Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/17/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu unserer Plenarsitzung und rufe gleich den ersten Tagesordnungspunkt auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 18./19. Februar 2016 in Brüssel Hierzu liegen drei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Über einen dieser Entschließungsanträge werden wir nach Abschluss der Debatte namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen. Besteht dazu Einvernehmen? - Das ist offensichtlich der Fall. Also können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunft Großbritanniens als Mitglied der Europäischen Union wird ein beherrschendes Thema des morgen beginnenden Europäischen Rates sein. Wir werden uns dort gemeinsam mit den Erwartungen befassen, die der britische Premierminister David Cameron im Namen Großbritanniens an die Europäische Union herangetragen hat. Wir haben als Bundesregierung stets klargemacht, dass wir für Ergebnisse arbeiten, von denen am Ende nicht nur das Vereinigte Königreich selbst, sondern auch Deutschland und ganz Europa profitieren. Denn es handelt sich bei den Anliegen David Camerons keineswegs nur um britische Einzelinteressen. Bei einigen Tatsachen oder Fragen muss man sogar sagen: Ganz im Gegenteil: Es handelt sich in vielen Punkten auch um Anliegen, die berechtigt und nachvollziehbar sind. Genau wie David Cameron zum Beispiel halte auch ich es für erforderlich, dass wir uns in der Europäischen Union deutlich mehr für Wettbewerbsfähigkeit, Transparenz und Bürokratieabbau einsetzen. Deutschland und Großbritannien teilen diese Überzeugung seit vielen Jahren. ({0}) Ich teile mit David Cameron darüber hinaus auch die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten, die eine andere Währung als den Euro haben, in den für sie wichtigen Fragen nicht übergangen werden dürfen. Unser Ziel muss deshalb sein, Diskriminierung zu vermeiden, gleichzeitig aber eine Differenzierung zuzulassen, wo dies in der Sache erforderlich ist. Das steht überhaupt nicht im Widerspruch dazu, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion natürlich auch in Zukunft weiterhin die für sie selbst notwendigen Entscheidungen eigenständig treffen kann - und das auch tun wird. Denn die Erfahrung aus der europäischen Staatsschuldenkrise hat gezeigt, wie schnell zusätzliche Integrationsschritte erforderlich werden können. Ich erinnere daran, dass noch nicht alle Probleme, die durch die Krise sichtbar geworden sind, bereits dauerhaft gelöst worden sind. Genau aus diesem Grunde wollen Deutschland und Frankreich gemeinsame Vorschläge erarbeiten, wie die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion sinnvoll weiterentwickelt werden kann. Deshalb ist es auch so wichtig, dass der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, in seinen Vorschlägen klargestellt hat, dass keine zusätzlichen Hindernisse für eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion geschaffen werden dürfen. Denn wenn einige in der Europäischen Union voranschreiten wollen, dann muss das auch in Zukunft weiter möglich sein. ({1}) Dies steht im Übrigen auch in keinerlei Gegensatz zu dem Anliegen David Camerons, eine gemeinsame Auslegung für das in den europäischen Verträgen verankerte Ziel einer - wie es dort wörtlich heißt - „immer engeren Union der Völker Europas“ zu finden. Auch hier sind wir uns einig: Es muss immer die Möglichkeit weiterer Integration geben, aber eine Verpflichtung jedes einzelnen Mitgliedstaats, sich an jedem Schritt zu beteiligen, gibt es nicht. Eine immer engere Union bedeutet für mich vor allem, dass die Europäische Union mit ganzer Kraft ihren wesentlichen Aufgaben nachkommt und die dafür notwendigen Schritte geht. Die Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, die wir in den europäischen Verträgen im Übrigen fest verankert haben, bringen genau das zum Ausdruck. Es ist natürlich darüber hinaus wichtig, wenn Großbritannien in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der nationalen Parlamente hinweist. Bei uns in Deutschland besteht zwischen Parlament und Regierung ja bereits eine sehr enge Zusammenarbeit in Europafragen. In den anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien geht es nun darum, die Einbindung der nationalen Parlamente auch auf europäischer Ebene weiter zu verbessern. Das gilt vor allem dann, wenn die nationalen Parlamente die gerade von mir genannten Prinzipien von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in Gefahr sehen. Meine Damen und Herren, das öffentlich wohl am meisten diskutierte Anliegen aus britischer Sicht ist die Beseitigung von Fehlanreizen in den Sozialsystemen. Auch dieses Anliegen ist nachvollziehbar und berechtigt; denn die Zuständigkeit für die jeweiligen Sozialsysteme liegt nun einmal nicht zentral in Brüssel, sondern bei den einzelnen Mitgliedstaaten. Deshalb ist es für mich selbstverständlich, dass jeder Mitgliedstaat auch in der Lage sein muss, sein Sozialsystem gegen Missbrauch zu schützen. ({2}) Ich erinnere an die Diskussion, die wir hierzu auch in Deutschland führen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Beispiel hat gezeigt, dass es auch bei uns Handlungsbedarf für die nationale Gesetzgebung gibt, der allerdings stärker durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hervorgerufen wurde als durch die europäische Rechtsprechung. Ich bin sehr dankbar, dass Bundesministerin Nahles rechtliche Schritte gehen wird, die hier eine Lösung bringen. ({3}) Es gibt also keinen Dissenspunkt zwischen Großbritannien und Deutschland, wenn es um die Sozialsysteme geht. Allerdings führt diese Debatte zu einem übergeordneten Punkt. Sie führt dazu, dass wir darauf bestehen, bei Anpassungen auf europäischer Ebene die grundlegenden Errungenschaften der europäischen Integration nicht infrage zu stellen. Das sind in der gegenwärtigen Diskussion mit Großbritannien vor allem die Prinzipien der Freizügigkeit und der Nichtdiskriminierung. Insofern möchte ich hier noch einmal deutlich machen: Diese beiden Prinzipien stehen nicht zur Disposition. ({4}) Diese Grundhaltung jetzt mit den britischen Anliegen zu vereinbaren, ist die Aufgabe, die es zu lösen gilt; und das ist unser gemeinsames Ziel, auch wenn der Teufel wie so oft im Detail steckt. Es gibt Vorschläge der Kommission; aber wir werden darüber sicherlich auch noch intensive Beratungen im Rat haben. Natürlich werden wir diese Woche beim Europäischen Rat keine Vertragsänderungen beschließen. Vielmehr wird es darum gehen, zu vereinbaren, bei der nächsten Überarbeitung der europäischen Verträge die inhaltliche Substanz unserer Einigung mit Großbritannien zu berücksichtigen. Diese nächste Vertragsänderung muss dann natürlich im Einklang mit den einschlägigen Prozeduren und den verfassungsrechtlichen Vorgaben bei uns in Deutschland erfolgen; das versteht sich von selbst. Wenn es also so weit ist, wird das Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag herzustellen und ein Zustimmungsgesetz zu verabschieden sein. Meine Damen und Herren, insgesamt halte ich die Vorschläge, die der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, vorgelegt hat, für eine sehr gute Verhandlungsgrundlage. Deutschland wird seinen Beitrag leisten, damit ein für alle Seiten zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden kann, nach Möglichkeit bereits beim morgen beginnenden Europäischen Rat. Ich danke an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett sowie des Deutschen Bundestages, die das Gespräch mit ihren britischen Partnern gesucht haben und auf beiden Seiten für Verständnis geworben haben. Ich bin überzeugt, dass es in unserem nationalen Interesse ist, dass Großbritannien ein aktives Mitglied in einer starken und erfolgreichen Europäischen Union bleibt. ({5}) Deutschland hat mit Großbritannien einen Verbündeten, wenn wir uns in Europa für den Binnenmarkt, für mehr Wettbewerbsfähigkeit und für Freihandel einsetzen. ({6}) Außerdem braucht Europa das außen- und sicherheitspolitische Engagement Großbritanniens, um unsere Werte und Interessen in der Welt zu behaupten. Im Bewusstsein dieser gemeinsamen Interessen und Werte führen wir die Verhandlungen, am Ende aber - das wissen wir - werden die britischen Wählerinnen und Wähler entscheiden. Vorher haben wir Europäer die Aufgabe, unser Bestes zu geben, damit die britische Regierung mit überzeugenden Argumenten für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union werben kann. Eine Einigung auf die britischen Reformanliegen ist hierfür ein wichtiger Schritt. Gleichzeitig müssen wir weit darüber hinaus beweisen, dass die Europäische Union in der Lage ist, auf die großen globalen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsame Antworten zu finden. Dazu gehört an allererster Stelle die Fluchtbewegung, die Europa - das darf man wohl sagen - vor eine historische Bewährungsprobe stellt. Diese Frage wird das zweite große Thema des Europäischen Rates sein, das wir morgen Abend beraten werden. Meine Damen und Herren, um es gleich vorwegzusagen: Ob der Rat ein Erfolg oder ein Misserfolg wird, das entscheidet sich wahrlich nicht an der Frage der Kontingente. Auf dem Rat geht es nicht um die Vereinbarung von Kontingenten. Wir machten uns in Europa auch lächerlich, wenn wir am Freitag, nachdem die vereinbarte Verteilung von 160 000 Flüchtlingen nicht einmal ansatzweise erfolgt ist, obendrauf Kontingente beschlössen; das wäre der zweite Schritt vor dem ersten. Auf dem kommenden Europäischen Rat geht es vielmehr um etwas anderes. Es geht um diese Frage: Sind wir mit unserem europäisch-türkischen Ansatz auf der Grundlage der EU-Türkei-Agenda, die wir am 29. November letzten Jahres gemeinsam beschlossen haben, zur umfassenden Bekämpfung der Fluchtursachen und zum Schutz der Außengrenzen so weit vorangekommen, dass es sich lohnt, diesen Weg weiterzugehen, weil mit ihm die illegale Migration spürbar eingedämmt werden kann, was die entscheidende Voraussetzung für legale Kontingente ist? Oder müssen wir aufgeben und stattdessen, wie jetzt manche vehement fordern, die Grenze Griechenlands zu Mazedonien und Bulgarien schließen mit allen Folgen für Griechenland und die Europäische Union insgesamt? Das ist die Bewertungssituation für die Zwischenbilanz, die ich nach dem Rat vornehmen möchte. Es versteht sich von selbst, dass ich meine Kraft darauf verwende, dass sich der europäisch-türkische Ansatz als der Weg herausstellen kann, den es sich lohnt weiterzugehen. ({7}) Worum geht es dabei, und was können wir mit diesem Ansatz erreichen? Unser gemeinsames Ziel ist es, die Zahl der Flüchtlinge spürbar und nachhaltig zu reduzieren, um so auch weiterhin den Menschen helfen zu können, die unseres Schutzes wirklich bedürfen. Strittig in der Debatte ist der Weg, wie wir dieses Ziel erreichen. Die Bundesregierung setzt an drei Punkten an: Erstens. Wir bekämpfen die Fluchtursachen. Zweitens. Wir stellen den Schutz der EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei, also an der für die Flüchtlingsbewegung zumindest im Augenblick entscheidenden Schengen-Außengrenze, wieder her und teilen die Lasten. Und drittens. Wir ordnen und steuern den Flüchtlingszuzug. Zum ersten Punkt, zur Bekämpfung der Fluchtursachen. Wir in Deutschland haben ja Globalisierung bislang vor allem über unsere Exporte und den Erfolg unserer Unternehmen kennengelernt. Jetzt - das spüren wir - sehen wir eine ganz andere Seite der Globalisierung. Der islamistische Terrorismus bedroht auch uns; das wissen wir nicht erst seit den schrecklichen Terroranschlägen von Paris. Direkt vor unserer europäischen Haustür wüten blutige Kriege und Konflikte, die Hunderttausende das Leben kosten und Millionen Menschen entwurzeln. Viele von ihnen suchen Schutz in der Türkei, im Libanon, in Jordanien, in Europa. Es steht außer Zweifel, dass dauerhaft weniger Menschen nur dann zu uns kommen werden, wenn wir dort ansetzen, wo sie herkommen, und die Ursachen beheben, die sie in die Flucht treiben. ({8}) Wir sehen und hören es jeden Tag. Besonders akut stellt sich diese Aufgabe mit Blick auf die Tragödie in Syrien. In der letzten Woche hat die internationale Kontaktgruppe in München die Voraussetzungen für einen möglichen Waffenstillstand in Syrien vereinbart. Ich möchte an dieser Stelle ganz herzlich unserem Bundesaußenminister danken. ({9}) Wenn ich seinen Tagesablauf vom letzten Donnerstag bis zum letzten Sonntag nachverfolge und mir ansehe, an wie vielen Diskussionsforen der Außenminister teilgenommen hat, die sich alle mit Konflikten in unserer unmittelbaren Nähe befasst haben, dann kann ich einfach nur sagen: Diplomatie und politische Lösungen sind in dieser Zeit gefragt. Sie brauchen unglaubliche Ausdauer. Sie erleben immer wieder Rückschläge; aber es ist jedes Mal neu wert, dieses zu versuchen. - Deshalb der Dank. ({10}) Nach dieser Vereinbarung können jetzt hoffentlich einige Städte in Syrien mit Hilfsgütern versorgt werden. Trotzdem ist, ohne diese Bemühungen in irgendeiner Weise infrage zu stellen, die Lage unverändert deprimierend. Es wird statt weniger in diesen Tagen in einigen Regionen mehr gekämpft, und statt weniger Leid gibt es an vielen Stellen mehr Leid, nicht zuletzt ausgelöst durch die Angriffe Russlands und der syrischen Regierungstruppen, ({11}) wie wir es in und um Aleppo leider sehen müssen, auch in dem Gebiet bis zur türkischen Grenze, auch in der Stadt Asas und an anderer Stelle. Die jetzige Situation ist also immer noch untragbar. Es wäre hilfreich, wenn es in Syrien ein Gebiet gäbe, auf das keine der Kriegsparteien Angriffe fliegt. Mit den Terroristen des IS können wir nicht verhandeln; aber wenn es gelänge, zwischen der Anti-Assad-Koalition und den Assad-Unterstützern eine Vereinbarung über eine Art Flugverbotszone im Sinne eines Schutzbereichs für die vielen Flüchtlinge zu treffen, ({12}) rettete das viele Menschenleben und diente auch dem politischen Prozess zur Zukunft Syriens. Ich glaube, wir sollten nichts unversucht lassen. ({13}) Daneben steht für uns die Verbesserung der Lebensbedingungen syrischer Flüchtlinge im Mittelpunkt unserer Anstrengungen - in den eingeschlossenen Gebieten an der syrisch-türkischen Grenze wie in der gesamten Region. Die Syrien-Geberkonferenz am 4. Februar 2016 in London hat hierfür wichtige Weichen gestellt. Insgesamt kamen für humanitäre Hilfe - also Welternährungsprogramm, Schule, Arbeit - für Menschen in Syrien, im Libanon, in Jordanien und in der Türkei für 2016 5,9 Milliarden Dollar und für die Jahre 2017 bis 2020 5,4 Milliarden Dollar zusammen, alles in allem also über 11 Milliarden Dollar. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat uns noch einmal darauf hingewiesen, dass dies die erfolgreichste Geberkonferenz in der Geschichte der Vereinten Nationen war; denn bei noch keiner Geberkonferenz wurde an einem Tag so viel Geld gesammelt. ({14}) Wir leisten hier einen erheblichen Beitrag. Ich möchte dem Finanzminister danken, natürlich auch dem Entwicklungsminister und dem Außenminister. Wir haben uns entschieden, hier einen Schwerpunkt zu setzen, weil wir uns im vergangenen Jahr sehr stark mit der Frage beschäftigt haben, was Menschen in die Flucht treibt, und gesehen haben, dass gerade die Kürzungen beim Welternährungsprogramm eine der wesentlichen Ursachen waren. Wir haben mit unserem Beitrag jetzt neben dem sehr spannenden Programm „Cash for Work“, womit Menschen in Arbeit gebracht werden, vor allen Dingen einen Schwerpunkt auf das Welternährungsprogramm gesetzt. Wir als Bundesrepublik Deutschland werden zu dem, was die Welternährungsorganisation als Hilfe in Form von Lebensmitteln für Syrien und die umgebenden Länder als Bedarf für dieses Jahr angesetzt hat, die Hälfte beitragen. Ein weiterer Teil ist auch schon gesichert, und wir werden darauf Wert legen, dass alsbald klar ist, dass auch der Rest da ist, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Welternährungsprogramms nicht von Monat zu Monat Angst haben müssen, dass sie die Rationen wieder kürzen müssen. Ich glaube, das ist in unser aller Interesse. ({15}) Wir haben uns beim Besuch des irakischen Ministerpräsidenten al-Abadi entschieden, der irakischen Regierung einen Kredit, einen ungebundenen Kredit, in Höhe von 500 Millionen Euro zu geben, insbesondere für die Verwirklichung von Infrastrukturmaßnahmen, hier vor allem für Infrastrukturmaßnahmen in Städten, die vom IS befreit wurden; diese sind brutal zerstört, und sie müssen schnell wiederaufgebaut werden, damit die Menschen in ihre Heimat zurückkehren können. Und wir haben die schon lange beratenen 3 Milliarden Euro, mit denen die Europäische Union die Türkei bei der Verbesserung der Lebensperspektiven der Flüchtlinge vor Ort unterstützt, nun endlich, sage ich, freigegeben; ich hoffe, dass sehr schnell auch Projekte realisiert werden können. Denn wenn wir uns überlegen, dass in Städten wie zum Beispiel Kilis genauso viele Flüchtlinge wie einheimische Einwohner leben, dann ist klar, dass es neuer Schulen und neuer Krankenhäuser bedarf. Das muss jetzt auch schnell umgesetzt werden. Meine Damen und Herren, die Türkei ihrerseits hat eine Arbeitserlaubnis für Syrer in der Türkei vergeben zwar in unterschiedlicher Ausprägung, aber immerhin gibt es jetzt eine Perspektive, dass syrische Flüchtlinge oder Gäste, wie die Türkei sagt, auch Arbeitsmöglichkeiten haben. Das führt zu dem zweiten Punkt, an dem die Bundesregierung ansetzt, der Wiederherstellung des Schutzes der EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei, und damit zum berechtigten Wunsch und Anliegen der Türkei, Lasten zu teilen. Ich will daran erinnern: In der Türkei sind im Augenblick 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge, und die Türkei hat 70 Millionen Einwohner. Wir in Deutschland haben eine ungefähre Vorstellung von dem, was das - auch für ein Land wie die Türkei bedeutet. Deshalb ist es richtig und gut, wenn wir versuchen, zwischen der Europäischen Union und der Türkei Lasten zu teilen. Die Türkei ihrerseits hat die Visumspflicht für Syrer aus Jordanien und aus dem Libanon eingeführt, ebenso im Hinblick auf Irak, Iran und Afghanistan. Meine Damen und Herren, wenn wir eine Visumspflicht für Syrer aus Jordanien und Libanon vertreten, dann bedeutet das, dass dann auch wirklich die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in Jordanien und Libanon besser werden müssen. Ich will auch hier daran erinnern: Der Libanon hat 5 Millionen Einwohner - ich habe in London mit dem libanesischen Ministerpräsidenten gesprochen -, und dort sind deutlich mehr als 1 Million Flüchtlinge. Was das für ein Land wie den Libanon bedeutet, der im Übrigen zwischen Regionalkonflikten und Regionalmächten hin- und hergerissen ist, mag man sich vorstellen. Deshalb ist „Cash for Work“, die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten und all das andere, was wir machen, wichtig. ({16}) Wir haben in vielen Bereichen eine bilaterale Kooperation mit der Türkei vereinbart, insbesondere der Bundesinnenminister. Es geht hier um polizeiliche Zusammenarbeit; die entsprechenden MoUs dazu sind unterschriftsreif. Es geht auch um das Technische Hilfswerk, das bereit ist, gerade jetzt an der türkisch-syrischen Grenze zu helfen, wenn das gewünscht wird. Diese bilaterale Kooperation - das darf ich sagen - entwickelt sich im Übrigen sehr gut. Des Weiteren haben wir entschieden, dass wir die Situation auf der Ägäis verbessern müssen; das heißt, wir müssen die Überwachung dort verbessern. Dazu gibt es einen NATO-Einsatz. Warum ein NATO-Einsatz? Es gibt die entsprechenden maritimen Einheiten. Es gibt großen Bedarf, eine Küste, die 900 Kilometer lang ist, systematisch zu überwachen und sozusagen Boote aufzubringen, die illegal Flüchtlinge von einer Seite auf die andere bringen. Diese Mission kann natürlich nur in Kooperation mit der türkischen Küstenwache erfolgen hier muss der Datenaustausch schnell gewährleistet sein, damit die türkische Küstenwache ihre Arbeit aufnehmen kann -, und sie muss in Kooperation mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex durchgeführt werden. Die Türkei hat sich bereit erklärt, die Flüchtlinge, die im Rahmen von Frontex, aber auch von NATO-Schiffen gerettet werden, wenn sie in Not sind, wieder in die Türkei zu bringen. Wir haben ein Rückübernahmeabkommen zwischen Griechenland und der Türkei, das hinreichend schlecht funktioniert, weil es sehr bürokratisch ausgestaltet ist. Hier wird an einer Entbürokratisierung gearbeitet. Meine Damen und Herren, der dritte Punkt, an dem die Bundesregierung ansetzt, schließt nahtlos an die internationale und die europäische Ebene an. Im Übrigen bin ich bei dem, was ich zum zweiten Punkt gesagt habe, der Meinung, dass das, wo wir jetzt angekommen sind, rechtfertigt, genau diesen Weg weiterzugehen. Natürlich erwartet die Türkei andererseits, dass wir die Beitrittsverhandlungen beleben. Im Übrigen will ich auch sagen: In den Gesprächen, die wir mit der Türkei führen, geht es nicht nur um diese Punkte, sondern auch um journalistische Freiheiten und um die Fragen: Wie geht es mit den Kurden weiter? Wie kann man der Jugend in den Regionen der Türkei, die heute stark in Auseinandersetzungen verwickelt sind, Chancen für die Zukunft geben? - Es ist also nicht so, dass wir nur über einige Fragen sprechen und über andere nicht. Aber ohne Gespräche wird es nicht gehen. ({17}) Ich glaube, es lohnt sich, diese Agenda fortzusetzen; denn, meine Damen und Herren, wir als Europäische Union müssen lernen, auch maritime Grenzen zu schützen. Das ist schwieriger, als Landgrenzen zu schützen. Wenn wir das nicht lernen, wird uns das beim nächsten Mal bei Italien, dem ja Libyen gegenüber liegt, auch nicht gelingen. Das heißt also: Ein Kontinent, der das nicht lernt, auch im Ausgleich und im Gespräch mit seinen Nachbarn - bei Libyen ist das zugegebenermaßen schwer, solange es dort keine Einheitsregierung gibt; deshalb arbeiten wir mit Hochdruck daran -, der das nicht schafft, der nur mit Abschottung kurz hinter der maritimen Grenze reagiert und sagt: „Wer auch immer dort hinter dem Zaun sitzt, interessiert uns nicht“, kann nicht die europäische Antwort sein - jedenfalls nach meiner festen Überzeugung. ({18}) National - das wissen Sie - haben wir vieles erreicht: Die Ankommenden an der österreichisch-deutschen Grenze werden inzwischen registriert und kontrolliert. Es gibt einen einheitlichen Flüchtlingsausweis, der schrittweise eingeführt wird. Wir diskutieren in dieser Woche über das Asylpaket II. Den Inhalt kennen Sie: Abbau von Abschiebehindernissen, Beschleunigung der Verfahren. Wir haben einen Kabinettsbeschluss für weitere sichere Herkunftsländer gefasst, von dem ich hoffe, dass er bald in Kraft treten kann. Und wir haben sehr schnell als Reaktion auf die Ereignisse in Köln Voraussetzungen geschaffen, dass wir schnellere Ausweisungen straffälliger Flüchtlinge realisieren können. ({19}) Meine Damen und Herren, all das steht immer unter der gleichen Überschrift: Die, die Schutz brauchen und suchen, sollen Schutz bekommen. Im Übrigen will ich darauf hinweisen, dass trotz aller kritischen Umfragen über 90 Prozent der deutschen Bevölkerung nach wie vor sagen: Wer vor Terror, Krieg und Verfolgung flieht, soll in Deutschland die Möglichkeit der Aufnahme und des Schutzes haben. ({20}) Ich finde das wunderbar. Meine Damen und Herren, der Europäische Rat am Donnerstag und Freitag hat zwei herausragende Themen: Großbritannien in der Europäischen Union und die Flüchtlingsfrage. Wir sehen daran, dass sich die Europäische Union zurzeit gewaltigen Herausforderungen gegenübersieht. Sie muss alles daransetzen, ihre Werte und Interessen so zu vertreten, dass die Bürgerinnen und Bürger in Europa sowie die Menschen außerhalb Europas den Eindruck haben, dass die Probleme erfolgreich überwunden werden können, ohne dass Europa und im Ergebnis alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Schaden nehmen. Mit dem Rat wird die Diskussion über beide Themen nicht beendet sein. Er ist eine Etappe auf dem Weg, auf dem Europa bislang nach jeder Krise stärker wurde. Ich hoffe, dass das auch dieses Mal der Fall sein kann. Genau das dient dann nämlich Europa und - davon bin ich zutiefst überzeugt - dann auch dem Wohle Deutschlands, um im - ich zitiere Wolfgang Schäuble - „Rendezvous mit der Globalisierung“ wirklich bestehen zu können. Das leitet mich. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zumindest diejenigen, die im Raum bleiben! Frau Bundeskanzlerin, ich denke, gerade in der aktuellen spannungsgeladenen Weltlage wäre es wichtig, ein einiges und handlungsfähiges Europa zu haben. In diesem Sinne hielten wir auch Ihre Bemühungen um eine europäische Lösung der Flüchtlingsproblematik für richtig. Aber wie ich gehört habe - das ist ja angesichts der ganz breiten Koalition der Unwilligen nicht erstaunlich -, haben Sie dieses Anliegen aufgegeben. Aber nicht nur in der Flüchtlingskrise, sondern auch in vielen anderen Fragen ist die EU ja inzwischen geradezu zu einem Synonym für Zwietracht, Krise und Verfall geworden. Dafür trägt auch die deutsche Regierung eine Mitverantwortung. ({0}) Der europäische Scherbenhaufen ist zum einen der Scherbenhaufen neoliberaler Verträge sowie undemokratischer und konzerngesteuerter Technokratie, zum anderen aber auch der Scherbenhaufen einer Arroganz, die, wie Herr Kauder das einmal so unnachahmlich formuliert hat, ganz Europa deutsch sprechen lassen wollte. Ich glaube, wer ernsthaft gedacht hat, Europa ließe sich von Berlin aus regieren, der darf sich nicht wundern, wenn ihm jetzt selbst der Wind ins Gesicht bläst. ({1}) Es gab eine Zeit, in der die große Mehrheit der Europäer mit der europäischen Einigung die Hoffnung auf Wohlstand, Frieden und soziale Sicherheit verbunden hat. Die heutige EU ist aber vor allem eine EU der wirtschaftlich Mächtigen und der Reichen. Wer die Schuldenbremse verletzt, der bekommt blaue Briefe aus Brüssel. Eine Armutsbremse oder eine Obergrenze für Jugendarbeitslosigkeit, die zum Handeln verpflichten würde, gibt es aber nicht. Im Gegenteil: Wenn eine Regierung, wie die portugiesische oder im letzten Jahr die griechische, auch nur ein bisschen etwas daran ändern will, dass in ihrem Land so viele Menschen in Armut leben, dann gibt es eine harsche Intervention aus Brüssel. Einige andere Länder hingegen, die alles daransetzen, Konzernen lukrative Steuersparmodelle anzubieten, die woanders die Steuereinnahmen wegschmelzen lassen, werden mit politischen Spitzenposten für ihr Personal auf Brüsseler Ebene geadelt. Fast ein Viertel aller EU-Bürger lebt inzwischen in Armut, während sich die Zahl der europäischen Milliardäre seit Beginn der Krise mehr als verdoppelt hat. Ich muss Sie fragen: Da wundern Sie sich, dass sich immer mehr Menschen von einem solchen Europa abwenden, ({2}) dass das Gefühl um sich greift, sie könnten wählen, wen sie wollen, und am Ende kommt in diesem Europa doch immer nur die gleiche neoliberale Politik heraus? Da wundern Sie sich, dass unter solchen Bedingungen nationalistische Parteien immer mehr Zulauf haben? Wir finden das erschreckend, aber erstaunlich finden wir das nicht. ({3}) Auch die Briten, die gegen die EU sind - das zeigen ja Umfragen -, machen sich vor allem Sorgen um die sozialen Folgen von Zuwanderung, um Lohndumping und um Wohnungsmangel. Deswegen ist es völlig absurd, dass Herr Cameron als Voraussetzung für den Verbleib Großbritanniens jetzt ausgerechnet weiteren Sozialabbau und Narrenfreiheit für den Finanzplatz London verlangt. Noch absurder wäre es, solchen Forderungen nachzugeben. So etwas stabilisiert die EU nicht, sondern zerlegt sie nur immer weiter. ({4}) Da man inzwischen schon Referenden machen muss, um in der EU etwas zu erreichen, frage ich mich: Warum werden eigentlich nicht alle Menschen in der EU gefragt? Warum fragen Sie die Bevölkerung in Deutschland nicht, was sie von den neoliberalen Verträgen hält? ({5}) Es spricht einiges dafür, dass auch bei uns immer weniger in einer marktkonformen Demokratie leben möchten, in der Arbeitnehmer gegeneinander ausgespielt werden und die soziale Ungleichheit immer größer wird. Ein demokratiekonformes Europa, das den Sozialstaat nicht abbaut, sondern absichert, wäre ein Projekt, das die Menschen wieder für die europäische Idee begeistern könnte. ({6}) Wenn Sie nicht wollen, dass Europa völlig in Nationalismus zerfällt, dann ändern Sie Ihre Politik und schaffen Sie ein soziales und demokratisches Europa. Das ist die einzige Chance dafür, dass dieses Europa überlebt. Sonst gibt es doch keine. ({7}) Gerade auch außenpolitisch brauchen wir Handlungsfähigkeit. Frau Merkel, Sie seien erschrocken und entsetzt über das menschliche Leid, das durch die Bombenangriffe entstanden ist. Das haben Sie angesichts der russischen Luftangriffe auf Aleppo gesagt. ({8}) Ich stimme Ihnen zu: Was sich in und um Aleppo abspielt, ist brutal und barbarisch. ({9}) Die Luftangriffe, die Kämpfe und das Blutvergießen müssen endlich gestoppt werden - ganz klar und so schnell wie möglich. ({10}) Wir finden es aber schon erstaunlich, dass sich Ihr Entsetzen über die Gräuel und die Barbarei von Kriegen nur dann Bahn bricht, wenn russische Maschinen ihre Bomben abwerfen. ({11}) Glauben Sie wirklich, dass das Sterben unter amerikanischen, britischen oder französischen Bomben mit Unterstützung deutscher Tornados weniger leidvoll ist? ({12}) Mindestens 1,3 Millionen Menschenleben - überwiegend Zivilisten - haben die sogenannten Antiterrorkriege des Westens, die in Wahrheit immer Kriege um Rohstoffe und Absatzmärkte waren, allein in den letzten anderthalb Jahrzehnten ausgelöscht; Kriege, an denen Deutschland indirekt oder direkt immer beteiligt war; Kriege, mit denen deutsche Waffenschmieden glänzende Geschäfte gemacht haben. 1,3 Millionen Tote, ungezählte Millionen Verletzte und aus ihrer Heimat Vertriebene. Ich frage Sie, Frau Merkel: Wo war da Ihr Entsetzen? Vor allen Dingen: Wo sind die Konsequenzen, die Sie daraus ziehen? ({13}) Auch wir wissen, dass es in der Außenpolitik unvermeidlich ist, auch mit unangenehmen Regimen zu reden. Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen Reden und Hofieren. Sie haben gerade wieder über die Bekämpfung von Fluchtursachen gesprochen. Sie haben über die Gefahren des Terrorismus gesprochen. Und da wählen Sie als Ihren bevorzugten Partner zur Lösung der Flüchtlingskrise ausgerechnet den Terrorpaten Erdogan, ({14}) der mit seiner blutigen Politik gegen die Kurden im eigenen Land und mit seiner Unterstützung von islamistischen Terrorbanden in Syrien geradezu eine personifizierte Fluchtursache ist. Das ist doch völlig irrational. ({15}) Die Verwandlung der Türkei in ein Flüchtlingsgefängnis unter Oberaufseher Erdogan, der Europa grenzenlos erpressen kann, weil er den Schlüssel zu diesem Gefängnis immer in der Tasche behält, ({16}) das ist doch keine Lösung, sondern eine moralische Bank rotterklärung. ({17}) Inzwischen bombardiert die Türkei rücksichtslos auch syrische Kurden, die zu den entschlossensten Kämpfern gegen den „Islamischen Staat“ gehören. Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger weiß Gott kein Freund der Linken -, spricht von der „gefährlichsten Weltlage seit dem Ende des Kalten Krieges“ und warnt vor der Gefahr eines nuklearen Konflikts. Und Sie üben den türkisch-deutschen Schulterschluss. Wollen Sie sich allen Ernstes von diesem unberechenbaren Erdogan in einen Krieg mit Russland hineinziehen lassen, nur weil er offenbar der Überzeugung ist, dass die Al-Nusra-Front und andere islamistische Terroristen in Syrien Unterstützung brauchen? Das ist doch eine völlig absurde Politik. Das kann man doch nicht verantworten. ({18}) Nicht viel besser steht es um Ihren zweiten Verbündeten, die saudische Kopf-ab-Diktatur, bei der Herr Steinmeier auf Festivals auftritt und für die Herr Gabriel unverdrossen Waffenexporte genehmigt, ({19}) obwohl die Saudis Menschenrechte mit Füßen treten, ({20}) obwohl sie im Jemen einen Krieg angezettelt haben und in Syrien ebenfalls islamistische Verbrecherbanden hochrüsten und finanzieren. ({21}) Wer in Syrien wirklich einen Waffenstillstand will, der muss doch endlich sämtliche Terrorbanden von der Zufuhr mit Waffen abschneiden. ({22}) Länder, die diese Terroristen unterstützen, die gehören nicht umworben und hofiert, sondern die gehören unter Druck gesetzt. ({23}) Das Erste, was Sie machen müssen, wenn Sie die Flüchtlingszahlen wirklich reduzieren wollen, ist: Hören Sie endlich auf - dazu fordern wir Sie auf -, weiter Waffen in diese Krisenregion zu liefern! Es gibt in Syrien inzwischen unübersichtlich viele Kriegsparteien. Aber es gibt so gut wie keine einzige Partei, die nicht mit deutschen Waffen kämpft. Selbst der IS tut das inzwischen. Das ist doch eine Schande. ({24}) Sie haben es angesprochen: Natürlich muss auch die Situation in den Flüchtlingscamps dringend verbessert werden. Wir hoffen sehr, dass die Zusagen, die gemacht wurden, tatsächlich eingehalten werden. Noch eine Bitte, Frau Merkel: Werben Sie auf dem morgigen EU-Gipfel für eine an europäischen Interessen ausgerichtete Außenpolitik. Es gehört zu den europäischen Interessen, mit Russland wieder ein gutes Verhältnis zu haben statt eine immer weiter eskalierende Konfrontation. All das wären realistische Schritte zur Lösung der Probleme. ({25}) Voraussetzung dafür aber wäre natürlich, dass diese Regierung überhaupt wieder handlungsfähig wird, statt den Hauptteil ihrer Kraft und ihrer Zeit mit internem Gezänk und internen Wadenbeißereien zu vergeuden. 81 Prozent der Menschen haben inzwischen das Gefühl, dass diese Regierung die Probleme nicht mehr im Griff hat. Selbst eine Ihnen freundlich gesonnene Zeitung wie Die Welt konstatiert, dass die Bundesregierung in Europa noch nie so isoliert war wie gegenwärtig. Deswegen gilt - damit komme ich zum Schluss -: ({26}) Sie können eben nicht beides haben: eine neoliberale Politik der sozialen Kälte in Europa und ein solidarisches Miteinander. Das geht nicht zusammen. Der Neoliberalismus zerstört anteilnehmendes und mitfühlendes Handeln. ({27}) Wenn Sie solidarische Lösungen wollen, dann ändern Sie die grundsätzliche Ausrichtung Ihrer Politik. Nur dann hat Europa vielleicht irgendwann wieder eine Chance. ({28})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben in diesen Monaten die wohl schwierigste Phase der Europäischen Union. Da finde ich es ausgesprochen erfreulich, dass jedenfalls bei den Bleibeverhandlungen mit Großbritannien der Wunsch nach Zusammenhalt im Vordergrund steht. Wie es scheint, gibt es eine realistische Möglichkeit, sich mit Großbritannien zu verständigen, und bei allen grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber Sonderrechten finde ich: Diese Chance muss genutzt werden. Wir können uns eine Europäische Union ohne Großbritannien nicht vorstellen, meine Damen und Herren. ({0}) Großbritannien ist nicht nur die zweitstärkste Volkswirtschaft in Europa; sie ist auch G-7-Mitglied und Vetomacht im UN-Sicherheitsrat. Es würde die EU nicht nur innenpolitisch schwächen, sondern es würde vor allem ihre außenpolitische Bedeutung herabsetzen und damit unsere Möglichkeiten, in dieser Welt gemeinsam unsere Interessen zu vertreten und unsere Werte zu verteidigen. Deshalb lohnt sich die politische Anstrengung, mit Großbritannien einen Kompromiss zu erzielen, der Europa festigt. Ein Kompromiss kann aber nicht zur Folge haben, dass sich die EU innerlich desintegriert. Wir werden keine Einigung akzeptieren, die einzelnen Mitgliedsländern ein Veto gegen weitere Integrationsschritte gibt. Es kann nicht sein, dass Nicht-Euro-Staaten die Integration der Euro-Zone blockieren dürfen. ({1}) Gegenseitige Rücksichtnahme: Ja. Aber die Reformfähigkeit der Euro-Zone muss in jedem Fall erhalten bleiben. ({2}) Das von der Kanzlerin angesprochene Ziel der immer engeren Union der europäischen Völker darf nicht so aufgeweicht werden, dass auch die gutwilligen Staaten daran gehindert werden, es zu verfolgen. Und schließlich ist es legitim, die Wanderung in Sozialsysteme anderer EU-Staaten zu begrenzen. Wir wollen die Arbeitnehmerfreizügigkeit als eine Grundsäule der europäischen Freiheiten unbedingt erhalten. Aber damit ist nicht gemeint, dass EU-Bürger frei wählen dürfen, von welchem Sozialsystem sie ihre Leistungen beziehen oder unterstützt werden möchten. Wenn alle Hilfesuchenden sich dort hinbegeben, wo es die höchsten Sozialhilfesätze gibt, und alle Unternehmen dort hingehen, wo die niedrigsten Steuersätze gelten, dann kann Europa nicht funktionieren. Jedenfalls haben wir dann in Europa keine funktionierenden Sozialstaaten mehr. ({3}) Ich bin insgesamt zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, die Großbritannien mittragen kann. Ich wünsche Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dafür bei den Verhandlungen in den nächsten beiden Tagen eine gute Hand. ({4}) Meine Damen und Herren, 2015 sind 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Das sind so viele wie in den 15 Jahren davor zusammen. Dahinter steckt zuallererst eine großartige Leistung. Die Menschen in diesem Land, die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben unseren großen Respekt verdient. Auch wenn es an vielen Stellen knirscht: Das, was bei der Aufnahme von Flüchtlingen geleistet wurde, ist und bleibt außergewöhnlich. ({5}) Zugleich ist völlig klar: In dieser Geschwindigkeit kann der Zuzug nicht weitergehen. Wir müssen die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, deutlich reduzieren, und zwar nicht um irgendwelcher Rechtspopulisten willen, sondern deshalb, weil inzwischen sogar diejenigen, die den Flüchtlingen wohlgesonnen sind, sagen: Unsere Fähigkeit, Flüchtlinge aufzunehmen, ist begrenzt. Wir brauchen Zeit, um durchzuatmen. Wir brauchen auch Zeit, um die Voraussetzungen für Integration zu schaffen. - Das wird nicht gelingen, wenn jeden Tag weiterhin 3 000 oder mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Für diese Herausforderungen wird unsere Regierung in diesem Jahr die geballte Kraft brauchen. Deshalb erwarte ich, dass alle in der Koalition an einem gemeinsamen Strang ziehen. ({6}) Ich finde, dass das Konzept der Regierung, wie es die Kanzlerin vorgestellt hat, noch immer richtig ist: Wir wollen erstens die Fluchtursachen bekämpfen und die Lage der Flüchtlinge in der Krisenregion verbessern. Wir haben auf internationalen Konferenzen den Erfolg erzielt, dass nun 10 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, um die Flüchtlinge im Nahen Osten besser zu versorgen. Das ist ein großer Schritt. Das kann noch nicht das letzte Wort sein. Aber damit können wir etwas erreichen. Wir wollen zweitens die Außengrenzen der Europäischen Union mithilfe von Frontex, aber auch mithilfe der Türkei sichern und damit den Flüchtlingen einen legalen Fluchtweg schaffen. Wir wollen drittens durch Kontingente den bisher von kriminellen Schleusern gesteuerten Fluchtprozess unterbinden, den Menschen eine Möglichkeit eröffnen, legal und sicher nach Europa zu kommen, und gleichzeitig die Zahl der Flüchtlinge reduzieren. Ich halte das nach wie vor für die beste Lösung, um die Flüchtlingsströme zu begrenzen, zuallererst aus menschlicher Sicht; denn nur mit Kontingenten können wir ganzen Familien eine sichere und legale Zuflucht ermöglichen. Auch aus europäischer Sicht ist das nach wie vor der bessere Weg, weil das die einzige Möglichkeit ist, die Renationalisierung der europäischen Binnengrenzen zu verhindern, die Freizügigkeit zu erhalten und die Destabilisierung unserer südöstlichen Nachbarn und der Balkanländer zu vermeiden. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Koalition der Willigen ist zurzeit nicht groß. Einige wichtige Länder sind nicht dabei. Aber das darf nicht dazu führen, dass sich jeder mit einseitigen Maßnahmen in Alternativen flüchtet, nach dem Motto: Rette sich, wer kann! - Durch nationale Alleingänge wird nichts, aber auch gar nichts in Europa besser. ({7}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eben deutlich gemacht, dass Sie genau mit dieser Botschaft nach Brüssel fahren werden. Nach Lage der Dinge können wir in dieser Woche nur kleine Fortschritte erreichen. Aber es gibt ein Mindestprogramm, das morgen vereinbart werden muss: erstens eine schnelle Einsatzfähigkeit des europäischen Grenz- und Küstenschutzes und zweitens eine klare Zusage zum Hilfsfonds für die Türkei über 3 Milliarden Euro. Dazu muss mittelfristig auch ein zweistelliger Milliardenbetrag aus dem EU-Haushalt zur Bekämpfung der Fluchtursachen gehören. Ich finde, mit diesen Punkten kommt die klare Erwartung an die Mitgliedsländer zum Ausdruck: Wenn wir das nicht schaffen, wird es sehr schwierig. Dass wir zur Lösung der Flüchtlingskrise mit der Türkei verhandeln müssen, ist natürlich keine einfache Situation. Die Türkei hat in den letzten Jahren immer wieder demokratische Prinzipien wie die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, den Rechtsstaat oder die Pressefreiheit ausgehöhlt. Ihr Vorgehen gegen die Kurden im letzten Jahr war verheerend für den Aussöhnungsprozess und vor allen Dingen für die vielen Menschen, die darunter gelitten haben. Ich habe deshalb durchaus Verständnis für die Sorge, dass wir uns in eine zu große Abhängigkeit von einem Land begeben, das unsere Werte und Normen nicht ausreichend teilt. Aber die Türkei hat in den letzten Monaten auch in einem Maße Flüchtlinge aufgenommen, dem jeder in Europa - auch wir in Deutschland - Respekt zollen muss. Es erscheint geradezu paradox: Die Türkei gewährt in vorbildlicher Weise 2,5 Millionen Irakern und Syrern Zuflucht, und gleichzeitig treibt sie kurdische Landsleute in die Flucht. Die Situation in Aleppo zeigt uns doch, dass auch die Türkei gerade jetzt auf unsere Hilfe angewiesen ist. Was die Menschen im Augenblick in Aleppo erleben, das ist eine furchtbare menschliche Tragödie. Die Bombenangriffe von Putin und Assad müssen sofort eingestellt werden, meine Damen und Herren. ({8}) Frau Merkel hat die in München vereinbarte Feuerpause erwähnt, die schwer umzusetzen ist. Ich bin ebenfalls Außenminister Steinmeier dankbar dafür, dass er auch verhandelt hat, dass die eingeschlossenen Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden können. ({9}) Die größte Angst der Menschen in Syrien ist doch, dass sie aufgrund der Angriffe monatelang eingeschlossen und von Versorgung abgetrennt sind, sodass sie einen elendigen Hungertod sterben müssen. Das treibt jetzt natürlich wieder Zehntausende in die Flucht. Ich hoffe, dass es zusammen mit den Vereinten Nationen gelingt, die Menschen in den eingeschlossenen Gebieten versorgen zu können. Wir müssen an alle Kriegsparteien in Syrien appellieren, dass sie das auch zulassen, meine Damen und Herren. ({10}) In dieser Situation können wir doch nicht von der Türkei verlangen, dass sie die Flüchtlinge von Aleppo auf der einen Seite reinlässt, sie aber auf der anderen - der europäischen - Seite nicht mehr rauslässt. Ein Kontinent mit 500 Millionen Einwohnern kann nicht ein Land wie die Türkei mit 70 Millionen Einwohnern darum bitten, an seiner Stelle die humanitäre Flüchtlingskrise allein zu lösen. Ein solcher Vorschlag disqualifiziert sich von selbst. ({11}) Deshalb: Die Zusammenarbeit mit der Türkei steht und fällt mit der Frage, ob wir bereit sind, ihr einen Teil der Flüchtlinge abzunehmen. Wir sagen ganz klar: Wir sind bereit. - Ob das funktioniert, hängt am Ende davon ab, ob Sie, Frau Bundeskanzlerin, beim EU-Gipfel oder auch danach genügend aufnahmebereite Länder finden, die sich an den Kontingenten beteiligen. Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas zu einem Vorwurf sagen, der in diesen Tagen viele Bürgerinnen und Bürger umtreibt. Es steht der Vorwurf im Raum, die Bundeskanzlerin habe mit ihrer Entscheidung, die Flüchtlinge aus Ungarn bei uns aufzunehmen, geltendes Recht gebrochen, und sie tue es noch immer, weil viele Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten nicht zurückgewiesen werden. Richtig ist, dass sich nach Artikel 16 a Absatz 2 des Grundgesetzes niemand auf das Asylrecht berufen kann, der aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft einreist. Aber nach europäischem Recht besitzt die Bundesrepublik Deutschland ein Selbsteintrittsrecht. Sie kann jederzeit ein Asylverfahren an sich ziehen, auch dann, wenn dafür nach den Dublin-III-Regeln ein anderer europäischer Staat zuständig wäre. Von diesem Selbsteintrittsrecht hat die Bundeskanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz im letzten September Gebrauch gemacht. Aufgrund dessen sehen wir aus humanitären und politischen Gründen vorübergehend davon ab, Flüchtlinge in sichere Drittstaaten zurückzuschicken oder schon an der Grenze zurückzuweisen. Das ist eine politische Ermessensentscheidung. Diese kann man zwar kritisieren, aber die Rechtslage ist eindeutig. Deutschland darf nach geltendem Recht Flüchtlinge aufnehmen, registrieren und versorgen. ({12}) - Augenblick. - Deshalb ist es für mich absolut unverständlich, wenn einige den Eindruck erwecken, die Bundesrepublik würde geltendes Recht brechen, oder - noch schlimmer - die Bundesrepublik sei ein Unrechtsstaat, in dem sich gleichsam eine Herrschaft des Unrechts ausbreite. Ich finde, das ist starker Tobak. ({13}) Historisch betrachtet ist es grober Unfug, die Bundesrepublik als einen Unrechtsstaat einzuordnen. ({14}) Aber vor allem ist es für die Bürgerinnen und Bürger eine große Verunsicherung, wenn jetzt auch demokratisch gewählte Ministerpräsidenten den gleichen Unsinn erzählen wie Politiker von der AfD. ({15}) Viele Menschen in Deutschland liebäugeln damit, bei den kommenden Landtagswahlen die AfD zu wählen, weil wir bei der Flüchtlingskrise nicht schnell genug vorankommen. Ich möchte alle, die so denken, darum bitten: Schauen Sie sich vorher genau an, wen Sie da wählen. Inhaltlich ist die AfD eine rückwärtsgewandte Partei. ({16}) Sie polemisiert gegen den Mindestlohn, sie ist gegen die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, sie zweifelt den Klimawandel an, sie stellt die allgemeine Schulpflicht infrage, und sie will in Thüringen die Homosexuellen zählen lassen. Aber entscheidend ist am Ende: Die AfD entwickelt sich immer mehr zu einer rechtsextremen Partei. Sie vergleicht Flüchtlinge mit Barbaren, sie argumentiert rassistisch, sie relativiert den Nationalsozialismus, und sie schafft es nicht, die rechtsradikalen Mitglieder aus der Partei zu werfen. ({17}) Frau Petry hat jetzt den Schießbefehl an der Grenze ins Gespräch gebracht. Diese Partei ist dabei, sich unaufhaltsam zu radikalisieren, diese Partei ist keine Alternative für Deutschland, sondern eine Schande für Deutschland. ({18}) Diese Partei will Deutschland spalten. Lassen Sie uns uns dem mit aller Kraft entgegenstellen! Lassen Sie uns, so weit es geht, dabei zusammenarbeiten! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Syrien, Flüchtlinge, Griechenland, Ukraine, neuer Rechtspopulismus, Kalter Krieg 2.0, Gefahr des Brexit - Europa ist in der kritischsten Phase seit seiner Gründung. Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, anders als andere in Ihrer Regierung haben Sie die Probleme erkannt. Ich glaube sogar, dass Sie persönlich die Kraft haben, sie anzugehen, aber Ihre Regierung als Ganzes, Frau Bundeskanzlerin, hat sie leider nicht. Ihre Ministerriege ist furchtbar mutlos - in einer Zeit, in der Entschlossenheit verlangt ist. Die drei Koalitionspartner streiten. Die Deutschen verlieren Zutrauen und Zuversicht. Im Sommer letzten Jahres konnten Sie Ihren Finanzminister gerade noch abhalten, den Grexit mit der Brechstange zu erzwingen. Heute herrscht weiter Chaos. Der Innenminister bekommt die Asylverfahren auch nach einem Jahr nicht in den Griff. Dem Vizekanzler muss man dreimal sagen, dass er die Trennung von Familien mitbeschlossen hat. Der Justizminister feiert es dann als Sieg der Humanität, dass er einen Kompromiss verhandelt hat, auf den man sich vorher schon verständigt hatte. Meine Damen und Herren, die Trennung von Familien ist einfach nur kalt und herzlos, und sie ist auch eine Gefahr für unser Land. ({0}) Glauben Sie eigentlich, irgendwer von Ihnen würde in Ruhe eine Fremdsprache lernen, wenn sein Kind, wenn seine Frau, wenn sein Enkelkind immer noch in einem Kriegsgebiet wäre? Das würden Sie genauso wenig wie ich in Ruhe machen können. ({1}) Die traurige Wahrheit ist: Seit dem 1. Januar 2016, also in den letzten 48 Tagen, sind im Mittelmeer 403 Menschen ums Leben gekommen. Derzeit kommen übrigens vor allem Kinder zu uns, und im Familienministerium liest man nicht einmal die Gesetzentwürfe, oder man versteht sie nicht. Mich beschämt das. ({2}) Es geht weiter: Frau Hendricks äußert öffentlich Geldforderungen zum Wohnungsbau, als ob sie der Regierung gar nicht angehören würde. Ja, bitte schön, verhandeln Sie das doch, und setzen Sie das doch durch! ({3}) Dann kommt auch noch Horst Seehofer: „Herrschaft des Unrechts“, „Obergrenzen“, Kuscheln mit Putin. Herr Seehofer, Sie spielen mit dem Feuer; aber stark werden Sie damit nicht und auch Deutschland nicht, das schon gar nicht. Stark werden die Rechten, und stark werden die Hetzer. Hören Sie damit auf, und zwar unverzüglich. ({4}) Was glauben Sie eigentlich, Herr Seehofer, wenn Sie von „Herrschaft des Unrechts“ oder von „Unrechtsstaat“ reden, was ein Polizist denkt, der bei Ihnen an der bayerischen Grenze steht - tagaus, tagein - und dort für Ordnung sorgt? Was denken Sie, wenn Sie ihm gegenüber sagen: „Hier gibt es eine Herrschaft des Unrechts“? Polizisten wie er haben mittlerweile zwischen 600 und 1 000 Überstunden angesammelt. Mit Blick auf diese Menschen können Sie doch nicht von „Herrschaft des Unrechts“ reden, Herr Seehofer. ({5}) Wenn Sie wissen wollen, was ein Unrechtsstaat ist, dann hätten Sie einmal mit der Opposition in Russland reden sollen oder, besser gesagt, mit denjenigen davon, die noch leben. ({6}) Oder Sie könnten hinschauen, was sonst noch passiert: die Gründung von Russia Today Deutsch, die gezielte Anstachelung der Russlanddeutschen, die Finanzierung der Trollfabriken für soziale Medien und dann Bomben auf Aleppo, das Reden von Kaltem Krieg durch den russischen Ministerpräsidenten auf der Sicherheitskonferenz in München. All das hätten Sie sich anschauen können, Herr Seehofer, und dann hätten Sie anders handeln müssen, nicht als Nebenaußenminister, der alles nur noch viel schlimmer macht, als es sowieso schon ist. ({7}) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben eine sehr große rechnerische Mehrheit in diesem Haus, und Sie sind von Zoff und Kleingeist geprägt, und das in national und international schwierigsten Zeiten. Jetzt muss es darum gehen, Krisen zu managen, Verantwortung zu übernehmen, sich zu konzentrieren. Doch was passiert? Frau Merkel, leider haben Sie Ihren Laden nicht im Griff, und Herr Gabriel macht dabei noch mit: jeden Tag ein neuer Vorschlag, jeden Tag ein neuer Streit, jeden Tag neue Verunsicherung, und zwar bei allen: bei denen, die Angst haben, aus welchen Gründen auch immer, bei denen, die helfen, die alles managen, die ehrenamtlich oder in den Verwaltungen dieses Landes tätig sind, die alles organisieren sollen, und natürlich auch bei den Geflüchteten. Hier wird in Punktepapieren regiert. „Plan A 2“ heißt es in diesen Wochen bei der CDU, „Agenda 2020“ schallt es bei der SPD. Die Asylpakete werden nummeriert, weil man sonst den Überblick verliert. Meine Damen und Herren, diese Pakete haben noch nicht einmal das erreicht, was Sie wollten, nämlich dass Zahlen reduziert werden. Noch weniger erreichen sie das, was eigentlich so dringend notwendig wäre, nämlich die Integration. Um die muss es doch hier jetzt gehen ({8}) und nicht um weitere Punktepapiere, durch die die Situation verschärft wird. Herr Oppermann, so richtig ich Ihre Bemerkungen zur rechtlichen Situation fand und so richtig ich übrigens Ihre Bemerkungen zur AfD fand: Ich hätte schon gerne gewusst, ob die Äußerungen der Kanzlerin am 4. September 2015 nur Ausdruck ihrer Richtlinienkompetenz waren oder ob sie eine gemeinsame Entscheidung der Regierung ausdrückten, zu der Sie auch stehen. Ich würde gerne wissen, ob Sie das richtig finden. ({9}) Ja, ich verlange keine sofortige Lösung für alle Probleme, auch nicht für die in der EU. Auf der Tagesordnung des Rates steht der Brexit. Ich kann nur hoffen, dass dieses im Augenblick so schwache Europa noch gerade so viel Ausstrahlung hat, so viel Verhandlungsbereitschaft und auch so viel europäische Klarheit, dass das gut geht. Das Ergebnis müssen Sie nicht sofort erreichen. In Europa müssen dicke Bretter gebohrt werden. Das kann lange dauern. Aber klar ist auch: Manches der heutigen Missstimmung hat seine Ursache eben auch in der Vergangenheit. Herr Friedrich, Ihr früherer Innenminister, hat im Jahr 2011 die Unterbringung der Lampedusa-Flüchtlinge noch als nationales Problem Italiens bezeichnet. Man Katrin Göring­Eckardt sieht sich, meine Damen und Herren, eben immer zweimal in der Europäischen Union. ({10}) Wir erleben jetzt die Retourkutsche dafür, dass wir das damals nicht ernst genommen haben. 2011, meine Damen und Herren, begann der Syrien-Krieg. Jahre und Monate um Monate haben wir ignoriert, dass dort etwas getan werden muss. ({11}) Das ist die Fluchtursache, die wir selbst mit zu verantworten haben. Es sind nicht die hohen Schulden, die Europa zerstören, und es ist auch nicht die humanitäre Herausforderung, den Bürgerkriegsflüchtlingen Schutz zu bieten übrigens: 80 Prozent der europäischen Bevölkerung sind für eine solidarische Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas -; es ist der gigantische Vertrauensverlust, um den es in allererster Linie geht. Genau darum muss es uns gehen: dieses Vertrauen wiederherzustellen - in unserem Land und auch in Europa. ({12}) Seien wir ehrlich: Unter all den Voraussetzungen, über die hier geredet worden ist, gerade auch angesichts des Bombardements in Aleppo, ist es schwer vorherzusagen, wie viele Menschen noch nach Europa kommen werden. Wir können das ehrlicherweise nicht sagen. Die globalen Krisen erreichen uns. Es wird weiter schwierig sein. Wir sind inzwischen in einem - so muss man das vielleicht nennen - geordneten Notfallmodus. Meine Damen und Herren, Europa ist in Gefahr und damit auch die Stärke unserer auf Ausgleich gerichteten Debatte und die politische Kultur. Auch hierzulande erstarkt der Rechtspopulismus. Unverhohlen fordert die AfD - Frau Petry, Frau von Storch, Herr Höcke - den Schießbefehl. Das setzt das Recht außer Kraft. Das setzt die Menschlichkeit außer Kraft. Das setzt alles außer Kraft, was unsere Demokratie ausmacht. Jedem, der die AfD wählt, rufe ich zu: Sie wählen Spaltung und Gefahr. Lassen Sie das! Kämpfen Sie mit uns für Zusammenhalt und für die Demokratie in diesem Land! ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Göring-Eckardt, Sie achten bitte auf die Zeit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es gibt keine Union à la carte - nicht für Griechenland, nicht für uns, auch nicht für Großbritannien. Ich hoffe sehr, dass dieses Europa zusammenbleibt und zeigt: Nur gemeinsam kann man stark sein. - Ja, dazu braucht es Menschen, die sagen: Wir schaffen das. - Es braucht aber vor allem eine Regierung in diesem Land, die das gemeinsam hinbekommen will und nicht in Klein-Klein, in Hickhack und in Streit verfällt. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion hat Volker Kauder nun das Wort. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Jahr 2016 wird zu einem Schicksalsjahr für Europa und damit auch zu einem Schicksalsjahr für unser Land. Im Jahr 2016 entscheidet sich wie noch in keinem anderen Jahr zuvor, ob die Europäische Union in Zukunft in der Lage ist, große Herausforderungen zu bewältigen, oder ob sie sich im Klein-Klein von Bürokratie erschöpft. Das Jahr 2016 wird durch die Entscheidung, die in Großbritannien auf der Tagesordnung steht, zu einem Schicksalsjahr. Von der Bundeskanzlerin, aber auch von anderen Vorrednern ist etwas zu dem Satz deutlich gemacht worden, den man in den Wahlkreisen, bei Veranstaltungen immer wieder hören kann: Na und? Wenn die Briten nur noch Extrawürste wollen, dann sollen sie eben gehen. - Man kann sich natürlich bei mancher Forderung, die aus Großbritannien kommt, fragen: Muss das wirklich sein? - Aber darüber wird ja nun bei diesem Gipfel gesprochen. Eines ist klar - dazu braucht man kein Hellseher oder Prophet zu sein -: Wenn Großbritannien sich entschließen würde, die EU zu verlassen, sähe diese EU ganz anders aus und auf jeden Fall nicht stärker, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Deswegen ist es nun die nicht ganz leichte Aufgabe, aus den Forderungen, die aus Großbritannien kommen, und den Vorschlägen, die von der Kommission gemacht werden, das Paket herauszukristallisieren, das - auch in unserem Land - akzeptiert werden kann und das auch Großbritannien dazu veranlassen kann, dabeizubleiben. Ich glaube, dass man in den Grundfragen, die jetzt gestellt werden, durchaus zu Kompromissen kommen kann. Aber ob die Menschen in Großbritannien sich im Herbst für den Verbleib in Europa aussprechen, ({1}) hängt, glaube ich, nicht in erster Linie davon ab, was jetzt miteinander vereinbart wird, sondern es hängt davon ab, was für einen Eindruck die EU zum Zeitpunkt der Entscheidung der Menschen in Großbritannien macht. ({2}) Katrin Göring­Eckardt Deshalb ist das, was in der nächsten Zeit - am zweiten Tag in Brüssel, aber auch in den Tagen danach - in Europa passiert, von entscheidender Bedeutung. Kollege Oppermann hat zu Recht darauf hingewiesen: Wenn immer mehr der Eindruck entsteht, dass in schwierigen Fragen der Nationalstaat die besseren Lösungen hat, dann wird man die Menschen in Großbritannien weniger davon überzeugen können, dass man gemeinsam Lösungen suchen muss. Ich kann nur sagen: Wir haben doch aus unserer Geschichte gelernt, dass die großen Aufgaben, die großen Herausforderungen, die in der Vergangenheit zu großen Kriegen geführt haben, eben gerade nicht von den Nationalstaaten gemeistert werden können, sondern dass dafür die Zusammenarbeit in der EU notwendig ist. Dass wir 70 Jahre ohne Krieg in Europa leben, verdanken wir nicht den Nationalstaaten in Europa, sondern der Gemeinschaft der Europäer. ({3}) Deswegen wird es ganz entscheidend darauf ankommen, dass in Europa klar wird, dass die größte Herausforderung, die wir haben - ich sage: die größte nach dem Zweiten Weltkrieg -, die Flüchtlingsbewegungen sind. Da möchte ich schon klarstellen: Es geht in erster Linie darum, dass eine gemeinsame Aufgabe, die wir in Europa vereinbart haben, jetzt auch gemeinsam durchgeführt wird, nämlich der Schutz der Außengrenzen. Es hat niemand behauptet, dass wir keine Grenzen schützen und sichern wollen. Unsinn, wenn das gesagt wird! Vielmehr ist immer gesagt worden: Wir wollen dieses Europa, wie es in den letzten Jahren gewachsen ist, dieses Europa der Freizügigkeit, des freien Verkehrs von Waren und Menschen, erhalten; aber wir wollen natürlich auch die Kontrolle an unserer gemeinsamen Außengrenze behalten, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Dafür sind jetzt erste Vereinbarungen getroffen worden. Ich kann nicht erkennen, dass es eine Verbesserung der Lebensqualität in Europa wäre, wenn jeder kleine Staat in Europa oder auch die größeren Staaten wieder eine eigene Grenzsicherung vornähmen. ({4}) Das führt nicht zu dem Ziel, das wir in Europa miteinander erreichen wollen. ({5}) Deshalb ist die große Aufgabe die Sicherung der Grenzen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kauder, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein! ({0}) - Ich will Ihnen einmal eines sagen: Es wäre gut, wenn Sie einem Gedanken einmal eine Viertelstunde folgen und sich nicht immer so aufführen würden, wie Sie es hier auf der linken Seite immer tun. ({1}) Wir müssen die europäische Außengrenze sichern. Dies können wir nicht allein, sondern dazu brauchen wir auch die Türkei. ({2}) - Bei Ihnen - da bin ich sicher - gar nicht! ({3}) Wir brauchen also jetzt die Türkei. Insofern kann ich verstehen, dass kritische Fragen kommen. Auch ich habe Fragen an die Türkei. Wir vonseiten der CDU/CSU-Fraktion haben die Bundesregierung gebeten, dass mit der Türkei, wenn es um die Frage ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Union geht, als nächstes Kapitel das Kapitel „Religionsfreiheit und Menschenrechte“ aufgemacht wird. Wir bleiben auch dabei, dass dieses Thema angesprochen werden muss. Jetzt aber haben wir eine Aufgabe, die wir nur mit der Türkei lösen können. Deswegen müssen wir das auch so angehen. Und ich wünsche der Bundeskanzlerin viel Erfolg im Hinblick darauf, dass es bei dem vereinbarten Europa-Türkei-Paket bleibt. In diesem Zusammenhang kann ich nur darauf hinweisen, dass die Bundeskanzlerin nach wie vor auch mit Russland im Gespräch ist. Trotzdem muss es aber dabei bleiben, dass die Sanktionen, die gegen Russland ausgesprochen worden sind, nicht zurückgenommen werden, solange sich Russland nicht eines anderen Verhaltens befleißigt, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Frau Wagenknecht, ein Politiker, der aktiv im Dienst ist, hat sich um die augenblickliche Situation zu bemühen. Es bleibt dabei, dass es nicht darum geht - wie Sie sagen -, was Amerikaner und andere in den anderthalb Jahrzehnten zuvor gemacht haben. Darüber kann ich mit Ihnen gerne einmal reden. Sie dürfen aber mit diesem Hinweis nicht den Eindruck erwecken, dass Sie nicht ernst nehmen wollen, was Russland gerade jetzt im Augenblick in Syrien anstellt. Das ist nicht in Ordnung! Da nützt der Verweis gar nichts! ({5}) Lesen Sie einmal die Berichte, die wir aus Aleppo bekommen. In denen steht, was dort passiert. Dort wird ganz bewusst die Wohninfrastruktur und die Gesundheitsinfrastruktur von russischen Bombern zerstört, damit den Menschen in und aus Syrien jede Rückkehrperspektive genommen wird. Das ist nicht in Ordnung! So werden Hunderttausende von neuen Flüchtlingen erzeugt. Dafür ist Russland verantwortlich, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({6}) Wir stehen also vor wichtigen Entscheidungen, und ich finde, dass wir der Bundeskanzlerin Erfolg wünschen sollten. Wir sollten nicht die Frage stellen, was passiert, wenn sie keinen Erfolg hat. Vielmehr sollten wir ihr jetzt zunächst - und zwar nicht nur im Hinblick auf den 18. und 19. Februar - Erfolg wünschen. Wir sollten ihr wünschen, dass die Verhandlungen, die jetzt stattfinden, zum Erfolg für Europa werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es macht mir große Sorgen, dass wir in ein Europa hineinwachsen könnten, das am Ende dieses Jahres ganz anders aussieht als am Anfang des Jahres. Das wäre für niemanden gut und für niemanden ein Vorteil. ({7}) Es ist völlig unstrittig, dass wir zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegungen einen Mix aus nationalen und europäischen Maßnahmen brauchen. Vielleicht brauchen wir noch darüber hinausgehende internationale Maßnahmen, ein Bereich, in dem der Bundesaußenminister bereits tätig ist. Beim Blick auf diesen Mix aus nationalen und europäischen Maßnahmen können wir feststellen, dass auch die nationalen Maßnahmen wirken. Ich finde, das muss man den Menschen in unserem Land noch viel deutlicher sagen. Die Einstufung der Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer hat dazu geführt, dass der große Flüchtlingsstrom aus diesem Gebiet, den es noch im letzten Jahr gab, jetzt gegen null tendiert. Deswegen war das ein Erfolg. ({8}) Sie müssen sich aber auch einmal anschauen, was es für eine Quälerei war, bis wir die Grünen im Bundesrat mit im Boot hatten und diesen erfolgreichen Mix aus nationalen und europäischen Maßnahmen beschließen konnten. In dieser Woche werden wir hier im Deutschen Bundestag das Asylpaket II beraten und nächste Woche verabschieden. Da wäre es natürlich richtig gewesen - Frau Roth, gucken Sie mich nicht so traurig an ({9}) im Rahmen dieses Verfahrens im Bundestag auch ein Gesetz zu verabschieden, durch das Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten klassifiziert werden. ({10}) Frau Göring-Eckardt, Sie kritisieren die Arbeit der Bundesregierung. Da könnte ich natürlich darauf verweisen - das will ich mir aber verkneifen -, was für einen Granatenstreit Sie im Augenblick bei den Grünen über die Frage, was Herr Kretschmann darf und was nicht, haben. ({11}) Wissen Sie - für den Fall, dass Sie mal Regierungsverantwortung haben -: Das schärft den Blick für das Notwendige. ({12}) Das ist der einzige Hinweis, den ich geben will. Ich hätte mir gewünscht, dass jetzt gesagt würde: Wir machen das, und dann reden wir im Bundesrat miteinander darüber, was für eine Zustimmung getan werden muss. - Sie werden sich schwertun, den Wählerinnen und Wählern im Land zu erklären, warum Sie etwas nicht machen, das auch Sie für notwendig halten, nur weil Sie quasi einen hohen Preis heraushandeln wollen. Das den Menschen zu erklären, wenn man Regierungsverantwortung tragen will, ist sehr schwer. Das ist auch nicht in Ordnung, um das mal klar und deutlich zu sagen. ({13}) Ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir mit Blick auf diese große Herausforderung gut und eng zusammenarbeiten - natürlich sowohl in der Koalition als auch dort, wo es noch notwendig ist: im Bundesrat. Es ist durchaus richtig, dass wir bei der einen oder anderen Frage in der letzten Zeit nicht den Eindruck von Geschlossenheit vermittelt haben, wie es notwendig gewesen wäre. Ich will da gar keine Schuldzuweisungen aussprechen, sondern nur den Fakt feststellen. Wir sollten so nicht vorgehen; daran müssen wir uns orientieren. Wir müssen etwas vereinbaren und das, was vereinbart ist, konkret umsetzen und so den Menschen zeigen: Ihr könnt euch darauf verlassen, dass diese Regierungskoalition das Notwendige tut, um dem Problem an die Wurzel zu gehen. ({14}) Der Kollege Oppermann hat mir gesagt, er müsse das Plenum verlassen. Trotzdem kann ich ihm folgende Passage nicht ersparen - die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin sitzt da; sie kann es ihm dann sagen -: Dazu gehört natürlich auch, dass wir in der Regierungskoalition nicht noch hier im Deutschen Bundestag dazu beitragen, Fehlinterpretationen von Aussagen zu verstärken. ({15}) Das trägt nicht dazu bei, die Zusammenarbeit zu stärken, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({16}) Wissen Sie: Wenn wir eine Koalition eingehen, gilt für mich der Grundsatz, den ich vom Kollegen Müntefering gelernt habe. Er hat gesagt: Wenn Sie eine Koalition eingehen, müssen Sie den Erfolg wollen. ({17}) Ich sage Ihnen: Mir würde hier am Pult in diesem Deutschen Bundestag auch manches einfallen zu manchem SPD-Politiker; das kann ich Ihnen nur sagen. ({18}) Aber wissen Sie: Über der parteipolitischen Profilierung steht gerade in dieser Zeit unsere Verantwortung für dieses Land, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir tragen Verantwortung für dieses Land! ({19}) Aschermittwoch ist vorbei. Deswegen verkneife ich mir die eine oder andere Aussage. Mir geht es darum - und davon wird viel abhängen -: Es ist ein Schicksalsjahr für Europa. Es ist ein Schicksalsjahr für Deutschland, wie es noch nie ein Schicksalsjahr gab. Damit hat diese Koalition eine große Verantwortung. Daran muss man sich jeden Tag erinnern und sich das eine oder andere auch mal verkneifen, ({20}) um mehr Gemeinsamkeit zu zeigen, als es in der letzten Zeit der Fall war. ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Hänsel das Wort.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Kauder, weil Ihnen immer alles Mögliche einfällt, möchte ich sagen: Wenn ich Sie sehe, fällt mir vor allem immer Heckler & Koch ein, die Rüstungsschmiede in Ihrem Wahlkreis in Baden-Württemberg. Mich wundert es schon: Sie thematisieren hier die Reduzierung der Flüchtlingszahlen, die Kanzlerin will Fluchtursachen bekämpfen usw., aber Sie erwähnen mit keinem Wort, dass Millionen von Kleinwaffen aus Ihrem Wahlkreis exportiert werden, wovon die CDU durch Wahlspenden direkt profitiert. Das ist ein Skandal. ({0}) Solange Sie zu den Rüstungsexporten nichts sagen, müssen Sie zum ganzen Thema Fluchtursachen schweigen. Das ist eine verlogene Politik, die Sie hier betreiben, weil es in der Realität anders aussieht. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie etwas fragen. Sie haben gerade erwähnt, es gehe jetzt um den Schutz der Außengrenzen. Jetzt sollen NATO-Kriegsschiffe an die Grenzen geschickt werden. Ist das Grenzsicherung? Das, was Sie betreiben, ist eine Militarisierung, eine militarisierte Migrationsabwehr. Was werden die Schiffe dort vorfinden? ({1}) Sie finden Schlauchboote mit Frauen und Kindern vor. ({2}) So ist die Realität vor Lesbos im Moment. Meine Frage ist: Können Sie es mit den europäischen Werten, die Sie hier vorne immer rauf und runter zitieren, vereinbaren, dass Sie jetzt Kriegsschiffe gegen die Flüchtlinge einsetzen? Es gab im Januar schon 350 ertrunkene Menschen vor Lesbos. Vielleicht nehmen Sie einmal die Botschaft von Ai Weiwei an, einem weltbekannten chinesischen Künstler, der vor einigen Tagen hier am Pariser Platz Rettungswesten aufgehängt hat, als eine Mahnung an unseren humanitären Auftrag. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Kauder hat völlig recht: Es ist tatsächlich ein Schicksalsjahr für die Europäische Union. Kollege Kauder hat mit Kritik an der SPD aber völlig unrecht. Deshalb darf ich sie hier insgesamt zurückweisen. ({0}) Frau Bundeskanzlerin, das, was in der EU an Entscheidungen auf uns zukommt, kann man auf einen einfachen Nenner bringen: Hält oder zerfällt die Gemeinschaft? Wenn das die Frage ist, sollte dies auch die Tonlage, die Ernsthaftigkeit und den gemeinsamen Willen in dieser Diskussion im Bundestag bestimmen. ({1}) Lassen Sie uns einmal das wertschätzen, was wir in diesem Deutschen Bundestag haben. Es gibt - erstens niemanden hier, der für einen Brexit, für einen Austritt Großbritanniens aus der EU, ist. Zweitens gibt es in diesem Haus keine nationalistische, keine rechtsextremistische Partei. Und es gibt - drittens - im Deutschen Bundestag genauso wie im Europäischen Parlament letztendlich die Kraft, die Verpflichtung und die Möglichkeit - wir werden sie nutzen -, dafür zu sorgen, dass auf europäischen Gipfeln getroffene Entscheidungen nur auf parlamentarischer Ebene in Recht umgesetzt werden. Bei allem, was in Brüssel geschieht, ist klar: Die Abgeordneten in den Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament haben das letzte Wort. Das muss hier heute einmal deutlich ausgesprochen werden. ({2}) Worum es bei den Entscheidungen, die in den kommenden Monaten anstehen, geht, lässt sich letztendlich auf eine ganz einfache Frage reduzieren: Werden wir weiterhin sagen: „Das wichtigste nationale Interesse bleibt in allen Mitgliedstaaten die europäische Einigung“, oder wird sich folgender Satz durchsetzen: „Wenn jedes Land nur an sich denkt, ist an alle gedacht“? Das, was wir in den letzten Jahren in Europa erlebt haben, kann man nicht einfach mit dem Begriff „Populismus“ be- oder umschreiben; denn wir erleben einen wachsenden Nationalismus. Ich glaube, dass es im Interesse aller vier Fraktionen hier in diesem Hause ist, dass wir gemeinsam einem Nationalismus in den Staaten wie in der Gemeinschaft widerstehen, dass wir uns ihm entgegensetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Denn es geht nicht mehr darum, ob wir eine andere europäische Politik - sozialer, nachhaltiger, mehr Gleichstellung, mehr Umweltbewusstsein - machen, sondern es geht um die Frage: Wird die Europäische Gemeinschaft erhalten, oder setzt man auf Zerstörung? Darum geht es UKIP und Jobbik, darum geht es Frau Le Pen und Herrn Wilders, FPÖ wie AfD. Das sind Kräfte, die Verhältnisse herbeiführen wollen, die es in der Vergangenheit so nicht gegeben hat. Gleichzeitig sind es Kräfte, die uns auf eine schiefe Bahn führen wollen, manchmal langsam, manchmal mit Vehemenz. Mitterrand hat zu Recht gesagt: „Nationalismus heißt Krieg“. Machen wir uns die Ernsthaftigkeit dieser Situation bewusst: Wer den Nationalismus übersteigert, wird irgendwann auch wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa greifen. Helmut Kohl hat diesbezüglich genauso recht wie der verstorbene französische Präsident. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. ({4}) Wir müssen uns unserer Verantwortung bewusst sein; denn es ist klar, dass es bei den jetzt in Brüssel anstehenden Entscheidungen um die „Solidarität der Tat“ geht. Es wird jetzt tatsächlich darauf ankommen, dass wir gemeinsame Lösungen finden. Ich sage bewusst jenen auf der rechten Seite des Hauses: Es wird darauf ankommen, uns bewusst zu machen, wer unser wichtigster Verbündeter ist, nämlich die EU-Kommission. Es muss aufhören, dass wir bei Kleinigkeiten die EU-Kommission beschämen, wenn wir doch wissen: Sie ist die wichtigste Institution, die unsere Gemeinschaft zusammenhält. JeanClaude Juncker, auch Günther Oettinger und andere sind die Partner, die wir brauchen, damit wir in Europa gemeinsam Erfolg haben. ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa steht in diesen Zeiten zweifellos vor den größten Bewährungsproben überhaupt. Zum einen steht die Entscheidung der Briten über ihren Verbleib in der Europäischen Union an. Zum Zweiten gibt es immer noch die Problematik der Staatsschuldenkrise. Die Problematik der Verschuldung in vielen europäischen Ländern ist nicht gelöst. Zum Dritten haben wir in den vergangenen Monaten erkennen müssen, dass der islamistische Terror vor Europa nicht haltmacht. Hunderttausende von Menschen fliehen aus Krisen- und Kriegsgebieten und machen sich auf den Weg nach Europa. - Diese Probleme betreffen uns alle in Europa, und sie können nicht durch nationale Entscheidungen und Maßnahmen allein gelöst werden. Vielmehr bedarf es einer Lösung auf europäischer und internationaler Ebene. Das muss uns allen klar sein. Zum Referendum in Großbritannien, zu den Vorschlägen der Briten zum Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union: Wir haben in der CSU-Landesgruppe den britischen Premierminister David Cameron zu Gast gehabt und uns ausgiebig mit dessen Vorschlägen befasst. Auch wenn man nicht alles akzeptieren kann, muss man sagen: Die wesentlichen Punkte gehen in die richtige Richtung. Sie sind nicht nur geeignet, dafür zu sorgen, dass die Briten einem Verbleib in Europa, der notwendig Axel Schäfer ({0}) ist, zustimmen können, sondern sie gehen auch in die richtige Richtung, wenn es darum geht, Europa positiv weiterzuentwickeln; und auch das ist notwendig. ({1}) Es ist richtig, auf mehr Wettbewerbsfähigkeit zu setzen, es ist richtig, gegen Bürokratie in Europa anzugehen, es ist richtig, den nationalen Parlamenten mehr Gewicht zu geben, und es ist richtig, dem Sozialmissbrauch in Europa die Stirn zu bieten. ({2}) Seitens der CSU-Landesgruppe haben wir schon vor zwei Jahren konkrete Vorschläge dazu gemacht. Ich bin sehr dankbar dafür, dass jetzt überlegt wird, die Höhe des Kindergeldes an die Lebenshaltungskosten in den Ländern anzupassen, in denen die Kinder tatsächlich leben. Das ist meines Erachtens der richtige Ansatz. ({3}) Bei diesem Gipfel geht es zum Zweiten um das Thema, das uns seit Monaten in Europa, aber gerade auch bei uns im Land, intensiv beschäftigt, nämlich um die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Wir haben in Europa in den letzten Monaten bei diesem Thema immer wieder Hoffnung gehabt. Wir haben Versprechungen gehört, aber auch so manche Enttäuschung erlebt. Die nationalen Interessen gewinnen immer stärker an Gewicht, und es wird immer schwieriger, in Europa Kompromisse zu finden. Für niemanden, der dort Verantwortung trägt und Verhandlungen zu führen hat, ist diese Aufgabe leicht. Dabei ist bei diesem Thema europäische Solidarität in ganz besonderer Weise gefragt, weil kein Nationalstaat diese Probleme allein bewältigen kann. ({4}) Deshalb müssen wir hier ganz genau überlegen: Was können wir tun, und was müssen wir tun? Dabei geht es zum einen um die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Krisengebieten und auch in den Flüchtlingslagern. Ich erkenne das Engagement des Außenministers in der Syrien-Problematik ausdrücklich an und danke dafür. ({5}) Ich erkenne auch das Engagement unseres Entwicklungshilfeministers für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in den Krisengebieten an, und ich erkenne auch ausdrücklich die Bemühungen der Verteidigungsministerin in Sachen NATO-Mission in der östlichen Ägäis in den letzten Tagen an. ({6}) Das sind die richtigen Ansätze. Dazu gehört auch das Ergebnis der Geberkonferenz in London. Ich danke der Bundeskanzlerin und der gesamten Bundesregierung, insbesondere dem Finanzminister und dem Entwicklungshilfeminister, dafür, dass die Weichen von Deutschland aus gestellt worden sind und dass bei dieser Geberkonferenz das beste Ergebnis erzielt worden ist, das mit Blick auf UN-Hilfswerke je erzielt worden ist. Das ist der richtige Ansatz. ({7}) Zum anderen geht es aber auch darum, die Außengrenzen der Europäischen Union zu sichern. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Freizügigkeit in der Europäischen Union nur dann gesichert und gewährleistet werden kann, wenn es uns tatsächlich gelingt, die Außengrenzen der Europäischen Union effektiv zu sichern. ({8}) Nur dann wird dies gelingen. Wenn dies nicht gelingt, werden wir immer wieder zu der Diskussion über die Sicherung nationaler Grenzen innerhalb Europas zurückkommen. Deshalb hat dies oberste Priorität. ({9}) Was können wir dazu tun? Zum Ersten gehört die Stärkung von Frontex dazu. Es gibt einen Vorschlag der Kommission. Bei einem Vorschlag darf es aber nicht bleiben, sondern er muss auch realisiert werden. Zum Zweiten gehören die Verhandlungen mit der Türkei dazu. Ich begrüße es - ich finde das auch zwingend notwendig -, dass mit der Türkei gesprochen und verhandelt wird. Erste Ergebnisse liegen auf dem Tisch. Es geht darum, dass die Flüchtlinge in der Türkei Arbeitsmöglichkeiten haben; es geht um die Rücknahme jener Menschen, die aus Drittstaaten wie der Türkei zu uns kommen, also darum, dass die Türkei diese Menschen zurücknimmt; es geht aber auch um die Visapflicht in Bezug auf die Herkunftsstaaten, um nur einige Punkte zu nennen. Die Verhandlungen dazu laufen. Ich wünsche den Verhandlungsführern dabei viel Erfolg. Wir wissen, dass dieses Problem ohne die Türkei nicht zu lösen ist. Wir wissen aber auch - das sage ich für die CSU-Landesgruppe ganz dezidiert -, dass dies nicht mit der Frage eines möglichen Beitritts der Türkei zur Europäischen Union zusammenhängen darf; das kann nicht am Ende stehen. ({10}) Daneben sind aber auch nationale Maßnahmen notwendig. Wir haben eine ganze Menge auf den Weg gebracht: das Asylpaket I und jetzt auch das Asylpaket II wir werden es in dieser Woche in erster Lesung beraten, und nächste Woche steht sein Abschluss bevor - mit Maßnahmen, die dazu dienen können, die Flüchtlingszahlen zu begrenzen. Das ist zwingend notwendig; denn die Aufnahmekraft, die Integrationskraft unseres Landes ist an der Grenze angelangt. Deshalb sind im Übrigen auch die Bemühungen in Europa wichtig. Es geht darum, die Zahlen zu reduzieren. ({11}) Als Ergänzung zu Asylpaket I und Asylpaket II muss ich aber auch sagen: Es reicht nicht, nur die Gesetze zu verabschieden, sondern die verabschiedeten Gesetze müssen auch angewandt werden. ({12}) Da haben wir noch ein bisschen zu tun, insbesondere in den Bundesländern. ({13}) Es kann nicht angehen, dass wir Erleichterungen bei der Abschiebung beschließen und die Bundesländer, die dafür zuständig sind, diese Erleichterungen dann nicht annehmen und das, was beschlossen ist, nicht umsetzen, meine Damen und Herren. ({14}) Das hat auch mit dem Thema Rechtsstaat zu tun. ({15}) Es ist Ausfluss des Rechtsstaates, dass man sich so verhalten muss, wie es die Gesetze, die beschlossen wurden, vorsehen. ({16}) Zu diesen nationalen Maßnahmen gehört auch die Änderung bei der Anerkennung im Hinblick auf sichere Herkunftsstaaten. Volker Kauder hat schon deutlich darauf hingewiesen, welche positiven Auswirkungen die entsprechende Änderung bezüglich der Westbalkan-Staaten hatte. Es nützt uns nichts, wenn das, was auf den Weg gebracht wurde, was von der Bundesregierung auch schon beschlossen wurde, nicht auch schnell umgesetzt wird. Wir könnten die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten genauso zügig umsetzen, wie wir es beim Asylpaket II tun. Ich bedaure sehr, dass unser Koalitionspartner dazu nicht in der Lage war ({17}) und dass die Grünen jetzt schon einen Preis dafür haben wollen. ({18}) Wenn es uns mit der Reduzierung der Flüchtlingszahlen ernst ist, dann müssen wir diese Änderung so schnell wie möglich umsetzen, ({19}) und wir dürfen sie nicht irgendwohin schieben. ({20}) Es wäre auch hilfreich - nicht nur für das Klima in der Koalition, sondern auch für die Sache -, ({21}) wenn Äußerungen von Unionsministerpräsidenten, im Besonderen von dem aus Bayern, nicht falsch interpretiert ({22}) und die falschen Interpretationen dann auch noch in diesem Haus vom Koalitionspartner wiederholt würden, meine Damen und Herren. ({23}) Das dient nicht der Lösung des Problems. ({24}) Wir sollten alle Kraft daransetzen, die Probleme zu lösen; dazu sind wir da. Das Problem ist viel zu ernst, um sich an irgendwelchen Begriffen aufzuhängen. ({25}) Wir sollten ernsthaft an der Lösung der Probleme arbeiten. Das sind wir den Menschen in unserem Land schuldig. ({26})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es gibt gerade ein bisschen Erregung wegen der Zeitüberschreitung. Aber das wird bei den beiden nächsten Rednern der CDU/CSU-Fraktion angerechnet. ({0}) Insofern können alle entspannt bleiben. Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion! Vor genau zwei Jahren, am 17. Februar 2014, hat Wladimir Putin einen Vertrag mit dem ukrainischen Präsidenten Janukowytsch über eine ukrainisch-russische Partnerschaft unterschrieben. Nebenbei wurden 3 Milliarden Dollar Kredit ausgezahlt, 12 weitere Milliarden wurden versprochen. Das ist gerade einmal zwei Jahre her. Wenn man wie Herr Kauder vom Schicksalsjahr 2016 spricht, sollte man vielleicht einen Blick zurück in die nahe Vergangenheit werfen. Angesichts der Herausforderung, die sich seitGerda Hasselfeldt dem beispielsweise in der russischen Politik in unserer Nachbarschaft zeigt - Herr Kauder hat eindrucksvoll dargestellt, was Sie davon halten, was in Syrien unter russischem Einsatz passiert -, sollte man sich überlegen: Wird Europa dieser Herausforderung wie auch anderen Herausforderungen eher mit Großbritannien oder eher ohne Großbritannien gerecht? Wir sollten uns aber auch überlegen, ob wir der Herausforderung, die beispielsweise die russische Politik in unserer Nachbarschaft oder in Syrien bedeutet, eher gerecht werden, wenn wir den Glauben daran vermitteln, dass wir, die Europäische Union und Deutschland, in dieser Flüchtlingskrise zusammenstehen können und das schaffen, oder wenn wir den Eindruck erwecken, eine Regierung zu haben, die zerfasert, auseinanderfällt und immer mehr zum Vorlagengeber für all diejenigen wird, die nicht mehr den Glauben haben und ihn auch nicht haben wollen, dass Europa in dieser Situation zusammenstehen kann. Das ist doch das, was Europa letztlich gefährdet und was Herrn Putin stark macht. ({0}) Wenn man von einem Unrechtsstaat redet oder wenn Gefahr droht, dass die europäischen Werte beispielsweise bei Maßnahmen, die mit der Türkei vereinbart werden, nicht mehr durchgehalten werden können, wird das Europa sehr in seinem Kern treffen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Schwäche sowohl im Inneren wie im Äußeren zu einer ernsthaften Gefährdung werden wird. Deswegen ist mein Appell an Sie wie auch an alle anderen: Ob in der Diskussion um die Referendumskampagne in Großbritannien oder in der Debatte in Ihrer Partei über den richtigen Weg in der Flüchtlingskrise vergessen Sie nicht, dass das Werben für die europäische Lösung, das Werben für den Zusammenhalt in Europa, das Werben für das gemeinsame Projekt der Weg ist, der überzeugt, und lassen Sie davon ab, so zu tun, als wäre ein Rückfall in nationale Lösungen der Weg. Über Einigkeit, Herr Kauder, freue ich mich, aber ich erwarte eigentlich von Ihrer Partei, dass Sie Ihrer Verantwortung in Europa auch insofern gerecht werden, als ein Zweifel, ob Deutschland hierzu eine klare Haltung hat, nicht aufkommen darf. Vielen Dank. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Gunther Krichbaum, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir sind für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union. Ich glaube, es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, dass wir dieses Land in der Europäischen Union halten. Es sind außenpolitische Erwägungen, sicherheitspolitische Erwägungen, aber sicherlich auch Erwägungen der Stabilität. Aber was man auch dazu sagen muss - bei dieser Debatte kommt es vielleicht ein wenig zu kurz -: Es ist vor allem für Großbritannien selbst von Vorteil, Mitglied in der Europäischen Union zu bleiben. Am Ende des Tages müssen die Briten selbst darüber entscheiden. Aber was hieße es denn, aus der Europäischen Union auszuscheiden? Von heute auf morgen würde ein Land den freien Zugang zum Binnenmarkt verlieren. Das bedeutet in der Konsequenz, dass man alle Güter bzw. Waren, die man in die Europäische Union, in den Binnenmarkt hineinexportieren möchte, neu zertifizieren lassen muss. Das kostet Geld. Was Geld kostet, kostet Wettbewerbsfähigkeit, und was Wettbewerbsfähigkeit kostet, kostet am Ende auch Jobs. Es gibt dann die Möglichkeit - Modell Schweiz -, einseitig den Acquis communautaire zu akzeptieren. Das geschähe aber natürlich zu dem Preis, diesen nicht mehr mitgestalten zu können. Es mag ja sein, dass das im Falle der Schweiz funktioniert, aber beim drittgrößten Mitgliedsland der Europäischen Union funktioniert das sicherlich nicht. Das wird an einem Beispiel deutlich: an der Finanzmarktregulierung. Würde Großbritannien aus der Europäischen Union ausscheiden, käme es aller Wahrscheinlichkeit nach sehr schnell zu strengeren Regeln auf den Finanzmärkten. Großbritannien könnte diese dann akzeptieren oder eben auch nicht. Auch das steht in Großbritannien am Ende zur Entscheidung. Das Land selber muss darüber befinden, ob es tatsächlich einen Vorteil aus dem Austritt hat. Ganz nebenbei: Die Ursache dafür, dass wir überhaupt über dieses Referendum reden, ist eine ganz andere. Es war Cameron, der zunächst versuchte, parteiinterne Kritiker - Liam Fox, Bill Cash und wie sie alle heißen - und natürlich auch die UKIP zu besänftigen. Gelungen ist das nur sehr begrenzt. Deswegen wählte er in seiner ersten Bloomberg Speech dieses Referendum als Ventil. Ich glaube, es ist nicht die Zeit, in eine Art Rosinenpickerei zu verfallen. Dieses Europa ist keine Multiple-Choice-Veranstaltung. Deswegen: Ein Sonderweg Großbritanniens darf nicht der Weg für die Europäische Union werden. Das würde uns nicht stärken, sondern schwächen. ({0}) Wir stehen noch - aber auch das ist die Entscheidung von Großbritannien - vor einer weiteren Frage. Unsere schottischen Kollegen sagen uns nämlich: Würde Großbritannien aus der Europäischen Union ausscheiden, dann würden wir das Unabhängigkeitsreferendum von heute auf morgen erneut auf den Tisch legen. - Deswegen sage ich es mit einem Satz: Die Europäische Kommission darf in den Verhandlungen sehr selbstbewusst auftreten; denn Großbritannien hat am Ende des Tages sehr viel zu verlieren. - Aber noch einmal: Es ist die Entscheidung der Bürger selbst. Ein letztes Wort natürlich zu den Flüchtlingen. Ich glaube, gerade bei dem jetzt bevorstehenden Gipfel kommt es sehr stark darauf an, ob wir als Europa imstande sind, hier mit einer Stimme zu sprechen. Es geht eben nicht nur um die Frage der Flüchtlinge, sondern auch darum, ob unsere europäische Idee, die Idee der Solidarität, weiterleben kann. Dabei kommt es entscheidend auf uns - auch im Deutschen Bundestag - an und darauf, ob wir die Problemlösungskompetenz besitzen oder ob die Bürger meinen, sie müssten deswegen eine andere Partei wählen. Nein, in die deutschen Parlamente darf nie wieder eine Partei mit einem derart völkischen Gebaren einziehen, wie es die AfD verkörpert. ({1}) Um eines klar und deutlich zu sagen: Die Menschen an der deutschen Grenze zu erschießen, ist und bleibt keine Alternative für Deutschland. Vielen Dank. ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Letzter Redner in der Aussprache ist der Abgeordnete Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist vor diesem Europäischen Rat und in der Situation, in der er stattfindet, in keiner guten Lage. Außenminister Steinmeier hat am vergangenen Wochenende davon gesprochen, dass Europa ein gefährliches „Krisengebräu“ umgibt. Ich glaube, dass diese Darstellung durchaus richtig ist. Von außen drohen uns Gefahren, und es gibt einen Krisenbogen um Europa; aber auch im Innern gibt es große Probleme. Es herrscht Uneinigkeit, und für viele Problemstellungen der Zeit haben wir nicht die richtigen Lösungsmechanismen. Zu den Verhandlungen über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union ist schon einiges gesagt worden. Ich glaube, es geht in der Tat um viel mehr. Es geht um die Frage der Strahlkraft der Gemeinschaft. Es geht um die Bindungswirkung. Es geht um die Attraktivität Europas. Es geht nicht zuletzt darum, ob die Europäische Union glaubwürdiger Akteur auf der Weltbühne bleibt oder eben nicht. Da sind einige wesentliche Punkte zu benennen. Die Briten haben die größte und stärkste Armee in Europa. Sie stellen 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der europäischen Wirtschaft. Darüber hinaus kommen sie, wie ich finde, mit guten Argumenten. Als Beispiele nenne ich die Frage der Subsidiarität, in der Europa durchaus Nachholbedarf hat, und die Frage der Wettbewerbsfähigkeit. Es geht darum, dass wir uns nicht an europäischem Mittelmaß orientieren, sondern die Weltspitze Benchmark für unsere Politik ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht auch darum, dass wir in der wichtigsten Frage, nämlich der Bewältigung der Flüchtlingskrise, glaubwürdig bleiben. ({0}) Die Frage ist, ob wir es schaffen, in der Krise beisammenzustehen und uns nicht entzweien, wenn es schwierig wird. Wir müssen auf der Basis einer gemeinsamen Haltung dafür sorgen, die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, zu verringern und die Außengrenzen zu sichern. Auf dieser Basis müssen wir weiterkommen. Ich glaube, dass sich die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Treffen in Brüssel bewusst sein müssen, dass die Zeit drängt, dass wir zügige Lösungen benötigen, um tatsächlich vorwärtszukommen. Es geht dabei um nichts Geringeres als um die Glaubwürdigkeit der Union und um die Frage, ob wir Solidarität als bestimmendes Merkmal einer Gemeinschaft tatsächlich leben. Solidarität in Europa gilt eben nicht nur bei der Bewältigung von Staatsschuldenkrisen. Solidarität in Europa gilt nicht nur nach Terroranschlägen. Solidarität in Europa gilt auch dann, wenn es um die Bewältigung der Folgen von Kriegen und Bürgerkriegen um Europa he rum und um internationale Wanderungsbewegungen geht. Dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss man im Blick behalten, dass es nicht nur um Zahlungen aus Strukturfonds geht, dass es nicht nur darum geht, Waren möglichst ohne Grenzen exportieren zu können, sondern dass es letztlich um unsere Werte, um unsere Art, zu leben, um die Freiheit auf dem Kontinent und darüber hinaus geht. Das sollte doch dazu beitragen, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, wenn wir wissen, dass wir in der Zielsetzung einig sind. Klar ist auch, dass man dann, wenn es auf dieser Basis nicht gelingt, zu Lösungen zu kommen, auch über Alternativen nachdenken muss. Da sollte jeder wissen, was auf dem Spiel steht. In diesem Sinne geht es in Brüssel um viel. Wir können unserer Bundeskanzlerin bei der Bewältigung dieser Aufgaben nur viel Glück und Erfolg wünschen. Herzlichen Dank. ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über drei Entschlie- ßungsanträge der Fraktion Die Linke und stimmen zuerst über den Entschließungsantrag auf Drucksache 18/7543 ab, für den namentliche Abstimmung verlangt wurde. Danach gibt es noch zwei weitere Abstimmungen. Nur die erste Abstimmung ist namentlich. Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne damit die Abstim- mung. Sind noch Mitglieder des Hauses anwesend, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.1) Wir setzen nun die Abstimmungen über die Entschlie- ßungsanträge der Fraktion Die Linke fort. Entschließungsantrag auf Drucksache 18/7544. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Zustimmung durch die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt. Entschließungsantrag auf Drucksache 18/7545. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Keiner. Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen bei Zustimmung der Fraktion Die Lin- ke abgelehnt. Ich muss Ihnen noch mitteilen, dass zur namentlichen Abstimmung verschiedene Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages vorliegen.2) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- binettssitzung mitgeteilt: Vierter Bericht zur Tragfä­ higkeit der öffentlichen Finanzen. Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bun- desminister der Finanzen, Herr Dr. Wolfgang Schäuble. - Bitte, Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat in ihrer Kabinettssitzung heute Vor- mittag den Bericht des Bundesfinanzministers über die Tragfähigkeit unserer öffentlichen Finanzsysteme zur Kenntnis genommen. Wir haben seit 2005 die Übung, dass wir einmal in der Legislaturperiode einen solchen Tragfähigkeitsbericht erstellen, der für den öffentlichen Gesamthaushalt - also Bund, Länder und Kommunen plus die gesetzlichen Sozialversicherungen - mit der Per- spektive auf das Jahr 2060 unter Berücksichtigung der absehbaren Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und bei Unterstellung, dass die gesetzlichen Rahmenbe- dingungen nicht verändert werden, ausweisen soll, wie sich dieser öffentliche Gesamthaushalt entwickelt. Je nachdem, welche wirtschaftliche Entwicklung und welche Entwicklung beim Lebensalter man unterstellt, ergibt sich nach den Berechnungen der unabhängigen Wissenschaftler, dass wir bis 2060 eine auf den angespro- chenen Annahmen basierende Tragfähigkeitslücke von 1) Ergebnis Seite 15155 C 2) Anlage 2 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis zu 3,8 Prozent im ungünstigsten Fall, also bei einer stärkeren Steigerung der Lebenserwartung oder bei einem geringeren gesamtwirtschaftlichen Wachstum, haben können. Der Bericht ist insofern ein Frühwarnsystem mit Blick auf den Handlungsbedarf, den wir im Gesamtbereich der Finanz- und Sozialpolitik sowie der Wirtschaftspolitik haben. Er weist auch aus, dass es eine Reihe von Stellschrauben gibt, mit denen wir rechtzeitig diesen Entwicklungen gegensteuern können. Ich will im Vergleich zum letzten Tragfähigkeitsbericht 2011 zwei Elemente nennen. Auf der einen Seite hat unsere Finanz- und Haushaltspolitik mit dem erfreulichen Ergebnis, dass wir seit 2014 keine Neuverschuldung im Bundeshaushalt mehr haben - eine ähnliche Entwicklung ist in Ländern und Kommunen zu beobachten -, erreicht, dass die Tragfähigkeitslücke nicht größer geworden ist, obwohl bei allen Annahmen das Rentenpaket 2014 und eine wahrscheinlich zutreffende, genauere Modellierung der zu erwartenden Entwicklung in der Pflegeversicherung im Hinblick auf die Tragfähigkeitslücke zusätzlich 0,6 Prozentpunkte ausmachen. Trotzdem hat sich die Lücke nicht vergrößert. Das zeigt: Wir können mit einer konsequenten Finanz- und Haushaltspolitik gegensteuern. Es gibt eine Reihe von Stellschrauben, an denen wir drehen können. Die wichtigste Stellschraube ist die strukturelle Erwerbsbeteiligung, also Bekämpfung von Dauerarbeitslosigkeit, Frauenerwerbstätigkeit und - ganz entscheidend - Lebensarbeitszeitverlängerung. Jedes Jahr, um das die Lebensarbeitszeit verlängert wird, verringert die Tragfähigkeitslücke langfristig ganz enorm. Darüber hinaus müssen wir auf die Kosteneffizienz in den sozialen Sicherungssystemen achten. Das ist ein wesentlicher Punkt, genauso wie die Finanz- und Haushaltspolitik. Das sind die wesentlichen Stellschrauben, die wir berücksichtigen können und die auch im Bericht im Einzelnen ausgewiesen werden. Der Bericht weist außerdem aus, dass wir insbesondere jetzt ein Window of Opportunity, das heißt die Gelegenheit zum Handeln, haben, wo die geburtenstarken Jahrgänge noch im Erwerbsleben stehen. Diese Gelegenheit wird sich Ende des kommenden Jahrzehnts dramatisch reduzieren. Deswegen ist der Handlungsbedarf nicht erst in die Jahre kurz vor 2060 zu schieben. Vielmehr müssen wir in dieser Legislaturperiode und in den nächsten Legislaturperioden entsprechend gegensteuern. Jetzt besteht dazu Gelegenheit, wo die geburtenstarken Jahrgänge noch im Erwerbsleben stehen. Insgesamt gibt der Bericht keinen Anlass zur Panik. Aber er sollte uns Anstoß zu einem energischen, zielgerichteten Handeln sein. Vielen Dank. ({0}) Vizepräsident Peter Hintze

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herzlichen Dank, Herr Bundesminister. - Erster Fragesteller ist der Kollege Dr. Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Tobias Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004217, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Minister, für Ihren Bericht. - Sie haben eben in einem sehr freundlichen Ton davon gesprochen, dass man die Effizienz in den sozialen Sicherungssystemen erhöhen müsse. Mir ist dabei schlagartig die Frage nach der Finanzierung der geänderten gesetzlichen Grundlagen der Rentenversicherung zu Beginn der Legislaturperiode - ich nenne als Stichwort die Rente mit 63 - eingefallen. Die Erkenntnis ist nicht neu, dass zum Beispiel die Rücklagen in der Rentenkasse in den kommenden Jahren aufgebraucht sein müssten. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie als Finanzminister daraus? Würden Sie die gesetzlichen Änderungen, die getroffen worden sind, eher rückgängig machen, oder würden Sie eine andere Finanzierung wählen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Kollege Lindner, die Antwort ist sehr einfach. Der Koalitionsvertrag hat sich in allen Teilen als ein sehr gutes Instrument erwiesen, um in dieser Legislaturperiode solide Haushaltspolitik zu betreiben. Deswegen hat der Finanzminister großes Interesse daran, in jedem Punkt auf der Einhaltung des Koalitionsvertrags zu bestehen. Das gilt auch für die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen. Alle Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag nicht als vorrangiger Bedarf ausgewiesen sind, müssen aus den jeweiligen Einzelhaushalten finanziert werden. Deswegen kann ich Ihre Frage nur damit beantworten, dass ich zu allen Teilen des Koalitionsvertrags stehe.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Fragestellerin ist Frau Dr. Lötzsch, Fraktion Die Linke.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister Schäuble, mein Vorredner von den Grünen hat nach der Effizienz des Sozialsystems gefragt. Ich frage nach der Effizienz des Steuersystems. Wäre es nicht angesichts des Erfordernisses, die öffentlichen Haushalte gut zu finanzieren, wichtig, unser Steuersystem effizient zu gestalten? Wir haben die Situation, dass große Vermögen in immer weniger Händen konzentriert sind. Und wir haben die Situation, dass in diesem und in den kommenden Jahren sehr große Erbschaften gemacht werden. Wäre es nicht die beste Idee, Herr Minister Schäuble, die Vermögensteuer anzuheben und eine ordentliche Erbschaftsteuer einzuführen, um unser Finanzsystem auf ordentliche Füße zu stellen? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin Lötzsch, ich bin anderer Ansicht als Sie, was Sie nicht überraschen wird. Ich glaube, dass wir bei dem Steuersystem und insgesamt in der Politik darauf achten müssen, dass wir die Voraussetzungen für ein nachhaltiges Wachstum unserer Wirtschaft erhalten. Das ist ein zentrales Anliegen der gesamten Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht nur der Bundesregierung; darum muss man auch in Europa wieder und wieder kämpfen. Bei jeder steuerpolitischen Entscheidung, insbesondere bei jeder Entscheidung in Bezug auf Substanzsteuern, muss man sehr genau bedenken: Wie wirkt sich das angesichts der Mobilität von Kapital, Investitionen, Arbeitsplätzen in der globalisierten Welt auf die Rahmenbedingungen, auf die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land, auf die Investitionsbereitschaft aus? Die Kanzlerin hat vorhin liebenswürdigerweise meine Bemerkung von dem „Rendezvous mit der Globalisierung“ zitiert. Das erleben wir in der Steuer- und Finanzmarktpolitik natürlich genauso wie in anderen zentralen Bereichen. Wir können viele Entscheidungen nur noch zielführend treffen, wenn wir deren Auswirkungen auf die Verlagerung von Investitionen im Blick haben. Weitere Substanzbesteuerungen würden im Zweifel zu weniger Investitionen, zu weniger Wachstum, zu weniger Beschäftigung, zu weniger Steuereinnahmen sowie zu höheren Schulden und zu weniger sozialer Sicherheit führen. Deswegen halten wir die Politik für falsch. ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Kindler, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr Minister Schäuble, Sie haben auch den Dritten Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen angesprochen, der 2011 noch während der großen Finanzkrise aufgestellt wurde. Es gibt eine Fortschreibung dieses Berichts aus Ihrem Haus von 2014, wonach das ungünstigste Szenario ein Schuldenstand von 180 Prozent im Jahr 2060 ist. Jetzt haben wir 220 Prozent. Das ist eine Zunahme um 40 Prozent zwischen der Fortschreibung des Dritten Berichts und Ihrem Bericht jetzt, also eine deutliche Verschlechterung. Andererseits haben Sie sich trotzdem für eine gute Haushalts- und Finanzpolitik gelobt bzw. gesagt, das sei ein Teil dessen. Das macht auch der Bericht. Ich würde sagen, das hängt viel mit der EZB-Politik und den Zinsen sowie den guten Steuereinnahmen zusammen. Können Sie einmal sagen, was Sie im Haushaltsbereich konkret gemacht haben, wenn Sie energisch anpacken wollen? Wo haben Sie zum Beispiel Subventionen abgebaut? Laut Umweltbundesamt belaufen sich die Subventionen auf mehr als 52 Milliarden Euro jedes Jahr. Diese sollen abgebaut werden. Bisher ist noch nichts passiert. Wo wollen Sie denn ernsthaft an den Subventionsabbau im Bundeshaushalt herangehen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Kindler, wir haben ja schon ein paar Haushaltsdebatten geführt. Der letzte Tragfähigkeitsbericht ist von 2011, und der jetzige ist vom Februar 2016. Wie ich vorher ausgeführt habe, hat sich die Tragfähigkeitslücke insgesamt gegenüber 2011 nicht vergrößert. Wir haben zwar, wie ich erwähnte, aus dem Rentenpaket und aus einer genaueren Modellierung der künftigen Entwicklung der Pflegeversicherung eine stärkere Lücke, haben das aber durch die Nullverschuldung in den vergangenen Jahren und die konsequente Finanzpolitik, die wir 2011 nur vorgezeichnet hatten, doch wieder ausgeglichen. Die Finanzpolitik der vergangenen Jahre war dadurch gekennzeichnet, dass wir das Ausgabenvolumen im Bundeshaushalt von 2010 bis einschließlich 2015 nicht erhöht haben. Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt noch nicht gegeben. Das war aber schon angelegt, als wir gesagt haben, dass wir die Ausgaben so lange nicht erhöhen werden, bis wir kein Defizit mehr haben, und dass wir erst parallel zum Anstieg der Einnahmen die Ausgaben wieder erhöhen werden. Das machen wir im Jahr 2016. Wir haben in derselben Zeit die Ausgaben für Bildung und Forschung im Bundeshaushalt um 60 Prozent gesteigert. Es sind also nicht nur die geringeren Zinsen, die zu Buche schlagen. Die Zinsausgaben sind in der Tat geringer geworden. Im Entwurf für 2010, den ich vorgefunden habe, als ich das Amt im Herbst 2009 übernommen habe, fand sich noch ein Defizit von 86 Milliarden Euro. Im Jahr 2014 sind wir dann auf null gekommen. 2014 waren die Zinsausgaben 4 Milliarden Euro weniger als 2010. Das erklärt also nicht die Differenz von 86 Milliarden Euro. Wir haben klare Prioritäten gesetzt. Wir haben in dieser Legislaturperiode die Ausgaben für die Infrastruktur - Straße, Schiene, Wasserstraße, Luftverkehr und Netzinfrastruktur - erheblich erhöht. Wir haben die Leistungen für die Kommunen wesentlich aufgestockt, und wir haben in anderen Bereichen Leistungen nicht erhöht. Das ist der Schlüssel für den Erfolg dieser Finanzpolitik.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Claus, Fraktion Die Linke.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Finanzminister, ich will Sie fragen, wie Sie den Kritiken begegnen, die im Zusammenhang mit Ihrem Bericht heute öffentlich geworden sind. Im Kern wird Ihnen unterstellt, es handle sich hier um ein durchsichtiges Manöver unmittelbar vor der Aufstellung des Haushalts für 2017 - ich will daran erinnern, dass der Bericht ursprünglich schon im Oktober des vergangenen Jahres vorgetragen werden sollte -, um den Spardruck auf die Ressorts zu erhöhen. Um eine dieser Kritiken herauszugreifen, zitiere ich Ihren Koalitionspartner, wenn Sie gestatten: Dass der Bundesfinanzminister den 4. Tragfähigkeitsbericht nutzt, um mit gespielter Besorgnis vor allem die Ideen der sozialdemokratischen Ressorts einzuhegen, ist ein sehr durchsichtiges Spiel. So der Abgeordnete Johannes Kahrs. Ich hätte schon erwartet, dass Sie auf die Kritiken eingehen, Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Der Abgeordnete Kahrs hat in der letzten Haushaltsdebatte - die liegt so lange noch nicht zurück; die war Ende November - von diesem Pult aus - ich habe sehr sorgfältig zugehört, wie Sie, Herr Kollege Claus, im Zweifel auch - sehr klar gesagt, dass die Politik der Nullverschuldung absolut richtig ist und dass er sie zu 100 Prozent unterstützt. Er hat zwischendurch den Eindruck erweckt, als habe er sie erfunden. Ich habe in der Koalition nie einen Streit um das Copyright geführt, weil ich das albern finde. Ich teile da die Ermahnung von Herrn Kauder: Wenn man eine Koalition macht, muss man den gemeinsamen Erfolg wollen. ({0}) Im Übrigen trifft mich die Kritik gar nicht so sehr. Ich habe gerade hier gesagt: Wir müssen nicht in Panik ausbrechen wegen dieses Berichts, aber wir sollten ihn als Mahnung zu zielgerichtetem Handeln auffassen. Aber die Tatsache, dass wir im vergangenen Jahr durch einige glückliche Sonderumstände einen Überschuss erzielt haben, ist von manchen in der Öffentlichkeit, auch im Parlament - ich glaube, nicht in der Regierung, aber man weiß es nie ganz genau - dahin gehend missverstanden worden, man hätte jetzt Spielräume. Der Überschuss wird durch die Entwicklungen in der Flüchtlingsfrage mehr als aufgebraucht werden. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung heute sehr genau beschrieben, wozu wir ihn nutzen. Wir nutzen ihn nicht nur zur Erhöhung der Leistungen an die Kommunen. Wir bezahlen für jeden Flüchtling vom ersten Tag der Registrierung bis zum Abschluss des Verfahrens 670 Euro monatlich. Dazu gibt es die Spitzabrechnung im Jahr 2017. Das wird eine teure Veranstaltung. Wir finanzieren - die Kanzlerin hat es erwähnt - den Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, das UN-Welternährungsprogramm, die Türkei-Hilfe und weitere bilaterale Hilfen, weil es die Politik der Bundesregierung ist, die Finanzmittel konzentriert dafür einzusetzen, dass die Regionen, aus denen die Flüchtlinge heute fliehen müssen, so stabilisiert werden, dass nicht mehr so viele Flüchtlinge nach Europa kommen. Damit entlasten wir auch ein Stück weit die schwierigen Beratungen im Europäischen Rat. Aber wenn das so ist, muss der Finanzminister in der Tat mahnen, dass für anderes nicht mehr viel Geld vorhanden ist. Das ist die Realität. Sven­Christian Kindler

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, mit dem Tragfähigkeitsbericht liegt uns sicherlich ein Dokument vor, in dem ehrlicherweise deutlich wird, dass mit dem Thema „ausgeglichener Haushalt“ die Aufgaben für die öffentlichen Finanzen bei weitem nicht erledigt sind. Wenn man dann einsteigt und sieht, dass wir demografiebedingt eine Tragfähigkeitslücke haben - es kommt ja darauf an: was ist die analytische Grundlage? -, dann erkennt man: Möglicherweise ist auch die Perspektive der Finanzsituation in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern - ich betone jetzt: Perspektive - vergleichsweise nicht gut. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen: Was halten Sie eigentlich für das richtige Zeitfenster - setzen wir die Lücke einmal bei 2,5 bis 3 Prozent von unserem Bruttoinlandsprodukt an; auch Sie haben eine entsprechende „range“ angegeben -, diese Tragfähigkeitslücke zu schließen? Ich meine, das müsste eher schneller als langsamer geschehen, weil wir eine enorm günstige Beschäftigungslage haben und demografiebedingt viele Menschen im aktiven Arbeitsleben stehen. Das heißt, eigentlich muss man versuchen, die Tragfähigkeitslücke von Ende dieses Jahrzehnts bis Mitte des nächsten Jahrzehnts zu schließen. Können Sie mir einmal sagen, in welchen Bereichen Sie einen relevanten Beitrag sehen wollen, zum Beispiel in den sozialen Sicherungssystemen? Zugegeben, was die öffentlichen Haushalte angeht: Den Kernhaushalt im engeren Sinne haben Sie ins Lot gebracht. Können Sie einmal aufzeigen, in welchen Bereichen Sie den größten Beitrag sehen wollen, um diese Lücke zu schließen, und bis wann dies geschehen soll?

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ein kurzer Verfahrenshinweis: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mich gerade gebeten, ich möge den Bundesminister darauf hinweisen, dass das Aufleuchten der roten Lampe bedeute, er solle aufhören, zu reden. Das gilt natürlich auch für die Fragesteller; wenn ich das der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mal liebevoll zurückmelden darf. Also: Beide bemühen sich um die vereinbarte Prägnanz und Kürze. Herr Bundesminister.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident, ich bedanke mich. So liebenswürdig bin ich selten auf die Einhaltung der Redezeit aufmerksam gemacht worden. Frau Kollegin Hajduk, ich habe gesagt: Der Tragfähigkeitsbericht weist aus, dass wir jetzt ein Window of Opportunity haben, weil wir eine günstige Beschäftigungslage haben, weil die geburtenstarken Jahrgänge noch im Erwerbsleben sind. Das wird sich erst Ende des kommenden Jahrzehnts - das habe ich ausgeführt - ändern. Deswegen stimme ich mit Ihnen überein: Wir sollten die nächsten Legislaturperioden dazu nutzen. Sie werden von mir aber nicht erwarten können - das läge nun wirklich nicht im Rahmen meiner Zuständigkeit -, dass ich Ihnen jetzt ein Regierungsprogramm für die nächsten Legislaturperioden im Rahmen der Regierungsbefragung über den Tragfähigkeitsbericht vorstelle. Der Tragfähigkeitsbericht weist aus, dass jede kommende Regierung, übrigens auch in den Bund-Länder-Verhandlungen, darauf achten muss, dass die Systeme auch anreizgerecht sind, damit die Lücke nicht zu groß wird. Im Übrigen liegt die Differenz zwischen 1,2 Prozent und 3,8 Prozent.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Wunderbar. - Das bezieht sich jetzt nicht auf die Lücke, sondern auf die Einhaltung der Redezeit. Nächster Fragesteller: Kollege Dr. Troost, Fraktion Die Linke.

Dr. Axel Troost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003857, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Herr Minister, ich möchte erst einmal zum Ausdruck bringen, dass ich es für eine Zumutung halte, dass wir über einen Bericht diskutieren, der uns nicht vorliegt, den wir nicht kennen, der, was die Modellierung betrifft, natürlich davon lebt, welche Annahmen in ihn eingeflossen sind. Insofern muss man wirklich überlegen, wie man die Diskussion dann, wenn wir Kenntnis haben, fortsetzen kann. ({0}) Vor dem Hintergrund, dass wir in vielen Fällen nicht wissen, was in den nächsten zwei, drei Jahren passiert, wie sich die Konjunktur entwickelt, wie es mit den Flüchtlingen weitergeht und, und, und - bekanntlich kann jeder mit Excel einen Trend auf einen Zeitraum von 20, 30 oder 40 Jahren verlängern und kommt zu irgendeinem Ergebnis -, möchte ich gerne erfahren, was Sie in der Frage der Zuwanderung modelliert haben. Ich habe gehört, einmal geht man von 100 000 Zuwanderern pro Jahr aus, alternativ von 200 000. Wie sieht es aus, wenn es 300 000 Zuwanderer sein werden? Ich möchte an die Frage von Frau Lötzsch anknüpfen. Ich denke dabei gar nicht an eine konkrete Steuer oder an die Frage: Sozialversicherung, Bürgerversicherung oder vieles andere mehr. - Es ist doch unwahrscheinlich, dass man einfach unterstellt: In den nächsten 40 Jahren wird sich an diesen Systemen nichts verändern lassen, um auf eventuell entstehende Lücken reagieren zu können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Troost, was Ihren Vorwurf der Zumutung anbetrifft: Das kann ich nicht akzeptieren. ({0}) Das Kabinett hat diesen Bericht heute zur Kenntnis genommen. Bevor ihn das Kabinett nicht zur Kenntnis genommen hat, kann der zuständige Bundesminister einen solchen Bericht auch nicht dem Parlament zustellen. Das kann er erst hinterher tun. Da die Regierungsbefragung unmittelbar nach der Kabinettssitzung stattfindet, liegt es im System, dass zu dieser Stunde der Bericht dem Parlament nicht vorliegen kann. Ich bitte, den Vorwurf der Zumutung ausdrücklich zurückzunehmen. - Punkt eins. Punkt zwei. Es ist ein Bericht, der von Wissenschaftlern mit bestimmten Annahmen erstellt wird. Bei der Demografie gibt es unterschiedliche Varianten: Der Anstieg der Lebenserwartung fällt einmal ein bisschen stärker und einmal ein bisschen schwächer aus. Beim Arbeitsmarkt ist die Flüchtlingszuwanderung noch nicht berücksichtigt. Man hat gesagt: Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt nicht, wie die Vor- und Nachteile der Zuwanderung sind; das hängt mit der Integration zusammen. Das haben wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht berechnen können. - Ich werfe das den Wissenschaftlern auch nicht vor. Bei der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht es um die Frage der totalen Faktorproduktivität ab 2020. Die kann mehr oder weniger stark ausfallen. Das alles weist der Bericht aus. Daraus ergeben sich die verschiedenen Varianten. Das ersetzt nicht das politische Handeln. Dieser Bericht hat den Sinn, eine langfristige Perspektive zu geben - als einen Rahmen für die politischen Entscheidungen, die wir im demokratischen Prozess treffen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Fragestellung: die Abgeordnete Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, zur Tragfähigkeit von Sozialversicherungssystemen gehört, dass sie tatsächlich sozial absichern. In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, ob Sie sich im Bereich der Rente neben dem Rentenpaket auch die Entwicklung bei der Grundsicherung im Alter angeschaut haben. Es gibt durchaus die Annahme, dass die Rentenversicherung nicht armutsfest genug ist und dass dadurch die Kosten im Bereich der Grundsicherung steigen werden. Inwieweit ist diese Annahme bei Ihnen in die Tragfähigkeitsuntersuchung mit eingeflossen, und welche Konsequenzen werden Sie daraus ziehen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Die Annahme dieses Tragfähigkeitsberichtes ist - so ist das Regelwerk, das 2005 eingeführt worden ist; es war damals, glaube ich, eine rot-grüne Koalition, die das zum ersten Mal gemacht hat -, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen unverändert bleiben. Dass sich diese Bedingungen bis 2060 nicht ändern, ist nicht realistisch, aber man erstellt solche Langfristprognosen unter der Ceteris-paribus-Annahme; anders ist eine solche Modellrechnung nicht möglich. Deswegen untersucht dieser Tragfähigkeitsbericht nicht, wie sich das Rentensystem tatsächlich auf die soziale Lage auswirkt. Das ist eine Fragestellung, mit der sich regelmäßig der Rentenbericht befasst; den verantwortet federführend das Bundesarbeitsministerium. Der Tragfähigkeitsbericht hat die Aufgabe, zu ermitteln: Ergibt sich unter den erwartbaren, vorhersehbaren Entwicklungen, etwa Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur, bei den gegebenen Grundbedingungen Ceteris-paribus-Annahme - eine Tragfähigkeitslücke? Nicht mehr und nicht weniger!

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Pitterle, Fraktion Die Linke.

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, ich kenne den Bericht leider auch nicht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Aus den Gründen, die ich gerade erläutert habe.

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aus den Gründen, die Sie genannt haben. - Deswegen möchte ich nachfragen. Wir werden am Freitag die Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Cum-ex-Geschäften beschließen. Welche Annahmen liegen dem Bericht zugrunde, was Rückzahlungen im Zusammenhang mit diesen Cum-ex-Geschäften betrifft? Wie viele Millionen oder Milliarden Euro werden der Staatskasse als Rückzahlung im Zusammenhang mit solchen Geschäften zugutekommen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Pitterle, mit allem Respekt: Ich habe jetzt schon ein paarmal erklärt, was der Tragfähigkeitsbericht ist und was er nicht ist. Er ist auch keine Steuerschätzung. Über Cum-ex-Geschäfte werden wir lange diskutieren; der Untersuchungsausschuss wird es auch tun. Sie wissen, dass wir in der rechtlichen Aufarbeitung, sowohl finanzgerichtlich als auch strafrechtlich, erst ganz allmählich vorankommen. Das ist wahnsinnig kompliziert und aufwendig. Nichts davon geht in die Berechnungen dieses Tragfähigkeitsberichts ein.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Der Abgeordnete Dr. Murmann, CDU/CSU-Fraktion, ist der nächste Fragesteller.

Dr. Philipp Murmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Damit die Zahl der Fragesteller nicht völlig unproportional zu den Wahlergebnissen ist, möchte auch ich eine Frage stellen, ({0}) wobei mir klar ist, dass damit die Proportionalität nicht hergestellt werden kann. Sie haben gesagt, die Möglichkeit der Schließung der Tragfähigkeitslücke ergebe sich im Wesentlichen über die Demografie; das sei ein Element. Nun haben wir in Deutschland zum Glück viele junge Unternehmen, die an den Start gehen, die am Anfang aber erst noch durch eine Verlustphase gehen. Sie bemühen sich, diese Unternehmen zu stützen. Inwieweit sehen Sie denn die Möglichkeit, dass gerade ein kontinuierlicher Fluss durch junge Unternehmen und deren Finanzierung mit Wagniskapital in Zukunft zur Schließung dieser Tragfähigkeitslücke beitragen kann?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Ich habe ja eine der variablen Annahmen, die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Faktorproduktivität, angesprochen. Je stärker innovatorische Kräfte in unserer Wirtschaft wirken, umso stärker wird sich auch die Produktivität erhöhen, und damit wird die Tragfähigkeitslücke tendenziell geschlossen. Deswegen habe ich in der Antwort auf eine vorangegangene Frage schon darauf hingewiesen, dass wir von 2010 bis 2014, ohne dass die Ausgaben im Bundeshaushalt insgesamt gestiegen sind, die Ausgaben für Bildung und Forschung um über 60 Prozent erhöht haben. Auch das ist ein Beitrag. Die Politik, Wagniskapital stärker zur Unterstützung von Start-ups einzusetzen, werden wir konsequent fortsetzen, ebenso wie die Forschungsförderung.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Letzte Frage zu dem Thema der Befragung der Bundesregierung - danach können noch Fragen zu sonstigen Themen an die Regierung gestellt werden - noch einmal von der Abgeordneten Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gerne noch einmal zur Tragfähigkeit der Sozialversicherungssysteme kommen. In dem Bericht wird auch stehen, dass die Beitragsautonomie der Krankenkassen einen Beitrag dazu leistet, die Tragfähigkeit zu stärken. Im Moment bedeutet das aber lediglich eine Erhöhung der Zusatzbeiträge für die Arbeitnehmer. Sind Sie nicht der Meinung, dass es angesichts der guten Konjunktur an der Zeit wäre, im Sinne des Solidaritätsprinzips auch die Arbeitgeber einzubeziehen, um die Tragfähigkeit zu steigern und zu stabilisieren?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, es gilt Folgendes - das möchte ich auch anderen Kollegen gerne sagen -: Der Tragfähigkeitsbericht wird dem Parlament zugestellt und wird dann Anlass - das ist Sache des Parlaments - für vielfältige Diskussionen und Beratungen sein, so wie wir im Übrigen auch die Entwicklung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme immer wieder parlamentarisch beraten und übrigens auch gesetzgeberisch gestalten. Für den Tragfähigkeitsbericht als solchen ist die Frage, wie das Beitragsaufkommen der gesetzlichen Krankenversicherung entsteht - ob durch die Arbeitgeber, durch die Arbeitnehmer oder sonst wie -, irrelevant. Wenn es ein Bundeszuschuss ist, ist es natürlich nicht irrelevant; dann beeinflusst es die Lücke. Der Tragfähigkeitsbericht behandelt Ihre Frage also nicht, weil sie irrelevant ist. Das soll Sie aber nicht daran hindern, in anderen Debatten - über die Gestaltung des Gesundheitswesens zum Beispiel - über diese Frage kräftig zu streiten.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Danke schön. - Wir kommen jetzt zu den Fragen zu sonstigen Themen der Kabinettssitzung. Dazu gibt es eine Wortmeldung, und zwar vom Abgeordneten Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, das ist eine Frage, die vor allen Dingen das Innenministerium betrifft. Deshalb will ich Herrn Krings vorwarnen. Ich weiß nicht, wer die Frage für die Regierung am Ende beantworten wird. Die Europäische Kommission hat am 10. Februar dieses Jahres eine Kommunikation der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Implementierung der prioritären Aktionen auf der Europäischen Migrationsagenda zugeleitet. Dabei wird die Frage erörtert: Was ist ein sicherer Drittstaat? Die Europäische Kommission geht davon aus, dass ein sicherer Drittstaat auch ein Staat sein könnte, der die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat, aber dies mit territorialem Vorbehalt. Ein solcher Fall ist die Türkei, die die Genfer Flüchtlingskonvention für Flüchtlinge aus asiatischen Staaten nicht, zumindest nicht völkerrechtlich verbindlich, anwendet. Ich wollte deshalb die Rechtsauffassung der Bundesregierung, die mit dieser Frage in den Räten zu tun haben wird, dazu wissen, wie sie Artikel 38 und Artikel 39 der entsprechenden Richtlinie zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes auslegt. Denn in Artikel 39 steht unter Ziffer 2 a zur Definition eines sicheren Drittstaates ausdrücklich als zwingende Voraussetzung: „die Genfer Flüchtlingskonvention ohne geografischen Vorbehalt ratifiziert hat und deren Bestimmungen einhält“. Teilen Sie meine Auffassung, dass das zwingende Voraussetzung ist und dass insofern die Kommission ihre Vorlagen hier nachbessern muss? Oder wie sieht das die Bundesregierung?

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident, da diese Frage nicht Gegenstand der heutigen Kabinettssitzung gewesen ist, bitte ich um die Erlaubnis, dass der Parlamentarische Staatssekretär Krings zu der Frage Stellung nehmen kann.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Das machen wir so. - Bitte, Herr Staatssekretär Professor Krings.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Beck, mir ist der genaue Inhalt dieser Kommunikation der EU-Kommission nicht bekannt. Grundsätzlich begrüßt die Bundesregierung die Bestrebungen, einen einheitlichen europäischen Katalog - jedenfalls als Mindestkatalog - für sichere Herkunftsstaaten zu definieren, weil es dann eine größere Klarheit bzw. Transparenz für alle Seiten geben würde. Zu dieser konkreten Auffassung ist die Meinungsbildung in der Bundesregierung meines Wissens noch nicht abgeschlossen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Gibt es weitere Fragen zu sonstigen Themen? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Regierungsbefragung. Bevor wir zur Fragestunde kommen, verkünde ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zur Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 18./19. Februar 2016 in Brüssel, Drucksache 18/7543: abgegebene Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 120, mit Nein haben gestimmt 469. Enthalten hat sich niemand. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 120 nein: 469 enthalten: 0 Ja DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Andre Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({0}) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({1}) Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Sabine Zimmermann ({2}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck ({3}) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({4}) Christian Kühn ({5}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({6}) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein CDU/CSU Stephan Albani Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({7}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Helge Braun Heike Brehmer Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({8}) Axel E. Fischer ({9}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich ({10}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({11}) Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr. Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({12}) Karl Holmeier Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Dr. Stefan Kaufmann Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({13}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({14}) Stefan Müller ({15}) Dr. Andreas Nick Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Anita Schäfer ({16}) Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({17}) Gabriele Schmidt ({18}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder ({19}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({20}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl ({21}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({22}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Marco Wanderwitz Nina Warken Albert Weiler Marcus Weinberg ({23}) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß ({24}) Sabine Weiss ({25}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({26}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({27}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({28}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({29}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({30}) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange ({31}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({32}) Dr. Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({33}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Florian Post Achim Post ({34}) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({35}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({36}) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({37}) Matthias Schmidt ({38}) Dagmar Schmidt ({39}) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz ({40}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde Drucksache 18/7509 Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/7509 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Andrej Hunko, die Fragen 3 und 4 der Abgeordneten Agnieszka Brugger sowie die Frage 5 der Abgeordneten Sevim Dağdelen werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nun zur Frage 6 des Abgeordneten Omid Nouripour: Setzt sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Trend einer steigenden Anzahl von Binnenvertriebenen in Afghanistan fort, und welche Regionen Afghanistans sind nach Kenntnis der Bundesregierung von diesem Trend besonders betroffen ({41})? Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Roth bereit.

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Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Nouripour, die Bundesregierung erhebt zur Anzahl der Binnenvertriebenen in Afghanistan keine eigenen Daten. Sie stützt sich in diesem Zusammenhang auf Erkenntnisse der Vereinten Nationen und der Internationalen Organisation für Migration, IOM. Auf diese Angaben beziehe ich mich jetzt auch. Danach handelte es sich Mitte des Jahres 2015 um rund 950 000 Binnenvertriebene; diese Zahl stieg bis Ende 2015 auf rund 1,17 Millionen. UNAMA, die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan, weist darauf hin, dass eine große Anzahl der Binnenvertriebenen aus den Provinzen Kunduz, Badakhshan, Baghlan, Takhar und Nangarhar kommt. Aufgrund der besseren Wirtschaftslage lassen sich viele Binnenvertriebene in größeren Städten wie Kabul, Herat und Masar-iScharif nieder. Die Internationale Organisation für Migration sieht als Gründe für den Anstieg die Sicherheitssituation und Naturkatastrophen - Sie werden sich daran erinnern, dass es im Oktober und Dezember vergangenen Jahres schwere Erdbeben in Afghanistan gab -, aber auch rückkehrende afghanische Flüchtlinge aus Pakistan und dem Iran.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Nouripour? - Bitte schön.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, ich habe das nicht ganz verstanden. Können Sie noch einmal genauer erklären, was das mit der ökonomischen Situation zu tun hat? Sie haben ja gerade selbst gesagt, dass die internationalen Organisationen darauf hinweisen, dass sich zum Beispiel - das steht aber an erster Stelle - die Sicherheitslage geändert hat. Sie haben auch mehrere Provinzen genannt, von denen wir wissen, was dort passiert ist. Allen voran nenne ich Kunduz und die Geschehnisse dort - zum Beispiel der Fall der Stadt bzw. ihre Eroberung durch die Taliban im letzten Jahr -, die in der deutschen Öffentlichkeit sehr bekannt sind. Ich habe deshalb nicht verstanden, was das mit der ökonomischen Situation zu tun hat.

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Ich habe auf mehrere Gründe hingewiesen, die dazu geführt haben, dass die Zahl der Binnenflüchtlinge zugenommen hat. Sie haben in Ihrer Frage einen Aspekt, die Sicherheitslage, angeführt. Die hat sich in einigen Regionen verschlechtert. Das sind aber nicht unsere Informationen, sondern Angaben, die wir von den internationalen Organisationen erhalten haben. Hierzu gehört auch die Information, dass es eine Reihe von Binnenvertriebenen gibt, die sich aufgrund einer erhofften besseren wirtschaftlichen Situation in den größeren Städten, vor allem Masar-i-Scharif, Kabul und Herat, niederlassen.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Sie haben noch eine Zusatzfrage?

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte schön, Herr Kollege Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es verwirrt mich zutiefst, dass Sie jetzt das altbekannte Phänomen Landflucht in die Kategorie Binnenflüchtlinge bzw. Binnenvertreibung einsortieren. Ich will Sie aber jenseits davon etwas fragen. Sie haben auch davon gesprochen, dass es Leute gibt, die zum Beispiel aus Pakistan zurückgekommen sind. Dadurch sei die Zahl der Binnenflüchtlinge gestiegen. Das ist völlig richtig. Binnenflüchtling ist man ja nicht, wenn man aus einem anderen Land zurückkommt und dann nach Hause geht. Man ist Binnenflüchtling, wenn man eben nicht nach Hause gehen kann, etwa weil es das eigene Haus nicht mehr gibt oder es infolge einer Enteignung mittlerweile andere Eigentümer hat. Die betroffenen Menschen - bis zu 300 000 allein im letzten Jahr - gelten als Binnenflüchtlinge. Meine Frage lautet: https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_armed_conflict_midyear_report_2015_final_august.pdf https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_armed_conflict_midyear_report_2015_final_august.pdf https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_armed_conflict_midyear_report_2015_final_august.pdf Ist es nicht eindeutig, dass es keinesfalls zur Stabilität des Landes beiträgt, wenn jetzt in solch großer Zahl Binnenflüchtlinge zurückkommen, die die Sorge haben müssen, nicht unterzukommen und nicht versorgt zu werden?

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Ich habe doch darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um eigene Erkenntnisse handelt, sondern wir uns auf die Angaben von internationalen Organisationen beziehen. Das habe ich so vorgetragen. Ich stelle mich ja nicht hier hin, Herr Kollege, und behaupte, dass die Sicherheitslage nicht schwierig sei. Sie ist einer der wesentlichen Gründe, warum die Zahl der Binnenflüchtlinge zugenommen hat. Aber es gibt eben mehrere Gründe. Das sind die Erkenntnisse, die vor allem diejenigen Organisationen, die in Afghanistan aktiv sind und dort Verantwortung tragen, gewonnen haben.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Eine Zusatzfrage vom Kollegen Ströbele. Bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Sie haben Herat und Kabul als sichere Orte genannt. Heißt das, dass das die Orte oder auch Gegenden sind, die der Bundesinnenminister im Sinn hatte, als er bei seinem letzten Besuch in Afghanistan noch einmal betont hat, dass es ganze Gegenden und Provinzen in Afghanistan gibt, in die die Menschen, die insbesondere nach Deutschland geflohen sind, zurückkehren sollen, weil sie dort sicher sind? Bisher wurde es immer sehr vermieden, die Orte zu nennen.

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Danke, Herr Kollege Ströbele. Ihre Frage gibt mir Gelegenheit, klarzustellen: Ich habe bezogen auf Masari-Scharif, Herat und Kabul nicht von sicheren Orten gesprochen. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass sich dort eine größere Zahl von Binnenflüchtlingen aus wirtschaftlichen Gründen - weil man dort bessere Perspektiven unterstellt - niedergelassen hat. Die Frage der Sicherheitslage kann so pauschal nicht beantwortet werden. Im Übrigen hängt es sehr stark von der individuellen Situation des jeweiligen Afghanen oder der jeweiligen Afghanin ab. Ich könnte Ihnen jetzt ein paar Beispiele nennen. Bei einem Paschtunen, der nach Kabul geht, besteht grundsätzlich überhaupt kein Gefährdungspotenzial. Wenn man aber beispielweise zum Christentum konvertiert ist und dann nach Kabul geht, könnte durchaus ein erhöhtes Gefährdungspotenzial vorliegen. Das würde dazu führen, dass beispielsweise bei einem Asylantrag in Deutschland eine positive Entscheidung getroffen werden könnte. Es geht also um den jeweiligen Einzelfall. Das macht es so schwer, pauschal zu sagen: Diese Region, diese Stadt ist für alle unsicher bzw. sicher.

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Zusatzfrage der Abgeordneten Hänsel, Fraktion Die Linke.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Herr Staatsminister, wenn ich Sie so höre, dann muss ich davon ausgehen, dass nach Ihrer Meinung kein Krieg in Afghanistan herrscht. Wie würden Sie es denn beschreiben? Der UN-Report, der jetzt veröffentlicht wurde, spricht ja von über 11 000 Toten im letzten Jahr. Meine Frage lautet daher: Würden Sie sagen, dass es keinen Grund gibt, aus diesem Land zu fliehen, weil man nicht unbedingt direkt von der gewalttätigen Situation betroffen ist? Dabei haben wir doch Krieg! Die Situation können Sie doch gar nicht anders bezeichnen. Sie können in Kabul jederzeit von einer Bombe zerfetzt werden. Wie gehen Sie denn damit um? Sie melden Ihre Besuche nicht einmal an, wenn Sie in die Region fahren. Sie alle fahren klammheimlich, unangekündigt und halten sich nur in Militäreinrichtungen auf. Sie bewegen sich von Militäreinrichtung zu Militäreinrichtung, alles hochgesichert. So finden die Besuche doch statt: hinter meterhohen Sandsäcken. ({0})

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Frau Kollegin Hänsel, ich mache mir Ihre Definition von Krieg ausdrücklich nicht zu eigen. Aber angesichts der Tatsache, dass die Anerkennungsquote bei Flüchtlingen aus Afghanistan im Asylverfahren 47 Prozent beträgt, würde ich niemals von großer Sicherheit in ganz Afghanistan sprechen. Es gibt durchaus nachvollziehbare Gründe dafür, dass Menschen aus Afghanistan in der Bundesrepublik Deutschland als Asylbewerber anerkannt werden. Die in den Medien häufig dargestellte Bewertung der Bedrohungslage bezieht sich aber nicht auf die gesamte Bevölkerung, sondern insbesondere auf die Bedrohung afghanischer Einheiten, vor allem administrativer Einrichtungen, der Sicherheitsorgane des Landes, westlicher Staatsangehöriger, deutscher und verbündeter Truppen, von Personal und vor allem auch von Einrichtungen der Vereinten Nationen oder deren Hilfsorganen sowie von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen. Ich will die Sicherheitslage überhaupt nicht relativieren; aber die militante Bedrohung in Afghanistan ist für die Zivilbevölkerung niedriger und als weniger gefährlich einzustufen als für die Institutionen, die ich eben genannt habe. Man muss das sehr differenziert betrachten, Frau Hänsel.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Der Kollege Volker Beck hat das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte das Innenministerium fragen, ob es die Aussagen des Auswärtigen Amts in dieser Fragestunde teilt, dass die Sicherheitslage innerhalb Afghanistans sehr unterschiedlich ist und deshalb zu Recht auch Flüchtlinge aus Afghanistan als schutzbedürftig anerkannt werden müssen.

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Frau Präsidentin, ich spreche heute für die Bundesregierung, und ich spreche deshalb auch für das Bundesinnenministerium.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Da Sie das Wort schon haben, behalten Sie es auch.

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Entschuldigung, ich wollte mich nicht in Ihre originären Kompetenzen einmischen. Aber wenn ich die Geschäftsordnung richtig verstanden habe, dann spricht immer nur ein Haus für die gesamte Bundesregierung.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das ist völlig richtig. Deshalb habe ich auch gesagt, dass Sie das Wort behalten.

Not found (Gast)

Insofern kann ich nur wiederholen, was ich gesagt habe. Ich gehe fest davon aus, dass das die Meinung der gesamten Bundesregierung ist. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich rufe die Frage 7 der Abgeordneten Heike Hänsel auf: Hat die Bundeskanzlerin bei ihrem letzten Besuch in der Türkei konkret Menschenrechtsverletzungen ({0}) angesprochen, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Reaktionen seitens der türkischen Regierung bzw. des türkischen Präsidenten? Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Frau Kollegin Hänsel, ich kann Ihnen versichern, dass die Lage der Menschenrechte regelmäßig Thema in Gesprächen der Bundesregierung mit den türkischen Regierungsvertretern ist. Ich beziehe mich dabei nicht nur auf die jüngsten Regierungskonsultationen zwischen der türkischen und der deutschen Regierung, sondern auf eine Fülle von Begegnungen. Sowohl die Bundeskanzlerin als auch der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu haben in der Pressekonferenz darauf hingewiesen, dass sowohl der Konflikt mit der PKK als auch die Arbeitsbedingungen von Journalisten in der Türkei Gegenstand der Gespräche waren, die kürzlich hier in Berlin stattgefunden haben. Ich kann Ihnen auch versichern, dass die Bundesregierung die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei weiterhin sehr aufmerksam verfolgen wird.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde gerne nachfragen. - Die Kanzlerin war ja in der Türkei, und just an dem Tag gab es ein großes Massaker in mehreren Städten im Südosten der Türkei, vor allem in Cizre. Dort hatten Zivilisten wochenlang in einem Keller ausgeharrt. Es gab auch internationale Hilfsappelle, dass diese Menschen Zugang zu Nahrung und zu medizinischer Versorgung erhalten müssen. Infolge der Attacken der türkischen Armee sind Menschen verblutet. Die Menschen konnten nicht einmal ihre Toten auf den Straßen bergen. Es herrschte Ausnahmezustand. Es wurde auf alles geschossen, was sich bewegte. Just an dem Tag, an dem die Kanzlerin dort war, wurden diese Zivilisten in dem Keller erschossen. Das Haus wurde gestürmt, und sie wurden erschossen. Wir hatten uns mit einem Brief an die Kanzlerin gewandt, weil auch Angehörige von Menschen aus meinem Wahlkreis dort sind. Deswegen meine Frage: Hat die Kanzlerin darauf reagiert? War das Gegenstand der Gespräche? Wie stellt sich die Bundesregierung vor darauf zu reagieren?

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Frau Kollegin Hänsel, die Bundesregierung ist in ständigem Dialog mit der Türkei über die dramatische Situation der Kurdinnen und Kurden. Wir lassen uns dabei von drei Botschaften leiten. Die erste Botschaft ist: Selbstverständlich ist es das legitime Recht der türkischen Regierung, gegen terroristische Aktivitäten der PKK vorzugehen. Zweitens. Die türkische Regierung steht vor allem in der Pflicht, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren, insbesondere wenn es um Zivilisten geht. Der dritte Aspekt: Wir fordern die türkische Regierung auf, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Der damalige Ministerpräsident Erdogan hat den Friedens- und Versöhnungsprozess mit den Kurdinnen und Kurden eingeleitet. Er wurde jetzt beendet. Wir sehen keine militärische Lösung; wir sehen eine Lösung im Dialog, im Austausch.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Eine Nachfrage haben Sie noch.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, danke schön. - Da würde ich gerne noch einmal nachhaken. Sie kritisieren ja zu Recht das Aushungern der Zivilbevölkerung in Städten in Syrien. Wie kann es sein, dass Sie bezogen auf den Südosten der Türkei, wo Städte wochenlang abgeriegelt sind - kein Strom, kein Wasser, keine Gesundheitsversorgung, kein Zugang zu Nahrungsmitteln -, wo der Ausnahmezustand herrscht, nicht massiv Kritik äußern, auch öffentlich, sondern nur sagen: „Das wurde mal angesprochen“? Wie kann es sein, dass man, obwohl dieser Zustand fortbesteht, Erdogan neue Versprechungen macht, dass man ihm die Eröffnung neuer EU-Beitrittskapitel anbietet, ihm 3 Milliarden Euro und AWACS-Flugzeuge usw. anbietet, dass man also zur Tagesordnung übergeht, obwohl dort Menschen im Ausnahmezustand leben und ausgehungert werden? Wie können Sie das gegenüber der Öffentlichkeit überhaupt rechtfertigen, und in welcher Weise setzen Sie sich dafür ein, dass es real wieder zu einem Friedensprozess kommt? Dieser Friedensprozess wurde ja von Erdogan beendet. Er selbst hat offiziell gesagt, für ihn sei der Friedensprozess beendet.

Not found (Gast)

Ihre Wahrnehmung ist falsch, Frau Abgeordnete Hänsel. Wir gehen nicht zur Tagesordnung über; vielmehr werden diese drängenden Themen fortwährend angesprochen. Aber wir wollen im Dialog bleiben, und wir müssen im Dialog bleiben. Ich weiß nicht, welche Alternative uns als Bundesregierung zur Verfügung steht. Ich könnte eine Fülle von kritischen, auch sehr deutlichen öffentlichen Bekundungen benennen. Im Übrigen ist das, was wir derzeit tun, sicherlich keine Belohnung für irgendetwas, was die Türkei tut oder nicht tut. Insbesondere die Öffnung weiterer Kapitel, die von der Bundesregierung unterstützt wird - in den Kapiteln 23 und 24 geht es um Demokratie, um Rechtsstaatlichkeit, um die Unabhängigkeit der Justiz und die Freiheit der Medien -, ist für uns eine Chance, um die Defizite in einem strukturierten Dialog mit der Türkei offen und fair zu besprechen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Der Herr Kollege Beck hat noch eine Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Öffnung der Kapitel und Unterstützung der Türkei bei der Versorgung von Flüchtlingen - geschenkt. Das muss man in dieser Situation machen, und Gespräche müssen auch immer sein. Es gibt aber etwas, wofür mir jedes Verständnis fehlt. Daher möchte ich von Ihnen wissen, wie Sie den Schutz sowohl der Flüchtlinge als auch der Menschenrechte sicherstellen wollen, wenn wir jetzt zusammen mit dem türkischen Militär Flüchtlinge in türkischen Gewässern aufbringen, um das Refoulement-Verbot zu umgehen, und dabei kurdische Flüchtlinge zurückschicken, bei denen nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie in der Türkei anständig behandelt werden. Diese Flüchtlinge riskieren, womöglich ins Gefängnis zu kommen - vielleicht sogar im besten Fall -, wenn ihnen nichts Schlimmeres droht.

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Beck, geschenkt ist hier gar nichts. ({0}) - Sie müssen schon mir überlassen, wie ich auf Ihre Frage antworte. - Erstens anerkennen wir außerordentlich, dass die Türkei 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat. Zweitens anerkennen wir auch, dass die Türkei mit der Europäischen Union nach zukunftsweisenden und nachhaltigen Lösungen sucht. Das ist ein nicht ganz einfaches Unterfangen; das will ich Ihnen gerne zugestehen. Die NATO-Mission dient der Unterstützung der Aktivitäten gegen die Schlepperkriminalität. Ich finde, wir dürfen hier nicht den Bock zum Gärtner machen. Es sind die Schlepper, die mit der Not der Menschen Millionen und Milliarden verdienen. Ihnen das Handwerk zu legen und dadurch die Flüchtlinge zu schützen und sie sicher zurückzubringen, ist sicherlich ein Interesse, das wir alle teilen sollten. ({1}) - Die Türkei ist ebenso wie andere Staaten in Europa dazu verpflichtet, gemäß internationaler Menschenrechtskonventionen, unter anderem der Europäischen Menschenrechtskonvention, und auch gemäß der eigenen nationalen Gesetzgebung mit Flüchtlingen umzugehen. ({2}) - Wir gehen davon aus, dass sich die Bundesregierung an ihre eigene nationale Gesetzgebung und an die Europäische Menschenrechtskonvention hält. Was denn sonst? ({3}) - Das sollten Sie vielleicht einmal laut sagen. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das werden wir überprüfen. Herr Ströbele, Sie haben auch noch das Wort. - Ich erinnere daran, dass wir noch eine Aktuelle Stunde haben.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es geht ganz schnell. - Herr Staatsminister, Sie behaupten also, der NATO-Einsatz in der Ägäis diene dem wirksamen Schutz vor Schleppern. Geht die Bundesregierung davon aus, dass sich auf diesen maroden Schlauchbooten, um die es die ganze Zeit geht, auch nur ein einziger Schlepper aufhalten könnte - dass sie möglicherweise lebensmüde sind, weil sie ja wissen, wie gefährlich das ist -, oder ist es nicht so, dass dieser NATO-Einsatz in Wirklichkeit allein dazu dient, die Flüchtlinge in die Türkei zurückbringen zu lassen oder, wenn man sie aus dem Wasser fischt, selber in die Türkei zurückzuholen, also zu verhindern, dass Flüchtlinge nach Europa, insbesondere nach Griechenland, kommen und dass deshalb das Argument „Schlepper“ nur ein Vorwand ist? ({0})

Not found (Gast)

Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die wesentliche Gefahr für die Flüchtlinge in der Tat von den verantwortungslosen Machenschaften der Schlepperbanden ausgeht, und dafür wird auch noch Geld bezahlt. Ich habe ebenso deutlich gemacht, wie der unterstützende Auftrag der NATO aussieht. Daher möchte ich mich jetzt nicht wiederholen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, damit ich das verstehe, was die Bundeskanzlerin vorhin gesagt hat: Habe ich es richtig verstanden, dass, wenn die Leute bei diesem NATO-Einsatz in griechischen Gewässern aufgegriffen werden, sie in die Türkei gebracht werden?

Not found (Gast)

Ja, grundsätzlich werden sie in die Türkei zurückgebracht. Das ist richtig. Im Übrigen sind die NATO-Schiffe an das internationale Recht genauso gebunden wie alle anderen Schiffe auch. Wenn Menschen in Seenot sind, sind die Besatzungen verpflichtet, diese Menschen zu retten und sie in Sicherheit zu bringen. Die Flüchtlinge bzw. die Menschen, die in Seenot sind, können aber nicht darüber entscheiden, wo sie gesichert untergebracht bzw. wohin sie gebracht werden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Die Kollegin Keul hat das Wort zu einer Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Ich bitte um Entschuldigung, dass jetzt noch mehr Nachfragen kommen, aber inzwischen bin auch ich relativ verwirrt. Denn wir hatten beim Marineeinsatz auf dem Mittelmeer vor den libyschen Küstengewässern gelernt, dass die Flüchtlinge nicht nach Libyen gebracht werden dürfen, weil das gegen ein international geltendes Refoulement-Verbot verstoßen würde. Jetzt verstehe ich nicht ganz: Wieso gilt dieses Verbot vor Libyen, aber vor der Türkei irgendwie nicht? Den Unterschied müssten Sie mir erklären.

Not found (Gast)

Wir gehen bei der Rückübernahme der Flüchtlinge durch die Türkei davon aus, dass sich die Türkei an das internationale Recht, an die Europäische Menschenrechtskonvention und an das eigene nationale Recht hält.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit schließe ich diesen Geschäftsbereich. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe Frage 8 der Abgeordneten Heike Hänsel auf: Inwieweit ist die Äußerung des Bundesinnenministers Dr. Thomas de Maizière: „Aber die Türkei, wenn wir von ihr etwas wollen, wie, dass sie die illegale Migration unterbindet, dann muss man auch Verständnis dafür haben, dass es dann im Wege des Interessenausgleichs auch Gegenleistungen gibt.“ ({0}), im Sinne der Warnung der Demokratischen Partei der Völker ({1}) an die Bundeskanzlerin und die EU vor einem „Tauschhandel“ mit der Türkei so zu verstehen, dass die Bundesregierung mit Rücksicht auf die erhoffte Mitarbeit Ankaras in der Flüchtlingsabwehr zu schweren Menschenrechtsverletzungen und illegaler Willkür in der Türkei schweigt ({2}), und ist die Bundesregierung Berichten nachgegangen, dass die Türkei systematisch Bürgerkriegsflüchtlinge zurück nach Syrien abschiebt und damit gegen internationales Recht verstößt ({3})? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Frau Hänsel! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschenrechtslage in der Türkei und insbesondere im Südosten des Landes ist ständiger Gegenstand von Beratungen der Bundesregierung mit der türkischen Regierung, etwa auch bei den deutsch-türkischen Regierungskonsultationen am 22. Januar 2016. Insofern können Sie ganz unbesorgt sein, dass das Thema Menschenrechte im bilateralen Kontakt wie auch im europäischen Kontakt eine große Rolle spielt. Die Bundesregierung unterstützt im Übrigen den EU-Türkei-Aktionsplan von November 2015. Darin bekunden die Europäische Union und die Türkei unter anderem die Absicht, syrische Flüchtlinge in der Türkei besser zu unterstützen und bei der Eindämmung irregulärer Migration besser kooperieren zu wollen. Im Gegenzug bekundet die Türkei ihre Absicht, unter anderem die Kapazitäten ihrer Küstenwache zu erhöhen, die Verfahren bei Rückübernahme von nicht schutzbedürftigen Migranten zu beschleunigen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Teilhabe von Flüchtlingen auch am Wirtschaftsleben in der Türkei zu erhöhen. Vielen Dank.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Hänsel. Hans­Christian Ströbele http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/schmusekurs-mit-erdogan-100.html http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/schmusekurs-mit-erdogan-100.html http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-abschiebung-101.html http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-abschiebung-101.html

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Da habe ich eine Rückfrage. Es ging vor allem um die Äußerung von Innenminister de Maizière, der sagte: Wenn wir von der Türkei wollen, dass sie die illegale Migration unterbindet, muss man auch Verständnis dafür haben, dass es im Wege des Interessenausgleichs auch Gegenleistungen gibt. - Bei Monitor wurde er zitiert. Deswegen meine Frage: Das hört sich nach einem ganz üblen Tauschhandel an. Wir hatten zuvor die Diskussion. Das zeigt doch, dass es darum geht: Die Türkei soll die Flüchtlinge für uns aufhalten, bei sich halten, oder es wird sogar billigend in Kauf genommen, dass sie nach Syrien geschickt werden. Hierzu gibt es auch Berichte in der Tagesschau, dass die Türkei gegen internationales Recht Flüchtlinge wieder in das Bürgerkriegsland Syrien abschiebt, damit wir hier diese Flüchtlinge nicht aufnehmen müssen. Wie können Sie das vereinbaren, dass Sie es in Kauf nehmen, dass die Rechte von Flüchtlingen derart verletzt werden?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Danke schön, Frau Präsidentin. - Zunächst einmal, Frau Abgeordnete: Wir nehmen es in keiner Weise in Kauf, dass Rechte von Flüchtlingen verletzt werden. Zum Zweiten weiß ich nicht, was Sie hören, wenn Sie Mitgliedern der Bundesregierung zuhören. Ich kann nur sagen: Die Gegenleistung, die hier in Rede steht, sind natürlich die 3 Milliarden Euro, die die Europäische Union zur Verfügung stellt, um die weit über 2 Millionen Flüchtlinge, die zum Teil seit Jahren in der Türkei sind, besser zu behandeln und stärker wirtschaftlich zu integrieren. Ich finde es auch ganz besonders wichtig - das darf ich herausgreifen -, dass möglichst alle syrischen Kinder, die dort leben, auch zur Schule gehen können, was zurzeit nicht der Fall ist. Man kann jetzt sagen, es sei grundsätzlich ohnehin die Aufgabe eines aufnehmenden Staates, das sicherzustellen, aber angesichts der großen Zahl haben wir Verständnis dafür, dass die Türken hier um Hilfe und Unterstützung bitten. Wenn Sie das als Tauschhandel ansehen: Wenn das den syrischen Flüchtlingen dort zugutekommt, dann ist das auch gerne ein Tauschhandel. Jedenfalls soll mit diesen Mitteln der Europäischen Union, die ich als Gegenleistung bezeichnen würde, dafür gesorgt werden, dass sich die Menschen, gerade die syrischen Flüchtlinge, dort besser aufhalten können.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Hänsel.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diese Hilfe erreicht vielleicht einen Teil der Flüchtlinge, aber für die anderen Flüchtlinge, die zum Beispiel an der Grenze zu Griechenland von den NATO-Schiffen aufgegriffen - das haben wir ja gerade gehört - und ausnahmslos auf die türkische Seite zurückgeschickt werden, bedeutet das eine massive Verletzung ihrer Rechte. Das gilt besonders für kurdische Staatsbürger der Türkei, die jetzt vor Erdogan fliehen. Sie werden von den NATO-Schiffen aufgegriffen und wieder in das Land ihres Peinigers zurückgebracht. Das, was hier passiert, ist eine Verletzung des internationalen Rechts, und das meine ich mit „Tauschhandel“. Man nimmt es in Kauf, dass hier die Flüchtlingsrechte massiv verletzt werden und dass die Türkei - das ist bekannt; es gibt entsprechende Berichte - syrische Flüchtlinge inhaftiert und nach Syrien abschiebt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Zunächst einmal teile ich Ihre Rechtsauffassung in keiner Weise, und die Türkei ist auch kein Land von Peinigern, sondern ein Land, in dem über 2 Millionen syrische Flüchtlinge Aufnahme finden, allerdings zu Bedingungen, die dringend verbesserungsbedürftig sind. ({0}) Das, was wir hier als Gegenleistung oder Leistung der Europäischen Union zugesagt haben, wird natürlich auch den Flüchtlingen zugutekommen, die einen vergeblichen Weiterfluchtversuch nach Europa unternommen haben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Omid Nouripour auf: Inwiefern ist nach Ansicht der Bundesregierung die von Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière geplante Praxis der Abschiebung von Afghaninnen und Afghanen ({0}) vereinbar mit der Einschätzung des Auswärtigen Amts, nach der sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert habe ({1})? Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Nouripour! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage ist ja im Kontext der Reise meines Ministers nach Afghanistan gestellt. ({0}) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-rueckfuehrung-nach-afghanistan-kaum-moeglich-a-1062500.html http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-rueckfuehrung-nach-afghanistan-kaum-moeglich-a-1062500.html http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-rueckfuehrung-nach-afghanistan-kaum-moeglich-a-1062500.html - „Unser aller Minister!“ Umso besser! Es ist wert, für das Protokoll einmal festzuhalten, dass Herr Nouripour bestätigt: unser aller Minister. Das ist eigentlich noch schöner formuliert. Also: Die Frage ist im Kontext der Reise unseres unser aller - Bundesministers Thomas de Maizière nach Afghanistan vom 31. Januar 2016 bis 2. Februar 2016 gestellt, und es geht hier um die Vereinbarung eines gemeinsamen Vorgehens zur Rückführung abgelehnter afghanischer Asylbewerber. Alle Gesprächspartner erkannten die Verpflichtung Afghanistans zur Rückübernahme seiner Staatsangehörigen nach entsprechender Entscheidung ihres Status durch deutsche Behörden dem Grunde nach an. Über dieses Ergebnis hat Herr Bundesminister Dr. de Maizière seine Amtskollegen in den Ländern mit Schreiben vom 5. Februar 2016 auch entsprechend informiert. Mit Beschluss vom Dezember 2015 stellte die Innenministerkonferenz bereits einvernehmlich fest, dass die Sicherheitslage Afghanistans eine Rückkehr ausreisepflichtiger afghanischer Staatsangehöriger grundsätzlich erlaubt. Dabei kommt es immer auf den Einzelfall und auf die einzelne Konstellation an. Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt natürlich weiterhin volatil. Sie weist starke regionale Unterschiede auf und lässt sich für die Zivilbevölkerung nicht pauschal bewerten, sondern hängt von den Regionen und den Umständen des Einzelfalles ab. Vor allem in größeren Städten, wie Kabul, Herat und Masar-i-Scharif - das haben wir gerade auch vom Staatsminister aus dem Auswärtigen Amt gehört -, gibt es trotz Anschlägen ein vergleichsweise normales Alltagsleben, weshalb es auch die meisten Binnenmigranten dorthin zieht. Die afghanische Regierung hat ihrerseits öffentlich beispielhaft die Provinzen Bamiyan, Pandschschir und Kabul als sicher eingeschätzt. Im Asylverfahren erfolgt immer eine Einzelfallprüfung, bei der die konkrete Situation berücksichtigt wird. Daneben erfolgt auch eine individuelle Prüfung der Rückführung. Das ist also eine weitere Einzelfallprüfung. Die Bundesregierung ist sich, wie Sie auch aus den Antworten des Herrn Staatsministers und mir ersehen, in ihrer Bewertung hier natürlich einig.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte gerne den armen Staatsminister in dessen Abwesenheit in Schutz nehmen, weil er sich auch auf Nachfrage meines Kollegen Ströbele dagegen verwahrt hat, er hätte diese Städte als sicher bezeichnet. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie sich im Verteidigungsausschuss beim Thema Kunduz alle einig waren. Die Frage, die der Staatsminister vorhin nicht beantwortet hat, die aber sehr viel mit Ihrer Antwort zu tun hat - er hat davon gesprochen, dass sehr viele Menschen zum Beispiel nach Pakistan zurückgehen und nicht mehr in ihre Häuser können, weil es sie nicht mehr gibt oder sie anders verwendet werden -, ist, inwieweit denn nach Ihrem Verständnis diese Welle von Rückkehrern einen Beitrag zur Instabilität in Afghanistan leistet. Das war in den letzten Jahren stets so.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Zunächst einmal habe ich im Zusammenhang mit diesen Städten ausdrücklich das Wort „sicher“ nicht genannt. Ich habe nur beschrieben, dass viele Afghanen in diese Städte ziehen, die sich offenbar nach ihrer Selbsteinschätzung dort besser aufgehoben fühlen als in anderen Teilen des Landes. Aus deren Sicht ist es dort sicherlich sicherer als in manch anderen Teilen des Landes. Insgesamt müssen wir auch sehen, dass es innerhalb ein und derselben Provinz Unterschiede in der Sicherheitslage zwischen der Provinzhauptstadt und ländlicheren Gebieten gibt. Ich habe das Wort „sicher“ im Zusammenhang mit einer Äußerung der afghanischen Regierung in Bezug auf drei Provinzen benutzt, die ich eben genannt habe. Ich gehe fest davon aus, dass die Zahl der Rückkehrer aus Deutschland - sowohl freiwillige Rückkehrer als auch Rückkehrer durch Abschiebungen, wenn sie denn nötig sind - in der nächsten Zeit nicht in einer Größenordnung sein wird, die die Stabilität des Landes in irgendeiner Weise gefährden kann.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Nouripour.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte gerne wissen, welche Erkenntnisse die Bundesregierung über das Hauptthema der Gespräche und der Rede von Präsident Ghani am letzten Wochenende in München hat, nämlich über die Aktivitäten und über die Ausbreitung von ISIS in Afghanistan, was bekanntermaßen etwas mit Sicherheit zu tun hat.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Über die konkrete Rede oder die Gespräche, die im Zweifelsfalle am Rande oder auf der Münchner Sicherheitskonferenz geführt worden sind und die gewöhnlich nicht öffentlich sind, habe ich jetzt keine präsenten Erkenntnisse. ({0}) - Gut, ISIS in Afghanistan ist sicherlich ein wichtiges Thema. Wenn es eine öffentliche Rede war, brauchen Sie nicht Erkenntnisse von mir. Dann können Sie die öffentliche Rede ja nachlesen. ({1}) - Ich habe die Frage vielleicht nicht verstanden. Vielleicht versuchen Sie es noch einmal. - Frau Präsidentin, ich maße mir ständig das Wort an. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Nouripour, Sie können die Frage präzise wiederholen. Das wäre hilfreich.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank für Ihre Geduld, Toleranz und Nachsicht, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, das Thema ISIS spielte eine sehr zentrale und prominente Rolle in allen Ausführungen des Präsidenten Ghani und nach seiner eigenen Aussage auch in seinen bilateralen Gesprächen. Meine Frage lautet: Was weiß die Bundesregierung darüber, und wie schätzt die Bundesregierung die Ausbreitung und Expansion von ISIS, was für die Sicherheitslage vor Ort ein großes Thema ist, in Afghanistan ein?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich kann Ihnen dazu ad hoc keine vernünftige und seriöse Einschätzung geben. Das ist sicherlich Gegenstand der Beobachtungen im Auswärtigen Amt. Ich habe - ich glaube, das ist von der Sache her näher an der Frage, die Sie gestellt haben - von den Gesprächen des Bundesinnenministers berichtet, speziell zu der Frage: Erlaubt die Sicherheitslage in Afghanistan insgesamt eine Rückführung von Menschen aus Afghanistan? Dazu gab es konstruktive Gespräche. Insofern ist eine Rückführung grundsätzlich möglich. Das ist die Position der Bundesregierung. Es ist auch wichtig, ein klares Signal zu senden - das wir bei dieser Reise mit den afghanischen Stellen gemeinsam gegeben haben -, dass auch die afghanische Regierung ihre Bevölkerung auffordert, nicht auszureisen, nicht nach Deutschland oder in andere Länder Europas aufzubrechen, auch in Kenntnis der Sicherheitslage, die im Land sehr unterschiedlich ist und die von Faktoren beeinflusst wird, die Sie gerade genannt haben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frage 10 der Abgeordneten Sevim Dağdelen wird schriftlich beantwortet.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Genau. Die hätte ich jetzt auch nicht beantworten können.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Damit kommen wir zur Frage 11 des Abgeordneten Volker Beck: Ist die Bundesregierung zurückblickend der Meinung, dass die verkündete Grenzöffnung für Flüchtlinge durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vom 4. September 2015 rechtlich gesehen Unrecht war, und warum sieht die Bundesregierung darin keine Verletzung von Artikel 16 a des Grundgesetzes? Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Dazu liegen mir in der Tat die Unterlagen vor. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Beck! Die Bundesregierung hält an ihrer Auffassung fest, dass das parlamentarische Fragerecht und Informationsrecht keinen Anspruch auf die Abgabe rechtlicher Bewertungen vermittelt. Ich darf Ihnen allerdings dazu noch sagen, dass die Bundesregierung natürlich keine rechtswidrigen Entscheidungen trifft und schon gar nicht in Bezug auf den Umgang mit Flüchtlingen, die an unsere Grenzen gelangen. Auch hat es hier, wie Sie vielleicht annehmen, keine Änderung einer rechtlichen Bewertung gegeben. Soweit die Fragestellung impliziert, dass am 4. September 2015 eine, wie Sie es nennen, „Grenzöffnung für Flüchtlinge durch die Bundeskanzlerin“ verkündet worden ist, muss ich Ihnen ganz klar sagen: Dem ist nicht so gewesen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das erstaunt mich jetzt. Denn vorhin in der Debatte über die Regierungserklärung war diese Entscheidung zwischen Herrn Oppermann, der Kanzlerin und Frau Göring-Eckardt ein Thema. Heißt das, die Bundesregierung teilt nicht die Auffassung des Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann, dass es sich um eine rechtmäßige Entscheidung gehandelt hat, die sowohl vom Asylgesetz gedeckt ist - § 18 ist es, glaube ich -, was den Grenzübertritt betrifft, als auch von dem Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-III-Verordnung?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich weiß nicht, ob Sie mir gerade nicht zugehört haben oder ob ich erkältungsbedingt etwas undeutlich spreche. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass die Bundesregierung keine rechtswidrigen Entscheidungen trifft und die Entscheidung natürlich rechtmäßig war auf der Grundlage deutschen und europäischen Rechts und dass sich an der rechtlichen Bewertung, dass es sich um eine rechtmäßige Entscheidung handelt, nichts geändert hat.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Könnten Sie dann dem Hohen Hause und der deutschen Öffentlichkeit, weil es offensichtlich einen entsprechenden Bedarf gibt, noch einmal die Rechtsgrundlagen für die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung erläutern? Ich glaube, das ist wichtig, weil es sowohl im Hohen Hause Leute gibt, die sie anzweifeln, als auch draußen in der Gesellschaft. Ich finde es gerade in diesen Zeiten, wo Hasardeure auf unseren Straßen Menschen verhetzen, gut, wenn wir erläutern, warum die Entscheidungen der Bundesregierung rechtmäßig sind. Ich bin da ganz bei Ihnen; ich möchte es bloß noch einmal aus berufenerem Munde als aus meinem hier hören.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

In Ihrer Frage hatten Sie konkret danach gefragt, ob es sich um einen Verstoß gegen Artikel 16 a des Grundgesetzes handelt. ({0}) - Ich will das in den Kontext stellen. - Diese Frage war, wenn ich das, mit Verlaub, so sagen darf, ein bisschen neben der Sache, weil ein Grundrecht immer nur einen Mindeststandard vorgibt und natürlich sowohl die Exekutive als auch die Legislative nicht daran gehindert sind, mehr an Rechten und an Schutz zu gewähren, als das Grundrecht vorsieht. Artikel 16 a - das stimmt - gewährt diesen Schutz nicht. Es gibt zunächst einmal das Asylgesetz, das hierbei eine Rolle spielt, und das ist mit dem europäischen Recht zusammen zu lesen und wird zum Teil auch dadurch überlagert. Das europäische Recht in Gestalt der Dublin-Verordnung zwingt nicht dazu, von Zurückweisungen abzusehen, ermöglicht es aber, von Zurückweisungen abzusehen. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Dann komme ich zur Frage 12, ebenfalls des Kollegen Beck: Inwiefern würde sich nach Auffassung der Bundesregierung die Bestimmung von Marokko zum sicheren Herkunftsstaat auf das Territorium der Westsahara bzw. die Volksgruppe der Sahrauis erstrecken, und warum erwähnt die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten nicht, dass sich „sahrauische politische Aktivisten, Protestierende, Menschenrechtsverteidiger und Medienschaffende ... mit einer Reihe von Einschränkungen in ihren Rechten ... konfrontiert ({0}) und ... häufig festgenommen, gefoltert oder anderweitig misshandelt und strafrechtlich verfolgt ({1})“ ({2})?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin, darf ich antworten?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Aber sicher.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Beck! Vor der Einstufung des Königreichs Marokko als sicherer Herkunftsstaat hat sich die Bundesregierung anhand von Rechtslage, Rechtsanwendung und allgemeinen politischen Verhältnissen ein Gesamturteil über die für eine Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse in dem Staat gebildet. Bei der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat wird zwar zunächst kraft Gesetzes vermutet, dass ein Antragsteller aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird. Diese Vermutung kann jedoch durch den Antragsteller im Rahmen seines Asylverfahrens widerlegt werden. Jeder Antrag wird nach wie vor individuell geprüft. In jedem Asylverfahren wird weiterhin eine persönliche Anhörung durchgeführt, in der der Antragsteller seine Situation im Herkunftsstaat vortragen und gegebenenfalls seinen Anspruch auf einen Schutzstatus in Deutschland belegen kann, natürlich auch mit den Argumenten, die Sie in Ihrer Frage ansprechen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte Sie bitten, Herr Krings, auch den zweiten Frageteil meiner schriftlich eingereichten Frage zu beantworten, nämlich warum die Bundesregierung den Bericht von Amnesty International vom 2. Februar 2016 und die darin geschilderten Menschenrechtsverletzungen an sahrauischen Aktivisten und die Unterdrückung des sahrauischen Volkes in der besetzten Westsahara mit keiner Silbe erwähnt.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Abgeordneter, der Bericht ist sozusagen das, was zusammenfassend aus allen Sachvorträgen und Sacherkenntnissen herauszudestillieren ist. Das sind auch Zulieferungen des Auswärtigen Amts. Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass auch der Bericht, den Sie ansprechen, beim Auswärtigen Amt in eine Gesamtbewertung mit eingeflossen ist ({0}) und im Ergebnis allerdings zu keiner anderen Entscheidung geführt hat als diejenige, die wir Ihnen vorschlagen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Bitte, Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gestatten Sie zwei Sätze vorweg. Ich finde es erstaunlich, dass ein seit 1975 von Marokko widerrechtlich besetztes und annektiertes Gebiet, wo die UN jedes Jahr ihr Mandat verlängern, um den dort geltenden Waffenstillstand zu überwachen, in keiner Weise bei der Einschätzung über einen sicheren Herkunftsstaat Einfluss nimmt. Sie können das am Ende verwerfen. Aber es ist keine Nickeligkeit, wenn praktisch 50 Prozent des betroffenen Territoriums Bürgerkriegsgebiet sind und die UN dort Volker Beck ({0}) Truppen vorhalten, um ein Referendum durchzuführen; das hat bislang nicht stattgefunden. Ich möchte Sie fragen, ob das, was ich in der marokkanischen Ausgabe von Libération gelesen habe, beabsichtigt ist: L’annonce du Maroc comme un pays sûr par l’Allemagne est presque une reconnaissance de la souveraineté du Royaume sur son Sahara. C’est un gain diplomatique énorme. Ceci d’autant plus que les opérations d’expulsion des migrants irréguliers marocains vont être accompagnées par des investissements allemands au Maroc dont l’augmentation est déjà fort perceptible. Die marokkanische Regierung bewertet also die Anerkennung als sicheren Herkunftsstaat als Anerkennung der Souveränität Marokkos über das Gebiet der Westsahara. Ist das von der Bundesregierung beabsichtigt, und wenn es nicht beabsichtigt ist, wie will sie dieser Wahrnehmung in der Völkergemeinschaft entgegentreten?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin, ich würde gerne in deutscher Sprache antworten, wenn es erlaubt ist. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Das sollten Sie auch. Sonst hätte ich mir auch noch einen kleinen Hinweis gestattet. ({0})

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich darf damit beginnen, dem Kollegen Beck zu seinem doch leidlich guten Französisch - jedenfalls viel besser als meines - zu gratulieren. Ich bedanke mich, dass er das Zitat übersetzt hat. Mein Französisch hätte wahrscheinlich nicht ausgereicht. Sie gehen davon aus, die Hälfte des Territoriums sei Bürgerkriegsgebiet. Diese beiden Annahmen kann ich so nicht stehen lassen. Zuerst können Sie Wüstenquadratkilometer nicht mit dichtbesiedeltem Gebiet vergleichen. ({0}) Des Weiteren wollen Sie ein bestimmtes Bild erzeugen, das ich gleich leider zerstören muss, Herr Kollege Beck. Im Übrigen geht es dort dank des UN-Einsatzes weitestgehend - weitestgehend! - friedlich zu. ({1}) Ich finde es außerdem sehr mutig, dass Sie die völkerrechtliche Lage mit einem Halbsatz aus Ihrer Sicht offenbar perfekt bewertet haben. Die UN, die sich seit Jahrzehnten mit diesem Konflikt befassen, gehen an dieser Stelle von einer sehr viel komplexeren Lage aus. Falls Sie die Sorge haben, dass mit der Einbeziehung oder Auslassung eines Halbsatzes oder Satzes bzw. der Erwähnung eines Berichts irgendeine völkerrechtliche Stellungnahme der Bundesregierung verbunden ist - ich finde es gut, dass Sie diese Frage so gestellt haben -, kann ich Ihnen sagen, dass es sich hier um keinerlei Positionierung der Bundesregierung in einer völkerrechtlichen Frage handelt; das möchte ich an dieser Stelle klarstellen. Man könnte sogar darüber nachdenken, ob nicht die Einbeziehung dieses Themas, verbunden mit einer bestimmten Entscheidung, Ihr Argument eher erhärtet. Ich kann Sie jedenfalls beruhigen: Die Bundesregierung verbindet hier mit dem Vorschlag, Marokko als sicheres Herkunftsland einzustufen, keine völkerrechtliche Stellungnahme. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele hat das Wort. Ich bitte den Kollegen, sich der deutschen Sprache zu bedienen, weil das die Geschäftssprache im Deutschen Bundestag ist. ({0}) - Man kann auch mit Quellenhinweisen arbeiten, Herr Kollege Beck.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bei mir besteht die Gefahr nicht, dass ich Französisch spreche, weil ich auf der Schule darin ganz schlecht war. - Also auf Deutsch.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Gut.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, zunächst nur ein Punkt zur völkerrechtlichen Lage: Marokko ignoriert seit vielen Jahren eine eindeutige UNO-Resolution in Bezug auf die Sahrauis, ohne dass die Bundesregierung irgendetwas daran geändert hat. Meine Frage geht vielmehr dahin: Hat die Bundesregierung bei der Zuordnung der Länder Marokko, Tunesien und Algerien zu den sicheren Herkunftsländern beispielsweise die Situation der Homosexuellen in diesen Ländern berücksichtigt und zur Kenntnis genommen, dass Menschen dort nur wegen ihVolker Beck ({0}) rer Homosexualität verfolgt, ins Gefängnis gesperrt und gefoltert werden?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Danke schön. - Zunächst zu Ihrer Vorbemerkung: Ich habe nicht in Abrede gestellt, dass es dort Verletzungen von UN-Resolutionen geben mag. Ich habe nur deutlich gemacht, dass mit dem Vorschlag, Marokko als sicheres Herkunftsland zu bestimmen, keine völkerrechtliche Aussage verbunden ist. Für alle diese drei Staaten hat natürlich die Menschenrechtslage insgesamt eine Rolle gespielt: die Rechtslage im Abstrakten - das, was als Gesetzeslage im Gesetzbuch verzeichnet ist -, aber auch die Rechtspraxis, die Rechtsanwendung. Der von Ihnen genannte Punkt ist dabei berücksichtigt worden. Insofern ist es im Einzelfall immer noch möglich und durch das Verfahren auch sichergestellt, dass die Vermutung, die mit dem sicheren Herkunftsstaat einhergeht, in solchen Konstellationen auch widerlegt werden kann.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Die Kollegin Keul erhält das Wort zu einer Frage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe mich bei der Lektüre der Gesetzesbegründung - Marokko als sicherer Drittstaat - auch ein bisschen gewundert, weil auffällt, dass die Begriffe wechseln. Es heißt, im Hoheitsgebiet Marokkos gebe es keine Menschenrechtsverletzungen. Nun frage ich mich: Was meint die Bundesregierung mit „Hoheitsgebiet Marokko“? Was die besetzten Gebiete betrifft, so gewährt Marokko keinerlei Zugang für internationale Menschenrechtsbeobachter. Wir Parlamentarier bekommen dort keine Einreiseerlaubnis, und auch der UN-Sonderbeauftragte Christopher Cross bekommt schon seit Jahren, obwohl die UNO darauf besteht, keine Einreisegenehmigung für die besetzten Gebiete. Zivilisten, die dort 2010 ein Protestcamp organisiert hatten, sind anschließend vor einem Militärgericht zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden. All dies sind starke Indizien dafür, dass die Menschenrechtslage zumindest in den besetzten Gebieten sehr prekär ist. Jetzt frage ich noch einmal: Warum spricht die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung immer vom „Hoheitsgebiet Marokko“? Meint sie auch die besetzten Gebiete, oder meint sie nur das Kernland Marokko?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Vielen Dank. - Wenn Menschenrechtsverletzungen begangen werden oder Menschenrechtsgruppen der Zutritt verweigert wird, bin ich mit Ihnen in der Kritik und im Protest dagegen einig. Meines Wissens erstreckt sich der Begriff „Hoheitsgebiet“ gerade nicht auf diese Gebiete - dann würden wir ja eine Hoheit über die Gebiete implizit anerkennen -, sondern damit ist das unstrittige marokkanische Territorium gemeint. Das ist jedenfalls mein Kenntnisstand.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Der Kollege Nouripour hat noch eine Frage.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, in der Begründung des Gesetzentwurfs steht: Die Todesstrafe wird verhängt ... Missionierungen sind verboten, die ({0}) Konvertierung eines Muslims ist unter Strafe gestellt. ... Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern ist in der Praxis nicht immer gewährleistet. ... Oppositionelle Gruppierungen und Nichtregierungsorganisationen machen u. a. Einschränkungen bei Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit geltend. - Und so weiter und so fort. Das ist Algerien. Meine Frage lautet: Hat die Bundesregierung, nachdem sie das Label „sicherer Herkunftsstaat“ vergeben hat, das in diesen Ländern so verstanden wird, wie der Kollege Beck es gerade beschrieben hat - ich bin außenpolitischer Sprecher meiner Fraktion, rede viel mit Botschaftern und kann das nur bestätigen -, ernsthaft weiterhin vor, diesen Ländern gegenüber Menschenrechtspolitik geltend zu machen, und wenn ja, wie? Wie wollen Sie mit den Ländern über Demonstrationsverbote willkürlicher Art, Einschränkungen der Pressefreiheit, die Situation in den Gefängnissen und die Nichtunabhängigkeit der Justiz sprechen, wenn Sie ihnen vorher erklärt haben, dass es sichere Herkunftsstaaten sind?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

„Sicherer Herkunftsstaat“ ist ein Begriff des nationalen Rechts, des nationalen Asylrechts. Es ist kein völkerrechtlicher Begriff und ist auch keiner, mit dem wir auf der internationalen Bühne operieren. Dass die Gefahr besteht, dass die Länder diesen Begriff so missbrauchen, das will ich Ihnen ausdrücklich zugestehen. Insofern werden wir mit unserer Menschenrechtspolitik auch deutlich machen, dass das in keiner Weise eine Akzeptanz für Menschenrechtsverletzungen ist. Es ist ein Signal an die Menschen, dass in aller Regel - mit ganz wenigen Ausnahmen, das können wir auch in den entsprechenden Anerkennungs- und Schutzquoten Hans­Christian Ströbele nachlesen - der Weg nach Deutschland, nach Europa nicht der richtige ist. Dieses Signal wollen wir damit geben und im Verwaltungsverfahren auch die tatsächlichen Zahlen abbilden. Es ist kein Begriff des Völkerrechts oder der internationalen Politik. Es hindert uns auch nicht daran, dort weiterhin unsere Menschenrechtsargumente vorzutragen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Frau Keul, ich will Sie nur darauf hinweisen: Nach unserer Geschäftsordnung haben diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die die Frage eingereicht haben, die Möglichkeit, zwei Nachfragen zu stellen. Alle anderen Kolleginnen und Kollegen können nur eine Nachfrage stellen. Ich bitte um Verständnis dafür. Die Fragen 13 und 14 der Abgeordneten Corinna Rüffer, Frage 15 der Abgeordneten Jelpke, die Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Dr. André Hahn und Frage 18 der Abgeordneten Marieluise Beck ({0}) werden schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt die Frage 19 des Abgeordneten HansChristian Ströbele auf: In welcher Weise kooperiert das Bundesamt für Verfassungsschutz ({1}) zwecks weiterer Aufklärung mit dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof ({2}) bei dessen laufendem Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung ausländischer Terrorvereinigungen gegen einen bekannten sowie mehrere noch zu identifizierende BfV-Mitarbeiter, die den Ex-Verbindungsmann des BfV, Irfan Peci ({3}), im Herbst 2009 zu mehreren Geldspenden aus BfV-Geldern an zwei islamistische Vereinigungen veranlassten, welche er auch medial über vom Bundesnachrichtendienst ({4}) finanzierte Server unterstütze ({5}), und wann wird das BfV dem GBA die noch gesuchten oben genannten Personen namhaft machen sowie administrative, organisatorische und personelle Konsequenzen aus den verfahrensgegenständlichen Vorgängen ziehen? Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Ströbele, das Bundesamt für Verfassungsschutz kooperiert mit dem Generalbundesanwalt bei dem in Rede stehenden Ermittlungsverfahren weitest möglich.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie behaupten doch nicht, dass das eine vollständige Antwort auf meine Frage ist, schon gar keine weise. Aber ich will Ihnen dazu vorhalten, was man der Berliner Morgenpost am 14. Februar entnehmen konnte, nämlich dass der Generalbundesanwalt bestätigt hat, dass ein solches Ermittlungsverfahren bei ihm gegen den Herrn Peci, einen ehemaligen Mitarbeiter des Bundesverfassungsschutzes oder etwas Ähnliches - einen Zusammenarbeiter mit dem Bundesverfassungsschutz -, geführt wird. Was aber viel interessanter ist, ist, dass auch gegen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das dem Innenministerium untersteht, ein Ermittlungsverfahren läuft und dass in einem Fall die Person bekannt ist und in dem anderen Fall die zwei Personen nicht bekannt sind. Ist das Innenministerium bereit, dem Generalbundesanwalt diese Namen zur Verfügung zu stellen, oder muss dieser beim Verfassungsschutz eine Durchsuchung beantragen?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Zunächst einmal war das insofern eine vollständige Antwort, als es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt und in einer öffentlichen Sitzung keine Details von laufenden Ermittlungsverfahren verkündet werden können. Das wäre ganz wichtig festgehalten zu werden. Wenn Sie allerdings ausdrücklich danach fragen, kann ich erst einmal darauf hinweisen, dass ich bereits in meiner ersten Antwort bestätigt habe, dass es ein solches Ermittlungsverfahren gibt. Ich kann auch sagen: Ja, unter anderem auch gegen Mitarbeiter des Bundesamtes. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen ist an diesen Vorwürfen nichts dran. Es sind also unhaltbare Vorwürfe. Aber noch einmal: Ich will gar nicht mehr sagen, weil es sich hier um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt und ich dazu in öffentlicher Sitzung nichts sagen kann.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann will ich das noch konkreter machen. Der Zeitung ist auch zu entnehmen - das hat die Zeitung jetzt nicht erfunden, sondern das ergibt sich aus einer Antwort des Generalbundesanwalts an die Zeitung -, dass gegen einen namentlich bekannten und weitere namentlich nicht bekannte Mitarbeiter ermittelt wird. Die Namen der nicht bekannten Mitarbeiter kann doch der Verfassungsschutz dem Generalbundesanwalt geben. Ist die Bundesregierung bereit, diese Namen herauszugeben, ja oder nein?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich kann auf meine Antwort verweisen, Herr Kollege Ströbele, wenn es die Präsidentin gestattet, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz weitest möglich mit dem Generalbundesanwalt kooperiert, das heißt auch, im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten auch Informationen zur Verfügung stellen wird. http://gruenlink.de/13r9 http://gruenlink.de/zy6

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 20 der Abgeordneten Veronika Bellmann wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die Fragen 21 und 22 der Abgeordneten Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Frage 23 des Abgeordneten Harald Weinberg wird zurückgezogen. Ich rufe jetzt die Frage 24 der Abgeordneten Katja Keul auf: Seit wann sind die AWACS-Luftfahrzeuge über der Türkei im Einsatz, und wie viele deutsche Soldatinnen und Soldaten sind an diesem Einsatz beteiligt ({0})? Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Keul, in der Türkei finden regelmäßig Flüge mit NATO-AWACS-Luftfahrzeugen statt, die allerdings hinsichtlich des Zwecks voneinander zu unterscheiden sind. Erstens wird regelmäßig in der Türkei die nationale Übung NEXUS ACE durch NATO-AWACS-Luftfahrzeuge unterstützt. Derzeit findet vom 16. Februar bis zum 18. Februar 2016 ein Übungsdurchgang statt. Zweitens werden seit Februar 2015 im Rahmen der bisherigen Rückversicherungsmaßnahmen regelmäßig Flüge entlang der türkischen Schwarzmeerküste im östlichen Schwarzen Meer sowie angrenzender Länder durchgeführt. Angesichts der instabilen Lage entlang der südöstlichen Grenze der Allianz haben die NATO-Verteidigungsminister auf ihrem Oktobertreffen im Jahre 2015 darüber hinaus die Erarbeitung von Maßnahmen zur Rückversicherung der Türkei, sogenannte Tailored Assurance Measures - kurz: TAM -, beauftragt, die am 18. Dezember 2015 vom NATO-Rat beschlossen wurden. Die see- und luftseitigen Maßnahmen der NATO umfassen eine intensivierte Unterstützung der integrierten NATO-Luftverteidigung der Türkei, darunter den verstärkten Einsatz der AWACS-Aufklärungsflugzeuge zur Luftraumaufklärung über der Türkei ebenso wie einen verstärkten Einsatz der stehenden maritimen Einsatzverbände der NATO im östlichen Mittelmeer. Flüge im Rahmen dieser sogenannten TAM für die Türkei haben noch nicht stattgefunden. Eine entsprechende Entscheidung des Supreme Allied Commander Europe zum Beginn der Flüge soll voraussichtlich noch im Februar erfolgen. Eine Angabe zur Anzahl eingesetzter deutscher Soldatinnen und Soldaten kann nicht gemacht werden. Die Zusammensetzung der Luftfahrzeugbesatzung nach Nationalität unterscheidet sich von Flug zu Flug und wird nicht erfasst.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Keul, Ihre erste Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage zu den Fähigkeiten der AWACS-Flugzeuge, sowohl dazu, wie sie jetzt dort sind, als auch dazu, wie sie bei TAM eingesetzt würden. Wäre es möglich, über die Daten, die die AWACS-Flugzeuge aufnehmen, beispielsweise festzustellen, wer im Norden Syriens Luftangriffe geflogen hat? Es ist zum Beispiel umstritten, wer am Montag die Kliniken getroffen hat. Die einen sagen: Es war die russische Seite. Die russische Seite sagt: Nein, es war die alliierte Seite. Wären die AWACS in der Lage, hierüber Aufklärung zu geben? Wären sie auch in der Lage, beispielsweise eine Flugverbotszone im Norden Syriens zu überwachen?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin Keul, Ihre Frage bezog sich ja ausdrücklich auf AWACS-Luftfahrzeuge über der Türkei. Ein Einsatz von NATO-AWACS-Luftfahrzeugen über Syrien findet nicht statt. Natürlich haben diese Luftfahrzeuge einen gewissen Bereich, den sie aufklären können; aber das ist natürlich umso geringer in Bezug auf Syrien, je weiter Flüge von Syrien entfernt durchgeführt werden. Wie gesagt, Ihre Frage bezog sich auf AWACS-Luftfahrzeuge über der Türkei. Jedenfalls findet ein Einsatz von NATO-AWACS-Luftfahrzeugen über Syrien nicht statt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Keul, Ihre zweite Nachfrage.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das war jetzt keine Antwort auf meine Frage. Natürlich weiß ich, dass die AWACS über der Türkei auch Daten aus Syrien erfassen. Ich glaube, es war eigentlich deutlich, dass ich das meinte. Ich kann jetzt aber nicht noch einmal nachfragen, weil ich nur noch eine Zusatzfrage stellen darf. Diese Zusatzfrage würde ich gern zur Einordnung der Tatsache durch die Bundesregierung stellen, dass türkische Regierungsmitglieder bereits den Einsatz von Bodentruppen in Syrien diskutieren und dass Ankara bereits von türkischem Territorium aus Syrien beschießen lässt. Wenn deutsche Soldaten in den AWACS-Flugzeugen sind, ist das dann nicht ein bewaffneter Einsatz, über den wir hier beschließen müssten?

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Frau Kollegin Keul, um es noch einmal ganz klar zu sagen, auch im Hinblick auf Ihre erste Nachfrage zu Ihrer eigentlichen Frage, die sich auf AWACS-Luftfahrzeuge über der Türkei bezog: ({0}) Die Türkei ist NATO-Mitglied; sie ist kein Kriegsgebiet, sondern unser Verbündeter. Wenn wir uns über dem Territorium unseres Verbündeten an Luftaufklärungsmaßnahmen beteiligen, bedarf es dazu selbstverständlich keines Mandats. Der Einsatz unserer deutschen Soldaten im Rahmen mandatierter Einsätze, was den jüngst beschlossenen Einsatz mit Tornados über Syrien angeht, genauso was unseren Einsatz im Nordirak zur Unterstützung der kurdischen Peschmerga angeht: Diese Einsätze erfolgen selbstverständlich mandatskonform. Es wird selbstverständlich dafür Vorsorge getroffen, dass deutsche Soldaten, die an mandatierten Luftüberwachungsaktionen teilnehmen, die dabei ermittelten Daten nur in mandatskonformer Weise verwenden. Dafür ist in vielfältiger Weise Vorsorge getroffen. Ich nenne als Stichworte in diesem Zusammenhang „Red Card Holder“ etc. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Dr. Alexander Neu auf: Welche Typen von Schiffen, U-Booten, Flugzeugen oder Drohnen haben die an der EU-Militärmission EUNAVFOR MED beteiligten Nationen bislang eingesetzt ({0}), und welche Haltung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Frage, inwiefern Ziel und Zweck der eigentlich gegen Fluchthelfer ausgerichteten Operation ({1}) auch auf die Ausbildung oder technische Unterstützung der militärischen oder polizeilichen libyschen Grenzüberwachung ({2}) erweitert werden sollte? Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Neu, seit Beginn von EUNAVFOR MED Operation Sophia am 22. Juni 2015 haben insgesamt neun Nationen Schiffe oder Luftfahrzeuge dem Operationshauptquartier der EU in Rom unterstellt. Der Operation waren weder U- Boote noch unbemannte Luftfahrzeuge direkt unterstellt. Im Rahmen einer nationalen Unterstellung haben Italien und Griechenland U-Boote eingesetzt und mit Aufklärungsergebnissen zur Operation beigetragen. Kenntnisse über einen Einsatz von unbemannten Luftfahrzeugen der beteiligten Nationen im Rahmen einer nationalen Unterstellung liegen der Bundesregierung nicht vor. Die Nationen haben sich bislang gemäß offizieller Veröffentlichung durch den European External Action Service wie folgt beteiligt: Belgien: Fregatte „Leopold I“, Hubschrauber Bluebird Alouette; Deutschland: Fregatten „Schleswig-Holstein“ und „Augsburg“, Korvette „Ludwigshafen am Rhein“, Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ und „Berlin“, Tender „Werra“ und Minenjagdboot „Weilheim“; Frankreich: Fregatte „Courbet“, Seefernaufklärer Falcon 50, Hubschrauber FR AS 565 Panther; Griechenland: Seefernaufklärungsflugzeug Erieye EMB145H; Italien: Flugzeugträger „Cavour“ und „ Garibaldi“, Hubschrauber EH101; Luxemburg: Seefernaufklärer LUX SW3 Merlin III; Slowenien: Korvette „Triglav“; Spanien: Fregatten „Numancia“ und „Canarias“, Seefernaufklärer P-3M Orion und Vigma D-4, Hubschrauber SH-60B LAMPS III und AB 212; Vereinigtes Königreich: Fregatte „Richmond“, Multifunktionsforschungsschiff „Enterprise“, Hubschrauber AW101 Merlin Mk2 und Lynx Mk 8. Die Bundesregierung weist den in der Fragestellung genutzten Ausdruck der Fluchthelfer in diesem Zusammenhang entschieden zurück. Mit EUNAVFOR MED Operation Sophia wird unter anderem gezielt gegen die organisierte Kriminalität im Mittelmeer vorgegangen. Das Mandat zielt auf die Unterbindung des perfiden Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer. Die Ausbildung und Unterstützung libyscher maritimer Sicherheitsbehörden ist nicht Teil des Mandats der Operation. Eine Erweiterung des Mandats der Operation um zusätzliche Aufgaben wie Ausbildung oder technische Unterstützung ist aus Sicht der Bundesregierung an das Vorliegen zusätzlicher politischer, rechtlicher und militärischer Voraussetzungen geknüpft. Diese sind derzeit nicht gegeben.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Neu, Sie haben das Wort. - Keine Nachfrage. Okay. Dann rufe ich die Frage 26 auf, die ebenfalls vom Abgeordneten Dr. Neu gestellt wird: Inwiefern stand ein in der fünften Kalenderwoche 2016 unter Beteiligung deutscher Kriegsschiffe abgehaltenes Manöver des ständigen maritimen Einsatzverbandes der NATO im Mittelmeer mit der türkischen Marine im Zusammenhang mit einer etwaigen gemeinsamen Militäroperation in der Ägäis, um dort Fluchthelfer aufzuspüren und aufzubringen ({0}), und was ist der Bundesregierung aus der Planung und Evaluierung des Manövers darüber bekannt, welche der dort eingesetzten Schiffe, Flugzeuge, U-Boote oder Satellitenkapazitäten die beteiligten Nationen auch im Rahmen einer solchen Operation gegen Fluchthelfer in der Ägäis einsetzen würden? Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Neu, am Ständigen Marine-Einsatzverband 2 der NATO ist Deutschland mit dem Einsatzgruppenversorger „Bonn“ als Flaggschiff des Verbandes im ersten Halbjahr 2016 beteiligt. Der Verband nimmt regelmäßig an Übungen und anderen Vorhaben teil. Die Planung, Durchführung und Auswertung dieser Vorhaben erfolgt längerfristig und liegt nicht in nationaler Verantwortung, sondern wird im Rahmen der NATO-Kommandostruktur erarbeitet und nachbereitet. Das im Zeitraum vom 1. Februar bis zum 4. Februar 2016 durchgeführte Manöver des Ständigen Marine-Einsatzverbandes 2 der NATO mit der türkischen Marine fand in dem obengenannten Kontext statt und stand daher nicht in einem Zusammenhang mit der geplanten gemeinsamen Militäroperation in der Ägäis. Es diente der Steigerung der Interoperabilität und Zusammenarbeit innerhalb des Verbandes. Erkenntnisse zur Übungsauswertung dieses Manövers seitens der NATO liegen der Bundesregierung nicht vor. Aus diesen routinemäßig stattfindenden Vorhaben der ständigen Marineeinsatzverbände der NATO lassen sich keine Ableitungen treffen, welche Fähigkeiten einzelne Nationen in konkrete Einsätze künftig gegebenenfalls einmelden.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Dr. Neu. - Keine Nachfrage. Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Welche Angaben macht die Bundesregierung zum geplanten und von der NATO beschlossenen Einsatz der Bundesmarine im Rahmen der NATO in der Ägäis, insbesondere zu den konkreten Aufgaben der Bundeswehr, dessen Zielen und dessen Rechtsgrundlage, aber auch zu der Ausstattung und Bewaffnung der eingesetzten Schiffe der Bundesmarine, und wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass sich der Einsatz nicht gegen die Flüchtlinge auf ihrer Flucht vor Krieg und Verfolgung aus der Türkei nach Europa, insbesondere nicht gegen deren Freiheit und Freizügigkeit, die ihnen auch durch deutsches, europäisches und internationales Recht garantiert werden, richtet und auswirkt? Der Staatssekretär hat das Wort zur Beantwortung.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Ströbele, während des Verteidigungsministertreffens am 10. Februar 2016 haben Griechenland, die Türkei und Deutschland die NATO um Unterstützung bei der Flüchtlings- und Migrationskrise gebeten. Die NATO-Verteidigungsminister haben am 11. Februar den Supreme Allied Commander Europe - kurz: SACEUR - beauftragt, Maßnahmen zur Unterstützung zu entwickeln. Auf der Grundlage der bisherigen Autorisierungen hat SACEUR angewiesen, den Ständigen Marine-Einsatzverband 2 der NATO in die Ägäis zu verlegen. Derzeit ist beabsichtigt, spätestens bis zum 24. Februar 2016 den NATO-Rat mit den weiteren militärischen Planungen zu befassen. Der beauftragte NATO-Verband wird derzeit durch Deutschland geführt. Es besteht die Absicht, diesen Verband mit der Aufklärung, Überwachung und Beobachtung des Seegebietes zwischen den Küsten der Türkei und Griechenlands zu beauftragen. Der deutsche Einsatzgruppenversorger „Bonn“ ist ausgestattet mit Navigationsradar sowie TV- und Infrarotkamera. Seine Grundbewaffnung umfasst vier Marineleichtgeschütze, vier Maschinengewehre sowie schultergestützte Flugkörper zur Flugabwehr. Mit dem beabsichtigten Beitrag zum Lagebild sollen Griechenland und die Türkei bei der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben unterstützt werden. Die Staaten sollen so in die Lage versetzt werden, den gesetzwidrigen Menschenschmuggel und die illegale Migration über den Seeweg besser zu unterbinden. Angesichts der bisherigen Vorgaben seitens der NATO ist es nicht beabsichtigt, Zwangsbefugnisse gegen Schiffe und Boote mit Migranten an Bord auszuüben. Daher ist eine Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen nicht zu erwarten. Die Türkei hat zugesagt, auf See gerettete Flüchtlinge, die aus der oder durch die Türkei kommen, wieder aufzunehmen. Die militärischen und politischen Gremien wurden von den NATO-Verteidigungsministern während des Verteidigungsministertreffens am 11. Februar 2016 beauftragt, konkrete Details auszuarbeiten. Die Ergebnisse dieser Arbeiten bleiben zunächst abzuwarten.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Ströbele, ich würde noch eine Nachfrage von Ihnen zulassen. Wir werden dann aber die Fragestunde schließen müssen, weil die Zeit dann abgelaufen ist. Also eine Nachfrage noch, und dann beenden wir die Fragestunde.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, darauf muss man erst einmal kommen. Bei der Gründung der NATO - das habe ich ja miterlebt - ist, glaube ich, niemand darauf gekommen, dass man diese NATO braucht, um Flüchtlinge abzuwehren. Das ist nun wirklich eine neue Idee. Aber meine Frage: Wenn die Schiffe der Bundesmarine - das haben wir vorhin schon gehört - Menschen aufnehmen, die geflohen sind vor Krieg, Hunger, Vertreibung, Bomben und Ähnlichem und die offenbar in der Türkei auch nicht, ohne Not zu leiden, untergebracht werden konnten, und sie in die Türkei zurückbringen, also damit praktisch die Flucht beenden, ist dann nicht auch nach Auffassung der Bundesregierung das Maß überschritten? Wie kann die Bundesregierung so etwas anordnen, anstatt die Flüchtlinge woanders hinzubringen, wie es etwa im Falle der libyschen Flüchtlinge geschieht, die nicht nach Libyen, sondern nach Italien, zum Beispiel nach Lampedusa, zurückgebracht werden? Das heißt, können die Flüchtlinge -

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Ströbele, Sie haben Ihre Zeit schon überschritten. ({0}) Herr Staatssekretär.

Dr. Ralf Brauksiepe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003055

Herr Kollege Ströbele, dieser Einsatz dient selbstverständlich nicht der Bekämpfung von Flüchtlingen. Ich glaube, die NATO-Mitgliedstaaten - die besonderen Lasten, die die Türkei zu tragen hat, wurden bereits erwähnt - und in Sonderheit Deutschland haben keinen Nachholbedarf im Hinblick auf Solidarität und Aufnahmebereitschaft bezüglich Flüchtlingen. Von daher weise ich den Vorwurf, die NATO diene hier der Bekämpfung von Flüchtlingen, seitens der Bundesregierung in aller Entschiedenheit zurück. Es geht um die Bekämpfung krimineller Menschenhandels- und Schleusernetzwerke, nicht um die Bekämpfung von Flüchtlingen. ({0}) Selbstverständlich ist es in der Tat ein rechtlicher, politischer und faktischer erheblicher Unterschied, was die Verhältnisse in Libyen einerseits und in der Türkei andererseits angeht. Die Türkei fällt ausdrücklich nicht unter den sogenannten Non-Refoulement-Grundsatz, wonach eine Rückführung in Länder nicht erlaubt ist, in denen Menschen aufgrund ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Dies ist bei der Türkei nicht der Fall. ({1}) Von daher fällt die Türkei nicht unter das sogenannte Refoulement-Verbot. Es ist zu Recht schon darauf hingewiesen worden: Seenotrettung ist die Aufgabe eines jeden Schiffes, das auf Menschen in Seenot trifft. Die Menschen, die aus Seenot gerettet werden, haben einen Anspruch darauf, in einen sicheren Hafen gebracht zu werden. Sie haben keinen Anspruch darauf, in ein Land oder einen Hafen ihrer Wahl gebracht zu werden. Genau diese Voraussetzung eines sicheren Hafens erfüllen auch die türkischen Häfen. Im Übrigen habe ich darauf hingewiesen, dass die konkreten Planungen noch in der Erarbeitung sind und nach ihrem Abschluss unter anderem rechtlich durch die Bundesregierung zu würdigen sind.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle weiteren Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich schließe die Fragestunde. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Verschärfung kriegerischer Auseinanderset­ zungen in Syrien nach den Angriffen der Tür­ kei auf syrisch­kurdisches Gebiet Als erster Redner in der Aktuellen Stunde hat Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin eigentlich sehr froh, dass wir die Chance haben, in dieser Aktuellen Stunde über die Lage in Syrien zu debattieren. An erster Stelle bin ich darüber sehr froh, weil ich möchte, dass die syrischen Flüchtlinge hier in Deutschland bzw. in Europa verstehen, akzeptieren und auch fühlen, dass uns die Lage in ihrem Land nicht gleichgültig ist und wir sie nicht als Belastung, sondern als Opfer einer Politik wahrnehmen, an der Europa - und auch unser Land - einen Anteil hat. Das soll die Botschaft sein. Ich sage in aller Demut: Ich möchte, dass die syrischen Flüchtlinge dieses Gefühl auch hier aus dem Bundestag mitnehmen. ({0}) Wenn man über die Situation in Syrien nachdenkt, kommt man also zu dem Schluss, dass Europa einen Anteil daran hat. Schauen Sie einmal auf die Grenzen im Nahen Osten. Die sind mit dem Lineal gezogen worden. Sie sind ein Ergebnis kolonialer Politik. Vieles an Unsicherheit resultiert daraus. Da haben wir etwas abzutragen. Ist es nicht so, dass dieser verfluchte Krieg der USA bzw. des Westens im Irak ein ganzes Land zerschlagen hat und dass sich erst infolge dieses Krieges ISIS bzw. IS und andere entwickeln konnten? Ist es nicht so, dass heute das Gleiche in Libyen und im Jemen passiert? Wir haben allen Anlass, auch über die eigene Verantwortung nachzudenken. Es war ein großes Verdienst der sozialdemokratischen Kollegen, dass es damals unter Gerhard Schröder die Linie war, Nein zum Krieg im Irak zu sagen. Die Kanzlerin ist damals ja noch in die USA gefahren und hat sich beim amerikanischen Präsidenten entschuldigt. Sie wollte diese Entscheidung rückgängig machen. Ich finde, wir alle haben Veranlassung, uns erst einmal mit uns selber auseinanderzusetzen. Ist es nicht so, dass es europäische Länder - darunter leider auch Russland - sind, die in Syrien bombardieren? Ich habe immer geradlinig die Meinung vertreten: Bomben schaffen keinen Frieden. Und dabei bleibt es auch. Mit Bomben kann man die Verhältnisse in einem Land nicht verändern. ({1}) - Ja klar, für wen denn sonst? ({2}) - Ich habe das doch eben gesagt. Ihr alle habt Feindbilder im Kopf. Feindbilder lohnen sich nicht - weder im Parlament noch anderswo. Ich habe deutlich gesagt, dass ich auch was Russland, andere europäische Länder und die USA angeht - gegen die Bombenangriffe in Syrien bin. Und ich sage noch einmal: Bomben schaffen keinen Frieden, egal wer sie abwirft. Das kann man auch verstehen. ({3}) Ich denke, wir sollten darüber reden und uns verständigen, was die Zielsetzung einer solchen Aktuellen Stunde ist. Meine Fraktion bzw. ich verfolgen eigentlich zweierlei. Wir sind der Auffassung, dass man eine Syrien-Politik machen muss, bei der wir eine Chance haben, dass das Töten und Morden aufhört. Das steht für uns an erster Stelle. Weiter wollen wir, dass Syrien ein einheitlicher, säkularer Staat bleibt und demokratisiert wird. Das ist Punkt 1 der Wiener Vereinbarung, die zu Syrien getroffen wurde. Keine andere Fraktion im Bundestag verficht so konsequent die Wiener Vereinbarung wie die Fraktion Die Linke. Wir wollen, dass das praktische Politik wird. Wenn man das will, muss man über ein paar Fragen stärker nachdenken. Seit Tagen beschießt die Türkei - ein enger Bündnispartner unseres Landes und NATO-Mitglied - kurdisch-syrisches Gebiet. In der Türkei sammeln sich türkische und saudi-arabische Truppen. Ein Bodeneinsatz ist nicht ausgeschlossen. Wolfgang Ischinger hat auf der Münchener Konferenz gesagt: Wenn das passiert, ist - weil Russland und andere aufeinandertreffen könnten - auch eine atomare Auseinandersetzung nicht auszuschließen. Auch ehemalige NATO-Militärs sagen, dass das ein Super-GAU wäre. Ist es nicht furchtbar, dass wir wieder in einer Zeit leben, wo wir den Gedanken an einen großen Krieg nicht verdrängen können? Wir alle müssten eine wirkliche Friedenspolitik entwickeln. Wenn das passiert, ist Deutschland mittendrin. Wir sollten die Tornados - wir gehen vor das Verfassungsgericht und klagen die Ihnen sowieso weg ({4}) sofort zurückziehen; denn wir dürfen uns nicht mit Militärwerkzeugen an einem Krieg beteiligen, der uns möglicherweise weit mehr als die jetzige Komponente mit in den Abgrund reißt. Deswegen wollten wir diese Aktuelle Stunde. Deswegen wollten wir über das reden, was passiert. Ich bin gespannt, was Ihre Position dazu ist, und ob Sie die Courage haben, mal endlich zu sagen: Wir wollen nicht, dass unser Land immer wieder in solche Kriege hineingezogen wird. - Das wollte ich Ihnen vortragen. Schönen Dank. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Jürgen Hardt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Aktuellen Stunde beschäftigen wir uns mit einem Thema, das heute bereits Gegenstand der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin war. Wenn Herr Gehrcke hier reklamiert, dass die linke Fraktion das Wiener Verhandlungsergebnis zu Syrien am besten unterstützt, dann muss ich sagen: Das, was die Bundeskanzlerin hier heute in ihrer Regierungserklärung zu diesem Thema vorgetragen hat, war auch eine ganz klare und überzeugende Unterstützung dieser Politik, die im Übrigen vom Bundesaußenminister wesentlich mitgestaltet und geprägt worden ist. ({0}) Wenn ich die Überschrift der Aktuellen Stunde, die die Linke beantragt hat, lese - „Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen in Syrien nach den Angriffen der Türkei auf syrisch-kurdisches Gebiet“ -, dann denke ich, Herr Gehrcke, dass Ihre Brille ein wenig schief sitzt; ({1}) ich meine jetzt Ihre politische Brille. Denn die Verschärfung der Lage in Syrien ist natürlich ganz klar zuvorderst dadurch eingetreten, dass die russische Luftwaffe im Verbund mit den Truppen des Diktators Assad die Zivilbevölkerung und die Opposition bekämpft, in Aleppo und in anderen Regionen des Landes eine humanitäre Katastrophe verursacht und ein verheerendes Blutbad angerichtet hat, was dazu geführt hat, dass sich Zehntausende von Flüchtlingen zusätzlich auf den Weg gemacht haben. Wir können nur an Russland, an Assad und an alle anderen appellieren, die Beschlüsse vom Donnerstag vergangener Woche in München - Waffenstillstand innerhalb einer Woche; die Woche läuft leider bald aus - sofort umzusetzen und einen Zugang für einen humanitären Einsatz zu ermöglichen, damit die Grundvoraussetzung dafür, dass Friedensgespräche im Sinne der Wiener Verhandlungen möglich sind, eintritt, nämlich ganz konkret die Waffen schweigen und das Blutvergießen ein Ende hat. ({2}) Ich glaube, das, was den Wiener Prozess aussichtsreich macht, ist tatsächlich, dass er eben nicht ein aus weiter Entfernung gesteuerter Prozess ist, sondern die Partner in der Region konkret und massiv mit eingebunden werden und insbesondere auch die beiden Kontrahenten Saudi-Arabien und Iran in den Prozess einbezogen werden. Das Papier, das wir als Ergebnis der Wiener Konferenz kennen, ist beachtlich. Es sieht ein säkulares, rechtsstaatliches Syrien als Folge eines Friedensprozesses vor, der sich in den nächsten 18 Monaten vollziehen sollte. Das ist ein sehr ambitioniertes, voll und ganz unterstützenswertes Ziel. Was Deutschland gegenwärtig leistet, ist Unterstützung im Kampf gegen den IS. Der IS ist nach Assad die zweite Pest, die über die Bevölkerung in Syrien hineingebrochen ist. Ich glaube, dass eine wirksame Bekämpfung des IS in Syrien, aber eben auch im Norden des Irak und in anderen Teilen der Region bis hin nach Libyen nur dann möglich ist, wenn sich die Kräfte einig sind, wenn es gelingt, in Syrien eine Situation herbeizuführen, in der eine wie auch immer getragene Regierung der nationaWolfgang Gehrcke len Einheit mit Unterstützung anderer geschlossen gegen den IS kämpft. Solange Assad und Russland gegen die Oppositionskräfte kämpfen, wird sich der IS die Hände reiben und weiter ausbreiten und entfalten können. Das haben die Menschen in diesem Land nicht verdient. Wie sieht die Zukunft aus? Ich glaube, dass es immer wieder den Versuch geben sollte, ein Schweigen der Waffen zu erreichen. Vor allem wäre es wichtig, dass diejenigen, die den Kampf gegen den IS führen - er soll auch in dem Fall, dass die Waffen im Bürgerkrieg in Syrien schweigen, weiterhin geführt werden -, Wege finden, sich darüber zu verständigen und zu verifizieren, welche Ziele tatsächlich Angriffsziele sind. Wir haben in den letzten Wochen immer dann ein absolutes Tohuwabohu an Meldungen gehabt, wenn entsprechende Luftschläge Russlands stattgefunden haben. Russland behauptete: Wir haben den IS bekämpft. Durch neutrale bzw. westliche Kräfte wurde verifiziert: Die Luftschläge haben nicht den IS getroffen, sondern die Opposition. Nur wenn - das ist der wunde Punkt bei der Vereinbarung vom Donnerstag letzter Woche - die strittige Frage: „Wer ist Terrorist, was ist ein bekämpfungswürdiges Ziel, und was ist nicht zu bekämpfen?“ in den nächsten Tagen zwischen den großen beteiligten Kräften tatsächlich befriedigend geklärt werden kann, wird es eine Chance geben, den Waffenstillstand umzusetzen. Den Menschen in Syrien ist das dringend zu wünschen. Den Menschen in Syrien gilt unser Mitgefühl in dieser schwierigen Situation. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, mit einem vermeintlich unbedeutenderen Thema anzufangen. Allein in dieser Woche sind vier Krankenhäuser und zwei Schulen in Syrien durch Bombardements zerstört worden. Der Außenminister hat gesagt: Das ist ein trauriger Tiefpunkt der Auseinandersetzungen in Syrien. Er hat recht. Ich glaube, dass es in dieser Situation wichtig ist, an die von inzwischen 51 Staaten unterzeichnete freiwillige Selbsterklärung zu erinnern, in der es darum geht, dass Schulen in Kriegssituationen nicht angegriffen werden. Es ist sehr bedauerlich, dass sich die Bundesregierung trotz der aktuellen Situation immer noch weigert, dieser Erklärung beizutreten. ({0}) Wir können Sie wirklich nur anflehen: Gehen sie mit gutem Beispiel voran, und unterzeichnen Sie die Safe Schools Declaration. ({1}) - Dann hört das nicht auf. Aber, verflucht noch mal, es ist doch das Mindeste, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen! ({2}) Es ist doch eindeutig, dass wir eine Vorbildfunktion einnehmen wollen! Wenn Sie sich hier hinstellen und moralisierende Reden über die Welt da draußen halten, aber nicht bereit sind, vor der eigenen Tür zu kehren, dann wird sich eben nichts ändern! Verdammt noch mal! ({3}) Die Bundesregierung hat sich bisher nicht einmal bequemt zu erklären, warum sie dieser Erklärung nicht beigetreten ist, während alle anderen europäischen Staaten dies getan haben. Ich bitte die Bundesregierung darum, etwas sachlicher mit diesem Thema umzugehen als der Kollege hier. ({4}) Jetzt aber zum Thema der Aktuellen Stunde und zur Rede des Kollegen Gehrcke. Es ist richtig: Die Türkei trägt zurzeit massiv zur Verschärfung der Situation in Syrien bei; dazu wird meine Kollegin Roth nachher deutlich mehr sagen. Aber manchmal sind halbe Wahrheiten Lügen. Ich freue mich, dass das Wort „Russland“ tatsächlich gefallen ist; das ist wirklich nicht normal, das ist auch relativ originell. Nur, verehrter Wolfgang Gehrcke, Sie haben es immer noch nicht geschafft, von diesem Pult aus das Wort „Assad“ im Zusammenhang damit, wer die Verantwortung in Syrien hat, über die Lippen zu bringen. ({5}) Ich glaube, das zeigt, wie dramatisch die Diskussion in Ihrer Partei ist. Wenn Sie sagen, die Flüchtlinge sollen einmal sehen, was da passiert, dann schlage ich vor: Gehen Sie doch zu den Flüchtlingen hin, und fragen Sie sie, weswegen sie geflohen sind. - Es ist doch eindeutig, dass die große Mehrheit der Menschen wegen Assad flieht. Es wäre wundervoll, wenn die Linke das einmal zur Kenntnis nehmen würde und nicht immer nur davon reden würde, dass der Westen an allem schuld ist, was auf dem Planeten passiert. Natürlich hat der Westen eine riesige Verantwortung, aber es gibt auch noch ein paar andere, deren Ideologie sich noch ganz weit hinten am Sozialismus oriJürgen Hardt entiert. Das wäscht aber niemanden rein von der großen Verantwortung, wenn es um Fassbomben, um den Ruin der Städte und um die Chemiewaffen geht, die in Syrien vom Himmel gefallen sind. Schauen wir uns an, was die Russen zurzeit machen. Es ist eindeutig: Da geht es um das Verhindern einer politischen Lösung, und dabei wird die Doppelstrategie verfolgt, nämlich einmal, dass Aleppo fällt, und wir uns dann, wenn es am Ende nur noch zwei relevante Gruppen gibt, nämlich Assad und ISIS, für eine der beiden Seiten entscheiden sollen. Das halte ich für eine unerträgliche Variante. Aber es geht ebenso darum, Flüchtlinge zu produzieren. Ich finde, das muss man so benennen. Es ist unerträglich, dass Flüchtlinge in diesem dreckigen Spiel mittlerweile zum Spielball der Geostrategie geworden sind. ({6}) Und in dieser Situation fährt ein Ministerpräsident nach Moskau und sagt auf einer Pressekonferenz, Deutschland sei ein Unrechtsstaat. Aber das Wort „Aleppo“ habe ich von Herrn Seehofer nicht ein einziges Mal gehört. Das halte ich für einen handfesten Skandal. ({7}) In der gegenwärtigen Situation - für die die Bundesregierung nicht viel kann; es ist ja nicht die Schuld der Bundesregierung, dass die Situation so dramatisch ist - gibt es drei, vier Punkte, um die man sich kümmern muss. Das Erste ist Erwartungsmanagement. Die Bundeskanzlerin hat ja damit, dass sie sagt: „Es wäre schön, wenn es in Syrien Orte gäbe, wo keine Bomben fallen“, recht. Nur, was folgt daraus? Ich weiß es nicht. Eine Nofly-Zone sehe ich nicht. Das ist derzeit keine ernsthafte militärische Option. Und ich glaube auch, dass man mit den Erwartungen und Hoffnungen der Menschen nicht so spielen sollte. Das Gleiche gilt für die Frage, was man in Wien macht. Herr Kollege Gehrcke, natürlich haben wir die Konferenz in Wien unterstützt; das haben wir alle getan. Wir haben aber im Übrigen auch darauf hingewiesen, dass es bei dem Kongress in Wien eine Asymmetrie gab, nämlich dadurch, dass Assad faktisch mit am Tisch saß, aber die Opposition nicht. ({8}) Damit bin ich bei dem Zweiten, was die Bundesregierung machen sollte. Es gibt eine moderate Opposition. Ich meine zum Beispiel auch die Gruppierungen in Gaziantep. Ja, wir treffen Vertreter dieser Gruppierungen; das stimmt. Wolfgang Gehrcke trifft sie, und wir treffen sie; das ist richtig. Die Unterstützung dieser Gruppierungen verlief aber so: Erst haben sie Geld bekommen, dann haben sie keins bekommen, dann haben sie wieder Geld bekommen, dann hat man ihnen keins gegeben, dann hat man es ihnen versprochen, um dann zu sagen: Wenn ihr nicht zu den Modalitäten, die wir uns wünschen, nach Genf kommt, dann bekommt ihr keins. - Ich glaube nicht, dass man auf diese Art und Weise eine politische Lösung voranbringt. ({9}) Das Zentrale ist jetzt die humanitäre Hilfe, und zwar in den Nachbarstaaten genauso wie in Syrien selbst. Wenn man sich anschaut, dass derzeit mindestens 400 000 Menschen unter Belagerungen leiden und bedroht sind von einer Waffe namens Hunger - das ist ein schlimmes Kriegsverbrechen -, dann stellt sich die Frage, wie man diesen Menschen helfen kann. Es geht nicht nur um Verhandlungen mit Assad, sondern auch um die 200 000 Menschen, die von ISIS belagert sind. Denen kann man nicht erklären, warum die westlichen Länder im Stande sind, Bomben abzuwerfen, aber keine Essenspakete. Es geht natürlich auch um die Nachbarstaaten. Ich war am Samstag das vierte Mal in Saatari, dem größten Lager im Nahen Osten. Die einzige Konstante der letzten vier Jahre ist das territoriale Wachstum. Die Gesichtsfarben werden immer blasser, und die Leute, die letztes Jahr noch gefragt haben, wie man helfen kann, fragen gar nicht mehr. Es gibt eine unglaubliche und immense Ratlosigkeit, die uns ein Stück weit verpflichtet, diesen Menschen zu helfen und dafür zu sorgen, dass nicht noch mehr Länder kollabieren, wie das im Fall Irak bereits passiert ist. Es ist ein Wunder, dass der Libanon als feste Größe noch besteht. Im Fall von Jordanien ist das nicht anders.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Diese Länder brauchen eindeutig und ganz dringend unsere Unterstützung. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Niels Annen von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Nouripour, ich glaube, wir alle teilen Ihre Empörung über die Lage in der Region. Ich glaube aber - so ist das jedenfalls bei mir angekommen -, dass die Verbindung der Kritik, die Sie vorgetragen haben - darüber kann man ja sachlich diskutieren -, mit den jüngsten Bombardierungen in Aleppo zu einer missverständlichen Botschaft führen kann. Ich glaube, davon haben wir alle nichts. Insofern konnte ich die Reaktion meiner Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion wirklich verstehen; das teile ich auch. Lassen Sie uns über die Lage sprechen. Ich will mich auf das beziehen, was der Kollege Hardt hier vorgetragen hat. Wissen Sie, Herr Gehrcke, ich freue mich ja über Ihr Lob für die Arbeit unseres Außenministers und unserer Bundeskanzlerin hinsichtlich der Einleitung eines politischen Prozesses. Ich nehme Ihnen das auch ab. Ich glaube, dass das, was Sie hier vorgetragen haben, wirklich ehrlich gemeint war. ({0}) Man muss aber doch auch zur Kenntnis nehmen, dass genau zu dem Zeitpunkt, während der vereinbarte Prozess lief - das ist ja keine theoretische Debatte, sondern die Vertreter des Regimes und die Vertreter der Opposition saßen mit dem UN-Vermittler in Genf und haben gesprochen; sie waren im Rahmen der Proximity Talks dabei, die direkten Verhandlungen vorzubereiten -, die Luftwaffe von Assad mit Unterstützung der russischen Luftwaffe die Angriffe auf Aleppo intensiviert hat. Daraus, dass das genau zu dieser Zeit passiert ist, kann man keinen anderen Schluss ziehen, als dass diese Gespräche unterbrochen und verhindert werden sollten. Dazu muss man doch einmal etwas sagen. Ich finde es ja völlig in Ordnung, dass man auch über die anderen Akteure in diesem Krieg redet. Zu diesen anderen Akteuren gehört auch die Türkei. Übrigens hat heute auch die Bundeskanzlerin gesagt, wo sie da kritische Punkte sieht. - Aber dass Sie das hier nicht zum Thema machen, während in Aleppo gebombt wird, finde ich wirklich ein starkes Stück. ({1}) Das, was wir im Moment tun können, um den politischen Prozess voranzutreiben, ist von daher, wie ich glaube, extrem kompliziert. Ich kann uns allen nur raten, nicht den Eindruck zu erwecken, dass wir uns auf die Seite einer der Konfliktparteien stellen. Wir müssen vielmehr an der Seite der Menschen in Syrien stehen. Wir müssen diejenigen sein - ich bin dankbar dafür, dass der Außenminister das in den Verhandlungen immer wieder in den Mittelpunkt gerückt hat -, die für die Weltgemeinschaft Partei ergreifen. Es waren doch die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, die bei den Verhandlungen zum Teil ihren eigenen Vermittler vergessen hatten. Wir benötigen am Ende des Prozesses die Legitimität der Vereinten Nationen. Deswegen ist es so zentral, dass wir mit Herrn de Mistura jemanden haben, der nicht nur sprechfähig mit den unterschiedlichen Gruppierungen der Opposition und mit dem Regime ist, sondern auch die Unterstützung der wichtigen Länder auf der Welt hat. Dazu gehört Deutschland, dazu gehören aber vor allem die Staaten, die zwingend dazu beitragen müssen, dass dieser Prozess vorangeht, und dazu gehört in der Tat die Türkei. Auch ich bin über die Entwicklung, über den Beschuss syrischen Territoriums, besorgt. Aber man darf es sich nicht so leicht machen, wie Sie, Herr Gehrcke, es hier tun. Sie haben gesagt, Sie würden davor warnen, dass wir uns mit Militärinstrumenten an einem Krieg beteiligen. ({2}) Zunächst einmal: Wir liefern - das wissen Sie genauso gut wie ich - Informationen, und wir tragen zu einem Lagebild bei. Diesbezüglich kann man unterschiedlicher Meinung sein; darüber haben wir hier diskutiert. Aber aus Ihrer Fraktion heraus - das ist dokumentiert; das ist in diesem Hause vorgetragen worden - sind die militärischen Erfolge der kurdisch-syrischen Milizen mehrfach bejubelt worden. Sie sind übrigens mit militärischen Mitteln erreicht worden. ({3}) Ich will auch von diesem Rednerpult aus sagen: Wir haben großen Respekt vor dem, was die YPG im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ geleistet hat. Es gehört aber dazu, auch darauf hinzuweisen - Sie haben ja gesagt, dass Bomben keinen Frieden schaffen -, dass es amerikanische Bomben waren, die Ziele getroffen haben, die von genau diesen Milizen markiert worden sind und dadurch die Grundlage für deren militärischen Erfolge geliefert haben. Man kann sich das Leben also auch leicht machen. Dieser Krieg ist in einer Art und Weise komplex, dass man es selbst in fünf Minuten nicht schafft, alle unterschiedlichen Akteure zu benennen. Sie sagten, dass die USA einen Krieg im Irak geführt haben, ({4}) gegen den wir gewesen sind. Dann haben Sie den Krieg im Jemen genannt, und dann haben Sie den Krieg in Libyen genannt. Zum Glück haben Sie am Ende noch die russische Offensive erwähnt. Ich will an dieser Stelle sagen: Die Türkei engagiert sich militärisch. Saudi-Arabien unterstützt bestimmte Milizen, von denen uns nicht alle gefallen; auch das haben wir hier mehrfach erwähnt. Russland bombardiert Aleppo. Auch unser türkischer Bündnispartner hat sich in den vergangenen fünf Kriegsjahren häufig ambivalent verhalten. ({5}) Aber eines fällt schon auf, Herr Gehrcke: Sie versuchen, auch mit dem Titel dieser Aktuellen Stunde, die Schuld an der Situation einem Akteur in die Schuhe zu schieben. Einem einzigen Akteur! Damit, glaube ich, helfen Sie weder den Menschen in Syrien, noch helfen Sie der deutschen Öffentlichkeit, das, was dort wirklich passiert, nachvollzuziehen. Sie helfen übrigens auch nicht - das steht im Gegensatz zu dem, was Sie hier behauptet haben - den Bemühungen um Frieden von Frank-Walter Steinmeier. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Dr. Andreas Nick von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 500 000 Menschen haben seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien ihr Leben verloren. Jeder zehnte Syrer ist im Krieg entweder getötet oder verletzt worden. Mehr als 10 Millionen Menschen, über die Hälfte der ursprünglichen Bevölkerung, sind auf der Flucht. Der Machthaber Assad führt, unterstützt von Russland, dem Iran und schiitischen Milizen, einen Krieg gegen das eigene Volk. Die anhaltenden Bombardements der Zivilbevölkerung durch das Assad-Regime und Russland schaffen tagtäglich unendliches Leid für Zehntausende von Menschen. Mit 50 getöteten Zivilsten in Schulen und Krankenhäusern, auch solchen von Médecins sans Frontières, hat der Bürgerkrieg in Syrien einen weiteren traurigen Tiefpunkt erfahren; und das kann durchaus als Kriegsverbrechen bezeichnet werden. Wir sind entsetzt über die weitere Verschärfung der humanitären Katastrophe im Land. Neben dem Verlust unzähliger Menschenleben schmerzt auch das Ausmaß der Zerstörung. Aleppo, einst eine blühende Metropole, deren Altstadt mit dem Basar zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörte, wurde in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Jetzt werden Wohnviertel komplett zerstört. Der fast 2 000 Jahre alten christlichen Gemeinde - 15 bis 20 Prozent der Einwohner in Aleppo waren Christen, überwiegend Aramäer und Armenier - droht die Auslöschung. Aleppo ist noch mehr zum Brennpunkt des Krieges in Syrien geworden. Die syrische Opposition in der Stadt wird von allen Seiten attackiert: von Assad im Süden, von den kurdischen YPG-Milizen im Westen, vom „Islamischen Staat“ im Osten und von Russland aus der Luft. Sollten die Regierungstruppen und ihre Verbündeten Aleppo vollständig einkreisen und auch den letzten Fluchtweg abschneiden, könnte die Nahrungsmittelversorgung für fast 300 000 Menschen in der Stadt endgültig zusammenbrechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies zielt auch auf die Türkei und auf uns in Europa. Denn wie der Journalist Jan Fleischhauer in den letzten Tagen festgestellt hat: Wer die Menschen in Syrien erst aus ihren Häusern bombt, damit sie sich nach Norden aufmachen, und dann dort die rechtsradikalen Kräfte unterstützt, die gegen eine Aufnahme Stimmung machen, ist jedenfalls kein Freund Europas ... Wir unterstützen die Forderung der Bundeskanzlerin nach einer Flugverbotszone über Syrien, um den Menschen zumindest einen sicheren Zufluchtsort zu bieten. Auch die Türkei begrüßt den Vorschlag; sie fordert seit langem eine internationale Schutzzone im Norden Syriens. ({0}) Denn die Türkei ist unmittelbar vom syrischen Bürgerkrieg in ihrer Nachbarschaft betroffen. Das Land hat in den vergangenen Jahren über 2,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. ({1}) Momentan warten über 30 000 Menschen an der Grenze, die vor russischen Bomben geflohen sind. Eine friedliche Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien und ein Ende der Kampfhandlungen in Aleppo liegen im ureigenen Sicherheitsinteresse der Türkei. Natürlich würden wir uns auch von der Türkei bei aller nachvollziehbaren Betroffenheit ein deutlich höheres Maß an militärischer Zurückhaltung wünschen. Es wäre sicherlich klug, nicht auf jede Provokation entsprechend zu reagieren. Aber, um es noch einmal deutlich zu sagen: Nicht die militärischen Reaktionen der Türkei haben die Auseinandersetzungen um Syrien verschärft, sondern die Bombardements Tausender Zivilisten durch syrische Machthaber und ihre Schutzmächte. ({2}) Wir dürfen auch nicht übersehen, dass die Türkei als unser NATO-Partner offenkundiges Ziel einer russischen Destabilisierungsstrategie geworden ist. ({3}) Das gilt für die regelmäßigen Verletzungen des türkischen Luftraums, aber auch für die Unterstützung der PYD. ({4}) Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hat Ministerpräsident Medwedew beklagt, wirtschaftliche Sanktionen seien eine willkürliche Verletzung internationalen Rechts. Gilt das dann nicht auch für die russischen Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei? Ein weiterer Schritt der russischen Provokationsstrategie gegenüber der Türkei wird ja derzeit in der Duma vorbereitet. Abgeordnete wollen den bald 100 Jahre alten Vertrag von Kars, der die Grenzen zwischen der Türkei, Armenien und Georgien regelt, für nichtig erklären. Somit wird die territoriale Integrität der Türkei auch an einer weiteren Stelle infrage gestellt - nicht nur im Süden und Osten, sondern auch im Norden des Landes. Mit der heutigen Themenstellung wird von der Linken ja erneut versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei die Türkei für die Eskalation der militärischen Lage verantwortlich. ({5}) Auch wenn Sie hier mittlerweile fast im Wochenrhythmus die entsprechende parlamentarische Begleitmusik liefern: Es wird Ihnen nicht gelingen, den Deutschen Bundestag oder die deutsche Öffentlichkeit über die wahren Verantwortlichkeiten der Tragödie in Syrien zu täuschen. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen aktuell vor einer neuen brandgefährlichen internationalen Eskalation der Lage in Syrien. Manche sprechen von einer seit dem Ende des Kalten Krieges nicht gekannten Zuspitzung. Mit dem türkischen Beschuss syrischer Kurden droht der türkische Präsident Erdogan, den Krieg in Syrien und in der Region weiter auszuweiten. Der türkische Präsident will die NATO und auch Deutschland in einen Krieg gegen Russland verwickeln, ({0}) um unter anderem einen Zusammenschluss der Kantone der syrischen Kurden in Rojava zu verhindern. Und was macht die Bundesregierung? Ich frage mich: Warum verurteilt die Bundesregierung diesen türkischen Völkerrechtsbruch nicht klar und deutlich? ({1}) Ist Ihnen Ihr Bündnis mit Erdogan zur Flüchtlingsabwehr so wichtig, dass Sie selbst zum Weltkriegsroulette Erdogans schweigen wollen? Die Bundesregierung redet in puncto Syrien immer wieder von moderaten Rebellen; wir haben es heute hier auch noch einmal erfahren. Auf die Fragen der Linksfraktion hin, wer die denn seien, kommt keine Antwort dieser Bundesregierung. Die Bundesregierung weiß nämlich nicht, sagt sie, wer moderat ist und wer nicht. ({2}) Deshalb möchte ich die Gruppen, die von der Türkei im syrischen Bürgerkrieg in der aktuellen Situation und in der aktuellen Auseinandersetzung unterstützt werden, im Einzelnen benennen. Da wäre zum einen die Al-Nusra-Front. Diese Dschihadisten sind der syrische Ableger der al-Qaida, also der islamistischen Terrororganisation, deren Führer Osama Bin Laden war und derentwegen die USA vor 15 Jahren den weltweiten Krieg gegen den Terror begonnen haben, meine Damen und Herren - eine Gruppe, die in Sachen Terror und Kopf-ab-Islam mit den barbarischen Grausamkeiten des IS konkurriert. Dann gibt es noch die Ahrar al-Scham, eine islamistische Terrorgruppe, über die der Bundesnachrichtendienst berichtet, sie werde von der türkischen Regierung mit Waffen beliefert, eine islamistische Terrororganisation, die im Mai letzten Jahres vom Bundesgerichtshof hier in Deutschland als eine islamistische terroristische Vereinigung beurteilt und eingestuft wurde. Ahrar al-Scham ist besonders durch ihre Massenmorde an den alevitischen Minderheiten in Syrien berüchtigt, wie Human Rights Watch berichtet. Wenn Sie von der Union und auch Sie von der SPD sich die Unterstützung dieser islamistischen Terrorbanden durch ihren Verbündeten, die Türkei - die türkische Regierung, ihr Partner, meine Damen und Herren! -, vor Augen führen, muss Ihnen das doch zumindest zu denken geben, ob Ihr Pakt mit Erdogan der richtige Weg ist, um den Menschen in der Region dort zu helfen. ({3}) Erdogan und auch Davutoglu geht es allein darum, die Vernichtungspolitik der islamistischen Terrorbanden gegen die Kurden und andere Minderheiten in Syrien zu unterstützen, und Sie liefern weiter deutsche Waffen, mit denen tagtäglich Kurden in der Türkei und in Syrien von türkischen Sicherheitskräften oder eben von islamistischen Terrorhelfern Erdogans ermordet und massakriert werden. In diesem Moment, in dem wir hier sitzen und debattieren, schießen türkische Panzerhaubitzen T-155 Fırtına auf syrische Kurden. Eingebaut in diese Kriegsmaschinerie ist auch ein Motor der Firma MTU aus Friedrichshafen, und die deutsche Außenpolitik begleitet diese Rüstungsexportpolitik recht freundlich. Ich finde, das ist eine Schande für die deutsche Außenpolitik, meine Damen und Herren. ({4}) Deshalb fordern wir Sie auf: Beenden Sie Ihr verbrecherisches Bündnis mit Erdogan. Ja, es ist ein verbrecherisches Bündnis, weil Sie diejenigen unterstützen, die in Syrien den Terror auch in die kurdischen Gebiete tragen. Ich mache hier wirklich keinen Hehl daraus: ({5}) Mein Herz schlägt für die mutigen Frauen und auch Männer, die sich dort mit Leib und Leben dem islamistischen Terror entgegenstellen. Meine Solidarität gehört den kurdischen Frauenbataillonen, die ihr Leben und die Freiheit gegen die reaktionären Schergen verteidigen, die von der Türkei und von Saudi-Arabien hochgerüstet werden, welche wiederum von Ihnen, meine Damen und Herren, hochgerüstet werden. Jetzt hat sich die Bundeskanzlerin auch noch dazu verleiten lassen, eine Flugverbotszone, also das, was der türkische Präsident Erdogan schon seit Jahren fordert, zu fordern. Ich frage mich wirklich: Reicht Ihnen die FlugDr. Andreas Nick verbotszone in Libyen nicht, wo es zu Zehntausenden Toten gekommen ist und wo der IS fast schon den größten Teil der Mittelmeerküste dieses Landes kontrolliert? Haben Sie denn überhaupt keine Konsequenzen aus dieser falschen Politik der Flugverbotszone in Libyen gezogen? ({6}) Ich frage mich zudem, warum Sie hier die Bombardierungen der Russen kritisieren, aber die der NATO-Staaten und Saudi-Arabiens und der Türkei mit unterstützen. Wir als Linke sagen: Bomben schaffen keinen Frieden nicht russische, aber eben auch nicht die Bomben der USA oder dieser Koalition der Willigen. ({7}) Wir brauchen, meine Damen und Herren, einen sofortigen Waffenstillstand in Syrien - und das ohne Vorbedingungen. Wenn Sie tatsächlich unter Beweis stellen wollen, dass Sie auch einen Frieden in der Region und in Syrien wollen, dann setzen Sie sich dafür ein, dass die bisher effektivste Kraft gegen die Barbaren des IS am Boden, nämlich die Kurden, auch am Verhandlungstisch sitzen und an den Verhandlungen teilnehmen können. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Michelle Müntefering von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Michelle Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004359, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst gestern habe ich mit Koordinatoren der humanitären Hilfe in Syrien gesprochen. Sie hatten die ganze Nacht nicht geschlafen und waren sichtlich verzweifelt, weil vorgestern wieder Krankenhäuser und auch Schulen bombardiert worden sind, wobei auch Ärzte und Krankenschwestern getötet wurden. Nach ihrer Auskunft gibt es jetzt schon zu wenig Menschen im Land, die Hilfe leisten können. Viele von ihnen fürchten selbst um Leib und Leben und fliehen. Wie dramatisch die humanitäre Lage in Syrien ist, davon zeugt auch die Verzweiflung dieser beiden Helfer. Ganz entscheidend in dieser Situation ist, dass sie nicht weiter eskaliert, dass die unterschiedlichen Akteure nun deeskalieren, anstatt sich auf eigene Faust militärisch noch intensiver am Konflikt zu beteiligen. Das gilt natürlich auch für die Türkei. Es reicht aber nicht, das von europäischer Seite einfach zu fordern. Es bedarf konstruktiver und lösungsorientierter Zusammenarbeit mit unserem türkischen Nachbarn, mit unserem türkischen Partner, anstatt widersprüchliche Signale zu senden. ({0}) Als Außenpolitikerin muss man ja immer bemüht sein, die Welt durch unterschiedliche Brillen, aus unterschiedlichen Sichtweisen zu betrachten. Aus Sicht der Türkei ist eben die Politik der EU zumindest auch das: widersprüchlich. Immer wieder wurde die Türkei von Politikerinnen und Politikern, auch aus Deutschland, dafür kritisiert, dass sie die über 900 Kilometer lange Grenze zu Syrien zu durchlässig für Terroristen gemacht hat. Zu selten wurde erwähnt, dass diese offenen Grenzen der Türkei auch dazu gedient haben, über 2 Millionen Menschen ins Land zu lassen, mehr als die gesamte Europäische Union aufgenommen hat. Die EU hat nun 3 Milliarden Euro an Hilfe versprochen. Davon ist aber noch kein Cent geflossen. Unterdessen sind in der Türkei seit 2011 150 000 Kinder von syrischen Flüchtlingen geboren worden. Wir sprechen - so ist mein Eindruck immer von diesen Menschen, als sei es eine Masse. Aber das ist keine Masse. Das sind Menschen. Die Türkei hat nun die Grenzen geschlossen. Wir sehen, wie sich eine neue, zusätzliche humanitäre Katastrophe auf syrischer Seite abspielt. Nach Aleppo geraten noch einmal eine halbe Million Menschen in Not. Die Türkei hilft auch hier wieder. Es wurden provisorische Unterkünfte errichtet. Auch auf türkischer Seite werden die Anstrengungen verstärkt, Aufenthaltsräume zu schaffen. Das ist nichts Neues; das geschieht schon länger. Aber jetzt kommt noch einmal eine neue Dimension hinzu. Es ist gut, dass das Auswärtige Amt reagiert und die Hilfe des THW angeboten hat. Sehr verehrte Damen und Herren, die Türkei hat ein essenzielles sicherheitspolitisches Interesse in Syrien. Dafür soll der 90 Kilometer lange Korridor dienen, den Ankara nun bombardiert, damit die YPG, die syrischen Kurden, ihn nicht einnehmen. Dieses Interesse der Türkei wird uns immer wieder vorgetragen, vielleicht auch vor dem Hintergrund der Frage: Was passiert, wenn Syrien und der Irak zerfallen und die Grenzen des Sykes-Picot-Abkommens nicht mehr gelten? Sind dann auch die türkischen Grenzen wieder verhandelbar? Liebe Kolleginnen und Kollegen, das rechtfertigt diese Bombardements keineswegs. Um es klar zu sagen: Ich finde sie nicht richtig; denn es wird weder militärisch erfolgreich sein, der YPG den Weg aus der Luft abzuschneiden, noch wird es zu einer Deeskalation beitragen, die wir so dringend brauchen. Vielmehr kann es auch den Konflikt mit Russland befeuern. Aber derzeit werden die Verhältnisse am Boden komplizierter. Die moderate Opposition ist geschwächt und zerfasert, anstatt sich geschlossen gegen Assad und den IS zur Wehr zu setzen. Kein Akteur sollte in so einer Lage eigene Interessen in den Vordergrund stellen, sondern alle sollten an einem gemeinsamen politischen Prozess konstruktiv mitarbeiten. Entgrenzung der Mittel dürfen wir dabei nicht hinnehmen. Deswegen sind Frank-Walter Steinmeier und die Bundesregierung auf dem richtigen Weg. Das, was die Menschen in den Städten und Dörfern jetzt brauchen, sind Hilfe, Medizin, Nahrung und Schutz. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Punkt aus meinem gestrigen Gespräch mit den Helfern in das Hohe Haus tragen. Die junge Generation in Syrien radikalisiert sich mehr und mehr, weil sie Hilflosigkeit spürt und immer öfter vor der Alternative steht: Assad oder „Islamischer Staat“. Ich frage mich: Was geschieht mit dieser Generation, die zwischen den Fronten zerrieben wird, die keine Sicherheit, keine Perspektive, keine Arbeit hat? Was passiert, wenn die Situation noch weitere Jahre so bleibt? Wir müssen helfen, diese Entwicklung umzukehren und Frieden zu schaffen. Und dafür müssen als Erstes die Waffen schweigen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Claudia Roth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade erreicht uns die Nachricht - Sie haben es sicher auch gehört -, dass es in Ankara eine schwere Explosion gegeben hat. Das ist eine schreckliche Entwicklung. Diese schreckliche Gewalttat zeigt, dass die Blutspur von Suruc, Diyarbakir und Istanbul jetzt in Ankara angekommen ist. Ich glaube, wir alle hoffen, dass es bei dieser Gewalttat möglichst wenig Verletzte gegeben hat. Wenn wir in diesen Tagen nach Syrien schauen, dann blicken wir immer tiefer in einen Abgrund aus Gewalt, Vertreibung und Elend. Doch während die internationale Gemeinschaft in Wien und München versucht, auf diplomatischem Weg eine Lösung oder zumindest eine Waffenruhe in Syrien zu erreichen, wird diese internationale Gemeinschaft gleichzeitig auch immer stärker Teil der kriegerischen Auseinandersetzungen. In Syrien geht es doch längst nicht mehr um einen Bürgerkrieg, in dem um die zukünftige Ausrichtung des Landes gekämpft wird, also um die Frage, ob diese demokratisch, islamistisch oder despotisch sein soll. Vielmehr haben wir es in Syrien längst und jeden Tag mehr mit einem Stellvertreterkrieg zu tun, in dem es um die regionale Herrschaft zwischen dem Iran, der Türkei und Saudi-Arabien geht, aber auch immer mehr um eine globale Dimension mit dem Eintritt Russland als aktive, aggressive Kriegspartei an der Seite Assads und mit den durchaus zweifelhaften Bündnissen und Bündnispartnern vieler westlicher Staaten. Vor ein paar Tagen wurde eine Waffenruhe in Syrien für Ende dieser Woche vereinbart: ein ganz kleines Zeichen der Hoffnung in einem fürchterlichen, seit fünf Jahren dauernden Krieg. Doch was wir seitdem erleben, ist nicht etwa ein Abebben der Kämpfe, die Versorgung der Eingeschlossenen und Hilfe für die Geflüchteten, sondern wir erleben eine weitere brutale Eskalation der Gewalt und eine stetige Verschlimmerung der humanitären Lage, die sich mehr und mehr auch auf den Irak ausweitet. Die Kämpfe um Aleppo haben noch einmal an Intensität zugenommen und Tausende von Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Erst vor wenigen Tagen wurden Schulen und Kliniken bombardiert und damit gezielt die Zivilgesellschaft ins Visier genommen. Seit fünf Tagen greift nun auch die Türkei aus der Luft massiv Stellungen der Kurden in Syrien an. Ich werde mich daher jetzt mit der Rolle der Türkei beschäftigen. Die Politik der Bundesregierung, die sich mit hohem Engagement diplomatisch um eine Befriedung der Lage in Syrien bemüht, gerät hier in eine Sackgasse. Sie hat sich in der Flüchtlingsfrage gegenüber der Türkei in eine so fatale Abhängigkeit manövriert, dass sie jetzt darauf verzichtet, die massive Eskalation des Krieges auch - ich sage: auch - durch das Vorgehen der türkischen Regierung zu kritisieren. Man hat den Eindruck, es wird de facto hingenommen. Es zeigt sich, wie verheerend es ist, wenn Außenpolitik zum Instrument einer unter Druck geratenen Innenpolitik wird und ihr dadurch der Kompass für die Werteorientierung verloren geht. ({0}) Wenn man die Lösung der Flüchtlingskrise in die Hände eines Staatschefs wie Erdogan gibt, der vor einigen Tagen offen zugegeben hat, dass es ihm vor allem um die „Bekämpfung des säkularen Terrorismus“ geht - damit meint er natürlich die kurdische Opposition; es geht gerade nicht um die Bekämpfung von Daesh, um die es eigentlich gehen müsste -, dann ist das genau das Gegenteil von dem, was das erklärte Ziel der Bundesregierung bzw. unser Ziel ist. Die fatale Strategie des NATO-Partners ist es, Schutzzonen in Syrien zu errichten, die, lieber Dr. Nick, nichts anderes wären als - das ist die Angst der Kurden - große Haftlager für Flüchtlinge auf syrischem Gebiet. Strategie ist, die Grenze zwischen der Türkei und Syrien geschlossen zu halten, wodurch doch heute schon Zehntausenden Menschen die Flucht in sicheres Gebiet gar nicht mehr möglich ist. Sie können nicht mehr sicher sein. Außerdem geht es Erdogan ganz offensichtlich darum, den Kampf gegen die kurdische Zivilbevölkerung nichts anderes ist das, was wir in den kurdischen Städten in der Türkei erleben - jetzt auch auf kurdische Gebiete in Syrien auszuweiten. ({1}) Mit massiven Bombardements und mit dem gefährlichen Gedankenspiel über den Einsatz türkischer Bodentruppen eskaliert auch - ich sage immer: auch - der NATO-Partner Türkei diesen Krieg weiter. Ich sage Ihnen: Es ist ein Armutszeugnis, wenn nun von denen, die immer gegen eine geordnete und menschenrechtsgeleitete Annäherung an die Türkei waren darüber haben wir jahrelang gestritten -, fast kleinlaut die Politik Erdogans hingenommen wird, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo dieser innen- und außenpolitisch die autoritären Daumenschrauben anzieht wie nie zuvor. Ich habe von Ihnen kein Wort zur Zerstörung der christlichen Kirchen in Diyarbakir gehört. Das, was dort passiert ist, ist ein richtiges Verbrechen. Warum sind Sie da so still? Warum sind Sie da so leise? ({2}) Ich habe sehr bedauert, dass Angela Merkel, als sie in der Türkei war, sinngemäß gesagt hat, jedes Land habe das Recht, gegen Terroristen im eigenen Land vorzugehen. Mit Verlaub, das war eins zu eins das, was die türkische Regierung in ihrem Sprech vorgibt. Ich sage: Verantwortliche Politik wäre, endlich deutliche Kritik auch am brandgefährlichen türkischen Vorgehen zu üben, um eine weitere Eskalation des Krieges zu verhindern. ({3}) Das erwarte ich von der Bundesregierung. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Dr. Johann Wadephul von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Johann Wadephul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Roth, das lädt wirklich zur Debatte ein. So soll es auch sein. Weil sonst über vieles in diesem Haus in diesem Zusammenhang Konsens besteht - mit Ausnahme einiger Positionen, die die Linksfraktion einnimmt -, will ich auf die Türkei eingehen. Wir als Unionsfraktion jedenfalls finden uns in der eigentümlichen Rolle wieder, dass wir in den Debatten zum Teil als Verteidiger oder als Versteher der Türkei auftreten müssen. ({0}) - Die Welt ist ein bisschen komplizierter, als Sie von der Linksfraktion das darstellen. Das haben wir heute auf schreckliche Art und Weise wieder einmal erfahren. ({1}) Frau Kollegin Roth, als Sie - das richte ich nicht nur an die Adresse der Grünen, sondern auch an die Adresse unseres verehrten Koalitionspartners - uns damals, als es in Europa wohlfeil war, aufgefordert haben, für die Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union einzutreten, war es Angela Merkel, die nach Ankara gefahren ist und gesagt hat: Das können wir uns nicht vorstellen. - Es wäre damals einfach gewesen, nachzugeben und zu sagen: Das ist eine tolle Türkei; sie passt mit ihren Wertvorstellungen und ihrer Politik in die Europäische Union. ({2}) Aber nein, die Union hat eine klare Linie beibehalten: Die Türkei ist ein Partner, aber kein Land, das nach unseren Wertvorstellungen Vollmitglied in der EU werden kann. Klare Linie damals wie heute! ({3}) Herr Kollege Nouripour, Sie wachen aus einem träumerischen Schlaf auf. Darunter leiden Sie, und die Schmerzen verarbeiten Sie nun verbal im Plenum. ({4}) Aber wir haben immer einen realistischen Blick auf die Türkei gehabt. Wir haben uns nie die Illusion gemacht, dass die Türkei die Werte der Europäischen Union voll teilen würde. Deswegen artikulieren wir - die Bundeskanzlerin hat das heute von diesem Rednerpult aus gesagt - auch die vorhandenen Probleme. Sie haben darauf hingewiesen, dass diejenigen, die aus Aleppo geflohen sind, nun auf syrischem Gebiet verfolgt werden. Die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der Assemblée nationale hat uns heute darauf hingewiesen, dass die Republik Frankreich bereits sage und schreibe 60 Flüchtlinge im Rahmen des Kontingents aufgenommen hat. Ich halte es vor diesem Hintergrund für wohlfeil, aus europäischer Sicht die Türkei, die 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat, zu kritisieren. Das ist der Situation und dem Engagement der Türkei nicht angemessen. Da sollten wir uns ein wenig zurückhalten. ({5}) Es ist doch unverkennbar - ob die Linksfraktion darauf absichtlich oder unabsichtlich hereinfällt, lasse ich einmal dahingestellt -, dass Moskau in der jetzigen Situation jede Chance nutzt, einen Keil zwischen dem NATO-Partner Türkei und anderen NATO-Mitgliedern zu treiben. Kollege Gehrcke, Sie haben das erkannt. Wir werden auf jeden Fall nicht darauf hereinfallen, weil wir bei aller Kritik, die wir an der Türkei üben, natürlich wissen, dass die Türkei in schwierigen Zeiten wie diesen ein wichtiger NATO-Partner ist. Das können wir in einer solchen Situation nicht einfach infrage stellen. Zu dieser Partnerschaft und den Verträgen stehen wir. ({6}) Dazu gehört natürlich, dass wir uns jetzt auch die Frage stellen: Warum gibt es diese türkische Reaktion? Wir stimmen doch vollkommen darin überein: Niemand möchte eine militärische Antwort der Türkei, wie sie hier beschrieben worden ist. Das ist doch vollkommen unstreitig. Aber es ist eine Reaktion der Türkei darauf, dass die YPG in Regionen vordringt, die die Türkei als Interessenssphäre definiert. ({7}) - Ich stelle es doch nur so dar, wie es ist. Ich legitimiere das nicht. Man muss es aber verstehen. Die Kollegen der Linksfraktion sind bei dem Ukraine-Konflikt nicht müde geworden, uns vorzuhalten, welche Interessen Russland in seinem Vorfeld hätte, die es militärisch auf noch sehr viel rigorosere Art und Weise Vizepräsidentin Claudia Roth auf der Krim und in der Ostukraine durchgesetzt hat. Ich halte Ihnen vor: Da hatten Sie jedes Verständnis für russische Interessen. Wenn die Türkei jetzt irgendein Interesse in ihrem Vorfeld artikuliert, dann haben Sie dafür gar kein Verständnis. Das ist eine zwiespältige Position, die nicht trägt und die zeigt, dass Ihre Position insgesamt nicht konsistent ist. Das Einzige, was wir in dieser schrecklichen Situation verantwortungsvoll machen können, ist das, was die Bundeskanzlerin auf dem Gipfel in London getan hat, nämlich dafür zu sorgen, dass wir hinreichend finanzielle Mittel zur Verfügung haben, um den geschundenen Menschen zu helfen. Ich denke, das ist das Wertvollste, was im Sinne der Menschlichkeit in den letzten zwei Wochen geschehen ist. Dafür gilt der Bundeskanzlerin unser Dank. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Frank Schwabe von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein paarmal angesprochen worden, aber auch ich will es noch einmal sagen. Auf der einen Seite bin ich froh darüber, dass wir miteinander über ein wichtiges Thema reden. Auf der anderen Seite legen Sie den Fokus nur auf eine in der Tat durchaus problematische Entwicklung und verengen damit das Problem. Ich finde schon, dass man anlässlich des Bombardements Russlands und der dramatischen Folgen, die das bewirkt, auch einen anderen Titel für die Aktuelle Stunde hätte wählen können. ({0}) Es ist gut, dass über dieses Thema geredet wird. Aber wenn Sie von schwerwiegenden Situationen reden, dann muss man zunächst einmal das erwähnen, was Russland in Aleppo veranstaltet. Ein Problem der außenpolitischen, entwicklungspolitischen und menschenrechtspolitischen Debatte weltweit, aber auch generell hier im Hause - das will ich als Menschenrechtspolitiker sagen - ist das Rosinenherauspicken, auch wenn Sie gerade Russland für die Bombenangriffe kritisiert haben. Das passiert leider allzu oft. So werden bestimmte Dinge in der internationalen Auseinandersetzung zumindest nicht hinreichend beleuchtet. Der Konflikt in Syrien ist hochkomplex. Ich weiß gar nicht, wer von sich behaupten kann, das Ganze einigermaßen umfassend zu verstehen. Aber wir sehen das menschliche Leid. Einige von uns - ich muss einmal in die Reihen gucken - kommen gerade aus einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses mit 14 Organisationen zur Situation der humanitären Hilfe, in der wir uns noch einmal haben schildern lassen, wie dramatisch die Situation eigentlich ist: Es gibt 250 000 bis 500 000 Tote - da gibt es mittlerweile unterschiedliche Schätzungen - und knapp 2 Millionen Verletzte. Das heißt, über 10 Prozent der Bevölkerung Syriens sind entweder tot oder verletzt. Wir haben 13 bis 14 Millionen Vertriebene oder Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, davon 5 Millionen außerhalb und 7 Millionen innerhalb des Landes. Frappierend finde ich - da wird noch einmal deutlich, wie dramatisch die Lage ist - die Entwicklung der Lebenserwartung. In Syrien lag die Lebenserwartung im Jahr 2010 bei 70 Jahren, im letzten Jahr lag sie bei 55 Jahren. Daran sieht man, was in fünf Jahren Dramatisches passiert ist. Auch wenn wir hier nicht die Debatte von heute Mittag führen, müssen wir doch sehen, dass das die Realität ist, vor der wir unsere europäische und deutsche Flüchtlingspolitik diskutieren müssen. Das ist wirklich eine Bewährungsprobe für unser Wertekorsett, wahrscheinlich die größte Bewährungsprobe seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Leid - das muss gesagt werden - wird in der Hauptsache durch den syrischen Machthaber Assad und aktuell leider durch die massiven russischen Luftangriffe verursacht. Es ist gut, dass die russischen Luftangriffe so habe ich das verstanden - über die Fraktionsgrenzen hinweg im Deutschen Bundestag kritisiert werden. Russland muss sich an das humanitäre Völkerrecht halten, und jeder Versuch, zivile oder nichtmilitärische Einrichtungen zu zerstören oder Vertreibungen durch Aushungern oder durch die Hinnahme von Aushungern zu organisieren, ist unerträglich und muss international gebrandmarkt werden. ({1}) Bezüglich der Türkei gibt es, glaube ich - das wird unterschiedlich akzentuiert -, eine relativ hohe Übereinstimmung hier in diesem Haus, nämlich dass die Türkei eine durchaus ambivalente Rolle spielt. Auf der einen Seite würdigen wir die große Aufnahmebereitschaft und danken für die Dialogbereitschaft, die sicherlich ein zentrales Momentum auch in der innenpolitischen und der europapolitischen Debatte ist, auf der anderen Seite gibt es problematische Entwicklungen in der Türkei im Bereich der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte. Das steht ein bisschen im Schatten der Syrien-Krise. Es gibt auch eine massive Verschärfung des Konflikts mit Kurden in der Türkei, aber auch mit Kurden in Syrien und anderen Ländern. Es gibt noch etwas, was mir wirklich Sorge bereitet. Ich habe vor einem Jahr gedacht, dass mir eigentlich am meisten Sorge bereitet, dass Erdogan und Putin ähnliche Typen sind. Ich dachte: Menschenskinder, wenn die zusammen agieren - man sieht, dass sie im Inland sehr ähnlich gegen Menschenrechtsorganisationen vorgehen -, dann ist das das größte Problem. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass es viel problematischer ist, dass diese beiden Personen und ihre Länder gegeneinander agieren und dass eine Auseinandersetzung bevorstehen könnte. Ich mag mir nicht ausmalen, welche Auswirkungen das haben könnte. Deswegen sind wir uns einig darin, dass wir verhindern müssen, dass es zu einer solchen Auseinandersetzung kommt, und dass wir das bei all den politischen Dingen berücksichtigen müssen, die wir gut und richtig finden. Ich halte Schutzzonen zum Beispiel für richtig. Ich finde es aber falsch, wenn wir sie als strategisches Mittel einsetzen würden und ihre Einrichtung zu weiteren Konflikten führen würde. Zum Schluss will ich noch etwas sagen. Wir sollten gemeinsam mäßigend auf die syrischen Kurden einwirken. Es macht keinen Sinn, wenn im Zuge des aktuellen Konflikts versucht wird, dort strategische Ziele zu erreichen. Da gibt es sicherlich einen Einfluss, den der Westen hat, den die Vereinigten Staaten haben, den aber auch die Linke hat. Vielleicht sollte man den syrischen Kurden einmal sagen: Überlegt noch einmal, ob ihr in dieser Situation den Konflikt noch weiter verschärfen wollt. Ich glaube, dass der Außenminister alles tut, um in Gesprächen und Verhandlungen zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Es wäre gut, wenn das Haus ihn in aller Breite dabei unterstützt. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir die Debatte der letzten Stunde betrachten, so können wir eine Zweiteilung sehen: auf der einen Seite eine erhebliche emotionale Betroffenheit wegen toter Kinder, zerstörter Krankenhäuser und Millionen Menschen auf der Flucht, auf der anderen Seite bleierne Nüchternheit, großes Entsetzen über die Art und Weise, wie dort vor Ort Machtpolitik ausgestaltet wird. Wir Deutsche kommentieren nicht nur, sondern wir versuchen, durch vielfältige diplomatische Vermittlungen zu helfen, nicht nur in den Prozessen in Wien oder in Genf, sondern auch, gerade in der letzten Woche, was die Flüchtlingsrückführung oder auch die Flüchtlingsverteilung mit Blick auf Griechenland und die Türkei angeht. All dies zusammen darf den Blick nicht verstellen, dass wir auch vor Herausforderungen stehen, was die Türkei angeht. Es geht nicht nur um nicht eingelöste innenpolitische Versprechen in der Türkei, es geht auch nicht nur um die Sorge der Türken vor einer Destabilisierung - ich erinnere an die fast bürgerkriegsähnlichen Zustände im Südosten der Türkei -, mir macht auch das Verhalten der Türkei mit Blick auf Libyen Sorge. Ich würde mir da eine konstruktivere Rolle wünschen. ({0}) Dennoch darf uns das nicht den Blick darauf verstellen, dass sich die Türkei Sorgen um den Bestand ihres eigenen Landes macht, der auch durch verschiedene kurdische Gruppen, durch kurdischen Terrorismus gefährdet ist. Ausnehmen möchte ich davon die kurdische Regionalregierung im Nordirak. Aber die Gemengelage ist so schwierig. Sie ist nun einmal so, dass sie uns zur Positionierung zwingt. Auf der anderen Seite können wir es nicht zulassen, dass Russland die Türkei und auch uns permanent provoziert und ein Vakuum in Syrien und im Irak ausfüllt, das wir, der Westen, zu füllen nicht bereit sind. Auch das dürfen wir nicht vergessen. Ich glaube, dass es ganz entscheidend ist, dass wir die Türkei in bestimmten Bereichen stärken. Die Türkei ist seit 1952 NATO-Mitglied und damit länger als Deutschland. Wir sollten die Türkei dort unterstützen, wo sie bei der Unterstützung der kurdischen Regionalregierung im Norden Iraks hilfreich ist, und auch dort, wo sie eine große Last für Europa übernimmt. Die Türkei mit einem Drittel der Wirtschaftskraft Deutschlands nimmt doppelt so viele Flüchtlinge auf. Das verdient nicht nur Anerkennung, sondern auch langjährige Unterstützung, nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch die Europäische Union. ({1}) Der Blick in die Region zeigt aber auch, dass durch das Vorgehen der USA seinerzeit 2003 im Irak und die Folgewirkungen, die wir bis heute zu tragen haben und an denen die USA - das darf ich als überzeugter Transatlantiker sagen - leiden, ein Vakuum entstanden ist, das nunmehr durch eine wesentlich agilere saudische Vorgehensweise ausgefüllt wird, die wir noch nicht richtig einordnen können, aber die wir sehr deutlich als einen Machtfaktor wahrnehmen. Hinzu kommt, dass der Iran im Hintergrund, im Schatten Russlands agiert und die schiitischen Milizen unterstützt und auch durch die entfrorenen Gelder aufgrund der aufgehobenen Sanktionen mehr Mittel zur Unterstützung von Konflikten und Aufständen in der Nachbarschaft zur Verfügung hat. Es geht natürlich auch um die Rolle, die wir als Europäische Union wahrnehmen müssen. Dazu muss ich eindeutig sagen: Die Bemühungen der Bundesrepublik durch den Außenminister, durch die Verteidigungsministerin und vor allem durch die Bundeskanzlerin in den letzten Wochen waren äußerst konstruktiv. Wenn wir an die Unterstützung der Peschmerga denken, wenn wir an die Einbeziehung von AWACS denken, wenn wir an die Verhandlungen zwischen Griechenland und der Türkei denken und wenn wir an die letzten Verhandlungen in München mit dem Versuch denken, möglichst rasch einen Waffenstillstand zustande zu bringen, dann wird deutlich: Uns Deutschen liegt daran, eine diplomatische Lösung zu erreichen. Aber in der Europäischen Union streiten wir über die interne Verteilung einer relativ geringen Anzahl von Flüchtlingen - wir haben heute im Auswärtigen Ausschuss einen interessanten Austausch mit den Kollegen der französischen Nationalversammlung -; wir streiten um kleine Zahlen, statt dass wir uns als Europäer um diese Region intensiver kümmern. Wir dürfen sie nicht Russland überlassen. Wir dürfen sie auch nicht dem Iran überlassen oder dem Machtkampf zwischen Sunniten und Schiiten. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir uns dort humanitär, politisch und, wenn es sein muss, in gewisser Weise auch militärisch engagieren. Ich befürchte, dass nur einige wenige Länder der Europäischen Union dazu bereit sind, während die anderen durch innenpolitische Probleme gebunden sind, und dass wir mittlerweile vor der Herausforderung stehen, ein Kind europäischer Einsatzbereitschaft zu zeugen, auch wenn es wahrscheinlich nie geboren wird, weil der fehlende europäische Zusammenhalt dem entgegensteht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nicht nur auf die Türkei schauen, sondern lassen Sie uns auch schauen, wie wir uns als deutsche Parlamentarier im Rahmen einer europäisch verantwortlichen Sicherheitspolitik stärker als Europäer in dieser Region einbringen und dies nicht Russland, dem Iran oder einer isolierten Türkei überlassen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzter Redner in der Debatte hat Alexander Radwan von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Alexander Radwan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004383, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Schlussredner darf ich jetzt alles zusammenfassen; es wurde schon sehr viel gesagt. Lassen Sie mich zuvor auf einige von Ihnen genannte Punkte kurz eingehen. Ich habe bei dieser Debatte den Eindruck - das ist sehr verständlich -: Es schwingt sehr viel Wut und Hilflosigkeit angesichts der Situation in Aleppo mit. Ich verweise auf die Schulen und die Krankenhäuser, die bombardiert wurden. Wir haben den Eindruck: Nach jeder Debatte, die wir hier geführt haben, nehmen die Hilflosigkeit und das Chaos zu statt ab. Der Terror wird nicht weniger, die Zahl der Flüchtlinge wird nicht geringer, sondern das spitzt sich immer weiter zu. Es gibt widerstrebende Interessen. Darum finde ich es in dieser Debatte bemerkenswert, dass zumindest in den Redebeiträgen - ich werfe Ihnen nicht vor, nicht differenzieren zu können - eigentlich klar zum Ausdruck kommt: Einer ist schuld. In Syrien haben wir das Regime und die Rebellen; relativ wenig wurde in der heutigen Aktuellen Stunde über den Terrorismus und den IS gesprochen. Wir haben den Iran. Wir haben die Türkei. Wir haben Saudi-Arabien. Wenn es um Gespräche mit diesen drei Staaten geht, komme ich nicht zu dem Schluss: Mit dem einen darf man nicht reden, mit dem anderen schon. ({0}) - Das klang vorhin bei Mitgliedern Ihrer Fraktion anders. Dann haben wir die USA, Russland und Europa. Es geht um die Frage, wie der Kollege Roderich Kiesewetter gerade gesagt hat, welche Rolle die EU zukünftig übernimmt. Dazu haben wir die Situation, dass aktuell die Vorbereitungen dafür laufen - die Frage ist, ob es so kommen wird -, dass die Türkei die Aufgabe übernimmt, ein Stück weit gegenüber Syrien tätig zu werden. Dann haben wir natürlich die Bedenken, Frau Roth: Wie wirkt sich das auf die NATO aus? Es hat jedes Land eben seine eigenen Interessen. Ich glaube, es ist nicht falsch, wenn ich sage: In der Analyse und in dem, was wir uns wünschen, haben wir hier großen Konsens. Wir wollen, dass der Krieg da unten endlich aufhört. Wir haben auch relativ schnell Konsens, wenn es darum geht, humanitäre Hilfe und finanzielle Hilfen vorzubereiten und dort wirksam werden zu lassen. Aber bei der Diplomatie sieht das schon anders aus. Da hatten wir Gespräche in Wien und in Genf. Wir hatten das Gespräch in München. Dann haben wir es natürlich mit Zielen zu tun, die die Türkei national mit Blick auf die Kurden verfolgt und die die Entwicklung in der Türkei betreffen. Es gibt die Gruppierungen im Iran, die in diesem Bereich ihre Interessen sehr stark vertreten. Russland ist zu nennen und jetzt auch Saudi-Arabien. Ich möchte etwas anregen. Wir sollten einmal darüber nachdenken, wie wir einen wichtigen Player aus der sunnitischen Welt, der in diesem Hause regelmäßig kritisiert wird - es geht um das bevölkerungsreichste Land in dieser Region, nämlich Ägypten -, mehr in die Verantwortung nehmen können, wenn es darum geht, die Wogen zu glätten. Das Ziel muss ja sein, einen diplomatischen Weg zu finden, einen Interessenausgleich zu erreichen. Manche haben momentan das Gefühl, sie müssten die Chance nutzen, Fakten zu schaffen. Das verurteilen wir alle natürlich zutiefst. Es gab jetzt den Vorschlag einer Flugverbotszone; da unterstützen wir in der CDU/CSU-Fraktion die Kanzlerin nachdrücklich. Es gab die Forderung nach einem Waffenstillstand. Es geht nicht darum, darüber zu diskutieren, was wünschenswert ist oder wie wir die Türkei und wie wir möglicherweise den Iran oder auch Saudi-Arabien gern sehen würden. Wenn wir dieses Ziel haben - es gibt keinen hier im Saal, der gegen einen Waffenstillstand ist -, dann ist aber die Frage: Wollen wir es bei Appellen belassen? Werden wir irgendwann einmal die Debatte führen müssen: „Was ist unser Beitrag, um dieses Ziel zu erreichen?“? Sehen Sie es mir nach, wenn ich sage: Ich glaube nicht, dass allein der Appell aus diesem Hause heute reichen wird, um einen Waffenstillstand zu bewirken. Um diese Diskussion drücken sich manche in diesem Haus herum. ({1}) Aufgrund unserer Verantwortung werden wir in Deutschland und Europa gemeinsam - ich hoffe, auch schnell eine Debatte führen müssen, die zumindest erste Schritte bewirkt. Zum Thema Diplomatie möchte ich nur noch sagen: Ich bin der festen Überzeugung, dass sowohl der Außenminister als auch die Kanzlerin in den Gesprächen mit der Türkei, mit Saudi-Arabien und mit dem Iran deutlich zu verstehen gegeben haben, was sie von der Situation halten. Aber, meine Damen und Herren, Diplomatie findet nicht auf der Frontpage der Bild-Zeitung statt. ({2}) - Ich hatte den Eindruck, dass man Ihrer Fraktion das teilweise sagen muss; sonst würde ich es ja nicht sagen. Ich habe auf jeden Fall das nötige Vertrauen. Ich finde es - abschließend - bemerkenswert, dass es ausgerechnet die CDU und inzwischen auch die CSU sind, die dafür gerügt werden, dass sie, obwohl sie gegen den Beitritt der Türkei zur EU sind, mit der Türkei sprechen und natürlich auch mit Russland. Wir sprechen mit Russland, ({3}) wir sprechen mit dem Iran, und wir sprechen mit Saudi-Arabien. Sie wissen genauso gut wie ich: Das ist die Grundvoraussetzung für diplomatische Lösungen. ({4}) Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. Februar 2016, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.