Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich . Es gibt heute keine Veränderung der Tagesord-
nung, keine Glückwünsche, Geburtstage oder andere
Feierlichkeiten, sodass wir gleich in die bekannte Tages-
ordnung eintreten können .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über
den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland im Zuge fortschreitender Bündnisintegration
Drucksache 18/7360
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr
Abschlussbericht der Kommission
Drucksache 18/5000
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .
Ich sehe auf der Tribüne Mitglieder der Kommission,
denen ich ganz herzlich danken möchte für die Arbeit,
die sie im Auftrag des Deutschen Bundestages geleistet haben . - Ihr Bericht wird den zentralen Gegenstand
unserer heutigen Beratung und der weiteren Befassung
mit diesem Thema ausmachen . Herzlichen Dank . Schön,
dass Sie heute bei dieser Debatte dabei sind .
({2})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion .
({3})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute
nach vielen Jahren wieder das Parlamentsbeteiligungsgesetz . Wir sollten hier nicht nur an die Paragrafen des Gesetzes denken, sondern auch an den Geist des Gesetzes .
Die Soldaten und Soldatinnen, die wir mit mandatierten
Einsätzen beauftragen, schwören, der Bundesrepublik
Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen . „Tapfer
zu verteidigen“ heißt, wenn es sein muss, unter Einsatz
ihres Lebens . Dessen sollten wir uns bei dieser Debatte
bewusst sein .
Wir erleben als Parlamentarier eine Gleichzeitigkeit
von Krisen und debattieren hier vielfach über Einsätze im Bewusstsein über die Werte und Interessen unseres
Landes . Genau zur Wahrung dieser Werte und Interessen
setzen wir unsere Soldatinnen und Soldaten ein . Diese
Gleichzeitigkeit von Krisen hat in dieser Koalition zu einer Reihe von aktiven Handlungen geführt, die ich kurz
umreißen möchte .
Im Auswärtigen Amt geht es um die Überarbeitung,
den sogenannten Review-Prozess, bei dem die Schwerpunkte auf Frühwarnung, Krisenprävention und Stabilisierung gelegt werden; im Verteidigungsministerium
geht es um den Weißbuchprozess, bei dem es um Auftrag
und Aufgaben der Bundeswehr geht, ressortübergreifend
aber auch um die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik
Deutschland; und im Entwicklungsministerium geht es
um die Agenda 2030, bei der die entwicklungspolitischen
Ziele mit außenpolitischen Vorhaben verwoben werden .
Dies sind Dinge der Exekutive und der Bundesregierung .
Wir als Parlamentarier wollen aber nicht nur Schritt halten mit dieser Entwicklung, sondern wir wollen auch
besser informiert werden .
Volker Rühe als Vorsitzender der Kommission und
Walter Kolbow als sein Stellvertreter haben nach 14 Sitzungen, zwei öffentlichen Anhörungen, sieben nichtöffentlichen Anhörungen und mehreren Dienstreisen bis
hin zu den Vereinten Nationen ein umfassendes Vorschlagspaket entwickelt . In dieser Gleichzeitigkeit von
Krisen geht es also um die Handlungsfähigkeit unserer
Regierung, um die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Verbund und um
die Verlässlichkeit in Bereichen, die nur noch gemeinschaftlich zu finanzieren sind, beispielsweise Aufklärung, AWACS, strategischer Lufttransport . Würde sich
Deutschland dort zurückziehen, wäre weder die EU noch
die NATO handlungsfähig .
Uns geht es um die Handlungsfähigkeit dieser Regierung . Aber das hat seinen Preis . Wir erwarten deshalb
bessere Informationen und auch eine andere Beteiligung
des Parlaments . Das spiegelt der Kommissionsbericht
wider . Wir wollen dies im Rahmen der Anpassung des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes erläutern . Ich möchte Ihnen das an vier Aspekten deutlich machen .
Zunächst fordern wir in dem Gesetzentwurf eine Evaluierung und Bewertung von Einsätzen . Das ist neu . Die
Evaluierung und Bewertung von Einsätzen hat drei Vorteile: erstens mehr Transparenz über das, was in den Einsätzen geleistet wurde, zweitens mehr Handlungssicherheit für die Soldaten, weil sie aus den Einsätzen lernen,
und drittens - ich glaube, wir als Parlamentarier sollten
großen Wert darauf legen - eine bessere Außendarstellung der Leistungen unserer Soldaten . Unsere Soldatinnen und Soldaten stehen mit ihrem Leben, mit ihrer Gesundheit für diese Außen- und Sicherheitspolitik ein . Wir
wollen, dass das deutlicher und besser dargestellt wird .
({0})
Der zweite Aspekt ist, dass wir von der Bundesregierung jährliche Berichte erwarten, die zeigen, in welchen gegenseitigen Abhängigkeiten sich unser Land bei
der EU, bei der NATO und bei den Vereinten Nationen
befindet, indem wir viele Leistungen beistellen: Personal, Hauptquartiere und Fähigkeiten wie beispielsweise AWACS . Über diese Vernetzungen wollen wir einen
jährlichen Bericht, um zu wissen, was es bedeutet, wenn
sich Deutschland bei bestimmten Einsätzen beteiligt oder
heraushält . Wir wollen also einmal jährlich einen Bericht
über die wechselseitigen Abhängigkeiten und über die
Verbundfähigkeiten .
Es liegt dann an uns Abgeordneten, aus diesem Bericht Lehren zu ziehen . Wir wollen jenseits der jährlichen
Debatten über die 16, 17 einzelnen Mandate eine Gesamtaussprache über die Außen- und Sicherheitspolitik
unseres Landes durchführen . Das bietet der Koalition die
Chance, die Positionen darzustellen . Das bietet der Regierung die Chance, Anregungen aufzunehmen, und das
bietet der Opposition die Chance zur Kritik . Ich halte es
für äußerst hilfreich, zusätzlich einmal jährlich über die
Einsätze insgesamt zu sprechen statt nur über die einzelnen Einsätze .
Der dritte Aspekt betrifft auch die Stärkung der Parlamentsrechte, indem wir einfordern, dass bei Einsätzen,
die der Geheimhaltung unterliegen, also beispielsweise
des Kommandos Spezialkräfte, das Parlament informiert
wird . Das ist bisher so nicht festgelegt . Auch das wollen
wir .
Der vierte Aspekt . Wir legen großen Wert darauf, dass
wir uns einmal Gedanken darüber machen, ob wirklich
alle Einsätze geprüft werden müssen . Nicht jeder Einsatz
muss unbedingt mandatiert werden, insbesondere wenn
es sich um Ausbildungsmissionen oder niedrigschwellige
Beobachtungsmissionen in nicht bewaffneten Konflikten
bzw . in befriedeten Gebieten handelt, wo keine Eskalation und keine extreme Gefahr für Leib und Leben der
Soldatinnen und Soldaten zu erwarten sind .
Der Deutsche BundeswehrVerband hat sich mit einigen Schreiben an uns Abgeordnete gewendet und macht
darin andere Vorschläge . Er geht sogar so weit, eine
Grundgesetzänderung vorzuschlagen . Dafür halte ich die
Zeit noch nicht für reif .
({1})
- Eine Grundgesetzänderung halte ich nicht für nötig,
weil wir mit der Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes erheblich größere Fortschritte erzielen können .
Ich glaube, es ist sehr klug, bei der Parlamentsbeteiligung über zwei Bereiche nachzudenken . Ich sehe hier das
Bild der Waagschalen . Das eine ist die Waagschale des
Parlaments, und das andere ist die Waagschale der Regierung . Da das Parlament die Regierung kontrolliert, muss
das Parlament etwas mehr Gewicht in seiner Waagschale
haben . Dieses höhere Gewicht erreichen wir, indem wir
frühzeitiger informiert werden, wir mehr - das halte ich
für ganz wichtig - über die Ausrichtung debattieren und
der Bundesregierung eben auch Evaluierungsberichte abverlangen . Das ist die entscheidende Neuerung .
Nun möchte ich hier aber auch ganz offen ansprechen,
dass wir im Koalitionsvertrag Folgendes geschrieben
haben: „Der Parlamentsvorbehalt ist keine Schwäche
Deutschlands, sondern eine Stärke .“ Ich gebe ganz offen
zu, dass ich mit dem Kollegen Andreas Schockenhoff vor
vier Jahren einen Vorschlag gemacht habe, der sehr zugespitzt war . Wir haben angeregt, zu überlegen, ob es nicht
Vorratsbeschlüsse geben sollte - wohl wissend, dass es
Vorratsbeschlüsse nie geben darf . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben damit eine Debatte angestoßen, die zu einer Selbstvergewisserung des Parlaments
geführt hat . Wir sollten deshalb Volker Rühe und Walter
Kolbow sehr dankbar sein, dass sie eine austarierte Lösung angeboten haben . Sie haben im Ergebnis auf der eiRoderich Kiesewetter
nen Seite die Rechte des Parlaments nicht nur gesichert,
sondern den Parlamentsvorbehalt auch gestärkt, und auf
der anderen Seite unsere Handlungsfähigkeit in der internationalen Vernetzung eindeutig gestärkt .
Wir haben von Anfang an die Tür für die Opposition
offengehalten, sich an dieser Kommission zu beteiligen .
({2})
Die Linke hat von Anfang an Bedingungen gestellt, die
unerfüllbar waren . Die Grünen waren durch Winfried
Nachtwei intensiv vertreten, auch wenn es sich dabei um
einen früheren Kollegen handelt . Ich möchte ihn aber an
dieser Stelle ausdrücklich loben; denn er hat erheblich
dazu beigetragen, dass wir das Thema der Evaluierung
und Bewertung von Einsätzen aufgenommen haben .
Des Weiteren gab es - da bin ich Frau Haßelmann und
Herrn Schmidt sehr dankbar - noch im November eine
umfassende Aussprache mit dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung . Wir haben
ausgelotet, was geht und was nicht . Wir sind übereingekommen, dass die Opposition ihre Rolle sehr ernst
nimmt .
({3})
Wir haben auch festgestellt, dass wir als Regierungsfraktionen in einigen Punkten eine ganz klare Position
vertreten, die wir uns nicht wegverhandeln lassen . Aber
es ist wichtig, dass wir im Parlament darüber reden . Ich
ermutige Sie daher alle, wenn der Gesetzentwurf zur Parlamentsbeteiligung in die Ausschussberatung geht, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten . Wir wollen, dass am
Ende ein Parlamentsbeteiligungsgesetz steht, das nicht
nur die Rechte des Parlaments sichert und in bestimmten Teilen sogar stärkt, sondern wir wollen auch im Sinne von Volker Rühe, Walter Kolbow und der gesamten
Kommission, dass wir die Verlässlichkeit Deutschlands
und die internationalen Abhängigkeiten so miteinander
verweben, dass die Handlungsfähigkeit unseres Landes
in einer Gleichzeitigkeit von Krisen gewahrt ist und auch wenn die Lage einmal noch schwieriger werden
sollte - unsere Bundeswehr von diesem Parlament mit
gutem Gewissen im Sinne unserer Interessen und Werte
eingesetzt werden kann .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({4})
Für die Fraktion Die Linke erhält der Kollege
Alexander Neu das Wort .
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes - Sie da oben - werden heute Zeugen davon, wie
die Koalitionsfraktionen parlamentarisch-demokratische
Rechte beschneiden . Das wird natürlich mit Nebelkerzen kaschiert, ganz nach dem Motto: Ja, wir werden eine
bessere Informationspolitik mit Evaluationsberichten
etc . machen . - Es sollte aber eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass bei einem Einsatz regelmäßige
Berichte und nach Abschluss eines Einsatzes ein Evaluationsbericht vorgelegt werden . Das wollen Sie uns jetzt
als eine positive Neuigkeit verkaufen . Das führt schon zu
einem gewissen Stirnrunzeln bei der Linken .
Aber warum wollen die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen die Parlamentsrechte beschneiden? Es
gibt dafür drei Gründe, die sehr offensichtlich sind .
Der erste Grund ist folgender: Die Bundesregierung
hat den Überblick über die Vielzahl der Auslandseinsätze
quasi verloren . Daher auch die zunehmend peinliche Bitte um Fristverzicht . Ich kann Ihnen garantieren: Wir werden niemals einem Fristverzicht zustimmen - und wenn
die Sondersitzung nachts um 3 Uhr stattfinden wird.
({0})
Ich möchte Ihnen einen guten Rat geben, Herr
Steinmeier und Frau von der Leyen . Gegen einen Überblicksverlust, der offensichtlich ist, gibt es ein probates
Mittel: einfach weniger Auslandseinsätze oder vielleicht
auch gar keine Auslandseinsätze mehr .
({1})
Der zweite Grund: Die Bundesregierung will die
Vielzahl der Einsätze der Öffentlichkeit gegenüber nicht
mehr erklären .
({2})
Mehr Freiraum für exekutives Handeln, so wird das genannt . Es ist ja auch peinlich, gegenüber den Partnern
erklären zu müssen, erst das Parlament fragen zu müssen .
Demokratie ist eben schwierig, aber nicht peinlich .
({3})
Der dritte Grund: Liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Koalitionsfraktionen, ich kann ja verstehen, dass
Sie keine Lust haben, quasi jede Woche im Wahlkreis
den Bürgerinnen und Bürgern erklären zu müssen, warum Sie wieder einmal einem Einsatz zugestimmt oder
einen laufenden Einsatz verlängert haben .
({4})
Das verstehe ich ja . Aber das ist der Preis der Demokratie .
({5})
Um welche Einsatzszenarien handelt es sich, die
künftig nicht mehr der parlamentarischen Kontrolle und
der parlamentarischen Entscheidung unterliegen sollen?
Dies betrifft zum Beispiel die logistische Unterstützung
von Partnerarmeen, die medizinische Versorgung, Ausbildungsmissionen - übrigens ein sehr heikles Thema und Beobachtermissionen .
({6})
Diese Ausnahmefälle zeigen aber auch die Konstruktionsschwäche des bestehenden Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Ein Einsatz ist demnach nur mandatierungspflichtig, wenn Soldatinnen und Soldaten im ausländischen
Konfliktgebiet stehen und eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung besteht oder erwartbar ist .
Diese Konstruktionsschwäche wird jetzt von der Bundesregierung und von den Koalitionsfraktionen missbraucht, um die Entscheidungs- und Kontrollkompetenz
bei allen Einsatzszenarien zu beenden, die diesem Kriterium nicht entsprechen . Siehe die oben genannten vier
Fälle .
Ausgangspunkt für die Entscheidung darf aber doch
nicht die An- oder Abwesenheit von Soldatinnen und
Soldaten im Einsatzgebiet bzw . eine bewaffnete Unternehmung sein . Der Ausgangspunkt muss doch politisch
sein . Die Frage muss doch in jedem Einzelfall sein: Darf
die Bundeswehr als Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik genutzt werden? Das ist doch die zentrale parlamentarische Frage, die in diesem Haus entschieden werden muss .
({7})
Das heißt doch letztendlich: weg vom konkreten Einsatzszenario hin zur grundsätzlichen politischen Frage .
Um mit militärischen Mitteln politische Entscheidungen
herbeizuführen, bedarf es weder der direkten Gewaltanwendung - siehe logistische Unterstützung oder Beobachtermissionen - noch bedarf es der Anwesenheit oder
Abwesenheit von Soldatinnen und Soldaten im Ausland
und im Konfliktgebiet, und zwar dank waffentechnologischer Entwicklungen . Beispiel: unbewaffnete Waffensysteme, allgemein bekannt als Drohnen, oder Cyberattacken .
In beiden Einsatzszenarien, also bei Drohneneinsätzen - es sollen ja künftig bewaffnungsfähige, sprich:
bewaffnete Drohnen angeschafft werden - und auch bei
Cyberattacken, sitzt die Soldatin bzw . der Soldat künftig
in Deutschland und kann von diesem Land aus weltweit
militärische und zivile Infrastruktur zerstören oder auch
Menschen töten .
Was fordert die Linke? Die Linke fordert mehr demokratische Mitbestimmung in der Außen- und Sicherheitspolitik, aber nicht weniger, wie Sie es gerade anvisieren .
({8})
Das heißt konkret: Wir fordern eine grundlegende Korrektur des Entscheidungskriteriums . Das heißt, die Entscheidung über Auslandseinsätze gehört ausnahmslos in
den Deutschen Bundestag,
({9})
weil das Militär ein hochgefährliches politisches Instrument darstellt .
Außerdem fordert die Linke eine Anhebung des
Quorums . Es kann doch nicht sein, dass im Zweifelsfall
mit einfacher Mehrheit über Krieg und Frieden entschieden wird . Die Linke fordert als Quorum die Zweidrittelmehrheit des Deutschen Bundestages .
({10})
Die Menschen in diesem Land müssen wissen, ob,
wie und mit welcher Qualität Abgeordnete und Bundesregierung militärische Gewaltmittel befürworten oder
auch ablehnen . Die Menschen müssen wissen, ob ihre
Abgeordneten und die Bundesregierung rechtswidrige
Einsätze beschließen, wie dies im Dezember beim Syrien-Einsatz der Fall war . Daher wird die Linke demnächst
in Karlsruhe gegen den Beschluss zum Syrien-Einsatz
klagen .
Ich danke Ihnen .
({11})
Das Wort erhält nun die Kollegin Sonja Steffen für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Kommissionsmitglieder! Liebe
Gäste! Herr Dr . Neu, es ist einfach, sich vehement gegen
das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu stellen, wenn man
jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr grundsätzlich ablehnt. Ich finde allerdings, dass das Wahrnehmen internationaler Verantwortung anders aussieht .
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist eine
Parlamentsarmee . Das heißt, der Deutsche Bundestag
stimmt darüber ab - und das soll auch so bleiben -, wenn
unsere Bundeswehr, unsere Soldatinnen und Soldaten, in
einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte gehen soll . Wir,
der Deutsche Bundestag, übernehmen mit diesen Entscheidungen die Verantwortung für den Einsatz unserer
Soldatinnen und Soldaten .
Wir alle wissen, dass es aktuell mehr Konflikte und
Kriege auf der Welt gibt als jemals zuvor . Die Welt ist
viel unfriedlicher geworden, und mehr denn je gilt es,
gemeinsam Verantwortung zu übernehmen . Nationale
Alleingänge sind der Anfang vom Ende für Europa .
Wenn Europa seine Interessen wahren und seiner zunehmenden Verantwortung in einer globalisierten Welt
nachkommen will, dann wird es seinen wirksamen außenpolitischen und sicherheitspolitischen Beitrag dazu
leisten müssen . Es darf keine Alleingänge von Staaten
der Europäischen Union geben, wie gegenwärtig leider
von einigen Staaten im Zusammenhang mit Grenzschließungen, sondern Integration und mehr gemeinsame Verantwortung sind notwendig . Damit entstehen aber auch
mehr gegenseitige Abhängigkeiten . Das gilt auch für militärische Einsätze .
Genau wegen der zunehmenden militärischen Integration europäischer Streitkräfte hat die Große Koalition in
ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass eine Kommission eingesetzt werden soll . Diese sollte prüfen, wie die
Parlamentsrechte auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration gesichert werden können .
Die Kommission hat nun ihre Ergebnisse vorgelegt
und in einem Gesetzentwurf gebündelt . Dieser liegt uns
heute in überarbeiteter Form vor . Von den Einigungsvorschlägen möchte ich einige aufgreifen .
Ich beginne mit § 2 a, der neu ist . Die Überschrift lautet: „Mitwirkung in militärischen Stäben und Hauptquartieren“ . Ich zitiere kurz die Vorschrift . Es heißt hier, dass
die Wahrnehmung von Funktionen in integrierten oder multinational besetzten Hauptquartieren,
Dienststellen und Stäben der NATO, der EU oder
einer anderen Organisation gegenseitiger kollektiver Sicherheit . . .
keiner Zustimmung des Bundestages bedürfen soll - jetzt
hören Sie gut zu -,
sofern sie sich dabei nicht im Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden oder dort eingesetzte Waffen unmittelbar bedienen .
Damit sind beispielsweise - darauf hat der Kollege
Kiesewetter vorhin schon hingewiesen - auch viele
Beobachteraufgaben im Rahmen einer UN-Mission gemeint .
({1})
Das mag vielleicht auf den ersten Blick wie eine Beschneidung der Parlamentsrechte wirken, aber ein Blick
in die Entstehungsgeschichte des Parlamentsbeteiligungsgesetzes aus dem Jahr 2005 zeigt, dass wir eine
ähnliche Regelung schon immer hatten . Sie stand früher
allerdings in den Begründungen und nicht ausdrücklich
im Gesetzestext . Deshalb dient diese Vorschrift, also die
Einkleidung in das Gesetz, im Grunde genommen nur
der Klarstellung . Es geht um Präzisierungen und nicht
um die Einschränkung des Parlamentsvorbehaltes .
({2})
Die größten Probleme bei den Debatten über den neuen Gesetzentwurf hat wahrscheinlich § 2 bereitet . Hier
geht es um den Einsatz bewaffneter Streitkräfte . In dem
neuen Entwurf gibt es nun einen Negativkatalog mit
Fällen, in denen eine Einbeziehung in eine bewaffnete
Unternehmung nicht zu erwarten ist, weshalb keine Parlamentsbeteiligung erforderlich ist .
Um welche Fälle handelt es sich hier? Neben den bereits im bestehenden Gesetz aufgeführten Fällen ist in
unserem jetzigen Gesetzentwurf neu, dass Ausbildungsmissionen „in sicherem Umfeld“ keiner Mandatierung
bedürfen . Ich betone: „in sicherem Umfeld“ . Neu ist
auch, dass Logistikleistungen „ohne Bezug zu Kampfhandlungen“ und die „Bereitstellung medizinischer Versorgung außerhalb des Gebiets eines bewaffneten Konflikts“ nicht zustimmungspflichtig sein sollen. Sie sehen
also: Bei diesem Katalog hat sich die Kommission sehr
viele Gedanken darüber gemacht und darauf geachtet,
dass die Parlamentsrechte nicht beschnitten werden .
Allerdings ist hier nach Meinung meiner Fraktion, der
SPD-Fraktion, schon noch einmal eine genauere verfassungsrechtliche Überprüfung erforderlich, weil es, wie
die meisten von Ihnen wissen, im September 2015 eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Libyen-Einsatz gab .
Das Bundesverfassungsgericht hat den Libyen-Einsatz im Wesentlichen für rechtmäßig erklärt, hat sich aber
inhaltlich mit dem Begriff des „Einsatzes bewaffneter
Streitkräfte“ auseinandergesetzt . Es hat in diesem Urteil
festgestellt, dass es sich hier um einen verfassungsrechtlichen Begriff handelt, also nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff, und dass dieser Begriff nicht durch ein
einfaches Gesetz verbindlich konkretisiert werden kann .
Das bedeutet also: Wir werden uns im Rahmen der nun
beginnenden Beratungen mit dieser Frage noch einmal
auseinandersetzen müssen .
Auf die weiteren Neuerungen des Gesetzentwurfes,
die im Wesentlichen die Stärkung der Informationsrechte
des Parlamentes beinhalten, hat Herr Kiesewetter schon
hingewiesen . Wir werden uns nun im federführenden
Geschäftsordnungsausschuss mit den bereits benannten
verfassungsrechtlichen Fragen beschäftigen müssen .
Der Bundestag hat nicht nur das Recht auf Beteiligung
bei militärischen Einsätzen, sondern auch die Pflicht. Ich
glaube, nicht nur wir, die wir hier sitzen, sondern alle
Parlamentarier wissen: Wenn es um den Einsatz bewaffneter Streitkräfte geht, dann ist die Entscheidung, die wir
hier zu treffen haben, eine der schwierigsten . Wir machen uns diese Entscheidung weiß Gott nicht leicht .
({3})
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Parlamentsbeteiligung werden wir diese Rechte auch nicht
beschneiden .
Ich möchte abschließend den Mitgliedern der Kommission für ihre umfangreiche und sorgfältige Arbeit
danken .
Ich bedanke mich fürs Zuhören und freue mich auf
die Debatten .
({4})
Frithjof Schmidt ist nun der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Koalitionsfraktionen! Bei der Bildung Ihrer - das sage ich ganz bewusst - Kommission
zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte
bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr standen hochgesteckte Erwartungen im Raum,
wie die von Ihnen sogenannte „Abstufung der Intensität
parlamentarischer Beteiligung“ aussehen sollte . Daran
gemessen ist das Ergebnis recht überschaubar geworden .
({0})
Ich finde es gut, dass Sie auf jeden konkreten Vorstoß
zur Änderung der Verfassung verzichtet haben. Ich finde
es gut, dass die unselige Debatte über Vorratsbeschlüsse
oder die Delegation von Abgeordnetenrechten an spezielle Ausschüsse nicht mehr vorgesehen ist .
({1})
Das haben Sie nach Prüfung der Umstände sicher aus guter Einsicht ad acta gelegt . Aber ich bin mir auch sicher,
dass Ihnen dabei die geschlossene und scharfe Kritik der
gesamten Opposition in diesem Haus an solchen Vorhaben eine große Hilfe war .
({2})
Wenn diese falschen politischen Ideen nun in Ihren Fraktionen nicht mehr herumspuken und dauerhaft politisch
entsorgt sind, dann hatte dieser politische Prozess auf jeden Fall etwas Gutes .
({3})
Es gibt in Ihrem Gesetzentwurf drei politische Punkte, bei denen wir Ihrer Meinung sind . Wir begrüßen ausdrücklich, dass Sie für Bundeswehreinsätze nun einen
Evaluierungsbericht vorsehen, der die Wirksamkeit der
militärischen und zivilen Komponenten der Mission bewertet . Das haben wir seit vielen Jahren immer wieder
gefordert . Es ist gut, dass Sie diese Position jetzt aufnehmen .
({4})
Wir begrüßen auch, dass dem Bundestag jährlich ein
Bericht über bestehende multilaterale militärische Verbundfähigkeiten vorgelegt werden soll . Das trägt zur
Transparenz darüber bei, was alles arbeitsteilig mit anderen Ländern militärisch geplant und getan wird . Solche
Transparenz ist immer auch die Voraussetzung für politische Kontrolle .
Wir finden auch richtig, dass Sie die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichtes, die es im Urteil zu unserer
Klage zum sogenannten Pegasus-Einsatz in Libyen gemacht hat, wie denn bei Gefahr im Verzug mit Eilfällen
umzugehen ist, sofort übernommen haben . Das schafft
die notwendige Klarheit .
({5})
Aber das sind natürlich nicht die zentralen politischen Punkte Ihres Gesetzentwurfes . Politisch im Zentrum steht Ihr Versuch, Einsatztypen zu definieren, die in
der Regel nicht mandatspflichtig sein sollen, bei denen
also die Möglichkeit einer Einbeziehung in bewaffnete
Kampfhandlungen auszuschließen ist .
({6})
Sie nennen zum Beispiel Ausbildungsmissionen in sicherem Umfeld, UN-Beobachtermissionen, logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen .
({7})
Sie wecken damit die Illusion, man könne mit einem
solchen Gesetzestext die notwendige Einzelfallprüfung
eines jeden Einsatzes umgehen oder wenigstens minimieren .
({8})
Ihre These in diesem Gesetzentwurf ist: Der mandatspflichtige Ausbildungseinsatz ist atypisch, ist die Ausnahme von der Regel .
Schauen wir uns die Praxis an . Die Bundeswehr führt
zurzeit vier Ausbildungseinsätze durch: in Afghanistan,
Irak, Somalia und Mali . Welchen dieser Einsätze wollen
Sie denn ohne Mandat durchführen?
({9})
Das wäre dann offenkundig die Ausnahme von der Regel
und atypisch, also genau andersherum, als Sie es im Gesetzentwurf formuliert haben . Das ist der Fehler .
({10})
Die Wahrheit ist: Sie sind mit dem Versuch gescheitert,
eine praxistaugliche Typologie zu finden. Ihre Konstruktion ist auch rechtlich fragwürdig . Die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichtes verpflichtet uns zu einer
Einzelfallprüfung, und der Versuch, dies mit irgendwelchen Regelfällen zu unterlaufen, muss scheitern .
({11})
Politisch bedeutet Ihr Gesetzentwurf den Versuch einer Stärkung der Interpretationsmöglichkeiten der Exekutive und einer Schwächung der Kontrollmöglichkeiten
und der Kontrollfähigkeit der Legislative, das heißt in
diesem Fall insbesondere der Opposition .
({12})
Das ist politisch falsch, und das lehnen wir ab .
({13})
Auch die Mitwirkung der Bundeswehr in multinationalen Stäben oder Hauptquartieren wollen Sie durch
diesen Gesetzentwurf von der Zustimmungspflicht des
Bundestages bei Kampfeinsätzen ausnehmen .
({14})
Nur dann soll die Ausnahme nicht gelten, wenn die Soldaten sich direkt im Kampfgebiet befinden oder dort
eingesetzte Waffen direkt bedienen, also zum Beispiel
Kampfdrohnen steuern .
Das heißt, stabsleitende Funktionen von Waffeneinsätzen sollen ausdrücklich keine Einbeziehung in die
bewaffnete Auseinandersetzung mehr bedeuten . Das ist
politischer Unsinn: Planung und Befehle sollen per Gesetz nichts mehr mit dem Einsatz vor Ort zu tun haben?
Wem wollen Sie das weismachen?
({15})
Das widerspricht auch den einschlägigen Ausführungen
des Bundesverfassungsgerichtes . Deswegen sagen wir
Ihnen: Sie befinden sich damit auf ganz dünnem Eis.
Auch diese Gesetzesänderung lehnen wir ab .
Danke für die Aufmerksamkeit .
({16})
Herr Kollege Schmidt, das Vorhandensein der Opposition ist demokratietheoretisch natürlich ein prinzipieller
Vorteil .
({0})
Demokratiepraktisch ist deshalb wünschenswert, dass
die Opposition auch bei allen einschlägigen politischen
Beratungsprozessen beteiligt ist .
({1})
Das hätten wir natürlich auch bei dieser Kommission außerordentlich begrüßt, und vielleicht hätte das eine oder
andere auch im Bericht seinen Niederschlag finden können .
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Uhl von
der CDU/CSU-Fraktion .
({3})
Herr Präsident, ich bedanke mich für den Hinweis an
die Opposition . Ich werde auch darauf zu sprechen kommen .
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! „Der
Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht .“ So
stand es in der Paulskirchenverfassung von 1849: „Der
Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht .“
({0})
Das ist eine lange Verfassungstradition, mit der wir bei
der Abfassung des Grundgesetzes demonstrativ gebrochen haben . Weder der Kaiser noch das Staatsoberhaupt,
sondern wir in diesem Saal, das Parlament, haben die
Verfügung über die bewaffnete Macht .
Der Ursprung der heutigen Debatte liegt im Jahr 1994,
als das Verfassungsgericht in Karlsruhe ein wegweisendes Urteil gesprochen hat, mit dem Tenor, der Einsatz
bewaffneter Streitkräfte bedürfe grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Bundestages . Das ist gut so .
Die demokratisch-rechtsstaatliche Verfassungsordnung ist der Rahmen, in dem entschieden wird, wie mit
dem Machtpotenzial der Bundeswehr umzugehen ist . Der
Gestaltungsspielraum der Exekutive, des Bundesaußenministers und der Verteidigungsministerin, endet bei der
Anwendung militärischer Gewalt im Ausland . Bis dahin
sind sie selbstständig und eigenverantwortlich zuständig .
Nun haben sich die Dinge weiterentwickelt . Nach dem
rechtsschöpferischen Urteil aus dem Jahr 1994 hat der
Bundestag im Jahr 2005 das Gesetz zur Parlamentsbeteiligung beschlossen . Aber seither sind elf Jahre vergangen . Die Welt hat sich weiterentwickelt . Deswegen ist
es gut, dass wir im Lichte zunehmender Bündniszusammenarbeit dieses Gesetz auf den Prüfstand gestellt haben .
Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich bei den beiden
Vorsitzenden Herrn Kolbow und Herrn Rühe, dass wir
uns mit diesem Gesetz sehr intensiv befasst haben . Ich
bedauere an dieser Stelle - genauso wie der Präsident
und die Koalition -, dass wir dies ohne die Opposition
machen mussten . Wir hätten gerne mit Ihnen diskutiert .
Viele Missverständnisse, die heute künstlich aufgebläht
werden, wären nicht entstanden, wenn wir in den letzten
14 Monaten mit Ihnen hätten diskutieren können .
({1})
Die weite Auslegung des Bundesverfassungsgerichtes
bei der Frage der Parlamentsbeteiligung birgt allerdings
eine Gefahr . Sie birgt die Gefahr, dass durch diese Beteiligung ein Einfallstor in zutiefst militärische Entscheidungen geschaffen wird, das heißt, dass sich Parlamentarier in militärpraktische Details vertiefen, was nicht ihre
Aufgabe ist . Das ist die Aufgabe des Militärs, wenn es
um das Wie des Einsatzes geht .
Wir haben erreicht - davon bin ich überzeugt; das
werden Sie am Schluss auch zugeben müssen -, dass die
Parlamentsrechte durch das neue Gesetz abgeglichen und
nicht abgebaut werden . Jedenfalls war das die Leitlinie
für die Rühe-Kommission . Über bewaffnete militärische
Einsätze der Bundeswehr entscheidet also nach wie vor
der Bundestag und niemand anderes . Wir haben uns mit
einer Reihe von Experten getroffen, NATO-Stützpunkte
besucht, unendlich viele Arbeitssitzungen abgehalten
und haben uns den Dingen im Detail gewidmet .
Ich möchte auf drei Dinge hinweisen . Es gibt nun eine
Pflicht zur Unterrichtung des Parlaments. Ich halte es für
wichtig, dass sich der Bundestag als Ganzes einmal im
Jahr mit den vielfältigen militärischen Verbundfähigkeiten und unserer diesbezüglichen Einbindung befasst .
({2})
Nur gemeinsam im Bündnis können wir unsere Aufgaben lösen . Derzeit diskutieren wir über Flugzeugeinsätze
oder EU-Battlegroups . Das können wir nur im Verbund
machen .
Der Bericht zeigt, in welchen Bereichen wir uns zur
Bündnissolidarität verpflichtet haben. Wir werden mehr
Verantwortung in der Außenpolitik übernehmen müssen .
Wir werden ein verlässlicher Partner sein müssen . Da
darf die Parlamentsbeteiligung, die wir ohne Abstriche
bejahen, kein Störfaktor sein . Das war die Aufgabenstellung .
Herr Kollege Uhl, darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?
Ungern,
({0})
weil ich mir von dem Kollegen nur wenig Konstruktives
erhoffe .
Lassen Sie mich fortfahren . Wir sollten mehr Verantwortung im Ausland übernehmen . Wir müssen ein verlässlicher Bündnispartner sein . Dabei geht es darum, dass
Deutschland eine Bundeswehr hat, die einsatzfähig ist .
({1})
- Das ist eine gute Idee . Wenn Sie, Herr Ernst, eine Kurzintervention machen, dann können Sie alles darlegen .
({2})
Es gab in der Vergangenheit aufrüttelnde Berichte über
schwere Mängel bei der Ausrüstung der Bundeswehr .
Ich will nicht so weit gehen und das Wort von der Trümmertruppe übernehmen . Aber die Bundesministerin der
Verteidigung, Frau von der Leyen, hat nun zu Recht ein
großes Programm mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro für die nächsten 15 Jahre aufgelegt .
({3})
Ich befürchte, dass wir die Bundeswehr in dieser Größenordnung ertüchtigen werden müssen .
({4})
Ich habe den Eindruck, dass auch der Bundesfinanzminister dem zumindest dem Grunde nach zustimmt .
({5})
Es ging bei unserer Arbeit auch um den Einsatzbegriff, einen Begriff, den schon das Gericht vielfältig zu
definieren versucht hat. Diesen Begriff wollten wir noch
einmal schärfen: Was ist ein Einsatz, und was ist kein
Einsatz? Wenn wir diesen Begriff im Unklaren lassen,
riskieren wir, dass die Regierung nicht handlungsfähig
ist bei ihren vielfältigen Kontakten und Verhandlungen
mit den Bündnispartnern . Das Bundesverfassungsgericht
ist zunehmend mit der Frage befasst, was ein Einsatz ist .
Wir gehen fast regelmäßig davon aus, dass die Linke wegen jedes Einsatzes vor das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe geht . Dann muss das Gericht entscheiden .
Hier befinden wir uns in einem Kernbereich des Politischen . Entscheidungen über Einsätze im Ausland sind
zutiefst politische Entscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht nicht zu treffen hat . Das entscheiden wir
im Parlament und niemand anders . Es gilt der Grundsatz
des „judicial self-restraint“ . Das Gericht war bisher klug
beraten, sich bei diesen Fragen, ob ein Einsatz erfolgen
muss, zurückzuhalten . Ich hoffe, dass dies auch so bleibt
in Karlsruhe .
Wir haben uns also intensiv mit dem Begriff beschäftigt, und wir werden uns jetzt auch weiter im Plenum und
in den Ausschüssen mit dem Gesetz befassen . Das ist
auch gut so .
Das, was kein Einsatz ist, haben wir auch herausgearbeitet: Logistische Unterstützungen oder medizinische
Versorgung außerhalb von Konfliktgebieten sind natürlich kein Einsatz . Selbst das Gericht hat bereits gesagt,
dass die bloße Möglichkeit der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen kein Einsatz ist, sondern dass es
eine qualifizierte Erwartung an eine solche Verstrickung
in militärische Einsätze geben muss . Dann erst entsteht
die Mandatierungspflicht.
Auch reine Ausbildungsmissionen sind natürlich kein
Einsatz. So können wir - hoffe ich - schnell und flexibel auf die Krisen des 21 . Jahrhunderts reagieren, indem
wir dort das Parlament befassen, wo es nach Gesetz und
Recht erforderlich ist, während in den anderen Fällen die
Exekutive handelt .
Lassen Sie mich zu einem dritten Punkt kommen: die
Spezialkräfte der Bundeswehr . Jederzeit weltweit einsatzbereit
({6})
stehen sie uns zur Verfügung zur Rettung und Befreiung
deutscher Geiseln im Ausland, um verdeckte Operationen im Ausland durchzuführen - Spezialaufklärung oder zur Terrorismusabwehr . Ungeheuer wichtig in unserer Zeit ist dieses Kommando Spezialkräfte .
Wie steht es nun mit der Frage: Was macht das Parlament in diesen Fällen? Auch hier hat das Gericht zu
Recht entschieden, dass natürlich keine vorherige InforDr. Hans-Peter Uhl
mation über einen solch hochgefährlichen Spezialeinsatz erfolgt, dass aber, nachdem der Einsatz hoffentlich
erfolgreich zum Wohle der betroffenen Menschen oder
Geiseln abgeschlossen ist, selbstverständlich das Parlament, und zwar jeder Einzelne von uns, unterrichtet werden muss . Und das ist eine kluge, weise Entscheidung,
der wir gern folgen .
Ich halte es auch für wichtig, dass wir darüber öffentlich sprechen, welche Männer und Frauen wir in der
Truppe haben, die ihr Leben riskieren, um andere Menschenleben zu retten . Das sollte ruhig öffentlich diskutiert werden . Das steht ihnen zu .
Wir haben sechs neue Berichtspflichten geschaffen.
Das schafft Transparenz, und darum ist der Vorwurf der
Linken völlig unbegründet . Der Kollege Schmidt von
den Grünen hat gemeint, dass Sie, die Opposition, eine
große Hilfe für uns waren, weil Sie uns von bestimmten
Dingen abgehalten haben . Diese Dinge hatten wir übrigens gar nie vor,
({7})
aber wenn Sie das heftig glauben, dann kann ich Sie nicht
daran hindern .
Nein, wir haben eine Vorlage gemacht, auf deren
Grundlage man die Probleme aus unserer heutigen Sicht
der verbundenen Bundeswehr in der NATO, in der EU,
in Aufgaben im Rahmen von UN-Resolutionen, die wir
weltweit erfüllen müssen, lösen kann . Dies ist ein Gesetz, mit dem wir gut weiterkommen, und ich würde Sie
einladen - zumindest die Kollegen der Grünen -, jetzt
mitzumachen,
({8})
nachdem Sie gesehen haben, dass wir auf dem richtigen
Weg sind, Herr Schmidt .
({9})
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Ernst das
Wort .
({0})
Herr Dr . Uhl, ich mache die Kurzintervention nur
sehr ungern, ich hätte mir eher einen direkten Dialog gewünscht . Ich bin kein Militärexperte, aber Abgeordneter,
insofern geht es hier auch um meine Rechte . Deshalb
möchte ich Ihnen sagen, was mir jetzt eigentlich in der
Debatte fehlt .
Es sind im Wesentlichen von der Union zwei Einsatzformen vorgetragen worden . Ich hätte erwartet, dass darauf irgendwie eingegangen würde .
({0})
Das Erste war der Drohneneinsatz . Er ist beschrieben
worden . Wie ist es nun? Was passiert, wenn derjenige,
der offensichtlich eine Kriegshandlung ausführt, nämlich eine Drohne steuert - dabei wissen wir, dass diese
Drohnen inzwischen nicht nur aufklären, sondern auch
etwas abwerfen bzw . schießen können -, dies nicht über
einem Einsatzgebiet tut, sondern über einem friedlichen
Gebiet? Dazu ist doch vorher eine ganz konkrete Frage
von Herrn Dr . Schmidt gestellt worden: Ist ein solcher
Einsatz nun zustimmungspflichtig durch das Parlament
oder nicht? Wenn man so ein Gesetz macht, muss man
doch eine klare Antwort geben können .
Eine zweite Frage wurde aus meiner Sicht ebenfalls
vollkommen zu Recht gestellt: Was ist mit den Einsätzen, die jetzt nicht mehr zustimmungspflichtig sein sollen? Der Kern dieses Gesetzes besteht doch darin, dass
bestimmte Einsätze nicht mehr zustimmungspflichtig
sein sollen . Jetzt ist von Ausbildungseinsätzen, die nicht
mehr zustimmungspflichtig sein sollen, die Rede gewesen . Wir wissen, dass die Bundeswehr Ausbildungseinsätze durchführt . Meine konkrete Frage lautet: Welche
Einsätze, die gegenwärtig unter dem Titel „Ausbildungseinsätze“ oder unter anderen Titeln laufen - es sind über
zehn, wenn ich es richtig im Kopf habe -, sind nicht mehr
zustimmungspflichtig?
Das wären meine zwei ganz konkreten Fragen . Ich
würde Sie wirklich bitten, darauf einzugehen, damit sich
auch der Abgeordnete, der kein Militärexperte ist, ein
Bild machen kann, wie es künftig aussehen soll . Werden
wir dann noch beteiligt, oder werden wir dann nicht mehr
beteiligt?
({1})
Zur Erwiderung der Kollege Uhl .
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! An dem Wortbeitrag des Kollegen wurde überdeutlich, wie falsch die Entscheidung war, sich an der
Diskussion in den letzten 14 Monaten nicht zu beteiligen .
({0})
Hätten Sie sich beteiligt, dann hätten Sie die Diskussion,
die wir über Drohneneinsätze geführt haben, mitbekommen und hätten sich einbringen können .
({1})
Das wollten Sie nicht . Sie wollten sich wahrscheinlich
die Chance nicht entgehen lassen, später im Plenarsaal
solche Reden zu halten, die am Thema vorbeigehen, wie
Sie es gerade getan haben .
({2})
Wir haben über Drohneneinsätze gesprochen und uns
heftige Gedanken gemacht, wie man damit umzugehen
hat .
({3})
- Herr Kollege, bewaffnete Drohneneinsätze sind mandatierungspflichtig. Das heißt, Ihren Überlegungen haben
auch wir uns gestellt . Deswegen ist es nur wünschenswert, wenn Sie fortan an der Diskussion teilnehmen und
sich nicht verweigern, um hinterher umso heftiger mit
Missverständnissen Opposition zu betreiben .
({4})
Nun erhält die Kollegin Dağdelen das Wort für die
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, Sie sagten hier in dieser Debatte, dass es zur Demokratie gehört, dass sich auch die Opposition an einer
Parlamentskommission beteiligt . Zu einer Demokratie
gehört aber im Wesentlichen, dass es auch Rechte der
Minderheiten gibt,
({0})
und es gehört nicht dazu, dass die Regierungsfraktionen
einfach eine Kommission gründen, den Auftrag selber
bestimmen, einen Closed Shop machen und der Opposition sagen: Ihr könnt gerne zu dieser Kommission mitkommen .
({1})
Das ist aus diesem Grund keine Parlamentskommission, sondern eine Regierungskommission . Das ist die
Wahrheit über den Sachverhalt, über den wir hier diskutieren .
({2})
Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium aus der Partei CDU, Herr Willy Wimmer,
({3})
hat Folgendes zu diesem Vorgang hier gesagt:
Warum eigentlich eine Reform zur Beseitigung
des Parlamentsvorbehaltes? Seit dem sogenannten
Adria-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1994
hat die jeweilige Bundesregierung letztlich alle ihre
Einsatzvorhaben zum Bundeswehreinsatz realisieren können . … Die notwendige öffentliche Diskussion über den Einsatz der Bundeswehr ließ die
Bundesregierung zögern, wo es wegen der Volksmeinung ratsam zu sein schien . … Anders kann der
beabsichtigte Anschlag der Bundesregierung, mittels einer „Vorwandkommission“ den letzten Rest
der Parlamentsbeteiligung und damit des Volksinteresses am Einsatz der Bundeswehr zu kippen, nicht
gewertet werden .
Herr Willy Wimmer sagt ganz eindeutig: Das Vorhaben von Union und SPD ist der größte Angriff auf die
Rechte des Parlaments seit Gründung der Bundeswehr
1955 .
({4})
Es ist nämlich der Anfang vom Ende der Parlamentsbeteiligung . Wenn deutsche Soldaten künftig in NATOund EU-Stäben an Kriegen teilnehmen, hat der Deutsche
Bundestag nichts mehr zu entscheiden . Ziel der Großen
Koalition ist es, hier in einem so wichtigen Punkt allein
die Bundesregierung über Krieg und Frieden entscheiden
zu lassen .
Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, entmachtet das
Parlament,
({5})
und da macht die Linksfraktion nicht mit .
({6})
Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, vergreift sich nämlich an dieser parlamentarischen Demokratie . Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt,
({7})
will Deutschland deutlich schneller, möglichst ungestört,
möglichst unbeachtet in neue Kriege führen .
({8})
- Darum geht es hier: um ein Vorhaben zur Beseitigung
des Parlamentsvorbehaltes . - Dieses Vorhaben wird auf
den entschiedensten Widerstand bei der Linken treffen .
({9})
Wir sagen Nein zu diesem Angriff nicht nur auf die parlamentarische Demokratie, sondern auch auf die Souveränität der Bevölkerung . Wir wollen diese Kriege nicht,
weder unter der Flagge der EU noch unter der Flagge der
NATO .
Bei Ihrem Vorhaben schrecken Union und SPD auch
nicht davor zurück, die Rechte des Bundestages, wie sie
in Artikel 23 des Grundgesetzes festgeschrieben worden
sind, direkt anzugreifen . Alles, was Sie dem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen Union zugestehen
wollen, ist eine gravierende Verletzung des Grundgesetzes und auch des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, des EUZBBG .
({10})
Das Grundgesetz ist für Sie augenscheinlich eben
nichts mehr wert . Sie wollen nämlich ohne öffentliche
Diskussion, ohne das Licht der Öffentlichkeit deutsche
Soldaten in alle Welt entsenden können . Deshalb sagen wir Nein zu dieser neuen, immer abenteuerlicheren Politik der Entsendung in Auslandseinsätze nach
Django-Manier .
({11})
Eins muss man sich wirklich einmal vergegenwärtigen: Selbst im Zeitalter des deutschen Kaiserreichs wurde im Reichstag über Krieg und Frieden entschieden .
Heute wollen Sie die Bundesrepublik in vorparlamentarische Zeiten zurückführen, nur damit keiner mehr hier
im Bundestag und auch in der Öffentlichkeit über neue
Kriege diskutiert .
({12})
Darum geht es .
Von einer Zustimmung aufseiten der SPD und auch
der Union muss man bei den Militärinterventionen
zwangsläufig immer ausgehen. Sie gehen auch noch so
weit, den Rechtsbruch direkt in Ihren Gesetzentwurf hineinzuschreiben . Während Sie die EU als ein kollektives
Sicherheitssystem bezeichnen, um den Bundestag nicht
mehr über die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in
EU-Stäbe im Kriegseinsatz entscheiden lassen zu müssen, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil
über den Vertrag von Lissabon genau dies ausgeschlossen . Die Europäische Union ist kein kollektives Sicherheitssystem, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
Urteil zum Vertrag von Lissabon gesagt .
({13})
Sehen Sie sich einfach einmal die Randnummer 390 dieses Urteils an .
Deshalb kann es eben nicht angehen, dass Sie die
rechtsstaatlichen Institutionen derart ignorant ins Abseits
stellen . Die parlamentarische Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt man nicht einfach weg . Wir
als Linke werden dafür kämpfen, dass diese parlamentarische Demokratie gerade in Zeiten unsicherer Situationen weltweit erhalten bleibt, um entscheidende Fragen
von Krieg und Frieden hier im Parlament und nicht nur in
der Regierung zu debattieren .
Vielen Dank .
({14})
Das Wort erhält nun der Kollege Niels Annen für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem Redebeitrag aus einem Paralleluniversum
({0})
versuche ich jetzt, etwas zur Sache zu sagen .
({1})
Wenn man Frau Dağdelen zuhört, dann gewinnt man den
Eindruck, dass allein meine Präsenz an diesem Rednerpult eine große Überraschung ist; denn angeblich wollen
wir das ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutieren .
Also, zur Sache . Ich will mich dem Dank an die Mitglieder der Kommission anschließen . Ich freue mich darüber, dass Sie, Herr Rühe, Herr Kolbow, heute an dieser
Debatte teilnehmen . Ich glaube, dass Sie eine wichtige
Arbeit geleistet haben .
Ich will deswegen noch einmal daran erinnern, was
der Auftrag war . Dieses Parlament - nicht allein die
Koalitionsfraktionen; es war eine für alle offene Kommission - hat eine Kommission zur Überprüfung und
Sicherung von Parlamentsrechten eingesetzt . Genau das
haben wir getan, und zwar unter dem Eindruck einer
Entwicklung, die wir alle miteinander in den letzten Jahren begrüßt haben, nämlich einer Entwicklung, die man
als eine fortschreitende Bündnisintegration beschreiben
kann . Das klingt technisch, bedeutet aber eigentlich, dass
wir auf dem Weg der Europäisierung darin vorangehen,
auch unsere transatlantischen Strukturen zu stärken .
Natürlich hat es im Vorfeld dieser Einsetzung Debatten gegeben . Wir haben auch innerhalb der Koalition über den Auftrag der Kommission gestritten . Es gab
Misstrauen . Das ist von den Oppositionsparteien artikuliert worden; das ist ihr gutes Recht .
Deswegen will ich an dieser Stelle sehr deutlich, auch
für meine Fraktion, sagen: Die SPD hat Wort gehalten .
Es gibt keine Vorratsbeschlüsse . Die Rechte des Parlaments werden nicht beschnitten, sondern sie werden ausgebaut; sie werden gestärkt . Das ist eine ganz wichtige
Entwicklung .
({2})
Weil man beim letzten Redebeitrag so ein bisschen
den Eindruck bekommen konnte, wir würden hier in
einer Geheimoperation die Rechte des Parlaments sozusagen zusammenstreichen, will ich doch noch einmal
zusammenfassen, was wir uns vorgenommen haben und
was Ihnen heute vorliegt .
Herr Kollege Annen, darf, bevor Sie das zusammenfassen, der Kollege Neu intervenieren?
Ja, das darf er natürlich gern .
Kollege Annen, ich weiß nicht, ob Sie in Ihrer Fraktion miteinander diskutieren . Jedenfalls hat der Kollege
Arnold gesagt, vor einigen Monaten im Verteidigungsausschuss, dass er den Vorratsbeschluss schon drinhaben
wollte,
({0})
aber die Juristen der SPD abgeraten hätten .
({1})
Wie ist nun der Diskussionsstand in der SPD?
({2})
- Das lässt sich vielleicht im Protokoll des Verteidigungsausschusses nachvollziehen, Kollege Arnold .
({3})
Ich muss mich manchmal wirklich ein bisschen zusammenreißen . Sie können die Protokolle des Deutschen
Bundestages lesen . Sie können die Presseausschnitte
über die Debatten lesen, die wir geführt haben . Es gab
niemals einen Zweifel daran, dass die SPD gegen Vorratsbeschlüsse ist .
Ich glaube, es gibt da überhaupt kein Problem . Der
Kollege Kiesewetter hat in seiner Rede auch ein bisschen
den Diskussionsverlauf dargestellt . Es gab damals eine
öffentliche Auseinandersetzung über ein interessantes
Papier von Herrn Kiesewetter und Herrn Schockenhoff .
Dazu hat sich auch der Kollege Arnold geäußert; ich bin
gelegentlich dabei gewesen .
Es ist gar kein Problem, dass wir hier unterschiedliche
Meinungen haben . Das ist Teil einer parlamentarischen
Auseinandersetzung, Teil von Demokratie . Aber dass Sie
mit Ihren Fragen, mit Ihren Redebeiträgen diese Plattform hier nicht nur dazu nutzen, um Ihre Position zu vertreten - das tun wir auch; das ist in Ordnung -,
({0})
sondern auch dazu nutzen, falsche Tatsachen zu präsentieren,
({1})
die Öffentlichkeit so auch hinter die Fichte zu führen, das
ist nicht in Ordnung . Insofern, glaube ich, entlarvt sich
das selber .
Zu Ihrer ersten Frage kann ich Ihnen sagen: Die
SPD-Fraktion diskutiert immer . Wir haben auch hierüber
intensiv miteinander diskutiert . Insofern: Die Einladung
bleibt bestehen, auch an Ihre Fraktion . Wir kommen jetzt
ins Gesetzgebungsverfahren . Beteiligen Sie sich an dem
Gesetzgebungsverfahren . Als kleinen Einstieg in diese
Beteiligung lesen Sie vielleicht erst einmal das, was hier
zur Beratung vorliegt, meine Damen und Herren .
({2})
Weil sich gezeigt hat, dass es notwendig ist, will ich
noch einmal zusammenfassen, worum es geht . Es sollen
die Informationsrechte bei geheimhaltungsbedürftigen
Operationen - Stichwort „Kommando Spezialkräfte“ kodifiziert werden. Wir werden bisher über die Obleute
unterrichtet . Das ist eine bewährte Praxis, aber es ist eine
freiwillige Praxis . Die SPD-Fraktion war immer schon
der Meinung, dass es nicht einen Teil der Streitkräfte geben kann, der von der allgemeinen Unterrichtungspflicht
sozusagen ausgenommen ist . Wir verändern das jetzt . Ich
glaube, das ist ein großer Fortschritt .
Wir werden in diesem Gesetzgebungsverfahren auch
dafür sorgen, dass es eine erweiterte Unterrichtungspraxis zu abgeschlossenen Operationen des Kommandos
Spezialkräfte gibt . Das ist ein wichtiger Fortschritt .
Ich will unterstreichen, dass ich es für eine gute Entscheidung halte, dass wir Ihnen, meine Damen und Herren, vorschlagen, die Evaluierungspflicht, die bisher in
der Begründung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes angedeutet ist, in den Gesetzestext aufzunehmen . Das ist
dann übrigens auch eine Grundlage, um vor der gesamten
Öffentlichkeit darüber zu diskutieren, ob diese Entscheidungen vernünftig waren, ob der Einsatz richtig konzipiert war, und eine Grundlage für die weitere parlamentarische Beratung und für die Begleitung der wichtigen
Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten .
Für die Frage der internationalen Zusammenarbeit ist
von besonderer Wichtigkeit - damit greifen wir eine Idee
aus der Kommission auf -, dass wir die Bundesregierung
auffordern, einen jährlichen Bericht - einen Bericht, keine Beschlussvorlage für einen Vorratsbeschluss; um das
an dieser Stelle noch einmal zu unterstreichen - über die
multilateralen militärischen Verbundfähigkeiten vorzulegen . Wir gehen davon aus, dass dieser Bericht nicht nur
hier diskutiert wird, nicht nur von der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sondern dass er auch von
der europäischen Öffentlichkeit, von den Kolleginnen
und Kollegen in anderen Parlamenten und Regierungen
zur Kenntnis genommen wird . Das sorgt für eine politische Absicherung . Das schafft das an Verlässlichkeit,
was wir erreichen wollen, und es nimmt vielleicht auch
ein bisschen von dem Misstrauen, das es in anderen Ländern gegenüber unserer parlamentarischen Beteiligungspraxis gibt .
Um es noch einmal deutlich zu sagen - Kollege Uhl
hat darauf hingewiesen, dass wir darüber sehr intensiv
miteinander diskutiert haben, übrigens auch mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Staaten -: Wir möchten
nicht, dass sich eine Bundesregierung, wie immer sie zusammengesetzt ist, hinter dem Parlament versteckt, wenn
es auf internationaler Ebene darum geht, über die Beteiligung an einem Einsatz zu entscheiden . Unsere Beratungen haben nämlich ergeben, dass das gelegentlich doch
der Fall gewesen ist . Deswegen stellen wir klar: Eine
frühzeitige Unterrichtung über die konkreten Planungen
für bewaffnete Einsätze deutscher Streitkräfte im System
gegenseitiger kollektiver Sicherheit soll vor diesem Hintergrund einen Beitrag leisten . Auch das ist eine Ausweitung der Informationsrechte des Parlamentes .
Insofern bin ich überzeugt davon - wir beginnen ja
jetzt mit dem Gesetzgebungsprozess -, dass diese Diskussion die Kritiker, die wir heute ja auch wieder gehört
haben, widerlegt, die uns im Vorfeld der Einsetzung dieser Kommission unterstellt haben, dass die Große Koalition den Abbau von Parlamentsrechten beabsichtige .
Deswegen kann man an dieser Stelle, glaube ich, eine
ganz sachliche Diskussion miteinander führen . Ich will
ohne jede Bitterkeit sagen: Wir haben es wirklich sehr
bedauert, dass die Opposition sich gegen die Mitarbeit in
dieser Kommission entschieden hat .
({3})
Trotzdem haben wir das Gespräch gesucht . Wir haben
regelmäßig Angebote gemacht, und ich bin sehr froh darüber, dass diese angenommen worden sind . Wir haben,
wie ich finde, vor allem mit den Kolleginnen und Kollegen der Grünen sehr konstruktive Gespräche geführt . Wir
haben auch Anregungen aus diesen Gesprächen aufgenommen . Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Wir werden es im Gesetzgebungsverfahren genauso halten . Die
Tür für Anregungen, für Diskussionsbeiträge - über Ihre
ganz normalen parlamentarischen Rechte hinaus - bleibt
natürlich offen . Wir sind sehr daran interessiert, dass es
am Ende vielleicht doch noch dazu kommt, dass wir uns
aufeinander zubewegen .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
noch einen weiteren Aspekt in die Debatte einbringen: Es
gibt in Europa nur wenige Parlamente, die über so viele
Beteiligungsrechte beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte
verfügen wie der Deutsche Bundestag .
({4})
Der eine oder andere Abgeordnete anderer Parlamente,
mit dem wir gesprochen haben, hat keinen Hehl daraus
gemacht, dass er sich für sein Parlament manchmal ähnliche Rechte wünschen würde . Ich glaube, wir müssen mit
dem, was wir uns erarbeitet und auch erstritten haben,
sehr sorgsam umgehen; denn mit diesen Rechten geht ja
auch eine Verantwortung einher . Nicht jeder Einsatz der
Bundeswehr ist gleich gefährlich; aber kein Einsatz ist
ohne Risiko . Es geht immer auch um das Leben meist
junger Menschen . Deswegen dürfen wir in diesem Parlament nicht in einen Routinemodus verfallen . Es ist leider
bei einigen Debatten manchmal fast vorhersehbar, welche Diskussion wir führen . Ich glaube, dass das an dieser
Stelle ganz wichtig ist .
Ich möchte zum Schluss doch noch einmal sagen: Der
Parlamentsvorbehalt - auch diese Debatte zeigt das schafft Öffentlichkeit und Legitimität und stärkt den
Soldatinnen und Soldaten bei ihrer wichtigen Arbeit den
Rücken . Dabei soll es bleiben .
Vielen Dank .
({5})
Frau Keul, einen Augenblick noch . - Der Kollege
Gehrcke möchte gerne noch eine Kurzintervention machen . Dazu soll er Gelegenheit haben . Bitte schön .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Ich möchte zu
einer Sache eine Klarstellung machen, weil sie immer
wieder, wie ich finde, in einer falschen Art und Weise
wiederholt wird - auch von Niels Annen gerade . Die Absicht ist erkennbar .
Wir haben bei der Einsetzung der Kommission - das
können Sie im Protokoll nachlesen; ich bedauere sehr,
dass wir nicht einmal den Präsidenten haben überzeugen
können - davon gesprochen, dass wir in den Auftrag der
Kommission auch die Frage nach der Stärkung und dem
Ausbau der Parlamentsrechte aufnehmen wollen .
({0})
Das wollten wir ausdrücklich in dem Auftrag der Kommission haben - was Sie gemacht haben, ist eine andere
Sache -, das ist abgelehnt worden .
({1})
Man wollte nicht den Auftrag erteilen, dass die Parlamentsrechte auch gestärkt und ausgebaut werden . Das
war der Kern der Meinungsverschiedenheiten . Wir wollten nicht das Feigenblatt in einer Kommission, die sich
dieser Aufgabenstellung verweigert, für Sie spielen . Das
hätten Sie gerne gehabt und hätten hinterher sagen können: Die waren auch dabei und durften ihre Meinung äußern . - Entscheiden konnten wir ja sowieso nichts . Deswegen bleibt meine Fragestellung, ob dieses Parlament
bereit ist, seine eigenen Rechte auszubauen und damit
die Rechte der Regierung zu schmälern . Das ist der Kern
der Differenz . Dazu müssen Sie sich bekennen, und dazu
brauchen Sie nicht einen solchen Unsinn zu erzählen,
dass wir uns verweigert haben, dass wir nicht wollten
und, und, und .
Ich weiß, dass Sie sich Mühe gegeben haben . Herr
Rühe und Herr Kolbow waren bei uns in der Fraktion .
Das war eine ganz muntere Debatte . Die SPD hat uns
immer zum Kaffeetrinken eingeladen, um mit uns zu
reden . Darum geht es nicht . Es geht darum, ob diese
Kommission den Auftrag vom Parlament zur Stärkung
und zum Ausbau der Parlamentsrechte bekommen hätte
oder nicht . Das haben Sie nicht geleistet, und das wollten
Sie nicht . Das Ergebnis spricht dafür, dass es nicht erfüllt
worden ist . Das wollte ich hier noch einmal klarstellen .
({2})
Kollege Annen zur Erwiderung .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kollege Gehrcke,
Sie können nicht von der Tatsache ablenken, dass Ihre
Entscheidung, sich nicht an einer Kommission zu beteiNiels Annen
ligen, bei der es auch um die Sicherung von Parlamentsrechten geht - das steht in der Aufgabenbeschreibung -,
vor allem darin begründet liegt - das sehen wir in vielen Debatten, wenn es um Außen- und Sicherheitspolitik
geht -, dass Sie die inneren Widersprüche in Ihrer Fraktion nicht vor der versammelten Öffentlichkeit darstellen
wollen, und dass Sie sich vor allem - ich bedauere das
ausdrücklich - nicht an der Detailarbeit, der Gesetzesarbeit in der Kommission beteiligten wollen,
({0})
weil das offengelegt hätte, was Sie selber eben präsentiert haben: Frau Dağdelen hat gesagt, hier soll das Parlamentsrecht nicht nur beschnitten, sondern abgeschafft
werden, und Sie sagen, Sie haben sich deswegen nicht
beteiligt, weil in der Überschrift des Kommissionsauftrages sozusagen ein Adjektiv fehlt . Ich glaube, das entlarvt
sich selber .
Beteiligen Sie sich an der Arbeit . Lesen Sie die Dokumente . Machen Sie konkrete Vorschläge . Dann werden Sie in Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit nur gewinnen
können .
Herzlichen Dank .
({1})
Nun hat die Kollegin Keul das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil hier
mehrfach das Bedauern über die Abstinenz der Opposition angesprochen worden ist, will ich noch einmal darauf
hinweisen, dass es keine Kommissionen des Parlamentes
war, sondern eine Kommission der Regierung .
({0})
Das parlamentarische Verfahren beginnt heute . Hier werden wir uns jetzt auch beteiligen, wie Sie sehen .
Sie legen uns heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem
Sie einen Begriff definieren wollen, den das Verfassungsgericht längst definiert hat. Es geht im Kern um den Begriff des bewaffneten Einsatzes . Dazu führt das Verfassungsgericht in der aktuellen „Pegasus“-Entscheidung
aus - Zitat -: Es handelt sich beim Einsatz bewaffneter
Streitkräfte um einen verfassungsrechtlichen Begriff, der
nicht von einem unter der Verfassung stehenden Gesetz
verbindlich konkretisiert werden kann . Und weiter:
Mit dem Begriff „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“
ist eine einheitliche rechtliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit definiert. Für
eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall ist insoweit kein Raum …
({1})
Sie versuchen jetzt trotzdem, mit dem neuen § 2 des
Gesetzentwurfes gesetzlich zu definieren, wann eine
Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu
erwarten ist . Dazu sollen unter anderem gehören humanitäre Hilfsdienste, logistische Unterstützung und Ausbildungsmissionen im sicheren Umfeld .
Nach dem bisherigen Wortlaut des Gesetzes sind humanitäre Hilfsdienste dann nicht zustimmungspflichtig,
wenn eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu erwarten ist . Das entspricht den Vorgaben
der Verfassung . Ob eine Einbeziehung in eine bewaffnete
Unternehmung zu erwarten ist, bleibt eine Frage der tatsächlichen Verhältnisse, und diese Voraussetzung können
Sie nicht gesetzlich wegdefinieren.
({2})
Und noch einmal ausdrücklich das Verfassungsgericht
in der AWACS-Entscheidung von 2008 - Zitat -:
Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive maßgeblich von den
politischen und militärischen Bewertungen und
Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht
werden …
Einen solchen Gestaltungsspielraum gibt es auch nicht
bei logistischen Einsätzen oder bei Ausbildungsmissionen in angeblich sicherem Umfeld .
({3})
Auch logistische Unterstützung ohne Bezug zu
Kampfhandlungen kann grundsätzlich zustimmungspflichtig sein, weil es nach der Verfassungsrechtsprechung gerade nicht darauf ankommt, ob es tatsächlich
bereits Kampfhandlungen gibt .
({4})
Und die Ausbildung von Streitkräften, die sich in ihrem
Land aktiv in einem bewaffneten Konflikt befinden, steht
auch dann im Zusammenhang mit diesem Konflikt, wenn
die Ausbildung aus Sicherheitsgründen beispielsweise in
einem Nachbarstaat stattfindet. Der Rückzug hinter geografische Landesgrenzen ist gerade kein Ausschlusskriterium für die Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung .
({5})
Deswegen knüpft auch Ihr neuer § 2 a - was die Mitwirkung in militärischen Stäben und Hauptquartieren
betrifft - an das falsche Kriterium an, wenn Sie darauf
abstellen, ob sich die Soldaten auf dem Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden.
({6})
Wenn man sich die Kriegsführung der Moderne ansieht,
wirkt dieses Kriterium geradezu skurril .
({7})
Was Sie hier treiben, ist der untaugliche Versuch, auf
einfachgesetzlicher Ebene verfassungsrechtliche Grundsätze zu unterlaufen . Und wenn Sie glauben, Sie könnten
mit Ihrer 80-Prozent-Mehrheit die Verfassung ändern,
wie es Ihnen beliebt, kann ich Sie nur davor warnen .
({8})
In seinem Lissabon-Urteil aus dem Jahr 2009 hat das Verfassungsgericht den Zusammenhang zwischen Demokratie und Auslandseinsätzen noch einmal hervorgehoben
und festgestellt, dass der Parlamentsvorbehalt zu dem
nach Artikel 79 Grundgesetz geschützten, unantastbaren
Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität gehört .
({9})
Leider habe ich in dieser Legislaturperiode zunehmend den Eindruck, dass Sie unser bewährtes Grundgesetz nur noch als lästigen Bremsklotz betrachten, den
man halt argumentativ irgendwie aus dem Weg räumen
muss,
({10})
sei es beim Einsatz im Nordirak, beim Tornado-Einsatz
in Syrien oder beim AWACS-Einsatz über der Türkei .
Deswegen zum Schluss noch eine kurze politische Bewertung aus den Schlussfolgerungen der Kommission
„Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“
beim Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik - Zitat -:
Das ParlBG stellt keinen Ballast für eine effektive
Sicherheitspolitik dar . Es verhindert auch nicht per
se eine stärkere militärische Integration im Bündnis
({11})
oder in der EU . … Im Idealfall verhindert die Parlamentsbeteiligung übereilte Entscheidungen, ermöglicht öffentliche Kontrolle, erhöht die Legitimität
des Einsatzes und stärkt die Sicherheit Deutschlands .
({12})
In diesem Sinne verstößt Ihr Gesetzentwurf nicht nur
gegen die Verfassung, sondern geht auch politisch in die
völlig verkehrte Richtung .
Vielen Dank .
({13})
Wilfried Lorenz ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Vielleicht vorab eine kurze Bemerkung zu meiner Vorrednerin . Nach meinem
Kenntnisstand ist die Rühe-Kommission vom Parlament
eingesetzt und damit eine Parlamentskommission und
keine Regierungskommission . Das sollte man vielleicht
einmal klarstellen .
({0})
Vielleicht noch eine weitere Bemerkung . Ich glaube,
man sollte mit unserem Grundgesetz ein bisschen zurückhaltender umgehen .
({1})
- Vielleicht hören Sie mal zu . Herr Dr . Neu, es wäre sehr
hilfreich, wenn Sie nicht nur reden, sondern auch mal zuhören würden .
({2})
Ich glaube, man darf mit der Verfassung nicht einfach so
sorglos umgehen und aus dem Beispiel AWACS-Einsatz
über einem NATO-Gebiet schließen, dass wir gegen die
Verfassung verstoßen . Ich glaube, das muss einmal klar
und deutlich formuliert werden .
({3})
Meine Damen und Herren, die Arbeit der Rühe-Kommission hat gezeigt, dass die Beteiligung des Bundestages bei Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte im Ausland in der bisherigen Form vom
Grundsatz her erfolgreich war und unseren Bündnisverpflichtungen in keinster Weise im Wege stand. Warum ist
es trotzdem wichtig und richtig, Änderungen an diesem
Gesetz vorzunehmen? Erstens, weil natürlich die beste
aller Politiken auf Realitätssinn beruht, zweitens, weil
Geschwindigkeit keine Hexerei und schon gar kein Teufelswerk ist .
Was meine ich damit, meine Damen und Herren? Ich
meine damit, dass wir bei der Betrachtung der sicherheitspolitischen Lage wesentlich flexibler, schneller reagieren müssen . - Jetzt muss ich leider sagen, dass ich
meine Zettel ein bisschen durcheinandergebracht habe,
was mir leidtut .
({4})
Das macht gar nichts . Ich bekomme das auch so hin, Herr
Neu . Machen Sie sich da mal keine Sorgen!
({5})
- Sie können sich darüber totlachen, aber machen Sie
sich keine Sorgen .
Ich glaube, meine Damen und Herren, wir müssen
schon genau betrachten, wie sich die sicherheitspolitische Lage um uns herum entwickelt hat . Es geht in dieser
Diskussion nicht ausschließlich um die einzelnen Aspekte des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, die zu Recht vorgetragen worden sind; rechtlich haben es Herr Uhl und
andere Kolleginnen und Kollegen im Detail beschrieben .
Ich glaube, obwohl sich dieses Verfahren bewährt hat,
erfordert eine zunehmend komplexe, unübersichtliche
Sicherheitslage - wie ich schon gesagt habe - mehr Reaktionsschnelligkeit, Flexibilität und Handlungsfähigkeit
Deutschlands . Die sicherheitspolitische Lage ist in der
heutigen Zeit von parallelen Bedrohungen und von der
häufig raschen Taktung der Entstehung neuer Gefährdungslagen gekennzeichnet . Deshalb mussten wir das
Verfahren der Parlamentsbeteiligung auf den Prüfstand
stellen .
Die Fragen waren: Geht es einfacher und schneller?
Muss der Bundestag immer beteiligt werden? Die Antwort auf die erste Frage ist: Ja, es geht . Die Antwort auf
die zweite Frage ist: Nein, nicht immer . - Genau das ist
im Gesetzesentwurf verankert worden: Zunächst einmal
wird der Bundestag künftig im Vorfeld schneller - Zitat: „möglichst frühzeitig“ - über konkrete Einsatzpläne
informiert . Seine Wächterrolle beim Einsatz deutscher
Streitkräfte hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt:
Wenn konkret zu erwarten ist, dass deutsche Soldaten in
bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen werden,
ist vorab die Zustimmung des Parlamentes einzuholen .
Entscheidend ist laut Gericht, ob die Soldaten in einer konkreten militärischen Gefahrenlage handeln, in
der ein Waffeneinsatz naheliegt, sowie ob Waffen mitgeführt werden und eine Ermächtigung zum Gebrauch
der Waffen vorliegt . Aber: Bei Gefahr im Verzug darf
die Bundesregierung Streitkräfte in eigener Hoheit entsenden . Ein Bundestagsvotum ist dafür - auch nachträglich - nicht notwendig . Das Parlament ist allerdings nach
Beendigung des Einsatzes - das ist hier schon gesagt
worden - unverzüglich und qualifiziert zu unterrichten.
Diese exekutive Eilkompetenz soll in kurzfristig auftretenden Ausnahmesituationen die militärische Handlungsfähigkeit Deutschlands sichern .
Mit dieser Ergänzung können unsere Bündnispartner noch mehr darauf vertrauen, dass deutsche Anteile
an Einsätzen verlässlich und zeitgerecht zur Verfügung
stehen. Auch die differenzierte Definition des Einsatzbegriffes im vorliegenden Entwurf - auch das ist hier schon
thematisiert worden - dient dem Ziel der Sicherung des
Vertrauens innerhalb des Bündnisses . Gleichzeitig dient
sie natürlich auch der Klarstellung hinsichtlich der Kompetenzen von Parlament und Bundesregierung .
Nicht zustimmungspflichtig sind nach diesem Gesetzentwurf Einsatztypen, bei denen das Eskalations- und
Verstrickungspotenzial „in der Regel“ gering ist . Hier
sind Beispiele genannt worden: Erkundungsmissionen,
humanitäre Hilfe, logistische Unterstützung, Ausbildungsmissionen . Aber dies gilt natürlich nur, soweit die
Einsätze nicht im Gebiet eines bewaffneten Konfliktes
oder mit Waffen durchgeführt werden . Diese Regelung
übertragen wir mit diesem Gesetzentwurf auch auf integrierte und multinational besetzte Hauptquartiere der
NATO, der EU oder anderer Organisationen gegenseitiger kollektiver Sicherheit . Das Merkmal „in der Regel“
sollte, so finden wir, in der parlamentarischen Beratung
noch geschärft werden .
Neu ist auch, dass die Bundesregierung den Bundestag über geheime Sachverhalte zu informieren hat . Auch
darüber ist schon gesprochen worden . Das muss hier
nicht mehr ausdefiniert werden.
Insgesamt wird das im Entwurf vorgesehene Berichtswesen - diesen Punkt möchte ich herausarbeiten - in der
weiteren parlamentarischen Beratung weiterzuentwickeln sein . Natürlich sind alle Kreise eingeladen, in der
parlamentarischen Beratung mitzuwirken und ihre Überlegungen einzubringen .
Das Verfahren ist das eine . Damit aber aus dem optimierten Verfahren Handlungsfähigkeit entsteht, braucht
es mehr . Wir müssen Einsatzentscheidungen mehr denn
je in einem größeren Kontext betrachten . Diese Gesamtschau muss den Krisenbogen vom afrikanischen Kontinent über den Nahen Osten bis nach Zentraleuropa im
Blick haben . So ist die Terrororganisation Daesh nicht
mehr nur in Syrien, dem Irak und in Libyen tätig, sondern
in mehr als 20 Staaten . Stark werden kann Daesh aber nur
dort, wo das Umfeld schwach ist . Zur Wahrheit gehört
dazu: Künftig werden wir weitere Staaten unterstützen
müssen, die Daesh nicht selbst stoppen oder zurückdrängen können . Je nach Einzelfall werden wir schnell handeln müssen . Gerade hier helfen die neuen Regelungen
des Parlamentsbeteiligungsgesetzes .
Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, wie
lange der Kampf gegen Daesh in den verschiedenen Ländern dauern wird . Aber: Wir kennen die gefährdeten Staaten, wir kennen die Regionen der Welt, und wir kennen
die Stärke der Terroristen in den jeweiligen Ländern . Wir
kennen auch die auf Jahrzehnte angelegte Al-Qaida-Strategie, die vielen der aktuellen Gefährdungen in der Welt
zugrunde liegt . Damit haben wir alles in der Hand, um
systematisch und in längeren Zeiträumen zu planen .
Die sicherheitspolitische Realität zwingt uns dazu,
künftig in einem breiten Spektrum mehr für die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes zu tun . Deshalb ist es so
wichtig, entsprechende rechtliche und verfahrenstechnische Grundlagen im neuen Parlamentsbeteiligungsgesetz
klipp und klar zu regeln .
Sehen Sie bitte das neue Parlamentsbeteiligungsgesetz als einen Schlüssel zur Sicherstellung aktueller wie
künftiger Einsätze im Verbund mit unseren internationalen Partnern durch Vorgaben, die zeitgerechte Einsätze
ermöglichen, durch die Sicherung der Rechte des Deutschen Bundestages und durch ein rechtliches Gesamtkonstrukt, das die Bündnis- und Handlungsfähigkeit
Deutschlands stärkt .
Ich bedanke mich .
({6})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Arnold für
die SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach elf Jahren Parlamentsbeteiligungsgesetz ist es vernünftig und klug, wenn man angesichts der Veränderungen in der Welt dieses Gesetz überprüft; vielleicht sollten
wir das öfter, auch bei anderen Gesetzen, tun . Genau das
war der Auftrag der Kommission .
Es gab von Anfang an viele Wünsche und auch viele Befürchtungen . Keine der Befürchtungen ist am Ende
eingetreten . Der Wunsch nach einer Lockerung der parlamentarischen Rechte, der im Raum stand, der auch mal in
Brüssel diskutiert wurde, war für uns Sozialdemokraten
von vornherein ausgeschlossen, völlig ausgeschlossen .
({0})
Das haben wir gesagt, und wir haben Wort gehalten . Es
war auch gar nicht nötig; denn die Gespräche, die wir
mit der Kommission und auch auf internationaler Ebene
geführt haben, haben eindrucksvoll gezeigt: Der parlamentarische Vorbehalt ist keinesfalls ein Hemmschuh für
deutsche Verantwortung in der Welt . Dass sich Regierungen manchmal hinter dem Parlamentsvorbehalt versteckt
haben, ist für uns Parlamentarier sogar ein richtiges Ärgernis, weil das den guten parlamentarischen Vorbehalt
in der Staatengemeinschaft diskreditiert und wir immer
wieder erklären müssen, was Sache ist .
({1})
Insofern sage ich eindeutig: Der Parlamentsvorbehalt ist
gut, und er schützt auch Regierungen - da bin ich ganz
bei Ihnen - vor vorschnellen und möglicherweise auch
falschen Entscheidungen .
Es wurde auch befürchtet, dass der Parlamentsvorbehalt abgeschafft werden könnte . Davon wurde überhaupt
nichts realisiert . Wir haben den Parlamentsvorbehalt in
keiner Weise eingeschränkt . Im Gegenteil: An vielen
Stellen haben wir die parlamentarischen Rechte erweitert
und präzisiert .
Herr Kollege Neu, was Sie vorhin gesagt haben, das
ärgert mich jetzt schon; denn dieses angebliche Zitat ist
weit von meinem Denken entfernt . Um es klar zu sagen:
Ich war einer der wenigen, die damals, bei der ersten
Formulierung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, sehr
engagiert dabei waren . Schon damals war für mich ganz
klar: Wir wollen niemals Vorratsbeschlüsse . Ergänzend
habe ich immer gesagt: Sie sind rechtlich auch nicht
möglich . - Beides ist unsere Position .
({2})
Wir erweitern die Rechte, insbesondere an einem ganz
wichtigen Punkt, nämlich bei der Unterrichtung des Parlaments . Es ist eine frühzeitige Unterrichtung vorgesehen, dann, wenn Regierungen anfangen, über Einsätze zu
reden und zu planen . Das ist wichtig, weil es nicht im
Ermessen von Regierungen liegt, darüber zu befinden, ob
ein Einsatz mandatspflichtig ist oder nicht. Das ist ein
parlamentarisches Recht . Deshalb ist es ganz eindeutig:
Es ist gut, dass wir dies gesetzlich verankern . Die Regierungen müssen mit dem Parlament ventilieren, wie das
Parlament den einzelnen Einsatz bewertet . Ich sage es
deutlich: Bei allen Bundesregierungen gibt es, was das
Ventilieren anbelangt, Luft nach oben . Deshalb ist es gut,
dass wir hier Klarheit schaffen .
Wir stärken das Recht des Parlaments im Bereich der
Informationen über Einsätze des Kommandos Spezialkräfte . Auch das ist ein lang gehegter Wunsch . Und es
gibt die seit langem eingeforderten Evaluierungen am
Ende von Einsätzen . Das ist alles richtig .
Nun kommt dieser schwierige Punkt, über den wir
lange diskutiert haben: Ist es überhaupt möglich, eine
Grenze zu definieren, ab wann ein Einsatz als Einsatz bewaffneter Streitkräfte anzusehen ist und damit als mandatierungspflichtig? Wir haben viele Stunden darüber beraten . Wir haben gemerkt: Es wird nie eine harte Grenze
geben, sondern es wird immer einen Bereich geben, über
den man diskutiert, vielleicht auch politisch streitet . Insofern ist das, was wir formuliert haben, nur ein Schritt in
Richtung einer stärkeren Präzisierung . Das entbindet uns
aber in keinem Fall von der Pflicht - hier wurde gesagt:
das muss in jedem Einzelfall entschieden werden -, über
jeden Einzelfall zu diskutieren und zu entscheiden .
Frau Kollegin Keul, das Kritischste sind sicherlich
die Ausbildungsmissionen . Herr Schmidt hat ja ein paar
Beispiele genannt: Afghanistan, Mali, Nordirak . Um es
ganz klar zu sagen: Afghanistan ist kein sicheres Umfeld und Erbil auch nicht . Es gibt ja Indikatoren: Wenn
Ausbildungsmissionen militärisch stark geschützt werden müssen, wenn deutsche Soldaten von einer starken
eigenen Schutzkomponente begleitet werden, ist dies ein
starker Indikator dafür, dass das kein gesichertes Umfeld
ist . Deshalb sind diese Einsätze zu mandatieren . Da gibt
es doch überhaupt kein Vertun .
({3})
Daneben gibt es Einsätze, bei denen die Soldaten abends
womöglich sogar ins Hotel fahren und sich vom Objektschutz des Hotels bewachen lassen oder sich selbst schützen . Das ist ein sicheres Umfeld . Manchmal wird ja auch
in Deutschland oder in Nachbarländern ausgebildet . Wir
haben die Ausbildung von somalischen Kräften in Kenia
auch nicht mandatiert . Damals gab es keine Diskussionen . Insoweit ist das schon ein Stück weit abgrenzbar .
Es gibt noch einen weiteren Aspekt bei Ihrer Argumentation, den wir nicht vergessen dürfen: Für den
Zweifelsfall - ich bekenne mich ja dazu, dass es immer
wieder Zweifel geben wird - hat uns das Verfassungsgericht etwas Wichtiges ins Stammbuch geschrieben . Das
Verfassungsgericht sagt nämlich in seinem Urteil: Im
Zweifel muss das Parlamentsbeteiligungsgesetz „parlamentsfreundlich“ interpretiert werden . Das ist juristisch
so definiert, und das ist - das sage ich deutlich - auch
eine sozialdemokratische Grundposition . Deshalb gibt
es keinen Grund, Ängste zu schüren oder gar mit Halbwahrheiten, wie die Linke es tut, die Öffentlichkeit zu
täuschen . So können wir über diesen Bereich nicht miteinander diskutieren . Dazu ist das alles viel zu wichtig,
viel zu ernst .
({4})
Wir haben ein paar Dinge präzisiert . Das gilt auch für
die Stäbe . Kollegen von den Linken, die Stäbe mussten
bisher auch nicht mandatiert werden . Bisher stand das in
der Begründung, und jetzt steht das im Gesetz . Was kann
ein Parlamentarier schlecht daran finden, wenn die Dinge
klargezogen werden? Im Prinzip nichts .
Die Kommission hat sich ein bisschen auch mit Themen beschäftigt, die nicht zu ihrem Auftrag gehörten . Es
war aber richtig, dass die Kommission an der einen oder
anderen Stelle über den Tellerrand hinausgeschaut hat .
Ich will drei Bereiche erwähnen, die ich wichtig finde:
Erstens. Die Kommission hat sorgfältig reflektiert,
warum Deutschland bei UN-Friedensmissionen so wenig
beteiligt ist. Ich finde, dass dieses ein zentrales Thema
ist, dass das Gewaltmonopol der Welt bei den Vereinten
Nationen liegt - das müssen wir nicht nur verbal formulieren, sondern wir müssen die UN auch konkret unterstützen, damit dieses Gewaltmonopol durchgesetzt werden kann. Die Defizite der UN darf man nicht beklagen,
sondern man muss sie beseitigen - dies hat grundsätzliche Debatten im Parlament verdient .
Das Zweite, das die Kommission reflektiert hat, ist:
Müssten wir im Deutschen Bundestag nicht mehr über
Sicherheitspolitik reden?
({5})
Ich war enttäuscht, dass die Kanzlerin dies im Verteidigungsausschuss von sich gewiesen hat. Deshalb finde
ich das, was wir jetzt im Gesetzentwurf machen, sehr
geschickt . Denn wir sagen: Überall dort, wo es um verbundene europäische oder NATO-Fähigkeiten geht, muss
sich das Parlament damit befassen, nicht im Sinne von
Vorratsbeschlüssen, dass man nicht mehr Nein sagen
kann . Es gibt keine juristische Bindung - das ist eindeutig -, aber es gibt politische Einsichten, Verpflichtungen
und Diskussionen . Diese Diskussionen müssen wir führen . Ich glaube, über diese Brücke zwingen wir in Zukunft einmal im Jahr uns alle selbst und die Regierung,
indem wir eine sorgfältige sicherheitspolitische Debatte
führen .
({6})
Ich glaube, das ist im Interesse von uns Parlamentariern
insgesamt .
Die dritte Reflexion ist zwar eine heikle, aber ich spreche sie trotzdem an . Es geht um die Frage: Muss man auf
Dauer damit umgehen und leben? Juristisch kann man
das . Verfassungsgerichtsurteile sind Verfassung . Aber ist
es auf Dauer richtig, ein solch wichtiges Thema wie den
Einsatz bewaffneter Streitkräfte auf Urteilen basierend
zu legitimieren? Wäre es nicht klug, eine Verfassungsdebatte zu führen, die die Urteile, ohne die Rechte der
Regierung zu erweitern, im Prinzip eins zu eins in den
Verfassungsrang erhebt? Ich muss sagen: Ich treffe sehr,
sehr viele Soldaten, die diesen Wunsch haben . Denn unsere Soldaten sind Staatsbürger in Uniform .
Herr Kollege .
Sie legen Wert darauf, dass nicht der geringste Zweifel
daran entstehen kann, dass das, was sie tun, verfassungskonform ist .
Um es klar zu sagen: Ich bin nicht der Meinung, dass
diese Koalition ihre satte Mehrheit in diesem Fall für
Verfassungsänderungen nutzen sollte . Ich würde das für
politisch unklug halten, und ich möchte dies auch nicht .
Ich bin aber sehr dafür, dass man einen Tag findet, an
dem Regierung, Opposition und Koalitionsfraktionen
über solche Themen miteinander ins Gespräch kommen .
Recht herzlichen Dank .
({0})
Andreas Nick ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Parlamentsbeteiligungsgesetz ist 2005 in Kraft getreten .
Der Deutsche Bundestag hat seitdem über 90 Anträgen
der Bundesregierung auf Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte ins Ausland oder deren Fortsetzung
zugestimmt. Auch eilbedürftige Entscheidungen fielen
nach sorgfältiger und intensiver Prüfung innerhalb weniger Tage . In keinem einzigen Fall haben wir die Zustimmung verweigert . Jeder Einsatz fand eine oft breite
Mehrheit im Bundestag, getragen häufig nicht nur von
den Regierungsfraktionen, sondern auch aus den Reihen
der Opposition . Als Parlament können wir mit Fug und
Recht festhalten: Wir sind unserer außenpolitischen Verantwortung gerecht geworden, und wir haben Verlässlichkeit auch gegenüber unseren Bündnispartnern unter
Beweis gestellt .
Mit Zustimmung des Bundestages befinden sich deutsche Soldatinnen und Soldaten seit Jahren an vielen
Krisenherden der Welt im Einsatz . Mit ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer Einsatzbereitschaft leisten unsere
Soldatinnen und Soldaten einen vorbildlichen Beitrag für
Frieden und Stabilität weltweit . Dafür sprechen wir unseren herzlichen Dank aus .
({0})
Wir bekennen uns als Parlament zu unserer Bundeswehr, und wir sind uns unserer besonderen Verantwortung für unsere Parlamentsarmee sehr bewusst . Dies
betrifft nicht nur die sorgfältige Abwägung von Notwendigkeit und Risiken jedes einzelnen Einsatzes . Es gilt
vielmehr auch für unsere ganz grundsätzliche Verantwortung, nämlich erstens unseren Soldatinnen und Soldaten
die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung zu stellen
und zweitens im Ernstfall ihre optimale sanitätsdienstliche Versorgung zu gewährleisten . Ich stelle fest: Nicht
zuletzt deshalb genießt unser Sanitätsdienst weltweit einen hervorragenden Ruf .
Wir setzen unsere Streitkräfte grundsätzlich nur im
Rahmen von Mandaten der Vereinten Nationen oder
gemeinsam mit unseren Partnern in NATO und EU ein .
Dies entspricht unserer historischen Erfahrung und unseren Sicherheitsbedürfnissen als Land im Zentrum Europas .
({1})
Michael Stürmer ruft uns beständig den Leitsatz von
Helmut Kohl in Erinnerung: Bündnisfähigkeit ist Kern
deutscher Staatsräson . - Unsere Bündnisfähigkeit nach
außen und die demokratische Legitimierung nach innen
gehören deshalb zusammen . Sie sind der doppelte Imperativ deutscher Sicherheitspolitik .
Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass der Parlamentsvorbehalt immer wieder als möglicher Unsicherheitsfaktor beschrieben wird, wenn es um die stärkere
Integration deutscher militärischer Schlüsselfähigkeiten
in multilaterale Strukturen geht . Es ist richtig: Partner
müssen darauf vertrauen können, dass Schlüsselfähigkeiten im Ernstfall auch tatsächlich zur Verfügung stehen .
Nur dann sind militärische Zusammenarbeit und Aufgabenteilung mit den Verbündeten auch unter jeweiligem
Verzicht auf entsprechende eigene Fähigkeiten möglich .
Mit der Weiterentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes tun wir deshalb zweierlei: Wir untermauern Deutschlands Willen zur stärkeren multilateralen
Zusammenarbeit, und wir stärken gleichzeitig die Rechte
des Parlaments und die demokratische Legitimation unserer Parlamentsarmee .
Ein besonderer Dank gilt der Kommission unter dem
Vorsitz des früheren Verteidigungsministers Volker
Rühe, die im Auftrag des Bundestages - des Bundestages! - die Grundlagenarbeit für die Fortentwicklung des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes geleistet hat .
Zunächst einmal verschafft die umfassendere Definition des Einsatzbegriffes mehr Klarheit . Nicht mehr mandatspflichtig sind unter anderem: Beobachtermissionen
der Vereinten Nationen sowie Missionen anderer Systeme kollektiver Sicherheit, wenn sie keine Befugnis zur
bewaffneten Durchsetzung eines Einsatzauftrages haben,
die logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen, die Bereitstellung medizinischer Versorgung außerhalb des Gebiets eines bewaffneten Konflikts
und Ausbildungsmissionen, wenn eine Einbeziehung in
bewaffnete Unternehmungen nicht zu erwarten ist . Entscheidend - die Kollegen haben in der Debatte schon
darauf hingewiesen - ist aber vor allem, dass die Bundesregierung zukünftig in der Pflicht ist, einen jährlichen
Bericht darüber vorzulegen, welche konkrete Verantwortung für multilaterale militärische Verbundfähigkeiten
aus der Bündnissolidarität folgt .
Die geplanten Veränderungen stärken deshalb das
Vertrauen in die Verlässlichkeit Deutschlands . Sie tragen
aber auch dem veränderten Charakter der Einsätze Rechnung; der Kollege Lorenz hat darauf schon im Einzelnen
hingewiesen . Internationale Missionen sind heute vorrangig nicht mehr nur Ad-hoc-Lösungen für akute Konflikte.
Es geht vielmehr immer mehr um die vorausschauende
Stärkung regionaler Sicherheitsstrukturen, etwa durch
Ausbildungsmissionen für lokale Einsatzkräfte .
Es ist wahr: Internationale Krisen treten nicht länger
singulär auf - wenn sie es denn je taten -, und sie vollziehen sich auch keineswegs linear oder sequenziell . Auch
in der parlamentarischen Begleitung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr müssen wir uns darauf stärker
einstellen . Als Parlament werden wir uns daher künftig
noch frühzeitiger, umfassender und nachhaltiger mit außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen befassen
können und müssen . Wir setzen damit einen Prozess fort,
der mit dem Review-Prozess und dem Weißbuch-Prozess
angestoßen wurde . Ich füge aus meiner Sicht hinzu: Wir
müssen auf Dauer stärker in Richtung einer nationalen
Sicherheitsstrategie gehen, die wir umfassend hier Jahr
für Jahr beraten .
({2})
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, mit der
Weiterentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
stärken wir unsere Bündnissolidarität nach außen und die
demokratische Legitimierung der Parlamentsarmee nach
innen . Damit erhöhen wir die Handlungsfähigkeit und
dienen den Sicherheitsinteressen unseres Landes .
Vielen Dank .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/7360 und 18/5000 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 22:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Intelligente Mobilität fördern - Die Chancen
der Digitalisierung für den Verkehrssektor
nutzen
Drucksache 18/7362
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Auch zu diesem Tagesordnungspunkt soll es nach einer Vereinbarung der Fraktionen eine Aussprache von
77 Minuten geben . - Das ist offenkundig unstreitig . Also
verfahren wir so .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Dorothee Bär .
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ein herzlicher Dank an die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD . Wir sind dem Ministerium sehr
dankbar, allein schon für den Titel „Intelligente Mobilität
fördern“ . Denn man muss einmal daran denken, dass es
vor circa zwei Jahren, als das Ministerium nicht nur den
neuen Namen, sondern auch die neue Aufgabe bekommen hat, auf der einen Seite für Verkehrspolitik und auf
der anderen Seite für digitale Infrastruktur und für die
Digitalisierung insgesamt zuständig zu sein, immer noch
den einen oder anderen gab, der der Meinung war, dass
Digitalisierung und Infrastruktur weder zusammengehören noch zusammenpassen .
Ich denke, dass das Ganze sehr schnell Lügen gestraft
wurde . Man hat festgestellt, wenn irgendwo die Digitalisierung notwendig ist, wo sie auch perfekt zu vernetzen ist, dann ist das in der Infrastruktur der Fall . Wenn
man merkt, wie sich Lebensentwürfe ändern, wenn man
merkt, wie sich unser eigenes Leben, das Berufsleben
und das Privatleben, ändert und meines Erachtens sehr
zum Vorteil wandelt, dann ist das auf die Digitalisierung
zurückzuführen .
Menschen auf der ganzen Welt und gerade auch in unserem Land, wo die Mobilität so wichtig ist, verlangen
heute mehr denn je nach einer ungehinderten Mobilität, dies vor allem auch in einer extremen Schnelligkeit .
Wir haben gleichzeitig eine immer dichter verflochtene
Weltwirtschaft . Wir brauchen verlässliche, planbare und
reibungslos fließende Güterströme. Darauf sind wir nicht
nur mit Blick auf unsere Wirtschaft angewiesen, sondern
wir haben auch einen Titel zu verteidigen . Weltweit weiß
jeder, dass wir Fußballweltmeister sind . Die wenigsten
wissen aber, dass wir auch Logistikweltmeister sind . Logistikweltmeister sind wir auch deswegen, weil unsere
Warenströme so gut funktionieren . Auf diesem Status
quo wollen wir uns aber nicht ausruhen, sondern wir
wollen das Ganze auch weiterführen, weil es immer wesentlich schwieriger ist, einen Weltmeistertitel zu verteidigen, als ihn zu erringen .
Deswegen werden wir in den kommenden Jahren so
viel Geld wie noch nie zuvor in die Weiterentwicklung
der Verkehrsinfrastruktur investieren . Wir haben dazu einen Fünf-Punkte-Investitionshochlauf gestartet . Diesen
werde ich jetzt nicht noch einmal im Detail erklären . Ich
denke, das hat der Minister schon so oft getan, sodass das
jeder nachbeten kann .
({0})
- Auch Sie, Frau Wilms . - Durch die fortschreitende
Digitalisierung im Verkehrsbereich werden sich in den
kommenden Jahren deutliche Veränderungen zeigen .
Ein Weiteres ist mir sehr wichtig . Bei der Technik sind
wir uns relativ einig, auch wenn es sicherlich noch Nuancen gibt, bei denen man die eine oder andere Stellschraube anders drehen möchte .
Sorge bereitet mir nicht das Geld . Geld ist in unserem
Haushalt vorhanden . Darüber beschwert sich im Moment
zumindest niemand .
({1})
Es ist auch nicht so, dass die Technik nicht funktioniert .
Auch da haben wir herausragende Firmen . Wir haben
Weltmarktführer . Der Bereich der Zulieferindustrie ist
herausragend .
Sorgen bereitet mir allerdings, wie wir es schaffen,
die Begeisterung und die Leidenschaft für die Digitalisierung insbesondere im Verkehrsbereich in die Bevölkerung hineinzutragen .
Schauen wir uns einmal Umfragen zum Thema des
autonomen Fahrens bzw . des automatisierten Fahrens an .
Bei der Frage nach dem Nutzen und der Begeisterung
stellt man fest, dass die Umfragen weltweit wesentlich
euphorischer ausfallen als im eigenen Land . Spannenderweise sind die Frauen in Deutschland begeisterter als die
Männer . Auch das ist eine positive Nachricht .
({2})
- Wer sagt denn hier „Oje, oje“? Ich hoffe, das kam nicht
von hinten .
({3})
Ich war es nicht . Ich weiß nicht, warum Sie sich zu
mir umschauen .
({0})
Sie können es auch nicht gewesen sein, weil Sie eh
nicht zugehört haben, weil Sie geschwätzt haben . Das
habe ich ja mitbekommen .
({0})
Deswegen weckt das vielleicht auch die Begeisterung
beim Präsidium .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich bin der Überzeugung, nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Wirtschaft bieten sich enorme Chancen, die wir auch nutzen können .
Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist auf der Basis
starker Netze ein Hochtechnologieland . Wir sind Exportund Transitnation und stehen damit auch an der Spitze
in Europa . Die Digitalisierung sorgt insbesondere im
Verkehrssektor dafür, dass wir Wirtschaftswachstum und
damit mehr Beschäftigung haben . Außerdem werden wir
sicherer werden und umweltschonender sein . Darüber
hinaus werden wir inklusiver sein . Das sind doch alles
positive Nachrichten . Deswegen müssen wir die Skepsis
noch weiter abbauen .
Zum Sicherheitsgedanken im Verkehrsbereich . Es
wird immer gefragt, wie wir das mit dem automatisierten
bzw . autonomen Fahren machen . In Deutschland wird
darüber diskutiert, was passiert, wenn das Auto entscheiden muss, ob es in den Kinderwagen reinfährt oder in
etwas anderes . Im Silicon Valley in Amerika spricht man
immer davon, was ist, wenn das Auto in drei Nonnen
reinfährt . Ich weiß nicht, ob das an einem Mentalitätsunterschied liegt . Zumindest werden immer irgendwelche
Schreckensszenarien an die Wand gemalt, wie sich das
Auto entscheidet .
Wenn man sich aber einmal die Zahlen anschaut und
feststellt, dass 95 Prozent aller Unfälle auf menschliches
Versagen zurückzuführen sind, dann muss man ganz
einfach konstatieren, dass der Risikofaktor Mensch im
Moment höher zu bewerten ist als der Risikofaktor Maschine . Insofern kann die Digitalisierung für eine größere
Sicherheit sorgen und ist zudem wesentlich umweltschonender und inklusiver . Insofern begrüßen wir diesen Antrag der Koalitionsfraktionen ganz ausdrücklich .
({1})
Was kann durch die Digitalisierung noch getan werden, was bislang nicht möglich war, um den Menschen
das Leben zu erleichtern? Ich nenne unser Ministerium ja
sehr gerne auch das „Lebenserleichterungsministerium“ .
({2})
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wir wollen
Chancen und Möglichkeiten eröffnen, beispielsweise
durch die Förderung einer möglichst nahtlosen Reisekette - von der Fahrgastinformation über das Ticketing bis
zum „Tür zu Tür“-Service - und durch die Förderung
von Transportketten im Güterverkehr . Als Koordinatorin
der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik sage
ich: Gerade für den Güterverkehr, für die Logistik und
für die Zukunft des Landes braucht unsere erfolgreiche
Volkswirtschaft diese neuen Möglichkeiten noch wesentlich stärker .
Zukünftig wird es zum Beispiel immer mehr Wetterund Verkehrsinformationen geben . Mit dem Deutschen
Wetterdienst haben wir hier eine wirklich ganz herausragende nachgeordnete Behörde, die uns täglich sehr
wichtige Informationen liefert, und es gibt automatisierte
Systeme, die dazu beitragen, dass Gütertransporte und
logistische Abläufe effizienter und wesentlich umweltfreundlicher gestaltet werden können . Den gesamten Bereich „Automatisiertes und vernetztes Fahren“ habe ich
schon angesprochen .
Die Bundesregierung hat letzten September die „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren - Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten“
beschlossen. Dadurch wollen wir auch die Verkehrseffizienz steigern . Es wird in Zukunft beispielsweise nicht
möglich und auch nicht nötig sein, jede sechsstreifige
Autobahn auf acht Streifen auszubauen . Schon jetzt werden teilweise Seitenstreifen mitgenutzt, wenn besonders
viel Verkehr ist . Selbstverständlich kann die Anzeige für
den Seitenstreifen sofort wieder auf Rot geschaltet werden, wenn beispielsweise ein Unfall passiert ist . Auch
dadurch können wir die Verkehrssicherheit erhöhen .
Wir stärken auch den Innovations- und Wirtschaftsstandort Deutschland . Deswegen hat unser Haus das
Digitale Testfeld Autobahn auf der A 9 eingerichtet,
was schon jetzt ein weltweites Erfolgsmodell ist . Wir
haben hier nicht nur national, sondern auch international sehr viele Anfragen . Man möchte „on the German
Autobahn“ - „die deutsche Autobahn“ ist nun einmal
weltweit ein absolutes Qualitätsmerkmal - testen . Die
Car-to-Car-Kommunikation, also die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation, die Fahrzeug-zu-Infrastruktur-Kommunikation und die Rastanlagen der Zukunft
werden getestet, und es erfolgen Falschfahrerwarnungen
und Baustellenoptimierungen . Das alles wird auf dem
Digitalen Testfeld Autobahn erprobt und bewertet, sodass daraus hoffentlich möglichst bald ein Regelbetrieb
für ganz Deutschland entstehen kann .
Wir haben ein weiteres Schatzkästchen . Wir sind ja
nicht nur das Lebenserleichterungs-, sondern auch das
Datenministerium .
({3})
Das Bundesministerium hat nämlich den sogenannten
MobilitätsDatenMarktplatz, den MDM, errichtet, um die
verschiedenen verfügbaren Onlineverkehrsdaten weiter zu bündeln . Damit haben wir erstmalig ein zentrales
Onlineportal mit den online verfügbaren Verkehrsdaten .
Auch hier können noch einmal neue Potenziale erschlossen werden, und zwar durch eine bessere Nutzung der
Datenbasis .
Für mich ist entscheidend, kein Schreckensszenario
an die Wand zu malen und zu sagen, dass „Big Data“
ein wahnsinnig böser Begriff ist . Wir nennen es „Smart
Data“ . Dabei geht es gar nicht darum, möglichst viele
Daten zu sammeln, sondern darum, die Daten, die vorhanden sind, ganz intelligent und besser miteinander zu
vernetzen .
Ich komme zu meinem letzten Punkt . Auch wenn wir
zurzeit immer sehr stark auf die Großstädte schauen,
glaube ich, dass gerade die Digitalisierung im Verkehr
eine Voraussetzung und eine sehr große Chance ist, um
die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum und in den Großstädten, die uns wichtig ist,
wesentlich besser zu erreichen . Diese Gleichwertigkeit
der Lebensverhältnisse ist eine wichtige Grundlage für
den Zusammenhalt unserer Gesellschaft . Deswegen stellen wir mit dem Modernitätsfonds auch die strategischen
Weichen für eine gewinnbringende Nutzung von Smart
Data in Deutschland .
Im Herbst wird es dann unseren zweiten Hackathon,
unseren BMVI Data-Run, geben . Dabei geht es darum,
Daten, die schon erhoben wurden, öffentlich zur Verfügung zu stellen, um neue Apps oder neue Anwendungen
entwickeln zu können .
Sie sehen also: Wir tun sehr viel . Ich bin sehr dankbar,
dass die beiden Koalitionsfraktionen das Ganze mit dem
Antrag auch unterstützen, und ich freue mich weiterhin
auf eine gute, gewinnbringende Zusammenarbeit .
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Leidig für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Guten Morgen, Herr Präsident! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Vor
ungefähr 14 Tagen konnte man in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Überschrift lesen: „Google warnt vor
eigenen Roboterautos“ . Eigentlich dachte ich, damit ist
das Thema weitgehend vom Tisch . Aber nein, weit gefehlt . Jetzt kommt die Große Koalition mit einem großen
Antrag und spricht von intelligenter Mobilität und Digitalisierung . - Aha!
Was steckt eigentlich dahinter? Sie haben es selber
gesagt, Frau Bär: Man muss die Idee in die Bevölkerung
hineintragen . - Das heißt, von dort kommt sie nicht . Ich
kenne keine einzige Bürgerinitiative, keinen Seniorenklub, kein Rathaus, in dem die Leute sagen: Wir brauchen jetzt unbedingt mehr Digitalisierung im Verkehr .
({0})
Nein, weit gefehlt . Diese Idee kommt von Bitkom, vom
Deutschen Verkehrsforum und von den einschlägigen
Wirtschaftsunternehmen, die sich von einem solchen Geschäftsfeld neue Profitmöglichkeiten versprechen.
({1})
Daher kommt auch die Überschrift . Frau Bär, dafür brauchen Sie niemanden zu loben . Sie haben „intelligente
Mobilität“ einfach von dem Aktionsplan abgeschrieben,
den Ihnen die großen Konzerne wie Telekom usw . praktisch in die Feder diktiert haben .
({2})
Das kann man natürlich machen. Ich finde aber, das ist
falsch;
({3})
denn intelligent sind diese Systeme nur für die Kassen
der Konzerne, nicht für die Allgemeinheit .
({4})
Sie wissen ganz genau, dass es 80 Prozent der Bevölkerung als einen Zuwachs von Lebensqualität bezeichnen, wenn es weniger Autos und Verkehr in ihrer Umgebung gibt . Es gibt einen Beschluss des Europäischen
Parlamentes, der übrigens im Vorfeld der Klimakonferenz von Paris mit Beteiligung Ihrer Kollegen zustande
gekommen ist, in dem eindeutig festgelegt ist: Wenn wir
die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir Verkehr reduzieren .
({5})
Weniger motorisierter Verkehr: Das ist intelligent, modern und zukunftsfähig .
Was Sie hier vorlegen, ist ein Plan für mehr Verkehr
auf der Straße . Sie machen das konkret und deutlich:
Wenn man diese intelligenten Informationssysteme
nutzt, können die Lkws in noch dichterer Folge fahren .
({6})
Noch mehr Autos, die durch automatisierte Systeme an
die richtige Stelle geleitet werden, können in den Städten parken . - Ich bitte Sie: Was ist das denn für eine Zukunftsvision?
({7})
Für mich ist das echt der Horror .
({8})
Wir haben eine Zukunftsvision, aber die sieht anders
aus .
({9})
Die sieht nämlich so aus, dass man die Bedürfnisse der
Menschen in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik stellen muss . Dabei muss man zur Kenntnis nehmen: Drei
Viertel der Menschen in Deutschland leben in großen
und ganz großen Städten . Von diesen Menschen fahren
immer mehr mit dem Fahrrad - sie verhalten sich automatisch intelligent und vernünftig;
({10})
denn es gibt kein effektiveres Verkehrsmittel in der
Stadt -, während die Autos zu über 95 Prozent stehen und
eigentlich als Stehzeuge, nicht als Fahrzeuge bezeichnet
werden müssen. Das ist überhaupt nicht effizient.
({11})
Für diese Gruppe der intelligenten Verkehrsteilnehmer
haben Sie in Ihrem intelligenten Mobilitätskonzept kein
einziges Wort übrig . Fahrräder kommen da überhaupt
nicht vor . Auch Fußgänger kommen überhaupt nicht vor .
Was ist das denn für eine rückwärtsgerichtete, fossile
Denkart? Wir brauchen Parkraumkonzepte für diejenigen, die ihre Kinder und ihre Einkäufe mit dem Fahrrad
transportieren . Wo sollen diese denn in Zukunft mit ihren
Fahrzeugen bleiben? Darüber haben Sie überhaupt kein
Wort verloren .
({12})
Sie fabulieren von der fahrerlosen Straßenbahn, von
der Vollautomatisierung des öffentlichen Verkehrs . Ich
will Ihnen einmal etwas sagen: Die Sicherheit und der
Service des öffentlichen Nahverkehrs hängen nicht davon ab, dass noch mehr Kameras und Sensoren eingebaut
werden, sondern davon, dass qualifiziertes Personal zur
Verfügung steht, dass man Fragen stellen kann, dass es
vernünftige und bezahlbare Angebote gibt .
({13})
Das ist intelligente Mobilität der Zukunft . Wir müssen
die sozialen Strukturen ändern . Wir müssen den sozialökologischen Umbau angehen, statt auf Technologien zu
setzen, wie sie VW und andere Autokonzerne einsetzen,
um noch mehr Abgase in die Luft zu blasen, während sie
versuchen, etwas zu retten, was nicht mehr zu retten ist .
Vielen Dank .
({14})
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Arno
Klare das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem
ganz kleinen Beispiel beginnen: Wenn man auf der A 57
zwischen den beiden Anschlussstellen Neuss-Reuschenberg und Kaarst fährt
({0})
- Herr Rimkus wird das schon kennen -, dann fährt
man in aller Regel, wenn der Verkehr normal fließt, fünf
Minuten . Aber zu Peak-Zeiten, wenn der Verkehr richtig dicht ist, braucht man bis zu 18 Minuten . Das ist die
längste gemessene Zeit .
Das Ganze kann man global ausweiten . Ein großer
Hersteller von Navigationssoftware macht das jedes Jahr
mit einem sogenannten Pendlerindex . Er berechnet, wie
groß der prozentuale Unterschied zwischen der normalen
Fließgeschwindigkeit des Verkehrs auf einer Strecke und
der Geschwindigkeit bei ganz dichtem Verkehr ist . Topscorer unter allen Städten weltweit ist Istanbul mit 58 Prozent Differenz, gefolgt von Mexiko City mit 55 Prozent .
Düsseldorf liegt leider dorfartig nur bei 22 Prozent, wobei
ich dort manchmal einen anderen Eindruck habe .
Richten wir den Blick auf Deutschland: Wir hatten im
Jahr 2014 474 000 Stauereignisse . Die Menschen standen dabei 285 000 Stunden im Stau . Das sind umgerechnet über 30 Jahre . Das muss man sich einmal klarmachen .
({1})
- Warten Sie ab, Frau Leidig! Ihre Zwischenrufe sind ätzend, ehrlich gesagt .
({2})
1,2 Milliarden Liter Sprit wurden bei diesen Stauereignissen vergeudet . Wenn man davon ausgeht, dass jeweils 1 Liter Sprit zu 2,5 Kilogramm CO2-Ausstoß führt,
dann sind das bei 1,2 Milliarden Liter Sprit insgesamt
3 Millionen Tonnen CO2 . Das ist ein Drittel der Jahresmenge der 10 Millionen Tonnen CO2, die wir bis 2020 im
Verkehrssektor einsparen müssen .
Wenn man dafür Sorge tragen kann, dass intelligente
Steuerung von Verkehr auch nur einen Teil - sagen wir,
die Hälfte - davon entflechtet, und zwar nicht nur dadurch, dass der Verkehr verlagert wird, sondern durch einen Umstieg auf andere Verkehrsmittel in Rushhour-Zeiten, dann macht das durchaus Sinn . Dann ist das nicht
nur intelligente Mobilitätssteuerung, sondern auch ein
überaus intelligenter Antrag .
({3})
Der als Auto-Papst beschriebene Herr Dudenhöffer,
um nur ein Beispiel zu nennen, hat vor Jahren vor der
Grugahalle in Essen Autos die ganze Zeit im Kreis fahren lassen . Sie fuhren bei geringer Geschwindigkeit mit
einem relativ geringen Abstand . Irgendwann trat die Situation ein, dass ein Fahrer nicht aufpasste und auf den
anderen zu dicht auffuhr . Er trat auf die Bremse . Was passierte? Der Nächste stand, und dann stand der ganze Kreis .
Was Herr Dudenhöffer beweisen wollte, war: Wenn man
diese Fahrzeuge elektronisch mit Car-to-Car-Kommunikation koppeln würde und sie automatisch den gleichen
Abstand halten würden, dann würden die meisten Staus
auf den deutschen Autobahnen gar nicht erst entstehen .
Auch das ist Teil der intelligenten Mobilität .
({4})
Herr Klare, darf die Kollegin Leidig eine Zwischenfrage stellen?
Nein, das möchte ich im Moment nicht . Danke .
({0})
Das Ganze funktioniert auch im Bereich des Transportwesens bzw . der Logistik . Wenn wir von Logistik 4 .0
und davon reden, dass Güter zu cyberphysischen Systemen werden, die sich selbst ihren THG-optimierten Weg
suchen, dann geht das nur mit intelligenter Verkehrssteuerung, und zwar wohlgemerkt mit einem enormen Einsparpotenzial an THG .
({1})
Wenn wir die Umweltziele, die wir uns selber gesetzt haben und die jetzt im Vertrag von Paris kodifiziert
worden sind, erreichen wollen, dann wird es mit diesen
intelligenten Steuermodellen gelingen, einen Teil davon
hinzubekommen . Wenn wir dann sozusagen wieder in
die schöne Analogwelt zurückwollen, wo wir ein Vierganggetriebe selber schalten und meinen, wir könnten es
besser als das elektronisch gesteuerte Getriebe, dann ist
das kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt .
({2})
Noch ein Hinweis, damit der ganz große Rahmen
deutlich wird: Ende Oktober 2012 war „Sandy“ in New
York . „Sandy“ ist ein Hurrikan . Er hat dort große Zerstörungen angerichtet . Ein Hurrikan gehört nicht nach New
York . Warum war er überhaupt da? Er war da, weil der
Jetstream, ein Nordpolarstrom, der von West nach Ost
weht, nicht wie sonst den Hurrikan auf den Atlantik getrieben hat, wo er über dem kalten Wasser an Kraft verliert . Wie wir alle wissen, ist der Jetstream, ökologisch
bedingt und menschengemacht, volatil geworden . Deshalb war „Sandy“ in New York . Wenn wir dazu beitragen
wollen, dass so etwas nicht mehr passiert, dann müssen
wir die hier vorgestellten Modelle umsetzen . Insofern
steht unser Antrag in einem großen klimapolitischen und
globalen Zusammenhang . Diesen müssen wir begreifen .
Das Begreifen vermisse ich bei Ihnen, Frau Leidig .
({3})
Ganz herzlichen Dank . - Als nächster Redner hat
Stephan Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass wir über die Chancen der Digitalisierung im Verkehr reden . Allerdings ist der Zeitpunkt
mehr als verdächtig . Wir hätten erwartet, dass nach mehr
als vier Monaten VW-Betrugsskandal diese Koalition
endlich der Öffentlichkeit Vorschläge präsentiert, aus
denen hervorgeht, wie künftig Dieselfahrzeuge nicht nur
im Labor, sondern tatsächlich auch auf der Straße sauber
sind, wie wirksame Prüfungen und Kontrollen stattfinden
und wie die Stickoxidbelastung in Städten endlich sinkt .
Nichts haben Sie geliefert . Stattdessen befassen wir uns
mit diesem Thema .
({0})
Wir hätten erwartet, dass Sie sechs Wochen nach der
Klimakonferenz in Paris Vorschläge für eine Strategie
„Klimaschutz im Verkehr“ mit verbindlichen CO2-Reduktionszielen und konkreten Maßnahmen vorlegen .
Nichts! Sie lenken schlicht und ergreifend von Ihren
Versäumnissen ab . In Ihrem Antrag steht: Die Digitalisierung soll Deutschland zum „Leitmarkt und Leitanbieter für die Zukunft der individuellen Mobilität“ machen .
Sie bekommen es noch nicht einmal hin, Deutschland
zum Leitmarkt und Leitanbieter der Elektromobilität zu
machen. Sie streiten sich wie die Kesselflicker über eine
Kaufprämie zur Förderung von Elektroautos .
Sie beschreiben in Ihrem Antrag des Weiteren die Potenziale der Automatisierung und der Vernetzung für das
Carsharing . Sie bekommen aber noch nicht einmal ein
Carsharing-Gesetz hin, mit dem endlich rechtssicher geregelt wird, wie Stellplätze im öffentlichen Raum angeordnet werden können . All das legen Sie nicht vor .
({1})
Auch wir sehen die Potenziale und meinen, dass Infrastruktur durch Digitalisierung besser genutzt werden
kann, beispielsweise Verkehrstelematik anstatt mehr
Beton in der Landschaft . Standspurfreigabe- und Streckenbeeinflussungsanlagen können auf Autobahnen die
Kapazität um 25 Prozent erhöhen und für 30 Prozent weniger Unfälle sorgen . Aber wie viele haben wir davon?
Wir haben gerade einmal 180 Kilometer von 13 000 Kilometer im Autobahnnetz entsprechend ausgerüstet . Sie
wollen nun 50 Millionen Euro jährlich hier investieren .
Das ist doch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen
Stein .
({2})
Im öffentlichen Verkehr sehen Sie die Potenziale im
vollautomatischen Betrieb von U-Bahnen als Perspektive
und nennen das Beispiel Nürnberg, verschweigen aber
den Kostenaufwand für diese digitale Infrastruktur . Wir
haben einen Sanierungsstau von 4 Milliarden Euro bei
der analogen Infrastruktur im ÖPNV . Das GVFG-Bundesprogramm ist deutlich überzeichnet . Aber seine
Fortführung über 2019 hinaus ist nicht gesichert . Sie
haben zwar im Rahmen der Haushaltsberatungen einen
Entschließungsantrag eingebracht, aus dem hervorgeht,
dass Sie das fortführen wollen . Aber das heißt noch lange
nicht, dass jemand im Ministerium einen Stift in die Hand
nimmt und ein entsprechendes Gesetz vorlegt . Wenn
Sie in diesem Bereich etwas machen wollten, müssten
Sie zusätzliche Gelder für die digitale Infrastruktur im
ÖPNV bereitstellen . Das tun Sie nicht . Fehlstelle!
({3})
Wir sehen in der Tat für den öffentlichen Verkehr
Chancen durch die Digitalisierung . Zugangsbarrieren
können abgebaut werden . Der Tarifdschungel entfällt,
wenn bundesweit ein E-Ticket eingeführt wird . Einsteigen und Losfahren wie beim Auto wären dann möglich .
Die Verkehrsunternehmen könnten zu Mobilitätsdienstleistern werden . Es geht nicht nur um den Weg von A
nach B, sondern um die ganze Reisekette . Ich glaube,
dass die Verkehrsträger künftig nicht mehr so sehr konkurrieren, sondern kooperieren . Gerade im ländlichen
Raum, wenn es um aktive Bedienformen geht, kann die
Digitalisierung helfen . Es gibt das schöne Pilotprojekt
Mobilfalt im Nordhessischen VerkehrsVerbund, wo man
versucht, das Privatauto in den ÖPNV einzubinden, um
ein besseres Angebot für die Bürger zu schaffen . All das
wird möglich sein .
Wir sehen auch beim Auto einen Mehrwert durch Automatisierung in Verbindung mit Vernetzung der Fahrzeuge
und der Infrastruktur, gerade im Bereich der Verkehrssicherheitspotenziale . Nehmen Sie den Baustellenassistenten, der Sie sicher durch die Baustelle führt, oder nehmen
Sie Fahrzeuge, die sich untereinander warnen, weil auf
der Straße eine Gefahrenstelle droht . Aber alles das ist
kurzfristig nicht erschließbar, weil die Marktdurchdringung der Systeme Jahre dauern wird . Wer also wirklich
bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent reduzieren will, der muss andere Maßnahmen durchsetzen .
Warten auf die Digitalisierung reicht da nicht .
({4})
Die Automatisierung wird in Stufen stattfinden. Im
Güterverkehr wird sie vermutlich schneller kommen
als im Personenverkehr . Aber es sind noch viele Probleme offen - bis hin zum automatischen Fahren . Und
das haben Sie, Frau Bär, leider ganz verschwiegen . Ich
nenne Beispiele: Mensch-Maschine-Interaktion, also der
Übergang, in dem das Fahrzeug die Kontrolle hat, dann
aber wieder der Mensch . Technik ist immer auch störanfällig . Es gab Hackerangriffe auf automatisierte Autos .
Das Thema Datenschutz ist aus unserer Sicht in keiner
Form geklärt . Wer ist Herr über die Daten? Wem gehören
sie? Wo werden sie gespeichert? Wir wollen nicht, dass
Bewegungsprofile von Bürgerinnen und Bürgern erstellt
werden können .
({5})
Haftungsfragen sind offen . Wer ist schuld beim Unfall?
Haftet dann, wenn automatisiert gefahren wird, der Hersteller des Systems oder die Versicherung? Und die ethischen Fragen kann man auch nicht einfach wegwischen .
Wenn ein Unfall nicht mehr zu verhindern ist, wohin
weicht das Fahrzeug dann aus? Das muss auch geklärt
werden .
Der Minister für Modernität hätte längst eine Strategie
zur intelligenten Mobilität vorlegen können . Es ist ein
Armutszeugnis, dass es eines Koalitionsantrags bedarf,
der ihn auffordert, dies jetzt zu tun . Es ist ein reiner Fensterantrag, den Sie uns hier vorlegen, anstatt für die eigentlichen Probleme konkrete Lösungen vorzuschlagen .
({6})
Ganz herzlichen Dank . - Als nächster Redner hat
Thomas Jarzombek von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf
vielleicht damit anfangen, dass ich es begrüße, dass unser
Koalitionspartner die positiven Aspekte benannt hat, und
dass ich mich darüber wundere, dass die Opposition hier
nur Nachteile erkennen kann .
({0})
Ganz im Ernst: Am Ende müssen Sie sich für irgendwas entscheiden, was Sie jetzt kritisieren, Herr Kollege
Kühn . Zuerst haben Sie gesagt: Dass wir uns mit solchen
Themen hier beschäftigten, wo es doch viel Wichtigeres
gäbe! Zum Schluss haben Sie gesagt: Es kann doch nicht
wahr sein, dass wir uns erst jetzt damit beschäftigen . Also, einen Tod müssen Sie sterben, wenn Sie uns kritisieren wollen .
({1})
Peter Altmaier hat dazu einmal gesagt: Es ist in
Deutschland manchmal so, dass wir immer über die ganz
großen, wichtigen Fragen reden und für nichts anderes
Platz haben, und auf einmal, irgendwann, haben wir das
Ende einer Entwicklung und fragen: Wie konnte es eigentlich so weit kommen? Deshalb ist es, - so glaube
ich, - ganz gut, dass wir heute auch einmal zur Primetime
anderthalb Stunden über ein Thema reden, das ich sehr
wichtig finde, nämlich: Wie digitalisieren wir unsere Verkehrsinfrastruktur?
Es ist doch klar: Alles das, was heute an physischer
Struktur da ist, braucht parallel eben eine digitale Struktur, um die Dinge besser zu machen .
Mich hat in dieser Woche mein Lokalradio angerufen und gefragt, was ich denn dazu sage, dass Senioren
ohne weitere Tests weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen dürften . Da habe ich geantwortet: Diese Frage stellt
sich heute eigentlich gar nicht mehr . Wir haben so viele
technische Assistenzsysteme und die Entwicklung in den
nächsten Jahren wird dazu führen, dass Menschen viel
länger als heute weiter mobil bleiben und selbstbestimmt
mobil bleiben können . Und das ist eine extrem gute Entwicklung .
({2})
Assistenzsysteme warnen den Fahrer, wenn Fußgänger auf die Straße gehen, oder dann, wenn er einmal abgelenkt ist und die drohende Kollision nicht sieht . Diese
Systeme wirken . Ich habe gerade in dieser Woche gesehen, dass in Japan, wo man auch die Nachrüstung solcher
Systeme unterstützt - das finde ich ganz interessant -,
durch den Einsatz von Assistenzsystemen die Unfallzahlen um 60 Prozent zurückgegangen sind .
({3})
Stephan Kühn ({4})
- Stellen Sie gerne eine Frage .
({5})
- Gerne . - Frau Präsidentin, Sie sind dran, das zu entscheiden . Ich will Ihnen hier nicht die Aufgabe wegnehmen . Der Kollege würde gern eine Zwischenfrage stellen .
Sie entscheiden natürlich, ob Sie die Zwischenfrage
zulassen . - Bitte .
Könnten Sie vielleicht etwas zur Marktdurchdringung der Fahrassistenzsysteme in Deutschland sagen?
Wir haben ja Fahrinformationssysteme, also, sage ich
einmal, Entertainmentpakete, die serienmäßig in den
Fahrzeugen sind . Und die Fahrassistenzsysteme, die Sie
ansprechen, sind nur zu einem Aufpreis - in der Regel
reden wir da von Beträgen von 1 000, 2 000 Euro - erhältlich . Können Sie sagen, welche Marktdurchdringung
wir bei diesen Systemen haben?
Herr Kollege Kühn, wir haben gemeinsam daran gearbeitet, dass eine Reihe dieser Assistenzsysteme eben
nicht mehr aufpreispflichtig sind, sondern inzwischen
zur Standardausstattung gehören . Ich nenne ESP als vielleicht eines der wichtigsten Assistenzsysteme, das viele
Unfälle verhindert . Ich glaube, dass viele Systeme, die
heute noch aufpreispflichtig sind, künftig in die Serienausstattung übergehen . So ist die Entwicklung immer
gewesen .
Darüber hinaus, wenn Sie die Frage schon stellen, ist
es sinnvoll, dass wir über die Nachrüstung von älteren
Fahrzeugen diskutieren . Wir reden hier nicht nur über
Neufahrzeuge . Wir sollten darüber diskutieren, ob wir
bei der Nachrüstung älterer Fahrzeuge staatlicherseits
Anreize schaffen sollten .
({0})
- Herr Kollege Kühn, wenn wir alles, was denkbar wäre,
in diesen Antrag geschrieben hätten, dann würden wir Ihnen heute ein Kompendium vorlegen .
({1})
Da ist die Frage schon, wo die Abgrenzung zwischen
der Regierungs- und der Parlamentsarbeit erfolgt . Ich
glaube, es ist gut, dass wir hier bestimmte Eckpunkte benennen . In unserem Antrag steht klar, dass die Regierung
ein digitales Straßengesetz vorlegen soll . Darüber werden wir gemeinsam beraten und alle Details eines umfangreichen Werks diskutieren können .
Ich glaube, die Digitalisierung ist für die Verkehrssicherheit extrem hilfreich . Sie ist auch hilfreich für den
öffentlichen Nahverkehr; das wurde vorhin angesprochen . Der öffentliche Nahverkehr hat so viele Kunden
wie nie zuvor . Das liegt vor allem an der Digitalisierung .
Statt nachts ewig auf die Bahn zu warten, kann man mit
der App jetzt sehen, wann sie wirklich kommt, und dann
zielgerichtet zur Haltestelle gehen . Man kann auch sehen, ob der Bus, den man nehmen möchte, pünktlich
kommt oder ob er deutliche Verspätung hat . Dann muss
man nicht mehr herumstehen .
Es gibt viele Leute, die die Zeit in der Bahn gerne
dafür nutzen, um möglicherweise mit Facebook, Google oder anderen Produkten irgendetwas zu machen . Sie
können das nutzen, und deshalb haben die Bahn und der
Bus an Attraktivität gewonnen . Wir müssen dahin kommen, dass auch das Auto mehr von der Digitalisierung
profitiert.
Ich sehe hier meinen Kollegen Andreas Rimkus aus
Düsseldorf . Bei uns in den Städten gibt es kaum ein größeres Thema, mit dem Politik konfrontiert wird, als das
Thema Lärmschutz . Wie wollen wir mit Lärm, aber auch
mit Emissionen umgehen? Ich erinnere an die Stickoxide
und das Thema Feinstaub . Wie wollen wir die Werte senken, wenn Autos mit voller Geschwindigkeit an die Ampel heranfahren, bremsen und dann wieder beschleunigen müssen? Das verursacht Emissionen, das verursacht
Lärm, und das verursacht hohe Verbrauchswerte .
({2})
Deshalb brauchen wir eine Vernetzung von Verkehrsbeeinflussungssystemen, zum Beispiel von Ampeln, damit ein Auto weiß, wann wo welche Ampelphase
ist, auch wenn man die Ampel vielleicht noch gar nicht
sehen kann, auch wenn die Ampel vielleicht gerade grün
wird, aber das Auto sie nicht erreichen kann . Dann kann
es vielleicht schon auskuppeln oder rekuperieren, wenn
es ein elektrisches Fahrzeug ist, oder es kann eine Geschwindigkeit einstellen, mit der es, möglichst ohne zu
bremsen, durch die Stadt kommen kann . Es ist meine
persönliche Vision und mein Ziel, eine Infrastruktur bereitzustellen, die Fahrzeugen ermöglicht, durch die Innenstädte zu fahren, ohne bremsen und beschleunigen zu
müssen .
Dafür brauchen wir einen Open-Data-Plan . Deshalb
bin ich dankbar, dass auch der Bundesvorstand der CDU
in der Mainzer Erklärung, in der es hauptsächlich um die
ganz großen Fragen gegangen ist, deutlich gemacht hat:
Wir wollen ein Open-Data-Gesetz . Das brauchen wir
insbesondere, um Innovationen im Verkehrsbereich zu
ermöglichen . Das steht auch im Koalitionsvertrag . Das
gilt im Übrigen auch für den öffentlichen Nahverkehr .
Ich finde, es ist ein Unding, dass Anbieter von Verkehrsinformationssystemen, von Apps, mit jedem einzelnen
Verkehrsanbieter einzelne Vertragsverhandlungen führen
müssen . Der eine bietet Fahrplanarten an, der andere aber
keine Echtzeitdaten . Es stellt sich auch die Frage, wie
man ein Ticketing-System machen kann . All das müssen
wir gesetzlich vereinheitlichen .
Wir müssen uns auch überlegen, wie wir mehr aus den
Daten, die wir haben, machen . In dieser Hinsicht war das
Verkehrsministerium verdammt gut . Ich glaube, kein anderes Haus war so innovativ, mit der Gründerszene gemeinsam ein Hackathon zu machen, bei dem man junge,
innovative Gründer mit den Daten zusammengebracht
und einen Wettbewerb gestartet hat, um herauszufinden,
welche Innovationen daraus entstehen können . Das ist
der richtige Weg . Ich kann die Staatssekretärin nur beglückwünschen und ermuntern, diesen Weg weiterzugehen .
({3})
Ein weiteres Thema sind die Modellregionen . Wir
sehen, wie viel Wirbel aus Marketinggründen gemacht
wird, um zu zeigen, was in Kalifornien alles möglich ist .
Da fahren die Google-Autos, daher kommen die Tesla-Autos . Deshalb ist es ebenfalls extrem gut, dass auf
der A 9 das Testfeld für digitales Fahren ermöglicht wurde . In unserem Antrag fordern wir zusätzliche Modellregionen, um auch innerstädtische Verkehrssysteme zu erproben . Mit UR:BAN gibt es da schon ein gutes Projekt,
und darauf kann man aufsatteln und weitere Modellregionen benennen .
Außerdem müssen wir Geld in die Hand nehmen, um
die Nutzung dieser Daten zu ermöglichen . Dafür gibt
es im Ministerium 100 Millionen Euro im Modernitätsfonds; sie werden dafür auch schon eingesetzt . Das
können wir an dieser Stelle ebenfalls nur begrüßen . Wir
werden die Kommunen dabei unterstützen müssen - das
ist für uns eine Herausforderung -, ihre Verkehrsleitzentralen aufzurüsten . Mit UR:BAN in Düsseldorf, in Kassel
und in Braunschweig hat die Bundesregierung so etwas
gemacht .
Aber es reicht nicht, dass Autohersteller oder auch die
Hersteller von Informationssystemen eine Anbindung
programmieren. Deshalb müssen wir einen Weg finden,
den Kommunen zu ermöglichen, ihre Verkehrsleitzentrale auf den gleichen technischen Stand wie in Düsseldorf, Kassel und Braunschweig zu bringen . Dabei geht
es um eine Summe von 30 Millionen, 40 Millionen oder
50 Millionen Euro . Das ist nicht einmal so viel, wie eine
Ortsumfahrung kostet . Ich glaube, das muss schon drin
sein, um die Verkehrsleitzentralen zumindest in den 20
größten deutschen Städten zu ertüchtigen .
Darüber hinaus brauchen wir eine Dateninfrastruktur
bei der Schiene . Ich verweise auf ERTMS, also auf ein
Leitungssystem, das autonom fahrende Züge ermöglicht .
Wir müssen auch den öffentlichen Nahverkehr auf diesem Gebiet weiter unterstützen . Ich denke hier an ein gemeinsames Ticketing-System: Mit einer entsprechenden
App kann man dann nicht nur in Düsseldorf ein Rheinbahn-Ticket, sondern auch in Berlin ein BVG-Ticket ziehen .
Das alles mündet in unsere Forderung nach einem digitalen Straßengesetz . Dieses digitale Straßengesetz sollte noch mehr leisten . Der Kollege Kühn hat die sehr richtige Frage gestellt: Wem gehören eigentlich die Daten?
Im Übrigen ist der Datenschutz ziemlich gut geregelt .
({4})
Dafür gibt es ein Bundesdatenschutzgesetz . Gerade hat
das Europäische Parlament den Weg für die europäische
Datenschutz-Grundverordnung freigemacht . Darin ist bis
auf das Kleinste geregelt, was mit Daten passieren darf
und was nicht . Im Übrigen kann man auch immer mit den
Datenschützern reden und nach neuen Wegen Ausschau
halten .
Autos mit intelligenten Dämpfern - neue Luxusfahrzeuge haben sie schon; sie werden wahrscheinlich bald
in jedem Fahrzeug vorhanden sein - werden bald durch
die Stadt fahren und genau erfassen können, wo wie viele Schlaglöcher sind . Das sind doch Informationen, die
für unsere Bundesverkehrswegeplanung extrem hilfreich
sind . Heute erneuern wir die Straßen erst dann, wenn
sie ein gewisses Alter erreicht haben . Aber wir möchten
doch eigentlich die Straßen erneuern, von denen wir wissen, dass sie besonders bedürftig sind .
Auf unseren Straßen gibt es 40 Millionen Fahrzeuge .
Das sind 40 Millionen potenzielle Sensoren, mit denen
man Straßen vermessen kann . Die so erzeugten Daten
braucht auch unser Staat . Diese Daten müssen natürlich
anonymisiert sein - das unterstreiche ich dreimal -, in
Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten . Das ist
ganz wichtig .
Am Ende brauchen wir eben auch eine digitale Struktur im Bereich Breitband . Eins ist klar: Die Fahrzeuge,
die selber fahren, werden viel besser fahren können,
wenn beispielsweise 20 Fahrzeuge synchron und ohne
Verzögerung bremsen können . Vorgestern, am Mittwoch,
haben wir hier im Deutschen Bundestag über das DigiNetz-Gesetz diskutiert, das der Bundesminister hier präsentiert hat . Dieses Gesetz ist der richtige Weg, um für
2020 Leitmarkt zu werden für die fünfte Mobilfunkgeneration, die es als taktiles Internet, als Echtzeitinternet,
ermöglicht, selbstfahrende Fahrzeuge zu steuern . Daher
müssen wir anfangen, in jede Laterne, in jede Ampel, in
jede neue Baumaßnahme Glasfaserkabel zu legen, die für
dieses Internet die Infrastruktur sind .
Das brauchen wir im Übrigen auch im ländlichen
Raum . Ich wünsche mir schon, dass ein selbstfahrendes
Auto, das aus Düsseldorf herausfährt und dann irgendwo
in den Tiefen des Kreises Neuss unterwegs ist, genauso
gut funktioniert wie in unserer wundervollen Metropole .
Für den Breitbandausbau gibt es ein mit 2,7 Milliarden
Euro ausgestattetes Förderprogramm, das genau diese
Entwicklung unterstützt .
Ich glaube, wir haben den richtigen Grundstein gelegt .
Ich habe gemerkt: Bei den Grünen ist noch nicht alles
verloren . Ich freue mich, wenn sie uns begleiten . Jede
gute Idee ist willkommen . Ich freue mich auf die Ausschussarbeit .
Vielen Dank .
({5})
Liebe Kollegen, es sei mir auch an dieser Stelle ein
kleiner Hinweis auf die Uhr am Rednerpult gestattet .
Das Zeichen „Präsident“ heißt nicht, dass man einfach
weiterreden sollte, sondern es heißt, dass man bitte zum
Ende kommt, und zwar zügig . So viel für alle, die das
noch nicht gewusst haben .
Jetzt hat der nächste Redner das Wort: Herbert Behrens
von der Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Wer kühne Pläne schmieden will, der sollte auch kühn
denken können“, habe ich gedacht, als ich diesen Antrag
las .
({0})
Im Weiteren habe ich gemerkt: Dieses kühne Denken ist
auf keiner der 13 Seiten zu finden, obwohl es dieses Denken bräuchte, wenn Sie den Titel wirklich ernst nehmen
wollten .
Gleich vorn heißt es:
Der digitale Wandel ist im Begriff, die Mobilität zu
revolutionieren .
Eine Revolution bedeutet, dass man etwas wirklich
grundlegend verändert, dass man möglicherweise das
Unterste zuoberst kehren muss, weil es verdeckt geblieben ist . Aber im Antrag ist das alles anders . Es werden
lediglich vorhandene oder noch zu entwickelnde, fortzuschreibende Technologien angeführt und zu entwickelnde Computeranwendungen vorgestellt . Revolutioniert
wird aber gar nichts .
Beispiele: Verkehrstelematik soll die Parkplatzsuche
für Pkw in Städten erleichtern . Automatisiertes Autofahren soll den Menschen als „Risikofaktor Nummer eins“ auch das steht im Text - ausschalten . Selbstfahrende
Züge sollen den Lokführer überflüssig machen. Autofahrer sollen gläsern werden - dort, wo es für die Automobilindustrie von Nutzen ist . Mehr Vernetzung, mehr
Sensorik - das ist zwar auch eine Zukunft der Mobilität,
aber die sollten wir uns wirklich nicht wünschen .
({1})
Sie gehen das Thema falsch an . Sie wollen die Zukunft
gestalten, ohne die Gegenwart begriffen zu haben; das ist
mein Eindruck . Wenn Sie den heutigen Stau auf der Autobahn durch elektronische oder digitale Verkehrsbeeinflussungssysteme lediglich besser managen wollen, dann
haben Sie doch den Stau schon akzeptiert . Das ist ein
grundlegender Fehler .
({2})
Wenn Sie Voraussetzungen für automatisiertes Autofahren schaffen wollen, dann müssen Sie doch vorher darüber nachdenken: Warum fahren so viele Menschen mit
dem Auto? Das hat doch möglicherweise etwas damit zu
tun, dass Wohnort und Arbeitsort weit auseinanderliegen
und die Strecke anders kaum überwunden werden kann .
Das hat unter Umständen etwas damit zu tun, dass wir
in den kleineren Städten oder auf den Dörfern nicht jede
halbe Stunde einen Bus oder eine Bahn zur Verfügung
haben, um unsere Wege zurückzulegen . Wir müssen doch
erst sagen, ob wir die gegenwärtige Verkehrssituation so
akzeptieren, wie sie ist,
({3})
und dann darüber nachdenken, mit welchen Mitteln, die
wir heute möglicherweise noch nicht haben, man zu Verbesserungen kommen kann . So wie Sie das angehen, ist
es falsch .
({4})
Mit Interesse habe ich das Kapitel „Automatisierung
des Schienenverkehrs“ gelesen . Ihr Ziel ist, Züge künftig ohne Lokomotivführer fahren zu lassen . Das hat wenig mit den Mobilitätsinteressen der Menschen zu tun .
Die Bahnkunden im Nahverkehr und im Fernverkehr
wären doch schon sehr zufrieden, wenn sie vernünftige
und garantierte Anschlüsse hätten, wenn sie vernünftige Auskünfte darüber bekämen, wann man zu welchem
Zeitpunkt wo sein kann, wenn Verspätungen die Ausnahme und nicht die Regel wären . An dieser Stelle sollten
neue technische Möglichkeiten, neue technische digitale
Möglichkeiten genutzt werden, um die Sicherheit und
den Komfort zu erhöhen .
Lärmschutz . Schon heute ist es möglich, jedes einzelne Rad eines Wagens im Betrieb zu kontrollieren, um
festzustellen: Gibt es Flachstellen? Gibt es raue Oberflächen? Man kann den Wagen bei der nächsten Möglichkeit rausziehen und instand setzen, damit der Lärmschutz
gesichert ist . Das ist ein Fortschritt für die Menschen, den
sie heute wollen . Dafür brauchen wir Investitionen und
keine großen Ideen wie die, mit denen hier umgegangen
wird . Wir brauchen das Geld, damit wir zu vernünftigen
Verkehrssystemen kommen . Es bedarf keiner - Zitat „sanften Einführung vollautomatischer Systeme“ .
({5})
Sie liefern keine Vorschläge dazu, wie mit den technischen Möglichkeiten schon im Hier und Jetzt handfeste
Probleme im Verkehrssektor beseitigt werden können .
Stattdessen gibt es ein Sammelsurium von Ideen ohne
wirkliche Perspektive . „Wo lassen sich per Computerisierung und Vernetzung menschliche Entscheidungen
und der Mensch selbst überflüssig machen?“, das ist der
Kern Ihres Antrags, den wir nicht teilen .
({6})
Die Autoren dieses Antrags haben ihrer Fantasie wirklich
freien Lauf gelassen - das ist nachzulesen -, aber sie haben sich nicht an der schnöden Gegenwart abgearbeitet,
und das geht nicht .
Sie beschreiben hier eine wahre Megamaschine, mit
der Probleme gelöst werden sollen, die mancher gar nicht
hat . Das ist altes Denken, und mit dem werden wir den
neuen Herausforderungen überhaupt nicht gerecht .
({7})
Wir stehen vor der Aufgabe, Verkehrssysteme zu schaffen, die für die Menschen einfach zu benutzen sind, die
sie sicher und bequem an ihren Wohnort bringen .
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Einzig im Kapitel „Automatisierung in der Logistik“ - ich komme zum Schluss - sind ansatzweise sinnvolle Vorschläge zu finden, etwa die Forderung nach einem elektronischen Frachtbrief und nach verpflichtender
Einführung eines Toter-Winkel-Assistenten für Lkw, um
Unfälle beim Abbiegen zu verhindern .
Der Antrag vermittelt:
Erstens . Die Probleme sollen alle mit Technik lösbar
sein .
Zweitens . Der Mensch als Stör- und Risikofaktor
muss weitgehend ersetzt werden .
Das ist mit der Linken nicht zu machen . Ziehen Sie
deshalb Ihren Antrag zurück,
({8})
um die wirklichen Probleme erkennen zu können und die
Instrumente zu finden, die wir brauchen, um das zu ändern .
Danke schön .
({9})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Andreas
Rimkus von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herbert
Behrens, ich finde, dass man sich nicht nur über intelligente Mobilität unterhalten kann, indem man sich gegenseitig vorwirft, was nicht in einem Antrag drinsteht,
sondern auch, indem man vielleicht einmal den Blick darauf wirft, was gemacht werden muss, um den Menschen
eine gute Mobilität zu geben . Darum geht es doch am
Ende; denn es ist in der Tat so, dass die Automatisierung
und die Vernetzung der Verkehrssysteme zunehmen . Ich
bin sehr dankbar für die lokalen Bezüge, lieber Thomas
Jarzombek, weil Düsseldorf ein gutes Beispiel für diese Vernetzung in urbanen Räumen darstellt . Auch Arno
Klare hat darauf hingewiesen .
Zur Frage: Wann ist etwas entstanden? Ich weiß nicht,
ob Sie es wissen: Es war der Franzose Gabriel Voisin, der
ein System entwickelte, um bei landenden Flugzeugen
das Blockieren der Räder zu verhindern . Das war im Jahr
1920 . Das war die eigentliche Geburtsstunde des ABS .
Es war das erste Fahrassistenzsystem oder Sicherheitssystem, das serienmäßig in einem Fahrzeug eingebaut
wurde .
({0})
Seit 2004 ist es übrigens europäischer Standard . Insofern
brauchen die Dinge ihre Zeit . Aber manchmal ist der
Fortschritt dann auch sehr klar und deutlich und hilft uns,
die Sicherheit voranzustellen .
Mittlerweile sind wir fast hundert Jahre weiter . Wir reden über teil-, hoch- oder vollautomatisiertes Fahren . Die
Vision eines selbstfahrenden Autos liegt nicht mehr in einer irren Zukunft, sondern sie stellt ein realistisches Szenario dar . Mit der Teststecke auf der A 9 ist die Bundesregierung einen ersten Schritt gegangen . Doch werden
wir in Zukunft den Blick auch von der Autobahn auf die
Landstraße und dann natürlich auf die Königsdisziplin,
den urbanen Verkehr, richten müssen . Auch das haben
wir im Antrag deutlich gemacht und damit die Forderung
nach weiteren Teststrecken verbunden .
Doch vergessen wir nicht, dass die Innovationen nicht
nur den Straßenverkehr berühren . Es ist schon gesagt
worden: In Nürnberg fahren vollautomatische Schienenbahnen . Dadurch konnte nicht nur die Taktzeit halbiert,
sondern auch der Energieverbrauch um fast 15 Prozent
gesenkt werden. Auch an Flughäfen finden wir bereits
fahrerlose Bahnen, die die Terminals miteinander verbinden . Diese Beispiele zeigen doch sehr deutlich, wie ich
finde, dass besonders der Schienenverkehr einen Innovationsmotor für diesen Bereich darstellt .
Mit dem Fortschritt dieser Technologie müssen sich
aber auch die politischen Rahmenbedingungen ändern .
Die von uns formulierten Forderungen tragen auf der
einen Seite der Stärkung der Innovationskraft der deutschen Wirtschaft, auf der anderen Seite aber auch dem
Schutz der Nutzer Rechnung . Es war uns ein wichtiges
Anliegen, den im Koalitionsvertrag verankerten Grundsatz noch einmal deutlich zu machen, dass personenbezogene Daten nur mit Zustimmung der Betroffenen und
auf der Grundlage bestehender gesetzlicher Rahmenbedingungen erhoben werden dürfen .
({1})
Bei aller Euphorie darüber, dass unser Alltag durch
eine gute Vernetzung deutlich erleichtert werden kann,
dürfen wir die Persönlichkeitsrechte der Menschen und
ihr Recht auf Privatsphäre nicht aus dem Blick verlieren .
Freiheit und Selbstbestimmung sollten für uns auch hier
immer an erster Stelle stehen . Es gibt auch Haftungsfragen, die noch nicht abschließend geklärt sind: Wer haftet
bei einem Unfall? Wie lässt sich das bei unterschiedlichen Automatisierungsgraden überhaupt rechtlich regeln?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Weichen für
automatisiertes Fahren zu stellen, brauchen wir nicht nur
Klarheit in den Worten und einen gesetzlichen Rahmen
bei Datenschutz- und Haftungsfragen, sondern natürlich
auch einen Fortschritt beim Aufbau der digitalen Infrastruktur . Es wäre fatal, den Blick auf die einzelnen Bereiche zu richten, ohne das große Ganze zu betrachten . Natürlich wird es keine Automatisierung ohne ausreichende
Breitbandinfrastruktur geben, und auch die ökologischen
Vorteile automatisierter Verkehrsflüsse gehen parallel zur
Integration elektrisch betriebener Mobilität .
So ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die
Einbeziehung intelligenter Stromnetze, Smart Grids,
eine Kernaufgabe intelligent organisierter Mobilität . Bei
der Integration dieser Smart Grids ist die Elektromobilität, zu der sich die SPD-Fraktion in dieser Woche klar
positioniert hat, ein wichtiger Baustein . Der Blick auf
das Gesamtsystem lohnt sich . Die Automatisierung auf
der einen und die Elektrifizierung auf der anderen Seite
gehen so Hand in Hand . So kann die Automatisierung
helfen, Reichweitenvorhersagen zu machen, die Nutzung
gemanagter Flotten und Carsharing-Dienste zu verbessern . Automatisierte Funktionen können so den Nutzwert
und die Attraktivität von Elektrofahrzeugen erhöhen . So
trägt die Elektromobilität zur Energiewende im Verkehr
bei, aber gleichzeitig helfen auch die automatisierten
Verkehrsflüsse, diese Wende zu schaffen: Staus werden
reduziert und Fahrweisen effizienter.
Dazu gehört natürlich auch Vision Zero . Wir wollen,
dass wir möglichst wenig - am besten auf null gesetzt Tote und Schwerverletzte im Verkehr haben . Da helfen
uns telematische Innovationen natürlich besonders .
({2})
Auch aus der ursprünglichen Idee von Voisin, mit der
Stotterbremse Flugzeuge sicher zu landen, ist doch am
Ende etwas entstanden - das ist vollkommen klar -, was
Leben schützt und Unfälle verhütet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird sicher noch
einige Zeit in der Zukunft liegen, bis wir wirklich vollautomatisiert fahren. Aber ich finde, wenn wir - da sollten
wir weniger Bedenken haben - die Fragen, über die wir
demnächst debattieren werden, in den Vordergrund stellen - Datenschutz, Cybersicherheit -, dann wird einiges
gelingen . Vielleicht klinge ich wie ein verrückter Professor, ich sage Ihnen aber eins: Wer Pionierarbeit leistet,
muss auch das Unbekannte wagen . Deshalb freue ich
mich auf die gemeinsame Arbeit .
Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag, ein schönes
Wochenende . Bis bald!
({3})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Valerie
Wilms von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren an den Fernsehern,
({0})
auf der Tribüne! Toll, dass Sie sich dieser Debatte widmen .
Bei dem Antrag stellt sich mir eine grundlegende Frage: Was will uns diese Große Koalition eigentlich damit
sagen?
({1})
Der Text hat jedenfalls recht wenig mit dem zu tun, was
uns ihr Noch-Verkehrsminister quasi täglich präsentiert .
Seine Politik ist weder intelligent, noch fördert sie die
Mobilität .
({2})
Jahrelang hat er uns mit seinem mehr als dummen Biertischvorschlag CSU-Maut beschäftigt . Das Ding ist tot schon lange -, aber er reitet den Gaul einfach weiter .
({3})
Bei den wirklich wichtigen Aufgaben liefert er dagegen
nichts Neues .
Zu Carsharing, werte Parlamentarische Staatssekretärin - da hilft es nicht, in einer App zu tippen -, finde
ich noch keine neuen Entwürfe . Wir wollten hier eigentlich einen Gesetzentwurf haben . Ein Gesetzentwurf ist
irgendwann auch einmal sozusagen in Blei gesetzt, von
mir aus auch digital, aber er muss einmal da sein . Und wo
ist er? Nichts . Er kommt nicht . Dabei bräuchten wir das .
Die Elektromobilität, sozusagen Ihr Leitmarkt - ich
frage mich, ob das mit t oder d geschrieben wird, wahrscheinlich mehr mit d -, dümpelt so vor sich hin .
({4})
Volkswagen wird trotz aller Betrügereien mit Samthandschuhen angefasst . Beim kombinierten Verkehr,
werte Parlamentarische Staatssekretärin - das ist ja Ihr
unmittelbarer Aufgabenbereich; irgendwie kann ich mich
daran erinnern, dass wir einmal auf einem Podium gesessen haben,
({5})
wo Sie als Logistikbeauftragte der Bundesregierung dabei waren -, hat Ihnen sogar der Finanzminister das Heft
aus der Hand genommen, weil die Mittel liegen bleiben .
Und der Bundesverkehrswegeplan als zentrale Aufgabe in dieser Wahlperiode wird immer weiter verzögert
und gerät in die künftige Wahlkampfschlacht .
({6})
Da kann ich nur sagen: Das Fahren mit Autopilot wäre
wirklich besser, als den Geisterfahrer Dobrindt weiter am
Steuer zu lassen .
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dem Antrag lese
ich ein gehöriges Stück Verzweiflung über den eigenen
Minister .
({8})
Er kann so viel Geld ausgeben wie kein anderer Verkehrsminister vor ihm . Dazu wurde ihm sogar noch die
Zuständigkeit für Digitales gegeben . Und jetzt? Nichts
macht er daraus . Er verhakt sich in der Maut von vorgestern und redet weiter wie ein Generalsekretär .
({9})
Da kann ich nur sagen: Ein bisschen Grünen-Bashing,
welches wir ja immer wieder von ihm hören - auch von
Ihnen, Herr Kauder, kommt manchmal nichts anderes -,
kann Unfähigkeit auch nicht übertünchen . Es zeigt nur,
dass die Ideen in dieser GroKo fehlen .
({10})
Das Einzige, was der Minister sehr schnell gelernt hat,
ist die Beglückung bayerischer Wahlkreise .
({11})
Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Der Minister schafft es nicht, Millionenbeträge für
Schienen und Wasserstraßen auszugeben . Und wo landet
das Geld? Zu über einem Drittel in fragwürdigen bayerischen Umgehungsstraßen .
({12})
Da frage ich mich wirklich, wie lange sich diese Koalition das noch von der CSU-Minderheit bieten lässt .
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, intelligente Mobilität - das klingt ja schön und gut . Leider fehlen die Grundlagen dazu . Es wäre schon ein großer Schritt, wenn man
Bus und Bahn ohne große Probleme einfach so nutzen
könnte . Werter Kollege Jarzombek, Sie sprachen vom digitalen Straßengesetz . Kümmern Sie sich erst einmal um
das Analoge,
({14})
also darum, dass die Schlaglochpisten beseitigt werden,
dass wir keine gesperrten Brücken haben, dass es mittlerweile ja ganze Gegenden gibt, in denen nur noch Schüler
mit dem Bus fahren können, dass wir kein durchgängiges
funktionierendes Ticketsystem für Bus und Bahn haben,
und vor allem darum, dass wir eine überteuerte Bahn haben, die zu spät oder gar nicht mehr kommt . Das sind
die Fakten . Da brauchen wir kein digitales Straßengesetz .
({15})
Statt sich also um handfeste Probleme zu kümmern,
schreiben Sie lieber wenig ambitionierte Schaufensteranträge .
Aber schauen wir doch einmal in die Details . Auch
da bleibt vieles fragwürdig . Der Minister hat ein neues
Spielzeug entdeckt: Sein digitales Testfeld Autobahn das natürlich in Bayern liegen muss . Ich bin gespannt,
was dabei herauskommt und ob der Test nicht längst von
innovativen Unternehmen überholt wird . Man kann ja
bereits Fahrzeuge kaufen, die quasi von allein fahren .
({16})
Dazu braucht es keinen Spezial-Audi mit Minister drin .
Nutzen Sie einfach mal den Autopiloten von Tesla - der
funktioniert .
({17})
Wenn es dem Minister nicht nur um ein paar schöne Bilder und weitere Millionen für sein Bayern gehen
würde, dann müsste er sich ernsthaft um den Datenschutz
kümmern . Da kommt wirklich eine Aufgabe auf die Politik zu . Das wäre politisches Kerngeschäft . Hier gibt es
nämlich einen ganz klaren Grundkonflikt: Daten sind das
Kapital der Zukunft; die größten Konzerne der Welt machen ihr Geld damit . - Hierfür müssen wir den Rahmen
setzen . Wir müssen dafür sorgen, dass Nutzer jederzeit
„Stopp!“ sagen können . Das fehlt nämlich derzeit . Nutzer müssen bestimmen können, was sie in welchem Umfang nutzen wollen .
Also: Bleiben Sie nicht nur bei Ihren Floskeln - Herr
Jarzombek, da helfen auch 13 Seiten Papier nicht -, sondern machen Sie genau das, was wir brauchen . Geben
Sie also dieser Bundesregierung, die Sie ja tragen, einen
klaren Auftrag, sich endlich mal um die wichtige Kernaufgabe Datenschutz zu kümmern . Da gehen Sie mal ran!
Wenn Sie das machen wollen, dann kriegen Sie sicherlich
unsere Unterstützung, aber nicht für das Ding, das Sie da
auf 13 Seiten verewigt haben . Diese Beweihräucherung
tragen wir nicht mit .
({18})
Als nächster Redner hat Steffen Bilger von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich haben die Redner von der Koalition bereits
erklärt, worum es uns in diesem Antrag geht, liebe Frau
Wilms . Ich will aber trotzdem noch einmal einen Versuch
starten und dabei insbesondere fünf Bereiche ansprechen .
Zum einen: Die Umwelt- und Klimabelastung muss
reduziert werden . Als Frage formuliert: Womit bewegen
wir uns in Zukunft nachhaltig bzw. effizienter voran?
Zweitens . Die Zukunft der Automobilindustrie in
Deutschland beschäftigt uns alle . Hier geht es schließlich
auch um Arbeitsplätze . Der VW-Skandal stellt sicherlich
ein enormes Risiko für die deutsche Wirtschaft dar . Wir
können aber - wir haben verschiedentlich im Bundestag
schon darüber diskutiert - auch eine Chance in dieser
Krise sehen .
Drittens . Der Verkehrslärm stört die Menschen zunehmend . Wie können wir Lärm und andere Belastungen
durch Fahrzeuge unterbinden und die Betroffenen besser
schützen, um die Akzeptanz gegenüber der Infrastruktur
weiter zu erhalten?
Viertens . In Zeiten knapper Kassen und zunehmender
Verkehrsströme stellt sich die Frage: Wie können wir
weiter Infrastruktur bereitstellen und finanzieren bzw.
die bereits vorhandene Infrastruktur effizienter nutzen,
und wie kann dabei Mobilität für alle bezahlbar bleiben?
Und schließlich - wir haben immer noch zu viele
Verkehrstote und -verletzte -: Wie kann es insgesamt gelingen, zu erreichen, dass es deutlich weniger Opfer im
Straßenverkehr gibt?
Wer unseren Antrag liest, meine Damen und Herren,
stellt fest, dass wir auf viele dieser Fragen schon Antworten haben . Die Digitalisierung des gesamten Verkehrs
bietet viele Vorteile für unsere Mobilität . Deshalb muss
sie nun konsequent vorangetrieben werden . Deswegen ist
es auch richtig, dass Alexander Dobrindt als Minister für
Verkehr und digitale Infrastruktur diese beiden so stark
zusammenhängenden Themen mit seiner Staatssekretärin Dorothee Bär engagiert voranbringt .
({0})
Auf meine erste Frage, auf die Frage nach der Nachhaltigkeit, heißt die Antwort erst einmal: Elektromobilität - von elektrisch betriebenen Zügen über Elektroautos
bis hin zu - das ist nur langfristig erreichbar - Flugzeugen, Schiffen und Lastwagen, die mit Wasserstoff und
E-Motor angetrieben werden . So wird nach allem, was
wir heute wissen, die Zukunft aussehen .
Die Digitalisierung der Mobilitätsmittel hat großes
Effizienzpotenzial. Aber wir brauchen zusätzlich eine
Umstellung auf Antriebsarten, die nicht nur umwelt- und
klimaschonend, sondern auch verträglich sind . Da drängt
sich derzeit vor allem der Gedanke an nachhaltig hergestellten Strom auf . Bis 2050 wollen wir in Deutschland ja
zu 80 Prozent regenerativ erzeugten Strom nutzen . Elektromobilität und Digitalisierung sind somit zwei Seiten
einer Medaille . Denn obwohl regenerativ gewonnener
Strom nachhaltig ist, ist der beste Strom schließlich derjenige, der gar nicht erst erzeugt werden muss . Da kommt
die Digitalisierung ins Spiel . Nur mit ihr erhalten wir die
Effizienzsteigerungen, die wir zusätzlich benötigen.
Aber, meine Damen und Herren, auch von mir noch
ein Satz zur Elektromobilität . Wir alle haben mitbekommen, dass die zuständigen Ministerien zurzeit intensiv an
einer Einigung über sinnvolle Fördermaßnahmen arbeiten .
({1})
Ich will auch deutlich sagen: Jetzt muss endlich der
Durchbruch kommen . Wir benötigen jetzt die nötigen
Fördermaßnahmen, um der Elektromobilität in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen! Als Bundestag gehen
wir mit gutem Beispiel voran . Ich freue mich sehr, dass
der Ältestenrat, wie uns der Bundestagspräsident gestern
mitgeteilt hat, nun beschlossen hat, unseren Fahrdienst
teilweise auf Elektroautos umzustellen . Vielen Dank allen, die sich dafür eingesetzt haben!
({2})
Zurück zur Digitalisierung . Warum sorgt sie für ein
deutliches Mehr an Effizienz, und zwar nicht nur beim
Energieverbrauch, sondern ebenfalls bei der Infrastrukturnutzung, beim Lärmschutz und bei der Verkehrssicherheit? Digital vernetzte Verkehrsteilnehmer kommunizieren sowohl mit anderen Verkehrsteilnehmern als
auch mit der Infrastruktur . Darin ist die Chance, um die
es uns geht, zu sehen . Ein Anfang ist bereits auf vielen
Bundesfernstraßen gemacht und da auch zu sehen . Wir
alle kennen die Telematikanlagen, die Stau und zähfließenden Verkehr erkennen können und durch neue Geschwindigkeitsvorgaben den Verkehr besser steuern . In
Zukunft werden Autos wissen, wer noch auf der Straße
ist und wie schnell sich derjenige bewegt . Dadurch kann
die eigene Geschwindigkeit angepasst werden, können
Bremsvorgänge bei Staus hinter einer Kurve eingeleitet
werden und vieles andere mehr . Denkbar ist sogar, dass
Fußgänger und Radfahrer mit Fahrzeugen kommunizieren und dadurch erkannt werden . Wir denken also durchaus auch an Fußgänger und Radfahrer . Weniger Staus
und Unfälle bedeuten nebenbei auch weniger Umweltbelastungen und weniger Lärm .
Was auf der Straße nützt, ist in der Logistik, im Schienen-, Luft- und Seeverkehr ebenfalls sinnvoll . Auch hier
schlummern Effizienzsteigerungen im Interesse aller
durch Digitalisierung .
Wie schon gesagt: Wir bewegen uns Schritt für Schritt
voran . Teildigitalisierungen sind bereits Standard . Für
Pkw sind automatisierte Vorgänge bei Automobilanbietern im Angebot; über GPS-gestützte Navigationsgeräte
wird schon jetzt frühzeitig über Staus informiert und es
werden Ausweichrouten angeboten . In der Regel werden
solche Fortschritte zunächst in der Oberklasse angeboten; aber wir sehen ja, dass mittlerweile alle von diesen
Angeboten profitieren können. So gut wie jeder nutzt
heute Navigationssysteme . Das zeigt, dass wir jetzt einen
richtigen Schritt unternehmen, indem wir unterstützen,
dass diese Technologien in Deutschland eingeführt werden .
({3})
Trotzdem ist der Weg bis zum autonomen Auto auch
bei uns natürlich noch weit . Damit es überhaupt so weit
kommt, müssen zuerst die Weichen richtig gestellt werden . Wir brauchen eine Vielzahl an kleinen und großen
Maßnahmen, um unsere Ziele zu erreichen .
Eines der großen Projekte liegt mir dabei besonders
am Herzen, und deswegen will ich es hier bewusst ansprechen: Galileo ist so eine große Maßnahme . Innerhalb
Europas treiben wir ein eigenes Satellitensystem voran,
mit dem wir haargenaue Ortsbestimmungen vornehmen
können . Außerdem sind wir damit vom US-amerikanischen GPS unabhängig . Trotz aller Rückschläge kommen wir bei Galileo voran .
Ein weiteres großes Projekt ist die Änderung des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr von 1968 .
Unser Anpassungsvorschlag von 2014 muss nun von den
Mitgliedern angenommen werden . Nur so ist autonomes
Fahren letztendlich rechtlich auch erlaubt .
Neben Antworten auf weitere rechtliche Fragen brauchen wir aber auch noch viele Antworten auf technische
Fragen . Wir kennen sie noch nicht, müssen aber bereits
jetzt vorausdenken . Denn Verkehr in Deutschland hat
eine enorme Bedeutung für Industrie und Arbeitsplätze .
Wir sind Logistikmeister, Autobauerland, einer der großen Flugzeughersteller und Schiffbauer . Genau deshalb
ist es unser Ziel, Leitmarkt und Leitanbieter zu sein . Wer
hierzulande sieht, was möglich ist, wird unsere Produkte kaufen . Von daher brauchen wir ebenfalls wie bei der
Elektromobilität die schon angesprochenen Modellregionen, wo der digitalisiert-vernetzte Verkehr greifbar und
erprobt wird .
Wir haben bereits das bayerische digitale Testfeld A 9 .
In unserem Antrag fordern wir, dass auch andere Modellregionen initiiert werden . Für ein Modell zum Beispiel
mit Straßen unterhalb der Autobahn würde sich aus meiner Sicht vielleicht auch eine Region etwas weiter westlich anbieten .
({4})
Ich glaube, unser Fraktionsvorsitzender hat auch schon
einen Vorschlag dazu gemacht . Ich bin jedenfalls gerne
bereit, bei der Suche zu helfen .
({5})
Nur wenn wir beim Standard-Setzen ganz vorne sind,
wird unser Standard sich durchsetzen . Das gilt auch für
Datenschutz und Datensicherheit; das wurde ja schon von
vielen Rednern angesprochen . Unternehmen im Markt
der Mobilität der Zukunft haben natürlich eigene Interessen, ganz klar . Das ist genauso wenig verboten, wie
man den Unternehmen verbieten kann, Profit zu machen.
Diese Interessen richten sich vor allem auf Daten . Unser
Antrag setzt die richtigen Akzente und weist meines Erachtens den gangbaren Weg zwischen dem Datenschutzbedürfnis der Europäer und der durchaus verständlichen
Notwendigkeit für Unternehmen, Daten zu erheben .
Deswegen will ich Ihnen noch einmal vortragen, was wir
ganz konkret in unserem Antrag festhalten:
Der Fahrer … sollte selbst entscheiden dürfen, wer
Zugriff auf seine personenbezogenen Daten hat .
Deshalb bedarf das Auslesen bzw . Übermitteln dieser Daten aus dem Fahrzeug einer Erlaubnis . Die
„Aktivierung/Deaktivierung“ der Datenübermittlung muss jederzeit möglich und einfach auszuführen sein .
Damit, meine Damen und Herren, stellen wir sicher, dass
der Bürger die Hoheit über seine Daten behält .
Uns sind all die Bedenken, die der intelligenten Mobilität entgegengebracht werden, bestens bekannt . Vorhin haben wir gehört, die Digitalisierung des Verkehrs
würde nicht zur Effizienz beitragen, weil der sogenannte
Rebound-Effekt nur dazu führen würde, dass dadurch
mehr Verkehr entstünde . Ja, grundsätzlich gibt es diesen
Effekt, und ja, wir können nicht ausschließen, dass durch
weniger Stau mehr Menschen ihr Mobilitätsverhalten
zulasten des Individualverkehrs ändern . Andererseits
zeigen solche Kommentare doch auch wieder, wie wenig
verstanden wurde .
Nachhaltige individuelle Mobilität ist doch zunächst
einmal nichts Schlechtes . Das prognostizierte Wachstum
der nächsten Jahre und Jahrzehnte im Verkehr müssen
wir eben nachhaltig gestalten und nicht durch Fahrverbote oder Ähnliches zu verhindern suchen .
Mit dem vorliegenden Antrag zum bedeutendsten Verkehrsthema der absehbaren Zukunft zeigt diese Koalition, dass wir Antworten auf die dringenden und wichtigen
Fragen haben . Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen und bitte schon jetzt um Ihre Unterstützung .
Vielen Dank .
({6})
Als nächster Redner in der Debatte spricht Sebastian
Hartmann von der SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist ja nun nicht so, dass es fraglich ist, ob die Digitalisierung und damit auch der digitale Wandel stattfinden
oder nicht. Er findet statt. Jetzt kommt es darauf an, ihn
so zu gestalten, dass wir die Vorteile durch diese Veränderung, die sehr viele von uns in ihrer Lebensumwelt,
auch in der Wirtschaft - das Stichwort „Industrie 4 .0“ sei
genannt - erleben, nutzen . Deswegen kann man es sich
nicht so einfach machen wie Teile der Opposition, nämlich einfach die Entwicklung zu negieren bzw . so zu tun,
als ob keine Veränderung stattfindet. Das ist aber auch
der Hauptunterschied zwischen Ihnen und mir .
Ich bin ein progressiver Sozialdemokrat .
({0})
Für mich bedeuten Veränderungen in der Zukunft auch
Verbesserungen . Die Zukunft kann besser sein als die
Vergangenheit . Aber es kommt darauf an, den Wandel
zu gestalten . Das tut die Große Koalition, indem sie in
ihrem Antrag ganz klar definiert, welche Handlungsfelder es gibt und welche Maßnahmen wir jetzt ergreifen
müssen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({1})
Derjenige, der behauptet, dass in diesem Antrag nichts
Konkretes steht und keine Handlungsfelder benannt sind,
hat ihn wahrscheinlich nicht gelesen oder will es nicht
wahrhaben . Wir müssen uns aber jetzt auf den Weg machen, um auch die Chancen der intelligenten Mobilität zu
ergreifen . Wem es zu umständlich ist, 13 Seiten zu lesen,
dem kann man es etwas einfacher machen:
Erstens . Wir brauchen als Grundlage digitale Infrastrukturen und damit die entsprechende Netzinfrastruktur .
Zweitens . Wir brauchen verkehrsübergreifende Strukturen, was Smart-Data-Nutzung angeht . Sie müssen qualitätsorientiert und interoperabel sein . Es darf nicht mehr
darauf ankommen, wo diese Daten entstehen .
Erst auf dieser Basis werden intelligente Mobilitätsdienste entstehen . Die Große Koalition fängt dabei nicht
bei null an . Wir haben nun einfach das, was im parlamentarischen Raum debattiert wird, in einem Antrag zusammengefasst, und bauen auch auf dem auf, was zum
Beispiel auf nationalen IT-Gipfeln entwickelt worden ist,
auch in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft; denn das
kann man mit der Wirtschaft machen, aber nicht gegen
die Wirtschaft, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({2})
Wir werden die entsprechenden Rahmenbedingungen gestalten . Beide Bereiche stellen große Herausforderungen dar, und wir werden uns anstrengen müssen .
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat das vor
einigen Tagen sehr prägnant beschrieben: Wir werden in
den nächsten zehn Jahren Investitionen von 600 Milliarden Euro brauchen . Er hat im Zusammenhang mit seinem
Modernisierungspakt für Deutschland gesagt, dass allein
100 Milliarden Euro für die intelligente Netzstruktur zur
Verfügung gestellt werden müssen . Das sind ambitionierte Ziele; aber wer möchte, dass wir mehr als 1,7 Prozent Wachstum und mehr als die heute 43,3 Millionen
Erwerbstätigen haben, der muss jetzt investieren, damit
Deutschland vorne bleibt .
({3})
Die intelligente Mobilität ist zentral dafür; denn ein
moderner Industriestaat, in dem Güter produziert werden, muss auch für einen effizienten Transport sorgen.
„Güter“ und „Logistik“ sind als Stichworte in diesem Zusammenhang zu nennen . Wir haben das Handlungsfeld
klar benannt . Ich sage deswegen: Wer 50 Mbit/s als Zwischenziel ansieht, will in Wirklichkeit 500 Mbit/s . Wenn
man eine weitere 5 ergänzen möchte, kann man sagen:
Wir brauchen auch den 5G-Standard . Auch er wird in unserem Antrag als Ziel benannt, nämlich im Handlungsfeld unter Buchstabe d .
Aber man darf Technik nicht allein als technische
Maßnahme begreifen . Es gibt vielmehr noch ein zweites Feld, in dem wir als Staat ebenfalls handeln können,
indem wir nicht nur Investitionen anreizen, sowohl der
öffentlichen Hand als auch privater Investoren - auch
andere Akteure als die öffentliche Hand müssen sich engagieren; die Markteilnehmer müssen sich einbringen -,
sondern wir als Staat auch die Verantwortung wahrnehmen, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen . Dafür haben wir der Regierung ganz klar Unterstützung signalisiert bei dem Vorhaben, internationales
Recht anzupassen und einen europaweit einheitlichen
Rahmen zu schaffen . Es wird nicht nur darum gehen, in
Deutschland die besten Rahmenbedingungen zu haben .
Wir wollen Leitmarkt sein und damit Standards definieren, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die Akteure
in der Wirtschaft die Chance haben, ihre Produkte in einem freien Binnenmarkt, in einem freien Europa und des
Weiteren auf der ganzen Welt anzubieten .
Wir werden auch dafür sorgen müssen, dass es für nationale Anbieter entsprechende Schutzstandards gegenüber außereuropäischen Mitbewerbern gibt . Auch dafür
müssen wir den Rahmen schaffen . Das ist ein weiterer
Aspekt, den wir als Staat beim Setzen der Rahmenbedingungen beachten müssen .
Ich sehe, dass die Zeit abläuft; das ist digital nachgewiesen .
({4})
Deswegen möchte ich zum Schluss kommen und zusammenfassend sagen: Wer behauptet, dass es keinen klaren
Forderungsteil gibt, der hat den Antrag nicht gelesen .
Das Digitale-Straßen-Gesetz ist angesprochen worden;
das haben wir benannt . Wir haben hinsichtlich der internationalen Verhandlungen klare Wegmarken für die
Regierung benannt . Ferner haben wir - diesen Punkt
möchte ich herausstellen - die Standardisierung und die
offenen Schnittstellen als zentrale Herausforderungen
benannt, wenn wir Datensätze entsprechend verfügbar
machen wollen .
Ich will eines nicht verkennen - die TU Dresden hat
das in ihrer Studie, die für das Wirtschaftsministerium
unter Sigmar Gabriel angefertigt worden ist, prägnant zusammengefasst -: Wir wollen nicht, dass das Unfallrisiko
zukünftig durch das Datenrisiko ersetzt wird .
({5})
Das können wir gestalten, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Danke .
({6})
Vielen Dank . - Man sieht, digitale Unterstützungssysteme - um nichts anderes handelt es sich ja bei dieser
Anzeige - können hilfreich sein, auch zur Einhaltung der
Redezeit .
({0})
Als nächste Rednerin hat Daniela Ludwig von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben gestern im Plenum bereits den Jahreswirtschaftsbericht beraten . Wir haben ihm entnehmen können, dass unsere deutsche Wirtschaft auf einem soliden,
gesunden Wachstumskurs ist . Woran liegt das? Das liegt
natürlich zum einen - auch das haben wir gestern schon
feststellen dürfen - daran, dass wir hier im Land gut ausgebildete Fachkräfte haben, dass wir, auch in dieser Großen Koalition, Herr Hartmann, gute politische Rahmenbedingungen geschaffen haben, und dass wir hier solide
Tarifpartnerschaften vorfinden. Aber das liegt natürlich
ebenfalls daran, dass eine gute Infrastruktur nicht nur unser Ziel ist, sondern dass wir in den vergangenen Jahren
in diesem Bereich auch schon viel erreicht haben .
Wenn wir über eine gute Infrastruktur reden, dann
meinten wir in den vergangenen Jahrzehnten immer
Straße, Schiene, Luft und Wasser, also all das, was man
sozusagen befahren und nutzen konnte . Wer sich dem
Fortschritt nicht verweigert und in die Zukunft schaut,
wer Digitalität und Digitalisierung nicht als Bedrohung
sieht, sondern als Chance für den Wirtschaftsstandort
Deutschland, für unsere Jugend, für diejenigen, die bei
uns arbeiten und leben wollen, der muss sich natürlich das ist das Ziel dieses Antrages - auch mit intelligenter
digitalisierter Mobilität auseinandersetzen .
Ich glaube, dass wir es gut schaffen, in dieser Legislaturperiode einen wundervollen Ausgleich zwischen der
Ertüchtigung der Straßeninfrastruktur, der Schienen- und
Wasserwege und des Luftverkehrs und dem Ausbau der
digitalen Infrastruktur hinzubekommen . Es ist deshalb
gut und richtig, dass das Verkehrsministerium auch dafür
zuständig ist . Liebe Frau Staatssekretärin, Sie haben, wie
ich finde, in einem sehr runden Ausblick dargestellt, worum es uns da in den nächsten Jahren gehen muss .
Der Personen- und Warenverkehr ist ja für eine Exportnation existenziell wichtig . Er ist nicht nur auf gute
Straßen angewiesen, sondern wird künftig auch von einer
guten Digitalisierung des Verkehrs in jeglicher Hinsicht
abhängen . Wir sprechen deswegen heute über die digitale Vernetzung von Straße, Schiene, Wasserstraßen und
Luftverkehr . Wir sprechen heute auch darüber, dass es
Fahrassistenzsysteme geben muss, dass wir hochautomatisiertes Fahren voranbringen wollen und dass wir Testfelder geschaffen haben .
Ich kann mich gut daran erinnern: Als es hieß, dass wir
ein Testfeld auf der A 9 machen, ist der eine oder andere
zusammengezuckt und hat plötzlich Roboterautos fahren
sehen und vermutlich ganz fürchterliche Vorstellungen
vor Augen gehabt .
({0})
Jetzt sieht man, wie wichtig dieses Testfeld auf der
A 9 ist, und wie wichtig es ist, dass wir es ausbauen,
und wie wichtig es ist, dass wir versuchen, wie Kollege Jarzombek gesagt hat, nicht nur auf der Autobahn,
sondern auch im innerstädtischen Verkehr die Potenziale dieser Technik zu heben und zu nutzen . Ich glaube,
das zeigt, dass dieses Testfeld richtungsweisend für die
nächsten Jahre, richtungsweisend für den deutschen Verkehr ist . Deswegen haben wir uns in unserem, wie ich
finde, sehr guten und ausführlichen Antrag dazu bekannt,
dass wir weitere Modellregionen ausweisen wollen . Ich
kann heute nur dazu aufrufen, sich Gedanken darüber zu
machen, wo man diese einrichten kann .
({1})
Das dient nicht nur einem besseren, flüssigeren Verkehr, das dient nicht nur der Lärmreduktion, über die wir
uns gestern im Bereich der Schiene so lange unterhalten haben und worauf wir als Koalition, aber auch das
federführende Haus ein ganz großes Augenmerk legen,
sondern das dient natürlich auch dem Umweltschutz .
Deswegen kann ich nicht so ganz verstehen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, dass
Sie es sich so leicht machen und solch miesepetrigen und
ablehnenden Reden halten . Sie haben sich offenkundig
nicht mit unserem mehrseitigen sehr guten Antrag auseinandergesetzt .
({2})
Ich kann nur sagen: Ich bin dem Verkehrsminister sehr
dankbar, dass er den Runden Tisch „Automatisiertes Fahren“ ins Leben gerufen hat und diesen auch weiterführen
wird . Ich bin sehr dankbar für das Forschungsrahmenprogramm „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen
Welt“ . Auch hier sieht man: Wir schauen in die Zukunft,
wir verneinen den Fortschritt nicht, sondern wir stellen
uns ihm, und wir versuchen, für uns und für unsere Kinder und Enkelkinder das Beste daraus zu machen .
Deswegen sage ich: Der Modernitätsfonds und auch
der Projektplan Straßenverkehrstelematik weisen in die
richtige Richtung und haben unsere volle Unterstützung .
Wir als Koalition wollen uns nicht nur auf Regierungshandeln verlassen ({3})
das auch als Antwort auf diejenigen, die sich gewundert
haben, warum es jetzt eine Parlamentsinitiative ist -, sondern wir wollen mitmachen und mitgestalten .
Wir danken für die gute Zusammenarbeit mit allen
beteiligten Ministerien . Ich glaube, wir haben sehr viel
vor uns, um dieses weite Feld zu erschließen . Ich freue
mich auf die weitere Zusammenarbeit und auf weitere
gute Ideen, die wir als Koalition auf jeden Fall gerne einbringen werden .
Danke schön .
({4})
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Annette Sawade von der SPD-Fraktion spricht als
letzte Rednerin in dieser Debatte .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebes Publikum auf der Tribüne! Vieles wurde von den Kolleginnen und Kollegen bereits
zum Thema „Intelligente Mobilität fördern“ gesagt . Ja,
es stimmt: Wir haben allein im letzten Jahrzehnt einen
technischen - präziser: einen digitalen - Wandel erlebt,
der weitreichender und umfassender ist als die vielen
technischen Innovationen zuvor . Der Einzug des Fernsehgerätes in die Wohnzimmer unserer Nation in den
50er-Jahren war für die Gesellschaft offenkundig nicht
so komplex und in allen Lebensbereichen wirksam wie
die Verbreitung des Internets und der Digitalisierung im
20 . und 21 . Jahrhundert .
Wir reden heute über fünf Trends, die unsere Gesellschaft prägen: Globalisierung, demografischer Wandel,
Urbanisierung, Nachhaltigkeit und Ressourcenknappheit . Unser Antrag „Intelligente Mobilität fördern“
zeigt im Bereich der Mobilität Lösungsfelder auf: die
Digitalisierung der Verkehrssysteme, die dazu notwendige Weiterentwicklung der Technik und flexibles Management . So weit die Theorie . Aber wir, Politik und
Industrie, wollen und müssen jetzt auch praktisch tätig
werden . Da gibt es auf allen Gebieten Handlungsbedarf .
Ich beschränke mich heute auf das Beispiel Schienengüterverkehr .
Bei der Mitgliederversammlung des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen in dieser Woche wurde daran erinnert, welche letzten Innovationsdurchbrüche es
im Schienengüterverkehr bei der Bahn gab: 1903 kam
die durchgehende Druckluftbremse bei Güterzügen zum
Einsatz . Ab 1911 wurde dann auf elektrische Traktion
umgestellt . Diese ist übrigens bis heute noch nicht zu
100 Prozent umgesetzt .
Was ist in den nächsten 100 Jahren zu tun? Das Güterverkehrsaufkommen in Deutschland und Europa steigt
und führt bereits heute zu Infrastrukturengpässen . Zugleich aber sollen Verkehr und Logistik nachhaltiger und
energieeffizienter sein. Das passt nur zusammen, wenn
es ein Umdenken und Umlenken in der gesamten Konzeption gibt .
Es ist schon lange unser erklärtes politisches Ziel und
auch Inhalt des Koalitionsvertrages, mehr Güter auf die
Schiene zu bekommen . Dazu müssen die Ressourcen
dieses Transportweges besser und effizienter genutzt
werden als bisher . Leerfahrten, Wartezeiten, Lärm und
nationale Sonderbestimmungen sollten der Vergangenheit angehören . Wie könnte das gehen?
Eine Lösung wäre autonomes Fahren beim Rangieren
von Güterzügen und später eine Ausweitung auf den Personenverkehr . Im Nahverkehr gibt es diese Züge bereits;
mein Kollege Rimkus hat es bereits erwähnt . Allerdings
wollen wir - das bitte ich zu beachten - oberirdisch bleiben und nicht überirdisch werden, wie im Antrag leider
falsch formuliert .
({0})
Es sind die geltenden Gesetze zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen . Darüber hinaus gibt es einen
enormen Bedarf an einer einheitlichen Regelung von
Sicherheitstechnik . Allein rund 20 verschiedene Zugsicherungssysteme gibt es in der EU . Unser Schienengüterverkehr bewegt sich aber nun einmal nicht nur in
Deutschland, sondern über die Grenzen europaweit hinweg .
Der intelligente Güterwagen von morgen sollte mit einem System ausgestattet sein, das Daten ermittelt, speichert und verarbeitet . Diese Intelligenz setzt allerdings
Kommunikationsplattformen voraus, die einwandfrei
und schnell funktionieren, Stichwort „Mobilfunk 5G“ .
Ohne ein System, das EU-weit sicher und verbindlich
funktioniert, brauchen wir über Innovationen wie zum
Beispiel fahrerlose Züge gar nicht zu reden .
Ein kleines Beispiel: In der westaustralischen Pilbara-Region gibt es ein interessantes Projekt . Die Firma Rio
Tinto setzt dort seit letztem Jahr autonome Züge - zum
Teil mit über 300 Wagen pro Zug - für den Transport von
Eisenerz ein . Überwacht wird das Ganze im 1 500 Kilometer entfernten Perth . Die gesamte Strecke bis zu den
Häfen im Nordwesten wurde digital aufgerüstet; Bahnübergänge wurden mit aufwendiger Überwachungstechnik ausgestattet . Natürlich können wir die Lösungen in
Australien und den USA nicht mit unseren Gemischtverkehren in Deutschland vergleichen . Aber gerade deshalb
sind hier beste IT-unterstützte, intelligente und flexible
Systeme gefragt .
Auch die Berufsbilder in der Branche werden sich
wandeln . Dabei müssen wir Politikerinnen und Politiker jedoch auch die Menschen und ihre Arbeitsplätze
im Blick behalten . Deshalb dürfen wir Forschungseinrichtungen nicht abbauen . Wir müssen sie aufbauen und
dringend dafür werben, dass sich unsere Jugend für eine
Ausbildung als Ingenieurin oder Ingenieur entscheidet .
Das richtet sich auch an die jungen Menschen hier auf
der Tribüne .
({1})
In Sachen „technisch Innovation“ gäbe es viel aufzulisten: besserer Informationsaustausch zur Bündelung
von Transporten, durchgängige Elektrifizierung vom
Start bis zum Ziel, Multimodalität oder elektronische
Prüf- und Zulassungsverfahren für mehr Effizienz, mehr
Kapazität, mehr Flexibilität und auch weniger Kosten vorausgesetzt, sie werden entwickelt und kommen zum
Einsatz .
Wir brauchen den intelligenten Güterwagen und
eventuell auch einen Masterplan zur Stärkung des Güterverkehrs, die Schiene 4 .0 . Wir müssen die intelligente
Mobilität vorantreiben, weil wir sie brauchen, um effizienter und umweltschonender transportieren zu können .
Wir sind schon mittendrin; aber wir werden und müssen
weiterentwickeln, ausprobieren und vor allem umsetzen .
Ich schließe mit dem ersten Satz unseres Antrags:
Die Zukunft der Mobilität in der Digitalen Gesellschaft hat bereits begonnen .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7362 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf .
Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft - Damit Herkunft nicht
über Zukunft bestimmt
Drucksache 18/7049
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist auch das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Wenn die Kolleginnen
und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben, kann
auch der erste Redner in der Debatte beginnen . - Erster
Redner in der Debatte ist Özcan Mutlu von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Geburtsurkunde steht Kevin, Sevtap, Ludwig oder
Marie . Auf dem Papier sind sie alle gleich, in der Kita
auch noch, aber danach nicht mehr . Wahrscheinlich muss
Kevin doppelt so gute Noten haben wie Ludwig, um Abitur machen zu können . Ob Sevtap eine Chance auf die
Ausbildung zur technischen Produktdesignerin bekommen wird, auch wenn sie sich mit dem gleichen Notendurchschnitt wie Marie bewirbt, steht in den Sternen .
Wie erklären Sie sich, dass Deutschland als wohlhabendes Land es nur selten schafft, die Kinder unabhängig
von ihrer Herkunft zum Erfolg zu bringen? Wir halten
das für problematisch .
({0})
Bildungsgerechtigkeit ist nach wie vor die Achillesferse
des deutschen Bildungssystems . Das leidige Kooperationsverbot verfestigt diesen Missstand von Generation zu
Generation . Wir sagen: Damit muss Schluss sein!
({1})
Wir sagen: Alle jungen Menschen, die hier leben, die
in unserem Land aufwachsen, haben ein Recht auf gute
Bildung . Wir müssen unsere Bildungsinstitutionen nicht
nur fit für die Zukunft, sondern auch fit für die Einwanderungsgesellschaft machen . Die Fehler der strukturellen
Nichtintegration der Gastarbeitergeneration dürfen wir
heute nicht wiederholen .
({2})
Sonst drohen uns hierzulande in wenigen Jahren französische Verhältnisse, die keiner in diesem Saal haben
möchte . Gute Bildung ist meiner Ansicht nach nämlich
auch eine Investition in die Sicherheit unseres Landes
und in ein friedliches Zusammenleben .
({3})
Es ist daher unser aller Pflicht, alle jungen Menschen, inklusive der Geflüchteten, bestmöglich in unser Bildungssystem zu integrieren und ihnen bestmögliche Chancen
zu bieten .
({4})
Bereits vor den aktuellen Herausforderungen durch
die Geflüchteten investierte unser Land zu wenig in Bildung . Das haben uns etliche Studien mehrfach attestiert .
Für mich lautet daher die Frage: Wie kann der potenteste
Geldgeber, der Bund, bei dieser wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe mit anpacken, anstatt sich einen schlanken
Fuß zu machen?
({5})
Koordinierungsstellen für Geflüchtete sind sicherlich
als erste Maßnahme ein richtiger Schritt . Das ist unseres Erachtens aber noch lange nicht ausreichend . Gerade
angesichts der großen Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund - das sind ein Drittel der unter Sechsjährigen in unserem Land - muss interkulturelle Bildung eine
Schlüsselkompetenz vor allem für unsere pädagogischen
Akteure sein .
({6})
Die Vielfalt der Lebensrealitäten und der Lebenswelten der Kinder muss sich unbedingt in den Rahmenplänen
und in den Schulbüchern abbilden . Gleiches gilt für die
Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer . Der Handlungsbedarf ist groß, wie die „Schulbuchstudie Migration und
Integration“ der Bundesregierung gezeigt hat . Auch heute noch sind die Darstellungen in vielen Schulbüchern
tendenziös, überholt und bedienen Stereotypen . Wir sagen: Auch hier haben wir einen großen Handlungsbedarf .
({7})
Meine Damen und Herren, nicht erst seit den aktuellen Entwicklungen - im letzten Jahr sind circa 1 Million
Menschen nach Deutschland geflüchtet, wie Sie wissen - ist die Integration von allen Menschen in unser Bildungssystem enorm wichtig und unabdingbar . Wir sagen
daher als Grüne: Statt über unsinnige und gesetzeswidrige Obergrenzen zu diskutieren, brauchen wir jetzt eine
konsequente und sofortige Bildungsoffensive; denn Bildungspolitik ist Integrationspolitik .
({8})
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert einen Masterplan für Integration auf Bundesebene .
Schließlich findet Integration vor Ort statt: in den Städten, Gemeinden und Kommunen; diese dürfen wir bei
dieser Mammutaufgabe nicht alleine lassen .
Das ABC der Integration ist meiner Ansicht nach Integration in Arbeit, in Bildung und in Chancengerechtigkeit . Daher muss dieser Masterplan langfristig sowohl
inhaltlich als auch finanziell aufzeigen, welche konkreten Maßnahmen und Schritte einzuleiten sind, um Integration für alle insbesondere in Bildung und Arbeit zu
ermöglichen und zu fördern .
({9})
Deshalb fordern wir von dieser Bundesregierung und
von der amtierenden Koalition - hierbei sehe ich gerne
in die Richtung der SPD -: Sorgen Sie mit dafür, dass wir
endlich eine Bildungs- und Integrationsoffensive starten,
statt nur immer darüber zu reden!
({10})
Wenn Sie schon nicht auf uns hören, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dann hören Sie
wenigstens auf die Wirtschaft . Wirtschaftsforscherinnen
und -forscher haben erst jüngst erklärt, dass in der aktuellen Situation die Investition in eine Bildungsoffensive
höchste Priorität haben muss. Das finden wir Grüne auch.
Am Geld sollte es nicht scheitern . Schließlich haben wir
einen Überschuss von 12 Milliarden Euro .
({11})
Unser Antrag zeigt detailliert auf, was dringend zu tun
ist . Ich kann nur an Ihre Vernunft appellieren: Stimmen
Sie unserem Antrag zu, damit wir bei dieser wichtigen
Aufgabe an einem Strang ziehen!
({12})
Die Gesamtinvestitionen für eine Bildungsoffensive
in eine gute Zukunft für alle in unserem Land liegen bei
circa 6 bis 10 Milliarden Euro pro Jahr . Dieses Geld geht
nicht verloren . Im Gegenteil: Es sichert die Zukunft und
ist auch eine Investition in die Gegenwart . Es ist ein Konjunkturprogramm ohnegleichen . Lassen Sie uns deshalb
hier an einem Strang ziehen . Deutschland muss sich eine
Bildungsoffensive nicht nur leisten; sie muss sie auch
dringlich durchführen - für heute, für die Zukunft und im
Interesse der Kinder und Jugendlichen, und zwar unabhängig von ihrer Herkunft .
({13})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Cemile
Giousouf von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Mutlu, im Moment erleben
wir, dass sich die europäische Staatengemeinschaft mit
einer Bevölkerung von 508 Millionen Menschen weigert,
eine Anzahl von circa 1,5 Millionen Flüchtlingen in ihren
Ländern aufzunehmen und zu versorgen, und das liegt
nicht an Deutschland . Sie zeichnen in dieser Debatte ein
Bild, das eine Untergangsstimmung weckt . Dieses Bild
ist nicht nur falsch, sondern geht komplett an den Realitäten unseres Landes vorbei .
({0})
Deutschland ist ein Einwanderungsland . Wir beschulen nicht erst seit dem Jahr 2015 Flüchtlingskinder, und
die Integration von Deutschen mit einer Einwanderungsgeschichte ist besser als ihr Ruf . Wir sehen das an den
Folgegenerationen der Einwanderer, ob es die Aussiedler,
die Gastarbeiter oder Kriegsflüchtlinge sind. Sie haben
ihre Elterngeneration überholt . Insbesondere die Mädchen weisen erfolgreiche Schul- oder Berufsabschlüsse
vor . Auch die Anzahl der Studierenden mit einer Einwanderungsgeschichte an Hochschulen nimmt zu . Die
Migranten und ihre Kinder sind im Bildungswesen und
auf dem Arbeitsmarkt zwar immer noch nicht gleichgestellt - das ist wahr -; aber der Trend geht nach oben, und
das zeichnet unser Bildungs- und Ausbildungssystem in
Deutschland aus . Die Integrationspolitik in diesem Land
ist ein Erfolg .
Vor dem Hintergrund der Neuzuzügler müssen wir uns
zu Recht die Frage stellen, ob das, was wir bislang an
Strukturen haben, tatsächlich ausreicht . Ja, unsere Lehrer
brauchen eine stärkere interkulturelle Kompetenz, und
auch die Geschichte der Einwandererkinder muss Einzug
in unsere Schulen halten .
({1})
Sie müssen gemeinsam lernen, dass die Gastarbeitergeneration dieses Land mit aufgebaut hat,
({2})
dass es vor hundert Jahren Syrer waren, die den verfolgten Armeniern Schutz gewährten, dass es Marokko war,
das im 11 . Jahrhundert Juden Schutz gewährte, und dass
vom 8 . bis zum 16 . Jahrhundert Christen, Muslime und
Juden in Andalusien friedlich zusammenlebten .
({3})
Dieses unser gemeinsames Erbe ist die Grundlage dafür, dass wir Menschen zu selbstbewussten Demokraten erziehen . Jeder in diesem Land soll stolz auf seine
Herkunft sein dürfen und gleichzeitig stark genug, um
unmissverständlich Demokratie und Menschenrechte zu
verteidigen, unabhängig davon, ob es sich um seine eigenen oder die eines anderen handelt .
({4})
Sie müssen lernen, dass sie alle, die sie in diesem Land
leben, die Verantwortung für die Geschichte Deutschlands haben, egal ob sie eingewandert oder hier geboren sind, und dieser Verantwortung auch gerecht werden
müssen . Wir müssen starke Persönlichkeiten in unseren
Schulen erziehen, die den Rattenfängern des islamistischen Terrorismus genauso entgegentreten können wie
den Rattenfängern rechtsextremer Gruppen .
({5})
Aber was haben wir bislang alles auf den Weg gebracht, um diese Zukunft zu sichern? Das Bildungsministerium ist das Schlüsselministerium für Integration .
({6})
Mit dem Anerkennungsgesetz wurden die Weichen für
die Integration von ausländischen Fachkräften in den Arbeitsmarkt ermöglicht, und das eben nicht erst seit dem
Zuzug der Flüchtlinge . Es gibt noch Nachholbedarf bei
der Ausbildung Jugendlicher; das stimmt . Diese Analyse
ist für uns nichts Neues, lieber Herr Mutlu . Daran arbeiten wir mit unseren KAUSA-Servicestellen . Mit der Initiative Bildungsketten unterstützen wir Schülerinnen und
Schüler, indem wir sie im Übergang von der Schule in
den Beruf begleiten .
Es ist schade, dass das Avicenna-Studienwerk, die Begabtenförderung für muslimische Studierende und die Islamische Theologie an Hochschulen, womit Deutschland
einzigartig in Europa dasteht, in Ihrem Antrag nicht mit
einem Wort Erwähnung finden.
({7})
An diesen Hochschulen werden Islamkundelehrer und
Imame ausgebildet,
({8})
die in unseren Schulen und den Religionshäusern als
Lehrer und Seelsorger arbeiten werden .
Das alles zeigt, dass die CDU/CSU-Fraktion bei der
Bewältigung der großen Integrationsaufgabe auf keine
Schnellschüsse setzt, sondern auf Strukturen
({9})
wie auch unsere Integrationskurse und die berufsbezogene Sprachförderung .
({10})
Zwei Maßnahmenpakete für die Integration von
Flüchtlingen hat unsere Bundesministerin Wanka im
Herbst 2015 vorgestellt; das haben Sie vielleicht mitbekommen . Das erste Paket konzentriert sich auf den
Erwerb der deutschen Sprache sowie den Zugang zur
beruflichen Bildung. Damit Flüchtlinge ein Studium
aufnehmen können, brauchen sie Beratung, sprachliche
Vorbereitung und fachliche Unterstützung . Genau hier
greifen die Maßnahmen des zweiten Paketes . Mehr als
230 Millionen Euro insgesamt stellt das BMBF für diese
Integrationshilfen in den nächsten Jahren zur Verfügung .
Auch dazu findet sich in Ihrem Antrag keine Zeile.
Seitens der Unionsfraktion wurde im Dezember 2015
ein von der AG Bildung und Forschung erarbeitetes und
mit den Innenpolitikern abgestimmtes Konzept auf unseren Seiten veröffentlicht . Es wäre besser gewesen, wenn
Sie vor Erstellung Ihres Antrages einen Blick darauf geworfen hätten . Im Vergleich zu Ihrem Wünsch-dir-wasKatalog stehen da nämlich konkrete Punkte, die auch
umsetzbar und realistisch sind .
({11})
Sei es drum . Gehen wir die einzelnen Punkte Ihres Antrags einmal durch .
Ihre Hauptforderung nach Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich ist altbekannt .
({12})
Doch schon heute engagiert sich der Bund in der Bildung
finanziell so stark und umfassend wie nie zuvor: Stichwort „Hochschulpakt“, Stichwort „Qualitätsoffensive
Lehrerbildung“, Stichwort „Qualitätspakt Lehre“, Stichwort „vollständige Übernahme der BAföG-Finanzierung
durch den Bund“ .
Dann fordern Sie die Erleichterung des Zugangs zum
Arbeitsmarkt für Flüchtlinge . Diese Forderung ist gut;
sie kommt nur zu spät . Bereits im September 2015 hat
das BMBF ein erstes Maßnahmenpaket für Flüchtlinge
vorgestellt
({13})
- ich kann es Ihnen nicht ersparen; wenn Sie immer wieder die gleichen Anträge stellen, dann müssen Sie sich
auch immer wieder die Antworten anhören -,
({14})
bei dem der Erwerb der deutschen Sprache sowie die Integration in Ausbildung und Beruf im Mittelpunkt stehen .
Kommen wir zur Forderung nach Schaffung von Sicherheit für junge geflüchtete Menschen in der Ausbildung . Durch die Neuregelung des am 1 . August 2015 in
Kraft getretenen Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts wurde hier bereits Rechtssicherheit geschaffen .
({15})
Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, schafft Planungssicherheit, und zwar sowohl für die betroffenen
Auszubildenden als auch für die Ausbildungsbetriebe .
Wir sollten aufhören, den Handwerksmeistern vor Ort
Angst zu machen,
({16})
ihre Schützlinge könnten in der Ausbildung abgeschoben
werden . Dem ist ein Riegel vorgeschoben .
({17})
Zu Ihrer Forderung nach schnellerem Zugang zum
BAföG für Geflüchtete. Notieren Sie es sich bitte noch
einmal: Die Koalition hat bereits dafür gesorgt, dass
Inhaber bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel nicht
mehr eine Vierjahresfrist abwarten müssen . Sie können
bereits nach 15 Monaten die Unterstützung beantragen .
Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Insgesamt sind
80 Prozent Ihrer Forderungen bereits erledigt . Wenn Sie
schon nicht auf unsere Fraktionsseite schauen, dann werfen Sie zumindest einen Blick ins Bundesgesetzblatt .
({18})
So aber müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, in
den Chor derer einzustimmen, die behaupten, die Integrationspolitik der letzten Jahre sei gescheitert . Sie machen es nur von einer anderen, sympathischeren Seite .
Die anderen sagen, wir sollten gar nichts mehr machen,
und sie wollen einfach mehr Geld reinblasen . Beides ist
falsch . Deutschland ist gut aufgestellt .
({19})
Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung, dass das BMBF und auch ganz persönlich Ministerin Johanna Wanka dieses Thema mit einer großen
Ernsthaftigkeit behandeln, wie ich sie mir von allen politischen Akteuren wünschen würde .
({20})
Diese Konzentration auf das Wesentliche sollte stilbildend sein und hätte möglicherweise auch Ihrem Antrag
gutgetan .
Das Einwanderungsland Deutschland ist zuversichtlich .
({21})
Seien Sie es auch!
Herzlichen Dank .
({22})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Rosemarie
Hein von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! - Vielen Dank, Herr Mutlu . Ich gebe
aber zu, dass es mir heute ein bisschen schwerfällt, über
diesen Antrag zu reden, in dem es um Kinder und Jugendliche geht, nachdem letzte Nacht die Koalition ihren
Asylkompromiss beschlossen hat .
({0})
Es ist ein schwarzer Tag zumindest für jene Familien, die
darauf warten, zu ihren Angehörigen nach Deutschland
ziehen zu können . Und das beschließt eine Koalition, die
ständig den Wert von Familie hochhalten will. Ich finde,
das ist ein Armutszeugnis .
({1})
Nach einer UNICEF-Studie aus dem Jahr 2014 sind
70 Prozent der asylsuchenden Kinder und Jugendlichen
unter zehn Jahre alt . Das sieht bei denen, die derzeit auf
Familiennachzug warten, ganz sicher nicht anders aus .
Kinder brauchen ihre Familien . Welches Recht haben
wir, ihnen das zu verweigern? Keines .
({2})
Nun haben Sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen, um auszuhandeln, wie es gelingen kann, Asylsuchende davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen .
Bei der Frage einer besseren Integration und eines besseren Bildungszugangs waren Sie nicht so erfolgreich . Das
aber wäre wichtiger gewesen;
({3})
denn weder der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz noch
die Durchsetzung der Schulpflicht ist heute in den meisten Bundesländern zeitnah gesichert .
({4})
Aber alle Kinder haben die gleichen Rechte, egal wo sie
geboren sind .
({5})
Darum finde ich es richtig, dass der Antrag der Grünen
die Bildungsfrage umfassend angeht . Denn nur ein gutes
und gut ausgestattetes Bildungssystem wird für alle Kinder und Jugendlichen gleiche Bildungschancen ermöglichen, und nur ein gut ausgestattetes Bildungssystem wird
die große Integrationsaufgabe leisten können .
Aber das bundesdeutsche Bildungssystem ist nicht
gut darauf vorbereitet . Im Antrag sind fast alle Fakten
benannt, und wir unterstützen auch die allermeisten Forderungen. Weitere finden Sie in unserem Antrag „Gleicher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete“ vom September des vergangenen Jahres . Davon ist noch nichts
überholt . Zum Beispiel haben wir darin etwas ausführlicher die Forderung erhoben, die interkulturelle Bildung
als Bestandteil in die Lehrerbildung aufzunehmen . Des
Weiteren haben wir eine stärkere Integration des Faches
Deutsch als Zweitsprache gefordert .
({6})
Etwas kritisch sehen wir die Hoffnung auf Institutionen wie Jugendberufsagenturen . Da sind wir skeptisch,
zumal wenn sie nicht anders funktionieren als Jobcenter
für Jugendliche .
Auf einen Punkt möchte noch etwas umfassender eingehen . Die Grünen fordern in ihrem Antrag die gesetzliche Verankerung eines Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz in Kitas oder Tagespflege. Diese Forderung
teilen wir, und das seit Jahren . Wir wissen, wie schlecht
es um Ganztagsplätze im Bereich der Kinderbetreuung
bestellt ist, und zwar bundesweit und am allermeisten im
Westen .
Ich erinnere mich an die Topmeldung der Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres: Bundesprogramm
„KitaPlus“. Ich finde, es ist das falsche Signal. Möglicherweise wird es manchen Eltern und Familien als eine
Lösung erscheinen, dass nun Betreuung in Randzeiten,
Wochenendbetreuung und notfalls auch eine 24-Stunden-Betreuung in Kitas möglich sind . Aber können Sie
sich ernsthaft vorstellen, Ihr Kind zum Schlafen in die
Kita zu bringen? Ich nicht!
({7})
Wieso eigentlich soll sich der Lebensrhythmus der Kinder an den Arbeitszeiten der Eltern orientieren? Eine kinderfreundliche Gesellschaft würde das genau andersherum machen . Deshalb hätte ich es gut gefunden, wenn
Sie statt dieses Programmes einen Rechtsanspruch auf
ganztägige Betreuung im Gesetz verankert hätten - diese
Möglichkeit besteht -, wie es die Länder Sachsen-Anhalt
und Thüringen getan haben . Dort gibt es einen Anspruch
auf zumindest bis zu zehn Stunden; in anderen Ländern
gibt es das nicht . Dies wäre das richtige Signal gewesen,
um die Randbetreuungszeiten besser abzudecken und
damit auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu
verbessern . Das ist der Weg, den wir gehen müssen . Man
sollte seine Kinder nicht dann abgegeben müssen, wenn
man gerade im Schichtdienst ist .
({8})
- Hören Sie bis zum Ende zu! - Des Weiteren muss
man einen Rechtsanspruch verankern, wonach Eltern,
die Kinder in einem gewissen Alter erziehen, das Recht
haben, ihre Arbeitszeit entsprechend zu gestalten . Damit
könnten Sie die allermeisten Fälle tatsächlich lösen .
({9})
- In einigen wenigen Fällen geht das nicht. Da findet man
dann andere Lösungen . - Mit dem, was Sie jetzt machen,
senden Sie das Signal aus: Wir sorgen dafür, dass Eltern
verfügbar sind, wann immer das Unternehmen sie benötigt, und die Kinder entsprechend betreut werden . - Das
halten wir für grundsätzlich falsch .
Ich glaube, dass wir an dieser Stelle noch viel zu diskutieren haben . Gerade an diesem Punkt wird deutlich,
dass es noch nicht im Bewusstsein ist, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ein Rechtsanspruch auf
frühkindliche Bildung ist und nicht auf die Aufsicht in
Abwesenheit der Eltern .
Herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Karamba
Diaby von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Werte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herkunft
darf nicht über Zukunft bestimmen . Weder der elterliche
Geldbeutel noch die vielfältigen eigenen oder familiären
Wurzeln dürfen zu Fesseln werden .
({0})
Herkunft darf kein Stigma sein . Die sozialdemokratische
Idee hat sich immer am emanzipatorischen Wert von Bildung orientiert: Bildung zur Entfaltung der Persönlichkeit und Aufstieg durch Bildung . Dieser Weg soll für alle
offen sein .
({1})
Wir sind ein Einwanderungsland . Wir sind vielfältig . Das
ist gut so . Da wir eine Einwanderungsgesellschaft sind,
muss diese Alltagsrealität von allen gesellschaftlichen
Einrichtungen nachvollzogen werden, auch von unseren
Bildungseinrichtungen .
Es hat sich schon viel in diesem Land bewegt - die
Grünen haben das wahrscheinlich nicht mitbekommen -:
({2})
mehrsprachige Kitas und Schulen; Lernbegleiter, die Geflüchteten beim Spracherwerb helfen; Schulsozialarbeiter; interkulturelle Öffnung der Bildungseinrichtungen
und mehr vielfältiges Lehrpersonal . - Frau Präsidentin,
die Lampe für die Zeit blinkt . Das irritiert mich ein bisschen .
({3})
In dieser Debatte ist mir Folgendes wichtig: Hierzulande gilt die Schulpflicht für jedes Kind, gleichwohl
ob es in einem Krankenhaus in Halle-Neustadt oder in
Palmyra geboren wurde . Deswegen ist es gut, dass viele Kommunen und Länder die Beschulung aus den Notunterkünften heraus stemmen . Lassen Sie uns nicht die
gleichen Fehler wie mit der sogenannten Gastarbeitergeneration und ihren Familien wiederholen .
({4})
Viele, die zu uns geflüchtet sind, bleiben erst einmal hier.
Wir müssen die Weichen stellen, damit die Kinder zur
Schule gehen, ihre Ausbildung absolvieren oder ihr Studium aufnehmen können .
({5})
- Die Regierung hat sehr viele Weichen gestellt - das
wissen Sie ja auch -,
({6})
die Weichen dafür, dass die geflüchteten Frauen und
Männer schnell in Arbeit kommen .
An dieser Stelle appelliere ich auch an meine Kolleginnen und Kollegen der CSU: Kehren Sie bitte zurück
zur Sacharbeit! Lassen Sie uns das Asylpaket II umsetzen, und stellen Sie Ihren Überbietungswettbewerb in
irreführenden Forderungen ein! Gestern haben sich die
Parteichefs geeinigt . Die Menschen in diesem Land erwarten von uns, dass wir jetzt das umsetzen, was wir beschlossen haben .
({7})
Nun zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen . Mich stört, dass Sie in Ihrem Antrag den
Eindruck erwecken, als müsste das Rad neu erfunden
werden . Dabei leistet diese Bundesregierung schon sehr
viel .
({8})
Im Antrag fordern Sie zum Beispiel die Verbesserung der
frühkindlichen Bildung . Ja, das ist eine sehr gute Idee .
Dabei übersehen Sie aber, was unsere Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig bereits alles in Gang gebracht hat . Der Bund investiert weiter sehr stark in Infrastruktur und Qualität der Kitas . Allein 2015 haben
wir knapp 1 Milliarde Euro ausgegeben . Hinzu kommen
künftig noch die Mittel aus dem Betreuungsgeld, die wir
auch in diesem Bereich einsetzen . Diese Maßnahmen
sind gut für die Kinder .
({9})
Meine Damen und Herren, darüber hinaus will die
SPD die Länder und Kommunen dabei unterstützen, weitere 80 000 Kitaplätze und 20 000 zusätzliche Stellen für
Erzieherinnen und Erzieher zu schaffen . Sie sehen, liebe
Grüne: Allein in diesem Bereich passiert schon so viel .
Oder schauen Sie doch einmal in den Hochschulbereich . Bereits im Dezember hat das Bundesbildungsministerium viele Maßnahmen auf den Weg gebracht,
um potenziellen Studierenden den Hochschulzugang
zu erleichtern . Der DAAD unterstützt die Hochschulen
dabei, vorhandene Kompetenzen und Qualifikationen
festzustellen oder auch die Sprachkenntnisse dieser Menschen zu verbessern . Und nicht zuletzt: Wir unterstützen
studentische Initiativen, die sich für die Geflüchteten
engagieren . Allein in diesem Jahr stehen für diese Maßnahmen im Hochschulbereich sage und schreibe 27 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung .
({10})
Lassen Sie mich kurz auf das Thema Kooperationsverbot eingehen . Die SPD steht bekanntermaßen dafür
ein, dass das Kooperationsverbot aufzuheben ist . Das ist
ein langfristiges Ziel . Das würde einiges vereinfachen,
und der Bund könnte die Länder und Kommunen besser
im Bildungsbereich unterstützen . Das ist unsere Meinung . Kurzfristig setzen wir aber darauf, in Abstimmung
mit den Ländern gezielt einzelne Bereiche zu fördern .
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir Schulsozialarbeit
oder Integrationsarbeit an Schulen über ein Programm
stärken .
({11})
Wir plädieren deshalb für einen Aktionsplan „Bildung“ .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung zur Entfaltung der Persönlichkeit und Aufstieg durch Bildung:
Dieser Weg soll für alle offen bleiben . Lassen Sie uns
gemeinsam daran arbeiten!
Danke schön .
({12})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Uda Heller
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die
Grünen, Ihr Antrag ist ein breit gefächertes Potpourri von
unspezifischen Forderungen, zahlreichen Vorschriften
und vor allem von dem Verlangen nach mehr Geld . Hier
werden Sie Ihrem Ruf als „Vorschriftenpartei“ erneut gerecht .
({0})
Im Gegensatz zu Ihnen setzt die CDU/CSU-Fraktion
nach wie vor auf das Vertrauen in eine eigenverantwortliche Gesellschaft .
Am meisten wundere ich mich über Ihre Aussage,
dass Deutschland es angeblich jahrelang versäumt hat,
Geld in Bildung zu investieren .
({1})
Ich frage mich, ob Sie unsere Haushaltsdebatten vom November schon wieder vergessen haben . Ich kann Ihnen
die Zahlen noch einmal in Erinnerung rufen: Für 2016
haben wir den Bildungs- und Forschungsetat nochmals
um weitere 1,13 Milliarden Euro auf insgesamt 16,4 Milliarden Euro erhöht .
({2})
Das zeigt doch eindrücklich, welchen besonderen Stellenwert Bildung für uns hat .
Doch ich gebe zu, es gibt auch Punkte, bei denen wir
übereinstimmen . Deutschland ist ein Einwanderungsland .
({3})
Und ja - das haben viele Kolleginnen und Kollegen vorher auch gesagt -, die Integration erfolgt am besten über
Bildung . Es ist richtig, dass der Spracherwerb ein wichtiger Schlüssel für eine erfolgreiche Integration ist .
Wir alle sind uns darüber einig, dass die Flüchtlingsbewegung für Deutschland und Europa zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt . Aber sie birgt auch
Chancen, und die sollten wir nutzen .
({4})
Es ist unsere Aufgabe als Bildungspolitiker, Rahmenbedingungen zur Deckung des Fachkräftebedarfs zu schaffen . Daher sollten wir die Potenziale der Zuwanderung
nutzen und eine erfolgreiche Integration über Bildung
und Beschäftigung unterstützen .
({5})
Aber das haben wir schon lange vor Ihrem Antrag erkannt, Herr Mutlu .
({6})
Daher werden wir in den nächsten Jahren rund
130 Millionen Euro zusätzlich investieren, um die zentralen Ziele umzusetzen . Erstens: Spracherwerb . Zweitens:
Anerkennung von Kompetenzen und Potenzialen . Drittens: Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt .
Ich kenne so viele Kooperationspartner aus allen Bereichen, die sich gemeinsam für den Erfolg dieser Ziele
starkmachen, beispielsweise die Volkshochschulen, die
Stiftung Lesen mit ihren Sprachprogrammen, die Servicestelle Bildungsketten, das KAUSA-Netzwerk, das
Programm „Kultur macht stark“ in den Kommunen, die
Transferagenturen mit den Bildungskoordinatoren, aber
auch die Bildungszentren, die Hochschulen mit den Studienkollegs oder auch die Wirtschafts- und Handwerkskammern mit ihrem Aktionsprogramm „Ankommen in
Deutschland - Gemeinsam unterstützen wir Integration!“ . Nicht zuletzt sollten wir die vielen ehrenamtlichen
Engagierten nicht vergessen, die beispielsweise im Rahmen des Programms „Menschen stärken Menschen“ unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unterstützen .
Ich weiß das, weil ich in engem Kontakt zu Kooperationspartnern in meiner Region stehe . Beispielsweise
war ich im Bildungs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer Halle . Das ist eines der größten und vielseitigsten Bildungszentren des Handwerks mit 15 000
kammerzugehörigen Betrieben und mehr als 700 Plätzen
für eine gewerblich-technische Ausbildung . Das BTZ
nimmt als einziges Bildungszentrum in den neuen Bundesländern an einem Pilotprojekt für junge Flüchtlinge
teil . Aktuell werden dort junge Menschen aus Syrien und
Eritrea mithilfe einer Sozialpädagogin und eines Ausbilders auf das Erwerbsleben vorbereitet .
Nach der Kompetenzfeststellung und einer dreimonatigen Schulung im Bildungszentrum konnten bereits
alle in ein Praktikum vermittelt werden - bitte hören Sie
zu! -,
({7})
um dann fit genug zu sein, im August dieses Jahres eine
Berufsausbildung zu beginnen . Die Schulungen wurden
bereits begonnen, als der Sprachunterricht noch nicht abgeschlossen war . Denn man hat schnell festgestellt, dass
sich innerhalb kürzester Zeit die Sprachkenntnisse durch
den alltäglichen Austausch mit deutschen Jugendlichen
deutlich verbessert haben .
Machen diese Beispiele und die vielen anderen Programme, die es bereits überall gibt, nicht deutlich, dass
die Integration von Flüchtlingen durchaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und auch so wahrgenommen wird?
({8})
Meine Damen und Herren, ich finde, all diese Anstrengungen haben unsere Anerkennung und unseren Respekt
verdient .
({9})
Glauben Sie wirklich - hören Sie bitte zu! -, dass es
der richtige Weg ist, wenn Sie in Ihrem Antrag fordern,
dass jeder, der nach Deutschland kommt, ganz unabhängig vom Herkunftsland und vom Aufenthaltsstatus, einen
gesetzlichen Anspruch auf eine Ausbildung, auf ausbildungsbegleitende Hilfen sowie ein Bleiberecht während
der Ausbildung und danach hat?
({10})
Da frage mich, Herr Mutlu, ob Sie sich über die Konsequenzen Ihrer Forderungen bewusst sind und einmal über
die finanziellen Folgen nachgedacht haben. Was wollen
Sie denn noch alles auf den Steuerzahler abwälzen?
({11})
Ich sage Nein . Das ist nicht im Sinne unserer Bürger
und auch nicht im Sinne einer verantwortungsvollen Bildungspolitik .
Gern möchte ich Sie an dieser Stelle auch darauf aufmerksam machen, dass wir einige Ihrer Forderungen
längst umgesetzt haben - das hat auch Frau Giousouf
schon gesagt -, beispielsweise mit dem Anerkennungsgesetz oder dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts, allerdings für junge Menschen mit einer Bleibeperspektive in Deutschland .
Ich sehe es auch als großen Erfolg, dass das Anerkennungsgesetz als weltweit einziges seiner Art bereits im
April 2012 in Kraft getreten ist . Damit ermöglichen wir
einen einfacheren Zugang zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen, schnellere Verfahren, einen barrierefreien Wechsel innerhalb der EU
und hohe Mobilität . Das Ziel von uns Unionspolitikern
ist es, Zuwanderer präventiv zu unterstützen und ihnen
neue Perspektiven aufzuzeigen, wie sie selbst für ihren
Lebensunterhalt aufkommen können und nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind .
({12})
Meine Damen und Herren, ich denke, zusammenfassend kann man sagen, dass die Koalition ihren Aufgaben
verantwortungsvoll nachkommt . Deutschland genießt
mit seiner dualen Ausbildung weltweit Anerkennung .
Lassen Sie uns diese Erfahrung auch für die Einwanderungsgesellschaft nutzen . Geredet wird viel . Lassen Sie
uns gemeinsam handeln .
Vielen Dank .
({13})
- Herr Mutlu, hat man Ihnen in der Schule nicht beigebracht, dass man auch einmal ruhig ist, wenn jemand anderes spricht?
({14})
Als nächste Rednerin hat Elfi Scho-Antwerpes von
der SPD-Fraktion jetzt das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! In der BRD leben Menschen aus 194 Nationen . Wir sind schon lange ein Einwanderungsland, ein
Land kultureller Vielfalt, und das ist gut so ({0})
nicht erst seit dem großen Zustrom von Flüchtlingen in
den letzten Monaten .
Dass wir auch international als weltoffen und gastfreundlich wahrgenommen werden, das ist ein hohes
Gut - ein sehr hohes Gut .
({1})
Ich sage das hier durchaus auch mit Blick auf die Gedenkstunde, die wir vorgestern in diesem Hohen Hause
erleben durften und in der wir der Opfer des Nationalsozialismus gedacht haben .
({2})
Umso wichtiger ist es, dass wir unsere teuer bezahlte Freiheit schützen . Das schaffen wir nur, indem wir
den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken . Niemand
darf sich alleingelassen oder vernachlässigt fühlen . Die
Grundlage dafür sind zweifelsfrei eine umfassende und
solide Bildung und ein Höchstmaß an Bildungsgerechtigkeit für jedes Kind, jeden Jugendlichen und jeden Erwachsenen in unserem Land .
({3})
So ist Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, grundsätzlich natürlich zu begrüßen . - Ich
fände es gut, wenn Sie zuhören würden . ({4})
Wir bezweifeln nicht ernsthaft, dass Bildung ein wichtiger gesellschaftlicher Schlüssel ist und dass es beim
Zugang zur Bildung gerecht zugehen muss . Das gilt übrigens auch für Kinder ohne Migrationshintergrund, die
aus anderen Gründen eine schwierige Bildungsbiografie
haben .
({5})
Es wäre indes noch begrüßenswerter gewesen, wenn
Sie einen zustimmungsfähigen Antrag formuliert hätten,
der unserer Einwanderungsgesellschaft wirklich helfen
würde .
({6})
Vieles von dem, was dort angesprochen wird, ist ohnehin schon auf den Weg gebracht, wie wir ja eben gehört
haben .
({7})
Anderes vergessen Sie leider völlig, und ich frage mich,
warum .
({8})
Ich vermisse beispielsweise die politische Bildung . Wir
können doch nur dann eine gefestigte, bunte Gesellschaft
sein, wenn wir uns selbst und den anderen kennen, wenn
wir nicht von Ressentiments geleitet werden, sondern
von gegenseitigem Respekt .
({9})
Ich spreche hier nicht nur von den Zugewanderten, die
politische Bildung benötigen und in unsere Gesellschaft
hineinwachsen müssen; ich spreche auch und vor allem
von der aufnehmenden Bevölkerung in Deutschland .
Meine Heimat ist Köln . Natürlich bin ich seit der
Silvesternacht viel vor Ort gewesen, habe mit den Menschen gesprochen . Seit jeher sind wir eine weltoffene,
tolerante Stadt .
({10})
Gleichwohl mehren sich - und das ist ein bundesweites Problem, kein kölsches und kein ostdeutsches - die
Stimmen derer, die scheinbar kein Wissen über politische
Zusammenhänge in unserem Land haben . Es gibt immer
mehr Menschen, die glauben, wir könnten uns abschotten, und die über das so wichtige Asylrecht und über
die Flucht und deren Ursachen keinerlei oder zu wenig
Kenntnisse haben . Das geht so nicht . Das ist gesellschaftlicher Sprengstoff, liebe Kollegen und Kolleginnen .
({11})
Wir müssen Bildung ganzheitlich denken . Die politische
Bildung kann und darf da nicht außen vor bleiben .
({12})
Lassen Sie uns überlegen, wie weit wir beispielsweise
die Bundeszentrale für politische Bildung noch stärker
unterstützen und einbinden können . Dort wird auf hervorragende Art und Weise informiert und aufgeklärt . Unsere Gesellschaft muss für die Situation der geflüchteten
Menschen sensibilisiert werden . Wir müssen die Zusammenhänge verstehen . Aber wir müssen uns auch unserer
eigenen Kultur und Werte bewusst werden - ich will jetzt
nicht wieder auf Silvester eingehen; Sie alle wissen, was
ich meine -; immerhin verlangen wir das auch von den
zugezogenen Menschen .
({13})
Überhaupt tauchen Mittlerorganisationen in Ihrem
Antrag gar nicht auf . Was ist zum Beispiel mit dem Goethe-Institut, mit den politischen Stiftungen? Was ist mit
der Alexander-von-Humboldt-Stiftung? Diese Organisationen erfüllen eine wichtige Funktion bei der Integration von Zugewanderten in unser Bildungs- und Wissenschaftssystem, damit die Menschen, die zu uns kommen,
eine gerechte Chance haben . Exemplarisch erwähne ich
hier auch Projekte wie RheinFlanke in Köln und in Berlin oder Arrivo Berlin, die sich schon länger aktiv für die
Integration einsetzen, und das tun sie gut .
Lassen Sie uns gemeinsam an einem Strang ziehen!
Herr Mutlu hat das eben schon gesagt; wir haben es jetzt
dreimal gehört . Lassen Sie es uns aber auch tun, und
schauen wir, wie wir entsprechenden Einrichtungen finanziell oder personell helfen und sie unterstützen können .
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildungsgerechtigkeit ist ein sehr wichtiges Thema, bei dem wir, vor allem
mit Blick auf die Flüchtlingssituation, alle - - Sie wissen, was ich meine .
({15})
- Ich zeige es dir nachher . - Wir alle sollten nicht drohen,
sondern tun! Lassen Sie uns alle guten Ideen bündeln,
auch Ihre! Der hier vorgelegte Antrag allerdings greift
zu kurz,
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen .
- und wir werden ihn daher ablehnen .
Danke schön .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7049 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 24 a und
24 b sowie zu Zusatzpunkt 7:
24 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Weiterentwicklung des Strommarktes
({0})
Drucksache 18/7317
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96
der GO
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie ({2}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaverhandlungen - Kohlendioxid als Umweltschadstoff definieren, Betriebszeiten von
Kohlekraftwerken begrenzen
Drucksachen 18/3313, 18/7277
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock,
Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zukunft des Strommarktes - Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten
Drucksache 18/7369
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({3})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das auch so beschlossen .
Ich eröffne die Debatte . Als erster Redner in dieser
Debatte hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer für die Bundesregierung das Wort .
({4})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute das Strommarktgesetz in erster Lesung . Es geht aus unserer Sicht um die wichtigste
und grundlegendste Reform des Strommarktes seit der
Liberalisierung der Energiemärkte . Mit gutem Grund:
Der Umbau der Stromversorgung ist eine der größten
Herausforderungen dieser Zeit . Wir brauchen deshalb ein
neues System, das dazu passt .
Schon heute wird rund ein Drittel unseres Stroms aus
erneuerbaren Energien erzeugt . Wir wissen, dass der
Volatilität, also den Schwankungen bei der Einspeisung
ins Netz, natürlich begegnet werden muss . Insofern ist
mit dem Strommarkt 2 .0 auch ein Instrument geschaffen
worden, ebendieser Aufgabe gerecht zu werden . Mit ihm
soll bei hohen Anteilen von erneuerbaren Energien eine
sichere, kostengünstige und vor allen Dingen umweltverträgliche Versorgung mit Strom gewährleistet werden .
Drei Punkte sind für uns dabei sehr wichtig .
Erstens . Wir wollen wieder mehr Markt in der Stromwirtschaft . Das ist ein klares ordnungspolitisches Bekenntnis . Wie erreichen wir das? Wir wollen mit dem
Strommarkt 2 .0 sicherstellen, dass sich die Anbieter
über den Markt refinanzieren. Dazu setzt auch dieser
Strommarkt 2 .0 auf eine freie Preisbildung . Der Abbau
von Überkapazitäten und der Ausbau der Erneuerbaren
werden dazu führen, dass die Preisbildung für Investitionen auch die richtigen Signale setzt . Darum ist uns
dieses Thema der freien Preisbildung am Großhandelsmarkt außerordentlich wichtig . Wir möchten diese auch
garantieren . So können Verkäufer von Strom in Zeiten
von Knappheit echte Knappheitspreise verlangen . Aber
auch für die Käufer von Strom gibt es verstärkte Anreize,
sich gegen hohe Preise durch langfristige Verträge abzusichern . Diese Verträge wiederum sind die Grundlage für
Investitionen im Strommarkt . Somit werden nicht allein
Niedrigpreise am Spotmarkt das Investitionsverhalten
bestimmen . Wir sind überzeugt, dass sich hierdurch auch
Investitionen in benötigte Kapazitäten refinanzieren lassen .
Zweitens . Wir wollen Stromerzeugung und Stromnachfrage kosteneffizient miteinander verbinden; denn
in einem modernen Strommarkt brauchen wir flexible Stromerzeugung, aber auch eine flexible Nachfrage.
Dazu setzen wir auf einen offenen Wettbewerb dieser
Flexibilitätsoptionen . Wir werden erleben, dass sich neue
Geschäftsmodelle, ob bei Stadtwerken oder anderswo,
ob auf der Erzeuger- oder auch auf der Nachfrageseite,
entwickeln . Dieser Strommarkt 2 .0 sorgt dafür, dass sich
die effizientesten Lösungen durchsetzen, ohne den Wettbewerb durch neue Subventionen zu verzerren . Zugleich
werden wir mit den neuen Geschäftsmodellen aber auch
Anbieter am Markt haben . Akteursvielfalt ist unser Ziel .
Drittens . Wir wollen Versorgungssicherheit auf hohem Niveau gewährleisten . Ein in einen europäischen
Binnenmarkt eingebetteter Strommarkt trägt dazu bei;
denn auch hier sind finanzielle Vorteile zu finden. Wir
müssen weniger Kapazität vorhalten . Versorgungssicherheit ist nicht mehr rein national buchstabiert . Zusätzlich
können so auch Extremsituationen abgesichert werden .
Sie sehen: Mit diesem Gesetz sind wir auf einem guten Weg, und wir haben ein gutes Instrument, das auch
funktioniert .
Ein Wort zu den Grünen: Der von Ihnen vorgeschlagene ökologische Flexibilitätsmarkt wird wenig helfen . Er
würde das Preissignal der Märkte stören
({0})
und so den Strommarkt 2 .0 und damit auch die Versorgungssicherheit untergraben .
({1})
Das vorliegende Strommarktgesetz, meine sehr geehrten Damen und Herren, schafft einen stabilen Rechtsrahmen mit einem klar marktwirtschaftlich und europäisch
ausgerichteten Blick . Die Stromversorgung wird kosteneffizient umgebaut, zugleich Versorgungssicherheit geschaffen und ein Mindestmaß an Regulierung auf hohem
Niveau gewährleistet .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({2})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Eva BullingSchröter von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gabriel sagt dieser Tage gerne, der Welpenschutz
für erneuerbare Energien sei beendet, man müsse die Erneuerbaren jetzt durch Ausschreibungen in einen Wettbewerb bringen . Wir haben es ja gerade gehört . Ich sage
Ihnen: So wird das Fördersystem im EEG umgekrempelt
und nebenbei die Bürgerenergie totgemacht .
({0})
Es geht längst um die Frage, wer die Energiewende
übernimmt . Sind es hauptsächlich große Investoren, die
nur am Profit orientiert sind, oder sind es dezentrale kleine Akteure, die nah an den Menschen vor Ort sind? Das
müssen wir den Menschen sagen: Es geht wieder um die
großen Konzerne und um Profit.
Nach Gabriels Plan ist die Bürgerenergie bald raus, so
viel ist klar .
({1})
Ich sage Ihnen: Die Befürworter der Bürgerenergie werden es Ihnen nicht vergessen . Zudem muss ich mich
schon wundern: Welpenschutz für Erneuerbare wird abgeschafft, stattdessen pampern Sie die Dinosaurier der
Stromerzeugung .
Für einige Kohlekraftwerke sollen künftig unter dem
Deckmantel einer Sicherheitsreserve 230 Millionen Euro
jährlich gezahlt werden . Das zum Thema Preise und
dazu, wer das bezahlt . Eine solche Reserve brauchen wir
nicht . Diese sogenannte Sicherheitsreserve ist nichts anderes als eine Luxusalimentierung für Kohlekraftwerke .
Man muss sich immer wieder vor Augen halten: Zehn
Tage braucht ein Kohlekraftwerk in Sicherheitsreserve,
um hochzufahren und im Ernstfall Strom zu liefern . Einen solchen Fall hatten wir in der Bundesrepublik bisher
noch nie, und er wird voraussichtlich auch nicht eintreffen . Sie halten - ich meine das wirklich ernst - die Stromkundinnen und -kunden wahrscheinlich für bescheuert
und lassen sie für diesen Unsinn blechen . Ich sage Ihnen:
Das ist unerhört . Das wissen die Leute vor Ort auch .
({2})
Zur Wahrheit gehört auch, dass wir bereits im vergangenen Jahr einen Anteil des Ökostroms an der Stromerzeugung in Höhe von einem Drittel hatten . Super . Das
ist nicht schlecht . Aber leider: Unserer Klimabilanz
nützt dies gar nichts; denn die Braunkohlemeiler reduzieren ihre Produktion eben nicht aufgrund des Mehr an
Ökostrom . Sie qualmen munter wie nie und exportieren
mehr denn je . Kohlestrom ist viel zu billig und überschwemmt das europäische Ausland . Wenn die Bundesregierung jetzt den Strommarkt neu ordnen will, müsste
sie diese Fehlentwicklung eigentlich im Blick haben .
Wir wissen alle, dass die Dekarbonisierung des Stromsektors in Deutschland seit Paris im Hausaufgabenheft
der Bundesregierung steht . Frau Hendricks weiß dies .
Deshalb war sie diese Woche auch schon in der Lausitz .
Herr Gabriel lenkt momentan noch von seinen unerledigten Hausaufgaben ab, indem er sagt, auch andere hätten
noch nachzuarbeiten, wie der Verkehrs- oder der Agrarsektor . Das stimmt zwar, aber auch er muss seine Hausaufgaben machen .
Als Linke schlagen wir vor, der Realität ins Auge zu
blicken und als ersten Schritt CO2 wie in den USA als
Schadstoff zu deklarieren
({3})
und dann ein Kohleausstiegsgesetz auf den Weg zu bringen .
Das kluge Elf-Punkte-Programm zur Dekarbonisierung der Agora Energiewende geht übrigens ebenfalls in
diese Richtung. Wir finden das gut. Dies hat den Vorteil,
dass alle sich auf ein Enddatum, zum Beispiel 2040 oder
besser noch 2035, einstellen können . Beschäftigte in den
Kraftwerken und Bürgermeister wüssten, welche Meiler
beispielsweise 2020 vom Netz gehen und welche 2030 .
Ein solcher schrittweiser Ausstiegsplan bietet Rechtssicherheit und Planbarkeit . Genau das brauchen die Beteiligten endlich .
({4})
Eine Neuordnung des Strommarkts, die der Energiewende dienen soll, müsste aus unserer Sicht dafür sorgen, dass nicht wieder zentralistische Großstrukturen
aufgebaut und große Player gestärkt werden . Sie müsste
vielmehr die Stadtwerke als Vertriebsakteure stärken, die
das Zusammenspiel von fossilen und regenerativen Energien vor Ort koordinieren .
({5})
Stadtwerke könnten auch wunderbar Manager für
Lastmanagement sein, weil sie den direkten Draht zu
den großen Verbrauchern vor Ort haben . Bürgerenergie
und kleinere kommunale Versorger zu wollen, ist kein
Selbstzweck, sondern notwendig für die Akzeptanz der
Energiewende .
({6})
Doch die Bundesregierung tut leider alles, um die Bürgerenergie zu killen . Ich sage: Das ist der falsche Weg .
Wir setzen uns dafür ein, die Bürgerenergie und kommunale Versorger zu stärken . Das wäre der richtige Weg .
Danke .
({7})
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen!
Meine Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter, so sieht keine in sich konsistente Energiepolitik aus . Hier kämpfen
Sie immer für den Braunkohleausstieg, vor Ort sind Sie
dagegen . Hier kämpfen Sie für den Netzausbau, vor Ort
sind Sie dagegen .
({0})
So ist keine konsistente Energiepolitik zu machen . Unsere Energiepolitik ist aus einem Guss und geht auch in die
richtige Richtung .
({1})
So ist auch das Strommarktpaket, das auf dem Tisch
liegt, zu verstehen . Wir sorgen dafür, dass diese Umwälzung, die in den nächsten Jahren vor uns liegt, auch
bewerkstelligt wird . Es kam in den Reden schon zum
Ausdruck: Wir haben einen enormen Umbruch in unserer Energielandschaft, und wir haben auch schon sehr
große Erfolge vorzuweisen . Wir haben einen Anstieg des
Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung, der so gar nicht vorhersehbar war und den wir vor
drei oder vier Jahren in dem Umfang noch gar nicht vorhergesehen hatten . Wir sind schon bei einem Anteil von
33 Prozent . Ein Drittel unserer Stromversorgung geht auf
erneuerbare Energien zurück . Das heißt, wir sind schon
vier Jahre früher an unserem Ziel und können große Erfolge vorweisen .
Auf der anderen Seite schrumpft der Kraftwerkspark
der konventionellen Kraftwerke Stück für Stück . Wir haben in den letzten Jahren acht Kernkraftwerke vom Netz
genommen, und es werden in den nächsten vier bis fünf
Jahren noch weitere acht Kernkraftwerke vom Netz gehen. Auch Kohlekraftwerke - sie sind teilweise ineffizient, das ist richtig, Frau Bulling-Schröter - gehen vom
Netz. Als Ersatz dafür brauchen wir aber flexible und
saubere Kraftwerke . Auch deshalb machen wir jetzt dieses Strommarktgesetz und bringen damit die Grundlage
für neue Investitionen auf den Weg .
Trotz all dieser Umbrüche haben wir einen enormen
Grad an Versorgungssicherheit . Das ist wichtig; denn unsere Industrie braucht Stromsicherheit . Sie braucht Verlässlichkeit und stabile Netze . In den letzten zwei Jahren
haben wir die Stromunterbrechungen noch einmal reduziert . Das heißt, wir haben uns in puncto Verlässlichkeit
noch einmal gesteigert . Nur zum Vergleich, damit man
einmal sieht, was Stromverlässlichkeit bedeutet: Ein
Stromausfall in Berlin würde pro Stunde 23 Millionen
Euro kosten . Diese Summe wurde vor kurzem berechnet . Das macht deutlich, wie wichtig Strom tagtäglich ist .
Deshalb hat Versorgungssicherheit für uns oberste Priorität .
Trotz all dieser Erfolge, die ich gerade beschrieben
habe, gibt es Dinge, bei denen wir nachsteuern müssen .
Ein Thema ist die hohe umlagefinanzierte Vergütung
für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien, was unsere Strommärkte, die Strombörsen durcheinanderbringt, sodass die Strombörsen nicht mehr die
Impulse bringen, die wir dringend für Neuinvestitionen
brauchen .
({2})
Allein in den letzten vier Jahren ist der Strompreis
auf 22 Euro gefallen . Wir sind derzeit bei knapp über
22 Euro je Megawattstunde . Das führt dazu, dass Gasund Kohlekraftwerke enorm unter Druck geraten, die in
den nächsten Jahren aber dringend gebraucht werden, um
unsere Versorgungssicherheit zu gewährleisten .
Das heute vorliegende Strommarktgesetz ist deshalb
ein wichtiger Schritt zur Sicherung unserer zukünftigen
Stromversorgung . Grundlage des Gesetzespakets ist der Herr Staatssekretär hat es schon angesprochen - dass
Markt und Wettbewerb die Impulse für die nächsten Investitionen auslösen müssen . Es müssen auch Überkapazitäten abgebaut werden . Wir brauchen eine bessere freie
Preisbildung, und wir brauchen ausreichend Signale für
notwendige Investitionen in Kraftwerke der Zukunft und
Investitionen für mehr Flexibilität . Denn eines ist klar:
Auch in Zukunft, auch dann, wenn der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung auf 40, 50, 60 oder
70 Prozent steigt, brauchen wir noch effiziente und saubere Kraftwerke in Deutschland .
Mit dem vorliegenden Strommarktgesetz wollen wir
uns zum Markt bekennen . Der Markt ist der richtige Ort,
um Preise zu bilden, die dann auch Investitionsentscheidungen beeinflussen. Allerdings sind dazu - auch das
wurde schon vom Herrn Staatssekretär gesagt - dringend
regulative Maßnahmen notwendig, die dann vorgeschaltet werden und quasi als Sicherheit für den Strommarkt
dienen .
Ein Argument ist die Kapazitätsreserve . Diese soll
mögliche Kapazitätslücken decken . Die Braunkohlereserve soll die Klimalücke schließen
({3})
und die Netzreserve, als bereits bestehendes Instrument
temporärer Netzanpassung, vor allem in Süddeutschland,
abgesichert werden . Alle Kraftwerkreserven, die ich gerade beschrieben habe, werden eine ungefähre Größe von
15 Gigawatt erreichen . Das ist rund ein Fünftel unserer
Jahreshöchstlast . Diese Reserven dienen zukünftig der
Gewährleistung der Versorgungssicherheit .
Das ist ein starker Eingriff; aber dieser starke Eingriff
ist notwendig . Denn Märkte können auch einmal versagen, und niemand möchte, dass dieses Versagen dann
zu größeren Stromausfällen führt . Aber ich sage auch,
dass das Instrument der Kapazitätsreserve, dieser große
Eingriff, den wir vornehmen werden, noch einmal genauestens im parlamentarischen Verfahren angeschaut
werden muss . Wir brauchen Verlässlichkeit . Es ist notwendig, dafür zu sorgen, dass die Kosten und auch die
Synergieeffekte, die im Markt wirken, nicht über Gebühr
strapaziert werden . Deshalb werden wir uns die Gesetze
im parlamentarischen Verfahren noch einmal genau anschauen .
({4})
Ich nehme auch die Sorgen vieler Experten sehr ernst,
die davor warnen, dass die neuen Kapazitätsreserven zur
Regulierungsfalle werden und zu mehr Verstaatlichung
führen . Deshalb braucht das Instrument der Kapazitätsreserve klare Grenzen . Die Reserven dürfen nicht zum
eigentlichen Strommarkt werden . Das wäre ein Schritt in
die Planwirtschaft, was wir definitiv nicht wollen.
({5})
Deshalb werden wir darauf drängen, dass der Bundestag auch zukünftig angemessen an der Ausgestaltung
der Reserve beteiligt wird . Im Übrigen ist ein wichtiger Schritt zu mehr Markt und mehr Verlässlichkeit im
Markt, dass wir die Bilanzkreisverantwortung stärken
und dafür sorgen, dass die Bilanzkreisverantwortlichen
den Strom, den sie gehandelt haben, auch anbieten . Auch
dadurch sollen in Zukunft mehr Markt und mehr Wettbewerb entstehen .
Meine Damen und Herren, ein weiterer Aspekt ist mir
zum Schluss noch wichtig . Ich glaube, wir brauchen auch
im Strommarkt einen stärkeren europäischen Ansatz . Das
bringt nicht nur Effizienzvorteile, sondern auch Verlässlichkeit und Sicherheit für unsere Stromversorger . Wir
haben hier in den letzten Jahren viele Alleingänge gesehen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in unseren
Nachbarländern . Das muss sich in den nächsten Jahren
wieder ändern . Wir brauchen einen starken, abgestimmten Rahmen in Europa . Denn wenn Dinge wie die Kapazitätsreserve im Alleingang implementiert werden, kann
das auch negative Einflüsse auf uns haben. Instrumente
werden möglicherweise ausgehebelt oder laufen unseren
Vorstellungen sogar entgegen . Das wäre ein Schritt in die
falsche Richtung . Wir brauchen im Bereich des Strommarktes mehr europäische Ansätze . Das gilt auch für
andere Bereiche der Klimapolitik; auch hier sollten wir
mehr auf Europa setzen statt auf nationale Alleingänge .
Deshalb halten wir das Braunkohlegesetz, das Sie hier
vorschlagen, für einen Weg in die falsche Richtung .
Meine Damen und Herren, vor uns liegen wichtige
intensive Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfs .
Der Zeitplan ist sehr ambitioniert . Wir wollten eigentlich
im März fertig werden; aber das schaffen wir nicht . Wir
brauchen etwas mehr Zeit; das zeigt die Erfahrung der
letzten Jahre . Aber ich glaube, wir gehen den Weg in die
richtige Richtung, indem wir den Strommarkt verlässlich
mit guten Rahmenbedingungen ausstatten im Sinne einer
sicheren und auch wirtschaftlichen Energieversorgung .
Herzlichen Dank .
({6})
Der Kollege Oliver Krischer hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bereits zu Beginn der Legislaturperiode, bei der Gründung der Großen Koalition, wurde die Reform des
Strommarktes als das große Meisterwerk von Sigmar
Gabriel gefeiert . Es gab dann Grünbücher, Weißbücher,
Blaubücher, Violettbücher, und der Berg kreißte immer
schneller - und nun haben wir das hier vorliegen . Was
jetzt herausgekommen ist, hätte ich - das muss ich ehrlich sagen - nicht einmal von einer Großen Koalition erwartet, obwohl wir da schon einiges gewohnt sind .
Das Ergebnis Ihrer Reform des Strommarktes ist der
Einstieg in die subventionierte Braunkohle . Das ist unglaublich vor dem Hintergrund von Paris und dem überfälligen Kohleausstieg, den wir eigentlich im Konsens
machen müssten .
({0})
Herr Minister Gabriel hat zu Beginn der Debatte den
Satz geprägt - als Grüner, und das gilt wahrscheinlich
auch für die Linken, käme mir ein solcher Satz gar nicht
über die Lippen -: Es darf kein Hartz IV für Kohlekraftwerke geben . - Ich würde solche Vergleiche nicht ziehen .
Aber wenn man in seinem Bild bleibt, dann macht die
Große Koalition jetzt genau das: Sie gibt Hartz IV für
Kohlekraftwerke . Es wäre ja schön, wenn es nur der Regelsatz von 404 Euro wäre . Es sind aber 1,6 Milliarden
Euro, die Sie den Kohlekonzernen hinterherwerfen für
Kraftwerke, die niemand braucht und die die Konzerne
teilweise selber stilllegen wollten, und für eine Reserve,
die nicht erforderlich ist . Meine Damen und Herren, das
ist unglaublich . Das hat mit Markt nichts zu tun . Das ist
Planwirtschaft für Kohlekonzerne .
({1})
Wie Ihre Planwirtschaft aussieht - Herr Bareiß, Herr
Beckmeyer, Sie haben eben so viel von Markt geredet -,
das können Sie sich im Gesetzentwurf angucken .
Meine Damen und Herren, ich zeige Ihnen hier die
Formel,
({2})
nach der die Vergütung von RWE und Vattenfall berechnet wird . Das Verrückte an dieser Formel ist: Die Konzerne können in weiten Teilen selber bestimmen, wie viel
sie bekommen . Das ist ein Vorgang, der absolut unglaublich ist .
({3})
Jetzt erzählen Sie - das haben wir gerade wieder gehört -: Das Kernelement der Strommarktreform soll sein,
dass die Preisspitzen an der Börse für die nötigen Signale
für Investitionen in Erzeugungsleistungen, Speicherlastmanagement und anderes sorgen . Zu der Überzeugung
kann man kommen, dann muss man aber konsequent
handeln wie zum Beispiel der Staat Texas in den USA .
Der macht das . Sie sagen: Der Markt soll es regeln, die
Preisspitzen sollen Anreize setzen . Das heißt dann in der
Konsequenz aber auch, dass der Strom auch einmal ausfallen kann, wenn Angebot und Nachfrage nicht in Einklang zu bringen sind .
Sie schaffen jetzt eine Netzreserve, eine Kapazitätsreserve, eine Sicherheitsreserve, eine Braunkohlereserve
und eine Lastabschaltreserve . Meine Damen und Herren,
erklären Sie mir, was das mit Markt zu tun hat! Das ist
Planwirtschaft in der Energiewirtschaft par excellence,
an der Kohlekonzerne verdienen .
({4})
Ich sage Ihnen eines: Wenn sich dann an der Strombörse tatsächlich die hohen Preise zeigen sollten, dann
werden wir von Herrn Pfeiffer, Herrn Bareiß, Herrn
Fuchs, Herrn Seehofer und allen anderen aus der energiepolitischen Todeszone doch wieder hören: Das kann
die Industrie nicht zahlen, die Strompreise sind zu hoch .
({5})
Und was wird dann passieren? Dann werden wir die mit
Milliarden subventionierten Reservekraftwerke anwerfen, und dann hat sich das mit Ihrem Strommarkt erledigt . Das ist doch die Realität: Sie wollen gar keinen
Strommarkt!
Das eigentliche Problem an diesem Gesetzentwurf ist
alles das, was nicht drinsteht . Was drinsteht, ist schon
schlimm genug . Aber das, was nicht drinsteht, ist das
große Problem; denn eigentlich müssten Sie sich jetzt
auf ein Energiesystem einstellen, in das zu 60 oder
70 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist
wird . Das würde eine wirkliche Strukturreform bedeuten .
Dann müsste man aber über neue Finanzierungsmechanismen jenseits der Börse reden . Das alles tun Sie aber
nicht . Ich sage Ihnen auch, warum Sie es nicht tun: Sie
wollen nämlich gar nicht in die Größenordnung von 60,
70 oder am Ende 100 Prozent Strom aus erneuerbaren
Energien kommen .
Wir haben vor ein paar Tagen einen Brief bekommen,
aus dem hervorgeht, dass es darauf hinausläuft, dass nach
Photovoltaik und Biogas auch der Ausbau von Windenergie an Land bei null ankommen soll . Das ist das Ziel Ihrer Politik . Das ist keine Energiewende, das ist das exakte
Gegenteil davon .
({6})
Wir brauchen ein Strommarktgesetz, in dem Flexibilität wirklich die neue Währung ist . Wir brauchen eine
Reform der Netzentgelte . Wir brauchen vor allen Dingen
endlich Anreize für den Ausbau von Energiespeichern,
Herr Bareiß. Wir brauchen eine Speicherdefinition.
({7})
Von alldem ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts
zu finden. Sie haben dazu allerdings ein paar schlaue Vorschläge gemacht; das war einer der wenigen Lichtblicke,
die aus der Unionsfraktion kamen . Aber dann sorgen
Sie jetzt bitte schön dafür, dass in den Gesetzentwurf
aufgenommen wird, dass Speicher im Strommarkt eine
Zukunft haben, dass eine Entwicklung nicht weiter blockiert wird . Es kann doch nicht sein, dass im Moment
die Speicher, die wir in Zukunft brauchen werden, abgeOliver Krischer
schaltet bzw . stillgelegt werden, dass selbst Pumpspeicherkraftwerke stillgelegt werden .
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt . Vielleicht wird es in
den parlamentarischen Beratungen dazu kommen, dass
Sie aus diesem völlig vermurksten Strommarktgesetz
wenigstens in Teilen etwas machen, das uns in Zukunft
voranbringt, das Speicherung, Lastmanagement und Flexibilität in einem Energiesystem mit Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien statt aus Kohle und Atom
ermöglicht . Bisher ist das noch nicht der Fall . Vielleicht
wird es, wenn wir den Gesetzentwurf verabschieden,
besser sein . Angesichts der Erfahrungen, die wir in der
Vergangenheit gemacht haben, habe ich allerdings wenig
Hoffnung . Aber wie gesagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt .
Danke schön .
({8})
Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben heute die erste Lesung . Wenn ich
höre, dass dies der Einstieg in die subventionierte Braunkohleindustrie sei und Hartz IV für Kraftwerke realisiert
sei,
({0})
dann frage ich mich: Wie glaubwürdig ist das? Wie ist es
möglich, dass die Grünen in NRW, wo sie an der Regierung beteiligt sind, das anders sehen als die Grünen, die
heute hier gesprochen haben?
({1})
Und mit Blick auf die Linken frage ich mich: Wie ist das
eigentlich in Brandenburg? Dort wird das auch ganz anders gesehen .
({2})
Letzten Endes können Sie über diese Reservekraftwerke
schimpfen, wie Sie wollen . Im Saldo - das müssen Sie
zugeben - wird weniger CO2 emittiert, und das ist eine
gute Maßnahme .
Statistisch gesehen haben wir in Deutschland weniger
als zwölf Minuten Stromausfall pro Jahr . Wir verfügen
also über eine enorm hohe Versorgungssicherheit, die
den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht,
die durchaus als Eckpfeiler für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands definiert werden kann.
Diesen Wettbewerbsvorteil wollen wir natürlich erhalten . In einem sich aufgrund der Energiewende schnell
und radikal ändernden Marktumfeld wollen wir die
Versorgungssicherheit auch für die Zukunft gewährleisten . Menschen sollen sich darauf verlassen können:
Der Strom kommt immer aus der Steckdose - immer!
Langfristig wollen wir für den Strommarkt Möglichkeiten schaffen, den Verbrauch an die Erzeugung anpassen
zu können . Bislang folgte die Erzeugung von Strom
durch den fossilen Kraftwerkspark im Wesentlichen der
Verbrauchskurve . Im Zeitalter der Erneuerbaren mit einer umweltfreundlichen, aber eben auch fluktuierenden
Einspeisung soll sich die Verbrauchskurve auch an der
Stromproduktionskurve orientieren können .
Wir produzieren insgesamt mehr Energie, als wir in
Deutschland verbrauchen, und auf dem Papier haben
wir mehr Kraftwerke, als wir eigentlich brauchen; aber
daraus lässt sich nicht einfach schließen, dass damit die
Versorgungssicherheit automatisch gewährleistet ist . Wir
bilden einen Stromverbund mit unseren europäischen
Nachbarstaaten . Der Strom bewegt sich frei zwischen
diesen Ländern . Zum Teil haben Kraftwerke in Deutschland Verträge mit dem Ausland, produzieren also gar
nicht mehr für deutsche Kunden . Deshalb müssen wir
Versorgungssicherheit europäisch denken . Das ist einer
der Leitgedanken dieses Gesetzentwurfs .
Mit der heutigen ersten Lesung stehen wir zwar erst
am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens, aber nicht am
Anfang des Prozesses . Wir sind längst mitten im Prozess .
Das Bundeswirtschaftsministerium hat im vergangenen
Jahr zunächst das Grünbuch mit den ersten Überlegungen vorgestellt . Aus den Ergebnissen der Konsultationen
entstand dann das Weißbuch, an das sich eine abschließende Konsultationsphase anschloss . Von einem „Blaubuch“ oder einem „Lilabuch“ ist mir nichts bekannt .
({3})
Man kann also sagen, dass alle am Entscheidungsprozess
Beteiligten mehrfach die Möglichkeit hatten, ihre Anregungen einzubringen .
Ergebnis des Prozesses war die Entscheidung, den
Weg in Richtung Strommarkt 2 .0 einzuschlagen . Dabei
wird davon ausgegangen, dass sich die notwendigen
Kraftwerke auf dem Markt refinanzieren können. Die
Alternative wäre gewesen, den Betreibern von Kraftwerken Geld dafür zu geben, dass sie einfach da sind und
im Notfall einspringen können . Das wollen wir nicht .
Am Beispiel Großbritannien sehen wir die Folgen eines
solchen Kapazitätsmarktes: Es wird überwiegend Braunkohle verstromt,
({4})
und der Strom ist deutlich teurer als gedacht . Die gewählte Variante „Strommarkt 2 .0“ ist quasi ein Flexibilitätsmarkt und aus unserer Sicht deutlich besser . Das entOliver Krischer
spricht auch den Erfahrungen, die im Ausland gemacht
wurden, zum Beispiel in Texas . Der Markt soll das mit
möglichst wenigen regulatorischen Eingriffen regeln .
Wenn es um die Preisbildung geht, regeln wir also im
Grunde, dass wir nichts regeln .
Nebenbei wollen wir mit dem Gesetz auch einen Beitrag zur Erreichung unserer Klimaziele leisten . Unter
der Überschrift „Sicherheitsbereitschaft“ werden Braunkohlekraftwerke faktisch stillgelegt . Dadurch kommt es
natürlich zu CO2-Einsparungen, die dazu beitragen, dass
wir unsere Klimaziele erreichen können .
Außerdem wollen wir für mehr Transparenz sorgen .
Im Grunde soll sich jeder Interessierte zu Hause an seinem Computer über Stromproduktion, Stromverbrauch
und jede Menge andere Daten in Echtzeit informieren
können, also quasi ein aktiver Verbraucher werden können .
Ein weiteres Ziel ist es, die Bilanzkreistreue der
Stromvertriebe zu stärken . Im Grunde sollen die Vertriebe durch die Bilanzkreistreue die Einspeisungen
und Entnahmen in und aus dem Stromkreis stets ausgleichen . Das gilt auch jetzt schon, ist aber unter anderem wegen der in zunehmendem Maße fluktuierenden
Einspeisung nicht ganz einfach . Der Gesetzentwurf
hebt das vorhandene Verbesserungspotenzial . Differenzen zwischen Einspeisungen und Entnahmen werden
minimiert . Insbesondere soll durch höhere Strafen ein
Anreiz für mehr Bilanzkreistreue geschaffen werden .
Über die obligatorische Bilanzkreistreue wird bereits
jetzt stark diskutiert .
Ich möchte klarstellen, dass die Bilanzkreisverantwortlichen in Extremsituationen nicht für Abweichungen
haften sollen, für die sie nichts können .
({5})
Zum Beispiel bei dem Stromausfall im November 2006,
als die Papenburger Meyer-Werft ein Kreuzfahrtschiff
über die Ems in die Nordsee überführt hat und durch die
Abschaltung der Hochspannungsleitung in großen Teilen
Westeuropas der Strom ausfiel, mussten die ÜNBs, die
Übertragungsnetzbetreiber, die Bilanzkreise nicht abrechnen . Nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs
müssen sie das; denn dann ist das verpflichtend. Durch
die verpflichtende Abrechnung der Bilanzkreise soll vermieden werden, dass ein Anreiz geschaffen wird, solche
Extremsituationen erst herbeizuführen . Also noch einmal: Die Bilanzkreise müssen auch in Extremsituationen
künftig verpflichtend abgerechnet werden, aber die Bilanzkreisverantwortlichen sollen nicht für Abweichungen haften, für die sie nichts können .
Mit dem Strommarktgesetz, der Digitalisierung und
dem EEG 2016 haben wir eine ganze Menge Aufgaben
vor uns . Wir haben viel vor . Bei mir zu Hause sagt man:
Gifft keen Flees, wor neet ok bunken in sitten . - Es gibt
kein Fleisch ohne Knochen . Anders ausgedrückt: Nichts
ist ohne Haken . Im Rahmen der parlamentarischen Debatten werden wir gemeinsam sicher die Knochen vom
Fleisch trennen können . Ich freue mich auf konstruktive
Diskussionen diesbezüglich .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({6})
Der Kollege Karl Holmeier hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Energiewende ist eines unserer größten energiepolitischen Projekte der Gegenwart und zurzeit natürlich
eine große Herausforderung . Wir gehen den Weg in ein
neues Energiezeitalter, und dieser Weg ist richtig . Wir
haben uns vor Jahren auf den Weg gemacht, die Stromversorgung in Deutschland komplett zu verändern . Wir
gehen weg von Großkraftanlagen hin zu deutschlandweit
verteilten Kleinanlagen . Wind, Sonne, Wasser, Biomasse
und Geothermie sind künftig die Hauptquellen unserer
Energie von morgen . Dies dient auch einem umfassenden
Klimaschutz .
Bei unseren Entscheidungen lassen wir uns insgesamt von einem Zieldreieck leiten: Wirtschaftlichkeit,
Umweltverträglichkeit und vor allem - es wurde schon
einige Male angesprochen - Versorgungssicherheit . Allein mit erneuerbaren Energien schaffen wir das nicht .
Wir brauchen Energie, die auch dann verfügbar ist, wenn
der Wind nicht weht . Wir brauchen Energie auch dann,
wenn die Sonne nicht scheint . Der Erfolg der Energiewende hängt ganz wesentlich davon ab, ob wir Energie
jederzeit liefern und damit stets Versorgungssicherheit
gewährleisten können .
Der Freistaat Bayern wird in den nächsten Jahren weiter erhebliche Kernkraftwerkskapazitäten verlieren . Bis
2022 werden durch den Ausstieg aus der Kernenergie
deutschlandweit Kapazitäten in Höhe von etwa 10 Gigawatt stillgelegt . Diese verlorenen Kapazitäten gilt es
sinnvoll zu ersetzen . Es ist daher ein zentrales Anliegen
der Union und vor allem auch von uns Bayern, dass die
Versorgungssicherheit stets gewährleistet ist . Was zum
Beispiel ein Stromausfall von einer Stunde kostet, haben
wir vorhin schon gehört . Die Versorgungssicherheit hat
für uns also oberste Priorität .
CDU, CSU und SPD haben mit den energiepolitischen
Grundsatzentscheidungen am 1 . Juli des letzten Jahres
den Weg in ein neues Energiezeitalter weiter abgesichert .
Durch das Strommarktgesetz, das wir heute in die Beratung einbringen, werden die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen . Die Stromversorgung wird volkswirtschaftlich, kosteneffizient und umweltverträglich
weiterentwickelt . Mit dieser größten Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung des Energiemarktes vor
20 Jahren machen wir den Strommarkt fit für die kommenden Generationen .
Das Strommarktgesetz hat im Wesentlichen folgende
Schwerpunkte - auch das wurde bereits angesprochen -:
Die bestehenden Mechanismen des Strommarktes werden gestärkt . Kern eines weiterentwickelten Strommarktes und entscheidendes Marktinstrument ist das Preissignal . Benötigte Kapazitäten können sich am Strommarkt
refinanzieren. Marktpreissignale sollen künftig möglichst
unverzerrt wirken .
({0})
Dazu werden die Ziele und Grundprinzipien des weiterentwickelten Strommarktes in das Energiewirtschaftsgesetz aufgenommen . Wir sichern eine faire und freie wettbewerbliche Preisbildung .
Generell gilt: Nur wenn die Akteure dem Markt trauen, wird das Projekt gelingen . Wir müssen einen Markt
mit so wenig Regulation wie nötig und so viel Wettbewerb wie erforderlich schaffen . Wir bauen Eintrittsbarrieren für Anbieter von Lastmanagementmaßnahmen und
EEG-Anlagen im Regelleistungsmarkt ab . So können
bestehende Kapazitäten kosteneffizienter und umweltverträglicher eingesetzt werden . Der Einsatz von Flexibilitätsoptionen wird damit erleichtert . Wir reduzieren die
Kosten des Netzausbaus durch effiziente Netzplanung.
Durch eine Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes
und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2014 kann die
Abregelung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in Zeiten hoher Stromeinspeisung bei der Netzausbauplanung
berücksichtigt werden .
Wir erhöhen die Transparenz am Strommarkt . Transparente und aktuelle Strommarktdaten können künftig effiziente Erzeugungs-, Verbrauchs- und Handelsentscheidungen fördern . Ganz wichtig ist: Wir gewährleisten die
Versorgungssicherheit . Auch gerade wegen der veränderten Bedingungen am Markt soll der Strommarkt 2 .0 mit
einer Kapazitätsreserve abgesichert werden .
({1})
Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu einer sicheren und
wirtschaftlichen Stromversorgung in einem zunehmend
von erneuerbaren Energien geprägten europäischen
Markt . Die Reserve kommt zum Einsatz, wenn trotz freier Preisbildung an der Strombörse kein ausreichendes
Angebot existiert, um einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu ermöglichen .
Dazu werden wir Erzeugungskapazitäten außerhalb
des Strommarktes vorhalten und bei Bedarf einsetzen . Die Regelungen der Netzreserve werden über den
31 . Dezember 2017 hinaus verlängert . In der Netzreserve
werden seitens der Betreiber zur Stilllegung vorgesehene, aber systemrelevante Kraftwerke zur Überbrückung
von Netzengpässen außerhalb des Strommarktes vorgehalten .
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass der am 1 . Juli
2015 vereinbarte Bedarf von weiteren 2 Gigawatt gerade
in Süddeutschland, der durch neue Kraftwerke gedeckt
werden soll, verankert wird . Diese Kraftwerke sind für
Süddeutschland vorgesehen . Dabei ist wichtig, dass das
Gaskraftwerk in Irsching weiter betrieben wird .
({2})
Wir müssen bei der Fortentwicklung des Strommarktes und dem neuen EEG 2016 die Chancen nutzen, die
Biogas für die Grundlast bietet . Biogas muss eine Zukunft haben . Dies gilt insbesondere für den Bestand, da
die 20-jährige Förderung in den nächsten Jahren ausläuft .
({3})
Weiter wollen wir das nationale Klimaschutzziel für
2020 erreichen . Dazu werden wir beginnend ab 2016
bestimmte Braunkohlekraftwerke schrittweise aus dem
Markt nehmen und auch vorläufig stilllegen. Das betrifft
Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von 2,7 Gigawatt . Das sind etwa 13 Prozent der in Deutschland installierten Braunkohlekraftwerkskapazität .
Schließlich verbessern wir das Monitoring der Versorgungssicherheit . Der Bericht zur Versorgungssicherheit
an den Strommärkten soll künftig mindestens alle zwei
Jahre erscheinen . Vor allem soll er Deutschland im Kontext der europäischen Strommärkte betrachten .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Umsetzung der Energiewende ist das bedeutendste energiepolitische Großprojekt der Gegenwart . Es ist eine Herausforderung für uns alle, und wir werden es packen .
Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen . Ich
wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag und ein
schönes Wochenende und bedanke mich für die Aufmerksamkeit .
({4})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7317 und 18/7369 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaverhandlungen - Kohlendioxid als Umweltschadstoff definieren,
Betriebszeiten von Kohlekraftwerken begrenzen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7277, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3313 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Innovative Arbeitsforschung für eine Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung
Drucksache 18/7363
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!
Im Oktober 2014 titelte die Welt: „Eltern bereitet die
Digitalisierung große Sorgen“ . Die Digitalisierung werde die Arbeitswelt radikal verändern . Eltern fürchteten
daher um sichere Jobs für ihre Kinder . So das Ergebnis
einer Umfrage des Allensbach-Instituts .
Damit sind wir auch schon mitten im Thema unserer
heutigen Debatte, meine Damen und Herren, nämlich
beim Antrag der Koalitionsfraktionen zur innovativen
Arbeitsforschung .
Drei Viertel aller Eltern rechnen mit zunehmendem
Leistungsdruck, 70 Prozent mit steigenden Anforderungen für die Arbeitnehmer im Zuge der Digitalisierung .
Doch wird es tatsächlich auch so kommen? Wie wirkt
sich die Digitalisierung, aber auch der Trend zur Individualisierung und zur Flexibilisierung auf die Arbeitswelt
von morgen konkret aus? Wie können wir die Prozesse
positiv beeinflussen?
Mit diesen wichtigen Fragen beschäftigt sich schon
von jeher die Arbeitsforschung . Ein erstes Programm
der Bundesregierung gab es bereits 1974 . Damals hieß
das „Humanisierung des Arbeitslebens“ . Das Programm
wurde 1989 abgelöst durch das Programm „Arbeit und
Technik“ . 2001 folgte das Programm „Innovative Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit“ . 2007 folgte „Arbeiten - Lernen - Kompetenzen entwickeln“ .
Bestimmendes Element für die tiefgreifenden Veränderungen der nächsten Jahre ist ohne Zweifel die Digitalisierung . Wie lassen sich zum Beispiel angesichts von
Arbeitsprozessen rund um die Uhr familienfreundliche
Arbeitszeiten sichern oder gute Weiterbildung organisieren? Stichwort „lebenslanges Lernen“ .
Gerade global agierende Unternehmen haben oft den
Bedarf, dass die Beschäftigten über die Kernarbeitszeit
„nine to five“ hinaus verfügbar sind, beispielsweise um
die Kommunikation mit Zulieferern und Kunden in anderen Zeitzonen zu gewährleisten . Information, Feedback
und Kommunikation erfolgen also zunehmend in Echtzeit .
Andererseits wollen aber auch immer mehr Menschen
nicht mehr zu den üblichen Zeiten arbeiten, zum Beispiel
um sich ihrer Kinder anzunehmen oder sich um ihre Angehörigen zu kümmern . Die zeitliche Entgrenzung der
Arbeit hat also viele Motive .
Klar ist: Hinter allen neuen Techniken steht letztlich
ein Mensch, der sich verändern möchte oder muss, der
Neues erdenkt und entwickelt, der nutzt, fühlt und entscheidet .
Neben der Digitalisierung ist daher die Individualisierung ein zentraler Trend. Biografien sind Multigrafien
geworden . Lineare Lebensstile und -wege verschwinden
zunehmend . Individualität ersetzt Uniformität . Dies zeigt
sich nicht zuletzt auch in der rasanten Zunahme der Zahl
individualisierter Produkte und Dienstleistungen in der
virtuellen, aber natürlich auch in der realen Welt .
({0})
Auch Unternehmensstrukturen und Arbeitsräume verändern sich . Wissens- und Kreativarbeiter rücken immer
mehr ins Zentrum des Wirtschaftens . Wir werden zunehmend selbstständig, auch wenn wir fest angestellt sind .
Der Mitarbeiter wird zum Kunden, zum Partner oder
auch zum Mitgestalter . Traditionelle Strukturen von Hierarchie lösen sich auf .
Damit sind beispielsweise auch die Entwicklung offener Arbeitsstrukturen und Managementkonzepte, die Automatisierung von immer komplexeren Arbeitsaufgaben
und flexible Modelle für Führung und Bindung gefragt.
Der Trend „New Work“ hebt den Arbeitsbegriff auf eine
ganz neue Ebene . Diese neue Arbeitswelt der Zukunft
verunsichert und fasziniert die Menschen gleichermaßen .
Diese Unsicherheit gilt es zu überwinden und überholte
Geschäftsmodelle loszulassen . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, interessanterweise werden dabei Start-up-Kulturen zu Vorbildern für etablierte Unternehmen .
({1})
All diese Themen fokussieren wir in dem Antrag, den
wir vorgelegt haben . Die fünf zentralen Punkte will ich
kurz herausgreifen .
Erstens . Wir unterstützen ausdrücklich das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im September
2014 angekündigte Rahmenprogramm „Innovationen für
die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ .
({2})
Zweitens . Wir wollen den Wissenstransfer aus dem
Arbeitsforschungsprogramm gerade zu den kleinen und
mittleren Unternehmen sicherstellen; denn diese sind
Vizepräsidentin Petra Pau
von ganz besonderer Bedeutung beim Wandel zur digitalen Gesellschaft .
Drittens . Wir wollen im Rahmen der Förderung von
Projekten zu Industrie 4 .0 Wissenslücken und Erkenntnisbedarfe im Bereich der Arbeitsgestaltung und auch
der Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten identifizieren.
Viertens . Wir wollen, dass auch bei der Umsetzung
der Hightech-Strategie der Bundesregierung Fragen der
Arbeitswelt der Zukunft und der Arbeitsbedingungen,
beispielsweise eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, stärker berücksichtigt werden .
Fünftens . Wir wollen die Fragen im Zusammenhang
mit der Arbeitsforschung auch europäisch adressieren,
das heißt, darauf hinwirken, dass sie in der EU-Forschungsförderung stärker Berücksichtigung finden; denn
schließlich haben wir mit Horizon 2020 das nach wie vor
größte Rahmenprogramm für die Forschungsförderung
auf EU-Ebene aller Zeiten .
({3})
Meine Damen und Herren, der Antrag trägt mit diesen
wichtigen Fragestellungen auch dazu bei, die Innovations- und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit unseres
Landes zu sichern . Apropos Wettbewerbsfähigkeit: Aus
aktuellem Anlass möchte ich noch drei Anmerkungen zur
Exzellenzinitiative und zu dem heute Morgen vorgestellten Imboden-Bericht machen:
Erstens . Der Bericht hat nochmals klar bestätigt, was
Exzellenz bedeutet . Exzellenz besitzen in Deutschland
bisher nur einige wenige Universitätsstandorte, die international von Bedeutung sind und als Aushängeschild
Deutschlands weltweite Bekanntheit haben .
Zweitens . Entscheidend für den Erfolg von Exzellenzkonzepten ist eine starke Governance an den Hochschulen . Das hat Herr Imboden heute noch einmal ausdrücklich bestätigt . Diese ist nicht überall vorhanden . Das hat
er auch ausdrücklich so gesagt .
Drittens . Bei der Bildung von Forschungs- oder Zukunftsclustern sollten wir auch darüber nachdenken, dass
mehrere Unis gemeinsam antragsberechtigt sind .
Im Lichte dieser Ergebnisse und auch der Diskussion
auf Bund-Länder-Ebene sollten wir uns hier im Parlament rasch auf Eckpunkte für eine Neuausrichtung der
Exzellenzinitiative einigen . Eines sollte uns aber auch
klar sein - und das sollten wir auch kommunizieren -:
4 Milliarden Euro für diese Exzellenzinitiative sind ein
klares Signal dafür, dass wir, wenn es um die Exzellenz
geht, nicht nur kleckern, sondern auch in Zukunft weiter
klotzen wollen .
({4})
Ich darf noch einmal zur Arbeitsforschung zurückkommen . Mit der Gesamtausstattung des neuen Arbeitsforschungsprogramms von immerhin 1 Milliarde Euro
setzen wir hier international Maßstäbe; das muss ich auch
einmal sagen . Wir sind hier wirklich mehr als ordentlich
aufgestellt, und ich finde, dazu dürfen wir uns als Parlamentarier auch einmal alle selbst beglückwünschen .
Abschließend noch ein ausdrückliches Lob für die
sehr gute Zusammenarbeit an Sie, Kollege René Röspel .
Man möchte sich fast wünschen, dass das häufiger so gut
funktioniert .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Es geschehen Wunder bei der Großen Koalition . Ihr Antrag „Innovative Arbeitsforschung für eine
Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung“ benennt richtige und notwendige Schwerpunkte
für die Forschung im Bereich Arbeit und Beschäftigung .
({0})
Sie folgen damit endlich den Vorschlägen der Linksfraktion,
({1})
die beispielsweise in dem Antrag „Soziale Innovationen
und Dienstleistungen erforschen und fördern“ und in
dem Antrag „Europäische Forschungsförderung in den
Dienst der sozialen und ökologischen Erneuerung stellen“ eingebracht wurden . Opposition wirkt also .
({2})
Hut ab! Nach dem Motto: „Überholen ohne Einzuholen“ gehen Sie in Ihrem Antrag weiter, als ich es Ihnen je
zugetraut hätte .
({3})
Dass Sie von der Union über Ihren Schatten springen und
sogar die Frage, wie Mitbestimmung bei Heimarbeit und
Industrie 4 .0 erfolgen soll, als Forschungsthema benennen, überrascht .
({4})
Endlich auch eine Bestandsaufnahme zu starten, welche
Auswirkungen die Digitalisierung auf die Arbeitswelt
und verschiedene Berufe und Branchen haben wird, was
längst überfällig war, findet unsere Fraktion auch gut.
({5})
Allerdings vergessen Sie einen Bereich der Arbeitswelt nach wie vor völlig .
({6})
Zu einem innovativen und menschlichen Standort gehört
eben auch eine innovative und menschliche Verwaltung .
({7})
Forschungsvorhaben bezüglich der Frage, wie die Digitalisierung in Behörden und in der Verwaltung effizient, mitarbeiter- und bürgerfreundlich umgesetzt werden
kann, fehlen völlig, und auch die Forschung darüber, wie
sich die Digitalisierung auf die Arbeitsbedingungen, die
Mitbestimmung und die Arbeitsabläufe in Ämtern und
Ministerien auswirkt, haben Sie schlichtweg vergessen .
Betrachte ich also diesen Antrag für sich allein, könnte ich jetzt die Rede mit einem „Befriedigend“ und dem
Hinweis zur Überarbeitung zum öffentlichen Sektor beenden .
({8})
Aber es reicht leider nicht, die richtigen Fragen zu stellen, und es reicht auch nicht, nur die richtigen Forschungen in Auftrag zu geben . Entscheidend ist, wie die Ergebnisse der Forschung dann in Form von Taten umgesetzt
werden .
({9})
Da versagt diese Koalition komplett .
({10})
So ist der Wissenschaft längst bekannt, dass Armut zu
Konflikten, zu Krieg, Vertreibung und Flucht führt. Was
macht diese Bundesregierung? Sie ignoriert das und verfehlt das Ziel, 0,7 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für
Entwicklungshilfe bereitzustellen ({11})
- seit Jahren -, konstant und klar mit 0,4 Prozentpunkten .
({12})
Damit verursacht diese Regierung letztlich weitere
Flüchtlingsbewegungen .
Aus der Friedensforschung ist längst bekannt, dass
Diskriminierung zu schweren Konflikten führt.
({13})
Trotzdem schweigt diese Regierung zur Diskriminierung
der Kurden in der Türkei .
({14})
Es ist schon erstaunlich, wie sich die Koalition hier feiert
und gleichzeitig die Ergebnisse ihrer Forschung locker
ignoriert .
Schauen wir auf das Thema Arbeit und Bildung .
({15})
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
und das Bundesinstitut für Berufsbildung ermittelten,
dass häufige Wochenendarbeit körperlich und emotional
stärker erschöpft, zu höherem Stresslevel und Schlafstörungen führt und damit Gesundheitsrisiken wie Herzinfarkte und Depressionen steigen . Doch statt Wochenendarbeit einzuschränken, fordert die Union in meinem
Heimatland Thüringen, das Gesetz, welches Beschäftigten im Einzelhandel zwei freie Samstage je Monat garantiert, wieder abzuschaffen .
({16})
So ignoriert die Union die Ergebnisse der Wissenschaft .
({17})
Aber unsere linke Landesregierung wird den Beschäftigten das Recht auf freie Samstage erhalten;
({18})
denn wir berücksichtigen in unserem Handeln die Forschungsresultate zum Wohle der Menschen .
Ein zweites Beispiel . Seit Jahren stapeln sich die Belege, dass das Kooperationsverbot im Bildungsbereich,
({19})
also das Verbot, dass der Bund Gelder für Bildung an die
Länder zahlt, für unseren Nachwuchs schädlich ist .
({20})
Trotzdem hat die Koalition dieses Verbot nur im Hochschulbereich aufgehoben .
({21})
Warum Sie erneut Erkenntnisse ignorieren, müssen Sie
einmal nachvollziehbar erklären .
({22})
Wir Linke sind für die Aufhebung des Kooperationsverbotes in allen Bildungsbereichen .
({23})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, den Antrag
werden wir im Ausschuss wohlwollend begleiten . Sie
können sich auf die starke Opposition verlassen . Wir
werden Sie an Ihre Vorhaben erinnern und zur Umsetzung der Forschungsergebnisse treiben .
Vielen Dank .
({24})
Das Wort hat der Kollege René Röspel für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, dass uns gerade ein sehr bunter
Strauß unterschiedlichster Themen, die mit dem eigentlichen Thema sehr wenig zu tun haben, präsentiert wurde .
Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Sie schlicht
neidisch darauf sind, dass wir im Bereich Arbeits-,
Dienstleistungs- und Produktionsforschung wirklich ein
Stück weitergekommen sind .
({0})
Anders als die Linken warten wir nicht auf Wunder,
sondern wir krempeln die Ärmel hoch und setzen uns zusammen, was in einer Koalition nicht immer einfach ist .
Aber, Herr Kaufmann, Ihr Lob kann ich Ihnen zurückgeben . Wir haben das geschafft . Wir sind auf dem Weg hin
zu einer guten Arbeitsforschung in den letzten Monaten
ein großes Stück weitergekommen . Das wird ein neuer
Impuls werden .
({1})
Schaffung menschengerechter Arbeitsbedingungen:
ein Ziel staatlicher Forschungsförderung . - Diesen Satz
hat vor 40 Jahren - ich will auf das Urheberrecht hinweisen - der damalige Forschungsminister Hans Matthöfer
gesagt, als er das wirklich wegweisende Projekt - Kollege Kaufmann hat es erwähnt - „Humanisierung des Arbeitslebens“ auf den Weg gebracht hat .
Dabei ging es um die Frage: Wie gehen wir mit diesem technologischen Wandel, den wir erleben, um? Damals bezog sich das Programm eher darauf, den Arbeitsund Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer tatsächlich
zu verbessern oder überhaupt erst herzustellen und den
Jugendarbeitsschutz zu berücksichtigen . Man war noch
nicht so weit, dem technologischen Wandel wirklich vorauszugehen . Aber vielleicht war damals der technologische Wandel spürbarer als heute .
Ich erinnere mich - einige von Ihnen vielleicht auch -:
Meine Familie hat gegenüber einer Kohlenhandlung gewohnt . Als Kind habe ich jeden Tag gesehen, wie zwei
oder drei starke, kräftige Kerle - wahrscheinlich Männer
ohne Ausbildungsberuf - jeden Tag Zentner von Kohlen
bewegt haben . Ich habe manchmal meiner Großmutter
Kohlen bis unter das Dach im fünften Stock geschleppt,
weil sie einen Kohlenofen hatte . Was war ich froh, als
endlich die Zentralheizung kam! Das bedeutete aber,
dass die Kohlenhandlung irgendwann verschwunden
war, weil keiner mehr Kohlen brauchte .
Das hatte einen großen Strukturwandel zur Folge . Ich
komme aus dem Ruhrgebiet, wo wir in den 50er-Jahren 500 000 Bergleute hatten . Heute sind es knapp über
5 000 . Es hat also dramatische gesellschaftliche Auswirkungen, wenn man das nicht vernünftig begleitet .
Den Kohlenhändler gibt es nicht mehr . Aber im Bereich des Sanitär-, Klempner- und Heizungswesens hat
es einen richtigen Schub an Technologie gegeben . Das
heißt, Arbeitsbedingungen und Technologie wandeln
sich . Darauf muss sich die Gesellschaft vorbereiten .
Es ist übrigens richtig: Nachdem von 1974 bis 1980
das wichtige Programm „Humanisierung des Arbeitslebens“ gelaufen ist, wurde es in den 80er-Jahren, von
1984 bis 1989, von einem Forschungsminister fortgesetzt, der dann das Programm „Arbeit und Technik“ auf
den Weg brachte, dem sogar ein breiter Innovationsbegriff zugrunde lag und das nicht nur die Technik im
Blick hatte . Wenn er anwesend wäre, würde ich Heinz
Riesenhuber jetzt persönlich dafür loben . Aber er kann
es im Protokoll nachlesen . Es war ein sehr weitsichtiger
Schritt, Arbeits- und Dienstleistungsforschung fortzusetzen . Er hat damals gesagt - ich zitiere -:
Wer immer nur an Technik denkt, wenn von Innovationen die Rede ist, braucht sich über Misserfolge
nicht zu wundern .
Das heißt, der Innovationsbegriff ist beim Technologiewandel viel breiter zu sehen als nur unter dem Gesichtspunkt, welche neuen Technologien wir haben .
({2})
Leider ist das in den 90er-Jahren in der Arbeitsforschung in den Hintergrund gerückt und hat an Bedeutung
verloren . Deswegen bin ich sehr froh, dass es uns gemeinsam in der Koalition gelungen ist, in den Koalitionsvertrag aufzunehmen, dass wir in enger Abstimmung mit
den Sozialpartnern, weil Arbeitgeber und Gewerkschaften wichtig sind und sich sehr gut damit auskennen, ein
neues Programm für Arbeits-, Dienstleistungs- und Produktionsforschung auf den Weg bringen werden, und das
machen wir . Mein Dank gilt dem BMBF, dass bis 2020
1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt werden, damit
wir erforschen können, wie sich Arbeit und Produktion
verändern werden und wie der Technologiewandel möglicherweise dazu beitragen wird, dass auch Lebenskonzepte sich verändern, weil bestimmte Berufe vielleicht
nicht mehr gebraucht werden .
Herr Kaufmann hat auf die Ängste hingewiesen, die
damit verbunden sind, und einige Beispiele genannt . Den
Kohlenhändler gibt es nicht mehr, und wir werden sehen, was sich noch alles verändern wird . Wir werden drei
Ebenen im Blick behalten, die betroffen sind: den Menschen - den Arbeitnehmer wie auch den Arbeitgeber -,
die Gesellschaft und den Staat . Wir müssen uns anschauen, wie sich die veränderten Produktionsbedingungen jeweils auf sie auswirken .
Wichtig für den Menschen ist: Wie geht er mit einer
Digitalisierung des Arbeitsplatzes um? Wie ist es, wenn
auf einmal die Vorstellung einer menschenleeren Fabrik aufkommt? Von der Fraunhofer-Gesellschaft gibt es
schon ein Pilotprojekt zur menschenleeren Fabrik . Sind
dann nur noch Roboter am Werk? Was braucht man für
Qualifizierungen, um in einer solchen Arbeitswelt einen
Arbeitsplatz zu finden oder behalten zu können? Vor allen
Dingen ist es auch wichtig, zu beachten, welche Veränderungen das bei den Arbeitsbedingungen mit sich bringt .
Die Kohlenzentner brauchen nicht mehr geschleppt zu
werden, aber die Auswirkungen von großem Stress und
die Folgen der Digitalisierung können auch sehr negativ
sein . Das bekommen wir im täglichen Leben zu spüren .
Genau da setzen wir mit den Programmen an . Wichtig
ist es auch für Unternehmer, zu wissen, wie Arbeitsbedingungen aussehen müssen . Was bedeutet es, wenn dem
Erfahrungswissen eines gut ausgebildeten Facharbeiters
die Algorithmen des Roboters gegenüberstehen? Wie
muss man das vernünftig vernetzen, damit gute Produkte
dabei herauskommen
Am Ende ist die Frage - das mag das Beispiel der
Steinkohle im Ruhrgebiet zeigen -: Was bedeuten diese
Veränderungen in der digitalen Welt, in der Technisierung, bei neuen Technologien bis hin dazu, dass man mit
einem dreidimensionalen Drucker Unikate ausdrucken
kann und die große Fabrik, die Tausende von Produkten
herstellt, vielleicht nicht mehr gebraucht wird, für eine
Gesellschaft, und welche Antwort werden wir geben
müssen?
Deswegen ist es, glaube ich, ein großer Fortschritt,
dass wir das jetzt mit dem Programm „Innovationen für
die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“
auf den Weg gebracht haben . Wir werden selbstverständlich auch die Fragen von Partizipation, Teilhabe an Entscheidungen und Mitbestimmung beleuchten . Das gehört
nämlich dazu .
({3})
Ich darf zum Schluss meiner Rede Hans Matthöfer zitieren . Er hat 1976 gesagt:
Der Kampf um menschengerechte Arbeitsbedingungen, um die Behauptung der Würde des Menschen in der industriellen Arbeitswelt wurde nicht
erst heute begonnen und wird morgen nicht beendet
sein . Er begleitet den gesamten Prozess der wirtschaftlich-technischen Entwicklung .
Heute würde man das vielleicht ein bisschen anders formulieren . Aber recht hat er gehabt . Diese Mahnung nehmen wir mit als Auftrag .
Vielen Dank .
({4})
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn Digitalisierung zu Umbrüchen in der Arbeitswelt
führt, dann muss sich auch die Arbeitsforschung wandeln . Der vorliegende Antrag der Koalition stellt hierzu eine sinnvolle Diskussionsgrundlage dar, die jedoch
ein paar blinde Flecken aufweist . Ihre Beschreibung der
arbeitspolitischen Chancen und Herausforderungen ist
leider recht selektiv . Deshalb möchte ich Sie auf einige
blinde Flecken hinweisen .
Erstens. Es findet sich kein Wort zur zunehmenden
Diversität und Vielfalt der Belegschaften . Dies ist gerade
angesichts unserer modernen Einwanderungsgesellschaft
und der Debatten über Flucht und Integration mehr als
erstaunlich .
Zweitens . Das Thema Gleichstellung von Frauen und
Männern taucht nur indirekt auf, und zwar wieder im
Zusammenhang mit der so wichtigen Vereinbarkeit von
Familie und Beruf . Es ist schade, dass die Koalition diese
wichtigen Felder von Arbeitsforschung - Diversity und
Gleichstellung - nicht als Forschungsgegenstand klar benennt .
({0})
Dabei könnten Sie gerade hier Ratschläge der Wissenschaft dringend brauchen; denn eine gerechtere Arbeitswelt und gute Arbeit für alle wird es nur geben, wenn wir
Benachteiligungen gezielt abbauen und Forschungskonzepte dies noch stärker berücksichtigen .
({1})
Drittens . Neue Smart Services sind nur dann nachhaltig, wenn sie neben effizientem Ressourceneinsatz
faire Beschäftigungsbedingungen bieten . Digitalisierung
droht sich genderspezifisch auszuwirken: Es ist auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos festgestellt worden, dass
besonders Arbeitsplätze von Frauen gefährdet sind . Es
kann also durchaus dazu kommen, dass es nicht, wie es
der Titel Ihres Antrags proklamiert, mehr Beschäftigung
geben wird, sondern weniger und anders verteilte . Wissenschaft muss solche vielschichtigen Entwicklungen
analysieren, Empfehlungen entwickeln und in den gesellschaftlichen Diskurs einspeisen . Sie müssen dann Konsequenzen ziehen in Ihrer Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik .
({2})
Viertens . Wir teilen den Ansatz, die Forschungsagenden gemeinsam mit den Sozialpartnern zu entwickeln .
Das ist ein durchaus wichtiger Punkt .
({3})
Aber dabei dürfen Sie nicht diejenigen Betriebe und
Branchen vernachlässigen, in denen es keine oder kaum
Mitbestimmung gibt . Genau dort bleibt das Risiko, dass
die Digitalisierung nicht zur Humanisierung der Arbeit
führt, sondern zu Arbeitsverdichtung sowie zu Problemen
mit ständiger Erreichbarkeit und beim Datenschutz . Das
ist ein wichtiger Punkt der Arbeitsforschung und offensichtlich ein blinder Fleck bei Ihnen .
({4})
Zur Realität gehört auch, dass es weiterhin Jobs mit
geringen Qualifikationsanforderungen gibt, häufig dann
als prekäre Beschäftigungsverhältnisse . Die Arbeitsbedingungen dieser Beschäftigten dürfen nicht ignoriert
werden, sondern müssen intensiver erforscht werden, um
Lösungen zu finden, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern .
Fünftens . Für den Transfer der Arbeitsforschungsergebnisse nennen Sie als wichtige Zielgruppe kleine und
mittlere Unternehmen . Das teilen wir . Leider führen Sie
nicht aus, wie die KMUs erreicht werden können . Es
wäre hochgradig spannend, zu erfahren, wie das gelingen
soll . Im Forschungsausschuss haben uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Schwerfälligkeit
der Antragsverfahren berichtet . Es wäre erfreulich, wenn
offenere Programmstrukturen zu schnelleren Fördermöglichkeiten führen würden .
Nicht vernachlässigt werden darf bei aller Praxisorientierung der Arbeitsforschung die Grundlagenforschung
an sich, die Sie ebenfalls in Ihrem Antrag nicht adressieren . Deren Förderung ist vor allem unsere staatliche
Aufgabe, weil einzelne Unternehmen diese in der Regel
so breit nicht leisten . Bei der Suche nach kreativen Reaktionen auf epochale Veränderungen in der Arbeitswelt
können wir darauf nicht verzichten .
({5})
Sechstens. Betrachtet man allein unsere Verpflichtung
nach der Pariser Klimakonferenz, wird deutlich, dass
wir unsere Produktionsweisen, Konsumgewohnheiten
und Arbeitsweisen grundlegend verändern müssen . Das
Forschen für den Wandel und die Schaffung arbeitsökologischer Innovationen sind deshalb ein Gebot der Stunde . Plakativ gesagt: Wir brauchen auch mehr Arbeitsforschung für eine Green Economy, damit wir den Wandel
schaffen .
Siebtens . Gerade bei der Technisierung personenbezogener Dienstleistungen stellen sich verstärkt ethische und
soziale Fragen, zum Beispiel bei den Branchen Pflege und
Medizin, Stichwort „Pflegerobotik“. Diese Chancen und
Risiken müssen in unserer Gesellschaft breit und fundiert
diskutiert werden . Deshalb bedarf es gerade auch bei der
Arbeitsforschung ethischer und sozialer Fragestellungen .
Da kann sie einen wichtigen Beitrag leisten .
({6})
Es ist insgesamt, meine Damen und Herren, eine interessante Initiative der Koalitionsfraktionen, die wir
jetzt hier im Plenum diskutiert haben . Wir sind gespannt,
wie die Bundesregierung die Ergebnisse der Arbeitsforschung in ihrem politischen Handeln aufgreifen wird . Ich
freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen .
({7})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Thomas Rachel .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Deutschland ist eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt und ohne Zweifel ein sehr innovatives Land . Wir möchten, dass das so bleibt . Aber
unsere Art, zu wirtschaften, verändert sich - tiefgreifend,
schnell . 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden
in Deutschland mit Dienstleistungen erarbeitet, rund
25 Prozent an den Produktionsstandorten .
Die nun stattfindende Zusammenführung von Produktion auf der einen Seite und Dienstleistung auf der anderen Seite führt zu einer neuen Art der Wertschöpfung,
übrigens über Regionen und Kontinente hinweg . Durch
höhere Informationsflüsse und Vernetzung übernehmen
Maschinen immer komplexere Aufgaben in den Unternehmen . Wirtschaftliche Transaktionen können praktisch
in Echtzeit geschehen .
Zusammen mit den neuen Fertigungsmethoden wie
dem 3D-Druck führt dies auch zu einer stärkeren Flexibilisierung der Produktion hin zur Individualisierung der
Produkte . Ja, unser Standort ist stark . Innovationsfähigkeit, Sozialpartnerschaft, sozialer Zusammenhalt - all
dies zeichnet unser Land aus .
({0})
Wir möchten gern, dass der Produktionsstandort,
aber auch der Dienstleistungsstandort Deutschland stark
bleibt . Manche befürchten aber den Verlust von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung der Arbeitswelt . Ja, es
werden auch Arbeitsplätze wegfallen, aber es werden
auch viele neue entstehen . Wir können und wir wollen
genau diese Entwicklung mitgestalten . Wir müssen die
Chancen der Digitalisierung durch kluge Innovationen
nutzen und gleichzeitig die Veränderungen so gestalten,
dass wir am Ende mehr Arbeitsplätze erhalten und diese
sogar noch menschengerechter gestalten können .
({1})
Wir haben mit dem großen Forschungsprogramm „Innovation für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit
von morgen“ bis 2020 eine Investition von 1 Milliarde
Euro vorgesehen . Das ist wahrlich ein großer Aufschlag .
({2})
Mit unserer Forschungsförderung waren wir übrigens die
Ersten, die „Arbeiten - Lernen - Kompetenzen entwickeln“ integrativ gedacht haben . Ich denke an die Frage
des Verhältnisses von Stabilität und Wandel, die heute im
Kontext von Industrie 4 .0 gestellt wird, aber schon 2009
untersucht wurde, oder an die Rolle des präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutzes, die heute in aller Munde
ist, die wir aber schon 2006 in unserer Forschungsförderung bearbeitet haben .
Die nunmehr anstehende Veröffentlichung des Forschungsprogramms „Zukunft der Arbeit“ greift die neuen Herausforderungen am Arbeitsmarkt auf; denn für uns
steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt - und das auch
in der digitalisiert veränderten Welt .
({3})
Wir haben das Programm in enger Abstimmung mit
dem Arbeitsministerium, mit den Sozialpartnern, den
Gewerkschaften und den Arbeitgebern entwickelt und
konzipiert - ein neuer, ein qualitativer Schritt .
Ziel der Arbeitsforschung ist es, mit wissenschaftlichen Ergebnissen einen Beitrag zur Verbesserung
der Arbeitsbedingungen in Deutschland zu leisten und
gleichzeitig beschäftigungsfördernd zu sein . Das Forschungsprogramm „Zukunft der Arbeit“ zielt darauf ab,
technologische und soziale Innovationen gleichermaßen
voranzubringen . Wir haben einen Gestaltungsanspruch,
nämlich neue Methoden der Qualifizierung, der Gesundheitsprävention, der Arbeitsgestaltung und -organisation
in und mit den Unternehmen und den Beschäftigten zu
entwickeln und sie in pilothafter Umsetzung in die Praxis
zu überführen - und dies möglichst branchenübergreifend .
Qualifizierung und Kompetenzentwicklung sind nach
meiner festen Überzeugung die entscheidenden Schlüssel, um sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen
Potenziale, die in der Digitalisierung stecken, zu heben .
Die Kernfrage lautet deshalb: Welche Kompetenzen benötigen Beschäftigte und Unternehmen, um den Strukturwandel für gute Arbeit und für wettbewerbsfähige
Produkte und Dienstleistungen zu nutzen?
Wir verstehen dies als Gestaltungsauftrag . Unsere
Forschungsförderung will eben nicht nur das Phänomen
„Industrie 4 .0“ beschreiben oder neue technologische
Entwicklungen ermöglichen, nein, wir wollen gleichzeitig den Wandel gesellschaftsverträglich mitgestalten .
({4})
So werden wir eine Industrienation sein, die an der Spitze des Fortschritts steht, ein humanes Miteinander erhält
und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit stärkt .
Herzlichen Dank .
({5})
Der Kollege Dr . Ernst Dieter Rossmann hat für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Kaufmann, Kollege Röspel, Sie haben Hans
Matthöfer erwähnt . Ich will das insoweit vertiefen, als
man von Hans Matthöfer wissen muss, dass er ausgewiesener IG-Metall-Gewerkschafter war und zuletzt die Bildungsabteilung der IG Metall geleitet hat . Deshalb würde
er sich gefreut haben, wenn er gewusst hätte, dass es in
dem jetzigen Forschungsprogramm zu Dienstleistung
und Arbeit ein ausdrückliches Kapitel gibt - Staatssekretär Rachel hat es eben angesprochen -, das den Titel
trägt: „Arbeiten - Lernen - Kompetenzen entwickeln“ .
Nun muss man dazu sagen: Das steht zunächst auf
dem Papier . Auch Hans Matthöfer würde kritisiert haben: Wenn das die Auffassung der Sozialpartner und der
Bundesregierung ist, weshalb war es dann, verdammt
noch einmal, möglich, dass die IG Metall in ihrem letzten
großen Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie
die Qualifizierung nicht so durchsetzen konnte, wie es
für die Zukunft nötig gewesen wäre? Wir müssen auch
den Schritt von der Forschung in die Wirklichkeit schaffen . Das ist der Auftrag, auch vorgegeben durch das Forschungskonzept .
({0})
Hans Matthöfer wäre im Übrigen auch jemand, der
auf der Basis der Mitbestimmung ein Konzept der Humanisierung der Arbeitswelt mitentwickelt hätte . Uns fällt
auf, dass das Parlament hier präziser sein kann, als es die
Regierung wollte oder durfte; denn in dem Regierungsprogramm steht neben sehr vielem Guten als Adressat
immer die Wirtschaft . In unserem Antrag sprechen wir
von Sozialpartnern und Mitbestimmung . Das ist präziser .
({1})
Das stellt einen Auftrag dar und ist eine Prämisse, unter der wir dieses Programm mitentwickeln wollen . Ich
will allerdings der Regierung auch ausdrücklich Anerkennung zollen . Das Programm ist zusammen mit den
Sozialpartnern entwickelt worden, es ist mit den Gewerkschaftsvorsitzenden zusammen vorgestellt worden .
Aber der Geist, dass es keine nebulöse Wirtschaft gibt,
sondern dass auch Interessengegensätze im Bereich der
Entwicklung von Arbeit auszutragen sind und man nach
besten Wegen für gute Arbeit zu suchen hat, ist in unserem Antrag stärker ausgeprägt .
Hier wurde viel Lob ausgesprochen . Der Kollege
Schulz wartet schon die ganze Zeit auf ein Lob für die
Haushälter . Ich muss das Lob für die Haushälter mit einer
kleinen Kritik verbinden . Schauen wir uns die Entwicklung von 1974 bis 2016 an . Da hat es eine Phase gegeben,
in der die Arbeits- und Dienstleistungsforschung nicht so
etatisiert worden ist, wie sie es verdient gehabt hätte . Es
hat dann einen neuen Einstieg mit einem neuen Rahmenprogramm in der Regierungszeit von SPD und Grünen
gegeben . Wir dürfen auch feststellen, dass dann, wenn
die SPD zusammen mit der CDU regiert, es besser für
die Arbeits- und Dienstleistungsforschung ist, als wenn
die CDU mit der FDP regiert .
({2})
Wir haben jetzt wieder ein hohes Niveau mit Tendenz
nach oben . Das wollen wir gerne anerkennen . Wir wollen
gar nicht darüber sprechen, dass das noch weiter verstetigt werden muss, weil sich auch dieser Bereich durch
neue Fragestellungen erweitern wird .
Kollege Gehring, Sie haben vieles angesprochen, und
wenn die Opposition einen Fachantrag derart behandelt,
dann zeugt das schon von viel Zustimmung. Ich finde,
wir vergeben uns auch nichts, wenn wir akzeptieren, dass
Sie und Herr Lenkert darauf hinweisen, dass man die
Verwaltung mit einbeziehen könnte; denn die Produktivitätssteigerung in Bezug auf die Dienstleistungen - ich
nenne die neuen Strukturen, neue Kommunikationssysteme, technologische Systeme, Arbeit, Entwicklung, Reparatur, Vermittlung und Vernetzung - betrifft auch die
Verwaltung .
Wenn wir eine leistungsfähige und moderne Verwaltung haben wollen, dann muss dies auch in der Arbeitsforschung auftauchen . Das ist eine gute parlamentarische
Aufgabe . Das ist im Übrigen eine Aufgabe, die auch die
gesamte Regierung angeht .
Ich will dazu nur noch einen kleinen Hinweis geben .
Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller, Sie sitzen dort,
weil auch das Arbeitsministerium unter anderem mit
dem Grünbuch Industrie 4.0 Wesentliches mit entwickelt
hat, und das wird auch in diesem Konzept angesprochen .
Die Botschaft kann also eigentlich nur sein: Was die Regierung vorgelegt hat, wird jetzt vom Parlament so ernst
genommen, dass es über einen differenzierteren Antrag
weiter begleitet wird . Ich will dazu nur sagen: Das hätte
auch Hans Matthöfer gefreut .
Im Übrigen gibt es einen wirklichen Wandel . Damals,
in den 1970er-, 1980er-Jahren - Kollege Röspel hat es
schon angesprochen -, ging es faktisch um Automatisierung; jetzt geht es um Vernetzung . Damals, in den
1970er-Jahren, als diese Programme aufgelegt wurden,
konnte man vom Technologischen her noch gar nicht an
Vernetzungsstrukturen denken, wie sie jetzt allgegenwärtig sind . Insoweit geht es darum, den Ball aufzunehmen
und die Humanisierung der Arbeit in der Industriegesellschaft sowie in der Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft voranzutreiben . Das ist die Botschaft dieser gemeinsamen Initiative .
Danke schön .
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Digitalisierung und Vernetzung, mobile Endgeräte, selbstfahrende Autos, ständige Erreichbarkeit,
Nachrichten und Informationen in Sekundenschnelle
weltweit, Roboterproduktionsstraßen - wir haben in den
vergangenen Jahren durch die zunehmende Digitalisierung einen rasanten Wandel erlebt, einen Wandel, der alle
Lebensbereiche umfasst .
Schauen wir nur in unser direktes Umfeld: Die Kommunikation verändert sich durch E-Mails und Kurznachrichten, auch wenn, zugegeben, in den vergangenen Wochen doch wieder der Brief an Bedeutung gewonnen hat .
({0})
Die Kommunikation hat sich auf jeden Fall verändert .
Über Mobiltelefone können wir Wohnungen steuern .
Während man früher von Geschäft zu Geschäft laufen
musste, um Preise zu vergleichen, schaut man heute ins
Internet und bestellt vielleicht auch online .
Die Digitalisierung macht vor Fabrik- und Firmentoren selbstverständlich nicht halt, und das ist auch gut so;
denn die Digitalisierung, die Vernetzung von Wirtschaft
und Industrie bieten viele Chancen .
({1})
Die Fertigungsprozesse werden flexibler, effizienter,
nachhaltiger; sie lassen sich besser auf die Bedürfnisse
der Kunden abstimmen . Neue Tätigkeitsfelder und innovative Geschäftsmodelle entstehen . Prozesse laufen in
einer nie dagewesenen Präzision und Geschwindigkeit
fast in Echtzeit ab . Für unser Land ist die Digitalisierung
von herausragender Bedeutung . Wir müssen die Chancen
nutzen, und wir können es auch . Wer, wenn nicht wir?
Viele fragen sich nun: Wie weit geht diese Digitalisierung? Wie sieht der Arbeitsplatz von morgen, die Fabrik
von übermorgen aus? Das sind sehr berechtigte Fragen,
wie ich finde; denn schließlich sind fast 43 Millionen
Menschen in Deutschland erwerbstätig, so viele wie
noch nie in der Geschichte unseres Landes . Zwei Drittel
von ihnen erleben bereits heute den Wandel der Arbeitswelt durch Digitalisierung .
Selbstverständlich erzeugen diese Veränderungen Unsicherheiten, Fragen, Ängste: Werden durch den Einsatz
von intelligenten Robotern massenhaft Arbeitsplätze
vernichtet? Wird es in Zukunft menschenleere Fabriken
geben? Wird der Mensch vielleicht sogar überflüssig in
der Produktion? Gerade deshalb ist es mir wichtig, zu
betonen: Wir wissen, dass der digitale Wandel nicht nur
eine technologische Dimension hat, sondern eben auch
eine soziale .
Wir sehen aber auch, dass die Digitalisierung viele
Chancen und Verbesserungen gerade auch für den Menschen bietet . Der Mensch wird auch weiterhin gebraucht
werden - davon bin ich überzeugt -, nur eben anders als
heute . Es werden neue Berufsbilder und Anforderungen
entstehen. Hier müssen wir vonseiten der Politik flexibel
reagieren und auch unterstützen . Gerade deshalb ist der
vorliegende Antrag zur Arbeitsforschung wichtig, nämlich um die Frage nach dem Wie zu beantworten: Wie
sieht die Arbeit in Zukunft aus?
({2})
Dabei ist es nicht so - das möchte ich betonen; es ist
auch schon angesprochen worden -, dass wir neu im
Feld der Arbeitsforschung sind . 1974 wurde das erste Programm dazu auf den Weg gebracht . Jetzt stehen
dem Bildungs- und Forschungsministerium 1 Milliarde
Euro - auch der Staatssekretär hat es angesprochen für das Programm „Innovationen für die Produktion,
Dienstleistung und Arbeit von morgen“ zur Verfügung .
Im Haushalt 2016 sind für die Forschung für Produktion,
Dienstleistung und Arbeit 89 Millionen Euro vorgesehen .
Das sind nur zwei Zahlen aus dem Bildungsministerium .
Andere Projekte sind bereits angesprochen worden . Auch
das Arbeitsministerium hat hierzu Programme .
Mit unserem heute vorliegenden Antrag zur Arbeitsforschung führen wir also konsequent fort, was wir
uns schon im Rahmen der Digitalen Agenda selbst ins
Hausaufgabenheft geschrieben haben . Wir wollen die
neuen Herausforderungen gemeinsam mit Wirtschaft,
Wissenschaft und Sozialpartnern angehen . Den digitalen
Wandel, den Wandel in der Arbeitswelt, können wir nur
gemeinsam schaffen . Ich bin davon überzeugt: Wir werden die Megatrends der Arbeit wie Digitalisierung und
Vernetzung, Globalisierung, Flexibilisierung der Arbeit,
der Arbeitszeit und der Arbeitsabläufe, demografische
Entwicklung, Qualifizierung und Qualitätssicherung, Beschleunigung, Ökologie, Gesundheit und Kreativität der
Mitarbeiter, um nur einige Punkte zu nennen, hinbekommen . Wer, wenn nicht wir?
({3})
Der vorliegende Antrag trägt wesentlich dazu bei .
Vielen Dank .
({4})
Ich schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7363 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Kerstin
Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Energienetze zurück in die öffentliche Hand Rechtssicherheit bei der Rekommunalisierung schaffen
Drucksachen 18/4323, 18/5274
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Florian Post für die SPD-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Viele Kommunen stehen vor der Frage, ob sie ihre Netze
einem privaten Netzbetreiber oder einem kommunalen
Betrieb anvertrauen oder ob sie, als dritte Option, dazu
eine öffentlich-private Partnerschaft eingehen . Die SPD
glaubt, dass gut durchgeführte Rekommunalisierungen
von Stromnetzen den Bürgern, den Kommunen und nicht
zuletzt dem Wettbewerb dienen .
Allein in Bayern laufen 2017 circa 200 Konzessionsverträge aus. Es gilt, eine effiziente und sichere Stromversorgung auch in der Zukunft zu sichern . Grundsätzlich können dies Kommunen genauso gut wie Private .
Seit 2007 haben 80 Kommunen eigene Stadtwerke neu
gegründet und haben bereits 200 Gemeinden eine Konzession für das Stromnetz wieder selbst übernommen .
Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit; ich
habe es eingangs angesprochen . Ich nenne die bayerische
Mittelstadt Weiden in der Oberpfalz mit 42 000 Einwohnern . Dort hat der SPD-Oberbürgermeister Kurt
Seggewiß den Weg gewählt, eine Kooperation mit der
privaten Bayernwerk AG einzugehen, wobei die Aufteilung so ist, dass die kommunale Gesellschaft die kaufmännische Verantwortung trägt, aber die technische Betriebsführung dem privaten Partner übertragen wurde,
wodurch der Wunsch nach öffentlicher Kontrolle und der
Wunsch nach Expertise privatwirtschaftlicher Unternehmen am besten zusammengeführt werden konnten .
Die Rahmenbedingungen für Rekommunalisierungen
müssen klar geregelt sein . Ganz klar ist, dass wir gegen
eine bedingungslose Rekommunalisierung sind . Hier gilt
es, objektive und damit nachprüfbare Kriterien einzuhalten .
Die von den Linken in ihrem Antrag geforderten Klarstellungen wird es geben . Schikanen von Altkonzessionären - zum Beispiel zu hoch angesetzte Kaufpreise, zu
hohe Entflechtungskosten - werden von der SPD nicht
akzeptiert werden . Die Konsequenz wären jahrelange
Rechtsstreitigkeiten, die die Kommunen natürlich vermeiden wollen, weshalb sie oftmals von einer Rekommunalisierung Abstand nehmen .
Auch werden wir regeln, dass künftig für die Kaufpreisermittlung grundsätzlich der Ertragswert maßgeblich sein muss . Es geht um den optimalen Netzbetrieb in
Städten und Gemeinden . Mit „optimal“ meine ich: Die
Kriterien Effizienz, Verbraucherfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit müssen im Mittelpunkt stehen und
gleichermaßen erfüllt werden . Einen Blankoscheck allerdings, wie ihn die Linke in ihrem Antrag fordert, können
und werden wir nicht ausstellen . Das Einzige, was nach
unserem Dafürhalten von den Kommunen verlangt werden soll, ist, dass sie, wie gesagt, die Kriterien Effizienz,
Umweltverträglichkeit und Verbraucherfreundlichkeit
einhalten . Die Kommunen erhalten nach unserem Vorschlag sogar die Möglichkeit, diese Ziele frei zu gewichten und darüber hinaus als Nebenkriterium kommunale
Eigeninteressen vorzusehen .
Aber das kann kein Selbstzweck sein . Sollte sich herausstellen, dass eine Kommune diese Kriterien für eine
Rekommunalisierung schlechter erfüllen kann als ein
Privater, gibt es keine Rechtfertigung, warum trotzdem
die Kommune automatisch den Vorzug erhalten soll;
denn das wäre nicht im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger . Wir sind für einen gesunden, offenen und diskriminierungsfreien Wettbewerb, der keine Gräben zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft aufreißt . Die
Gemeinde- und Stadtwerke sorgen überall in Deutschland für hohe Versorgungsqualität in vielen effizient
geführten Netzen . Damit das so bleibt, müssen wir den
Antrag der Linken ablehnen . Wir werben natürlich für
unseren Vorschlag, der hier noch beraten werden wird .
Danke schön .
({0})
Die Kollegin Caren Lay hat für die Fraktion Die Linke
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst
gestern konnten wir in der Zeitung lesen, was passieren
kann, wenn private Konzerne die Energienetze in der
Hand haben: In Berlin steht Vattenfall im Verdacht, mit
einem simplen Buchhaltungstrick den Bürgerinnen und
Bürgern zu hohe Netzentgelte abgeknöpft zu haben . Hier
wird offenbar „geschummelt“ . Das ist ein Beleg dafür,
dass „Strom- und Gasnetze besser in öffentlicher als in
privater Hand aufgehoben sind .“
({0})
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle hätte ich
nicht nur Zwischenrufe von der CDU erwartet, sondern
auch Applaus von der SPD . Denn das war gar nicht meine Wortwahl, sondern die des SPD-Kollegen aus dem
Berliner Abgeordnetenhaus, Nikolaus Karsten .
({1})
Da hat er recht; denn Netze in öffentlicher Hand haben
viele Vorteile: Sie sichern den Verbrauchern bezahlbaren
Strom, den Kommunen eine gute Einnahmequelle . Wir
als Linke wollen ökologische, demokratische Stadtwerke
als zentrale Akteure der Energiewende . Das ist der Weg .
({2})
Das Beste ist: Viele Kommunen wollen ihre Netze
zurückhaben, auch Kommunen, deren Bürgermeister ein
CDU-Parteibuch haben; das möchte ich an dieser Stelle
explizit sagen, bevor Sie uns, wie bei den letzten Debatten zu diesem Thema, wieder die Zwangskollektivierung
der Energienetze vorwerfen . Viele Kommunen wollen
ihre Netze zurück, und sie sollen sie auch rechtssicher
zurückbekommen können .
({3})
Vielen Kommunen bietet sich gerade jetzt eine große Chance dafür . Die Konzessionen laufen aus . Bisher
scheitert es an der Rechtssicherheit, die sie bei der Rekommunalisierung nicht haben . Sie haben sie nicht, weil
die alte Bundesregierung unter Beteiligung der Union
das Gesetz ganz bewusst so geändert hat, dass den Privaten die Möglichkeit eröffnet wurde, immer wieder vor
den Gerichten gegen die Kommunen zu klagen . Das tun
sie häufig mit Erfolg.
({4})
Das muss geändert werden . Das steht auch im Koalitionsvertrag. Das finde ich gut. Aber ehrlich gesagt: Bisher
haben Sie diese wichtige Chance verpasst .
Wir als Linke stellen jetzt schon zum dritten Mal dieses Thema hier zur Abstimmung . Ich selber frage seit
eineinhalb Jahren bei der Regierung nach, wo denn die
Novelle des Gesetzes bleibt . Man wurde vertröstet . Wenn
ich die Antworten ernst nehme, dann komme ich zu dem
Schluss: Es hätte hier schon vor einem Jahr ein Gesetzentwurf vorliegen sollen . Alles, was wir bisher haben, ist
ein Referentenentwurf, der irgendwo herumliegt, aber
noch nicht hier eingebracht ist und noch nicht einmal innerhalb der Regierung fertig abgestimmt ist . So geht es
nicht, meine Damen und Herren .
({5})
Ich glaube inzwischen, dass diese Verbummelungsstrategie nicht Unfähigkeit ist, sondern Absicht . Es scheint ja
Teile in der Koalition zu geben, die einfach nicht wollen,
dass die Kommunen in dieser Frage Rechtssicherheit haben . So sieht es doch aus .
Es stand schon vor ein paar Monaten in der Zeitung ganz konkret: im Spiegel, wo genau darüber berichtet
wurde -, dass selbst Minister Gabriel möglicherweise ein
Interesse hat, auf die Bremse zu drücken,
({6})
um den privaten Energiekonzernen ihre lukrative Einnahmequelle nicht zu nehmen . Die Netzentgelte sind
nämlich ein schöner Goldesel, mit einer sicheren Rendite
von 9 Prozent . Das sind die Interessen, die dahinterstehen .
Der Referentenentwurf, den Sie erwähnt haben und
der auch mir bekannt ist, wird nach meiner Lesart nicht
helfen . Die Inhousevergabe wird dort explizit abgelehnt .
Nun ehrt es mich und meine Fraktion, dass wir in der
Begründung des Gesetzentwurfs mit unseren parlamentarischen Initiativen auch erwähnt sind . Besser hätte ich
es natürlich gefunden, die Argumente von uns und den
kommunalen Spitzenverbänden hätten Sie überzeugt .
({7})
Die Inhousevergabe ist nach EU-Vergaberecht möglich . Und das ist auch kein Blankoscheck, Herr Kollege, das ist kommunale Selbstverwaltung - kommunale
Selbstverwaltung, wie sie das Grundgesetz garantiert .
Und genau die wollen wir stärken .
({8})
Es ist richtig, dass kommunale Belange berücksichtigt
werden sollen, aber auch nur dann, wenn sie den marktfreundlichen Zielen nicht widersprechen . Im Ergebnis
bleibt es für die Kommunen unklar; im Ergebnis wird
das weiter vor den Gerichten ausgetragen . Ich kann die
große Verbesserung für die Kommunen an dieser Stelle
beim besten Willen nicht erkennen .
Anderswo - ich komme zum Schluss - ist die Debatte schon weiter . Zum Beispiel hat das Land Berlin
beschlossen, das Land möge im Bundesrat für klarere
rechtliche Regelungen einschließlich der Möglichkeit
der Inhousevergabe eintreten . Dieser Empfehlung einer
Enquete-Kommission haben alle Fraktionen zugestimmt,
außer der Union, aber auch der SPD, die in Berlin wie im
Bund mit der CDU gemeinsam regiert . Also: Fassen Sie
sich bitte ein Herz: Stimmen Sie heute unserem Antrag
zu! Die Kommunen werden es auch Ihnen danken .
Vielen Dank .
({9})
Das Wort hat der Kollege Dr . Matthias Heider für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In fünf Minuten ist so viel durcheinandergeraten, dass wir das erst
einmal sortieren müssen .
({0})
Um es vorweg zu sagen: 750 Stadtwerke in Deutschland
sind ein verlässlicher Partner . Sie sind verlässlich beim
Netzbetrieb, bei der Energielieferung, beim Stromsparen
oder bei Energiedienstleistungen . Stadtwerke spielen in
der Gemeindewirtschaft eine große Rolle . Das tun sie
seit vielen Jahrzehnten: Etwa seit Mitte des 19 . Jahrhunderts sind Energieversorgungsdienstleistungen auch von
der öffentlichen Hand selbst angeboten worden . Nur, die
Rahmenbedingungen haben sich im Laufe der Jahrzehnte, insbesondere mit der Liberalisierung des Strommarktes in Europa, verändert .
Das unserer Wirtschaftsordnung zugrundeliegende
Leitbild ist das der sozialen Markwirtschaft . Es umfasst
insbesondere die Idee des Wettbewerbs auf den Märkten .
Seit den 90er-Jahren haben wir in Deutschland einen liberalisierten Strommarkt . Hier gibt es einen funktionierenden, wenn auch regulierten Wettbewerb . Die Linken
wollen mit Ihrem Antrag diesen Wettbewerb beseitigen .
Sie wollen mal eben das Grundprinzip unserer Wirtschaftsordnung beseitigen und auf dem Energiesektor
einfach außer Kraft setzten .
({1})
Das Prinzip „fairer Wettbewerb“ muss jedoch auch bei
der Konzessionsvergabe gelten . Es muss oberste Priorität
haben .
({2})
Auch die kommunalen Unternehmen müssen sich diesem Wettbewerb stellen . Das Europäische Parlament hat
eine Systementscheidung getroffen: Netze müssen im
Wettbewerb vergeben werden . Das gilt auch bei uns in
Deutschland .
({3})
Liebe Kollegen von der Linken: Haben Sie aus dem
Verfahren des Bundeskartellamtes gar nichts gelernt?
Das Bundeskartellamt musste mehrfach wegen Wettbewerbsbeschränkungen der Kommunen zulasten Dritter
in die Vergabepraxis bei den Kommunen eingreifen . Die
Kommunen sollten daher bei der Vergabe der Wegenutzungsrechte nicht ausschließlich zugunsten ihres eigenen
Stadtwerkes handeln .
Schauen wir uns einmal an, was zwei Jahre vor Vergabe eines Konzessionsvertrages passiert . Die Vergabe
wird zunächst einmal bekannt gemacht . Es werden Ausschreibungen gemacht, es wird verhandelt, verschiedene Anbieter werben für ihr Angebot . Meine Damen und
Herren, da findet Wettbewerb statt. Da wird nicht einfach
einer ausgeguckt, der dort zu Hause ist, nämlich das eigene Stadtwerk, sondern es wird derjenige ausgesucht,
der das wirtschaftlichste Angebot macht . Das erwarten
die Verbraucherinnen und Verbraucher, nämlich dass ein
wirtschaftliches Angebot zum Zuge kommt .
({4})
Das hat auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil
vom Dezember 2013 so gesehen . Er hat entschieden, dass
eine Gemeinde, die den Netzbetrieb an einen Eigenbetrieb übertragen möchte, sich gerade nicht auf die Grundsätze der Inhousevergabe berufen kann . Nach Auffassung der Kartellbehörden und des Bundesgerichtshofes
ist die Kommune bei der Vergabe der Konzession in ihrer
Stellung marktbeherrschend, da nur sie die Wegerechte
hat und diese an einen Netzwerkbetreiber vergeben kann .
In einem solchen Fall ist es daher zwingend, dass wir das
Verfahren der Vergabe diskriminierungsfrei ausgestalten .
Sie haben eben die Inhousevergabe genannt . Was
heißt das eigentlich, Inhousevergabe? Da gibt es zwei
Kriterien: Es gibt zum einen die Kontrolle: Sie müssen
über ein Netzversorgungsunternehmen die Kontrolle wie
über eine eigene Dienststelle haben . Jetzt frage ich Sie:
Welcher Bürger möchte das denn schon, dass seine Energielieferung wie eine Dienststelle behandelt wird? Und
es gibt zum anderen das Wesentlichkeitskriterium: Der
Auftraggeber muss über den Auftragnehmer ganz wesentlich die Kontrolle behalten können . Auch das ist mit
Wettbewerb so nicht zu vereinbaren .
Die Einbeziehung der Grundsätze der Inhousevergabe
an dieser Stelle ist nicht nur risikoreich, sie ist auch europarechtlich nicht möglich, weil das energierechtliche Regime in Europa dort gerade diese Maßgabe nicht zulässt .
Unser Bestreben ist es, zu einer wettbewerbsgemäßen
Vergabe zu kommen . Die Kommunen sollen nach Ihrer
Auffassung weitere Ziele, weitere gemeindewirtschaftliche Ziele bei der Vergabe berücksichtigen können . Maßstab bei der Netzübergabe müssen aber gerade objektive
Kriterien sein, wie sie der Kollege Post gerade angesprochen hat . Diese sind im § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes festgelegt: Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit,
Verbraucherfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit .
Es sind Kriterien, die im Sinne der Verbraucherinnen und
Verbraucher sind . Die gehören in ein solches Gesetz hinein .
Im Übrigen sieht das auch der Referentenentwurf des
Bundeswirtschaftsministeriums zur Änderung des § 46
EnWG vor, und die Frage ist, welche Interessen darüber
hinaus noch als kommunale Belange Berücksichtigung
finden können. Nun, das können ganz einfache Dinge
sein, etwa beim Straßenbau: Wer hat sich als Bürger nicht
schon mal darüber aufgeregt, dass achtmal die Straße
aufgerissen wird, um eine Gasleitung, eine Stromleitung,
eine Wasserleitung und auch noch ein Kabel zu verlegen?
All diese Dinge können bei einer Vergabe Berücksichtigung finden. Auch deshalb wird es an dieser Stelle etwas
mehr Rechtssicherheit geben .
Zum wettbewerbsrechtlichen Aspekt . Sie, die Linken,
suggerieren durch Ihren Antrag, die Rechtssicherheit
könne den Wettbewerb übertrumpfen, ja geradezu ausschalten. Dazu ist zu sagen: Es findet auch beim Netzbetrieb Wettbewerb statt . Stromlieferung und Netzbetrieb
sind schon getrennt . Es werden sich jedenfalls keine weiteren Vorteile durch eine Inhousevergabe ergeben . Der
Netzbetrieb ist an Regulierungsvorschriften gebunden:
Um die Netzentgeltverordnung und die Anreizregulierungsverordnung kommt auch eine Gemeinde nicht herum .
Als weiteres Moment nennen Sie die Investitionen in
die Netze . Wir werden in den nächsten Jahren, bis 2030,
23 Milliarden Euro in Netze investieren müssen . Da
wünsche ich mir als Bürger, dass solche Entscheidungen
im Wettbewerb getroffen werden und dass bei einer Inhousevergabe nicht etwa nur die eigene Gemeinde zum
Zuge kommt . Das ist auch im Interesse niedriger Netzentgelte . Denn sie wirken sich auf den Gesamtpreis aus,
zu dem der Haushalt mit Strom versorgt werden kann .
({5})
Meine Damen und Herren, es ist letztendlich auch
eine grundsätzliche Frage, wie weit die Gemeindewirtschaft ausgeweitet werden kann - gerade vor dem Hintergrund, welche Züge das heute Morgen im Bundesrat
angenommen hat . Die Entsorgungswirtschaft stand da
in Rede . Die Mehrheit der Bundesratsvertreter forderte
einfach einmal eben die Verstaatlichung aller dualen Systeme in Deutschland . Sie wissen: Das sind diejenigen,
die im Rahmen der Verpackungsverordnung die Systemdienstleistungen gewähren .
({6})
Wir brauchen nicht mehr Staat im Wettbewerb, wir brauchen weniger Staat im Wettbewerb, damit diese Leistungen günstiger werden .
({7})
- Ich freue mich, dass Sie das Thema auch als wichtig
erkannt haben und Sie sich noch einmal zu Wort melden
wollen .
Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren - da komme
ich gerne zur Regelung des § 46 EnWG zurück - werden
wir keine Verstaatlichung der Netze weiter vorantreiben,
sondern werden die kommunalen Belange, die vertretbar
sind, mit einer besonderen Positionierung versehen . Es
kann nur um Regelungen gehen, die auf Kosteneffizienz, auf Versorgungssicherheit gerichtet sind - jedenfalls
keine anderen . Wir werden als Koalition dazu beitragen,
dass es mehr Rechtssicherheit bei der Übergabe und
Übernahme von Netzen gibt . So haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart .
Herzlichen Dank .
({8})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Dr . Julia Verlinden das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Dieses Jahr droht die Energiewende
zum Stillstand zu kommen; denn dreckige Kohlekraftwerke kriegen Milliardensubventionen und die erneuerbaren Energien eine Obergrenze . Wenn es nach den
Plänen der Union geht, dann sollte am besten gar kein
Windrad und gar keine Solaranlage mehr gebaut werden .
Was für ein herber Rückschlag, und was für eine wirtschafts- und klimapolitische Kurzsichtigkeit!
({0})
Heute beraten wir einen Antrag zur Rekommunalisierung der Energienetze . Es existiert nach wie vor eine große Rechtsunsicherheit für Kommunen bei der Übernahme der Verteilnetze . Das Engagement der Bürgerinnen
und Bürger und auch der Kommunen vor Ort ist enorm
wichtig für die Akzeptanz und auch für den Antrieb der
Energiewende . Das hört eben nicht bei den VersorgungsDr. Matthias Heider
anlagen für erneuerbare Energien auf; die Menschen
wollen auch Mitbestimmung hinsichtlich der Infrastruktur für die Energiewende erhalten . Das wollen wir Grüne
mit ermöglichen .
({1})
Das Volksbegehren in Hamburg im Jahr 2013 zum
Beispiel hat gezeigt: Die Hamburger wollen die Strom-,
Fernwärme- und Gasleitungsnetze wieder vollständig in
öffentlicher Hand sehen . Das Ziel einer sozial gerechten, klimaverträglichen und demokratisch kontrollierten
Energieversorgung aus erneuerbaren Energien bekam die
Mehrheit . So viel zu dem, was Sie eben gefragt haben:
Wer von den Menschen will das denn? Sehr viele Menschen wollen das offenbar, wie das Hamburger Ergebnis
gezeigt hat .
({2})
Das überrascht mich in Zeiten von Handelsabkommen
wie TTIP und CETA auch gar nicht, in denen sich Kom-
munen vermehrt zu Wort melden und fordern, dass ihre
wirtschaftliche Betätigung im Bereich der Daseinsvor-
sorge und der kommunalen Infrastruktur nicht weiter
eingeschränkt wird und so zentrale Dinge wie die Trink-
wasserversorgung nicht liberalisiert werden .
Manche Kommunen arbeiten bezüglich der Energie-
netze gut mit privaten Betreibern zusammen . Ande-
re wollen es lieber selbst machen . Wieder dritte sehen
in einer gemeinsamen Partnerschaft das beste Modell .
Wichtig ist uns Grünen, dass a) die Kommunen selbst
entscheiden können, welchen Weg sie gehen möchten,
und b) dieser Weg dann auch rechtssicher ist . Denn das
gehört zu unserem Verständnis von verantwortungsbewusster öffentlicher Daseinsvorsorge .
({3})
Nach unserer hitzigen Debatte vor knapp einem Jahr
sind wir bis heute nicht weitergekommen . Die Bundesregierung hat die Rechtsunsicherheit, die sich für Kommunen bei der Übernahme der Verteilnetze aus dem § 46
Energiewirtschaftsgesetz ergibt, immer noch nicht beseitigt . Im Übrigen sind diese Rechtsunsicherheiten auch
für Genossenschaften und private Unternehmen wenig
hilfreich .
Staatssekretär Beckmeyer hat uns im letzten März
versprochen, dass es bis zur Sommerpause einen Entwurf
der Bundesregierung und dann auch ein parlamentarisches Verfahren geben soll . Damals dachte ich, er meine
die Sommerpause 2015 . Da habe ich mich offenbar getäuscht .
({4})
Inzwischen liegt zwar ein Entwurf vor, der vielleicht
nächsten Monat vom Kabinett beschlossen wird, aber
wann das parlamentarische Verfahren startet und wann
die neuen Regelungen in Kraft treten können, das steht
in den Sternen .
({5})
- Ja, ich bin gespannt, Herr Post . - Aber das ist doch kein
Zustand .
({6})
Die Koalition scheint in der Energiepolitik ausgebrannt und zerstritten zu sein . Auch andere energiepolitische Vorhaben werden immer weiter nach hinten verschoben . Sie sollen aber doch die anstehenden Aufgaben
lösen und nicht ständig alles vertagen .
Sie von der Bundesregierung scheinen den Kommunen nicht zuzutrauen, selbst zu entscheiden, ob Sie die
wichtige Aufgabe des Netzbetriebs übernehmen wollen .
Denn eine Inhousevergabe wollen Sie in Ihrem Entwurf
nicht zulassen .
Darüber hinaus schaffen Sie neue Rechtsunsicherheiten . Zum Beispiel heißt es im Referentenentwurf zu § 46
Absatz 4 EnWG:
Bei der Gewichtung der einzelnen Auswahlkriterien
ist die Gemeinde berechtigt, den Anforderungen des
jeweiligen Netzgebietes Rechnung zu tragen .
Das wird in der Praxis zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen, weil dann in jedem Einzelfall eingewandt werden kann, dass die Gewichtung den Anforderungen des Netzgebiets womöglich nicht Rechnung
getragen hat . Ich frage Sie: Soll das die neue Rechtssicherheit sein? Das ist nicht Ihr Ernst!
Dass Sie die Rekommunalisierung der Verteilnetze
nicht erleichtern wollen, das haben Sie von den Koalitionsfraktionen ja schon in der ersten Lesung zu diesem
Antrag im März letzten Jahres mehrfach angemerkt .
Aber mehr Rechtssicherheit schaffen Sie mit diesem Gesetzentwurf auch nicht .
({7})
Wir setzen uns seit Jahren dafür ein, dass endlich
eine Rechtslage herbeigeführt wird, die Klarheit für die
Kommunen schafft, die die Stromnetze selbst betreiben
wollen . Denn Energiewende, sei es bei den erneuerbaren
Energien, bei der Energieeffizienz oder bei den Energienetzen, geht nur zusammen mit den Bürgerinnen und
Bürgern und gemeinsam mit den Kommunen .
Vielen Dank .
({8})
Der Kollege Johann Saathoff hat für die SPD-Fraktion
das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im vergangenen Jahr haben wir an dieser Stelle oft über die Verfahren zur Konzessionsvergabe gesprochen . Wir Koalitionsabgeordnete haben betont, dass wir
das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, bald
umsetzen wollen . Wir sind jetzt auf der Zielgeraden, man
kann auch sagen: quasi einen Wimpernschlag vom Ziel
entfernt .
({0})
Der Referentenentwurf aus dem Ministerium ist Ihnen nicht nur vermutlich, sondern, wie wir heute in der
Debatte gehört haben, allen bestens bekannt . Die Länder- und Verbändeanhörung ist abgeschlossen, und jetzt
laufen die Arbeiten für einen Kabinettsbeschluss . Das ist
sehr wichtig für uns; denn es kann für die Legislative kein
befriedigender Zustand sein, wenn die Gesetzgebung der
Rechtsprechung hinterherhinkt . Deshalb bin ich froh,
dass wir diesen Zustand in diesem Jahr beenden werden .
„De Driever un de Esel denken selten gliek“ - der
Treiber und der Esel denken selten gleich -, das gilt auch
für das Verhältnis von Alt- zu Neukonzessionär .
({1})
Wir wollen, dass es in vielen Bereichen der Konzessionsvergabe mehr Rechtssicherheit geben wird, sei es beim
Auskunftsanspruch von Gemeinden, bei der Vergütung
beim Netzübergang oder bei den Rügeobliegenheiten .
Außerdem muss die Konzessionsabgabe bei einer Verzögerung des Netzübergangs vom Altkonzessionär unbefristet weitergezahlt werden . Hier einfach zu behaupten,
es sei keine Rechtssicherheit eingetreten, finde ich gerade in diesem Punkt nicht angemessen und nicht fair .
Damit wären viele Streitpunkte in dem Entwurf und die
rechtlichen Unsicherheiten entschärft .
Beim Bewertungsverfahren - das gebe ich zu - sehe
ich dringenden Handlungsbedarf, gerade im Fall einer
Rekommunalisierung . Egal ob die Kommune einen viel
zu hohen Betrag an den Altkonzessionär zahlen muss
oder ob sie wegen des vermeintlich zu geringen Betrages verklagt wird: Beide Fälle bedeuten für Städte und
Gemeinden ein enormes finanzielles Risiko. Von diesem
Damoklesschwert wollen wir sie befreien . Gerade in Zeiten, in denen die Kommunen ohnehin schon vor enormen
Herausforderungen stehen, haben es die Kommunen verdient, dass wir sie in solchen Verfahren vor Unsicherheiten schützen .
Beim Netzübergang vom Alt- auf den Neukonzessionär besteht der Streit meist darin, dass sich Ersterer auf
den Sachzeitwert beruft . Vereinfacht dargestellt bleibt
das Netz Eigentum der Gemeinde; denn diese entscheidet
am Ende des Konzessionszeitraums darüber, wie es weitergeht . Der Neukonzessionär wird zwar formal Netzeigentümer, es ist ihm aber eben nicht möglich, das Netz
zu verkaufen und so den Sachzeitwert auch tatsächlich zu
erlösen . Daher ist es für einen Konzessionär maßgeblich,
welchen Gewinn er im Konzessionszeitraum erzielen
kann, und deswegen wollen wir den objektiven Ertragswert als Richtschnur für den Netzübergang vorgeben .
Davon unberührt bleiben sollen natürlich einvernehmlich
Regelungen zwischen dem Alt- und dem Neukonzessionär . Dass Altkonzessionäre die Zahlungen einstellen
können, obwohl sie selbst der Bremsklotz sind, das halte ich für falsch . Auch hier wollen wir die Stellung der
Städte und Gemeinden verbessern .
Manchmal waren die Altkonzessionäre auch deshalb
ein Bremsklotz, weil sie sich geweigert haben, Kommunen, die die Absicht hatten, ihre Netze neu auszuschreiben, die notwendigen Daten über das Gas- und
das Stromnetz zur Verfügung zu stellen . Ich habe diese
Erfahrung selbst gemacht . Als ich vor einigen Jahren als
Bürgermeister die Konzession neu ausschreiben wollte,
haben wir vom Altkonzessionär über Jahre hinweg keine
Daten über das Netz erhalten . Wir mussten uns behelfen und anhand der Straßen die Länge der Leitungen abschätzen . Das ist aber zum Beispiel in einer Fehngemeinde äußerst kompliziert, wo auf beiden Seiten der Kanäle
Straßen verlaufen . Das ist fast nicht möglich, zumindest
mit enormen Unsicherheiten verbunden . Rechtssicherheit im Sinne der Kommunen herzustellen, ist also dringend geboten . Es kann nicht sein, dass Kommunen durch
die Vorenthaltung der Daten und die damit verbundenen
Unsicherheiten davon abgehalten werden, ihr Netz tatsächlich zu rekommunalisieren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Energieversorgung
ist Daseinsvorsorge; darüber sind wir uns einig . Auch
in ländlichen Regionen, wo die Landschaft zwar toll,
die Menschen aber rar sind, sollen alle mit Strom und
Gas versorgt werden, und zwar möglichst störungsfrei .
Ich habe das eben in meiner Rede zum Strommarktgesetz schon einmal gesagt: Strom muss aus der Steckdose
kommen - immer . Dazu muss das Netz in einem guten
Zustand sein, und die Frequenz muss stimmen .
Aber einem ökologischen Anspruch, den Sie im vergangenen Jahr auch schon gefordert haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, kann man mit
dem Netzbetrieb nicht gerecht werden; denn den Fluss
des Stroms kann man nicht beeinflussen. Einem ökologischen Anspruch kann man nur durch den Ausbau der
erneuerbaren Energien gerecht werden .
({2})
Das soll aber nicht bedeuten, dass die Kommunen bei
der Ausschreibung keine weiteren Kriterien berücksichtigen können oder sollen als die fünf Ziele in § 1 EnWG:
möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Energieversorgung . Das können sie sehr wohl . Es kommt aber auf die
Art und die Gewichtung der Kriterien an . Hier herrscht
meiner Meinung nach erhebliche Unklarheit . Mit dieser
Frage müssen wir uns im weiteren Verfahren noch beschäftigen . Hier halte ich eine Klarstellung für dringend
notwendig .
Nachdem wir im vergangenen Jahr mehrfach über den
§ 46 EnWG gesprochen haben, werden wir das auch in
diesem Jahr wieder tun, allerdings mit einem Gesetzentwurf als Gesprächsgrundlage . Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr . Andreas Lenz für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem
Antrag der Linken geht es um eine Bevorzugung der
Kommunen bei der Vergabe von Netzen . Die Linken
wollen wieder einmal den Wettbewerb einschränken, ja
aushebeln . Dabei schafft Wettbewerb Wohlstand .
({0})
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich habe überhaupt nichts gegen Rekommunalisierung, aber nur dann,
wenn sich die Kommunen bzw . die kommunalen Unternehmen dem Wettbewerb mit den privaten Unternehmen
stellen . Sie fordern in Ihrem Antrag eine grundsätzliche
Rekommunalisierung der Energienetze, konkret sollen
etwa Direktvergaben ohne Auswahlverfahren an kommunale Unternehmen zulässig sein, die sogenannten Inhousevergaben . Das würde zu einer Einschränkung des
Wettbewerbs um die Strom- und Gasnetze führen . Es entstünde so die Gefahr steigender Nutzungsentgelte, also
steigender Strompreise für die Letztverbraucher . Anders
gesagt: Sie wollen Staatswirtschaft, wir wollen Marktwirtschaft . So schaut es doch aus .
({1})
Bei der Auswahlentscheidung ist die Gemeinde den
Zielen des § 1 Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet; wir
hörten es gerade . Ziel ist eine möglichst sichere, preisgünstige, effiziente und umweltverträgliche Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas . Das schließt wirksame Klimaschutzkonzepte überhaupt nicht aus . Schon jetzt
haben die Kommunen bei der Vergabe nach § 46 EnWG
Spielraum bei der Formulierung von Auswahlkriterien . Sie
können natürlich auch selbst per Eigenbetrieb oder durch
ein kommunales Unternehmen an der Vergabe teilnehmen .
Letztlich geht es darum, dass nicht die Kommune von der
Ausschreibung profitiert, sondern der Kunde.
Zweifelsohne gibt es einen Trend zur Rekommunalisierung . Über 120 neue Energieversorgungsunternehmen
wurden seit 2005 gegründet, mehr als 200 Konzessionen
von kommunalen Unternehmen übernommen . Das ist
überhaupt nicht schlecht, das ist sogar sehr oft sehr gut .
Rekommunalisierung muss möglich sein und wird auch
möglich bleiben . Aber es ist immer eine Einzelfallentscheidung . Die Kommune muss immer prüfen, ob sie ein
Netz übernehmen kann, die Mittel und das Know-how
dazu hat . Das ist eben nicht immer der Fall .
Ich möchte noch auf Ihren Vorwurf der Missachtung
der kommunalen Selbstverwaltung eingehen . Kommunale
Selbstverwaltung heißt nicht, dass eine Rekommunalisierung erfolgen muss . Ziel muss es sein, den Regulierungsrahmen so zu setzen, dass eine sichere, preiswerte und umweltverträgliche Energieversorgung gewährleistet wird .
Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen Kollege Heider hat darauf hingewiesen - klargestellt,
dass sowohl die Pflicht der Gemeinden zur Durchführung eines Vergabeverfahrens wie auch die Bindung an
die Ziele des § 1 Energiewirtschaftsgesetz mit der kommunalen Selbstverwaltung in Einklang stehen . Es ist
nicht so, dass der Netzbetrieb eine kommunale oder eine
hoheitliche Aufgabe wäre . Die aktuelle gesetzliche Regelung beschränkt also die Gemeinden nicht, sondern stellt
sie mit privaten Unternehmen gleich . Jede Kommune
kann mit einem eigenen Unternehmen oder einem Eigenbetrieb am Wettbewerb teilnehmen und den Netzbetrieb
gegebenenfalls selbst übernehmen .
Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, die Vergabe und
den Netzübergang hinsichtlich der Verteilnetze eindeutig
und rechtssicher zu regeln . Das Bundeswirtschaftsministerium hat hierzu einen Referentenentwurf vorgelegt . Im
Rahmen der parlamentarischen Behandlung des Gesetzentwurfes können wir hierzu gerne noch einmal diskutieren . Es gibt durchaus bei der einen oder anderen Stelle
Diskussionsbedarf .
Der Entwurf sieht insgesamt eine Konkretisierung
der Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsverträgen vor . So werden für die beteiligten Unternehmen und
Gemeinden die Rechts- und auch die Planungssicherheit
beim Netzübergang verbessert . Außerdem wird dadurch
die für die Energiewende notwendige Modernisierung
der Verteilnetze beschleunigt .
Wir stehen also für Wettbewerb, Sie für Zwangsverwaltung . Wettbewerb hat eine heilsame Wirkung; denn
er zwingt zu Effizienz und Kostendisziplin und sichert
dadurch den Verbrauchern die beste Leistung zum besten
Preis . So ist das in der Marktwirtschaft . Ihren Antrag lehnen wir deshalb ab .
Schönes Wochenende und herzlichen Dank .
({2})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Energienetze zurück in die öffentliche Hand - Rechtssicherheit bei der Rekommunalisierung schaffen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5274, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4323 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17 . Februar 2016, 13 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute bis dahin .