus optimistisch . Deswegen bin ich mir ziemlich
sicher, dass die Staats- und Regierungschefs in den vor
uns liegenden 48 Stunden einmal mehr in wichtigen Fragen der Europapolitik gemeinsame Beschlüsse fassen
und Europa stärken werden und die europäische Zusammenarbeit in zwei, drei Tagen vertieft ist und besser dasteht, als es heute diskutiert wird . Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Optimist behält nicht zwingend
öfter recht als der Pessimist, aber er lebt in jedem Falle
glücklicher .
({5})
Mit dieser ermutigenden Perspektive schließe ich die
Aussprache .
Ich vermute, dass sie uns die Empfehlung erleichtert,
der Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 18/7482 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zuzustimmen . Hat jemand anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe nun unseren Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Luise Amtsberg, Volker Beck ({0}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Demokratie stärken - Dem Hass keine Chance
geben
Drucksache 18/7553
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diese Aussprache eine Dauer von 77 Minuten vorgesehen . - Das ist offensichtlich einvernehmlich . Also können wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Anton Hofreiter für die antragsstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassismus . Rechtspopulistische, rassistische und rechtsextreme
Kräfte verbreiten Hass und Hetze - auf der Straße, im
Internet, im politischen Diskurs . Wir erleben eine Verrohung, die uns alle hier tief besorgt machen muss .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gewaltbereitschaft hat eine Dimension erreicht, die in Teilen noch
schlimmer ist als in den 90er-Jahren . Heidenau, Tröglitz,
Freital sind in den vergangenen Jahren zum Gesicht des
hässlichen Deutschen geworden . Im niedersächsischen
Salzhemmendorf wurde nachts ein Brandsatz in eine
Flüchtlingsunterkunft geworfen . Nur durch Zufall entgingen die im Haus schlafenden Kinder dem Tod . Im
brandenburgischen Bad Belzig haben Jugendliche eine
hochschwangere Asylbewerberin aus Somalia zusammengeschlagen . - Dies sind nur wenige Beispiele, die
das Ausmaß der rechten Gewalt zeigen .
Aber es ist nicht nur die Häufigkeit, die mich erschreckt . Die neue Dimension besteht darin, dass die Gewaltbereitschaft bis tief in die Mitte der Gesellschaft vordringt . Biedermänner werden zu Brandstiftern . Ich bin
mir sicher, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage:
Dagegen müssen wir mit aller Macht vorgehen .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2015 gab es erschreckenderweise 14 000 rechtsextrem motivierte Straftaten,
darunter 1 600 Straftaten im Zusammenhang mit der Unterbringung Geflüchteter, jeden Tag vier Anschläge auf
Orte, an denen Menschen sich sicher fühlen sollen, Menschen, die bei uns Schutz suchen vor Gewalt, vor Folter,
vor Bomben und vor Krieg . Ein Staat versagt, wenn er
seine Schutzverantwortung für alle Menschen im Land
nicht ernst nimmt .
Rechte Gewalt ist in unserem Land tragischerweise
wieder etwas Alltägliches geworden .
({1})
Wir sind es den Menschen und uns selbst schuldig, diese erschreckende Normalität nicht einen Tag länger zu
akzeptieren . Zu oft bleiben die Täter unbehelligt . Wie
kann es angehen, dass sich die Polizei 20 Jahre nach
Rostock-Lichtenhagen, nach Mölln und Solingen erneut
so schwer damit tut, rechte Straftaten zu erkennen? Im
schleswig-holsteinischen Escheburg etwa zündete ein Finanzbeamter eine geplante Asylunterkunft in der Nachbarschaft an . Das BKA will keine rechte Tatmotivation
erkennen, selbst dann nicht, nachdem das zuständige Gericht den rassistischen Hintergrund eindeutig festgestellt
hat . Oder nehmen wir den Fall Tröglitz . Dort tritt ein
Bürgermeister aufgrund von Gewalt des rechten Mobs
zurück . Kurz danach brennt die geplante Unterkunft für
Geflüchtete. Nach Monaten wird ein NPD-Sympathisant
als Täter festgenommen; aber auch in diesem Fall sieht
das BKA keinen Grund, die Tat als vermutlich rechtsmotiviert einzustufen . Wer nicht imstande ist, wer nicht
willens ist, rechte Straftaten zu erkennen, der gefährdet
die innere Sicherheit unseres Landes .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, rechte Gewalt entsteht nicht aus dem Nichts . Sie kündigt sich in einer
Radikalisierung der Sprache wie bei Pegida und AfD an
und bleibt, tragischerweise auch auf der Facebookseite
der CSU, zu oft unwidersprochen. Wir befinden uns in
einer Abwärtsspirale, in der die unterste Schublade noch
unterboten wird . Wir machen es uns zu leicht, wenn wir
die Taten zu Taten einiger Verirrter oder Unbelehrbarer
erklären . Pegida, AfD und Co . bereiten den Nährboden
für rassistische Hetze und für das vergiftete gesellschaftDr. Frank Steffel
liche Klima . Sie schüren Ängste, und sie spielen mit
rassistischen Ressentiments . So befeuert die AfD die absurde Phantasie eines kulturell oder ethnisch homogenen
deutschen Volkes, und CSU-Söder fürchtet eine massive Verringerung von Volksvermögen . Wir erleben hier
einen massiven Missbrauch rechter Sprüche durch die
CSU . Dabei ist die Obergrenze für destruktives CSU-Geschwätz doch längst erreicht .
({3})
Im Wahlprogramm der AfD in Baden-Württemberg
wird vom Ende der deutschen und europäischen Kultur
schwadroniert, das durch die Menschen, die vor Krieg
und Verfolgung hierher fliehen, angeblich besiegelt werden soll . Die AfD führt sich als geistiger Brandstifter auf
und treibt damit die Verrohung des politischen Diskurses
ganz entscheidend voran . Wer so hetzt wie die AfD, trägt
Mitschuld daran, wenn Molotowcocktails geworfen werden und Unterkünfte brennen .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten,
solchen Äußerungen entgegenzutreten, egal ob sie aus
der eigenen Familie, aus dem Freundeskreis oder aus der
eigenen Partei kommen . Sie machen mich zornig .
({5})
Wir müssen der Spaltung unserer demokratischen Gesellschaft entgegentreten, gemeinsam und entschlossen .
Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit haben tragischerweise seit Jahrzehnten einen festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft .
Ja, Deutschland ist leicht entflammbar. Rassistische
Angstmache und krude Ideologien der Ungleichheit von
Menschen dürfen keine Akzeptanz erfahren . Aber wenn
Horst Seehofer auf niedrigstem Niveau von einer „Herrschaft des Unrechts“ schwadroniert oder ein sinnloses
Ultimatum nach dem anderen stellt, statt ernsthaft nach
Lösungen zu suchen, vergiftet er das politische Klima
und trägt mit zum Vertrauensverlust in unserer Demokratie bei .
({6})
Wer von Flüchtlingsströmen redet, als würde es sich dabei um eine Naturkatastrophe handeln, wer Menschen
zu Naturkatastrophen macht, der entmenschlicht sie und
nimmt ihnen die Würde . Es sind aber Männer, Frauen
und Kinder, die vor Krieg und Verfolgung zu uns fliehen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder von uns und
jeder, der sich öffentlich äußert, trägt Verantwortung
dafür, wie wir über die Frauen, Männer und Kinder, die
zu uns kommen, sprechen . Wir können uns in der Sache
streiten, heftig und mit Leidenschaft . Aber lassen Sie uns
bitte gemeinsam dafür sorgen, dass wir zu einer Debatte
der Vernunft und der Menschlichkeit zurückkehren, anstatt die schrillen Töne der Hetze und der Hysterie anzustimmen . Es ist die Aufgabe von Politik, den Menschen
die Sorgen zu nehmen, anstatt Ängste zu schüren . Es ist
die Aufgabe von Politik, zu streiten, Probleme zu identifizieren und dann die Probleme zu lösen.
({8})
Ja, Deutschland hat ein Problem; es heißt Rassismus .
Es ist höchste Zeit, dass wir das erkennen und unmissverständlich für unsere demokratische und offene Gesellschaft kämpfen und einstehen . Die übergroße Mehrheit
der Menschen in unserem Land erwartet von uns, dass
wir davon sprechen, welch offene, bunte und lebenswerte Gesellschaft wir haben, und klar zeigen, dass wir
diese offene und lebenswerte Gesellschaft verteidigen
und sie weder im Internet noch auf der Straße noch im
öffentlichen Diskurs den Hetzern, den Rassisten und den
Rechtsradikalen überlassen .
Vielen Dank .
({9})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Marian Wendt das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Die gesellschaftliche Entwicklung zu einem Mehr an Gewalt in unserem
Land betrachte auch ich mit großer Sorge . In der Tat dürfen wir dem Hass und der Gewalt keine Chance bieten .
Im Antrag der Grünen finde ich sehr gute Ansatzpunkte . Wer aber von politischer Gewalt und von Hass
spricht und damit ausschließlich Gewalt und Hass durch
Rechtsextremisten meint, verhält sich unredlich .
({0})
Diese Auffassung ist für mich engstirnig und ideologisch
verbrämt .
({1})
Betrachten wir nur einmal die extremistischen Gewalttaten und Ereignisse des letzten Jahres, so stellen wir fest,
dass wir unseren Blick weiten müssen . Ich zähle auf: die
Ausschreitung der Linksextremisten am 12 . Dezember
in Leipzig, die Ausschreitungen von Rechtsextremisten
am 11 . Januar in Leipzig, die HoGeSa-Krawalle, die Krawalle bei der Eröffnung der EZB-Zentrale in Frankfurt
und die unsäglichen Angriffe auf Polizisten in der Rigaer
Straße hier in Berlin . Das alles macht uns klar: Gewalt
herrscht auf vielen Seiten und hat viele Facetten in unserem Land . Auch die BKA-Berichte zu Gewalt gegen
Asylbewerber und in Asylbewerberunterkünften, die uns
diese Woche erreichten, zeigen dies leider einmal mehr .
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass „menschenfeindliches Gedankengut … nicht nur ein Problem der ‚rechten
Ränder‘“ sei . Richtig, Hass und Gewalt sind auch Probleme des linken Randes . Ich hätte mir gewünscht, dass Sie
dies hier klipp und klar benannt hätten .
({2})
Aber Sie bleiben Ihrer Linie treu und klammern einseitig
eine Reihe von Problemstellungen aus .
Allein in der Bundeshauptstadt gab es im Jahr 2015
ganze 25 Anschläge gegen Gotteshäuser, wovon 17 gegen christliche Kirchen gerichtet waren . Allein im zweiten Quartal des vergangenen Jahres hat die Bundesregierung 168 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund
registriert . Wenn dabei nach dem Antisemitismus von
rechts differenziert wird, sage ich klipp und klar: Wir haben auch einen Antisemitismus von links, der mitunter
religiös motiviert ist . So wurde etwa ein Rabbiner in Berlin-Schöneberg von Arabern bespuckt . Auch da haben
wir ein Problem . Ich möchte gar nicht erwähnen, dass
ein gespürter Antisemitismus von 20 Prozent in unserer
Bevölkerung herrscht, der vor allen Dingen von Anti-Israel-Propaganda und Israel-Kritik auch vonseiten der
Linkspartei verfolgt wird .
({3})
Was wollen Sie damit erreichen? Warum verschweigen Sie auf den sechs Seiten Ihres Antrags die Gewalt
und die Beschimpfung von christlichen Asylbewerbern
durch muslimische Asylbewerber? Wo findet sich der
lutherische Pfarrer Martens aus Berlin, der sich schützend vor diese bedrängten Menschen stellt, sich für ihre
Belange engagiert und von den etablierten Kirchen ziemlich alleingelassen wird - so fühlt er sich -, in Ihrem Antrag wieder?
Was politische Gewalt angeht, haben wir ein probates
Mittel, eines, das sich auf diesem Gebiet bewährt hat, den
Rechtsstaat . Diese Errungenschaft ist die erste Adresse,
wenn es darum geht, politisch motivierte Gewalttaten
aufzuklären und Gewalt zu verhindern . Wir müssen das
BKA sicherlich genau im Blick haben; aber es einzuschüchtern und der ständige Vorwurf, es arbeite falsch,
das ist die falsche Herangehensweise .
({4})
Unser Rechtsstaat verfügt über funktionierende Prozesse
der Selbstreinigung und der kontinuierlichen Verbesserung, wie die Aufarbeitung der Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds ganz klar gezeigt hat . Der Vorwurf gegenüber der CDU, sie sei auf einem Auge blind,
ist hier völlig fehl am Platze .
({5})
Im Zuge dieser kontinuierlichen Verbesserung hat
die Große Koalition verschiedene Gesetzespakete in
den Bundestag eingebracht, um politische Gewalt von
rechts und links stärker zu bekämpfen . Wir haben eine
Reform der Verfassungsschutzämter durchgebracht und
damit eine bessere Vernetzung der Sicherheitsbehörden
gewährleistet . Wir haben ein Mehr an Bundespolizei geschaffen .
({6})
Auch die Länder vergrößern ihre Personalkörper und
führen neue Formen wie die sächsische Wachpolizei ein .
Die Vorratsdatenspeicherung wird uns ebenfalls helfen,
massiv Gewalt von rechts und links aufzuklären . Das
haben zum Beispiel die Festnahmen im Januar 2015 in
Leipzig gezeigt .
Ich bin mir sicher - da bin ich ehrlich -: Der Rechtsstaat kann nicht alle Probleme lösen, die sich insbesondere durch gesellschaftliche Entwicklungen hervorgetan
haben . Es kommt auf ein wirklich nachhaltiges zivilgesellschaftliches Engagement von uns allen an . Eine
„Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit“, wie Sie es in
Ihrem Antrag formulieren, meine ich damit nicht . Sie gehen eher von einem zivilgesellschaftlichen Engagement
aus, das der Staat finanziert. Ich frage mich ehrlich: Ist
das noch wahres und nachhaltiges zivilgesellschaftliches
Engagement im eigentlichen Wortsinne?
({7})
Extremismusprävention darf doch keine groß angelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sein, sondern muss
dem Ziel, Extremismus zu verhindern und Radikalisierungen vorzubeugen, dienen .
({8})
- Bleiben Sie ganz ruhig . Ich bringe gleich ein anderes
Modell ins Spiel . - Aus meiner Sicht sollte es vielmehr
um die Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements gehen, das bei uns bereits eine breite Basis hat .
Wir haben Sportvereine, die THW-Jugend, Kirchen und
Musikvereine. Dort findet wirkliche Integration statt.
({9})
Dort werden Werte wie Toleranz, Teamwork und die
Verantwortung füreinander miteinander gelebt . Dort sind
finanzielle Mittel viel, viel besser angelegt als in aufgebauschten Anti-rechts-Programmen, die dann auch noch
zur Finanzierung von Antifa-Strukturen genutzt werden .
({10})
Das wäre aus unserer Sicht der richtige Weg .
({11})
Integration kann in einem Sportverein oder einer Kirche
doch viel tiefer gehen, weil sie Teil des wahren Lebens
sind . Deswegen wäre es aus meiner Sicht besser geweMarian Wendt
sen, viel mehr Punkte aufzuzeigen, an denen dieser Weg
gegangen wird .
({12})
In diesen Bereichen engagieren sich Millionen von Menschen für die Integration von Asylbewerbern und bekämpfen damit auch den Rechtsextremismus .
({13})
Detlef Pollack hat das eindeutig belegt .
Weil der Kollege Hofreiter das angesprochen hat und
Sie sicherlich eine Positionierung von mir erwarten,
möchte ich auf Pegida zurückkommen .
({14})
Man darf die Menschen - das habe ich bereits vor einigen
Wochen hier gesagt - nicht pauschal für ihre Gedanken
verurteilen . Wir müssen mit ihnen sprechen . Ich rede
Pegida nicht nach dem Mund - das macht keiner -; aber
wer Menschen in diesem Land und die Diskussion mit
ihnen pauschal ablehnt, muss sich fragen lassen: Was tut
ihr da?
({15})
Die Menschen haben Fragen, und diese Fragen müssen
wir beantworten .
({16})
Die Frage ist doch: Warum gehen die Menschen zu
Pegida und nicht zur CDU?
({17})
Das ist die entscheidende Frage . Es ist wie immer: Wenn
wir nur mit dem Finger auf die anderen zeigen und sagen: „Die sind böse“, aber selber keine Antworten haben,
werden wir dieses Problem nicht lösen . Wir müssen den
Leuten doch zeigen, dass es unserem Land gut geht . Die
Leute haben Angst, dass die Wirtschaft einbricht, dass sie
ihre Arbeitsplätze verlieren . Aber wir können ihnen klipp
und klar zeigen: Die unionsgeführte Bundesregierung hat
Gutes getan . Wir haben den Reallohn gesteigert, allein
im letzten Jahr um 2,4 Prozent . Wir haben mit 6,7 Prozent eine sehr niedrige Arbeitslosenquote . Das sind Dinge, mit denen wir den Menschen, die auf die Straße gehen, begegnen können . Das sind klare Antworten, die wir
ihnen geben können .
({18})
Für mich ist wichtig: Angst ist ein ganz schlechter
Partner .
({19})
Wir dürfen die Angst nicht in unsere Gesellschaft lassen .
Mein Aufruf an Pegida ist: Fragt euch, wie wir dieses
Land voranbringen können! Wir brauchen mündige Bürger und keine Scharfmacher, und wir brauchen weiterhin ein Strafgesetzbuch, das klipp und klar besagt, dass
friedliche Demonstrationen erlaubt sind, das Gewalt aber
ganz scharf ablehnt .
({20})
Wenn wir uns wieder auf diesen Weg begeben - alle
miteinander, von rechts, von links, vom Ausländerextremismus bis hin zum religiösen Extremismus -, dann
kann uns dies gelingen . Wenn wir aber andere Meinungen pauschal verunglimpfen und uns nicht friedlich mit
ihnen auseinandersetzen, dann werden wir das Problem
nicht lösen .
Noch ein kurzes Wort zu Pegida . Ich weiß, dass in
Dresden nur 7 von 100 Einwohnern mitmarschieren .
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit .
Ja . - Denen rufe ich ganz klar entgegen: Nein, ihr seid
nicht das Volk - schon gar nicht meins -, höchstens ein
Völkchen . Deswegen ist mein Aufruf, Hassreden vor allem gute und positive Reden entgegenzusetzen .
Vielen Dank .
({0})
Katja Kipping ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner, Herr Wendt, kommt von der sächsischen CDU .
Ich finde, seine Rede hat sehr gut veranschaulicht, warum Pegida in Sachsen so stark werden konnte . Das war
die Strategie der letzten 25 Jahre: Jeden Hinweis auf
wachsende neofaschistische Gewalt hat die CDU relativiert, indem sie irgendwo auch einen linken Regelverstoß aufgetan hat . Diejenigen, die sich zivilgesellschaftMarian Wendt
lich gegen Neonazis engagieren, werden von Sachsens
CDU auch noch verunglimpft .
({0})
Doch nun zum Thema des Antrags . Wir erleben gegenwärtig mehrere beunruhigende Entwicklungen . Dazu
gehört erstens die Zunahme von Angriffen, von rassistischen Angriffen auf Leib und Leben von Menschen . So
hat sich die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte
verfünffacht .
Zweitens stellen wir eine Verrohung des Sprechens
fest . Nicht nur im Netz nehmen Wortmeldungen zu, die
anderen Menschen das Menschsein absprechen .
Drittens . Mit den Aufmärschen von Pegida, den
selbsternannten Verteidigern des sogenannten Abendlandes, gibt es eine bewegungsförmige Organisation des
Rassismus .
Viertens können die Rechtspopulisten europaweit
Wahlerfolge feiern .
Diese vier Entwicklungen verstärken einander . Rassistische Bewegungen wie Pegida stehen für die Aufkündigung von Empathie und Mitmenschlichkeit . Insofern
ist es die Pflicht aller Demokratinnen und Demokraten,
gegen diesen Rassismus klar und deutlich Flagge zu zeigen .
({1})
Doch es sind nicht die selbsternannten Verteidiger
des Abendlandes, die mir wirklich Angst machen . Mich
ängstigt vielmehr das Versagen derjenigen, die eigentlich
die Verteidiger der Demokratie sein müssten . Wenn einzelne rassistische Aufmärsche die Demokratie verhöhnen, dann ist das ärgerlich; aber das kann eine Demokratie aushalten . Wenn jedoch die Regierenden, die als
Verfassungsorgan auf das Grundgesetz verpflichtet sind,
anfangen, zu lavieren, und am Ende Stück für Stück die
Forderungen der Rechtspopulisten in Gesetzestexte gießen, dann gibt es einen Rechtsruck . Wenn diejenigen, die
die Verantwortung hätten, dagegenzuhalten, die Rhetorik
und die Problembeschreibung der Rassisten übernehmen,
dann droht das Pendel wirklich umzuschlagen .
Wir erleben gegenwärtig: Aus lauter Angst vor den
möglichen Erfolgen der AfD wird im Wochentakt eine
Scheinlösung nach der anderen von der Union präsentiert, Scheinlösungen, die an den wirklichen Ursachen
vorbeigehen, die aber die rassistische Problembeschreibung übernehmen und sie damit verstärken .
({2})
- Ja, große Teile der politischen Klasse, große Teile der
Union versagen gegenwärtig, gerade weil sie das Lied
der AfD mitsingen und dort einstimmen .
({3})
Ich habe dafür einige Beispiele . Nehmen wir nur einmal Horst Seehofer . Er ist immerhin Vorsitzender einer
Partei, die Teil dieser Regierung ist . Er möchte die Bundesregierung wegen der Unantastbarkeit der Grenzen
verklagen und führt sich dabei auf, als ob er Artikel 1 des
Grundgesetzes umschreiben möchte, obwohl dieser Artikel durch die Ewigkeitsklausel geschützt ist . Artikel 1
Absatz 1 des Grundgesetzes lautet:
Die Würde des Menschen ist unantastbar . Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt .
({4})
Für Herrn Seehofer sind die bayerischen Obergrenzen
aber offenbar ein höheres Gut als die Menschenwürde .
({5})
Das Grundgesetz entstand infolge der schweren und
schmerzhaften Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, und es beginnt deswegen aus gutem Grund mit der
Würde des Menschen, also aller Menschen und nicht nur
der Deutschen .
({6})
Ein weiteres Beispiel für den Flirt mit dem Rechtspopulismus liefert Julia Klöckner . Sie, die immerhin Ministerpräsidentin und vielleicht noch mehr werden möchte,
führt in Rheinland-Pfalz einen Wahlkampf gegen Flüchtlinge in der Art eines AfD-Imitationswettbewerbes .
({7})
Oder nehmen wir Thomas Strobl von der CDU . Er fordert, das Recht zum unbefristeten Aufenthalt sollten nur
Menschen erhalten, die hinreichend Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der bundesdeutschen Rechts- und
Gesellschaftsordnung nachweisen können .
({8})
Aussagen wie diese verstärken das Vorurteil, dass die
Geflüchteten nicht Deutsch lernen wollen. Ich erlebe
in Gesprächen in Flüchtlingsunterkünften genau das
Gegenteil . Dort wird Sorge darüber geäußert, dass nur
Menschen einiger weniger Nationen die zertifizierten
Sprachkurse angeboten werden . Die schwarz-rote BunKatja Kipping
desregierung versagt gerade dabei, allen, die wollen,
Sprachkurse anzubieten,
({9})
und ist sich nicht zu schade, den Schwarzen Peter den
Geflüchteten zuzuschieben. Das ist schädlich.
({10})
Ganz offensichtlich schwebt Herrn Strobl eine Ausweitung der Einbürgerungstests vor . Ich fände es ja
einmal interessant, zu sehen, wer hier in diesem Hohen
Hause all die Fragen zur bundesdeutschen Gesellschaftsordnung beantworten könnte .
({11})
Mich würde auch interessieren, wer aus der Union den
Inhalt von Artikel 3 des Grundgesetzes aufsagen könnte . Herr Strobl kann dies ganz offensichtlich nicht; denn
sonst wüsste er, dass nach unserem Grundgesetz niemand
wegen seiner Abstammung oder seiner Sprache benachteiligt werden darf .
Ich fasse zusammen: Wer von rassistischen Anschlägen spricht, der darf über Pegida nicht schweigen, wer
von Pegida spricht, der darf über die AfD nicht schweigen,
({12})
und wer von der AfD spricht, der darf nicht darüber
schweigen, dass sich Teile der politischen Klasse inzwischen den Mantel des Rechtspopulismus umgelegt haben .
({13})
Der vorliegende Antrag stellt auf das wichtige Ziel
ab, die Demokratie zu stärken . Wir hoffen, dass sich die
Geschichte nicht wiederholt, aber wir können aus ihr lernen . Das Scheitern der Weimarer Republik hing unter anderem damit zusammen, dass massive gesellschaftliche
Umbrüche mit einer Wirtschaftskrise und mit sozialen
Verwerfungen einhergingen . Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass man zum Rassisten wird . Wir wissen
jedoch, dass Abstiegsängste und eine Gesellschaft, in
der jeder auf Konkurrenzdruck und Ellbogeneinsatz getrimmt wird, den Menschenfeinden in die Händen spielen . Da müssen wir ansetzen . Wir müssen alles tun, um
zu verhindern, dass sich die Weimarer Verhältnisse hier
und in Europa wiederholen . Deswegen brauchen wir eine
Sozialgarantie und die berechtigte Hoffnung auf sozialen
Fortschritt .
({14})
Das heißt: Es gilt, den Sozialstaat und den öffentlichen
Sektor auf- und auszubauen und nicht zu zerschlagen sowohl hierzulande als auch überall in Europa .
Vielen Dank .
({15})
Uli Grötsch von der SPD-Fraktion ist der nächste Redner .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin gemeinsam mit meiner Fraktion der Meinung, dass
es gut ist, dass wir heute diese wertvolle Debatte führen,
und danke den Antragstellern dafür, dass sie uns dies mit
ihrem Antrag ermöglichen .
Am Anfang meiner Ausführungen möchte ich aber
schon sagen, Herr Wendt, dass es heute nicht um alle
Formen von Gewalt geht .
({0})
Dann müsste man ja bis zur häuslichen Gewalt alle Formen der Gewalt einbeziehen, die wir natürlich alle, die
wir hier sitzen, verurteilen . Heute geht es um Rassismus,
um Hetze und um rechte Gewalt, und es stünde uns allen
gut zu Gesicht, wenn wir in einer solchen Debatte bei
diesem Thema blieben .
({1})
Ich möchte auch etwas dazu sagen, dass Sie zum Thema Pegida angeregt haben, dass wir mit den Menschen
im Gespräch sein sollten . Natürlich sollte man mit den
Menschen im Gespräch sein, und natürlich ist es unser
aller Aufgabe, den Menschen ihre Ängste zu nehmen .
Aber ich sage Ihnen schon: Mit den Anführern von
Pegida - über die reden wir hier - würde ich nicht reden
wollen, weil sie es sind, die in immer kürzeren Abständen fordern, dass man Flüchtlinge, die nach Deutschland
kommen, um Schutz zu suchen, an der Grenze erschießen soll . Erschießen! Was für Leute sind das, die Sie
hier - zumindest meiner Wahrnehmung nach - in Schutz
nehmen?
({2})
Ich meine, dass wir in einer Debatte wie dieser nicht
versuchen sollten, den Scheinwerfer von rechts nach
links zu drehen, sondern der Scheinwerfer sollte dorthin
scheinen, wo in diesen Tagen die Feinde der Demokratie
sitzen,
({3})
und die sitzen rechts, meine Damen und Herren .
({4})
Ich sage Ihnen auch, dass ich nicht gedacht hätte, dass
nach dem Auffliegen des NSU Rechtspopulisten und
NPD-Light-Parteien in Deutschland wieder derart prominent werden können . Insbesondere im Osten unseres
Landes ist es offenbar wieder salonfähig geworden - ich
sage das alles andere als gerne -, rechtsradikal zu sein .
Das hat uns im Innenausschuss letztens eine hohe Vertreterin einer deutschen Sicherheitsbehörde wortwörtlich
gesagt .
Ich sage Ihnen: Wir - damit meine ich die Große
Koalition und am besten uns alle - werden es nicht zulassen, dass diejenigen, die sich in diesen Tagen für die
schwächsten Glieder unserer Gesellschaft engagieren,
die dafür ihre gesamte Freizeit und ihre ganze Kraft aufwenden, von den rechten Hetzern und braunen Schlägertrupps diffamiert und selbst verfolgt werden .
({5})
Demokratie stärken, liebe Antragsteller, wird bei uns
seit mehr als 150 Jahren sehr groß geschrieben . Wir haben das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ unserer
Familienministerin Manuela Schwesig auf 50,5 Millionen Euro aufgestockt . Wenn Sie unseren Fraktionsbeschluss vom Januar gelesen haben, dann wissen Sie, dass
das der SPD bei weitem nicht genug ist . Wir wollen das
Programm bei den nächsten Haushaltsberatungen sogar
auf mehr als 100 Millionen Euro verdoppeln; denn wir
wollen den Anfängen wehren und gerade die jungen
Menschen in Deutschland vor Extremismus schützen .
({6})
Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ gegen
Rechtsextremismus haben wir auf 12 Millionen Euro verdoppelt . Auch die Bundeszentrale für politische Bildung,
die, wie wir alle wissen, enorm wichtige Arbeit in diesem
Bereich leistet, bekommt 10 Millionen Euro mehr .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie mir:
Als Obmann meiner Fraktion im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss bin ich durchaus in höchstem Maße
sensibilisiert für rechtsterroristische Gefahr . Ich bin der
Meinung, dass der von diesem Haus geforderte Mentalitätswechsel bei den Sicherheitsbehörden als Lehre aus
dem NSU durchaus auf einem guten Weg ist . Eine eigens
beim Bundeskriminalamt eingerichtete Clearingstelle liefert uns jetzt Zahlen zu Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte . Wenn dort die Lagen zur PMK-rechts nicht
so erstellt werden, wie wir alle uns das wünschen, dann
lassen Sie uns das doch einfach gemeinsam ändern . Dann
kann das durch eine Weisung der Hausspitze beim BKA
oder durch eine Weisung des BMI schnell und unkompliziert geändert werden .
In dem Antrag sprechen Sie auch die offenen Haftbefehle gegen rechte Straftäter an, ein Thema, das uns alle
in den letzten Wochen durchaus erschüttert hat. Ich finde
es wichtig, dass wir dieses Thema im Fokus behalten . Ich
glaube, wir alle miteinander sind der Meinung, dass jetzt
die Länderinnenminister und die Länderpolizeien gefordert sind, diese Haftbefehle schnell zu vollstrecken .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Staat, Zivilgesellschaft und alle Parteien, die hier sitzen, an einem
Strang ziehen und aufklären, dann können die selbsternannten Kümmerer keinen Keil durch unsere Gesellschaft treiben .
({7})
In Wahrheit - das wissen wir doch alle - sind sie nämlich
keine Alternative, sondern sie sind die Feinde der Demokratie . Ich bin mir sicher: Früher oder später - es wäre
mir heute lieber als morgen - wird die Maske endgültig
fallen und wird auch der letzte Verirrte sehen, was für
ein armseliges Menschenbild mit krankem Gedankengut
hinter dieser rechtsextremen Fassade steckt .
Ich komme zum Schluss . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in diesem Haus alle gemeinsam
gegen die Kräfte in unserem Land vorgehen, die einen
Keil durch unsere Gesellschaft treiben wollen, die dieses Land unter dem Deckmantel einer Alternative spalten wollen . Wir wollen kein geteiltes Land . Wir wollen
kein gespaltenes Deutschland . Wir sind ein Land, liebe
Kolleginnen und Kollegen, mit all seinen Problemen und
Kontroversen, aber auch in all seiner Vielfalt und mit all
unseren Werten, und diese lassen wir uns von niemandem nehmen .
Vielen Dank .
({8})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr . Volker Ullrich .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten den Antrag „Demokratie stärken - Dem
Hass keine Chance geben“ . Im Kern geht es dabei um
die Geltung von Grundrechten, um die Würde des Menschen, um die Unverletzlichkeit der Person und um die
gewaltfreie Auseinandersetzung im politischen Betrieb .
Über tausend Angriffe auf Asylbewerber und Flüchtlingsheime machen betroffen und rufen unser aller Entsetzen
hervor . Man muss formulieren, was es ist: Eine Schande,
dass so etwas in unserem Land geschehen konnte!
({0})
Wir müssen uns diesem Hass und dieser Gewalt mit
allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenstellen . Wir sind
von tiefer Sorge geprägt, dass Radikalisierung, Hass und
eine Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses zu GeUli Grötsch
walt und damit auch zu Ausgrenzung von Andersdenkenden und anderen Menschen führt . Das ist auch ein Thema
im Internet und in sozialen Medien . Es ist zu sagen, dass
Meinungsfreiheit ein hohes Gut darstellt; das ist gar keine
Frage . Sie ist konstituierend für eine demokratisch-politische Auseinandersetzung . Aber die Meinungsfreiheit
hat ihre Grenzen im Recht des anderen . Wer die Rechte
des anderen verletzt, kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen . Deswegen muss klar und deutlich sein,
auch in den sozialen Netzwerken: Hass und Aufrufen zu
Gewalt müssen sich alle entgegenstellen . Wir brauchen
eine Kultur der digitalen Zivilcourage .
({1})
Wenn allerdings Volksverhetzung, Holocaustleugnung und andere Straftaten zu beobachten sind, dann darf
als Reaktion darauf kein „Like“ oder kein „Teilen“ erfolgen . Darauf gibt es nur eine Antwort, nämlich Besuch
oder Post von Polizei und Justiz . Diese Antwort muss der
Rechtsstaat geben .
({2})
Deswegen brauchen wir eine ordentliche Ausstattung
bei Polizei und Justiz . Ich bin froh, dass der Bund durch
die Bereitstellung von 3 000 neuen Stellen bei der Bundespolizei beherzt vorangegangen ist . Ich wünsche mir,
dass auch die Länder diesem Beispiel folgen und Polizei
und Justiz so ausstatten, dass wir den Feinden unserer
Freiheit gerecht und beherzt trotzen können . Das ist die
Verpflichtung jeder staatlichen Aufgabe.
({3})
Ich möchte auch daran erinnern, dass im Strafrecht einiges passiert ist . Wir haben nach der schrecklichen Terrorserie des NSU im Bereich der Strafzumessung reagiert .
Jeder Richter in Deutschland hat bei der Strafzumessung
rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe konkret zu beachten . Das ist
seit einem Jahr geltendes Recht, und das ist richtig so .
Wir haben auch die Position des Generalbundesanwalts
gestärkt, damit er Ermittlungen frühzeitig an sich ziehen
kann, um damit bei Vorliegen von fremdenfeindlichen
oder rassistischen Straftaten eine bessere Koordinierung
der Ermittlungsarbeit durchzuführen . Das sind richtige
Punkte; das sollten wir heute betonen .
Es muss aber, meine Damen und Herren, die Prävention im Vordergrund stehen . Hass und Gewalt dürfen sich
gar nicht erst in den Köpfen breitmachen . Wir brauchen
Prävention im Bereich der Zivilgesellschaft, aber auch
in den Schulen und Universitäten . Wir brauchen Prävention gegen jede Art der Radikalisierung: Prävention
gegen Rechtsextremismus ebenso wie Prävention gegen
Linksextremismus oder salafistisches Gedankengut. Der
Staat muss bei der Bildung ansetzen, damit Menschen
sich insgesamt nicht radikalisieren .
({4})
Deswegen ist es richtig und darf in dieser Debatte
auch erwähnt werden: So notwendig der Einsatz gegen
rechte Gewalt, rechtsradikales Gedankengut, Rassismus,
Hetze und Gewalt ist, so sehr darf der Rechtsstaat aber
auch darauf aufmerksam machen, dass wir ein Problem
von Linksradikalismus und von Salafismus haben. Wir
müssen die Feinde unserer Freiheit insgesamt bekämpfen. Das ist die Verpflichtung unseres Gemeinwesens.
({5})
In diesem Zusammenhang möchte ich zu Ihrer Rede
kommen, Frau Kollegin Kipping . Sie haben von der politischen Klasse gesprochen . Ich habe mir diesen Begriff
genau notiert . Ich sage Ihnen deutlich: Der Begriff „politische Klasse“ ist in seiner Entstehungsgeschichte und
in seinem Gebrauch ein demokratiefeindlicher Kunstbegriff .
({6})
Sie sollten Menschen, die Verantwortung für dieses Land
tragen, nicht herabwürdigen, indem Sie von „Klasse“
sprechen .
Das ist falsch, wenn es darum geht, die rechtsradikalen
Hetzer in diesem Land zu bekämpfen .
({7})
Es ist auch nicht in Ordnung, dass Sie, Herr Kollege
Hofreiter, wenn es darum geht, gegen Hass und Gewalt
und gegen Radikalisierung auf unseren Straßen vorzugehen, automatisch den Bogen von Pegida über AfD bis hin
zur CSU spannen . Das ist unlauter, und dem stellen wir
uns mit aller Macht entgegen .
({8})
Ja, wir bekämpfen die AfD . Wir bekämpfen Pegida .
Wir bekämpfen radikales Gedankengut . Aber das geht
nur, wenn wir Verantwortung übernehmen und wenn die
Politik Vertrauen in diesem Land schafft . Vertrauen werden wir nur dann erlangen, wenn wir die Probleme lösen
und uns offen und ohne gegenseitige Schuldzuweisungen
daranmachen, die drängenden Herausforderungen zu bewältigen .
({9})
Das sind Herausforderungen im Bereich der Flüchtlingspolitik und im Bereich der inneren Sicherheit . Wir werden diese Herausforderungen angehen . Da mögen Sie so
viel schreien, wie Sie nur wollen . Verantwortung ist keine Frage der Lautstärke, sondern des Handelns .
({10})
Meine Damen und Herren, wir brauchen insgesamt
ein Eintreten für die wertvolle freiheitlich-demokratische
Grundordnung . Das geht durch beherztes politisches
Handeln, aber auch durch Engagement dieser Zivilgesellschaft . Wer nichts tut, wer sich zurücklehnt, wer sich
nicht engagiert, wird vielleicht morgen in einer Welt aufwachen, in der er dieses Nichtstun bitter bereuen würde .
Nichtstun und Nichteintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist ein süßes Gift; aber es ist ein
Gift, das wir nicht akzeptieren sollten .
Lassen Sie uns gemeinsam gegen Extremismus, Hass
und Hetze kämpfen, und lassen Sie uns gemeinsam die
Verantwortung in diesem Staat wahrnehmen! Dafür sind
wir gewählt, und daran sollten wir arbeiten .
Vielen Dank .
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich gedacht, es ist eine Selbstverständlichkeit,
dass bei einem Thema wie heute, wenn es darum geht,
gegen Hass, Hetze und rassistische Gewalt vorzugehen,
alle im Hause dem Antrag folgen können, dass sie diese
Debatte so wichtig finden, dass man mehr Präsenz zeigt
({0})
und dass man vor allen Dingen ernsthaft und sachlich
über dieses Thema spricht, anders als Herr Wendt und
Herr Ullrich es eben getan haben .
({1})
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der, finde ich, im
Antrag zu kurz kommt, und zwar die Analyse der Ursachen für die massive Zunahme fremdenfeindlicher
Gewalt und Hasspropaganda . Es heißt im Antrag - das
wurde schon vom Kollegen Hofreiter zitiert -:
Es ist die Aufgabe aller demokratischen Kräfte, einer Spaltung der Gesellschaft unmissverständlich
entgegenzutreten .
Ich meine aber, dass diese Spaltung längst Realität
ist . Die Kluft zwischen Arm und Reich war nie größer .
Deutschland ist heute das Land mit der höchsten Vermögensungleichheit innerhalb der Euro-Zone, so der Paritätische Wohlfahrtsverband . 16 Prozent leben unter der
Armutsgrenze . Die obersten 10 Prozent verfügen über
die Hälfte des gesamten Vermögens, Tendenz steigend .
Millionen Menschen sind prekär beschäftigt . Sie leben
trotz Arbeit am Existenzminimum . Die Altersarmut
nimmt rasant zu .
All das sind Folgen einer jahrzehntelangen neoliberalen Politik der Umverteilung von unten nach oben,
begleitet von fortschreitendem Demokratieabbau . Das
ist der soziale Nährboden, auf dem Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Pegida und AfD gedeihen . Es sind nicht
nur die Neonazis und die Pegida-Anhänger, die die Menschen gegeneinander aufhetzen . Herr Ullrich, Sie haben
gerade wieder die entsprechenden Stichworte genannt .
Auch in Ihren Reihen, in der Bundesregierung finden
sich immer wieder Unterstützer für diese Hetzer .
({2})
Hier im Parlament: Einmal geht es gegen die Armutszuwanderer aus Bulgarien und Rumänien sowie vom
Westbalkan, dann sind die Menschen aus Afghanistan
angeblich nicht schutzbedürftig, dann wiederum geht es
gegen die sogenannten Antanzer aus Nordafrika . Diese
Rhetorik befeuert die fremdenfeindliche Mobilmachung
von rechts außen .
({3})
Im Antrag der Grünen ist die Rede von Rassismus und
Antisemitismus, Sexismus und Homophobie . Aber auch
hier möchte ich anmerken: Es fehlt die seit Jahren anwachsende Islamfeindlichkeit . Sie muss genauso geächtet werden wie alle rassistischen Auswüchse .
({4})
Für das vergangene Jahr zählte die Bundesregierung - auf
Anfrage der Linken - rund 70 Übergriffe auf muslimische Einrichtungen, von Nazischmierereien über eingeschlagene Fenster bis hin zu schweren Brandstiftungen .
Allein in den ersten drei Wochen des neuen Jahres meldeten die Moscheegemeinschaften rund 80 weitere Angriffe . Nach den frauenfeindlichen Übergriffen in der Kölner
Silvesternacht haben Schmäh- und Bedrohungsszenarien
sprunghaft zugenommen, wie die muslimischen Verbände beklagen . Es ist in der Tat nicht hinnehmbar, wie hier
eine ganze Religionsgemeinschaft pauschal verächtlich
gemacht wird .
({5})
Um es deutlich zu sagen: Die Täter von Köln müssen ermittelt und bestraft werden, keine Frage .
({6})
Doch es ist geradezu absurd, dass nun Nazis, Hooligans
und Rocker, deren mittelalterliches Frauenbild sich kaum
von dem der Salafisten unterscheidet, Bürgerwehren zum
Schutze „unserer“ Frauen bilden, weil die vermeintlichen
Täter von Köln nicht deutscher Herkunft sind . Lassen wir
es nicht zu, dass das Eintreten gegen sexistische Gewalt
und der Kampf gegen Rassismus gegeneinander ausgespielt werden . Es darf keine Angsträume in unseren Städten geben, weder für Frauen noch für Flüchtlinge und
Migranten .
Ich danke Ihnen .
({7})
Der Kollege Dr . Lars Castellucci spricht jetzt für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richten wir einmal den Scheinwerfer auf die AfD . Die stellvertretende
Bundesvorsitzende der AfD, Beatrix von Storch - das
ist die Dame, die an der Grenze schießen will -, hat auf
einem Parteitag gesagt: „Wir wollen die Demokratie verteidigen . Demokratie geht nur national .“ Ich sage: Ich
will die Demokratie verteidigen, und zwar vor solchen
Leuten wie Frau von Storch; denn Demokratie geht nur
mit Anstand .
({0})
Vieles, was wir in diesen Tagen hören und lesen, ist
nur schwer erträglich . Markus Frohnmaier - er ist Bundesvorsitzender der Jungen Alternative und Landtagskandidat bei uns im Südwesten - sagt:
Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann
wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das
Volk und nur für das Volk gemacht .
({1})
Alexander Gauland - den kennen Sie auch noch - sagt
im Spiegel:
Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in
erster Linie der Flüchtlingskrise .
Und:
Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen .
Sie war sehr hilfreich .
Ein Armin Paul Hampel - er ist AfD-Chef in Niedersachsen - relativiert die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und sagt:
… aber es ist doch klar,
- Achtung! dass ein Gutteil dieser angeblichen Brandanschläge
von den Flüchtlingen selbst kommt, meist aus Unkenntnis der Technik . Mal ehrlich, viele von ihnen
dürften es gewohnt sein, in ihren Heimatländern daheim Feuer zu machen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nationalistisch, völkisch, zynisch oder auch nur dumm: Solchen
Leuten kann man dieses Land nicht anvertrauen .
({2})
Einmal nur nebenbei: Sagen darf man diese ganzen
Dinge übrigens . Das ist ja auch eines dieser Leitmotive,
das aus dieser Szene kommt, man dürfe bestimmte Dinge in Deutschland nicht sagen . Ich frage mich: Woher
kommen denn eigentlich diese Erfahrungen? Ich glaube,
dahinter steckt etwas ganz anderes . Die Leute wissen:
Wenn sie so etwas sagen, dann bekommen sie Widerspruch . Das sind aber zwei unterschiedliche Dinge . Sagen darf man es schon, aber mit Widerspruch muss man
dann im Zweifel auch rechnen .
({3})
Man kann sich rassistisch äußern, dann muss man aber
auch damit rechnen, ein Rassist genannt zu werden . Das
ist Demokratie .
({4})
Am Sonntag wurde in Heidelberg der Ehrenbürgerin
und Dichterin Hilde Domin gedacht . Sie ist vor zehn Jahren verstorben. Auch sie musste aus Deutschland fliehen.
Es ist etwas exemplarisch, wie ihr Weg dann war . Vielleicht hilft das auch für eine Einschätzung unserer heutigen Zeit. Sie floh über Italien, dann Frankreich, dann
Großbritannien, dann Kanada, bis sie in Santo Domingo
landete und damit in einem Land, dem sie dann ihren Namen entliehen hat . Wir merken da also: Ja, die Menschen
wollen eigentlich, wenn sie fliehen müssen, erst einmal
in der Nähe bleiben, weil sie Hoffnung haben, wieder
zurückzukönnen . Und wir lernen auch: Wenn es wieder
möglich ist, zurückzugehen, dann gibt es viele, die auch
wieder zurückwollen und mithelfen wollen, dass aus ihrem Land ein gutes Land wird .
({5})
Hilde Domin hat aus dieser eigenen Fluchterfahrung
geschrieben:
Jeder Verfolgte, der überlebt hat, weiß, dass er nur
durch die Hilfe anderer noch hier ist .
Diese Hilfe, die wir in Deutschland in diesen Tagen
erleben, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist für mich
auch Ausdruck eines hohen demokratischen Bewusstseins . Denn Willy Brandt, als er „mehr Demokratie wagen“ gesagt hat, hat damit gesagt, er will zur Mitverantwortung ermutigen .
Ich würde sagen, diese Saat von Bildungsreformen
und mehr Demokratie ist aufgegangen . Das zeigt die Hilfe in diesem Land . Willy Brandt hätte einen klaren Blick
auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen, aber
er wäre auch stolz auf dieses Land . Demokratie, das ist
Hilfe, mit anpacken, keine Hetze!
({6})
Aber das Wichtigste - auch noch einmal Hilde Domin,
wie sie aus ihrer Lebenserfahrung zusammenfasst, worauf es im Umgang von Mensch zu Mensch ankommt -:
. . . dass er den anderen als seinesgleichen behandelt .
Dass er ihn in seiner Menschenwürde nicht kränkt,
gleichgültig wie groß die Standes-, Begabungs-, Bildungs- und Glücksunterschiede auch sein mögen .
Ja, Demokratie geht nur mit Menschenwürde . Das ist
der Ausgangspunkt . Meine Damen und Herren von der
AfD, Menschenwürde - und nicht Deutschenwürde .
({7})
Diese sogenannte Alternative für Deutschland bietet
also keine Alternative für Deutschland, sondern in vielen
Äußerungen kommt zum Ausdruck: Sie bietet eine Alternative zur Demokratie . Ich kann dazu nur sagen: Das
haben wir schon gehabt . Das brauchen wir nicht wieder .
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar,
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Geflüchtete und haupt- und ehrenamtlich Tätige in der
Flüchtlingsarbeit sind häufig Zielscheibe von rassistischer Hetze, Hass und Gewalt. Die Anzahl flüchtlingsfeindlicher Straftaten wuchs in den vergangenen Jahren
stetig . 2012 waren es 62 Straftaten, 2014 bereits knapp
900 und im letzten Jahr schon mehr als 1 600 . Das ist ein
dramatischer Trend, dem wir gemeinsam mit allen Kräften Einhalt gebieten müssen .
({0})
Auch der Ton im politischen Diskurs wird rauer und
widerwärtiger . Viele Akteure in Politik, Medien oder Initiativen werden beschimpft und bedroht . Verunglimpfungen wie „Volksverräter“ oder „grüne Zecke“, die ich
persönlich am Rande von Legida-Demonstrationen regelmäßig höre, gehören dabei noch zu den harmloseren
Beispielen . Besonders enthemmt geht es dabei im Internet zu . In den letzten Monaten bin ich besonders froh,
nicht bei Facebook zu sein; denn bei Twitter müssen sich
die Hetzer wenigstens kurz fassen .
({1})
Ich will jetzt keine Beispiele nennen, um den Trollen
keine Bühne zu geben; denn ich denke, die meisten von
uns Abgeordneten haben leider selber genügend Beispiele parat .
Strafbare Internethetze muss unverzüglich aus dem
Netz entfernt und geahndet werden, bevor sie Menschen
zu Straftaten anstachelt . Hassdelikte müssen konsequenter bekämpft werden . All die Beleidigungen und Bedrohungen tragen dazu bei, dass der Hass noch weiter angestachelt wird . Das dürfen wir nicht zulassen .
({2})
Wir müssen uns mit allen rechtsstaatlichen und gesellschaftlichen Mitteln dafür einsetzen, dass Rassismus,
menschenverachtende Hetze und Gewalt zurückgedrängt
werden . Wo rechte Strömungen das friedliche Miteinander vergiften, müssen staatliche Institutionen mit einem
rassismuskritischen Fokus arbeiten; dazu bedarf es auch
der passenden Aus- und Weiterbildungen .
Ebenso muss die interkulturelle Kompetenz von Behörden, Institutionen und Bildungseinrichtungen erhöht
werden, unter anderem durch mehr Beschäftigte mit
Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst . Die demokratischen Parteien müssen rassistischen Äußerungen
auch aus den eigenen Reihen in aller Klarheit entgegentreten . Versuche, die AfD von rechts zu überholen, um
dort nach Wählerstimmen zu fischen, sind inakzeptabel
und gefährlich für das politische Klima in unserem Land .
({3})
Wer sich daran beteiligt, spielt den rechten Scharfmachern in die Hände .
Manchmal ist es aber auch wichtig, wenn die demokratischen Parteien Geschlossenheit zeigen . Wie man
es nicht macht, hat die Leipziger CDU zum Beispiel am
11 . Januar gezeigt, als sie sich an einer gemeinsamen
Lichterkette in der Leipziger Innenstadt nicht beteiligen
wollte . Ziel dieser Lichterkette war es, ein gemeinsames
Zeichen für Weltoffenheit gegen die Legida-Demonstration zu setzen . Die Leipziger CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla erklärte dazu -:
Von parteiübergreifenden Aufrufen halte ich nichts,
da sie die Unterschiede zwischen den Parteien und
auch die Verantwortlichkeiten vermengen .
({4})
Das ist nun wirklich kontraproduktiv und abstrus .
({5})
Zivilgesellschaftliche Akteure und Geflüchtete brauchen den Schutz von Staat und Gesellschaft . Es ist deshalb großartig, dass so viele zivilgesellschaftliche Initiativen und engagierte ehrenamtliche Helferinnen und
Helfer vor Ort wertvolle Arbeit für unsere Demokratie
leisten . Dafür möchte ich ihnen ganz herzlich danken .
({6})
Aber auch der Staat ist stärker gefragt . Wir brauchen
eine gut ausgestattete Demokratieoffensive auf allen poliDr. Lars Castellucci
tischen Ebenen, um gemeinsam mit der Zivilgesellschaft
unsere demokratische und pluralistische Gesellschaft zu
verteidigen . Dafür ist unser Antrag eine Anregung . Wir
haben zehn Eckpunkte zusammengetragen, die in diesem
Maßnahmenpaket enthalten sein sollten . Ich freue mich
schon jetzt auf die sicherlich sehr lebhaften Debatten in
den Ausschüssen .
Vielen Dank .
({7})
Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Barbara
Woltmann .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen von den Grünen, als am Dienstagnachmittag Ihr Antrag auf unsere
Schreibtische kam und ich das Thema sah, habe ich gedacht: Ja, ein wichtiges, ein gutes Thema, auch der Titel
ist gut . Doch beim Lesen Ihres gesamten Antrags habe
ich gedacht: Na ja, da bist du aber nicht mehr von allen Punkten so begeistert . Denn es haben mir doch viele
Dinge gefehlt, ich fand den Antrag nicht vollständig und
teilweise einseitig . Auch mir fehlen alle Facetten von
Hass und Rassismus . Der Linksextremismus ist hier von
meinen Kollegen schon angesprochen worden .
Ich denke, wir müssen jedem Hass, jedem Rassismus,
egal von welcher Seite er kommt, entgegenwirken, und
zwar ganz entschieden . Da ist mir die Seite, woher er
kommt, völlig egal; vielmehr ist jeder Hass, jeder Rassismus von allen Demokraten zu bekämpfen . Ich glaube,
das ist sicherlich Konsens hier im Haus .
({0})
Drei Punkte sind für mich dabei wichtig:
Erstens . Eine starke Demokratie braucht einen starken
Rechtsstaat . Das beinhaltet die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols .
Zweitens. Eine starke Demokratie braucht flächendeckende politische Aufklärung .
Drittens . Eine starke Demokratie braucht auch klare
Strukturen und ein klares Bekenntnis gegen Hass und Intoleranz .
Diese Prämissen müssen erfüllt sein, um dem Hass
von rechts gegen Ausländer, gegen Juden, gegen andere Gruppen, gegen andere Minderheiten, dem Hass von
links, dem Hass von Salafisten oder Islamisten gegen
unsere staatliche Rechts- und Grundordnung erfolgreich
entgegentreten zu können . Allein die Zahlen der politisch
motivierten Straftaten aus dem vergangenen Dezember
sprechen leider eine deutliche Sprache: Insgesamt 1 820
politisch motivierte Straftaten, darunter 149 Gewalttaten
und 665 Propagandadelikte, sind gemeldet worden - viel
zu viele . Der Großteil der Straftaten ist von Rechtsextremen begangen worden . Ja, das ist so .
Schockierend ist auch die Zahl der Straftaten gegen
Asylunterkünfte im gesamten vergangenen Jahr - sehr
besorgniserregend . 1 027 Straftaten sind registriert worden - eine Vervierfachung der Zahl im Vergleich zum
Jahre 2014 . Aber auch im Bereich der linkspolitisch wie
auch der islamistisch motivierten Kriminalität sind leider
Zuwächse zu verzeichnen .
Mich beunruhigen in diesem Zusammenhang insbesondere die Straftaten mit antisemitischem Hintergrund .
Juden werden nicht mehr nur von Rechtsextremen drangsaliert, sondern in zunehmendem Maße auch von Tätern
mit islamistischem Hintergrund . Dies führt hier in Berlin
sogar dazu, dass Juden von sich aus das öffentliche Tragen der Kippa vermeiden . Meiner Meinung nach passt
eine solche Entwicklung nicht in ein freiheitlich-demokratisches Deutschland .
Sie haben recht, wenn Sie in Ihrem Antrag darauf hinweisen, dass die Bildung von Bürgerwehren das Gewaltmonopol des Staates infrage stellt . So etwas dürfen wir
nicht zulassen; da bin ich ganz auf Ihrer Seite .
({1})
Auch stimmt es, dass die zunehmende Enthemmung
bei Worten und Taten wirklich Anlass zu großer Sorge
gibt . Das ist besorgniserregend, auch wenn man die verrohten, hassverbreitenden Äußerungen in den sozialen
Netzwerken sieht, in denen die Anonymität viele dazu
verleitet, sich auszutoben und zu hetzen . Vorredner haben schon darauf hingewiesen .
Wir können alle froh sein, dass zum Beispiel Facebook
jetzt auf unsere Forderungen reagiert hat und in Deutschland ein Team installiert hat, durch das Hetzkommentare
gelöscht werden . Das ist wichtig, und das muss auch so
passieren . Wir dürfen nicht zulassen, dass die Verfasser
solcher Kommentare in den Netzen bleiben .
({2})
Ich spreche mich für einen starken Staat aus, der konsequent das Strafrecht anwendet und Straftäter gleich
welcher Couleur entsprechend unserer Gesetze verfolgt und auch verurteilt . Zum Beispiel haben wir in
§ 130 StGB Volksverhetzung mit einer Strafe von immerhin bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug belegt . Wir
haben in § 131 StGB die Gewaltdarstellung unter Strafe
gestellt . Ein weiteres Beispiel ist, dass nach § 166 StGB
die Beschimpfung von Religionsgemeinschaften und
Weltanschauungen unter Strafe gestellt ist . Auch Kollege
Ullrich hat auf die Strafverschärfungen im letzten Jahr
hingewiesen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich
kann Ihren Antrag und Ihre Beweggründe sehr gut nachvollziehen . Sie zeichnen aber im Antrag das Bild eines
inaktiven Staates, der sich der Herausforderung „Stärkung der Demokratie“ nicht stellen würde .
Frau Kollegin Woltmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Ja, bitte .
Frau Kollegin Woltmann, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Straftaten, die sich gegen die Religionszugehörigkeit von Personen richten, zu Recht geahndet
werden müssen . Wie erklären Sie sich vor diesem Hintergrund, dass bei der Definition von Hasskriminalität in
§ 46 StGB durch die Große Koalition das Kriterium der
Religion anders als beim Volksverhetzungsparagrafen
nicht vorkommt?
Ich möchte jetzt nicht der Justiz vorgreifen oder mich
über die Gewaltenteilung hinwegsetzen .
({0})
- Ich habe nur auf die Paragrafen hingewiesen, die wir
haben . Wenn wir merken, dass wir da eine falsche Position haben, werden wir uns sicherlich noch einmal
kritisch fragen, ob wir unsere Position eventuell überdenken müssen . Insofern bin ich Ihnen dankbar, dass
wir dieses Thema hier diskutieren; wir werden es auch
in den Ausschüssen intensiv weiter diskutieren . Dass wir
dort eine andere Position einnehmen müssen, will ich gar
nicht ausschließen . Auch meine Position ist, dass wir alles tun müssen, um dieser Hasskriminalität oder diesem
Hasspotenzial wirklich stark entgegenzuwirken . Ich will
der Diskussion in meiner Fraktion nicht vorgreifen, aber
ich denke, dass wir alles dafür tun müssen, um letzten
Endes den Auswüchsen, den schlimmen Entwicklungen,
die es gibt, entgegenzutreten . Das ist erst einmal meine
Position .
({1})
Ich habe vorhin gesagt, dass ich es nicht gut finde, dass
Sie in Ihrem Antrag das Bild eines inaktiven Staates malen und zum Ausdruck bringen, wir würden noch nichts
tun . Dem muss ich widersprechen . Die Bundesregierung
erstellt sorgfältig und regelmäßig umfassende Lagebilder
zu rechten Straftaten .
Ich finde es nicht richtig, ich finde es sogar unerhört,
wenn Sie in Ihrem Antrag unterstellen, das Bundeskriminalamt und andere Organe würden ungenau arbeiten, und
es gebe - jetzt zitiere ich aus Ihrem Antrag - „Kumpanei, Durchstecherei zu Gunsten von Rechtsextremisten
. . . durch einzelne Beschäftigte in Sicherheitsbehörden“ .
Wenn Sie diese für mich ungeheure Behauptung aufstellen, dann müssen Sie schon auch Ross und Reiter nennen
und sagen, wo jemand das so getan hat .
({2})
Sie sprechen in Ihrem Antrag von „Angst-Räumen“,
davon, dass durch rechtsextreme Bestrebungen in Regionen, Orten, Ortsteilen die staatliche Ordnung außer
Kraft gesetzt wird . Das geschieht nicht nur von der rechten Seite, sondern auch von anderen Seiten . Ich fand es
erschreckend, von Polizisten aus Neukölln oder auch aus
Duisburg-Marxloh zu hören, wie dort mit der Polizei umgegangen wird . Das können wir so nicht dulden .
Der Bund hat mit dem Haushalt 2016 einen beträchtlichen Stellenzuwachs bei der Bundespolizei beschlossen .
Wir werden bis 2018 3 000 neue Stellen schaffen . Jetzt
sind aber auch die Länder gefordert, ihren Beitrag zu
leisten und bei der Polizei wieder mehr einzustellen .
({3})
Ich glaube, da ist in der Vergangenheit zu viel gespart
worden . Wir können die Länder nur auffordern, bei der
Polizei wieder mehr einzustellen . Einige Länder tun das
bereits .
Wir sollten allen Polizisten und Polizistinnen unseren
Dank aussprechen - ich möchte das hier tun -; denn sie
sind es, die tagtäglich ihren Kopf für uns und für unsere
Sicherheit hinhalten .
Wir brauchen als starke Demokratie auch eine flächendeckende Aufklärung . Völlig inakzeptabel ist für mich
das Vorgehen in Schleswig-Holstein, wo Fälle geringfügiger Straftaten nicht mehr an die Staatsanwaltschaft
übergeben werden sollen .
({4})
Das ist für mich ein Schlag ins Gesicht jedes billig und
gerecht denkenden Bürgers . Das kann ich so nicht akzeptieren und nicht nachvollziehen .
({5})
Die Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit zur Demokratiestärkung geschieht schon auf vielfältige Weise
auf allen Ebenen . Lassen Sie mich Beispiele nennen: Im
Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“
und der Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend existieren bereits in
vielen Bundesländern Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt . Das Bündnis für Demokratie und Toleranz, in dessen Beirat ich mitarbeiten
darf, und der Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie“ engagieren sich gemeinsam bundesweit durch das
Portal „Demokratie vor Ort“ . Sämtliche Initiativen, die
den Bürgern ein demokratisches Engagement innerhalb
unserer Gesellschaft anbieten, werden auf diesem Portal
aufgeführt und rufen zum Mitmachen auf . Vom Sport bis
hin in die Kultur fördert der Bund Demokratieprojekte .
Der Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz“
wird jährlich vom BfDT ausgeschrieben und zeichnet die
Vielfalt zivilgesellschaftlichen Engagements aus . Letztes
Jahr sind 327 Wettbewerbsbeiträge eingegangen . Das
war eine Steigerung um mehr als 10 Prozent im Vergleich
zum Jahr 2014 .
Ebenso wird die Auszeichnung zum Botschafter für
Demokratie und Toleranz, die jedes Jahr am Tag des
Grundgesetzes, am 23 . Mai, verliehen wird, sehr gut angenommen . Auch über die Bundeszentrale für politische
Bildung - Kollege Volker Ullrich hatte bereits darauf
hingewiesen - wird sehr viel unternommen . Wir brauchen eine starke Demokratie, und eine starke Demokratie
braucht klare Strukturen . Die Vermittlung von Chancen
und Werten, die eine offene und vielfältige Gesellschaft
bietet, muss auch über die Kitas und die Schulen erfolgen. Auch hier sind die Länder in der Pflicht; denn Bildung ist Ländersache .
Frau Kollegin Woltmann, Sie denken an die Zeit?
Sie haben mich erschreckt .
Das tut mir leid . Das wollte ich nicht .
({0})
Ich wollte Sie nur auf die begrenzte Redezeit hinweisen .
Ich bin sofort fertig . - Ich rede nicht nur von Präventionsarbeit im Bereich Rechtsextremismus . Wir müssen
den Salafismus, den Islamismus, den Linksextremismus
genauso in den Blick nehmen . Ich sehe hier die islamischen Verbände in der Pflicht, ebenfalls ihren Beitrag zu
leisten, zum Beispiel gegen Hassprediger . Wir stehen vor
einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe . Alle staatlichen
und zivilgesellschaftlichen Stellen sind aufgefordert, aktiv für unsere Demokratie einzutreten . Ich glaube, wir
brauchen auch einen gesellschaftlichen Diskurs über
die Frage, wie wir zusammenleben wollen, wie wir mit
Minderheiten umgehen, und auch darüber, wie wir mit
Egoismen umgehen, die immer mehr um sich greifen .
Diesen gesellschaftlichen Diskurs halte ich für dringend
geboten .
Vielen Dank .
({0})
Der Kollege Sönke Rix spricht jetzt für die SPD .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Zunächst einmal - weil in den
vorherigen Reden häufig die Polizisten und die Situation
in der Bildungspolitik angesprochen worden sind und
gesagt wurde, dass die Verantwortung bei den Ländern
liege - unterstreiche ich das, was Sie gerade eben gesagt
haben, Frau Kollegin: Mein Dank geht an alle Polizisten,
die gerade angesichts der jetzigen Herausforderung, gerade in der jetzigen Zeit sehr viel zu tun haben . Dieser
Dank sollte vom ganzen Hause kommen .
({0})
Mein Dank gilt auch den Lehrkräften und denjenigen,
die im Bildungsbereich unterwegs sind und die im Wirtschaftspolitikunterricht, im Sozialkundeunterricht, im
Gemeinschaftskundeunterricht demokratische Werte vermitteln, Demokratie vermitteln . Auch das ist in der heutigen Zeit und gerade im Fokus auf die aktuelle Situation
keine einfache, aber eine besonders wichtige Aufgabe .
Gerade jetzt sollten junge Menschen über die Situation
aufgeklärt werden .
({1})
Es wird in diesem Zusammenhang häufig gesagt, dass
deshalb jetzt auch die Länder gefragt sind, in diesen Bereichen mehr zu investieren, mehr Personal für Polizei
und Bildung zur Verfügung zu stellen . Diese Forderung
richtet sich natürlich in erster Linie immer, je nachdem,
von wem es gesagt wird, an die Länder, in denen die eigene Partei gerade nicht regiert . Ich will aber zumindest
dazusagen, dass die jetzigen Aufwüchse, die es in den
meisten Bereichen in den vergangenen Jahren, ganz besonders in den letzten drei Jahren, tatsächlich gegeben
hat, deshalb notwendig waren, weil die Einsparungen,
insbesondere in Niedersachsen zum Beispiel, vor fünf
Jahren vorgenommen worden sind, und da waren noch
andere verantwortlich . Also: Der Finger, der auf die aktuellen Landesregierungen zeigt, zeigt immer auch auf
einen selbst .
({2})
Deshalb sollten wir das vermeiden und uns insgesamt für
mehr Personal starkmachen .
({3})
- Genau, auch da hat die Union einmal regiert, und wir
mussten da einiges aufholen .
({4})
- Ich habe gerade eben gesagt, wir sollten es nicht tun .
Aber schön, dass Sie es doch wieder tun . Das ist das Zeichen dafür, dass Sie nicht wollen, dass man gemeinsam
für mehr Personal kämpft, sondern dass sie immer noch
mit den Fingern auf die anderen zeigen wollen .
({5})
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal den
Fokus auf eine Partei richten, die im Moment alle hinter sich versammelt, die frustriert sind oder die mit der
Situation nicht zurechtkommen . Einige davon sind sich
vielleicht gar nicht bewusst, hinter welcher Partei sie sich
da versammeln, nämlich der AfD .
Die AfD vertritt rechtsextreme Positionen . Wenn
sogar Herr Henkel, der damals die AfD mit gegründet
hat, sagt: „Wir haben ein Monster geschaffen“ - er ist
aus diesem Grunde ausgetreten - und wenn Herr Höcke
sich darüber beschwert, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, weil man keine Nazisymbole zeigen darf,
dann ist ganz klar: Bei der AfD handelt es sich um eine
rassistische und rechtsextremistische Partei . Das sollten
wir auch nicht kleinreden und irgendwie relativieren,
sondern wir sollten als demokratische Parteien, die wir
hier in diesem Hause vertreten sind, geschlossen darauf
antworten .
({6})
Die Antwort auf die AfD darf nämlich nicht sein, dass
man sagt: Na gut, die etwas harmloseren Forderungen
von denen sind ja gar nicht so schlimm, die übernehmen wir einfach . Nein, Antwort muss sein, dass alle Demokraten geschlossen sagen: Mit der AfD machen wir
nichts gemeinsam . Die AfD ist eine rechtsextreme Partei .
Sie hat in diesem Lande, in diesem Haus und in allen
anderen Parlamenten nichts zu suchen .
({7})
Wer die einfachen Antworten von der AfD übernimmt,
der verlässt - das sollten wir nicht zulassen - auch den
geschlossenen Kreis der Demokraten . Diese Geschlossenheit haben wir in den letzten Jahren eigentlich immer
sehr hochgehalten .
Meine Damen und Herren, ich will auch noch auf die
Fragestellung eingehen, ob wir heute eigentlich über
Linksextremismus, Salafismus oder Rechtsextremismus
reden . In dem Antrag ist sehr eindeutig formuliert, was
heute das Thema ist .
({8})
Das heißt mitnichten, dass man nicht auch über die anderen politischen Straftaten und die anderen politischen
Extremisten diskutieren darf . Es aber immer wieder in
diese Debatte mit einzubauen, ist eine Relativierung dessen, worüber wir hier eigentlich streiten müssen . Deshalb
fordere ich Sie auf, dass wir, wenn wir über Nazis bzw .
Rechtsextremismus sprechen, auch darüber bzw . über
geeignete Maßnahmen gegen Nazis - und nicht gegen
andere - diskutieren .
({9})
Wir haben ja im Hinblick auf Demokratie einen Konsens . Und wir haben einen Konsens, dass wir insgesamt
gegen extremistische Gewalt angehen müssen . Aber warum immer diese Relativierung?
({10})
Wir machen es bei anderen Straftaten bzw . anderen Dingen auch nicht so, dass wir immer wieder auf andere Bereiche eingehen . Das sollten wir lassen; denn das hilft
nur denen, die sagen: Wir sind ja gar nicht so schlimm, es
gibt auch noch andere, schlimmere Sachen .
({11})
Voraussetzung für den Kampf gegen rechts ist auch
eine starke Zivilgesellschaft. Ich finde es schon richtig,
dass auch der Staat diese Zivilgesellschaft unterstützt .
Es ist Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen - auch
rechtlicher Art - zu setzen sowie finanzielle Mittel zu
geben, damit die Zivilgesellschaft tatsächlich stark sein
kann .
({12})
- Es gab dazu heute schon Fragestellungen, wie viel Geld
denn dafür nötig ist und ob die Zivilgesellschaft so etwas
eigentlich alleine machen sollte. Ich finde, der Staat hat
die Aufgabe, die Zivilgesellschaft zu unterstützen .
({13})
- Das haben wir auch gemeinsam gemacht . Wir haben
zum Beispiel gemeinsam die Mittel im Programm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt
und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesfamilienministeriums erhöht; das ist auch gut so . Deshalb geht abschließend mein Danke an all diejenigen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren . Das sind nicht nur diejenigen,
die an den runden Tischen gegen rechte Gewalt sind
oder bei Demonstrationen von Pegida und AfD Gegendemonstrationen organisieren . Es sind auch die Flüchtlingshelfer selbst . Die tragen dazu bei, dass Rechtsextremismus nicht wieder in großem Maße Bestandteil
der Gesellschaft wird . Sie sind die Multiplikatoren für
Demokratie und Toleranz . Deshalb sollten wir diese engagierten Menschen auch weiterhin kräftig unterstützen .
({14})
Aber auch jeder Einzelne von uns ist in Bezug auf seine
Äußerungen und Taten bzw . bei seinen Diskussionen in
der Nachbarschaft und der Familie gefragt, gegen Nazis
bzw . Rechtsextreme - also auch gegen die AfD - zu agieren .
Ich will ein positives Beispiel aus meinem Wahlkreis
nennen . Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Schlagzeile „Im Kreis Rendsburg-Eckernförde gibt es keinen Platz
für die AfD“ gelesen habe . Das ist das Resultat mehrerer Anfragen nach großen Veranstaltungsräumlichkeiten
und Gaststätten, in denen die AfD gerne Veranstaltungen
durchführen wollte . Alle Betreiber von Veranstaltungsorten und Gaststätten haben gesagt: Nein, wir wollen die
AfD nicht haben . - Das hört man öfter . Die Vertreter, bei
denen angefragt wurde, haben sich in der Öffentlichkeit
aber auch wie folgt geäußert: Nein, wir wollen die nicht
deshalb nicht haben, weil wir keine Unruhe haben wollen . Vielmehr haben sie ganz deutlich Position bezogen
und festgestellt: Wir stehen nicht zu den Inhalten der
AfD, wir wollen keine Rechtsextremisten in unseren
Häusern . - Für so viel zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit und für so viel Demokratiebewusstsein sage ich
Danke . Davon brauchen wir mehr .
Herzlichen Dank .
({15})
Bevor ich jetzt gleich dem Kollegen Jörg Hellmuth für
die CDU/CSU das Wort erteile, darf ich den Hinweis geben, dass die vereinbarten Redezeiten keine Richtwerte
sind, sondern eingehalten werden sollten .
({0})
Bitte schön .
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, rechtsextreme, rechtspopulistische und rassistische Hetze bzw . die Zahl der Kräfte, die diese verbreiten,
nehmen zu . Diese Entwicklung erfüllt uns alle mit großer
Sorge . Der Rechtsstaat mit all seinen Mitteln ist hier gefragt . Er hat natürlich die Aufgabe, dieser Entwicklung
Einhalt zu gebieten . Der Bundestag - Kollege Ullrich hat
das hier angeführt - hat in den letzten Wochen und Monaten das eine oder andere auf den Weg gebracht . Ob das
schon ausreichend ist, werden die nächsten Wochen und
Monate zeigen .
Die Tendenz zu rechtspopulistischer und rassistischer
Hetze gibt es nicht erst seit gestern oder heute - es ist eine
längere Entwicklung -; aber aufgrund der Übergriffe auf
viele Asylunterkünfte hat man im Moment den Eindruck,
dass wir hier eine völlig neue Dimension erreicht haben .
Wie auch in anderen Städten fanden in meinem Wahlkreis in den letzten Jahren mitunter Demonstrationen der
NPD statt . Der Ablauf war immer der gleiche: Der Ankündigung einer Demo der NPD folgte die Ankündigung
einer Gegendemo durch Linksextreme .
({0})
Trotz diverser Kooperationsgespräche kam es zu Gewaltexzessen . Im Vorfeld wurde veranlasst, dass ein Großaufgebot der Polizei vor Ort ist,
({1})
die in jedem Fall die öffentliche Sicherheit gewährleisten
konnte . Aber ich frage mich: Zu welchem Preis?
({2})
Wir im Bund haben im letzten Haushaltsjahr reagiert,
haben 3 000 zusätzliche Stellen in der Bundespolizei geschaffen . Auch bei den Ländern gibt es ein Umdenken .
Insbesondere in den neuen Bundesländern ist die Formel,
dass die demografische Entwicklung zu einer Abnahme
der Zahl der Polizeikräfte führt, außer Kraft gesetzt . Das
ist so; daran führt im Moment kein Weg vorbei . Wenn
man sich überlegt, dass selbst Fußballspiele der dritten
und vierten Liga mittlerweile als Hochsicherheitsspiele eingestuft werden, dann fragt man sich: Wo soll das
noch hinführen? Angesichts dieser Umstände habe ich
mich des Öfteren gefragt: Wird es in Zukunft überhaupt
noch genügend Jugendliche geben, die bereit sind, ihren
Dienst bei der Polizei zu tun? Wir müssen also nicht nur
das Personal aufstocken, sondern es auch mit modernsten
Materialien ausrüsten . Auch hier haben wir im Haushalt
das ein oder andere mit auf den Weg gebracht .
Ich will einen anderen Aspekt benennen . Als wir mit
der Arbeitsgruppe Innen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor einigen Monaten die Bundesbereitschaftspolizei
in Fuldatal besuchten, bin ich mit einem Polizeiführer ins
Gespräch gekommen, der gerade von einem Wochenendeinsatz aus Bayern zurückkam - das war im Herbst letzten Jahres -: viele Überstunden, Tag und Nacht Einsätze .
Es war für ihn ein besonderes Ereignis, als ihm Flüchtlinge, mit denen er ins Gespräch gekommen war, sagten,
dass sie auf ihrem langen Weg über die Balkanroute das
erste Mal einen freundlichen Polizisten erlebt haben . Das
sollten wir uns auch in Zukunft erhalten . Unsere Polizei
kann auch zukünftig ein Stück dazu beitragen, dass in
anderen Ländern, insbesondere der Europäischen Union,
ein Umdenken bei der Polizeiarbeit erfolgt .
({3})
Wo liegen die Ursachen für die Entwicklung? Wie
kann man gegensteuern? Ich denke, wir sind uns einig:
Ein Patentrezept gibt es nicht . Aber ein, wenn nicht der
Ansatz - einige meiner Vorredner sind schon darauf eingegangen -, ist sicherlich das Thema Bildung . Es muss
gelingen, jedem Jugendlichen einen Schul- bzw . Berufsabschluss zu ermöglichen . Viele Schulen in meinem
Wahlkreis haben das auf ihrer Agenda . Nachdem die
Zahlen Ende der 90er-Jahre besorgniserregend waren,
was den Anteil Jugendlicher ohne Abschluss betraf, haben wir jetzt wieder eine positive Entwicklung . Ich sage
das auch vor dem Hintergrund, dass wir in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren viele Millionen Euro in unsere Schullandschaft investiert haben . Trotz leerer Kassen
haben wir, die kommunalen Spitzenverbände und das
Kultusministerium gemeinsam Programme entwickelt,
mit denen es insbesondere gelang, Strukturmittel der EU
umzuleiten . Wie gesagt, hier sind wir in den letzten Jahren einen wesentlichen Schritt vorangekommen .
In Ihrem Antrag, meine sehr verehrten Damen und
Herren von den Grünen, heißt es unter Punkt 5 „Zivilgesellschaftliches Engagement schützen“ . Das ist wichtig,
keine Frage . Ich will Ihnen aus meinem Wahlkreis ein
Beispiel für ein solches zivilgesellschaftliches Demokratieprojekt nennen .
In meinem Wahlkreis befindet sich der Geburtsort
Otto von Bismarcks, dessen 200 . Geburtstag letztes Jahr
gefeiert wurde .
({4})
Seit einigen Jahren gibt es einen Kooperationsvertrag
zwischen Gemeinde, Landkreis, Land und der bundeseigenen Otto-von-Bismarck-Stiftung,
({5})
übrigens die einzige Außenstelle einer der Politikergedenkstiftungen in den neuen Ländern . Insbesondere
zum Geburtstag des ehemaligen Reichskanzlers fanden
in den letzten Jahren Demonstrationen der sogenannten „ Bismarck-Freunde“, nachweislich hauptsächlich
NPD-Mitglieder, statt .
({6})
Die Leiterin der Otto-von-Bismarck-Stiftung vor Ort
und ihre Mitarbeiter haben das Projekt „Kunst für Demokratie“ initiiert . Immer zum Geburtstag werden die
legendären Kanonen eingehüllt, und es finden Theateraufführungen statt . Man hat damit erreicht, dass die
„Bismarck-Freunde“ keine Kulisse für ihren Aufmarsch
bekommen .
Zum 200 . Geburtstag im letzten Jahr wurde ein weiteres Projekt von der Grundschule des Ortes initiiert:
„Kunst öffnet Türen“ . Dort haben zahlreiche Vereine der
Gemeinde und der umliegenden Orte Türen gestaltet und
den Park damit zugestellt
({7})
- aber auch: für Demokratie -, um auch hier der NPD
keine Kulisse zu bieten .
Unter Punkt 10 sprechen Sie sich in Ihrem Antrag für
eine Quote für Beschäftigte mit Migrationshintergrund
im öffentlichen Dienst aus .
({8})
Ich möchte davor warnen, dies umzusetzen .
Meine eigene Erfahrung über viele Jahre in einer öffentlichen Verwaltung, wo wir nachweislich auch Mitarbeiter mit Migrationshintergrund eingestellt haben, die
sich aber einem normalen Auswahlverfahren unterwerfen mussten, ist, dass man keinen bevorzugen sollte . Und
wir sind in keinem Fall von denjenigen, die wir eingestellt haben, enttäuscht worden .
Insofern können wir den einen oder anderen Punkt
sicherlich noch in den Ausschusssitzungen debattieren .
Vielen Dank .
({9})
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Matthias Schmidt für die SPD .
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine sehr geehrten
Damen und Herren auf der Zuschauertribüne! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hellmuth, in
Sachen Bismarck haben Sie ja furchtbar viel Anlauf genommen, bis Sie am Ende zum Projekt gekommen sind .
Ich glaube aber, das Projekt „Kunst für Demokratie“ war
wirklich gut .
({0})
Aber so ganz genau habe ich es nicht verstanden .
({1})
Worüber ich aber sehr ernsthaft mit Ihnen reden
möchte, ist: Sie kommen doch aus Sachsen-Anhalt, und
Sie haben Wahlen vor der Tür .
({2})
Ich möchte Ihnen empfehlen, die Augen aufzumachen .
Es ist 1998 in Sachsen-Anhalt der CDU ja schon einmal
so gegangen, dass sie am Tag nach der Wahl wachgeworden ist, und die DVU hatte ein Wahlergebnis von
unsäglichen 12,9 Prozent . Machen Sie bitte die Augen
auf! Die Feinde der Demokratie stehen rechts . Von dort
wird unser Rechtsstaat bekämpft, und dort müssen wir
gemeinsam hin .
({3})
Wenn Sie von einer NPD-Kundgebung aus Ihrem
Wahlkreis berichten und dann nur zu erwähnen wissen,
dass es eine Gegendemo von Linksextremen gab, die
Gewaltexzesse produziert hätten, läuft da etwas grundlegend falsch .
({4})
Ich glaube, in all unseren Wahlkreisen gibt es diese Situation, dass „besorgte Bürger“ unter dem Deckmantel
der NPD oder andersherum die NPD unter deren Deckmantel Demonstrationen anmelden . Da müssen wir als
Demokraten gemeinsam zusammenstehen und unsere
Werte verteidigen . Das erwarte ich von Bundestagsabgeordneten .
({5})
Ich komme zum Thema .
({6})
Im Titel des Antrags heißt es: „Demokratie stärken“ . Genau darauf möchte ich meinen Schwerpunkt legen .
Ich beginne mit einem Zitat von Pastor Martin
Niemöller, deutscher Theologe, christlicher Widerstandskämpfer und U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg .
Er hat einmal in einem Interview sinngemäß gesagt: Die
einzig wahre Demokratie gab es auf meinem U-Boot . Das ist ein Satz, der sehr nachdenklich macht . Warum
gibt es Demokratie im Zusammenhang mit Militär? Ich
habe mir seinerzeit sein Buch Vom U-Boot zur Kanzel
aus einem Antiquariat besorgt . Es ist sehr interessant,
das nachzulesen . Möglicherweise macht es gerade die
Schicksalsgemeinschaft auf einem U-Boot erforderlich,
demokratisch zusammenzustehen, sich gegenseitig zu
motivieren und sein eigenes Überleben zu sichern .
Das Beispiel von Niemöller zeigt uns: Demokratie
gibt es nicht nur hier im Parlament, im Bundestag, in den
Landtagen, in den Kommunalparlamenten oder im Europaparlament, sondern Demokratie gibt es im Alltag im
Großen und im Kleinen an ganz vielen Stellen . Es gibt
Demokratie in der Familie - so hoffe ich zumindest -, in
der Schule bei der Abstimmung über den Wandertag oder
über die Klassenfahrt und gerne auch beim Elternabend .
Es gibt Demokratie in Sportvereinen, die ich gern als die
Schule der Demokratie bezeichne, im Bürgerverein, im
Chor und auch im Kirchenkreis und mitunter am Arbeitsplatz . Das zeigt uns das Beispiel von Niemöller; das kann
für uns alle als Arbeitgeber Mahnung sein .
Wir haben das Potenzial der Demokratie in der Gesellschaft noch nicht ausgeschöpft, und wir sollten alle weiter
daran arbeiten, das zu tun . Unser Staat schafft an vielen
Stellen zahllose Möglichkeiten der gleichberechtigten
Teilhabe . Einige Beispiele habe ich genannt . Gleichwohl
müssen wir erleben, dass immer weniger Menschen ihre
demokratischen Rechte wahrnehmen, und das an einer
Stelle, wo es uns allen wehtut, nämlich bei den Wahlen .
Das macht uns allen Sorgen, und wir müssen sehen, wie
wir damit umgehen .
Ein Teil der Menschen geht leider nicht mehr zur
Wahl, weil sie die Demokratie radikal ablehnen, weil sie
ein anderes System wollen . Wir kennen das aus unserer
Geschichte .
Der Staat muss darauf reagieren, einerseits mit Repression . Das NPD-Verbotsverfahren ist ein sehr gutes
Beispiel dafür . Ich weiß, wovon ich rede: Die Bundeszentrale der NPD liegt leider in meinem Wahlkreis . Ich
saß viele Jahre mit dem seinerzeitigen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt im Kommunalparlament und war dazu
verdammt, mir seine rechtsextremen und rechtspopulistischen Thesen anzuhören; aber dafür waren wir gewählt .
Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht im März
den nächsten Schritt in die richtige Richtung geht und zu
einem NPD-Verbot kommt,
({7})
wohl wissend, dass das NPD-Verbot nicht alle Probleme
löst - ganz im Gegenteil .
Wir müssen weiter zivilgesellschaftlich arbeiten, und
dafür braucht es Prävention . Dafür braucht es Demokratiestärkung, die wir - viele Vorredner haben darauf hingewiesen - an vielen Stellen leisten . Eine Stelle ist noch
nicht genannt worden: Das sind die Lehrerinnen und
Lehrer in unseren Schulen . Sie sind allesamt, egal welches Fach sie unterrichten, ob Sport, Mathe, Geschichte
oder Deutsch, Vorbilder der Demokratie und leisten eine
prima Arbeit . Dafür ist ihnen zu danken .
({8})
Herr Präsident, ich ahne schon, dass Sie unglücklich
wären, wenn ich noch lange weiterredete . Deswegen
komme ich direkt zum Schluss .
Der Antrag der Grünen greift tatsächlich viele Aspekte
auf, die wir für eine Stärkung der Demokratie benötigen .
Darüber werden wir in den Ausschüssen weiter diskutieren . Letztendlich geht es darum, das demokratische
Bewusstsein und auch Freude an der Demokratie zu wecken . Liebe Gäste auf den Zuschauertribünen, das richtet
sich genauso an Sie wie an uns Abgeordnete: Lassen Sie
uns gemeinsam etwas bewegen für die Demokratie .
Vielen herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt . - Damit schließe
ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7553 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Widerspruch sehe ich keinen . Dann ist die
Überweisung beschlossen .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 6, den
ich hiermit aufrufe:
Vereinbarte Debatte
25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung Technikfolgenabschätzung beim Deutschen
Bundestag
Matthias Schmidt ({0})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Widerspruch
erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne gleich die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Patricia Lips für die
CDU/CSU .
({1})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung oder, um den offiziellen Titel
zu nennen, Technikfolgenabschätzung beim Deutschen
Bundestag: Warum eigentlich? Alle Fraktionen und, wie
ich glaube, jeder einzelne Abgeordnete waren und sind
der gemeinsamen Auffassung, dass der Deutsche Bundestag über das bestmögliche Wissen verfügen sollte, um
als Gesetzgeber vor allen Dingen den rasch voranschreitenden wissenschaftlich-technischen Wandel gestaltend
begleiten zu können .
Es gab und gibt durchaus eine Vielzahl von Räten,
Weisen, Kommissionen, Interessenvertretern und vielen
anderen mehr, die uns Expertisen zur Verfügung stellen .
Der Deutsche Bundestag verfügt darüber hinaus seit jeher auch über Beratungsinstrumente wie Enquete-Kommissionen, Anhörungen oder auch den Wissenschaftlichen Dienst, um Expertisen für die Arbeit der Gremien,
aber auch die individuellen Mandatsaufgaben seiner Abgeordneten einzuholen .
Damals wie heute gab und gibt es also eher selten den
Politiker, der zu wenig Beratung erfährt, ob er will oder
nicht . Zumeist handelt es sich bei den beschriebenen
Einrichtungen oder Untersuchungen jedoch um einzelne,
inhaltlich und zeitlich abgegrenzte Projekte, losgelöst
voneinander und auch nicht automatisch eingebunden in
die Abläufe des parlamentarischen Betriebes, so wertvoll
sie im Einzelnen oft auch sind .
Angesichts neuer Dimensionen - ich sagte es bereits - gerade technologischer Entwicklungen mit all ihren potenziellen Auswirkungen waren sich deshalb alle
Fraktionen einig, das vorhandene Instrumentarium um
ein kontinuierlich arbeitendes Gremium zu ergänzen . Es
ging und geht dabei um eine Instanz, die Entwicklungen
für die parlamentarischen Prozesse koordiniert, aufarbeitet und entsprechend darstellt, die ihre Aufträge - ganz
wichtig - unmittelbar aus den Gremien des Deutschen
Bundestages erhält und die bereits bei der Entwicklung
der Themen im ständigen Dialog mit den Parlamentariern steht .
Der damalige Ausschuss für Forschung und Technologie hat mit Beschluss des Deutschen Bundestages vor
25 Jahren die Aufgabe der Technikfolgenabschätzung als
wissenschaftliches Beratungsinstrument für das gesamte
Parlament erhalten; er stellt also eine Art Scharnierfunktion bzw . Verbindungsbüro für alle anderen Ausschüsse
dar . Darüber hinaus wurde unserem Ausschuss auferlegt,
die Grundsätze der parlamentarischen Technikfolgenabschätzung aufzustellen, eine Einrichtung - sprich: ein eigenes Büro - mit der Durchführung zu beauftragen und,
falls notwendig, natürlich auch Weiterentwicklungen
vorzunehmen . In 25 Jahren bleibt die Zeit ja nicht stehen .
({0})
Damit war der Grundstein für eine jetzt über 25 Jahre andauernde, erfolgreiche wissenschaftlich-technische Politikberatung gelegt .
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, was
bedeutet das eigentlich: Technikfolgenabschätzung? Was
verbirgt sich hinter dieser Arbeit, die auf der einen Seite eminent wichtig im Hinblick auf Fragen unserer gesellschaftlichen Entwicklung und der Auswirkungen ist,
während der sehr sperrige Begriff auf der anderen Seite
den allermeisten Menschen in diesem Land günstigstenfalls rudimentär bekannt sein dürfte? Ich komme noch
darauf zurück .
Das Forschungsgebiet der Technikfolgenabschätzung
entstand in den 1960er-Jahren, zunächst in den USA, und
es verbreitete sich von dort ab den 1970er-Jahren auch in
Europa wie zum Beispiel bei uns . Die Technikfolgenabschätzung befasst sich mit der Beobachtung und Analyse
von Trends in Wissenschaft und Technik und den damit
zusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen,
insbesondere aber - das ist die Hauptaufgabe - mit der
Abschätzung sich daraus ergebender Chancen und Risiken . Zudem soll die TA - ich benutze jetzt die Abkürzung - politische Handlungsempfehlungen für die Vermeidung von Risiken und für verbesserte Nutzung von
Chancen geben .
Ob es sich um Nanotechnologie handelt, um die Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften
am Beispiel eines großräumigen Ausfalls der Stromversorgung, um Möglichkeiten und Auswirkungen des
3-D-Drucks - ganz aktuell -, um synthetische Biologie,
Mediensuchtverhalten, elektronische Petitionsverfahren oder die Medikamentenentwicklung für Afrika: Das
Büro für Technikfolgen-Abschätzung hat bis heute über
200 Abschlussberichte zu seinen Untersuchungen vorgelegt, die sich intensiv mit den Folgen einer sich rasant
entwickelnden Technologie in verschiedensten Bereichen auseinandersetzen .
({1})
Kolleginnen und Kollegen, es ist festzustellen - ich
persönlich werte es als überaus positiv -, dass die Nachfrage nach TA-Untersuchungen aus unseren Gremien
und den Fraktionen unseres Hauses in den letzten zehn
Jahren stark gestiegen ist; das spiele ich von dieser Seite
auch einmal in das Plenum zurück . Wir starten gerade
wieder eine neue Runde der Abfrage . Dies zeigt, wie
intensiv um Themen gerungen wird, wie hoch die Zahl
zukunftsrelevanter Bereiche ist und dass diese auch als
solche erkannt werden .
Von Anfang an wird das Büro beim Deutschen Bundestag - in Kurzform auch „TAB“ genannt - vom heutigen Karlsruher Institut für Technologie betrieben . Was
Vizepräsident Johannes Singhammer
sind die Erfolgsfaktoren dieser 25-jährigen parlamentarischen Technikfolgenabschätzung und der Zusammenarbeit gerade mit diesem Institut? Zu nennen sind: der
Betrieb des Büros durch eine interdisziplinär arbeitende
und ausgewiesene Großforschungseinrichtung, vor allen
Dingen natürlich die wissenschaftliche Unabhängigkeit
und politische Neutralität, die Möglichkeit des Zugriffs
auf externen Sachverstand durch die Vergabe von Gutachten und vor allen Dingen die Kontinuität auf parlamentarischer Seite durch Steuerung in einem ständigen
Ausschuss, unserem Ausschuss, sowie die Einrichtung
einer sogenannten Berichterstattergruppe aus den Reihen
der Parlamentarier .
Kolleginnen und Kollegen, das TAB, aber auch wir
als zuständiger Ausschuss und stellvertretend unsere vier
ständigen Berichterstatterkollegen, stehen sozusagen als
parlamentarische Treuhänder für Technikfolgenabschätzung als eine Art Notare in einem Prozess der dauerhaften Probezeit bzw . internen Dauerevaluation .
({2})
Denn das Büro für Technikfolgen-Abschätzung ist natürlich kein Selbstzweck . In jeder neuen Wahlperiode muss
sich die TA vorstellen, muss bei neuen Kolleginnen und
Kollegen Vertrauen gewinnen und auch die Nützlichkeit unter Beweis stellen . Wir müssen uns immer wieder
fragen: Entsprechen die Inhalte und die Ergebnisse der
Untersuchungsberichte den Zielen und Wünschen der
Antragsteller? Entsprechen Bearbeitungsdauer, Darstellungsweise und Sprache der Berichte den parlamentarischen Bedürfnissen?
Wir haben daher auch immer wieder die Gelegenheit
für eine Neujustierung und Erweiterung des Aufgabenspektrums genutzt . Wir haben dem Büro Partnerinstitutionen zur Seite gestellt, um die bisher eher klassisch
technikzentrierte Arbeit um neue Themenbereiche zu
erweitern und eine stärkere Vorausschau zu betreiben
oder - in der jüngeren Vergangenheit - die Öffentlichkeit
stärker an Ergebnisdiskussionen zu beteiligen . Vor allem
Letzteres ist es wert, dass wir noch stärker als bisher das
Augenmerk darauf lenken und gemeinsam Methoden für
eine verstärkte Wahrnehmung auf dem Weg zu einem gesellschaftlichen Diskurs entwickeln .
Lassen Sie mich noch einen kurzen Blick über den
Deutschen Bundestag hinaus werfen . Ich sagte es eingangs bereits: Der Begriff und die Arbeit rund um die
Technikfolgenabschätzung sind kein rein deutsches
Phänomen . Auch die Möglichkeit eines regelmäßigen
Austausches mit anderen Parlamenten und Büros macht
diese Arbeit im Vergleich mit anderen Expertisen so erfolgreich . Der Deutsche Bundestag und sein Büro spielen eine wesentliche Rolle im europäischen Netzwerk der
rund 17 Länder mit vergleichbaren parlamentarischen
Einrichtungen .
({3})
Vor wenigen Jahren hatten wir die Präsidentschaft dieser Gemeinschaft inne, und nicht nur die Repräsentanten
dieser Länder waren bei uns zu Gast, sondern auch Interessierte aus nahezu allen Kontinenten: aus den USA, aus
Südamerika, aus Asien und aus Australien . Technikfolgenabschätzung ist zu Recht ein globales Thema .
Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits Ende vergangenen Jahres konnten wir unser Jubiläum mit zahlreichen Gästen bei einer
vielbeachteten und interessanten Veranstaltung feiern .
Mit der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag wollen wir die Arbeit der Technikfolgenabschätzung auch
an dieser Stelle würdigen und eine öffentliche Plattform
herstellen .
({4})
Verbunden damit möchte ich deshalb auch im Namen unseres Ausschusses dem Büro ausdrücklich danken: Professor Grunwald als Leiter und den Herren Revermann
und Sauter als Stellvertreter in Berlin gemeinsam mit ihrem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern .
({5})
Trotz eines annähernd gleichen Etats in den 25 Jahren
arbeitet unser TAB bei gleichbleibender Personalstärke,
jedoch stetig wachsender Nachfrage nach Beratungsleistungen und neuen Anforderungen im Hinblick auf die
Ergebnisermittlung mit großem Engagement auf hohem
Niveau . Herzlichen Dank dafür!
In der kommenden Zeit ist es nun unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dies so bleiben kann .
Vielen Dank .
({6})
Der Kollege Ralph Lenkert spricht als Nächster für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Immer schneller entwickeln sich Wissenschaft und Technik, immer komplexer werden Zusammenhänge in der Gesellschaft und machen Bewertungen
und politische Entscheidungen ohne systematische Analyse fast unmöglich .
Seit Mitte der 90er-Jahre eröffnete das Internet uns
allen völlig neue Möglichkeiten, aber es beschleunigte
auch unser Leben . Es veränderte unsere Arbeit, wurde Bestandteil unserer Freizeit, ermöglichte schnellen
Informationsaustausch und öffnete weltweit virtuelle
Grenzen . Aber auch Gerüchte, gezielte Desinformationen, Hass und Lügen werden schnell im Netz verbreitet
und können Menschen und Gesellschaften manipulieren
und im schlimmsten Falle zerstören . Wie sollte man mit
dieser Entwicklung umgehen? Braucht es neue Regeln
und Gesetze, oder ist Aufklärung der bessere Weg?
Für diese Entscheidungen benötigen wir Bundestagsabgeordnete unabhängige professionelle Beratung . Seit
25 Jahren gibt es deshalb die Technikfolgenabschätzung
beim Deutschen Bundestag . Wir würdigen mit unserer
heutigen Debatte dieses Jubiläum .
({0})
Die Abgeordneten der Fraktionen, die Ausschüsse
melden Themen mit Beratungsbedarf an . Wir Berichterstatter treffen dann die schwere Auswahl im Konsens
und begleiten die Arbeit des TAB . Ich danke im Namen
meiner Fraktion allen Berichterstattern, Ihnen, Frau Lips,
als Ausschussvorsitzende, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats des TAB-Büros und allen Partnerinnen und Partnern für die gute Zusammenarbeit .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein konkretes Beispiel zur Arbeit des TAB: Erinnern Sie sich an die heftigen
Auseinandersetzungen um CCS, Carbon Dioxide Capture and Storage, den Technologien zur Kohlendioxidabtrennung und -speicherung? CCS sollte Kohlendioxid
aus Kohlekraftwerken und Zementwerken unterirdisch
einlagern und somit aus der Atmosphäre heraushalten,
um das Klima zu schützen . Aber viele Fragen standen
im Raum .
Der TAB-Bericht Nummer 120/2007 betrachtete mögliche CCS-Technologien . Er analysierte mögliche Beiträge zum Klimaschutz . Er benannte aber auch, dass Menschen und Tiere bei einem plötzlichen Austreten von CO2
ersticken könnten, dass das Grundwasser kontaminiert
werden kann . Diese Erkenntnisse führten zur Ablehnung
von CCS bei vielen Menschen, auch bei der Linken .
Das TAB-Hintergrundpapier 18/2012 stellte dann
fest: CCS rechnet sich finanziell nicht und vor allem: Die
Technologien verbrauchen so viel Energie und Ressourcen, dass ein positiver Gesamteffekt für das Klima unsicher ist . Die Bundesländer beschlossen daraufhin den
Ausstieg aus CCS .
({2})
Politisch ist CCS somit - auch dank der TAB-Berichte erledigt .
({3})
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielleicht kennen
Sie den Roman BLACKOUT - Morgen ist es zu spät von
Marc Elsberg, der sich am TAB-Bericht 141/2010 „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften am Beispiel eines großräumigen und langandauernden
Ausfalls der Stromversorgung“ orientierte . Hier zwei
Problembeispiele aus dem TAB-Bericht und dem Roman: Bei einem flächendeckenden Stromausfall brechen
digitale Kommunikation, also Digitalfunk, Internet und
IP-basierte Telefonie, innerhalb von Minuten zusammen .
Mit Batterien funktionieren analoge Telefonnetze noch
zwei Tage ohne externe Stromzufuhr . Das ist beim Internet aufgrund des deutlich höheren Strombedarfs und
anderer Endgeräte nicht möglich . UKW- und Mittelwellenfunk kann mit Batterien oder einfachsten Ladegeräten
dauerhaft funktionieren . Die vielen notwendigen Umsetzstationen des Digitalfunknetzes mit Notstrom zu versorgen, ist unbezahlbar .
({4})
Die Telekom aber schaltet derzeit trotzdem ihr analoges Telefonnetz aus Profitgründen ab. Polizei und Behörden stellen auf Digitalfunk um, und die alte Technik
wird aus Kostengründen entsorgt . Im Moment ist dies
bequem, aber im Katastrophenfall wird dies verheerende
Auswirkungen haben .
({5})
Das TAB benannte schon vor sechs Jahren die Risiken
der heutigen Entwicklung . Die Linke wird jede Entscheidung zum Erhalt oder zur Neueinrichtung der Kommunikationsstruktur für Havarien und Notfälle unterstützen .
({6})
Ein zweites Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie stehen
im Supermarkt an der Kasse, und der Strom fällt aus .
Elektronisches Bezahlen wird unmöglich, Bargeldzahlung könnte noch funktionieren . Hält der Stromausfall
länger an, ist kein Handel, keine Notwirtschaft mehr
möglich .
({7})
Die EU stellt nun aber aus Sicherheitsgründen das Bargeld infrage, weil sie vermutet, dass illegale Geldströme,
Steuerhinterziehung und Kriminalität ohne Bargeld deutlich sinken könnten . Die bargeldlose Gesellschaft nutzt
neben unserer Bequemlichkeit jedoch nur drei Gruppen:
Banken, die mehr Transaktionsgebühren einstreichen,
Händlern, weil man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
einspart, und denen, die uns mit diesen Informationen
überwachen oder manipulieren wollen .
({8})
Kriminelle und Steuerhinterzieher werden neue Wege
finden, ihre schlechten Absichten umzusetzen. Denen
schadet das fehlende Bargeld höchstens temporär . Ich
meine, Bargeld ist Schutz vor lückenloser Überwachung und eine Absicherung bei Stromausfall . Der Bericht 141/2010 des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag empfiehlt übrigens,
Bargeldreserven für Katastrophenfälle bereitzuhalten .
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Internetauftritt des Petitionsausschusses des Bundestages entstanden neue Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe wie öffentliche Petitionen . Als der entsprechende
Modellversuch im Jahre 2005 begann, wurde er durch
zahlreiche Untersuchungen des TAB begleitet . Die Befragung der Wählerinnen und Wähler durch das Büro für
Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
lieferte wichtige Beiträge zur Gestaltung der dauerhaften
Plattform epetitionen .bundestag .de . Jede Internetnutzerin, jeder -nutzer kann jetzt Petitionen einstellen, mitzeichnen, diskutieren und die Entscheidungen des Petitionsausschusses nachverfolgen .
({10})
Auch dank des TAB wurde das Portal zum meistbesuchten Bereich des Internetauftritts des Deutschen Bundestages:
({11})
mit über 4 200 Petitionen von allgemeinem öffentlichen Interesse, fast 2 Millionen angemeldeten Nutzern,
250 000 Diskussionsbeiträgen und 3,6 Millionen Petitionsmitzeichnungen .
({12})
Liebe Haushälterinnen und Haushälter, insbesondere
von der Union, wir sind uns fraktionsübergreifend einig: Die Technikfolgenabschätzung des Bundestages ist
wichtig und unverzichtbar . Seit 2011 wurde der Jahresetat des TAB in Höhe von 2,1 Millionen Euro nicht mehr
angepasst . Jetzt haben wir Berichterstatter gemeinsam
für 2017 eine Erhöhung vorgeschlagen . Ja, 25 Prozent
klingen viel . Aber es ist die erste Erhöhung seit sechs
Jahren, und absolut sind es nur 527 000 Euro ({13})
eine verschwindend kleine Summe bei einem Bundesetat
von über 300 Milliarden Euro . Auch die Forschungsausgaben stiegen im gleichen Zeitraum um 26 Prozent oder
2,6 Milliarden Euro - bei jährlichen Steigerungen fiel
bloß dieser Prozentsatz nicht so auf .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Abgeordnete
haben mit der Technikfolgenabschätzung des Bundestages ein wertvolles Instrument. Pflegen wir es! Stellen wir
die notwendigen Mittel bereit! Erhöhen wir den Jahresetat des TAB auf 2,6 Millionen Euro - als Geburtstagsgeschenk! Die Linke dankt und gratuliert dem TAB und
stimmt der Etaterhöhung zu .
({14})
Ich hoffe, Sie alle schließen sich dem an .
Vielen Dank .
({15})
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die
SPD .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herzlich willkommen im Plenarsaal des Deutschen
Bundestages! Das hier ist wirklich der Platz, wo Gesetze
beschlossen werden . Aber es ist nicht der Platz, wo Gesetze gemacht werden .
Gesetze entstehen auf ganz unterschiedlichem Wege,
beispielsweise wenn uns die Europäische Union Vorgaben macht und wir diese in nationale Gesetzgebung
umsetzen - meistens ist das alles in Ordnung und klappt
ganz gut - oder wenn ein Bürger in die Bürgersprechstunde kommt und sagt: „Ich habe ein Problem. Ich befinde
mich irgendwo in einer Lücke zwischen zwei Gesetzen“,
und wir dann versuchen, dafür etwas auf den Weg zu
bringen, oder wenn aufgrund politischer Initiativen, indem also beispielsweise die SPD sagt: „Wir sind davon
überzeugt, dass es jetzt an der Zeit ist, den Mindestlohn
einzuführen, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse in
diesem Punkt nicht mehr so sind, wie sie sein sollten“,
ein hier eingebrachter Gesetzentwurf, nachdem man sich
vorher mit dem Koalitionspartner darauf geeinigt hat, beschlossen wird .
Ich finde es übrigens durchaus ärgerlich, wie wir die
meisten Gesetzentwürfe - das habe ich an anderer Stelle schon einmal gesagt - vom Text her aufbauen . Oben
steht immer der Titel, etwa „Entwurf eines Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“, unter A . kommen dann
das Problem und das Ziel, unter B . die Lösung, und unter „C . Alternativen“ steht: Keine . - Eigentlich lehrt die
Erfahrung des Lebens: Es gibt immer eine Alternative .
Handeln steht Unterlassen gegenüber und umgekehrt .
Ich finde - das ist an uns gerichtet -: Wir müssen Politik deutlicher erklären und sagen, dass es zu Gesetzentwürfen eine Alternative gibt, möglicherweise auch eine
politische Alternative . Wir müssen auch besser erläutern,
warum wir uns für einen Weg entscheiden und der andere eben nicht zum Zug gekommen ist . Die beschriebene
Alternativlosigkeit - das hatten wir in der vorangegangenen Debatte - müssen wir denen überlassen, die auf den
Straßen populistische Sprüche skandieren und glauben,
das Recht auf ihrer Seite zu haben oder im Besitz der
richtigen alternativlosen Lösungen zu sein .
({0})
Die meisten Gesetze, die wir hier beschließen, erkennen die Situation in der Gesellschaft oder in der Gegenwart an und versuchen, diese zu verändern . Beim
Mindestlohn etwa sagen wir: Wir können diese gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr akzeptieren . Wir
versuchen, daran etwas zu ändern .
Komplizierter ist es, wenn wir über technologische
oder gesellschaftliche Entwicklungen reden und vielleicht über Gesetze nachdenken, die noch gar nicht wirklich zustande gekommen sind, die sich in der Zukunft bewegen, wo vielleicht die ersten Pflänzchen und Zeichen
sichtbar sind . Das einschätzen zu können, ist schwieriger .
Dabei ist ganz klar: Neue Technologien bergen immer
Chancen und Risiken, und es geht darum, die Risiken
nicht zu ignorieren oder zu verschweigen . Zu einer verRalph Lenkert
nünftigen Politik gehört vielmehr, Risiken zu identifizieren, zu verhindern oder vielleicht zu minimieren .
Wir leben in einer Zeit rasanter Technikentwicklung,
und viele Menschen sind überfordert, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten . Mir geht das auch so . Vor 30 Jahren konnte ich das grüne Tastentelefon der Post - einige
kennen es vielleicht noch; damals gab es noch nicht die
Telekom - auseinandernehmen, und ich habe einigermaßen verstanden, wie es funktionierte . Beim Smartphone
würde ich das heute nicht mehr empfehlen . Vor 30 Jahren
konnte man beim Moped noch den Vergaser auseinandernehmen und wieder zusammenbauen, und meistens
lief es danach wieder . Heute ist schon der Glühlampenwechsel beim Auto fast nicht mehr möglich . Es ist alles
komplizierter geworden, und Technik ist manchmal auch
überfordernd .
Deswegen war es ganz klug, dass vor fast 26 Jahren
einige weise Kolleginnen und Kollegen - von ihnen ist,
glaube ich, nur noch Edelgard Bulmahn im Parlament gesagt haben: Wir wollen nicht unvorbereitet mit sich
entwickelnden Technologien oder gesellschaftlichen
Entwicklungen umgehen, sondern wir brauchen eine von
der Politik unabhängige wissenschaftliche Beratung, die
wir beim Bundestag ansiedeln, die aber, was auch richtig
ist, nicht weisungsgebunden ist . Wir sollten als Politik
nicht in die Berichte hineinfummeln, die unabhängig und
wissenschaftsgeleitet erarbeitet werden . Das Büro für
Technikfolgen-Abschätzung soll uns beraten . Es soll sich
mit künftigen Technologien befassen, sie bewerten und
Handlungsempfehlungen zu unterschiedlichen Wegen
geben, die man gehen kann, und Alternativen benennen .
Das sind spannende Fragen . Was ist denn eigentlich
synthetische Biologie? Ist es eine Gefahr für uns oder
eine Chance, wenn es heutzutage möglich ist, in seinem
eigenen Badezimmer ein kleines Genlabor aufzubauen
und käuflich zu erwerbende Genschnipsel so zu kombinieren, dass möglicherweise etwas Neues entsteht?
Sollen wir Geo-Engineering oder Climate Engineering machen, da wir doch wissen, dass nach einem Vulkanausbruch die großen Mengen an Asche, die ausgestoßen werden, dazu führen, dass die Sonneneinstrahlung
reduziert wird, und sich, wie wir es nach dem Ausbruch
des Pinatubo 1991 erlebt haben, die Erdtemperatur um
ein halbes Grad abkühlt? Wäre das nicht eine Möglichkeit, gegen den Klimawandel anzukämpfen, indem man
große Mengen von Schwefeldioxid in die Stratosphäre
pumpt und die Sonneneinstrahlung reduziert? Die Antwort, um das aufzulösen, hat ein guter Bericht des TAB
gegeben: Das macht keinen Sinn, und die Gefahren sind
viel zu groß .
Aber ich wollte gar keine Antworten geben, sondern
fast nur Fragen stellen: Wie ist es, wenn in der älter
werdenden Gesellschaft immer weniger Pflegende vorhanden sind? Macht es Sinn, so wie es in Japan schon
fast gang und gäbe ist, Roboter bei der Pflege von pflegebedürftigen bzw . älteren Menschen einzusetzen? Oder
verschleiern wir damit ein Problem, das auf einer ganz
anderen Ebene besteht? Ist es zu empfehlen, eine Gesundheits-App zu haben und regelmäßig Daten über seinen Blutdruck, Puls und die Herzfrequenz zu bekommen,
oder ist es nicht eher ein Problem, damit umzugehen,
wenn man nicht ordentlich informiert ist?
All das sind Fragen, die wir dem TAB gestellt haben und auf die das Büro für Technikfolgen-Abschätzung gute Antworten geben kann, und zwar nicht nur
eine oder gar die einzige wahre, sondern es zeigt - das
ist auch seine Aufgabe - in der Regel den Politikerinnen und Politikern unterschiedliche Handlungsoptionen
und Wege auf, die wir dann beschreiten können . Es ist
unsere Verantwortung als Politik, den Weg zu nehmen,
der den künftigen Generationen in 20 Jahren noch eine
Möglichkeit offen lässt, sich anders zu entscheiden, und
die Spielräume erhält, statt heute etwas zuzulassen, das
künftigen Generationen keine Entscheidungsmöglichkeit
mehr lässt .
Wir sollten alles dafür tun - und das TAB hilft uns in
unverzichtbarer Weise dabei -, hier keine Entscheidungen zu treffen, die wir nicht mehr zurückholen können .
Vielen Dank .
({1})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Harald Ebner .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Prognosen sind schwierig, besonders wenn
sie die Zukunft betreffen . Ob das nun von Karl Valentin,
Mark Twain oder anderen stammt, es ist auf jeden Fall
eine treffende Begründung dafür, warum wir eine erfahrene, professionelle Institution für Technikfolgenabschätzung brauchen .
Wie extrem man manchmal bei Voraussagen danebenliegen kann, zeigt vielleicht eine Aussage eines US-Staubsaugerproduzenten aus dem Jahr 1955 . Er meinte, nuklearbetriebene Staubsauger seien wahrscheinlich in zehn
Jahren Realität . Zum Glück hat es nie einen Staubsauger
mit Mini-AKW gegeben . Mehr noch: Inzwischen ist das
Ende der großen Atomkraftwerke in Deutschland längst
beschlossener Konsens, sodass in sieben Jahren auch aus
den Steckdosen kein Atomstrom mehr - auch nicht für
Staubsauger - kommen wird; das ist gut so . Hätten wir
beizeiten eine Technikfolgenabschätzung vorgenommen,
hätten wir vielleicht nie einen Atomausstieg 2 .0 nötig gehabt .
({0})
Gegen Irrtümer bei der Bewertung neuer Technologien ist niemand gefeit, auch wir nicht . Meine Partei hat ein
paar schöne Irrtümer begangen . Vor 30 Jahren waren die
Grünen - man stelle sich das vor - gegen die Digitalisierung des Fernsprechnetzes und das Satellitenfernsehen .
Auch Computer waren damals für Grüne eine schwierige
Sache .
({1})
Heute sind wir offensive Nutzer dieser Technologien .
Eine wichtige Aufgabe der Technikfolgenabschätzung
ist, die Irrtumswahrscheinlichkeit bei Entscheidungen
über Technologien zu senken .
({2})
In anderen Bereichen sehe ich viele unserer kritischen
Haltungen allerdings bestätigt . Die bereits genannte
Atomkraft und die Agrogentechnik sind zwei Themen,
bei denen sich nach anfänglicher Euphorie herausgestellt hat, dass sich diese Technologien nicht bewähren .
So wurde zum Beispiel in mehreren TAB-Berichten zum
Themenbereich Welternährung schon vor Jahren darauf
hingewiesen, dass nicht die Agrogentechnik, sondern
moderne Ökolandbaumethoden für Kleinbauern die
Schlüsselstrategie für die Welternährung sind .
({3})
Auch der schon genannte Bericht zum Climate Engineering macht deutlich, dass Ansätze wie Algendüngung
keine Alternative zum konsequenten Klimaschutz durch
Emissionsreduktion sind .
Nicht nur bei den Risiken, sondern auch bei den Chancen von Technologien gibt es manchmal falsche Erwartungen, die zu politischen Fehlentscheidungen führen
können . Die Beispiele belegen, wie schwierig es ist,
technologische Entwicklungen sowie deren Potenziale
und Risiken realistisch einzuschätzen . Je rasanter technologische Entwicklungen verlaufen, desto schwieriger
wird es für uns, die entsprechenden Weichenstellungen
vorzunehmen . Wir treffen schließlich regulatorische Entscheidungen für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit . Unser Handeln hat immer Auswirkungen auf
kommende Generationen . Wir haben hier eine moralische Verpflichtung - der Kollege Röspel hat das bereits
gesagt -, auch die Interessen unserer Enkel und Urenkel
bei allen Entscheidungen mit zu bedenken und eventuelle
Folgen bestmöglich zu ermitteln .
Das ist Technikfolgenabschätzung und Nachhaltigkeitsdenken in bestem Sinne . Dafür brauchen wir Spezialisten und Experten, die uns beratend zur Seite stehen .
Deshalb war es 1989 tatsächlich eine weise Entscheidung, dass der Bundestag in breiter Einigkeit unter den
Fraktionen die Einrichtung einer eigenen Institution beschlossen hat . Konsens war damals auch, dass eine unabhängige Einrichtung zur Technikfolgenabschätzung
nötig ist, um nicht länger auf die Expertise der Bundesregierung und ihrer Einrichtungen angewiesen zu sein .
Ich finde es bestechend, dass sich das Parlament mit dem
Büro für Technikfolgen-Abschätzung eine Entscheidungs- und Bewertungssouveränität erarbeitet hat . Das
halte ich für eine wirklich gute Sache .
({4})
Das TAB soll die Urteilsfähigkeit des Parlaments
im Ganzen befördern . So hat es Bundestagspräsident
Norbert Lammert in seiner Rede zur TAB-Jubiläumsfeier zu Recht betont . Voraussetzung für die breite Anerkennung der Arbeit des TAB ist, dass diese Arbeit über
die Legislaturperiode hinaus getragen wird . Daher ist es
so wichtig, dass Entscheidungen zur Projektarbeit vom
Parlament unabhängig von den gerade aktuellen Mehrheitsverhältnissen getragen werden . Genau das soll durch
das Konsensprinzip im Berichterstatterkreis, der eben die
wesentliche Vorarbeit bei der Auswahl der Themen leistet, erreicht werden . So haben Sachargumente - so hoffe
und erfahre ich das auch - ein stärkeres Gewicht . Das
gegenseitige Zuhören und Eingehen aufeinander hat eine
Chance .
Ich glaube, an der Stelle ist es auch richtig, dem Büro
für Technikfolgen-Abschätzung, aber auch dem Sekretariat ganz herzlich dafür zu danken, dass sie diesen nicht
immer einfachen Konsensprozess mit stoischer Geduld
ertragen . Dazu gehört auch ein Dank an die Ausschussvorsitzende Lips, die das immer humorvoll begleitet und
moderiert .
({5})
Ich hoffe sehr, dass dieses bewährte Prinzip der Zusammenarbeit auch in Zukunft erhalten bleibt . Und so haben wir das ja auch für diese Wahlperiode erneut in den
Grundsätzen für die Arbeit des TAB festgehalten .
Wie brennend aktuell unsere Arbeit ist, zeigt sich
gerade auch dieser Tage angesichts der Meldungen
über Genmanipulation an menschlichen Embryonen zu
Forschungszwecken . Das ist in mehrerlei Hinsicht bedenklich . Es geht um die Eingriffe in die menschliche
Keimbahn, um verbrauchende Embryonenforschung .
Dieser Vorstoß aus Großbritannien torpediert leider den
sinnvollen internationalen Aufruf für ein Moratorium bei
Genome Editing am Menschen . Ich bin froh, dass es eine
ganz breite Einigkeit in der Wissenschaft gibt, hier vorsichtig zu sein . Das Thema Genome Editing greift auch
ein TAB-Bericht auf, der sich mit synthetischer Biologie
beschäftigt und uns hier auch Ratschläge an die Hand
gibt, wie wir künftig die Risikoregulierung reformieren
und die Risikoforschung stärken könnten .
({6})
Der Bedarf an unabhängiger Technikfolgenabschätzung ist heute größer denn je . Die aktuelle Arbeitsliste
wurde vom Kollegen Röspel schon umfänglich vorgestellt . Das TAB leistet heute, meine ich, mehr als früher,
aber sein Budget ist in diesen 25 Jahren nur einmal minimal erhöht worden . Die Kosten sind allerdings um mehr
als 50 Prozent gestiegen . Da bleibt es nicht aus, dass das
zulasten der Qualität und zulasten der Arbeitskapazität
geht . Da meine ich: Wenn wir die hohe wissenschaftliche Qualität und die Leistungsfähigkeit des TAB erhalten
wollen, ist eine Erhöhung der Finanzmittel wirklich das
Gebot der Stunde . Ich bin sicher, dass die aktuell zu erarbeitende Halbzeitbilanz des TAB da eine gute Grundlage
sein wird, um für den nächsten Haushalt eine Erhöhung
hinzubekommen .
Wenn wir heute unsere Anerkennung für die TAB-Arbeit in guten Worten ausdrücken, dann ist klar, dass wir
dabei nicht stehen bleiben dürfen . Das TAB hat ein Geburtstagsgeschenk verdient . Ich würde mich freuen,
wenn das im Konsens aller Fraktionen auf den Weg gebracht werden könnte .
Danke schön .
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Dr . Philipp Lengsfeld .
({0})
Das werde ich ganz sicher nicht tun, lieber Kollege .
Aber vielleicht habe ich ja noch den einen oder anderen
überraschenden Punkt in meinen Ausführungen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wissenschaftliche Politikberatung ist ein essenzielles
und absolut selbstverständliches Tool eines demokratischen Parlaments . Es gibt deshalb viele Beratungsgremien und Instrumente vor und neben der Arbeit des TAB;
das ist hier schon erwähnt worden . Aber es gibt Besonderheiten der Konstruktion TAB, die dem Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag eine
spezielle, eine sehr herausgehobene Position zuweisen .
({0})
Ich will hier den einen oder anderen Punkt noch einmal
vertiefen; viele Punkte sind ja schon angerissen worden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Besondere am
TAB ist nicht, dass hier exzellente wissenschaftliche
Gutachten zu wichtigen Themen erstellt werden; ein paar
Themen sind ja schon genannt worden . Das ist selbstverständlich . Dies machen - wie schon erwähnt - andere
auch . Vielmehr ist das Besondere, dass das TAB ein Instrument des Bundestages ist . Und ja - ich sage es einmal
ganz deutlich -, das TAB ist abhängig vom Deutschen
Bundestag . Wir geben die Haushaltsmittel . Die Diskussion über diese Mittel führen wir gerade. Aber das finde
ich richtig und wichtig; denn selbst wenn man es nicht
gerne offen ausspricht: Es gibt keine völlig unabhängige
Forschung und Wissenschaft .
({1})
Nein, es kann keine völlig unabhängige Forschung und
Wissenschaft geben; denn Forschung und Wissenschaft
sind teuer und finanzieren sich nicht von selbst. Dies gilt
natürlich auch für wissenschaftliche Politikberatung, die
glücklicherweise nicht ganz so teuer ist .
({2})
Die Zahlen sind schon genannt worden .
Ich sage es ganz deutlich: Ich bin froh, dass wir mit
dem TAB bezahlte Wissenschaftler haben, die aber nicht
von der Regierung oder von der heimischen Wirtschaft
oder gar von fremden Regierungen oder ausländischen
Firmen bezahlt werden, sondern die dem Deutschen Bundestag berichten und niemandem sonst . Der Kern guter
wissenschaftlicher Beratung ist gerade nicht, dass man
einen völlig unvoreingenommenen Berater findet, der
einem dann ungefilterte Wahrheiten präsentiert; denn so
einen völlig unvoreingenommenen Berater gibt es nicht,
genauso wenig wie es die reine Wahrheit gibt, die man
nur irgendwo ausbuddeln müsste . Der Trick ist vielmehr
die richtige Anwendung des wissenschaftlichen Prinzips
der Konkurrenz und der Überprüfbarkeit von Analysen
und Empfehlungen . Dies funktioniert viel einfacher und
viel besser, wenn man selber ein Instrument in der Hand
hat und wenn klar im Titel genannt wird, wer der Auftraggeber ist . Beides ist beim TAB der Fall .
({3})
Ich nehme einmal ein aktuelles Beispiel aus unserem
TAB-Portfolio . Ich freue mich, dass es bis dato noch
nicht erwähnt wurde; das hat mich eigentlich gewundert .
Ich meine den Bericht zur Sinnhaftigkeit der Zeitumstellungen, wie wir sie in Europa und den USA - ich sage aus
meiner Sicht: leider - seit vielen Jahrzehnten haben . Für
mich persönlich ist das eine der fragwürdigsten polit-technokratischen Erfindungen des letzten Jahrhunderts. Der
Deutsche Bundestag hat das TAB beauftragt, eine Bilanzierung der Sinnhaftigkeit dieser Zeitumstellungen zu
erstellen . Der Bericht ist gerade in der Finalisierung . Ich
bin sicher, dass er dieses Haus noch beschäftigen wird .
Natürlich gab es ganz klar einen Unwillen zum Beispiel
in der EU-Kommission oder in vielen Regierungen, sich
mit dieser Frage zu beschäftigen . Man machte zwar die
Zeitumstellungen, aber hinschauen wollte keiner mehr so
genau . Aber wir, das deutsche Parlament, machen es jetzt
und nehmen so unsere ureigenste Aufgabe wahr, nämlich
Regierungshandeln zu kontrollieren und zu hinterfragen .
Es kann ja auch sein, dass herauskommt, dass alles paletti ist . Das glaube ich aber eher nicht .
({4})
Die wissenschaftliche Politikberatung durch das TAB
ist dafür ein großartiges Instrument, unser Instrument,
und dieses sollten wir pflegen und stärken; das ist hier
schon gesagt worden .
({5})
Das TAB ist ein besonderes Instrument, und es hat
auch besondere Arbeitsprinzipien . Auch die sind hier erwähnt worden, aber ich will sie noch einmal diskutieren,
insbesondere das Konsensprinzip in der Berichterstatterrunde . Das ist sicherlich ein eher ungewöhnlicher Ansatz
in der Demokratie, aber ich weiß die tiefere Weisheit des
Konsensprinzips beim TAB mittlerweile sehr zu schätzen . Dazu muss man aber verstehen, was im Konsens
beschlossen wird und was nicht .
Die Berichterstatter des TAB beschließen im Konsens
den Arbeitsplan, die Abnahme eines Berichts, und wir
schreiben gemeinsam ein Vorwort . Der wichtigste Punkt
ist natürlich der Arbeitsplan, also die Themensetzung .
Über die Abfrage bei den Fraktionen, Arbeitsgruppen
und Ausschüssen werden Themenvorschläge gesammelt .
Anschließend werden die Themen bewertet, verdichtet
und in Diskussionen mit dem TAB durch die Berichterstatter in ein handhabbares Arbeitsprogramm gegossen .
Dann wird es mit zwei Absegnungsdurchgängen so vom
TAB umgesetzt . Alle Berichte des TAB sind vom Deutschen Bundestag gewollt .
Hätten wir das Konsensverfahren nicht und würde
die Themensetzung zum Beispiel analog zur Redezeitverteilung erfolgen, dann würde die jeweilige Mehrheit
dominieren und letztendlich jede Fraktion nur ihre eigenen Lieblingsthemen platzieren . Das Konsensprinzip
durchbricht diesen Mechanismus zu einem großen Teil
und erhöht so nach meinem Eindruck die Akzeptanz und
Qualität für alle Berichte . Dies ist so wichtig, weil das
TAB auch das Gütesiegel „Deutscher Bundestag“ trägt .
Dies wird in der Öffentlichkeit durchaus stark wahrgenommen . Man denke nur daran, welche Wellen die deutlich kleineren Gutachten unseres Wissenschaftlichen
Dienstes manchmal schlagen .
Andere Gremien der Politikberatung machen auch
Gutachten, aber hier erfolgt die Themensetzung teilweise auf eigene Initiative . Das ist ein großer Unterschied .
So entstehen auch Gutachten zu, zumindest aus meiner
Sicht, eher abseitigen Themen . Ich nenne hier einmal als
drastisches Beispiel die Stellungnahme des Ethikrats zur
Aufweichung des Inzesttabus in Deutschland . Der große
Unterschied in der Genese dieser Gutachten, der für die
Bewertung ebenfalls eine gewisse Rolle spielt, wird in
der Öffentlichkeit nicht immer so klar wahrgenommen .
Das Konsensprinzip der Berichterstatter gilt auch für
die Abnahme der TAB-Berichte . Dies sehe ich als wichtiges Instrument der Qualitätssicherung . Es ist übrigens
auch ein Grundprinzip wissenschaftlichen Arbeitens,
zum Beispiel beim sogenannten Peer Review in Fachzeitschriften oder bei der Bewertung von Doktorarbeiten .
Mehrere Reviewer reduzieren die Gefahr von Gefälligkeitsgutachten und Denkschablonen . Das Konsensprinzip funktioniert aber natürlich nur - auch das ist erwähnt
worden - bei konstruktiver Zusammenarbeit . Deshalb
möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich meinen Mitberichterstattern - die erste Hälfte dieser Debatte über das
TAB ist ja praktisch eine Berichterstatterrunde -, dem
Ausschusssekretariat und insbesondere der Vorsitzenden
Patricia Lips danken .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Konsensprinzip
endet aber bei der politischen Bewertung und Nutzung
der TAB-Berichte . Auch diese Selbstverständlichkeit
spreche ich noch einmal deutlich aus . Hier kann es kein
Konsensprinzip geben . Es gibt auch keine einfachen
Wahrheiten . Deshalb zeigt das TAB Handlungsoptionen
auf und gibt nicht etwa einfache Handlungsrezepte vor,
welche der Bundestag nur nachkochen muss .
Der Umgang mit diesem Wissen unterscheidet uns ja
von autokratischen Herrschaften . Ich habe es hier schon
einmal gesagt, wiederhole es aber: Die Aralsee-Katastrophe als direkte Folge megalomanischer Bewässerungsund Kanalprojekte in Zentralasien zu sowjetrussischen
Zeiten oder die vermutlich auch sehr dramatischen Folgen des Riesenprojekts Drei-Schluchten-Staudamm in
China sind für mich Beispiele für politisch-technische
Entscheidungen, wie sie in dieser Form in einer funktionierenden Demokratie nie fallen dürfen oder wo man
zumindest sehr viel schneller gegensteuern würde .
Dies ist übrigens auch ein Grund - das sage ich jetzt
einmal ein bisschen provokativ; Kollege Mutlu, eine
kleine Provokation extra für dich -, warum wir in dieser
Wahlperiode nach intensiven Diskussionen zum Beispiel
ein Gutachten zu den Folgen des massiven Ausbaus von
regenerativen Energiequellen in Auftrag gegeben haben .
Bei der Nutzung der Gutachten endet das Konsensprinzip; aber es startet die Arbeit für das ganze Haus .
Denn natürlich geben wir das Geld für das TAB nicht als
Weiterbildung aus . Ich weiß, dass es gerade in der letzten Legislatur auch Unzufriedenheit mit dem Konstrukt
TAB gab . Es sind daraufhin jedoch wichtige Weichen gestellt worden. Wir haben jetzt flexiblere, vielfältigere und
schnellere Instrumente .
Aber der Kernpunkt bleibt: Wir, der Deutsche Bundestag, müssen die Gutachten letztendlich auch nutzen da erwähne ich jetzt einmal rein zufällig das Gutachten
zur Zeitumstellung -; das ist das Prinzip wissenschaftlicher Politikberatung: Die Wissenschaftler analysieren
die Situation und zeigen Optionen auf; handeln müssen
wir aber selber .
In diesem Sinne gratuliere ich dem TAB und uns zu
25 Jahren gemeinsamer Arbeit .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({7})
Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr . Simone
Raatz .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der VCI,
also der Verband der Chemischen Industrie, hat vor Kurzem eine Studie mit dem Titel „Innovationen den Weg
ebnen“ herausgegeben . Die Ergebnisse dieser Studie
machen Folgendes deutlich: Wie innovativ ein Unternehmen ist, liegt nicht allein am Unternehmen selbst,
sondern auch am gesellschaftlichen Umfeld . Fast 30 Prozent der chemischen Unternehmen beklagen eine ablehnende Haltung zur technischen Entwicklung in unserer
Gesellschaft . Das regt zum Nachdenken an . Das sollten
wir hinterfragen; denn es schränkt natürlich auch unsere
Innovationsfähigkeit ein .
Warum ist das so? Wir alle nutzen doch täglich neue
Entwicklungen und Technologien und genießen ihr Vorhandensein . Das Smartphone oder unser Auto mit Navigationssystem - man kann vieles mehr nennen - sind
doch alltägliche Produkte . All das macht uns das Leben
leichter, und wir wollen es nicht missen .
Eine mögliche Antwort auf das Verhalten, das die chemischen Unternehmen feststellen, gibt uns das Wissenschaftsbarometer von 2015 . Hiernach meinen 31 Prozent
der Befragten, dass die Entwicklung einer neuen Technologie gestoppt werden sollte, wenn sie unbekannte Risiken birgt . Genau hier leistet das TAB-Büro seit 25 Jahren
einen ganz wichtigen Beitrag .
Das TAB gibt uns Bundestagsabgeordneten - das
wurde von meinen Vorrednern hier schon erwähnt -,
aber auch anderen Interessierten die Möglichkeit, sich
mit naturwissenschaftlich-technischen Entwicklungen
bereits im Vorfeld ihrer Realisierung auseinanderzusetzen . Zudem gibt uns die Technikfolgenabschätzung politische Handlungsempfehlungen an die Hand, sodass wir
einschätzen können, mit welchen Risiken, aber auch mit
welchen Potenzialen wir es zu tun haben . Ich denke, dass
das für unsere politische Arbeit - das war hier schon Thema - von unschätzbarem Wert ist . Dafür möchte auch ich
an dieser Stelle noch einmal danken .
({0})
Seit seiner Gründung hat das TAB zahlreiche Studien zu den unterschiedlichsten Fragestellungen verfasst
und veröffentlicht . Einige Themen haben hier schon eine
Rolle gespielt . So sind beispielsweise die Beiträge des
TAB zur Bewertung der Grünen Gentechnik sehr wichtig, auch heute noch; ich glaube, der Bericht wurde 2005
veröffentlicht . Gerade in diesem Feld standen und stehen
sich Kritiker und Befürworter nach wie vor kompromisslos gegenüber . Das Kuriose ist: Beide Seiten beziehen
sich auf wissenschaftliche Studien und untermauern damit im Endeffekt gegenläufige politische Forderungen.
Ich denke, das macht für uns die Entscheidung nicht in
jedem Fall einfacher .
Da ist auf der einen Seite die Industrie, die die Grüne Gentechnik ausschließlich positiv bewertet und mit
ihr zum Beispiel die Ernährung einer stark wachsenden
Bevölkerung als gesichert ansieht . Auf der anderen Seite
befindet sich ein großer Teil der Bevölkerung, der insbesondere negative Auswirkungen auf unser Ökosystem und natürlich auch auf unsere Gesundheit vermutet . Umso wichtiger war und ist es, dass das TAB im
Arbeitsbericht 104 dem Deutschen Bundestag und der
interessierten Öffentlichkeit eine unabhängige und wissenschaftlich fundierte Sicht auf die kritischen Aspekte,
aber auch auf die Potenziale der Grünen Gentechnik aufgezeigt hat . Mein Kollege hat zwar schon einige Sätze
dazu gesagt, was „Unabhängigkeit“ bedeutet . Aber ich
gehe erst einmal davon aus, dass unser TAB verschiedene Seiten beleuchtet und wir als Auftraggeber dafür sorgen, dass die Unabhängigkeit gewahrt ist .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grüne Gentechnik ist nur eines von vielen Beispielen, die verdeutlichen,
dass unsere Bürger zu Recht Transparenz und einen ehrlichen Dialog über den Nutzen, aber auch über die Risiken fordern . Das spielt in der heutigen Diskussion in
der Gesellschaft nach wie vor eine zu geringe Rolle . Nur
wenn wir den Nutzen und die Risiken gleichermaßen betrachten, stellt sich die Akzeptanz von Innovationen ein .
Wenn wir das nicht machen, sind die Leute kritisch und
sagen: Ich weiß gar nicht, was auf mich zukommt . - Damit verhindern wir Innovationen .
Um diese Akzeptanz herzustellen, ist es besser, die
Leute möglichst früh einzubeziehen . Die Forschungseinrichtungen, die Industrie und wir als Politiker müssen darauf hinwirken, dass wir unsere Bürger in aktuelle
Entwicklungen einbeziehen, noch bevor vielleicht ein
Endprodukt da ist . Wir müssen einen kontinuierlichen
Dialog produzieren und die Partizipation der Menschen
von Anfang an ermöglichen .
({2})
Im Moment ist es bei vielen Dingen eigentlich eher
noch eine Einbahnstraße . Man sagt: Hier habt ihr ein Produkt; das müsst ihr jetzt schön finden. - Dann sagen die
Leute: Nein, das finden wir nicht unbedingt schön.
({3})
Da brauchen wir in der Gesellschaft noch mehr Diskussion und Anregungen, auch aus unserem TAB heraus .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiger Partner in diesem gesellschaftspolitischen Prozess ist, wie
gesagt, das TAB . Darum bin ich außerordentlich dankbar, dass Edelgard Bulmahn diese Idee auf den Weg gebracht hat - das ist schon erwähnt worden - und Ulla
Burchardt das im Endeffekt maßgeblich mit unterstützt
hat . An dieser Stelle möchte ich auch dir, Patricia Lips,
danken - du stehst heute halt im Mittelpunkt -, danken
für dein Engagement, für deine Überzeugungskraft und
deine Geduld . An dieser Stelle also noch einmal ein ganz
herzlicher Dank an dich!
({4})
Ich bin guter Dinge, dass wir 2040 an gleicher Stelle „50 Jahre TAB“ feiern können . Damit das TAB auch
dann auf der Höhe der Zeit ist, müssen wir es nach meiner Meinung konzeptionell weiterentwickeln und auch
finanziell auf sicherere Füße stellen. Deswegen danke ich
der Opposition insbesondere, dass sie den Vorschlägen
zur finanziellen Aufstockung beipflichtet. Das ist ganz
großartig .
({5})
Außerdem muss das TAB in die Lage versetzt werden, mehr tagesaktuelle Themen zu bearbeiten und seine wertvolle Arbeit noch breiter in die Öffentlichkeit zu
tragen . Ich denke, die Bundestagsabgeordneten können
nicht der alleinige Adressat sein .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung ist ein
ganz wertvoller Bestandteil sowohl des Bundestags als
auch unseres Ausschusses für Bildung und Forschung .
Seine Rolle ist nach meiner Meinung heute noch bedeutender als vor 25 Jahren . Und: Die Bedeutung wächst
stetig . Ich würde mich daher freuen, wenn wir weiterhin
gemeinsam und vor allen Dingen parteiübergreifend weiter an diesem Diamanten schleifen, um seine Leuchtkraft
noch zu verstärken .
Vielen Dank .
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Dr . Stefan Kaufmann,
CDU/CSU .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
freue mich, dass auch unsere Ministerin Johanna Wanka
dieser Debatte beiwohnt und damit ihre Wertschätzung
für diesen Diamanten, wie Sie es, Frau Kollegin Raatz,
formuliert haben, zum Ausdruck bringt .
({0})
25 Jahre wissenschaftliche Politikberatung beim Deutschen Bundestag: Das sind nahezu 200 vom Bundestag
beauftragte Studien zu gesellschaftlich folgenreichen
wissenschaftlich-technologischen Entwicklungslinien .
Aber auch Enquete-Kommissionen, Bundes- und Landesministerien, Forschungs- und Bildungseinrichtungen,
Behörden, Unternehmen und interessierte Öffentlichkeit
nutzen die Ergebnisse der in den TAB-Berichten vorgestellten Szenarien und Handlungsoptionen . Dabei ist
das deutsche Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim
Deutschen Bundestag - wir haben es gehört - mit seinen
25 oder genau genommen 26,5 Jahren nicht einmal das
älteste . Das OPECST in Frankreich besteht seit 1985 .
Die Europäische Union hat bereits 1987 ein TA-Büro,
das STOA, eingerichtet, und auch Großbritannien verfügt seit 1989 über ein Parliamentary Office of Science
and Technology . Ich denke, wir sind uns einig hier im
Raum: Für unsere tägliche Arbeit als Parlamentarier ist
die wissenschaftlich fundierte Beratung unerlässlich .
Keiner von uns kennt alle Bereiche des medizinischen
Fortschritts, neuer Umwelttechnologien oder der neuesten digitalen Entwicklungen . Deshalb ist eine gründliche
Technikfolgenabschätzung unglaublich wertvoll .
({1})
Ein Grundproblem der Technikfolgenabschätzung
möchte ich kurz ansprechen, das sogenannte Collingridge-Dilemma . Es besteht darin, dass Wirkungen einer
Technologie nicht leicht vorhergesehen werden können,
solange die Technologie noch nicht ausreichend entwickelt oder verbreitet ist . Das Gestalten und Ändern, also
das, was unsere Aufgabe als Politik ist, wird jedoch umso
schwieriger, je fester die Technologie verwurzelt ist . In
den letzten Jahren sieht sich die Technikfolgenabschätzung zudem genötigt, stärker auf die zunehmenden Partizipationsbestrebungen in der Gesellschaft einzugehen
und dafür neue Beteiligungsformen zu entwickeln .
({2})
Allerdings setzt sich die Technikfolgenabschätzung
durch eine pauschale Forderung nach mehr Partizipation
gelegentlich auch dem Vorwurf der bloßen Legitimationsbeschaffung aus . Auch darüber müsste man vielleicht
einmal nachdenken .
Weil eben viel zu den Verfahren gesagt wurde, möchte
ich noch zwei aktuelle Beispiele zur Arbeit des TAB herausgreifen, die mich besonders beeindruckt haben bzw .
die besonders neugierig machen .
Erstens ist das die bereits mehrfach zitierte Untersuchung zur Synthetischen Biologie aus dem Jahre 2015 .
Seit gut zehn Jahren werden wir mit dem Begriff der
Synthetischen Biologie, kurz: SynBio, konfrontiert . So
werden Forschungsvorhaben, Methoden und Verfahren
zu einem Umbau natürlicher Organismen bezeichnet,
die weiter gehen, als dies bisher mithilfe der Gentechnik möglich war . Das BMBF spricht in diesem Zusammenhang von Biotechnologie 2020+ . Darüber hinaus
wird auch gerne von Do-it-yourself-Biologie gesprochen . In der Gesellschaft ist dieses Thema jedoch bislang
kaum angekommen . Es war das Biotech-Start-up Glowing Plant aus den USA, welches dieses Phänomen der
Do-it-yourself-Biologie erst weltweit bekannt gemacht
hat . Dieses Start-up will Glühwürmchen-DNA über Bakterien in Pflanzen injizieren und diese so im Dunkeln
zum Leuchten bringen . Damit könnte Licht ohne elektrische Energie geliefert werden, was wiederum als natürliche Straßenbeleuchtung dienen könnte - eine irgendwie
faszinierende Vorstellung .
({3})
Es wird geschätzt, dass es weltweit etwa 4 000 solcher Biohacker bzw . solcher Start-ups gibt . Für sie ist
DNA eine Programmiersprache, mit der sich beliebige
Objekte basteln lassen . Für einige ist natürlich die Manipulation von Organismen auch der nächste logische
Zivilisationsschritt . Es soll inzwischen sogar ein Start-up
geben, das einen 3-D-Drucker für lebendige Dinge bauen will . Ein Mitarbeiter dieses Start-ups wurde mit dem
Satz zitiert: „Alles, was lebt, ist nicht optimal . Es kann
verbessert werden .“ Oder noch extremer: „Es ist doch
offensichtlich, dass irgendwann einmal jeder Mensch an
einem Computer entworfen wird .“ Das wiederum, meine
Kolleginnen und Kollegen, ist eine eher erschreckende
Vorstellung .
({4})
Der hochinteressante TAB-Bericht hierzu zeigt aber
auch andere Anwendungen auf. Hierzu gehören modifizierte Viren zur Krebsbekämpfung, genetisch veränderte
Stechmücken zur Kontrolle des Denguefiebers sowie die
Produktion des Pflanzenstoffes Artemisinin als wichtigem Bestandteil von Malariamedikamenten basierend
auf Mikroorganismen mit neu konstruierten Stoffwechselwegen . Angesichts dieser nahezu uferlosen Möglichkeiten - dazu gehört im Übrigen auch die von Emmanuelle Charpentier entwickelte Gen-Schere - sind aus
meiner Sicht tatsächlich mehr Investitionen in die Biosicherheitsforschung notwendig, um auch die Gefahren
des Missbrauchs von biowissenschaftlicher Forschung
im Allgemeinen und von Synthetischer Biologie im Besonderen zu verringern .
({5})
Jedenfalls wird sich der Bundestag aus meiner Sicht
in Zukunft noch stärker mit diesem wichtigen Thema beschäftigen müssen . Der TAB-Bericht - da sind wir uns,
denke ich, auch alle einig - wird hierzu eine erste wichtige Grundlage bieten .
Darüber hinaus bin ich gespannt auf das gerade laufende Untersuchungsprojekt „Mensch-Maschine-Entgrenzungen - Zwischen künstlicher Intelligenz und Human Enhancement“ . Hierbei geht es vor allem um das
Thema „Verschmelzung von Mensch und Maschine“ .
Durch die extrem schell voranschreitende Digitalisierung
unserer Gesellschaft stellen sich hier natürlich weitreichende Fragen .
Ich habe im November letzten Jahres der Gründung
des Max Planck ETH Centers for Learning Systems in
Tübingen beigewohnt . Dort wurden uns selbstlernende
Maschinen gezeigt . Sie kennen vielleicht das Spiel, bei
dem eine Schnur mit einer Kugel herunterhängt und man
versucht, die Kugel durch eine bestimmte Bewegung in
ein Loch zu bekommen . Man untersuchte diese Bewegung, und es wurden dort Maschinen gezeigt, die nach
mehreren Dutzend solcher Versuche die ihnen gestellte Aufgabe mit einer 100-prozentigen Sicherheit lösen
konnten .
Weiter wurden Algorithmen vorgestellt, die anhand
Zehntausender Beispiele aus der Vergangenheit mit
70-prozentiger Wahrscheinlichkeit die nächste Handlung eines Menschen vorhersagen können . Dazu nur eine
Zahl: Siri - Sie kennen das vom iPhone - beantwortet pro
Jahr - schätzen Sie einmal - 100 Milliarden mündliche
Anfragen . Das Wissen, das hier generiert wird, ist natürlich Big Data im besten Sinne und auch ökonomisch von
unschätzbarem Wert . Wenn Maschinen aber bereits in der
Lage sind, selbst zu lernen und mit einer 100-prozentigen
Präzision zu arbeiten, ist zu fragen: Welche Herausforderungen ergeben sich daraus? Und gibt es irgendwann
sogar eine Maschine mit einem eigenen Bewusstsein?
Wie aktuell all diese Fragen sind - der Kollege hat
es schon angesprochen -, wurde mir auch bei meinem
Japanbesuch im Oktober letzten Jahres deutlich . Japan
steht vor einem demografischen Wandel, der noch viel
dramatischer ist als in Deutschland . Die Bevölkerungszahl wird von 130 Millionen auf 100 Millionen heruntergehen . Japan setzt aber nicht etwa auf eine aktive
Familienpolitik oder gar auf eine Einwanderungspolitik,
sondern ganz massiv auf Robotik . Immer menschlicher
werdende Roboter sollen alte Leute pflegen, im Haushalt
helfen oder ihnen auch als Begleiter zur Seite stehen .
Dieser aus unserer Sicht durchaus befremdliche Ansatz
wird dort mit großem Aufwand vorangetrieben . Toshiba
zum Beispiel investiert allein in den USA 1 Milliarde
Dollar in die Erforschung künstlicher Intelligenz .
Meine Damen und Herren, es liegt an uns, die richtigen Fragen aufzuwerfen, die sich mit diesen Herausforderungen verbinden, und entsprechende Aufträge zu erteilen . Ich bin froh, dass uns das TAB hierbei mit großer
Expertise und fundierten Analysen zur Seite steht . Dies
lassen wir uns übrigens - das Thema Geld wurde angesprochen - durchaus etwas kosten .
Ich wünschte mir manchmal lediglich - auch das
sei angemerkt - eine etwas kompaktere Fassung der
TAB-Berichte . Das soll aber die insgesamt sehr positive
Bewertung der Arbeit des TAB überhaupt nicht schmälern . Deshalb auch von meiner Seite aus abschließend
ein ganz herzliches Dankeschön an alle Verantwortlichen
bzw . Akteure und auch an dich, liebe Patricia Lips, für
diese wichtige Arbeit .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank, Dr . Kaufmann . - Die nächste und letzte
Rednerin in der Debatte ist Dr . Daniela De Ridder für
die SPD .
({0})
Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und
Herren! Welchen Nutzen bringt das Klonen von Tieren,
und welche Gefahren birgt es? Kann die Kernfusion
sämtliche Energieprobleme der Zukunft lösen? Welche
Perspektiven hat der militärische Einsatz beispielsweise
unbemannter Drohnen? Wie beeinflussen die neuen elektronischen Medien das Suchtverhalten von Menschen?
Dies - ich komme darauf im Übrigen gleich noch einmal
zurück - ist nur ein kleiner Auszug aus den über 100 Untersuchungen, die das Büro für Technikfolgenabschätzung in den vergangenen 25 Jahren durchgeführt hat .
Die Analysen geben uns Abgeordneten des Deutschen
Bundestages regelmäßig Hinweise auf der Basis wissenDr. Stefan Kaufmann
schaftlicher Erkenntnisse. Diese wiederum beeinflussen
unsere politischen Entscheidungen .
Sie haben es gehört: 1990 wurde das Büro für Technikfolgen-Abschätzung - kurz TAB genannt - vom Deutschen Bundestag genau mit dieser Absicht eingesetzt .
Man wollte ein Gegengewicht zu den von Eigeninteressen beeinflussten Analysen der Wirtschaft schaffen. Der
Begriff „Unabhängigkeit“ wurde vorhin schon einmal
genannt . Noch eine Überlegung spielte damals eine entscheidende Rolle, liebe Kolleginnen und Kollegen . Man
wollte nämlich die Bedenken der Menschen zerstreuen, die die technische Entwicklung mit immer größerer
Skepsis betrachten .
Heute stehen wir aber möglicherweise an einer anderen Stelle . Wir müssen heute möglicherweise eher fragen: Wie ist es denn mit dem Suchtverhalten in Bezug
auf elektronische Medien? Ich will jetzt gar nicht fragen,
wer während dieser Debatte, die wir jetzt führen, sein
Handy bedient hat und wer noch dabei ist . Ehrlich gesagt, ich sehe sie, und die anderen sehen sie auch . Genau
das ist aber möglicherweise ein Phänomen, das es zu beschreiben gilt .
Als ich in den 1990er-Jahren noch wissenschaftlich
gearbeitet habe, verfolgte mich das Thema der sogenannten kulturellen Diffusion des Handys . Gemeint war dieses Phänomen . Es ist ganz spannend, welche Beispiele
Sie aus der TAB-Liste herausgesucht und angesprochen
haben . Mich hat insbesondere das Thema des Suchtverhaltens im Umgang mit Handys angesprochen und an das
erinnert, was ich selber einmal vorhatte wissenschaftlich
zu untersuchen, nämlich die kulturelle Diffusion des
Handys . Gemeint ist das Phänomen, dass Leute beispielsweise in Zügen, Straßenbahnen, Cafés oder auch
im Deutschen Bundestag - wo auch immer - ihr Handy
bedienen, dabei Kündigungen schreiben, Liebeserklärungen und Liebesschwüre abgeben oder vielleicht auch
Schluss machen, als ob sie eine Tarnkappe aufhätten .
Dieses Phänomen kennen Sie . Wir müssen uns immer
wieder fragen: Was bedeutet das eigentlich kulturell, was
bedeutet es für die Zukunft, und hat es vielleicht auch
etwas mit dem generativen Verhalten zu tun? Genau diesen Fragen ist das TAB nachgegangen . Sie können sich
vorstellen, dass es möglicherweise Folgeprojekte gibt .
Ich weiß, es ist nicht üblich, an einem Geburtstag
Wünsche an das Geburtstagskind zu richten . Ich will es
gleichwohl tun . Ich hätte gerade in diesem Kontext zwei
Fragen . Vielleicht sollten wir uns, da wir heute einmütig
zusammenstehen, überlegen, ob wir das TAB nicht beauftragen wollen, gerade in diesem Kontext zwei kritischen Fragen nachzugehen .
Die eine Frage treibt Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit Sicherheit noch mehr um als
mich oder meine Fraktion, nämlich die Frage - auch das
hat etwas mit kultureller Diffusion zu tun -: Was war eigentlich der Auslöser der Zunahme der Fluchtbewegungen im vergangenen Jahr? Manche in meinem Wahlkreis
behaupten allen Ernstes, es seien die Selfies der Kanzlerin gewesen . Man kann das in Abrede stellen; aber man
sollte es tatsächlich einmal wissenschaftlich untersuchen .
Denn es gemahnt uns alle, wie wir mit unseren Handys
umgehen .
Eine zweite Frage gehört möglicherweise in diesen
Kontext: Wozu führt eigentlich das tägliche Lancieren
von Kurzbotschaften, etwa in Drei-Wort-Sätzen über
WhatsApp-Gruppen, beispielsweise von Botschaften der
AfD? Wie reagieren eigentlich junge Menschen, die noch
nicht politisch gefestigt sind, auf solche Botschaften, die
möglicherweise einen sehr manipulativen Charakter haben? Das sollte uns in der Tat sehr zu denken geben . Auch
hier wünschte ich mir eine entsprechende Untersuchung .
In der Tat begrüße ich die Debatte, die wir heute führen, deshalb umso mehr, weil es gilt, dem TAB nicht
nur zu danken, sondern ihm auch ganz großes Vertrauen
auszusprechen und seine Arbeit zu würdigen . Ich denke,
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Leitung des
TAB wissen sehr genau, dass wir ihre Arbeit zu schätzen
wissen . Dies gilt umso mehr, liebe Patricia, für deine Arbeit .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank, liebe Kollegin De Ridder . Ihrem Dank
schließe ich mich an .
Ich schließe die Aussprache und bedanke mich für be-
denkenswerte Anregungen und Fragestellungen in dieser
spannenden Debatte .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b
auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 24. Oktober 2014 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Nutzung und
Verwaltung des Küstenmeers zwischen 3 und
12 Seemeilen
Drucksache 18/7450
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0})
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Vertrag vom 28. April 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die polizeiliche Zusammenarbeit und zur Änderung des Vertrages
vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen
Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe
in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung
Drucksache 18/7455
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . - Sie sind damit einverstanden . Dann sind
die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e sowie
22 c auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 e . Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .
Tagesordnungspunkt 23 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 277 zu Petitionen
Drucksache 18/7383
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 277 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 23 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 278 zu Petitionen
Drucksache 18/7384
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 278 ist angenommen mit
Zustimmung von CDU/CSU und SPD bei Gegenstimmen der Linken und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen .
Tagesordnungspunkt 23 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 279 zu Petitionen
Drucksache 18/7385
Bevor wir zur Abstimmung über diese Sammelübersicht kommen, erteile ich der Kollegin Martina
Stamm-Fibich das Wort zu einer ergänzenden Berichterstattung .
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder zehnte
Deutsche leidet unter Harn- und/oder Stuhlinkontinenz .
Experten sprechen sogar von einer Volkskrankheit . Dennoch wagen viele Erkrankte nicht einmal einen Arztbesuch, weil die Krankheit ein solches Tabuthema ist . Sie
werden durch ihre Scham vom gesellschaftlichen Leben
abgehalten . Ein Facharzt sagte zu mir sehr treffend: An
Inkontinenz stirbt man nicht, aber sie kann einem das
Leben nehmen . - Dabei kann man qualitativ gute Inkontinenzprodukte bekommen, die viele Symptome lindern
können .
In den letzten Jahren hat sich die Qualität der Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln jedoch massiv
verschlechtert . So liegt die Monatspauschale der gesetzlichen Krankenkassen für Inkontinenzhilfsmittel
aktuell zum Teil unter 12,50 Euro, aber für eine qualitativ hochwertige, angemessene Versorgung müssten es
mindestens 20 Euro sein . Die Konsequenz daraus sind
Aufzahlungen, die derzeit zwischen 50 und 100 Euro pro
Monat betragen, und die Betroffenen zahlen auf, weil die
Produkte, die sie bekommen, in Anzahl oder Qualität einfach nicht ausreichen .
Menschen, die viel unterwegs sind, brauchen andere
Hilfsmittel als Menschen, die bettlägerig sind . Bei der
Versorgung mit Inkontinenzhilfsmitteln darf Wirtschaftlichkeit nicht der einzige Maßstab sein .
({0})
Krankenkassen müssen sicherlich nicht die individuelle
Farbauswahl der Hilfsmittel bezahlen, aber sie müssen
eine Versorgung sicherstellen, die die individuelle Lebensrealität der Betroffenen berücksichtigt . Vor zwei
Jahren ist deshalb eine Petition beim Deutschen Bundestag eingegangen, in der die Abschaffung der Pauschale
für Inkontinenzhilfsmittel gefordert wird . Stattdessen
sollen die Krankenkassen einfach alle Kosten übernehmen, die anfallen . Die Abschaffung dieser Pauschale unterstützt der Petitionsausschuss nicht, aber wir haben das
Problem erkannt und werden die Petition zur Erwägung
an das Bundesministerium für Gesundheit überweisen .
Ziel ist es, die Qualität der Versorgung zu verbessern . Individuelle Bedürfnisse müssen durch die Krankenkassen
berücksichtigt werden, und Aufzahlungen für die Patientinnen und Patienten dürfen nur dann vorkommen, wenn
der Bedarf über eine angemessene und qualitativ gute
Versorgung hinausgeht .
Mit dem Votum zu dieser Petition unterstreichen wir
bewusst einen Prozess, den wir bereits in Gang gesetzt
haben . In den mittlerweile zwei Jahren, in denen mich
die Petition begleitet, habe ich das Problem an vielen
Stellen deponiert, und die ersten Erfolge sind bereits zu
verbuchen .
({1})
So hat die Barmer GEK im Dezember 2015 ihre Ausschreibungen über aufsaugende Inkontinenzmittel gestoppt . Die Krankenkasse setzt nun wieder auf klassische
Hilfsmittelverträge . Fast zeitgleich hat der GKV-Spitzenverband angekündigt, dass das Haus die sogenannte
Produktgruppe 15 „Inkontinenzhilfsmittel“ im Hilfsmittelverzeichnis überarbeiten wird . Hauptkriterium dieser
Überarbeitung wird die Qualität der Produkte sein .
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben
den Stein ins Rollen gebracht, aber wir sind noch nicht
am Ziel . Auf der politischen Ebene haben wir viele Gespräche geführt . Das Bewusstsein für das Problem rund
um die Ausschreibungen ist gewachsen . Derzeit überarbeitet das BMG die Regelungen der HilfsmittelversorVizepräsidentin Claudia Roth
gung . An den Ausschreibungen soll festgehalten werden,
aber neben dem Preis soll auch die Qualität entscheiden .
Das ist der entscheidende Schritt hin zu einer guten Versorgung der Betroffenen . Ich freue mich, dass der Petitionsausschuss hier zu einem einstimmigen hohen Votum
gekommen ist .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank an die Frau Kollegin Stamm-Fibich, die
im Namen aller Fraktionen gesprochen hat .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Sammelübersicht 279 auf Drucksache 18/7385 . Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Sammelübersicht 279 ist einstimmig angenommen .
Tagesordnungspunkt 23 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 280 zu Petitionen
Drucksache 18/7386
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 280 ist angenommen mit
Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Linken .
Tagesordnungspunkt 23 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 281 zu Petitionen
Drucksache 18/7387
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Sammelübersicht 281 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Dann sind wir mit den Abstimmungen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses durch,
und ich komme zu Tagesordnungspunkt 22 c:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Halina
Wawzyniak, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur
Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI
zur Terrorismusbekämpfung
KOM({2}) 625 endg.; Ratsdok. 14926/15
hier: Stellungnahme gemäß Artikel 6 des
Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon ({3})
Drucksache 18/7542
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke . Dagegengestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .
Jetzt rufe ich Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Stand der Aufklärung und Konsequenzen aus
dem Abgasskandal
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu
verlassen bzw . einzunehmen, damit wir zügig anfangen
können .
Dann eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort an
Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen .
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Abgasskandal ist jetzt seit fünf Monaten einer breiten
Öffentlichkeit bekannt, und inzwischen ist auch klar: Es
geht längst nicht mehr nur um VW . VW ist ohne Zweifel
die Spitze des Eisbergs, weil man dort mit eindeutig illegalen Methoden versucht hatte, Grenzen für Stickoxidemissionen zu umgehen .
Zumindest seit dem Wochenende ist auch die Geschichte in sich zusammengefallen, dass es ein paar wild
gewordene Ingenieure im Konzern waren, die diese Manipulation veranlasst haben . Zumindest scheint es so,
dass die Konzernspitze davon wusste und das billigend
in Kauf genommen und weggeschaut hat .
Das ist das Problem bei VW . Aber der eigentliche
Skandal ist, dass das System der Manipulation der Abgaswerte und der Überschreitung von Grenzwerten von
Abgasen allerorts und bei vielen Automarken stattfindet
und, meine Damen und Herren, dass die Branche das
nach wie vor billigend in Kauf nimmt . Das können wir
nicht länger hinnehmen .
({0})
Jedem sollte jetzt klar sein, warum trotz Euro 4, 5 und
6 die Stickoxidwerte in unseren Städten nicht sinken .
Das ist beileibe keine Lappalie, sondern es ist ein gigantisches Industrie- und Umweltproblem . Denn Tausende
Menschen sterben in unserem Land an den Folgen von
Verkehrsemissionen, und Zehntausende werden krank .
Jeder Verkehrsminister dieser Republik müsste alles
tun, um diesen Skandal zu bekämpfen und zu lösen, um
das Problem aus der Welt zu schaffen . Aber nach fünf
Monaten müssen wir feststellen: Was dieser Verkehrsminister Alexander Dobrindt zur Lösung dieses Problems
beiträgt, ist gar nichts . Das ist inzwischen der Skandal
im Skandal .
({1})
Wir haben im Deutschen Bundestag Dutzende Anfragen zum Thema gestellt, um herauszubekommen, was
das Verkehrsministerium denn eigentlich nun in Sachen
Abgasskandal tut . Die Antworten, die wir regelmäßig bekommen, sind eine solche Unverschämtheit - ich kann
kein anderes Wort dafür benutzen -, dass wir ernsthaft in
der Grünenfraktion überlegen, diese in gebundener Form
als Dokument und Beleg dafür herauszugeben, wie diese
Bundesregierung mit dem Thema Abgasskandal umgeht,
({2})
aber auch, wie sie die Informationsrechte des Parlaments
missachtet . Das ist ein unglaubliches Umgehen mit dem,
was eigentlich notwendig wäre .
({3})
Ich will nur ein Beispiel nennen: Wir haben x-mal
gefragt, wer denn Mitglied dieser ominösen Untersuchungskommission ist, die unmittelbar nach Bekanntwerden des Abgasskandals eingesetzt wurde . Wir haben
nie eine Antwort bekommen, bis heute nicht . Als das
an die Presse durchsickerte, weil jemand anders die Information weitergegeben hat, wurde klar, warum diese
Information nicht weitergegeben wurde: Diese Untersuchungskommission - man glaubt es ja kaum - besteht aus
dem Minister, seinem Staatssekretär, ein paar Beamten
des Ministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamtes und
einem Professor, der früher in der Verkehrswirtschaft gearbeitet hat . Das sind genau die Leute, die jahrelang entweder beim Skandal mitgemacht haben oder zumindest
weggeschaut und nicht gehandelt haben, trotz eindeutiger Informationen . Dazu kann ich nur sagen, obwohl
ich als Grüner ein Freund von Tieren bin: Man kann die
Frösche nicht damit beauftragen, den Sumpf trockenzulegen . Aber genau das tun Sie .
({4})
Wenn Sie es ernst meinen würden, dann würden Sie
die Kritiker hereinholen, dann würden Sie unabhängige
Fachleute hereinholen . Weil Sie das nicht tun, ist völlig
klar: Sie wollen am Ende nicht aufklären und die nötigen
Konsequenzen nicht ziehen .
({5})
Am Wochenende haben wir via Bild-Zeitung - darin ist übrigens mehr zu lesen als in den Antworten auf
unsere Anfragen - erfahren, dass Dopingtests die große
Antwort sein sollen, Stichproben, die man hin und wieder nehmen soll . Mal abgesehen davon, dass ein grüner
Verkehrsminister das bereits im Oktober letzten Jahres
gefordert hat und die Union damals geschimpft und gezetert hat, wie man Dopingtests fordern könne - jetzt fordert das Ihr eigener Minister -,
({6})
ist es unglaublich, dass fünf Monate nach Bekanntwerden des VW-Skandals die einzige Konsequenz aus dem
Abgasskandal ein paar Stichprobenuntersuchungen sein
sollen . Ich sage: Man kann über Dopingtests diskutieren,
was wir aber eigentlich brauchen, ist ein Drogentest für
diesen Minister, damit wir einmal herausbekommen, was
er zum Frühstück raucht, wenn er draußen im Land und
in der Welt erzählt, Deutschland sei vorbildhaft bei der
Aufklärung dieses Skandals . Das ist doch absurd . Das ist
Wirklichkeitsausblendung .
({7})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem Minister
zwei Fragen zu stellen - er hat ja gleich Gelegenheit, darauf zu antworten -:
Im Gegensatz zur EPA haben Sie VW einen Freifahrtschein erteilt . Es gibt eine Rückrufaktion, um eine neue
Software aufzuspielen . Als Kunde würde ich gerne wissen: Wird mein VW in Zukunft die Grenzwerte für die
Abgasemissionen im Realbetrieb einhalten, ohne dass es
dabei zu einem Leistungsverlust kommt? Ich bitte Sie,
das klar zu beantworten . Das wäre der eine Punkt .
Ich bitte Sie, eine weitere Frage zu beantworten .
Aber schnell .
Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin . - Wir haben
gelernt, dass die Abgasreinigungseinrichtungen bei Außentemperaturen unter 10 Grad nicht richtig funktionieren . Ich würde gerne von Ihnen hören, Herr Dobrindt: Ist
es legal, dass die Automobilunternehmen die Abgasreinigungseinrichtungen abschalten? Was unternehmen Sie
dagegen? Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen? Nach fünf
Monaten Beschäftigung mit dem Thema will ich hier einmal eine klare Aussage von Ihnen zu dem Thema hören:
Ist es nicht nur VW, arbeitet am Ende die gesamte Automobilwirtschaft mit Manipulationen?
({0})
Laufen Sie nicht mit so einem Unsinn durch die Gegend,
dass es nur einiger Dopingtests bedürfe . Das reicht an der
Stelle nicht .
Ich danke Ihnen .
({1})
Vielen Dank, Kollege Krischer . - Das Wort hat nun
Minister Alexander Dobrindt .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr
Krischer, Ihr ewiges Abspulen der immer gleichen Leier
aus der grünen Mottenkiste ist an Einfallslosigkeit wirklich nicht zu überbieten .
({0})
Aber wenn sich hier im Deutschen Bundestag ein Grüner hinstellt und sagt, man dürfe die Frösche nicht fragen, wenn man den Sumpf trockenlegen will, dann bitte
ich die Umweltschützer, ihre Beschwerden an die grüne
Fraktion zu richten . Es ist ja unglaublich, Herr Krischer,
was sich da auftut .
({1})
Ich kann Ihnen sagen: Wir haben beim Umgang mit dem
VW-Skandal eine klare Strategie .
({2})
Wir treiben die Umsetzung auch energisch voran . Wir
klären auf . Die Fehler werden beseitigt und die Prozesse
optimiert . Das ist der Leitfaden zur Bewältigung der Krise, meine Damen und Herren .
({3})
Zur Aufklärung . Wir haben unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe eine Untersuchungskommission
eingesetzt . Diese Untersuchungskommission hat seitdem
über 30-mal getagt .
({4})
Sie hat strenge, spezifische Nachprüfungen angeordnet,
übrigens nicht nur bei Volkswagen, sondern auch bei einer Reihe anderer Hersteller aus dem In- und Ausland .
In Unterlagen wird Einsicht genommen . Wir fordern und
begleiten die Aufklärung durch das Unternehmen aktiv .
Wir machen Volkswagen klare Vorgaben, wie der Schaden zu beseitigen ist .
({5})
Das ist im Interesse der Kunden, im Interesse des Automobilstandorts Deutschland und auch im Interesse von
Hundertausenden von Mitarbeitern in der Automobilindustrie,
({6})
die ihre Arbeit jeden Tag korrekt und gewissenhaft machen und es nicht verdient haben, von Ihnen unter Generalverdacht gestellt zu werden .
({7})
Die Zusammenarbeit zwischen unserer Untersuchungskommission und Volkswagen funktioniert übrigens kooperativ .
({8})
Das Unternehmen arbeitet erkennbar engagiert daran,
seiner Verantwortung nachzukommen und den entstandenen Schaden zu korrigieren .
({9})
Die Untersuchungskommission hat eine großangelegte
Überprüfung aller betroffenen VW-Dieselmodelle und
aller Volumenhersteller angeordnet. Diese Tests finden
nicht nur im Labor, also auf der sogenannten Rolle, sondern auch unter realen Bedingungen, das heißt auf der
Straße, statt . Es gibt an dieser Stelle auch Cross-Checks .
Sobald diese Nachprüfungen abgeschlossen sind, wird
ein Gesamtergebnis vorliegen;
({10})
das ist Ihnen bekannt, es ist Ihnen mehrmals mitgeteilt
worden .
({11})
Übrigens werden die Ergebnisse, die im Rahmen der
Tests bei unseren Messungen erzielt werden, in dem Gesamtbericht detailliert veröffentlicht werden .
({12})
Das ist die Aufgabe, der wir nachkommen, um festzustellen, wie die ganze Branche mit diesem Thema umgeht .
Das ist ein wesentlicher Teil der Aufklärung, die durch
die Untersuchungskommission durchgeführt wird .
Zur Fehlerbeseitigung . Wir haben Volkswagen bereits
im Oktober letzten Jahres aufgefordert, einen verbindlichen Maßnahmen- und Zeitplan mit technischen Lösungen zur Beseitigung der Abschalteinrichtungen vorzulegen . Dabei haben wir auch klar zum Ausdruck gebracht,
dass die Umrüstungen unter keinen Umständen zum
Nachteil der Kunden durchgeführt werden dürfen . Volkswagen hat die Software- und Hardwarelösungen fristgeVizepräsidentin Claudia Roth
recht vorgelegt . Daraufhin hat das Kraftfahrt-Bundesamt
für die betroffenen Fahrzeuge verpflichtend den Rückruf
angeordnet. Das heißt, ein verpflichtender Rückruf hat
begonnen . Bereits im Januar dieses Jahres ist mit dem
Amarok die erste Fahrzeugkategorie in den Rückruf und
die Umrüstung gegangen .
({13})
Damit hat Volkswagen eine weitere unserer Vorgaben
erfüllt .
Wir erwarten, dass jetzt Zug um Zug weitere Modelle
in die Werkstatt zurückgerufen werden, um sie in einen
regelkonformen Zustand zu bringen . Das nächste Modell
wird der Passat sein . Er wird im März zum Rückruf kommen .
Das ist ein notwendiger Prozess für die Kunden, aber
auch für Volkswagen, um Vertrauen zurückzugewinnen .
Ich betone hier ganz ausdrücklich: Wir sind hier deutlich
weiter als alle anderen Länder . Auch die Beispiele, die
Sie genannt haben, zeigen das . Die technischen Lösungen sind in Deutschland erarbeitet und befinden sich bereits im Umsetzungsprozess .
({14})
Der Rückruf ist angeordnet, und die Fahrzeuge werden
in einen regelkonformen Zustand gebracht . Das ist die
Wahrheit, Herr Krischer .
({15})
Wir optimieren die Prozesse .
({16})
Ja, es ist richtig, dass die Untersuchungskommission auch
an einem umfassenden Maßnahmenpaket im Zusammenhang mit zukünftigen Zulassungsverfahren arbeitet .
({17})
Klar ist dabei heute schon, dass wir die Offenlegung der
Motorsoftware gegenüber der Typgenehmigungsbehörde
und übrigens auch die Rotation der technischen Prüfdienste vorschreiben werden .
Außerdem wird ein Antischadstoff-Dopingtest für Autos eingeführt . Das heißt, jedes Jahr werden Fahrzeuge
unangemeldet aus dem bestehenden Markt herausgenommen und auf ihren Schadstoffausstoß und ihre Regelkonformität getestet . Dazu bauen wir eigene staatliche
Prüfstände beim Kraftfahrt-Bundesamt unter Aufsicht
des Bundesverkehrsministeriums auf .
Das sind schlagkräftige Maßnahmen, damit jedem
auch zukünftig klar ist: Der Versuch von Manipulation
bleibt nicht unentdeckt .
({18})
Darüber hinaus haben wir auf europäischer Ebene auch das ist von Ihnen in den vergangenen Wochen ja
kritisiert worden - die RDEs, die Real Driving Emissions, beschlossen . Das heißt, wir werden die Emissionen
zukünftig nicht mehr nur auf der Rolle, sondern auch real
auf der Straße kontrollieren . Konkret geht es schlichtweg
darum, dass wir die Tests dem realen Fahrverhalten der
Autofahrer annähern . Darüber hat es in Europa in der Tat
eine lange Debatte gegeben, und es war die Bundesregierung, die im letzten Jahr dafür gesorgt hat, dass eine
weitere Dynamik in diese Debatte gekommen ist .
Inzwischen ist die Entscheidung in Brüssel gefallen,
dass die RDEs eingeführt werden . Vor wenigen Tagen hat
übrigens auch das Europäische Parlament zugestimmt,
sodass dem nichts mehr im Wege steht .
Auch das ist ein notwendiger Schritt, um bei der
Kontrolle des Schadstoffausstoßes zukünftig das Fahrverhalten der Kunden stärker zu berücksichtigen . Herr
Krischer, auch hier war es die Bundesregierung, die gehandelt und dafür gesorgt hat, dass Europa jetzt endlich
zu Entscheidungen gekommen ist .
({19})
Herr Krischer, Sie haben der Bundesregierung heute
hier und in ähnlicher Form auch vor wenigen Tagen öffentlich „Kumpanei“ - wörtlich - vorgeworfen .
({20})
Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Die Partnerschaft
zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist die
Grundlage der sozialen Marktwirtschaft, und Partnerschaft ist keine Kumpanei .
({21})
Wir klären im Sinne der Kunden, der Wirtschaft und der
Beschäftigten in dieser Branche auf .
({22})
Ihr Kollege Winnie Hermann, der Verkehrsminister in
Baden-Württemberg, lässt sich öffentlich damit zitieren:
Mit 750 000 Arbeitsplätzen ist die Automobilindustrie nicht . . . so bedeutend, wie sie tut .
Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen: Sagen Sie genau
dieses und Ähnliches in den nächsten Wochen noch sehr
oft, damit Sie am 13 . März 2016 auch die entsprechende
Antwort der Menschen dafür bekommen .
({23})
Vielen Dank, Herr Dobrindt . - Nächster Redner in der
Debatte: Herbert Behrens für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir erinnern uns: Der VW-Konzern umging mit hoher
krimineller Energie Abgasbestimmungen, um bei Dieselmotoren zu täuschen . Doch nicht nur Autos und Autofahrer auf dem amerikanischen Markt waren betroffen,
sondern 11 Millionen Fahrzeugbesitzer weltweit .
Mit der Manipulationssoftware wurden nicht nur Kundinnen und Kunden getäuscht, sondern vorsätzlich wurde
die Gesundheit derjenigen geschädigt, die nicht im Auto
sitzen, die in den Städten unterwegs sind, die an Straßen
mit viel Autoverkehr wohnen, weil sie sich die Wohnungen in besseren Vierteln nicht leisten können . Diesen
Skandal prangern wir an . Wir machen deutlich, dass hier
Profit vor Gesundheit geht, und das ist inakzeptabel.
({0})
Der VW-Konzern ist in eine schwere Schieflage geraten . Mehrere Milliarden Euro müssen zurückgestellt werden, um Strafen, Schadenersatzforderungen und Nachrüstungen zu bezahlen . Die Belegschaft im Konzern ist
hoch beunruhigt . Sie ängstigt sich, weil sie nicht weiß,
was auf sie zukommt . Weniger Absatz, weniger Geld für
Entwicklung und Forschung für sinnvolle Produkte auf
dem Fahrzeugmarkt bedrohen die Arbeitsplätze . Die Zeche zahlen die Leiharbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlieren, und die Festangestellten, die auf vereinbarte Prämien
verzichten müssen, schon jetzt . Noch beunruhigender ist,
dass kein Ende des Skandals in Sicht ist . Darum ist die
zügige Aufklärung so dringend nötig .
({1})
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben Vorschläge
gemacht, wie man das hinbekommt . Die Anträge liegen
vor . Die hätten Sie sich ansehen können, um beispielsweise Maßnahmen, die in der Kommission offenbar beraten worden sind, zu bewerten . Von den Koalitionsfraktionen kam bis heute nichts - Fehlanzeige!
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, verlassen sich offenbar auf Ihren Chefaufklärer, Minister Dobrindt . Ich glaube, wenn man sich auf
ihn verlässt, dann ist man schon verlassen .
({2})
Denn was haben Sie, Herr Dobrindt, als Chefaufklärer
unternommen? Sie haben Schlagzeilen geliefert, indem
Sie ganz fix eine Expertenkommission einberufen haben . Doch wer die Experten waren - wir haben es gerade
gehört -, war lange nicht herauszufinden. Erst Monate
danach waren Sie quasi gezwungen, zu erzählen, wer in
der Kommission sitzt . Damit haben Sie eine öffentliche
Kontrolle verhindert . Sie haben verhindert, dass wirklich
unabhängige Experten zum Zuge kommen, um das zu
untersuchen, was notwendig ist . Sie haben keine Untersuchungskommission gebildet, sondern eine Beratungskommission gegründet . So hörte sich das an, was Sie
gerade vorgestellt haben .
Die Böcke, die jetzt als Gärtner tätig sind, haben inzwischen 36-mal getagt . Ergebnisse - Sie haben eben
gesagt, es gäbe ganz viele, offiziell wissen wir von keinem - oder Empfehlungen, die dabei herausgekommen
sind? Fehlanzeige oder geheim! Sie verweisen uns auf
den Abschlussbericht, sagen aber nicht, wann dieser
kommt . Ich wäre schon froh, wenn wir einmal einen
Zeitrahmen hätten .
({3})
Sie haben die Schlagzeilenproduktion weiter ohne
Substanz angereichert durch Ihre merkwürdige Ankündigung einer Dopinguntersuchung . Dabei haben Sie völlig aus dem Blick verloren, dass es hier um die Gesundheitsgefährdung von Zehntausenden von Menschen geht .
An der Stelle haben Sie Ihre Aufgabe überhaupt nicht
wahrgenommen . Sie sind nicht mit der Automobilindustrie massiv in die Auseinandersetzung gegangen, um zu
erklären, was geht und was nicht geht, sondern Sie haben
sich darauf beschränkt, zu sagen: Wir prüfen . - Aber Sie
müssen doch diejenigen an die Kandare nehmen, die Ursache dieser Prüfung sind, damit sich der Skandal nicht
wiederholen kann .
({4})
Wir haben Ihnen in unseren Anträgen Alternativen
vorgelegt . Die Linke fordert unter anderem eine von der
Automobilindustrie unabhängige Expertenkommission .
Die Mitglieder sollen von Umwelt- und auch von Verbraucherschutzverbänden benannt werden .
({5})
Wir brauchen die Verkehrs- und Automobilklubs am
Tisch, weil dort auch Experten zu finden sind.
({6})
Die Dobrindt-Kommission ist aufzulösen . Möglicherweise vorhandene Ergebnisse mögen bitte der neuen Expertenkommission übergeben werden .
Um die Beschäftigten des VW-Konzerns, die für diesen Betrug nicht verantwortlich sind, vor den Folgen
zu schützen, muss die Bundesregierung alle rechtlichen
Möglichkeiten ausschöpfen, um die wirklich Verantwortlichen auch finanziell zur Kasse zu bitten.
({7})
Das ist schwer durchzusetzen, das ist mir bewusst; denn
die Bundesregierung hat andere Prioritäten . Die Kanzlerin, der Wirtschaftsminister und auch Sie, Herr Minister
Dobrindt, treffen sich zwar mit den Chefs der mächtigen
Automobilkonzerne im Land, doch es geht bei diesen
Gesprächen zwischen Regierenden und Herrschenden
nicht um die Klärung dringender Fragen, sondern um
eine Industriepolitik ganz anderer Art . Man berät über
Kaufprämien für Elektroautos .
Am Ende dieser Diskussion - damit komme ich zum
Schluss - sollten wir uns auf gemeinsame Ziele verständigen .
Erstens. Gesundheit vor Profit.
({8})
Der Abgasskandal macht deutlich, dass wir hier erst am
Anfang sind .
({9})
Zweitens . Wir brauchen eine sozial-ökologische Wende in der Mobilitätspolitik in Deutschland . Es hat sich
gezeigt: Wir müssen Umweltpolitik und Mobilitätspolitik zusammen denken . Ansonsten haben wir ein Problem .
({10})
Drittens . Dieser Verkehrsminister - da gehen Sie von
den Koalitionsfraktionen sicherlich nicht mit mir konform - muss aus dem Verkehr gezogen werden . Er ist erneut mit dem gescheitert, was er sich vorgenommen hat .
Er klärt nicht auf, sondern verschleiert weiter .
({11})
Vielen Dank, Kollege Behrens . - Der nächste Redner
ist Arno Klare für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Satz, den
man George Washington zuschreibt, der da lautet: Vertrauen ist eine sehr langsam wachsende Pflanze. - Er hat
recht . Ich füge hinzu - das ist gewissermaßen ein Insiderwitz -: „Defeat Devices“ sind in diesem Zusammenhang
kein guter Dünger . Das sind die Softwarepakete, die dafür sorgen, dass das Fahrzeug die Überprüfung erkennt
und die Abgasregelung ein wenig anders gestaltet wird .
Ich habe an dieser Stelle in einer Aktuellen Stunde - ich glaube, das ist schon einige Monate her - fünf
Punkte vorgestellt, die mir wichtig waren und die man
im Zusammenhang mit diesem Skandal anpacken sollte . Ich habe seinerzeit gefordert - das war wirklich das
erste Mal, dass das überhaupt gesagt worden ist -: Der
Quellcode der emissionsrelevanten Motorsoftware muss
offengelegt werden .
({0})
Ich habe damals von dem Verbraucherzentrale Bundesverband eine E-Mail bekommen, in der stand: Endlich hat das einmal jemand gesagt . - Dass das jetzt von
der Politik in die allgemeine Begrifflichkeit übernommen
worden ist, erweist sich als sehr positiv, wie ich finde.
Natürlich muss der Datenschutz in diesem Zusammenhang gewährleistet sein . Man greift schließlich auf das
Allerheiligste zu; das muss man einfach sehen . Die Motorsteuerungssoftware kann man nicht einfach wie eine
Open-Source-Software behandeln .
Ich habe damals in derselben Rede gesagt, dass es so
etwas wie eine Kontrolle nach der ersten Kontrolle zur
Typengenehmigung geben muss und diese immer wieder neu erfolgen muss . Ich habe auch erklärt, dass diese
Kontrolle beim KBA, beim Kraftfahrt-Bundesamt, angesiedelt sein kann . Ob man dafür nun das Wort „Dopingkontrolle“ verwenden, ist eine semantische Besonderheit, aber es trifft genau das, was ich damals gesagt
habe . Insofern bin ich relativ zufrieden darüber, dass der
Minister meiner Forderung nachgekommen ist .
({1})
Ich habe noch etwas hinzugefügt . Wichtig wäre für
mich auch, dass man bei der Abgasuntersuchung nicht nur
die On-Board-Unit ausliest, sondern hinten am Endrohr
misst . Die Formulierung, über die Kollege Wichtel, in
dessen Richtung ich jetzt schaue, seinerzeit gelächelt hat,
war: Analog schlägt in diesem Fall digital . - Der Meinung bin ich auch heute . Ich glaube, das muss bei der
Dopingkontrolle noch ergänzt werden .
Wir haben auch einen neuen Testzyklus vereinbart .
Dazu gehört natürlich der Real-Driving-Emission-Test,
um das, was auf dem Prüfstand gemessen wird, zu validieren . Ich sage aber an dieser Stelle noch einmal, ohne
es in meiner begrenzten Redezeit ausführen zu können:
Es wäre systemfremd, zu erwarten, dass dieser Konformitätsfaktor bei eins liegt . Der Real-Driving-Emission-Test findet auf der Straße statt, während der Labortest
im Labor, also auf der Rolle, stattfindet. Diesen Test eins
zu eins umzusetzen, geht nur, wenn der Labortest mit
dem Real-Driving-Emission-Test identisch ist, sodass ich
diesen Test gar nicht mehr brauche . Aber das will keiner .
Also wird der Konformitätsfaktor oberhalb von eins liegen müssen .
({2})
Auf eines möchte ich noch hinweisen: Das Unternehmen selbst, der große VW-Konzern und seine Teilkonzerne, unternimmt selber entsprechende Anstrengungen .
Ich war vor kurzem in Werlte . Das ist in Niedersachsen,
also in der Heimat von Kirsten Lühmann, aber ein bissHerbert Behrens
chen weiter im Westen gelegen . Dort läuft eine Anlage
in industriellem Maßstab, die Wasserstoff produziert und
diesen dann in Methan umwandelt . Dieses Methan wird
ins Netz eingespeist, und man kann damit Fahrzeuge antreiben . Das, was dort mit einem Rieseninvestment gemacht wird, ist CO2- und THG-neutral . VW wird - wahrscheinlich in Salzgitter - neben einem Stahlwerk eine
weitere dieser Anlagen bauen . Dieses Engagement sollte
man durchaus honorieren . Denn bisher lohnen sich diese
Anlagen betriebswirtschaftlich nicht .
({3})
Ich komme zum Schluss . Ich habe am Anfang gesagt,
dass Vertrauen eine sehr langsam wachsende Pflanze ist.
Ich bin relativ sicher, dass diese Pflanze auch einen vernünftigen Dünger braucht . Wenn man alles, was ich gerade schon gesagt habe, einmal Revue passieren lässt, dann
ist das der Dünger, der im Moment bereits ausgebracht
wird . Ich bitte um ein wenig Geduld, bis er wirkt .
Von Ihnen, Herr Krischer - das ist mein Schlusssatz -,
habe ich an dieser Stelle in der x-ten Aktuellen Stunde
inhaltlich außer Polemik und lautstarkem Schreien nichts
gehört . Das ist eine Bankrotterklärung grüner ökologischer Politik .
({4})
Vielen Dank, Herr Kollege Klare . - Nächster Redner:
Oliver Wittke für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich es
nicht besser wüsste, dann würde ich denken, heute sei der
2 . Februar . Sie wissen: Der 2 . Februar ist in den Vereinigten Staaten der Murmeltiertag . Als ich gelesen habe, dass
die dritte Aktuelle Stunde zum Thema Abgasskandal
beantragt worden ist, habe ich in der Tat daran gedacht:
Und täglich grüßt das Murmeltier . Fällt Ihnen eigentlich
gar nichts Neues mehr ein, Herr Krischer?
({0})
Es ist in der Tat so, dass Sie keinem anderen politischen Thema im vergangenen halben Jahr so viele Aktuelle Stunden eingeräumt haben wie dem Abgasskandal
bei VW .
({1})
Man hat ein Stück weit den Eindruck, es geht Ihnen gar
nicht um Aufklärung oder darum, Neues auf den Weg zu
bringen . Denn sonst würden Sie endlich Ihre Anträge zur
Abstimmung ins Parlament einbringen .
({2})
Es geht Ihnen vielmehr darum, Ihren Feldzug gegen das
Automobil fortzusetzen, daher spielen Sie immer wieder dieselbe Schallplatte . Es ist immer wieder dieselbe
Leier . Wir sind dessen überdrüssig; denn Sie werden am
Ende nicht damit durchkommen . Die Automobilindustrie
ist und bleibt eine starke Branche in Deutschland, und
wir werden dazu beitragen, dass das auch künftig so sein
wird .
({3})
Im Übrigen haben Sie heute zum wiederholten Male
den Versuch unternommen, Herr Krischer, in untauglicher Art und Weise das kriminelle Verhalten eines einzelnen Unternehmens auf eine ganze Branche zu übertragen . Das ist nicht seriös .
({4})
Ganz im Gegenteil: Es ist eine bodenlose Unverschämtheit, dass Sie einer gesamten Branche unterstellen, sie
würde in betrügerischer Absicht Recht brechen .
({5})
- Nein, das ist nicht der Fall . Sie sind uns bis zum heutigen Tage den Nachweis schuldig geblieben, wo andere
deutsche Automobilkonzerne sich angeblich rechtswidrig verhalten haben .
({6})
- Sie behaupten es immer wieder . Sie unterstellen es immer wieder, aber es stimmt nicht . Sie können den Nachweis nicht erbringen, weil der VW-Fall ein Einzelfall in
Deutschland ist .
({7})
Das Gleiche gilt im Übrigen für den Kollegen Kühn
von den Grünen . Der Kollege Kühn hat am 25 . September an diesem Pult erklärt, die deutsche Automobilindustrie habe nicht nur einen Kratzer abgekommen, sondern
einen Kollateralschaden erlitten . Der Lack sei ab, so der
Kollege Kühn wörtlich .
Ich will Ihnen die Absatzdaten der deutschen Automobilindustrie der letzten Monate vortragen: Daimler
hat 2015 ein Plus von 12 Prozent erzielt, BMW ein Plus
von 6 Prozent . VW - hören Sie jetzt gut zu! - hat im
ersten Monat dieses Jahres, im Januar 2016, ein Plus von
3,7 Prozent erzielt . Das alles fällt doch nicht vom Himmel . Wenn die Autos so schlecht wären, wären sie doch
nicht weltweit nachgefragt . Die Automobilindustrie in
Deutschland ist nach wie vor eine Spitzentechnologie,
die mit Innovationen dazu beiträgt, Mobilität sicher, sauberer und erschwinglich zu machen .
({8})
Gleichwohl gilt - das will ich an dieser Stelle noch
einmal ausdrücklich zu Protokoll geben -: Die Betrügereien, die es bei VW gab, sind nicht nur ärgerlich; sie
sind auch zu ahnden . Da muss es Konsequenzen geben .
Aber Konsequenzen zieht man erst nach einer intensiven
Analyse dessen, was passiert ist, und nach einer Bewertung der Vorgänge . Erst danach kann man Konsequenzen
ziehen . Deshalb war das Vorgehen des Bundesverkehrsministers und des BMVI absolut richtig, zuerst einmal
in Ruhe zu analysieren, was da passiert ist und was wir
tun können, damit so etwas nie wieder vorkommt . Herr
Kollege Dobrindt, ich sage an dieser Stelle ausdrücklich
Danke schön für dieses besonnene, konsequente und
zielgerichtete Verhalten Ihres Hauses . Genauso geht man
mit solchen Krisen um, und nicht mit Klamauk, wie die
Grünen das zum wiederholten Mal versucht haben .
({9})
Die Rückrufaktion ist eingeleitet . In der Europäischen
Union werden - auch auf Initiative der Bundesregierung
und insbesondere des Verkehrsministers Dobrindt - die
Tests verschärft . Das Kraftfahrt-Bundesamt wird die
Kontrollen weiter ausdehnen . Wir sind da auf einem guten Weg, auch wenn wir noch nicht am Ziel angekommen
sind; das ist richtig . Wir werden uns noch im Ausschuss
intensiv damit zu befassen haben, welche Rolle künftig
das Kraftfahrt-Bundesamt spielen soll . Auch da haben
wir noch an der einen oder anderen Stelle Fragen . Wir
wünschen uns mehr als das, was in der Vergangenheit
geschehen ist .
Abschließend will ich Ihnen eines versichern: Wir als
Unionsfraktion werden weiterhin Sorge dafür tragen,
({10})
dass die deutsche Automobilindustrie nach diesem Skandal nicht wie durch Sie, Herr Krischer und Herr Hofreiter,
unter Generalverdacht gestellt wird, sondern den Stellenwert - auch in der öffentlichen Wahrnehmung - bekommt, den sie verdient, nämlich den einer innovativen
Branche, die einen wichtigen Beitrag dazu leistet, die
Mobilität in diesem Land dauerhaft zu sichern und Beschäftigung in Deutschland weiterhin zu ermöglichen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({11})
Vielen Dank, Herr Kollege Wittke, auch dafür, dass
Sie sich auf die Sekunde genau an die Redezeit gehalten
haben .
Nächste Rednerin: Jutta Krellmann für die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Was bedeuten die Auswirkungen des Abgasskandals für die Beschäftigten? Für viele Leiharbeitnehmer, zum Beispiel in Zwickau, heißt es jetzt schon:
Tschüs, VW! - Für sie ist es das Ende der Chance auf einen Dauerarbeitsplatz in der Stammbelegschaft . Für viele befristet Beschäftigte bedeutet es keine Festeinstellung
oder keine Verlängerung der Befristung . Zulieferbetriebe
halten Investitionen zurück und haben bereits Kurzarbeit
beantragt . Die Betroffenheit ist dabei unterschiedlich
hoch . Es gibt nach wie vor Standorte mit Mehrarbeit .
Gleichzeitig wird am nächsten Standort bereits Kurzarbeit eingeführt . Im letzten Jahr lautete die zentrale Aussage der Interessenvertretung: Wir zahlen nicht für eure
Krise! - Dabei muss es auch bleiben .
({0})
Schwieriger ist es in den Rand- und Zulieferbereichen .
Viele Logistikunternehmen, die als Werkvertragsfirmen
bei VW, Opel, Mercedes und Co . arbeiten, haben weder Tarifverträge noch Betriebsräte . Tarifverträge und
Betriebsräte sind aber eine wichtige Voraussetzung, um
Auswirkungen einer Krise im Interesse der Beschäftigten
zu bewältigen . Auch hier gilt: Beschäftigungssicherung
hat oberste Priorität .
({1})
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den verschiedenen Betrieben alles tun werden, um den Karren aus dem Dreck
zu ziehen . Sie werden dazu ihre ganze Kraft und Qualifikation einsetzen. Das setzt allerdings die Sicherheit
ihrer Arbeitsplätze voraus . Ihre betrieblichen Interessenvertretungen werden nichts unversucht lassen, um diese
Krise zu überwinden . Kurzarbeit, Arbeitszeitverkürzung,
Regelungen über Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen waren schon in der Vergangenheit Instrumente . Wo
es keine Betriebsräte gibt, müssen welche geschaffen
werden .
({2})
Dort, wo es aber welche gibt, endet deren Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Angelegenheiten . Das muss
sich ändern .
({3})
Wir brauchen zukünftig Mitbestimmung über das Was,
Wie und Wo in der Produktion .
({4})
Die Zeit ist reif, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
an der wirtschaftlichen Gestaltung ihrer Betriebe zu
beteiligen . Was ist die unternehmerische Freiheit wert,
wenn die einen ihren Arbeitsplatz verlieren und die anderen mit Abfindungen in Millionenhöhe nach Hause gehen? Deswegen benötigen Beschäftigte Mitsprache und
Vetorechte, wenn sie bemerken, dass die Entwicklung in
die falsche Richtung geht .
({5})
Für VW bedeutet die Auswirkung des Skandals deutlich reduzierte Absatzzahlen . Ein differenzierter Blick
macht deutlich, dass der Abgasskandal einen längst eingesetzten Trend beschleunigt . Ein strukturelles Problem
wird offensichtlich: Wie entwickelt sich die Automobilindustrie? In Norwegen oder in den USA wird seit Jahren
verstärkt in E-Mobilität investiert; sie investieren in Forschung und Entwicklung und schaffen gleichzeitig die
dazu notwendige Infrastruktur .
Das Problem bei VW ist doppelt dramatisch: Zum einen muss dort mit Fehlmanagement, Betrug und verlorenem Vertrauen umgegangen werden, zum anderen geht
es aber auch darum, den Anschluss an die technologische
Entwicklung nicht zu verlieren . Wenn wir Pech haben,
sehen wir nur noch die Schlusslichter dieser Entwicklung .
Skandale muss man bewältigen . Vertrauensverlust
muss behoben werden . Bei der Bewältigung der notwendigen Umstrukturierungen muss die Bundesregierung in
großen Schritten die Bedingungen schaffen . Kaufprämien für Elektroautos genügen nicht .
({6})
Das braucht Mut und Kraft . Aber ohne die Beschäftigten geht es gar nicht . Um an der strategischen Neuausrichtung der Automobilbranche mitzuarbeiten, brauchen
Beschäftigte Sicherheit . Packen wir es an - mit den Beschäftigten und nicht gegen sie!
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank, Kollegin Krellmann . - Die nächste Rednerin ist Dr . Birgit Malecha-Nissen für die SPD .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Ansehen von VW ist weltweit in Schieflage geraten; da
dürfen wir uns nichts vormachen . Schon jetzt sind Konsequenzen aus dem Abgasskandal sichtbar: Während der
Automarkt in Europa weiter kräftig gewachsen ist, hat
der größte Automobilproduzent Europas, VW, Marktanteile verloren . Für die Innovationsmarke VW und seine
Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht
also viel auf dem Spiel .
Was muss nun getan werden? Es ist wirklich wenig
hilfreich, eine dritte Aktuelle Stunde durchzuführen . Wir
brauchen jetzt eine sachliche und gründliche Debatte auch im Respekt vor den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern .
({0})
Hier steht an erster Stelle: Das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Autobranche muss
wiederhergestellt werden . Bewusste Manipulationen und
Verstöße gegen Umweltauflagen und Emissionsgrenzwerte haben das Vertrauen verspielt . Jetzt braucht es den
konsequenten Willen der Industrie und ihrer Vorstände
zu Aufklärung und Transparenz .
Deshalb ist es unerlässlich, dass die vom Konzern eingeleiteten Rückrufaktionen verbraucherfreundlich ausgestaltet werden . Die betroffenen VW-Kunden müssen
verstehen können, was denn nun um- oder nachgerüstet
wird . Sie müssen auch sicher sein,
({1})
dass sie - nach Aussagen des VW-Vorstandes; Herr Minister Dobrindt hat das ja gerade auch gesagt - keinerlei
Nachteile bei Verbrauch, Leistung und Geräuschentwicklung fürchten müssen . Denn das Ziel ist ja klar: die Einhaltung der Abgaswerte . Dies muss nach dem Eingriff
durch Nachweise belegt werden .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, des Weiteren
braucht es mehr Transparenz und Kontrolle der Abgaswerte . Wir haben heute bereits über die Prüfverfahren
gesprochen, die die Realität widerspiegeln müssen und
möglichst schnell eingeführt werden sollen .
Mir ist unverständlich, dass da fast 20 Jahre Stillstand
herrschte . Deswegen wollen wir, dass das standardisierte und weitaus realitätsnähere Messverfahren WLTP und
der neue Abgastest RDE - ich nenne jetzt einfach nur
die Abkürzungen, weil wir das hier schon gehört haben spätestens 2017 EU-weit und in den Typgenehmigungsverfahren angewendet werden . Wir haben ja von dem
Herrn Minister heute auch gehört, dass dem nichts mehr
im Wege steht .
Eine weitere zielführende Maßnahme können staatliche Prüfstände beim Kraftfahrt-Bundesamt sein . Weiterhin sollen Konzerne künftig ihre Motorsteuerungssoftware offenlegen, damit Manipulationen vorgebeugt
werden kann . Das hat ja mein Kollege Arno Klare bereits dargestellt . Und wie auch jüngst von Herrn Minister
Dobrindt vorgeschlagen - ich habe gerade gehört, mein
Kollege hat es schon vor langer Zeit vorgeschlagen -,
könnten verschärfte, unangemeldete Kontrollen - eben
die sogenannten Dopingkontrollen - ein passendes Instrument sein .
({2})
Wichtig für die Vertrauensbildung und die Akzeptanz
in der Öffentlichkeit ist, dass das Kraftfahrt-Bundesamt
dann auch umfänglich über Ergebnisse von Nachprüfungen informiert . An der Stelle wäre es vielleicht hilfreich - ein Hinweis an das Ministerium -, wenn uns ein
Zwischenbericht der Untersuchungskommission zur Verfügung gestellt würde .
({3})
Der Produktionsstandort Deutschland mit den vielen
Zulieferbetrieben und seinen Tausenden hart arbeitenden
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss gesichert bleiben . Arbeitsplätze dürfen nicht verloren gehen . Deshalb
heißt es nun, nach vorne zu schauen und die Weichen
für zukunftsfeste Perspektiven in der Automobilbranche
zu stellen, Perspektiven, die ökonomische und ökologische Aspekte gleichermaßen berücksichtigen . Endlich
müssen alternative Antriebsformen - ich nenne hier nur
ganz kurz das Stichwort „Elektromobilität“ - stärker und
konsequent in den Fokus genommen werden .
({4})
Damit sorgen wir für bessere Luft in den Städten; denn
erhöhte Werte für Stickoxide und Rußpartikel sind eine
Gefahr für unsere Gesundheit und ganz besonders für die
unserer Kinder . Wir leisten damit natürlich auch einen
wichtigen Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele .
Da ist im Verkehrssektor sicher noch viel Luft nach oben .
({5})
Die deutsche Automobilindustrie steht seit Jahrzehnten für hohe Qualität und Sicherheit, für Spitzentechnologie, Verbraucher- und Umweltschutz . Diese Position muss aber täglich neu gesichert werden . Ich bin mir
sicher: Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure schaffen
das .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Frau Kollegin Malecha-Nissen . - Nächster Redner: Stephan Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wissenschaftliche Tests, zum Beispiel im Auftrag des ZDF-Magazins Frontal 21, zeigen:
Auf der Straße blasen Dieselfahrzeuge deutlich mehr
Stickoxide aus als bei den offiziellen Tests im Labor. Die
Grenzwerte werden von vielen Dieselfahrzeugen nicht
eingehalten . Die Abgasreinigung muss aber nicht nur im
Labor, sondern auch auf der Straße laufen .
({0})
Wie wäre es, wenn Handbremse, Gurt oder Airbag nur
auf dem Rollenprüfstand im Labor funktionieren würden?
Die Automobilindustrie will uns weismachen, dass die
erheblichen Abweichungen zwischen den Labormessungen und den Nachprüfungen im realen Fahrbetrieb mit
Unterschieden im Fahrverhalten und den äußeren Bedingungen zu erklären seien . So will kein anderer Hersteller
Abschalteinrichtungen wie VW verwendet haben . Wer
wie die Deutsche Umwelthilfe etwas anderes sagt, hat
eine Armada von Anwälten im Haus oder ist mit Schadensersatzforderungen konfrontiert . Ich sage: Wer ehrlich ist, hat so etwas nicht nötig und muss sich auch nicht
wie Daimler vor der Teilnahme an einem Fachgespräch
der grünen Bundestagsfraktion drücken .
({1})
So gewinnt man Glaubwürdigkeit nicht zurück, sondern man bringt die deutsche Automobilindustrie auch
industriepolitisch ins Abseits . Verkehrsminister Dobrindt
stellt sich schützend vor eine Automobilindustrie, die
bisher offensichtlich Kosten zulasten der Umwelt und
der Gesundheit der Menschen eingespart hat . Dieselfahrzeuge können sehr wohl auf der Straße sauber sein, aber
eine funktionierende Abgasreinigung ist halt nicht zum
Nulltarif zu bekommen .
Von einer lückenlosen Aufklärung des Abgasskandals, wie von Minister Dobrindt angekündigt, kann keine Rede sein . Das KBA bekam von Herrn Dobrindt den
Auftrag, etwa 60 Dieselfahrzeuge verschiedener Hersteller hinsichtlich der Emissionen zu prüfen . Während
Daimler-Chef Zetsche bereits Ende Januar in einem Zeitungsinterview gegenüber der Welt über Ergebnisse der
Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamtes berichten
konnte - Tenor: keine auffälligen Abgaswerte bei Daimler -, will uns der Verkehrsminister nicht einmal einen
Termin für die Veröffentlichung der Ergebnisse nennen .
Ich halte das für einen skandalösen Vorgang .
({2})
Durch welche Untersuchungen oder Gutachten kommt
die Bundesregierung eigentlich zu der Einschätzung,
dass die Umrüstpläne von VW auch tatsächlich zu sauberen Dieselmotoren führen? Diese Antwort bleibt der
Verkehrsminister bisher schuldig . Ich frage mich schon,
warum man bei VW kriminelle Energie braucht und einsetzt, wenn ein Bauteil, ein sogenannter Strömungstransformator, der bekanntlich nicht mehr als 1 Euro kostet,
die Lösung sein soll, um Dieselmotoren sauber werden
zu lassen . Den Ankündigungen des Ministers folgen keine Taten . „Aussitzen und Deckel drauf“ ist wohl die Devise .
Bereits Mitte Dezember hat er angekündigt, künftig
bei der Zulassung von Autos die Motorensoftware unter
die Lupe zu nehmen . Zwei Monate später will er aber
immer noch nicht verraten, wie, wann und wer künftig
die Quellcodes anschauen soll . Dafür macht nun endlich
Brüssel Druck und will die nationalen Zulassungsbehörden überprüfen . Das führt offensichtlich dazu, dass das
Kraftfahrt-Bundesamt jetzt überlegt, endlich wieder Rollenprüfstände anzuschaffen, die man vor Jahren schon
hatte, die man dann aber abgeschafft hat, weil man doch
lieber den Zahlen der Automobilindustrie vertrauen wollte .
Wir brauchen endlich wirksame Kontrollen . Die Behörde, die für die Fahrzeugzulassung zuständig ist, darf
nicht für die Nachprüfung zuständig sein . Die Feldüberwachung im Verkehr sollte nicht durch das KraftDr. Birgit Malecha-Nissen
fahrt-Bundesamt, sondern durch das Umweltbundesamt
übernommen werden .
({3})
Da teilen wir den Vorschlag von Justizminister Maas .
Nur habe ich nicht den Eindruck, dass es der Vorschlag
der Bundesregierung ist . Ferner muss die Feldüberwachung endlich auf eine rechtliche Grundlage gestellt
werden, und es müssen Mittel und Personal dafür bereitgestellt werden . Auch hier höre ich von der Bundesregierung nichts .
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als Schlussbemerkung Folgendes sagen: Wir sind es den Menschen
schuldig, die aufgrund der schlechten Luftqualität in vielen Städten an Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen leiden, dass dieser Abgasskandal politische Konsequenzen hat . Jetzt müssen den Worten endlich Taten
folgen .
({4})
Vielen Dank, Kollege Kühn . - Nächster Redner in der
Debatte: Dr . Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt ist
es langsam Zeit, einmal Zwischenbilanz in dieser Debatte in der heutigen Aktuellen Stunde zu ziehen . Ich
habe mich ein bisschen gefragt: Kennen Sie eigentlich
den Unterschied zwischen Staatsanwaltschaft und Parlament? Die Staatsanwaltschaft ist die Behörde, die für die
Strafverfolgung und die Vollstreckung zuständig ist . Das
Parlament hingegen ist hauptsächlich für die Verabschiedung von Gesetzen zuständig .
({0})
Hält jemand Gesetze nicht ein, ist es nicht Aufgabe des
Parlaments, darüber zu urteilen - schon gar nicht vorschnell, Herr Hofreiter -, sondern die Aufgabe von
Staatsanwaltschaften und Gerichten .
({1})
Was Sie seit Ende September hier machen, ist vor allem eines: Sie wollen vorschnell über eine ganze Branche urteilen und sie in Sippenhaft nehmen . Sie wollen
Staatsanwaltschaft, Gericht und Parlament zugleich sein .
({2})
Das ist das Problem, das Sie haben .
({3})
Man merkt an der Häufigkeit, mit der Sie Aktuelle
Stunden beantragen, dass der Wahlkampf in den Bundesländern offensichtlich begonnen hat . Aber Sie können
sich darauf verlassen: Wir werden nicht zulassen, dass
Sie einfach mal eben eine deutsche Schlüsselindustrie
so beschädigen, dass sie nach den Landtagswahlen nicht
wieder hochkommt .
({4})
- Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören .
Ich sage Ihnen noch einmal: Die Automobilwirtschaft
in Europa hat einen Anteil an der Wertschöpfung von
14 Prozent . Fast jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland
hängt von der Automobilwirtschaft ab . Richtig ist: Mit
der Manipulation bei den Abgaswerten ist erhebliches
Vertrauen verspielt worden . Um das Vertrauen in die Automobilwirtschaft und auch in den Wirtschaftsstandort
Deutschland international wiederherzustellen, müssten
wir sichere Testverfahren nutzen .
Wir sind uns hier im Hause, glaube ich, einig, dass wir
möglichst schnell den WLTP-Zyklus und die Real-Driving-Emission-Tests brauchen . Wir können deshalb ganz
froh sein, dass das Europäische Parlament inzwischen
die entsprechenden Weichenstellungen vorgenommen
hat . Es ist ein wichtiger Schritt, zu realistischen Emissionsangaben zu kommen, und allein das stärkt das Vertrauen der Verbraucher .
Wir müssen aber auch genau beobachten, in welchem
wirtschaftlichen Umfeld wir uns bewegen . Wir dürfen
nicht überziehen . Ich wiederhole: Kraftfahrzeuge sind
für Deutschland ein wichtiges Exportprodukt .
({5})
Wenn Sie sich einmal die internationale Großwetterlage
anschauen, stellen Sie fest: Es ist ein düsteres Bild, das
sich etwa bei den Importen Chinas ergibt . Diese Importe sind um 19 Prozent eingebrochen . Der Präsident des
Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen Börner hat es treffend beschrieben: China steckt
in einem Transformationsprozess mit ungewissem Ausgang .
Auch wenn Sie die Sanktionen etwa für den russischen Markt sehen, werden Sie erkennen: Das sind bestimmt keine Wachstumstreiber . Denken wir daran, dass
der Anteil der nach Russland exportierten Fahrzeuge
am Gesamtexport 2013, also vor den Sanktionen, noch
20 Prozent betragen hat, dann können wir erkennen, dass
gerade jetzt zwei absolute Wachstumsmärkte für die Automobilindustrie anfangen, zu schwächeln . Da greife ich
gern das Argument von den Linken auf, die sich Sorgen
um die Beschäftigungslage bei den nur zeitweise Beschäftigten in der Automobilwirtschaft machen .
Es droht uns weiter eine Abschwächung der Weltkonjunktur . Die Stimmung trübt sich im Moment ein . Der
ZEW-Index ist im Februar von 9,2 auf 1,0 Punkte eingebrochen . Vor einem Jahr lag er noch bei 53 Punkten .
Wenn ich in meinem Wahlkreis in Südwestfalen sehe,
dass 52 000 Menschen im Bereich der Zulieferindustrie
Stephan Kühn ({6})
von diesem Markt abhängen, meine Damen und Herren,
dann ist das in der Tat ein Grund, zu sagen: Vorsicht! Das
Kind nicht mit dem Bade ausschütten!
({7})
Die Unternehmen machen sich Sorgen . Sie machen
sich nicht nur Sorgen um die Infrastruktur in Deutschland; sie machen sich bei all diesen Rahmenbedingungen natürlich auch Sorgen um den internationalen Wettbewerb . In diesen Zeiten müssen wir uns deshalb genau
überlegen, mit wie viel Regulierung wir der Branche begegnen . Herr Krischer, es ist nicht damit getan, alle vier
Wochen mal mit dem Ölkännchen am Feuer vorbeizulaufen, so wie Sie das hier machen .
({8})
Ohne Zweifel, wir müssen gesetzliche Leitplanken
neu justieren . Wir hätten mit Ihnen gern über die gestellten Anträge gesprochen . Aber Sie haben es vorgezogen,
für heute eine Aktuelle Stunde zu beantragen . Ich weiß
nicht, ob das mit Blick auf die Landtagswahlen der richtige Weg ist .
({9})
Ich bin überzeugt, dass auch die vielen Arbeitnehmer in
Baden-Württemberg sehr gut darüber nachdenken werden, wie sie ihre Entscheidung treffen, so wie Sie mit
deren Arbeitsplätzen umgehen .
Vielen Dank .
({10})
Vielen Dank, Dr . Heider . - Die nächste Rednerin in
der Debatte: Kirsten Lühmann für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Verehrte Zuhörende! Wie auch bei der letzten
Aktuellen Stunde zu diesem Thema habe ich akribisch
versucht, herauszufinden, welche aktuellen Dinge wir
neu haben, die wir besprechen müssen . Ich bin dann auf
die hier schon angesprochene Pressemitteilung gestoßen,
nach der Herr Winterkorn schon im Mai 2014 von Manipulationen in Amerika wusste .
({0})
Das ist allerdings nicht neu . Wir alle wissen, dass im Mai
2014 die US-Umweltbehörde EPA an VW herangetreten
ist, um über das Thema zu reden . Dass man darüber die
Konzernspitze informiert, halte ich für normal .
Die Frage, die dieser Pressebericht nicht beantwortet
hat, ist: Hat Herr Winterkorn vor dem Aufspielen der
Software davon gewusst? Hat er es gebilligt? Hat er es
sogar angewiesen? Mein Vorredner hat dankenswerterweise darauf hingewiesen: Das ist eine Frage, die von
den Ermittlungsbehörden geklärt wird und nicht von
uns . - Also kann das nicht das Thema sein .
Das Einzige, was mir aktuell noch eingefallen ist, ist,
dass uns die Grünen Informationen über die Ergebnisse
ihrer gestrigen Veranstaltung zur Zwischenbilanz im Abgasskandal geben wollten . An der Veranstaltung konnten
wir nicht teilnehmen, weil zeitgleich eine Sitzung des
Verkehrsausschusses stattfand . Aber aus den Reden der
Grünen ist mir dazu auch nichts bekannt geworden .
({1})
Also glaube ich, dass wir uns nicht weiter damit beschäftigen sollten, warum wir hier heute eine Aktuelle
Stunde haben, sondern die Zeit einfach zu einer kurzen
Standortbestimmung nutzen sollten .
({2})
Zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten
gibt es deutliche Unterschiede in der Philosophie der
Kontrolle .
({3})
In den USA bescheinigt man mit seinem guten Namen,
dass man Regularien einhält . Wird man dann beim Betrug
erwischt, bekommt man eine saftige Strafe, eine deutlich
höhere als bei uns . Wir hingegen haben eine Kultur der
regelmäßigen Kontrollen .
({4})
Hier gilt es Veränderungen herbeizuführen und Kontrollen an die neuen Bedingungen anzupassen, und zwar
zeitnah, liebe Kollegen und Kolleginnen .
({5})
Das heißt, wir müssen das Kraftfahrt-Bundesamt rechtlich wie auch technisch dazu in die Lage versetzen . Mein
Kollege Arno Klare hat bereits in der Aktuellen Stunde
Anfang November die Offenlegung der Quellcodes und
Weiteres gefordert . Inzwischen ist das vom BMVI unterstützt worden . Wir sind uns mit Minister Dobrindt darüber einig, dass die Motorsoftware gegenüber dem KBA
offengelegt werden muss . Wir müssen auch dafür sorgen,
dass das KBA eigene Prüfstände bekommt, um selbstständig Kontrollen durchführen zu können . Das werden
wir angehen .
Doch bessere Prüfmöglichkeiten für die deutschen
Behörden wird es am Ende nur mit einer europäischen
Lösung geben, und zwar mit einer Lösung, die den realen Fahrbetrieb berücksichtigt . Die EU hat mit ihren Vorschriften im Paket zu den NOx-Grenzwerten einen ersten
Schritt getan . Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass unsere Fraktion sich da auch etwas ambitioniertere Werte
hätte vorstellen können; aber zumindest ist dieses Paket
jetzt auf den Weg gebracht . Viel wichtiger ist das nächste
Paket, das wir brauchen . Wir brauchen Regelungen zu
den hier schon mehrfach angesprochenen Real Driving
Emissions . Wir brauchen Rahmenbedingungen, die klar
definiert sind, was die Geschwindigkeit, die enthaltenen
Steigungen, die Temperatur und die Beschleunigung angeht . Diese müssen, wie gesagt, klar und eindeutig sein .
Ich gehe davon aus, dass hier in diesem Hause Einigkeit
darüber herrscht, dass wir diese klaren Vorschriften zeitnah brauchen und dass wir sie gemeinsam in Brüssel umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({6})
Erfreulich ist auch - was ja auch angesprochen wurde -, dass der Rückruf in Deutschland begonnen hat .
Heute gab es einen Bericht in der auto motor und sport.
Die haben die ersten umgerüsteten Fahrzeuge des VW
Amarok getestet . Dabei sind ein paar interessante Sachen
herausgekommen .
Das Erste ist, dass es einige Fahrzeuge gab, die nach
der Umrüstung einige PS mehr hatten als vorher .
({7})
Nun gut, das ist jetzt nicht
({8})
besonders positiv oder negativ . Allerdings wurde auch
festgestellt, dass das Beschleunigungsverhalten im fünften und sechsten Gang besser geworden ist und, was für
uns ja ganz wichtig ist, dass der Stickoxidausstoß gleich
geblieben ist,
({9})
das heißt, die Werte werden eingehalten, es hat sich
nichts verändert .
({10})
Das Zweite, was hier auch angesprochen wurde und
über das wir reden sollten, ist die Tatsache, dass der
Kraftstoffverbrauch auf 100 Kilometer um einen guten
halben Liter höher geworden ist . Nun ist der Amarok ja
nicht gerade als besonders sparsames Auto bekannt .
({11})
Wenn jetzt also im März die VW Passat zur Umrüstung
kommen, werden wir uns das noch einmal anschauen;
aber ich glaube nicht, dass das in dieser Höhe dort zu
sehen sein wird .
Die SPD-Fraktion hat im Januar dieses Jahres ein Positionspapier verabschiedet, in dem wir uns eindeutig für
die Energiewende im Verkehr ausgesprochen haben . Es
ist ein umfangreiches Papier . In ihm haben wir festgelegt, dass wir neben der Elektromobilität auch Brückentechnologien wie Erdgas weiterhin fördern; denn beide
Technologien bieten sowohl für den Individualverkehr
als auch für den ÖPNV immer noch große Potenziale die Elektromobilität auch bei leichten Nutzfahrzeugen,
Erdgas und Wasserstoff auch im Schwerlastverkehr, der
immer noch den höchsten Schadstoffausstoß aufweist .
({12})
Abschließend sei mir erlaubt, anzumerken, dass ich
gerne diese und weitere Punkte mit Ihnen in einer ernsthaften Debatte erörtert hätte . Wir sind daher etwas erstaunt, dass die von den Grünen beantragte 77-minütige
Kernzeitdebatte,
({13})
in der wir diverse Anträge hätten beraten und auch beschließen können,
({14})
abgesetzt wurde .
({15})
Ich gehe davon aus,
({16})
dass wir diese Debatte hier zeitnah nachholen und richtige Beschlüsse auf den Weg bringen .
Herzlichen Dank .
({17})
Vielen Dank, Kollegin Lühmann . - Der nächste Redner in der Debatte: Hans-Werner Kammer für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Wir hatten uns ja gerade
schon sehr nett ausgetauscht .
({0})
Körpersprachlich .
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Seit Anfang
2015 haben wir in diesem Hohen Haus 32 Aktuelle Stunden durchgeführt. Heute findet die dritte Aktuelle Stunde
zur VW-Abgasaffäre statt . Zum Vergleich: Zur Gesamtsituation im Nahen Osten gab es vier Aktuelle Stunden,
außerdem zwei zum Thema Terrorismus, in einer haben
wir uns über das Thema Flüchtlinge unterhalten . Ich wiederhole jetzt noch einmal: drei Aktuelle Stunden zum
VW-Skandal in nicht einmal einem halben Jahr . Dass die
Grünen mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde falsche Schwerpunkte setzen, ist damit ganz offensichtlich;
denn Neues ist kaum zu berichten .
({0})
Natürlich könnte es sein, dass es derzeit für die Grünen
keine wichtigeren Themen gibt als den VW-Skandal .
Vielleicht ist es aber auch so, dass die Grünen nur noch
auf billige Effekthascherei setzen .
Was mich am Umgang der Grünen mit der Abgasaffäre stört, sind jedoch weniger diese Zeitverschwendung
und das parteipolitische Geplänkel;
({1})
das kennen wir ja leider zur Genüge von Ihnen . Vielmehr
stört mich, dass die Grünen einen Feldzug gegen den Industrie- und Automobilstandort Deutschland führen .
({2})
Nur für einige wenige Schlagzeilen spielen Sie mit zahllosen Arbeitsplätzen . Sie sollten sich einmal vor Ort,
auch bei den Autohändlern, informieren, wie sachlich die
Kunden mit diesem Thema umgehen und wie betroffen
teilweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - auch
ob Ihres Verhaltens - sind . Ich denke dabei nicht nur an
die 150 000 Beschäftigten in den sechs deutschen Standorten von VW, sondern auch an die Beschäftigten der
VW-Werkstätten und der Zulieferbetriebe . Dass Sie deren Jobs gefährden, ist der Skandal an der Sache .
({3})
VW hat nach der Aufdeckung der Abgasmanipulation mehr als genug Eigeninteresse an der Aufklärung .
Die Marke kämpft weltweit mit Imageproblemen . Erstmals seit 2002 gab es in 2015 einen Umsatzrückgang .
Der Fahrzeugabsatz der Kernmarke VW sank in diesem
Jahr um 4,8 Prozent . Es gab einen Absatzrückgang insbesondere in den USA, wo der Skandal auch aufgedeckt
wurde .
Der Konzern setzt alles daran, die Probleme abzustellen und Ähnliches für die Zukunft zu verhindern .
Zusätzliche Panikmache wie diese überflüssige Debatte
verunsichert die Kunden . Die grünen Ideologen sagen
dazu: VW muss für das, was es getan hat, büßen . - Eine
Krise bei VW schadet in erster Linie aber eben nicht denjenigen, die für den Skandal verantwortlich sind und nun
selbstverständlich zur Verantwortung gezogen werden
müssen . Nein, die Grünen schaden mit ihrer negativen
Propaganda den kleinen Angestellten bei VW, den Händlern, den Werkstätten und den Zulieferbetrieben in ganz
Deutschland .
({4})
Ich kann Sie daher nur eindringlich bitten, nicht weiter
Öl ins Feuer zu gießen und diesen Klamauk endlich zu
beenden . Das hilft niemandem . Ebenfalls nicht hilfreich
ist der grüne Feldzug gegen den Verbrennungsmotor .
Denn Sie sollten sich nicht einbilden, dass die Autofahrer auf das Fahrrad umsteigen, wenn sie das Vertrauen
in deutsche Fahrzeugtechnik verlieren . Geben wir stattdessen VW die nötige Zeit, die Affäre aufzuklären und
abzuarbeiten .
Gleichzeitig haben wir - Minister Dobrindt hat das angekündigt - schon erste Konsequenzen gezogen . Durch
die unangemeldeten Tests, die Ihnen noch nicht ausreichen, sowie durch die Offenlegung der Motorsoftware
und der Testergebnisse erschweren wir in Zukunft Manipulationen . Die gesamte Branche wird aus den Fehlern
von Volkswagen lernen .
Verlässliche und transparente Verbrauchsangaben
nutzen den Kunden und werden letztlich auch zu technischem Fortschritt und niedrigem Verbrauch führen . Das
hilft mehr als Ihre Kampfreden gegen große Konzerne .
Zum Schluss möchte ich den Grünen eines mit auf
den Weg geben: Ich komme aus Niedersachsen . Niedersachsen wird bekanntlich von der SPD und den Grünen
regiert . Im Dezember 2014 ist bekannt geworden, dass in
den USA 482 000 Pkws zurückgerufen wurden . Das ist dies ist in Aufsichtsratsprotokollen nachzulesen - dem
Aufsichtsrat bekannt . Ich wundere mich, dass sich die
Regierung in Niedersachsen, an der die Grünen maßgeblich beteiligt sind, nie darum gekümmert hat . Dort sollten
Sie aufklären! Das wäre Ihre Aufgabe .
Herzlichen Dank .
({5})
Vielen Dank, Herr Kollege Kammer . - Nächster Redner: Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wieder eine Aktuelle Stunde auf Verlangen
der Grünen zum Thema „Abgasmanipulation bei VW“ .
Was ist denn heute der aktuelle Anlass, um darüber zu
sprechen? Eine Meldung der Bild am Sonntag, wonach
Herr Winterkorn doch eine Mail bekommen und deshalb
nachweislich gelogen haben solle . Mir war neu, welch
hohe Bedeutung die Springerpresse und die Bild am
Sonntag für die Grünen haben . Aber gut, jeder mag lesen,
was ihm gefällt und zu ihm passt .
({0})
Eine unbestätigte Zeitungsmeldung ist also der Anlass,
dass sich der Deutsche Bundestag in einer dringlichen
Debatte mit der Abgasmanipulation beschäftigt . Ich bin
der Meinung, dass der Deutsche Bundestag zurzeit viele andere Themen dringlich zu besprechen hätte . Aber
nein, wir debattieren jetzt wegen einer E-Mail, die Herr
Winterkorn angeblich 2014 erhalten haben soll .
({1})
Hier wird das parlamentarische Instrument der Aktuellen
Stunde vor den Landtagswahlen aus reiner Profilierungssucht missbraucht .
({2})
Das gilt nicht nur für dieses Instrument: Seit September vergangenen Jahres gab es seitens der Opposition, federführend von den Grünen, zum Thema „Manipulation
der Abgaswerte bei VW“ schon 23 mündliche Fragen,
20 schriftliche Fragen, elf Kleine Anfragen, eine öffentliche Anhörung und schon zweimal eine Aktuelle Stunde .
({3})
Wie viel Arbeitskraft das in den Ministerien und im Bundestag bindet! Auf diese Weise legen Sie den Politikbetrieb absichtlich fast lahm, um dann der Regierung Untätigkeit vorzuwerfen .
({4})
Bundesverkehrsminister Dobrindt hat bereits erste
Schritte unternommen, damit solche Manipulationen in
Zukunft nicht mehr vorkommen werden . So wird es eigene staatliche Prüfstände und unangekündigte Kontrollen
nach dem Zufallsprinzip geben, dazu eine Rotation der
Prüfdienste und eine Offenlegung der Motorsoftware .
Die Rückrufaktionen für die betroffenen Fahrzeuge
haben in Abstimmung und auf Anweisung des Kraftfahrt-Bundesamtes bereits begonnen - um nur die aktuellsten Punkte anzuführen .
Auch die EU hat bereits reagiert und mehrere Vorschläge zur Verbesserung der Aufsicht über die Zulassungsbehörden und die technischen Prüfdienste gemacht .
Erst vergangenen Freitag hat der Rat eine Verordnung
beschlossen, die vorsieht, die Abgastests - wir haben es
schon mehrfach gehört - unter realen Fahrbedingungen
durchzuführen . Das ist etwas, wofür sich unser Verkehrsminister tatkräftig eingesetzt hat .
Meine Damen und Herren, ich will damit nicht die
Vorgänge um die manipulierten Abgastests relativieren .
({5})
Betrug in jeder Form ist Unrecht . Da muss ermittelt werden . Die Verantwortlichen müssen dafür auch den Kopf
hinhalten . Ich möchte aber betonen, dass der Deutsche
Bundestag - der Vorredner hat es schon gesagt - dafür
nicht der richtige Ort ist . Dafür haben wir bei der Justiz,
im Ministerium und auch bei VW entsprechende Strukturen zur Aufklärung . Der Deutsche Bundestag ist nicht
das Dorf, durch das jeden Tag erneut die Sau getrieben
werden muss . Bei den Grünen ist die Automobilindustrie, um in diesem Bild zu bleiben, eine besonders beliebte Sau .
({6})
Wahrscheinlich möchten Sie die Automobilindustrie
am liebsten ganz abschaffen oder zumindest mit dieser
permanenten Thematisierung schwer schädigen . Herr
Krischer hat vorhin behauptet, dass bei den anderen Herstellern noch viel mehr betrogen wurde als bei VW .
({7})
In der Automobilindustrie haben rund 800 000 Menschen in Deutschland ihren Arbeitsplatz . Hinzu kommen
Hunderttausende Beschäftigte in der Zulieferungsindustrie . Ein solches politisches Agieren ist für mich keine
Politik zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger . Zum
Wohl der Bürgerinnen und Bürger zählt für mich, dass
sie Arbeit haben, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber natürlich auch, dass sie saubere Luft zum
Atmen haben .
({8})
Um dies zu erreichen, haben wir Abgasgrenzwerte und
Mechanismen zu deren Überprüfung eingeführt .
({9})
Es ist wichtig, dass die Grenzwerte eingehalten werden
und dies überprüft wird .
({10})
Es gilt jetzt, strukturiert vorzugehen, nämlich erst den
Sachverhalt aufzuklären, dann eine Bewertung vorzunehmen und schließlich Konsequenzen zu ziehen . Das
bedeutet im vorliegenden Fall für uns als Gesetzgeber,
die Regelverstöße aufzuklären, dann die Regeln zu überprüfen und diese gegebenenfalls anzupassen . Grüner AkMichael Donth
tionismus als wahltaktisches Manöver auf dem Rücken
der Beschäftigten ist scheinheilig und damit fehl am
Platz .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank, Kollege Donth . - Der letzte Redner
in der Aktuellen Stunde ist Ulrich Lange für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben es jetzt schon mehrfach gehört: zum dritten
Mal eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema . Sie treiben
hier ihre Spielchen . Lieber Kollege Kühn, lieber Kollege
Krischer, wenn Sie den Plenarplan gelesen hätten, dann
wüssten Sie: Eigentlich hätten heute die Anträge aller
Fraktionen auf der Tagesordnung gestanden,
({0})
mit einer Kernzeitdebatte und fachlichen Vorschlägen .
({1})
Aber darum geht es Ihnen nicht .
Ihnen geht es, lieber Kollege Krischer - das haben Sie in
Ihrer Rede geradezu eindrucksvoll unterstrichen -, um
Hetze gegen die deutsche Automobilindustrie .
({2})
Ihre Rede, in der Sie über Drogen und anderes gesprochen haben, hatte den Charakter einer Rede beim Starkbieranstich während der Fastenzeit .
({3})
Dass Sie im Anschluss daran vielleicht ein Alcolock gebraucht hätten, das lasse ich einmal offen .
({4})
Natürlich sind Manipulationen illegal . Wir werden
sie auch weiterhin nicht dulden; ich wiederhole das zum
dritten Mal . Ich wiederhole auch, dass wir lückenlos aufklären . Wir sind froh, dass wir mit Alexander Dobrindt
einen Bundesminister haben, der dies konsequent und
sauber tut, auch zeitlich sauber .
({5})
Wir wehren uns dagegen, dass Sie eine ganze Branche
unter Generalverdacht stellen .
({6})
Sie wollen ein Buch schreiben, Herr Krischer . Ich
freue mich auf dieses Buch, insbesondere auf das erste
Kapitel .
({7})
Das erste Kapitel des Buches heißt: Die Rolle der Grünen
in Niedersachsen beim VW-Skandal .
({8})
Niedersachsen ist nämlich zweitgrößter Anteilseigner,
und die Grünen sitzen in Niedersachsen in der Regierung .
({9})
Ich zitiere gerne Ihre Fraktionsvorsitzende im Niedersächsischen Landtag:
Zwischen Volkswagen und Niedersachsen besteht
eine enge Verbindung .
({10})
Das sehen wir Grünen … genauso wie alle anderen
hier .
Herr Krischer, Sie sprechen in Berlin und in Hannover
zweierlei Sprachen . Das ist unehrlich . Das ist ein unredlicher Vorgang gegenüber dem Parlament .
({11})
Lieber Kollege Kühn, Sie beschweren sich darüber,
dass Daimler an dem gestrigen Fachgespräch in der Sitzung des Verkehrsausschusses nicht teilgenommen hat .
Ich habe fast Verständnis dafür; denn Daimler redet wohl
lieber mit dem Automobilfreund Kretschmann in Baden-Württemberg .
({12})
Dass viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie an
VW hängen, haben wir heute mehrfach beleuchtet . Aber
gegen eines wehren wir uns, und zwar mit aller Vehemenz: Wir stecken mit niemandem unter einer Decke .
({13})
Wir machen seriöse, saubere Politik .
({14})
Dazu gehört zunächst die Aufklärung .
({15})
Wir stellen uns hinter die Beschäftigten, die täglich für
„made in Germany“ stehen . Sie stehen weder zu den BeMichael Donth
schäftigten noch zur Technologie . Das sollten Sie auch
ehrlich sagen .
({16})
Wir wollen und werden nichts vertuschen . Wir hätten
heute gerne über die Vorreiterrolle bei alternativen Antrieben geredet . Wir hätten gerne über moderne Mobilitätsmodelle geredet .
({17})
Wir hätten gerne über die Zukunft der Abgasmessung
geredet, darüber, wie wir mit den Emissionstests umgehen . Diese Debatte haben Sie heute verhindert . Ihnen
war Klamauk wichtiger als Sachpolitik . Sie sollten sich
dafür - Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen .
({18})
Wichtig ist jetzt, dass wir das Vertrauen wiederherstellen, dass es keine voreiligen Beschuldigungen oder Verdächtigungen gibt und wir für einen sinnvollen Umgang
mit den Untersuchungsergebnissen sorgen . Diese sind
dann sachlich umzusetzen . Ich freue mich auf die sachliche Debatte, lieber Kollege Krischer, sofern Sie dazu in
der Lage sind .
Wir stehen zum Technologiestandort Deutschland .
Wir stehen zu den Beschäftigten in der Automobilindustrie . Wir setzen weiter auf eine erfolgreiche Branche .
Herzlichen Dank .
({19})
Vielen Dank, Kollege Lange . - Damit ist die Aktuelle
Stunde beendet .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Europäisches System der Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln
Drucksache 18/7539
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Darf ich bitten, Platz zu nehmen, damit wir dem ersten
Redner zuhören können? - Ich eröffne die Debatte und
gebe Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben heute einen Antrag über die Weiterentwicklung der europäischen Finanzaufsicht zu beraten,
um sie nach Möglichkeit effizient zu machen.
Zu Beginn sollte man sich die Frage stellen, wie die
Entstehung war und die Entwicklung und warum wir
heute an diesem Punkt sind, den wir diskutieren . Kernpunkt war das sogenannte Lamfalussy-Verfahren, in dem
drei Strukturen geschaffen wurden: für den Banken-, den
Wertpapier- und den Versicherungsbereich . Zielrichtung
der Kommission des europäischen Parlaments und der
beteiligten Staaten war es, die europäischen Kapitalmärkte zu deregulieren . Inzwischen hatten wir die Finanzkrise . Darum wurden diese Strukturen entsprechend
weiterentwickelt .
Man muss sich einmal anschauen, welche Aufgaben
die drei neu geschaffenen Organisationen haben: Die
ESAs, also die EBA, die EIOPA und die ESMA, haben
auf der einen Seite die Aufgabe einer kohärenten Regulierung . Das heißt, auf europäischer Ebene werden die
Vorgaben gemacht - im gesetzgeberischen Bereich auf
Level 1 -, die, wenn sie Verordnungen sind, unmittelbar
gelten, oder Richtlinien, die entsprechend umzusetzen
sind und dann auf Level 2 und 3 - darauf komme ich
noch zu sprechen - konkretisiert werden . Damit dies in
Europa, etwa in Portugal, Polen oder Deutschland, kohärent angewendet wird, wurden diese Gremien geschaffen .
Gleichzeitig haben sie die Aufgabe, auf Level 2 und
Level 3 entsprechende Vorgaben, sogenannte technische
Standards, zu definieren. Auf Level 2 sind die Vorgaben
durch die delegierten Rechtsakte auf europäischer Ebene
definiert. Auf Level 3 können diese Organisationen von
sich aus definieren, welche Themen sie auf europäischer
Ebene angehen wollen . Sie haben grundsätzlich das
Recht dazu; aber die Frage ist, welchen Rechtsstatus dies
im Vollzug hat . - Das ist die Ausgangsposition .
Dazu kamen in den letzten Jahren die Bankenunion,
der Abwicklungsmechanismus und die Aufsicht der Europäischen Zentralbank . Das heißt: Wir haben seitdem
eine ganze Reihe von europäischen Institutionen, die sich
mit dem Thema „Regulierung und Aufsicht“ national wie
europäisch beschäftigen . Darum begrüßen wir, dass die
Europäische Kommission eine Evaluierung angestoßen
hat, wie wir zukünftig aufgrund der Erfahrungen die Aufsicht weiterentwickeln müssen . Es hat sich ein ganzer
Wust entwickelt, den man kritisch prüfen muss, um es
besser zu machen und zu optimieren, ohne zu sagen, dass
es generell falsch gelaufen ist .
Ich möchte bei Level 2 und Level 3 anfangen . Hier
wird sehr viel faktische Normierung vorgenommen, die
nicht vom Gesetzgeber vorgesehen wurde; die wurden
von den Behörden entsprechend implementiert . Die Proportionalitätsprämisse wird nicht immer berücksichtigt das wird fraktionsübergreifend regelmäßig betont -,
obwohl das Proportionalitäts- und das Subsidiaritätsprinzip, die unterschiedlichen Strukturen der Banken von
diesen Gremien beachtet werden müssen . Das passiert
aus unserer Sicht aber zu wenig - gerade mit Blick auf
die Genossenschaftsbanken und Sparkassen . Außerdem
haben wir eine erhebliche Regulierungsfülle . Ich glaube, eine Rücknahme bzw . Reduzierung der Regulierung
wäre durchaus sinnvoll . Ferner wäre es gerade mit Blick
auf die Sparkassen und Genossenschaftsbanken sinnvoll,
die Zusammenarbeit in deutscher Sprache zu führen, um
ihnen das Leben nicht noch schwerer zu machen .
Wichtig ist aber insbesondere, dass diese Gremien
ihre Kompetenzen nicht überschreiten . Es muss klar sein:
Das, was der Gesetzgeber vorgegeben hat, kann nicht zurückgedreht werden, auch wenn es den Gremien nicht
gefällt . Das bekannteste Beispiel hängt mit der MiFID
zusammen - es ist eines von vielen -: Der Gesetzgeber
hat ganz klar entschieden, dass die Honorar- und Provisionsberatung gleichberechtigt nebeneinanderstehen
sollen; aber jetzt regulieren die entsprechenden Gremien
das in der Form, dass die Provisionsberatung faktisch tot
ist und es nur noch die Honorarberatung gibt . - Diese
Gremien haben nicht das Recht, am Gesetzgeber vorbei
Gesetzgebung zu machen .
({0})
Damit bin ich bei einem der zentralen Punkte: Transparenz hinsichtlich dessen, was in den Gremien passiert,
und parlamentarische Kontrolle aus Sicht des Europäischen Parlaments und aus Sicht des Deutschen Bundestages . Um es noch einmal klar zu sagen, weil das immer
wieder bewusst falsch verstanden wird: Mir geht es nicht
darum, dass im Plenum oder im Ausschuss über einzelne Regulierungsmaßnahmen diskutiert wird . Die Struktur muss aber so sein, dass auf europäischer Ebene eine
Kontrolle erfolgen kann wie die auf nationaler Ebene
durch die BaFin . Davon sind wir auf europäischer Ebene momentan weit entfernt . Ich glaube, alle in diesem
Parlament haben ein Interesse daran, diese Kontrolle zu
erreichen .
({1})
Wir müssen dieses Ziel erreichen, weil sich die europäische Aufsichtspraxis infolge der jetzt anstehenden
Gesetzgebungsmaßnahmen in den nächsten Jahren etablieren wird . Wenn der Vollzug in den nächsten Jahren
etabliert wird und es normal wird, dass weder nationale Parlamente noch das Europäische Parlament involviert sind, dann wird ein Zurückdrehen des Rades noch
schwieriger sein, als das jetzt schon ist . Die Aufsichtspraxis pendelt sich momentan zwischen den nationalen Aufsehern und der Europäischen Zentralbank ein .
Es ist wichtig, dass wir die verschiedenen Maßnahmen
hinsichtlich Normierung und Definition auf der europäischen Ebene zukünftig von Anfang an parallel und einheitlich betrachten . Momentan ist es so: Wir haben beispielsweise Basel, IFRS und Solvency, und jeder Experte
schaut nur auf sein Fachgebiet . Die Kohärenz zwischen
den einzelnen Maßnahmen wird von den Aufsehern aber
nicht beachtet . Diese Kohärenz schlägt sich letztendlich
bei den Banken und den Finanzdienstleistern nieder, verbunden mit der entsprechenden Bürokratie und den damit
verbundenen Kosten . Diesbezüglich müssen die Aufseher von Anfang an auch auf der oberen Ebene zusammenarbeiten .
({2})
Lassen Sie mich noch etwas zur Rolle der BaFin und
der Europäischen Zentralbank sagen . Ich erwarte zukünftig von der BaFin, dass sie gegenüber dem Deutschen
Bundestag transparent agiert, sodass wir wissen, wie sie
in diesen Gremien verhandelt und was ihre Zielrichtung
ist, und ich erwarte, dass sich die BaFin - wir reden hier
über den Vollzug; und die europäischen Regelungen
werden sehr stark auf nationaler Ebene vollzogen - sehr
stark am politischen Willen des Gesetzgebers orientiert .
Sollte es auf Level 3 entsprechende Maßnahmen geben,
die nicht unserer Zielrichtung entsprechen - das haben
wir im Finanzausschuss und im Plenum des Bundestages
schon gesagt -, dann sollte man die BaFin dazu auffordern, dies nicht zu implementieren und auf europäischer
Ebene zu sagen, dass das in Deutschland nicht möglich
ist .
Wir haben seit einiger Zeit die Europäische Zentralbank
als einen wichtigen Aufseher . Hierbei wird oft vergessen,
dass die Europäische Zentralbank Teil der EBA ist . Die
Europäische Zentralbank steht nicht über der EBA; sie
ist ein Teil der EBA . Wir wissen, dass die Europäische
Zentralbank hinsichtlich der Geldpolitik unabhängig ist;
die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank bezieht sich aber nicht auf die Aufsicht . Wir erleben aktuell, dass in der Diskussion über AnaCredit klipp und
klar gesagt wird, dass sehr viele Daten mit Blick auf die
Geldpolitik gesammelt werden . Das mag so sein . Man
kann darüber diskutieren, ob das mit Blick auf die Geldpolitik notwendig ist oder nicht . Bezogen auf die Kritik,
dass Aufsicht und Geldpolitik in einem Haus stattfinden,
hat man anfangs immer verkündet: Chinese Walls! Meine Damen und Herren, daran sollte man sich halten und
nicht bereits heute klar sagen, dass diese Daten zukünftig
für die Aufsicht verwendet werden . Dazu brauchen wir
einen Dialog mit der Europäischen Zentralbank . Darum
zeigt auch dieses Beispiel, wie notwendig es ist, dass wir
das Thema der Kontrolle durch die Parlamente von parlamentarischer Seite gemeinsam angehen .
({3})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir haben die
Kosten im Antrag insbesondere deswegen explizit erwähnt, weil wir auf europäischer Ebene bereits jetzt
merken, dass es darum geht, wie diese Organisationen
zukünftig finanziert werden. Dass eine Finanzierung und
möglicherweise eine Ausweitung der Finanzierung notwendig ist, wird überhaupt nicht bestritten . Lassen Sie
uns aber bitte zuerst die Evaluierung vornehmen und definieren, wer an welcher Position welche Funktionen hat,
und dann über die Kosten reden . Wir sollten es nicht umgekehrt machen: erst die Bürokratie aufbauen und später
über die Aufgaben reden . Das wäre genau der falsche
Weg . Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag .
Besten Dank .
({4})
Vielen Dank, Kollege Radwan . - Nächster Redner in
der Debatte: Dr . Axel Troost für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch nach der Diskussion gestern im Finanzausschuss
und nach dem Vortrag von Herrn Radwan lässt mich Ihr
Antrag nach wie vor ziemlich ratlos zurück .
({0})
Was versprechen Sie sich eigentlich von diesem Antrag?
Er fasst in weiten Bereichen Allgemeinplätze zusammen .
Wenn Sie schreiben, dass sich durch die Schaffung der
neuen europäischen Aufsichtsbehörden eine „zunehmende ‚Regulierungsdichte‘“ entwickelt, dann ist das reichlich banal . Das genau war die Aufgabe . Die neuen Behörden wurden als Lehre aus der Finanzkrise ausdrücklich
zu dem Zweck geschaffen, die nationale Aufsicht weiter
zu vereinheitlichen und für eine wirksamere Regulierung
und Aufsicht zu sorgen .
Wir haben immer kritisiert, dass die Regulierung und
die Aufsicht nicht weit genug gehen . Aber ich kann mir
nicht helfen: Der Grundtenor Ihres Antrags geht eher in
die andere Richtung . Man hat das Gefühl, als wollten Sie
das Wenige an verschärfter Finanzmarktregulierung eher
zurückdrehen als es konsequent weiterentwickeln .
Gemeinsame europäische Standards für Regulierung
und Aufsicht - dafür wurden diese Institutionen geschaffen - heißt natürlich auch, dass es zu einem gewissen
Maß an Gleichmacherei kommen muss, weil die Einrichtungen und die Bankenstrukturen in den einzelnen
Ländern sehr unterschiedlich sind . Aber das Ziel muss
lauten: Eine Großbank muss in Deutschland, Irland und
Spanien möglichst gleich gut reguliert und beaufsichtigt
werden .
({1})
Ein sicherlich ärgerlicher Nebeneffekt europäischer
Standards ist, dass auch eine Großbank und eine kleine
Volksbank innerhalb Deutschlands aufgrund der einheitlichen europäischen Standardisierung immer ähnlicher behandelt werden - eine Tendenz, die nun einmal
in der Natur der Vereinheitlichung liegt, der man aber in
der Praxis entgegentreten muss . Das haben wir bei allen möglichen Maßnahmen gemacht, als es um genau
diese Sonderregelungen ging . In diesem Punkt sind wir
uns völlig einig: Es muss aufgepasst werden, dass es hier
nicht zu einer Überforderung gerade der kleinen Institute
kommt .
({2})
Bei Ihnen bleibt aber als Hauptargument hängen, dass
europäische Vorhaben zulasten Deutschlands gingen und
man daher bei europäischen Finanzmarktprojekten zunächst einmal bremsen müsse . Das ist aus meiner Sicht
so pauschal falsch und eher Stimmungsmache .
({3})
Ich erinnere an unsere Diskussion von heute Vormittag,
auch über den Fall Deutsche Bank . Dank der Turbulenzen der letzten Wochen dürfte inzwischen jedem klar
sein, dass auch ein Institut wie die Deutsche Bank nicht
über jeden Verdacht einer ernsthaften Schieflage erhaben
ist . Es gibt wohl niemanden hier im Raum, der glaubt,
dass bei einer Schieflage der Deutschen Bank die Kosten
allein mit Mitteln aus Deutschland auffangbar wären . Ich
warne daher dringend davor, immer wieder den Eindruck
zu erwecken, der Rest Europas hätte durch deutsches
Geld und durch Deutschland als Zahlmeister Vorteile .
Wir brauchen hier europäische Standards, auch als Absicherung .
({4})
Viel schlimmer als die Auswirkungen der bisweilen
übertriebenen Aufsichtsstandards der EBA für Sparkassen und Volksbanken sind aus meiner und unserer Sicht
die nach wie vor unzureichenden Finanzregulierungen
und Aufsichtsstandards für die Großbanken . Wir haben
weiterhin keinerlei Lösungen für das Problem „too big
to fail“ . Die meisten Institute bzw . Großbanken sind seit
der Krise nicht kleiner, sondern im Durchschnitt größer
geworden . Wenn die nächste Bankenkrise kommt - und
ich prophezeie Ihnen, sie wird kommen -, dann werden
die Kosten angesichts der heutigen Großbankenstrukturen in Europa unvorstellbar sein . Statt diese Kosten aber
vorausschauend zu begrenzen, sorgen Sie sich in Ihrem
Antrag darum, dass - ich zitiere - „einem unkontrollierten Anwachsen der europäischen Aufsichtskosten . . . entgegengewirkt“ wird . Sie rechnen kleinlich in Millionen
und vergessen drei- oder vierstellige Milliardenbeträge .
Ich fürchte, Sie haben das eigentliche Problem aus den
Augen verloren .
({5})
Sagen Sie den Aufsichtsbehörden nicht, was sie nicht
machen sollen, sondern versuchen Sie, in einem Antrag
festzulegen, was sie besser und anders machen sollen .
Sagen Sie vor allen Dingen, wo klarer Handlungsbedarf
ist . Solange Sie das nicht tun, werden wir Ihrem Antrag
nicht zustimmen können, weil er völlig unzureichend ist .
({6})
Ein letzter Punkt . Wir Linke und auch die Grünen
waren diejenigen, die immer gesagt haben: Die Aufsicht
darf nicht zur EZB . Sie haben von der Chinese Wall gesprochen und gesagt: Es gibt keine Alternative dazu; das
müssen wir machen . - Wir haben uns immer über diese chinesische Mauer kaputtgelacht . Sie ist inzwischen
ein Mäuerchen, über das man im Sitzen von der einen
zur anderen Seite gucken kann . Es ist völlig klar: Wenn
irgendeine Maßnahme Richtung Italien ergriffen wird,
weiß keiner, ob das eine geldpolitische Maßnahme ist
oder eine Maßnahme, die der Bankenrettung dient, weil
man entsprechende Informationen durch die Aufsicht
hat . - Dieses Problem haben Sie gegen unsere Vorstellungen geschaffen .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank, Axel Troost . - Der nächste Redner ist
Manfred Zöllmer für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Welt der Finanzmärkte hat sich seit der Finanzmarktkrise durchgreifend verändert . Da ist kaum ein Stein auf
dem anderen geblieben . Es gibt zwar immer noch einige,
die behaupten, es hätte sich überhaupt nichts verändert;
aber das ist nicht richtig . Diejenigen, die das behaupten,
sind entweder ahnungslos oder böswillig - oder beides .
Die wichtigsten Veränderungen hat es auf und mit der
europäischen Ebene gegeben . Wir haben den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus und den Einheitlichen
Aufsichtsmechanismus geschaffen . Damit wurden endlich die richtigen Schlussfolgerungen aus der Krise gezogen . Übernational agierende Unternehmen müssen auch
übernational überwacht und reguliert werden . Finanzmarktkrisen machen nicht an nationalen Grenzen halt .
Die Etablierung der Bankenunion in Europa war deshalb
konsequent und richtig, lieber Axel .
({0})
Es war mir wichtig, dies am Anfang meiner Ausführungen deutlich zu machen, damit kein falscher Zungenschlag entsteht . Aus unserer Sicht ist Europa Teil der
Lösung . Ich glaube, das ist ganz wichtig, und das sollten
wir festhalten .
({1})
Es ist eine Vielzahl von Institutionen entstanden, die
sich um Regulierung, Aufsicht und Abwicklung kümmern . Seit 2010 sind drei europäische Institutionen - im
Folgenden nenne ich sie vereinfachend ESAs - als Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Finanzmärkte errichtet worden . Das sind nicht die einzigen;
aber damit beschäftigt sich unser Antrag hauptsächlich .
Daneben gibt es natürlich weiterhin nationale Aufsichtsbehörden . In Deutschland sind das für den Bereich der
Banken die BaFin, die Bundesbank und natürlich die
EZB, die für die Geldpolitik und für die systemrelevanten Banken in Europa zuständig ist .
Politisches Ziel war und ist es, die Regulierung und
die Beaufsichtigung in Europa kohärenter und konvergenter zu machen . Dazu brauchen wir Regeln, die eine
Aufsichtsarbitrage, also Vorteile durch unterschiedliche
Auslegungen, nicht zulassen . Es ist normal, dass eine
völlige Umgestaltung der Aufsichtsstruktur neben einer Verbesserung von Konvergenz und Kohärenz der
Aufsicht auch Probleme in der Praxis mit sich bringt .
Neugeschaffene Institutionen versuchen natürlich, sich
ihre Reputation und Existenzberechtigung durch einen
manchmal überbordenden Aktionismus zu sichern, und
wenn es ein überbordender Aktionismus ist, dann muss
man das auch entsprechend benennen .
Wir haben auf der anderen Seite natürlich auch verbleibende nationale Aufsichtsbehörden, die ebenfalls versuchen, ihre Existenzberechtigung deutlich zu machen; das
ist ja völlig klar .
Es gibt eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen,
die entsprechend konkretisiert und in der Praxis umgesetzt werden müssen . All das geschieht in Ländern mit
sehr unterschiedlicher Struktur der Finanzmärkte . - Lieber Axel, allein die deutsche Struktur mit ihren drei Säulen ist ja einmalig in Europa . Es gibt nichts Vergleichbares . Wir wollen das doch um jeden Preis erhalten, weil es
sich bewährt hat . Das ist doch ein ganz wichtiges Ziel .
({2})
Wir sind damit beim Kern des Problems . Unser Anliegen ist es, zu einer effizienten Weiterentwicklung des
Gesamtsystems zu kommen und mit einer Bestandsaufnahme auch auf kritische Entwicklungen hinzuweisen .
Das hat nichts damit zu tun, dass wir irgendetwas zurücknehmen wollen, sondern es geht um Weiterentwicklung .
Der wichtigste Punkt ist und bleibt die Forderung nach
strikter Beachtung des Proportionalitätsgrundsatzes . Was
heißt das? Kleine Institute - Sparkassen, Genossenschaftsbanken und kleine Privatbanken - müssen anders
beaufsichtigt und reguliert werden als systemrelevante
Großbanken . Die systemrelevanten Banken bedürfen einer strengen und starken Regulierung, die - da gebe ich
dir recht - noch nicht abgeschlossen ist; ich will hier nur
das Stichwort „Trennbanken“ nennen .
({3})
Risikoarme Institute dürfen jedoch nicht regulatorisch
erdrosselt werden . Diese Gefahr besteht an manchen
Punkten . Das würde unsere Struktur beschädigen, und
das ist etwas, was wir nicht wollen .
({4})
Die ESAs sollen in dem Rahmen tätig werden, der
ihnen vom demokratisch legitimierten europäischen Gesetzgeber vorgegeben wurde . Es kann nicht sein, dass
Beschlüsse des Europäischen Parlaments durch Umsetzungsvorgaben ins Gegenteil verkehrt werden; Herr
Kollege Radwan hat das Beispiel eben genannt . Darüber hinaus ist es notwendig, die enge und vertrauensvolle
Zusammenarbeit der europäischen mit den nationalen
Aufsichtsbehörden in den jeweiligen Gremien zu vertiefen und weiterzuentwickeln .
Darüber hinaus brauchen wir eine Diskussion über
Aufsichtsstrukturen bei der Bankenaufsicht auch in Zukunft . Die doppelte Zuständigkeit der EZB für GeldpoDr. Axel Troost
litik und Bankenaufsicht ist auf Dauer nicht akzeptabel .
Wir Sozialdemokraten haben das von Anfang an so formuliert . Nur, wir waren in einer Situation, in der die EZB
die einzige funktionierende Institution war, die diese
Aufgabe zum damaligen Zeitpunkt übernehmen konnte .
Deswegen war die Entscheidung damals richtig .
({5})
Wir wollen dies nicht aus den Augen verlieren, obwohl wir natürlich wissen, dass Europa in der gegenwärtigen Situation mit ganz anderen Problemen kämpft .
Aber auch wenn das so ist, ist es Aufgabe des Deutschen
Bundestages, die Arbeit der ESAs zu bewerten und nicht
nur die bemerkenswerte Aufbauarbeit zu loben, was wir
ausdrücklich tun, sondern auch auf Aspekte hinzuweisen,
die der Verbesserung bedürfen . Das ist nicht antieuropäisch . Das tun wir mit diesem Antrag .
Ich würde mich freuen, wenn unser Anliegen auch die
Unterstützung der Opposition findet. Wenn sich die Linken wie im Ausschuss enthalten, ist das für eure Situation
ja schon fast wie Zustimmung .
({6})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Gerhard
Schick von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mir geht es so wie Axel Troost . Der Antrag hat verschiedene Punkte und lässt einen ein bisschen ratlos zurück .
Ich habe den Eindruck, dass es das besondere Anliegen
eines Kollegen war, der früher im Europäischen Parlament saß, das Thema aufzubringen . Deswegen ist es ein
guter Tag für Alexander Radwan, bringt Europa aber irgendwie nicht voran .
({0})
Ich will einzelne Punkte aufgreifen, erstens die Proportionalität bei der Bankenaufsicht . Wir sind uns insofern einig, als klar ist: Die Besonderheiten kleiner Institute müssen besonders berücksichtigt werden . Es darf
nicht dazu kommen, dass eine Regulierung, die für Großbanken passt, dann kleine Banken erdrückt und es damit
insgesamt zu einer Konzentrationstendenz kommt . Wir
sind dagegen . Das haben Sie allerdings auch schon im
Frühjahr 2012 in einem ähnlichen Entschließungsantrag
gefordert . Ich frage mich, warum es nötig ist, den Bundesfinanzminister daran noch einmal zu erinnern. Anscheinend sind Sie damit nicht ganz zufrieden .
({1})
Vor allem aber greift diese Forderung ein Stück weit zu
kurz, wenn sie sich nur an die europäischen Aufsichtsbehörden richtet . Vielmehr werden wir das auch in den
Regulierungen selber festschreiben müssen .
Wir sind seit Langem der Auffassung, dass es für kleine
Banken einen eigenen Regulierungsansatz braucht; denn
wenn die Regulierungsvorgaben so sind, wie sie heute
sind, dann kommen die Aufsichtsbehörden irgendwann
an ihre Grenze und können die besonderen Geschäftsmodelle von kleinen Instituten, insbesondere von denen,
die regional eingegrenzt mit besonders eng gefasstem
Geschäftsmodell tätig sind, nicht mehr berücksichtigen .
Deswegen ist die Idee einer Small Bank Box richtig, das
heißt, in die Regulierung eine eigene klare Regelung für
kleine Banken aufzunehmen . Damit ist klar: Wenn wir
über die internationale Bankenregulierung sprechen und
verhandeln, dann ist das nicht immer wieder eine Bedrohung für das Geschäftsmodell kleinerer Institute . An
dieser Stelle gehen wir über Ihre Forderung noch hinaus .
({2})
Der zweite Punkt, den ich hier nennen will, - Sie haben
es angesprochen - ist die Frage der Zuständigkeiten bei
der Bankenaufsicht mit Blick auf EBA und EZB . Bei Ihrer Forderung zur weiteren Ausgestaltung bleiben Sie unseres Erachtens auf halber Strecke stehen . Es reicht nicht,
die Geldpolitik und Bankenaufsicht bei der EZB stärker
zu trennen . Es ist auch nicht ausreichend, eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen EBA und EZB
vorzunehmen . Vielmehr muss man bei der nächsten Vertragsänderung dazu kommen, dass eine eigene Institution
für die Bankenaufsicht zuständig ist . Wenn man hier für
die Zukunft Ideen vorträgt, dann gehört unseres Erachtens dieser Punkt auf die Tagesordnung . Es wird nicht
ausreichen, diese Trennung nur innerhalb der EZB vorzunehmen .
({3})
Worin wir uns relativ einig sind, ist die Frage der Kontrolle der europäischen und nationalen Behörden durch
die jeweiligen Parlamente . Diese muss verstärkt werden .
Es kann nicht sein, dass Aufsichtsbehörden ein Eigenleben entwickeln . Wir allerdings haben insgesamt nicht
den Eindruck, dass man die Finanzaufsichtsbehörden
bremsen muss, wie das in Ihrem Antrag mitschwingt .
Ich bin froh, wenn eine Finanzaufsichtsbehörde wirklich
versucht, den Finanzmarkt sauber aufzustellen . Da könnte sich vielleicht die BaFin in Deutschland an der einen
oder anderen Stelle eher noch eine Scheibe abschneiden .
Ihre Forderung, dass auch die Mitarbeit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in den Gremien
der ESAs transparenter wird und somit für den Deutschen Bundestag besser nachvollziehbar, richtet sich an
die von Ihnen getragene Bundesregierung . Die Frage,
welche Informationen wir über das Handeln der BaFin
haben, entscheidet der Bundesfinanzminister. An dieser
Stelle haben Sie unsere ausdrückliche Zustimmung . Das
kritisiere ich schon seit Jahren . Vielleicht wissen Sie,
dass ich mit einigen Fraktionskollegen in dieser Frage
in Karlsruhe vorstellig geworden bin, weil das komplette
Abschirmen aller Informationen, die die BaFin betreffen,
vor den Kontrollmöglichkeiten des Parlaments unseres
Erachtens nicht gerechtfertigt ist und dazu führt, dass wir
die parlamentarische Kontrolle nicht umsetzen können .
({4})
Es gab ein Petitum des Bundesrechnungshofes, über
das Sie gesagt haben, das wollten Sie aufgreifen. Das finden wir richtig . An dieser Stelle gibt es eine Lücke, dass
ein Teil des Aufsichtshandelns weder vom Bundesrechnungshof, also der deutschen Institution, noch vom Europäischen Rechnungshof, also der europäischen Institution, geprüft werden kann . Diese Lücke muss geschlossen
werden . Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen .
Wenn ich einen Strich unter Ihren Antrag ziehe, kann
ich feststellen: einige richtige Punkte und einige Punkte,
die zu kurz greifen . Wir sehen nicht, dass dieser Antrag
die Debatte entscheidend verändern wird . Wir werden
uns bei der Abstimmung über diesen Antrag enthalten .
Ich glaube, wenn wir etwas in Europa bewirken wollen, dann ist es wichtig, dass man gemeinsam eine klare
Forderung aufstellt, die wir in Richtung Straßburg und
Brüssel gemeinsam vertreten . Vielleicht gelingt es beim
nächsten Mal, dass wir vorab im Finanzausschuss nicht
nur eine Selbstbefassung haben, sondern uns wirklich
zusammensetzen und schauen, was wir gemeinsam erreichen wollen .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Klaus-Peter Flosbach von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit den Jahren 2007 und 2008 haben wir uns
auch im Deutschen Bundestag mit gewaltigen Herausforderungen beschäftigen müssen . Wir hatten erst die
Finanzkrise, dann die Wirtschaftskrise und anschließend
die Staatsschuldenkrise, die von vielen als Euro-Krise
bezeichnet wurde .
({0})
Wenn wir heute die Wirtschaft in Deutschland sehen die niedrigste Arbeitslosenquote, den höchsten Beschäftigungsgrad, steigende Löhne und eine Finanzwirtschaft,
die wieder funktioniert -, dann können wir sagen: Mit
all den Maßnahmen, die wir in den letzten sechs, sieben
Jahren umgesetzt haben, haben wir in Deutschland auch
ein Stück Stabilität geschaffen . Insofern ist das auch ein
Stück Erfolg der deutschen Politik .
({1})
Wir haben, wie Sie alle wissen, 40 Gesetzespakete
teilweise von der europäischen Ebene und teilweise als
Vorreiter im deutschen Parlament umgesetzt, und wir
haben von den Grünen und von den Linken viel Kritik
bekommen, dass das alles nicht ausreicht, obwohl wir bei
all diesen Maßnahmen in Europa meistens die Ersten waren . Die wirtschaftliche Betrachtung Deutschlands heute
zeigt, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind .
Es ging nicht nur um mehr Eigenkapital, außerbörsliche Derivate, die Regulierung von Ratingagenturen und
ähnliche Fragen, sondern es ging um Themen, die die
gesamte Wirtschaft betreffen . Wenn wir Themen diskutieren, die die Regulierung des Finanzmarkts betreffen,
dann ist es nicht nur wichtig, dass wir gute Gesetze machen, die auch umgesetzt werden, sondern diese Gesetze
müssen auch kontrolliert werden .
({2})
Dazu brauchen wir eine exzellente, herausragende Aufsicht in Deutschland und vor allen Dingen auch in Europa .
Meine Damen und Herren, in den Krisenjahren haben
wir erlebt, dass die Produkte, die Märkte und die Teilnehmer zum großen Teil international aufgestellt waren,
die Kontrolle bzw . die Aufsicht aber national . Darin lag
eine sehr große Problematik. Denn der nationale Einfluss
auf die Firmen war nicht so groß, wie er hätte sein müssen . Deshalb wurden viele Dinge auch nach der Phase
der Deregulierung einfach nicht gesehen . Ich erinnere
mich wie viele Kollegen in diesem Raum noch an das
Jahr 2007, als das Thema IKB im Finanzausschuss des
Deutschen Bundestages behandelt wurde und die Crème
de la Crème der deutschen Finanzpolitik bis hin zur Aufsicht uns nicht erläutern konnte, in welcher problematischen Situation wir uns befinden.
Eine der ersten Maßnahmen war, auf europäischer
Ebene Aufsichtsgremien zu schaffen . Damals wurden
drei Aufsichtsbehörden geschaffen, und zwar die EBA,
die Europäische Bankaufsichtsbehörde, dazu die EIOPA
für die Versicherungen und die ESMA für die Wertpapiere . Sie sollen vor allen Dingen die Aufsicht besser verzahnen und wirksame Regulierungen nach gemeinsamen
Regeln finden. Das war bis dato nicht der Fall.
Der Ausschuss für Systemrisiken ist noch hinzugekommen . Man muss den Finanzmarkt nicht nur national
in das Unternehmen hinein betrachten, sondern auch von
außen, „makroprudenziell“, wie es heißt . Mit diesen verschiedenen Säulen - dazu kommt die nationale Aufsicht,
die unmittelbar in die Firmen hineinragt, in Deutschland
die BaFin und die Bundesbank -, haben wir ein neues
Modell auf europäischer Ebene kreiert .
Diese europäischen Aufsichtsbehörden müssen aber
jetzt Maßnahmen für inzwischen 28 europäische Länder treffen . In der Tat haben wir - das haben auch einige Kollegen angesprochen - völlig unterschiedliche
Strukturen im Bankenbereich . Wir in Deutschland haben
das sogenannte Drei-Säulen-System . Dazu gehören die
Volksbanken und Raiffeisenbanken, die öffentlich-rechtlichen Banken - das sind die Landesbanken und vor allen Dingen die über 400 Sparkassen - und der gesamte
private Bereich . Das sind völlig unterschiedliche Säulen,
die auch völlig unterschiedliche Anforderungen an die
Regulierung in ihrem Bereich haben .
In diesem Zusammenhang gibt es die größte Kritik an
den europäischen Aufsichtsbehörden, nämlich dass sie
gegen zwei Prinzipien verstoßen, die vom Gesetzgeber
vorgegeben worden sind . Das eine ist das Subsidiaritätsprinzip, das heißt, man muss auf europäischer Ebene
nicht das regeln, was man auf nationaler Ebene regeln
kann . Das andere ist: Man muss beim Handeln die Proportionalität beachten, das heißt, kleine Banken müssen
klein reguliert werden und große müssen groß reguliert
werden . In dieser Frage unterstütze ich die Kritik an den
europäischen Aufsichtsbehörden .
({3})
Dieser Konflikt führt dazu, dass wir auch zurzeit
deutliche Defizite in der europäischen Aufsicht haben.
Die Kommission hat in einem Bericht dargelegt, dass es
einen bemerkenswerten Erfolg in der Aufbauarbeit gibt .
Aber sie hat auch Defizite und Fehlentwicklungen aufgezeigt und deutlich gemacht, dass wir die jetzigen Aufgaben der europäischen Aufsichtsbehörden überdenken
müssen . Wir selbst werden selbstverständlich dieses Thema noch erweitern müssen, allein schon aus dem Grund,
dass wir am Ende 2014 die Umsetzung der Europäischen
Bankenunion beschlossen haben .
Europäische Bankenunion bedeutet, dass die 120 großen Finanzunternehmen bzw . die drei größten Finanzunternehmen im jeweiligen Land von der Europäischen
Zentralbank kontrolliert werden . Die anderen, die kleinen und regionalen Banken werden im Wesentlichen von
den nationalen Behörden kontrolliert . Allein aus diesem
Grund muss überdacht werden, welche Rolle eine europäische Aufsichtsbehörde mit ihren Vorgaben für Banken, Versicherungen und Wertpapiere spielen soll . Für
uns ist dabei immer wichtig gewesen, dass die Regeln
so getroffen werden, dass wir einen stabilen Finanzmarkt
haben und dass nicht der Steuerzahler für Fehler der Banken herangezogen wird . Das ist unser zentraler Punkt .
Das wollen wir in diesem Bereich auch so umsetzen .
({4})
Wo es viele Beteiligte in der Aufsicht gibt - Europäische Zentralbank, die drei verschiedenen europäischen
Aufsichtsbehörden, die deutschen Behörden und die sogenannten Systemausschüsse -, gibt es auch mehrfache
Zuständigkeiten . Die Kritik lautet daher, dass die europäischen Aufsichtsbehörden inzwischen den Rahmen, den
ihnen der Gesetzgeber vorgegeben hat, deutlich überschritten haben, dass die Standards und Leitlinien weit
über die sogenannten regulatorischen politischen Vorgaben hinausgehen . Da müssen wir selbstverständlich aufpassen, gerade wenn es um Subsidiarität und Proportionalität geht . Bei der Subsidiarität geht es vor allem um
die enorme Regulierungsdichte, die unmittelbar in die
nationale Aufsicht hineinragt . Bei der Proportionalität
geht es darum, dass die kleinen Unternehmen nicht in geringerem Maße kontrolliert werden, sondern vielfach die
gleichen Anforderungen wie die Großunternehmen erfüllen müssen . Das kann nicht der Sinn einer europäischen
Vorgabe und Regulierung sein .
({5})
Es gibt zu viele Daten . Vieles wird nicht in deutscher
Sprache vorgegeben . Zudem gibt es zu viele Normsetzungen .
Wenn ich mir die aktuelle Diskussion mit der Europäischen Zentralbank über die Forderung nach AnaCredit vor Augen führe, wonach jeder Kredit über 25 000
Euro mit 100 Informationen belegt werden muss, dann
frage ich mich natürlich, was eigentlich die Aufgabe der
Europäischen Zentralbank ist . Ist es ihre Aufgabe, die
Großen zu kontrollieren, damit es nicht zu einer erneuten
Finanzkrise kommt, oder ist es ihre Aufgabe, die Kleinen
mit Daten zu belasten, was hohe Kosten verursacht und
nichts zur Finanzstabilität beiträgt?
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen gute
Aufseher nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa . Sie sind für uns als Parlamentarier mit die wichtigsten Ansprechpartner . Kollegen haben bereits darauf
hingewiesen, dass die Zukunft der Europäischen Zentralbank nicht in der Aufsicht, sondern in der Geldpolitik
liegen sollte und dass wir zu einer Trennung von Aufsicht
und Geldpolitik kommen müssen . Für uns als Abgeordnete ist wichtig, mit den Aufsehern intensiv zusammenzuarbeiten; denn unsere Aufgabe ist, weitere Krisen zu
verhindern und immer dafür zu sorgen, dass der Steuerzahler für Krisen anderer nicht herangezogen wird .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Christian Petry von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Beiträge von Gerhard Schick und Axel
Troost waren bemerkenswert . Besonders bemerkenswert
war für mich, dass sich beide ratlos gaben . Sie wären ratlos .
({0})
Wenn allerdings Ratlosigkeit zu Enthaltung führt, dann
müsste man einmal darüber nachdenken, ob man das
nicht zum System macht .
({1})
Da für die Opposition die Enthaltung eine der höchsten
Formen der Zustimmung ist, fühlen wir uns dadurch geehrt .
({2})
- Herr Gerhard Schick, wie ich sehe, sitzen Sie nun in
den Reihen der Linksfraktion . Das habe ich erst jetzt bemerkt .
Manfred Zöllmer hat an dem vorliegenden Antrag
wesentlich mitgearbeitet und verhandelt . Wir haben
zuerst gedacht, dass es Ihnen nicht auffällt, dass es das
Verdienst dieses Kollegen war . Manfred Zöllmer hat in
Verhandlungen dafür gesorgt, dass hier einiges hineinkommt . Das ist dann aber Gerhard Schick aufgefallen,
und er hat es genannt . Ich glaube jedenfalls, dass wir in
der Überschrift unseres Antrags „Europäisches System
der Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“ ein gutes
Ziel formuliert haben . Das ist ein klares Bekenntnis zum
europäischen System der Finanzaufsicht . Es ist zudem
ein klares Bekenntnis, dass wir Effizienz in der Weiterentwicklung wollen .
Es ist hier genannt worden, dass die Gründung der Finanzaufsicht ja einen gewissen Hintergrund hatte: eine
Krise . Herr Kollege Flosbach hat hier ausführlich und
auch sehr nachvollziehbar dargelegt, wie die EBA, die
EIOPA und die ESMA für Banken, Versicherungen und
Wertpapiere gegründet wurden . Es gab klare Koordinierungs- und Regelungsaufgaben in diesem Bereich . Die
Aufsichtskompetenz musste auch dort liegen, damit man
der Krise entgegentreten kann . Wir wollten und wollen
ja in vielen Dingen, die wir hier geregelt haben, mehr
Transparenz, mehr Schutz, mehr Aufsicht und auch mehr
Sanktionsmöglichkeiten, wenn etwas schiefläuft.
({3})
Diese Dinge sind letztlich auch in diesem Antrag implementiert, Herr Kollege Trost .
({4})
Im Übrigen: Es wurde eben gesagt, es würden sich gewisse Punkte an die Bundesregierung richten . Der ganze
Antrag richtet sich an die Bundesregierung . Darin steht:
„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung
auf“, all die Punkte zu tun . Es ist doch eine vorzügliche
Aufgabe des Parlaments, hier die Dinge zu formulieren,
die es für weiterentwicklungsbedürftig hält .
Der Kommissionsbericht zur Arbeit der ESAs fällt positiv aus . Wir teilen diese Einschätzung . Man sollte hier
auch nicht den Eindruck erwecken, das wäre negativ . Insgesamt gesehen sind wir froh, dass diese Aufsichts- und
Kontrollgremien ihre Arbeit tun .
Bei allem Positiven muss man die Level-3-Regelungen, die genannt worden sind, im Auge haben . Wenn sie
für eine große Bank gemacht sind, aber auf eine kleine
Bank letztlich auch Anwendung finden sollen, dann sollten die kompetenten Ansprechpartner von uns auf unsere
Auffassung hingewiesen werden . Die Proportionalität
und die Subsidiarität müssen erhalten bleiben . Das heißt,
beides muss sich in den Regelungen wiederfinden. Es
kann keine starre Regelung, Vereinheitlichung aller entsprechenden Aufsichtskriterien geben, sondern es muss
an die entsprechende Situation vor Ort angepasst sein .
Aber es muss auch klar sein: Es muss Transparenz herrschen, es muss Sicherheit herrschen, und eine Lockerung
oder eine Änderung der Vorgehensweise darf nicht zu
neuen Risiken führen . Dies müssen wir hier - wie auch
im Antrag gefordert - entsprechend umsetzen .
({5})
Die Arbeit der ESAs hat also schon deutliche Fortschritte gebracht . Auch die nationalen Aufsichtsbehörden
sind nach diesem Prozess wesentlich effektiver, und die
Risiken sind minimiert .
Ich möchte am Schluss noch auf einen Punkt eingehen, der mir besonders wichtig ist . Also nicht unbedingt,
dass jetzt alles auch in deutscher Sprache vorliegen muss .
Das ist ein netter Wunsch, aber das ist nicht unbedingt
mein zentraler Punkt . Ich bin der Auffassung, dass wir
perspektivisch die Trennung von Bankenaufsicht und
Geldpolitik bei der EZB als Schwerpunkt im Auge behalten sollten . Die kleine chinesische Mauer, wie sie Axel
Troost genannt hat, ist letztlich also aufgebaut und ist als
große chinesische Mauer entstanden, aus der Not geboren, weil man in dieser Situation die Aufsicht über systemrelevante Banken in der Euro-Zone verorten musste .
Die Gründung des SSM zeigt, dass Europa die Weltmarktkrise meistern will und daraus die richtigen Lehren
gezogen hat . Ihn - in Ermangelung von Alternativen zum damaligen Zeitpunkt bei der EZB zu verorten, darf
natürlich nicht dazu führen, dass wir sagen, dies soll auf
Ewigkeit so bleiben . Wir müssen darauf hinarbeiten, dass
es hier wiederum eine Trennung der beiden Funktionen
gibt .
({6})
Perspektivisch müssen Bankenaufsicht- und Geldpolitik
voneinander getrennt werden . Denn wenn bei steigenden
Inflationsraten eigentlich eine Leitzinserhöhung notwendig wäre, dies aber gleichzeitig angeschlagene Banken
gefährdet, dann sind das natürlich zwei Dinge, die miteinander nicht vereinbar sind und die man betrachten muss .
Ein zweiter Punkt: Die demokratische Legitimation
des SSM ist zurzeit natürlich nicht in ausreichendem
Maße gegeben . Auch hier sind wir als nationales Parlament mit im Boot . Ich denke, das ist ein legitimes Ansinnen, das wir nicht aus den Augen verlieren sollten . Auch
dem trägt dieser Antrag Rechnung .
Alles in allem bin ich überzeugt, dass wir mit diesem
Antrag eine gut formulierte Handlungsoption als Auftrag
für die Bundesregierung haben . Die Aufforderung geht
an die Bundesregierung, hier diese Schritte in die Wege
zu leiten . Ich glaube, das ist von denjenigen, die es ausgearbeitet haben, gut gemacht . Herzlichen Dank dafür . Es
findet sich sehr viel wieder; und wird es in dieser Form
umgesetzt, glaube ich, wird das große Ziel mehr Transparenz, mehr Effektivität, mehr Sicherheit im Finanzwesen
auch erreicht werden . Lassen Sie uns in diesem Sinne zusammenarbeiten!
Glück auf!
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Debatte .
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa-
che 18/7539 mit dem Titel „Europäisches System der
Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“. Wer stimmt
für den Antrag? - Das ist die Koalition . Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag mit
den Stimmen der Koalition ohne Gegenstimmen und bei
Enthaltung der Opposition angenommen worden .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz ({0}) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von
den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers,
Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Einführung des Rechts
auf Eheschließung für Personen gleichen Ge-
schlechts
Drucksachen 18/8, 18/7375
b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz ({1}) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem
von den Abgeordneten Volker Beck ({2}), Ulle
Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare
Drucksachen 18/5098, 18/7257
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Debatte und bitte die Kolleginnen und
Kollegen, zügig die Plätze einzunehmen und die Gespräche einzustellen . Jetzt hat nur noch der Redner das Wort,
und das ist Harald Petzold von der Fraktion Die Linke .
({3})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucherinnen
und Besucher auf den Besuchertribünen! Seit 850 Tagen
liegt der Gesetzentwurf zur Einführung des Rechts auf
Eheschließung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, den meine Fraktion eingebracht hat, dem Deutschen
Bundestag zur Beratung vor . Seit 850 Tagen ist diesem
Parlament und vor allen Dingen der Großen Koalition
nichts dazu eingefallen, wie sie sich zu diesem Gesetz
positionieren wollen, und das, obwohl die SPD im Bundestagswahlkampf „100 Prozent Gleichstellung nur mit
uns“ versprochen hat, und das, obwohl sie einen Koalitionsvertrag geschlossen hat, in dem es heißt:
Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende
Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Menschen auf Grund
ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen
Bereichen beendet werden . Rechtliche Regelungen,
die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften
schlechter stellen, werden wir beseitigen .
850 Tage gleichstellungspolitischer Stillstand und
keine Gleichstellung zu 100 Prozent, 850 Tage gleichstellungspolitischer Tiefschlaf sogar; denn die wenigen
Trippelschritte, die Sie gegangen sind, sind Sie nur deswegen gegangen, weil das Bundesverfassungsgericht Sie
per Urteil dazu gezwungen hat, die Sukzessivadoption
einzuführen . Wer sich die Wirkung dieses Gesetzes genauer anschaut, wird berechtigterweise die Frage stellen:
Welches Argument gibt es eigentlich noch, um die volle
Adoption zu verweigern? Mit dem Recht auf Sukzessivadoption kann man es praktisch erreichen, dass zwei Lebenspartner ein Kind gemeinsam adoptieren können .
Deswegen sage ich: Ihr Verhalten ist Betrug an Wählerinnen und Wählern, vor allen Dingen ist das Verhalten
der SPD Betrug an ihren Wählerinnen und Wählern . Sie,
verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, sollten
sich schon einmal die Frage stellen, warum es immer wieder Ihre Vertreter im Rechtsausschuss sind, die, wenn wir
den Gesetzentwurf auf die Tagesordnung setzen wollen,
beantragen, dass er nicht behandelt wird . Sie sollten aufpassen, dass nicht die Union Ihnen im Wahlkampf 2017
das Argument entgegenhalten kann: Es waren immer die
Kolleginnen und Kollegen der SPD, die verhindert haben, dass das Gesetz behandelt werden kann . - Damit
sind Sie dann die Letzten, die hier im Parlament Nein
sagen, obwohl wir eigentlich eine rechnerische Mehrheit
für das Gesetz haben .
({0})
Sie haben nicht einmal bemerkt, dass wir inzwischen
das 15-jährige Jubiläum des Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft haben,
({1})
eines Gesetzes, das seinerzeit tatsächlich einen historischen Wendepunkt dargestellt hat und mit dem Deutschland wirklich an der Spitze all derjenigen gewesen ist,
die sich darum bemüht haben, dass Lesben und Schwule,
Bisexuelle und Transsexuelle endlich in der Gesellschaft
gleichbehandelt werden .
Es gab vor einigen Tagen eine interessante Veranstaltung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, auf der die
ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, CDU,
einen sehr interessanten Satz gesagt hat . Wenn Sie mir
schon nicht glauben, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Union, dann glauben Sie doch wenigstens Frau
Süssmuth, die gesagt hat: Es ist notwendig, dass wir angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen neue Ideen entwickeln, ein neues Denken an den Tag legen, um
Blockaden aufzulösen .
Ich sage Ihnen: Die Freigabe der Abstimmung über
die Möglichkeit der Eheschließung gleichgeschlechtlicher Lebenspartner wäre Ausdruck eines solchen Denkens . Sie von der Union können Ihrem Fraktionsvorsitzenden ausrichten, er könne ganz beruhigt bleiben;
niemand wolle ihn zwingen, mit Ja zu stimmen . Aber ich
will, dass wir ein neues Denken an den Tag legen, diese
Abstimmung freigeben, sodass endlich all die, die mit Ja
stimmen wollen - auch die in der Union -, mit Ja stimmen können . Dann können wir die hier im Deutschen
Bundestag vorhandene rechnerische Mehrheit endlich
nutzen .
({2})
Ich kann Ihnen versichern - die Geschäftsordnung gibt
es ja her -: Sie werden von uns als Opposition weiterhin
mit diesem Thema beschäftigt werden . Die Zehnwochenfrist für die nächste Berichterstattung zum Umgang mit
diesem Gesetz hat mit der gestrigen Ausschusssitzung
angefangen . Sie können sich sicher sein: Spätestens vor
der Sommerpause, also zum Jahrestag des Inkrafttretens
des Gesetzes über die Eingetragene Lebenspartnerschaft,
werden Sie die nächste Debatte dazu bekommen . Ich bin
gespannt, ob die Große Koalition bis dahin eine Idee entwickelt hat, wie sie mit diesem Gesetzentwurf umgehen
will .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
({3})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Stefan
Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wieder einmal führen wir
hier im Haus eine Debatte zum Thema Öffnung der Ehe .
Dabei ist die Rollenverteilung klar: Die Opposition will
uns bei einem Thema vorführen, das unbestritten schon
lange wichtig ist, bei dem sie aber genau weiß, dass die
Regierung noch nicht so weit ist .
({0})
Ohne die Regierung und ohne die sie tragenden Parteien, Herr Kollege Kahrs, geht es nun einmal nicht, selbst
wenn die Zustimmung zur Öffnung der Ehe in der Bevölkerung nach allen Umfragen stetig zunimmt und mittlerweile wohl sogar bei mehr als zwei Dritteln liegt . Was
bleibt der Opposition also? Sie muss überzeugen, und
zwar durch Sachlichkeit, und das ist ihr Ding nicht oder
jedenfalls nicht immer .
Ja, ich verstehe Ihre Ungeduld;
({1})
aber Sie müssen auch uns verstehen, liebe Kollegen . Wir
brauchen Zeit . Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich gleichermaßen die, die noch am tradierten, kirchlich geprägten Begriff der Ehe hängen, wie jene, die, mich eingeschlossen, aktiv für eine Öffnung dieser Position werben
und streiten - in der Partei und außerhalb der Partei .
Sie glauben gar nicht, was es, wenn es konkret wird,
noch für Widerstände gibt . Ich könnte Ihnen ein Lied davon singen, zum Beispiel davon, was mein Mann Rolf
und ich im Zuge unserer kirchlichen Segnungsfeier im
Mai letzten Jahres erlebt haben . Aber auch hier gilt: Wir
müssen in unserer gesamten Gesellschaft noch Überzeugungsarbeit leisten . Die meisten von Ihnen wissen: Ich
befinde mich seither in einem durchaus kritischen Dialog
mit den Kirchen und insbesondere auch mit meiner eigenen Kirche, der römisch-katholischen Kirche . Ich führe
diesen Dialog auch, weil mein Glaube mir wichtig und
nicht nur Fassade ist und weil ich nicht ohne Weiteres
hinnehmen will, dass die römisch-katholische Kirche
noch keinen wirklichen Weg des Umgangs mit gleichgeschlechtlich Liebenden gefunden hat .
Doch selbst in der katholischen Kirche, jedenfalls in
Deutschland, spüre ich eine wachsende Offenheit, vielleicht noch nicht beim Rütteln am Sakrament der Ehe,
aber im Umgang mit gleichgeschlechtlich Liebenden .
Da sind übrigens die vom Zentralkomitee der deutschen
Katholiken im Mai letzten Jahres in Würzburg beschlossenen Erklärungen ein ermutigendes Signal . Man sucht
nach Wegen, die Verbindung zweier Menschen gleichen
Geschlechts in einer Feier vor Gott segnen zu können .
Warum also tun wir uns als Gesetzgeber so schwer?
({2})
Warum verengen wir die Ehe weiterhin auf die Verbindung von Mann und Frau? Oder aber: Wem schadet es,
wenn wir die Ehe öffnen?
({3})
- Jetzt hören Sie doch erst einmal zu . - Ich darf dazu kurz
aus der Predigt von Pfarrer Pfützner bei unserer alt-katholischen Segnungsfeier im Mai letzten Jahres zitieren:
Unsere Gesellschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten . . . eine erstaunliche, aber auch notwendige
Entwicklung gemacht, und diese Entwicklung ist an
den Kirchen nicht spurlos vorübergegangen .
({4})
Heraushalten werden sie sich daraus schon deshalb
nicht können, weil in ihnen homosexuelle Menschen leben und weil diese Menschen, die sich in
unserer Gesellschaft Gott sei Dank nicht mehr verstecken möchten,
- auch in den Kirchen nicht Harald Petzold ({5})
gerade dort, wo die Liebe Thema eins ist und wo der
Glaube an einen Gott lebt, den wir als grenzenlos
erfahren, als grenzenlos auch in der Liebe .
Jesus hat uns gerade diese Seite gezeigt, und er ist so
nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Ablehnung gestoßen . Aber gerade das lässt aufhorchen:
Wer bestimmt denn, bis wo die Liebe gehen und
was als Liebe bezeichnet oder nicht bezeichnet werden darf? Und was macht die so sicher, die genau zu
wissen scheinen, wo die Grenze ist?
Das ist es, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es geht um Liebe, es geht um gelebte
Verantwortung, und es geht um Werte .
Es geht also nicht nur um ein Rechtsinstitut . Deshalb
sollten wir die Debatte auch nicht kleiner machen, als sie
ist . Nein, es geht um ein Symbol . Es geht um die Ehe als
Symbol für ein stabiles Band, das nach außen dokumentiert, dass zwei Menschen, die sich lieben, zusammengehören und füreinander Verantwortung übernehmen - ein
Leben lang -, die füreinander da sind, in guten wie in
schlechten Tagen . Das nennt man gemeinhin Ehe .
Und, ach ja: Auch im allgemeinen Sprachgebrauch
sind zwei Menschen gleichen Geschlechts verheiratet und nicht verpartnert . Übrigens wurde meinem Mann
Rolf und mir letztes Jahr von nahezu allen Gratulanten
zur Hochzeit gratuliert - und nicht zur Verpartnerung .
({6})
- Auch von der CDU . - Die Word-Spracherkennung
kennt das Wort „verpartnert“ im Übrigen nicht, bis heute
nicht, trotz 15 Jahre Lebenspartnerschaftsgesetz .
({7})
Wie ist nun die Rechtslage? Die zivilrechtliche Definition dessen, was Ehe ist, obliegt dem Gesetzgeber . Hierbei steht es ihm meines Erachtens frei, das zivilrechtliche Institut der Ehe abweichend vom naturrechtlich oder
kirchlich geprägten Begriff der Ehe zu regeln . Das gerne
ins Feld geführte Urteil des Verfassungsgerichts zum
Ehebegriff stammt aus einer anderen Zeit und könnte ohne auf das Argument des gewandelten Zeitgeistes abstellen zu müssen - eine Revision erfahren .
Klar ist aber auch, meine Damen und Herren: Die
Neufassung des Ehebegriffs fällt einer Partei, die, wie
das bei uns der Fall ist, das C im Namen trägt, schwerer
als einer Partei, die sich betont atheistisch gibt .
({8})
Und nun ist es ja auch nicht so, dass unser Staat schon
völlig säkularisiert wäre . Noch immer spielt der christliche Glaube für viele Menschen jedenfalls im Alltag eine
wichtige Rolle,
({9})
und damit spielen auch die Handlungsanleitungen der
christlichen Kirchen eine wichtige Rolle, lieber Herr
Kollege Beck . Das können die Vertreterinnen und Vertreter einer Volkspartei nicht per se ignorieren . Deshalb
sage ich nochmals: Geben Sie uns Zeit, die noch Zögernden mitzunehmen und zu überzeugen, und setzen Sie uns
nicht monatlich mit Schaufensteranträgen unter Druck,
wie Sie das tun, Herr Kollege Petzold .
({10})
Übrigens: Besinnen wir uns nicht gerade dieser Tage angesichts der Ereignisse in Köln und vielerlei Sorgen
um eine Erosion unseres Wertekanons - wieder stärker
unserer christlich-jüdischen Wurzeln? Ist es nicht bis in
Teile der Opposition hinein opportun, ein Bekenntnis der
hierher Flüchtenden zu unserer Rechts- und Werteordnung einzufordern und zu betonen, dass wir zur Verteidigung unserer Werte unseren eigenen Glauben wieder
stärker und selbstbewusster leben sollten?
({11})
Seien wir doch an dieser Stelle auch einfach mal froh
darüber und dankbar dafür, liebe Kollegin Künast, was
wir erreicht haben: Die Gleichstellung nämlich und die
Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen
({12})
wird gerade im Zusammenhang damit, was als Wertekanon in Deutschland zu akzeptieren ist, nicht mehr infrage
gestellt . Im Gegenteil: Es wird selbst von Kolleginnen
und Kollegen, die sich betont konservativ geben, ausdrücklich eingefordert .
({13})
Auch die Kanzlerin Angela Merkel hat auf unserem Parteitag am 14 . Dezember betont, dass Deutschland ein
Land sein solle „mit der Absage an jede Form von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung
homosexueller Menschen“ .
({14})
- Du bist doch gleich dran, Johannes .
Und dennoch - auch das soll heute gesagt sein - mache ich mir Sorgen, Sorgen auch um eine zunehmend
rechtspopulistische und rechtsextreme Tendenz in unserer Gesellschaft . Die Zahl derer, die meinen, sich endlich - wieder - trauen zu dürfen, ihre Meinung zu sagen
und nicht vor dem sogenannten Mainstream zurückweichen zu müssen, steigt . Unverhohlen werden wieder öffentlich diskriminierende und verhetzende Parolen skandiert und gepostet . Mit der Einleitung „Man wird ja wohl
noch sagen dürfen . . .“ werden herabwürdigende oder gar
hetzerische Äußerungen keinen Deut besser oder erträglicher . Da gilt es, weiterhin dagegenzuhalten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Öffnung der Ehe
für gleichgeschlechtliche Paare ist sehr vielen unter uns
ein gemeinsames Anliegen - und zwar über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Das finde ich zunächst einmal ermuDr. Stefan Kaufmann
tigend . Lassen Sie uns an diesen Gemeinsamkeiten weiter
arbeiten . Ich möchte mit Ihnen zusammen diejenigen, die
sich mitunter aus für sie schwerwiegenden Gründen in
der Frage noch schwertun, überzeugen und mitnehmen .
Am Ende sollte dann ein breiter Konsens stehen: hier im
Deutschen Bundestag, aber auch in unserer Gesellschaft .
Szenen, wie wir sie in europäischen Partnerstaaten gesehen haben, mit Demonstrationen gegen die „Ehe für
alle“ oder gar unseren Status quo hier - ich denke nur an
Italien -, wird hierzulande keiner von uns wollen .
Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist eine Errungenschaft . Ich weiß sie sehr zu schätzen . Nun gilt es aber,
die Gleichstellung zu vollenden und bestehende Stigmatisierungen zu beseitigen . Diese Stigmatisierung haben
wir ja schon im Kleinen, wenn man in Formularen als
Personenstand „verpartnert“ statt „verheiratet“ angeben
muss . Es ist eine persönliche Entscheidung jedes Einzelnen, ob er oder sie das angeben möchte, wie sie oder er
liebt . Auch deshalb ist es fair, gleicher Liebe den gleichen Rechtsrahmen zu geben .
Nun haben viele Kritiker einer Eheöffnung Sorge,
dass die Ehe als Institution entwertet wird . Aber ist nicht
genau das Gegenteil der Fall? Wird das Institut der Ehe
nicht vielmehr gestärkt? Freuen wir uns doch darüber,
dass diese klassische Institution Ehe und die mit ihr verbundenen Werte im Kontext der aktuellen Debatte geradezu eine Renaissance erleben . Entscheidend ist doch:
Es wird niemandem etwas genommen, es wird kein Kind
weniger geboren, es wird keine Ehe weniger geschlossen, und es gibt auch keinen Widerspruch zu Artikel 6
Grundgesetz; denn am besonderen Schutz der Ehe wird
nicht gerüttelt und will niemand rütteln . Und zur Frage
des Geschlechts der Ehepartner sagt das Grundgesetz
nichts .
({15})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich bin der festen Überzeugung, dass wir am
Ende dieser notwendigen Debatte
({16})
auch einen Großteil jener Bürgerinnen und Bürger mitgenommen haben, die jetzt noch Probleme haben mit der
Vorstellung, dass gleiche Liebe auch den gleichen Namen
verdient, und dass wir dann in einem großen Konsens
das nachvollziehen, was viele, auch katholisch geprägte
Staaten wie Spanien, Portugal, Irland oder Brasilien
({17})
in der Vergangenheit in Gesetze gegossen haben .
({18})
Ich bin jedenfalls voller Zuversicht, Herr Kollege Kahrs,
({19})
und in der Gewissheit dessen, was kommt, auch sehr aufgeräumt und gelassen .
Danke schön .
({20})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Renate Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kaufmann, ich will einmal bei Ihrem Wertekanon
ansetzen . Angesichts Ihrer Rede fragt man sich fast, was
Sie eigentlich in Ihrer Fraktion noch wollen, außer lange
zu diskutieren .
({0})
Sie haben über den Wertekanon geredet . Was Sie aber
nicht gemacht haben, ist, auch über den Wert zu reden,
den ein parlamentarisches Verfahren hat . Sie haben sich
in Ihrer ganzen Rede nicht zu der Tatsache geäußert, dass
wir hier nach zehn Sitzungswochen einen Zwischenbericht verlangen müssen und nicht zu einer Entscheidung
kommen . Sie haben von einem Konsens gesprochen und
davon, dass wir am Ende hier gemeinsam Arm in Arm
stehen . Aber wann soll das Ende dieses Diskurses eigentlich sein?
({1})
Dazu hätte ich gerne einmal einen Hinweis .
Ein Blick in die GO, weil wir jetzt einen Zwischenbericht haben: In § 54 GO heißt es, dass Ausschüsse den
Sinn und Zweck haben, die Verhandlungen des Bundestages vorzubereiten . Manche Leute sagen sogar, dass
dort die eigentliche Arbeit stattfindet. Wenn Sie sich
einmal anschauen, was die Aufgabe der Ausschüsse ist,
dann finden Sie in § 62 Absatz 1 folgende Formulierung:
Die Ausschüsse sind zu baldiger Erledigung der ihnen überwiesenen Aufgaben verpflichtet.
Das waren jetzt schon mehr als zehn Sitzungswochen .
Wir können ja nicht immer irgendwo in einer Erdumlaufbahn hinter einer internationalen Raumstation herfliegen
und sagen: Ist mir doch egal, wann wir jemals zur Landung kommen . - Zu baldiger Erledigung der Aufgaben:
Es ist ja offensichtlich so, dass maximal zehn Wochen
eine baldige Erledigung darstellen, sonst würden wir
jetzt nicht hier im Plenum diskutieren .
Man muss sich schon fragen, was eigentlich los ist .
Wenn ich so zwischen Ihnen, den Koalitionsfraktionen,
sitze, frage ich mich, wer eigentlich an dieser Verzögerung schuld ist . Ich hätte gerne, dass wir auch bei Themen und Tagesordnungspunkten, die die Oppositionsfraktionen beantragen, zu einer Erledigung kommen .
({2})
Wenn Sie, Herr Kaufmann, über den Wertekanon reden, den man zum Beispiel den vielen Flüchtlingen beibringen sollte, dann frage ich Sie: Wie wäre es denn mit
dem Wertekanon, dass bei uns Parlamentarismus funktioniert und auch Oppositionsfraktionen das Recht haben, Anträge einzubringen, eine erste Lesung zu haben,
Ausschussarbeit und eine zweite Lesung und Verabschiedung?
({3})
Sie können ja dann dagegen stimmen . Auch das
wird man doch wahrscheinlich im Integrationskurs den
Flüchtlingen mitteilen . Sie reden von Beratungsbedarf .
Im Gegensatz zum Kollegen Petzold komme ich nicht
auf 800 Tage, sondern, wenn ich einmal zähle - das Jahr
hat zumindest meistens 365 Tage; 1990 hat der Kollege Beck sozusagen den ersten Antrag eingebracht -, bei
mir macht das 9 490 Tage . So lange denkt die CDU/CSU
nach, kommt aber zu keinem Ergebnis .
({4})
Ich finde das unter parlamentarischen Gesichtspunkten
nicht in Ordnung und weiß auch nicht, welches Spiel
zwischen CDU und SPD da gespielt wird und wer jetzt
eigentlich blockiert . Ich habe das Gefühl, Sie wollen es
inhaltlich nicht, und Sie wollen die Abstimmung nicht,
damit Sie nicht zeigen müssen, was Koalition bedeutet .
Ich denke aber, dass Sie da eigentlich durch müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, das hier an
dieser Stelle einmal namentlich zu benennen .
Ich will Ihnen eines sagen: Wir haben hier vor kurzem eine fraktionsunabhängige Abstimmung zum Thema
„Sterbehilfe“ gehabt . Vielleicht hat es die SPD verschlafen, auch zum Thema „Ehe für alle“ eine solche fraktionsunabhängige Initiative zu verhandeln und in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen .
({5})
Das wäre eine Möglichkeit gewesen .
({6})
Zum Inhalt, meine Damen und Herren: Vor 15 Jahren
ist das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz unterzeichnet worden . Der Vater der eingetragenen Lebenspartnerschaft, Volker Beck, sitzt dort . Wir hätten schon damals
gerne mehr gemacht, aber der Bundesrat hat uns nicht
zu einer Mehrheit verholfen . Heute aber haben wir eine
gesellschaftliche Mehrheit, die so weit geht, dass 68 Prozent aller Deutschen sagen: Ja, ich bin für eine Gleichstellung auch bei der Ehe . Sogar fast genauso viele Mitglieder der katholischen Kirche sagen das . 67 Prozent
der Angehörigen protestantischer Kirchen - bei der Gesamtbevölkerung sind es 63 Prozent - sagen: In Regenbogenfamilien werden Kinder genauso gut erzogen wie
in den Heterofamilien, und sie können dort genauso gut
aufwachsen . Warum wollen Sie da eigentlich noch weitere 1 000 Tage nachdenken?
({7})
Seit 2005 hat sich eigentlich nichts Wesentliches mehr
verändert . Es gab hier und da kleine Rechtsbereinigungen .
Ich will Ihnen die eine Frage stellen: Warum soll
gleichgeschlechtlichen Paaren in Zukunft die Ehe weiter verwehrt werden? Warum tragen wir das wie eine
Monstranz - quasi als Symbol einer bewussten Diskriminierung - durch dieses Land? Schwarz-rot trägt mittlerweile die schwarz-rote Laterne in Europa . International - in den USA und in Irland - ist es anders . Selbst das
Bundesverfassungsgericht ist weiter als die Mehrheit im
Deutschen Bundestag . Bei der Sukzessivadoption hat es
uns - anders als es uns Herr Lange bei der Veranstaltung
neulich erzählte - mit einer Fristsetzung gezwungen, sie
endlich umzusetzen . Das Bundesverfassungsgericht hat
in vielen Entscheidungen immer wieder gesagt: Es gibt
keinen Grund für eine Ungleichbehandlung .
Deshalb rufe ich der ganzen CDU/CSU und auch der
SPD zu: Nehmen Sie sich ein Herz! Herr Kaufmann,
seien Sie nicht nur stolz auf das alte Partnerschaftsgesetz, sondern nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass man
am Ende sagen muss: Jetzt habe ich Mut, meine Stimme
zu erheben und entsprechend abzustimmen . Ich habe den
Mut, endlich die Ungleichbehandlung von Dingen, die
gleich sind, zu beenden . - Denn Liebe ist gleich Liebe .
Verantwortung ist gleich Verantwortung . Es gibt keine
Liebe zweiter Klasse .
Wenn wir den § 1353 BGB endlich öffnen und das
Wort „gleichgeschlechtlich“ hineinschreiben würden,
dann wäre weder Herrn Harbarth noch Herrn Kauder
noch sonst jemandem in dieser Republik, der verheiratet
ist, etwas genommen . Es ist genug Ehe für alle da . Wir
müssen es jetzt nur anpacken .
({8})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . KarlHeinz Brunner von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich wollte ich ja die gestern durch die Kanzlerin
vorgetragene Regierungserklärung heute zum Anlass
nehmen, ganz positiv über die Ehe für alle zu sprechen;
denn die Kanzlerin hatte gestern so schön klar und deutlich erklärt, Nichtdiskriminierung stehe bei den Verhandlungen um die Europäische Union nicht zur Disposition .
Da sagte ich mir: Gut so, Frau Merkel, es gibt keine Diskriminierung - nicht wegen Herkunft oder Nationalität,
des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Religion, keine
am Arbeitsplatz und - weshalb wir hier heute zusammengekommen sind - schon gar keine wegen sexueller
Orientierung .
Lieber Kollege Kaufmann, ich muss, sosehr ich Sie
persönlich schätze, nach diesen Ausführungen sagen:
Diese positive Stimmung des gestrigen Tages ist doch
etwas getrübt worden . Sie haben sich, wenn ich Ihre
Ausführungen richtig verstanden habe, auf die Lehre der
römisch-katholischen Kirche zurückgezogen . Wir haben,
soweit ich weiß, seit Bismarck doch eigentlich die Zivilehe, für die der Gesetzgeber bzw . das Hohe Haus und die
deutsche Bevölkerung zuständig sind .
({0})
Meine Kolleginnen und Kollegen, aber genau diese
Diskriminierung, die gestern als No-Go angesehen wurde, geschieht jeden Augenblick in unserem Land . Sie
geschieht aus vielen Reihen - insbesondere aus denen
der verehrten Freunde der Union - heraus . Die Union
lehnt eigentlich ohne Begründung - Sie haben wieder
keine richtige Begründung gebracht - die Ehe für alle
grundsätzlich ab, und sie nimmt uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in diesem Parlament in die
Mithaftung . Wir sollen für die Koalitionsräson herhalten,
nur weil die Union nicht in der Lage und bereit ist, eine
Entscheidung darüber zu treffen, wie man Ungleichbehandlungen in diesem Land endlich verhandlungs- und
koalitionsvertragstreu - Kollege Petzold hat es vorgelesen - beseitigen kann .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bisher
noch nicht oft genug über das Thema „Ehe für alle“ diskutiert. Ich finde es zwar dramatisch, dass wir uns in den
Ausschüssen wegen Vertagung seit nunmehr zehn Wochen mit den Anträgen beschäftigen müssen und hier
im Hohen Hause nicht zur Entscheidung kommen . Aber
ich bin der Auffassung: Das Thema kann nicht oft genug auf der Tagesordnung stehen, damit wir endlich das
Ergebnis erreichen, das wir in diesem Land erreichen
müssen, nämlich die Ehe für alle, ganz gleich, welchen
Geschlechts .
Liebe Kollegin Künast, bevor wir jetzt in diesem Bereich zu Verklärungen kommen, möchte ich eines festhalten - ich habe Ihnen heute sogar applaudiert und fand
gut, was Sie gesagt haben;
({1})
bis auf einen Punkt, zu dem ich ganz deutlich sage, dass
wir der Legendenbildung vorbeugen sollten -: Nicht der
Kollege Beck ist der Vater der Lebenspartnerschaft; es
war letztendlich das rot-grüne Kabinett unter Gerhard
Schröder,
({2})
das dafür gesorgt hat, dass es zum Gesetz werden konnte
und es in diesem Land nunmehr seit 15 Jahren die eingetragene Lebenspartnerschaft gibt .
({3})
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich finde es bedauerlich - das sage ich ganz deutlich -, dass Herr Kauder
heute nicht unter uns ist . Er war vorhin da, aber er ist
rechtzeitig gegangen . Denn ich hätte Herrn Kauder gesagt: So kann es nicht gehen . - Ich verspüre nichts von
dem Erfolg - davon hat er gestern gesprochen -, den die
Koalition haben will . Wenn man nämlich gesellschaftspolitische Fragen gegen die Mehrheit der Deutschen
fernab des Gewissens der einzelnen Abgeordneten behandeln will, dann entspricht das nicht dem Willen zum
Sieg . Ich meine, die Menschen haben es verdient, dass
der Politpoker, für den sie in Geiselhaft genommen werden, endlich beendet wird . Es ist notwendig, die Abstimmung hier im Deutschen Bundestag freizugeben . Ich
bitte nicht nur unseren Koalitionspartner, sondern ich
fordere ihn dazu auf . Ich akzeptiere es, wenn der eine
oder andere sagt: Nein, ich will die Ehe für alle nicht, ich
persönlich möchte eine andere Lebensweise in Deutschland haben . - Aber ich habe es ziemlich satt - das sage
ich ganz deutlich -, dass wir Abgeordnete, weil einige es
nicht wollen, darüber nicht unserem Gewissen unterworfen entscheiden können . Die Abstimmung muss freigegeben werden, damit die Aussage, Nichtdiskriminierung
stehe nicht zur Disposition, keine Phrase bleibt, sondern
endlich mit Leben erfüllt wird .
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir führen eine rechtliche Debatte, die sich aber
nur schwer von einer Wertediskussion trennen lässt . Daher vorweg: Es darf nach unserem Menschenbild für die
Beurteilung, Anerkennung und Würde eines Menschen
keine Rolle spielen, wen oder wie er liebt . Verbindungen
zwischen zwei Menschen, die auf Dauer angelegt und
durch Verantwortung füreinander geprägt sind, geben
dieser Gesellschaft Stabilität und Halt .
({0})
Sie haben die Unterstützung des Staates verdient .
({1})
Vor 15 Jahren hat der Deutsche Bundestag das Institut
der eingetragenen Lebenspartnerschaft geschaffen .
({2})
Das war ein wichtiger Schritt zur Anerkennung und
Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare .
({3})
Ich möchte nicht verhehlen, dass die volle rechtliche
Gleichstellung mit der Ehe, beispielsweise im Steuerrecht, nicht durch den Gesetzgeber, sondern erst durch
die Entscheidung des Verfassungsgerichts erreicht werden konnte .
({4})
Auch muss uns der Umstand bewegen, dass selbst unter Geltung dieses Grundgesetzes viele Männer aufgrund
des § 175 Strafgesetzbuch verurteilt worden sind . Das
war unter keinem Gesichtspunkt richtig .
({5})
Das muss dieser Staat deutlich zum Ausdruck bringen .
Die heutige Debatte dreht sich um die Frage der
Gleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Hinblick auf die rechtliche Situation . Festzuhalten ist: Eine Diskriminierung liegt nicht
bereits dann vor, wenn Einrichtungen, die gleich sind
oder gleiche Rechte besitzen, lediglich sprachlich unterschiedlich bezeichnet werden . Anknüpfungspunkt für
Diskriminierung ist zunächst eine unterschiedliche Behandlung in den Rechtsfolgen . Soweit die Rechtsfolgen
einer eingetragenen Lebenspartnerschaft im Hinblick auf
gewichtige Elemente der gegenseitigen Verantwortung
und des gemeinsamen Einstehens füreinander wie Unterhalt, Hinterbliebenenversorgung, Steuerrecht, Erbrecht
und Zeugnisverweigerungsrecht sich nicht von der Ehe
unterscheiden, liegt keine rechtliche Diskriminierung
vor . Es ist vielmehr festzuhalten: Dieser Bundestag hat
zuletzt durch die Änderung von 27 Gesetzen im Hinblick
auf den Gleichheitsgrundsatz Lebenspartnerschaften in
der rechtlichen Wirkung der Ehe gleichgestellt .
({6})
Ich möchte dennoch den Umstand nicht verschweigen,
({7})
dass die unterschiedlichen Bezeichnungen - hier Ehe,
dort Lebenspartnerschaft, hier verheiratet, dort verpartnert - Diskussionen und ehrlich empfundene Wünsche
außerhalb der rechtlichen Sphäre nach einer einheitlichen Sprache auslösen . Bereits jetzt sind im allgemeinen
Sprachgebrauch und damit in der Lebenswirklichkeit die
Begriffe „verheiratet“ oder „Hochzeit“ längst Standard
geworden, und zwar unabhängig von der Frage, ob die
Partner verschieden- oder gleichgeschlechtlich sind .
Viele gleichgeschlechtliche Paare sind zu Recht stolz
auf ihre Lebenspartnerschaft . Ich kann aber sehr gut
nachempfinden, dass nicht wenige Lebenspartner sehr
ungern auf Formularen oder im allgemeinen Sprachgebrauch „verpartnert“ angeben wollen . Die Angabe des
Familienstands dient dazu, nach außen kundzutun, ob
und in welcher Verantwortungsgemeinschaft jemand
steht . Die Preisgabe der sexuellen Orientierung kann und
darf damit aber nicht gemeint sein, sie spielt für diesen
Informationszweck auch keine Rolle .
Ich verstehe den Umstand und den Wunsch, dass viele Lebenspartner ihrer gegenseitigen Verantwortung und
ihren gemeinsamen Werten einen besonderen Rahmen
geben wollen . Das führt uns zum eigentlichen Kern dieser Debatte, der folgende Frage zugrunde liegt: Kann der
Gesetzgeber durch einfachgesetzliche Änderungen im
bürgerlichen Recht die Ehe für Personen gleichen Geschlechts einführen, oder bedarf es dazu einer Grundgesetzänderung?
({8})
Dieser Frage müssen wir uns sehr sorgfältig widmen;
({9})
denn selbst gut- und wohlgemeinte Anliegen sollten uns
nicht dazu verleiten, bei verfassungsrechtlichen Fragen
die gebotene Sorgfalt und die richtige Einschätzung außer Acht zu lassen .
({10})
Artikel 6 Grundgesetz stellt Ehe und Familie unter den
besonderen Schutz des Staates .
({11})
Der Ehebegriff ist nicht definiert und deswegen zwingend
durch die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu erschließen . Ehe ist danach die auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss und Gleichberechtigung
beruhende, geschlossene Lebensgemeinschaft zwischen
Mann und Frau . Das Verfassungsgericht sieht bis heute letztes Urteil 2013 - die Ehe in ständiger Rechtsprechung
als Institut der Verbindung zwischen Mann und Frau an .
Auch der Gesetzgeber des Jahres 2001 hat daran nichts
geändert . Ob man diese verfassungsrechtliche Situation
für politisch richtig oder falsch hält, als gut oder schlecht
empfindet, das muss jeder für sich selbst entscheiden.
({12})
Es ändert nichts daran, dass der Bundestag beim weiteren
Vorgehen diese Lage zwingend zu berücksichtigen hat .
({13})
Auch die jüngeren Urteile können an dieser Situation
nichts ändern . Die verfassungsrechtliche Begründung für
die im Ergebnis richtige Gleichstellung war nicht die Berufung auf Ehe und Familie,
({14})
sondern der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, der
zu Recht gerügt worden ist .
({15})
Kein Mensch in einer Ehe hat weniger Rechte, weil Menschen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft die
gleichen Rechte besitzen .
Ich fasse zusammen: Eine Öffnung des Instituts der
Ehe für gleichgeschlechtliche Paare unterliegt der Wertentscheidung des verfassungsgebenden Gesetzgebers .
({16})
Daher reicht eine einfachgesetzliche Änderung im BGB
nicht aus .
({17})
Das müssen wir im Rahmen der Beratungen im Rechtsausschuss beachten .
({18})
Wer das Institut der Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare öffnen möchte, muss das Grundgesetz ändern .
({19})
Deswegen, meine Damen und Herren und auch Herr
Kollege Brunner, sollten wir hier nicht von „Geiselhaft“
oder „Politikpoker“ sprechen, sondern von Debattenbeiträgen, die sich an unserer Verfassung orientieren . Das
wäre die richtige Tonlage gewesen .
({20})
Wir werden über diese Fragen sprechen müssen . Das
benötigt Zeit und kluge Beratungen .
({21})
Ich will nicht verschweigen, dass es dazu in der Union
unterschiedliche Auffassungen gibt . Wir sollten aber
nicht den Fehler begehen,
({22})
dass jedem, der aus guten Gründen eine abweichende
Meinung vertritt, gleich ein Diskriminierungswille unterstellt wird .
({23})
Das wäre nicht fair und würde die Fronten verhärten .
Meine Damen und Herren, Ehe und Familie, auch und
gerade Familien mit Kindern, sind der Kernbereich der
sozialen Sphäre der Menschen . Debatten darüber dürfen
nicht verletzen oder ausgrenzen oder Gruppen gegeneinander ausspielen, sondern sie müssen die Menschen zusammenführen und einen .
({24})
Das ist unser Ansatz bei der Debatte .
Herzlichen Dank .
({25})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Johannes
Kahrs von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben jetzt zwei Rednern der Union lauschen dürfen, die hier nur herumgeeiert haben .
({0})
Im Kern ist die Sachlage doch klar: Rot-Grün hat das
Lebenspartnerschaftsgesetz vor 15 Jahren beschlossen .
({1})
Geschrieben hat es Margot von Renesse . Wir alle wollen
es . Die CDU ist im Bundesrat dagegen zu Felde gezogen .
Die CDU ist zum Bundesverfassungsgericht gezogen .
Am Ende hat die CDU/CSU-Fraktion nie freiwillig mitgestimmt . Wenn sie mitgestimmt hat, wurde sie genötigt .
({2})
Freiwillig war das alles nie .
({3})
Wenn überhaupt etwas stattgefunden hat, hat es stattgefunden, weil entweder Rot-Grün irgendetwas beschlossen hat oder weil tapfere Bürgerinnen und Bürger dieses
Landes vor das Verfassungsgericht gezogen sind und
Recht bekommen haben . Das waren die beiden Motoren
dieser ganzen Veranstaltung .
({4})
Weiterhin ist es so, dass es natürlich ganz wunderbar
ist, dass die Kollegen von der Union - ich muss es fast
ablesen - noch Zeit brauchen, um die Meinungsbildung
in der Union voranzutreiben, und Beratungsbedarf haben .
Ernsthaft: Ich bin seit 1998 im Deutschen Bundestag,
({5})
und seit 1998 denkt die Union nach . Wenn das das Tempo
ist, in dem Sie zu Ihrer Meinungsbildung kommen, wenn
das das Tempo ist, in dem Sie nachdenken, wundert mich
überhaupt nichts mehr in diesem Land .
({6})
Dass Sie sich nicht einigen können, erklärt dann nämlich,
warum wir in ganz vielen Punkten nicht vorwärtskommen . Ich will ja gar nicht auf den Streit in der Koalition in den letzten Wochen zu sprechen kommen . Es ist
ja nicht so, dass sich CDU, CSU und SPD streiten . Da
streiten sich CDU und CSU, dann streitet man sich in der
CDU wie die Kesselflicker. Dagegen sind wir ein Hort
der Stabilität .
({7})
Wenn man sich Ihre Leistung in dieser Frage anschaut,
dann kann man sie doch gar nicht anders als blamabel
finden.
Und jetzt: Familien mit Kindern, Leute, die anständig
verheiratet sind - das will niemand niemandem nehmen,
weil wir alle aus solchen Familien gekommen sind, weil
es auch vollkommen in Ordnung ist und niemand ein
Problem damit hat -, als Grund dafür anzuführen, dass
andere, die auch füreinander einstehen, nicht heiraten
können sollen, grenzt ans Absurde .
({8})
Mit Ihrem Herumgeschwurbel, das man sich ja hier
anschauen kann, liebe Kolleginnen und Kollegen, kommen Sie nicht weiter . Nachdem das schon 15 Jahre dauert
und Sie jetzt noch mehr Zeit brauchen, sage ich Ihnen
ganz einfach: Ich habe die Schnauze voll, und zwar bis
hier .
({9})
Ich habe diese Rede in unterschiedlichen Varianten zwei
oder drei Dutzend Male gehalten . Ich musste mir jedes
Mal von unterschiedlichsten Rednerinnen und Rednern
der Union anhören, warum Sie gerade nervlich dazu
nicht in der Lage sind,
({10})
warum Sie noch nachdenken müssen, warum Sie noch
einen Volkshochschulkurs brauchen, warum Sie noch ein
bisschen Nachhilfe in Rechtsfragen brauchen . Ich weiß
nicht, was Sie noch alles brauchen . Sie können von uns
gern verfassungsrechtliche Gutachten haben . Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist gern bereit, Ihnen dazu etwas zu
übersenden. Selbst das Porto würde ich noch selbst finanzieren . Im Ergebnis kann all das doch nicht angehen .
Ich finde, das muss in dieser Legislaturperiode beendet werden . Ich bin der Opposition, den Linken und den
Grünen, wirklich dankbar, dass sie das Thema immer
wieder aufs Tapet bringt .
({11})
Denn dann darf ich diese Rede immer wieder halten .
Im Kern ist es ja so, dass CDU und CSU - ich bin
Haushälter - immer gern von der schwarzen Null reden .
In diesem Punkt stimmt das mal .
({12})
Da sitzen nämlich jede Menge von der Sorte .
({13})
Es reicht . Ich habe einfach keine Lust mehr . Ich verspreche Ihnen eines: Wenn das Thema hier im Deutschen
Bundestag noch einmal aufkommt, dann werden wir in
der SPD-Fraktion darüber abstimmen, wie wir hier abstimmen .
({14})
Und ich sage Ihnen: In der SPD-Fraktion werden wir,
glaube ich, eine Mehrheit haben .
({15})
Entweder Sie raffen sich jetzt mal auf und kriegen es hin,
dass die Abstimmung geöffnet wird, oder Sie werden hier
im Deutschen Bundestag eine Abstimmungsniederlage
erleiden! Und die wäre auch verdient!
Vielen Dank .
({16})
Vielen Dank . - Als letzte Rednerin hat Petra Rode-Bosse von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Menschen - es geht um Menschen! Was verbinden sie
mit dem Begriff der Ehe? Die meisten denken sicher an
Menschen, die füreinander da sind, die füreinander sorgen, die sich wertschätzen, die füreinander Verantwortung tragen, die sich mit großer Zuneigung begegnen,
die sich lieben . Sicherlich könnte man noch vieles Weitere ausführen, doch diese wenigen Worte sind schon ein
wichtiger Beleg dafür, dass Ehe und Familie zu Recht
den besonderen Schutz unseres Grundgesetzes genießen .
Im Grundgesetz steht auch, dass alle Menschen gleich
sind und niemand benachteiligt werden darf . Das tun wir
aber, wenn wir gleichgeschlechtlichen Paaren immer
wieder sagen: Ihr seid nicht gleichberechtigt . Wir erkennen eure Liebe nicht als gleichwertig an . - Im Grundgesetz wird übrigens nicht näher aufgeführt, dass die Ehe
ausschließlich Paaren aus Frau und Mann vorbehalten
ist . Lassen Sie uns doch davon ausgehen, wie weitsichtig die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren, als
sie bewiesen haben, dass sie gesellschaftlichen Wandel
einschließen . Das Grundgesetz ist offen für die normative Kraft des Faktischen, oder, um es einfacher auszudrücken, das Grundgesetz ist offen für gesellschaftliche
Veränderungen .
Seien wir doch ehrlich: Die Gesellschaft hat sich verändert . Die Lebenswirklichkeit ist längst eine andere als
jene, die sich bei uns in zwei Gesetzen wiederfindet zwei Gesetze und damit zwei verschiedene Modelle: einmal die Ehe und einmal die eingetragene Lebenspartnerschaft. Das ist vollkommen überflüssig. Es erleidet doch
niemand einen Nachteil, wenn auch Männer Männer und
Frauen Frauen heiraten dürfen .
({0})
Die diffuse Angst vor der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist völlig unbegründet . Wir sollten uns endlich
trauen, mit der Gesellschaft Schritt zu halten . Die Politik
darf nicht länger der Realität hinterherhinken .
({1})
20 Staaten weltweit haben das bereits anerkannt . Auch
bei uns in Europa haben schon 12 Länder die Ehe für
gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht und sich dafür
geöffnet . Und, meine sehr verehrten Damen und Herren,
diese Länder werden nicht nur von Sozialdemokraten,
Grünen und Linken regiert . Die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare ist ein internationales Symbol für
Weltoffenheit, für Freiheit, für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung .
({2})
Häufig wird Deutschland - und das völlig zu Recht - als
Wegbereiter für genau diese Werte angesehen . Doch bei
der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare haben wir eindeutig Nachholbedarf .
Überholte Konventionen und überkommene Vorstellungen von Partnerschaft und Ehe dürfen nicht entscheidend sein . Der Mensch ist entscheidend . Der Mensch
muss im Mittelpunkt stehen .
Danke sehr .
({3})
Ganz herzlichen Dank und gleichzeitig auch Gratulation zu Ihrer ersten Rede, Frau Rode-Bosse .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache und rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts
Drucksache 18/7456
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
wir können die Aussprache beginnen .
Wenn Sie bitte zügig die Plätze einnehmen würden . Darf ich auch die Kollegen von der CDU/CSU bitten,
ihre Plätze einzunehmen,
({2})
und die von der SPD auch?
Als erste Rednerin in der Debatte hat die Staatsministerin Monika Grütters für die Bundesregierung das Wort .
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kolleginnen und Kollegen! Zu unserem Selbstverständnis als Kulturnation gehört zuerst einmal der
Konsens, dass Kunst, dass Kulturgut keine Ware wie jede
andere ist und auch keine Geldanlage wie jede andere;
denn Kulturgüter sind zunächst einmal Spiegel unserer
Geschichte und unserer Identität .
Der Regierungsentwurf zur Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes, den wir heute in den Bundestag
einbringen, ist Teil einer historischen Entwicklung, die
in manch hitziger Debatte der vergangenen Monate ein
wenig aus dem Blickfeld geraten ist . Die erste rechtliche Regelung des Kulturgutschutzes - ich glaube, dass
es ganz wichtig ist, diesen Kontext herzustellen -, eine,
wie es damals hieß, „Verordnung über die Ausfuhr von
Kunstwerken“ aus dem Jahr 1919, war der bitteren Erfahrung von Plünderungen ungeheuren Ausmaßes im Ersten
Weltkrieg in Deutschland und Europa sowie dann auch
des drohenden Ausverkaufs deutschen Kulturbesitzes geschuldet . Auf den Zweiten Weltkrieg, also auf wirklich
leidvolle Erfahrungen auch mit Raub- und Beutekunst
hier bei uns, wenn auch selbstverschuldet, folgte das
Kulturgutschutzgesetz von 1955, das national wertvolles
Kulturgut seitdem durch die Eintragung in Verzeichnisse
der Länder vor Abwanderung schützt und das wir heute,
also ziemlich genau 60 Jahre danach, novellieren wollen .
Zwischenzeitlich, nämlich mit der UNESCO-Konvention zum Kulturgutschutz aus dem Jahr 1970, ist
ebendieses Thema auch international auf die Tagesordnung gekommen . Ausgerechnet Deutschland hat die
UNESCO-Konvention aber erst mit 37-jähriger Verspätung ratifiziert. Die EU wiederum hat 1992 ihrerseits entsprechende Bestimmungen eingeführt . Auch da sind wir
als eines der letzten von 28 Ländern wieder einmal mit
deutlicher Verzögerung am Werk .
Trotz unserer eigenen - teilweise selbstverschuldeten - Erfahrung mit dem Verlust von Kulturgut und trotz
unserer auch historisch begründeten Verantwortung für
den Schutz des kulturellen Erbes - nicht nur unseres
eigenen, sondern auch des fremden - fristet der Kulturgutschutz bei uns, in der viel gerühmten Kulturnation
Deutschland, seit Jahrzehnten eher ein Schattendasein,
meine Damen und Herren . Deutschland hinkt der europäischen und der internationalen Entwicklung nach wie
vor hinterher .
Zwar haben sich viele Regelungen zum Kulturgutschutz bewährt, zum Beispiel dass wir zur Identifizierung dessen, was wir national wertvoll finden, Sachverständige befragen und dies nicht der Politik überlassen .
Andere Regelungen der jetzigen Gesetzeslage haben sich
aber nicht bewährt, zum Beispiel diejenigen zur Einfuhr
von Kulturgütern aus Kriegs- und Krisenregionen . Dabei
geht es etwa um den Handel mit antiken Kulturgütern .
Indem wir die Einfuhr unterbinden, wollen wir ja versuchen, tatsächlich auch organisierte Kriminalität zu verhindern . Diese Regelungen haben sich, wie gesagt, nicht
bewährt . Deshalb haben sich die Parteien, auch aufgrund
eines Evaluierungsberichts der Bundesregierung aus dem
Jahr 2013, im Koalitionsvertrag darauf verständigt, den
Kulturgutschutz in Deutschland zu novellieren . Das muss
im Rahmen eines Gesetzes geschehen, das einer Kulturnation würdig ist, und zwar, wie ich meine, in zweierlei
Hinsicht:
Erstens bei der Einfuhr . Deutschland muss endlich seinen Beitrag zur Eindämmung des illegalen Handels mit
Kulturgütern leisten . Hier geht es um nicht weniger als
um den Schutz des internationalen, des weltweiten kulturellen Erbes der Menschheit .
Zweitens bei der Ausfuhr, also beim Schutz unseres
eigenen kulturellen Erbes . In den wenigen Ausnahmefällen, in denen Kulturgüter als emblematisch für unsere
Geschichte und Identität gelten und anerkannt werden,
muss es auch bei uns möglich sein, diese wenigen Stücke
hier auch künftig vor Abwanderung ins Ausland und vor
Zerstörung zu schützen .
In diesen wenigen Fällen kann es natürlich zu Konflikten kommen: zwischen legitimen privaten Eigentümerinteressen, zum Beispiel dem Interesse nach möglichst
hohen Verkaufspreisen, und einem dem möglicherweise
entgegenstehenden öffentlichen Interesse an der Bewahrung des besonderen Werts eines Werks für Deutschland .
Hier müssen wir fair und angemessen verhandeln . Das
ist uns - auch diese Erinnerung möchte ich hier noch
einmal ganz deutlich formulieren - in den vergangenen
60 Jahren, seit wir das Gesetz haben, fast ausnahmslos
konfliktfrei gelungen. Es gab in den vergangenen Jahren
so gut wie keinen nennenswerten Streit über solche Fälle .
Deshalb glaube ich und bin sehr zuversichtlich, dass wir
das mit den Regelungen im vorliegenden Gesetzentwurf
auch künftig hinbekommen, zumal Museen und private
Eigentümer und Sammler in vielerlei Hinsicht deutlich
bessergestellt werden als nach der jetzigen Regelung .
Die Unterstützung für die Gesetzesnovelle ist denn
auch viel breiter, als manche schrille Stimme in der Debatte der letzten Wochen es vermuten lässt . Ich bedanke mich insbesondere beim Deutschen Kulturrat, beim
Deutschen Museumsbund, beim Internationalen Museumsrat, beim Bundesverband Bildender Künstlerinnern
und Künstler, beim Deutschen Künstlerbund, beim Bundesverband der Fördervereine Deutscher Museen für
bildende Kunst; darin vertreten sind sehr viele Sammler,
Leihgeber und Eigentümer sowie Vertreter von Sammlern . Zu den Unterstützern gehören auch die 18 Staaten, deren Botschafter sich bei mir ausdrücklich für den
jetzigen Gesetzentwurf bedankt haben - aus Süd- und
Mittelamerika sind sie gesammelt bei mir erschienen,
andere, aus dem Mittleren und Nahen Osten, kamen einzeln -, und nicht zuletzt auch die Kulturminister unserer
16 Bundesländer . Der Bundesrat hat die Zustimmung
dieser Kulturminister in seiner Stellungnahme im Dezember bekräftigt .
Kunst- und Kulturgüter, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben nicht nur einen Preis, sondern vor allen
Dingen einen Wert . Diese Überzeugung trägt den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des
Kulturgutschutzrechts . In diesem Sinne bitte ich Sie um
Ihre Zustimmung .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Sigrid
Hupach von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UNESCO-Konvention von 1970 gegen die rechtswidrige Einfuhr, Ausfuhr oder Übereignung von Kulturgut endlich in wirksames nationales Recht umzusetzen, ist längst überfällig .
Deshalb unterstützt meine Fraktion dieses Anliegen des
vorliegenden Gesetzentwurfes .
Das Kulturgüterrückgabegesetz von 2007 hat sich,
wie von der Linken bei seiner Einführung übrigens schon
befürchtet und wie von Bund und Ländern im Evaluationsbericht von 2013 einhellig festgestellt, als wirkungslos erwiesen . Die erdrückenden Bilder der barbarischen
Kulturzerstörungen in Mosul, Hatra, Nimrud und Palmyra machen mehr als deutlich, dass sich auch Deutschland
endlich darum kümmern muss, den illegalen Handel mit
Raubkunst und Artefakten aus archäologischen Raubgrabungen zu verhindern bzw . wenigstens zu erschweren .
({0})
Jedoch - das muss man auch sagen - sind es nicht
nur Terrormilizen, die sich dieser Finanzierungsquelle
bedienen . Viele Menschen treibt die blanke Not dazu .
Auch dagegen muss und dagegen kann man etwas tun:
mit humanitärer Hilfe, mit solidarischer Entwicklungszusammenarbeit und mit Programmen für Wissenstransfer, Ausbildung und Forschung .
({1})
Für Letzteres gibt es bereits gute Projektansätze des
Deutschen Archäologischen Instituts und des Museums
für Islamische Kunst mit Partnern vor Ort . Sie sollten in
der ganzen Diskussion um den Schutz des gemeinsamen
kulturellen Erbes nicht vergessen werden und ihre Finanzierung gesichert werden .
Ausdrücklich unterstützen wir das Vorhaben, die Bestände öffentlicher Museen und Sammlungen generell
unter Schutz zu stellen . Dafür hatte sich schon die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem
Schlussbericht aus dem Jahre 2007 ausgesprochen .
Als öffentliche Bildungseinrichtungen müssen die
Museen aber auch vor allem finanziell gestärkt werden:
mit mehr Fachpersonal, mit höheren bzw . überhaupt mit
Ankaufetats, mit mehr Mitteln für den Erhalt und die
Pflege ihrer Bestände, mit einer abgestimmten Strategie
für die Digitalisierung oder auch mit Optionen auf freien
Eintritt .
({2})
Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden,
sage ich es deutlich: Der Kunsthandel ist natürlich ein
wichtiges Moment für die Kunst- und Kulturentwicklung . Die öffentlich inszenierte Empörung über den
staatlichen Eingriff ins Eigentum oder das Reden vom
Ende des Kunsthandelsstandortes Deutschland sind aber
unangebracht . Sie verdeutlichen eher, dass der Gesetzentwurf offenbar an der richtigen Stelle ansetzt .
Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Gesetzentwurf
klar regelt, dass NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut bei der Restitution von allen Ausfuhrbeschränkungen ausgenommen ist .
({3})
Das ist deswegen enorm wichtig, da nicht nur wir hoffen,
dass die angekündigte verstärkte Provenienzforschung
und der seit langem versprochene Gesetzentwurf zur
erleichterten Rückgabe von NS-Raubkunst aus privaten
Sammlungen endlich zu mehr „fairen und gerechten Lösungen“ führen wird und es zukünftig mehr Rückgaben
an die Opfer von Kunstraub bzw . ihre Erben geben wird .
({4})
Es ist Zeit, dass nun endlich auch die parlamentarische
Debatte zu diesem wichtigen Gesetzesvorhaben beginnt:
mit einem eigenen Anhörungsverfahren, bei dem alle
berechtigten Interessen gehört werden sollten, vor allem
diejenigen, die bisher nicht ausreichend einbezogen wurden .
Bei einzelnen Fragen sehen wir noch Änderungs- und
Klärungsbedarf . So müssen manche Begriffe geschärft
werden . Und der Geltungsrahmen einzelner Regelungen
muss noch klarer gefasst werden . Dies gilt vornehmlich
für die naturwissenschaftlichen Museen und Sammlungen und die dazugehörige Forschung . Uns ist hierbei
wichtig, dass die Formulierungen klar und deutlich im
Gesetz selbst stehen und nicht in einzelnen Hintergrundpapieren, wie zum Beispiel in dem zur Paläontologie,
die nicht rechtsverbindlich sind . Insofern begrüßen wir
ausdrücklich, dass viele der ursprünglich geplanten Verordnungsermächtigungen aus dem Entwurf genommen
wurden .
Beim Kulturgutschutz geht es um das kulturelle Erbe
von uns allen, und da sollten wir Abgeordnete auch mitreden dürfen . Wichtig ist für uns daher auch, dass die
Sachverständigenausschüsse in den Ländern ihre Entscheidungen transparent machen und dass das Gesetz
nach fünf Jahren auf seine Wirksamkeit evaluiert wird .
Wir sollten uns außerdem nicht davor scheuen, öffentlich die Frage zu diskutieren: Was ist für uns, für unsere
Gesellschaft eigentlich wertvolles, identitätsstiftendes
Kulturgut? Dazu gehört auch, sich über die Verpflichtungen zu verständigen, die sich aus dieser Klassifizierung ergeben . Es geht dabei ja nicht nur um ein Etikett,
sondern um den Erhalt, die Pflege und die öffentliche
Zugänglichmachung . Diese Diskussion muss eigentlich
auch vor dem Hintergrund europäischer und globaler
Zusammenhänge geführt werden: hier im Bundestag und
vor allem mit den Bürgerinnen und Bürgern .
In diesem Sinne werden wir uns gern in die Debatte einbringen und vor allem darauf achten, dass wir am
Ende ein wirklich wirksames Gesetz zum Kulturgutschutz erhalten werden und kein entschärftes wie 2007 .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({5})
Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Siegmund
Ehrmann von der SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Zustandekommen des Gesetzentwurfes ist von einer erbitterten
Debatte begleitet gewesen: „Kalte Enteignung“, „Zerstörung des Kunstmarktes“, gar „Renationalisierung der
Kulturpolitik“ sind einige Begriffe, die mir noch in den
Ohren klingen . Auch gab es drängende Fragen, die Zweifel säen sollten: Welche Kulturgüter werden durch das
Gesetz vor welchen Gefahren geschützt? Welche kulturpolitischen Ziele werden damit verfolgt? Und werden sie
tatsächlich verwirklicht?
Der im Koalitionsvertrag verabredete Ansatz ist richtig . Nach der Evaluation, die Mängel aufgezeigt hat, ist
es gut, dass wir vereinbart haben, drei geltende Gesetze
in einem guten Gesetz zusammenzufassen: das bisherige
Kulturgutschutzgesetz, das Kulturgüterrückgabegesetz
und das Umsetzungsgesetz der Haager Konvention zum
Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.
Die Debatte selbst wiederum löst bei mir Bilder aus,
mit denen ich auch eine Begleitmusik verinnerlicht
habe . Ich erinnere an die Bilder von den Plünderungen
archäologischer Stätten im Nahen Osten, auf der Arabischen Halbinsel, aber auch an den illegalen Handel mit
Antiken . Damit verbunden sind oftmals die ins Leere
laufenden Aktivitäten der Strafverfolgungsbehörden . Ein
anderes Bild ist aber zum Beispiel die Entscheidung von
Herrn Baselitz, seine Werke aus Wut über das geplante
Gesetz aus Museen abzuziehen . All das schwingt mit .
Worum geht es im Kern? Ein Blick in die Geschichte:
Die Frage des Schutzes national wertvollen Kunstbesitzes in unserem Land stellte sich - Frau Staatsministerin
hat darauf hingewiesen - in einer neuen Qualität erstmals
unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beim
Übergang von der konstitutionellen Monarchie zu einer
parlamentarischen Demokratie . Der Weimarer Reichstag erkannte, dass die durch das Adelsrecht definierten
Bindungen des Besitzes entfallen und damit die Gefahr
besteht, dass Kunstwerke, Sammlungen und Bibliotheken veräußert würden, deren Verlust unersetzbar sein
würde . So ist im Mai 1920 tatsächlich eine Verordnung
beschlossen worden, nach der Gegenstände, die einen
geschichtlichen Wert haben, nur mit staatlicher Genehmigung veräußert, verpfändet, wesentlich verändert oder
ausgeführt werden dürfen .
Bereits Anfang der 20er-Jahre wurde die Inventarisierung hervorragender Kunstgegenstände vorgeschlagen,
deren Ausfuhr einer besonderen Genehmigung bedurfte .
Professor Dube, der im letzten Jahrhundert, von 1983 bis
1999, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin
war, hat das herausgearbeitet, und das beschreibt, wie ich
finde, sehr gut den eigentlichen Schutzzweck:
Damals wie heute ist unbestritten, daß Gesellschaften Anspruch auf ihr Patrimonium
- also ihr kulturelles Erbe geltend machen dürfen . Die Bewahrung historischer, geistesgeschichtlicher und künstlerisch wichtiger Güter ist deswegen unverzichtbar, weil sich
nur in ihnen die historische Erinnerung … anschaulich manifestieren lässt . …
Dem steht nicht entgegen
- so Dube die Überzeugung, daß die Kultur des ganzen Erdkreises allen Menschen zu eigen ist . … Staaten haben nicht allein deswegen Anspruch auf Güter der
materiellen Kultur, weil diese innerhalb eines bestimmten Territoriums entstanden sind .
Damit wird auch ein Spannungsverhältnis deutlich .
Diese Grundgedanken nahm der Deutsche Bundestag 1955 im Kulturgutschutzgesetz auf, modifizierte
manches Detail . Aber der Grundgedanke, der Anfang
der 20er-Jahre festgeschrieben wurde, ist aufgegriffen
worden . Er kam ins Wanken, als 1993 der europäische
Binnenmarkt eingeführt wurde und deshalb der Export
von Kunstgütern im innereuropäischen Markt nicht mehr
der Genehmigung unterlag . Die anderen europäischen
Staaten bis auf die Niederlande und Deutschland haben
darauf reagiert . Diese Schutzlücke schließen wir jetzt mit
dieser Gesetzesinitiative .
Ich will nicht verhehlen, dass es ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen den einzelstaatlichen Bemühungen, national wertvolles Kulturgut zu schützen, und
der Idee eines gemeinsamen Kulturerbes der Menschheit
gibt, das sorgfältig ausbalanciert werden will . Gleichwohl stelle ich ausdrücklich fest: Es geht nicht um einen
rückwärtsgewandten Kulturgutschutz . Der Vorwurf, der
Gesetzentwurf würde in einem Europa der kulturellen
Vielfalt „Kulturgut ohne Migrationshintergrund“ deklarieren, geht fehl . Im Gegenteil: Es geht um das originäre
Recht der Staaten, das kulturelle Erbe zu bewahren, zu
dem uns im Übrigen auch die UNESCO-Konvention zur
kulturellen Vielfalt verpflichtet.
Zum zweiten Themenkomplex, zum Kulturgutrückgaberecht und zum illegalen Kunsthandel: Nach Schätzungen der UNESCO und des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung liegen
die Umsätze des Antikenhandels jährlich bei geschätzten
6 Milliarden bis 8 Milliarden US-Dollar . Es handelt sich
um ein weites Feld organisierter Kriminalität und Terrorfinanzierung.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich will ausdrücklich klarstellen, dass es mir
fernliegt, ehrbare Antikenhändler zu diffamieren oder
zu stigmatisieren . Aber auch diesen muss daran gelegen
sein, mit Objekten zu handeln, die zweifelsfreier Provenienz sind . Deshalb sind die im Entwurf geforderten
Sorgfaltspflichten unabdingbar; möglicherweise müssen
sie im Detail sogar noch verschärft werden .
Wenn Sie sich mit den Spezialisten von BKA und
LKA unterhalten, erfahren Sie, wie oft sie dringend
Tatverdächtige laufen lassen müssen, weil nicht belegt
werden kann, dass wissentlich mit Hehlerware gehandelt
wurde . Hier müssen wir als Gesetzgeber wirksamere Instrumente für die Prävention, die Strafverfolgung, aber
auch die Rückgabe an die Herkunftsstaaten schaffen .
Diesem Anspruch trägt das Gesetz mit den Regelungen
über die Sorgfaltspflichten im Wesentlichen Rechnung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rahmen der
Ausschussberatungen werden wir uns intensiv mit kritischen Einwänden auseinandersetzen müssen . Wir sind
als SPD-Fraktion in intensiven Gesprächen mit diversen
Akteuren und haben dazu auch schon ein Fachgespräch
durchgeführt .
Vor wenigen Tagen hat das Aktionsbündnis Kulturgutschutz einen Forderungskatalog unterbreitet . Auch mit
diesen Argumenten müssen wir uns im Fachausschuss
intensiv auseinandersetzen . Das schließt nach meiner
Überzeugung auch ein, dass wir uns mit dem Für und
Wider eines Vorkaufsrechts nach britischem Vorbild auseinandersetzen müssen . Es ist nicht zu verkennen, dass
die Unterschutzstellung eines Kulturgegenstandes einen
Eingriff in das Eigentumsrecht darstellt, der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung aber sehr wohl mit Artikel 14 des Grundgesetzes im Einklang steht . Gleichwohl
wird die Frage, ob der Ausgleich reicht, zu klären sein .
Ich bin sicher, dass wir am Ende des Gesetzgebungsverfahrens einen überzeugenden Rechtsrahmen geschaffen haben, der in eine gute Zukunft führt .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Ulle Schauws
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit letztem Sommer begleitet
uns nun die öffentliche Debatte über die Novellierung
des Kulturschutzgesetzes . Diese Novellierung war keine Idee der Bundesregierung . Sie ist notwendig, weil
die EU-Richtlinie zum Kulturschutz umgesetzt werden
muss .
Leider ist die Bundesregierung diese Aufgabe alles
andere als professionell angegangen .
({0})
Durch diffuse Kommunikation und einen angeblich unautorisierten Referentenentwurf ist viel Verunsicherung
unter Kunsthändlerinnen und Kunsthändlern, Sammlerinnen und Sammlern sowie Künstlerinnen und Künstlern entstanden . So übertrieben die Ängste mitunter gewesen sind, Sie, Frau Kulturstaatsministerin, waren an
der aufgeheizten und feindseligen öffentlichen Debatte
alles andere als unschuldig .
({1})
Mit Verlaub, wie Sie den Gesetzentwurf kommuniziert haben, war unprofessionell und unbedacht . Wir hätten uns bei einem solch wichtigen Gesetz auf jeden Fall
mehr Weitblick und vor allen Dingen handwerkliche Professionalität gewünscht . Dann wäre auch Ihnen einiges
erspart geblieben, und es hätte sich nicht dieses generelle Misstrauen unter Händlern und Sammlern gegenüber
der Politik ausbreiten können . Man muss klar sagen: Das
wirre Vorgehen des BKM hat das Ansehen der Politik beschädigt . Die Menschen dachten: Die wissen nicht, was
sie tun . - Das ist ärgerlich .
Jetzt liegt uns also nach langem Hin und Her und der
versuchten Schadensbegrenzung durch Ihr Haus ein richtiger Gesetzentwurf vor . Wir haben endlich eine seriöse Diskussionsgrundlage . Es wurde höchste Zeit dafür .
Es steht viel Richtiges und Vernünftiges darin; das will
ich überhaupt nicht bestreiten . Die vorgesehenen Regelungen sorgen für mehr Rechtssicherheit und geben der
Politik Instrumente an die Hand, um Kulturgut wirksam
zu schützen .
Dennoch muss man feststellen, dass das, worum es
im Kern geht, also um „national wertvolles Kulturgut“,
unbestimmt bleibt . Es fehlt eine befriedigende und ausreichende Definition. Gerade in Zeiten der Globalisierung versteht längst nicht jeder von selbst, was „national
wertvolles Kulturgut“ bedeuten soll . In dieser zentralen
Frage bleibt der Gesetzentwurf viele Antworten schuldig .
Hier ist aus meiner Sicht noch viel öffentliche Debatte
notwendig .
({2})
Denn es darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, als
sei die Bestimmung, was national wertvoll ist, je nach
Fall Sache des Geschmacks der politisch Verantwortlichen . Der Eindruck politischer Willkür wäre fatal .
Ich fände es deshalb notwendig, dass hierzu ein runder
Tisch zur gemeinsamen Definition von national wertvollem Kulturgut geschaffen wird . Dort müssten dann nicht
nur die Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Ländern, sondern auch ausgewiesene Kunstexpertinnen und
Kunstexperten sitzen . Im Rahmen des runden Tisches
sollte ein Kriterienkatalog erarbeitet werden, der dann
als Handreichung den betroffenen Museen, Händlern
und Sammlern zur Verfügung gestellt wird . So ließe sich
Transparenz herstellen .
({3})
Die Sorgen, die in den letzten Monaten entstanden sind,
könnten abgebaut werden . Daneben könnten die Ergebnisse dieses runden Tisches im Internet veröffentlicht
werden . Neues Vertrauen schaffen durch mehr Transparenz!
Ein weiterer Punkt ist wichtig . Wir dürfen bei der ganzen Diskussion über Ausfuhrgenehmigungen nicht vergessen, was die EU-Richtlinie ebenso verlangt, nämlich
dass die Einfuhr und Rückgabe von Kulturgut in einem
Gesetz neu geregelt wird . Es ist allgemein bekannt, dass
Deutschland wegen seiner laschen Gesetzgebung seit
langem ein Umschlagplatz für geraubte Kulturgüter ist .
Hier lohnt es sich, genauer in den vorliegenden Gesetzentwurf zu schauen .
Ich muss leider sagen: Einiges ist noch immer zu lax
und wird den Raubhandel mit archäologischen Kulturgütern nicht effektiv und nachhaltig bekämpfen können .
Sie alle werden sicherlich den Artikel „Scherbenhaufen“
im aktuellen Spiegel gelesen haben . Darin äußern sich
einige Fachleute kritisch, weil der Gesetzentwurf keine
klaren Herkunftsnachweise mehr vorsieht . Viele fragen
sich jetzt zu Recht, warum die Bedenken der Fachleute im Gesetzentwurf nicht berücksichtigt wurden, warum hier nicht mehr Austausch zwischen Expertinnen
und Experten sowie dem Ministerium stattgefunden hat .
Da frage ich: Waren die Eingaben der Händlerlobby am
Ende doch wichtiger?
Ein weiteres Beispiel: Der Gesetzentwurf enthält
Sorgfaltspflichten für den gewerblichen Handel mit Kulturgütern . Das ist grundsätzlich äußerst notwendig und
begrüßenswert, um den illegalen Handel endlich zu erschweren. Diese Sorgfaltspflichten aber gleichzeitig
mit weitreichenden Ausnahmen zu versehen, ist kontraproduktiv und praxisfern, und zwar aus dem einfachen
Grund, dass beispielsweise eine Befreiung von der Sorgfaltspflicht für archäologisches Kulturgut unter 100 Euro
dazu führen wird, dass archäologische Objekte zerstückelt werden, um eingeführt zu werden . Das ist jetzt
schon längst gängige Praxis, und es würde durch diesen
Gesetzentwurf weiter gefördert werden .
Dieser kleine und unscheinbare, aber extrem folgenreiche Punkt zeigt: Es gibt an diesem Gesetzentwurf noch
viel zu tun . Wir werden uns als Opposition konstruktiv,
aber weiter kritisch einbringen, damit es am Ende doch
noch ein gutes Schutzgesetz wird .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ansgar
Heveling von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
… durch die Natur gleichsam . . . abgeschieden, liegt
sie unabhängig zwischen zwei mächtigen Reichen,
dem römischen und parthischen, und wird bei jedem Zwiste auf beiden Seiten zu gewinnen gesucht .
Von der parthischen Stadt Seleucia am Tigris ist sie
337 000 Schritte entfernt, von der nächsten Küste
Syriens aber 203 000; Damaskus liegt 27 000 Schritte näher .
So beschreibt bereits Plinius der Ältere in seiner Naturalis historia um circa 50 nach Christus - urheberrechtlich
korrekt sei darauf hingewiesen: hier in der Übersetzung
von Max Freiherr von Oppenheim - die Königin der
Wüste, die syrische Stadt Palmyra .
Heute liegen nach der Besetzung durch die Terrormiliz
des sogenannten IS im Mai 2015 weite Teile der Ausgrabungsstätten von Palmyra, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, in Schutt und Asche . Erst plünderten die
Dschihadisten mehrere Mausoleen, dann enthaupteten
sie den Chef-Archäologen von Palmyra und zerbombten
schließlich das übriggebliebene Ruinengelände . So geschehen nicht nur in Syrien, sondern auch im Irak . Auch
die antiken Stätten Nimrud und Mosul seien an dieser
Stelle stellvertretend für den abscheulichen Raubzug des
IS genannt .
Die Ausbeutung und Zerstörung dieser bedeutenden
Kulturstätten, die Zeugnisse der Menschheitsgeschichte
sind, ist nicht rein ideologischer Natur . Der illegale Handel mit Raubkunst - überall hin und damit auch zu uns
nach Deutschland - ist eines der lukrativen Geschäfte der
Terrormiliz . Er ist nach dem Handel mit Drogen, Öl oder
Waffen eine wichtige Einnahmequelle des IS .
Deutschland steht hier gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft in der Verantwortung, den
illegalen Handel mit Kulturgütern, insbesondere aus
Kriegs- und Krisengebieten, weiter zu bekämpfen und in
diesem Fall international wertvolle Kulturgüter zu schützen und für nachfolgende Generationen zu bewahren .
({0})
Im Einklang mit der UNESCO-Konvention von 1970
tragen wir diesem Ziel mit den nun vorliegenden Änderungsvorschlägen zu Einfuhrbestimmungen und Sorgfaltspflichten ergänzend verstärkt Rechnung, reagieren
gleichzeitig auf den Bericht der Bundesregierung zum
Kulturgutschutz und setzen die EU-Richtlinie zur Rückgabe von Kulturgutschutz vom Mai 2014 in geltendes
Recht um .
Über diese eine Säule oder Seite der Medaille der Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes - wie es im Bericht der Bundesregierung geradezu allegorisch heißt sind wir uns auch weitgehend einig, denke ich .
Schwieriger wird es allerdings beim Betrachten der
zweiten Seite der Medaille, namentlich dem Ausbau des
Schutzes von deutschem Kulturgut vor Abwanderung .
Diese zweite Säule des Gesetzentwurfs sorgt für große
Unruhe in der deutschen Kunstszene, wobei ich nicht
glaube, dass man diese Unruhe der Kulturstaatsministerin anlasten kann . Denn es ist richtig, dass man, wenn
man einen Paradigmenwechsel vorhat, diesen auch zur
Diskussion stellt. Und in dieser Diskussion befinden wir
uns gerade . Das ist eigentlich ein politisch-parlamentarisch normaler, richtiger und wichtiger Vorgang, und den
werden wir auch in den Beratungen im Parlament sicherlich weiter aufgreifen .
({1})
Die Sorgen vor einer vermeintlichen Enteignung sind
an manchen Stellen so groß gewesen, dass einzelne zeitgenössische Künstler bereits Dauerleihgaben an deutsche
Museen zurückgezogen haben . Auch wenn die Werke
lebender Künstler von der Novellierung kaum betroffen sind - zum einen wird ihr Werk nicht von den neuen
Ausfuhrbestimmungen erfasst, und zum anderen ist ein
Eintrag in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes der Länder nur mit einer persönlichen Genehmigung
möglich -, zeigt dieser beispielhaft genannte Vorgang,
dass noch erheblicher Klärungs-, aber auch Erklärungsbedarf besteht und wir einiges in den kommenden Wochen im Deutschen Bundestag zu beraten haben, bevor
wir das Gesetz verabschieden .
Schon heute sind Ausfuhrregelungen im Kulturgutschutzgesetz von 1955 für das Verbringen von Kulturgütern ins außereuropäische Ausland geregelt . Diese
Beschränkung auf Nicht-EU-Länder eröffnet ohne Frage
die Möglichkeit, Kulturgut ohne Ausfuhrgenehmigung
erst ins europäische Ausland und von dort weiter ins außereuropäische Ausland zu bringen, ohne dass die Frage
der nationalen Bedeutung dann noch eine Rolle spielt .
Zukünftig wollen wir, so wie es mittlerweile in fast allen
EU-Staaten geregelt ist, Ausfuhrgenehmigungen auch
für den europäischen Binnenmarkt einführen und hierbei
insgesamt das Kategorieprinzip anwenden, das - anders
als das Listenprinzip - den rechtlichen Vorgaben anderer
EU-Mitgliedstaaten und der UNESCO-Vertragsstaaten
entspricht .
Dazu, wie wir das alles im Detail ausgestalten, wird
es noch intensive Beratungen im Bundestag geben, wobei deutlich festzuhalten ist: Beide Säulen, Ausfuhr- und
Einfuhrregelungen, werden und müssen sich im zukünftigen Kulturgutschutzgesetz wiederfinden.
Wie so oft das Wichtigste zum Schluss . Mein Eindruck ist, dass dies bei der kontroversen Debatte um die
einzelnen Regelungen bisher leider ein wenig zu kurz gekommen ist: Erstmals erfolgt eine klare und verbindliche
Festlegung des Begriffs, was national wertvolles Kulturgut ist, durch ein Gesetz . Das ist aus meiner Sicht einer
der zentralen Dreh- und Angelpunkte des zukünftigen
Kulturgutschutzgesetzes . Inhalt und Verfahren werden
damit erstmals gesetzlich geregelt . Das ist aus der Sicht
des Parlaments als Souverän und im Hinblick auf unser
Land als Nation einer tradierten Rechtskultur nicht nur
ein qualitativer Fortschritt, sondern ein Schritt, der uns
gut zu Gesicht steht .
Es werden auch in Zukunft nur wenige ausgewählte
Kulturgüter unter die Regelung fallen, nämlich diejenigen, die in besonderer Weise die Identität und Geschichte
unseres Landes widerspiegeln und deren Abwanderung
tatsächlich ein großer Verlust für uns und für kommende
Generationen bedeuten würde .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Eva Högl von
der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Neuregelung des Kulturgüterschutzrechts
ist das wichtigste Gesetz in dieser Legislaturperiode im
Kulturbereich . Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir eine gute Grundlage für unsere Beratungen . Die Koalition hat sich Dreierlei vorgenommen:
den Kulturgutschutz zu stärken, das illegal ausgeführte
Kulturgut anderer Staaten zurückzugeben - dazu gehört
vor allen Dingen, strengere Regelungen für die Einfuhr
von Kulturgut einzuführen und die Voraussetzungen dafür deutlich zu verschärfen; da haben wir wirklich Handlungsbedarf - sowie deutsches Kulturgut besser vor Abwanderung ins Ausland zu schützen .
Ich sage ganz deutlich: Bei diesem letzten Punkt müssen wir uns auch darüber im Klaren sein, dass die Regeln,
die wir bisher hatten, gut funktionierten und nicht alles
überarbeitungsbedürftig ist, wir also durchaus vorsichtig und sensibel an Neuregelungen herangehen müssen .
Insbesondere die Regelungen zur Ausfuhr deutschen
Kulturguts sind sehr umstritten . Ich habe die Debatte so
wahrgenommen, dass diese gar nicht im Grundsatz umstritten waren, also niemand wirklich bestritten hat, dass
wir unser deutsches Kulturgut vor der Abwanderung ins
Ausland schützen wollen, sondern dass die Details sehr
umstritten waren . Da muss ich sagen: Das war nicht ohne
Grund . Deswegen müssen wir uns in den Beratungen
wirklich sehr gründlich über die Details beugen .
Dass wir gründlich beraten, ist auch vor dem Hintergrund wichtig, dass wir tatsächlich mit diesem Gesetzentwurf über eine sehr scharfe Regelung, die vorgeschlagen
wird, diskutieren, nämlich eine Genehmigungspflicht für
die Ausfuhr aller nationalen Kulturgüter, und zwar unabhängig davon, ob sie in einem Verzeichnis stehen . Das ist
natürlich erst einmal eine sehr scharfe Regelung .
Ich sage auch ganz deutlich, dass wir uns Gedanken
darüber machen müssen, ob wir wirklich strengere Regelungen im Binnenmarkt brauchen . Auch das müssen wir
sorgfältig prüfen . Ja, 26 von 28 Mitgliedstaaten haben
diese Regelung, und, ja, es kann auch richtig sein, dass
wir uns dieser Regelung anschließen und nicht mit den
Niederlanden zusammen die einzigen Mitgliedstaaten
sind, die keine solche Regelung haben . Aber wir müssen
uns auch fragen, ob es tatsächlich noch zeitgemäß ist, im
Binnenmarkt solche strengen Regelungen zu formulieren .
Etwas, was in diesem Gesetzentwurf steht, finde ich
ganz hervorragend - ich knüpfe an das an, was der Kollege Heveling schon gesagt hat -, nämlich die gesetzliche
Definition von national wertvollem Kulturgut. Ich halte
es für ganz entscheidend, dass wir uns darüber gemeinsam Gedanken machen . Im Gesetzentwurf steht viel,
was ein guter Anknüpfungspunkt für das ist, wonach wir
beurteilen können, ob wir nationales Kulturgut im Land
behalten wollen und ob wir eben nicht gestatten, dass es
ausgeführt wird: Es muss besonders bedeutsam sein für
unser kulturelles Erbe . Es muss identitätsstiftend sein . Es
muss ein wesentlicher Verlust für den deutschen Kulturbesitz sein, wenn das entsprechende Kulturgut abwandert, und es muss ein herausragendes kulturelles öffentliches Interesse daran bestehen, dieses Kulturgut im Land
zu halten . Darüber werden Sachverständige sorgfältig
befinden. Das halte ich für eine wirklich gute Regelung.
Das zeigt aber auch, dass ein ganzer Teil der Aufregung, die es um genau diese Regelung gegeben hat, völlig überzogen war; denn wir alle wissen: Alle Voraussetzungen müssen vorliegen . Daher werden tatsächlich nur
sehr wenige Kulturgüter betroffen sein, für die dann ein
absolutes Ausfuhrverbot gilt .
Für mich ist auch wichtig, dass die Kriterien um die
Sichtbarkeit, um die öffentliche Zugänglichkeit erweitert
werden. Ich finde, „identitätsstiftend“ hat immer etwas
damit zu tun, dass Kunstwerke nicht in irgendeinem Tresor oder Keller lagern, sondern dass sie im Land tatsächlich wahrgenommen werden können .
Eine letzte Bemerkung, und zwar zum Vorkaufsrecht .
Die damit verbundene Idee tauchte im Zusammenhang
mit dieser Diskussion auf . Auf den ersten Blick wirkt
es durchaus sympathisch, dass der Staat die Kulturgüter
ankauft, um sie dann der Öffentlichkeit zur Verfügung
zu stellen . Wenn wir uns mit dem Vorkaufsrecht aber näher beschäftigen, dann sehen wir, dass dieses Instrument
nicht uneingeschränkt zum Schutz unseres Kulturgutes
geeignet ist . Deswegen hoffe ich, dass wir in den Beratungen diesen Aspekt noch aufgreifen und uns sorgfältig
damit auseinandersetzen .
Ich sage es noch einmal: Wir haben eine gute Beratungsgrundlage . Ich freue mich wirklich sehr auf die
Fachgespräche und auf die folgenden Beratungen in unserem Ausschuss .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Jetzt hat das Wort Dr . Astrid
Freudenstein von der CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn behauptet wird, daß eine Substanz keine Nebenwirkung zeigt, so besteht der dringende Verdacht, daß sie auch keine Hauptwirkung hat .
Was der deutsche Pharmakologe Gustav Kuschinsky
auf Medikamente münzte, gilt in ähnlicher Form auch
für unsere Gesetze . Wenn ein Gesetz gar keine Nebenwirkungen zeigt, wirkt es vermutlich überhaupt nicht .
Die Kunst der Arzneimittelherstellung ebenso wie die
der Gesetzgebung besteht also darin, die erwünschte
Wirkung zu potenzieren und die unerwünschten Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten . Wenn das
gelingt, dann haben wir gut gearbeitet .
Die Wirkungen, die wir uns von dem Kulturgutschutzgesetz wünschen, haben meine Vorredner bereits ausführlich beschrieben: Wir wollen zum einen mit dem Gesetz
Raubgrabungen und den illegalen Handel mit Kulturgut
verhindern und damit vor allem das Kulturgut anderer
Länder schützen, und wir wollen zum anderen unser eigenes, national wertvolles Kulturgut vor Abwanderung
ins Ausland schützen .
Der erste Punkt ist relativ unumstritten; doch um den
zweiten Punkt hat sich eine recht lebhafte Debatte entwickelt . Papiere führten zu teils heftigen Reaktionen, auch
zu Überreaktionen . Es ist sicher notwendig, Befürchtungen und Ängste ernst zu nehmen, und es ist auch notwendig, die Debatte zu versachlichen und ein kompliziertes
Gesetzesvorhaben zu erklären .
Die Eintragung von national wertvollem Kulturgut
gibt es bei uns bereits seit mehr als 60 Jahren, seit 1955 .
Die Diskussion der vergangenen Monate hat auch gezeigt, dass das nicht allen bekannt war . Man könnte auch
sagen: In vielen Fällen hat das Gesetz bisher nicht so gewirkt, wie es hätte wirken sollen .
({0})
Ein Gesetz, das nicht wirkt, braucht allerdings niemand . Man muss es folglich abschaffen, oder man muss
so nachbessern, dass es wirkt . Wir bessern nach, weil wir
nachbessern müssen . Wir wollen Kulturgut nicht nur auf
dem Papier schützen, sondern eben auch in der Realität .
Wir müssen auch nachbessern, um im internationalen
Kontext nicht ins Hintertreffen zu geraten; Frau Staatsministerin Grütters hat das bereits ausgeführt .
Es ist völlig klar, dass es bei diesem neuen, wirkungsvolleren Kulturgutschutzgesetz auch Nebenwirkungen
geben wird: Das Gesetz kann durchaus dazu führen, dass
manches schwieriger und aufwendiger wird . Es kann
auch dazu führen, dass Kunsthändler einen Antrag mehr
schreiben müssen als bisher . Und es kann in letzter Konsequenz in Einzelfällen dazu führen, dass Händler ihr national wertvolles Kulturgut in Deutschland für weniger
Geld an den Mann bringen, als sie es vielleicht in London
getan hätten .
An dieser Stelle wird es natürlich spannend, weil es
um nationale, aber eben auch um berechtigte finanzielle Interessen geht: Je höher die Grenzwerte, umso wirkungsloser - aber eben auch umso nebenwirkungsärmer - wird unser Gesetz . Es kommt jetzt darauf an, die
Interessen abzuwägen und ins Lot zu bringen . Klar ist
aber auch: Ein Gesetz, von dem am Schluss nichts und
niemand betroffen ist, brauchen wir hier nicht zu verabschieden .
Eine positive Nebenwirkung des Gesetzes kann man
aber schon erkennen: In Deutschland wurde vermutlich
noch nie so viel darüber diskutiert, welches Kulturgut
uns wirklich wertvoll ist, welche Kulturgüter für uns
identitätsstiftend sind . Das steht uns, die wir uns gerne
und völlig zu Recht als Kulturnation bezeichnen, auch
gut zu Gesicht, wie ich meine .
Mit drei Beispielen dazu, was in Bayern bereits als
national wertvolles Kulturgut eingetragen worden ist,
möchte ich Ihnen eine Vorstellung davon geben, um was
es gehen soll:
Erst vor kurzem wurde ein Exemplar des Archaeopteryx aus dem Steinbruch Schamhaupten eingetragen .
Der Urvogel ist für die naturwissenschaftliche Forschung
und für die Evolutionsgeschichte von herausragendem
Interesse .
Wertvoll ist auch das ritterliche Schwert aus der Regierungszeit Heinrichs des Löwen . Es stammt aus dem
12 . Jahrhundert und ist ein erstklassig erhaltenes Exemplar, von ganz besonderer Bedeutung für die bayerische
Landesgeschichte und vor allem für die Geschichte des
„baierischen“ Herzogtums .
Ebenfalls völlig zu Recht auf der Liste: die einzigartige Sammlung „Der Blaue Reiter“ aus dem Lenbachhaus
in München . Der Blaue Reiter ist eine der bedeutendsten
Künstlergruppen der Avantgarde zu Beginn des 20 . Jahrhunderts und eng mit München und Bayern verbunden zweifelsohne wertvoll und identitätsstiftend .
Mit der Gesetzesnovelle wollen wir nun Kulturgüter
wie die drei genannten besser als bisher schützen . Dafür
braucht es klare, angemessene und auch verständliche
Regeln und - das ist wichtig -: Wir müssen bürokratische
Nebenwirkungen kleinhalten . Regeln, die wirken, ohne
jemanden über Gebühr zu belasten, daran werden wir in
den nächsten Wochen arbeiten .
Herzlichen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
schließe die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7456 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Agnieszka Brugger, Katja Keul, Katharina
Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rüstungsexportkontrollgesetz vorlegen
Drucksache 18/7546
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Agnieszka Brugger, Katharina
Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eckpunkte für ein Rüstungsexportkontrollgesetz
Drucksachen 18/4940, 18/7030
Über den Antrag auf Vorlage eines Rüstungsexportkontrollgesetzes werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich kann die Aussprache eröffnen . - Herr Pfeiffer, ich
bitte um Ihre Aufmerksamkeit . - Als erste Rednerin in
der Aussprache hat Agnieszka Brugger von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jede,
wirklich jede Bundesregierung - das sage ich auch mit
einem selbstkritischen Blick auf die rot-grüne Regierungszeit - beteuert immer, dass in Deutschland eine restriktive Rüstungsexportpolitik betrieben wird .
({0})
Leider entspricht das nicht der Realität; denn so sieht die
Faktenlage aus:
Deutschland ist seit Jahren unter den Top Fünf der
Waffenexporteure weltweit, und das ist kein Ranking,
auf das man stolz sein kann .
({1})
Abgesehen von ein paar kleineren Schwankungen sind
die Rüstungsexporte nach wie vor ein Milliardengeschäft . Allein im ersten Halbjahr 2015 sind Rüstungsexporte im Wert von über 3 Milliarden Euro genehmigt
worden . Morgen kommen wahrscheinlich die neuen Zahlen für das Gesamtjahr 2015 . Ich vermute leider, dass sie
erschreckend hoch sein werden .
In der Regel gingen in den letzten Jahren mehr als
die Hälfte dieser Rüstungsexporte in Staaten jenseits
von NATO und EU . Darunter befanden sich schmutzige
Deals mit Ländern wie Katar und Saudi-Arabien, in denen eine katastrophale Menschenrechtslage herrscht und
die aktuell Teil einer Kriegsallianz sind, die ohne Rücksicht die Menschen im Jemen brutal bombardiert .
({2})
Es gehörten aber ebenso Skandale dazu wie der, dass
G36-Gewehre in Mexiko in den Händen korrupter Polizisten auftauchten und dann gegen unbewaffnete Studenten eingesetzt wurden . Eine solche Politik als restriktiv
zu bezeichnen, das ist doch zynisch .
({3})
Trotz einiger Kurskorrekturen, zum Beispiel bei der
Transparenz, trotz all seiner großen Töne und schönen
Worte hat Sigmar Gabriel hier keine grundlegende Trendwende eingeleitet . Zwischen Anspruch und Wirklichkeit,
zwischen schöner Rhetorik und hässlicher Realität klafft
hier eine erschreckend große Lücke der Verantwortungslosigkeit .
({4})
Es gibt kaum ein politisches Thema, bei dem das, was
gesagt wird, in so krassem Widerspruch zu dem steht,
was getan wird . Dabei gibt es in Deutschland die sehr guten und sehr strengen Politischen Grundsätze für Exporte, die jeder Minister in den Himmel lobt und auf die man
sich in Sonntagsreden gerne beruft, die Menschenrechte
zu einem zentralen Kriterium bei den Entscheidungen
erheben und die sehr hohe Hürden für den Verkauf von
Kriegswaffen an Staaten jenseits von NATO und EU aufstellen . Die zentrale Frage, die sich hier aufdrängt, ist:
Wenn diese Grundsätze so strikt sind, wie kann es dann
eigentlich sein, dass es in der Praxis zur Regel geworden
ist, dass sie immer wieder verletzt und gebrochen werden?
({5})
Wie kann es dazu kommen, dass Frieden, Sicherheit
und Menschenrechte immer wieder Exportprofiten und
Gewinninteressen der Rüstungslobby geopfert werden?
Ein Teil der Antwort hat auch mit dem Charakter dieser
Grundsätze zu tun . Sie sind vom Inhalt her richtig und
gut, sie bestehen aber eben vor allem auf dem Papier . Es
mangelt ihnen an Durchsetzungskraft und Verbindlichkeit . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sollten und
müssen wir als Parlament dringend ändern .
({6})
Natürlich gibt es mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz
und mit dem Außenwirtschaftsgesetz gesetzliche Grundlagen im Bereich der Rüstungsexporte . Die Kriterien aus
den Politischen Grundsätzen sind aber eben nicht wirklich im Gesetzestext verankert . Das wäre aber notwendig, um ihnen endlich das Gewicht zu verleihen, das sie
verdienen .
({7})
Im Mai haben wir Grüne Ihnen Eckpunkte für ein
neues, ein echtes Rüstungsexportgesetz vorgelegt . Diese
hat die Koalition leider abgelehnt . Trotzdem waren wir
Grüne anscheinend nicht ganz so erfolglos: Die guten
Argumente der Kollegin Keul aus der Bundestagsdebatte
haben Widerhall gefunden, und sie konnten offensichtlich Sigmar Gabriel zum Denken anregen .
({8})
Denn vor einem Monat hat der Wirtschaftsminister erklärt, er denke jetzt darüber nach, ein Rüstungsexportgesetz auf den Weg zu bringen und eine Expertenkommission dazu einzurichten .
Wir freuen uns natürlich sehr, wenn Regierungsmitglieder die guten grünen Ideen aufgreifen . Aber zwischen
Nachdenken und Handeln besteht ja bekanntermaßen
noch ein großer Unterschied . Und so ganz trauen wir diesen vielversprechenden Ankündigungen noch nicht; denn
gerade bei den Rüstungsexporten haben wir in den letzten Jahren oft genug erlebt, dass der Wirtschaftsminister
den typischen Gabriel macht: Erst viel Wind erzeugen,
dann aber nicht liefern .
({9})
Meine Damen und Herren, als aufmerksame und hartnäckige Opposition geben wir uns natürlich nicht mit
Ihren schönen Schlagzeilen zufrieden . Uns interessiert,
was Sie in der Realität daraus machen . Das ist ein Prozess, den wir konstruktiv begleiten wollen . Deshalb haben wir auch nachgefragt, wie es denn jetzt weitergeht .
Wir wollten wissen: Wie sieht es mit dem Zeitplan aus,
wie ist die Besetzung der Kommission? Welche Rolle
soll das Parlament dabei spielen? Am Montag erhielt ich
zu all diesen Fragen eine lapidare Antwort aus dem Hause Gabriel, nämlich dass er noch nachdenke und dass es
noch keine Details gebe . Einen Monat nachdem die Pressestatements verkündet waren, keinen Schritt weiter zu
sein, ist doch ein bisschen peinlich .
({10})
Herr Minister, wenn Sie in diesem Schneckentempo
weitermachen, dann können wir vielleicht in der übernächsten Wahlperiode mit einem Gesetzentwurf rechnen .
Deshalb stellen wir heute hier einen zweiten Antrag, über
den wir nachher namentlich abstimmen . Er enthält keine
inhaltlichen Vorfestlegungen . Er besteht nur aus einem
Satz und fordert Sie dazu auf, Herr Gabriel, Ihr Versprechen auch wahrzumachen und dem Parlament noch in
dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Beratung und Abstimmung vorzulegen .
({11})
Liebe Abgeordnete von SPD und Union, wenn Sie
also den Vorschlägen Ihres eigenen Vizekanzlers, die ihn
offensichtlich nicht besonders interessieren, folgen und
ihn auf diesem richtigen Weg unterstützen wollen, dann
bleibt Ihnen ja fast nichts anderes übrig, als unserem grünen Antrag heute hier zuzustimmen .
({12})
Sie, Herr Minister, haben die Chance, zu zeigen, dass
das hier kein weiterer Fall von „groß posaunt und dann
noch nichts gemacht“ ist . Und wir als Parlament könnten ein schönes, klares und gemeinsames Zeichen setzen,
dass in Zukunft bei den Rüstungsexporten das Kriterium
der Achtung der Menschenrechte keine leere Sprechblase
mehr ist und dass Friedens- und Sicherheitspolitik ausufernden Waffenexporten klare und enge Grenzen setzen .
Deshalb bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen,
damit wir noch in dieser Legislaturperiode endlich über
ein Rüstungsexportgesetz abstimmen können .
({13})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist der Kollege Klaus-Peter Willsch .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Brugger,
wir brauchen kein Rüstungsexportgesetz .
({0})
Immer wieder debattieren wir hier im Parlament solche
Fragen . Es gibt zu diesem Thema wirklich keinen Mangel an öffentlicher Erörterung . Sie versuchen immer wieder, den Eindruck zu erwecken, es gehe hier alles wie
auf einem levantinischen Basar zu . Das ist bei uns klar
geregelt . Und wir glauben, dass es so, wie es geregelt ist,
richtig geregelt ist .
({1})
- Sie können sich gerne noch zu Wort melden, wenn Sie
der Auffassung sind, dass Frau Brugger nicht ausreichend vorgetragen hat .
({2})
Hier wird ständig versucht, den Eindruck zu erzeugen,
die Rüstungsexportpolitik in Deutschland sei nicht klar
geregelt . Ihr liegen jedoch die Politischen Grundsätze
der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen
und sonstigen Kriegsgütern in der aktuellen Fassung vom
19. Januar 2000 zugrunde. Das fiel in die Regierungszeit
von Rot-Grün . Joschka Fischer war damals, wenn ich
mich recht erinnere, Außenminister .
Jede Rüstungsexportgenehmigung ist eine Einzelfallentscheidung . Es gibt keinen Anspruch auf eine Genehmigung . Gemäß Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirtschaftsverordnung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgüter
genehmigungspflichtig. Es wird nicht genehmigt, wenn
der hinreichende Verdacht besteht, dass damit interne
Repression oder sonstige Menschenrechtsverletzungen
ausgeübt werden .
({3})
- Ich weiß ja, dass Sie schon alles wissen, aber ich kann
nicht ausschließen, dass vielleicht der falsche Eindruck,
den Sie, Frau Brugger, zu verbreiten versuchen, bei den
Zuschauerinnen und Zuschauern hängen bleibt .
({4})
Deshalb will ich das noch einmal darstellen: Die Prüfung und Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern obliegt dem Bundessicherheitsrat . Der Bundessicherheitsrat tagt unter dem
Vorsitz der Bundeskanzlerin . Zusätzlich gehören ihm an
der Vizekanzler bzw . der Wirtschaftsminister, die Minister der Verteidigung, des Auswärtigen, des Innern,
der Justiz, der Finanzen, der Minister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung . Der Chef des Bundeskanzleramtes, der Regierungssprecher und der Generalinspekteur der Bundeswehr nehmen ebenfalls teil .
In ihm ist also alles versammelt, was in der Regierung
hierzu Kompetenz aufzuweisen hat .
({5})
Bei der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung handelt
es sich eben nicht um einen formalen Akt . Es besteht kein
Anspruch auf die Erteilung einer Genehmigung . Zahlreiche Gesetze und Vereinbarungen, die ich Ihnen - damit
nicht bei irgendjemandem der Eindruck bestehen bleibt,
in diesem Bereich würde irgendetwas ungeregelt geschehen - noch einmal in Erinnerung rufen möchte, sind beim
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern
zu beachten .
({6})
Dabei handelt es sich um das Gesetz über die Kontrolle
von Kriegswaffen, das Außenwirtschaftsgesetz, den Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren sowie um die Prinzipien der OSZE zur Regelung des
Transfers konventioneller Waffen . Erst im März letzten
Jahres hat die Bundesregierung als Ergänzung zu den
Politischen Grundsätzen noch die Grundsätze für die Erteilung von Genehmigungen für die Ausfuhr von Kleinen
und Leichten Waffen vorgelegt .
Kollege Willsch, das ist jetzt eine gute Gelegenheit,
um zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Keul zulassen .
Ja, wenn ich irgendeine rechtliche Regelung vergessen haben sollte, die Sie nachtragen wollen, Frau Keul,
bitte sehr .
Bitte schön .
Vielen Dank . - Es ehrt mich, dass Sie mir zutrauen,
die rechtlichen Regelungen besser zu kennen . Wenn all
das, was Sie vorgetragen haben, so toll ist, dann frage
ich Sie: Wie kann dann Ihr Koalitionspartner bzw . der
Wirtschaftsminister auf die Idee kommen, dass wir ein
Rüstungsexportkontrollgesetz brauchen? Können Sie
uns das erklären?
Das müssen Sie im Zweifelsfalle meinen Minister selbst
fragen . Ich weiß aber, dass in dieser Bundesregierung
viel nachgedacht wird . Es ist auch klug, immer viel über
alles Mögliche nachzudenken . Da ist der Vizekanzler
keine Ausnahme .
({0})
Der Export an Nicht-EU- und Nicht-NATO-Staaten
wird äußerst restriktiv gehandhabt . Frau Brugger, Sie
kennen doch die Berichte . Sie wissen, dass wir über die
Hälfte an NATO-Partner und Gleichgestellte, also Australien, Schweiz usw ., exportieren . Da können Sie sich
doch wirklich nicht hierhinstellen und sagen, wir würden
freigiebig in alle Himmelsrichtungen deutsche Waffen
verteilen .
({1})
Der Export von Kriegswaffen wird
- so heißt es im Rüstungsexportbericht; das könnten Sie
nachlesen nur ausnahmsweise genehmigt, wenn im Einzelfall
besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen Deutschlands für die Erteilung einer Genehmigung sprechen .
({2})
Ich will Ihnen, um das greifbar zu machen, deutlich
machen, was das für Sicherheitsinteressen sein können .
Zum Beispiel könnte es in unserem Sicherheitsinteresse liegen, die Abwehr terroristischer Bedrohungen zu
unterstützen oder den internationalen Drogenhandel zu
bekämpfen . Bei der Ausfuhr von Marineausrüstung geht
es regelmäßig darum, dass wir Staaten ertüchtigen wollen, ihren Küstenschutz durchzuführen und damit einen
Beitrag zur Gewährleistung der Freiheit der Handelswege auf See zu leisten . All das sind natürlich Aspekte, die
wir berücksichtigen, und das ist auch berechtigt .
Die Bundesregierung hat beispielsweise den bereits
genehmigten Export eines Gefechtsübungszentrums
nach Russland untersagt, weil die Krim von den Russen
besetzt worden ist und wegen der Rolle, die Russland in
dem eingefrorenen Konflikt in der Ostukraine spielt.
Im Falle der Waffenlieferung an die Regierung der
autonomen Region Kurdistan im Irak handelt es sich
um eine politische Ausnahmeentscheidung - das wissen
Sie -, und sie ist in diesem Haus breit getragen worden .
({3})
Die akute Bedrohung der Bevölkerung im Irak durch die
Halsabschneider vom IS, vom „Islamischen Staat“, war
anders nicht abzuwenden . Ich will hier nicht mit billiger
Kriegsrhetorik irgendetwas schönreden . Die Lage war
so, dass dort wirklich die Gefahr bestand, dass Völkermord begangen wird, dass die Menschen vertrieben werden, dass die Menschen dem IS unterworfen werden, und
es gab keine anderen Bodentruppen als die, die wir dann
beliefert haben .
Ich will Ihnen eine friedensethische Stellungnahme
des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland zu
diesem Thema nicht vorenthalten . Im Nachgang einer
Reise des Landesbischofs Dr . Bedford-Strohm in den
Irak vom September 2014 hieß es zu den Waffenlieferungen an die Peschmerga - ich zitiere -:
Die kurdischen Milizen sind die einzigen lokalen
Gegner, welche dem IS militärisch entgegentreten
können . Militärische Mittel erscheinen in der gegenwärtigen Lage als die letzte verbliebene Möglichkeit, um wirksame und schnelle Hilfe zu bringen .
Nach evangelischem Verständnis kann militärische
Gewalt zur Abwendung schwerster anhaltender
Menschenrechtsverletzungen, angesichts von Völkermord und Vertreibung, als letzter Ausweg legitim sein, wenn alle anderen gewaltärmeren Mittel
versagen .
({4})
Ich bitte Sie, mal ein bisschen aus der Kuschelecke herauszukommen . Wenn man Ihre Position zu Ende denkt,
dann stellen Sie die eigene Armee letztlich auch infrage . Es gibt natürlich Interessen in der Welt; es gibt die
Notwendigkeit, zu unterstützen und zu helfen, wenn wir
können . Wir machen uns der Unterlassenen Hilfeleistung
schuldig, wenn wir das dann nicht tun .
Übrigens wurde das Gleiche auch von katholischer
Seite als eine „Art von Völkermord“ kategorisiert . Der
Vertreter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen,
Erzbischof Silvano Tomasi, sprach sich als Ultima Ratio
für den Einsatz von Gewalt aus, „um die Aggressoren zu
stoppen“ . Weiter sagte Tomasi wörtlich:
Andernfalls werden wir in Zukunft beklagen, dass
wir solch eine schreckliche Tragödie zugelassen haben .
Mit Blick auf die linke Seite unseres Hauses und
auch auf Sie, Frau Brugger, muss ich sagen, dass wir mit
Friedensmärschen, Handauflegen und Stuhlkreisen die
IS-Mörderbande nicht stoppen werden .
({5})
Selbst der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir,
hat erkannt, dass man den IS - ich zitiere - „nicht mit der
Yogamatte unterm Arm“ bekämpfen kann . Ein bisschen
mehr Realismus in den Debatten auch hier in diesem
Haus würde Ihnen guttun .
Ich will Ihnen ein anderes historisches Beispiel nennen: Die Amerikaner hat es im Zweiten Weltkrieg - da
waren sie noch gar nicht in diesen Krieg eingetreten einiges an Überwindung gekostet, die Rote Armee mit
dem Lend-Lease Act zu unterstützen . Sie haben es damals getan, um einen ökonomischen und militärischen
Zusammenbruch der Sowjetunion zu verhindern, und haben damit einen Beitrag dazu geleistet, dass Hitlers Angriffsarmee in Russland gestoppt werden konnte . Auch
das zeigt, dass die Vorgänge nicht ganz eindimensional
sind, sondern dass wir die verschiedenen Aspekte immer
sehr sorgfältig bewerten und gewichten müssen . Wir haben nicht den Eindruck, dass das in der Bundesregierung
falsch gemacht wird, sondern wir glauben, dass es richtig
gemacht wird .
({6})
Insofern ist es nicht notwendig, dass wir ein Gesetz
auf den Weg bringen; denn es ist bereits alles geregelt .
Ich halte es mit Montesquieu, von dem bekanntlich folgender Satz stammt:
Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen,
dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({7})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist jetzt der Kollege
Jan van Aken, Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Grünen fordern in ihrem Antrag ein Rüstungsexportkontrollgesetz. Das finden wir richtig, da stimmen wir zu. Da
Herr Gabriel auch schon darüber nachdenkt, könnten wir
eigentlich heute hier mit rot-rot-grüner Mehrheit - die
gibt es, das vergessen wir gerne - darüber abstimmen .
({0})
Das große Problem ist nur, dass an diesem Punkt unsere
Gemeinsamkeit aufhört .
({1})
Ich habe mir noch einmal den Antrag der Grünen vom
letzten Mai durchgelesen . Da schreiben Sie: Das Ziel
des Rüstungsexportkontrollgesetzes ist es, die geltenden
Politischen Grundsätze der Bundesregierung in ein Gesetz zu überführen . - Das können Sie gerne tun, aber das
würde überhaupt nichts verändern, und das wissen Sie
auch . Dass die Politischen Grundsätze ständig gebrochen
werden, wie Sie das eben behauptet haben, Frau Brugger,
ist nicht richtig .
({2})
Die Grundsätze sind butterweich . Sie dürfen sogar das hat Herr Gabriel im letzten Jahr gemacht - die Lieferung von Panzern nach Katar genehmigen,
({3})
sie dürfen die Lieferung einer ganzen Sturmgewehrfabrik nach Saudi-Arabien genehmigen, sie dürfen auch
die Lieferung von Pistolen an die USA genehmigen .
({4})
Alles ist dadurch gedeckt .
({5})
Claudia Roth protestiert dagegen, das verstehe ich
auch .
({6})
Denn Sie, Frau Roth, haben diese 1999
({7})
gemeinsam mit Herrn Erler von der SPD verhandelt . Ich
weiß auch, dass Sie beide die Waffenexporte wirklich
reduzieren wollten . Da stehen viele gute Sachen drin:
Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung, Kriegs- und
Krisengebiete . Aber Sie wissen auch - das hat Frau Keul
an dieser Stelle schon offen zugegeben -: Sie sind mit
diesem Versuch komplett gescheitert, weil trotz dieser
Politischen Grundsätze in den letzten Jahren die Waffenexporte gestiegen und gestiegen sind . Das müssen wir
endlich stoppen, und das geht mit diesen Politischen
Grundsätzen nicht .
({8})
Das liegt zum Beispiel daran, dass in den Grundsätzen einerseits glasklar steht, dass in sonstige Länder außerhalb der NATO keine Ausfuhr von Kriegswaffen genehmigt wird - super, der Satz geht aber weiter -, es sei
denn, dass besondere außenpolitische Interessen dafür
sprechen . Tatsächlich gibt es in jedem einzelnen Fall offenbar ein außenpolitisches Interesse, wodurch die Menschenrechte jedes Mal hinten runterfallen .
Frau Roth, Frau Brugger, Sie kennen die Zahlen: Jedes
Jahr werden 17 000 Anträge gestellt, und 16 900 Anträge werden durchgewinkt . Ungefähr 100 Anträge werden
abgelehnt . Daran sieht man: Ihre Politischen Grundsätze
sind butterweich . Ich verstehe bis heute nicht, warum Sie
die in ein Gesetz gießen wollen .
({9})
Denn wenn Sie das zu einem Gesetz machen, dann zementieren Sie den Status quo, dann werden Sie zementieren, dass Deutschland auch in 20 Jahren immer noch
der größte Waffenexporteur Europas ist, und das wollen
wir stoppen .
({10})
Ein Minimum, welches in einem solchen Gesetz geregelt werden sollte, wäre ein generelles Verbot von
Kleinwaffenexporten . Ich frage Sie von den Grünen: Warum sind Sie nicht dazu bereit? Wir haben es von Herrn
Gabriel gehört, wir haben es von Ihnen gehört . Eigentlich
sind wir uns bis auf den rechten Teil dieses Hauses fast
alle einig, dass Kleinwaffenexporte nicht zu verantworten sind. Kleinwaffen - das hat Kofi Annan gesagt -, das
sind die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit .
({11})
Keine einzige Kleinwaffe darf von diesem Land aus irgendwohin exportiert werden, ob nach Saudi-Arabien,
nach Mexiko oder in die USA .
({12})
Jetzt werden Sie natürlich alle aufschreien: Wieso
nicht in die USA, wenigstens an NATO-Staaten dürfe
man doch liefern? Ich möchte Sie nur daran erinnern und das verstehe ich bis heute nicht -, dass der letzte
große Exportskandal ausdrücklich die USA betraf . Von
Sig Sauer bei uns oben im schönen Norden wurden
100 000 Pistolen an die USA geliefert . Sie wurden umetikettiert und gleich nach Kolumbien weiterverschifft .
Damit haben die Amerikaner deutsches Exportrecht wissentlich und willentlich gebrochen . Deswegen sagen wir:
Keine Ausnahmen!
({13})
Wir fordern ein generelles Verbot von Kleinwaffenexporten .
({14})
Einem Rüstungsexportkontrollgesetz, das dies enthält,
würden wir auch zustimmen .
Noch ein letzter Punkt, bevor ich zum Ende komme .
Herr Gabriel nutzt morgen die Gelegenheit, auf der Bundespressekonferenz die Waffenexportzahlen 2015 vorzustellen . Sie werden gigantisch hoch sein . Wir wissen,
dass im ersten Halbjahr 2015 schon mehr genehmigt
worden ist als im ganzen Jahr 2014: Exporte mit einem
Volumen von 6,5 Milliarden Euro in einem halben Jahr .
Wir hören also morgen von Rüstungsexporten in einem
Umfang von 8, 9, 10, 11 Milliarden Euro - und das von
einem Minister, der Wahlkampf gegen Waffenexporte
gemacht hat .
Dann frage ich mich: Woran ist er gescheitert? Er ist
genau an diesem System gescheitert, am System der Politischen Grundsätze von Claudia Roth und von Herrn
Erler, das auf „Ja“ gestellt ist .
({15})
Wir wollen ein Rüstungskontrollgesetz, das auf „Nein“
gestellt ist, damit von deutschem Boden nie wieder irgendwo Kriege befeuert werden .
Im Übrigen - das wissen Sie - bin ich der Meinung,
dass Deutschland überhaupt keine Waffen mehr exportieren sollte . Das Kleinwaffenexportverbot ist ein Anfang .
Aber ich finde: Irgendwann sollten wir uns ein Beispiel
an Japan nehmen . Japan hat 40 Jahre lang kein einziges
Rüstungsgut in die Welt exportiert
({16})
und war damit relativ erfolgreich .
Ich danke Ihnen .
({17})
Danke schön . - Jetzt hat Matthias Ilgen, SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
mich gleich direkt an Herrn van Aken wenden, weil ich
es mal wieder sehr unseriös finde, wie die Linke mit den
Zahlen um sich wirft .
({0})
Ich finde, man muss dann schon bei den Fakten bleiben . Wenn Sie die hohe Zahl der Exportgenehmigungen
ansprechen, müssen Sie auch sagen, wie viele der genehmigten Exporte in NATO-Staaten gegangen ist und
wie viele nicht . Dann sehen die Zahlen auf einmal ganz
anders aus .
({1})
Sie schlagen vor, wir sollten am besten gar nichts
mehr, wenn ich das gerade richtig verstanden habe, in
NATO-Staaten liefern . So, Herr van Aken, wird man nie
regierungsfähig; das steht fest .
({2})
Wir haben seit dem Wiedereintritt der SPD in die Bundesregierung 2013 eine deutliche Reduktion der Exporte
zum Beispiel bei den Kleinwaffen erfahren, von 2013
auf 2014 um 43 Prozent . Im Vergleich der ersten Halbjahre 2015 zu 2014 waren es wiederum 42 Prozent . Ich
kann also nicht feststellen, dass Ihre Aussagen zu den
Kleinwaffen gerade in irgendeiner Art und Weise mit
den Fakten, nämlich der Realität der kleinen Schritte und
des Weniger - das waren beide Mal fast 50 Prozent - in
irgendeiner Art und Weise übereinstimmen . Und deswegen ist es schlichtweg falsch .
({3})
Darüber hinaus hat das Wirtschaftsministerium
für weitere Verschärfungen gesorgt . Wir haben die
Post-Shipment-Kontrollen eingeführt .
({4})
- Ja, 1 . März, entschuldigen Sie bitte . Wir führen sie zum
1 . März ein . Aber wir haben bzw . das Wirtschaftsministerium hat sie beschlossen .
Herr Kollege Ilgen, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen van Aken?
Ja, selbstverständlich .
Bitte schön, Herr van Aken .
Herr Ilgen, seit sechs Jahren fordern die Grünen und
wir die Post-Shipment-Kontrollen . Jetzt hat Herr Gabriel
sie angekündigt . Jetzt sagen Sie: Zum 1 . März kommen
sie .
Können Sie einmal genauer beschreiben, was das bedeutet? Wissen Sie, was der Beschluss der Bundesregierung zu den Post-Shipment-Kontrollen beinhaltet? Wissen Sie, dass da nicht drinsteht: Alle exportierten Waffen
werden später vor Ort kontrolliert? Wissen Sie, dass da
zum Beispiel Ausnahmen drinstehen? Wissen Sie, dass
im ursprünglichen Beschluss der Bundesregierung zum
Beispiel die Ausnahme enthalten war, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rüstungsindustrie dabei
nicht beeinträchtigt werden darf? Und wissen Sie, was
das in der Praxis heißen könnte? Dass Sie vielleicht am
Ende keine einzige Kontrolle irgendwo durchführen
werden, weil jedes Mal Heckler & Koch, Rheinmetall,
Krauss-Maffei Wegmann sagen werden: Wenn wir das
jetzt zulassen, wäre unsere Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt . Wissen Sie, dass die Post-Shipment-Kontrollen, die Sie vorschlagen, nur Schaumschlägerei sind?
({0})
Herr van Aken, ich weiß jedenfalls, dass Ihre Argumente Schaumschlägerei sind .
({0})
Denn es steht in den Bestimmungen über die Post-Shipment-Kontrollen eindeutig, dass es sozusagen als Bestrafung für diejenigen Staaten und Menschen, an die wir liefern und die unseren Rechtsgrundlagen zuwiderhandeln,
keine künftigen Exporte geben wird . Das steht da eindeutig drin . Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung
entsprechend handeln wird und wir als Parlament das
nachvollziehen . Deswegen kann ich Ihrer Argumentation
nicht folgen; tut mir leid .
({1})
Die neuen Kleinwaffengrundsätze wurden angesprochen . Der „Neu für Alt“-Grundsatz und das Prinzip
„Neu, Vernichtung bei Aussonderung“, dass also die neu
gelieferten Waffen bei der Aussonderung vernichtet werden, werden für zusätzliche Limitierungen in diesem Bereich sorgen . Meine Damen und Herren der Opposition,
ich finde: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Darüber hinaus haben wir rechtliche Grundlagen . Jetzt
kommen wir zum eigentlichen Thema, der Frage des
Rüstungsexportkontrollgesetzes . Die rechtlichen Grundlagen, die wir bisher haben, sind die Politischen Grundsätze der Bundesregierung, der Gemeinsame Standpunkt
des Rates zu jeder Lieferung auch innerhalb der Europäischen Union, das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz und auch Verträge auf völkerrechtlicher Ebene, die Waffenlieferungen einschränken, etwa
der Arms Trade Treaty .
Der Bundeswirtschaftsminister hat vorgeschlagen,
dass man, um das rechtlich vernünftig zu ordnen, gegebenenfalls ein Gesetz machen könnte .
({2})
- Ich finde es gut, dass Sie klatschen, Frau Roth. - Absicht des Ministers ist es, eine Expertenkommission zur
Prüfung aller Ideen zur Schaffung eines solchen Rüstungsexportgesetzes als Ersatz für all die Richtlinien, die
ich eben genannt habe, einzuberufen . Wir als SPD-Fraktion begrüßen das ausdrücklich; denn damit wird es
transparenter und klarer für alle .
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich finde,
Sie könnten dieses Vorgehen des Ministers durchaus als
Schritt in die richtige Richtung ausdrücklich loben und
anerkennen .
({3})
Was tun Sie stattdessen? Statt zu warten, was diese Expertenkommission hervorbringt, heben Sie darauf ab,
dass er das vor einem Monat vorgeschlagen hat . Wir werden sehen, was passiert . Der Minister hat eine Pressekonferenz angekündigt . Auch wir warten, was kommt . Wir
gehen aber davon aus, dass diese Expertenkommission
wirklich zeitnah eingerichtet wird . Wir sollten alle gemeinsam auf die Ergebnisse warten, die uns diese Kommission vorstellt . Wir sagen an dieser Stelle ganz klar:
Es gilt der Grundsatz „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“;
denn wir wollen es ordentlich machen, oder?
({4})
- Nein .
Ob die Zusammenfassung der bisherigen Gesetzeslage, die der Bundesminister beabsichtigt, zudem Ihrer
Idee - jetzt diskutieren wir darüber, was für ein Rüstungsexportgesetz wir hier machen wollen - entsprechen
wird, das wage ich zu bezweifeln . Woher der Wind bei
Ihrer Idee eines Rüstungsexportkontrollgesetzes wirklich
weht, kann man Ihren alten Anträgen entnehmen . Sie fordern da zum Beispiel ein Klagerecht für NGOs, wenn es
um Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung
geht .
({5})
- Ja, das ist quasi ein Verbandsklagerecht .
({6})
Ich finde, das ist ohnehin schon eines der problematischsten Gesetze, die wir in Deutschland haben - hinsichtlich
der Ausgestaltung des Verbandsklagerechts, nicht grundlegend .
({7})
Wie wir es gemeinsam ausgestaltet haben, ist es problematisch;
({8})
denn das ist in vielen anderen Bereichen ein wahnsinniges Verhinderungsinstrument in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung .
({9})
Auf den Rüstungsbereich wollen wir das aber nicht
eins zu eins übertragen . Darum geht es nicht .
({10})
Wir wollen das nicht eins zu eins übertragen . Ich glaube nicht, dass wir das wirtschaftliche Wachstum mit
Waffen exporten vergleichen sollten . Wir wollen aber auf
jeden Fall darauf hinweisen, dass es nicht Teil unserer
Forderungen sein wird, Klagerechte für Verbände in diesem Bereich einzuführen . Wir halten davon nichts, und
wir werden das auch so nicht machen .
In Ihrem Antrag auf Drucksache 18/6201 vom 30 . September 2015 haben Sie ganz klar eingefordert, dass wir
als Bundesregierung bei CETA darauf achten, dass es
keine Sonderklagerechte für Unternehmen und Verbände
vor irgendwelchen Gerichten gibt . Das können Sie doch
nicht jetzt - ich finde, das muss man an dieser Stelle einmal sagen -, bei den Waffenexportgesetzen, einfordern .
({11})
Sie messen ständig mit zweierlei Maß . Das ist der
Grund, warum ich mit einem norddeutschen Sprichwort
auf Niederdeutsch, also Plattdeutsch, enden will: Snell
hett sick totlopen . Ich bleibe dabei: Gründlichkeit geht
vor Schnelligkeit . Deswegen werden wir Ihren Antrag
heute ablehnen .
({12})
Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt die Kollegin Gisela
Manderla, CDU/CSU-Fraktion . - Bitte schön .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt kaum ein Thema in unserem Land, über das heftiger und kontroverser diskutiert und debattiert wird als
über den Umgang mit Rüstungsgütern . Vor allem kochen
die Gemüter hoch, wann immer es um den Export dieser
Produkte geht . Dabei täten gerade wir in Deutschland gut
daran, eine Versachlichung dieser Debatte anzustreben .
Wir sollten mit Blick auf die gesellschaftliche Orientierung die Fragen stellen: Welche Rolle soll Deutschland
zukünftig in der Welt einnehmen? Welchen Wert hat die
Verteidigung unserer Grundwerte, und mit welchem Instrumentarium wollen wir eben jene Grundwerte erhalten
und beschützen?
Apropos Versachlichung: Unsere Handlungsgrundlage ist der Koalitionsvertrag. Dort ist fixiert, dass
Deutschland ein elementares Interesse an einer innovativen leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie hat, und zwar nicht
in erster Linie aus wirtschaftlicher, sondern vor allem
aus außen-, sicherheits- und technologiepolitischer Sicht,
und das aus guten Gründen .
Mit Blick auf unsere Außen- und Sicherheitspolitik
geht es vorrangig um zwei Punkte:
Erstens geht es um die Verteidigungsfähigkeit im
NATO-Bündnis und im Rahmen der Europäischen Union . Um diese künftig sicherzustellen, bilden wir mit
Konzepten wie „Framework Nations“, den Anlehnungspartnerschaften oder „Smart Defence“ zunehmend mehr
transnationale Fähigkeiten aus . Wer auf den Prozess
fortschreitender Bündnisintegration und die hierfür notwendige Arbeitsteilung gestalterischen Einfluss nehmen
will, der muss auch über die entsprechenden Kapazitäten
verfügen: in den Streitkräften selbst, aber auch in Ausrüstungs- und Ausbildungsfragen .
Zweitens geht es um die Fähigkeit, diejenigen Herausforderungen, die sich in Europas unmittelbarer
Nachbarschaft für unsere Sicherheit ergeben, direkt und
aktiv anzugehen . Das entspricht übrigens nicht nur unserer gewachsenen Verantwortung, sondern wird auch
zunehmend von unseren Freunden und Partnern so erwartet, und das auch völlig zu Recht, wie ich finde, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({0})
Vor allem die Entwicklungen der letzten beiden Jahre
haben uns schmerzlich vor Augen geführt, wie schnell
Konflikte entstehen und eskalieren können.
({1})
Hierauf müssen wir schneller und entschlossener reagieren können . Dafür braucht Deutschland die entsprechenden Fähigkeiten . Nun könnte man ja sagen, die hierfür
nötigen Systeme lassen sich doch allesamt im Ausland
erwerben . Das mag stimmen . Allerdings sind eigene rüstungstechnologische Fähigkeiten eine zentrale Voraussetzung, um den europäischen Integrationsprozess im
Rüstungsbereich mitzugestalten . Sie gewähren Teilhabe
und Einfluss bei Entwicklung, Beschaffung und Betrieb
von entscheidenden militärischen Systemen, vor allem
wenn sie, wie es in Deutschland in einigen Bereichen
zum Glück noch der Fall ist, im globalen Vergleich immer noch State of the Art sind . Einmal verloren gegangen, sind wehrtechnische Fähigkeiten jedoch nicht oder
nur unter größtem Aufwand wieder aufzuholen .
Die deutsche wehrtechnische Industrie trägt mit ihren
Produkten zentral dazu bei, dass die Bundeswehr als ein
Instrument der Politik vernünftig ausgerüstet ist und mit
ihrem Fähigkeitsspektrum die Breite der sicherheitspolitischen Herausforderungen abdecken kann .
({2})
Der Kunde Bundeswehr allein reicht heute aber längst
nicht mehr aus, um die wehrtechnischen Kapazitäten
auch nur zu erhalten, geschweige denn in Sachen Forschung und Entwicklung am Ball zu bleiben . Zu gering
ist der investive Spielraum im Einzelplan Verteidigung
im Bundeshaushalt .
({3})
Frau Kollegin Manderla, darf ich Sie einmal kurz unterbrechen? - Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie,
sich Ihre Stimmkarten etwas geräuschloser zu besorgen
und auch die Gespräche in den Fluren zu unterlassen;
denn jetzt hat die Kollegin Manderla das Wort . Sie hat
auch das Recht darauf, dass Sie ihr zuhören .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Selbst der avisierte
und dringend angezeigte Mittelaufwuchs für die Bundeswehr wird bei weitem nicht ausreichen, diese Realität
umzukehren . So ist die deutsche wehrtechnische Industrie beinahe folgerichtig bereits zu 50 bis 70 Prozent von
Exportmärkten abhängig . Lieferungen von Rüstungsgütern sind faktisch aber kaum noch möglich, in Teilen
nicht einmal mehr an NATO-Verbündete bzw . europäische Partner . Gerade dieser Punkt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ist nur schwer erträglich; das will ich hier deutlich zum Ausdruck bringen .
({0})
Denn wenn sich selbst unsere engsten Partner nicht darauf verlassen können, dass wir ihnen vertraglich zugesicherte Systeme, Ersatzteile und einzelne Bauteile liefern
bzw . nachliefern, was ist unseren Verbündeten diese Partnerschaft dann noch wert?
Deutsche Unternehmen haben es zunehmend schwerer, sich in internationalen Lieferketten und Kooperationen mit NATO-Partnern zu behaupten . Die Aufträge
gehen an Firmen aus anderen Staaten, die in der Regel
mit erheblicher staatlicher Flankierung unterstützt werden . Aus dem Qualitätssiegel „made in Germany“ ist das
Label „German-free“ geworden - angesichts der qualitativen und technologischen Wertigkeit vieler deutscher
Systeme und Komponenten eine geradezu absurde Entwicklung, meine Damen und Herren .
({1})
Deutschland hat bereits jetzt mit die restriktivsten
Regelungen für den Rüstungsexport weltweit . Mit den
im letzten Jahr noch zusätzlich eingeführten Kleinwaffengrundsätzen, lieber Herr Kollege van Aken, und
einer weiteren Verschärfung der Endverbleibskontrollen - sie wurden schon angesprochen; Stichwort
Post-Shipment-Kontrollen - kamen weitere Regularien
dazu .
({2})
Die Unzahl deutscher Auflagen, Bedingungen, Einschränkungen und Hürden sucht weltweit jetzt schon
ihresgleichen . Mit weiteren, noch restriktiveren Maßnahmen riskieren wir eine Strangulierung der gesamten
Branche; und das ist mit uns, der Unionsfraktion in diesem Hause, nicht zu machen .
({3})
Entscheidungen über Rüstungsexporte unterliegen
stets schwierigen und komplexen Abwägungsprozessen .
Sie müssen unter Einbeziehung vieler Aspekte getroffen
werden . Eindimensionale Begründungen reichen nicht
aus . Sie müssen vielmehr in die oben genannten grundsätzlichen Erwägungen eingebettet sein .
In der Gesamtschau - das wissen Sie - reden wir heute über eine Hochtechnologiebranche in Deutschland mit
rund 300 000 inländischen Arbeitsplätzen, deren Wertschöpfungsniveau beträchtlich ist und deren interaktive
Wirkung enorme Synergien mit anderen Branchen erzeugt . Die Bedeutung der wehrtechnischen Industrie ist
aber nicht einfach nur an simplen Umsätzen abzulesen,
sondern sie stellt einen ganz elementaren Grundpfeiler
in unserer Sicherheitsvorsorge dar und ist deshalb von
herausragender Bedeutung .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich ende, gestatten Sie mir noch ein deutliches Wort zum hier heute
vorliegenden Antrag und vor allen Dingen zu dem Impuls im Mai letzten Jahres .
Die Unterstellung, Deutschland würde seiner Friedenspflicht nicht nachkommen, ist ungeheuerlich, und
angesichts der umfangreichen Bemühungen in unseren
Bündnissen - seien sie diplomatischer oder militärischer
Art - ist sie ein Schlag ins Gesicht unserer Soldatinnen
und Soldaten und unserer zivilen Kräfte, die sich tagtäglich abmühen, den Störern der internationalen Ordnung
Einhalt zu gebieten .
({4})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr . Karl-Heinz Brunner,
SPD-Fraktion .
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist immer etwas
kritisch, als Letzter zu sprechen, und dann auch noch vor
einer namentlichen Abstimmung, wenn sich das Hohe
Haus über alle Themen austauschen möchte, die so wichtig sind .
Es geht mir genauso wie vielen Menschen in unserem
Land . Wenn man über Rüstungsexportkontrolle spricht,
dann kann jeder mitdiskutieren - in jeder Form und in
jeder Ausgestaltung . Es ist das ideale Thema an jedem
Stammtisch . Man vergleicht einen Panzer oder einen
Tornado ganz selbstverständlich mit dem G36 oder auch
nur einer Jagdmunition .
Warum sage ich dies? Ich sage dies deshalb, weil es
bei der Diskussion über die Rüstungsexportkontrolle zweifelsohne um mehr geht, als nur platt zu fordern,
nicht mehr Waffen in irgendwelche Staaten zu exportieren, seien es befreundete und unkritische Staaten oder,
was ausgeschlossen sein muss, kritische Staaten .
({0})
Das Thema ist weitaus vielschichtiger, differenzierter
und vor allen Dingen komplizierter zu betrachten .
({1})
Bereits heute gelten zahllose Vorschriften . Die Kleinwaffengrundsätze wurden im vergangenen Jahr verändert, und die Post-Shipment-Kontrollen kommen . Es
ist richtig, dass Bundesminister Gabriel, der weiß, dass
eine Reihe von Richtlinien Auslegungen erlauben, Auslegungen einmal industriefreundlich und einmal weniger industriefreundlich vornimmt . Er hat zu Recht vorgeschlagen, innere Klarheit bzw . Rechtssicherheit und
vor allen Dingen auch äußere Klarheit durch ein eigenes
Rüstungsexportgesetz zu schaffen .
({2})
Liebe Kollegin Brugger, ich glaube, es ist zu kurz gesprungen, wenn man sagt, man sollte nicht arg lang nachdenken, vom 15 . Januar 2016 bis zum 16 . Februar 2016
hätte das erledigt sein sollen;
({3})
denn Nachdenken ist die Voraussetzung für richtiges
Handeln, und für das Regierungshandeln gilt das erst
recht . Deshalb ist es richtig, zuerst intensiv nachzudenken, eine Expertenkommission einzubinden und mit
dieser Expertenkommission die richtigen abgewogenen
Vorschriften und gesetzlichen Regelungen zu erarbeiten
und vorzustellen, die eine wirksame und effektive Arbeit
ausgewogen und umfassend ermöglichen .
({4})
Es geht nicht allein darum, jetzt ganz schnell das Außenwirtschaftsgesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz
und Ähnliches zu ändern . Es geht nicht darum, die Frage
zu beantworten: Wie können für Kleinwaffen, die größte Gefahr in unserer Gesellschaft und auf unserer Welt,
wirksame Endverbleibskontrollen durchgeführt werden,
sei es durch Chips, sei es durch Laser oder Ähnliches?
Vielmehr gehört dazu auch, nicht nur über Waffenexporte zu reden, sondern auch über die Waffen, die tatsächlich
in Umlauf gebracht werden . Die Abrüstungspolitik insgesamt muss als eine Einheit gesehen werden .
Deutschland muss und wird - soweit bin ich mir sicher - im Rahmen der weltweiten Abrüstung und der
Schaffung von mehr Sicherheit weiter aktiv seinen Beitrag leisten . Auch ich will dies . Deshalb, glaube ich, müssen wir eine ganz bestimmte Art der Kriegsführung in den
Expertenrunden mutig ansprechen, von der wir heute viel
zu wenig sprechen: die extralegalen Tötungen . Dadurch
wird versucht, Konflikte und das Recht auf Selbstverteidigung über alle Maßen hinweg räumlich und zeitlich zu
entgrenzen, also durch Drohnenangriffe in anderen Ländern zu töten, ohne das Völkerrecht zu berücksichtigen .
Extralegale Tötungen - ich sage dies, weil ich die Gelegenheit habe, als Letzter zu sprechen - dürfen nie und
nimmermehr zur völkerrechtlichen Gewohnheit werden .
({5})
Wir dürfen sie nicht akzeptieren . Vor allen Dingen dürfen sie niemals und schon gar nicht mit unserer Hilfe ins
Völkerrecht eingehen .
Sie sehen, meine Damen und Herren, Rüstungskontrolle, Abrüstung, die Schaffung von Frieden auf dieser
Welt sind wesentlich komplexer, als schnell mal einen
Antrag zu stellen, schnell mal einen Gesetzentwurf vorzulegen und schnell mal zu handeln . Vielmehr bedarf es
einer weisen und intensiven Diskussion und Beratung .
Ich glaube, dass dies die Expertenkommission sehr wohl
tun kann . Ich bin mir sicher, dass Sigmar Gabriel und
das Ministerium für Wirtschaft auf dem richtigen Weg
sind, die entsprechenden Regelungen zu treffen und den
Frieden zu sichern .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank . - Wir sind damit am Ende der Debatte
angelangt und kommen zur Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/7546 mit dem Titel „Rüstungsexportkontrollge-
setz vorlegen“ . Wir stimmen nun über den Antrag auf
Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nament-
lich ab .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind jetzt alle
Plätze an den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall .
Dann eröffne ich die Abstimmung über den Antrag .
Sind Kollegen oder Kolleginnen im Saal, die ihre
Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? - Ich sehe, das
ist nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben .1)
Wir haben jetzt noch eine weitere Abstimmung durch-
zuführen . Ich darf Sie alle bitten, wieder Platz zu neh-
men .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20 b . Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Eckpunkte für ein
Rüstungsexportkontrollgesetz“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7030,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4940 abzulehnen . Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von CDU/CSU- und SPD-Fraktion angenommen bei
1) Ergebnis Seite 15301 C
Enthaltung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie
Drucksachen 18/5922, 18/6286
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Drucksache 18/7584
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Klaus Ernst, Dr . Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Gesetzliche Deckelung und Veröffentlichung
der Zinssätze für Dispo- und Überziehungskredite
Drucksachen 18/2741, 18/7584
Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie beinhaltet in der Fassung der
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz auch Änderungen handelsrechtlicher
Vorschriften .
Außerdem liegen zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber .
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute über den Entwurf eines
Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie abschließend beraten können . Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist es wichtig, dass sie jetzt von
den neuen Möglichkeiten, ihren neuen Rechten beim Abschluss eines Immobilienkredits Gebrauch machen können . Ich will nur stichwortartig die Verbesserungen aus
Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher nennen - die
Kolleginnen und Kollegen werden darauf näher eingehen -: verbesserte vorvertragliche Informationen, Schutz
vor Risiken bei Fremdwährungskrediten, Beratungsangebote bei Dispokrediten, die Möglichkeit anbieterunabhängiger Honorarberatung und das Widerrufsrecht auch
bei Null-Prozent-Finanzierung . Heute Morgen haben wir
in weiteren Bereichen im Rahmen eines anderen Gesetzes
zusätzliche Verbraucherrechte eingeführt, unter anderem
das Widerrufsrecht auf dem Grauen Kapitalmarkt .
Es gibt also eine Reihe positiver Punkte . Zur Transparenz gehört aber, auch auf den Punkt einzugehen, über
den in den letzten Wochen kritisch diskutiert wurde,
nämlich über das Auslaufen des sogenannten ewigen Widerrufsrechts . Dies ist lange innerhalb der Bundesregierung - Finanzministerium und Verbraucherschutzministerium - abgewogen worden . Wir sind zu dem Ergebnis
gekommen - das haben wir dem Bundestag vorgeschlagen -, dass auch Personen, denen der Verbraucherschutz
ein Anliegen ist, dem Auslaufen der Altfälle 6 bis 14 Jahre nach Zustandekommen des Vertrages zustimmen
können . Es geht darum, dass Immobilienkreditverträge,
die zwischen 2002 und 2010 zustande gekommen sind,
teilweise mit einem ewigen Widerrufsrecht belastet sind,
weil manche Bankinstitute nicht mehr von der gesetzlichen Musterwiderrufsbelehrung Gebrauch gemacht haben, als diese von einigen Gerichten infrage gestellt wurde . Ich will die Gründe nicht im Einzelnen bewerten . Die
Verträge sind nicht wegen einer schlechten oder falschen
Information, die zu Benachteiligungen geführt hat, entstanden, vielmehr sind sie wegen eines Formfehlers mit
Rechtsunsicherheiten für beide Seiten behaftet .
Man darf sicherlich sagen, dass es kein echtes verbraucherpolitisches Anliegen ist, das Widerrufsrecht einer
Vertragspartei noch aufrechtzuerhalten, wenn der Kredit
bereits vollständig getilgt wurde und der Vertrag zur beiderseitigen Zufriedenheit erfüllt worden ist . Wie wir sehen, geht es größtenteils nicht um Kunden, die sich über
zu hohe Vorfälligkeitsentschädigungen beschwert haben .
Vielmehr wird dieses Widerrufsrecht von Rechtsanwaltskanzleien sozusagen als Widerrufsjoker genutzt, nach dem
Motto: Nutzen Sie die jetzt niedrigeren Zinsen! - Aus meiner Sicht sind vor allem Banken und Sparkassen belastet,
die Kredite zu fairen Konditionen angeboten und nicht
versucht haben, zu übervorteilen . Aber diese müssen heutzutage damit rechnen, dass ihre Bilanzen durch hohe Kosten aus abgelaufenen, erfüllten Verträgen belastet werden .
Es ist keineswegs sicher, dass dieses Widerrufsrecht
ewig von den Verbraucherinnen und Verbrauchern genutzt werden kann; denn wahrscheinlich werden in Zukunft einige Gerichte entscheiden, dass das Widerrufsrecht nach 10, 14 oder 16 Jahren verwirkt ist . Aber so
lange, bis entsprechende höchstrichterliche Urteile ergehen, herrscht Rechtsunsicherheit auf beiden Seiten . Das
ist weder aus Verbrauchersicht noch aus Gründen der
Finanzmarktstabilität sinnvoll . Deswegen glaube ich,
dass es nun richtig ist, zu sagen: Verbraucherinnen und
Verbraucher haben drei Monate nach Inkrafttreten des
Gesetzentwurfs Zeit, sich zu überlegen, ob sie ihr Widerrufsrecht bei Verträgen aus den Jahren 2002 bis 2010
wahrnehmen wollen . Die Regierung hat im September
letzten Jahres angekündigt, eine solche Regelung vorzuschlagen . Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben
folglich neun Monate Zeit . Von „zu schnell“ und „überrumpeln“ kann also keine Rede sein .
Neben all den Vorteilen, die ich zu Beginn aufgezählt
habe, wird diese Regelung dazu beitragen, dass wir in
Deutschland zwei Dinge behalten: die europaweit besVizepräsidentin Ulla Schmidt
ten Konditionen bei Immobilienkrediten, also die niedrigsten Zinsen, und gleichzeitig eine hohe Kultur bei den
Festzinsen, also Berechenbarkeit aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher . Daher hoffe ich, dass der
Gesetzentwurf auf breite Unterstützung bei Ihnen stößt .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 583 .
Mit Ja haben gestimmt 116, mit Nein haben gestimmt
467 . Damit ist der Antrag abgelehnt .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 582;
davon
ja: 116
nein: 466
enthalten: 0
Ja
CDU/CSU
Josef Göppel
SPD
Detlef Müller ({0})
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Annette Groth
Dr . Andre Hahn
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Jan Korte
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller ({1})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold ({2})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({3})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck ({4})
Dr . Franziska Brantner
Katja Dörner
Katharina Dröge
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Stephan Kühn ({5})
Christian Kühn ({6})
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({7})
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Nein
CDU/CSU
Stephan Albani
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({8})
Axel E . Fischer
({9})
Dr . Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({10})
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({11})
Mark Helfrich
Uda Heller
Michael Hennrich
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann ({12})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer ({13})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller
({14})
Stefan Müller ({15})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({16})
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt ({17})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder
({18})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster
({19})
Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({20})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel ({21})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({22})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({23})
Sabine Weiss ({24})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({25})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G . Wöhrl
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({26})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({27})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({28})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({29})
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({31})
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({32})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({33})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({34})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({35})
Matthias Schmidt ({36})
Dagmar Schmidt ({37})
Carsten Schneider ({38})
Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz ({39})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Waltraud Wolff ({40})
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Brigitte Zypries
Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die
Kollegin Caren Lay .
({41})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sprechen heute über die Rechte von Menschen, die einen Kredit aufgenommen haben, um sich damit ein Haus zu bauen oder eine Eigentumswohnung zu
finanzieren. Für viele, ja für die meisten ist es der größte
Kauf in ihrem Leben, der größte Kredit, den sie aufnehmen .
Da sind die Konditionen zum Teil kompliziert, die
Vertragswerke für manche unverständlich, und der Häuslebauer ist ja auch auf die Bank und auf den Kredit angewiesen . Diese Situation nutzen die Banken gern, um
zuzuschlagen mit versteckten Gebühren, mit versteckten
Kosten . Deswegen sagen wir als Linke: Es ist höchste
Zeit, die Rechte der Kunden gegenüber den Banken zu
stärken .
({0})
Der Impuls für die Gesetzesänderung heute - auch
das gehört allerdings zur Wahrheit hinzu - kommt nicht
etwa von der Regierung, kommt nicht aus der Koalition
in Berlin; es ist wieder einmal die EU, die Deutschland
zwingt, eine Richtlinie umzusetzen . Das ist ja leider bei
der Verbraucherpolitik inzwischen an der Tagesordnung .
({1})
Bei dieser Umsetzung schaffen Sie es allerdings am
Ende des Tages, also heute, dass mit einer Richtlinie, mit
der die Rechte der Verbraucher gestärkt werden sollen,
den Verbraucherinnen und Verbrauchern letztlich Möglichkeiten genommen werden . Das kann ich überhaupt
nicht verstehen. Wir finden das völlig inakzeptabel.
({2})
Ich möchte auf drei konkrete Punkte eingehen . Das
Erste sind die sogenannten Vorfälligkeitsentschädigungen . Also: Wer seinen Kredit vorzeitig kündigen möchte - dahinter stecken ja manchmal auch Schicksale wie
Todesfälle, Trennung vom Partner, von der Partnerin
oder Arbeitslosigkeit -, muss Gebühren, hohe Gebühren,
zu hohe Gebühren - wie wir finden - an die Banken zahlen . Nach Aussagen der Verbraucherzentralen fallen da
in Deutschland bis zu 15 Prozent der Kreditsumme an .
Bei 100 000 Euro wären das dann also 15 000 Euro, die
man an Entschädigung an die Bank zahlen muss . Das ist
wirklich fett . Diese Vorfälligkeitsentschädigungen sind
die höchsten in ganz Europa . Wir können das nicht akzeptieren . Deswegen sagen wir als Linke: Machen Sie es
doch so wie unsere europäischen Nachbarn, und deckeln
Sie endlich diese Gebühren!
({3})
Leider verpasst die Koalition auch dieses Mal die Chance,
das umzusetzen, was uns die EU hier ermöglicht hätte .
Der zweite Punkt - wir haben als Fraktion Die Linke
viele Anträge dazu gestellt - sind die Dispozinsen . Ich
darf Sie erinnern: Die Dispozinsen liegen in Deutschland
durchschnittlich immer noch bei 10 Prozent . Wenn wir
uns jetzt angucken, dass die Banken ihr Geld zu einem
historisch niedrigen Leitzins bekommen, sind die Gewinne, die die Banken hier auf Kosten derjenigen einfahren
können, die im Dispo stecken, einfach nicht akzeptabel .
Wir als Linke haben deswegen gesagt: Lassen Sie uns
die Dispozinsen gesetzlich bei 5 Prozent über dem Leitzinssatz der EZB deckeln! Das würde den Banken immer noch 5 Prozent Gewinn sichern . Aber alles andere
ist doch unanständig, alles andere bedeutet, Reibach auf
Kosten von Menschen zu machen, die auf den Dispo angewiesen sind . Das ist völlig inakzeptabel .
({4})
Den Vogel abgeschossen hat die Koalition aber mit
der Änderung des Widerrufsrechts . Ohne Not sollen wir
heute eine Änderung zulasten der Verbraucher beschließen, eine Änderung, zu der uns die EU-Richtlinie überhaupt nicht anhält . Die Banken haben einfach jahrelang
falsche Widerrufsbelehrungen verschickt . Das ermöglicht den Verbrauchern, solange das nicht korrigiert wird,
ihre Darlehensverträge zu kündigen . Das ist den Banken
ein Dorn im Auge .
Ich finde, die Banken könnten diesen Fehler beheben, indem sie eine korrekte Nachbelehrung vornehmen .
Das tun sie aber nicht, weil sie fürchten, dass sie damit
schlafende Hunde wecken . Stattdessen haben die Banken Lobbyismus betrieben - offenbar bei Abgeordneten
des Deutschen Bundestags, bei der Regierung und beim
Bundesrat - und haben gesagt: Liebe Politiker, regelt
das doch einmal für uns! Und genau das sollen wir heute
auch für die Banken zulasten der Verbraucherinnen und
Verbraucher tun . Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie
Sie sich hier von den Banken vor den Karren spannen
lassen . Das machen wir als Linke nicht mit .
({5})
Damit belohnt der Gesetzgeber am Ende diejenigen, die
sich besonders verbraucherfeindlich verhalten . Es ist einfach völlig unnötig, das Widerrufsrecht an dieser Stelle
zu ändern .
Meine Damen und Herren, das manager magazin,
nicht gerade im Verdacht, der Linken nahezustehen, darf
ich zum Abschluss zitieren . Es titelte: „Wie die Bankenlobby einen Minister dazu bringt, die Rechte ihrer Kunden zu beschneiden“ . Der Autor führt fort, dieses Gesetz
sei „ein einziger Kniefall vor der Bankenlobby“ . Ich
möchte ergänzen: Das war auch für mich ein Lehrstück
von Lobbyismus im Deutschen Bundestag, in der Bundesrepublik Deutschland, wie ich es selten erlebt habe .
Wir können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Dr . Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir bringen heute ein Gesetz auf den Weg, das
im Wesentlichen eine europäische Richtlinie umsetzt .
Wir erhöhen damit insgesamt den Verbraucherschutz auf
einem wichtigen Sektor der Kreditgewährung . Ich möchte noch einige Punkte gleich im Einzelnen herausgreifen . Ich glaube, dass die Beratungen der letzten Wochen
gezeigt haben, dass unser Baufinanzierungssystem sich
insgesamt bewährt hat . Es steht auf festen Füßen .
Wir sollten insbesondere an den Regelungen zur Vorfälligkeitsentschädigung festhalten . Hier sind Eingriffe
in die Vertragsfreiheit fehl am Platz . Die Vorfälligkeitsentschädigung sichert gerade unser Festzinssystem und
ist die Voraussetzung für langfristige Zinsgarantien, auch
und gerade im Interesse der Verbraucher . Es ist gut, dass
wir daran heute nicht rütteln .
Ich will besonders noch auf diejenigen Punkte eingehen, die wir in den letzten Wochen im Zuge der Ausschussberatungen weiter verbessert haben . Ja, Frau Lay,
wir haben uns intensiv mit den Folgen beschäftigt, die
das ewige Widerrufsrecht hat . Hier haben nicht irgendwelche Banken, wie Sie eben gesagt haben, sondern wir
als Gesetzgeber, der Staat selber, eine Situation geschaffen, die zu ganz erheblicher Rechtsunsicherheit führt .
Mit der von uns gelieferten Vorlage haben wir Regelungen geschaffen, die Probleme hervorrufen und die dazu
führen, dass Widerrufsbelehrungen zwischen den Jahren
2002 und 2010 fehlerhaft sind . Das heißt, es gibt heute
noch Verträge, die vor teilweise 6 bis 13 Jahren geschlossen worden sind und die längst abgewickelt sind, aber
durch einen Fehler, den wir selbst verursacht haben, immer noch widerrufen werden können .
Sie fragen, wem das nützt . Das nützt vor allem einer
ganz beträchtlichen Zahl von Rechtsanwälten, die viele Prozesse angestoßen haben . Wenn Sie fragen, wem
das schadet, dann antworte ich Ihnen: Das sind nicht
die großen internationalen, europäischen und deutschen
Banken, die wir alle kennen, sondern es sind gerade die
kleinen Institute, die Regionalbanken, die kommunalen
Banken und die Sparkassen, die wir immer ganz besonders im Blick haben sollten .
({0})
Hier ist ein Zustand entstanden, den wir nicht sehenden
Auges hinnehmen können . Ich glaube, dass wir im Interesse der Rechtssicherheit und am Ende auch des Rechtsfriedens eine Änderung vornehmen müssen .
Wir schlagen Ihnen heute eine Erlöschensregelung
nach drei Monaten vor . Das heißt, alle, die bis jetzt schon
6 bis 13 Jahre Zeit hatten, ihre Verträge zu widerrufen,
bekommen nun noch einmal drei Monate Zeit, ihre individuellen Verträge zu prüfen und mit Rechtsanwälten
oder Verbraucherzentralen darüber zu sprechen, ob bei
ihnen ein Widerrufsrecht besteht . Ich bin überzeugt: Wir
haben Ihnen gerade zu diesem Punkt eine ausgewogene
und maßvolle Lösung vorgelegt, die längst überfällig war
und mit der wir heute den lange fälligen Rechtsfrieden
schaffen .
Wir haben in dieses Gesetzespaket noch zwei weitere
Regelungen aufgenommen, die der schon länger anhaltenden Niedrigzinsphase geschuldet sind . Die erste betrifft die betriebliche Altersvorsorge . Hier führen niedrige Zinsen dazu, dass Firmen immer mehr Geld für ihre
Pensionen zurücklegen müssen . Es besteht die Gefahr,
dass eine ganz unverschuldete finanzielle Schieflage entsteht . Wir schlagen Ihnen heute vor, dass wir nunmehr
den Zinsdurchschnitt der letzten zehn Jahre zugrunde
legen, also den bisher geltenden Zeitraum von sieben
Jahren auf zehn Jahre erhöhen . Ich glaube, dass auch
das dringend notwendig ist, weil wir damit gerade den
Arbeitnehmern, aber auch den Unternehmen helfen . Wie
wir heute den Schlagzeilen entnehmen konnten, leidet
selbst das Erzbistum Köln unter dieser Situation . Wir
machen heute das wichtige Instrument der betrieblichen
Altersvorsorge zukunftsfest .
({1})
Es gibt noch eine zweite Auswirkung, die der Niedrigzinsphase ganz unmittelbar geschuldet ist . Auch in
diesem Zusammenhang verbessern wir die Rechte des
Endverbrauchers heute maßgeblich . Wir stellen fest, dass
in der Niedrigzinsphase immer mehr hochwertige Waren zinsfrei finanziert werden können. Bislang stand bei
einer unentgeltlichen, also zinsfreien, Finanzierung der
Verbraucher schlechter da als bei einer Finanzierung, bei
der Zinsen vorgesehen sind . Dies wird die Koalition heute ändern . Es kann nicht sein, dass sich ein Endverbraucher schlechterstellt, weil er bessere Kreditkonditionen
aushandeln konnte .
Ich glaube, dass wir uns im weiteren Verfahren - es
ist noch eine Verordnung vorgesehen - noch um ein paar
Details kümmern müssen . Etwa bei der sogenannten Alte-Hasen-Regelung, die die Gewerbeordnung betrifft,
müssen wir Klarstellungen vornehmen, was die ununterbrochene Tätigkeit angeht .
Ich komme zum Schluss . Ich glaube, dass wir heute
einen guten Kompromiss vorlegen . Wir achten das Prinzip der Vertragsfreiheit . Wir sichern bewährte Finanzierungsmodelle, und wir verbessern den Verbraucherschutz .
Herzlichen Dank .
({2})
Herzlichen Dank . - Es spricht jetzt der Kollege
Dr . Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei diesem Gesetzgebungsvorhaben möchte ich nicht auf
alles eingehen - das lässt die Zeit nicht zu -, sondern drei
Punkte in den Vordergrund rücken .
Der erste ist die Vorfälligkeitsentschädigung . Anders
als es der Kollege Heck gerade gesagt hat, ist die Forderung der Opposition nicht, diese Entschädigung abzuschaffen, sondern es geht darum, sie zu deckeln oder zumindest - das ist wirklich die Grundanforderung - dafür
zu sorgen, dass sie nicht immer wieder zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher falsch berechnet wird .
Der Anreiz dafür ist gerade in dieser Niedrigzinssituation
für die Banken sehr groß. Ich finde, das kann man nun
wirklich nicht durchgehen lassen: dass die Leute selber
nachrechnen müssen, weil hier immer wieder und komischerweise immer zulasten des Verbrauchers falsch
gerechnet wird . Dagegen müsste man etwas tun . Sinnvollerweise geht es auch um eine Begrenzung der Höhe .
Wenn die Höhe exzessiv ist, dann wird es für die Kunden
völlig inflexibel. Dementsprechend ist unsere Forderung.
Wir fordern nicht die Abschaffung der Entschädigung .
Bauen Sie da keinen Pappkameraden auf .
({0})
Der zweite Punkt betrifft das Widerrufsrecht . Wer die
Anhörung dazu verfolgt hat, hat wahrnehmen müssen,
dass der Vertreter der Bankenbranche auf eine Frage hin
nicht sagen konnte oder wollte, wie viele Fälle es eigentlich wirklich gibt, in denen Verbraucher dieses Recht in
einer nicht legitimen Weise nutzen . Wenn es sehr viele
Missbrauchsfälle gäbe, hätte man es ja sagen können .
Aber auf diese Frage gab es keine Antwort, wahrscheinlich weil die Fallzahlen ziemlich niedrig sind und sich
das Ganze deswegen als ein ziemlicher Popanz herausgestellt hätte .
Vor allem ist eines zu fragen: Wenn es Rechtsunsicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt, an
welchen Stellen haben wir denn in den letzten Jahren
rückwirkend in die vertraglichen Vereinbarungen eingegriffen? An dieser Stelle wird das getan. Ich finde, man
sollte sich schon überlegen, was für ein Präzedenzfall das
ist . Wir teilen auf jeden Fall nicht die Ansicht, dass an
dieser Stelle eine faire Interessenabwägung vorgenommen wird .
({1})
Herr Kollege Schick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heck?
Bitte .
Bitte schön .
Herr Kollege Dr . Schick, Sie konnten leider bei der
zweiten Anhörung nicht dabei sein, die wir separat zu
den Regelungen des Widerrufsrechts durchgeführt haben . Wir haben uns sehr intensiv mit der Vorgeschichte
beschäftigt . Wir haben uns gefragt: Wie ist die Situation,
die wir heute haben, entstanden?
Wir haben in den Gesetzgebungsmaterialien nachgeschaut . Da steht - Zitat -:
Der Unternehmer müsste daher auch noch Jahre
nach Vertragsschluss mit einem Widerruf des Verbrauchers rechnen; dies ist gerade in den Fällen
einer zwar nicht unterbliebenen, aber fehlerhaften
Widerrufsbelehrung nicht hinnehmbar .
Das bezieht sich auf die Schuldrechtsreform, die Ihre
Partei damals, 2002, mitverantwortet hat .
Deswegen meine Frage: Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir heute Rechtsfrieden herstellen, einen Zustand, den Sie damals eigentlich auch wollten?
Erstens haben Sie die Anhörung sehr geschickt gelegt,
auf den Montagabend, zudem ganz kurzfristig anberaumt . Das war wieder ein super Zeitablauf .
Zweitens zur Sache . Die Frage ist, ob man etwas nach
vorn hin anders regelt . Was den Rechtsfrieden angeht:
Wir haben ständig rechtliche Auseinandersetzungen zwischen Verbrauchern und Verbraucherinnen auf der einen
Seite und Banken oder Versicherungen auf der anderen
Seite . Ich erinnere mich an die Käuferinnen und Käufer von Lehman-Zertifikaten. Da wurde im Nachhinein
deutlich, dass man die Verjährungsfrist auf eine Art und
Weise bestimmt hat, die nicht gut war . Da hat es aber
auch keine rückwirkende Änderung gegeben . Deswegen
ist die Frage, ob man den Rechtsfrieden hier nicht sehr
einseitig definiert und einen Maßstab anlegt, den Sie selber an vielen anderen Stellen nicht anlegen würden, und
das ist genau unser Kritikpunkt .
({0})
Ich will zu einem dritten Punkt kommen, den Pensionsrückstellungen . Ja, die Niedrigzinssituation ist eine
Herausforderung für viele wirtschaftlich Beteiligte; das
ist richtig . Aber die Frage ist: Was ist jetzt die richtige
gesetzgeberische Antwort darauf?
Sie haben vorgeschlagen, dass man die Höhe des
durchschnittlichen Zinses über einen längeren Zeitraum
berechnet . Was macht das eigentlich? Das macht nichts
anderes, als ein Problem in die Zukunft zu schieben, und
das geschieht gegen die ausdrückliche Empfehlung der
Deutschen Bundesbank . Denn es löst das wirtschaftliche
Problem nicht wirklich .
Sie haben einen Vorschlag gemacht, der sich zunächst
einmal gar nicht schlecht angehört hat, nämlich dass die
Unternehmen die eingesparten Rückstellungen nicht
ausschütten dürfen . Es ist aber in der von Ihnen gerade
angesprochenen Anhörung deutlich geworden - wir haben uns darüber auch im Finanzausschuss noch einmal
unterhalten -, dass das für die Personengesellschaften
nicht funktioniert und dass sich das in einem Konzern
durch Gewinnverschiebung umgehen lässt, sodass das,
was sich zunächst nach einer guten Regelung angehört
hat, in der Praxis voraussichtlich nicht funktionieren
wird . Vielmehr laufen wir Gefahr, dass kurzfristig nur
der Shareholder Value maximiert wird, und zwar auf
Kosten der Sicherheit der Pensionsansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .
({1})
Deswegen halten wir das nicht für eine taugliche Lösung .
Eine andere Frage ist, ob der tatsächliche Aufwand
auch im Steuerrecht zu berücksichtigen ist. Das, finde
ich, ist eine durchaus denkbare Position .
Mit Ihrem Vorschlag wird ein Problem nur in die Zukunft geschoben und kein Problem wirklich gelöst .
In der Summe können wir diesem Gesetz deswegen
nicht zustimmen und werden das durch unsere Ablehnung zum Ausdruck bringen .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Dr . Johannes Fechner .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Zuhörerinnen und Zuhörer auf den
Tribünen! Wir beschließen heute ein Gesetz mit sehr
wichtigen Regelungen für Unternehmen in Deutschland,
aber auch für Bankkunden . Das jahrelange Zinstief, dessen Ende niemand absehen kann, zwingt die Unternehmen
in ihren Jahresabschlüssen zu höheren Rückstellungen
für ihre Pensionsverpflichtungen. Diese Rückstellungen
mindern den Gewinn und den Eigenkapitalanteil, und das
kann Jobs und Investitionen gefährden .
Wir wollen aber gerade Betriebe, die ihren Mitarbeitern Direktzusagen für eine Betriebsrente gemacht haben, nicht im Regen stehen lassen, und deshalb verlängern wir den Berechnungszeitraum für die Abzinsung der
Rückstellungen von sieben Jahre auf zehn Jahre . Wichtig
dabei ist: Die durch den neuen Zinssatz ersparten Rückstellungen dürfen nicht als Gewinn an die Aktionäre oder
an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, sondern sie
müssen im Betriebsvermögen bleiben und sichern so die
Pensionsverpflichtungen dauerhaft ab.
Jetzt gab es Diskussionen . Ich habe heute eine Meldung aus dem Handelsblatt gelesen, in der der SPD-Fraktion Erpressung vorgeworfen wird . Erpressung ist uns
natürlich völlig wesensfremd . Nur um der historischen
Wahrheit Genüge zu tun: Der Entwurf des Bundesjustizministers sah einen Berechnungszeitraum von zwölf Jahren vor . In den Ressortabstimmungen, die dann stattfanden, ist dieser Zeitraum auf Druck oder Empfehlung des
Bundesfinanzministers auf zehn Jahre gekürzt worden.
Dass der Berechnungszeitraum auf zehn Jahre gekürzt
wurde, ist also auf die Anregung oder die Empfehlung,
den Wunsch, den Druck des Bundesfinanzministeriums
zurückzuführen .
Herr Kollege Fechner .
Ja .
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Winkelmeier-Becker?
Ich kenne sogar schon die Frage, aber gerne .
Aber sie darf sie stellen?
Natürlich .
Bitte schön .
({0})
Dann hast du dir hoffentlich eine Antwort überlegt .
Stimmst du mir zu, lieber Kollege Johannes Fechner,
({0})
oder stimmen Sie mir zu - gerne, Frau Künast, wenn
Sie auf Etikette so viel Wert legen -, dass wir uns als
Sprecher dieser Großen Koalition in dieser Frage noch
einmal explizit darüber ausgetauscht haben, ob wir als
Parlamentarier, als die die Regierungskoalition tragenden Fraktionen uns darauf einigen können, die Frist auf
zwölf Jahre zu verlängern, dass wir als CDU/CSU-Fraktion uns ausdrücklich dafür ausgesprochen haben, dies
zu tun, und dass dann seitens der SPD-Fraktion diese Bereitschaft nicht bestanden hat? Und ist es nicht so, dass
wir als Parlament diese Entscheidung verbindlich zu treffen haben, unabhängig davon, was uns die Ministerien
vorgeben?
Selbstverständlich haben wir hier das letzte Wort; das
ist klar . Ich habe deswegen ja dargestellt, wie der historische Ablauf war und dass es das CDU-geführte Finanzministerium war . Allzu groß war der Protest in den
Reihen der Union auch nicht .
({0})
- Das war so . - Ich möchte Herrn Schäuble hier ausdrücklich in Schutz nehmen . Es gibt ja durchaus Argumente für diese Position, die etwa der Vertreter der Deutschen Bundesbank in der Anhörung auch dargestellt hat .
Ich meine aber, um meine Antwort versöhnlich zu beenden, dass sowohl Sie, liebe Kollegin Lisa WinkelmeierDr. Gerhard Schick
Becker, als auch der Kollege Hirte und der Staatssekretär
Meister explizit im O-Ton gesagt haben: Wir haben es
hier mit einem vernünftigen Kompromiss zu tun . - Allzu
ausgeprägt war also die Rauflust in der Unionsfraktion,
hier auf zwölf Jahre - gegen das eigene Finanzministerium - zu gehen, auch nicht; das möchte ich so festhalten .
({1})
Letztendlich finde ich, dass wir doch einen vernünftigen Kompromiss gefunden haben . Das zeigt sich auch
daran, dass von den Wirtschaftsverbänden bis hin zum
Deutschen Gewerkschaftsbund ja zunächst einhellig diese Lösung gefordert wurde, aber auch der jetzige Kompromiss begrüßt wurde . Auch in der Anhörung hat sich
das so ergeben .
Zum Verbraucherschutz im Gesetz zur Umsetzung der
Wohnimmobilienkreditrichtlinie. Diesbezüglich, finde
ich, sind für die Bankkundinnen und Bankkunden doch
eine ganze Reihe von Verbesserungen in diesem Gesetz
enthalten . Auch bei den Null-Prozent-Finanzierungen
wird es eine verpflichtende Kreditwürdigkeitsprüfung
und ein Widerrufsrecht geben, um Verbraucher vor übereilten Vertragsabschlüssen zu schützen . Wir stellen zudem klar, dass ein Darlehen nur gekündigt werden kann,
wenn der Darlehensnehmer mit mindestens zwei aufeinanderfolgenden Raten - zumindest teilweise und auch
nicht nur mit einem kleineren Betrag, sondern entsprechend der Laufzeit in Höhe eines gewissen Prozentsatzes
des Darlehensbetrages - in Verzug ist, und es ist eine Abmahnung erforderlich, die eine einvernehmliche Lösung
als Gesprächsangebot enthalten muss .
Oft ist die Vorfälligkeitsentschädigung, um auch dieses Thema anzusprechen, aus Sicht der Bankkunden in
der Höhe nicht transparent und nachvollziehbar . Deswegen haben wir hier die wichtige Neuerung, dass wir bei
den allgemeinen Verbraucherdarlehen ganz klar regeln,
dass die Vorfälligkeitsentschädigung nur 1 Prozent des
vorzeitig zurückgezahlten Betrages ausmachen darf .
Ich finde, das ist eine Verbesserung. Hier können jetzt
alle sehen, was auf sie zukommt, wenn etwa wegen des
Verlustes des Arbeitsplatzes oder einer Scheidung die finanzielle Leistungsfähigkeit zurückgeht und sie vorzeitig
das Darlehen kündigen .
Ich will nicht verschweigen, dass die SPD-Fraktion in diesem Verfahren gerne noch andere Punkte untergebracht hätte, etwa eine gesetzliche Deckelung des
Dispozinses . Wir hätten uns, um die Härtefälle bei der
Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen, auch
vorstellen können, eine Ermächtigung der Bundesregierung aufzunehmen, in der klare Kriterien dazu, wann ein
solcher Härtefall vorliegt und wie dann die Transparenz
bei der Vorfälligkeitsentschädigung zu gewährleisten ist,
aufgenommen werden sollten . Das war leider nicht möglich . Wir hoffen, dass wir das ein andermal hier beschließen können .
In diesem Sinne glaube ich, dass wir hier ein gutes
Gesetz haben, dass wir für die Pensionsrückstellungen
eine vernünftige Lösung gefunden haben und dass sehr
viele Vorteile für die Verbraucher in dem Gesetz enthalten sind, sodass wir diesem Gesetz zustimmen sollten .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Professor Dr . Heribert Hirte das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörer! Zu diesem Gesetz möchte ich jetzt nur
einen Punkt ansprechen: Das Thema „Abzinsungssatz
für Pensionsrückstellungen“ hat eine relativ lange Vorgeschichte . Schon im vergangenen Sommer haben wir, als
wir das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz beraten und
beschlossen haben, zusammengesessen und - nachdem
große Teile der deutschen Wirtschaft und der Deutsche
Gewerkschaftsbund auf uns zugekommen waren und erklärt haben, dass es hier ein großes Problem gibt, das wir
lösen müssen - gesagt, dass wir diesen Punkt ansprechen
wollen .
Wir haben deshalb - ich betone das - gemeinsam eine
Entschließung verabschiedet, in der wir gesagt haben,
dass wir dieses Problem angehen wollen . Die Beratungen
haben länger gedauert, als wir es vorgesehen, als wir es
erhofft hatten . Wir wollten das eigentlich schon vor dem
31 . Dezember 2015 zu Ende bringen . Jetzt stehen wir da
und müssen dieses Gesetz im Jahr 2016 mit möglicher
Rückwirkung beschließen .
Im Kern - das möchte ich jetzt noch einmal sagen - geht
es aber um die Frage: Wie bewerten wir Rückstellungen
in der Bilanz? Rückstellungen sind Verbindlichkeiten . Je
größer sie sind, desto größer ist die Schuldenlast bzw .
das Fremdkapital des Unternehmens . Die Frage ist: Wie
bewerten wir Rückstellungen für erst in ferner Zukunft
kommende bzw . drohende mögliche Verbindlichkeiten?
Wie zinsen wir die auf den heutigen Zeitpunkt ab?
Herr Schick, Sie haben gesagt, wir gehen das Problem
jetzt nicht richtig an . Es gibt dafür verschiedene Lösungsansätze . Wir könnten eigentlich sagen, dass wir - das ist
übrigens der Ansatz des Pensionssicherungsvereins - die
Zinsen der nächsten 10, 15 oder 20 Jahre nehmen . Weil
wir den Zinssatz der Zukunft, der Grundlage für die Abzinsung ist, nicht kennen, haben wir bisher den Zinssatz
der Vergangenheit genommen . Der war aber letztlich gegriffen; sieben Jahre waren es . Diese sieben Jahre führen
zu zufälligen Ergebnissen . Weil wir sehen, dass das ein
zufälliges Ergebnis ist, das zu einer Belastung für die Unternehmen und die von den Pensionen profitierenden Arbeitnehmer führt, nehmen wir jetzt den vorgeschlagenen
Zeitraum von zehn Jahren .
Wir hätten uns - ich sage es noch einmal deutlich zwölf Jahre gewünscht . Herr Fechner, wir hatten das
auch in den Arbeitsgruppen untereinander so verabredet .
({0})
- Doch! Wir haben untereinander so über diesen Punkt
geredet und waren der Meinung: In diese Richtung sollte
die Lösung gehen .
({1})
Wenn Sie jetzt sagen, das Bundesfinanzministerium habe
nicht zugestimmt, dann erzählen Sie die Geschichte nicht
bis zum Ende. Das Bundesfinanzministerium hat in der
Tat auf eine Stellungnahme der Deutschen Bundesbank
verwiesen und gesagt: Die ursprünglich einmal von
Herrn Naumann vorgeschlagene Lösung sei so nicht vernünftig . - Wir haben aber an dieser Lösung gearbeitet .
Und das Bundesfinanzministerium - hier sitzt als sein
Vertreter Herr Spahn - hat gesagt: Ja, wir machen das
mit . - Am Ende - und das ist das Ende der Geschichte - waren Sie es, die den zwölf Jahren nicht mehr zugestimmt haben . Noch gestern im Rechtsausschuss hat Herr
Hakverdi gesagt: Wir müssten darüber nachdenken, ob
die zehn Jahre reichen oder ob es nicht vielleicht zwölf
Jahre sein können . - Wir denken gerne und sofort darüber nach . Beim nächsten Verfahren können wir die Zahl
„zehn“ gegen die Zahl „zwölf“ auswechseln .
Herr Professor Hirte, Sie haben jetzt den Widerspruch
des Kollegen Fechner ausgelöst . Sind Sie damit einverstanden, dass er Ihnen eine Frage stellt oder eine Bemerkung macht?
Mit der Frage, ja; mit dem Widerspruch nicht .
Bitte schön .
Herr Kollege Hirte, wollen Sie zur Kenntnis nehmen,
dass es weder vonseiten der Parteispitze noch der Fraktion noch von irgendjemand anderem eine Verabredung
gab, im parlamentarischen Verfahren den Berechnungszeitraum auf zwölf Jahre auszuweiten? Eine solche Vereinbarung gab es nicht . Es gab aber die ausdrückliche
Aussage von Ihnen oder auch von Herrn Meister, dass
es eine vernünftige Lösung ist, bei den zehn Jahren zu
bleiben . Und wenn ich mich an das Nicken des Staatssekretärs Spahn vor wenigen Minuten erinnere, als ich von
einem vernünftigen Kompromiss sprach, kann ich feststellen, dass offensichtlich auch er dieser Meinung ist .
Sie sollten hier also nicht den Anschein erwecken, dass
die Große Koalition zu sehr streiten würde .
({0})
Diesen Anschein erwecke ich natürlich nicht . An keiner Stelle streiten wir . Das habe ich noch überhaupt nicht
erlebt .
({0})
Ich stimme Ihnen - das ist der Punkt, den Sie genannt
haben - ausdrücklich zu: Es ist ein vernünftiger Kompromiss, den wir am Ende hinbekommen haben . Ich stimme
Ihnen nur nicht in dem Punkt zu - wenn Sie da Zustimmung haben wollen, können Sie die nicht bekommen -,
dass wir von den zwölf Jahren abgewichen sind, weil wir
davon nicht mehr überzeugt gewesen seien . So hörte sich
das bei Ihnen - auch in einer Presseerklärung, die Sie
herausgegeben haben - heute an .
({1})
Ich darf das weiter aufgreifen: Gerade zu dem zentralen Kritikpunkt, der über die Bundesbank an das Bundesfinanzministerium weitergegeben wurde, war gesagt
worden, dass das die Schuldentragfähigkeit der Unternehmen in der Zukunft beeinflussen könne. Das war der
Grund, warum das Bundesfinanzministerium und die
Bundesbank dagegen waren . Aber genau in diesem Punkt
haben wir - im Übrigen im Einverständnis - nachgebessert . Wir haben eine Ausschüttungssperre vorgesehen,
sodass im Ergebnis nur eines passiert: Das, was in der
Bilanz früher als Fremdkapital gekennzeichnet war, wandert zum Eigenkapital herunter . Das bedeutet, wir haben
den Ausweis geändert, ohne dass Geld das Unternehmen
verlässt . Damit haben wir dem Gedanken der Deutschen
Bundesbank Rechnung getragen . Die Gesichtspunkte,
die Sie angeführt haben, gelten jetzt nicht mehr . Sie hätten also zustimmen können .
Damit komme ich zum nächsten Punkt . Ich glaube, wir
haben eine in dieser Situation vernünftige Lösung gefunden, auch was das Übergangsrecht angeht . Wir erlauben
nämlich den Unternehmen, die jetzt die Bilanz noch nicht
festgestellt haben, die neue Regelung, die - da stimme
ich Ihnen zu - ein gesunder, vernünftiger Kompromiss,
aber eben auch nur ein Kompromiss ist, rückwirkend für
das Jahr 2015 anzuwenden, sodass die Lasten in der Bilanz auch für das Jahr 2015 richtiger als bislang dargestellt werden können .
Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der mit
dieser Regelung nicht zusammenhängt, gerade weil Sie
so schön auf die Position des Bundesfinanzministeriums
und der Bundesbank verweisen . Wir haben ganz am Anfang - ich erinnere mich daran, wie wir es hier im letzten
Sommer beraten haben - auch über einen weiteren Punkt
nachgedacht, nämlich darüber, ob nicht eigentlich auch
die steuerliche Begleitregelung angepasst werden müsste . Da waren wir uns in der Großen Koalition einig, dass
wir das nicht angehen wollten . Wenn diesbezüglich aber
die Bundesbank zitiert wird, dann kann ich nur sagen:
Die Deutsche Bundesbank hat - wie im Übrigen auch
der Arbeitskreis Bilanzrecht Hochschullehrer Rechtswissenschaft - gesagt, dass wir eigentlich auch an diese
Regelung herangehen müssten . Das haben wir aus RückDr. Heribert Hirte
sichtnahme auf unseren Koalitionspartner nicht weiter
verfolgt . Der Sache nach ist das überzeugend .
Was das Bilanzrecht anbelangt, sind wir bei den
Rückstellungen nur auf die Pensionsverpflichtungen
eingegangen . Selbstverständlich gibt es auch noch andere langfristige Rückstellungen . Als Jurist denkt man
dann über die Frage nach: Müsste man nicht gemäß dem
Gleichbehandlungsgrundsatz auch da einschreiten? Das
haben wir nicht gemacht .
Insofern: Es gibt noch einiges zu tun . Das Gesetz ist
gut für die Unternehmen, gut für die Arbeitnehmer und
gut für die Wirtschaft . Deshalb ist es im Ergebnis ein vernünftiger Kompromiss .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - An dieser Stelle hätte der Kollege
Metin Hakverdi das Wort bekommen . Er ist leider er-
krankt . Ich denke, auch in Ihrem Namen können wir ihm
gute Besserung wünschen . Im Einvernehmen mit allen
Fraktionen kann er seine Rede zu Protokoll geben .1)
Jetzt hat der Kollege Dr . Volker Ullrich, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie hat hohe praktische Relevanz . Es regelt
nicht nur die rechtlichen Beziehungen zwischen Darlehensnehmern und Darlehensgebern im Bereich der Häuslebauer, sondern betrifft auch weite Teile des Privatkonsumbereiches . Ich möchte auf vier Punkte zu sprechen
kommen, die die Debatte geprägt haben .
Erstens . Wir lassen das System der Vorfälligkeitsentschädigungen unangetastet . Ich weiß und will nicht
verhehlen, dass manchmal Härtefälle auftreten und sich
Menschen aufgrund von Scheidung oder Krankheit aus
Darlehensverträgen lösen müssen . Diese Härtefälle
müssen wir lösen, und die Banken sollen sie sensibel
behandeln . Aber der Sinn und Zweck der Vorfälligkeitsentschädigung ist die Gewährleistung unseres deutschen
Festzinsniveaus, das dazu führt, dass unsere Häuslebauer
und Käufer von Wohnungen Planungssicherheit haben,
über viele Jahrzehnte hinweg . Diese Planungssicherheit
führt dazu, dass wir in Deutschland mit das beste Wohnimmobiliendarlehenssystem haben . Daran halten wir
fest .
({0})
Zweitens . Wir beschränken den Widerruf für Verträge,
die zwischen 2002 und 2010 abgeschlossen worden sind .
Es ist keine rückwirkende Änderung von Vertragsbezie-
hungen, sondern nur eine Einschränkung eines Gestal-
1) Anlage 2
tungsrechtes . Normalerweise ist das Widerrufsrecht auf
zwei Wochen beschränkt, bei fehlender Widerrufsbelehrung auf ein Jahr . Hier handelt es sich um ein ewiges
Widerrufsrecht . Hier geht es um Verträge, die mittlerweile seit über einem Jahrzehnt potenziell eines Widerrufs harren . Ich muss sagen: In der Abwägung zwischen
Rechtssicherheit und Widerrufsrecht haben wir einen guten Kompromiss gefunden . Jeder kann noch widerrufen,
aber er muss sich innerhalb von drei Monaten endlich
dazu entschließen . Dieser Kompromiss ist gut für die
Rechtssicherheit und damit auch für die Planungssicherheit von Verbrauchern und Banken .
({1})
Der dritte Punkt betrifft die Null-Prozent-Finanzierung . Wir beseitigen damit eine Verbraucherfalle . Bisher
ist es so: Jemand, der einen Kredit mit einem Zins abschließt und dem das Produkt, das er mit diesem Kredit
erwirbt, kaputtgeht, kann die Darlehensraten gegenüber
dem Verkäufer beispielsweise des Handys oder des Laptops verweigern . Wird allerdings eine Null-Prozent-Finanzierung abgeschlossen, handelt es sich nach bisheriger Rechtslage nicht um einen entgeltlichen Vertrag .
Damit steht dem Käufer dieses Rückgaberecht nicht zu .
Geht also der Laptop oder das Handy kaputt, bleibt er auf
dem Gerät sitzen, muss aber dennoch die Darlehensraten
zahlen . Das ist nicht in Ordnung, das ändern wir heute .
Damit schaffen wir für viele Verbraucher ein Mehr an
Rechtssicherheit .
({2})
Der letzte Punkt betrifft die Frage: Wie gehen wir in
der Situation anhaltend niedriger Zinsen mit der Altersvorsorge in den Unternehmen um? Ich glaube, dass die
Politik insgesamt auf die Frage der anhaltend niedrigen
Zinsen eine Antwort finden muss. Die Antwort, die wir
heute geben, lautet, dass wir den Referenzzeitraum für
die Rückstellungen verlängern . Damit bleibt zunächst
einmal mehr Geld im Unternehmen . Wir sorgen dafür,
dass dieses Geld nicht ausgeschüttet, sondern im Unternehmen thesauriert wird, um damit langfristig Arbeitsplätze zu sichern . Somit ist auch dieser Teil des Gesetzes
für Arbeitnehmer eine gute Lösung .
({3})
Ich will nicht verhehlen, dass am Ende des Tages die
Unternehmen die zugesagte Pensionsrückstellung auch
leisten müssen, und zwar in der Höhe, in der sie sie zugesagt haben .
({4})
Trotzdem darf uns die Regelung positiv stimmen, und
zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sie ist eine erste Antwort auf die anhaltende Niedrigzinsphase, und
sie sorgt dafür, dass Unternehmen in ihrer finanziellen
Struktur gestärkt werden und damit nachhaltiger und
langfristiger planen können . Das ist ein weiteres positives Signal .
Deswegen, meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen . Es
ist ein gutes Gesetz .
({5})
Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache .
Wir stimmen jetzt über den von der Bundesregierung
eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Wohn-
immobilienkreditrichtlinie ab . Zu dieser Abstimmung
sind mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung eingegangen .1)
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7584, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/5922 und 18/6286 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .
Wir kommen damit zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7585 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Die Linke . Wer stimmt dagegen? - CDU/
CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält sich? - Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist der Entschließungs-
antrag abgelehnt .
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/7586 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abge-
lehnt .
Tagesordnungspunkt 11 b . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz auf Drucksache 18/7584 fort . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/2741 mit dem Titel „Gesetz-
liche Deckelung und Veröffentlichung der Zinssätze für
Dispo- und Überziehungskredite“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
1) Anlagen 3 und 4
Damit sind wir am Ende der Beratungen zu Tagesordnungspunkt 11 .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Matthias W . Birkwald, Eva BullingSchröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von
Gewalt betroffene Frauen - Bundeseinheitliche Finanzierung voranbringen
Drucksache 18/7540
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . - Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Cornelia
Möhring, Fraktion Die Linke .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit meinem 16 . Lebensjahr bin ich frauenpolitisch aktiv .
Seit dieser Zeit habe ich auch mit dem Thema unserer
Debatte zu tun . Das ist, ehrlich gestanden, ziemlich lange
her, nämlich 40 Jahre . Für mich persönlich ist das kein
Problem; denn ich fühle mich gar nicht so alt . Aber dass
wir das Problem „Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen“ in diesen 40 Jahren noch nicht gelöst
haben, ist wirklich ein großes Problem .
({0})
Vor 40 Jahren feierte das erste autonome Frauenhaus
seine Gründung, und in den darauffolgenden 40 Jahren
sind weitere gegründet worden . Mittlerweile gibt es
rund 350 Frauenhäuser, nicht nur autonome, sondern
auch trägerinnengestützte . Ihre Finanzierung ist aber seit
40 Jahren nicht gesichert . Es sind Frauennotrufe und Beratungsstellen entstanden, und auch ihre Finanzierung ist
nicht gesichert. Ich finde, dieser Zustand ist für ein Land,
das sich aktuell als Land der Frauenrechte stilisiert, nicht
tragbar .
({1})
Zum 40 . Geburtstag der Frauenhäuser ist es endlich an
der Zeit, sie angemessen auszustatten und ihre Finanzierung bundeseinheitlich abzusichern .
({2})
Warum ist das Thema ein Dauerbrenner, auch hier
im Parlament? Weil sich nichts Wesentliches ändert und
alle Bundesregierungen in dieser Frage im Mikroschneckentempo agieren . Es wird immer vorgebracht: Ja, es
gibt das Hilfetelefon . - Liebe Kolleginnen und Kollegen,
so hilfreich das bundesweite Hilfetelefon auch ist, es ist
nicht genug und nicht annähernd eine Lösung für die
desolate Lage des Hilfe- und Unterstützungssystems .
({3})
18 000 Frauen und ebenso viele Kinder - das sind
36 000 -, 36 000 Frauen und Kinder suchen jährlich
Schutz in einem Frauenhaus . Das sind etwa 100 pro Tag .
Nach einem Bericht der Bundesregierung werden mindestens 9 000 pro Jahr abgewiesen und können nicht aufgenommen werden . Sie gehen nicht aus Jux und Dollerei
in ein Frauenhaus . Ich zitiere einmal aus einem Aufruf
der autonomen Frauenhäuser . Darin heißt es:
Sie flüchten vor der Misshandlung durch ihre Ehemänner, Lebenspartner oder Väter . Frauen werden
erniedrigt, beschimpft, isoliert, bedroht und massiv
in ihrem Selbstwertgefühl verletzt . Die körperlichen
Übergriffe reichen von Schubsen und Ohrfeigen
über Schlagen und Treten bis hin zu sexualisierter
Gewalt, schweren Misshandlungen mit Gegenständen, Würgen, Angriffen mit Waffen und sogar Mord .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frauen und
ihre Kinder brauchen dringend Platz in Schutzräumen .
({4})
Wo bleibt hier die effektive Antwort der Bundesregierung? Seit Jahren wird das Thema verschoben, den Ländern und Kommunen aufgeladen und die Verantwortung
des Bundes ignoriert . Es gibt 16 Bundesländer und mindestens 16 unterschiedliche Regelungen für die Finanzierung . Von der Finanzierung hängt es aber ab, ob eine
gewaltbetroffene Frau und ihre Kinder den notwendigen
Schutz bekommen . Eine schnelle und unbürokratische
Aufnahme in ein Frauenhaus kann das Leben dieser
Frauen und Kinder retten . Doch wenn sie keinen Platz
finden, kann ihr Leben gefährdet sein.
Nicht nur für die gewaltbetroffenen Frauen ist die Situation nicht länger tragbar . Das Personal arbeitet meist
deutlich an oder über der Belastungsgrenze, ohne dass
angemessene Gehälter gezahlt werden können . Sie geben
trotzdem alles . Das ist doch wirklich unerträglich .
({5})
Ich appelliere ernsthaft an Sie: Es muss Schluss damit
sein, dass die Verantwortung den Ländern und Kommunen zugeschoben wird . Der Bund muss endlich mehr tun .
({6})
Ministerin Schwesig hat vor fünf Wochen das Jahr der
Frauen ausgerufen . Das begrüße ich sehr . Zeigen Sie am
Beispiel der Frauenhäuser, dass Sie das echt ernst nehmen!
Meine Fraktion fordert mit dem vorliegenden Antrag
einen Rechtsanspruch, weil er Rechtssicherheit schafft
für die gewaltbetroffenen Frauen und die Trägerinnen
der Einrichtungen . Ein Rechtsanspruch wäre einklagbar .
Er wirkt aber natürlich nur, wenn auch die Finanzierung
gesichert ist, und er darf auf keinen Fall zu mehr Verwaltung und Bürokratie führen .
Was erwarte ich und was erwartet meine Fraktion von
dieser Bundesregierung? Arbeiten Sie endlich gezielt an
Lösungen, damit das Problem gelöst wird! Ich finde, das
ist eine Erwartung, die im Jahr der Frauen tatsächlich
umgesetzt werden könnte .
Vielen Dank .
({7})
Danke schön . - Nächste Rednerin ist die Kollegin
Sylvia Pantel, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist ein gemeinsames Ziel aller Fraktionen im Haus . Wann immer Frauen
von Gewalt betroffen sind, ist die schnelle Hilfe vor Ort
nötig . Nicht jede Frau, die Opfer von häuslicher Gewalt
geworden ist, kann sich selbst einen sicheren Schutzraum
organisieren. Oft fehlen die finanziellen Mittel und die
Unterkunft, um kurzfristig mitsamt der Kinder vor einem
gewalttätigen Partner zu fliehen. Dass wir den Frauen
helfen müssen und Zufluchtsorte, geschützte Räume und
Hilfsangebote für sie zur Verfügung stellen müssen, steht
für mich und meine Fraktion außer Frage .
({0})
Darum müssen wir uns kümmern .
Im städtischen Raum sind Hilfe und Unterstützungseinrichtungen meist leichter zu erreichen als in den ländlichen Gegenden . Dabei sind die Gegebenheiten und
Hilfsnetze vor Ort sehr unterschiedlich . Da stimme ich
Ihnen nicht zu: In den vergangenen 40 Jahren ist sehr viel
passiert, und wir haben zum Teil sehr gut funktionierende
und auch gut ausgestattete Frauenhäuser .
({1})
Klar ist, dass Frauenhäuser kurzfristige Zufluchtsorte
für die betroffenen Frauen sein sollen . Der Schutz vor
Gewalt und die Beratung und Betreuung in den Frauenhäusern sollen es den Betroffenen ermöglichen, über ihre
Zukunft selbstbestimmt und ohne äußeren Druck und
ohne Angst entscheiden zu können .
Die Mitarbeiter und die Ehrenamtlichen in den Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern leisten unter großem persönlichem Einsatz einen unschätzbaren Dienst
für die Opfer von Gewalt . Um diese wertvolle Arbeit
dauerhaft leisten zu können, muss die Finanzierung siCornelia Möhring
cher und verlässlich sein . Da stimme ich mit Ihnen vollkommen überein .
({2})
Deshalb ist die Forderung nach einer sicheren Finanzierung berechtigt . Das Problem bei Ihrer Forderung ist,
dass Sie eine Bundesfinanzierung einfordern, obwohl die
Länder zuständig sind . Das ist in unserem Land geregelt .
({3})
Wir haben in den Ländern bereits ganz verschiedene und
sinnvolle Modelle, mit denen die Frauenhäuser finanziert
werden .
({4})
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich war in meinem Wahlkreis
in einem Frauenhaus . Auch wir haben ein Jubiläum unseres Gleichstellungsbüros gefeiert . Auf meine Nachfrage
erhielt ich die Antwort: Bei uns läuft es . - Da werden
keine Frauen abgewiesen .
({5})
- Ja, in Düsseldorf . Das ist richtig .
({6})
Das ist eine Sache, die die Kommunen und Länder zu
regeln haben und nicht der Bund .
Leider ist die Qualität der Versorgung in den Ländern
sehr unterschiedlich . Aber man muss im Land dafür sorgen, dass die Finanzierung geregelt ist;
({7})
denn dafür sind die Länder verantwortlich . Es kann nicht
die Lösung sein, dass immer der Bund einspringt, wenn
die Länder ihren Aufgaben nicht nachkommen . Ganz
im Gegenteil: Ich halte es für einen Skandal, wenn einige Länder in diesem sensiblen Bereich, beim Schutz
von Frauen vor Gewalt, ihren Verpflichtungen nicht
nachkommen . Aber der Bund ist die falsche Stelle . Die
Länder sind für eine solide Finanzierung der in ihrem
Hoheitsbereich jeweils gewählten Schutzmodelle verantwortlich . Der Bund hat die Länder in vielen anderen Bereichen entlastet, damit sie ihren Aufgaben nachkommen
können .
({8})
Wir müssen darauf drängen, dass die Länder diese Entlastungen an die Kommunen weiterleiten, gerade dann,
wenn diese auch Projekte wie die Finanzierung der Frauenhäuser sicherstellen sollen .
Wir haben Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren kontinuierlich entlastet . Für soziale Leistungen der Kommunen stellt der Bund 2016 7,7 Milliarden
Euro zur Verfügung . Die richtigen Hilfestrukturen für die
Betroffenen zu finden, ist eine Aufgabe für die Experten
vor Ort . Eine zentrale staatliche Maßnahme kann nicht
unsere Antwort auf diese Herausforderung sein; das wäre
der falsche Weg . Zielführender wäre es, wenn sich die
Länder auf gemeinsame Standards einigen könnten, die
keine Verschlechterung der gut aufgestellten Frauenhäuser zur Folge hätten . Vor Ort gibt es die notwendigen
Netzwerke und die Flexibilität, um auf die individuelle
Situation und die Bedürfnisse der Frauen eingehen zu
können .
({9})
Ich möchte auf eine Ihrer Forderungen eingehen . In
Ihrem Antrag fordern Sie, Frauen sollten keinen Nachweis mehr erbringen müssen, Opfer von Gewalt zu sein .
Ich stimme Ihnen zu, dass es nicht sein darf, dass Frauen
vom Hilfesystem ausgeschlossen werden . Aber ein Anspruch muss schon nachgewiesen werden . In einer idealen Welt wäre das in der Tat nicht nötig . In einer idealen
Welt würde aber auch niemand Sozialleistungen erschleichen, schwarzfahren oder sonst wie unberechtigt Leistungen beziehen . Sicher können wir darüber reden, wie
solche Regelungen umgesetzt werden .
({10})
- Hören Sie doch zu; dann brauchen Sie sich nicht aufzuregen . - Eine Kontrolle aber, ob jemand die Leistungen
zu Recht bezieht, muss sein .
({11})
Dass wir heute über die Finanzierung von Frauenhäusern diskutieren, ist wichtig . Wir stellen hier und heute
noch einmal fest, dass die Länder ihren Pflichten nachkommen müssen . Länder und Kommunen müssen durch
die unterschiedlichen Angebote vor Ort dafür sorgen,
dass Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind, Hilfe
erhalten . Deshalb sind alle Konzepte, die eine gewaltfreie Konfliktlösung fördern, zu unterstützen. Das heißt
aber nicht, dass der Bund sie dann auch finanzieren muss.
Herzlichen Dank .
({12})
Vielen Dank . - Die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Über Gewalt gegen Frauen ist seit
der Silvesternacht so viel wie in den letzten Jahren nicht
geredet worden . Es ist wichtig, dass diese Gewalt, aber
vor allem die Betroffenen im Fokus bleiben; denn jede
dritte Frau in Deutschland hat schon einmal Gewalt erfahren . Unsere politische Verantwortung ist es, Gewalt
gegen Frauen - egal wo, ob im öffentlichen oder im häuslichen Raum - nicht aus dem Blick geraten zu lassen .
({0})
Das Gewaltschutzgesetz war ein Meilenstein zum
Schutz von Frauen vor Gewalt . Für Frauen in Not sind
Frauenhäuser oft eine existenzielle Anlaufstelle. Sie finden hier Sicherheit, auch mit ihren Kindern, und hier
kann die Gewalt vor der Tür bleiben . Tatsache aber ist,
dass wir seit vier Jahrzehnten über die mangelnde Finanzierung der Frauenhäuser sprechen . Tatsache ist,
dass Frauen in Deutschland oft keinen Frauenhausplatz
bekommen . Tatsache ist, dass Hilfe oft zur Glückssache
und zu einer Frage des passenden Zeitpunkts wird . Ich
sage Ihnen: Das kann so nicht weitergehen . Hier widerspreche ich auch den Ausführungen der Kollegin Pantel .
Die Situation ist tatsächlich von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich . Ich sehe da auch eine Verantwortung des Bundes, über die wir reden müssen .
({1})
Morgen starten die autonomen Frauenhäuser - die
Kollegin Möhring hat das gerade gesagt - aus Anlass
ihres 40-jährigen Bestehens die 16-Tage-16-Bundesländer-Tour unter dem Motto „Gewalt gegen Frauen beenden! Frauenhausfinanzierung jetzt sichern!“. Sie fordern,
dass die Politik endlich verantwortliche Lösungen für
eine verlässliche Finanzierung findet. Ich finde, sie haben recht .
({2})
Ich will Ihnen sagen, was ich nicht nachvollziehen
kann: Es gibt immer eine große Betroffenheit - wir haben
gerade Beispiele gehört -, wenn das Schicksal einzelner
Frauen in Frauenhäusern und die Not der Frauenhäuser
und der Mitarbeiterinnen konkret sichtbar werden; das
erlebe ich auch bei der SPD und der Union . Wir haben
mit dem Ausschuss schon gemeinsame Begehungen von
Frauenhäusern durchgeführt . Wenn es dann aber um die
konkreten Schritte geht und die sichere Finanzierung der
Hilfen für Frauen angesprochen wird, ist die Zurückweisung an die Länder und Kommunen, wie gerade passiert,
immer die leichteste Übung, obwohl wir - und das sage
ich ganz deutlich - im Bund etwas machen können . Ich
finde das ermüdend und Ihre Argumente an dieser Stelle
auch nicht durchgängig glaubwürdig . Sie sehen die Not
von Frauen, aber tun an dieser Stelle nichts. Ich finde,
verantwortliche Politik ist auch, zu prüfen, was wir seitens des Bundes tun können .
({3})
Aus dem Frauenministerium kommt hier ebenfalls zu
wenig . Das Ministerium hat zuletzt 2013 etwas gegen
Gewalt an Frauen getan . Da wurde nämlich das Hilfetelefon eingerichtet . Zu den Frauenhäusern hat Ministerin
Schwesig lediglich eine Bedarfsanalyse angekündigt . Ich
sage „angekündigt“ . Dafür braucht man nicht zweieinhalb Jahre Regierungszeit . Gewaltschutz für Frauen steht
hier nur im Kleingedruckten .
({4})
Noch etwas: Die Pflicht zum Gewaltschutz gilt in
Deutschland auch für geflüchtete Frauen, die in Unterkünften leben und besonders verwundbar sind . Was aber
hat Innenminister de Maizière gemacht? Er hat ein vereinbartes Konzept für den Gewaltschutz gekippt . Wichtige Mindeststandards wie abschließbare Toiletten und
getrennte Duschen in den Unterkünften sind nicht vorgesehen . Dem Anspruch eines Gewaltschutzes und der
EU-Aufnahmerichtlinie wird die Bundesregierung somit
nicht gerecht, und das kritisieren wir Grüne aufs Schärfste .
({5})
Hinzu kommt: Betroffene Flüchtlingsfrauen bekommen aufgrund der Residenzpflicht bei Gewalterfahrungen durch den Partner oder auch durch andere Männer in
der Unterkunft im Zweifel keinen Schutz . Das geht überhaupt nicht . Nötig wäre - die Kollegin Möhring hat das
gesagt, und das steht auch in diesem Antrag - ein Rechtsanspruch für alle Frauen auf einen Frauenhausplatz . Das
hätte eine positive Signalwirkung .
({6})
Darin sind wir uns in der Opposition nach einem gemeinsamen Fachgespräch von Linken und Grünen einig . Klar
ist auch, dass ein Rechtsanspruch an ein tragfähiges Finanzierungskonzept gekoppelt sein muss. Ich finde, hier
bleibt der Antrag ein wenig zu vage . Die Antwort auf die
Frage, wie die finanzielle Verantwortung in Bezug auf
den Rechtsanspruch und das gesamte Hilfesystem mit
dem Bund geregelt werden kann, bleibt offen . So sind
Länder und Kommunen mit der Finanzierung wieder alleine .
Wir unterstützen den Antrag der Linken auf einen
Rechtsanspruch . Er geht in die richtige Richtung . Wir
wollen eine fundierte Lösung für den Schutz der Frauen . Dafür braucht es schlicht und einfach auch eine Mitfinanzierung durch den Bund, und die müssen wir hier
besprechen .
Wenn Sie von Union und SPD weiterhin den Gewaltschutz für Frauen wichtig finden und das auch nach Silvester weiter diskutieren wollen, dann sollten Sie zuvor
endlich auch im Bund konsequent handeln .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt
Gülistan Yüksel .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundesweit werden jährlich circa 12 000 bis 13 000 Anzeigen
wegen Vergewaltigung oder sexueller Nötigung erstattet . Trotz der erschreckenden Höhe sind dies allerdings
nur Fälle, die zu einer Anzeige führen . Tatsächlich wird
jede dritte Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben
Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt . Mehr als
die Hälfte aller Frauen hat schon einmal eine sexuelle
Belästigung erfahren . - Dies sind erschreckende Zahlen .
Sie stammen zum einen aus den Ergebnissen einer europaweiten Studie der Agentur der Europäischen Union
für Grundrechte und zum anderen aus den Auswertungen des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ . Besonders
verheerend ist: Hinzu kommt noch eine große Dunkelziffer; denn viele Frauen schämen sich, auszusprechen, was
ihnen widerfahren ist .
Es ist die Aufgabe eines Staates, seine Bürgerinnen
und Bürger vor Gewalt zu schützen . Ein starkes Hilfesystem ist elementar, um schutzbedürftigen Frauen und ganz wichtig - auch deren Kindern Halt und Schutz zu
bieten .
({0})
Ein Hilfesystem funktioniert dann am besten, wenn sich
die Akteure keine Gedanken über eine sichere Finanzierung machen müssen . Eine einheitliche Finanzierung für
Frauenhäuser ist deshalb mehr als wünschenswert .
({1})
Das sehen wir auch in der SPD-Fraktion so . Wir wollen, dass Hilfsangebote wie Beratungsstellen ausgebaut
und Frauenhäuser bedarfsgerecht und bundeseinheitlich
finanziert werden. Eine Tagessatzfinanzierung ist keine
gute und dauerhafte Lösung .
({2})
Es hat aber nichts mit dem Hin- und Hergeschiebe von
Verantwortung zu tun, wenn ich auf Folgendes hinweise:
Die Hauptverantwortung für die Finanzierung des Frauenunterstützungssystems liegt bei den Ländern .
({3})
Diese Aufteilung ist in unserem föderalen System so vorgesehen . Diese Länderverantwortlichkeit hat auch Vorteile; denn lokale Akteure sind näher an den Menschen
und ihren Problemen . Sie können somit eine bedarfsgerechte Infrastruktur vor Ort gewährleisten . Die Länder
selbst bestehen auch auf dieser Verantwortlichkeit; das
sollten wir berücksichtigen . Eine wirkliche Änderung der
momentanen Finanzierungssituation lässt sich deswegen
nur gemeinsam verwirklichen .
({4})
Es ist deshalb gut und wichtig, dass die Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz der Länder letztes
Jahr ein länderoffenes Arbeitsgremium zum Thema „Betreuung und Beratung für gewaltbetroffene Frauen und
deren Kinder“ eingesetzt hat . Auch der Bund ist durch
das Familienministerium an dieser Arbeitsgruppe beteiligt . Berichte aus der aktuellen Arbeit des Gremiums
lassen erkennen, wie schwierig es ist, eine tragfähige Einigung unter den Ländern zu erreichen . Einige Länder
befürchten, dass eine bundeseinheitliche Regelung eine
Absenkung von Standards mit sich bringen würde .
Die Forderung nach einem gesetzlich verankerten
Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende
Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder klingt zuerst nach einer guten Lösung, findet aber bei
den Ländern keine Mehrheit . Wie Sie selbst von Sachverständigen und aus Expertengesprächen wissen, ist ein
Rechtsanspruch mit vielen Schwierigkeiten und neuen
Hürden verbunden .
Wir sollten die Realität nicht aus den Augen verlieren: Gewalt findet in der Regel im Verborgenen zwischen
zwei Menschen statt. Die meisten Frauen flüchten in ein
Frauenhaus, ohne sich die erlittene Gewalt vorher vom
Arzt oder der Polizei attestieren zu lassen . Ein Rechtsanspruch bedeutet aber in der Regel, dass die betroffene
Frau einen notwendigen Nachweis erbringen muss . Was
passiert mit der Frau, die keine objektiven Beweismittel
vorlegen kann? Wird ihr dann der Platz im Frauenhaus
verweigert? Frauenhäuser weisen deshalb zu Recht darauf hin, dass ein Rechtsanspruch eine neue Aufnahmehürde bedeuten kann .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, an der sich auch der Bund beteiligt und weiter
verstärkt beteiligen muss . Wir haben in Deutschland ein
gutes Netz an Einrichtungen und Unterstützungsangeboten, die Hilfestellungen bieten . Gewaltbetroffene Frauen können in unserem Land regelmäßig und bundesweit
Beratung und Unterstützung sowie Schutz finden. Aber
auch kleine Lücken im Hilfesystem sind unbedingt ernst
zu nehmen .
Wir haben in der Koalition vereinbart, ressortübergreifend Maßnahmen zu bündeln und Lücken im Hilfesystem zu schließen . Studentinnen, Auszubildende, Frauen
mit Migrationshintergrund und auch Flüchtlingsfrauen
haben mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen . Ich
möchte hier unterstreichen: Im Sinne aller schutzsuchenden Frauen muss eine sichere Finanzierung des FrauenUlle Schauws
hauses gewährleistet sein, unabhängig von Einkommen,
Aufenthaltsstatus oder Herkunftsort .
({5})
Wir arbeiten an der Schließung dieser Finanzierungslücken in unseren Sozialgesetzen . Das Familienressort ist
mit dem hierfür federführenden Arbeits- und Sozialministerium im Gespräch .
Im Rahmen der länderübergreifenden Arbeitsgruppe führt der Bund 2016 ein Modellprojekt durch . Darin
wird untersucht, wie eine bedarfsgerechte Ausstattung in
einzelnen Regionen bezüglich Schutz und Beratung aussehen könnte . Aus den hier gewonnenen Erkenntnissen
werden konkrete Vorschläge erarbeitet, die der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz als Beratungsund Beschlussgrundlage dienen soll . Außerdem gehen
wir die Reform des Sexualstrafrechts an . Ich freue mich,
dass der Referentenentwurf unseres Ministers Heiko
Maas zur Schließung von Schutzlücken in der Strafbarkeit der Vergewaltigung nun auch das Nadelöhr Kanzleramt passiert hat und sich in der Anhörung befindet.
({6})
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, Gewalt gegen Frauen muss öffentlich gemacht werden und darf kein Tabuthema sein . Gewalt widerfährt den Betroffenen jeden Alters und über alle sozialen Grenzen hinweg . Wir wissen: Dies ist beileibe kein
Randthema, sondern ein Thema aus der Mitte der Gesellschaft . Es ist die Aufgabe von Staat und Gesellschaft,
dies zu thematisieren . Wir müssen den Frauen zur Seite
stehen . Wir müssen gemeinsam auf das Thema aufmerksam machen und gemeinsam weiter nach sinnvollen und
praktikablen Lösungen in unserem Hilfesystem suchen .
Gewalt, in welcher Form auch immer, darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben .
Herzlichen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Gudrun Zollner, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit . Leider muss jede vierte Frau in
Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt
durch ihren Partner erleben, und jede einzelne ist eine zu
viel . Beleidigungen, Schläge, Demütigungen, Vergewaltigungen und lebensgefährliche Verletzungen führen zum
Teil zu lebenslangen seelischen Folgen . Meist braucht es
viele Anläufe, bis die Betroffenen bereit und in der Lage
sind, sich aus der Gewaltsituation zu lösen . Die Frauen
brauchen dafür Beratung und Zuwendung, und sie brauchen einen sicheren Ort . Als zentrale Anlaufstelle und
Einrichtung für Opfer von häuslicher Gewalt sind Frauenhäuser seit nunmehr 40 Jahren unverzichtbar geworden . Gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise kommen auf
die Frauenhäuser neue Herausforderungen zu .
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen gehört nicht
erst seit Köln zu den langfristigen Schwerpunkten der
Bundesregierung . Im Rahmen der durch das Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzverteilung stehen wir alle
in der Verantwortung .
Insgesamt verfügt Deutschland über ein ausdifferenziertes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen .
Im März 2013 startete das Hilfetelefon - viele meiner
Vorrednerinnen haben das angesprochen -: Kostenlos,
anonym und vertraulich kann sich jede Frau Rat durch
erfahrene Fachkräfte holen - in bis zu 15 verschiedenen
Sprachen . Sehr wichtig ist dies für die zu uns kommenden Flüchtlingsfrauen .
Frauen mit Behinderungen haben einen besonderen Hilfebedarf, da sie überdurchschnittlich häufig von
Gewalt betroffen sind . Hierzu sind in Bayern im Januar 2014 Projekte gestartet worden: eine zentrale, barrierefreie Service-Homepage mit Informationsmaterial,
Fortbildungen für Beraterinnen in Frauenhäusern und
Notrufe zur Thematik „Gewalt und Behinderung“ .
({0})
Frauenbeauftragte werden in Einrichtungen der Behindertenhilfe ausgebildet . Das Vorhandensein, die Ausgestaltung und die finanzielle Absicherung von Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und deren
Kinder liegen aber in erster Linie bei den Bundesländern .
Im Rahmen der landesrechtlich konkretisierten Aufgabe
der Daseinsvorsorge liegt die Zuständigkeit auch bei den
Kommunen . Ich möchte die Bundesländer aufrufen, ihre
Kommunen bei diesen wichtigen Aufgaben zu unterstützen und die Entlastungen an sie weiterzugeben .
Es entspricht unserem föderalen Prinzip, in der unterschiedlichen Ausgestaltung vor Ort grundsätzlich eine
Chance zu sehen . Damit werden Spielräume eröffnet,
um den Bedürfnissen mit den regionalen Unterschieden
Rechnung zu tragen . Das ist auch gut so .
({1})
Dies sehen auch die Bundesländer so, und das wurde
auch von der Gleichstellungsministerkonferenz so gesehen . Festgestellte gewachsene Unterschiede der Versorgungsinfrastruktur für gewaltbetroffene Frauen sind auch
Ausprägungen der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland und deuten nicht automatisch auf
Versorgungsdefizite hin.
Ich kann auch nicht erkennen, dass eine Verlagerung
der Aufgaben auf den Bund automatisch alles besser machen würde . Das würde auch bedeuten, dass die Länder
ihre finanziellen Mittel für diese Aufgabe nicht mehr bereithalten würden . Kurzum: Der Bund müsste die Leistungen der Länder ersetzen . Ich darf erinnern, dass erst
kürzlich der Bundesrechnungshof vor einer Überlastung
des Bundeshaushalts durch die umfangreichen UnterstütGülistan Yüksel
zungsleistungen an die Länder und Kommunen gewarnt
hat .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, packen wir gemeinsam die Herausforderungen zum Schutz von Frauen und
Kindern an! Konzentrieren wir uns auf die Aufgaben, für
die wir als Bund zuständig sind! Länder und Kommunen
werden verantwortungsvoll ihre Pflichten übernehmen.
Ich erinnere: Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Gesetz
vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird, weil nicht
der Bund, sondern die Länder zuständig sind .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7540 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM
Somalia auf Grundlage des Ersuchens der
somalischen Regierung mit Schreiben vom
27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie
der Beschlüsse des Rates der Europäischen
Union vom 15. Februar 2010, 22. Januar 2013
und 16. März 2015 in Verbindung mit den Resolutionen 1872 ({0}) und 2158 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksache 18/7556
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat als erster
Redner in dieser Debatte der Staatsminister Michael
Roth für die Bundesregierung .
({3})
Einen wunderschönen guten Abend, Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Region am Horn
von Afrika ist seit vielen, zu vielen Jahren ein Dauerbrennpunkt in der globalen Krisenlandschaft . Das gilt
insbesondere für das krisengeplagte Somalia . Mehr als
20 Jahre Bürgerkrieg, humanitäre Notlagen und islamistischer Terror haben ihre Spuren im Land hinterlassen .
Da ist es wenig verwunderlich, dass Somalia in den vergangenen Jahren nur sehr selten mit positiven Schlagzeilen von sich reden machte . Angesichts der aktuellen
politischen Entwicklung blickt die internationale Gemeinschaft derzeit wieder mit verhaltenem Optimismus
auf Somalia . Am 27 . Januar hat sich das somalische Kabinett nach einem ausgesprochen schwierigen, aber letztlich erfolgreichen Prozess auf ein Wahlmodell für nationale Wahlen noch in diesem Jahr geeignet . Das Jahr 2016
kann also zu einem Wendepunkt in der Entwicklung des
Landes werden . Die jüngsten Entwicklungen unterstreichen den Willen der somalischen Regierung, die politischen Geschicke des Landes künftig wieder eigenverantwortlich wahrzunehmen . Das ist unser gemeinsames
Ziel: Mittelfristig soll Somalia politisch, wirtschaftlich
und militärisch wieder auf eigenen Beinen stehen .
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Das beschlossene
Wahlverfahren unterscheidet sich von den in Europa
vorherrschenden Vorstellungen demokratischer Teilhabe .
Als sogenanntes somalisches Modell trägt es jedoch der
inneren Verfasstheit der somalischen Gesellschaft, der
politischen Kultur und ihren Traditionen Rechnung . Wir
werden den Prozess der Umsetzung mit dem Ziel begleiten, so viel Transparenz und Demokratie wie möglich zu
erreichen .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der 2012 beschlossenen Übergangsverfassung begann ein ausgesprochen steiniger Weg der kleinen Schritte zum Wiederaufbau funktionsfähiger staatlicher Strukturen . Diesen Weg
gehen die Somalis unter denkbar schwierigen Bedingungen . Die islamistische Terrormiliz al-Schabab überzieht
das Land mit Terroranschlägen . Daneben bringen Dürren
und Hungersnöte Somalia immer wieder an den Rand einer humanitären Katastrophe . Dennoch gilt Somalia dank
der gemeinsamen Anstrengungen der Somalis und der internationalen Gemeinschaft mittlerweile nicht mehr als
ein sogenannter Failed State, also als gescheiterter Staat .
Aber wir haben es noch immer mit einem fragilen Staat
zu tun . Aber bis wir tatsächlich von Good Governance
sprechen können, ist es vermutlich ein noch ausgesprochen langer und beschwerlicher Weg . Nicht nur auf den
ersten Kilometern, sondern auf der gesamten Strecke
bleibt Somalia auf unsere Unterstützung angewiesen .
Unsere Stabilisierungspolitik zielt weiter auf die
Schaffung eines Mindestmaßes an effektiver Staatlichkeit . Es geht nicht um die großen, hehren Ziele, es geht
erst einmal um die elementaren Grundbedürfnisse der
Bevölkerung . Neben der Versorgung mit Wasser, Nahrung, Energie und einem funktionierenden Gesundheitswesen muss der somalische Staat auch das elementarste
menschliche Grundbedürfnis erfüllen, nämlich Frieden,
Stabilität, Sicherheit .
Unser militärisches Engagement im Rahmen der
EU-Ausbildungsmission EUTM Somalia ist eingebettet
in einen umfassenden Ansatz . Es gibt eine Reihe von
bilateralen Projekten, die wir auf den Weg gebracht haGudrun Zollner
ben, mit denen wir zivilgesellschaftliche und staatliche
Strukturen stärken und eben die demokratische Teilhabe
fördern wollen . Auch das wieder anlaufende Engagement
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Somalia
wird künftig eine noch größere Rolle spielen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten nicht
vergessen: Der Aufbau der somalischen Armee erfolgt
von Grund auf . Parallel dazu stehen aber auch die somalischen Soldaten an der Seite von AMISOM im Kampf
gegen die Terrormilizen von al-Schabab . Die Zusammenarbeit im Sicherheitssektor in einem Land, das sich
in einem bewaffneten Konflikt befindet, ist eine ausgesprochen schwierige Aufgabe . Dennoch hat der Aufbau
der somalischen Sicherheitskräfte in den vergangenen
Jahren wichtige Fortschritte gemacht .
Die internationale Gemeinschaft und die somalische
Regierung haben sich auf Planungsgrundlagen und Ziele
für den Aufbau der Armee und der Polizei geeinigt . Die
Strukturen des Somalia-Paktes haben zu deutlich mehr
Transparenz, verbindlichen Absprachen geführt, und
über das „Wer macht was?“ gibt es zwischen somalischer
Regierung, den Vereinten Nationen und den internationalen Gebern inzwischen einen belastbaren politischen
Dialog .
Die Mission EUTM Somalia hat sich als ein wichtiger
und geschätzter Partner etabliert . Trotz eines nach wie
vor schwierigen Umfeldes hat die Mission bereits viel
erreicht . Insgesamt haben wir seit 2010 5 000 somalische Soldaten ausgebildet - zunächst in Uganda und
zwischenzeitlich, seit 2014, nun auch auf somalischem
Boden in Mogadischu . Mit unseren EU-Partnern und
der Hohen Vertreterin Frederica Mogherini stimmen wir
darin überein: Dieses Engagement soll auch über die
Laufzeit des aktuellen Mandats hinaus, also über Dezember 2016 hinaus, fortgesetzt werden . Wir tun das,
gleichwohl wir wissen, dass es sich um ausgesprochen
schwierige Rahmenbedingungen handelt .
Gerade deshalb setzen wir uns ja auch für Verbesserungen ein, etwa dafür, dass sich die Mission in enger
Abstimmung mit AMISOM künftig noch stärker auf die
Unterstützung beim Aufbau der Verwaltungs- und Führungsstrukturen der somalischen Streitkräfte verlegt . Wir
können hier als Europäerinnen und Europäer einen entsprechenden Mehrwert aufbringen . Wir wollen die ersten
Erfolge bei der „Ertüchtigung“ der somalischen Streitkräfte nachhaltig sichern und langfristig in die alleinige
somalische Verantwortung überführen .
Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen uns aber auch:
Das Bewusstsein der militärischen Eliten in Somalia für
den Mehrwert einer funktionsfähigen Streitkräfteorganisation, die rechenschaftspflichtig gegenüber der zivilen
politischen Führung ist, ist immer noch vergleichsweise
gering ausgeprägt. Gerade bei diesen Defiziten soll die
Ausbildung künftig ansetzen . Wir setzen unsere Hoffnungen vor allem auf die jüngere Generation . Die im
Rahmen der EU-Mission ausgebildeten Soldatinnen und
Soldaten machen uns Mut . Hier wächst eine motivierte,
gut ausgebildete, mit den Grundsätzen des humanitären
Völkerrechts vertraute neue Generation somalischer Militärs heran .
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie
bei allen Schwierigkeiten um Ihre tatkräftige Unterstützung und um Zustimmung zur Fortsetzung dieses Mandats .
Vielen herzlichen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Alexander
Neu von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Somalia - so wird es gesagt - ist ein fragiler
Staat . „Die Stabilisierung des Landes ist eine Generationenaufgabe“, so steht es im Antrag der Bundesregierung .
Ziel sei es, den Aufbau tragfähiger staatlicher Strukturen
in Kooperation mit anderen internationalen Organisationen herbeizuführen . Die Methode wird als umfassend
bezeichnet: außenpolitische Instrumente, sicherheitspolitische Instrumente, entwicklungspolitische Instrumente . EUTM Somalia, seit Februar 2010 in Kraft, soll ein
sicherheitspolitisches Instrument sein . Die Bundeswehr
beteiligt sich mit bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten im
Rahmen der Sicherheitssektorenreform .
Was hier so honorig als Staatsaufbau dargestellt wird,
ist nicht nur honorig, sondern natürlich auch machtpolitisch eigennützig, aber dabei wenig effektiv . In Mogadischu herrscht ein Regime, das man durchaus als
autoritär-islamistisch bezeichnen kann . Die Scharia,
die vor einigen Jahren eingeführt wurde, steht über der
Verfassung . Faktisch konkurrieren in Somalia zwei islamistische Gruppierungen, wobei die eine davon, die als
moderater betrachtet wird - ob sie es ist oder nicht, sei
dahingestellt -, von der Europäischen Union unterstützt
wird . Ich räume ein: Man kann sich die Partner im internationalen Umfeld nicht immer aussuchen . Man muss sie
aber als das benennen, was sie sind . Diese Partner sind
Islamisten .
Der Fortschritt, der im Antrag der Bundesregierung
dargestellt wird, ist mehr als widersprüchlich . Die Bundesregierung sagt auf der einen Seite, es sei eine positive
Entwicklungsperspektive erkennbar . Als Beispiel wird
die Einführung der vorläufigen Verfassung 2012 genannt.
Demgegenüber heißt es aber auch: Eine weitverbreitete
Korruption, organisierte Kriminalität, Terrorismus, unsichere Lebensverhältnisse sowie eine fehlgeleitete wirtschaftliche Entwicklung seien maßgeblich verantwortlich und ursächlich für die prekäre Sicherheitslage . Das
ist eine gute Analyse; denn Armut als Ursache für Terror
wird hier analysiert . Eine außerordentlich ehrliche Analyse vonseiten der Bundesregierung, die wir so gar nicht
gewohnt sind .
({0})
- Nein, leider nicht. Wir würden es gut finden. Jetzt hat
sie es einmal geschafft, und das lobe ich auch .
Aber was unternimmt die Bundesregierung dagegen?
Der sozioökonomische Aufbau Somalias ist immer noch
völlig unterentwickelt . Der Aufbau repressiver Instrumente, das heißt militärischer Fähigkeiten, dominiert .
Aber auch das läuft irgendwie nicht so richtig rund . Der
Aufbau militärischer Fähigkeiten geht auch deshalb fehl,
weil dem wirtschaftlichen Aufbau keine Priorität zukommt . Symptomatisch hierfür ist: Im letzten Jahr, am
9 . Juni, haben somalische Soldaten eine Straßensperre
errichtet, nahe des Trainingscamps Dschasira . Die Soldaten haben das deshalb gemacht, weil sie unzufrieden
über den ausbleibenden Sold waren . Das ist ein Zeichen
für die nach wie vor unterentwickelte sozioökonomische
Sphäre . Nichts wird dagegen gemacht . Man lässt Somalia im Bereich der sozialen Entwicklung weiter am Boden liegen .
Mir fehlt immer noch eine Bilanzierung, wie viele der ausgebildeten Soldaten - die Zahl 5 000 ist vorhin genannt worden - noch im Dienst der somalischen
Streitkräfte sind . Wie viele von denen sind übergelaufen?
Nichts davon steht in dem Antrag . Das fehlt . Eine ehrliche Bilanzierung der Effektivität dieser Trainingsmaßnahme verweigern Sie, weil Sie genau wissen, dass die
Bilanz desaströs sein würde .
Aber es gibt weitere Gründe, warum Somalia nicht auf
die Beine kommt . Einer davon ist der US-Drohnenterror,
der das alltägliche Leben überschattet . Die Normalisierung ist einfach gar nicht möglich . Warum hierzu keine
kritischen Worte seitens der Bundesregierung? Nichts
dazu .
Das westliche Verständnis von Staatsaufbau macht
das Projekt, euphemistisch formuliert, zu einer Generationenaufgabe, wie es die Bundesregierung in weiser
Voraussicht konstatiert hat . Realistisch ausgedrückt, wird
der westliche Staatsaufbau zum Scheitern verurteilt sein .
Sie ahnen es, und wir wissen es .
Die Linke lehnt einen militärisch gestützten Staatsaufbau ab und somit auch die Mission EUTM Somalia .
({1})
Ich danke Ihnen .
({2})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Jürgen Hardt
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das heute hier vorgelegte Mandat ist ein wichtiger Baustein im Rahmen des gesamten Netzwerkansatzes, den die Welt für Somalia hat . Wir haben in Somalia
das vielleicht drastischste und schrecklichste Beispiel
eines Failed States in den letzten Jahrzehnten gehabt,
in dem es an allem mangelte, was in irgendeiner Weise
Staatlichkeit und Schutz der Bürger ausmachte . Es ist
deswegen ein ganz weiter Weg, dieses Land tatsächlich
zu einer prosperierenden Demokratie zu machen . Der
Staatsminister hat darauf hingewiesen, welche Schwierigkeiten es gibt, dort Wahlen durchzuführen und dort
Verhältnisse herzustellen, die wir auch nach westlichen
Maßstäben als demokratisch bezeichnen können .
Aber es ist eine ganze Reihe geschehen . Der Netzwerkansatz ist offensichtlich der richtige . EUTM Somalia, die
Ausbildungsmission der Europäischen Union, fügt sich
ein in die Mission EUCAP NESTOR, in die Operation
Atalanta, also in unser Antipirateriemandat . Es fügt sich
ein in die Bemühungen der Afrikanischen Union, der ostafrikanischen Kooperation und natürlich auch der Vereinten Nationen, die dort gemeinsam agieren .
Wir haben vor zwei Jahren die Ausbildungsmission
direkt in die Hauptstadt verlegt . Es hat damals Diskussionen gegeben, auch hier im Haus, auch in den Ausschüssen und in den Arbeitsgruppen: Können wir das
verantworten? Ist es zumutbar, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten dort Dienst tun? - Die Antwort nach zwei
Jahren lautet: Es ist verantwortbar gewesen . Gerade Soldaten der Afrikanischen Union schützen den deutschen
und den internationalen Ausbildungsbeitrag insgesamt
in hervorragender Art und Weise, sodass wir jetzt sagen
können: Es war richtig, direkt ins Land zu gehen . Es ist
auch dadurch eine höhere Effizienz der Ausbildungsleistung zu verzeichnen - das zeigen die Zahlen -, dass
allein in den letzten zwei Jahren 1 500 Personen ausgebildet wurden .
Ich halte es auch für ein schönes Beispiel für den vernetzten Ansatz, dass wir nicht nur die militärische Ausbildung und die Polizeiausbildung durchführen, sondern
dass wir auch den zivilen Wiederaufbau des Landes fördern . Wir haben zusätzlich Mittel in Höhe von 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, und wir werden auch
Altmittel der Entwicklungszusammenarbeit aus früheren
Jahrzehnten freisetzen - Mittel, die zuvor aufgrund der
Entwicklung in Somalia nicht eingesetzt werden konnten -, sodass wir deutlich mehr finanzielle Mittel für den
zivilen Wiederaufbau des Landes als für die Komponente
der militärischen Ausbildung aufwenden .
Ich kann an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen in den Ausschüssen nur empfehlen, der Verlängerung
dieses Mandates genauso zuzustimmen wie den Mandaten, die sich im Rahmen des Netzwerkansatzes der Weltgemeinschaft darum ranken . Ich kann guten Gewissens
sagen, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten eine
sinnvolle, verantwortbare und auch hinreichend sichere
Aufgabe übertragen . Ich wünsche allen Soldatinnen und
Soldaten, die diesen Einsatz ausführen - das sind im Augenblick 9; es werden vielleicht einmal bis zu 20 sein;
das ist die Mandatsobergrenze, die vorgeschlagen wird -,
jedes Soldatenglück, damit sie heil wieder nach Hause
kommen, wenn der Einsatz beendet ist . In diesem Sinne
eine gute Beratung in den Ausschüssen .
({0})
Vielen Dank . - Agnieszka Brugger von Bündnis 90/
Die Grünen hat als nächste Rednerin das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Mandate der Bundesregierung zu Auslandseinsätzen lesen sich oft sehr technisch. Aber ich finde, bei diesem
Mandat, bei der europäischen Ausbildungsmission für
die somalischen Sicherheitskräfte, merkt man ganz besonders, wie oberflächlich und extrem technokratisch Sie
die Situation in Somalia beschreiben .
Wer ein Gespür für die Situation der Menschen in Somalia bekommen möchte, dem empfehle ich eine Reportage aus der Zeit, die im Januar dieses Jahres erschienen
ist . Dort wird die bewegende Geschichte von einem Koch
erzählt, der 2008, als in Mogadischu die Gewalt regierte,
in sein Land zurückgekehrt ist, um es wieder aufzubauen .
Diese Geschichte handelt von Hoffnung, von Mut, von
Lebensfreude und von wirtschaftlichem Aufschwung,
aber eben auch ganz viel von Angst, von Gewalt und von
Korruption . Diese Reportage ist übrigens auch eine empfehlenswerte Lektüre für all die Menschen, die nicht wissen, was Heimat und Heimweh bedeuten können, und die
meinen, dass die Flüchtlinge alle nur hierbleiben wollen
und nicht in ihre Länder zurückkehren .
Nach 25 Jahren Bürgerkrieg gab es auch positive Entwicklungen in Somalia . Wer aber zum Beispiel glaubt,
dass die gesunkene Anzahl der Terroranschläge durch
die Verbrecher von al-Schabab quantitativ ein Zeichen
für die Verbesserung der Sicherheitslage ist, der täuscht
sich leider . Gerade in den letzten Wochen erschütterte
eine Reihe von Attentaten das Land, die in ihrer Qualität
leider immer schlimmer und grausamer werden .
Die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und
zahlreiche Staaten engagieren sich seit Jahren in Somalia . Seit Jahren warnen alle Expertinnen und Experten
immer wieder und weisen darauf hin, dass die zentrale
Ursache für die Probleme in Somalia, bei der man ansetzen muss, die fehlende Staatlichkeit und die Schwäche
der politischen Institutionen sind .
Ja, auch im politischen Bereich hat es in den letzten
Jahren einige Fortschritte gegeben . Aber Sie fokussieren
sich sehr stark auf die Militäreinsätze, und diese wichtigen Fragen werden vernachlässigt . Wer will, dass das
Engagement in Somalia zum Erfolg führt, der muss viel
mehr für den Staatsaufbau tun . Weil Sie da zu wenig machen, ist die Gefahr groß, dass auch dieser europäische
Militäreinsatz am Ende nicht nur wirkungslos bleibt,
sondern sogar noch mehr Schaden anrichtet .
Sie haben in den letzten Jahren erst in Uganda und
dann in Somalia mehrere Tausend Soldaten ausgebildet .
Immer dann, wenn wir die Bundesregierung nach den Erfahrungen und nach der Bilanz fragen, hüllen Sie sich in
Schweigen und in Nichtwissen . Das hat man auch in Ihrer Rede sehr stark gemerkt, Herr Roth . Einen Militäreinsatz kann man doch nicht so begleiten und gestalten . Das
zeugt von einer Oberflächlichkeit und einer Ignoranz, die
gefährlich ist .
({0})
Meine Damen und Herren, in einem Land, das auch
wegen der Rivalitäten der mächtigen Clans nicht zur
Ruhe kommt, birgt es große Gefahren, Sicherheitskräfte auszubilden, wenn sie keiner wirksamen politischen
Kontrolle unterliegen . Wir haben Hinweise, dass sehr
stark nur aus einem Clan rekrutiert wird, was in der Konsequenz die Spannungen verstärkt . Wir hören, dass Sold
nicht gezahlt wird oder nur willkürlich gezahlt wird und
in den Taschen der Kommandeure verschwindet . Wir sehen hohe Desertionsraten . Wir erfahren von Soldaten, die
anschließend zu den Milizen gehen oder sich gar al-Schabab anschließen . Es gibt Vorfälle, bei denen Soldaten in
Uniform die Zivilbevölkerung bedrängen, statt sie zu beschützen . Immer wieder verschwinden auch Waffen . Von
alldem will die Bundesregierung noch nie wirklich etwas
gehört haben . Da muss man sagen: Eine verantwortungsvolle Politik sieht wirklich anders aus .
({1})
Meine Damen und Herren, vor einem Jahr haben wir
Grüne das Mandat einstimmig abgelehnt . Wir haben mit
Nein gestimmt, nicht deshalb, weil man die Menschen in
Somalia alleinlassen soll; dieses Nein war vor allem ein
Appell an die Bundesregierung, endlich die Konfliktursachen anzugehen und den Aufbau der staatlichen Institutionen viel stärker zu unterstützen . Es ist wirklich schade,
dass Sie dieses Jahr untätig haben verstreichen lassen;
denn nur dann, wenn man da etwas tut, kann man einen
Beitrag dazu leisten, dass immer mehr Menschen wie jener Koch sich entschließen, in ihre Heimat zurückzugehen, und kann man sicherstellen, dass die Weichen dort
so gestellt werden, dass die Menschen eine neue Zukunft
für ihr Land aufbauen können .
({2})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Florian Hahn
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Um die Fortschritte messen zu können, die in
den vergangenen Jahren in Somalia gemacht wurden,
müssen wir uns a) in Erinnerung rufen, wie wir ange-
fangen haben, und müssen wir b) das ins Verhältnis zu
den doch sehr ambitionierten Zielen setzen . Die Ziele
sind, zunächst einmal eine Basissicherheit und langfristig funktionsfähige somalische Sicherheitsstrukturen und
Streitkräfte aufzubauen .
Jahrelang galt Mogadischu als einer der gefährlichsten Orte der Welt . Es wurde im Volksmund „Stalingrad
Ostafrikas“ genannt . Noch immer ist das Land am Horn
von Afrika eine der unsichersten und ärmsten Regionen .
Dürreperioden, wie jetzt durch das Wetterphänomen El
Niño ausgelöst, treffen den Krisenstaat hart . Fast die
Hälfte der Einwohner, fast 5 Millionen Menschen sind
auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen . Die Vereinten Nationen schlagen deshalb entsprechend Alarm .
Somalia wird sich sicherlich noch lange als fragiler
Staat darstellen und auf Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen bleiben . Doch wird eine rein
pessimistische Bewertung dem Land nicht gerecht . Teile
erholen sich langsam, auch wenn die Entwicklung sicherlich nicht geradlinig verläuft . Mogadischu ist heute
die am zweitschnellsten wachsende Stadt der Welt . Obwohl man die Sicherheitslage weiterhin als schwierig bewerten muss, erholt sich die Stadt langsam, baut sich aus
Ruinen wieder auf, versucht, wieder normal zu sein .
So minimal die Fortschritte sind - ich will das nicht
überzeichnen -: Die Menschen suchen nach Perspektiven. Erste qualifizierte Arbeitskräfte aus der ganzen Welt
sind nach Somalia zurückgekommen, um beim Wiederaufbau des Staates zu helfen . Mehr als 20 Hochschulen
wurden in den letzten Jahren in der Stadt eröffnet . Restaurants und Läden entstehen . Manche sprechen von einer Art Gründungssituation . Wie gesagt: Man muss alles
ins richtige Verhältnis setzen . Wir werden im Februar ein
GIZ-Büro eröffnen und Vorhaben zur staatlichen Wasserversorgung und Ernährungssicherung beginnen .
Neben den strukturellen Fortschritten geben die politischen Entwicklungen Grund zu ein bisschen Hoffnung .
So einigte sich das somalische Kabinett am 27 . Januar
dieses Jahres auf ein gesamtstaatliches Wahlsystem für
die anstehenden Wahlen, die im August 2016 durchgeführt werden sollen . Das sind insgesamt schon ein paar
gute Zeichen, wenn wir auf die Anfänge zurückblicken .
Erste Fortschritte zeigen den richtigen Ansatz der Mission EUTM Somalia, aber eben auch vernetzt mit EUCAP
NESTOR und EU NAVFOR . Mittlerweile wurden im
Rahmen von EUTM Somalia über 5 000 Soldatinnen
und Soldaten ausgebildet - wir haben es schon gehört -,
1 500 davon seit Anfang 2014 in Mogadischu . Die entsprechend ausgebildeten Kräfte gelten als vergleichsweise zuverlässig und schlagkräftig . Auch hier muss man
das ins richtige Verhältnis setzen . Seit dem Beginn der
Mission hat sich die Sicherheitslage in Somalia insgesamt verbessert . War Somalia vor Kurzem noch das gefährlichste Seegebiet weltweit für Handelsschiffe, gab es
2015 keine Entführungen mehr .
Auch im Kampf gegen al-Schabab zeichnen sich Erfolge ab . Wir dürfen nicht vergessen: Die afrikanische
Terrororganisation hatte einst ähnliche Strukturen wie
heute der sogenannte IS im Mittleren Osten . AMISOM
und Teile der somalischen Armee haben die Islamisten
aus zentralen Gebieten vertrieben . Entscheidend hierbei: Mit dem Territorium verliert die Terrororganisation
auch zunehmend an Steuereinnahmequellen und lokaler
Unterstützung . Mehrere schwierige Wahrheiten ergeben
sich daraus für uns, die für Somalia wie auch teilweise
ähnlich für andere Krisenregionen gelten .
Erstens . Al-Schabab verbindet ihre politische Agenda
mit einer dschihadistischen Doktrin, die über Somalia hinausgeht . Zudem besteht laut der somalischen Regierung
die Möglichkeit, dass Mitglieder von Boko Haram auch
durch al-Schabab-Milizen in Somalia trainiert wurden .
Eine solche potenzielle panafrikanische Allianz zeigt,
wie wichtig die Stabilisierung Somalias für West- und
Ostafrika ist .
Zweitens . Mit ihrer medialen Strategie, Tweets, YouTube-Videos usw . wirbt al-Schabab weiterhin auch über
Somalia hinaus viele Dschihadisten an . Narrative wie das
Feindbild der westlichen und afrikanischen Kreuzzügler
beherrschen diesen Diskurs, gegen den wir bisher kaum
erfolgreich agieren .
Drittens . Die somalische Terrormiliz kann rein militärisch nicht besiegt werden . Viele Kämpfer der al-Schabab-Miliz sind nicht aus ideologischen Gründen dort,
sondern aus wirtschaftlichen . Die Wechselwirkung ist
offenkundig . Sicherheit bedingt Entwicklung wie Entwicklung Sicherheit bedingt .
Viertens . Somalia wird im Kampf gegen die al-Schabab-Miliz einen langen Atem benötigen . Eine einfache
territoriale Eindämmung wird aufgrund der Anpassungsfähigkeit nicht funktionieren . Die Organisation wird auch
in nächster Zeit eine terroristische Bedrohung bleiben .
Klar ist auch, dass Kräfte der Afrikanischen Union
sowie die Ausbildungsunterstützung der Europäischen
Union auf absehbare Zeit notwendig bleiben . Unser Engagement in Somalia war und bleibt daher weiterhin notwendig .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7556 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist das auch so
beschlossen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Christian Kühn
({0}), Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen Bundesweite Statistik einführen
Drucksache 18/7547
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach groben Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe gibt es in Deutschland circa 350 000 Wohnungslose .
Das sind so viele, wie in einer mittleren Großstadt, zum
Beispiel Bielefeld, leben . Die Bundesregierung verhält
sich aber so, als würde es die gar nicht geben; denn in
den offiziellen Armutszahlen tauchen sie nicht auf. Auch
im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird es wieder keine offiziellen Zahlen zu
Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit und extremer
Armut in Deutschland geben. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis .
({0})
Nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe leben fast 40 000 Menschen auf der Straße, darunter Kinder und Jugendliche . Das ist eines reichen Landes wie
Deutschland unwürdig . Ziel sollte es sein, dass niemand
auf der Straße leben muss .
({1})
Es ist zu befürchten, dass durch die hohe Zahl von
Geflüchteten die Zahl der Menschen, die keine Wohnung
haben oder auf der Straße leben müssen, sogar noch
steigt . Auch deswegen ist es gerade jetzt wichtig, mehr
Anstrengungen gegen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit zu unternehmen . Um das zu erreichen, brauchen
wir genaue Statistiken über das Ausmaß, die Struktur und
vor allem die Ursachen . Da reicht die grobe Schätzung
einer Nichtregierungsorganisation nicht aus . Wir müssen
genau wissen, wer betroffen ist, um zielgenau handeln
zu können .
({2})
Ich nenne zwei Beispiele für mögliche Ursachen, bei
denen die Bundespolitik verantwortlich ist . Handelt es
sich um Unionsbürgerinnen bzw . -bürger, die vom Bezug
von Grundsicherung ausgeschlossen sind? Wie man hört,
will die Bundesregierung für diese Gruppe das Grundrecht auf Existenzminimum sogar noch einschränken .
Wir halten das für falsch .
({3})
Oder handelt es sich um junge Erwachsene, die keine
Grundsicherung erhalten? Alle Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die verschärften Sanktionen gegen junge Erwachsene und die Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft kontraproduktiv sind .
Auch in der Politik gibt es eigentlich einen breiten
Konsens, was diese Frage angeht . Allein die CSU ist dagegen . Hören Sie endlich auf, sich von der CSU vorführen zu lassen, und schaffen Sie die verschärften Sanktionen gegen junge Erwachsene und die Sanktionen bei den
Kosten der Unterkunft endlich ab .
({4})
Damit beseitigen Sie eine Ursache von Obdachlosigkeit .
Die Bundesregierung aber duckt sich weg und behauptet, für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit und
Wohnungslosigkeit sei man nicht zuständig . Zuständig
dafür seien nur die Länder und die Kommunen .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist verantwortungslos .
({6})
Wegschauen und wegducken ist der falsche Weg .
({7})
Sagen Sie nicht, es geht nicht . Nordrhein-Westfalen
hat schon lange eine Wohnungslosenstatistik . Und Bayern, Herr Kollege Straubinger und liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CSU,
({8})
ist nach Nordrhein-Westfalen wieder einmal das zweite
Land, das zumindest eine Piloterhebung durchgeführt
hat, die ganz gut funktioniert hat .
({9})
Also, daran kann man sich orientieren .
Es gibt also keinen Grund, warum es nicht möglich
sein sollte, auch eine bundesweite Statistik einzuführen .
({10})
Geben Sie sich einen Ruck! Schaffen wir gemeinsam
eine Grundlage für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit . Denn niemand bei uns sollte auf der Straße leben müssen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({11})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Matthias
Zimmer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den
Städten - insofern will ich dem Kollegen StrengmannKuhn völlig recht geben - gewinnt das Thema Wohnungsnot ganz erheblich an Brisanz . Viele deutsche
Städte wachsen durch Urbanisierung bzw . Zuwanderung .
Für viele Städte ist das natürlich eine Herausforderung nicht zuletzt weil im unteren Preissegment relativ wenig
Wohnraum zur Verfügung steht .
Es ist ja richtig: Mit dem Wegfall der Gemeinnützigkeit 1988 und dem Rückzug des Bundes aus der öffentlichen Förderung hat ein deutlicher Abbau des sozialen
Wohnungsbaus stattgefunden . Das führt nun dazu, dass
über Jahre Versäumtes kompensiert werden muss . Das
wird aber gemacht .
Wir haben mit der Föderalismusreform 2006 die Zuständigkeit für die Wohnraumförderung auf die Länder
übertragen - Bund und Länder haben das einvernehmlich beschlossen -, weil wir regional sehr unterschiedliche Wohnungsbedarfe haben . Seitdem unterstützt der
Bund die Länder bei der sozialen Wohnraumförderung
mit jährlich rund 520 Millionen Euro . Im Rahmen der
Asyldebatte hat der Bund zugesagt, diesen Betrag bis
einschließlich 2019 zu verdoppeln . Obwohl das Thema
also ein rein kommunales ist, unterstützt der Bund die
Länder derzeit im sozialen Wohnungsbau mit 1 Milliarde
Euro jährlich .
Lieber Kollege Strengmann-Kuhn, manchmal ist es
ja auch gut, wenn man eine schwarz-grüne Regierung wie die in Hessen - loben kann . In Hessen hat sich die
schwarz-grüne Regierung im Rahmen des „Aktionsplans
zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ verpflichtet, bis 2019
insgesamt 10 000 neue Wohnungen zu fördern . In den
Städten hat ein Umdenken begonnen, nicht erst unter
dem Eindruck der Asylkrise . In Frankfurt beispielsweise
werden jedes Jahr 45 Millionen Euro in die Hand genommen, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern . Insofern
ist die Wohnungsfrage eine ganz zentrale soziale Frage
der nächsten Jahre, vor allen Dingen in den Städten .
Ich sage deshalb „vor allen Dingen in den Städten“,
weil bundesweit auch etwa 2 Millionen Wohnungen leer
stehen . Deswegen müssen wir uns sehr genau überlegen,
wie wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau einsetzen, was die Länder sinnvollerweise tun können . Wir
sollten uns beispielsweise überlegen, in den Kommunen
einen bestimmten Prozentsatz der zur Verfügung stehenden Grundstücke für genossenschaftliches Wohnen oder
sozialen Wohnungsbau zu reservieren, sie nicht notwendigerweise direkt an den Markt zu geben . Ich glaube,
das ist eigentlich eine ganz gute Idee . Die Diskussionen
über sozialen Wohnungsbau, genossenschaftliches Wohnen und vieles andere zeigen, wie sehr das Thema Wohnungsnot bereits in der öffentlichen Diskussion präsent
ist .
({0})
Nun wird im Antrag der Grünen gefordert, eine bundesweite Statistik über Obdachlosigkeit einzuführen . Ja,
warum auch nicht?
({1})
Wir führen über alles Mögliche eine Statistik - warum
nicht auch über Obdachlosigkeit? Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe fordert schon seit vielen
Jahren eine solche Statistik . Wir beide, Herr StrengmannKuhn, saßen vor etwa einem Jahr bei einer Veranstaltung
der Bundesarbeitsgemeinschaft zusammen auf dem Podium und haben eine Diskussion darüber geführt . Aus
Erfahrung wissen wir, dass Wohnungslosigkeit ein früher
Indikator für zunehmenden Problemdruck auf dem Wohnungsmarkt ist . Deswegen kann es für die Politik vor Ort
durchaus wichtig sein, hier frühzeitig entsprechende Daten zur Verfügung zu haben .
Hier liegt aber das erste Problem . In meinem Wahlkreis, in Frankfurt, ist die Situation wie folgt: Ein Teil der
Obdachlosen wird durch die Fachstelle zur Verhinderung
von Obdachlosigkeit betreut, ein anderer im Rechtskreis
des SGB XII . Nicht zu vergessen sind Bezieher von Leistungen nach dem SGB II ohne Wohnung, die über eine
spezielle Außenstelle des Jobcenters betreut werden . Zusätzlich wird über den Kältebus die Zahl derjenigen erhoben, die auf der Straße nächtigen - im Winter täglich,
im Sommer 14-tägig . Die Zahl dieser Menschen wurde
in den letzten drei Jahren immer mehr durch Osteuropäer
nach oben getrieben, wobei die Zahl der Menschen aus
dem klassischen Klientel der Wohnungslosenhilfe stagnierte oder zurückging; diese Menschen haben sich andere Nischen gesucht .
Was ich nicht nur aus meinem Wahlkreis, sondern
auch von anderen kommunal Aktiven höre: Die Wohnungslosen, die sich von den genannten Anlaufstellen
helfen lassen, sind vor Ort auch bekannt . Hier bedarf es
jetzt keiner weiteren Instrumente für die Erfassung . Viel
problematischer verhält es sich mit den Menschen, die
sich bewusst der staatlichen Erfassung entziehen . Diese
Menschen statistisch zu erfassen, wäre ein personalintensives Unterfangen . Die Kommunen müssten dafür vermutlich Personal abstellen, das durch die Straßen geht,
um jeden einzelnen Betroffenen statistisch zu erfassen .
Das wäre ein ganz erheblicher Aufwand für ein relativ
kleines Ergebnis, zumal die Menschen mit einer solchen
Erfassung natürlich noch nicht von der Straße weg sind .
Wichtiger wäre aber, die Daten bei den verschiedenen
Sozialleistungsträgern abrufen zu können .
({2})
Dabei ist eine eindeutige Fallidentifizierung nötig, aber
trotzdem der Datenschutz zu wahren, und die Daten sollten möglichst einfach aus den vorhandenen IT-Systemen
abgegriffen werden können . Mit anderen Worten: Ein
erster Schritt dessen, was Wolfgang Strengmann-Kuhn
hier gefordert hat, wäre schon getan, wenn es vor Ort
gelänge, schnell und unkompliziert ein Lagebild über
Obdachlosigkeit und ihre Gründe zu bekommen . Denn
das ist es doch, was wir letztendlich wollen: kleinräumige und zeitnah aufbereitete Daten, damit vor Ort schnell
und effizient gehandelt werden kann. Ich finde, wir sollten uns einmal ansehen, ob wir da als Bundesgesetzgeber
helfen können, etwa was die Frage des Datenschutzes
oder die Kompatibilität der Software unterschiedlicher
Träger sozialer Hilfen angeht .
Nun wäre das sicherlich ein erster Schritt, ein etwas
genaueres Bild davon zu bekommen, was sich im Bereich Obdachlosigkeit tut . Was aber wäre der Mehrwert
einer nationalen Berichterstattung, wie sie den Grünen
in ihrem Antrag vorschwebt? Das ist, glaube ich, die
entscheidende Frage . Die Notwendigkeit einer solchen
Statistik wird damit begründet, die Fachwelt finde es
sinnvoll . Das kann ich als Wissenschaftler nachvollzieDr. Matthias Zimmer
hen; aber nicht alles, was statistisch erfasst werden kann,
macht für die politische Arbeit auch Sinn - leider!
Nun macht der Antrag dann eine sonderbare Verrenkung, indem behauptet wird, eine bundesweite Statistik
sei die Voraussetzung, um auf kommunaler Ebene eine
gute und wirksame Wohnungsnothilfeplanung zu entwickeln und die entstehenden Kosten besser kalkulieren zu
können . Mit anderen Worten: Wenn ich weiß, wie viele Wohnsitzlose es in anderen Teilen Deutschlands gibt,
kann ich in Frankfurt besser planen . Das ist eine stramme
Aussage, die ich bei den Praktikern so nicht bestätigen
konnte . Ich halte es auch für Unfug, weil sich nur große Städte oder ähnlich strukturierte Landkreise sinnvoll
miteinander vergleichen lassen . Für die politische Praxis
spielen zeitnahe und regionale Zahlen eine Rolle, aber
nicht bundesweit erhobene .
Bleibt die Begründung, dass man es einfach wissen
will, etwa im Rahmen von Armuts- und Reichtumsstudien; das ist im Vortrag von Wolfgang Strengmann-Kuhn
angesprochen worden . Ob dies allein aber den zusätzlichen Aufwand in den Kommunen rechtfertigt, also ob
eine vernünftige Kosten-Nutzen-Relation entsteht, das
wage ich zu bezweifeln .
({3})
Meine Damen und Herren, ob die Bundesländer es
stattdessen tun sollten, kann ich nicht abschließend beurteilen . Nordrhein-Westfalen macht eine eigene Statistik,
in Hessen diskutieren wir über eine eigene Statistik . Hier
ist auch der regionale Bezug noch gegeben, bei einer
Statistik, die vom Bund geführt würde, allerdings nicht .
Deswegen komme ich persönlich zu dem Schluss: Die
im Antrag vorgebrachten Argumente überzeugen nicht .
Aber wir sollten uns sehr wohl darüber unterhalten, wie
man die statistische Erhebung vor Ort deutlich verbessern kann .
({4})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Caren Lay
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute Nacht wird es in Berlin wieder minus
2 Grad Außentemperatur haben, gestern hat es dazu noch
geschneit . Während so manch einer hier mit dem Fahrdienst in die warme Stube fährt, sind viele andere noch
auf der Suche nach einem Platz zum Übernachten .
Wohnungslosigkeit - das lässt sich nicht abstreiten ist ein zunehmendes Problem in Deutschland . Das sieht
jeder, der mit offenen Augen durch die Städte geht . Das
belegen auch die Zahlen, die wir kennen . Schätzungsweise 335 000 Menschen waren im letzten Jahr ohne Wohnung . Das ist gemessen an den Schätzungen der Jahre
davor ein Anstieg um 18 Prozent . Das sagt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, die diese Zahlen
seit Jahren erhebt und bei der ich mich an dieser Stelle
sehr herzlich für ihr Engagement bedanken möchte .
({0})
335 000 Obdachlose in einem reichen Land, mit steigender Tendenz - das ist ein Armutszeugnis für unser
Land . Wir können da nicht länger zusehen .
({1})
Wohnen ist doch ein Grundrecht . Deswegen ist es unsere
Verantwortung in der Politik, dafür zu sorgen, dass jeder
Mensch dieses Grundrecht auch wahrnehmen kann .
Für die nächsten Jahre prognostiziert die BAGW sogar noch einen Anstieg und geht davon aus, dass schon
in wenigen Jahren die Grenze von einer halben Million
Wohnungsloser überschritten sein wird . Und wer erst
einmal seine Wohnung verloren hat, der hat wenige
Chancen, schnell einen anderen Lebensweg einzuschlagen . Jeder Vermieter wird stutzig, wenn er keine aktuelle
Adresse aufweisen kann, jeder potenzielle Arbeitgeber
auch. Die Wohnungslosigkeit ist häufig der Beginn eines
Teufelskreises . Wir müssen alles daransetzen, dass Menschen aus diesem Teufelskreis aussteigen können .
({2})
Verlässliche Zahlen über die steigende Wohnungslosigkeit zu haben, das ist der erste Schritt . Das ist immer
so . Damit sagen wir als Gesellschaft, damit sagen wir als
Politik: Wir haben das Problem erkannt . Wir setzen alles daran, es statistisch sauber zu erfassen . Das ist die
Grundlage, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen .
Damit komme ich zu meinem nächsten Punkt . Wir
begrüßen den Antrag der Grünen . Wir, die Fraktion Die
Linke, haben vor wenigen Jahren einen ähnlichen Antrag
gestellt . Er trug den Titel „Obdach- und Wohnungslosigkeit erkennen und bekämpfen“ . Den zweiten Punkt vermisse ich ein wenig im Antrag der Grünen .
Steigende Mieten sind der Nährboden für Wohnungslosigkeit . Wir hatten in vielen Großstädten in den letzten
fünf Jahren Mietsteigerungen von 20, 30, 40, in Berlin
bis zu 50 Prozent . Die Mietenexplosion und die Wohnungsnot sind hausgemacht . Das fällt nicht einfach vom
Himmel . Das ist Ergebnis einer falschen und verfehlten
Miet- und Wohnungspolitik . Das muss man an dieser
Stelle ganz klar sagen .
({3})
Eine Privatisierungswelle sondergleichen auch der
Bundesregierung in den letzten Jahren und das Zusammenstreichen von Sozialwohnungen führten dazu, dass
hier in zehn Jahren über 1 Million Sozialwohnungen
weggefallen sind . Ihre positive Einschätzung kann ich da
beim besten Willen nicht teilen .
({4})
Jährlich fallen 80 000 bis 100 000 Wohnungen aus der
Sozial-, der Belegungs- und der Preisbindung, aber neu
gebaut werden gerade einmal 10 000 Wohnungen im
Jahr . Das steht doch in gar keinem Verhältnis . Hier sind
andere Anstrengungen nötig .
({5})
Bei allen Sonntagsreden über den sozialen Wohnungsbau
kann ich die Beschlusslage hier nicht erkennen . Sie beschließen Steuerabschreibungsmodelle für Reiche . Das
ist Gießkannenförderung . Das ist nicht der richtige Weg .
Das ist überhaupt nicht zielführend .
({6})
Meine Damen und Herren, zu guter Letzt wenige
Punkte, wie wir die Wohnungslosigkeit bekämpfen wollen . Wir sagen ganz klar - da kann ich an meinen Vorredner anschließen -: Sanktionsfreie Mindestsicherung statt
Hartz IV wäre einer der wichtigen Schritte .
({7})
Eine ganz wesentliche Ursache sind die Zwangsräumungen . 22 Zwangsräumungen im Schnitt am Tag allein
in Berlin sind doch eine Schande . Das haben Sie mit der
letzten Mietrechtsnovelle begünstigt, die die Union mit
zu verantworten hat . Sie haben Zwangsräumungen erleichtert . Das müssen wir dringend rückgängig machen .
({8})
Zu guter Letzt, meine Damen und Herren: Wir brauchen einen sinnvollen und starken Neustart im sozialen
Wohnungsbau . Da muss man mehr Geld in die Hand
nehmen, und da muss man die Gemeinnützigkeit wieder
einführen .
Aber auf diese Gießkannenförderung, die Sie beschlossen haben, können wir verzichten . Das wird keinem Wohnungslosen nutzen .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dagmar
Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem
von den Grünen! Ich danke Ihnen für Ihre Initiative; denn
sie gibt uns Gelegenheit, ein immens wichtiges sozialpolitisches Thema, nämlich die Wohnungspolitik, zu diskutieren .
Sie fordern in Ihrem Antrag die Einführung einer bundesweiten Statistik, um auf dieser Basis Wohnungslosigkeit wirkungsvoll anzugehen . Die Bundesregierung hat
dies in ihrer Antwort auf Ihre Kleine Anfrage abgelehnt,
weil die Zuständigkeit seit der Föderalismusreform I von
2006 bei den Ländern liegt .
Für beide Positionen gibt es gute Argumente . Ich
persönlich habe immer große Sympathien für eine gute
Datenbasis für gute Politik . Aber weder haben alle grün
mitregierten Länder eine Wohnungslosenstatistik, die die
Basis für eine im Länderzuständigkeitsbereich liegende
Wohnungspolitik wäre, noch macht die Bundesregierung
deswegen keine Politik gegen Wohnungslosigkeit und
Obdachlosigkeit, weil es keine Statistik gibt .
({0})
Ich kann das Lob für Hessen, Herr Zimmer, leider nicht
teilen . In meinem schwarz-grün regierten Heimatland
Hessen sind es wiederum allein die Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten, die sich des Themas Obdachlosigkeit angenommen haben . Leider hat Schwarz-Grün
die Streichung der Mittel der Obdachlosenhilfe durch die
ehemalige schwarz-gelbe Landesregierung nicht zurückgenommen . Ich hätte Ihnen da mehr Kraft gewünscht .
({1})
Als vorbildlich kann ich das Land Nordrhein-Westfalen nennen . Auch die sozialdemokratische Sozialministerin Altpeter in Baden-Württemberg hat die Initiative
ergriffen
({2})
und sich des Themas „Berichterstattung und Konzeptionierung im Bereich der Wohnungslosigkeit“ angenommen .
({3})
Je weiter man sich von den Kommunen entfernt, desto
schwieriger wird es mit der Zielgenauigkeit . Deswegen
macht es Sinn, die konkrete Planung auf Länderebene
durchzuführen .
Das heißt aber nicht, dass die Bundespolitik hierbei
keine Verantwortung übernehmen würde . Ganz konkret
hat unsere Ministerin Andrea Nahles bei der Steuerung
der Mittel aus dem Europäischen Hilfsfonds für die am
stärksten von Armut betroffenen Personen einen Schwerpunkt auf Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen gelegt . Das ist gut und richtig so .
({4})
Die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland steigt,
und das fordert uns auf allen Ebenen zum Handeln
auf . Es ist bereits erwähnt worden: Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe waren 2014
335 000 Menschen ohne Wohnung . Sie erwartet, dass
die Zahl bis 2018 auf mehr als eine halbe Million steigt .
Gleichzeitig macht sie für den Bund folgende Handlungsfelder aus, die alle von der Koalition bereits angegangen wurden und werden:
Da wäre erstens die Verbesserung der sozialen Lage
durch angemessene Regelsätze und durch die BekämpCaren Lay
fung des Niedriglohnsektors . Mit der Einführung des
Mindestlohns haben wir einen riesengroßen Schritt getan .
({5})
Mit der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen
werden wir weitere Schritte gehen, und die Frage der Regelsätze werden wir noch dieses Jahr aufrufen . Ja, auch
ich hätte große Sympathien dafür gehabt, wenn man gesagt hätte, dass man bei den Kosten der Unterkunft nicht
mehr sanktionieren darf . Aber wir haben mit einer längst
überfälligen Wohngeldreform die finanzielle Situation
von 870 000 Haushalten, vor allem von Rentnerinnen
und Rentnern und Familien mit Kindern, verbessert, auch
wenn es für die Opposition, wie üblich, etwas mehr hätte
sein dürfen .
Zweitens . Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum, vor allem Kleinwohnungen und Wohnungen in den
Ballungsräumen . Das ist für uns nicht erst ein Thema,
seitdem die Flüchtlinge ein Thema sind . Bereits im Koalitionsvertrag haben wir einen Dreiklang aus Stärkung
der Investitionstätigkeit, Wiederbelebung des sozialen
Wohnungsbaus und einer mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung festgeschrieben . Was heißt das konkret? Die Stichworte lauten: Mietpreisbremse und - das
ist bereits erwähnt worden - jährlich 500 Millionen Euro
mehr für den Wohnungsbau .
({6})
Vor allem aber haben wir das sehr erfolgreiche Programm „Soziale Stadt“ wieder zum Leben erweckt; denn
nicht nur Wohnungen, sondern auch ein lebenswertes
Wohnumfeld und soziale Unterstützung im Quartier sind
wichtig . Deswegen geht es am Ende des Tages um die
Handlungsfähigkeit und die Ausstattung der Kommunen .
Da haben wir viel Geld in Bewegung gesetzt: Wir entlasten die Kommunen bis 2018 um insgesamt 25 Milliarden
Euro . Das ist eine echte Hausnummer .
({7})
Der Respekt gegenüber den Ärmsten - um nichts anderes geht es, wenn man sich um Menschen kümmert,
die es alleine nicht schaffen, wenn man ihnen wieder
auf die Beine hilft, auch wenn es lange dauert - ist Ausdruck des sozialen Zusammenhalts unserer Gesellschaft .
Dieses soziale Klima, diesen starken gesellschaftlichen
Zusammenhalt wünschen sich auch die allermeisten derjenigen, die nicht persönlich betroffen sind und es auch
nie sein werden .
„Vier eigene Wände machen einen Menschen frei“,
sagt ein persisches Sprichwort . Diese Freiheit ist in
Deutschland ein Grundrecht . Deshalb gilt es, Wohnungen zu bauen und den Sozialstaat zu stärken und dabei zu
klotzen und nicht zu kleckern .
Glück auf!
({8})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das mit dem „Glück
auf!“ gefällt mir sehr gut . Ich komme aus einer Region,
in der das leider bald nur noch Kulturgut ist .
Lassen Sie mich im Anschluss an die Kollegin
Schmidt auf einige Punkte eingehen . Wer kein Dach
mehr über dem Kopf hat, verliert auch alles andere . Das
Thema Integration wurde gerade schon angesprochen .
Ich glaube, das ist ein sehr wichtiges Thema, und zwar
nicht nur bezogen auf die Statistik . Für uns Sozialdemokraten ist es sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass Menschen selbstbestimmt in einer guten Wohnung und einem
guten Lebensumfeld aufwachsen können, dass sie dort
Arbeit finden und alt werden können. Das ist für uns ein
ganz großes Ziel . Deswegen sind wir für Ihren Antrag
dankbar, der zwei Teile hat: Einmal geht es darum, Wohnungslosigkeit zu verhindern, und das andere Thema ist
die Statistik .
Ich danke außerordentlich Frau Ministerin Hendricks,
die sich Zeit genommen hat, um heute hier zu sein und
der Debatte über dieses wichtige Thema beizuwohnen .
({0})
Das zeigt, wie wichtig es uns Sozialdemokraten und der
Ministerin ist, dass wir auf dem Wohnungsmarkt bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen schaffen .
({1})
Ich möchte ergänzen, was bisher passiert ist - die Frau
Ministerin hat das im Ausschuss deutlich gemacht -: Wir
haben es ja nicht dabei bewenden lassen, zu sagen, dass
wir die Mittel für die soziale Wohnraumförderung verdoppeln wollen . Uns ist sehr bewusst, dass wir zurzeit einen großen Nachholbedarf haben, dass wir mehr bezahlbaren Wohnraum für die Bezieher unterer und mittlerer
Einkommen schaffen müssen . Frau Hendricks hat angekündigt, dass sie zusätzlich 1 Milliarde Euro in die Hand
nehmen möchte, um zusätzlich Wohnraum zu schaffen,
insbesondere in Ballungsgebieten . Ich hoffe, dass wir uns
da durchsetzen können .
({2})
Mein zweiter Punkt . Ich möchte darauf hinweisen,
dass sich die Ministerin eindeutig für eine ressortübergreifende Strategie bei dem Programm „Soziale Stadt“
eingesetzt hat . Das ist ein wichtiges Thema . Es geht insDagmar Schmidt ({3})
besondere um die Frage, wie wir die einzelnen Handlungsfelder, die Fachpolitiken auf Bundesebene, auf
Landesebene und auf kommunaler Ebene so bündeln
können, dass die Kompetenzen der Fachleute in der Politik zusammengeführt werden, sodass man jedem Menschen effizient helfen kann.
Darüber hinaus hat die Ministerin gesagt: Wir brauchen eine Stiftung . - Ich kann das nur sehr begrüßen,
weil das Programm „Soziale Stadt“ ein Programm ist,
das natürlich davon abhängt, dass einzelne Stadtteile zunächst einen negativen Weg genommen haben .
({4})
Ich gehe davon aus, wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass eine Stiftung auf den Weg gebracht wird,
damit wir auch präventiv in den Städten für gute Lebensbedingungen sorgen können . Sie haben da unsere Unterstützung, Frau Hendricks; darauf können Sie in der SPD
zählen .
({5})
Jetzt noch ein Satz zur Statistik; das war ja vom Kollegen von der CDU doch ein gewisser Rittberger . Eine
belastbare Statistik, die vor Ort natürlich erforderlich ist,
kann dazu beitragen, dass wir, wenn sie aggregiert wird,
auf Bundesebene für das sorgen können, was im Grundgesetz steht, nämlich für gleichwertige Lebensverhältnisse. Da hat der Bund eine Verpflichtung, und ich glaube,
da sind wir, die SPD, stringent . Wir haben schon in der
letzten Legislatur gefordert, dass es eine bundesweite
Statistik geben sollte, und wir werden uns weiterhin dafür einsetzen .
Herzlichen Dank und Glück auf!
({6})
Vielen Dank . - Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7547 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die
Kosten von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes
Drucksache 18/6986
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({0})
Drucksache 18/7578
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke sowie zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der
Aussprache hat Hiltrud Lotze von der SPD-Fraktion das
Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir beraten heute Abend
den - ich lese einmal den gesamten Titel vor - Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von
Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur
Änderung des Abwasserabgabengesetzes . Vom Titel her
ist das eine Herausforderung . Inhaltlich ist es ein gutes
und wichtiges Gesetz, weil es im Kern um unser wichtigstes Lebenselixier geht, nämlich ums Wasser . Mit diesem Gesetz beenden wir heute einen mehrjährigen Streit
um die Frage der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie in das Wasserhaushaltsgesetz .
Grundsätzlich zielt die EU-Wasserrahmenrichtlinie
auf die Herstellung eines guten Zustands aller Gewässer .
Gewässer sind dann in einem guten Zustand, wenn sie,
vereinfacht gesagt, vom Menschen nur gering beeinflusst
sind . Die EU-Wasserrahmenrichtlinie sieht vor, dass sich
alle, die Wasser in irgendeiner Form nutzen, finanziell
daran beteiligen müssen, dass die Gewässer in einem guten Zustand sind . Das ist der Kostendeckungsgrundsatz .
Umweltverbände und die Europäische Kommission
waren der Meinung, dass auch in unserem Wasserhaushaltsgesetz eine Kostenbeteiligung zur Umsetzung der
Wasserrahmenrichtlinie festgeschrieben werden muss,
und haben deswegen geklagt . Dazu muss man wissen,
dass in Deutschland unter Wasserdienstleistungen die
Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung
verstanden werden . Diese Bereiche werden zur Kostendeckung herangezogen . Allerdings wird zum Beispiel
das Aufstauen des Wassers für die Stromerzeugung aus
Wasserkraft oder das Nutzen des Wassers für die Schifffahrt nicht als Wasserdienstleistung betrachtet . Deswegen werden diese Bereiche bei der Anwendung des Kostendeckungsgrundsatzes - wer nutzt, muss zahlen - auch
nicht berücksichtigt .
Die jetzige Bundesregierung und ihre Vorgänger haben die Wasserrahmenrichtlinie so interpretiert: Für den
Fall, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht erreicht werden, sollen sich die übrigen Wassernutzer, also
die eben Genannten, an den Kosten beteiligen . Diese
Beteiligung müsse aber nicht unbedingt finanzieller Art
sein . - Ich weiß, das ist ein bisschen kompliziert . Ich versuche, das hier so deutlich wie möglich zu erläutern .
Der Europäische Gerichtshof hat nach der Klage die
grundsätzliche Rechtsauffassung der Bundesrepublik
Deutschland bestätigt: Deutschland muss alle Wassernutzer an den Kosten beteiligen . - Wie dies zu geschehen
hat, ist aber nicht festgelegt . Obwohl der EuGH festgestellt hat, dass die Bundesrepublik bisher nicht gegen die
Wasserrahmenrichtlinie verstoßen hat, sind zur Klarstellung minimale Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz
notwendig . Und die nehmen wir heute hier mit diesem
Gesetzentwurf vor . Im Klartext heißt das: Das Wasserhaushaltsgesetz wird ergänzt, für die Wassernutzer bleibt
aber alles beim Alten . Für niemanden entstehen zusätzliche Kosten .
Das Land Baden-Württemberg war nun der Meinung,
hier könne eine Rechtsunsicherheit in dem Sinne entstehen, dass das verfassungsmäßige Recht der Länder,
Abgaben zu erheben, beschnitten werden könne . Die
Grünen haben das in ihren Änderungsantrag aufgenommen, und auch der Bundesrat hat auf Initiative von Baden-Württemberg den Wunsch formuliert, eine Länderöffnungsklausel einzuführen .
Aus unserer Sicht - da teilen wir auch die Auffassung
des Ministeriums - ist eine solche Klausel unnötig; denn
nach dem vorliegenden Gesetzentwurf können Bund und
Länder das Kostendeckungsprinzip bei der Wassernutzung auch dann uneingeschränkt anwenden, wenn die
Ziele der Wasserrahmenrichtlinie schon erreicht werden .
Deswegen werden wir den Änderungsantrag der Grünen
ablehnen .
Das Gleiche gilt auch für den Entschließungsantrag, in
dem unter anderem gefordert wird, im Wasserhaushaltsgesetz ein Fracking-Verbot zu verankern .
({0})
- Der Applaus ist im Prinzip richtig .
({1})
Wir werden diesen Entschließungsantrag trotzdem ablehnen .
({2})
Aber Achtung: Wir lehnen ihn nicht ab, weil wir etwa für
Fracking sind . Ganz im Gegenteil!
({3})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Es ist
eine umfassende Fracking-Gesetzgebung auf dem Weg,
({4})
und dieser wollen wir hier nicht durch ein Detail vorgreifen .
Ich will den Fokus heute Abend noch auf ein anderes Wasserthema lenken, nämlich auf die Nitratrichtlinie .
Wenn wir in Deutschland das Grundanliegen der Wasserrahmenrichtlinie - nämlich den guten Zustand aller
Gewässer - erreichen wollen, dann müssen wir diese
Nitratrichtlinie umsetzen; denn wir alle wissen: Unsere
Böden und damit auch die Gewässer sind noch immer zu
stark durch Düngemittel, und hier vor allem mit Nitrat,
belastet. 82 Prozent der Oberflächengewässer haben letztes Jahr die Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie nicht
erfüllt .
Wir alle wissen auch, dass der Hauptverursacher dieses
Zustandes die Landwirtschaft ist . Bei allem Verständnis
für die Landwirtschaft will ich hier ganz deutlich sagen:
Die Verzögerung bei der Umsetzung der Nitratrichtlinie
ist nicht dem Umweltressort zuzuschreiben .
({5})
Dass es auch anders geht, zeigt sich beispielhaft in meiner Region, in Lüchow-Dannenberg - Lüneburg . Hier
beteiligen sich derzeit 20 landwirtschaftliche Betriebe
an einem mehrjährigen niedersächsischen Modellversuch . Diese Betriebe werden in Düngefragen intensiv
beraten - und das kostenlos . Das Ergebnis ist, dass bis
zu 20 Prozent weniger Düngemittel und damit weniger
Nitrat eingesetzt werden .
Man kann also sehen: Es funktioniert . Deswegen ist
uns und mir als Umweltpolitikerin sehr daran gelegen,
dass wir die Verschärfung des Düngemittelgesetzes und
der Düngemittelverordnung zur Umsetzung der Nitratrichtlinie schnell verabschieden .
({6})
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das muss
uns klar sein: Wenn wir alle zusammen nicht mehr für die
Verbesserung der Wasserqualität tun, dann werden wir in
mehrfacher Hinsicht einen hohen Preis dafür zahlen .
Ich komme zurück zu dem Gesetzentwurf . Mit der
Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes setzen wir ein weiteres Element der Wasserrahmenrichtlinie in nationales
Recht um . Wir als SPD-Fraktion stimmen zu . Und wir arbeiten zusammen mit unserer Ministerin weiter intensiv
daran, unser Wasser noch besser zu schützen .
Vielen Dank .
({7})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ralph Lenkert
von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf zum
Wasserhaushaltsgesetz, WHG, übernimmt EU-Vorgaben unverändert in deutsches Recht . Durch ihn werden
also Wasserdienstleistungen klarer definiert. An Positivem kann ich zum Gesetzentwurf sagen: Es wird nichts
schlechter . Leider verpasst die Koalition jedoch die
Chance, unseren, durch verschiedenste Nutzung stark
belasteten Bächen, Flüssen und Seen wirklich zu helfen .
Und das ist schon fahrlässig .
({0})
Damit Gesetzesänderungen neben dem bürokratischen
Sinn auch noch gut für die Gewässer sind, haben wir von
der Linken Ihnen zwei Entschließungsanträge vorgelegt .
Mit Ihrer Zustimmung könnten Sie dann doch noch etwas Positives für unsere Gewässer erreichen .
Der erste Entschließungsantrag schließt eine Gesetzeslücke bei Kleinwasserkraftwerken . Nach § 34 Wasserhaushaltsgesetz dürfen Stauanlagen nur zugelassen
werden, wenn die Bewirtschaftungspläne und Bewirtschaftungsziele des Gewässers nicht beeinträchtigt werden . Leider haben Bäche und Gewässer mit weniger
als 10 Quadratkilometern Einzugsgebiet keine Bewirtschaftungspläne . Gewiefte Juristen hebeln jetzt über
diese Lücke Bestimmungen zum Umwelt-, Natur- und
Artenschutz aus, die unsere Gewässer vor umweltschädlichen Kleinwasserkraftwerken schützen sollten . Auch
die Betreiber von Schneekanonen nutzen diese Möglichkeit, um Stauanlagen zu bauen . Doch gerade diese
oft unbelasteten Kleingewässer sind ein Rückzugsort für
viele Tierarten, unter anderem für die vom Aussterben
bedrohte Flussperlmuschel und viele Köcherfliegenarten.
Schließen wir diese Gesetzeslücke! Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu!
({1})
Den zweiten Entschließungsantrag stellt die Linke,
so wie die Kollegen von den Grünen, um insbesondere
Fracking über das Wasserrecht zu verbieten . Wir wollen, dass für die Wassernutzung, egal ob zur Rohstoffgewinnung, als Kühlwasser oder für die exportierende
Landwirtschaft, ein Nutzungsentgelt bezahlt werden
muss, welches der Höhe der Belastungen für die Natur
entspricht .
({2})
Auch dies würde unseren Gewässern helfen .
Mit der Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes wendet die Koalition ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren durch die EU ab .
({3})
Gut . Aber ein anderes Vertragsverletzungsverfahren der
EU wegen Verstoßes gegen die Wasserrahmenrichtlinie
läuft derzeit gegen die Bundesrepublik . Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren kämpfen Umweltschützer,
Anliegergemeinden, Anglervereine, die Linke, die SPD
in NRW und Niedersachsen für eine gesunde Werra und
für eine gesunde Weser .
({4})
Fische in diesen Flüssen sehen wie Zombies aus, von
Salzwasser zerfressen . Am Ufer entstehen Salzwiesen
wie an der Nordsee . Und über den Witz „Was kann man
sich bei Fischen aus der Weser sparen? - Das Salzen!“
lacht kein Betroffener mehr .
Der Vier-Punkte-Plan von K+S, also Kali und Salz,
und Hessen wird von der EU nicht akzeptiert, weil er den
guten Zustand für Werra und Weser in eine ferne Zukunft
verschiebt . Kali und Salz erzielte zwischen 2010 und
2014 über 2,4 Milliarden Euro Gewinn und schüttete in
diesem Zeitraum 937 Millionen Euro an die Aktionäre
aus . Der alternative Entsorgungsplan der Firma K-UTEC
kostet laut Schätzung des Bundesumweltamtes rund
800 Millionen Euro . Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dies könnte die Firma Kali und Salz leisten, ohne dass
dadurch Arbeitsplätze gefährdet wären .
({5})
Die Linke fordert das Bundesumweltministerium und
alle Kolleginnen und Kollegen auf: Jetzt, wo das Wasserhaushaltsgesetz EU-konform ist, sollten wir uns gemeinsam um Werra und Weser kümmern, damit wir auch
dieses Vertragsverletzungsverfahren ausräumen können .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Ulrich Petzold
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben die Wasserrahmenrichtlinie in der Bundesrepublik de facto längst korrekt umgesetzt . Das hat uns
mit seinem Urteil vom 11 . September 2014 die Zweite
Kammer des Europäischen Gerichtshofes mit der Zurückweisung der Klage der Europäischen Kommission
gegen die Bundesrepublik klar bestätigt . Es gibt daher
durchaus fundierte Rechtsauffassungen, dass eine formale Umsetzung der Vorgaben des Artikels 9 der Wasserrahmenrichtlinie im Wasserhaushaltsgesetz nicht mehr
erforderlich ist, da dieses bereits durch eine Reihe bundes- und landesrechtlicher Vorschriften erreicht ist .
Wenn wir jetzt trotzdem eine Gesetzesnovelle vornehmen, ist das der Rechtsklarheit geschuldet . In dem
Gesetzentwurf geht es daher nur noch um eine rechtlich
saubere Formulierung von Wasserdienstleistung und
Wassernutzung sowie Ausnahmen im Kostendeckungsprinzip im Wasserhaushaltsgesetz und nicht um eine allgemeine Öffnung des Gesetzes oder darum, sozusagen
im Vorbeigehen gleich auch noch das Fracking zu verbieten . Umso bedauerlicher ist es, dass wir mehrere Anläufe
brauchten, um juristische Klippen zu umschiffen . Das ist
jetzt endgültig geschafft . Wir können mit der zweiten und
dritten Lesung des Vorhabens ein Kapitel abschließen,
das wir seit 2009, ja eigentlich seit 2007 ständig behandeln .
Wir alle wissen, dass es im Rahmen der Umsetzung
noch weiter gehende Wünsche im Bundesrat gibt; doch
wir dürfen das grundsätzliche Ziel der Wasserrahmenrichtlinie nicht aus den Augen verlieren: Jegliche Wassernutzung, die die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie
gefährdet, ist nach dem Kostendeckungs- und Verursacherprinzip zu behandeln . Wenn also die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie gefährdet sind, sind spezielle ökonomische und fiskalische Instrumente einzusetzen, die
sowohl im Bundes- als auch im Landesrecht verankert
sein können . Dazu haben sich die Bundesländer ja damals im Wasserhaushaltsgesetz eine Öffnungsklausel erkämpft . Dabei ist im Bundesrecht das Kostendeckungsprinzip so anzuwenden, dass eine Gefährdung der Ziele
der Wasserrahmenrichtlinie grundsätzlich nicht zu erwarten ist . Dazu gibt es zwischen Bund und Ländern wohl
auch keine unterschiedliche Rechtsauffassung .
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist
es jedoch nicht geboten, eine Kostendeckung durchzusetzen, wenn die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie auch
ohne eine Abgabe auf die Wassernutzung erreicht werden . Wenn der Wunsch dennoch bestehen sollte, eine
solche Wassernutzung, die die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie nicht gefährdet, zu einer Abgabe heranzuziehen, liegt das eindeutig in der Regelungskompetenz der
Länder und bedarf daher nur der Nutzung der vorhandenen Öffnungsklausel, die der Bund ja eingeräumt hat .
Auffassungsunterschiede zwischen Bund und Ländern
gibt es darin - das ist ja auch weidlich von der Opposition
aufgegriffen worden -, wie die Öffnung für Wasserentnahmeentgelte zu formulieren ist . Wenn die Grünen in
ihrem Änderungsantrag bezweifeln, ob die Formulierung
des Bundes nicht doch das verfassungsgemäße Recht der
Länder beschneidet, ein Wasserentnahmeentgelt zu erheben, kann ich wiederum nur auf Minister Untersteller aus
Baden-Württemberg verweisen, der zwar auch gern die
von den Grünen vorgeschlagene Formulierung im Gesetz
hätte, aber die Formulierung des Bundes nicht einfach
von der Hand weist .
Eine Umweltabgabe mit dem wirtschaftlichen Vorteil
der Wasserentnahme oder Wassernutzung für den Entnehmenden oder Nutzer zu begründen, ohne dass der
Nutzer die ökologischen Ziele der Wasserrahmenrichtlinie gefährdet, halte ich für problematisch . Die Abschöpfung eines ökonomischen Vorteils für einen Nutzer durch
eine ökologische Abgabe, ohne dass der Allgemeinheit
ein ökologischer Nachteil entsteht, ist für mich ein juristisches Vabanquespiel . Wenn die Länder mit der Nutzung
oder Entnahme von Wasser aus einem Gewässer Geld
verdienen wollen, dann sollen sie es auch so begründen
und nicht noch ökologisch verbrämen . Dazu haben sie
eine eigene Regelungskompetenz, die wir mit diesem
Gesetzentwurf sogar noch stärken .
Im Bergbau wird zur Abschöpfung wirtschaftlicher
Vorteile die Förderabgabe genutzt, was von den Ländern
sinngemäß genauso gut auf das Allgemeingut Wasser angewendet werden könnte . Ob es sinnvoll ist, die Gewinnung erneuerbarer Energie aus Wasserkraft mit einem
Wasserpfennig künstlich zu verteuern, stelle ich hier infrage, insbesondere dann, wenn der Betreiber einer solchen Energiegewinnungsanlage alles getan hat, um zum
Beispiel mit Fischrechen und Fischtreppen ökologischen
Schaden zu verhindern und dadurch selbst Leistungseinbußen in Kauf nimmt .
({0})
Genauso ist es für mich die Frage, ob man auf die Schifffahrt, eigentlich das ökologisch vorteilhafteste Transportmittel, eine Abgabe erheben muss . Wenn das einige
Länder machen wollen, sollen sie es tun . Aber ich bin
eigentlich dagegen, dass der Bund das regelt .
Wie wichtig es ist, dass in Deutschland seit Langem
das Kostendeckungsprinzip bei der Wasserentnahme und
der Wassernutzung gilt, ist in seiner ganzen Dramatik in
den neuen Bundesländern zu erkennen . Die DDR-Subventionitis hatte dort den Wasserverbrauch in Wirtschaft,
Gewerbe und Haushalten in dramatische Höhen schnellen lassen, was letztendlich dazu führte, dass im Sommer
Wasserknappheit herrschte, obwohl eigentlich genügend
Wasser vorhanden gewesen wäre .
So verbrauchte ein DDR-Durchschnittshaushalt pro
Tag mehr als 20 Eimer voll Wasser . Schon 1991 sank der
Verbrauch in Sachsen-Anhalt, meinem Heimatland, auf
160 Liter pro Tag und Haushalt und stagniert in den letzten Jahren bei circa 90 Liter pro Tag und Haushalt . Damit
liegt er etwa 28 Liter unter dem Durchschnittsverbrauch
in der Bundesrepublik . Ziele sind also noch zu setzen .
Doch auch in der Wirtschaft konnte der Wasserverbrauch in meinem Heimatland sehr stark gesenkt werden . Der Wasserverbrauch sank natürlich mit dem Zusammenbruch der Planwirtschaft
({1})
dramatisch ab; das ist ganz klar . Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die wirtschaftliche Erholung zum Beispiel in der sachsen-anhaltischen Industrie nicht in einer
deutlichen Zunahme des Wasserverbrauchs widerspiegelt . Wasserkreislauf und Wassermehrfachnutzung haben
sich durchgesetzt .
({2})
- Ja, gerne . - Vom Gesamtverbrauch der Wirtschaft in
Sachsen-Anhalt gehen 48 Prozent des Wasserverbrauchs
in eine Kreislaufnutzung, 9 Prozent in eine Mehrfachnutzung und nur noch 43 Prozent in eine Einfachnutzung .
Damit ist Sachsen-Anhalt natürlich kein Sonderfall; denn
diese Zahlen decken sich mit den Ergebnissen in vielen
anderen Bundesländern . Die Bundesrepublik kann auch
hier Vorbild sein .
Bei dem Ziel der Wasserrahmenrichtlinie, durch eine
entsprechende Kostenzuweisung die Ressource Wasser
als Lebensgrundlage für kommende Generationen nicht
zu übernutzen, sind wir zumindest bei der Wassernutzung auf einem guten Weg . Selbstverständlich gibt es
noch genügend Probleme auch in der Bundesrepublik
im Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie .
Von den zuständigen Behörden werden als wichtigste
Verzögerungsursachen bei der Umsetzung der Vorgaben
der Wasserrahmenrichtlinie zeitaufwendige Genehmigungsverfahren und der Abstimmungsbedarf bei konkurrierenden Interessen genannt . Für mich ist es schon
eine Frage, ob für eine Maßnahme zur Verbesserung des
hydromorphologischen Zustandes, also der Veränderung
des Abflussverhaltens und der räumlichen Ausdehnung
eines Gewässers, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen erforderlich sind .
Es wird auch weiter eine Aufgabe für die Zukunft bleiben, die Wasserrahmenrichtlinie in einem vernünftigen
und nach allen Seiten ausgewogenen Verhältnis ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen . In dem
Gesetzentwurf sehe ich eine gute Grundlage dafür . Herzlichen Dank dafür, Frau Ministerin!
({3})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte
spricht jetzt Peter Meiwald von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden, auch wenn der Kollege Petzold das gerade ein
bisschen infrage gestellt hat, wieder einmal darüber, wie
wir ein Vertragsverletzungsverfahren der EU abwehren
und deutsches Recht endlich so anpassen können, dass
es EU-rechtskonform ist . Wieder einmal! Aktuell sind
14 Verfahren gegen die Bundesrepublik im Umweltbereich anhängig . Dabei geht es gerade hier um unsere
wichtigste Lebensgrundlage - unser Wasser . Was könnte, ja was müsste man alles tun, um diese Ressource zu
schützen? Im ehemaligen Umweltmusterland Deutschland liegt vieles im Argen, auch wenn es immer wieder
heißt: Wir sind auf einem guten Weg .
Wir haben aber die Überdüngung mit Nitraten und
Phosphaten; und das Vertragsverletzungsverfahren Frau Lotze hat es angesprochen - wegen Nichteinhaltung der Nitratrichtlinie ist noch lange nicht abgewendet .
Also, da bin zumindest ich nicht davon überzeugt, dass
das, was jetzt für die Düngeverordnung und für die Düngegesetzgebung vorgelegt wird, ausreichen wird, um die
Ziele der Nitratrichtlinie zu erfüllen .
({0})
Wir haben die Wassergefährdung durch Arzneimittel
wie Antibiotika aufgrund ihres massiven Einsatzes in der
industriellen Tierhaltung, aber eben auch in der Humanmedizin .
Wir haben Mikroplastik aus Kosmetika, Autoreifen
und Plastikmüll in unserem Wasser und natürlich - es ist
angesprochen worden - Salze und Eisenverbindungen
aus dem Bergbau in unseren Gewässern .
Und nicht zuletzt, Frau Lotze, haben wir Frack-Fluide
und Lagerstättenwasser aus der Öl- und Erdgasgewinnung .
Diese Novelle wäre doch jetzt ein guter Anlass gewesen, das Vorsorgeprinzip als Leitmotiv deutscher Umweltpolitik endlich wieder einmal etwas hervorzuholen .
({1})
Doch für alle, die darauf gehofft hatten, bleibt nur zu
konstatieren: Dieses unambitionierte Gesetz ist im wörtlichen Sinne ein Schlag ins Wasser .
Auch zukünftig werden sich Wasserverschmutzer
weiträumig der Beteiligung an den Kosten der Herstellung des guten ökologischen und des guten chemischen
Zustandes unserer Gewässer entziehen können . Bergbauunternehmen und Landwirtschaft werden dankbar dafür
sein, dass Sie ihnen einen Freibrief ausstellen für die
Kaperfahrt auf Kosten der lebenswichtigen Ressource
Wasser .
Dabei schaffen Sie - das ist gerade in Zweifel gezogen worden - durch Ihren Gesetzentwurf auch noch ohne
Not neue Rechtsunsicherheit für unsere Bundesländer .
Der § 6 a Wasserhaushaltsgesetz in der von der Bundesregierung eingebrachten Fassung könnte dazu führen,
dass nur noch solche Wasserentgelte zulässig sind, die
der Erreichung der Bewirtschaftungsziele direkt dienen
und dafür erforderlich sind . Sie stellen so die Entgeltregelungen der Länder, die gerade noch so hervorgehoben
worden sind, zur Disposition . Und das sagt eben nicht
nur Kollege Untersteller in Baden-Württemberg, sondern
das sagt der Bundesrat in Gänze . Also, hier gibt es durchaus Klärungsbedarf; und es wird versäumt, das jetzt ordentlich zu regeln .
({2})
Es geht dabei nicht um einen Pappenstiel . Wir sprechen von 380 Millionen Euro, die zum Beispiel in 2014
in den Ländern durch die Wasserpfennige, durch die
Wasserentnahmeentgelte zur Verfügung gestanden haben: zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, dafür,
dass Bewirtschaftungspläne auch mit Geld hinterlegt
sind und nicht nur irgendwo als „Plan“ stehen . Und wenn
diese Einnahmequelle versiegte, hätte das katastrophale
Auswirkungen auf die Länderhaushalte und vor allen
Dingen auf die betroffenen Bürgerinnen und Bürger .
Ich möchte noch etwas zu den Entschließungsanträgen
der Linken sagen . Im Grundsatz teilen wir die Inhalte;
das ist völlig klar . Wir haben allerdings bei unserer Prüfung festgestellt, dass sie die Ziele nicht so ganz treffen .
Deswegen werden wir uns dazu der Stimme enthalten .
Aber das Ziel, zu sagen, wir müssen da vorangehen, ist
natürlich im Kern richtig .
Dann zur Verpressung: Frau Lotze, ich würde mich ja
freuen, wenn wir da so optimistisch sein könnten, dass
das Verpassen einer entsprechenden Regelung in dieser
Wasserhaushaltsgesetzgeschichte nur dem geschuldet
ist, dass Sie ein anderes Gesetz vorbereiten, das dann das
Fracking verhindern wird . Wenn das so wäre, wären wir
ja alle entspannt und erleichtert .
({3})
Den Optimismus teile ich, ehrlich gesagt, nicht, und ich
glaube, viele in diesem Hohen Haus und vor allen Dingen viele in unserer Bevölkerung teilen diesen Optimismus nicht . Fracking wird auf diesem Weg nicht verhindert . Eine Chance ist vertan, und ich sehe nicht, dass Sie
als Regierung die Kraft haben werden, etwas vorzubrinUlrich Petzold
gen, was das Problem Fracking für unsere Bevölkerung
in Zukunft vermeidet und damit dem Vorsorgegrundsatz,
den wir aus gutem Grund in Europa haben, endlich zur
Durchsetzung verhilft . Schade drum, eine vertane Chance!
({4})
In diesem Sinne: Wir als Grüne haben entsprechend
unsere Änderungsanträge und unseren Entschließungsantrag eingebracht . Dem so schwachen Gesetzentwurf
({5})
können wir in dieser Form leider nicht zustimmen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({6})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung
von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des
Abwasserabgabengesetzes . - Bei diesem Titel muss ich
es richtig ablesen .
({0})
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7578, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6986 in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegen zwei Änderungsanträge
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir
zuerst abstimmen .
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/7579? - Bündnis 90/Die Grünen .
({1})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt worden mit den Stimmen
der Koalition bei Zustimmung durch Bündnis 90/Die
Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke .
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 18/7580, ebenfalls Bündnis 90/Die
Grünen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die
Opposition . Wer stimmt dagegen? - Die Koalition . Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden .
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen worden .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge .
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7581 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt worden .
Ich lasse über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7582 abstimmen . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden .
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7583 auf . Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Nein . Dann ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt worden .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Beziehungen zu Kuba weiter verbessern
Drucksache 18/7541
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in dieser Debatte hat Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die
Linke das Wort .
({3})
Danke sehr, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ein schönes Zeichen ist doch die Überschrift unseres Antrages „Beziehungen zu Kuba weiter
verbessern“ . Das signalisiert ja, dass wir sehr wohl zur
Kenntnis nehmen und uns darüber freuen, dass sich die
Beziehungen verbessert haben, heißt aber nicht, dass man
an einem Endpunkt angekommen ist . Wir wollen also die
Beziehungen weiter verbessern . Das ist unsere Absicht .
({0})
Ich finde es eigentlich angesichts der schwierigen außenpolitischen Themen, über die wir hier öfter diskutieren, sehr schön, einmal ein Thema zu haben, über das
man mit etwas Freude reden kann . Für mich sind in den
letzten Wochen und Monaten 50 Jahre Eiszeit, die wir in
den Beziehungen zu Kuba gehabt haben, so langsam zu
Ende gegangen . Die Eiszeit war gekennzeichnet durch
die Antwort der USA auf die kubanische Revolution .
Es gab eine ganze Serie von Mordanschlägen auf Fidel
Castro, die Eiszeit war geprägt durch das Nicht-zurKenntnis-Nehmen der Umgestaltung der kubanischen
Gesellschaft und durch eine Geringschätzung der kubanischen Kultur . Kuba sollte für die USA weiter Bordell
und Vergnügungsort bleiben . Das ist gestoppt worden .
Schon das allein finde ich einen ganz wichtigen Schritt,
den ich aus meiner Sicht mit voller Sympathie betrachte
und unterstütze .
({1})
Die Eiszeit geht also zu Ende; das Tauwetter beginnt .
Aber man weiß nie, gerade in den Tropen, was Tauwetter
mit sich bringt . Es lohnt sich, darüber nachzudenken .
Man reibt sich die Augen, was plötzlich alles möglich wird. Ich finde es schon fantastisch, dass sich der
Papst und der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche
in Kuba und nicht woanders treffen, um über die Beziehungen zwischen der katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche zu reden .
({2})
- Ja, ich wäre gern dabei gewesen; das gebe ich zu . Aber
leider haben sie mich nicht eingeladen .
({3})
Das war das Missliche dabei .
Ich finde ziemlich toll, dass in Kuba ein Friedensabkommen zwischen der Guerilla-Organisation FARC und
der Regierung Kolumbiens ausgehandelt worden ist, unter Mithilfe der kubanischen Regierung . Dadurch wird
eine offene Wunde in Lateinamerika, dieser furchtbare
Bürgerkrieg, endlich geschlossen . Das sind doch Fortschritte, die man begrüßen sollte .
Ich weiß nicht, wer von Ihnen einmal die Gelegenheit
ergriffen hat, zur Literaturmesse nach Havanna zu fahren .
Viele der zurzeit großen, interessanten Schriftsteller aus
Lateinamerika kommen aus Kuba: Leonardo Padura und
andere . Sie sind in der Gesellschaft wirklich prägend .
({4})
All das könnte auch unsere Gesellschaft bereichern .
Wenn es Wirklichkeit werden sollte, dass Obama nach
Kuba fährt, dann nehme ich mir zwei Tage frei, um das
zumindest am Fernseher mitzuerleben . Ein Treffen von
US-Präsident Obama mit dem kubanischen Präsidenten
Raúl Castro und seinem Bruder Fidel möchte ich gern
aufgezeichnet wissen .
({5})
Ich finde, dass Fidel unwahrscheinlich viel geleistet
hat . Ich bin sehr glücklich - ich will das auch bei dieser Gelegenheit sagen - über die aktive Tätigkeit vieler
Hilfsorganisationen, die Kuba unterstützt haben . Kuba
war nie ganz allein; denn Kuba war für die Linke in
Deutschland und in Europa immer so etwas wie ein Signal, von dem wir alle profitiert haben.
Deswegen geht mein Dank an solche Organisationen
wie das Netzwerk Kuba und Cuba Sí . Mit Kuba zusammen eine solche Entwicklungszusammenarbeit zu machen, das hat einen Sinn . Ich sage extra mit Blick auf die
SPD: Mein Dank geht auch an Steinmeier, dass er nach
Kuba gefahren ist. Ich finde, es ist ein gutes Signal eines
deutschen Außenministers, keinen Bogen um Kuba zu
machen, sondern dorthin zu fahren .
Herzlichen Dank .
({6})
Als nächster Redner hat Professor Dr . Egon Jüttner
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! „Beziehungen zu Kuba weiter verbessern“ lautet
der Titel des Antrags . Ich glaube, wir sind uns alle in diesem Hohen Hause darin einig, dass zwischen Deutschland und Kuba normale und gute Beziehungen aufgebaut
werden müssen .
Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen
den USA und Kuba hat ein wichtiges Zeichen gesetzt auch für die Entwicklung der Beziehungen Kubas zur
Europäischen Union und zu Deutschland . Wir müssen
nun alles unternehmen, die im Jahr 1996 zurückgefahrenen Beziehungen wieder aufleben zu lassen und durch
entsprechende Abkommen mit Leben zu erfüllen .
Ein wichtiger Auftakt hierfür war der Besuch von
Außenminister Steinmeier im vergangenen Jahr mit der
Unterzeichnung einer Gemeinsamen Erklärung über die
Zusammenarbeit beider Länder .
({0})
Darin heißt es - ich darf zitieren -, „dass die Zusammenarbeit darauf abzielt, einen engeren allgemeinen Dialog
und Beziehungen in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Bildung, Kultur und Sport zwischen beiden Ländern und ihren Völkern zu fördern . . .“ .
Im Klartext heißt das, dass unter anderem ein Kulturabkommen abgeschlossen werden soll, um die Rahmenbedingungen für eine gute Zusammenarbeit im kulturellen
Bereich zu schaffen . Dabei gibt es viele Anknüpfungspunkte an erfolgreiche Kulturprojekte der Vergangenheit
wie etwa den deutschen Auftritt beim Havanna Filmfestival oder beim Havanna Festival für Alte Musik oder die
Deutsche Theaterwoche Havanna . Dazu gehören auch
die Verbesserung der Möglichkeit für Deutschunterricht
oder der erweiterte Austausch im Hochschulbereich . Ich
denke, das Interesse an einer solchen verbesserten Zusammenarbeit ist auf beiden Seiten hoch .
({1})
Der Abschluss eines bilateralen Kulturabkommens ist
auch deshalb wichtig, weil dadurch eigenständige Vertretungen des Goethe-Instituts und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes errichtet werden können .
Ein weiterer Erfolg, meine Damen und Herren, ist,
dass Bundeswirtschaftsminister Gabriel auf seiner Reise
nach Kuba im Januar dieses Jahres gemeinsam mit dem
kubanischen Außenhandelsminister eine Absichtserklärung unterschrieb, die die Eröffnung eines deutschen
Büros zur Förderung von Handel und Investition konkretisierte . Dieses soll deutsche Unternehmen in Kuba
über Investitionsmöglichkeiten beraten . Ursprünglich
war zwar eine bilaterale Außenhandelskammer von deutscher Seite angestrebt . Nun muss aber das vorgesehene
Verbindungsbüro alles unternehmen, damit der Handelsaustausch und die Investitionstätigkeit vorankommen .
Bisher ist in diesem Bereich äußerst wenig geschehen .
Deutschland möchte mit der Eröffnung eines Büros in
Kuba in der schwierigen Zeit der wirtschaftlichen Anpassung Kuba als Partner auf Augenhöhe zur Seite stehen
und beraten .
Wichtig ist auch, dass die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba wieder aufgenommen wird . Die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit ist seit 2003
eingestellt . Bisher beschränkte sich diese auf Kleinstprojekte der deutschen Botschaft, auf kirchliche Träger
und auf wenige deutsche Entwicklungsträger wie die
Welthungerhilfe . Hier ist es dringend erforderlich, dass
ein deutsch-kubanisches Abkommen zur entwicklungspolitischen Zusammenarbeit abgeschlossen wird . Die
nächste Verhandlungsrunde des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit
Kuba soll voraussichtlich im Mai 2016 stattfinden. Die
Gespräche sind in die Politik der schrittweisen Annäherung eingebunden, für die sich die Bundesregierung entschieden hat .
Meine Damen und Herren, auch wenn es in der Frage der Menschenrechte, der bürgerlichen Freiheiten, der
Rechtsstaatlichkeit sowie der Presse- und Versammlungsfreiheit in Kuba weiterhin Defizite gibt, so sollten
wir den eingeschlagenen Weg einer besseren Zusammenarbeit mit Kuba fortsetzen . Ein Dialog über Menschenrechte ist eher möglich, wenn man ohnehin im Gespräch
ist und in bestimmten Bereichen bereits zusammenarbeitet:
({2})
etwa bei der Modernisierung der Infrastruktur, in der
Landwirtschaft oder bei der Förderung erneuerbarer
Energien . Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass
es in Kuba allmählich zu einem Wandel und somit auch
zu einem besseren Leben für die Menschen dort kommen
wird .
Ich danke Ihnen .
({3})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Tom Koenigs
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Wolfgang Gehrcke, dieser Antrag sagt
„Achtung der Souveränität und Nichteinmischung“ . Mit
diesen beiden Begriffen hat die Sowjetunion 25 Jahre den
Sicherheitsrat blockiert . Das ist die Sprache des Kalten
Krieges . Wollt ihr das wirklich, die Nichteinmischung in
menschenrechtlichen Fragen?
({0})
Wir kämpfen doch gerade dafür, dass wir uns einmischen . Die Europäische Gemeinschaft hat ein einziges
Mal einen Gemeinsamen Standpunkt bezogen und auch
durchgehalten und hat darin die Zusammenarbeit mit
Fortschritten bei den Menschenrechten konditioniert . Ein
einziges Mal ist das geschehen, und da sagt ihr: Der Gemeinsame Standpunkt soll aufgegeben werden?
({1})
Der Antrag atmet noch ein Zweites aus, nämlich: Auf
die politischen Rechte achten wir mal nicht so genau,
aber die sozialen Rechte in Kuba werden gefeiert .
({2})
Das ist zwar zweifellos wichtig, aber dies ist genau die
Auseinandersetzung, bei der jeder Menschenrechtler
sagt: Die Menschenrechte sind unteilbar .
({3})
Das war aber auch - vielleicht verstehst du das da besser - die Auseinandersetzung zwischen Rosa Luxemburg
und Lenin . Sie hat immer gesagt: Die Freiheit muss auch
mit den wirtschaftlichen Fortschritten einhergehen . - Für
die Austragung dieses Widerspruchs sind Millionen in
den Gulags gestorben .
({4})
Wenn du das nicht weißt, dann frag doch mal bei deiner
Taschen-Rosa-Luxemburg nach, die weiß das, oder bei
der Stiftung .
({5})
Der Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union
sagt ganz deutlich, dass das Ziel ein Prozess des Übergangs in eine pluralistische Demokratie ist . Selbst Raúl
Castro ist dafür; denn das ist genau das, was aus den Verhandlungen mit der FARC herauskommen soll . Wenn es
nämlich in Kolumbien keine pluralistische Demokratie
gibt, dann kann die FARC sich auch nicht am politischen
Prozess beteiligen . Die sind da also schon viel weiter .
Deshalb muss man dies auch unterstützen .
Es wird im Gemeinsamen Standpunkt weiterhin gesagt, dass die Europäische Union den Standpunkt vertritt, „eine umfassende Zusammenarbeit mit Kuba von
Fortschritten im Bereich der Menschenrechte und der
politischen Freiheit“ abhängig zu machen . Was ist denn
dagegen zu haben? Außerdem wird richtigerweise gefordert - das fehlt in diesem Antrag völlig -, dass die „Entlassung aller politischen Häftlinge und die Einstellung
der Schikanierung und Bestrafung von Dissidenten“ zu
fördern ist .
Diese Zivilgesellschaft - eine aktive Zivilgesellschaft - wird Kuba dringend brauchen .
({6})
Denn es ist ja nicht so, dass das Land einfach geöffnet
werden soll . Die Investoren aus den USA stehen doch
schon da . Dieses Land und alle seine Fortschritte, aber
auch seine politischen Freiheiten werden ausverkauft selbst wenn es diese Freiheiten gewinnt -, wenn es keine
politisch aktive, ungemütliche und auch dissidente Zivilgesellschaft gibt .
Deshalb: Setzen wir uns weiter für die Prinzipien des
Gemeinsamen Standpunktes ein! Unterstützen wir die
dortige Zivilgesellschaft und laufen nicht alten 60er-,
50er-, 40er-Jahre-Standpunkten wie Souveränität und
Nichteinmischung hinterher!
({7})
Wir brauchen in Kuba eine aktive Zivilgesellschaft,
wir brauchen Dissidenten, wir brauchen mehrere Parteien, und wir brauchen politische Freiheit .
Venceremos!
({8})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Klaus Barthel
von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fast hätte ich gesagt: Liebe Kubanerinnen und Kubaner!
({0})
Aber das haut dann doch nicht ganz hin .
Momentan geben sich die Staatschefs in Kuba die
Klinke in die Hand . Im letzten Jahr gab es, glaube ich, einen Zuwachs von 25 Prozent an deutschen Touristen . Das
heißt also: Da tut sich offensichtlich etwas . Ich glaube, zu
dem, was in der Überschrift des Antrags steht, kann man
auf jeden Fall feststellen: Wir machen das . - Das stellt
der Antrag ja auch richtigerweise fest . Aber es ist auch
richtig und wichtig, darüber zu sprechen .
Sie haben auch die Initiativen der Bundesregierung
gewürdigt . Sigmar Gabriel hat bei seinem Besuch in
Havanna ausdrücklich von einer neuen Phase der Beziehungen gesprochen . Wir fordern schon lange, wie es im
Antrag steht, die Blockade aufzuheben . Es gibt entsprechende Beschlüsse der UN-Vollversammlung . Wir haben uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
immer dafür eingesetzt, dass zumindest der europäische
Standpunkt aufgehoben oder korrigiert wird . Da gibt es,
glaube ich, inzwischen einen breiten Konsens . Den europäischen Standpunkt hält sowieso niemand oder fast
niemand in Europa ein .
Wir begrüßen, dass es jetzt diplomatische Beziehungen zwischen den USA und Kuba gibt, dass es den
Gefangenenaustausch gibt - Stichwort „Cuban Five“ -,
dass einzelne Boykottmaßnahmen jetzt von Obama aufgehoben worden sind, dass es Flugverbindungen geben
soll, dass der Präsident selber nach Kuba reisen wird .
Ich glaube, das Wichtige daran ist, dass das nicht nur
ein Signal an die Kubaner ist, sondern an die ganze
Region, an ganz Lateinamerika, weil sich diese Länder gemeinsam dafür eingesetzt haben, die künstliche
Isolierung des Landes zu beenden . Damit wurde eben
auch - das ist ja schon gesagt worden - die Rolle Kubas bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei den
diplomatischen Bemühungen in Bezug auf Kolumbien
gewürdigt .
Im Antrag fehlt allerdings ein Blick auf die Entwicklung in Kuba selber . Ich glaube, sowohl Gehrcke
als auch Tom Koenigs sind da einfach irgendwo stehen
geblieben . Seit den Zeiten des Kalten Krieges hat sich
in dem Land einiges verändert . Das muss man einfach
zur Kenntnis nehmen . Es gibt nämlich inzwischen
eine deutliche Selbstkritik an den Zuständen im Land .
Auch Raúl Castro sagt: Die Blockade ist nicht an allem
schuld, was bei uns zum Beispiel wirtschaftlich schiefläuft. Es gibt zu viele einseitige Abhängigkeiten, momentan von Venezuela und früher von der Sowjetunion . Wir brauchen Korrekturen zum Beispiel in unserem
Wirtschaftssystem .
Es wird aber gehandelt . Seit 2011 gibt es die Aktualisierung des Modells . Es gibt über 600 neue Rechtssetzungen . Es gibt Reisefreiheit und weniger Repression . Tom Koenigs, das muss man einfach zur Kenntnis
nehmen . Es gibt mehr und mehr Zugänge zum Internet,
selbstständige Unternehmen und zumindest das BeTom Koenigs
mühen, die Produktivität im Staatssektor zu erhöhen .
Weiterhin gibt es ein neues Investitionsgesetz . Auch
darüber müsste man einmal etwas sagen . Des Weiteren
müsste man mehr darüber diskutieren, dass es sich nicht
mehr um die alte Welt handelt . Zum Beispiel gibt es
jetzt auch den Erfolg, dass Kuba seine Schulden im Pariser Club abwickeln kann .
Worauf kommt es also in dieser Situation an? Über
diese Frage sollten wir, glaube ich, reden . Ich bin froh,
dass Kollege Jüttner es auch so sieht, dass wir jetzt gegenseitiges Vertrauen aufbauen müssen . Es kommt darauf an - das hat auch Sigmar Gabriel bei seinem Besuch
so formuliert -, dass wir alle Gespräche auf Augenhöhe
führen und nicht irgendwelche Vorbedingungen stellen .
Tom Koenigs, so kämen wir auch in Kolumbien nicht
weiter, wenn wir vorher darauf bestünden, dass alle das
akzeptieren, was wir so gewohnt sind . Wenn wir so vorgingen, kämen wir bei Verhandlungen keinen Zentimeter voran .
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir respektieren,
dass Kuba seinen eigenen Weg gehen und nicht neue
Abhängigkeiten produzieren will . Das Land will, dass
es keine Rekolonialisierung - zum Beispiel durch die
USA - gibt. Es muss seine Wirtschaft diversifizieren.
Dabei muss es seine eigenen Bedürfnisse beachten . Das
müssen wir akzeptieren und dann versuchen, die Beziehungen auf voller Breite weiterzuentwickeln . Kollege
Jüttner hat die wesentlichen Punkte genannt .
Natürlich muss sich aber auch die Regierung in Kuba
noch ein ganzes Stück bewegen . Wenn es Investitionen
geben soll, muss es weniger Bürokratie, Vorschriften
und Gängelung geben . Es muss mehr Bewegungsmöglichkeiten auch für nichtstaatliche Einrichtungen - für
die Außenhandelskammern, die politischen Stiftungen
usw . - geben . Man muss insbesondere den kleinen und
mittleren Unternehmen entgegenkommen, damit auch
sie - auch wenn sie nicht riesige Rechtsabteilungen unterhalten können, die sich mit der kubanischen Bürokratie auseinandersetzen - dort investieren können . Und es
muss noch vieles mehr geschehen .
Zum Schluss müssen wir, glaube ich, einen Schritt
weiter gehen . Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, dass die Lage in Kuba und in Lateinamerika relativ
ruhig ist und dass es dort Fortschritte gibt . Man ist heute
ja schon froh, wenn es irgendwo auf der Welt einmal
keinen Bürgerkrieg, Krieg oder Chaos gibt . Wir müssen
uns aber auch darüber klar sein, dass in Lateinamerika
die Lage nicht überall glänzend ist . Sie ist sehr labil und
von Land zu Land sehr differenziert zu sehen . Ich nenne
in diesem Zusammenhang die Themen Rohstoffe und
Krise der Schwellenländer . Es gibt Probleme im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung in
China . Der Klimawandel trifft Kuba zum Beispiel sehr
stark, aber auch andere Länder der Region .
Wir sollten also unser Interesse für eine solche Region nicht erst dann entdecken, wenn es wieder Mord und
Totschlag gibt . Wir sollten das tun, bevor die nächste
Krise kommt . Kuba sollten wir dabei unterstützen, den
eingeschlagenen Weg weiterzugehen . Wir sollten versuchen, mit unseren Instrumenten - das sind KfW-Kredite, Hermesbürgschaften usw . - die Investitionen in diesem Land zu unterstützen . Es gibt ja einen Vorschlag,
der über 300 Projekte einbezieht . Dazu hat Kuba eigene
Vorstellungen entwickelt . Wir sollten die internationale
Rolle Kubas stärken und stützen und auch die sozialen
und ökologischen Aspekte beachten .
Zum Schluss . Wir müssen uns darüber im Klaren
sein, dass der Wandel, den es in Kuba selber, aber auch
von den USA aus gibt, eine Unterstützung braucht,
wenn er erfolgreich sein und eine eigene Dynamik entwickeln soll; denn da ist noch viel zu tun .
({1})
Vielen Dank . - Als letzter Redner hat Charles Huber
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren!
({0})
Herr Kollege Gehrcke, es ist, wie Sie es gesagt haben:
Wir kämpfen heute im Plenum ein bisschen um den
Heiligenschein. „Wer mich sucht, findet mich in Kuba“,
lautet ein Spruch einer bekannten Persönlichkeit . Ich
sage es mal so: Wer da war, kann das ein bisschen nachvollziehen . Wer durch die Altstadt von Havanna gelaufen ist, weiß, was es mit diesem Spruch auf sich hat .
Einige, die nach Kuba reisen, sagen: Ich will da noch
mal hin, bevor alles anders wird . - Ich denke, genau
dieses Anderswerden ist das, was uns deutsche Politiker
beschäftigt - das kam in den vorangegangenen Reden
zum Ausdruck -, zugegebenermaßen beschäftigt dies
aber auch die Kubaner, nämlich, wie dieses Anderssein
dann aussehen mag, in welcher Form es sich vollzieht
und inwiefern der mögliche Wegfall der Sanktionen im
Kontext zur heiß diskutierten Systemfrage steht .
In puncto Menschenrechte möchte ich sagen: Aus geschichtlicher Perspektive war Kuba vor der Revolution
de facto ein Apartheidstaat, ein Staat, in dem Benachteiligung und sogar Sklaverei ein wesentlicher Teil des
Systems waren . Und wenn wir über Menschenrechte in
Kuba reden, sollte dies auch hier einmal Erwähnung gefunden haben .
({1})
Kuba muss seine Wirtschaft diversifizieren, um eine
nachhaltige Entwicklung erreichen und somit sozialen
Frieden garantieren zu können, und dafür muss es auch
eine Diversifizierung seiner Wirtschaftspartnerschaften herbeiführen, und dies - sage ich einfach mal so möglichst außerhalb sozialistisch geprägter Systeme .
Kollege Gehrcke, wir sind uns in vielen Punkten einig; aber ich denke, dieser Punkt ist bei uns beiden die
Krux . Werfen wir einen Blick auf sozialistisch geprägte
Systeme, sehen wir, dass es diesen auch in den Zeiten
hoher Rohstoffpreise nicht gelungen ist, stabile Volkswirtschaften aufzubauen, bzw . sie den Versuch erst gar
nicht unternommen haben .
Wenn wir von Wirtschaftspartnerschaften reden, dann
ist festzuhalten, dass Deutschland für Kuba zweifellos
ein starker und verlässlicher Partner wäre . 1 200 mittelständische deutsche Firmen sind Weltmarktführer in
ihrer Technologie . Diese könnten den Kubanern helfen,
Kapazitäten in vielen Sektoren aufzubauen, damit Kuba
nicht ausschließlich auf den Tourismus angewiesen ist .
Ich denke hierbei ganz besonders an das System der dualen Ausbildung .
Was man Kuba zugutehalten muss, ist, dass es der
Bevölkerung den Zugang zum Bildungssystem und zu
kompetenter medizinischer Versorgung ermöglicht hat .
({2})
Das ist gerade im lateinamerikanischen Vergleich vorbildlich .
Zum Thema Sicherheit sei gesagt: Gehen Sie durch
die Straßen Havannas, egal zu welcher Tageszeit - Sie
können sich sicher fühlen . Auch das ist im globalen, zumindest aber im regionalen Kontext - das weiß jeder,
der die mittelamerikanische Region kennt - schon fast
ein Alleinstellungsmerkmal . Dass man diese positiven
Errungenschaften in eine mögliche neue Ära hinüberrettet, ist für das Land und seine Regierung mit Sicherheit eine große Herausforderung; aber es wäre sicherlich sinnvoll .
Eine ähnliche, aber wesentlich kompliziertere Aufgabe stellt meines Erachtens die Besitzfrage dar . Hier
muss im Hinblick auf den sozialen Frieden auch darauf
geachtet werden, dass der Großteil von Gebäuden und
Besitztümern nicht nur auf ein paar wenige zurückfällt,
und zwar auf jene, die vorher im Land das Sagen hatten und mittlerweile im Ausland leben . Denn bereits
jetzt hat in Bezug auf Transferleistungen der Teil der
Bevölkerung deutliche ökonomische Vorteile, der Verwandte außerhalb des Landes hat . Die kubanische Regierung hat aber bereits angekündigt, einer Ghettoisierung dahin gehend entgegenzuwirken; denn das ist ein
großes Problem sehr erfolgreicher südamerikanischer
Volkswirtschaften - Beispiel Brasilien . Menschen, die
in der Innenstadt von Havanna wohnen, soll ermöglicht
werden, auch nach der Renovierung der Häuser dort zu
bleiben . Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt .
({3})
Wir haben einen hervorragenden Botschafter in
Kuba - das sage ich vor dem Hintergrund der Reise,
die wir, Klaus, gemeinsam getätigt haben -, der für die
Reise, die zu Beginn des Jahres stattgefunden hat, ein
tolles Programm zusammengestellt hat .
Professor Jüttner hat das Kulturabkommen angesprochen, das hoffentlich vor einer baldigen Unterzeichnung steht . Es liegt nicht an Deutschland, dass das noch
dauert; Kuba lässt uns ein bisschen warten . Wir haben
diesen Punkt bei Vizepräsident Bermudez dezidiert angesprochen . Was Kultur im Bereich des Marketing eines Landes bewirken kann, verdeutlicht der Film Buena
Vista Social Club meines ehemaligen Kollegen Wim
Wenders auf besonders beeindruckende Art und Weise .
Präsident Obama wird als erster amtierender Präsident nach 88 Jahren Kuba besuchen . Das ist ein gutes
Zeichen . Ich bin mir nicht sicher, was das Datum angeht .
({4})
- In einem Monat, vielen Dank .
Kuba muss sicher nicht in der Systemfrage das „alte“
Kuba bleiben . Es braucht vielmehr eine Erneuerung,
aber eben eine sanfte .
Herr Kollege, das ist ein schöner Abschlusssatz . Sie
müssen nämlich sofort zum Schluss kommen .
Ich bin sofort fertig . Ich muss eines noch loswerden . - Das Modell der sozialen Marktwirtschaft wäre
hier sicher keine schlechte Variante . Das Land muss
seine gesamte Bevölkerung in dieser Phase mitnehmen,
damit aus den Gewinnern der Revolution nicht die Verlierer der Transformation werden .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7541 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall, sonst würde sich jetzt
jemand hier regen . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19 . Februar 2016,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen
Abend .