Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Plenarsitzung .
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Rainer Spiering zu seinem gestrigen 60 . Geburtstag
({0})
sowie dem Kollegen Cajus Caesar, der in der vergangenen Woche seinen 65 . Geburtstag gefeiert hat, herzlich
gratulieren .
({1})
Alle guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses .
Wir müssen noch die Wahl eines Mitglieds des Beirats beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gemäß
§ 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes durchführen . Die
Fraktion Die Linke schlägt vor, für eine weitere Amtszeit
den Kollegen Jörn Wunderlich als Mitglied des Beirats
zu berufen . - Heftiges Nicken bei der Fraktion Die Linke . Kein erkennbarer Widerspruch aus den Reihen der
anderen Fraktionen . Dann ist das hiermit so beschlossen und der Kollege Wunderlich in den Beirat nach dem
Stasi-Unterlagen-Gesetz gewählt .
Des Weiteren schlägt die SPD-Fraktion vor, als stellvertretendes Mitglied des Wahlprüfungsausschusses
gemäß § 3 Absatz 2 des Wahlprüfungsgesetzes den Kollegen Dr. Matthias Bartke für die aus dem Gremium
ausscheidende Kollegin Dr . Katarina Barley zu wählen .
Stimmen Sie auch diesem Vorschlag zu? - Das ist offenkundig der Fall . Damit ist der Kollege Bartke gewählt .
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Armuts- und Reichtumsstudien
({2})
ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({3})
Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck ({4}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung
Drucksache 18/7359
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache
({5})
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({6}) zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat,
den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr
Chancen für die Menschen und die Unternehmen
KOM({7}) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15
hier: Politischer Dialog mit EU-Institutionen
Drucksachen 18/6855 A.5, 18/7395
ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Menschen- und umweltgerechten Ausbau der
Rheintalbahn realisieren
Drucksache 18/7364
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Menschen- und umweltgerechte Realisierung
europäischer Schienennetze
Drucksache 18/7365
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({8}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae,
Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzierung eines bürgerfreundlichen und
umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn
jetzt sicherstellen
Drucksachen 18/6884, 18/7388
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Krischer, Annalena Baerbock, Dr . Julia Verlinden,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zukunft des Strommarktes - Mit ökologischem
Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten
Drucksache 18/7369
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({9})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden .
Der Tagesordnungspunkt 27 - da geht es um die Einsetzung eines weiteren Untersuchungsausschusses - wird
heute abgesetzt . Darüber hinaus kommt es zu den in der
Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des
Ablaufs .
Ich möchte schließlich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam machen:
Der am 15 . Januar 2016 ({10}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({11}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit
von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von
Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen
Drucksache 18/7204
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({12})
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Der am 14 . Januar 2016 ({13}) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({14}) zur
Mitberatung überwiesen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse
und verwandte Erzeugnisse
Drucksache 18/7218
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({15})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Die am 18 . Dezember 2015 gemäß § 80 Absatz 3 der
Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über ÖPP-Projekte im Betrieb
Drucksachen 18/6898, 18/7116 Nr. 2
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({17})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von
Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur
Änderung des Abwasserabgabengesetzes auf Drucksache
18/6986 sowie die dazu vorliegende Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7288 sollen an den Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
({18}) zurücküberwiesen werden .
Dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen . Also kön-
nen wir so verfahren .
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:
a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Wirtschaft und Energie
Zukunftsfähigkeit sichern - Die Chancen des
digitalen Wandels nutzen
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 2016 der Bundesregierung
Drucksache 18/7380
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({19})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Präsident Dr. Norbert Lammert
Jahresgutachten 2015/2016 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Drucksache 18/6740
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({20})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jahreswohlstandsbericht einführen
Drucksache 18/7368
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({21})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen . - Auch das ist offenkundig
unstreitig . Also verfahren wir so .
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Wirtschaft und Energie . - Herr
Gabriel, bitte schön .
({22})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt erneut, dass Deutschland
gerade eine langanhaltende Phase des Wachstums und
der Prosperität erlebt . Der Aufschwung der deutschen
Wirtschaft geht in das dritte Jahr . Nach den Jahren 2012
und 2013 mit nur 0,4 Prozent und 0,3 Prozent hatten wir
2014 1,6 Prozent und 2015 1,7 Prozent Wirtschaftswachstum, und 2016 wird mit einem Wachstum in der
gleichen Größenordnung - 1,7 Prozent - gerechnet .
Das zeigt, dass sich die Wachstumsphase fortsetzt . Aber
wichtiger ist: Es setzt sich auch der Aufbau von Beschäftigung in Deutschland zu vernünftigen Löhnen fort .
({0})
Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland war noch
nie so hoch . Für 2016 ist prognostiziert, dass wir einen Beschäftigungsaufbau von 380 000 Personen haben werden . Für 2017 wird mit knapp 300 000 weiteren Beschäftigten gerechnet . Wir erreichen damit im
laufenden Jahr 43,3 Millionen Erwerbstätige und im
Jahr 2017 43,7 Millionen Erwerbstätige . Eine solche
Zahl gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch
nie .
Gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit . Wir haben
schon im letzten Jahr die niedrigste Arbeitslosigkeit seit
der Wiedervereinigung verzeichnen können . Besonders
wichtig ist, dass die Zahl sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigungsverhältnisse mit plus 540 000 deutlich zunimmt und ein Rückgang der Zahl geringfügig Beschäftigter um 90 000 Personen zu verzeichnen ist . Löhne
und Gehälter steigen aufgrund der guten Rahmenbedingungen und entsprechender Tarifverhandlungen an: um
2,3 Prozent in 2015, um 2,6 Prozent in 2016 . Aufgrund
des niedrigen Ölpreises sind auch die Realeinkommen
erstmals seit vielen Jahren um durchschnittlich 2,2 Prozent gestiegen . Das heißt, der Wohlstand und das Wachstum kommen bei den Menschen in Deutschland an . Ich
finde, es ist gerade in diesen Zeiten wichtig, auch das
einmal laut und öffentlich zu sagen, meine Damen und
Herren .
({1})
Unsere Unternehmen sind wettbewerbsfähig und unsere Staatsfinanzen solide. Deutschlands Wirtschaft steht
damit fast allein . Angesichts der geopolitischen Risiken,
die es gibt, der Schwierigkeiten in China und Lateinamerika, der Auseinandersetzungen zwischen Russland und
der Ukraine, des Krieges im Nahen Osten und des nur
langsamen Zusammenwachsens Europas ist es doch erstaunlich - ich finde, das darf dieses Land auch stolz auf
sich selber machen -, was dieses Land in dieser Zeit zu
leisten in der Lage ist und wie gut die wirtschaftliche,
aber auch die soziale Situation in unserem Land ist .
({2})
Das heißt aber nicht, dass wir so tun, als gäbe es nicht
auch in unserem Lande Probleme und Schwierigkeiten .
Ich erinnere an Alleinerziehende, Familien, Rentnerinnen und Rentner, die 40 Jahre gearbeitet haben und am
Ende ihres Arbeitslebens nicht einmal eine Rente auf Sozialhilfeniveau bekommen .
({3})
- Das liegt unter anderem daran, dass wir es noch nicht
geschafft haben - was wir in dieser Koalition aber machen werden -, eine solidarische Lebensleistungsrente
einzuführen, sodass der, der 40 Jahre gearbeitet hat, mehr
bekommt als derjenige, der nicht gearbeitet hat .
({4})
- Bei Ihnen darf man nicht einmal mehr auf die Zwischenrufe gespannt sein . Die kann man sich schon vor
der Rede vorstellen .
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich sage das nicht ohne Grund; denn es gibt einen
merkwürdigen Widerspruch .
({5})
- Ich weiß nicht, ob es Ihnen besser ginge, wenn es dem
Land schlechter ginge . Vielleicht hätten Sie dann bessere
Laune . Das weiß ich aber nicht .
({6})
Ich erwähne diese Zahlen deshalb, weil es einen merkwürdigen Kontrast gibt zwischen einerseits der gefühlten
Stimmung im Land und manchmal auch der politischen
Hysterie, die wir erleben, und andererseits dieser exzellenten wirtschaftlichen und sozialen Situation, die wir in
unserem Land vorfinden. Ja, die Herausforderung, mehr
als 1 Million Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen,
ist riesig . Ja, nicht alles läuft dabei perfekt; ja, manchmal machen wir dabei auch Fehler . Manchmal streiten
wir auch . Manchmal sind Dinge auch nicht so schnell ins
Lot zu bringen, wie wir uns das wünschen . Ich hoffe, wir
schaffen am heutigen Tag wieder einen deutlichen Schritt
nach vorn . Man kann aber nun wirklich nicht sagen, dass
dieses Land handlungsunfähig sei,
({7})
dass wir die Kontrolle über das Land verloren hätten und
dass jeden Tag aufs Neue das Chaos ausbreche . Wenn
man die Zeitungen, die Medien und die Briefe, die man
erhält, liest, muss man den Eindruck haben, dass wir in
einem Land leben, das überall funktionsunfähig geworden ist . Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und
Herren: Wir sind eines der am besten aufgestellten Länder Europas .
({8})
Noch einmal: Nicht alles ist perfekt . Manches machen wir auch falsch . Das liegt übrigens daran, dass wir
Menschen sind und dass wir nicht vorhersehen konnten,
vor welche Herausforderungen man gestellt wird, wenn
1 Million Zuwanderer im Jahr zu uns kommen . Manchmal arbeiten auch die Behörden nicht gut genug . Das
liegt auch daran, dass sie nicht genug Personal haben,
dass wir in der Vergangenheit zu viel auf das Einsparen
von Lehrer- und Polizeistellen gesetzt haben, was wir
jetzt wieder ändern werden .
({9})
Deshalb darf man aber doch nicht eine Krise der Demokratie, der Republik und auch nicht der Koalition herbeireden oder herbeischreiben . Das alles gibt es nicht, meine
Damen und Herren . Wir haben ein stabiles Land, eine
stabile Bundesregierung, ein Land, das ungeheuer kräftig
ist und das die Möglichkeiten hat, das zu schaffen .
({10})
- Herr Krischer, als ich mir überlegt habe, diese Sätze zu
sagen, wusste ich, dass Leute wie Sie darüber lachen und
sagen: Schaut euch doch einmal den Streit in der Bundesregierung an . - Ich will Ihnen einmal etwas sagen:
Zur Demokratie gehört auch Streit . Ihre Partei hat einmal
dafür gefochten .
({11})
Ihre Partei ist großgeworden mit der Aussage, dass man
unterschiedliche Meinungen auch öffentlich aussprechen
darf . Heute halten Sie das für ein Zeichen von Regierungsunfähigkeit .
({12})
Ich finde es auch nicht belebend, was an mancher Stelle der Debatte in der Union stattfindet.
({13})
- Und der SPD . Okay . Nur die anderen beiden sind sich
immer einig; es sei denn, Cem Özdemir sagt etwas zur
Zuwanderung - dann gibt es da auch Ärger ({14})
oder Frau Wagenknecht spricht über das Gastrecht .
({15})
Wir müssen aufhören, der Öffentlichkeit vorzumachen,
dass man bei einer der größten Herausforderungen unserer Zeit nicht auch in den Parteien zu unterschiedlichen
Positionen in den Diskussionen kommen kann . Das Problem ist nicht, dass wir an einzelnen Stellen unterschiedlicher Auffassung sind . Das Problem ist vielmehr, dass
wir dabei ein Bohei daraus machen, als wären wir mitten
in einer Staatskrise . Das sind wir nicht .
({16})
Ich sage das deshalb, weil von dieser Art der Debatte,
von der Überzeichnung ganz normaler politischer Diskussionen,
({17})
nur die profitieren, von denen keiner hier im Parlament
will, dass sie demnächst in Parlamenten sitzen .
({18})
Warum sind sie keine Alternative für Deutschland? Weil
sie diese wirtschaftliche Entwicklung ruinieren würden,
weil das Leute sind, die sich gegen den sozialen AusBundesminister Sigmar Gabriel
gleich stellen, nicht für den Zusammenhalt der Gesellschaft einstehen und sich obendrein auch noch häufig
rassistisch verhalten und übrigens nicht selten das sind,
was wir früher einmal „Feinde der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ genannt haben .
({19})
Ich trete nicht dafür ein, dass wir nicht unterschiedliche Auffassungen debattieren .
({20})
Das ist notwendig . - Ich weiß, dass es für Sie ganz
schwer ist, eine ernsthafte Debatte zu führen, weil Sie
den Eindruck haben, nur bei hohen Wellen wahrgenommen zu werden . Ich sage Ihnen: Das ist nicht so . Sie werden auch wahrgenommen, wenn Sie ernsthaft diskutieren
und handeln .
({21})
- Wenn Sie möchten, kann ich Cem Özdemir auch gerne
einmal wörtlich zitieren . Sie können dann ja hierherkommen und sagen, was Sie davon halten .
Ich glaube, unterschiedliche Auffassungen zu haben,
ist nicht das Problem . Wir müssen vielmehr aufpassen,
dass wir nicht ein Zerrbild unseres Landes zeichnen .
Dieses Land wird nicht durch rechtsradikale Brandstifter
gekennzeichnet, auch nicht durch kriminelle Ausländer .
Deutschland ist ein handlungsfähiger Staat, ein sehr starkes und sehr stabiles Land, das in der Lage ist, vieles zu
bewältigen, wie kein anderes Land der Erde es in dieser
Weise tun könnte . Das ist das Land, von dem wir reden .
({22})
Weil man das so schnell vergisst, will ich noch einmal in Erinnerung rufen, was wir schon geschafft haben:
Wir haben den Ländern und Kommunen im letzten Jahr
6 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise
gegeben, und wir alle ahnen, dass das in Zukunft eher
noch mehr werden wird . Wir haben dafür gesorgt, dass
mit hoher Geschwindigkeit Entscheidungszentren aufgebaut wurden . Wir haben das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in kurzer Zeit nicht nur personell
aufgestockt, sondern auch noch mit der Bundesagentur
für Arbeit verzahnt . Wir haben die ersten Arbeitsmarktprogramme aufgelegt und uns um die Unterbringung
gekümmert; auch die Kommunen haben Phantastisches
geleistet .
({23})
Ich könnte diese Liste fortsetzen . Denken Sie zum Beispiel daran, wie wir mit der Gesundheitsversorgung umgehen .
Natürlich haben wir einige Probleme noch nicht gelöst, beispielsweise die Frage, wie wir mit dem Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige umgehen .
Das sind Menschen, die nicht aus Bürgerkriegsgebieten
kommen, die nicht unmittelbar gefährdet sind, aber die
wir aus humanitären Gründen nicht abschieben . Ich bin
mir ziemlich sicher, dass wir eine gute Chance haben,
das heute zu klären . Angesichts der Zahlen, über die wir
dabei reden, ist das eher eine Randfrage; aber es wird
als Beispiel genutzt, um zu zeigen, wir seien angeblich
handlungsunfähig . Deswegen ist es wichtig, dass wir dies
heute klären .
({24})
Noch einmal: Es ist nicht alles perfekt; aber wir haben
das Erreichte ohne Verteilungskämpfe in diesem Land
geschafft . Wir haben niemandem etwas weggenommen,
damit wir das schaffen können . Es ist nicht zu sozialen
Auseinandersetzungen gekommen . Im Gegenteil: Wir
legen Wohnungsbauprogramme auf, die allen dienen
werden, die in den Großstädten nach bezahlbaren Wohnungen suchen .
({25})
Keine Verteilungskämpfe, trotzdem solide Finanzen und
eine wirklich exzellente Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt - ich finde, das kann uns Mut geben für das, was
wir noch schaffen müssen .
Wir haben im letzten Jahr im Wesentlichen über Unterbringung geredet . Jetzt ist die Zeit, über Integration
und eine nachhaltige Integrationsstruktur zu sprechen .
({26})
Wir brauchen soziale Investitionen, und zwar wieder nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle, die in
Deutschland beispielsweise auf der Suche nach einem
Ganztagsschulplatz sind oder noch keinen Platz in einer
Kindertagesstätte gefunden haben .
Aber es geht auch darum, dass wir ganz generell über
die Frage sprechen: Was ist nötig, damit sich diese wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzt? Die Spannungen in unserem Land sind nämlich
nur dann beherrschbar, wenn wir auch in Zukunft Verteilungskonflikte vermeiden. Dafür sind eine erfolgreiche
wirtschaftliche Entwicklung und ein hoher Beschäftigungsstand von großer Bedeutung . Deswegen schlagen
wir vor, in unserem Hause darüber zu debattieren: Was
können wir tun, um den Schritten, die wir zur Stärkung
der Investitionstätigkeit schon gemacht haben, weitere
folgen zu lassen? Auch da hat die Koalition schon viel
geschafft . Immerhin sind die Investitionen des im letzten
Jahr beschlossenen Haushalts 20 Prozent höher als die im
Jahr 2014; wir liegen da jetzt nahe an 30 Milliarden Euro .
Wir haben den OECD-Durchschnitt, 20 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts zu investieren, inzwischen fast
erreicht . Wir haben die Städte und Gemeinden in dieser
Legislaturperiode um 20 Milliarden Euro entlastet, damit
sie wieder investieren können, weil die Kommunen die
Hauptträger öffentlicher Investitionen sind, nicht Bund
oder Länder . Wir werden Länder und Kommunen bis
2018 um sage und schreibe 45 Milliarden Euro entlasten,
ein Riesenschritt zur Verbesserung der kommunalen Investitionstätigkeit .
({27})
Also: Wie gehen wir auf diesem Weg weiter? Ein
Thema ist natürlich der Breitbandausbau . Der Kollege
Dobrindt hat das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2018 eine
Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde bereitzustellen .
({28})
Wir alle wissen: Das ist ein wichtiges Ziel . Aber es ist nur
ein Zwischenziel, um zu einem wesentlich schnelleren
Netz in unserem Land zu kommen, weil wir nur so an den
digitalen Geschäftsmodellen teilhaben können .
Wir sind dabei, den digitalen Ordnungsrahmen neu
aufzustellen: in Europa mit der Datenschutz-Grundverordnung und bei uns, indem wir das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen novellieren und uns fragen:
Können wir eigentlich zulassen, dass die Giganten auf
den Datenmärkten immer größer werden und marktbeherrschende Stellungen erreichen?
Wir kümmern uns um die Frage, wie wir den Mittelstand in Deutschland stärker an das Thema Digitalisierung heranbringen . Das Ziel sind fünf Kompetenzzentren - plus eines für das Handwerk - für die
Digitalisierung im Mittelstand . Wir digitalisieren auch
die Energiewende . Das heißt, wir sind auch da auf dem
Weg . Klar, wir haben noch eine Menge zu tun . Aber die
Bundesregierung hat hier in den letzten zwei Jahren vieles auf den Weg gebracht .
Wir sind auch beim Thema „Start-up und Venture Capital“ weitergekommen . Es gibt ein vorbörsliches Segment . Wir haben Eckpunkte für ein Venture-Capital-Gesetz erarbeitet . Wir haben 2 Milliarden Euro mehr für
Investitionen in unserem Land zur Verfügung gestellt .
Auf all den Feldern, auf denen wir unterwegs sein müssen, um die Investitionstätigkeit weiter anzuregen, um
Start-ups und Gründerzeit zu fördern und die öffentliche
Infrastruktur zu verbessern, hat die Bundesregierung bereits vieles auf den Weg gebracht .
Wir haben ein Bürokratieentlastungsgesetz verabschiedet, das mit einer Einsparung von immerhin
1,4 Milliarden Euro Wirkung zeigt . Wir sind beim Bürokratieindex zum ersten Mal unter dem Ausgangswert
100, also unterhalb des Wertes, bei dem wir gestartet
sind; wir haben die Bürokratie nicht ausgebaut .
Ich finde, wir können auch relativ stolz auf das sein,
was wir im Bereich der Energiemärkte inzwischen geschafft haben . In nur zwei Jahren haben wir die verschiedenen Teile der Energiewende ineinandergreifen lassen,
die losen Fäden miteinander verknüpft . Wir bringen jetzt
Verlässlichkeit und Planbarkeit in die Energiepolitik in
Deutschland zurück .
Meine Damen und Herren, all das sind Bedingungen,
die dieses Land in den kommenden Jahren nutzen kann,
um seinen wirtschaftlichen Aufschwung fortzusetzen .
Natürlich gibt es auch auf einigen Feldern Beratungsbedarf . Wenn wir stolz darauf sind, dass unser Anteil der
Ausgaben für Forschung und Entwicklung bei 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts liegt, während andere Europäer nur einen Anteil von 2 Prozent aufweisen, dann kann
ich nur sagen: Das ist eine optische Täuschung .
({29})
Unsere Wettbewerber in Südkorea oder Asien haben sich
4 bis 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zum Ziel gesetzt . Davon sind übrigens immer 80 Prozent private Investitionen und nicht öffentliche . Das heißt: Was können
wir tun, um gerade im Mittelstand die Investitionen in
Forschung und Entwicklung zu befördern?
Mich hat sehr beunruhigt, dass im letzten Jahr die
Investitionen in Forschung und Entwicklung gerade im
Mittelstand deutlich zurückgegangen sind . Das ist das
Rückgrat der deutschen Wirtschaft . Deswegen wird die
Koalition darüber zu beraten haben, wie wir die Investitionstätigkeit in den kommenden Jahren besser fördern
können . Die Debatte geht zwischen Projektförderung und
steuerlicher Forschungsförderung hin und her . Ich bin
zuversichtlich, dass wir uns da verständigen; denn auf
Dauer können wir uns nachlassende Forschungsinvestitionen gerade im Mittelstand mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit nicht leisten, meine Damen und Herren .
({30})
Auch in der Industriepolitik gibt es, glaube ich, viel
zu tun . Wir sind auch in diesem Bereich in der Diskussion, zum Beispiel über die Frage, wie wir in einer so
wichtigen Leitindustrie wie der Automobilindustrie das
Thema Elektromobilität voranbringen können . Wir werden uns ohnehin in den nächsten Jahren sehr stark um
die Systemverknüpfung zwischen erneuerbaren Energien
und dem Mobilitätssektor bemühen müssen . Man muss
sich letztlich entscheiden, ob man an dem Ziel von 1 Million Elektroautos bis 2020 festhalten will . Dann brauchen wir Markteinführungsprogramme und Investitionen
in Ladeinfrastruktur - ohne sie wird es nicht gehen -,
und wir brauchen auch ein Beschaffungsprogramm von
Bund, Ländern und Gemeinden . Sonst kann man dieses
Ziel von 1 Million nicht erreichen . Aber wir müssen von
der Industrie auch eine Gegenleistung fordern,
({31})
und diese muss darin bestehen, dass die industrielle Batterieproduktion nach Deutschland zurückkommen muss .
Das ist es, was wir in diesem Land schaffen müssen .
({32})
Meine Damen und Herren, soziale Investitionen brauchen wir insbesondere vor dem Hintergrund der Zuwanderung, aber nicht nur deshalb . Wir brauchen soziale
Investitionen in Bildung und Erziehung, in Sprachförderung, Qualifizierung, in den Arbeitsmarkt und übrigens
auch in ein System, in dem die soziale Marktwirtschaft
ihrem Namen gerecht bleibt .
({33})
Ich weiß, dass in unserem Land Werkverträge und Leiharbeit auch in Zukunft zur ganz normalen FlexibilitätsBundesminister Sigmar Gabriel
option unserer Unternehmen gehören müssen . Es kann
aber nicht sein, dass diese Instrumente von Arbeitgebern
missbraucht werden, um sich aus der Arbeitgeberrolle zu
verabschieden .
({34})
Arbeitgeber sind etwas anderes als Manager . Manager
können sich möglicherweise vorstellen, ihren Betrieb so
zu managen, dass dabei im Wesentlichen andere Unternehmen wie Werkvertragsunternehmen tätig sind . Ein
Arbeitgeber in der sozialen Marktwirtschaft hat über den
Produktionsprozess hinaus Verantwortung, auch für die
soziale Sicherheit seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Wir möchten gerne, dass die Werkverträge da,
wo sie Flexibilität für Arbeitgeber herstellen, erhalten
bleiben . Wir können nicht Werkverträge an der Stelle
einschränken .
({35})
Aber wir wollen nicht, dass der Ausbau bzw . der Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit weiter fortschreitet und damit letztlich die Idee des Arbeitgebers in
einer sozialen Marktwirtschaft immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird . Das wollen wir nicht .
({36})
An dieser Schnittstelle werden wir arbeiten müssen .
Meine Damen und Herren, ich weiß, dass zu der Frage, wie wir in den kommenden Jahren wettbewerbsfähig
bleiben, noch mehr Themen gehören, beispielsweise auch
die Frage, wie es in Europa weitergeht . Aber mir lag auch
beim Jahreswirtschaftsbericht ein bisschen daran, diese
doch wirklich beeindruckenden Zahlen zu nutzen, um zu
zeigen, dass das Land keine Angst haben muss, dass wir
nicht in einem Land leben, das unsicher über sich selber
wird, dass es auch um Themen wie soziale Ungleichheit
im Land geht, dass wir mehr und bessere Primäreinkommen brauchen und dass wir auch über die Steuerpolitik
in diesem Land weiter diskutieren und streiten werden .
Für das alles gibt es ausreichend Raum . Aber wir sollten
bei solchen Debatten unseren Bürgerinnen und Bürgern
im Land auch zeigen: Das ist ein verdammt starkes Land,
das eine Menge kann und auf das die Menschen, die das
erarbeiten, ziemlich stolz sein können .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({37})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister, lieber Sigmar, in einem Punkt
bin ich mit dir einer Meinung
({0})
- ja, in einem Punkt -: Das ist tatsächlich ein starkes Land . Es bewältigt Probleme und sorgt dafür, dass
Flüchtlinge vernünftig aufgenommen und betreut werden . Es gibt aber einen großen Unterschied: Dieses Land
ist handlungsfähig; aber bei dieser Regierung habe ich
inzwischen gravierende Zweifel, was die Handlungsfähigkeit in dieser Frage betrifft .
({1})
Da will ich gleich einmal auf die Flüchtlingskrise eingehen; du hast sie angesprochen, Sigmar . In der Regierung gibt es eine Bandbreite der Diskussion, die von der
Forderung aus Bayern, die Grenzen zu schließen, bis hin
zur Willkommenskultur reicht . Die Kanzlerin wird von
der eigenen Fraktion angesägt; leider ist sie jetzt nicht
mehr anwesend .
({2})
- Ihr wisst doch selber, was ihr macht . Tut doch nicht
so! - Da ihr in dieser Situation die Kanzlerin ansägt und
wir als Opposition sie auch noch verteidigen müssen,
stellt sich die Frage: Wen hättet ihr denn als Alternative?
Da ist doch weit und breit niemand vorhanden . Deshalb
bin ich froh, dass Frau Merkel Kanzlerin ist und nicht
jemand von euch; das will ich mit aller Klarheit sagen .
({3})
Der Jahreswirtschaftsbericht ist verständlicherweise
nichts anderes als ein Selbstlob; daran kann man nichts
ändern . Aber dass man gravierende Fehlentwicklungen
nicht einmal anspricht, ist wirklich ein Problem . 62 der
reichsten Menschen, darunter auch sechs Deutsche, besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit . Eine
unglaubliche Zahl! In keinem Euro-Land ist der Reichtum so ungerecht verteilt wie in Deutschland .
({4})
- Sich der Realität zu verweigern, ist bei euch nichts
Neues . - Ich will euch eine Zahl nennen . Die Schweizer
Bank UBS hat veröffentlicht, dass in Deutschland allein
im Jahre 2014 das Vermögen derjenigen, die 30 Millionen Euro und mehr besitzen, um mehr als 200 Milliarden
US-Dollar gestiegen ist .
({5})
Das entspricht ungefähr zwei Dritteln des Staatshaushalts der Bundesrepublik .
({6})
Wie gesagt, es geht hier um den Zuwachs und nicht um
das Vermögen selber . Zwei Drittel des Staatshaushalts
der Bundesrepublik könnten diese reichen Menschen alleine von ihrem Vermögenszuwachs bezahlen .
Im letzten Jahreswirtschaftsbericht heißt es - ich habe
das nachgelesen -:
Nach Auffassung der Bundesregierung lassen sich
effizientes Wirtschaften und gerechte Verteilung in
der sozialen Marktwirtschaft nicht trennen .
Ja, einverstanden! Aber dem aktuellen Jahreswirtschaftsbericht kann ich entnehmen, dass die Löhne weiterhin
langsamer wachsen als die Gewinne . Die Schere wird
also weiter auseinandergehen . Was ich schlichtweg vermisse, ist irgendeine Initiative, die dazu dient, die ungerechte Verteilung in dieser Republik anzugehen . Da
macht die Bundesregierung nichts . Das ist Arbeitsverweigerung .
({7})
Was könnten Sie tun? Sie könnten die Leiharbeit und
die Werkverträge vernünftig regeln . Aber was tun Sie?
Sie legen ein Gesetz vor, das weit hinter den Anforderungen zurückbleibt .
({8})
Dieses unzureichende Gesetz wird von der Kanzlerin
dann auch noch angeschossen . So kann man das Problem
nicht lösen .
Welche Möglichkeit hätten Sie noch? Sie könnten
die Vermögen vernünftig besteuern . Aber auch das machen Sie nicht . Vielmehr schonen Sie die Vermögen der
Reichen . Sie belassen es bei der ungleichen Verteilung .
Damit haben Sie auch nicht das Geld, das dringend notwendig wäre, um die Flüchtlingskrise so anzugehen, wie
es angemessen wäre, nämlich mit mehr Wohnungen und
einer vernünftigen Ausstattung der Kommunen, die mittlerweile nicht mehr wissen, wie sie das alles finanzieren
sollen . Aber nein! Die Arbeitsverweigerung dieser Regierung ist unerträglich .
({9})
Ein weiteres Thema, bei dem Sie sich weigern, es anzugehen, sind die Bruttoanlageinvestitionen . Sie reden
dauernd von notwendigen Investitionen . Schaut man aber
Ihr eigenes Zahlenwerk an, Herr Gabriel, lieber Sigmar,
dann stelle ich fest, dass die Investitionen des Staates im
Jahre 2015 im Vergleich zu 2014 um 2,1 Prozent gesunken sind . Sie sind also nicht mehr, sondern weniger geworden . Wo bitte schön ist da die Investitionsinitiative?
Wir wissen, dass jährlich 100 Milliarden Euro fehlen, um
die Infrastruktur - Brücken, Straßen, Schulhäuser - in
Ordnung zu bringen . Wir brauchen genügend Geld für
Kindergärten . Aber die Investitionen gehen zurück . Solange ihr die Reichen schont und die schwarze Null wie
eine Monstranz vor euch hertragt, euch hinter ihr versammelt und euch an den Händen haltet, so lange wird das
Problem nicht gelöst werden .
({10})
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, weil er so
aktuell ist, betrifft die bislang nicht angesprochenen Handelsabkommen . Nun dürfen wir Abgeordnete in einem
Leseraum im Wirtschaftsministerium nachschauen, was
über unsere Köpfe hinweg zwischen EU und den Amerikanern vereinbart wurde . Tolle Sache! Wenn man sich
genau anschaut, wie das laufen soll, dann haut es einem
den Vogel hinaus . Frau Malmström hat im Wirtschaftsausschuss gesagt, es sei ein Bonbon für die Abgeordneten der nationalen Parlamente, dass sie die Unterlagen
überhaupt ansehen dürften . Die Abgeordneten haben
eigentlich nichts zu melden . Schließlich verhandelt die
Europäische Union mit den Amerikanern . Dass wir die
Unterlagen überhaupt ansehen dürfen, ist sozusagen ein
Entgegenkommen . Dass die amerikanischen Abgeordneten mehr Rechte haben, einen tieferen Einblick nehmen,
ihre Mitarbeiter mitnehmen und darüber diskutieren können, was in den Abkommen steht, liegt daran, dass diese
in die Verhandlungen einbezogen sind . Bei uns ist es ein
Entgegenkommen, und deshalb sind die Regelungen für
uns anders .
An welcher Stelle sind jetzt die Regelungen anders?
Die Unterlagen sind ausschließlich in Englisch, man
muss sein Handy abgeben, offensichtlich ist ein Sicherheitsbeamter dabei, der einem über die Schulter schaut .
Es wird registriert, was man anguckt; es gibt auch keine
Papiere, sondern alles kann nur am Computer angesehen
werden, meine Damen und Herren . Selbstverständlich ist
alles geheim, und man darf nichts sagen . Die Geheimhaltung bei diesen Abkommen wird nicht verändert . Die
Bürgerinnen und Bürger werden nach wie vor ausgeschlossen, meine Damen und Herren .
Der Hammer ist, dass selbst die Regelungen, die jetzt
beschlossen wurden und unter denen wir Abgeordnete
uns die Papiere ansehen dürfen, zur Verschlusssache erklärt wurden . Auch darüber dürfen wir nicht sprechen . Ja,
meine Damen und Herren, wo leben wir denn eigentlich?
Ich kann sagen: Ich weiß nicht, ob ich das so auf mir
sitzen lasse, ob ich nicht tatsächlich darüber informiere,
welche Regelungen die Abgeordneten zu beachten haben, wenn sie das einsehen . Das hat mit Geheimhaltung
nichts zu tun . Das gehört an die Öffentlichkeit; denn da
geht es nicht um die Inhalte von irgendwelchen Verhandlungen, sondern da geht es darum, wie die Abgeordneten
gegängelt werden, sodass sie diese Sache nicht ordentlich behandeln können .
Ich danke Ihnen für das Zuhören .
({11})
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Flüchtlingsstrom ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, die dieses Land jemals zu bewältigen hatte, und
wir haben erhebliche Mühen, um das Thema in den Griff
zu bekommen . Wenn wir diese Herausforderungen meistern wollen, dann müssen wir allerdings auch wirtschaftliche Stärke haben, und wenn wir diese wirtschaftliche
Stärke nicht haben, dann werden wir Probleme bekommen .
Gott sei Dank - der Wirtschaftsminister hat das völlig
zu Recht dargestellt - ist unsere Situation gut . Ja, sie ist
sogar sehr gut und war eigentlich nie so gut wie jetzt .
Dass wir auch hinsichtlich der Arbeitslosigkeit so gut
aufgestellt sind wie noch nie, das muss man einfach anerkennen . Das ist hervorragend .
({0})
Aber - dieses Aber sollten wir uns merken - wir haben
eine Menge an exogenen Faktoren, die unsere wirtschaftliche Großwetterlage positiv beeinflussen, die wir nicht
außer Acht lassen können und die sich auch in kürzester
Zeit verändern können . Ich will einmal folgende Punkte
nennen: Der niedrige Ölpreis ist mit Sicherheit nicht nur
für die Bürgerinnen und Bürger eine erfreuliche Sache,
sondern natürlich auch für die Unternehmen . Die niedrigen Zinsen sind es genauso, auch wenn man da schon
Zweifel haben kann, ob sie nicht in dem einen oder anderen Fall eher kontraproduktiv sind . Und wir haben einen
Euro, dessen Kurs gegenüber dem Dollar sehr niedrig ist .
Da gibt es enorme Windfall Profits für unsere Unternehmen, die in den Dollar-Bereich hinein exportieren . Das
sollten wir nicht vergessen .
Es ist aber nicht garantiert, dass das unbedingt immer
so bleibt . Im Gegenteil: Das kann sich von heute auf morgen ändern. Darauf haben wir keinerlei Einfluss.
Diese ökonomische Schönwetterlage, die wir momentan haben, ist erfreulich . Aber wir müssen darauf achten,
dass wir diese gute Situation auch weiter nutzen und
nicht anfangen, an irgendwelchen Stellen Veränderungen
vorzunehmen, die die Wirtschaft nicht tragen kann .
Ich habe es für richtig gehalten, Herr Bundesminister,
dass Sie eben über das Thema Werkverträge gesprochen
haben . Aber wir dürfen auf keinen Fall dieses Flexibilitätsinstrument, das die Unternehmen brauchen, kaputtmachen ({1})
weder bei den Werkverträgen noch bei der Zeitarbeit .
({2})
Wir sollten auch nicht anfangen, im Bereich der Entgeltgleichheit neue Lohnbürokratie aufzubauen . Auch das
muss verhindert werden . Bürokratie haben wir genug .
Ich bin froh, dass Sie die „One in, one out“-Regel ins
Gesetz hineingebracht haben . Das sollten wir auch weiter
beachten .
Wir müssen auch im Umweltbereich aufpassen . Ich
fand es völlig richtig, als die Bundeskanzlerin gesagt
hat: Wir können gerade in der jetzigen Situation nicht
unbedingt jede alte, liebgewonnene Regel beibehalten . Nein, wir müssen darüber nachdenken, ob wir da Flexibilisierung hineinbringen .
Sie haben völlig recht: Das Thema Investitionen ist
ein ganz wichtiges . Mir macht es Sorge, dass energieintensive Unternehmen - man kann sich die Statistiken
vom VDMA ansehen - nur noch 80 Prozent ihrer Abschreibungen reinvestieren . Was ist das denn? Das ist
nichts anderes als Desinvestition in Deutschland . Ich
gehe einmal davon aus, dass die Unternehmen weiter
existieren wollen, also auch weiter investieren werden,
aber anscheinend nicht mehr bei uns . Da müssen wir uns
fragen: Warum ist das so? Was ist der Grund dafür, dass
nicht in Deutschland investiert wird? Das halte ich für
einen Trend, den ich schon als dramatisch betrachte . Die
Folgen sehen wir erst in einigen Jahren .
Ein sicher ganz wichtiger Punkt ist der hohe Energiepreis in Deutschland, der hohe Strompreis . Ich will einmal ein Beispiel nennen: Ein Badener Bürger kam vor
drei Tagen zu mir und sagte: Hier ist meine Stromrechnung . Ich habe mir eine Wärmepumpe geleistet und zahle jetzt schon 600 Euro pro Jahr für die EEG-Kosten . Wenn wir so weitermachen, wird dieser Betrag nicht bei
600 Euro bleiben, sondern in kürzester Zeit weit über die
600 Euro steigen und sich in Richtung 1 000 Euro entwickeln .
Die EEG-Umlage beträgt jetzt schon 6,3 Cent pro Kilowattstunde . Mit Blick auf den enormen, weit über die
Korridore hinausgehenden Windkraftausbau - die Korridore haben wir uns selbst gegeben - kann man sagen,
dass die EEG-Umlage in kürzester Zeit bei einer Größenordnung von 8 Cent, eher 10 Cent liegen wird . Dann
wird dieser Badener Bürger 1 000 Euro pro Jahr allein an
EEG-Kosten zahlen . Das ist Kaufkraft, die abgeschöpft
wird und damit in anderen Bereichen fehlt . Ich möchte
nicht nur dem Badener Bürger helfen, sondern ich möchte auch ganz gerne dafür sorgen, dass die Unternehmen,
vor allen Dingen die Mittelständler, nicht so belastet werden, dass es zu Abwanderungstendenzen kommt . Genau
das darf nicht passieren .
Ein Punkt ärgert mich ganz besonders . Wer E wie „Erneuerbare“ sagt, der muss auch L wie „Leitungsausbau“
sagen; denn der geschieht in Deutschland nicht . Der Leitungsausbau hinkt hinterher .
({3})
Sie alle kennen EnLAG .
({4})
- Sie .
({5})
1 700 Kilometer sollen nach dem EnLAG gebaut werden, davon unter anderem 405 Kilometer in dem schönen
Land Niedersachsen . Herr Minister, das liegt Ihnen nahe .
Nun raten Sie einmal, wie viel davon bis jetzt gebaut
wurde .
({6})
Ich sehe Sie verzweifelt, weil nämlich kein einziger Kilometer gebaut wurde .
({7})
Das kann nicht sein . Seit 2003 gibt es das EnLAG, seit
2007 ist es in Kraft . 405 Kilometer sollen in Niedersachsen gebaut werden, aber nicht ein einziger Kilometer ist
bis jetzt gebaut worden .
Dafür haben wir aber in der gleichen Zeit 5 700 Windmasten aufgestellt, nur in Niedersachsen . Insgesamt sind
es in Deutschland 26 000 . Wenn wir es nicht schaffen,
den Leitungsausbau mit dem Ausbau der erneuerbaren
Energien zu synchronisieren, dann wird genau das passieren, was uns immer mehr belastet, nämlich dass immer mehr Redispatch-Maßnahmen, also das Abschalten
von Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee und das
Hochfahren von alten Anlagen - das geht bis hin zu alten Ölkraftwerken -, im Südteil der Republik stattfinden.
Das Wirtschaftsministerium hat mir auf Nachfrage mitgeteilt, dass wir im letzten Jahr bereits 1,2 Milliarden
Euro zusätzliche Ausgaben nur für Redispatch hatten .
({8})
Das fließt dann in die sogenannten Netzentgelte. Darüber wird sich der Badener Bürger demnächst auch wieder
beschweren .
({9})
Wenn wir es nicht schaffen, den Windkraftausbau mit
dem Leitungsausbau zu synchronisieren, und wenn wir
es nicht schaffen, den Bürgerinitiativen gegen den Leitungsausbau, die es überall gibt, zu sagen, dass wir die
erneuerbaren Energien nur dann ausbauen können, wenn
wir auch bereit sind, parallel dazu den Leitungsausbau
zu beschleunigen, dann werden Kosten entstehen, die wir
uns nicht leisten können .
Ich würde gerne noch drei Worte zu TTIP sagen .
TTIP ist eine Chance für uns, nicht ein Risiko für uns .
Ich verstehe bis heute nicht, warum dieses Land, das das
exportstärkste Land in Europa und das zweitstärkste Exportland in der Welt ist, meint, wir müssten ausgerechnet
den Freihandel zusätzlich beschränken . Die Amerikaner
haben in vielen Bereichen wesentlich strengere Regulierungen als wir . Herr Ernst, fragen Sie einmal bei VW
nach, wenn Sie es mir nicht glauben . Zum Beispiel darf
ein Dieselfahrzeug in den USA maximal 32 Milligramm
NOx ausstoßen, 80 Milligramm sind es bei uns . Die Umweltmaßnahmen in den USA sind somit wesentlich strenger als bei uns . Das müssen wir irgendwo harmonisieren; diese Harmonisierung wollen wir zustande bringen .
Dann haben wir auch die Probleme nicht mehr, die wir in
den letzten Jahren dort sehen konnten .
TTIP ist eine Chance für uns . Wer bei TTIP schläft,
der wird durch die Asiaten bestraft, weil TPP und die damit verbundenen Standards dann nämlich viel schneller
kommen . Das wollen wir gemeinsam verhindern .
({10})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Anton Hofreiter das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Gabriel, Sie haben
gesagt: Das Land ist handlungsfähig . - Ja, das Land ist
handlungsfähig dank Tausender und Abertausender Ehrenamtlicher, die sich darum kümmern, dass die Flüchtlinge entsprechend versorgt werden, dass die Flüchtlinge anständig behandelt werden . Außerdem ist das Land
handlungsfähig dank Unmengen aktiver Kommunalpolitiker und dank Unmengen Beamter und Angestellter im
öffentlichen Dienst, die einen ganzen Haufen Überstunden schieben . Dadurch ist das Land handlungsfähig . Da
gebe ich Ihnen sogar recht .
({0})
Aber wenn ich mir anschaue, wie sich die Große Koalition - die CSU und die SPD sind bekanntermaßen Teil
der Großen Koalition - in den letzten Wochen und Monaten benommen hat - dabei geht es nicht darum, einen
sachlichen Streit zu führen -, dann stelle ich fest, dass
diese Regierung nicht handlungsfähig ist . Denke man
allein an den Herrn Seehofer: Er stellt inzwischen zum
fünften Mal dieser Bundesregierung ein Ultimatum . Er
schreibt inzwischen Briefe und spricht davon, dass er
die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht
verklagen will . Ist dieser Mensch jetzt Teil der Großen
Koalition? Ja oder nein? Er ist es! Also stellen wir fest:
Die Große Koalition ist nicht handlungsfähig .
({1})
Ich sehe hier die Kollegin und den Kollegen von der
CSU und der SPD sitzen, Frau Hasselfeldt und Herrn
Oppermann . Frau Hasselfeldt hat davon gesprochen, dass
die SPD das Koalitionsklima vergiftet . Herr Oppermann
hat davon gesprochen, dass diese Große Koalition ein
Kasperletheater aufführt .
({2})
Dennoch tun Sie so, als wenn das Ganze ein nüchterner,
sachlicher Streit wäre . Nein, Herr Gabriel, einen nüchternen, sachlichen Streit und eine vernünftige Debatte
würden wir von Ihnen erwarten .
({3})
Wissen Sie, wie eine vernünftige Debatte ausschaut?
Eine vernünftige Debatte, Herr Gabriel, schaut so aus:
Man streitet sich . Man überlegt sich etwas . Man entscheidet, man handelt dann und dreht sich nicht wie ein
Brummkreisel die ganze Zeit im Kreis . Bei so etwas ist
zwar Bewegung drin, aber vorwärts geht dabei überhaupt
nichts .
({4})
Wissen Sie, Herr Gabriel, was man einfach schlichtweg feststellen kann? Ihre Koalition hat hier zwar
80 Prozent der Abgeordneten, und wir haben wirklich
ein hervorragendes Land mit klasse Bürgern; aber dieses
Land wird einfach krass unter Wert regiert, unter anderem von Ihnen .
({5})
Ich hätte mir von der SPD in dieser Krise erwartet,
dass sie ganz klar für die offene Gesellschaft steht, dass
sie ganz klar erläutert, wie wir das schaffen . Erwartet
hätte ich aber nicht diesen wüsten Zickzackkurs, den die
SPD hier aufführt:
({6})
mal rechts von der Kanzlerin, mal links von der Kanzlerin, und fünf Minuten später weiß man schon nicht mehr,
wo sie steht . Das erklärt auch das seltsame Verhalten der
SPD-Ortsverbände in Essen, wo sie einen Lichtermarsch
gegen neue Flüchtlingsheime geplant haben . Ich meine,
das ist ein Symptom Ihres eigenen Zickzackkurses, den
Sie hier aufführen .
({7})
Vielleicht noch ein paar Bemerkungen zu Ihrem
Jahreswirtschaftsbericht . Wissen Sie, Ihr Jahreswirtschaftsbericht ist unvollständig, ebenso wie sämtliche
Jahreswirtschaftsberichte der letzten Jahre unvollständig
waren . Sie stellen hier einen Bericht vor, der ökologisch
blind und sozial gleichgültig ist .
({8})
Es erstaunt uns zwar nicht, dass Sie einen Bericht vorstellen, der ökologisch blind ist, aber dass Sie einen Bericht vorstellen, der sozial gleichgültig ist, ist, wie ich
finde, für einen SPD-Vorsitzenden und für einen SPD-Vizekanzler schon ziemlich bemerkenswert . Sie verlieren
kein Wort dazu, dass die Einkommensungleichheit in diesem Land so groß ist, wie seit 20 Jahren nicht mehr . Sie
unternehmen nichts dagegen, dass die oberen 10 Prozent
inzwischen die Hälfte des Nettovermögens besitzen und
dass die unteren 50 Prozent de facto nichts haben . Sorgen
Sie endlich dafür, dass unser Staat gerechter wird! Dann
empfinden die Leute dieses Land auch wieder als gerechter und identifizieren sich stärker mit diesem Land und
dieser Demokratie .
({9})
Herr Gabriel, auch in einer ganzen Reihe von Bereichen in der Energiepolitik ist dringend etwas zu tun .
Es ist dringend dafür zu sorgen, dass die Kohlenutzung
endlich ausläuft . Die Folgekosten der Kohleverstromung
sind gigantisch . Sie sind nicht nur ökologisch gigantisch,
sondern auch ökonomisch gigantisch .
Ich gestehe Ihnen zu, dass es in der Energiepolitik mit
Ihrem Koalitionspartner schwierig ist . Herr Fuchs hat
hier wieder ein Beispiel abgeliefert von - ich weiß gar
nicht,
({10})
was man dazu sagen soll, wenn man fachlich Ahnung
hat - vollkommener Unbelecktheit in energiepolitischen
Fragen . Ich will politisch nur eines dazu sagen: Bei allen
Volten, die Herr Seehofer schlägt: Dass Seehofer jetzt zu
uns Grünen gehört, Herr Fuchs, möchte ich wirklich bestreiten .
({11})
Da der Hauptfeind des Leitungsausbaus in Deutschland Herr Seehofer ist, würde ich sagen: Fassen Sie sich
da mal an die eigene Nase, und reden Sie mal mit Ihren
Kollegen von der CSU, dass es da endlich vorwärtsgeht!
In einem Punkt hatten Sie nämlich recht: Beim Leitungsausbau muss es vorwärtsgehen . Deshalb: Stellen Sie
Herrn Seehofer mal in den Senkel, und lassen Sie sich
von ihm nicht weiter auf der Nase herumtanzen!
({12})
Zum Schluss: Ja, unser Land ist stark, unser Land ist
handlungsfähig, aber es wird von dieser Bundesregierung unter Wert regiert . Ändern Sie das endlich; denn es
ist Zeit dafür .
Vielen Dank .
({13})
Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass es richtig ist,
einen realistischen Blick auf die Situation in Deutschland zu werfen, und dieser Jahreswirtschaftsbericht tut
das . Aber ich habe ein bisschen das Gefühl, dass wir in
der Debatte ein Schisma haben, also zwei Arten, mit dem
Befund über die wirtschaftliche Lage umzugehen: Wir
haben Mutmacher in diesem Land, und wir haben Miesmacher in diesem Parlament .
({0})
Die vorige Rede war ein Beleg dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren .
({1})
Wenn wir uns die Lage angucken, dann stellen wir
fest - das ist nicht zu leugnen -: Es ist tatsächlich so,
dass dieses Land ein wirtschaftliches Wachstum hat . Wir
sind Wachstumsmotor und Stabilitätsanker in Europa trotz aller Schwierigkeiten . Wir haben vor allen Dingen
die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit
und die höchste Beschäftigungsquote, auch im Bereich
der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, die
das Land je hatte . Das führt übrigens dazu, dass wir nach
Jahren, meine Damen und Herren, endlich wieder Lohnzuwächse haben . Die Löhne sind im vergangenen Jahr
stärker gewachsen als in den letzten 20 Jahren, und auch
in diesem Jahr werden sie weiter wachsen . Das führt übrigens dazu, dass wir in diesem Jahr auch endlich wieder kräftige Rentenerhöhungen haben werden . Der Aufschwung kommt an bei den Menschen in Deutschland .
Das ist die Nachricht, die man nicht verschweigen darf,
Herr Ernst .
({2})
Wenn man sich die wirtschaftliche Lage anguckt,
stellt man fest: Sie ist im Gegensatz zur Vergangenheit
nicht allein vom Export getragen . Wir sind nach wie vor
wettbewerbsfähig und exportstark - mit Verfahren und
Produkten made in Germany sind wir auf den Märkten
der Welt erfolgreich -, aber wir haben jetzt zudem eine
starke Binnenkaufkraft . Die Binnenwirtschaft - der Konsum, auch der Wohnungsbau - trägt mit dazu bei, dass
wir gerade in diesen weltwirtschaftlich unsicheren Zeiten
eine robuste Nachfrage in Deutschland haben .
Wenn wir an die zum Teil hysterischen Debattenbeiträge einiger zur Einführung des Mindestlohns vor
einem Jahr denken: Der Mindestlohn - das ist nicht zu
leugnen - hat einen Teil dazu beigetragen, dass die Binnenkaufkraft gestiegen ist . Der Jahreswirtschaftsbericht
macht es deutlich . Alle die Horrorszenarien von der Vernichtung von Arbeitsplätzen durch den Mindestlohn sind
nicht eingetreten; das Gegenteil ist der Fall .
({3})
Aber der Jahreswirtschaftsbericht verschweigt auch
nicht, dass es konjunkturelle Risiken gibt . Es sind vor
allen Dingen weltwirtschaftliche Risiken . Die geopolitische Lage und das nachlassende Wachstum in Schwellenländern sind angesprochen worden .
Wir haben uns natürlich auch bei uns Sorgen zu machen,
weil wir in Deutschland nicht erst seit gestern, sondern
schon über zehn Jahren zu niedrige Investitionen haben,
vor allen Dingen zu niedrige private Investitionen, Kollege Fuchs . Wir sind uns bewusst, dass wir uns bei diesem Thema nicht ausruhen können . Da teile ich auch den
Befund: In einer Situation, in der wir niedrige Ölpreise,
niedrige Zinsen und auch eine günstige Entwicklung der
Wechselkurse haben, wäre es eigentlich an der Zeit, dass
hier privatwirtschaftlich kräftig investiert wird .
Wir dürfen uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit und der Gegenwart ausruhen . Vielmehr müssen wir
uns in diesem Land so einrichten, dass wir in Zukunft
wirtschaftlich erfolgreich sind . Deshalb ist es an der Zeit,
dass wir nicht nur die öffentlichen Investitionen in die
Infrastruktur und die kommunale Investitionskraft in den
Blick nehmen - was diese Bundesregierung tut -, sondern in dieser Koalition auch beraten, was wir tun müssen, um privatwirtschaftliche Investitionen anzureizen .
Da gibt es ganz unterschiedliche Bereiche, und es
gibt sektorale Rahmenbedingungen . Sie haben an dieser
Stelle die Energiewirtschaft angesprochen . Hier müssen
wir für angemessene Rahmenbedingungen sorgen . Die
Grünen sagen, wir würden die Erneuerbaren abwürgen .
Teile der Union sagen, wir würden die Erneuerbaren zu
massiv ausbauen . Irgendwo in der Mitte zwischen diesen
Extremen liegt die Wahrheit . Wir werden von einer Preissteuerung zu einer Mengensteuerung übergehen müssen,
damit die Erneuerbaren weiter kräftig ausgebaut werden,
aber eben kosteneffizienter und auch systemintegriert.
Wir werden uns neben all diesen Fragen auch die
Frage stellen müssen, was wir tun können und müssen,
um wichtige Leitmärkte in diesem Land zu halten und
zu entwickeln . Die Automobilindustrie ist nach wie vor
einer der stärksten Wirtschaftsbereiche dieses Landes .
Über 750 000 Menschen arbeiten in der Automobilindustrie - nicht nur in den Automobilunternehmen, sondern
auch in der Zulieferindustrie .
({4})
Deshalb ist es richtig, dass wir uns darüber Gedanken machen, was notwendig ist, damit nicht nur jetzt,
sondern auch in Zukunft Wertschöpfung, Arbeit und Beschäftigung in der Automobilindustrie in Deutschland
geschaffen werden . Damit wir nicht den Anschluss an
neue Antriebsarten verpassen, müssen wir die Hindernisse aus dem Weg räumen, die in diesem Land die Ausbreitung von Elektromobilität verhindern . Das betrifft drei
Bereiche .
Wir haben erstens immer noch einen Preisunterschied .
Es gibt zwar inzwischen auch im Bereich der Elektromobilität ganz viele deutsche Modelle, aber wir haben
nach wie vor einen Preis-Gap zwischen konventionellen
Antrieben und Elektroantrieben . Wir müssen zweitens
etwas tun für die Ladeinfrastruktur in diesem Land . Und
drittens müssen die Reichweiten - das betrifft den Bereich Batterieforschung - erhöht werden, damit die Elektromobilität endlich zum Durchbruch kommt .
Minister Gabriel hat es vorhin deutlich gesagt: Jetzt ist
die Zeit, zu handeln, damit wir das gesetzte Ziel - 1 Million Elektrofahrzeuge bis 2020 - tatsächlich erreichen
können und nicht verfehlen .
({5})
Deshalb müssen wir uns in der Koalition verständigen .
Wir haben Vorschläge für Marktanreizprogramme gemacht .
({6})
Hubertus Heil ({7})
- Herr Kauder, Sie werden sich an dieser Stelle auch
noch korrigieren; das sage ich Ihnen .
({8})
Ich bin ja sehr froh, dass einige in der Union jetzt weiter
sind .
({9})
Da will ich ausnahmsweise Frau Aigner und Herrn
Seehofer einmal kräftig loben, die uns in unseren Vorstellungen unterstützen, weil sie begriffen haben, wie
wichtig es ist - nicht nur für Bayern, sondern für ganz
Deutschland -, dass wir eine zukunftsfähige Automobilindustrie in Deutschland haben .
({10})
Ich füge aber auch hinzu: Wenn wir Anreize geben,
dann erwarten wir von der deutschen Automobilindustrie
eine Gegenleistung . Diese Gegenleistung besteht darin,
dafür zu sorgen, dass wir bei uns die gesamte Wertschöpfungskette aufbauen . 40 Prozent der Wertschöpfung im
Bereich der Elektromobilität hat etwas mit Batterietechnik zu tun . Da das so ist, wollen wir uns nicht darauf
beschränken, dass in Deutschland Fahrzeuge nur zusammengeschraubt werden, sondern wir wollen, dass die
ganze Wertschöpfungskette aufgebaut wird .
({11})
Deshalb hat die deutsche Automobilindustrie, wenn wir
Anreize geben, eine Verpflichtung, wieder in die Batterieproduktion in Deutschland einzusteigen . Das ist auch
im Interesse von Beschäftigung in diesem Land .
({12})
Ich kenne viele Regionen in Deutschland wie beispielsweise in Sachsen - da schaue ich zum Kollegen
Kretschmer - oder auch in Niedersachsen, in denen wir
nicht nur Forschung im Bereich der Batterietechnologien, sondern auch wirklich wieder Produktion brauchen .
Wir wollen die Batterietechnik nach Deutschland zurückholen, sonst werden wir in diesem Bereich abgehängt, meine Damen und Herren .
({13})
Zum Schluss . Es ist angesprochen worden: Beim Thema Flüchtlinge - das hat etwas mit der ökonomischen
Entwicklung dieses Landes zu tun - sind wir im Moment
in der Lage, vieles zu schaffen, weil es wirtschaftlich gut
läuft . Aber umgekehrt müssen wir jetzt auch eine ganze Menge schaffen, damit wir tatsächlich wirtschaftliche
und soziale Integration in diesem Land leisten, damit wir
unsere Gesellschaft zusammenhalten, damit wir diejenigen, die zu uns gekommen sind und die dauerhaft bei
uns bleiben werden, tatsächlich gut integrieren können .
Da geht es um Sprache . Es geht um Schule . Es geht um
berufliche Ausbildung. Es geht um die Integration in Arbeit . Es geht auch um Wertevermittlung . Deshalb sind
jetzt neben den privatwirtschaftlichen und infrastrukturellen Investitionen die sozialen Investitionen das Gebot
der Stunde .
Ich will das an einem Aspekt verdeutlichen: Allein
durch die Entwicklung der Flüchtlingszahlen im letzten
Jahr haben wir 300 000 zusätzliche Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter. Wir brauchen Investitionen
in unsere Schulen, in Bildung und Ausbildung . Ich sage
an dieser Stelle: Da muss auch der Bund mitmachen können . Deshalb muss dieses unsinnige Kooperationsverbot
an dieser Stelle endlich weg, sonst erleben wir Unfrieden,
({14})
sonst verschlechtert sich die Unterrichtsqualität für die
Schüler, die schon hier sind, und wir schaffen die Integration nicht .
Herr Kollege .
Aber vor allen Dingen - das ist der Zusammenhang
mit der Wirtschaft - hat die Wirtschaft recht .
Herr Kollege Heil, würden Sie freundlicherweise gelegentlich einmal einen Blick auf die Uhr werfen?
Gerne, Herr Präsident . - Oh, da ist ja eine Uhr .
({0})
Deshalb sage ich zum Schluss - mit Verlaub, Herr Präsident, danke für die Erinnerung -: Dieses Land ist ein
starkes Land . Wir haben eine starke Wirtschaft . Wir haben einen starken, handlungsfähigen Staat, vor allem haben wir aber eine starke Gesellschaft . Das sind die Voraussetzungen dafür, dass wir es wirtschaftlich und sozial
tatsächlich schaffen können .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({1})
Joachim Pfeiffer ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sprechen heute über den Jahreswirtschaftsbericht und
den Ausblick auf 2016 und 2017 . Der Bericht ist durchaus erfreulich; der Wirtschaftsminister hat dies eingangs
vorgetragen .
Das war nicht immer so . Wenn wir zurückblicken:
Vor 12, 13, 14 Jahren - ich bin seit 2002 im Deutschen
Bundestag - war der Jahreswirtschaftsbericht immer unHubertus Heil ({0})
erfreulich . Wir hatten damals die Situation, dass die Zahl
der Arbeitslosen zunahm .
({1})
Hunderttausend Menschen mehr in Arbeitslosigkeit sind
ein enormer Kostenfaktor für die öffentliche Hand . Pro
Arbeitslosen sind das im Jahr 18 000 bis 19 000 Euro
plus weitere sekundäre Effekte, also weniger Steuereinnahmen und anderes mehr, in einer Größenordnung von
15 000 Euro . Das bedeutet: Wir, die öffentlichen Haushalte, hatten 2003 - um einen Zehnjahreszeitraum zu
wählen - direkte und indirekte Ausgaben für die Folgen
der Arbeitslosigkeit in Höhe von 92 Milliarden Euro pro
Jahr: Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II, Zahlungen in die Sozialversicherung
aus den öffentlichen Kassen und weniger Einnahmen bei
den Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen . Umgekehrt bedeuten aber Hunderttausend Menschen mehr in
Arbeit allein 1,3 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen
pro Jahr . Das ist der Haupterfolgsgrund, warum es uns in
Deutschland immer noch so gut geht .
Sigmar Gabriel hat vorhin darauf hingewiesen:
43,3 Millionen Menschen in diesem Jahr, wahrscheinlich
43,7 Millionen Menschen im nächsten Jahr in Lohn und
Brot . Um noch einmal die Zahlen von 2003 und 2013
zu vergleichen: 2003 haben wir insgesamt 92 Milliarden
Euro ausgegeben, 2013 nur noch 54 Milliarden Euro .
Rechnet man dieses auf das BIP um, so ist die Quote von
über 4 Prozent auf circa 2 Prozent gesunken . Das macht
deutlich, wo wir einen Spielraum hatten . Diesen Spielraum haben wir für Strukturreformen am Arbeitsmarkt
genutzt, um aus dem Teufelskreis von mehr Arbeitslosen,
weniger Sozialversicherungseinnahmen und weniger
Steuereinnahmen herauszukommen .
Die Agenda 2010 war ein wichtiger Punkt . Diese ist
heute oftmals etwas vater- oder mutterlos .
({2})
Ich glaube, es war genau der richtige Weg . Wir müssen
jetzt aufpassen, dass wir diese zentralen Strukturreformen, die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, nicht wieder
rückgängig machen .
Wir haben sie genutzt, um mehr in Innovationen zu investieren . Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung
sind heute so hoch wie nie zuvor, und sie werden zielgerichtet in neue innovative Felder und Sektoren investiert .
Gleichzeitig haben wir die Haushalte konsolidiert . Wir
werden auch in 2016 eine Nullverschuldung haben und
die Konsolidierung weiter vorantreiben . Deutschland ist
eines der wenigen Länder in Europa, in denen die Staatsverschuldung sinkt . Wir hatten eine Quote von über
83 Prozent auf dem Höhepunkt der Krise . Jetzt liegt sie
bei unter 70 Prozent, und wir gehen in Richtung 60 Prozent, so wie es das Maastricht-Kriterium vorsieht . Das ist
die Folge von Konsolidieren und Investieren .
Diesen Teufelskreis haben wir verlassen . Jetzt sind
wir sozusagen in einer Art Glücksspirale und müssen
diesen Weg weiter fortsetzen .
({3})
Glück fällt einem aber nicht einfach nur vor die Füße,
sondern Glück ist auch das Ergebnis harter Arbeit von
Unternehmen und Arbeitnehmern, aber auch von Konsolidieren und Investieren . Gerade in die Richtung der Grünen kann ich sagen: Man kann das auch anders machen .
Schauen Sie nach Baden-Württemberg .
({4})
In Baden-Württemberg haben Sie es in der Zeit Ihrer
Regierungsverantwortung geschafft, den Haushalt um
30 Prozent aufzublähen und die höchste Verschuldung
in der Geschichte Baden-Württembergs herbeizuführen .
({5})
So ist das, wenn man den Grünen und leider auch den
Sozialdemokraten in Baden-Württemberg die Regierung
überlässt . Wie man das bei gleichen Rahmenbedingungen anders macht, haben wir hier im Bund gezeigt .
({6})
Jetzt geht es darum, die Wachstumspotenziale weiter
zu heben . Der Freihandel ist angesprochen worden . Herr
Ernst, es wird immer abstruser . Sie haben keine einzige
Aussage zum Inhalt gemacht . Jetzt haben Sie Zugang zu
entsprechenden Dokumenten, und jetzt ist es auch wieder
nicht recht .
({7})
- Melden Sie sich einmal an . Ich habe es getan . Wir sprechen uns dann in der nächsten Sitzungswoche und sehen,
welche Dokumente dort sind und welche nicht .
Sie vergleichen hier Amerikaner mit Deutschen .
Aber es ist so, dass die amerikanischen Kolleginnen und
Kollegen - im Gegensatz zu uns - hier federführend
verhandeln, weil die USA mit der Europäischen Union
verhandeln . Wir hingegen haben dieses Mandat übertragen . Die Europäische Union hat von uns ein Mandat zur
Verhandlung bekommen . Die europäischen Kolleginnen
und Kollegen, die in diesem Ausschuss sind, haben die
gleichen Rechte wie die Amerikaner . Insofern lassen Sie
uns über die Sache reden und nicht immer irgendwelche
Scheingefechte austragen .
({8})
Dann gilt es, neue Technologien zu fördern .
Herr Kollege Pfeiffer, darf der Kollege Ernst eine
Zwischenfrage stellen?
Unbedingt .
Herr Pfeiffer, Sie haben sicher zur Kenntnis genommen, dass das Thema Transparenz ein zentrales Thema
der TTIP-Debatte ist . Wenn das so passiert, wie Sie es
jetzt sagen, wenn Sie so argumentieren, dann akzeptieren
Sie, dass die europäischen Abgeordneten, die EU, letztendlich verhandeln und zu einem Abschluss kommen und
dass die nationalen Parlamente das Ergebnis nur noch abnicken können . Wir waren immer gemeinsam der Auffassung, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, dass also auch die Parlamente der nationalen Staaten
mitreden und mit Einfluss nehmen dürfen. Ich habe auch
Herrn Lammert, unseren Bundestagspräsidenten, so verstanden, als er sagte, er könne sich eine Zustimmung eigentlich nicht so vorstellen, dass man nur abnickt . Ich
weiß nicht, wie ich Ihre Aussage hier werten soll .
Herr Pfeiffer, schauen Sie sich die Richtlinien an, die
uns zugegangen sind . Fakt ist: Wenn wir diese Räume betreten, dann werden wir behandelt, als würden wir einen
Schwerverbrecher in einem Sicherheitsknast besuchen .
Ich bin es nicht gewohnt, dass hinter mir ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes steht, wenn ich irgendwelche
Unterlagen lese . Ich bin es auch nicht gewohnt, dass ich
sozusagen alles abgeben muss . Ich bin es auch nicht gewohnt - und ich wiederhole das noch einmal; denn Sie
haben dazu nichts gesagt -, dass selbst die Regeln, die
wir als Abgeordnete bei der Einsicht in diese Dokumente
beachten müssen, geheim sind . Ja, Herr Pfeiffer, geht es
denn noch? Wollen Sie das wirklich positiv bewerten?
({0})
Zunächst sage ich: Wie das mit dem Sicherheitsdienst
oder dem Staatssicherheitsdienst funktioniert, das kann
ich nicht beurteilen . Da kenne ich mich nicht aus . Fragen Sie Frau Wagenknecht, die weiß das wahrscheinlich
besser als ich .
({0})
Ich kann Ihnen aber gern etwas zum Freihandel und
zu TTIP sagen . Was ist die Vereinbarung? Wir haben im
Lissabon-Vertrag zuletzt das Verhandlungsmandat auf
die Europäische Union übertragen . Wir, und zwar nicht
nur Deutschland, sondern 28 Staaten der Europäischen
Union, haben gesagt: Es gibt einen Verhandlungsrahmen,
innerhalb dessen die Europäische Union verhandelt . Die
Europäische Union informiert uns regelmäßig über den
Stand der Verhandlungen .
In der letzten Sitzungswoche war die zuständige Kommissarin Malmström hier bei uns im Ausschuss und hat
uns zum aktuellen Verhandlungsstand in allen Punkten
Rede und Antwort gestanden . Sie waren dabei . Wir waren im November in Brüssel und haben mit ihr gesprochen . Die Chefunterhändler sind ständig hier . Ich kann
überhaupt nicht erkennen, wo es hier in der Sache oder
bei sonst etwas an Transparenz fehlt und wo es bei Ihnen
ein Informationsdefizit gibt. Wo das bei Ihnen besteht,
würde mich mal interessieren . Sie haben heute keinen
einzigen Satz zu der Sache gesagt, um die es geht .
({1})
Die Vermutung liegt nahe, dass es bei Ihnen nicht um die
Sache geht,
({2})
sondern dass Sie dieses Thema als Monstranz vor sich
hertragen . Sie projizieren alle möglichen Ängste und Befürchtungen auf TTIP und begründen damit, gegen TTIP
zu sein . Das ist, was ich kritisiere .
({3})
TTIP bietet die letzte Chance, die Globalisierung gemeinsam mit den Amerikanern mit unseren Standards,
in unsere Richtung zu gestalten . Sonst werden es andere
tun .
Herr Präsident, ich bin eigentlich immer noch bei der
Beantwortung der Zwischenfrage .
Ja, ich weiß, dass die Kreativität von Rednern, Zwischenfragen zu einer Verdoppelung der Redezeit zu nutzen, nahezu unbegrenzt ist . Dem muss ich mit Blick auf
unser eigenes, beschlossenes Zeitregime widerstehen . Bitte schön .
Dann muss ich allerdings mit den Wachstumspotenzialen fortfahren . ({0})
Wachstumspotenziale birgt nicht nur der Freihandel, sondern auch der Energiebereich . Es geht darum, dass wir
bezahlbare Energiepreise haben; Kollege Fuchs hat es
ausgeführt .
({1})
Um es deutlich zu machen: Wir haben in dieser Koalition
gemeinsam Ausbaupfade bis 2020, 2025 und 2030 verabredet . Dem haben auch die Bundesländer - auch die unter
grüner Beteiligung - zugestimmt . Jetzt zeigt sich, dass
der Ausbau schneller vorangeht und wir die Erzeugungsmengen des Jahres 2030 wahrscheinlich bereits 2019 erreichen, der Netzausbau aber weitaus schleppender und
langsamer vorangeht . Deshalb müssen wir hier korrigieren und die Dinge entsprechend zueinanderbringen .
Ich möchte noch kurz auf das Thema Digitalisierung
eingehen . Es birgt ungeahnte Chancen, dass die physische mit der digitalen Welt verschmilzt und wir eine neue
Vernetzung von Produktion, Logistik und Kunden erreichen, die wir auch in unseren traditionellen industriellen
Bereichen nutzen müssen . Ich möchte an dieser Stelle die
Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, dass damit auch
Gefahren verbunden sind, denen wir uns stellen müssen,
Stichwort: Cyber Crime und Cybersicherheit . 40 Prozent
aller Branchen waren in den letzten zwei Jahren von Cyberkriminalität betroffen; die Zahlen haben sich in den
letzten Jahren erhöht . Bei den Finanzdienstleistern waren
es sogar 55 Prozent . Der Schaden in den Jahren 2013 und
2014 wird auf eine Größenordnung von 50 bis 60 Milliarden Euro geschätzt, also mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts .
Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir das geistige Eigentum insbesondere des Mittelstands schützen
können, wie wir dafür sorgen können, dass die Daten
eines Unternehmens, das an einer Ausschreibung teilnimmt, nicht den Wettbewerbern oder anderen Staaten
bekannt werden . Das ist eine Aufgabe, der wir uns im
Rahmen der Digitalisierung widmen müssen .
Wenn es uns gelingt, in der Glücksspirale zu bleiben,
in der wir uns befinden,
({2})
indem wir die wirtschaftliche Entwicklung mit Innovationen, mit Digitalisierung und mit Flexibilisierung am
Arbeitsmarkt und am Gütermarkt befeuern, dann wird
es auch in den nächsten Jahren Grund zur Freude geben,
wenn es gilt, den Jahreswirtschaftsbericht vorzustellen,
dann werden wir weiterhin eine positive Entwicklung
konstatieren können . In diesem Sinne arbeiten wir in diesem Jahr daran, dass es im nächsten Jahr so weitergehen
kann .
Vielen Dank .
({3})
Die Kollegin Wawzyniak erhält nun für die Fraktion
Die Linke das Wort .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Gabriel, Sie haben jetzt in Ihrer 22
Minuten langen Regierungserklärung zum Thema „Zukunftsfähigkeit sichern - Die Chancen des digitalen
Wandels nutzen“ für zwei Minuten vier digitale Themen angeschnitten . Ich dachte ja eigentlich, heute käme
Digi-Siggi, der Checker des Digitalen . Sie sind aber
Analog-Siggi geblieben .
({0})
Dieser Umgang mit Chancen des digitalen Wandels ist
ein Problem . Wir brauchen - besser gestern als heute Antworten auf die Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, und zwar solche, von denen alle
profitieren können. Wie Sie mit diesem Thema umgehen,
ist wenig zukunftsfähig .
({1})
Dabei steht doch im Jahreswirtschaftsbericht sogar etwas zum Digitalen . Ich sage Ihnen gleich etwas zu dem,
was da ab Ziffer 110 steht, nämlich zu Netzneutralität,
Störerhaftung und Breitbandausbau .
({2})
- Ja, diese wichtigen Themen kamen aber leider nicht
vor .
Dass die Störerhaftung beim Betreiben offener
WLAN-Netze das größte Hindernis für die Verbreitung
öffentlicher Funknetze ist, gilt als unbestritten . Und dass
offene Funknetze hilfreich wären, um Menschen mit geringem Einkommen und Geflüchteten einen Internetzugang zu ermöglichen und innovative Geschäftsideen zu
fördern, liegt auf der Hand .
({3})
Doch statt die Störerhaftung abzuschaffen, zementieren
Sie sie . Grüne und Linke haben einen entsprechenden
Gesetzentwurf vorgelegt, dem könnten Sie zustimmen .
Wenn Sie uns nicht vertrauen, dann vertrauen Sie dem
Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfraktion .
Der fordert nämlich, dass WLAN-Anbieter als Zugangsanbieter nicht für Rechtsverletzungen ihrer Nutzer haften, auch nicht im Rahmen der Störerhaftung . Und da hat
der Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfraktion recht .
({4})
Nun soll der Telekom erlaubt werden, DSL-Anschlüsse mithilfe des Einsatzes des sogenannten VDSL2-Vectoring an den Hauptverteilern zu beschleunigen . Dumm
nur, dass dadurch verhindert wird, dass Konkurrenten der
Telekom ihre Technologie einsetzen können
({5})
und ein neues Quasimonopol der Telekom geschaffen
wird . Kein Wunder, dass die Mitbewerber überlegen, vor
das Bundesverfassungsgericht zu ziehen .
({6})
Sie geben beim Breitbandausbau veralteten Technologien den Vorrang, anstatt den Glasfaserausbau zu unterstützen . Sie können damit zwar möglicherweise in ein paar
Jahren das Erreichen eines niedrigen Ziels verkünden,
aber in zehn Jahren stehen wir vor demselben Problem .
Sie vertagen die Lösung des Problems und verspielen
eine große Chance .
Sie sagen, Sie wollen Start-ups fördern, um endlich einen Gegenpol zum Silicon Valley in Kalifornien zu schaffen . Ein Grundpfeiler für Chancengerechtigkeit kleiner
IT-Unternehmen ist aber die Netzneutralität . Doch statt
jetzt tätig zu werden und wenigstens das bisschen Netzneutralität aus der EU-Verordnung abzusichern, warten
Sie lieber ab und lassen so die Start-ups im Stich . Handeln Sie doch einfach, wie im Antrag der Linken empfohlen . Wenn Sie dann noch etwas für kleine und mittlere
Unternehmen machen wollen, dann setzen Sie doch einfach bei öffentlichen Aufträgen auf Open-Source-Software und nicht auf Software großer Konzerne .
({7})
Über die Veränderungen der Erwerbsarbeitswelt durch
Digitalisierung wäre noch viel zu sagen . Ich will nur kurz
auf die Situation von Click- und Crowdworkern aufmerksam machen, die sich von einem schlecht bezahlten
Auftrag zum nächsten hangeln . Der Mindestlohn greift
hier nicht, viele sind selbstständig . Es wäre also an der
Zeit, ein Mindesthonorar einzuführen, das allen prekär
arbeitenden Selbstständigen zugutekäme .
({8})
Wenn man darüber spricht, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, könnte man auch über viele andere
Themen sprechen, nämlich Datenschutz, Urheberrecht,
IT-Sicherheit, Bildung, Weiterbildung, Nachhaltigkeit
und Landwirtschaft . Kluge, konkrete und zügige Maßnahmen würden dabei helfen, die Chancen der Digitalisierung so zu nutzen, dass alle davon profitieren. Aber wir haben es gehört - diese Regierung hat nicht einmal
Ideen, geschweige denn einen Plan, den man umsetzen
könnte .
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd Westphal für
die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der
Jahreswirtschaftsbericht 2016 ist eine Erfolgsstory . Trotz
eines europäischen und globalen Umfelds der Unsicherheit ist es gelungen - das belegt der Bericht -, dass sich
die Wirtschaft gut entwickelt hat . Einige Kennzahlen
hat der Bundeswirtschaftsminister genannt: Beschäftigung, gute konjunkturelle Lage und die Einkommen sind
gestiegen - alles gute Parameter für eine positive Entwicklung . Dieses Ergebnis ist sicherlich Auswirkung der
klugen Wirtschaftspolitik unseres Wirtschaftsministers
Sigmar Gabriel, guter Unternehmensführung, aber vor
allem ist es das Verdienst von engagierten, motivierten
und gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land .
({0})
Diese positive Entwicklung gilt es nun zu erneuern .
({1})
Herr Fuchs, Sie haben das Stichwort der Entbürokratisierung gebracht . Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass
wir die Chance haben, in § 6 des Einkommensteuergesetzes die Grenze für die sofortige Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter von 400 Euro auf 800 Euro zu
erhöhen . Wir sollten zusehen, dass mehr direkt bei den
Unternehmen ankommt, und entsprechende Regelungen
auf den Weg bringen .
({2})
Wir brauchen eine Politik für Fortschritt und Gerechtigkeit . Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor dem digitalen Wandel . Es ist enormes Potenzial vorhanden . Ein
großer Teil des Jahreswirtschaftsberichts widmet sich
diesem Thema . Stichworte sind „Industrie 4 .0“ und „Arbeit 4 .0“ . Das Potenzial dieser vierten industriellen Revolution müssen wir heben . Dafür sind Investitionen und
Innovationen notwendig . Nachhaltig erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch ein innovationsfreundliches
Umfeld aus . Bedeutung erlangen dabei vor allen Dingen
gute Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung, starke Gewerkschaften und eine starke, verlässliche, vertrauensvolle Sozialpartnerschaft . Das sind die Voraussetzungen
dafür .
Deutschland ist von der industriellen Produktion und
vom Export abhängig . Industrie, Handwerk, Mittelstand
sind Garanten unseres Wohlstands . Sie sorgen für Einnahmen bei den Sozialversicherungen und für hohe Steuereinnahmen der öffentlichen Hand . Die europäische
Integration und faire Handelsbedingungen sind dementsprechend zu gestalten . Wir brauchen in dem Fall mehr
Europa und nicht weniger .
({3})
Wir haben einen berechenbaren Kurs bei der Energiewende . Das Prinzip der Nachhaltigkeit wird dabei deutlich sichtbar; denn wir haben sinkende CO2-Emissionen
und ein steigendes Bruttoinlandsprodukt . Das ist eine
sehr gute Situation. Global betrachtet findet aber das Gegenteil davon statt: Da haben wir steigende CO2-Emissionen .
Wir müssen aber darauf achten, dass wir uns beim
Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien an dem
Korridor orientieren, der im Koalitionsvertrag vereinbart
wurde . Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass
der Netzausbau synchron dazu verläuft .
({4})
Derzeit benötigen wir für eine verlässliche Energieversorgung auch fossile Energieträger, zumindest so lange,
wie PV, Wind, Speicher und Co . nicht ausreichend zur
Verfügung stehen . Wir dürfen uns keine unkalkulierbaren
Ausstiegsszenarien leisten .
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkung
zum Thema Flüchtlinge: Die aktuelle Situation ist sicherlich eine Herausforderung, an einigen Stellen aber auch
eine Überforderung . Wir wollen Grund- und Menschenrechte nicht außer Kraft setzen, aber die Integrationskapazitäten stoßen an ihre Grenzen . Die Probleme sind
vielschichtig, sie sind komplex und teilweise auch kompliziert . Abgesehen von der Bewältigung des derzeitigen
Zustroms brauchen wir für die Zukunft ein verlässliches
Einwanderungsgesetz, mit dem genau dieser Zustrom
gesteuert wird . Deshalb müssen wir uns trotz der gegenwärtig schwierigen Situation jetzt auf den Weg machen,
um so etwas für Deutschland als Einwanderungsland zu
vereinbaren .
({6})
Herr Hofreiter, Sie haben gesagt, dass Sie das Thema
„Nachhaltigkeit“ im Jahreswirtschaftsbericht vermisst
haben . Als Mitglied des Parlamentarischen Beirats für
nachhaltige Entwicklung darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass der Jahreswirtschaftsbericht ein Kapitel enthält, in dem steht, dass die globalen Nachhaltigkeitsziele, die in New York im September letzten Jahres
vereinbart worden sind, die Richtschnur für unsere Wirtschaftspolitik sind . Es ist also nicht so, wie Sie es gesagt
haben; denn unsere Wirtschaftspolitik orientiert sich genau an diesen Nachhaltigkeitszielen, und das ist in diesem Bericht klar zu erkennen .
({7})
Wir als SPD stellen die Weichen für ein modernes,
weltoffenes und wettbewerbsfähiges Deutschland . Wir
können Wirtschaftspolitik!
Herzlichen Dank . Glück auf!
({8})
Dieter Janecek ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Pfeiffer,
mit dem Bild von der Glücksspirale, das Sie im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung
gezeichnet haben, bin ich ja sehr einverstanden; aber da
endet dann schon die Einigkeit .
Ich habe eine Frage an den Minister . Sie schreiben in
der Großen Koalition ja viele Briefe . Ich weiß nicht, ob
Sie in der Großen Koalition auch noch miteinander reden .
({0})
Diesbezüglich hätte ich gerne eine Stellungnahme von
Ihnen zur Flüchtlingspolitik . Herr Minister Dobrindt hat
gesagt, dass Grenzschließungen eine gute Sache seien .
44 Abgeordnete der CDU sagen, dass Grenzschließungen
und verschärfte Grenzkontrollen gut seien . Entspricht
das der Meinung des Wirtschaftsministers? Sind Sie der
Meinung, dass das für eine vernetzte Ökonomie gut ist?
Sind Sie der Meinung, dass Staus auf den Autobahnen
infolge geschlossener Grenzen für unsere Wirtschaft gut
sind? Glauben Sie nicht, dass wir dadurch Milliarden
verlieren würden? Dazu hätte ich gerne einmal eine Stellungnahme von Ihnen . Sagen Sie hier einmal, ob das, was
Herr Dobrindt sagt, auch Ihrer Position entspricht .
({1})
Die Debatte heute stand ja unter der großen Überschrift: Chancen des digitalen Wandels . Gesprochen
dazu haben eigentlich ausschließlich die Linken und ein
bisschen noch Sie . In der einen Minute Redezeit, die mir
jetzt verbleibt, versuche ich, das Thema aufzumachen .
Was ist dazu zu sagen?
({2})
Sie haben ja groß angefangen: die Champions League,
die Aufholjagd . Vielleicht waren das auch die Worte von
Herrn Dobrindt . Ich glaube, bei Ihnen nimmt man es
differenzierter wahr . Aber man muss sich auch um den
Markt, um die Rahmenbedingungen kümmern . Da frage
ich Sie: Wo waren Sie zum Beispiel beim Thema Netzneutralität? Sie auf der rechten und Sie auf der linken
Seite, Ihre Parteikollegen haben im Europäischen Parlament dagegengestimmt, dass wir faire Wettbewerbsbedingungen bekommen . Das kann es ja wohl nicht sein .
({3})
Schauen wir uns das Thema Breitband an . Die Autobahnen sollen jetzt untertunnelt werden . Das ist ja alles
schön . Aber gerade einmal jedes dritte Unternehmen hat
momentan schnelles Internet . Das ist die Realität 2016 .
So kommen wir wirklich nicht voran .
({4})
Thema E-Government . In Estland braucht man heute
keinen Kugelschreiber mehr . Vertreter des Bundesinnenministeriums waren bei uns im Ausschuss Digitale Agenda . Ich habe sie gefragt: Was machen Sie denn in den
nächsten Jahren? - Sie haben geantwortet: Na ja, 2020
fangen wir vielleicht einmal an; denn kulturell ist das
mit unseren Behörden, mit unserer Bundesbehörde ganz
schwierig . - Wo sind die 45 Milliarden Euro Einsparpotenzial, die der Normenkontrollrat im Zusammenhang
mit dem E-Government genannt hat? Wo realisieren Sie
dieses Potenzial? Wo gehen Sie das an? Die Unternehmen haben 130 Behördengänge pro Jahr . Sie würden das
gern digital machen . Dazu würde ich Ihnen gern ein paar
Vorschläge mitgeben .
Vielen Dank . So weit für heute .
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön für
die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Janecek, jetzt hätte mich doch
interessiert, welche Vorschläge Sie in Ihren zwei Minuten Redezeit zum digitalen Wandel machen .
({0})
Dazu haben Sie sich leider keine Zeit mehr genommen .
Aber vielleicht sagen Sie in einer der kommenden Debatten etwas dazu .
({1})
Leistungsfähig, wettbewerbsfähig und zukunftsfähig - das sind die drei Schlagworte, die heute immer
wieder genannt werden . Dass wir leistungsfähig und
wettbewerbsfähig sind, bestätigen, denke ich, dieser
Wirtschaftsbericht und die Zahlen . Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung . Wir
haben ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent . Die
Löhne steigen . In diesem Jahr steigen auch die Renten
deutlich . Ich denke, das kann sich sehen lassen . Das ist
das Ergebnis von guten politischen und wirtschaftlichen
Weichenstellungen in den letzten Jahren .
Ob wir zukunftsfähig sind, hängt jetzt von uns ab .
Das ist die Aufgabe dieser Regierung in dieser Legislaturperiode . Sie haben zu Recht angesprochen, dass ein
Faktor dafür die Digitalisierung ist . Die Digitalisierung
wird darüber entscheiden, ob wir auch in Zukunft Arbeitsplätze in unserem Land haben, ob wir noch Wohlstand in unserem Land haben und ob wir wirtschaftlich
weiterhin erfolgreich sind . Wenn ein soziales Netzwerk
innerhalb von wenigen Jahren mehr wert ist als ein Industriekonzern, der jahrzehntelang gewachsen ist, wenn
die Wertschöpfung im Bereich des Automobils heute nahezu komplett aus der Software kommt und eben nicht
mehr aus der Hardware, aus der Karosserie, wenn sich
innerhalb von wenigen Monaten ganze Branchen, ganze
Wertschöpfungsketten, ganze Geschäftsmodelle ändern,
dann spüren wir, dann merken wir, dass sich durch die
Digitalisierung auch die Kräfteverhältnisse im Wirtschaftsleben komplett ändern .
Für uns ist klar: Wir wollen an der Spitze marschieren .
Wir wollen dazugehören . Wir wollen das Wachstumsland
Nummer eins in der Welt sein . Wir wollen in der digitalisierten Welt global genauso wirtschaftlich erfolgreich
sein, wie wir es in den letzten Jahren waren .
({2})
Dazu braucht es zwei Stoßrichtungen . Zum einen geht
es darum, komplett neue Lösungen und Geschäftsmodelle mit auf den Weg zu bringen . Es ist ein Drama, dass
SAP das einzige große Softwarehaus in Deutschland und
Europa ist und wir nur mit amerikanischen und asiatischen Konkurrenten im Wettbewerb stehen . Zum anderen geht es darum, dass wir die Geschäftsmodelle unserer
klassischen Wirtschaft, die uns über all die Jahre erfolgreich gemacht hat, anpassen, dass sich der Mittelstand,
die Industrie, aber eben auch Dienstleistungsunternehmen, die Energiewirtschaft, Unternehmen im Bereich der
Mobilität und das Gesundheitswesen auf die Herausforderungen der Digitalisierung einstellen .
Wir haben gute Voraussetzungen . Wir haben hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung . Wir haben
eine vitale Start-up-Szene . Wir haben Vorzeigebereiche, mit denen wir im Hinblick auf Industrie 4 .0 schon
sehr gut sind, etwa beim Anlagenbau . Wir sind gut in
der IT-Sicherheit . Wir haben also wirklich gute Voraussetzungen . Es gibt aber auch - das muss man ebenfalls
sagen - Probleme und Herausforderungen . Diese gilt es
anzupacken .
Es fehlt eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur;
das packen wir gerade in dieser Legislaturperiode gemeinsam an .
({3})
Bei Bildung und Ausbildung haben wir Nachholbedarf .
Noch sind unsere Schulen in der Kreidezeit verhaftet .
Digitalisierung ist in kaum einem Bundesland ein großes
Thema . Wir als Fraktion haben mit der Strategie „Digitales Lernen“ ein gutes, kluges Konzept vorgelegt; das gilt
es gemeinsam umzusetzen .
Unsere Verwaltung ist noch in alten Strukturen verhaftet . Jetzt, in der Flüchtlingskrise, merken wir, dass
wir hier an unsere Grenzen kommen . Die große Chance
dieser Krise ist, dass wir es schaffen, die Verwaltung zu
modernisieren, schneller und flexibler zu werden und alte
Strukturen aufzubrechen; denn wir sehen, dass es sich
lohnt, alte Strukturen aufzubrechen, neue Formen der
Zusammenarbeit zu entwickeln und Prozesse zu digitalisieren . Hier bin ich Minister de Maizière und Staatssekretär Fritsche sehr dankbar, dass sie das so entschieden
angehen .
({4})
Elementar wichtig ist, dass wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen so anpassen, dass sie Innovationen
ermöglichen . Deshalb, Herr Minister Gabriel, wird es
leider nicht reichen, nur zu versuchen, die Großen Google und Amazon - zu zähmen . Wir müssen auch
dafür sorgen, dass die Kleinen, die es in unserem Land
bereits gibt, groß werden und die Innovationskraft, die
in unserem Land vorhanden ist, gestärkt wird . Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass wir den
innovativen Köpfen in unserem Land alle Möglichkeiten
geben, zu wachsen und mit den Großen zu konkurrieren .
({5})
Hier haben wir noch einiges vor uns, und da ist jeder von
uns gefragt .
Reden Sie zum Beispiel mit Ihrem Kollegen Maas!
Solange er noch am Dogma der Datensparsamkeit festhält, ist es für kleine Start-ups unheimlich schwer, in der
digitalen Welt mit innovativen Geschäftsmodellen erfolgreich zu sein .
({6})
Wir sollten lieber auf Verantwortung und Haftung setzen - das ist der richtige Weg -, statt nur auf Verbote,
Beschränkungen und Regulierung .
({7})
Reden Sie mit Ihrer Kollegin Nahles! Die Arbeitsstättenverordnung, die festschreibt, wie weit der Abstand
zwischen Schreibtischkante und Bildschirmtastatur sein
muss, passt leider nicht mehr in Zeiten des mobilen Arbeitens und des Homeoffice.
({8})
Deshalb ist es wichtig, dass wir heute Rahmenbedingungen setzen, die Innovationen ermöglichen und Freiheiten
schaffen, damit wir die Chance der Digitalisierung, wie
es auch im Jahreswirtschaftsbericht heißt, nutzen können .
({9})
Frau Kollegin .
Denn nur dann sind wir zukunftsfähig, und nur dann
sind wir in Zukunft sowohl wettbewerbsfähig als auch
erfolgreich .
Vielen Dank .
({0})
Katharina Dröge ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, das, was
Sie - und auch Herr Heil - hier heute gemacht haben, hat
mich ein bisschen an Selbstbeschwörung erinnert . Die
Hälfte Ihrer Redezeit haben Sie darauf verwendet, uns
vorzutragen: Uns geht es gut, die Wirtschaft brummt,
({0})
wir haben keine Koalitionskrise .
({1})
Man hatte den Eindruck, Sie müssen es nur oft genug
sagen, damit Sie es auch selbst glauben .
({2})
Wenn man bilanziert, stellt man fest: Einen Koalitionspartner zu haben, der sich vor den Flüchtlingen fürchtet, statt die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Potenziale zu sehen, ist schon eine Misere . Aber wenn man
dann auch noch selbst keine Konzepte hat, weder in der
Flüchtlingspolitik noch wirtschaftlich im Hinblick auf
die künftigen Herausforderungen für unser Land, dann
ist das schon ziemlich blöd, und dann ist Selbstbeschwörung wahrscheinlich nötig .
({3})
Wenn man sich Ihre Wirtschaftspolitik ansieht, muss
man sagen: zu geringe Investitionen in Infrastruktur, erneuerbare Energien und Bildung, keine koordinierte europäische Wirtschaftspolitik .
({4})
Zur Wettbewerbspolitik, die das Potenzial und die Kreativität der Unternehmen im Lande fördern soll, habe ich
von Ihnen in Ihrer Rede heute kein einziges Wort gehört .
Dabei ist dies die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit
unserer Wirtschaft . Es wäre Ihr Job, hier faire Spielregeln
zu schaffen . Genau da tun Sie aber nichts, bzw . Sie tun
das Gegenteil: Sie fördern einseitig große Unternehmen
zum Schaden von vielen kleinen und anderen Unternehmen in diesem Land .
({5})
Das zeigt zum Beispiel Ihre Entscheidung zur Fusion
von Edeka und Tengelmann, die Sie gegen jede Expertise
und jeden Rat durchgedrückt haben .
({6})
Sie wird zur Folge haben, dass Edeka eine größere
Marktmacht bekommen wird, dass das Unternehmen in
der Lage sein wird, die Preise zu drücken und die KondiNadine Schön ({7})
tionen zu diktieren, und kleinere Supermärkte, Hersteller
und Bauern in die Ecke gedrängt werden .
({8})
Diese Politik, die auf Große setzt und den Wettbewerb
schädigt, wird auch an der Entscheidung der Bundesnetzagentur deutlich, das Telekommonopol im Bereich des
Kupferkabels auszuweiten . Gestern haben Sie im Wirtschaftsausschuss gesagt, dass Sie das für eine gute Entscheidung halten . Sie begrenzt aber den Glasfaserausbau
und stellt die Wettbewerber in die Ecke . So nutzen Sie
aus Ihrer Sicht die Chancen der Digitalisierung . Ich kann
nur sagen: Damit haben Sie die Reise in die Vergangenheit angetreten . Wirtschafts- und zukunftsfähig ist das
nicht .
({9})
Zum Schluss zum Thema „Digitalisierung und ihre
Bedeutung für die Wettbewerbspolitik“ . Sie haben jetzt
endlich gesagt, dass man bei der Fusionskontrolle auch
das Thema Datenmacht berücksichtigen müsse . Auch
wir haben eine Brieffreundschaft miteinander . Wir haben
schon viele Briefe geschrieben, in denen wir gefragt haben, was Sie eigentlich mit dem Wettbewerbsrecht machen und wie Sie auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren wollen .
Im Mai vergangenen Jahres war in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung zu lesen, dass Sie Google zerschlagen wollen . Dann ist Ihnen aber aufgefallen, dass das
vielleicht doch etwas schwierig ist und dies deshalb vielleicht doch eine etwas zu steile These ist . Danach kam
lange nichts von Ihnen . Jetzt kommt nun vielleicht eine
Änderung bei der Fusionskontrolle . Hinzu kommen die
Themen AGB, Missbrauchskontrolle, Belastung der Verbraucher usw . Hierzu fehlen Konzepte von Ihnen . Diese
wären aber dringend notwendig; denn wir haben es mit
Giganten im Internet zu tun, die Monopolisierungstendenzen aufweisen .
Vor allen Dingen haben wir es beim Thema „digitale
Wirtschaft“ nicht mit einem normalen Gut zu tun, sondern mit einem sehr sensiblen Gut . Dabei geht es auch
um Datenschutz, Verbraucherschutz und sehr sensible
Informationen über unser tägliches Leben .
Deshalb wäre es besonders wichtig, dass der Wirtschaftsminister hinschaut . Sie haben aber viel zu lange
gewartet . Deswegen ist es dringend notwendig, dass Sie
endlich handeln .
({10})
Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Poschmann
für die SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Tatsache ist: Die wirtschaftliche Lage der
meisten kleinen und mittleren Unternehmen ist sehr gut,
auch wenn sich das Klima laut ifo etwas eintrübt . Viele
Betriebe konnten sich in den zurückliegenden Jahren ein
ansehnliches Polster zulegen . Seit 1999 ist die Eigenkapitalquote im Mittelstand von 2,6 Prozent auf 25 Prozent
gestiegen . Das sind Bestwerte, die vor allem eines signalisieren: Unser Mittelstand ist stark und robust .
({0})
Leider hat die Medaille auch ihre Kehrseite . Die Betriebe haben ihre Kapitalkraft gestärkt, dafür aber ihre Investitionen zurückgeschraubt . Die KfW hat bereits 2015
darauf hingewiesen, dass gerade einmal 28 Prozent der
kleinen und mittleren Betriebe in innovative Produkte investieren . Das sollte uns Sorgen machen .
Wer auf Innovationen verzichtet, verzichtet auf Wertschöpfung und Arbeitsplätze . Ich rede nicht von den mittelständischen Unternehmen, die in der Industrie 4 .0 angekommen sind . Ich rede von den kleinen und mittleren
Betrieben, die in der Regel sofort das Heft aus der Hand
legen, wenn sie nur die Überschrift „Digitalisierung von
Geschäftsprozessen“ lesen . Ihnen müssen wir uns mehr
widmen .
Wir müssen auch dem Handwerker um die Ecke unter die Arme greifen und ihm die Chancen aufzeigen, die
ihm der digitale Wandel bietet: schnelle und effiziente
Prozesse, mehr Kunden und am Ende auch mehr Umsatz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mittelstand war
und ist ein Innovationstreiber und Impulsgeber für die
Wirtschaft . Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen,
damit er dieser Rolle auch zukünftig gerecht werden
kann .
Wir werden aufpassen, dass Unternehmen nicht abgehängt werden, weil sie zu wenig in Forschung und Entwicklung investieren . Innovationsstarke Unternehmen
sind meist in der Lage, das teils wenig übersichtliche
Fördersystem zu durchschauen, Anträge zu formulieren
und Projekte umzusetzen . Kleine und mittelständische
Unternehmen, junge Dienstleister und Handwerker haben damit aber Probleme . Sie benötigen ein transparentes und niedrigschwelliges Fördersystem, das einfach
und unbürokratisch ist . Die Unternehmer wünschen sich
zeitnahe Genehmigungen; denn sonst ist die Idee in der
schnelllebigen Zeit keine Innovation mehr .
Vieles haben wir auf den Weg gebracht . Wir bauen
bundesweit 4 .0-Kompetenzzentren auf, mit denen wir
auch kleine Betriebe auf den digitalen Wandel vorbereiten . Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir ein Projekt
ins Leben gerufen, bei dem wir mit Gewerkschaftlern,
Wissenschaftlern und Vertretern der Wirtschaft innovative Ideen diskutieren . Wir wollen Investitionen auslösen
und über Steuervorteile die Forschung in kleinen und
mittleren Unternehmen ankurbeln . Außerdem werden
wir dafür kämpfen, dass wir endlich ein WagniskapitalKatharina Dröge
gesetz bekommen, das Investoren ermutigt, innovative
Start-ups mit den nötigen Mitteln zu versorgen .
({1})
Wir können nicht länger zusehen, dass ausländische Kapitalgeber in diese Lücke springen und das Know-how
ins Ausland abwandert .
Es kommt noch etwas hinzu: Der Mittelstand - insbesondere das Handwerk - ist ein Eckpfeiler der Ausbildung . Viele Betriebe haben Projekte mit jungen Flüchtlingen begonnen, bieten Bewerbungstrainings an und
stellen Praktikums- und Ausbildungsplätze zur Verfügung . Jeder Meister, jeder Ausbilder, der zusätzlich einen
Flüchtling an die Hand nimmt, leistet die beste Integrationsarbeit, die wir uns vorstellen können . Dafür meinen
herzlichen Dank .
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich müssen wir
darauf achten, die Integrationskraft unserer Gesellschaft
nicht zu überfordern . Ich sage aber auch: Die Grenzen zu
schließen, ist keine Lösung . Im Gegenteil: Das ist kontraproduktiv für ein Land, das von einer exportorientierten
Wirtschaft lebt und wie kein anderes vom freien Warenund Dienstleistungsverkehr profitiert.
Was Deutschland benötigt, sind keine Grenzbefestigungen und Schranken . Was Deutschland benötigt, ist
endlich ein modernes und zeitgemäßes Einwanderungsgesetz, das von einem großen gesellschaftlichen Konsens
getragen wird .
Herzlichen Dank .
({3})
Für die CDU/CSU-Fraktion ist Andreas Lenz der
nächste Redner .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft steht gut da . Das geht einmal mehr aus
dem Jahreswirtschaftsbericht hervor .
Bei der Präsentation der wirtschaftlichen Zahlen für
Deutschland meinten die Mitarbeiter des Statistischen
Bundesamtes, die Wissenschaftler hier vor Ort: Es fällt
schon ziemlich schwer, hier ein Haar in der Suppe zu
finden. - Herr Ernst, Frau Dröge, dass das mit viel Kreativität trotzdem geht, merkt man an den Aussagen der
Opposition . Herr Ernst, ich erinnere mich an gestern, als
Sie meinten, wir müssten jetzt die Steuern vernünftig erhöhen . Was bei Ihnen „vernünftig“ heißt, ist klar, nämlich „kräftig“ . Dass das der falsche Weg ist, muss uns
allen klar sein .
({0})
Die deutsche Wirtschaft ist in einem international
schwierigen Umfeld um real 1,7 Prozent gewachsen . Der
wichtigste Wachstumsmotor war der inländische Konsum . Das verfügbare Einkommen stieg um 2,8 Prozent .
Bei allen Unwägbarkeiten gibt neben der deutschen
Entwicklung aber auch die europäische Entwicklung verhaltenen Anlass zum Optimismus . Nach 1,1 Prozent im
vergangenen Jahr wird die Wirtschaft im Euro-Raum um
1,7 Prozent wachsen . Bei allen Problemen zeigt das eben
auch, dass die Strukturreformen im Euro-Raum weiter zu
forcieren sind .
Die Herausforderungen nehmen aber zu . Wir haben es
gehört: „Die Wirtschaft blickt erschrocken ins neue Jahr“,
sagte ifo-Chef Sinn zum ifo-Geschäftsklimaindex . Das
schwächere Wachstum in China und anderen Schwellenländern verursacht Risiken . Auch stellt sich heraus, dass
der niedrige Ölpreis Fluch und Segen zugleich ist . In vielen Schwellenländern verursacht er weitere Stabilitätsrisiken, aber natürlich auch politische Risiken .
Trotz dieser internationalen Krisen arbeiten in
Deutschland erstmals mehr als 43 Millionen Menschen,
so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik . Gleichzeitig waren seit der Wiedervereinigung noch
nie so wenige Menschen ohne Arbeit . Auf diese Entwicklung können wir durchaus stolz sein .
({1})
Gerade im Hinblick auf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit müssen wir aber die Entwicklung der Lohnstückkosten genau beobachten . Ich kann mich erinnern:
2014 hat das Handelsblatt „Verkehrte Welt“ getitelt, als
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Zusammenhang von Lohnentwicklung und Produktivität hinwies .
Das hat er heute nicht gemacht . Wir weisen aber gerne
darauf hin, dass hier eine maßvolle Entwicklung notwendig ist, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten .
Eine auch wirtschaftliche Herausforderung ist die aktuelle Flüchtlingskrise . Der Sachverständigenrat schreibt
dazu wörtlich:
Auf Dauer ist die derzeitige Konzentration der
Flüchtlinge auf wenige EU-Mitgliedsländer nicht
durchzuhalten .
Eine Begrenzung des Zuzugs ist also auch aus wirtschaftlicher Sicht notwendig - auch, um die Leistungsfähigkeit staatlicher Strukturen aufrechtzuerhalten . Klar ist,
dass die jetzige Situation ohne die konsequente Konsolidierung der öffentlichen Haushalte während der letzten
Jahre nicht stemmbar wäre . Bund, Länder und Kommunen erzielten 2015 einen Finanzüberschuss in Höhe von
16,4 Milliarden Euro . Diesen Weg müssen und werden
wir trotz der Flüchtlingskrise fortsetzen .
Das ifo-Institut geht davon aus, dass sich allein die
Kosten für die Asylbewerber im Jahr 2015 auf mindestens 10 Milliarden Euro belaufen werden . Außerdem seien die Flüchtlinge verständlicherweise ungenügend auf
den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet . Die wenigsten
kommen eben mit dem Werkzeugkoffer und stellen sich
an die Produktionsstraße . Nur etwa 20 Prozent sind hinreichend qualifiziert. Es ist eben nicht so einfach, dafür
zu sorgen, dass die Flüchtlinge die Rente für die heutige Erwerbsgeneration zahlen, wie dies Herr Oppermann
noch im Sommer formulierte .
({2})
Ebenso werden wir das demografische Problem in
Deutschland nicht durch die Flüchtlingsströme lösen .
Die Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt ist eine Mammutaufgabe, und sie wird viel
Geld kosten . Keine Integration ist aber langfristig noch
teurer . Auch das muss uns klar sein .
({3})
Aber auch die Wirtschaft ist gefordert, diejenigen in Arbeit zu bringen, die eine langfristige Bleibeperspektive
bei uns haben . Es geht nicht an, von einem Wirtschaftswunder 2 .0 zu sprechen, sich aber bei den Integrationskosten zurückzuhalten .
Sprache ist dabei der Schlüssel für Integration . Oft
sind wiederum Arbeit und Beschäftigung der Schlüssel
zur Sprache . Der Bund hat die Mittel für Sprach- und Integrationskurse bewusst erhöht . Bayern leistet beispielsweise mit dem Integrationspakt einen wesentlichen Beitrag zur Integration am Arbeitsmarkt . Allein durch diesen
Pakt der bayerischen Wirtschaft und der Arbeitsagentur
werden bis 2019 60 000 Flüchtlinge in Arbeit gebracht .
Ich denke, das wäre ein gutes Beispiel für die Bundesebene .
Gerade jetzt brauchen wir weiterhin einen flexiblen
und aufnahmefähigen Arbeitsmarkt . Beschränkungen
bei Zeitarbeit und Werkverträgen passen nicht in dieses
Anforderungsprofil. Natürlich muss Missbrauch verhindert werden . Aber gerade hinsichtlich der Regelung von
Werkverträgen sind kleinteilige Kriterienkataloge praxisfremd. Bei den Dokumentationspflichten hinsichtlich des
Mindestlohns werden wir noch einmal nachhaken . Wir
haben da schon einiges erreicht . Wir waren nie gegen den
Mindestlohn .
({4})
Wir brauchen aber gerade für die Ehrenamtlichen Rechtssicherheit .
Auch der Minijobbereich muss entbürokratisiert werden . Wenn beispielsweise nur jeder zweite der 1,1 Millionen Minijobber Bayerns pro Jahr 50 Stundenzettel
ausfüllt, dann ergibt das aneinandergereiht eine Papierstrecke von München nach Tokio, und das im Zeitalter
der Digitalisierung . Ich glaube, dem Bürokratiewahnsinn
gilt es auch hier ein Ende zu bereiten .
({5})
- Für ganz Deutschland müsste diese Strecke wieder zurückgegangen werden .
Wir brauchen eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung der Erbschaftsteuer zum Erhalt der Arbeitsplätze .
Der Unternehmer ist für uns weiterhin Vorbild und kein
Feindbild . Wir investieren in die digitale Infrastruktur . Der Breitbandausbau wird von Minister Alexander
Dobrindt entschieden vorangetrieben .
({6})
Gerade im Bereich der Digitalisierung brauchen wir
Offenheit . Wir brauchen Experimentierfelder für neue
Technologien . Wir müssen Freiräume für Kreativität zulassen . Ebenso brauchen wir Regeln sowie einen Rahmen, welcher der digitalen Welt gerecht wird . Wir brauchen noch mehr Raum und Förderung für Forschung und
Innovationen, auch für eine nachhaltige Entwicklung . Es
gilt also, den Blick in die Zukunft zu richten .
Ludwig Erhard sagte dazu: Den Wohlstand zu bewahren, ist schwerer, als ihn zu erwerben . - Dieser Satz gilt
auch und gerade heute . Mit dem Jahreswirtschaftsbericht
stellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft, um
diese zu meistern .
Herzlichen Dank .
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Matthias Ilgen für die
SPD-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben
den Herausforderungen, die in dieser Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht sehr deutlich geworden sind, diskutieren wir heute auch über die Chancen des digitalen
Wandels . Wir diskutieren zum Beispiel über neue Möglichkeiten für das Arbeiten von zu Hause, weil wir in unserer Gesellschaft Familie und Beruf besser unter einen
Hut bringen wollen . Wir diskutieren über neue Chancen
zum Beispiel für die dezentrale Energieproduktion, die
wir schon sehr stark ausgebaut haben, in intelligenter
Vernetzung mit Energieversorgungssystemen der Zukunft . Und wir sprechen über Bereiche - zu all diesen
Chancen war allerdings von der Opposition recht wenig
zu hören - wie die Telemedizin und die Diagnosemöglichkeiten der Zukunft, die unsere Gesellschaft und die
Art und Weise, wie wir miteinander leben und wirtschaften, verändern werden .
Die Opposition im Haus ignoriert in ihren Schaufensterreden wie heute sehr gerne, was die Bundesregierung
und die Koalitionsfraktionen dazu beitragen, dass wir
einen vernünftigen Weg der Digitalisierung einschlagen .
Dazu ist übrigens auch einiges im Etat des Bundeswirtschaftsministers enthalten . Ich weise zum Beispiel auf die
Aufstockung der ERP-Venture-Capital-Dachfondsmittel
des European Angels Funds auf insgesamt 1,7 Milliarden
Euro und die Auflage eines neuen ERP-Wachstumsfonds
mit einem Volumen von 500 Millionen Euro hin .
Auf Fondsfinanzierung und Förderinstrumente setzen
wir aber nicht zum Spaß, sondern - das hat der Bundeswirtschaftsminister klar herausgestellt - damit wir auch
in Zukunft weiter Investitionen in unsere Volkswirtschaft
bekommen . Diese werden in allererster Linie von den
Privaten getätigt: von den Unternehmerinnen und Unternehmern in diesem Lande, die mutig vorangehen und
neue Geschäftsideen entwickeln . Darum geht es beim digitalen Wandel .
({0})
Wir wollen das fortsetzen . Die Koalitionsfraktionen
haben anlässlich der CeBIT 2014 eine gemeinsame Entschließung vorgelegt, in der wir der Bundesregierung einen klaren Auftrag erteilt haben . Wir warten alle gemeinsam gespannt auf das, was Finanzminister Schäuble - er
ist zwar nicht mehr anwesend, aber es ist wichtig, dass er
das weiß - im Bereich Wagniskapital vorlegen wird . Die
Kollegin Poschmann hat schon darauf hingewiesen . Es
ist unabdingbar, dass wir in diesem Bereich Fortschritte
machen . Denn wir haben auch innerhalb Europas schon
Wettbewerbsnachteile, die sich inzwischen zu einer Investitions- und auch Innovationsbremse bei Start-ups
und beim deutschen Mittelstand entwickeln . Hier werden
wir nachlegen müssen .
({1})
Ich will ein konkretes Beispiel einer der Baustellen
nennen, die diejenigen, die in der Start-up-Szene tätig
sind, beschäftigt, damit die Opposition heute auch etwas
Handfestes bekommt und nicht sagen kann, wir würden
nur wolkige Reden halten . Es geht zum Beispiel darum,
im Zusammenhang mit einem Wagniskapitalgesetz auch
über eine Reform des § 8 c des Körperschaftsteuergesetzes zu reden . Wir haben das Problem, dass junge Unternehmer, die mit wenig Kapital an den Start gehen und
dann in eine Wachstumsphase kommen, einen Investor
suchen müssen, wenn sie bei den Banken - mangels fehlender Sicherheiten; das muss man einräumen - nicht
weiterkommen . Dabei geht es oft um Millionenbeträge,
und der Investor will natürlich eine Gegenleistung . Also
erwirbt er in der Regel Unternehmensanteile bzw . Beteiligungen . Wenn diese über 50 Prozent hinausgehen - und
das kann vorkommen -, dann wird Körperschaftsteuer
fällig . Das Problem tritt dann auf, wenn der Investor sich
aus dem Unternehmen zurückzieht oder die anderen Anteilseigner, also die Unternehmensgründer, wieder mehr
Anteile übernehmen. Dann bleibt diese Steuerpflicht
erhalten . Die Schwierigkeit besteht darin, dass dann oft
Verlustvorträge, die vorher angefallen sind - in der Phase, in der das Unternehmen noch nicht profitabel war -,
nicht erstattet werden können . Das führt im Ergebnis
dazu, dass wir fiktive Gewinne besteuern.
In der Öffentlichkeit gibt es derzeit viele Diskussionen über Erbschaftsteuer und anderes . Dabei geht es auch
darum, mittelständischen Unternehmen keine Steine in
den Weg zu legen . Aber diese Diskussionen sind nichts
im Vergleich zu der Debatte über die Wachstumshemmnisse in unserem Fördersystem und bei der Kapitalbeschaffung . Deswegen ist es dringend notwendig, dass
die Bundesregierung das Wagniskapitalgesetz angeht .
Ich gehe davon aus, dass sich der Finanzminister redlich
darum bemühen wird . Wir brauchen in diesem Bereich
Änderungen .
({2})
Und wir müssen das mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft noch in dieser Legislaturperiode schaffen .
Vielen Dank .
({3})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Zuschauer!
Der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht weist sehr wohl
auch die Chancen der Digitalisierung aus . Es wird vor
allem dargestellt, in welchem Maße die Unternehmen die
Digitalisierung bisher umgesetzt haben . Dabei wird großer Wert auf die Arbeitswelt gelegt - das ist wichtig -,
Stichwort „Arbeit 4 .0“ . Dazu gibt es unterschiedliche
Beurteilungen . Amerikanische Studien sagen voraus,
dass sich bis zu 59 Prozent der Berufe verändern werden
und dass 81 Prozent der Beschäftigten davon betroffen
sein werden . Man kann diese amerikanischen Studien
sicherlich nicht eins zu eins auf den deutschen Arbeitsmarkt übertragen, daher ist es richtig und wichtig, dass
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesagentur für Arbeit erstmals diesbezüglich eine
Studie vorgelegt hat . Demnach werden bis 2030 keine
Berufe durch den digitalen Wandel verschwinden . Das ist
keine Entwarnung; denn innerhalb der Berufsfelder müssen wir auf Veränderungen vorbereitet sein . Das kann
man sehr einfach in einem Satz zusammenfassen: Die
Zahl der einfachen Tätigkeiten wird abnehmen, die der
kreativen, komplexen Aufgaben zunehmen .
Wir müssen den digitalen Wandel so gestalten, dass
Deutschland ein attraktiver Innovationsstandort für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bleibt und dass die Folgen
aufgrund der geschilderten Entwicklung für Berufe und
Branchen berechenbarer werden . Dafür ist eine zielgerichtete Bildungs- und Forschungspolitik wichtig . Wir
brauchen eine verlässliche, auf Innovation gerichtete
Wirtschaftspolitik und nicht neue Vorschläge für Subventionen . Wir wollen, dass die Wirtschaft überall, nicht
nur in großen Unternehmungen und den wirtschaftlichen
Kraftzentren der Republik, wächst . Wir wollen gerade
aus diesem Grund die Innovationskraft des Mittelstandes
sowie der kleinen und mittleren Unternehmen stärken .
({0})
In der digitalen Wirtschaft sind drei Voraussetzungen
maßgeblich . Erstens . Die Branchen müssen sich auf den
Weltmärkten behaupten können . Zweitens . Es muss bei
der Netzinfrastruktur einen Dreiklang aus Breitbandausbau, Datenschutz und IT-Sicherheit geben . Drittens . Wir
müssen fortlaufend durch Bildung und Weiterbildung das ist ganz wichtig - die Mitarbeiterschaft mobilisieren .
Zudem gibt es Optimierungspotenziale . Deutschland
liegt hier beim Vergleich führender Volkswirtschaften
nur im Mittelfeld . Hier gilt es, das Wachstumspotenzial auszuschöpfen; denn wir haben erlebt, dass dort, wo
Mittelstand und Digitalisierung aufeinandertreffen, bereits große Wachstumspotenziale gehoben wurden . Ich
bin mir sicher, dass unser Mittelstand weiterhin solche
Potenziale heben wird .
({1})
Die Digitalisierung muss vor allem flächendeckend
erfolgen . In jeder Branche muss sie zu einem Hauptthema werden . Dabei stellen wir fest, dass sich die Unternehmen in drei Cluster aufteilen . Eine Gruppe von Unternehmen sieht große Chancen in der Digitalisierung ihrer
Prozesse und schlägt zukunftsorientiert neue Wege ein .
In einer anderen Gruppe ist das weitaus geringer ausgeprägt . Sie wägt eher Chancen und Risiken ab . Zudem gibt
es leider einen bedeutenden Anteil an Unternehmen, in
denen die Digitalisierung nur schleppend vorankommt .
Hier müssen wir Überzeugungsarbeit leisten .
Das Bundeswirtschaftsministerium hat vielfältige
Förderprogramme aufgelegt, um die Entwicklung zu
beschleunigen . So werden beim Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, digitale Technologiebereiche gerade im Mittelstand gestärkt . Neu ist die Initiative
„Mittelstand 4 .0 - Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“ . Damit werden gezielt Handwerk und Handel unterstützt . In vielen Bundesländern entstehen Kompetenzzentren, um das Wissen in den Betrieben rund um das
Thema Digitalisierung zu verbessern . Letztendlich hängt
der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens aber von
einer ganzheitlichen Unternehmensstrategie ab . Das ist
Sache der Manager und weniger der Informatiker .
Unsere Forschungsministerin Frau Professor Wanka
hat einen integrierten Ansatz aus Produktion, Dienstleistungen und Arbeit gewählt und alles in einem Programm
zusammengefasst . Trotz der Kritik, die es von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gegeben hat, ist dieser integrative Ansatz richtig . Wir wissen heute, dass gerade diese Vorgehensweise richtig gewesen ist .
({2})
Mittlerweile geben wir 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Bildung aus . Wir sollten heute
schon mutig sein und insbesondere mit Blick auf 2017
sagen, dass wir das in der nächsten Wahlperiode auf
4 Prozent anheben möchten .
Die berufliche Bildung könnte in der Praxis durchlässiger sein, gerade wenn man sie gegenüber der akademischen Bildung aufwerten möchte . Wir müssen vor
allem im ländlichen Raum Übergänge schaffen, weil dort
der Fachkräftebedarf im Handwerk und im Handel besonders hoch ist . Vor diesem Hintergrund appelliere ich:
Wir brauchen die Berufsschule 4 .0 . Sie richtet die duale
Ausbildung auf die Digitalisierung aus . Sie ist mehr als
„training on the job“; denn sie vermittelt Theorie und
Praxis in der Produktion von Industrie 4 .0, und das auch
für Handwerk und Handel .
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
vor allen Dingen auch auf Verwaltungsebene nachlegen .
Wenn Länder wie USA, Großbritannien, Südkorea uns
da um einiges voraus sind, dann müssen wir als Bund
leistungsfähige IT-Infrastrukturen für die elektronische
Kommunikation zwischen Bürgern und Behörden schaffen . Und ich frage Sie: Wo ist das denn am weitesten ausgeprägt? Das ist doch in der Kommune . Seit Mitte der
90er-Jahre stellen wir Jahr für Jahr auf der CeBIT die
virtuelle Kommune vor . Wir sprechen davon, für Private Leitmärkte im IKT-Bereich zu entwickeln . Aber dann
müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen, ob der
öffentliche Sektor dabei wirklich so gut aufgestellt ist,
wie es bei Unternehmen in gewissen Größenordnungen
selbstverständlich ist .
Deswegen brauchen wir, sehr geehrter Herr Minister,
in jedem Bundesland ein IT-Zentrum und ein einheitliches System, das die Dienste von Bund, Ländern und
Kommunen zusammenführt . Wir brauchen eine neue
Bund-Länder-Kommission mit dem Schwerpunkt Digitalisierung und Verwaltung . In den letzten Wochen haben
wir mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz zur Beschleunigung der Asylverfahren gezeigt, wie schnell ein
Gesetz im Bundestag verabschiedet werden kann . Für die
Betreiber von Flüchtlingsheimen, für die Kommunen, für
die Bundesagentur ist es damit auf einmal, binnen weniger Wochen, möglich, auf ein und dieselbe Software zuzugreifen . Da sage ich: So eine zügige parlamentarische
Arbeit wünsche ich mir auch bei vielen anderen Gesetzesvorhaben, insbesondere bei solchen mit Blick auf die
Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeit .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank . - Damit schließe ich die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7380, 18/6740 und 18/7368 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Die Vorlage auf Drucksache 18/7368 - das ist
der Tagesordnungspunkt 3 d - soll federführend beim
Ausschuss für Wirtschaft und Energie beraten werden .
Die hierfür zuständigen Kollegen sind zwar größtenteils
schon weg, ich frage aber dennoch: Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für bezahlbare Mietwohnungen - Modernisierungsumlage reduzieren, Luxusmodernisierungen einschränken
Drucksache 18/7263
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren
Lay, Heidrun Bluhm, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Mietspiegel - Sozial gerecht und mietpreisdämpfend erstellen
Drucksache 18/5230
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in dieser Debatte hat Caren Lay von der Fraktion Die Linke
das Wort .
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Monatelang ging ein Beispiel aus der Kopenhagener Straße in Berlin-Prenzlauer Berg durch die Medien: Ein Haus wurde vor ein paar Jahren von einer Immobilienfirma mit einem blumigen Slogan, der da lautete:
„Werte erhalten - Werte schaffen“, gekauft . Das Haus
sollte saniert werden .
Das klingt ja erst einmal gut, aber im Ergebnis dieser
Sanierung sollte sich die Miete für die Mieterinnen und
Mieter sage und schreibe verdreifachen . Natürlich sind
die meisten Mieterinnen und Mieter ausgezogen, haben
sich von der angekündigten Mieterhöhung oder auch von
der Schikane der Vermieter abschrecken lassen . Nur ein
Mieter ist noch übrig geblieben und kämpft tapfer weiter .
Meine Damen und Herren, das ist das, was zynischerweise Entmietung genannt wird und was leider Praxis in
vielen deutschen Großstädten ist . Das müssen wir endlich stoppen .
({0})
Das ist ein prominentes Beispiel, aber nur eines von
vielen . Denn Luxussanierungen auf Kosten der Mieterinnen und Mieter verdrängen diese aus ihren Stadtteilen .
Das bedeutet Verdrängung, das bedeutet Gentrifizierung.
Wir wollen diese stoppen .
({1})
Natürlich wollen auch wir als Linke, dass marode
Häuser saniert werden; das ist gar keine Frage . Aber so,
wie die Regelungen jetzt sind, sind sie sozial ungerecht .
Und das ist das Problem .
({2})
Derzeit können die Hausbesitzer 11 Prozent der Modernisierungskosten auf die Kaltmiete umlegen, und das unbefristet . Das heißt, die Miete für die Mieterinnen und
Mieter erhöht sich dauerhaft, zum Teil verdoppelt sie
sich, und zwar auch dann, wenn die Sanierungskosten,
die der Vermieter hatte, längst abbezahlt sind . Das ist
doch wirklich völlig absurd, das müssen wir ändern .
({3})
So, wie sie jetzt ist, ist diese Modernisierungsumlage
vor allen Dingen eines, nämlich eine lukrative Geldanlage für die Vermieter und ein Motor für die Vertreibung
der Mieter . Hier müssen wir ran, diese Regelung müssen
wir ändern .
({4})
Die ganze Sache wird noch dadurch verschärft, dass
die sanierten Wohnungen von der Mietpreisbremse ausgenommen sind . Das heißt, es ist geradezu eine Einladung an die Vermieter, sich dort, wo die Mietpreisbremse
überhaupt gilt, in die Sanierung zu retten .
({5})
Das kann so wirklich nicht bleiben .
({6})
Wir schlagen vor, dass wir die Modernisierungsumlage in einem ersten Schritt zeitlich begrenzen und deutlich
auf 5 Prozent absenken . Mittelfristig sollte man, glaube
ich, die Vorschläge des Deutschen Mieterbundes, die Sanierungskosten in die Bewertung im Mietspiegel einfließen zu lassen, aufnehmen . Da müssen wir perspektivisch
hinkommen .
Die energetische Gebäudesanierung ist sinnvoll . Auch
wir sind natürlich für mehr Anstrengungen im Wärmebereich . Aber was nicht geht und was ehrlich gesagt auch
nicht zur Akzeptanz dieser Maßnahmen beiträgt, ist, dass
auch hier die Kosten sehr einseitig von Mieterinnen und
Mietern getragen werden . Wir sagen: Hier muss die öffentliche Hand investieren, hier muss wirklich Geld in
die Hand genommen werden . Die 5 Milliarden Euro, die
wir seit vielen Jahren in den Haushaltsberatungen fordern
({7})
und die auch in der einschlägigen Szene seit Jahren diskutiert werden, wären gut angelegtes Geld für Klimaschutz und für bezahlbare Mieten .
({8})
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
Ein weiteres Problem bezieht sich auf den Mietspiegel . Dort, wo es ihn gibt, werden die Mieten der letzten
vier Jahre als Berechnungsgrundlage genommen . Was
ist aber in den letzten vier Jahren eigentlich passiert? Da
hilft ein Blick in die Analysen der einschlägigen Internetportale, wo Neuvertragsmieten angeboten werden . Was
kommt dabei heraus? In Berlin hat es in fünf Jahren bei
den neu angebotenen Mietverträgen eine Mietenexplosion von 56 Prozent gegeben . In München sind es „nur“
26 Prozent und in Hamburg 20 Prozent, aber auf einem
sehr hohen Niveau . Das können wir doch unmöglich als
Berechnungsgrundlage für den Mietspiegel nehmen . Das
ist wirklich völlig absurd .
({9})
Das schadet nicht nur den Mieterinnen und Mietern,
die umziehen müssen, das wird auch dafür sorgen, dass
für die Altmieter die Miete ganz legal angehoben werden
kann . Das ist Mieterhöhung per Gesetz . Das wollen wir
endlich ändern .
({10})
Deswegen schlagen wir vor, den Mietspiegel auf breite
Füße zu stellen: Wir wollen alle Mieten in die Berechnung einfließen lassen. Nur so können wir den permanenten Mietenanstieg stoppen .
({11})
Natürlich wären viele Mieterinnen und Mieter froh,
wenn es überhaupt einen qualifizierten Mietspiegel gäbe.
Auch dazu machen wir einen Vorschlag, nämlich einen
Mietspiegel verbindlich festzuschreiben und die Kommunen bei der Erstellung zu unterstützen .
Lassen Sie mich einen letzten Gedanken sagen: Der
Mietspiegel muss natürlich auch rechtsverbindlich sein .
Wir erleben schon in einigen Städten wie in Berlin und
Bonn, dass von Vermieterseite gegen die Mietspiegel
geklagt wird, zum Teil mit Erfolg . Das tun sie, weil sie
die Mietpreisbremse umgehen wollen . Hier müssen wir
Rechtsverbindlichkeit schaffen . Die Mieterinnen und
Mieter brauchen hier wirklich Klarheit .
({12})
Ich ahne, dass der eine oder andere Redner von der
Koalition sagen wird: Na ja, alles gut und schön, haben
wir auf dem Schirm, machen wir alles . - Aber bisher gibt
es nur ein Eckpunktepapier des Ministers, in dem auf
viele Punkte eingegangen wird, wenn auch nicht in dem
Maße, wie wir es uns vorstellen würden . Aber es wäre
ein erster Schritt; das sehe ich . Aber leider habe ich von
dem Koalitionspartner der SPD, nämlich von der Union,
schon kritische Stimmen gehört: Was in diesem Papier
steht, werden wir so nicht mittragen .
Das ist meine Sorge: Es gibt nur ein Eckpunktepapier, es gibt noch nicht einmal einen Referentenentwurf .
Wenn hier weiter Koalitionsstreit herrscht, dann fürchte
ich, dass es in dieser Legislatur keine Einbringung in den
Bundestag geben wird . Da hilft die Opposition, da hilft
die Linke: Wir haben zwei kluge Vorschläge heute auf
den Tisch gelegt, und ich hoffe im Interesse der Mieterinnen und Mieter auf Ihre Zustimmung .
({13})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Jan-Marco
Luczak von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich darf zunächst einmal um Nachsicht dafür
bitten, dass ich leider ganz unmittelbar nach meiner Rede
das Plenum wieder verlassen muss .
({0})
Legen Sie mir das bitte nicht als mangelnden Respekt
vor dem Hohen Haus oder vor Ihnen aus . Sie alle kennen
das: In einer Sitzungswoche gibt es manchmal seit langem feststehende Termine, die dringend wahrgenommen
werden müssen .
({1})
Ich bedauere das ganz besonders, weil es hier um das
Mietrecht geht . Beim Mietrecht gibt es immer besonders
spannende Diskussionen, besonders emotionale Debatten, die auch ich selber mit großer Leidenschaft und mit
viel Herzblut führe . Besonders emotional sind diese Debatten meistens dann, wenn es um Anträge der Linken
geht .
({2})
Ich kann jedenfalls für mich sagen: Mein Blutdruck steigt
da meistens, und mein Puls fängt an zu rasen .
({3})
Das liegt aber nicht daran, dass sie so gut sind, Frau Kollegin Lay, sondern daran, dass so viel Ideologie und so
viel wirtschaftlicher Unverstand in einen Antrag gepresst
werden . Es verwundert mich immer wieder, dass das gelingt .
({4})
So ist es auch bei diesem Antrag . Es ist ein Schaufensterantrag, mit dem die Linke wieder einmal versucht, die
Vermieter in die Rolle der bösen Kapitalisten zu drängen,
die hemmungslos und ohne Rücksicht nach Profit gieren
und ihre Mieter ausbeuten . Zugleich versuchen Sie, die
Koalition so darzustellen, als ob wir diese Sorgen und
Nöte von Mietern nicht ernst nehmen würden, und Sie
fordern uns zu einer sozialen Mietrechtsnovelle auf .
({5})
Beides, meine sehr verehrten Kollegen von den Linken, ist grundfalsch . Mit dieser Schwarz-Weiß-Malerei - hier der Vermieter, da der Mieter - werden Sie der
Komplexität des Wohnungsmarktes und auch der vielen
Herausforderungen, die sich dort stellen, in keiner Weise
gerecht .
({6})
Natürlich ist es so, dass es bei den Mieten Exzesse
gibt, und natürlich gibt es auch Fälle, in denen Mieter
von rücksichtslosen Vermietern aus der Wohnung gedrängt werden . Hier ist völlig klar - das ist unbestritten;
darüber besteht völliger Konsens -, dass Politik handeln
muss und dass Mieter in so einem Fall geschützt werden
müssen . Wir als Union wissen sehr genau, dass das Mietrecht an dieser Stelle sozial ausgewogen gestaltet werden
muss . Darauf haben wir in der Vergangenheit immer sehr
großen Wert gelegt . Das werden wir auch dieses Mal tun .
Um uns daran zu erinnern, brauchen wir aber nicht die
Linken als pseudosoziales Gewissen .
({7})
Diese Ausgewogenheit ist so prägend für das Mietrecht; dennoch lassen Sie sie in Ihren Anträgen wieder
einmal völlig vermissen . Gerade die privaten Kleinvermieter vernachlässigen Sie in Ihren Anträgen völlig .
({8})
Man hat immer den Eindruck, sie würden nach und nach
rechtlos gestellt . Sie vernachlässigen in Ihren Anträgen
auch, dass die übergroße Mehrheit der Mietverhältnisse
völlig reibungslos funktioniert, dass dort fair miteinander
umgegangen wird . Deswegen kann es doch nicht darum
gehen, Vermieter und Mieter gegeneinander auszuspielen, sondern man muss die berechtigten Interessen von
beiden in den Blick nehmen und miteinander in Einklang
bringen .
({9})
Wie gesagt, Sie lassen diese Ausgewogenheit in Ihren
Anträgen völlig vermissen . Denn was schlagen Sie uns
vor? Sie haben es ja gerade dargestellt: die Absenkung
der Modernisierungsumlage von 11 auf 5 Prozent . In Ihrer Begründung klingt es so an, als ob Modernisierungen
vermieterseitig massenhaft missbraucht würden, um Bestandsmieter zur Kündigung zu nötigen .
({10})
- Natürlich . Es gibt diese Fälle . Sie haben gerade ein Beispiel aus Berlin genannt, Frau Lay . Ich bin selber Berliner Abgeordneter . Ich kenne diese Fälle .
Aber so zu tun, als ob das ein massenhaftes Phänomen
sei, ohne dafür konkrete Zahlen zu benennen, das wird
dem Ernst der Sache nicht gerecht . Ebenso wird dem
Ernst der Sache nicht gerecht, wenn Sie hier pauschale
Vorwürfe an Vermieter richten, dass sie Mieter sogar nötigen, dass sie also eine Straftat begehen . Das ist absolut
fehl am Platz .
Klar ist: Wir müssen Missbrauch verhindern, und es
darf auch kein „Herausmodernisieren“ von Mietern geben . Genau das ist auch Inhalt des Koalitionsvertrages .
Wir haben uns als Koalition dazu verpflichtet, hierzu etwas vorzulegen .
Wenn wir hier von Modernisierungen reden, dann ist
genauso klar: Das Ziel und die Funktion von § 559 BGB,
nämlich Anreize für Modernisierungen zu schaffen, dürfen wir selbstverständlich nicht konterkarieren; vielmehr
müssen die Vorschriften, die wir zum Schutz der Mieter
brauchen, immer so ausgestaltet sein, dass Investitionen
in den Neubau, in den altersgerechten Umbau und in die
energetische Sanierung nicht verhindert werden . Das
muss unverrückbarer Grundsatz aller Regelungen sein,
die wir hier miteinander angehen . Darauf werden wir als
Union ganz besonders achten . Das gilt nicht nur für die
Anträge der Linken, sondern auch für das schon angesprochene Grundlinienpapier des BMJV .
Selbstverständlich ist es so, dass wir diese Investitionen nicht verhindern dürfen und dass wir bezahlbaren
Wohnraum brauchen . Das muss miteinander in Einklang
gebracht werden . Das wird immer so abstrakt dahergesagt . Das kann man gar nicht richtig einordnen . Ich
mache es mal am Beispiel des altersgerechten Umbaus
deutlich .
Sie müssen sich das ganz konkret vorstellen: Viele
ältere Menschen - wir leben in einer älter werdenden
Gesellschaft - müssen irgendwann ihre Wohnung verlassen, weil kein Fahrstuhl da ist oder weil sie das Bad nicht
mehr benutzen können . Es ist für einen alten Menschen
eine ganz gravierende Situation, wenn das gewohnte Lebensumfeld verlassen werden muss, wenn man die Nachbarn, mit denen man vielleicht schon Jahrzehnte zusammengelebt hat, nicht mehr hat .
Deswegen ist der altersgerechte Umbau
({11})
nicht irgendetwas Abstraktes . Wir müssen dafür sorgen,
dass die rechtlichen Rahmenbedingungen so sind, dass
tatsächlich in altersgerechten Umbau investiert werden
kann; denn wir als Union wollen, dass ältere Menschen
möglichst lange in ihrer angestammten Wohnung bleiben
können .
({12})
Deswegen brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen .
({13})
Jetzt rufen Sie als Linke natürlich wieder nach dem
Staat: Wir müssen hier Milliardensummen in die Hand
nehmen . - Aber wenn Sie sich mal vor Augen führen,
welche Summen wir benötigen, ist völlig klar: Das bekommen wir als Staat allein aus Steuermitteln nicht hin,
sondern wir brauchen dafür private Investitionen . Diese
privaten Investitionen bekommen wir nicht, wenn die
Modernisierungskosten nicht in irgendeiner Weise auch
wirtschaftlich darstellbar sind . Sie müssen wirtschaftlich
tragbar und finanzierbar sein; sonst funktioniert das nicht.
Das, was Sie uns vorschlagen - eine Absenkung der
Modernisierungsumlage auf 5 Prozent -, ist völliger
Humbug . Weil sich dann keine Modernisierungsmaßnahme, keine energetische Sanierung, kein altersgerechter
Umbau mehr rechnen wird, werden solche Modernisierungen unterbleiben . Das geht letztlich zulasten der Mieter . Deswegen werden wir das nicht mitmachen .
({14})
In gleicher Weise kritisch wie diese Absenkung auf
5 Prozent ist eine Änderung bei den Kappungsgrenzen;
das ist auch schon vorgeschlagen worden . Da muss man
sehr genau aufpassen, dass die gesamtgesellschaftlichen
Ziele beim Klimaschutz und beim demografischen Wandel nicht gefährdet werden . Im Gegenteil: Wir müssen
diese gesamtgesellschaftlichen Ziele, auf die in § 559
BGB Bezug genommen wird, befördern und gleichzeitig
die Mieter schützen . Das muss miteinander in Einklang
gebracht werden, und das werden wir in der Koalition
auch tun . Dazu brauchen wir Ihre Anträge ganz bestimmt
nicht, meine Kolleginnen und Kollegen von den Linken .
({15})
Lassen Sie mich noch etwas zur ortsüblichen Vergleichsmiete sagen . Sie schlagen uns jetzt vor, dass alle
Mietverhältnisse in die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete einbezogen werden . Ich könnte jetzt einen
rechtshistorischen Exkurs darüber machen, wie es sich
mit der ortsüblichen Vergleichsmiete verhält, was eigentlich deren Funktion ist . Ihre Funktion ist jedenfalls
nicht, eine mietpreisbeschränkende Wirkung zu haben .
Tatsächlich wurde das Vergleichsmietensystem in den
70er-Jahren eingeführt, um die Änderungskündigung
auszuschließen . Damals haben Vermieter Mieterhöhungen nämlich so gemacht: Lieber Mieter, ich erhöhe die
Miete um soundso viel Prozent . Du kannst bleiben, wenn
du dem zustimmst; ansonsten musst du die Wohnung
verlassen . - Deswegen hat man seinerzeit die ortsübliche
Vergleichsmiete eingeführt .
Es war nie ein Instrument, um die Mieten zu senken,
sondern es war ein Instrument, um Transparenz auf dem
Wohnungsmarkt herzustellen .
({16})
Es geht darum, die Realität auf dem Wohnungsmarkt mit
einem Mietspiegel darzustellen . Es soll nicht ein Rückspiegel in längst vergangene Zeiten sein, sondern ein
Mittel der Transparenz . Deswegen muss der Mietspiegel
diese Funktion behalten . Alle Überlegungen, die dahin
gehen, den Betrachtungszeitraum von derzeit vier Jahren
auf acht Jahre, zehn Jahre oder gar ganz auszudehnen,
sind völlig verfehlt . Deswegen werden wir als Union diese Verlängerung der Betrachtungszeit nicht mitmachen .
({17})
Dann will ich noch sagen, was das zur Folge hätte;
dafür bleibt mir jetzt leider nur wenig Zeit . Sie müssen bedenken: Was folgt denn daraus, wenn Sie diesen
Betrachtungszeitraum so verlängern? Die ortsübliche
Vergleichsmiete würde sofort sinken, automatisch, und
gleichzeitig auf diesem niedrigen Niveau eingefroren .
Nun kann mancher sagen: Das ist genau das, was ich
will . - Aber Sie müssen sich einmal überlegen, was die
Folgen für die Immobilienunternehmen an der Stelle wären: Die Immobilienwerte würden automatisch sinken,
der Verschuldungsgrad würde ansteigen, und die Eigenkapitalquote würde sinken . Dann ist kein Bewegungsspielraum für Investitionen in Modernisierung oder in
Neubau mehr vorhanden . Damit geben Sie den Mietern
Steine statt Brot . Deswegen kann das nicht sein . Der Betrachtungszeitraum von vier Jahren muss bleiben, meine
Damen und Herren .
({18})
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen . Deshalb will ich auch keine Zwischenfrage erlauben . Die Redezeit war schon überschritten .
Die Redezeit ist schon überschritten - das ist schade -; deswegen muss ich zum Schluss kommen .
Meine Damen und Herren, Sie haben gesehen: Die
Anträge der Linken sind mit Ideologie gespickt .
({0})
Sie zeugen auch von wirtschaftlichem Unverstand .
Herr Luczak, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen .
In diesem Sinne werden wir sie hier natürlich nicht
nur ablehnen, sondern auch eigene gute Vorschläge vorlegen, die einen ausgewogenen Kompromiss zwischen
den berechtigten Interessen der Mieter und der Vermieter
darstellen .
Vielen Dank, meine Damen und Herren .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn jeder die Redezeit um eine Minute überschreitet, summiert es sich .
Deswegen bitte ich wirklich darum, sich an die Redezeit
zu halten .
Als nächster Redner hat Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden hier über ein zentrales sozialpolitisches Thema:
Mieten und Wohnungsnot . Wenn ich mir die Regierungsbank anschaue, dann fällt mir auf: Keiner der zuständigen Minister - Herr Maas oder Frau Hendricks - hält es
für nötig, hier zu sein . Das zeigt ja schon, welchen Stellenwert dieses Thema ganz offensichtlich hat und dass es
nicht so ganz ernst genommen wird . Herr Luczak - ist er
noch da? nein, er ist schon weg - hat das hier gerade mit
dem Bild, das er abgegeben hat, bestätigt . Nach seiner
Rede könnte man ja glauben: Es ist alles gut . Aber, meine
Damen und Herren, weshalb haben wir denn steigende
Mieten? Wir stehen in den nächsten Jahren vor einer Riesenherausforderung, weil Hunderttausende Wohnungen
in Deutschland fehlen . Das sorgt natürlich für sozialen
Sprengstoff . Das sorgt für Probleme, und diesen müssen
wir uns widmen .
({0})
Ich sage ganz deutlich: Das, was sich die Koalition
jetzt mit der steuerlichen Förderung überlegt hat, ist dem
Problem nicht angemessen . Denn das ist Gießkannenprinzip . Das bedeutet gerade nicht, dass günstiger Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung gestellt wird, sondern dass breit gefördert wird . Das
ist nicht die notwendige Antwort auf diese Herausforderung . Da müssen wir andere Dinge tun . Was wir brauchen, ist eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus .
60 000 Wohnungen fallen pro Jahr aus der Preisbindung,
und das ist ein Riesenproblem für Menschen mit geringem Einkommen . Da müssen wir handeln .
({1})
Ich sage: Die zentrale Stellschraube ist, dass der Bund
hier investieren muss . Wir brauchen 2 Milliarden Euro
für den sozialen Wohnungsbau . Wie ich gerade gelesen
habe, unterstützt ja Frau Hendricks, die leider der Debatte nicht beiwohnt, diese Forderung, 2 Milliarden Euro
zur Verfügung zu stellen . Das Problem ist nur, dass die
Forderungen von Frau Hendricks in dieser Koalition die
Durchschlagskraft von Wattebällchen haben . Das nützt
uns dann überhaupt nichts . Hier wird von dieser Regierung nicht angemessen regiert .
({2})
Was wir ansonsten brauchen, ist eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit . Das wäre eine angemessene Antwort .
Wir haben viele kommunale Wohnungsbaugenossenschaften . Die könnten hier handeln . Die müssen wir in
die Lage versetzen, dass sie günstigen Wohnraum für
Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stellen .
({3})
Dabei geht es nicht darum - wie manche das jetzt wieder diskutieren -, irgendwo in Gettos am Stadtrand mit
abgesenkten Standards zu bauen . Da sollten wir aus den
Fehlern des 20 . Jahrhunderts gelernt haben . Guten, preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist eine Herausforderung für die Bundespolitik . Hier, meine Damen
und Herren, müssen Sie endlich handeln .
({4})
Aber mit dem Handeln ist das ja so eine Sache . Sie
haben mit großem Tamtam eine Mietpreisbremse beschlossen . Diese galt als großes Innovationsprojekt; jedenfalls sollte sie das sein . Jetzt stellen wir fest: Diese
Mietpreisbremse ist löchrig wie ein Schweizer Käse . Sie
wird an allen Ecken und Enden umgangen . Sie tut vieles;
sie bewirkt alles Mögliche . Was sie nicht tut, ist, den Anstieg der Mieten zu bremsen . Und das haben wir Ihnen
schon vorher gesagt, das haben Ihnen schon die Experten
gesagt . Da, meine Damen und Herren, haben Sie versagt .
({5})
Sie versagen auch bei den weiteren Baustellen im
Mietrecht . Sie haben im Koalitionsvertrag und auch nach
Einführung der Mietpreisbremse groß angekündigt, dass
Sie ein zweites Paket vorlegen würden . Dazu gibt es jetzt
von Herrn Maas ein Eckpunktepapier . Aber das war es
dann schon wieder . Man hört überhaupt nichts mehr .
Still ruht jetzt der See . Die Herausforderungen sind riesig; aber von dieser Koalition kommt nichts . Ich bin den
Kollegen von den Linken dankbar, dass sie zwei dieser
Baustellen hier zum Thema gemacht haben . Wir brauchen endlich rechtssichere, qualifizierte Mietspiegel. Die
unklaren Regelungen in diesem Bereich führen unter anderem auch dazu, dass die Mietpreisbremse wirkungslos
ist und dass hier nicht vernünftig gehandelt werden kann .
Dass es Verträge mit solchen Mietpreissteigerungen gibt,
das darf nicht sein .
({6})
Die zweite große Baustelle ist die Modernisierungsumlage - im Moment 11 Prozent -, die auch Luxussanierungen ermöglicht, sodass genau das stattfindet, was
beschrieben worden ist: dass es Entmietungen gibt, dass
es teilweise Kostensteigerungen von 1 000 Euro gibt,
({7})
um die Menschen aus den Wohnungen zu treiben . Meine
Damen und Herren, das darf nicht sein . Wir wollen die
energetische Gebäudesanierung, aber nicht eine Umlage,
die am Ende dazu beiträgt, dass die Menschen aus den
Wohnungen vertrieben werden . Auch wenn Sie es ignorieren: Das findet in den Ballungsgebieten überall statt,
das ist Realität in unserem Land . Dagegen müssen Sie
etwas unternehmen .
({8})
Ich sage Ihnen zum Schluss, meine Damen und Herren: Angesichts von Wohnungsmangel, explodierenden
Mietpreisen, steigendem Neubaubedarf und Klimaschutz
im Gebäudebereich stehen wir vor riesigen Herausforderungen . Ich würde mich gerne eines Besseren belehren
lassen; aber bei dem, was ich in dieser Legislaturperiode wohnungs- und mietenpolitisch von dieser Koalition
gesehen habe, habe ich die große Sorge, dass Sie diesen Herausforderungen nicht gewachsen sind und es am
Ende wieder die Menschen treffen wird, die nicht auf der
Sonnenseite unserer Gesellschaft stehen . Das spaltet unsere Gesellschaft weiter . Das können wir uns aus vielen
Gründen nicht leisten .
Ich danke Ihnen .
({9})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dennis Rohde
von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrter Herr Krischer, vorweg eine
Sache: Hier den Minister Heiko Maas anzugreifen, dass
er nicht anwesend ist, obwohl Sie wissen, dass er einen
seit vielen Wochen feststehenden Termin in Straßburg
hat, um ein Abkommen zur Geldwäsche zu unterzeichnen, ging voll daneben. Ich finde, es ist gut, dass der Minister in Straßburg ist und nicht hier der Beratung eines
Oppositionsantrags beiwohnt .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren die
Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht zum ersten Mal .
({1})
Wir haben schon öfter festgestellt, dass der Wohnungsmarkt aus dem Gleichgewicht geraten ist . Wir haben in
ländlichen Gebieten die Situation, dass sich Vermieterinnen und Vermieter freuen, wenn sie überhaupt noch einen
Mieter finden. In der Stadt treffen wir genau das Gegenteil an: Die Nachfrage überschreitet das Angebot weit,
und die Mieten haben sich in den letzten Jahren explosionsartig entwickelt . Das betrifft Studentinnen und Studenten, die kleine Wohnungen suchen . Das betrifft Familien, die in eine andere Stadt wechseln und deutlich mehr
für die Miete aufbringen müssen . Das betrifft natürlich
auch ältere Menschen, die zum Beispiel nach einer Modernisierung die Miete mit ihrer Rente nicht mehr zahlen
können . Wenn wir uns an dieser Stelle ehrlich machen,
dann wissen wir auch: Die gegenwärtige Flüchtlingssituation wird den Wohnungsmarkt nicht vereinfachen .
Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir als Koalition
hier gegensteuern . Das haben wir getan und werden wir
auch weiter tun .
Wir haben im vergangenen Jahr bereits zwei Maßnahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Bestellerprinzip bei den Immobilienmaklern . Endlich gilt hier
auch das marktwirtschaftliche Prinzip: Wer die Leistung
bestellt, hat sie auch zu bezahlen . Schluss damit, erst einmal Hunderte von Euro auf den Tisch zu legen, bevor
man einziehen kann!
({2})
Das Bestellerprinzip wirkt und wird angenommen . Ich
zitiere die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4 . Dezember 2015 . Dort steht:
Ein halbes Jahr nach der Einführung des Bestellerprinzips lässt sich mit einiger Gewissheit sagen,
dass dies eine gute Regelung ist .
Und weiter:
Das alles kommt Kunden und Mietern entgegen .
Außerdem trägt die Entwicklung dazu bei, das miserable Image der Wohnungsmakler zu verbessern .
Das war und ist ein gutes Gesetz, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
({3})
Wir haben die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht .
Wir können heute, ein Jahr danach, sagen, dass die Landesregierungen dieses Angebot angenommen haben .
Wir haben mittlerweile in 292 Städten und Gemeinden
eine Mietpreisbremse. Ich finde, an dieser Stelle sollte
man noch einmal betonen, dass es wichtig war, dass wir
uns als SPD durchgesetzt und die Mietpreisbremse nicht
an das Vorhandensein eines Mietspiegels gekoppelt haben . Hätten wir das getan, dann hätten wir heute nicht
292 Mietpreisbremsen, sondern lediglich 75 . Hätten wir
es an das Vorhandensein eines qualifizierten Mietspiegels
gekoppelt, hätten wir nicht 292 Mietpreisbremsen, sondern 45 . Es war richtig, dass wir diese Koppelung nicht
vorgenommen haben, damit auch die anderen 217 Städte
und Gemeinden dieses Mittel verwenden können, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({4})
Die Frage, die richtigerweise im Raum steht, ist doch:
Warum sind die Kommunen momentan so zurückhaltend,
wenn es darum geht, einen Mietspiegel auszubringen?
Warum sind die Kommunen momentan so zurückhaltend,
wenn es darum geht, einen Mietspiegel herauszubringen,
insbesondere einen qualifizierten Mietspiegel? Da ist die
jetzige Gesetzeslage eben problematisch, da bei einem
qualifizierten Mietspiegel nur die Vertragsabschlüsse der
letzten vier Jahre berücksichtigt werden .
Wir wissen alle, was in den letzten vier Jahren auf dem
Mietwohnungsmarkt passiert ist . Die Mieten sind gestiegen, gestiegen und gestiegen . Wenn ich das in einem
Mietspiegel darstellen würde, dann würde ich eben nicht
darstellen, was in einer Kommune durchschnittlich an
Mieten gezahlt wird, sondern ich würde darstellen, wie
viel ein Vermieter momentan für sein Objekt bekommen
könnte . Die Angst, die in vielen Kommunen vorherrscht,
ist dann auch berechtigt . Dort denkt man nämlich, man
erreicht genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will . Wir wollen die Mieterinnen und Mieter in diesem Land schützen und kein Instrument ausweisen, das der Renditeoptimierung dient, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
({5})
Deshalb findet sich - bei aller Debatte - ein ganz entscheidender Satz im Koalitionsvertrag . Da steht:
Wir sorgen dafür, dass im Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete auf eine breitere Basis gestellt
und realitätsnäher dargestellt wird .
({6})
Nur darum darf es in den kommenden Wochen und Monaten gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({7})
Eines ist uns ganz wichtig - und das unterscheidet uns
elementar von dem Antrag der Linken, der uns heute vorliegt -: Wir wollen das verfassungsrechtlich garantierte
Selbstverwaltungsrecht der Kommunen weiterhin oben
halten . Wir wollen keine Zwangsmietspiegel . Wir haben
gute Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker,
wir haben gute Ratsfrauen und Ratsherren, und wir trauen denen zu, diese Entscheidung zu treffen .
({8})
Wir werden uns in den nächsten Wochen und Monaten für noch mehr starkmachen . Wir werden uns ganz
genau ansehen, was es zur Folge hat, dass Mietfläche
und vereinbarte Mietfläche um 10 Prozent abweichen
können, dass man für Phantomflächen Mietgebühren und
Betriebskosten zahlt . Hier brauchen wir eine neue Regelung, um insbesondere das Vertrauen zwischen Mietern
und Vermietern zu stärken .
({9})
Es geht um eine vernünftige Lösung für die Modernisierungsumlage . Wir wollen nicht, dass Mieterinnen und
Mieter durch sogenannte Luxussanierungen aus ihrem
Heim oder aus der Wohnung ausziehen müssen, in denen sie viele Jahre gewohnt haben . Wir wissen aber auch,
dass wir hier ganz behutsam sein müssen und aufpassen
müssen, welche Regelungen wir treffen; denn wir haben natürlich die Pariser Beschlüsse im Hinterkopf . Wir
wissen, dass Barbara Hendricks mit einem sehr guten
Ergebnis zurück nach Deutschland gekommen ist, und
wir wollen insbesondere die CO2-Ziele einhalten . Dazu
gehört natürlich die energetische Sanierung . Wir wollen
den Weg dafür nicht verbauen, aber wir wollen auch Mieterinnen und Mieter schützen . Diese Debatte werden wir
in den nächsten Wochen führen, damit beides möglichst
gut ineinander aufgeht .
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Städte ändern sich . Sie sind, das zeigt die Entwicklung der
letzten Jahre, attraktiv für viele Menschen, für Familien
mit Kindern, für Migrantinnen und Migranten, für Berufstätige, aber natürlich auch für unsere ältere Generation . Dafür zu sorgen, dass diese lebendige Mischung
erhalten bleibt, dass unsere Städte eben nicht nur für eine
Oligarchie von Betuchten da sind, das ist und bleibt unsere Aufgabe .
Deswegen müssen wir die Missstände angehen, statt wie in vergangenen Zeiten - in Untätigkeit zu verharren,
aber wir wollen das nicht mit Fantastereien . Wir wollen
das nicht durch Luftschlösser und mit unüberlegtem Aktionismus erreichen, sondern mit guten, tragfähigen und
auf Sachverstand bauenden Lösungen . Deshalb: Warten
wir das ab, was derzeit im Bundesministerium der Justiz
und für Verbraucherschutz entwickelt wird! Wir werden
diesen Vorgang parlamentarisch intensiv begleiten . Wir
sind der festen Überzeugung: Am Ende kommt ein gutes
Gesetz dabei heraus .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Marie-Luise
Dött von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebes Präsidium!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den kommenden Jahren müssen circa 350 000 bis 400 000 neue
Wohnungen pro Jahr gebaut werden . Nur so erhalten alle
Wohnungssuchenden eine Chance, geeigneten Wohnraum zu finden. Darüber hinaus muss die Rate bei der
Gebäudesanierung auf über 2 Prozent gesteigert werden .
Die ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen wir sonst
nicht .
Der deutsche Wohnungsmarkt steht also vor einer historischen Investitionsherausforderung . Neubau und Sanierung müssen zeitgleich zur Hochform auflaufen. Aber:
Am Ende muss alles bezahlt werden . Kein vernünftiger
Mensch wird in den Mietwohnungsbau oder in die energetische Sanierung von Mietwohnungen investieren,
wenn eine Wirtschaftlichkeit nicht erreicht werden kann .
Ich verstehe es nun als unsere Aufgabe, die bestmöglichen Voraussetzungen für die notwendige Investitionsoffensive zu schaffen . Wir müssen die optimalen
Rahmenbedingungen entwickeln . Die Arbeit daran wird
kontinuierlich fortgesetzt, und sie erreicht hoffentlich
heute ein weiteres Etappenziel, nämlich eine politische
Verständigung der Bundesregierung mit den MinisterpräDennis Rohde
sidenten der Länder heute Abend über eine steuerliche
Förderung des Wohnungsneubaus .
({0})
Sie wird bei richtiger Ausgestaltung der erfolgversprechende Baustein im Reigen der Maßnahmen sein, die
vom Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen entwickelt worden sind . Dazu nur zwei Stichworte: Wohnungen für Familien mit mehreren Kindern - auch damit
muss man sich beschäftigen -, richtige Baukostengrenzen .
Forderungen nach investitionsfeindlichen Änderungen am Mietrecht kann ich nur in einer Form kommentieren: eine ausgesprochen schlechte Idee . Wir brauchen
keine Gesetzgebung zur sozialistischen Mangelverwaltung, sondern Anreize zur marktwirtschaftlichen Angebotsausweitung .
({1})
Das betrifft nicht nur die vorliegenden Anträge der Linken - da habe ich auch nichts anderes erwartet -,
({2})
sondern leider auch weite Teile der von Bundesminister
Maas entwickelten Vorschläge zur Änderung des Mietrechts .
({3})
Herr Staatssekretär Kelber, ich würde mich freuen, wenn
Sie das dem Bundesminister ausrichten: weniger Ideologie, mehr Praxisbezug - dann passt das auch .
({4})
Nur vermute ich, dass da am Ende nicht viel von Ihren
Vorschlägen übrig bleibt . Verständigen wir uns auf das,
was im Koalitionsvertrag vereinbart und machbar ist!
({5})
Auf die Ausweitung des Bezugszeitraums bei der Ermittlung der Vergleichsmiete hatte die SPD schon bei den
Koalitionsverhandlungen verzichtet . Das wäre nämlich
auch nicht bauförderlich . Die rosarote Seifenblase mit
Amortisationsregelungen im Modernisierungsmietrecht
ist ja auch schon seit langem geplatzt .
({6})
Die Bundesregierung insgesamt hat sich also auch mit
Zustimmung des Bundesministers Maas in mehreren
Beschlüssen zum Klimaschutz dazu bekannt, dass Änderungen am Modernisierungsmietrecht die Anreize zur
Modernisierung nicht verringern dürfen .
({7})
Das ist also der Gradmesser für alle dazu zu entwickelnden Ideen . Fundamentale Änderungen am Modernisierungsmietrecht stehen also überhaupt nicht zur Debatte .
({8})
Der populistische Wettbewerb um die niedrigste Prozentzahl bei der Modernisierungsmieterhöhung geht zulasten
der Klimaziele, geht zulasten der Umwelt .
({9})
Als umwelt- und baupolitische Sprecherin bin ich
vom Deutschen Mieterbund enttäuscht .
({10})
Er führt eine rufschädigende Debatte um das bestehende
Modernisierungsmietrecht: hier der profitorientierte Vermieter, auf der anderen Seite der arme Mieter .
({11})
Ich kenne keinen investitionsfreundlichen und vor allem
umsetzbaren Gegenvorschlag des Mieterbundes, auch
nicht der Linken .
({12})
Im Gegenteil: Das, was mir vorliegt, bedeutet Verfall der
Bausubstanz - da gebe ich Ihnen teilweise recht; hier in
Berlin kann man das auch sehen - und Sanierungsstau
auf ewig .
Wer Feuer schürt, sollte auch wissen, wie man es erfolgreich löscht .
({13})
Lieber Mieterbund, unser Interesse muss doch sein, ein
größeres Wohnungsangebot zu haben . Ja, es gibt auch
schwarze Schafe aufseiten der Vermieter . Richtig ist, dass
einige das bestehende Modernisierungsmietrecht nicht
ordnungsgemäß anwenden . Sie trennen nicht sauber die
Kosten der Instandhaltung von den Kosten der Modernisierung . Andere achten nicht auf die Grenze der Zumutbarkeit bzw . der Belastbarkeit der Mieter . Aber das ist
nicht die Regel . Wir sollten mit der Schwarz-Weiß-Malerei aufhören; Herr Luczak hat schon darauf hingewiesen . Im Regelfall werden Modernisierungsmaßnahmen
ordnungsgemäß durchgeführt, und die darauffolgende
Modernisierungsmieterhöhung wird als angemessener
Preis für den gestiegenen Wohnwert akzeptiert . All die
ordentlich arbeitenden Vermieter sollten wir wegen der
wenigen schwarzen Schafe nicht durch schlechtere Rahmenbedingungen bestrafen .
({14})
Übrigens kann in vielen Regionen Deutschlands gar
nicht die maximal mögliche Modernisierungsmieterhöhung durchgesetzt werden . Der dortige Wohnungsmarkt
gibt es nicht her . Auch da müssen wir wegen der energetischen Sanierung noch einmal genau hinschauen .
({15})
So komme ich zu der Schlussfolgerung: Der beste
Mieterschutz ist die Angebotsausweitung . Es gilt: Bauen,
bauen, bauen . Erstens . Die Länder müssen zügig die vom
Bund bereitgestellten Milliarden in wirksame und kraftvolle Wohnungsbauprogramme umsetzen . Herr Krischer,
für den sozialen Wohnungsbau sind die Länder und die
Kommunen zuständig, nicht der Bund .
({16})
Zweitens . Die Kommunen sind angehalten, deutlich
mehr Bauland auszuweisen . Die Länder müssen ihnen
dafür auch mehr Spiel in den Landesentwicklungsplänen
geben .
({17})
Drittens . Die geplante steuerliche Förderung des Wohnungsneubaus muss effektiv und unbürokratisch erfolgen .
Normalerweise gilt: Klasse statt Masse .
({18})
Liebe Kollegen von der SPD, hier kommt es auf die Masse und nicht auf den Klassenkampf an .
({19})
Also: Nicht nur auf den sozialen Wohnungsbau abstellen,
sondern auch auf Wohnungen für den Normalverdiener .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Linken
dokumentieren heute mit ihren Anträgen einmal mehr
ihre populistische Gedankenwelt .
({20})
Bei der SPD setze ich noch auf Vernunft und Einsicht .
Liebe SPD-Kollegen, laufen Sie den anderen Genossen
nicht hinterher . Sie können sie nicht links überholen,
schon gar nicht beim Mietrecht .
({21})
Bleiben Sie bei uns! Wir sind die Mitte und wissen, was
gut für Deutschland ist .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({22})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der
Debatte fort . Als nächste Rednerin hat die Kollegin
Halina Wawzyniak von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! So eine Koalition scheint eine total friedvolle und nette Veranstaltung zu sein . Vielleicht ziehen
Sie sich doch einfach in einen Raum zurück und klären
das untereinander . Das schien mir jetzt am Ende doch
eine sehr populistische Rede zu sein, die auch sehr ideologiegeprägt ist .
({0})
Ich will zu Beginn auf eine bemerkenswerte Entscheidung des Bundesgerichtshofes hinweisen . Der hat als
legitimes Regelungsziel akzeptiert, dass in Gebieten mit
angespanntem Wohnungsmarkt der Anstieg von Mieten
gedämpft werden kann . Der BGH sagt klar und deutlich:
Die Bestandsgarantie des Eigentums nach dem Grundgesetz wird nicht dadurch infrage gestellt, dass nicht
die höchstmögliche Rendite aus dem Eigentumsobjekt
oder nicht die Marktmiete ohne jede Verzögerung und
in voller Höhe erzielt werden kann . - Das Bundesverfassungsgericht sagt in ständiger Rechtsprechung, dass
die Bindung des Eigentumsgebrauchs an das Wohl der
Allgemeinheit die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die
Belange desjenigen einschließt, der konkret auf die Nutzung des Eigentumsobjektes angewiesen ist .
Warum erzähle ich das alles? Offensichtlich braucht
die Union ein wenig Nachhilfe in Verfassungsrecht .
({1})
Die SPD will ich ein wenig ermuntern und sagen: Es gibt
keine verfassungsrechtlichen Bedenken, Vermieterinnen
und Vermieter an ihre soziale Verantwortung zu erinnern .
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken,
Vermieterinnen und Vermietern zu untersagen, schnellen
und höchsten Profit aus der Vermietung von Wohnraum
zu erzielen . Man muss es nur wollen, man kann es auch
machen . Ich befürchte nur: Mit diesem Koalitionspartner
wird das etwas schwierig . Insofern bin ich gespannt, wie
es weitergeht .
Herr Kelber hat in der Debatte am 2 . Dezember 2015
gesagt, es soll im ersten Quartal 2016 einen Referentenentwurf geben . Spannend wäre, zu wissen, ob der wirklich kommt, ob er am Ende sogar durchs Plenum kommt .
({2})
Auch da bin ich relativ skeptisch, wenn ich mir so anschaue, wie der Koalitionsfrieden aussieht . Aber das ist
nicht mein Problem .
Zu dem Eckpunktepapier will ich sagen: Es ist sicherlich richtig, und der Vorschlag, die Modernisierungsumlage abzusenken, geht in die richtige Richtung . Auch
die Neuregelung der Kappungsgrenze scheint uns eine
Maßnahme zu sein, die in die richtige Richtung geht . Wir
wollen natürlich deutlich mehr . Hinsichtlich dessen, was
Ihr Koalitionspartner dazu gesagt hat, empfehle ich großzügiges Ignorieren der Einwände .
({3})
Wir haben bereits im März 2015 - meine Kollegin
Lay hat bereits darauf hingewiesen - einen Vorschlag zur
Veränderung des Systems der ortsüblichen Vergleichsmiete unterbreitet . Dieser Antrag liegt Ihnen heute vor .
Den Vorschlag von Ihnen, den Zeitraum auf zehn Jahre
auszudehnen, finden wir sinnvoll und richtig. Ich kann
nur hoffen, dass Sie von der SPD an dieser Stelle standhaft bleiben . Für eine solche Ausweitung hätten Sie im
Übrigen unsere Stimmen . Wenn die Grünen mitmachten,
gäbe es dafür sogar eine Mehrheit .
({4})
Sinnvoll ist aus unserer Sicht auch, die Schutzregelung bei Zahlungsverzug im Hinblick auf fristlose Kündigungen auf ordentliche Kündigungen auszudehnen . Es
kann einfach nicht sein, dass, wenn zwei Monate nach
einer fristlosen Kündigung gezahlt wird, die ordentliche
Kündigung bestehen bleibt .
Ich möchte Sie bitten, eine weitere Lücke zu schließen, die leider nach einem BGH-Urteil eingetreten ist .
Der BGH hat nämlich entschieden, dass einer Mieterin
oder einem Mieter, die bzw . der auf Sozialleistungen angewiesen ist und diese auch rechtzeitig beantragt hat, sie
aber zu spät bekommen hat und deshalb die Miete nicht
zahlen konnte, gekündigt werden kann. Ich finde, solche
Kündigungen müssen wir gesetzlich ausschließen .
({5})
Es gibt noch zwei weitere Punkte, die aus meiner Sicht
wichtig sind . Es geht um die Regelung zur Eigenbedarfskündigung und die Regelung zur Kündigung wegen Hinderung der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung .
Wir bleiben dabei: Eine Kündigung wegen beabsichtigter
wirtschaftlicher Verwertung muss ausgeschlossen werden, wenn diese für Mieterinnen und Mieter eine unzumutbare soziale Härte bedeuten würde . Es muss ein Ende
haben, dass Mieterinnen und Mieter mit der Androhung
einer Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung zur
Zahlung höherer Mietpreise erpresst werden. Dies findet
statt, und das kann nicht so bleiben .
({6})
Der Kündigungsschutz nach Umwandlung in Eigentumswohnungen muss bundesgesetzlich nach oben angeglichen werden . Es gibt in den Ländern Regelungen,
die deutlich weiter gehen als die bundesgesetzliche Regelung .
Kurz und gut: Es gibt in diesem Bereich einiges zu
tun . Wenn es um die Verbesserung der Situation von Mieterinnen und Mietern geht, werden wir Sie kritisch, konstruktiv begleiten . Unsere Beiträge sind übrigens deutlich gehaltvoller, substanzieller und auch seriöser als das,
was wir heute hier von der Union gehört haben .
({7})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dirk Wiese
für die SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gesagt - getan - gerecht! In Deutschland gilt
die Mietpreisbremse . Dieses Versprechen hat die SPD
gegeben und gehalten . Gut so!
({0})
Mein Heimatland, Nordrhein-Westfalen, war eines
der ersten drei Bundesländer, die mit gutem Beispiel vorangegangen sind . Nordrhein-Westfalen hat gleich Mitte
letzten Jahres, am 1 . Juli 2015, die Mietpreisbremse in
22 Städten eingeführt . Das ist gut für die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land, insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, ganz besonders für die in den Hotspots Düsseldorf, Köln, Bonn
oder auch Münster . An dieser Stelle muss man dem
NRW-Bauminister Mike Groschek danken, der eine hervorragende Arbeit geleistet hat .
({1})
- Herr Kollege Hirte, da ich Ihren Zwischenruf gerade
gehört habe, diese leichte Bemerkung gegen die Landesregierung, sage ich: Ich glaube, wenn ein CDU-Landesvorsitzender es nicht einmal schafft, korrigierte Klausuren vernünftig zurückzuschicken, sollten Sie lieber
kleine Brötchen backen .
({2})
Des Weiteren haben wir ganz klar dafür gesorgt, dass
die soziale Marktwirtschaft endlich auch bei den Maklern angekommen ist . Wer die Leistungen bestellt, der
bezahlt sie mittlerweile auch . Das ist gut . Auch das haben
wir versprochen und umgesetzt .
Kurzum: Wir haben den Schutz der Mieterinnen und
Mieter in Deutschland erheblich verbessert . Diesen Weg
werden wir weitergehen . Bei den Maklern werden wir
künftig einen Sachverständigennachweis einführen . Das
halte ich ebenfalls für richtig . Es kann nicht jeder Dahergelaufene aus dem Import-Export-Geschäft als Makler
von Wohnungen auftreten . Dafür bedarf es einer gewisHalina Wawzyniak
sen Ausbildung und eines gewissen Sachverstandes . Dieses Thema werden wir ebenfalls anpacken .
Ich bin Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Linken, wirklich dankbar dafür, dass Sie uns
mit dieser Kernzeitdebatte die Möglichkeit geben, auf
bereits bestehende Erfolge hinzuweisen und deutlich zu
machen, was wir im Mietrecht noch vorhaben . Ich möchte noch auf den einen oder anderen Punkt Ihrer Anträge
eingehen, weil mich die Ziele, die Sie mit diesen Anträgen verfolgen, ein bisschen wundern . Sie wollen, dass
der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert,
qualifizierte Mietspiegel für bestimmte Städte einzuführen und die Modernisierungsumlage zu begrenzen . Ich
habe mich, ehrlich gesagt, gefragt, ob Sie keine Zeitung
lesen und in informationstechnischer Hinsicht etwas abgeschnitten sind; denn das, wozu Sie die Bundesregierung heute auffordern wollen, ist schon längst in Angriff
genommen worden . Das BMJV hat ein Eckpunktepapier
vorgelegt . Der Referentenentwurf ist in Arbeit .
({3})
Warten Sie doch erst einmal bei diesem einen Punkt ab!
({4})
Liebe Frau Kollegin Künast, bei Zwischenrufen ist
es wie mit dem Posten bei Facebook: Erst nachdenken,
dann das Foto posten .
({5})
Der Kollege Rohde hat, glaube ich, noch einmal ausführlich deutlich gemacht - darauf will ich gar nicht
mehr eingehen -, dass der Mietspiegel und die Modernisierungsumlage wichtige Punkte für uns als Sozialdemokratie sind . Frau Künast, der Kollege Dr . Ullrich ist ja
im Bereich des Facebook-Postens mit Ihnen der Experte .
Er wird die Geschichte vielleicht gleich noch einmal erzählen .
({6})
Ich will mich heute auf zwei Punkte beschränken, die
wir in der Planung haben .
Erstens . Die Abschaffung der Abweichung von der
tatsächlichen Wohnfläche bei Mietverträgen. Sie alle
kennen das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2004, das damals eine zulässige Abweichungsgrenze
von 10 Prozent festsetzte . Mieter hatten faktisch keine
Chance mehr, gerichtlich gegen Abweichungen in dieser
Höhe vorzugehen . Man muss sich das einmal verdeutlichen: Bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung zahlt man
im schlimmsten Fall quasi jeden Monat für ein kleines
Zimmer, das in Wirklichkeit gar nicht existiert, etwa
ein kleines Arbeitszimmer von 10 Quadratmetern, fleißig mit . An teuren Wohnungsmärkten wie in Düsseldorf
und Münster ist das schnell ein sehr teurer Spaß . Über
die Jahre entrichten die Mieter somit hohe Beträge für
eigentlich virtuellen Wohnraum, zumal sie nicht nur die
Mietkosten zahlen, sondern die Wohnfläche auch bei der
Berechnung der Betriebskosten eine Rolle spielt .
Der neutrale Zuhörer mag jetzt vielleicht denken, dass
solche Abweichungen nur die absolute Ausnahme sind,
doch dem ist mitnichten so . Denn leider muss man sagen,
dass das eben genannte Urteil des Bundesgerichtshofs
von unredlichen Vermietern leider wohl auch als Freibrief verstanden worden ist mit der Folge, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Wohnung zu haben, bei der die tatsächliche Fläche von der im Mietvertrag ausgewiesenen
Fläche abweicht, wirklich groß ist . Nach Schätzungen
des Deutschen Mieterbundes - diesen möchte ich einmal
in Schutz nehmen; der Deutsche Mieterbund macht einen
hervorragenden Job; man sollte ihn nicht kritisieren; das
ist nicht angemessen ({7})
betrifft das jede zweite oder dritte Wohnung in Deutschland . Da werden zu Unrecht Milliardenbeträge für nicht
vorhandenen Wohnraum gezahlt, den es nur auf dem Papier gibt . Das ist ein unhaltbarer Zustand, den wir jetzt
beseitigen werden .
({8})
Ich bin froh, dass wir die Beseitigung dieses Missstandes in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben .
Noch einmal: Zwischen Koalitionspartnern gilt der Koalitionsvertrag .
({9})
Frau Kollegin Dött, ich würde Sie bitten, dort noch einmal nachzulesen .
({10})
Künftig wird damit bei Mieterhöhungen und bei der
Umlage von Betriebskosten nur die tatsächliche Wohnfläche zählen. Also: Wer 100 Quadratmeter Wohnraum
anmietet, der zahlt in Zukunft auch nur für 100 Quadratmeter - Punkt .
Der zweite Punkt, der wichtig ist, ist die Unterstützung
von Klein- und Privatvermietern, denen wir mit unserem
zweiten Mietpaket unterstützend unter die Arme greifen
werden . Gerade in ländlichen Räumen - auch in meinem
Wahlkreis im Sauerland - ist die Vermietung einer kleinen Wohnung oft ein guter Nebenverdienst, etwa wenn
die alte Wohnung der Eltern im Haus vermietet werden
soll . Nach einer Studie des Bundesinstituts für Bau-,
Stadt- und Raumforschung gibt es deutschlandweit etwa
10,7 Millionen Mietwohnungen von Privateigentümern
in Mehrfamilienhäusern . Davon vermieten 57 Prozent
nur eine einzige Wohnung . Größere Bestände sind eher
die Ausnahme . Nur 2 Prozent der Vermieter haben mehr
als 15 Mietobjekte im Angebot .
Kleinvermieter sind aber oftmals - das müssen wir
feststellen - mit der Bürokratie überfordert, wenn es um
die Umlegung von entstandenen Instandhaltungskosten
auf die Mieter geht . Deshalb werden wir ein vereinfachtes Verfahren für Kleinstvermieter einführen . Das ist gut
so und schützt die vielen redlichen Kleinvermieter in unserem Land .
({11})
Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die
rot-schwarze Koalition optimiert auch weiterhin das
Mietrecht . Auf diese Verbesserungen warten viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land,
({12})
in Düsseldorf, in Köln, in Münster, aber auch im Wahlbezirk Tempelhof-Schöneberg . Denn bei der einen oder anderen Debatte habe ich manchmal den Eindruck, dass in
Tempelhof-Schöneberg 99 Prozent der Makler im Land
wohnen . Vielleicht sollten die Mieterinnen und Mieter
einmal genau hinschauen, wer hier welche Rede hält .
({13})
Mieter schützen und Vermieter unterstützen - das ist die
Prämisse unseres Handelns .
Vielen Dank .
({14})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Renate
Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
mich in dieser Debatte, ehrlich gesagt, nicht ganz entscheiden können, ob die Hauptentwicklung war, dass
man sich innerhalb der Koalition gegenseitig Ideologie
vorwirft, oder ob es großkoalitionäre Autosuggestion
war, wie schön die Situation doch für Mieterinnen und
Mieter ist . Ich kann mich nicht entscheiden; aber wir haben ja noch ein paar Redner vor uns .
Es wurde gesagt: Wir haben Eckpunkte vorgelegt . Diese Methode kennen wir . Es werden Eckpunkte vorgelegt, und es wird gesagt: Ab heute ist die Situation für
die Mieterinnen und Mieter besser . - Danach vergehen
noch zwei Jahre, bis das Gesetz kommt, und die Situation
ist immer noch nicht grundlegend geändert . Das ist die
Wahrheit .
({0})
Sie geben hier mit Dingen wie zum Beispiel einer neuen Wohnflächenberechnung an, die Sie natürlich nur
deshalb vornehmen, weil es gerade eine entsprechende
BGH-Rechtsprechung gab .
Sehen wir uns doch einmal an, wie die Situation ist .
Ich will mit dem Grundgesetz beginnen, weil der BGH
vor kurzem eine Entscheidung zur Kappungsgrenze in
Berlin - für Frau Dött ist das wahrscheinlich Teufelszeug
und sozialistische Ideologie; so habe ich Ihren ruhigen,
seriösen, unideologischen Redebeitrag gerade verstanden - gefällt hat .
({1})
Der BGH hat gesagt, dass uns ein Blick ins Grundgesetz den Satz „Eigentum verpflichtet“ finden lässt. Er
verpflichtet aber auch uns, nämlich dazu, den Gedanken,
dass Eigentum auch eine soziale Pflicht nach sich zieht,
in Recht umzusetzen . Deshalb haben wir das Recht und
die Pflicht, dort, wo Wohnungsmangel herrscht und wo
die Mieten nach oben gehen, die Länder zu befähigen,
etwas dagegen zu unternehmen, und das Bundesrecht so
zu gestalten, dass den Vermietern auch soziale Pflichten
abgerungen werden, sodass sie bei der Miete nicht alles
ausreizen dürfen .
({2})
Das ist ein Stück sozialer Friede, das ist ausbalanciert,
und möglicherweise entspricht das ja auch der katholischen Soziallehre und damit der Kernklientel der Union - nur Frau Dött wusste das noch nicht .
({3})
Meine Damen und Herren, wir warten sehnsüchtig auf
die nächste Mietrechtsnovelle . Aber ich sage Ihnen: Sie
können auch die letzte ändern . Auch wenn Sie Ihre sogenannte Mietpreisbremse sehr gelobt haben, muss ich
Ihnen sagen: Sie haben vergessen, eine Bremse zu installieren . Ja, es stimmt: Es gibt jetzt hier und da entsprechende Einrichtungen . Aber sie sind doch im wahrsten
Sinne des Wortes minimal . Was bleibt - ich muss darauf
hinweisen -, ist eine Rügepflicht der Mieterinnen und
Mieter, wenn der Vermieter rechtswidrig zu viel Miete
verlangt . Dann müssen die Mieter dies rügen und es materiell nachweisen . Ab dem Zeitpunkt der eingereichten,
substantiiert vorgetragenen Rüge kann man eine Rückzahlung geltend machen . Wenn man das ein, zwei Jahre
später macht, bleibt das Geld beim Vermieter . Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, das ist doch
nicht sozial! Aber das steht in Ihrer sogenannten Mietpreisbremse .
({4})
Ich fordere Sie auf, das zu verändern . „Eigentum verpflichtet.“ Es soll nicht dazu dienen, in die Taschen der
Mieterinnen und Mieter zu fassen .
Auch der Mietspiegel ist ein Thema, das in eurer Vorlage drin ist . Auch wenn er verschiedentlich als nicht ganz
rechtssicher kritisiert wird, sage ich Ihnen: Wir brauchen
eine ordentliche rechtliche Definition, wie ein qualifizierter Mietspiegel auszusehen hat, damit er tatsächlich als
Grundlage taugt und rechtsprechungssicher ist .
({5})
- Das ist ja schon einmal etwas. - Es muss ein qualifizierter Mietspiegel sein, der auch Aspekte der Ökologie
mit einbezieht .
Frau Hendricks ist heute übrigens nicht entschuldigt;
ich gebe zu, ich habe nachgesehen .
({6})
Mein Zwischenruf vorhin war falsch . Herr Maas ist nämlich entschuldigt; Frau Hendricks ist es aber nicht . Es
hätte mich nicht gestört, wenn er hier wäre .
Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Mietspiegel - in Paris hat man sich ja jetzt für den Klimaschutz eingesetzt -, der auch den Klimaschutz beim
Wohnungsbau berücksichtigt .
({7})
Wir brauchen darüber hinaus mehr soziale Kriterien .
Ich bin dafür, die Berechnungsgrundlage von vier auf
zehn Jahre zu erhöhen, weil „Eigentum verpflichtet“. Wir
müssen auch die Modernisierung angehen . Schade, dass
Herr Luczak, mein Kollege aus Tempelhof-Schöneberg dem Ort aller Immobilienverwalter, wie Herr Wiese sagte -, jetzt nicht mehr hier ist . Er hat ja eine wunderbare
ideologische Volte geschlagen, indem er gesagt hat: Wir
wollen den altersgerechten Umbau . Wir wollen, dass
die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden . Wir
bekommen nur dann private Investitionen, wenn wir an
dieser Stelle nicht zu enge Vorgaben machen . Deshalb
kann man die 11 Prozent nicht senken. - Das finde ich
materiell falsch . Ich meine, wir müssen diesen Wert reduzieren, weil die 11 Prozent sonst eine Art Dukatenesel
sind, wenn man einmal abgeschrieben hat .
({8})
- Ja, ja . Meine Damen und Herren, ich habe nichts gegen
das Geldverdienen . Aber man würde auch bei 9 Prozent
noch Geld verdienen und nicht verarmen .
({9})
Herr Luczak hat immer nur erzählt, dass man die Investitionen nicht drücken darf . Aber er hat nicht gesagt,
wie er die Vermieter und die Eigentümer dazu bringen
möchte, dann auch Barrierefreiheit für alte Menschen
zu schaffen, wie er dafür sorgen will, dass man für sein
Geld auch eine Leistung und nicht nur Mieterhöhungen
bekommt, und wie er das alles umsetzen will . Selbst
wenn Sie die 11 Prozent beibehalten, frage ich Sie: Wo
ist Ihre Regelung, zu sagen: „Zu dulden hat der Mieter
nur Maßnahmen im Hinblick auf Barrierefreiheit und effektive energetische Sanierung“? Auch da trauen Sie sich
nicht heran .
({10})
Das ist pure Ideologie, die Sie hier verbreitet haben, meine Damen und Herren .
({11})
Meine Damen und Herren, bis hin zum Thema Kappungsgrenze gibt es an dieser Stelle viel zu tun . Ich sage
Ihnen eines: Eine der zentralen sozialen Fragen bezieht
sich auf das Thema Miete, an dieser Stelle auch auf das
Thema Mieterhöhung .
Was wir an dieser Stelle brauchen, ist: Bauen, Bauen, Bauen . Ferner brauchen wir eine Nachbesserung im
Recht, aber auch Baumaßnahmen . Wir brauchen mindestens 2 Milliarden Euro pro Jahr . Zudem muss über Bundes-, Landes- und Kommunalrecht sichergestellt werden,
dass bezahlbare Wohnungen gebaut werden . Wir brauchen nicht nur Modernisierung sowie schicke und schöne Wohnungen, sondern auch Otto Normalverbraucher
muss in Deutschland eine Wohnung finden können.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen .
Das stellen Ihre Programme aber nicht sicher .
({0})
Als nächster Redner hat Michael Frieser von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie erlebten großes Theater .
({0})
Das ist wirklich wahr . Man muss bei Frau Künast immer
aufpassen . Je höher der Tonfall und je intensiver die Gestik wird, desto dünner wird der Inhalt .
({1})
Da muss der eine oder andere manchmal ein bisschen
aufpassen . Egal ob es um die Frage der Barrierefreiheit
oder um Ähnliches geht, kann ich nur zu dem sagen, was
Sie gerade aufgerufen haben, dass vieles von dem nicht
nur in der Mache ist, sondern auch schon Recht und Gesetz .
({2})
Wer versucht, hier den Eindruck zu erwecken, in ganz
Deutschland würden durch Modernisierungen die Mieter
aus den Wohnungen getrieben, der erzählt einfach nur
Unsinn . Das ist nicht der Normalfall in diesem Land .
({3})
- Frau Künast, ganz ehrlich: Beim Thema Ideologie beuge ich mich Ihrem Sachverstand . Auf diesem Gebiet haben Sie viel mehr Erfahrung als ich .
({4})
Glauben Sie mir, wir haben den Koalitionsvertrag
nicht nur gelesen, wir haben ihn sogar gemacht . Also
wissen wir auch, was drinsteht . Wir wissen auch, was der
Umsetzung bedarf .
Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Linken heute
einen Antrag stellen, der darauf abzielt, die Vermietung
ganz abzuschaffen, staatliche Wohnungen zu schaffen,
diese zuzuweisen und das Geld direkt zu überweisen;
denn das sei mit weniger Bürokratie verbunden, und außerdem könne man sich eine ganze Reihe von diesbezüglichen Vorschriften sparen .
({5})
Im Blickpunkt stehen doch die Ballungszentren . Es
ist doch unbestritten, dass es in diesem Land Städte gibt,
in denen tatsächlich ein Ungleichgewicht auf dem Wohnungsmarkt herrscht . Das ist nun wahrlich keine neue
Erkenntnis .
({6})
Berlin ist ein wirklich gutes Beispiel für einen leicht
aus der Balance geratenen Wohnungsmarkt . Ich frage
mich aber nur, wer dort eine ganze Zeit lang Verantwortung getragen hat . Unter der Verantwortung der Linken
sind in dieser Stadt 100 000 Sozialwohnungen abgebaut
worden . Das ist die Wahrheit . Das heißt, dort, wo Sie
Verantwortungen getragen haben, haben die Menschen
keine Wohnung mehr . So banal ist das .
({7})
Wir brauchen mehr als 300 000 zusätzliche Wohnungen . Das werden wir nur schaffen, wenn wir die sozialen,
die demografischen und die energetischen Herausforderung angehen . Außerdem wird die Situation nicht gerade
einfacher durch die vielen Flüchtlinge, die sich bei uns
im Land befinden.
Die Lösung kann deshalb nur ein Dreiklang sein . Dieser Dreiklang hat seinen Ursprung in einem ausbalancierten und gerechten Mietrecht . Er hat aber natürlich vor allem die Komponente eines sozialen Wohnungsbaus, der
tatsächlich im Argen liegt . Da brauchen wir die Schuld
gar nicht zuzuschieben . Der soziale Wohnungsbau war
einmal das Rückgrat des Aufbaus der Prosperität dieses
Landes . Ich glaube, dass wir gut beraten sind, alle miteinander daran weiterzuarbeiten .
({8})
Wahr ist aber auch die Tatsache, dass nur private Investitionen in den Wohnungsmarkt die Voraussetzungen
schaffen, diese drei Herausforderungen auch nur annähernd anzugehen, damit auch nur annähernd ein einigermaßen zufriedenstellender Erfolg erreicht wird . Weit
mehr als zwei Drittel des privaten Wohnungsmarktes in
diesem Land befinden sich in privater Vermieterhand.
Es hilft überhaupt nichts, wenn Sie die privaten Vermieter einfach an die Wand stellen und pauschal sagen,
alle seien unsozial und missbrauchten alle Instrumente,
nur um Geld zu verdienen . Bei der Modernisierung ist
das aber doch so: Es ist eine banale Wahrheit, dass jeder,
der schon einmal modernisiert hat, genau weiß, dass er
die Kosten nicht insgesamt umlegen kann . Beim Vermieter bleiben immer auch Dinge hängen, beispielsweise die
Finanzierungskosten .
({9})
Deshalb muss ich ganz ehrlich sagen: Wer wirklich
einen sozialen Ausgleich auf dem Wohnungsmarkt will,
der muss für einen angemessenen und ausreichenden
Wohnungsmarkt sorgen .
({10})
Egal wie der Wohnungsmarkt aussieht, egal wie auch
immer Sie versuchen, die Mieten künstlich zu deckeln
und zu dämpfen, am Ende des Tages wird der sozial
Schwächere bei einem angespannten Wohnungsmarkt
immer das Nachsehen haben . Genau das ist das Problem .
Deshalb werden wir überhaupt keine Alternative haben,
als den Wohnungsmarkt mit allem, was wir haben, anzukurbeln . Dazu gehört auch, das Gift herauszunehmen,
das diesen Investitionsmarkt niederhält .
({11})
Wir müssen bei der Modernisierung aufpassen . Im
Augenblick ist bei Gottlob - na ja, nicht für jeden niedrigen Energiepreisen natürlich auch die Umlage der
Modernisierungskosten schwieriger, weil die Amortisation niedriger ist . Das Thema Modernisierung macht den
Markt im Augenblick nicht einfacher .
Wenn Frau Künast ihren Antrag und ihre Ideologie
schon vor 40 Jahren durchgesetzt hätte, hätten wir die
Toilette auf dem Flur - die Außentoilette - jetzt tatsächlich immer noch als Standard .
({12})
Es geht doch nicht nur darum, dass wir Barrierefreiheit
herstellen . Das ist zwar wichtig, aber es geht auch darum,
dass heutzutage bestimmte Standards notwendig sind,
und dabei geht es nicht nur um Luxusmodernisierungen .
So leid es mir tut: Das ist tatsächlich ideologischer Ballast .
Wenn wir die Umlagefähigkeit auf 5 Prozent senken
würden, dann würde sich am Ende sogar die Absurdität
ergeben, dass man für eine nicht modernisierte Wohnung
mehr Miete verlangen dürfte - die Miete dürfte stärker
steigen - als für eine modernisierte Wohnung . Ja, wo sind
wir denn? Ich bitte schon, dass man seine Vorschläge zumindest logisch zu Ende denkt .
({13})
Am Ende will ich noch einmal etwas zum Thema
Mietspiegel sagen . Ich habe wirklich lange Jahre bei mir
zu Hause im Nürnberger Stadtrat gesessen und viel Zeit
mit der Wohnungspolitik verbracht und kann Ihnen nur
sagen: Gottlob gibt es das Instrument des Mietspiegels .
Er entfaltet in Zigtausenden Kommunen eine befriedende Wirkung . Alle Seiten - die Mieterbünde zum größten
Teil, die Hausvermietungen und der Eigentümerverband
Haus und Grund - wirken daran mit . Die Kommunen
stellen ihn auf und tragen am Ende auch die Kosten . Das
ist schön .
Hier soll nun aber etwas bestellt werden, solange die
Zeche von jemand anderem bezahlt wird . Ich frage mich
schon, ob Sie die Regelungen zum Mietspiegel wirklich
auf andere Füße stellen wollen, wodurch Sie Abermillionen an Kosten für die Kommunen verursachen würden,
die sie nicht haben .
Wir haben uns dazu verabredet, im Koalitionsvertrag
zu sagen: Wir brauchen wissenschaftliche, vereinheitlichende Standards . Es kann aber nicht sein, dass wir am
Ende des Tages dafür sorgen, dass der Mietspiegel die
Politik ersetzt, wenn es um die Mietpreisbildung in der
Kommune geht . Das wäre absurd . Der Mietspiegel soll
eine befriedende Wirkung erzielen und eine Orientierung
sein, und schon jetzt ist er ein Mittel, um die Mietpreise
zu dämpfen . Am Ende des Tages sollte ein Mietspiegel
aber nicht ein Spiegel der Politik, sondern ein Spiegel
der Realität sein .
Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir bei
den historischen Herausforderungen, denen sich dieses
Land gegenübersieht, nicht so tun, als ob der Mietmarkt
das Einfache wäre, an dem wir uns austoben können . Wir
brauchen jeden Euro und jeden Cent, der in den Wohnungsbau investiert wird . Es heißt, hier möglichst wenige Barrieren aufzubauen und den Menschen Mut zu
machen, dass das einen Sinn hat und dass das eine gemeinschaftliche Aufgabe in diesem Land ist .
Vielen Dank .
({14})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Ulli Nissen
von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gut, dass wir durch die vorliegenden Anträge zu so prominenter Zeit über bezahlbaren Wohnraum
sprechen können . Dieser Bereich ist uns als rot-schwarzer Regierungskoalition besonders wichtig, wobei ich
mir bei Frau Dött da nicht ganz so sicher bin . Liebe Frau
Dött, ich bin mir ganz sicher, dass Sie hier nicht eine solche Rede gehalten hätten, wenn Düsseldorf Ihr Wahlkreis
wäre und Sie ihn direkt gewinnen wollten .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, es ist
klasse, Anträge aus der Opposition heraus zu stellen;
denn man muss sich ja nicht um die Realisierung kümmern . Der Mietspiegel ist hierfür ein Beispiel . Sie fordern, dass jede Stadt ab 25 000 Einwohner einen qualifizierten Mietspiegel erstellen sollte. Der Bund und die
Kommunen sollten die Kosten hälftig tragen .
Die Linke hat im Osten des Landes einige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister . Haben Sie mit denen
darüber gesprochen, ob sie in der Lage sind, ihre meist
geringen Finanzmittel auch dafür zu nutzen, einen qualifizierten Mietspiegel zu erstellen? Wir als Bund planen
konkrete Verbesserungen beim Mietspiegel . Wir wollen
ihn auf eine breitere Basis stellen und unter anderem die
Mieten der letzten zehn Jahre berücksichtigen . Auch bei
Mieterhöhungen nach Modernisierungen soll es Grenzen bis zu bestimmten Prozentsätzen des Einkommens
geben .
Der angespannte Wohnungsmarkt steht bei vielen
Kommunen ganz oben auf der Tagesordnung . Ich komme aus Frankfurt am Main und weiß, wovon ich rede .
„Bauen, Mieten und Wohnen“ ist bei uns das bestimmende Thema . Die Vorschläge der Linken helfen da nicht
weiter .
Zurück zu der Realität und zu den Dingen, die wir
auf den Weg gebracht haben und wozu auch Länder und
Kommunen beitragen müssen . Wir als rot-schwarze Regierungskoalition haben zum 1 . Juni 2015 die Mietpreisbremse eingeführt . Sie ist ein wichtiges Instrument, das
Symptome bekämpft, nicht die Ursachen; das wissen wir
alle . Manche Länder haben sich mit der Umsetzung viel
Zeit gelassen .
Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay zu?
Ja, gerne . Dann habe ich mehr Redezeit, danke .
Frau Lay .
Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Sie sind in Ihrer Rede schon mehrfach auf
die Linke eingegangen und haben uns kritisiert . Geben
Sie mir recht, dass der bisherige Debattenverlauf eher
den Eindruck erweckt hat, als seien die Gemeinsamkeiten zwischen Linker und SPD in dieser Frage deutlich
größer als die Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Union?
Geben Sie mir auch recht, dass mindestens zwei der
Redner, die heute für die Union gesprochen haben, dem,
was Minister Maas von der SPD, also von Ihrer Partei,
vorgelegt hat, direkt und frontal widersprochen haben?
Zwei der Rednerinnen und Redner haben gesagt, dass die
Union das, was bei der Absenkung der Modernisierungsumlage vom Minister geplant ist, und auch das, was geplant ist, um den Mietspiegel auf eine breitere Grundlage
zu stellen, gar nicht mittragen wird . Was halten Sie denn
bitte schön davon?
({0})
Liebe Frau Lay, ich bin mir ganz sicher, dass die große
Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU ganz genau Bescheid weiß, wie wichtig es ist, Mieterinnen und Mieter zu schützen . Wir arbeiten sehr gut
zusammen . Es ist in jeder Fraktion so - das ist auch bei
Ihnen so -, dass man nicht in allen Themen zu 100 Prozent übereinstimmt . Das ist auch in der CDU/CSU so .
Aber ich sehe hier viele Kolleginnen und Kollegen, bei
denen ich genau weiß, dass ihnen die Mieterinnen und
Mieter wichtig sind . Deshalb bin ich mir ganz sicher,
dass wir das, was in der Koalitionsvereinbarung steht,
umsetzen werden . - Ich danke Ihnen für Ihre Frage .
({0})
Ich habe angesprochen, dass wir zum 1 . Juni 2015
die Mietpreisbremse eingeführt haben, aber sich manche
Länder mit der Umsetzung leider Zeit gelassen haben .
Ich muss hier die Grünen ansprechen . Ihr von den Grünen haltet immer tolle Reden . Aber was machen die Grünen in Hessen? Ich werde hier einige Punkte erwähnen,
die mich wirklich erschrecken .
Im schwarz-grünen Hessen wurde die Mietpreisbremse erst Ende November 2015 eingeführt, also etwa sechs
Monate später . Sie wurde in meiner Stadt Frankfurt auch
nicht flächendeckend für alle Stadtteile eingeführt. Das
ist für die Mieterinnen und Mieter ganz schlecht .
({1})
Sprechen Sie bitte einmal mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Landtag .
({2})
- Frau Künast, zuhören bitte .
({3})
Natürlich brauchen wir Maßnahmen gegen Luxussanierungen, die allein zur Profitmaximierung, zur Entmietung
und damit zur Vertreibung von Mieterinnen und Mietern
dienen sollen . Dagegen werden wir als Bund Initiativen
ergreifen .
Aber auch Kommunen selbst können durch eine Milieuschutzsatzung gegen Luxussanierungen vorgehen .
Dann müssten alle geplanten Modernisierungen der
Stadt zur Genehmigung vorgelegt werden . Dies ist leider in Frankfurt-Ostend, dem Stadtteil der EZB, nicht
passiert . Dort gibt es ein über die Stadtgrenzen hinaus
bekanntes negatives Beispiel für die Entmietungsversuche eines Miethais, die Wingertstraße 21 . Es ist nur der
großen Solidarität der dortigen Bewohner untereinander
gemeinsam mit der Nachbarschaft zu verdanken, dass
der Miethai mit seinen aus meiner Sicht brutalen Entmietungsversuchen keinen Erfolg hat . Liebe Wingertstraße 21, ihr habt mich weiter kämpferisch auf eurer Seite!
({4})
Auch die Länder können viel tun, unter anderem eine
Landesverordnung erlassen, mit der die Umwandlung
von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt gestellt wird . Dies würde uns in Frankfurt
sehr helfen . Leider gibt es dies unter der schwarz-grünen
Landesregierung Hessen nicht . Außerdem gibt es in Hessen weiterhin das große Problem der Eigenbedarfsklagen
bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen . Länder könnten durch eine Rechtsverordnung die
Kündigungssperrfrist auf zehn Jahre verlängern . Unter
Schwarz-Grün in Hessen ist diese Frist bei fünf Jahren
geblieben, so wie das auch unter der CDU- und FDP-Regierung der Fall gewesen ist. Das finde ich sehr erschreckend .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen: Es gibt
viele Punkte, die wir gemeinsam klären können . Auf
Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene
müssen wir zusammenarbeiten . Ich bin mir ganz sicher um noch einmal auf die CDU/CSU einzugehen -, dass
wir das umsetzen werden, was wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben .
Ich danke Ihnen .
({5})
Als nächster Redner hat Dr . Volker Ullrich von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen,
und wir sollten uns mit diesem Bedürfnis beschäftigen
statt mit uns selbst . Wir haben über Facharbeiter, Polizisten, Krankenschwestern, Handwerker, Verwaltungsangestellte und viele mehr zu sprechen, die in den großen Städten arbeiten und wesentlich zum Gelingen der
Stadtgesellschaft beitragen, sich dort aber keine WohCaren Lay
nung bzw . kein Haus für sich und ihre Familien leisten
können und gezwungen sind, lange Pendelwege in Kauf
zu nehmen .
Wir haben zu diskutieren über Wartelisten für Sozialwohnungen der Wohnungsbaugesellschaften in den
Städten, die schneller wachsen, als neue Wohnungen entstehen . Wir müssen aber auch über umsichtige Vermieter reden, die über 70 Prozent des Mietbestands in ihrem
Besitz halten und ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern
pflegen.
Zutreffend ist, dass die Große Koalition mit der Mietpreisbremse ein Gesetz zur Begrenzung des Anstiegs der
Miete geschaffen hat . Wahr ist aber auch, dass durch die
Regulierung der Miethöhe allein kein neuer Wohnraum
geschaffen wird . Der Schlüssel zu bezahlbarem Wohnen
liegt in einer einzigen Tatsache: dem Neubau von Wohnungen .
({0})
Wir werden und müssen daher mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür sorgen, dass neuer
Wohnraum entsteht . Es ist nicht der Weg der schnellen
und kurzfristigen Versprechungen, der zum Erfolg führt,
sondern die Schwierigkeiten des Wohnungsmietmarktes
erfordern durchdachte Lösungen und eine gute Balance
zwischen den Rechten der Mieter und der Investitionsbereitschaft der Vermieter . Wir spielen Mieter und Vermieter nicht gegeneinander aus, sondern wir versöhnen sie
im Interesse der Menschen .
({1})
Wir haben uns um unsere Städte und Kommunen zu
kümmern . Der Schlüssel zum Neubau liegt in den großen
Städten und Kommunen . Aber viele Kommunen fragen
sich zu Recht, weshalb sie über ihre Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen errichten oder Wohngebiete mit
Sozialbindung ausweisen sollen, wenn sie dann durch
die Kosten der Unterkunft für wirtschaftlich Schwache
im Ergebnis die Miete selbst bezahlen und damit ihre
ohnehin angespannten Haushalte weiter belasten sollen .
({2})
Deswegen hat die Große Koalition ein Paket auf den
Weg gebracht, um die Kommunen zu entlasten . Wir müssen uns fragen: Was können wir in Sachen Entlastung der
Kommunen noch weiter tun?
Der Wohnungsmietmarkt ist kein Markt wie jeder andere . Er ist aus guten Gründen wie der Sozialbindung des
Eigentums und aus Erwägungen des Gemeinwohls stark
reglementiert . Wir können aber trotzdem die Instrumente des Marktmechanismus nicht ganz ausblenden . Durch
zu tiefe rechtliche Einschränkungen und wirtschaftliche
Einschnitte darf nicht die Situation entstehen, dass Investitionen in Wohnungsbestand oder Neubau für Vermieter
so unattraktiv werden, dass sie erlahmen oder unterbleiben und die öffentliche Hand das am Ende durch Programme retten muss .
Wir müssen uns fragen: Wie setzen wir die richtigen
Anreize, damit Vermieter in den Wohnungsmarkt investieren?
({3})
In den letzten Jahren sind aus guten und politisch ehrenwerten Motiven immer höhere Ansprüche an Bauen
und Sanieren gestellt worden . Energieeinsparungsverordnung, Kosten für Umweltprüfungen, Barrierefreiheit,
Brandschutz, ökologische Ausgleichsmaßnahmen und
Klimaschutz: Daran will und darf niemand etwas ändern .
Wir müssen uns aber fragen, ob wir die gleichen Ziele
nicht gleich effektiv durch weniger Vorschriften erreichen können und damit Baukosten senken . Für die Erreichung all dieser Ziele sind die Anträge der Linken nicht
weiter hilfreich . Sie schaffen keinen neuen Wohnraum .
Sie dämpfen nicht die Mietpreisentwicklung,
({4})
sondern führen zu mehr Regulierung in einem Marktbereich, der vieles benötigt, nur keine neuen Regeln, die Investitionen erschweren und damit das Leben der Mieter
schwerer machen .
({5})
Wir brauchen klare Signale für bezahlbare Mieten und
neuen Wohnraum in diesem Land . Dazu gehört:
Erstens . Wir brauchen mehr und bessere steuerliche
Anreize, damit neuer Wohnraum entsteht . Das dient nicht
nur dazu, dass wir Kapital, das nach einer Investition
sucht, gezielt in den Wohnungsmietmarkt lenken . Vielmehr wollen wir durch steuerliche Anreize den Neubau
von Wohnungen fördern . Wir sollten uns überlegen, eine
degressive Abschreibung für Wohnungsneubauten einzuführen . Die Eigenheimzulage, die abgeschafft wurde,
wäre für Familien möglicherweise ein gutes Instrument .
({6})
Zweitens . Wir müssen über baurechtliche Vorgaben
und Standards reden . Wir sollten die Länder ermutigen,
in ihren bauordnungsrechtlichen Vorschriften sowie im
Rahmen der Stellplatzverordnung und der Energieeinsparverordnung Potenziale zu heben; denn diese brauchen wir, um neue Wohnungen entstehen zu lassen .
({7})
Drittens . Wir brauchen eine Förderung des sozialen
und genossenschaftlichen Wohnungsbaus, nicht als alleinseligmachendes Instrument, sondern als Ergänzung
in sozialen Städten, um Menschen, die wirtschaftlich
schwächer sind, Wohnen in Städten zu erlauben . Wir
sollten uns fragen, ob der Bund den sozialen Wohnungsbau noch stärker unterstützen kann und inwiefern
wir durch Rechtsänderungen dem genossenschaftlichen
Wohnungsbau zu einer Renaissance verhelfen können .
Wir sollten auch über Fragen der Gemeinnützigkeit im
Wohnungsbau nachdenken .
Viertens . Wir brauchen ein kluges und ausgewogenes
Mietrecht . Die Modernisierungsumlage darf nicht dazu
führen, dass Investitionen gänzlich unterbleiben . Aber
sie darf auch nicht zu einer Situation führen, in der sich
Vermieter einseitig und zulasten der Mieter bereichern .
Wir sollten bei den Regeln, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben, bleiben; denn das sind gute und ausgewogene Regeln .
({8})
Wir müssen auch über die Frage sprechen, wie wir wesentliche Punkte, die die Rechtsprechung in den letzten
Jahren geregelt hat und die ebenfalls zu einem Anstieg
der Mieten geführt haben - Stichworte „Kappungsgrenze“ und „Schönheitsreparaturen“ -, rechtlich regeln, um
Rechtssicherheit zu schaffen, und zwar für Vermieter und
Mieter . Rechtssicherheit ist im Bereich des Mietrechts
ein Wert, den wir nicht hoch genug schätzen können .
Wenn wir all diese Punkte beachten und umsetzen von steuerlichen Vorschriften bis hin zur Entschlackung
der Bauvorschriften -, wenn wir klug und besonnen vorgehen und wenn wir an die Menschen denken, für die
gutes Wohnen eine wesentliche Frage ist, dann werden
wir Erfolg haben und die Lebensqualität in den Städten
und Gemeinden für die Menschen erhöhen .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte
hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ullrich, Sie sind ja ein Versöhner und Brückenbauer .
({0})
Sie haben in Ihrer Rede darauf hingewiesen, dass in unserem Koalitionsvertrag steht, dass wir die Mieter und
Mieterinnen vor finanzieller Überforderung schützen und
den Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen wollen .
Ich bin gespannt, ob uns das gemeinsam gelingt . Eine
breitere Basis bedeutet für mich jedenfalls, dass wir auch
über die Bezugsdauer reden müssen, also darüber, wie
lange man bei der Erhebung des Mietspiegels zurückblickt . Es kann nicht sein, dass wir am bisherigen Vierjahreszeitraum festhalten .
({1})
Ich hatte heute schon Angst, dass wir die soziale
Marktwirtschaft als Grundlage unseres Handelns verlassen .
({2})
Von Ideologie war die Rede . Für mich verhält es sich so:
Eigentum verpflichtet, ist aber auch zu schützen. Beides
gehört zusammen . Wir stehen sowohl auf der Seite der
kleinen Vermieter, der Vermieter, die mit ihrer Wohnimmobilie verantwortlich umgehen, als auch auf der Seite
des Deutschen Mieterbundes . Beide müssen zusammengeführt werden .
({3})
Das Beispiel, über das heute auch der Kollege Luczak
berichtet hat, nämlich dass Rentner und Rentnerinnen
ihre Wohnungen verlassen müssen, weil sie nicht in barrierefreien Wohnungen wohnen, und dass man deswegen
auch die 11 Prozent Modernisierungsumlage ermöglichen müsse, ist die eine Seite . Es ist richtig: Uns fehlen
in Deutschland über 2 Millionen barrierefreie Wohnungen . In diesem Umfang müssen in den nächsten Jahren
Wohnungen barrierefrei modernisiert werden .
Die andere Seite ist aber, dass Rentnerinnen und Rentner ausziehen müssen, weil modernisiert wurde . Und das
müssen wir verhindern .
({4})
Das müssen wir in Einklang bringen .
Wenn Sie den Wohngeldbericht der Bundesregierung
studieren, dann sehen Sie, dass von den Wohngeldempfängern und -empfängerinnen fast 50 Prozent Rentner
und Rentnerinnen sind . Es ist eine soziale Tat, dafür zu
sorgen, dass diese Menschen in ihrem Umfeld bleiben
können, dass sie ihre Nachbarschaften weiter nutzen
können, dass sie sich darauf verlassen können, eben nicht
vertrieben zu werden, weil Luxusmodernisierung stattfindet.
({5})
Wir haben vor zwei Jahren versucht, im Koalitionsvertrag die soziale Funktion des Mietrechts zu stärken .
Das ist durch das Mietrechtspaket I passiert . Es gibt sicherlich Dinge, die wir beobachten müssen, die wir evaluieren müssen . Der Mieterbund weist darauf hin, dass
nachfolgende Mieter häufig nicht wissen, wie hoch die
Miete vorher war, weil unter anderem kein Mietspiegel
vorhanden war, aber auch deshalb, weil der Vermieter
die Information nicht zur Verfügung stellt und der Mieter
erst sehr spät erfährt, ob unsere Gesetzgebung auch für
ihn dahin gehend greift, einen neuen Mietvertrag nur mit
einer Mietsteigerung von bis zu 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu unterschreiben .
Dieses zweite Mietrechtspaket, über das heute schon
mehrfach gesprochen wurde, ist unbedingt notwendig .
({6})
Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht passiert, dass
dann, wenn eine Investitionssumme von 20 000 Euro
in die Hand genommen wird, ein Mieter womöglich damit belastet werden kann, dass eine Mieterhöhung von
180 Euro pro Monat stattfindet, und das dauerhaft.
({7})
Das darf nicht passieren . Denn das führt natürlich dazu,
dass es zu finanziellen Überforderungen kommt und dass
der Mieter gegebenenfalls gezwungen wird, aus seiner
Wohnung auszuziehen .
Also, wir haben zwei Leitplanken gesetzt: das erste
Mietrechtspaket und das zweite .
Ich will nur noch darauf hinweisen - das wurde heute ja mehrfach angesprochen -, dass wir Wohnraum
schaffen müssen . Ja - unsere Ministerin hat das deutlich gemacht -, wir wollen unter anderem die soziale
Wohnraumförderung noch einmal ausbauen . Ich hoffe,
wir werden uns da einig . Sie hat den Vorschlag gemacht,
die Mittel auf 2 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen .
Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir gerade unter dem Blickwinkel, dass Menschen mit geringem
Einkommen auch in den Gebieten, in denen es teurer
wird, wohnen können müssen, mehr sozialen Wohnraum
schaffen . Wir müssen uns auch mit den Sozialbindungen
aus einandersetzen, wir brauchen dauerhafte Bindungen
bei den Wohnungen .
Vorhin - ich bin ja fast vom Stuhl gefallen - sagte
Kollege Ullrich, wir müssten über den Ausbau der Genossenschaften reden, wir müssten über Gemeinnützigkeit reden . Ja, tun wir das, machen wir das,
({8})
erreichen wir das noch in dieser Legislatur! Dann sind
wir auf einem sehr guten Weg .
Herzlichen Dank . Glück auf!
({9})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
schließe die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7263 und 18/5230 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen auch so beschlossen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt
zum Tagesordnungspunkt 6:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an
der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen
in Mali ({1}) auf Grundlage der
Resolutionen 2100 ({2}), 2164 ({3}) und
2227 ({4}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni
2014 und 29. Juni 2015
Drucksachen 18/7206, 18/7366
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/7389
Zu der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später
namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Aussprache hat Niels Annen von der SPD-Fraktion das
Wort .
({6})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine Kolleginnen
und Kollegen! Im Januar 2013, also vor gut drei Jahren,
konnte der Vorstoß islamistischer Milizen auf Bamako
nur durch das beherzte Eingreifen der französischen Armee gestoppt werden, und man konnte die damals besetzten Regionen im Norden des Landes und die Städte
Kidal, Gao und Timbuktu wieder befreien . Seitdem bemüht sich die internationale Gemeinschaft darum, die
Lage in dem Land wieder zu stabilisieren .
Es geht bei diesem Engagement um den Versöhnungsprozess in Mali, aber es geht dabei ebenso um
eine wirtschaftliche und eine politische Stabilisierung
der gesamten Sahelregion, durch die wichtige legale,
aber leider - wir wissen es alle - auch sehr viele illegale Handelsrouten führen, die von Menschen- und Drogenschmugglern ebenso genutzt werden wie von islamistischen Terroristen . Erst vor wenigen Tagen wurde
die bisher von uns als sicher betrachtete Hauptstadt von
Burkina Faso, Ouagadougou, Opfer eines schrecklichen
islamistischen Anschlages . Das zeigt, wie fragil die Lage
in der Region weiterhin ist .
Wenn deswegen, meine sehr verehrten Damen und
Herren, die Bundeswehr ihren bisher eher symbolischen
Beitrag für die UN-geführte MINUSMA-Operation jetzt
deutlich ausweitet, ist dies ein Engagement, das ein sehr
klares Zeichen setzen soll: Unser Nachbarkontinent
Afrika darf uns nicht egal sein, auch deswegen, weil wir
schmerzlich erfahren mussten, dass unsere Sicherheit
miteinander verbunden ist .
({0})
Dreh- und Angelpunkt unserer Bemühungen ist die
Friedensvereinbarung vom Juni 2015, die von der malischen Regierung und von verschiedenen Rebellenmilizen unterzeichnet wurde . So soll aus dem Norden, der
auch in den letzten Jahrzehnten immer vernachlässigt
worden ist, eine prosperierende Gegend werden; es soll
dort auch ein größerer Teil - bis zu einem Drittel - der
Steuereinnahmen investiert werden, und es soll eine Verfassungsreform in Mali geben . Wir wissen, dass nicht
alle Gruppierungen der Aufständischen diesen Friedensvertrag unterzeichnet haben . Auch deswegen brauchen
wir hier eine robuste Stabilisierung - ich sage das noch
einmal - auf Grundlage eines UN-Mandats .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wahr:
Der Norden ist unterfinanziert, die staatlichen Strukturen sind ausgesprochen schwach, es herrschen dort Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Korruption, auch der
Drogenhandel hat sich dort festsetzen können . Das trägt
zur Destabilisierung Malis bei . Aber wenn Sie sich einmal die Handelsrouten in der Sahelregion und durch die
Sahara anschauen, dann werden Sie sehr schnell erkennen können, welche strategische Bedeutung der Norden
Malis für die gesamte Region hat .
Die letzten Monate haben auch gezeigt - ich will
das an dieser Stelle nicht verschweigen, weil es für die
Debatte auch wichtig ist -, dass wir weiterhin Druck
nicht nur auf die Rebellen, die den Vertrag unterzeichnet haben, ausüben müssen, sich an das zu halten, was
sie unterzeichnet haben, sondern auch auf die Regierung
in Bamako; denn dort hat es so etwas wie ein Sicheinrichten in die Situation gegeben . Ich glaube, wir müssen
deutlich machen: Es gibt eine große Chance für Mali,
aber es gibt sie nur, wenn sich alle Seiten beteiligen .
Deswegen muss dieser Druck aufrechterhalten werden .
Der Versöhnungsprozess kann nicht nur auf dem Papier
stattfinden. Insofern glaube ich, dass die Angebote, die
wir mit dem unterbreiten, was hier zur Beschlussfassung
vorliegt, nämlich eine Ausweitung unseres Beitrags für
MINUSMA, aber eben auch die zivilen und politischen
Unterstützungsmaßnahmen, ganz entscheidend sind .
Denn Mali - auch das darf man nicht vergessen - ist
ein Land mit großem Potenzial, gerade im Bereich der
Landwirtschaft, das aber nicht ausreichend genutzt wird .
Auch im Bereich des Bildungssektors gibt es große Defizite. Ich könnte das fortsetzen. Deutsche Expertinnen
und Experten können und werden dort wichtige Arbeit
leisten, um Mali auf seinem Weg weiter zu begleiten .
Doch der Friedensprozess - ich habe das angedeutet - stockt auch deswegen, weil es in der Hauptstadt Bamako, in den dortigen politischen Vereinigungen, nicht
genügend Durchsetzungskraft gibt . Ich will das in einer
Zeit sagen, in der wir hier in Deutschland über die Neuregelung der Finanzierung zwischen Bund und Ländern
miteinander diskutieren . In einem Land, in dem etwa
90 Prozent der Bevölkerung im Süden leben, ist der Anreiz für die dortige Politik, ein Drittel der Steuereinnahmen im Norden auszugeben, natürlich nicht besonders
hoch . Deswegen müssen wir auch deutlich machen: Es
lohnt sich für diejenigen, die sich in Mali dafür einsetzen,
weil wir unterstützen werden .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
auch offen sagen: Wenn dieses Parlament der Ausweitung von MINUSMA zustimmt, wird die Bundeswehr
eine wichtige Arbeit im Bereich der Lagebilderstellung
sowie der Sicherung und des Schutzes der Bevölkerung
erledigen - in einer Gegend, die nicht ungefährlich ist .
Ich will es ausdrücklich ansprechen: Es ist ein gefährlicher Einsatz . Aber alle meine Gesprächspartner, sowohl
in Bamako als auch in Gao, haben sehr deutlich gemacht:
Der Vergleich mit Afghanistan - man hat von „Afghanistan 2 .0“ und anderen Dingen in der deutschen Presse ab
und zu lesen können - ist wirklich sehr weit hergeholt .
Man kann die Situation dort nicht mit der in anderen Ländern vergleichen .
({1})
Ich glaube, es ist sehr entscheidend, dass wir die Erfahrungen aus langjähriger politischer, entwicklungspolitischer Zusammenarbeit zwischen Mali und Deutschland
jetzt nutzen, um auch in Gao und in der Region, wo wir
uns stärker präsentieren werden, deutlich zu machen: Es
gibt eine unmittelbare Verbindung zwischen wirtschaftlichen Perspektiven für die örtliche Bevölkerung und dem,
was wir dort machen .
Ich glaube, dass es ein Einsatz ist, den man guten Gewissens unterstützen kann . Ich bitte Sie deswegen um
Zustimmung für das vorliegende Mandat .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Christine
Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während wir hier über das Mandat für den UN-Militäreinsatz
MINUSMA in Mali diskutieren, wohin Sie zusätzlich
500 Soldaten schicken wollen, findet in Eutin in Schleswig-Holstein eine Waffenschau statt .
({0})
Heer und Luftwaffe führen Waffen vor, die sie mit nach
Mali nehmen wollen - unter anderem Drohnen . Eine parlamentarische Debatte mit einer Waffenschau zu begleiten, das geht gar nicht .
({1})
Das offenbart auch Ihre Prioritäten . Was Sie, was die
Bundesregierung, was Frau von der Leyen hier in Szene
setzen möchten, ist: Sie wollen Deutschland wieder zu
einer Militärmacht machen; daher der wahnwitzige Aufrüstungsplan, innerhalb von 15 Jahren 130 Milliarden
Euro in militärische Aufrüstung zu stecken . Was Sie hier
betreiben, hat nichts mit Friedenssicherung oder Stabilisierung zu tun .
({2})
Sie reden davon, dass das Friedensabkommen von
Algier gerettet werden muss . Was Sie verschweigen, ist
nicht nur, dass das Abkommen stockt, sondern auch, dass
seit sechs Monaten, seit dem Abschluss des Abkommens,
keine der getroffenen Vereinbarungen umgesetzt wurde .
Stattdessen ist in den letzten drei Wochen die Gewalt in
Mali wieder eskaliert . Und Sie rechtfertigen den Bundeswehreinsatz damit, er solle den Frieden erhalten . Sie verschweigen, dass es diesen Frieden nicht gibt . Die Bundeswehr wird ihn auch nicht herstellen .
({3})
Um den Militäreinsatz zu rechtfertigen, präsentieren
Sie hier einen Konflikt zwischen Gut und Böse; aber
das ist viel zu einfach . Einige Beispiele: In der Nähe
von Timbuktu kamen vor zwei Wochen zwei malische
Soldaten bei einem Attentat von Dschihadisten um; malische Soldaten haben am selben Tag ein Lager von Tuareg-Nomaden überfallen und dort vier Zivilisten getötet . MINUSMA selbst hat zwei Berichte veröffentlicht,
wonach die malische Armee 2014 blindlings mit Artillerie auf die Tuareg-Stadt Kidal geschossen hat . In einem
anderen Fall haben regierungstreue Milizen 2015 in der
Region Gao sechs Menschen hingerichtet . Die Wahrheit
ist: Die Regierung in Bamako und ihre Armee sind selbst
Teil des Problems .
({4})
Was auffällt, Herr Gädechens, Herr Annen - der Punkt
ist klar -, ist, dass die Haltung der malischen Bevölkerung weder bei der CDU noch bei der SPD Berücksichtigung findet. Der Grund dafür ist ganz einfach: Viele Malier stehen den Truppen feindlich gegenüber und haben
jedes Vertrauen verloren .
({5})
Mali-Mètre - das ist der Titel einer Umfrage, die von der
Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wurde - ergab vor
einem halben Jahr folgendes Bild: Nur ein Drittel der
Malier glaubt, dass MINUSMA ihre Aufgabe zufriedenstellend oder einigermaßen umsetzt .
Die Hälfte der Befragten glaubt nicht, dass MINUSMA
sie schützt . Damals wurde das Friedensabkommen gerade unterzeichnet . Seitdem hat sich die Lage deutlich verschlechtert . Diesen Eindruck bestätigen mir auch meine
Gesprächspartner in Mali . Offensichtlich reden wir mit
unterschiedlichen Leuten, Niels Annen .
Mit der Ausweitung des deutschen Einsatzes auf Gao
besteht die Gefahr, dass die Bundeswehrpräsenz für
die Einwohner im Norden Malis immer weniger vom
Kampfeinsatz der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich
zu unterscheiden ist . Im Rahmen der Operation Barkhane führt die französische Armee abseits jeder Berichterstattung einen Antiterroreinsatz durch . MINUSMA und
Barkhane sind zwar voneinander getrennte Einsätze,
aber sie sind miteinander verbunden . Das uns vorliegende Mandat sieht für den Notfall sogar ausdrücklich
die Einsatzunterstützung für französische Kampftruppen
von Barkhane vor .
Wir, meine Damen und Herren, haben die Antiterroroperationen im Irak, in Afghanistan und anderswo abgelehnt . Wir lehnen eine solche Operation auch in Mali ab .
({6})
Die traurige Bilanz des Antiterrorkriegs in der Region,
aber auch in Mali gibt uns recht .
Frau von der Leyen wird in der Presse heute zitiert,
wir sollten mit Geduld an die neue Aufgabe dieses ausgeweiteten Einsatzes in Mali herangehen, er habe ja gerade erst begonnen, und verweist darauf, dass es eine der
gefährlichsten Missionen sei . Wir geben ihr an der Stelle recht . Aber wir sagen auch: Bitte ziehen Sie endlich
die Konsequenzen! Die Beteiligung an MINUSMA ist
falsch, sie löst keine Probleme in Mali, und sie setzt auf
lange Zeit Soldatinnen und Soldaten Gefahren aus, die
nicht kalkulierbar sind . Die Linke sagt geschlossen Nein
zu MINUSMA .
Wir sagen Ihnen auch: Hören Sie auf, Heerschauen
und Waffenspektakel zur Begleitung Ihrer Bundeswehreinsätze zu veranstalten!
({7})
Das ist bestenfalls geschmacklos .
({8})
Elisabeth Motschmann hat als nächste Rednerin das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte in meiner Rede auf zwei Punkte eingehen,
nämlich erstens: Warum wollen wir das Mandat in Mali
erweitern? Diese Frage ist im Außenverhältnis wichtig,
um es denen, die sich nicht täglich mit diesen Problemen
beschäftigen, zu erklären . Zweitens möchte ich mir erlauben, einmal auf die ethische Begründung für militärische Einsätze der Bundeswehr einzugehen .
({0})
- Genau das möchte ich auch zu Ihrer Unterrichtung tun,
lieber Herr Gehrcke . - Dahinter steht die Frage: Kann
man Frieden schaffen mit Waffen? Das haben Sie ja eben
verneint, Frau Buchholz .
({1})
Ich gehe aber zunächst kurz auf den ersten Punkt ein:
Die instabile Lage in Mali hat nicht nur Auswirkungen
auf die Region, sondern natürlich auch auf Europa; das
wissen wir inzwischen . Die Probleme in Mali sind unsere
Probleme; denn wenn sich Flüchtlinge aus Mali auf den
Weg nach Europa oder gar Deutschland machen, wissen
wir, was geschieht . Wenn es uns nicht gelingt, auch in
Afrika erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen - darauf ist vielfach hingewiesen worden -, werden wir in
Zukunft mit weiteren Fluchtbewegungen rechnen müssen .
Wenn wir Mali helfen und stabilisieren wollen, brauchen wir zwei Dinge: Wir brauchen Geduld, und wir
brauchen Vertrauen .
Warum brauchen wir Geduld? Im Rahmen der
MINUSMA-Mission haben die Soldaten der Vereinten
Nationen in Mali Rückschläge erfahren . Das wird auch
in Zukunft passieren . Das darf aber gar kein Anlass dafür
sein, dass wir an unseren Zielen, die der Kollege Annen
eben schon klar beschrieben hat, zweifeln . Ein Friedensprozess bzw . ein Versöhnungsprozess wie der in Mali
braucht also viel Zeit . Die Vereinten Nationen haben
schon erreicht, dass sich fast alle bewaffneten Gruppen
zu Verhandlungen zusammengesetzt und einen Friedensvertrag ausgehandelt und unterzeichnet haben . Der erreichte Waffenstillstand ist ein erster wichtiger Schritt in
diesem Versöhnungsprozess .
Warum brauchen wir Vertrauen? Uns ist durchaus bewusst, dass es sich bei dieser Mission um einen schwierigen Einsatz handelt; darauf ist hingewiesen worden .
Schon aus Solidarität mit den Vereinten Nationen, mit
Frankreich, mit den Niederlanden ist die Erweiterung
des Einsatzes für uns wichtig . Derzeit trägt Frankreich
die militärische Hauptlast in Mali; und wir sind einer der
engsten und wichtigsten Bündnispartner Frankreichs .
Das bestätigt eine Umfrage: 82 Prozent der Franzosen
bezeichnen Deutschland da als den vertrauenswürdigsten
Bündnispartner . Da ist das Vertrauen; und andere Länder
setzen ebenfalls auf uns .
Die MINUSMA-Mission dient nicht nur der Sicherheit und Stabilisierung des Landes, sondern auch - darauf
ist hingewiesen worden - dem Schutz von Zivilpersonen,
dem Schutz der Menschen . Noch immer tyrannisieren
Rebellen die Bewohner des Nordens, sie verfolgen sie,
sie töten sie auf grausame Weise .
Ich komme zum zweiten Punkt, der ethischen Begründung, die wir auch im Innenverhältnis brauchen . Jeder
Einsatz der Bundeswehr muss ja nicht nur politisch und
militärisch begründet werden, sondern wir müssen uns
auch immer wieder fragen: Sind diese Einsätze ethisch
verantwortbar? Die Bundeskanzlerin und der Außenminister haben niemals einen Zweifel daran gelassen, dass
militärische Einsätze immer nur die Ultima Ratio, das
letzte Mittel, sein können . Parallel müssen wir in politischen, diplomatischen Verhandlungen und Prozessen
nach Lösungen suchen . Und genau das geschieht ja auch .
Hier schließt sich aber die Frage an: Können wir nur
mit diplomatischen Prozessen Frieden schaffen? Da
sage ich ganz klar: leider nicht. Die ehemalige Bischöfin
Margot Käßmann vertritt ja die Ansicht - ich zitiere -:
Ich fände es gut, wenn die Bundesrepublik auf eine
Armee verzichten könnte …
({2})
Welch eine Illusion!
({3})
Vor dem Hintergrund dessen, was wir im Augenblick erleben, ist das hochgradig naiv und unverantwortbar, was
Margot Käßmann sagt .
({4})
Unverantwortlich ist auch, Frau Buchholz, wenn Sie von
einem „wahnwitzigen Aufrüstungsplan“ sprechen .
({5})
Wir müssen die Bundeswehr vernünftig ausstatten, wenn
wir sie in diese Einsätze schicken, und erst recht, wenn
wir sie in gefährliche Einsätze schicken .
({6})
Ganz anders sieht es übrigens der ehemalige
EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber . Dessen Zitat
geht mir immer wieder durch den Kopf, weil ich es wichtig für uns finde; wir müssen ja nachher eine blaue, rote
oder weiße Karte in die Urne werfen .
({7})
- Sie können die rote Karte nehmen, aber wir nehmen die
blaue . - Er sagt:
Für mich schließt das Gebot „Du sollst nicht töten“
auch das Gebot ein: „Du sollst nicht töten lassen“ .
Ich wiederhole noch einmal, was Huber sagt: Für mich
schließt das Gebot „Du sollst nicht töten“ das Gebot „Du
sollst nicht töten lassen“ ein .
Terroristen, ob in Syrien, dem Irak oder Mali, kann
man nicht mit Argumenten begegnen, liebe Frau
Buchholz .
({8})
Das müssten Sie auch schon einmal bemerkt haben . Wir
wollen die Menschen in Mali doch schützen und ihnen
die Chance auf ein friedliches Leben geben . In diesem
Fall müssen wir dies auch mit militärischen Mitteln tun;
denn ohne das Militär gibt es keine humanitäre Hilfe,
gibt es keinen Friedensprozess .
Die Präsidentin mahnt, deshalb schließe ich ab und
möchte den Linken noch ins Stammbuch schreiben, was
Rupert Neudeck, ein ausgewiesener Pazifist, erklärt hat Zitat -:
Ich möchte nicht Menschen sterben lassen nur wegen der Reinheit meiner Philosophie oder meines
Pazifismus.
Besser kann ich es nicht sagen, und das möchte ich Ihnen
ins Stammbuch schreiben .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Agnieszka
Brugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die
Menschen das Wort „Militäreinsatz“ hören, dann denken
aktuell viele an Syrien, an Afghanistan, an den Irak oder
an Libyen . Viel weniger im Licht der Aufmerksamkeit
stehen die Friedensmissionen der Vereinten Nationen eindeutig zu Unrecht . Denn im Rahmen dieser Einsätze
leisten zivile Expertinnen und Experten, Polizeiangehörige und natürlich vor allem Soldatinnen und Soldaten
Beachtliches, um in sehr schwierigen Situationen in den
Bürgerkriegsregionen und Krisenregionen dieser Welt
die Weichen für einen Weg hin zu weniger Gewalt und
zu Frieden und Sicherheit zu stellen .
Es gibt für diese Einsätze keine Erfolgsgarantie, und
es gibt in der Geschichte auch einige, die gescheitert
sind, aber eine Reihe von ihnen hat entscheidend dazu
beigetragen, dass Gewaltkonflikte ein Ende gefunden haben. Eine dieser Friedensmissionen findet seit ungefähr
drei Jahren in Mali statt . Es ist sicher zu früh, zu sagen,
dass sie ein Erfolg wird, aber man kann mit Sicherheit
getrost feststellen, dass sie einen sehr wichtigen Beitrag
zur Stabilisierung geleistet hat .
({0})
Der jahrzehntelange Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen im Süden und im Norden von Mali ist
2012 schrecklich eskaliert, und das hat dazu geführt, dass
eine unheilvolle Allianz aus Rebellenorganisationen, Unabhängigkeitsbewegungen, aber eben auch Kriminellen
und Islamisten eine Schreckensherrschaft im Norden von
Mali errichtet hat und dann versucht hat, auch den Süden zu erobern . Infolgedessen kam es zu einem Militärputsch in der Hauptstadt Bamako, der gleichzeitig auch
die Schwäche der staatlichen Institutionen und der malischen Sicherheitskräfte offenbart hat . Nur das Eingreifen
der Weltgemeinschaft, insbesondere der Franzosen, als
Reaktion auf den Hilferuf der malischen Regierung hat
das Schlimmste verhindert .
2012 war aber auch klar, dass der Weg hin zu dauerhaftem Frieden und zu dauerhafter Sicherheit ein sehr
langer und schwieriger, ein sehr brüchiger und gefährlicher Prozess sein würde . Um die Menschen in Mali dabei
zu unterstützen und zu begleiten, haben die Vereinten Nationen die Einrichtung der Friedensmission MINUSMA
beschlossen .
Heute, vier Jahre später, ist Mali an einer wichtigen
Weggabelung; denn die Zukunft Malis wird sich daran
entscheiden, ob die große Herausforderung gelingt, das
Friedensabkommen umzusetzen . Genau das ist die Aufgabe von MINUSMA . Die Mission fordert diesen Friedensprozess offensiv ein, sie mahnt ihn immer an . Das
war extrem wichtig; denn die Verhandlungen zwischen
den Konfliktparteien waren sehr schwierig und hätten nur
allzu leicht scheitern können . MINUSMA schafft aber
auch als unparteiliche Kraft Transparenz und benennt die
Verstöße gegen die Abmachungen ebenso wie die dafür
Verantwortlichen .
Dass Frau Buchholz uns vorhin Zahlen präsentieren
konnte, liegt daran, dass MINUSMA die Aufgaben erfüllt .
({1})
Die eben zitierte Umfrage kann man natürlich auch so
lesen - zu den Aufgaben von MINUSMA gehört ja auch
der Schutz der Zivilbevölkerung, die Stärkung der Menschenrechte und der staatlichen Institutionen -, dass sich
die Menschen mehr Schutz und mehr MINUSMA wünschen . Genau so habe ich auf vielen meiner Reisen die
meisten Gesprächspartner in Mali verstanden .
Damit diese Friedensmission diese Aufgaben erfüllen
kann - hier sind wir, glaube ich, an dem entscheidenden
Punkt -, muss sie personell und materiell gut aufgestellt
und ausgestattet sein . Dazu gehören Polizisten ebenso
wie die technischen Fähigkeiten, um die Einhaltung des
Friedensabkommens überwachen und Gefährdungen
frühzeitig feststellen zu können .
Einer der Gründe, warum die Friedensmissionen
der Vereinten Nationen ihre Ziele in der Vergangenheit
manchmal nicht oder nur teilweise erreichen konnten,
war - das formuliere ich jetzt einmal sehr freundlich und
diplomatisch - die Haltung der westlichen Staaten, die
zwar diese Einsätze im großen Maße finanzieren, sich
aber bei der Bereitstellung von Personal und Material
vornehmend zurückgehalten haben,
({2})
obwohl die Vereinten Nationen sie seit Jahren händeringend um Hilfe bitten, weil nur sie über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen . Nicht nur wir Grüne, sondern
auch viele hier im Parlament haben in den letzten Jahren
einen Kurswechsel angemahnt und deutlich gemacht,
dass wir auch bereit wären, größere und relevantere Beiträge für die Friedensmissionen der Vereinten Nationen
zu mandatieren .
({3})
Nachdem der bisherige deutsche Beitrag zu
MINUSMA eher symbolisch und bescheiden war und
teilweise nur auf dem Papier bestanden hat, hat die Bundesregierung mit dem neuen Mandat entschieden, gerade im Bereich Aufklärung einen substanziellen Beitrag
zu liefern: von 650 Soldatinnen und Soldaten bis hin zu
technischen Kapazitäten wie Aufklärungsdrohnen . Damit kommt die Regierung der Forderung aus dem Bundestag nach . Und das unterstützen wir ausdrücklich .
Meine Damen und Herren, man darf sich über die
Lage in Mali aber auch keine Illusionen machen . Der
Begriff „Friedensmission“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich gerade im Norden und in der Stadt
Gao um einen hochgefährlichen Einsatz handelt . Die Sicherheitslage ist fragil . Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen und Anschlägen, gerade auch auf die
Patrouillen und Camps von MINUSMA, weil einige wenige terroristische Gruppen bewusst den Friedensprozess
für die vielen Menschen in Mali zerstören wollen . Aber
genau das will MINUSMA verhindern .
Meine Damen und Herren, nicht nur die Sicherheitslage ist schwierig, Mali ist eines der ärmsten Länder der
Welt . Gleichzeitig habe ich auf meinen Reisen kaum ein
Land erlebt, in dem die Menschen trotz Armut und all
der Rückschläge so lebensfroh, stolz und zuversichtlich
in die Zukunft blicken und sie gestalten wollen . Das hat
mich immer wieder sehr berührt .
Es war eine große Herausforderung, das Friedensabkommen überhaupt auf den Weg zu bringen . Dabei hat
die Friedensmission der Vereinten Nationen einen unverzichtbaren und sehr wertvollen Beitrag geleistet .
({4})
Noch größer ist aber die Herausforderung, es zügig und
nachhaltig umzusetzen, damit Entwicklung, Frieden und
Sicherheit für die Menschen in Mali nicht nur ein Hoffnungsstreif am fernen Horizont sind, sondern endlich Realität werden können . Deshalb werden wir Grüne heute
dem Mandat zustimmen .
({5})
Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Lars Klingbeil
von der SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir entscheiden heute über die Verlängerung der Stabilisierungsmission in Mali . Seit Juni 2013 ist Deutschland
beteiligt, und wir wollen heute über ein Mandat abstimmen, das bis Ende Januar 2017 laufen wird .
Zu der bisherigen Mission mit bis zu 150 Soldaten
kommen jetzt 500 weitere Soldatinnen und Soldaten
dazu . Wir weiten diese Mission qualitativ aus . Nachdem
wir bisher in den Stäben, in Beratungs- und Führungsaufgaben aktiv waren, so kommen nun Aufklärung, Raumüberwachung und Objektschutz als Aufgaben dazu, die
von der Bundeswehr übernommen werden . Ja, liebe
Kolleginnen und Kollegen, wir übernehmen mehr Verantwortung in Mali .
Wenn man sich die Situation anguckt - der Kollege
Annen hat es vorhin beschrieben -, stellt man fest, dass
die Situation fragil ist . Wir bekommen das immer wieder
vor Augen geführt . Aber ich sage Ihnen: Wenn wir überzeugt sind, dass der Prozess, den die Vereinten Nationen
angestoßen haben, richtig ist, dann müssen wir diesen
Prozess als Deutscher Bundestag auch unterstützen .
({0})
Ich sage Ihnen: Dem Weg, dass die Vereinten Nationen versuchen, alle Akteure an einen Tisch zu holen,
dass man versucht, einen gemeinsamen Fahrplan zu entwickeln, dass man dann in einem Vertragstext festlegt,
was in Mali passieren soll, zum Beispiel die Entwicklung dezentraler politischer Strukturen, dass man die
entwicklungspolitische Komponente stärkt und zugleich
am Ende sagt, dass man, damit die entwicklungspolitischen, die ökonomischen und die zivilen Mittel auch alle
greifen können, auch Militär braucht, um einen Rahmen
zu schaffen, der das Ganze absichert, stimme ich hier im
Bundestag mit Überzeugung zu, weil ich ihn wirklich für
richtig halte .
({1})
Wir als SPD-Fraktion wollen - ich glaube, hier sind
mehrere Kollegen im Raum, die das unterstützen -, dass
der Friedensvertrag von Mai und Juni 2015 gelingt . Also
noch einmal: Wenn wir das, was die Vereinten Nationen
hier auf den Weg gebracht haben, als richtig empfinden,
dann können wir uns als Parlament hier nicht vor unserer
Verantwortung drücken, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Wir erweitern die Mission, und wir tun das auf Wunsch
der Vereinten Nationen, wir tun das auf Wunsch vieler
Akteure in Mali - die Regierung ist mit dabei -, und wir
tun das auch auf Wunsch unserer französischen Freunde. Die Debatte fing an nach den furchtbaren Anschlägen
in Paris, und ja, wir sind im Rahmen der europäischen
Solidarität aufgefordert, unsere Freunde in Frankreich zu
unterstützen .
Es ist aber auch in unserem Interesse, dass das Land
stabilisiert wird . Wir haben in den Reden bei der ersten
Lesung gehört, wie gefährlich die Situation vor Ort ist
und welche Auswirkungen das Ganze auf Europa haben
kann . Wir müssen den Aussöhnungsprozess unterstützen .
Niemand behauptet hier, dass das eine leichte Mission
wird . Nein, ich behaupte sogar das Gegenteil . Das wird
eine gefährliche Situation, aber ich sehe wenig Alternativen zu dem, was dort passiert .
Auch wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen, ist es wichtig, dass wir Mali stabilisieren und
den Menschen dort eine Perspektive geben . Wenn wir im
Mandatstext lesen, dass 80 Prozent der Binnenflüchtlinge
mittlerweile in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind, dann
ist das - das möchte ich jetzt nicht euphorisch beschreiben - ein kleiner Erfolg, der dort in Mali zu sehen ist . Wir
sollten diesen Weg weitergehen .
Die Linke verweise ich hinsichtlich ihrer Behauptung,
es sei eine rein militärische Strategie oder militärische
Mission, auf den Mandatstext und möchte Ihnen nur einiAgnieszka Brugger
ge Beispiele nennen: Wir haben Ausbildungsmissionen,
die wir unterstützen .
({2})
Wir unterstützen den Aufbau ziviler Sicherheitsstrukturen . Wir stellen Mittel für die Krisenprävention bereit .
Es sind Nahrungsmittelhilfe, die Unterstützung der
Binnenflüchtlinge, die finanzielle Unterstützung des
Aussöhnungsprozesses, der Aufbau der Landwirtschaft,
die Dezentralisierung der Regierungsstrukturen und die
Wasserversorgung vorgesehen . Überall hier ist Deutschland engagiert . Dafür ein großer Dank auch an unseren
Außenminister Frank Steinmeier, der das Ganze vorangetrieben hat .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser zivilen und entwicklungspolitischen Maßnahmen entscheiden wir hier heute über den drittgrößten Auslandseinsatz
der Bundeswehr . Nach der Afghanistan-Mission und
dem Einsatz auf dem Balkan ist das die drittgrößte Mission, und in einer Stunde wie der heutigen, in der wir
entscheiden, sollten wir an diejenigen denken, die wir in
diese Auslandseinsätze schicken, die Verantwortung für
uns übernehmen, aber auch an deren Familien . Ich will
hier noch einmal betonen, dass wir als Parlament wirklich eine große Verantwortung sowohl bei der Ausbildung, in der Mission selbst, aber auch bei der Nachbereitung tragen . Ich bin dem Wehrbeauftragten sehr dankbar,
dass er in dieser Woche den Finger deutlich in die Wunde
gelegt hat und klargemacht hat, wo noch Mangel in der
Bundeswehr besteht und worin unsere Verantwortung als
Parlament besteht . Die Ministerin hat das auch deutlich
gemacht . Ich wünsche ihr jetzt viel Erfolg bei den Verhandlungen mit dem Finanzminister, weil ich in der Tat
glaube: Wir brauchen eine gut ausgestattete Bundeswehr .
Das ist die Verantwortung, die wir als Parlament tragen .
Ich selbst habe in der letzten Woche in meinem Wahlkreis in Munster mit dem Deutschen BundeswehrVerband eine Veranstaltung zum Weißbuch gemacht . Man
sieht: Es gibt dort bei den Soldatinnen und Soldaten ein
Verantwortungsbewusstsein . Sie wissen, dass in instabilen Zeiten ihr Einsatz gefordert ist . Sie erwarten aber,
dass wir als Parlament vernünftig mit ihnen umgehen,
und sie erwarten, dass wir sie bestmöglich ausstatten . Ich
will betonen: Das ist eine Verantwortung, die wir als Parlament tragen . Ich hoffe, dass wir dieser Verantwortung
im Jahr 2016 gebührend nachkommen .
Wir als SPD-Fraktion werden heute mit großer Mehrheit zustimmen, und ich wünsche mir, dass dies auch viele andere Kolleginnen und Kollegen im Parlament tun .
Herzlichen Dank .
({4})
Nächste Rednerin in der Debatte ist die Abgeordnete
Julia Obermeier, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mali ist sowohl ein wichtiges Transitland als
auch ein Herkunftsland von Migranten . Im Norden des
Landes beginnt eine der drei Hauptrouten für den gesamten afrikanischen Menschen-, Waffen- und Drogenschmuggel . Diese Route durch die Sahara ist für viele,
die sich nach Europa aufmachen, ein tödlicher Pfad .
Sandstürme, große Hitze, Landminen, Überfälle, Vergewaltigungen sowie lebensbedrohlicher Hunger und
Durst - Abertausende machen sich trotzdem, eingepfercht im Laderaum klappriger Transporter, auf den
Weg, und viele bezahlen das mit ihrem Leben . Somit
macht es einen Unterschied, ob der Zugang zur Sahara
von zumindest halbwegs funktionierenden staatlichen
Strukturen kontrolliert wird oder ob hier Warlords, Terroristen und Schleusern Tür und Tor geöffnet ist . Diesen
Unterschied spüren wir auch in Europa und in Deutschland . Aber es macht vor allem für die Menschen in Mali
einen Unterschied, wie es um ihre Sicherheit bestellt ist .
Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt . Auf dem
Human Development Index liegt es auf Platz 176 von
187 . Fast 2 Millionen der 16 Millionen Einwohner sind
mangelernährt . Die dramatische Situation im Land wurde
2012 verschärft durch die Tuareg-Rebellion im Norden
und den islamistischen Extremismus . Ein Militärputsch
hat die Lage weiter verschärft .
Wir sind dankbar für das rasche Eingreifen unserer französischen Partner, die Schlimmeres verhindern
konnten . Mittlerweile konnte infolge eines Dialog- und
Versöhnungsprozesses mit den nichtterroristischen
Gruppen ein Friedensabkommen unterzeichnet werden .
Das Abkommen von Algier ist zweifelsohne ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung . Allerdings müssen
wir weiterhin um dessen Umsetzung ringen . Nur dieser
politische Prozess und die Schaffung von Vertrauen in
die malische Regierung können die Lage in Mali stabilisieren und die Situation der Bevölkerung nachhaltig
verbessern .
({0})
Denn die Not treibt die Menschen in die Fänge der
Dschihadisten und bringt mehr Terror und Gewalt in das
Land . Doch ohne Sicherheit wird es auch keine wirtschaftliche Entwicklung geben .
Um mehr Sicherheit zu schaffen, engagiert sich
Deutschland nicht nur diplomatisch im Friedensprozess .
Wir verfolgen auch hier einen vernetzten Ansatz, der neben der Diplomatie auch die Entwicklungszusammenarbeit und die Sicherheitspolitik umfasst . Deutschland ist
der viertgrößte Geldgeber für die Entwicklungszusammenarbeit mit Mali . Dabei fördern wir vor Ort nicht nur
Dezentralisierung und gute Regierungsführung, sondern
wir helfen vor allem den Menschen: durch die BereitLars Klingbeil
stellung von Nahrungsmitteln, durch eine bessere Trinkwasserversorgung und durch Bewässerungsprojekte, die
die Erträge der Landwirtschaft steigern . Auch wird die
Rückkehrersituation nach Nordmali verbessert .
Aber, meine Damen und Herren, all diese Hilfe kann
nur ankommen, wenn die Sicherheit vor Ort gewährleistet ist . Deshalb beteiligt sich Deutschland an mehreren
Missionen der internationalen Gemeinschaft: an der
europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali, bei der
Deutschland gerade die Führungsverantwortung trägt,
an der Polizeimission EUCAP Sahel Mali sowie an der
VN-geführten Mission MINUSMA, über deren Ausweitung wir heute abstimmen werden .
MINUSMA ist eine große Mission mit 11 000 Soldatinnen und Soldaten, die den Waffenstillstand überwachen sowie Frieden und Aussöhnung unterstützen .
Das stärkere Engagement der Bundeswehr setzt genau
dort an, wo spezielle Fähigkeiten dringend benötigt werden: beim Lufttransport und bei der Luftbetankung, in
den Führungsstäben sowie bei der Aufklärung . Wir werden mit LUNA-Aufklärungsdrohnen im Einsatz sein und
ab Herbst voraussichtlich auch mit der Heron 1 . Die hohe
Zahl von 650 Soldatinnen und Soldaten ist notwendig für
ihren eigenen Schutz, der uns ganz besonders am Herzen
liegt .
({1})
Meine Damen und Herren, der Einsatz in Mali ist zwar
gefährlich, aber auch besonders wichtig . Mali ist von
strategischer Bedeutung für die Migrationsbewegungen
und die Schleuserkriminalität in Afrika .
({2})
Die Sicherheitslage in Mali ist instabil . Durch unseren
Einsatz wollen wir den Menschen in Mali Frieden und
Sicherheit in ihrer Heimat ermöglichen . Daher bitte ich
Sie um Zustimmung zu diesem Mandat .
Vielen Dank .
({3})
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Michael Vietz, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Republik Mali steht weiterhin vor einer Herkulesaufgabe . Sicherheit, Stabilität,
Frieden - leicht gesagt, schwer getan . Radikale Gruppierungen versuchen immer wieder, den Friedensprozess
durch heimtückische Anschläge zum Scheitern zu bringen . Eine politische Lösung benötigt aber ein stabiles
Umfeld . Mali ist auf seinem langen und mühsamen Weg
zu Sicherheit, Stabilität und Frieden weiterhin auf Unterstützung angewiesen; auch in Afrika gibt es nicht einen
Schalter, den man nur umlegen muss . Bei dieser Herausforderung stehen wir dem Land zuverlässig zur Seite .
Wir setzen im Rahmen der Mission auf eine starke und
abgestimmte Zusammenarbeit zwischen militärischen,
polizeilichen und zivilen Komponenten . Dieser vernetzte
Ansatz ist in meinen Augen ein wichtiges Kennzeichnen
unserer Außenpolitik .
Wir werden mit dem heutigen Beschluss unsere
Kräfte im Rahmen der Multidimensionalen Integrierten
Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen, kurz:
MINUSMA, erheblich aufstocken . Mit den Fähigkeiten,
die wir zur Verfügung stellen, werden wir unserer Verantwortung gerecht . Warum? Weil wir es leisten können und
weil Zuschauen definitiv keine Option ist.
Zur Fortführung unseres militärischen Beitrags soll
der Einsatz auf maximal 650 deutsche Soldaten erweitert werden . Schwerpunkte sind die Sicherung des Friedenprozesses und die Stabilisierung Malis . Die Eindämmung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und
Verarmung in der Sahelzone liegt in unserem Interesse;
einige meiner Vorredner haben darauf hingewiesen . Tag
für Tag erfahren wir erneut, dass Terror und Krise nicht
lokal bleiben, sondern irgendwann den Rest der Welt erreichen . Daher legt Deutschland gerade hier nach: Wir
stellen den malischen Kräften unsere Polizisten zur Seite .
Gemeinsam werden Kapazitäten und Strukturen aufgebaut, die organisierte Kriminalität und Terrorismus bekämpfen .
Mit der internationalen Gemeinschaft leisten wir im
Rahmen von MINUSMA einen substanziellen Beitrag
zur Bewältigung des Konflikts in Mali. Neben unserer
Beteiligung an der europäischen Ausbildungsmission
EUTM Mali unterstützen wir den Dialog und Versöhnungsprozess . Der Wiederaufbau, die Versöhnung und
die Festigung von Sicherheitsstrukturen im Norden sind
ausschlaggebend, um Perspektiven für die vielen Binnenflüchtlinge zu schaffen.
Wir unterstützen unsere Partner, vor allem Frankreich,
weiterhin durch die Bereitstellung von Lufttransport und
Luftbetankung . Hinzu kommen nun Objektschutz, Aufklärung, Logistik sowie Sanitäts- und Stabskräfte . Mit
dem neuen Mandat entlasten und ergänzen wir nunmehr
auch unsere niederländischen Nachbarn . Das ist insgesamt ein gutes Zeichen für die deutsch-niederländische
Kooperation im Speziellen und für die europäische Zusammenarbeit im Allgemeinen .
({0})
Das unterzeichnete Friedensabkommen zwischen den
Konfliktparteien legte das Fundament für eine dauerhafte
Stabilisierung des Landes . Darauf aufbauend müssen wir
gerade im Norden die Umsetzung des Abkommens weiter vorantreiben .
Seit Beginn der internationalen Mission - auch darauf wurde schon hingewiesen - hat sich die humanitäre
Lage verbessert . Der Zugang zu humanitären Hilfen und
Entwicklungszusammenarbeit ist aber noch nicht für alle
Regionen sichergestellt .
Unsere weitere und erweiterte Beteiligung an
MINUSMA ist richtig und wichtig . Wir senden damit
weiterhin ein starkes Signal an unsere Partner auf dem
afrikanischen Kontinent . Die bisher erreichten Fortschritte im Versöhnungsprozess sind zu teuer bezahlt, als
dass wir sie nun aufs Spiel setzen dürften .
Ohne Frage ist dieser Einsatz unter UN-Flagge einer
der gefährlichsten . Ich habe großen Respekt vor dem,
was unsere Einsatzkräfte leisten . Ihnen gebührt Dank
und Anerkennung .
({1})
MINUSMA ist und bleibt ein wichtiger Baustein für
einen dauerhaften Frieden in Mali . Wir sind bereit, diesen Weg weiterzugehen, damit das Land seiner Bevölkerung eine Perspektive in Sicherheit, Frieden und Freiheit
bieten kann . Ich bitte dieses Hohe Haus, die Menschen in
der Region nicht alleinzulassen . Die Unionsfraktion wird
diesem Antrag der Bundesregierung zustimmen . Ich bitte
die restlichen Fraktionen, vor allem eine, diesem Vorbild
zu folgen .
Vielen Dank .
({2})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite-
rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungs-
mission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/7366, den Antrag der Bundesregie-
rung auf Drucksache 18/7206 anzunehmen . Wir stimmen
über die Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich möch-
te bereits jetzt darauf hinweisen, dass wir zum nachfol-
genden Tagesordnungspunkt 8 in circa 45 Minuten eine
weitere namentliche Abstimmung durchführen werden .
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Ich bitte die
eingeteilten Schriftführer, sich zu den Urnen zu bege-
ben . - Die Abstimmung ist eröffnet .
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall .
Dann schließe ich die Abstimmung . Das Ergebnis wird
später bekannt gegeben .1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7376 . Wer stimmt für den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der
Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD und der Fraktion Die Linke abgelehnt bei
Zustimmung durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
1) Ergebnis Seite 14936 C
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der
irakischen Streitkräfte
Drucksachen 18/7207, 18/7367
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 18/7390
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat das
Wort Dr . Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion .
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Situation im Irak ist in den letzten Wochen im Gegensatz zu anderen Schauplätzen im Nahen
und Mittleren Osten in der Berichterstattung, in der Aufmerksamkeit etwas in den Hintergrund getreten . Dennoch, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns mit der
Situation, mit dem Land, mit den Verhältnissen in der
Region insgesamt befassen; denn genau dort wird über
die Existenz, über die Stärken und Schwächen des „Islamischen Staates“ mit entschieden werden . Der IS ist
im Irak entstanden . Er hat dort seine historische Genese .
Er ist dort weiterhin ein Sammelbecken für sunnitische
Kämpfer, für alte Gruppen des Baath-Regimes, aber eben
auch immer wieder für Kämpfer aus Europa und leider
eben auch aus Deutschland . Aus dieser Situation heraus,
aus einer sehr breiten Betrachtung haben wir große Verantwortung im Hinblick auf den Irak .
({0})
Ich glaube, wir alle hier sind der gleichen Meinung das erhoffe ich mir zumindest -, dass allein eine militärische Antwort für die Bewältigung dieser Herausforderung nicht genügt . Dennoch sind die territoriale
Zurückdrängung und insbesondere die Begrenzung der
Ressourcen für den IS ein wesentlicher Bestandteil, um
die Situation dort zu ändern und dafür zu sorgen, dass
der Irak und auch die gesamte Region eine Zukunft ohne
Krieg, ohne eine militärische Auseinandersetzung haben
und dass dort wieder Frieden einkehrt .
({1})
Es ist richtig gewesen, dass Deutschland mit Ausbildung und mit Material dort hilft; denn es sind insbesondere - darüber bestand Einigkeit, als wir über das
Syrien-Mandat gesprochen haben; ich glaube, darüber
besteht auch weiterhin Einigkeit - die kurdischen Kräfte
und die Peschmerga, aber auch - das sage ich klar - die
PYD und in anderen Situationen an anderer Stelle andere kurdische Kräfte, die den IS massiv bekämpft haben .
Aber politisch - es ist wichtig, auch dies in dieser Debatte zu betonen - ist es richtig gewesen, dass sich die Bundesregierung auf diese Region konzentriert hat . Sie hat
klargemacht, dass wir am Einheitsstaat Irak ein großes
Interesse haben und dass diese Hilfen nur mit Zustimmung der irakischen Regierung geleistet werden . Über
Bagdad wollen wir mit anderen europäischen Partnern
eine Ausbildungs- und Sicherheitssituation herbeiführen,
die das Überleben in dieser Region erst möglich macht .
Es kommt also darauf an, mit der Regierung in Bagdad, mit den europäischen Partnern und - das ist immer
der dritte Bestandteil dieses Mandats gewesen - in Tranchen vorzugehen . Wir haben immer wieder überprüft und
uns auch rückversichert: Was passiert mit den Dingen,
die wir geliefert haben? Denn es geht ja nicht nur um
Waffen und Ausbildung, sondern auch um Sanitätsmaterial und Schutzausrüstung; auch dies sind Bestandteile des Mandats . Es geht also um militärische Teile, aber
sehr stark auch um die zivile Komponente .
Ich glaube, darüber müssen wir öffentlich diskutieren .
Wir sind, weil der Deutsche Bundestag dieses Mandat
erteilt, dazu berechtigt, in diesem Zusammenhang auch
kritische Fragen zu stellen . Das hat gestern in der Fragestunde, aber auch in der Berichterstattung der letzten
Wochen eine Rolle gespielt, als es darum ging, wie kurdische Kräfte in den Dörfern, die befreit wurden, vorgegangen sind. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung
mit den Partnern im Nordirak und mit der Regierung in
Erbil nicht nur darüber spricht, sondern dass auch die
Verantwortung von Erbil deutlich gemacht wird . Wir alle
haben die Briefe der Vertretung der Kurden im Nordirak
bekommen, in denen klargemacht wurde, dass sie diesen
Dingen nachgehen will . Das muss getan werden .
Ich glaube, es ist eine sehr unübersichtliche Situation . Aber entscheidend wird sein, dass es keinen weiteren
Konflikt im Irak gibt; ich habe eben über den „Islamischen Staat“ gesprochen . Es darf nicht erneut zu einem
Konflikt zwischen Kämpfern der kurdischen Streitkräfte
und möglicherweise arabischen Streitkräften oder solchen der irakischen Armee kommen . Es gibt schon genügend Konflikte. Deswegen sind wir angehalten, über
die kritischen Fragen mit den Verantwortlichen in Erbil
zu diskutieren .
Genauso verhält es sich bezüglich der offensichtlich
geringen Zahl unerlaubter Waffenverkäufe, die in den
vergangenen Tagen Aufmerksamkeit bekommen hat . Ich
unterstütze das, was die Bundesregierung bzw . der Außenminister gesagt und getan haben . Der Außenminister
hat nämlich einen Vertreter der Regierung in Erbil ins
Auswärtige Amt einbestellt und um Aufklärung gebeten .
Wir bitten Sie, Herr Bundesaußenminister, die entsprechenden Erkenntnisse mit dem Deutschen Bundestag zu
teilen .
Gerade weil die Bundesregierung die Risiken dieses
Mandats im letzten Jahr nicht verschwiegen hat - wir
wussten um die Risiken -, ist es ein Abwägungsprozess gewesen, und es ist richtig, dass nach diesem Abwägungsprozess, bei dem es um die Vor- und Nachteile
der Situation im Irak selbst, aber auch um die Bekämpfung des „Islamischen Staates“ ging, heute die Mehrheit
meiner Fraktion genau wie die Bundesregierung zu der
Überzeugung gekommen ist, der Verlängerung dieses
Mandats zuzustimmen . Es ist verantwortbar, und es ist
verfassungsrechtlich und völkerrechtlich abgefedert . Ich
glaube, auch die internationale Gemeinschaft hat ein großes Interesse daran, dass Deutschland an dieser Komponente mitwirkt .
({2})
Wenn wir über dieses Mandat diskutieren, finde ich,
gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu, auch darauf hinzuweisen, dass unser Engagement weit darüber hinausgeht . Es beinhaltet nämlich einen politischen und einen
humanitären Ansatz . Wenn wir in Deutschland und Europa über die Flüchtlingssituation sprechen, sollten wir uns
vor Augen führen: 1 Million Flüchtlinge sind im Nordirak in Flüchtlingslagern, Dörfern und Städten untergekommen, und das bei einer Gesamtbevölkerungszahl von
5,4 Millionen Menschen, die im Nordirak leben . Was das
für dieses Land bedeutet, kann sich jeder von uns ausmalen, weil wir eine solche Situation mittlerweile auch in
Deutschland kennen .
Es ist richtig gewesen, mit diesem Mandat politisch
und humanitär zu verknüpfen, dass wir mit deutscher Finanzhilfe den UNHCR, das Rote Kreuz, aber auch den
Roten Halbmond - wir verschließen nicht die Augen
vor den Problemen - in die Lage versetzen, der dortigen
Administration dabei unter die Arme zu greifen, mit der
Flüchtlingssituation im Nordirak umzugehen . Deswegen
bin ich dankbar, dass der Deutsche Bundestag beschlossen hat, dass Deutschland im Hinblick auf den Nordirak
der drittgrößte Geber bilateraler Hilfe ist, und zwar mit
den Schwerpunkten Ernährung, Wasser, Winterhilfe und
Gesundheit .
Dabei - dieser Punkt gehört genauso zur Debatte wollen wir uns auf die Gebiete konzentrieren, die vom IS
befreit sind; denn Voraussetzung dafür, dass der IS nicht
zurückkehrt, ist, dass die Bevölkerung von einer indirekten Unterstützung des IS ablässt . Deswegen ist es richtig,
dass im Jahr 2016 das Außenministerium 5 Millionen
Euro und das BMZ 10 Millionen Euro für die Unterstützung in die Hand genommen haben . Dennoch könnte
ich mir vorstellen, dass das BMZ aufgrund der Situation
noch mehr Geld in die Hand nimmt; denn es ist politisch
entscheidend, dies zu tun .
({3})
Weil wir ein Interesse an der Verbesserung der Situation haben, müssen wir auch über die politischen Verhältnisse im Irak insgesamt sprechen . Wir machen uns Sorgen über das Verhältnis der unterschiedlichen politischen
Gruppierungen im Nordirak zueinander . Das diskutieren
wir nicht nur in Deutschland, sondern auch an anderer
Stelle . Natürlich geht es auch um die Legitimation der
nordirakischen Führung. Ich finde, das gehört zu einer
ehrlichen Debatte . Die Situation in der Hauptstadt Bagdad bietet keine Aussicht darauf, dass diese Gruppen in
den nächsten Wochen und Monaten endlich wieder zusammenkommen . Obwohl Ministerpräsident al-Abadi
alles unternimmt, mehr Gruppen in seine Regierung aufzunehmen, ist es nicht gelungen, diese Spaltungen entlang ethnischer und konfessioneller Grenzen, die sich im
Parlament und in der Regierung zeigen, zu überwinden .
Gleichwohl - das ist mein Eindruck, und ich hoffe, die
Bundesregierung sieht das ebenso - wollen die Menschen diesen Spaltpilz im Irak nicht mehr . Auch dafür
müssen wir politisch eintreten, und auch das ist indirekt
mit diesem Mandat verbunden, meine Damen und Herren .
({4})
Ich sage es sehr deutlich: Den politischen Verhältnissen in Bagdad muss Aufmerksamkeit geschenkt werden,
umso mehr, weil wir immer noch damit konfrontiert sind,
dass die dortigen Streitkräfte sehr korrumpierbar sind
und viel stärker an einem solchen Zuwachs interessiert
sind als an einem Macht- oder Sicherheitszuwachs . Deswegen lautet mein Appell: Ja, wir sollten die irakischen
Streitkräfte ausbilden und in die Lage versetzen, den einheitlichen Irak abzubilden . Ich warne aber davor, über
weitergehende Material- und insbesondere Militärhilfe
bereits jetzt zu entscheiden . Das wäre zu früh .
Die Situation in Syrien hat gezeigt, dass es auswärtige
Mächte wie Saudi-Arabien oder auch der Iran sind, die
dieses gebeutelte Land in den vergangenen Jahren immer
wieder belastet und leider wenig dazu beigetragen haben,
dass eine Versöhnung möglich ist. Ich finde, umso mehr
muss der Westen, muss auch Deutschland daran arbeiten,
dass sich eine junge zukunftsversprechende Generation
herausbildet, die in Zukunft politische Verantwortung
übernimmt und sich von den alten Traditionen des Konflikts entfernt.
Ich glaube, die Situation im Irak geht uns etwas an .
Wir müssen die Entwicklung aufmerksam verfolgen . Ich
sage aber auch ganz offen, dass das noch lange Zeit dauern wird und wir an dieser Stelle wahrscheinlich noch
öfter über den Irak sprechen müssen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({5})
Ich verlese das Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der
namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der
Bundesregierung „Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der
Vereinten Nationen in Mali ({0}) auf Grundlage
der Resolutionen 2100 ({1}), 2164 ({2}) und 2227
({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25 . April 2013, 25 . Juni 2014 und 29 . Juni 2015“, Drucksachen 18/7206 und 18/7366: abgegebene Stimmen 574 .
Mit Ja haben gestimmt 502, mit Nein haben gestimmt 66,
enthalten haben sich 6 Kolleginnen oder Kollegen . Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 575;
davon
ja: 503
nein: 66
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({4})
Veronika Bellmann
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({5})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({6})
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({7})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({8})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({9})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Dr . Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Carsten Müller ({10})
Stefan Müller ({11})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({12})
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({13})
Gabriele Schmidt ({14})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({15})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({16})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({17})
Christina Schwarzer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({18})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({19})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({20})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({21})
Sabine Weiss ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({23})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G . Wöhrl
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({24})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({25})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({26})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({27})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({28})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir ({29})
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({30})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({31})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({32})
Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({33})
Matthias Schmidt ({34})
Dagmar Schmidt ({35})
Carsten Schneider ({36})
Elfi Scho-Antwerpes
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({37})
Volker Beck ({38})
Dr . Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Oliver Krischer
Stephan Kühn ({39})
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({40})
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms
Nein
SPD
Ulrike Bahr
Dr . Ute Finckh-Krämer
Wolfgang Gunkel
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Christian Petry
Waltraud Wolff
({41})
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({42})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold
({43})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({44})
Enthalten
SPD
Marco Bülow
Petra Hinz ({45})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele
Nächster Redner in unserer Debatte ist Jan van Aken,
Fraktion Die Linke .
({46})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Mützenich, vielen Dank für diese Rede . Ich glaube,
besser als Sie hätte ich gar nicht begründen können, warum es falsch ist, jetzt 150 Soldatinnen und Soldaten in
den Nordirak zu schicken, um dort kurdische Peschmerga auszubilden .
({0})
Ich meine das ganz im Ernst und komme gleich noch darauf zurück .
Es gibt zwei sehr gute Gründe, diesen Einsatz abzulehnen: Erstens treiben Sie die Spaltung des Irak mit diesem Militäreinsatz weiter voran . Zweitens ist das Risiko,
wie Sie ja auch gesagt haben, sehr hoch, dass die von
Ihnen ausgebildeten Peschmerga für ganz und gar unschöne Dinge eingesetzt werden .
Ich fange mit dem ersten Punkt an . Ja, ich bin mir
sicher: Mit jeder Stärkung der kurdischen Regionalregierung droht der Irak weiter zu zerfallen . Das würde
wiederum die Daesh-Terroristen noch stärker machen .
Deshalb ist der Einsatz nicht nur falsch, sondern auch
richtiggehend gefährlich, und ich finde, Sie haben das
hervorragend hergeleitet .
Daesh ist der sogenannte „Islamische Staat“ . Wir
alle wissen, warum Daesh in den letzten Jahren im Irak
so stark werden konnte . - Hören Sie sich das an, Herr
Mützenich! - Sie konnten dort nur deswegen so stark
werden, weil die sunnitischen Moslems über Jahre von
der Zentralregierung in Bagdad komplett ausgegrenzt
worden sind . Alle lukrativen Posten und all das gute
Ölgeld gingen an die Schiiten und zum Teil auch an die
Kurden . Die sunnitischen Regionen waren davon aber
vollkommen ausgeschlossen. Alle einflussreichen Posten waren für Sunniten blockiert . Die Sunniten waren die
Verlierer in dem neuen Irak nach der amerikanischen Invasion . Das ist der Ursprung der Stärke von Daesh .
({1})
Es entstand dort natürlich ein extremer Hass bei den
Sunniten, den wir beide in der Region auch erlebt haben,
und das ist doch der Nährboden, auf dem Daesh jetzt so
groß werden konnte . Darum gibt es in der sunnitischen
Bevölkerung heute eine derart breite Unterstützung für
diese Terrormiliz .
An einem Punkt sind wir alle uns einig: Sie werden
Daesh im Irak nur bekämpfen können, wenn es wieder
eine inklusive, ausgewogene und faire Zentralregierung
in Bagdad gibt, in der alle Bevölkerungsgruppen - die
Sunniten, die Schiiten und die Kurden - gleichberechtigt
vertreten sind .
Sie machen mit dem Militäreinsatz jetzt genau das
Gegenteil und greifen sich die eine Kraft im Irak he raus,
die im Moment am lautesten sagt: Wir wollen uns abspalten . - Ihr Partner, der Präsident der nordirakischen
Autonomieregion, Massud Barzani, sagt doch ganz klar,
dass er die Abspaltung und einen eigenen Nationalstaat
möchte .
Hier entsteht jetzt Ihr Problem; denn Massud Barzani
hat heute schon die wirtschaftlichen und auch die kulturellen Voraussetzungen für die Abspaltung . Das Einzige,
was ihm noch fehlt, ist die militärische Stärke, und diese
liefern Sie ihm jetzt frei Haus . Sie liefern die Waffen und
bilden seine Leute aus . Damit machen Sie einen katastrophalen Fehler .
Herr Mützenich, Sie selbst haben gerade gesagt, dass
wir alle hier ein großes Interesse an der Einheitsregierung haben . Wir haben hier den klassischen Fall, dass Sie
politisch das Richtige wollen, nämlich die Einheitsregierung - dafür tun Sie auf der politischen und der diplomatischen Ebene auch viel -, während Sie Ihre politischen
Ziele durch die Militäraktion ganz praktisch unterminieren . Dieser Militäreinsatz macht alles kaputt, was Sie politisch vorhaben und wollen . Deswegen ist das ein Riesenfehler . Lassen Sie die Finger davon .
({2})
Ich komme zum zweiten Problem . Weiß irgendwer
hier im Raum, wen genau Sie dort ausbilden? Wissen Sie
eigentlich, wo, von wem und wofür diese Peschmerga
eingesetzt werden? Auch das haben Sie wunderbar gesagt. Es gibt gerade Konflikte zwischen den beiden großen kurdischen Parteien im Nordirak . Sie waren vor wenigen Jahren schon einmal in einen blutigen Bürgerkrieg
verwickelt . Das eskaliert gerade wieder .
Können Sie ausschließen, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga in einem neuen Bürgerkrieg wieder
eingesetzt werden? Können Sie ausschließen, dass die
von Ihnen ausgebildeten Peschmerga schon heute zur
Repression im Inneren von Barzani eingesetzt werden?
Können Sie ausschließen, dass sie bei der Folterung von
Journalisten eingesetzt werden? Sie wissen doch genauso
gut wie ich, dass die Menschenrechtsbilanz von Massud
Barzani sehr düster ist . Können Sie eigentlich ausschließen, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga im
Moment bei Kirkuk eingesetzt werden? Kirkuk ist die
Stadt, die sich Massud Barzani verfassungswidrig unter
den Nagel gerissen hat,
({3})
was natürlich massiv dazu beigetragen hat, dass der Konflikt mit der Zentralregierung in Bagdad weiter eskaliert
ist . Denken Sie eigentlich, es gibt irgendeine Garantie
dafür, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga bei
weiteren Auseinandersetzungen um Territorien im Irak
nicht eingesetzt werden?
Nichts davon können Sie ausschließen, und vieles davon ist sogar sehr wahrscheinlich . Einiges ist im Moment
schon passiert, und deshalb ist es verantwortungslos,
deutsche Soldaten jetzt in diese Mission zu schicken .
({4})
Noch ein Wort zu den Waffen - Sie haben das auch erwähnt -: Wir wissen jetzt, dass Sie keine Garantie dafür
haben, wo die Waffen am Ende landen . Sie werden im
Moment auf verschiedenen Schwarzmärkten im Nordirak zum Verkauf angeboten . Niemand von uns kann sagen, wo diese Waffen in den nächsten Jahren von wem
gegen wen zum Töten eingesetzt werden . Sie haben darüber keine Kontrolle .
Deswegen muss ich abschließend sagen: Die Zwischenbilanz Ihres Einsatzes im Nordirak ist wirklich
verheerend . Den Staatszerfall des Irak haben Sie weiter
vorangetrieben, die Region mit weiteren 20 000 Sturmgewehren geflutet und die Peschmerga für alle schmutzigen Jobs ausgebildet . Lassen Sie das einfach sein .
({5})
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte, nicht in den Nordirak, nicht in den Südirak und schon gar nicht in die Türkei .
Danke schön .
({6})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, Herr van Aken, dass Sie in der Tat die völlig falschen Schlussfolgerungen aus der Situation im Nordirak
ziehen . Natürlich ist es so, dass wir in der Vergangenheit
hier in diesem Hause über kaum ein anderes Mandat heftiger diskutiert haben als über die Waffenlieferungen an
die Kurden im Nordirak und die anschließende Ausbildungsunterstützungsmission der Bundeswehr .
Aber wenn wir heute ein Zwischenresümee ziehen
müssten, dann fiele es ausnahmslos positiv aus. Angesichts dieser Rahmenbedingungen kann man an dieser
Stelle ein positives Resümee ziehen, weil sich all das,
was auch vor einem Jahr vorgetragen worden ist - nämlich dass der Bundeswehreinsatz den IS stärkt, dass die
Zerfallskräfte im Irak zunehmen, dass der Einsatz rechtlich nicht legitimierbar ist und dass er politisch falsch
ist -, in der Zwischenzeit nicht bewahrheitet hat .
({0})
Ich will etwas zum Rahmen sagen . Es ist richtig, dass
wir als Deutsche und auch als Europäer in unserem unmittelbaren Umfeld Verantwortung übernehmen . Das
stärkt im Übrigen nicht nur die Europäische Union insgesamt, sondern auch den europäischen Pfeiler in der
NATO, egal ob das ein Einsatz in Mali, in Nordafrika
oder im Nahen und Mittleren Osten ist . Es ist richtig, wie
wir uns dort engagieren .
Herr Mützenich ist darauf eingegangen, was unmittelbar vor Ort tatsächlich an Positivem geleistet werden
konnte . Wenn man in das Spätjahr 2014 geht, dann stellt
man fest, dass damals die Peschmerga die einzige Bastion
gegen den IS waren . Was haben sie erreicht? Im vergangenen November haben sie Sindschar zurückerobert . Sie
haben beispielsweise die Autobahn 47 zwischen Rakka
und Tikrit zurückerobert, die eine wichtige Logistiktrasse
zwischen Irak und Syrien ist . Sie haben darüber hinaus
westlich von Kirkuk neue Pufferzonen geschaffen . All
das war richtig und wichtig .
Auch die irakische Zentralregierung hat bedeutende
Erfolge erzielt, beispielsweise mit der Rückeroberung
von Tikrit und Ramadi . Auch wenn es illusorisch klingen
mag, dass al-Abadi davon spricht, bis Ende des Jahres
den IS vollständig vertrieben zu haben, so glaube ich
schon, dass es klar ist, dass sich die Kräfteverhältnisse
verändert haben . Da wäre es zu kurz gesprungen, nur darauf zu gucken, dass in den vergangenen zwölf Monaten
der IS etwa 15 Prozent seiner Einflusssphäre verloren hat.
In dieser Zeit ist auch anderes passiert . 10 000 islamistische Terroristen - darunter auch wichtige Köpfe
des Terrorkalifats - sind getötet worden . Finanzierungsquellen werden Stück für Stück ausgetrocknet und Nachschubwege systematisch abgeschnitten . Das hat auch
unmittelbare Erfolge . Man kann ja sehen, dass der IS an
Schlagkraft verliert, dass er beispielsweise seinen Beschäftigten nur noch den halben Sold auszahlen kann,
dass er nicht mehr so viele Terrorsöldner akquirieren
kann wie in der Vergangenheit . Das Allerwichtigste ist,
dass er ein Stück weit seinen Nimbus verliert, nämlich
den Nimbus, in der fragilen Region für Stabilität sorgen
zu können . Deswegen müssen wir exakt auf diesem Weg
weitermachen; davon bin ich überzeugt .
({1})
Auf diesem Wege weiterzugehen, ist auch deshalb
notwendig, weil trotz aller Erfolge der IS immer noch
den Terrorismus nach Europa exportiert, weil er immer
noch unsere Werte, unsere Art, zu leben, angreift und
weil er darüber hinaus für immer neue Fluchtursachen in
der Region verantwortlich ist . Man kann ganz unmittelbar sehen, dass das militärische Eingreifen und die Unterstützung in der Region letztlich verhindert haben, dass
weitere Menschen aus dieser Region zu uns nach Europa und nach Deutschland kommen . Das hat im Übrigen
auch dazu geführt, dass man die Arbeit des UN-Flüchtlingshilfswerks entsprechend unterstützen und in relativer Stabilität Flüchtlingscamps in der Region betreiben
kann . Das ist notwendig und wichtig . Deshalb muss man
diesen Weg weitergehen .
Ich glaube, dass ein Beitrag sein muss, dem IS dort
in der Region die Stirn zu bieten, wo er seine Wurzeln
hat . Deshalb ist dieser Einsatz richtig . Das zeigt sich in
Kobane, wohin die Menschen wieder zurückkehren . Vor
genau einem Jahr haben die syrischen Kurden Kobane
zurückerobert . Von den 400 000 Menschen, die dort in
der engeren Region leben, sind etwa 200 000 wieder zurückgekehrt . Selbst nach Sindschar kehren die Menschen
zurück, obwohl die Lage schwierig ist . Das heißt, dass
die Menschen in der Region bleiben, wenn sie eine Perspektive haben . Diese Perspektive müssen wir auch mit
militärischen Beiträgen eröffnen und sichere Pufferzonen
für die Zivilbevölkerung schaffen .
({2})
Herr Mützenich, Sie haben richtigerweise gesagt, dass
das nur ein Teil des Ganzen ist . Hinzu kommen 100 Millionen Euro an humanitärer Hilfe und 170 Millionen
Euro, die wir einsetzen, um die staatlichen Strukturen im
Irak zu stärken und letztlich dem IS den Nährboden zu
entziehen . Das ist richtig .
Man muss auch auf die Probleme in Bezug darauf hinweisen, was mit den Waffen passiert . Man muss mit der
kurdischen Regionalregierung in Erbil und genauso mit
der Zentralregierung in Bagdad deutlich sprechen, weil
es nicht sein kann, dass internationale Gelder zurückgehalten werden und dass monatelang keine Gehälter gezahlt werden; denn damit wird die Grundlage geschaffen,
mit diesem Geld Schindluder zu treiben .
Ich will einen letzten Punkt ansprechen . Wir müssen
den Blick auch etwas weiter in die Zukunft richten, wenn
es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen. Ich finde,
Minister Müller hat mit seinem Zehn-Punkte-Plan und
seinem Programm „Cash for Work“ exakt das Richtige getan, um für 500 000 Menschen in der Region die
Grundlage nicht nur für eine Arbeits-, sondern auch für
eine Lebensperspektive zu schaffen . Das ist der richtige
Weg .
({3})
Es sind viele Punkte, die man zusammenbringen
muss . Wir machen das . Deswegen sollten wir diesen Weg
fortsetzen .
Herzlichen Dank .
({4})
Nächster Redner ist der Abgeordnete Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bedrohung durch ISIS ist ein Weltproblem . ISIS ist in den
letzten zwölf Monaten eher stärker geworden . Sie haben
in Libyen Territorium gewonnen . Sie haben das Chaos
des unfassbaren Krieges im Jemen, vor allem von der
Koalition um Saudi-Arabien geführt, genutzt, um dort
Fuß zu fassen . Spätestens seit Paris wissen alle, dass ISIS
sehr aktiv in Europa netzwerkt und arbeitet .
Es gibt aber ein Land, in dem ISIS auf dem Rückzug
ist . Das ist der Irak . Dazu haben dort sehr viele beigetragen . Dazu gehören auch die Region Nordirak und die
kurdische Regionalregierung, denen man dafür danken
muss .
({0})
Es ist gut, dass Deutschland dort einen Beitrag der
Hilfe leisten will . Das ist keine Frage . Die Ausbildung
hat etwas gebracht . Das bestreitet niemand von uns . Die
Frontlinie ist stabilisiert . Das hat auch etwas mit der
Ausbildung zu tun . Das zeigt sich daran, dass Sindschar
gerade nach der Ausbildung der jesidischen Selbstverteidigungskräfte befreit worden ist . Dass es bei den Peschmerga und den Jesiden deutlich weniger Tote gibt, seit
dort Sanitätskräfte ausgebildet worden sind, kann man
nur richtig finden. Dafür muss man, finde ich, den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort arbeiten,
danken .
({1})
Die Ausbildung ist wichtig und richtig . Dennoch haben wir Grüne uns letztes Jahr mit großer Mehrheit enthalten . Dies wird dieses Jahr genauso sein . Dafür gibt
es einen zentralen Grund: Es gibt keine richtige Rechtsgrundlage . Das war bisher überhaupt kein Thema hier,
und das wundert mich ein bisschen . Es ist völkerrechtlich
korrekt, ein solches Mandat einzubringen . Es gibt eine
Einladung der Zentralregierung aus dem Irak . Aber das
reicht in Deutschland bekanntermaßen nicht . Wir haben
das Grundgesetz, und es gibt eine klare Rechtsprechung
aus Karlsruhe, die besagt, dass Einsätze nur im Rahmen
der Systeme kollektiver Sicherheit erfolgen dürfen .
Sie hatten zwölf Monate Zeit, verehrte Bundesregierung, eine solche Grundlage zu schaffen, beispielsweise
in Form einer EU-Trainingsmission . Sie haben stattdessen versucht, eine Rechtsgrundlage herbeizufantasieren .
In diesen Tagen gab es im Ausschuss einen Erklärungsversuch . Es hieß, ein System kollektiver Sicherheit sei
nicht notwendig, weil es sich gar nicht um einen Einsatz handele . Dann frage ich mich, warum Sie das mandatieren . Die Antwort ist eindeutig: Es handelt sich um
einen Einsatz von bewaffneten Soldaten und Soldatinnen
30 Kilometer hinter der Frontlinie . Deshalb ist es absurd,
dass Sie sich nicht um eine Rechtsgrundlage bemüht haben . Das führt dazu, dass wir auch in diesem Jahr mit
großer Mehrheit nicht zustimmen können .
({2})
Gleichzeitig dürfen wir das politische Umfeld nicht aus
den Augen verlieren; natürlich müssen wir auch darüber
reden . Man muss sehen, dass mit abnehmendem militärischem Druck viele alte Gräben innerhalb der kurdischen
Fraktionen aufbrechen . Es ist teilweise hoch dramatisch .
Man darf nicht vergessen, dass der Parlamentspräsident
nicht mehr das Parlament betreten darf, dass vier Minister ausgesperrt wurden, dass Parteien, die große Wahlerfolge erzielt haben, aus dem Parlament ausgeschlossen
werden und dass Demonstranten niedergeknüppelt werden . Es gibt viele Berichte - nicht nur den aktuellen Bericht von Amnesty International, sondern auch den von
Human Rights Watch aus dem letzten Jahr -, in denen
klar beschrieben wird, dass die arabische Bevölkerung
von Kurden vertrieben wird . Es werden starke Vorwürfe
erhoben, die man ernst nehmen und denen man dringend
nachgehen muss .
Auch die Pressefreiheit ist sehr stark beschränkt . Ich
zitiere aus einer Mail, die ich von einem mir bekannten
Journalisten aus Erbil - er ist dort mittlerweile nicht
mehr - bekommen habe:
Ich lebe derzeit in einem Asylbewerberlager . Ich
habe vor, in Deutschland zu bleiben und hier Asyl zu
beantragen . Die Sicherheitskräfte der KDP griffen
mein Büro an und verhafteten mich . Als ich später
eine Todesdrohung erhielt, habe ich Kurdistan-Irak
verlassen, und bin, um mein Leben zu retten, nach
Deutschland gekommen .
Das zeigt das Wagnis auf und verpflichtet uns, über die
Missstände laut und klar zu sprechen .
({3})
Das wird derzeit aber nicht gemacht . Viele deutsche Minister sind nach Erbil gefahren . Das war auch richtig,
aber ich habe die klare Sprache nicht gehört .
Es gibt sehr vieles, worüber man reden müsste . Der
Kollege Mützenich hat vorhin zum Beispiel die Einbindung der Peschmerga in die irakischen Sicherheitskräfte
angesprochen . Eine solche Einbindung fehlt noch immer .
Wir sind hier nicht weiter als vor zwölf Monaten . Hinzu
kommen nun noch Berichte darüber, dass seit fünf Monaten kein Sold mehr an die Peschmerga gezahlt wurde .
Die kurdische Regionalregierung steht unter immensem
finanziellen Druck. Daher ist es umso wichtiger, auf die
Sicherheitssektorreform zu achten und zu helfen, aber
auch gleichzeitig - weil es sich hier um einen wichtigen
Partner im Kampf gegen ISIS handelt - laut und klar anzusprechen, was dort alles falsch läuft . Es läuft sehr viel
falsch . Darüber muss man sprechen .
({4})
Der letzte Punkt, der schon im letzten Jahr zu großen
Diskussionen geführt hat, sind die Waffenlieferungen .
Wir haben auch innerhalb der Fraktion der Grünen sehr
heftig darum gerungen . Das ist bei einer solch zentralen
Frage auch richtig . Aber angesichts der vorliegenden Berichte über einen Schwarzmarkt für Waffen in einer der
am meisten proliferationsgefährdeten Gegenden der Welt
brauchen wir Aufklärung . Die Bundesregierung kommt
ihrer Nachweisverpflichtung allerdings nicht nach. Es
reicht nicht, zu sagen: Es gibt eine Endverbleiberklärung . - Wir brauchen eine Endverbleibkontrolle . Wir
wollen sehen, wo die Waffen geblieben sind, damit wir
über die nächsten Schritte beraten können . Stattdessen
verspricht Frau von der Leyen nach jeder Reise weitere
Waffenlieferungen . So wird das nicht funktionieren . Machen Sie Ihre Hausaufgaben, wenn Sie wollen, dass wir
in zwölf Monaten mit Ihnen gemeinsam zustimmen . Ich
bin relativ sicher, dass wir in zwölf Monaten erneut darüber beraten müssen .
Herr Kollege .
Es ist nicht fair, ohne Rechtsgrundlage und damit auf
Kosten der Soldatinnen und Soldaten ein solches Mandat
vorzulegen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Es reißt ein bisschen ein - das hat schon der Vorredner gemacht -, dass man den letzten Punkt ankündigt,
nachdem die Redezeit abgelaufen ist . Wenn das PräsidiOmid Nouripour
um hoffnungsvoll denkt, dass sich der Redner daran hält,
dann wird das meistens ein bisschen ausgedehnt . Es ist
eine Frage der Fairness, dass sich alle an ihre Redezeit
halten .
Nächster Redner ist der Abgeordnete Henning Otte,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident, herzlichen Dank . - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir verlängern heute das Mandat für die Ausbildungsmission im Norden Iraks . Warum bilden wir aus? Weil
der furchtbare IS-Terror sonst voranschreitet, Menschen
umbringt und eine ganze Region destabilisiert . Wen bilden wir aus und wozu? Wir bilden kurdische Kämpfer
vor Ort aus, damit sie in die Lage versetzt werden, die
eigene Heimat zu verteidigen . In welchen Bereichen bilden wir aus? Wir bilden für Sanitätstätigkeiten, Minenräumung, Kampf und Schutz aus .
Meine Damen und Herren, diese Ausbildungsmission
trägt auch dazu bei, die Fluchtursachen dort zu bekämpfen, wo sie entstehen . Wir müssen gemeinsam einen
wichtigen Beitrag im Kampf gegen diesen unmenschlichen IS-Terror leisten, gegen den sogenannten „Islamischen Staat“, der im Zentrum Nordiraks und in Syrien
wirkt und wie ein Franchisesystem versucht, die Welt zu
destabilisieren . Der IS-Terror ist eine Bedrohung für den
Weltfrieden, und dem stellen wir uns gemeinsam entgegen .
({0})
Es leiden insbesondere die Jesiden dort vor Ort . Hunderte, ja Tausende jesidische Männer sind getötet worden; Hunderte, ja Tausende Frauen und Mädchen sind
verschleppt oder getötet worden . Viele Mädchen sind
noch in den Händen dieser Barbaren . Ich wiederhole:
Viele Mädchen sind noch in den Händen dieser Barbaren .
Sehr geehrter Herr Kollege van Aken, ich habe Ihnen
ganz genau zugehört . Sie haben das Leid dieser Menschen nicht mit einem Wort angesprochen - nicht mit
einem Wort -, nur damit Sie Ihre Programmatik hier von
diesem Pult aus vertreten konnten . Das ist keine Verantwortung, das ist Augenverschließen vor dem Leid vieler
Menschen . Das ist nicht zu akzeptieren, meine Damen
und Herren .
({1})
Genau vor dieser Gewalt fliehen nämlich die Menschen,
weil sie keine andere Zuflucht finden. Sie geben ihre Heimat auf, sie kommen auch nach Deutschland, weil sie
Schutz suchen . Das stellt unsere Gesellschaft vor eine
große Herausforderung .
Der IS versucht beispielsweise, in Libyen einen neuen
Brückenkopf zu bilden, dort Fuß zu fassen und von dort
aus über das Mittelmeer Europa zu destabilisieren . Das
müssen wir verhindern - auch zum Schutz unseres Landes. Wir müssen uns dort engagieren, wo die Konflikte
entstehen; wir müssen dort aktiv werden, wo die Konflikte auch uns bedrohen . Ansonsten werden sich noch mehr
Menschen auf die Flucht machen .
Ja, es ist ein innerislamischer Konflikt, und die arabischen Staaten sind mehr denn je aufgefordert, selbst
Verantwortung zu tragen . Ja, es ist ein innerislamischer
Bürgerkrieg . Aber es liegt auch im europäischen Interesse und insbesondere im deutschen Interesse, diesen Konflikt zu entschärfen und zu verhindern, dass sich die Lage
weiter destabilisiert . Es ist vor allem auch eine Frage der
Menschlichkeit, meine Damen und Herren, Menschen zu
schützen und sie nicht sterben zu lassen . Auch deswegen
helfen wir, auch deswegen erteilen wir dieses Mandat .
({2})
Es geht auch darum, dass wir den kurdischen Peschmerga weiter beistehen, die den IS auf breiter Front
zurückgedrängt haben . Das zeigt, dass diese Strategie
erfolgreich ist . Kollege Frei hat es deutlich dargestellt .
Deswegen werden wir die Anzahl der im Rahmen dieser
Mission eingesetzten deutschen Soldatinnen und Soldaten von 100 auf 150 erhöhen .
Dieses Mandat ist rechtlich abgesichert . Kollege
Mützenich hat es deutlich herausgestellt . Ich sage auch
an die Adresse der Grünen: Es gibt immer viele Ausreden, die man suchen könnte, um einem solchen Mandat
nicht zuzustimmen . Aber jetzt eine solche Position zu beziehen, das ist nicht verantwortungsvoll .
({3})
Wir ertüchtigen die Menschen vor Ort - das ist nachhaltig -, selbst für Stabilität in der Region zu sorgen . Das
ist Nachhaltigkeit und keine Ideologie, die Ihnen passen
würde . Die Verantwortung und die Wahrnehmung der
Realität sind Maßstab für uns, meine Damen und Herren .
({4})
Wer zu seiner Verantwortung in der Welt steht, der darf
sich der Last, die sich daraus ergibt, nicht entziehen . Das
ist ein gutes Motto, wie ich finde. Deswegen sage ich:
Nicht mit erhobenem Zeigefinger an der Seite stehen,
({5})
sondern Verantwortung übernehmen . Wir, die Union,
übernehmen Verantwortung mit unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit unserer Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen und mit unseren Koalitionspartnern, allen voran Außenminister Steinmeier . Ich danke
diesen Lebensrettern, und ich danke vor allem den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die oft auch selbst
Mütter und Väter sind, die einen Beitrag zur Stabilisierung leisten und dazu, dass die Menschen nicht vor diesem Terror fliehen.
Es ist auch gut, dass wir unseren Soldaten die notwendige Ausrüstung zur Verfügung stellen . 130 Milliarden
Vizepräsident Peter Hintze
Euro - so hat es unsere Verteidigungsministerin gesagt sind notwendig . Wir stellen diese Mittel zur Verfügung .
Sie dienen dem Schutz unserer Soldaten . Die Bundeswehr ist Garant für die Sicherheit . Wir alle haben den
Auftrag, den Frieden und die Sicherheit in dieser Welt
zum Nutzen der Menschen zu stabilisieren .
Herzlichen Dank .
({6})
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich dem
Abgeordneten Dr . Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Im August 2014 hatten wir uns hier in diesem Saal zu
einer Sondersitzung versammelt . Wir waren schockiert
über den Erfolg und die scheinbare Unbesiegbarkeit der
Terrororganisation IS, die damals nach und nach immer
mehr Gebiete im Irak erobert hatte . Ich erinnere mich
gut: Sie stand damals 40 Kilometer vor Erbil, und es
waren die Peschmerga-Kämpfer, die sich ihr entgegengestellt haben und in deren Gebiet damals Zehntausende
Jesiden und Christen geflohen waren.
Wir haben uns damals in einer schwierigen Abwägung
und nach einer sehr intensiven Debatte dafür entschieden,
den Peschmerga im Kampf gegen den IS beizustehen, sie
zuerst auszurüsten und danach auch auszubilden, wohl
wissend, welche Risiken damit verbunden sind, in einen
laufenden Konflikt Waffen zu liefern, und wohl wissend,
was für ein Risiko es auch für den Irak sein kann, wenn
wir eine Gruppe in diesem fragilen Staatsgebilde plötzlich direkt unterstützen .
Im Nachhinein war diese Entscheidung richtig . Erbil
konnte gehalten werden . Der Mythos der Unbesiegbarkeit des IS wurde gebrochen, und nach und nach konnten
die Peschmerga weitere Gebiete zurückerobern, wie zum
Beispiel die Stadt Sindschar im November 2015 . All das
wäre ohne die internationale und insbesondere die deutsche Hilfe nicht möglich gewesen .
Ich war im letzten Jahr, wenige Monate später, mit
einigen Kollegen zu Gast in Erbil und habe dort mit Vertretern der kurdischen Regionalregierung, der Peschmerga und auch der Bundeswehr gesprochen . Ich will Ihnen
zwei Beispiele nennen, die zeigen, wie die Hilfe der Bundeswehr tatsächlich vor Ort wirkt .
Erstes Beispiel . Der IS hatte damals Lastwagen voll
mit Sprengstoff gepackt und mit Metallplatten notdürftig gepanzert . Selbstmordattentäter haben diese Fahrzeuge damals in die kurdischen Dörfer gefahren und an
den Stellungen der Peschmerga explodieren lassen . Die
Peschmerga konnten dem nichts entgegensetzen . Sie waren dem hilflos ausgeliefert. Mit den Milan-Raketen, mit
denen wir sie unterstützt haben, konnten sie nun erstmals
diese Fahrzeuge auch auf Distanz bekämpfen, was zum
einen die Verteidigungsfähigkeit, zum anderen aber auch
die Moral der Truppe enorm erhöht hat .
Zweites Beispiel: Sanitätsausbildung . Die Peschmerga haben damals sehr viele Kämpfer verloren, weil sie
einfach nicht wussten, wie sie bei Verletzungen handeln
sollen und wie sie bei einem Massenanfall von Verletzten reagieren sollen . Die Sanitätsausbildung der Bundeswehr - ganz einfache Dinge wie das Stillen von Blutungen zum Beispiel - hat massiv dazu beigetragen, dass
deutlich weniger Opfer anfallen, und auch das hat die
Verteidigungsfähigkeit erhöht und die Moral der Truppe
gestärkt .
({0})
Der Einsatz war ein Erfolg . Er war vor allem wegen
der Kombination von Waffenlieferungen und Ausbildung
ein Erfolg . Ein Element alleine hätte diese Wirkung nicht
gehabt. Auch das können wir für zukünftige Konfliktsituationen lernen . Aber der Einsatz ist nur ein Mosaikstein;
er ist ein Erfolg, aber isoliert betrachtet ist er keine Lösung .
Meine Damen und Herren, fokussieren wir uns einmal
nur auf den Nordirak . Wir waren dort bei der Regionalregierung . Diese sagte: Klar, der Kampf gegen den IS ist
eines unserer Probleme, aber wir haben noch zwei viel
größere Probleme . Erstens sind wir praktisch zahlungsunfähig . Wir können unsere Kämpfer und unsere Staatsbediensteten nicht bezahlen . Zweitens wissen wir auch
nicht, wie wir die im Moment 350 000 Flüchtlinge, die
in unserer Region sind, tatsächlich versorgen sollen, vor
allem auf lange Sicht . - Auch dafür braucht der Nordirak
unsere Unterstützung .
Wir haben uns damals auch mit Vertretern von Christen und Jesiden getroffen . Die haben uns berichtet, dass,
als der IS kam und sie vertrieben wurden, es ihre arabischen Nachbarn waren, die begonnen haben, ihre Häuser
zu plündern .
Meine Damen und Herren, das allein zeigt, was für
eine große Aufgabe die Menschen in der Region im Hinblick auf Aussöhnung und Wiederaufbau noch vor sich
haben . Wir sollten jenseits dieses Einsatzes dann, wenn
die Waffen schweigen, wenn der IS besiegt ist, diese
Menschen nicht vergessen . Sie sind auf unsere Hilfe
dringend angewiesen . Ich kann für unsere Fraktion sagen, dass wir diese Menschen nicht vergessen werden
und dass wir ihnen auch dann zur Seite stehen werden .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({1})
Ich schließe die Aussprache .
Zur gleich folgenden Abstimmung liegen mehrere Er-
klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
1) Anlagen 2 bis 4
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung
zur „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicher-
heitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und
der irakischen Streitkräfte“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7367,
den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/7207
anzunehmen . Wir stimmen über die Beschlussempfeh-
lung namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . -
Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall . Ich eröffne
die Abstimmung über die Beschlussempfehlung .
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall .
Ich schließe jetzt die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7377 . Wer stimmt für den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der
SPD bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke und
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .2)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:
28 a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Designgesetzes und wei-
terer Vorschriften des gewerblichen Rechts-
schutzes
Drucksache 18/7195
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Oliver Krischer, Dr . Julia Verlinden, Stephan
Kühn ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Behinderung des Windenergieausbaus durch Radaranlagen
Drucksache 18/7050
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck
({2}), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung der Zivilprozessordnung
Drucksache 18/7359
1) Ergebnis Seite 14947 C
2) Anlage 5
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 h sowie den Zusatzpunkt 3 auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .
Tagesordnungspunkt 29 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. November
2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusammenarbeit im Bereich des Eisenbahnverkehrs
über die deutsch-polnische Staatsgrenze
Drucksache 18/6931
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
({3})
Drucksache 18/7256
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/7256, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/6931 anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen . - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plät-
zen zu erheben . - Gegenstimmen? - Enthaltungen? -
Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .3)
Tagesordnungspunkt 29 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Mess- und Eichgesetzes
Drucksache 18/7194
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({4})
Drucksache 18/7382
3) Anlage 6
Vizepräsident Peter Hintze
Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7382,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/7194 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Keiner . Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit
den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 29 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({5}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Fünfte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
Drucksachen 18/6522, 18/6605 Nr. 2,
18/7222
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7222, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 18/6522 nicht zu verlangen .
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ohne
Gegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen worden .
Tagesordnungspunkte 29 d bis 29 h . Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .
Tagesordnungspunkt 29 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 272 zu Petitionen
Drucksache 18/7251
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 272 mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 29 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 273 zu Petitionen
Drucksache 18/7252
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 273 ist angenommen
worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke .
Tagesordnungspunkt 29 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 274 zu Petitionen
Drucksache 18/7253
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 274 mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen worden .
Tagesordnungspunkt 29 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 275 zu Petitionen
Drucksache 18/7254
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 275 auf
Drucksache 18/7254 angenommen mit den Stimmen
der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei keiner Enthaltung .
Tagesordnungspunkt 29 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 276 zu Petitionen
Drucksache 18/7255
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 276 auf Drucksache 18/7255 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion angenommen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei keiner Enthaltung .
Zusatzpunkt 3:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({11}) zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat,
den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen
Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr
Chancen für die Menschen und die Unternehmen
KOM({12}) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15
hier: Politischer Dialog mit EU-Institutionen
Drucksachen 18/6855 A.5, 18/7395
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist das mit Zustimmung aller
Fraktionen so beschlossen .
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({13})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth,
Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Raif Badawi sofort freilassen - Völkerrechtswidrige Strafen in Saudi-Arabien abschaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin GöringEckardt, Tom Koenigs, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Ja zur Meinungsfreiheit, nein zur Folter Menschenrechte in Saudi-Arabien schützen,
Raif Badawi freilassen
Drucksachen 18/3832, 18/3835, 18/5450
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Sind Sie damit
einverstanden? - Dann ist das so beschlossen .
Bevor ich die Aussprache eröffne, verlese ich noch das
Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der zweiten namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung
mit dem Titel „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung
der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“, Drucksachen
18/7207 und 18/7367: abgegebene Stimmen 570 . Mit Ja
haben gestimmt 441, mit Nein haben gestimmt 81, enthalten haben sich 48 Kolleginnen und Kollegen . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen .
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 572;
davon
ja: 442
nein: 82
enthalten: 48
Ja
CDU/CSU
Stephan Albani
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens ({14})
Veronika Bellmann
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({15})
Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich
({16})
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich ({17})
Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann ({18})
Karl Holmeier
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Jens Koeppen
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Vizepräsident Peter Hintze
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Stephan Mayer ({19})
Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Carsten Müller ({20})
Stefan Müller ({21})
Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Anita Schäfer ({22})
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt ({23})
Gabriele Schmidt ({24})
Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön ({25})
Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder ({26})
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer
Armin Schuster ({27})
Christina Schwarzer
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl ({28})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Volkmar Vogel ({29})
Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg ({30})
Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß ({31})
Sabine Weiss ({32})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({33})
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar G . Wöhrl
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding ({34})
Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann ({35})
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil ({36})
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Dr . Eva Högl
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange ({37})
Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller ({38})
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post ({39})
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({40})
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Dr . Hans-Joachim
Schabedoth
Axel Schäfer ({41})
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt ({42})
Matthias Schmidt ({43})
Dagmar Schmidt ({44})
Carsten Schneider ({45})
Elfi Scho-Antwerpes
Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Tom Koenigs
Nein
SPD
Ulrike Bahr
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Gabriele Hiller-Ohm
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Mahmut Özdemir ({46})
Dr . Nina Scheer
Swen Schulz ({47})
Kerstin Tack
Waltraud Wolff ({48})
DIE LINKE
Dr . Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller ({49})
Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Harald Petzold ({50})
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Dr . Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann
({51})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Corinna Rüffer
Dr . Wolfgang StrengmannKuhn
Beate Walter-Rosenheimer
Enthalten
SPD
Petra Hinz ({52})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Marieluise Beck
({53})
Volker Beck ({54})
Dr . Franziska Brantner
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Stephan Kühn ({55})
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth ({56})
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms
Wir kommen nun zur Aussprache . Als Erster in dieser Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten
Dr . Ute Finckh-Krämer, SPD-Fraktion .
({57})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen!
Ziemlich genau vor einem Jahr haben wir die beiden Anträge zum ersten Mal diskutiert, und vor etwa zwei Wochen das Thema „Menschenrechte in und Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien“ in Aktuellen Stunden behandelt .
Raif Badawi und sein Anwalt Walid Abu al-Chair sind
immer noch in Haft . Dass die Prügelstrafe gegen Badawi
weiterhin ausgesetzt ist, ist ein schwacher Trost, auch
wenn wir uns darüber freuen . Besorgniserregend sind
dagegen die 47 Hinrichtungen Anfang Januar, bei denen
mit dem schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr jemand
hingerichtet wurde, der sich ausdrücklich für friedliche
politische Proteste eingesetzt hatte .
Es ist daher absolut unpassend, wenn in einem aktuellen Hintergrundbericht über Saudi-Arabien in der
Wirtschaftswoche vom 15 . Januar dieses Jahres versucht
wird, die Hinrichtungen und den Krieg im Jemen folgendermaßen zu erklären - ich zitiere -: „Dass Saudi-Arabien derzeit so wild um sich schlägt, ist auch ein Zeichen
seiner ökonomischen Krise“, und dann kein weiteres
Wort über die Menschenrechtssituation im Land verloren wird . Denn wir können getrost davon ausgehen, dass
die saudische Regierung nicht nur wahrnimmt, wie im
Bundestag über ihr Land diskutiert wird, sondern dass
sie auch die Berichterstattung in den deutschen Medien verfolgt . Die Wirtschaftswoche profitiert hier ganz
selbstverständlich von der Pressefreiheit . Wenn in ihrem
Bericht nicht erwähnt wird, wie schlecht es um die Meinungs- und Pressefreiheit in Saudi-Arabien bestellt ist,
entsteht bei der saudischen Regierung der Eindruck, dass
die wirtschaftlichen Beziehungen wichtiger genommen
werden als zentrale Menschenrechte in ihrem Land . Das
ist ein fatales Zeichen .
Wir wären wohl alle froh, wenn wir als Bundestag
die Macht hätten, die sofortige Freilassung nicht nur von
Raif Badawi und Walid Abu al-Chair durchzusetzen, sondern auch die von allen anderen politischen Gefangenen
in Saudi-Arabien .
({0})
Leider haben wir diese Macht nicht . Also stellt sich die
Frage, was wir als Abgeordnete zur Unterstützung politischer Gefangener tun können . Das Berliner Global
Public Policy Institute, GPPI, hat sich im letzten Herbst
auf einer Fachtagung mit dieser Frage beschäftigt . Die
ausführliche Tagungsdokumentation enthält konkrete
Empfehlungen an den Deutschen Bundestag, die ich im
Folgenden vorstellen und kommentieren möchte .
Erste Empfehlung - Zitat -:
Öffentliche Stellungnahmen einzelner Ausschüsse
zu Fällen politischer Haft sowie Anträge zur Abstimmung im Bundestag sollten fraktionsübergreifend getragen werden, damit ein deutliches politisches Signal an Entscheidungsträger im Ausland
gesandt wird .
Es ist also schade, dass es vor einem Jahr keine Versuche gab, einen fraktionsübergreifenden Antrag zustande
zu bringen, sondern stattdessen zwei Oppositionsanträge
vorgelegt wurden .
Zweite Empfehlung - Zitat -:
Alle Bundestagsabgeordneten sollten das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“
des Menschenrechtsausschusses unterstützen und
mindestens eine Patenschaft übernehmen .
({1})
Die Auswahl der Einzelfälle
- so die Empfehlung weiter kann nach eigenen geographischen und inhaltlichen
Interessen erfolgen, wobei sich die Abgeordneten
bemühen sollten, besonders gefährdete politische
Gefangene zu priorisieren . Dabei muss die wohlinformierte Einwilligung nach erfolgter Aufklärung
({2}) stets gesichert sein .
Derzeit haben von uns 630 Abgeordneten 50 eine
oder mehrere Patenschaften für politisch verfolgte Parlamentsabgeordnete, Journalistinnen bzw . Journalisten
oder Menschenrechtsverteidigerinnen bzw . Menschenrechtsverteidiger übernommen . Wir alle können in unseren Fraktionen dafür werben, dass diese Zahl deutlich
ansteigt .
Dritte Empfehlung:
Auf Auslandsreisen in Länder, in denen politische
Haft systematisch als Machtinstrument eingesetzt
wird, sollten Bundestagsabgeordnete nicht nur Einzelfälle in ihren Gesprächen mit Regierungsvertreterinnen ansprechen . Sie sollten vielmehr auch
um Besuchstermine im Gefängnis oder bei unter
Hausarrest stehenden Personen bitten und bei der
Übernahme einer Patenschaft wenn möglich auch
Prozessen beiwohnen .
Das ist sicher nicht immer mit unseren Zeitplänen und
Reisezielen vereinbar, könnte aber in Einzelfällen hilfreich sein, gerade dann, wenn politischen Gefangenen
andere Besuche verweigert werden .
Vierte Empfehlung:
Wo erforderlich sollten deutsche Bundestagsabgeordnete auf eine bessere medizinische Versorgung,
die Ermöglichung von Familienbesuchen oder andere Hafterleichterungen drängen . Die deutsche
Botschaft vor Ort sollte vorab die betroffene Person oder ihre Familie nach Bedarf aufklären und die
notwendige Zustimmung einholen .
Diese Empfehlung ist fast eine Selbstverständlichkeit:
Keine Alleingänge machen, sondern die Betroffenen und
ihre Familien einbeziehen, die Vor- und Nachteile eines
Appells von außen besser abschätzen können als wir, was
allerdings dann schwierig wird, wenn - wie im Fall von
Raif Badawi - Ehefrau und Schwester unterschiedliche
Standpunkte vertreten .
Die fünfte Empfehlung bezieht sich darauf, dass auch
das Bundestagspräsidium vor Auslandsreisen überlegen
soll, was es zur Unterstützung politischer Gefangener tun
kann .
Die sechste Empfehlung betrifft wieder uns alle - Zitat -:
Die Menschenrechtspolitik darf nicht ausschließlich
an den Menschenrechtsausschuss delegiert werden .
Das unterstütze ich nachdrücklich, ebenso die Forderung, vor Auslandsreisen frühzeitig Kontakt zu geeigneten Menschenrechtsorganisationen aufzunehmen .
Auch der siebte Vorschlag könnte von einigen von uns
umgesetzt werden:
… Abgeordnete mit … Erfahrungen in der Einzelfallarbeit sollten parteiübergreifend bei jüngeren
Bundestagsabgeordneten für ein aktiveres Engagement für politische Häftlinge werben, von Erfolgen
berichten und, wenn erwünscht, auch individuelles
Coaching anbieten .
Auch der regelmäßige „Erfahrungsaustausch auf der
Mitarbeiterebene“ kann unser Engagement für politische
Gefangene verstärken .
Das alles bezieht sich nicht nur auf politische Gefangene in Saudi-Arabien . Viele von uns setzen sich für den
iranischen Menschenrechtsanwalt Abdolfattah Soltani
ein, der durch die originelle Facebook-Aktion „Kochen
für Soltani“, die von seiner in Nürnberg lebenden Tochter
ins Leben gerufen wurde, weltweit bekannt geworden ist .
Wir freuen uns darüber, dass er eine Woche Hafturlaub
erhalten hat, denken aber an die vielen politischen Gefangenen im Iran, die weniger bekannt sind als er . Wie
in Saudi-Arabien gibt es im Iran jährlich Hunderte von
Hinrichtungen, darunter auch von zur Tatzeit Minderjährigen . Ähnliches gilt für Ägypten oder Pakistan .
Von den Vorschlägen der erwähnten Fachtagung, die
Mitglieder der Bundesregierung betreffen, möchte ich
einen herausgreifen . Er lautet - Zitat -:
In Gesprächen über einzelne politische Gefangene
hinter verschlossenen Türen sollte die Bundesregierung immer kritischer auftreten als in der Öffentlichkeit .
Außenminister Steinmeier war gestern in der Sitzung
des Menschenrechtsausschusses und hat dabei unter anderem dargelegt, welche Fälle politischer Gefangener er
im vergangenen Jahr in vertraulichen Gesprächen angesprochen hat . So verlockend es im Einzelfall sein kann,
sich öffentlich zu äußern; oft ist es politisch unklug, weil
es eine gesichtswahrende Richtungsänderung der betreffenden Regierungen erschwert .
Ich hoffe, dass Außenminister Steinmeier bei seiner
bevorstehenden Reise nach Saudi-Arabien und in den
Iran die genannten und weitere Fälle ansprechen kann .
Meinungs- und Pressefreiheit, das Verbot der Todesstrafe
und andere menschenrechtliche Errungenschaften wurden in der deutschen und in der europäischen Geschichte
mühsam erkämpft und sind Teil unserer politischen Kultur geworden . Wir können auf ihre Vorteile verweisen
und andere ermutigen, unserem Beispiel zu folgen .
Danke schön .
({3})
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Inge Höger,
Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Blogger und Träger des Sacharow-Preises für Meinungsfreiheit, Raif Badawi, wurde vor etwas mehr als einem Jahr
in Saudi-Arabien zu zehn Jahren Haft und 1 000 Peitschenhieben verurteilt . Ashraf Fayadh, ein junger Dichter
mit palästinensischen Wurzeln, wurde vor zwei Monaten
ebenfalls in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt . Anfang
dieses Jahres wurden vom saudischen Regime zeitgleich
47 Menschen hingerichtet, unter ihnen ein populärer Prediger, der sich mit friedlichen Mitteln für Menschenrechte und Demokratie einsetzte .
Die Todesstrafe steht in Saudi-Arabien nicht nur auf
religiöse Verstöße und schwere Verbrechen, sondern
auch auf Homosexualität . Nach Angaben der Vereinten
Nationen wurde die Todesstrafe im Jahr 2015 157-mal
vollstreckt, gern auch öffentlich . Es ist wirklich unerträglich, dass genau dieses Land eines der engsten Partnerländer Deutschlands im arabischen Raum ist .
({0})
Dabei wissen Sie es doch besser . Die Homepage des
Auswärtigen Amtes ist da sehr klar - Zitat -:
Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie … Ein
Parlament gibt es nicht … Kritik am König, der
Herrscherfamilie, der Herrschaft der Königsfamilie
an sich und an der islamischen Religion saudischer
Auslegung stellen … rote Linien dar … KörperDr. Ute Finckh-Krämer
strafen wie zum Beispiel Stockhiebe werden regelmäßig vollzogen, Dissidenten werden inhaftiert,
Frauen werden wesentliche Menschenrechte vorenthalten, minderjährige Mädchen zwangsverheiratet,
. . . die schiitische Minderheit im Osten des Landes
wird diskriminiert, und ausländische Arbeitnehmer
können ihre Rechte häufig nicht durchsetzen. Die
Definition der Straftatbestände lässt … die Tür dazu
offen, jedwede Art und Äußerung von Opposition
als „terroristischen“ Straftatbestand zu verfolgen
und zu ahnden .
So weit das Auswärtige Amt .
Sogar der Bundesnachrichtendienst warnte kürzlich
vor einer Idealisierung Saudi-Arabiens als außenpolitischer Partner der Bundesrepublik . Das Land betreibe
eine zunehmend aggressive Außenpolitik . Hören Sie also
endlich damit auf, dieses Land als strategischen Verbündeten und Stabilitätsanker zu behandeln!
({1})
Die Politik gegenüber Saudi-Arabien scheint weniger
von dem Gedanken an Menschenrechte oder Demokratie
als von den Gewinnerwartungen der Industrie bestimmt
zu werden . Nach wie vor werden Waffenlieferungen in
dieses Land genehmigt . Der Krieg im Jemen, das Niederschlagen der Demokratiebewegung in Bahrain, die
Beteiligung am Krieg in Syrien, Massenhinrichtungen,
Missachtung von Frauenrechten, Entrechtung von Millionen von ausländischen Arbeitskräften - all das sollte
Grund genug sein, die enge Kooperation zu beenden .
Seit 2009 bilden 30 deutsche Polizisten im Land
Grenzschützer aus . Der Einsatz steht im engen Zusammenhang mit einem Milliardenprojekt des Rüstungskonzerns EADS, der dort Grenzsicherungsanlagen baut . Jörg
Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, fordert
die Beendigung dieses Einsatzes . Zitat Radek:
Das saudi-arabische Königreich hat mit seinem Feudalsystem mit unseren Vorstellungen eines Rechtsstaats nichts gemein .
({2})
Doch die Bundesregierung lässt weiter Waffen liefern .
Patrouillenboote sollen es diesmal sein . Das Ganze hat
angeblich einen defensiven Charakter . Es geht um 15 Patrouillenboote für 1,5 Milliarden Euro . Die Boote sichern
die aggressive Außenpolitik der Saudis ab und werden
zur weiteren Destabilisierung der Region beitragen . Die
Lieferung von 270 Leopard-Kampfpanzern ist erst einmal gestoppt worden, aber der Export von Lizenzen hat
es ermöglicht, dass das Land sich nun in Spanien mit
Panzern versorgen kann . Beenden Sie die Kungelei mit
dem saudischen Regime! Schluss mit den Waffenexporten!
({3})
210 000 Unterschriften hat Amnesty International für
Raif Badawis Freilassung gesammelt . Kürzlich wurde
die Schwester von Herrn Badawi gemeinsam mit ihrer
zwei Jahre alten Tochter ins Gefängnis geworfen, ebenso
sein Rechtsanwalt . Badawis Ehefrau hat seit Wochen keinen Kontakt mehr zu ihm . Er wurde an einen unbekannten Ort verlegt . Dort wartet man wohl darauf, dass die
Wunden der ersten 50 Peitschenhiebe verheilen, damit
ihm dann die restlichen 950 verabreicht werden können .
Körperlich sowie psychisch sei Badawi bereits vor der
Verlegung am Ende gewesen, sagt seine Ehefrau . Ihre
Bitte an die Bundesregierung, mehr für seine Freiheit zu
tun, kann ich nur aus vollem Herzen unterstützen .
Herr Badawi ist inzwischen Teil des parlamentarischen Schutzprogramms des Bundestages . Jetzt ist die
Regierung dran . Wenden Sie sich endlich öffentlich gegen das barbarische Justizsystem in Saudi-Arabien!
({4})
Setzen Sie sich für die sofortige Freilassung von Badawi
ein, und bieten Sie ihm in Deutschland politisches Asyl
an!
({5})
Nächster Redner ist der Abgeordnete Frank Heinrich,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Über
Menschenrechte zu sprechen, heißt immer auch, über
Menschen zu sprechen . Menschenrechte sind Individualrechte . Sie betreffen einzelne Personen, einzelne
geschichtliche Orte, einzelne Lebensumstände . Wer für
Menschenrechte im Allgemeinen plädiert, ohne das Individuum im Besonderen zu schützen, hat das Prinzip nicht
verstanden . Und doch geht unsere Debatte heute weit darüber hinaus . Ich bin sehr dankbar, dass Sie die Debatte
mit Ihren Anträgen mit ausgelöst haben . Wir diskutieren
darüber, wie vorhin gesagt wurde, zum zweiten Mal .
Das Einzelschicksal steht sehr häufig exemplarisch
für eine politische Realität, in der Menschenrechte missachtet, eingeschränkt und - wie man in diesem Fall und
manch anderes Mal auch sagen könnte - verhöhnt werden . In diesen Fällen kann es nicht nur um den einen
gehen; wir müssen auch über das System sprechen, das
zum Bruch der Rechte der Menschen führt . Angesichts
der gestrigen Gedenkstunde zum 27 . Januar, dem Tag der
Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, möchte
ich dazu Bertolt Brecht zitieren:
Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist . Weil es ein Schweigen
über so viele Untaten einschließt!
Dennoch möchte ich zugleich eine Warnung aussprechen . Wir dürfen das Schicksal einzelner Menschen nicht
instrumentalisieren, um die eigene politische Ideologie
voranzutreiben . Dieser Gedanke kommt mir hin und
wieder, wenn ich Ihnen, Frau Höger, zuhöre - auch im
Ausschuss - und von Ihnen kein Aufschrei kommt, wenn
Menschenrechte in gleicher Weise von kommunistischen
Regimen verletzt werden .
({0})
Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass wir in unserer Debatte zugleich über die fragile weltpolitische Gemengelage sprechen, in welcher ein wesentlicher Beitrag
zur Sicherung der Menschenrechte in der Befriedung von
Kriegsgebieten und in der Beseitigung von Fluchtursachen besteht .
({1})
Lassen Sie mich drei Punkte ansprechen . Die Debatte
heute ist dreierlei: Erstens ist sie eine Debatte über einen Menschen, den Blogger Raif Badawi, der als Symbol dafür steht, zweitens führen wir eine Debatte über die
Menschenrechtslage in Saudi-Arabien - das haben Sie zu
Recht angesprochen -, und drittens führen wir eine Debatte über Allianzen und Bündnisse im Nahen Osten; hier
sind wir unterschiedlicher Meinung .
Ich beginne mit dem Menschen Raif Badawi . Im
Juni 2012 wurde er wegen Beleidigung des Islam verhaftet und im November 2014 zu einer zehnjährigen
Gefängnisstrafe, einer Geldstrafe und den bekannten,
vorhin genannten 1 000 Stock- und Peitschenhieben verurteilt . Fast genau vor einem Jahr - morgen jährt sich
das - haben wir an gleicher Stelle über die Situation von
Raif Badawi gesprochen . Damals bekam sein Fall eine
erschütternde Aktualität; denn am 9 . Januar, also drei
Wochen vorher, war eine Einheit von 50 Peitschenhieben
an Badawi öffentlich vollstreckt worden .
Was hat sich seither getan? Ein positives Zeichen der
Solidarität der Öffentlichkeit mit Badawi war die Verleihung des Sacharow-Preises des Europäischen Parlaments
im Dezember letzten Jahres . Stellvertretend für ihren in
Saudi-Arabien inhaftierten Ehemann hat Ensaf Haidar
in Straßburg diesen Preis entgegengenommen und eine
engagierte Rede zur Freiheit gehalten . Einige von uns
haben sie hier im Haus treffen dürfen . Ich bin dankbar,
diese kleine, aber mutige und taffe Frau erlebt zu haben .
Doch die jüngsten Nachrichten sind erneut mehr als
besorgniserregend . So wurde am 6 . Januar berichtet,
der Kontakt des inhaftierten saudischen Bloggers Raif
Badawi zu seiner Familie sei abgebrochen . Seit er im
Dezember in ein anderes Gefängnis verlegt wurde, habe
seine Frau nichts mehr von ihm gehört . Seit drei Wochen
gebe es „überhaupt keinen Kontakt mehr“, und sie vermute, dass es ihm schlecht gehe .
Am 10 . Dezember 2015 hatte Haidar über Twitter
mitgeteilt, dass ihr Mann verlegt worden sei, sich im
Hungerstreik befinde. Nun appellierte sie erneut an die
Regierungen, „mehr für Raifs Freiheit zu tun, mehr zu
tun, damit er bei uns in Kanada“ - dort lebt sie jetzt im
Exil - „sein kann“ . Die internationalen Würdigungen seien für ihren Mann von großer Bedeutung .
Wir fordern hier und heute gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg die Verantwortlichen in Saudi-Arabien nachdrücklich auf: Lassen Sie Raif Badawi frei!
({2})
Der zweite Punkt: die Lage in Saudi-Arabien . Vor einem Jahr, im Januar 2015, hatte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert explizit zu diesem Land hier im
Haus geäußert - ich zitierte -:
Wem unter den Muslimen über rhetorische Floskeln
hinaus tatsächlich an Aufklärung gelegen ist, muss
sich mit der Frage auseinandersetzen, warum noch
immer im Namen Allahs Menschen verfolgt, drangsaliert und getötet werden . … Auch mit staatlicher
Autorität wird im Namen Gottes gegen Mindeststandards der Menschlichkeit verstoßen . Saudi-Arabien
hat … das Attentat in Paris als „feigen Terrorakt“
verurteilt, „der gegen den wahren Islam verstößt“,
und zwei Tage später den Blogger Raif Badawi in
Dschidda öffentlich auspeitschen lassen .
Auch hier müssen wir uns fragen: Was ist seitdem passiert? Leider müssen wir festhalten: Neben den Verbesserungen etwa beim Wahlrecht für Frauen hat sich das
meiste eher verschlimmert . Ein Beispiel - auch das wurde hier schon gesagt - ist die Anwendung der Todesstrafe . Die Situation hat sich erheblich verschärft . Amnesty
International schreibt dazu:
Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien hat sich
unter dem neuen König Salman im vergangenen Jahr
kontinuierlich verschlechtert . So hat Saudi-Arabien
2015 mindestens 151 Menschen hingerichtet, ein
trauriger Höchstwert seit knapp 20 Jahren .
Bereits am 2 . Januar dieses Jahres erreichte die Zahl der
Hinrichtungen eine weitere Steigerung: 47 Menschen
wurden an einem Tag getötet .
Uns allen steht auch die Hinrichtung des schiitischen
Geistlichen Nimr Baqir al-Nimr vor Augen . Dazu noch
einmal aus dem Bericht von Amnesty International:
Bei Scheich Nimr Baqir al-Nimr handelte es sich um
einen gewaltlosen politischen Gefangenen . Al-Nimr
wurde unter anderem wegen ‚Ungehorsam gegenüber dem Herrscher‘ zum Tode verurteilt . Dabei hat
Scheich Nimr Baqir al-Nimr mit seinen Predigten
und Forderungen nach politischen Reformen nur
von seinem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht .
Der Prozess gegen den Scheich . . . war eine Farce
und politisch motiviert . Unter anderem wurde ihm
der Zugang zu einem Rechtsbeistand in wichtigen
Prozessphasen verweigert . Dass die saudi-arabische
Regierung ihn trotz der zahlreichen Verfahrensmängel hinrichten ließ, ist eine schreckliche Ungerechtigkeit und ein Beleg für die Fehler in Saudi-Arabiens Justizsystem .
Dies haben auch Sie, Frau Höger, gerade angesprochen .
Diese Hinrichtungen in Saudi-Arabien sind eine massive Verletzung der Menschenrechte, für die es keine
Rechtfertigung gibt . Ich schließe mich dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Jung an, der in einer Pressemitteilung unserer Fraktion Anfang Januar sagte: Wir
fordern „Saudi-Arabien eindringlich auf, keine weiteren
Hinrichtungen durchzuführen - auch mit Blick auf die
Frank Heinrich ({3})
notwendigen Bemühungen um eine Deeskalation der Beziehungen zum Iran“ .
Mit diesem letzten Satz komme ich zu dem dritten von
mir genannten Punkt, zur Lage im Nahen Osten, in der
ganzen Region . Wir müssen und werden die Menschenrechte in Saudi-Arabien anmahnen und ansprechen, und
auch in den Ländern im Umfeld, die, wie wir wissen, teilweise noch höhere Hinrichtungszahlen haben . Aber wir
dürfen die Beziehungen zu Saudi-Arabien meiner, unserer Überzeugung nach nicht einfach abbrechen . Das würde die politische Lage im Nahen Osten meines Erachtens
eher noch verschärfen .
Schon vor einem Jahr verurteilte Außenminister
Frank-Walter Steinmeier den Vollzug der Stockschläge
an Raif Badawi, bezeichnete das wahhabitische Königreich aber zugleich als wichtigen Verbündeten gegen die
Dschihadisten-Miliz „Islamischer Staat“ . Das ist und
bleibt ein politisches Dilemma, aber das ist eben auch
politische Realität . Dazu zitiere ich noch einmal unseren
Kollegen Jung:
Nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen
. . . verschlechtern sich die Beziehungen zwischen
Saudi-Arabien und dem Iran . Deutschland sollte
deeskalierend wirken .
Wir „müssen jetzt alle Anstrengungen“ unternehmen,
„damit beide Länder möglichst umgehend wieder zum
Dialog zurückkehren“ .
Eine Eskalation in den Beziehungen beider Länder
würde die schon erheblichen Spannungen im Nahen
und Mittleren Osten weiter verschärfen . . . Ein Abbruch der Beziehungen ist deshalb der falsche Weg .
Allerdings müssen wir - und wir reden noch lange nicht
von einer heroisierenden Partnerschaft oder von Kungelei - alle Einflussmöglichkeiten nutzen. Wenn wir die
Handelsbeziehungen abbrechen, sind diese zunichte .
Ich komme zum Ende . Tun wir bitte alles, unter anderem durch eine Debatte zu einer sehr prominenten
Stunde, zur Mittagszeit, um diesen Einfluss auszuüben.
Dieses Plädoyer muss heute von hier aus an die Regierung gehen . Deshalb noch einmal ganz klar zum Schluss
an die Adresse Saudi-Arabiens: Lassen Sie Raif Badawi
frei! Let this man go! - Und wenn sie diese Sprachen
nicht verstehen, werde ich es in ihrer Sprache versuchen:
Da’a hadha al-radschal yadhhab!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .
({4})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es einen Indikator für vorauszusehende Instabilität gibt, dann sind das Menschenrechtsverletzungen .
Menschenrechtsverletzungen in massivem Maße haben
unmittelbar Unruhen, oft zunächst friedliche Demonstrationen zur Folge, dann Radikalisierungen und schließlich
Krieg .
Nun hat der Arabische Frühling Saudi-Arabien bisher
offensichtlich nicht erreicht . Das heißt aber nicht, dass
Saudi-Arabien nicht eingegriffen hätte, zum Beispiel in
Bahrain oder im Jemen . Aber jeder, der das Terrorre gime
dort sieht, und jeder, der die Bewegungen dort sieht,
weiß: Dies ist ein instabiler Staat . Man kann jeden Investor nur warnen, dort zu investieren . Man muss auch allen,
die dort Politik machen, sagen: Ihr macht noch genauso
Politik wie vor 10, 20, 30 Jahren, so als wäre das ein
Stabilitätsanker . Von dort wird Radikalismus exportiert .
Es gab einmal vor zwei oder drei Jahren eine Umfrage,
in der festgestellt wurde: Wenn in Saudi-Arabien heute
direkte und freie Wahlen wären, würde wahrscheinlich
Osama Bin Laden gewählt .
Alle machen genauso weiter, als wäre das ein demokratischer Staat . Die Waffenlieferungen: Panzer wurden
ein wenig weniger . Aber was ist mit Schiffen und Fregatten? Ja, die machen ja nichts, die spielen nur . Das geschieht in einer Situation, in der die Spannung zwischen
den dortigen Regionalmächten gewaltig zunimmt, und
die Fregatten natürlich auch bis Iran kommen .
Wandel durch Handel . Ja, wie viel Handel muss es
denn noch geben, damit sich da etwas wandelt? Da passiert nichts .
({0})
Eine Strategie der Bundesregierung, wie mit diesem
und solchen Staaten umzugehen ist, gibt es nicht . Ja,
manche Sachen geheim verhandeln, ja, nur nichts offen
sagen . Ja, in Genf muss man verhandeln, auch mit ihnen .
Aber die Staatsbesuche mit dem jährlichen Hofknicks
der Kanzlerin, muss das denn sein? Das fragt man sich .
Der Wirtschaftsminister reist und verteidigt die Arbeitsplätze in Kassel und Bremen .
({1})
Ja, wenn es das denn ist . Aber eine kohärente Strategie,
mit so einem Terrorregime umzugehen, gibt es nicht und das noch dazu, wo diese Macht ja am Rande einer
möglichen Atommacht steht, vielleicht mithilfe von Pakistan . Wenn die Bundesregierung schon keine Strategie
hinbekommt, dann sollte wenigstens der Bundestag Resolutionen verfassen, damit die dort tätigen, dort aktiven
oder verhafteten Menschenrechtsverteidiger wenigstens
wissen, wer auf ihrer Seite steht .
({2})
Frau Finckh-Krämer hat bei ihren Empfehlungen als
Allererstes gesagt: gemeinsame Resolutionen . Ja, das
wäre schön, aber das scheitert - und da sitzt die große
Verhinderin; es liegt an einer einzigen Dame in diesem
Hohen Hause . Liebe CDU/CSU, ist das eure MenschenFrank Heinrich ({3})
rechtspolitik? Ihr stimmt doch im Europaparlament den
Resolutionen zu .
({4})
Ihr könnt euch doch nicht so gefangen nehmen lassen
von einzelnen Personen .
({5})
Warum geht es nicht, dass wir hier im Parlament eine
einstimmige gemeinsame Resolution zum Fall Badawi,
zu den 47 Hinrichtungen und zum Terrorregime in Saudi-Arabien machen? Warum geht das nicht?
Noch eines: das Sicherheitsabkommen . Da fragt jetzt
schon die Polizeigewerkschaft: Ist das denn wirklich nötig? - Welche Sicherheit ist das denn eigentlich, die Sie
da verteidigen? Ist es nicht wirklich Zeit, wenigstens davon Abschied zu nehmen?
({6})
Ich sage noch einmal: Es gibt auch eine Verantwortung der Unternehmen, die dort investieren, und auch der
Unternehmen, die hier produzieren und dorthin exportieren . Es gibt eine Unternehmensverantwortung . Es soll
keiner sagen, er hätte davon überhaupt nichts gewusst .
Diesen Gestus kennen wir aus Deutschland; wir sollten
ihn nicht wiederholen .
({7})
Jeder, der dort investiert, nimmt ein hohes Risiko in
Kauf, ein finanzielles, ein wirtschaftliches, aber auch ein
moralisches .
Vielen Dank .
({8})
Letzter Redner in der Aussprache: der Abgeordnete
Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Lage Saudi-Arabiens wird wie in einem Brennglas
in einem besonderen Fall fokussiert, nämlich dem des
Bloggers und Sacharow-Preisträgers, über den wir hier
heute exemplarisch diskutieren: Raif Badawi . Ich bin
mit seiner tapferen Frau Ensaf Haidar mehrfach zu für
mich sehr beeindruckenden Begegnungen zusammengetroffen; wir sind auch im Gespräch mit dem Auswärtigen Amt . Es ist erwähnt worden: Raif Badawi ist im
Patenschaftsprogramm PsP des Deutschen Bundestages,
so wie im Übrigen Leyla Yunus aus Aserbaidschan, die
mit Unterstützung auch aus Deutschland vor einigen Tagen freigelassen werden konnte . Unser Ziel hier im Parlament ist klar: Wir wollen die Freiheit dieses mutigen
Mannes erreichen, und wir wollen die weitere Vollstreckung des mittelalterlichen, schlicht barbarischen Urteils
von 1 000 Peitschenhieben endgültig stoppen .
({0})
Ensaf hat in ihrem Buch Freiheit für Raif Badawi, die
Liebe meines Lebens beschrieben, was sie empfand, als
sie die illegal gefilmten Aufnahmen dieser abscheulichen
Tat sah . Ich will das hier zitieren, um die Barbarei vor
Augen zu führen:
Wieder war Raifs Rücken zu sehen, der unter der
Wucht der Hiebe erzitterte, die ihm einer der Sicherheitsleute verabreichte . Der Mann selbst war auf
dem Video nicht zu erkennen . Aber ich sah deutlich,
dass er mit voller Gewalt zuschlug . Raifs Kopf hing
gebeugt nach unten . In sehr schneller Abfolge kassierte er die Hiebe auf dem gesamten hinteren Teil
seines Körpers .
Sie schreibt weiter:
Das war zu viel für mich . Es ist unbeschreiblich, dabei zuzusehen, wie dem Menschen, den man liebt,
so etwas angetan wird . Ich spürte den Schmerz, den
sie Raif zufügten, als ob er mein eigener sei: Ebenso gut hätten die Männer, die ich im Video gesehen
hatte, mich selbst auf einen Platz stellen und auspeitschen können . Das Schlimmste jedoch war das
Gefühl der Hilflosigkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt lebt im
Jahr 2016 . Aber die Islamisten in Saudi-Arabien - nichts
anderes ist die Sekte der Wahhabiten in Saudi-Arabien - leben nicht in unserer Welt . Feudaler Pomp und
Hightech-Fassade können eben nicht darüber hinwegtäuschen: Saudi-Arabien lebt politisch, geistig und religiös
im Mittelalter .
({1})
Aber es ist nun einmal so, und deshalb bleibt es tatsächlich alternativlos: Es braucht massive Veränderungen
am Golf, wenn dauerhaft Frieden auf der von Krieg und
auch Genozid geprägten Arabischen Halbinsel einkehren
soll . Ja, dazu braucht es Saudi-Arabien . Dazu braucht
es aber ein modernisiertes Saudi-Arabien . Das Schicksal von Raif Badawi ist dabei zum Kristallisationspunkt
geworden . Der internationale Druck wirkt, auch wenn
das Regime dies von sich weist . Ensaf Haidar schreibt zu
Recht - auch das zitiere ich -:
Raif ist zu einer Art Staatsaffäre geworden . Sie
macht eine Fortsetzung des Strafvollzugs heikel .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, allerdings hat das
feudal-religiöse Regime in Saudi-Arabien noch immer
nicht den Ernst der eigenen Lage verstanden . Auch dazu
möchte ich die Frau von Raif Badawi zitieren, die formuliert, was auch ihr inhaftierter Mann in seinen Blogs
vielfach betont hat - ich zitiere -:
Andererseits fürchtet das Land seine aufmüpfige
Jugend - und möchte ihr gegenüber das Signal aussenden, dass es mit harter Hand gegen Blogger und
Andersdenkende vorgeht . Wie dieses interne Ringen ausgeht, ist noch nicht abzusehen .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit Blick
auf Syrien, Irak, Libyen und andere Krisen auf der Arabischen Halbinsel gilt: Wer Genozid, die Kriege und die
daraus resultierenden Fluchtbewegungen beenden will,
der muss mit allen reden . Das gilt leider auch für ein Regime wie das saudische . Dabei gilt aber auch: Saudi-Arabien ist sicher kein Freund . Deutschland kann sich keine
Freunde leisten, die das, was uns heilig ist, so brutal verachten: die Rechte der Menschen, die Menschenrechte .
Wenn wir aber diesen Drahtseilakt schon vollführen
müssen, dann kommt es umso mehr darauf an, vorsichtig
und umsichtig zu sein . Niemand darf sich missbrauchen
lassen; niemand darf diesen Regimen zu distanzlos begegnen . Regierungskontakte sind das eine . Sie bleiben in
fast jeder Lage erforderlich; das weiß doch auch jeder .
Darüber hinausgehende Gesten - auch das will ich sagen - müssen sorgfältig gewählt werden . Zu hoch bleibt
das Risiko der symbolischen Stärkung brutaler Regime,
die Gefahr der Schwächung der Opposition, im Übrigen
auch der Preisgabe unserer eigenen Glaubwürdigkeit in
Sachen Menschenrechte . Realpolitik darf die schlimme
Realität der Menschenrechte in Saudi-Arabien eben nicht
ausblenden .
Natürlich wünschen sich auch die Menschen in Saudi-Arabien eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht
und nicht eine mit sogar öffentlich zur Schau gestellter
Barbarei . Raif Badawi ist zum Symbol für Zigtausende
Fälle in diesem Land geworden . Sein Fall ist im Übrigen
ein starker Beleg dafür, dass in Saudi-Arabien keineswegs ein mittelalterliches Regime als gottgegeben hingenommen wird, wie uns manche weismachen wollen, um
ihre eigenen Interessen zu schützen .
Ich zitiere noch einmal Ensaf Haidar:
Auch wenn sich die internationale Aufmerksamkeit im Moment stark auf Raif fokussiert, dürfen
wir doch nie vergessen, dass er auch stellvertretend
für alle anderen politischen Gefangenen steht, die
in Saudi-Arabien unter härtesten Bedingungen im
Gefängnis sitzen, weil sie auf die eine oder andere Weise für Menschenrechte und Meinungsfreiheit
eingetreten sind . . . . Aber eigentlich hat Raif immer
dafür gearbeitet, etwas am politischen System in unserem Vaterland zu verändern . Deshalb ist er ja im
Gefängnis gelandet - und mit ihm noch viele andere
mutige Männer und Frauen aus Saudi-Arabien .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das saudische Königshaus bleibt in seinem Bestand gefährdet . Mit mittelalterlicher Brutalität und Dogma, auch mit Massenexekutionen auf die Auswirkungen des Internets zu reagieren,
das muss einfach schiefgehen . Ohne eine echte Öffnung
und das Beenden der Repression wird das Königshaus
nicht überleben .
Saudi-Arabien hat sich auch international isoliert, hat
durch religiösen Imperialismus und das Sponsern des
internationalen Terrorismus viele Partner verprellt . Die
Rückkehr des Irans als selbsternannte Schutzmacht der
Schiiten auf die politische Weltbühne mit seiner ebenfalls hegemonialen Politik bedeutet eine direkte Bedrohung der mittelalterlichen Wahhabiten auf der anderen
Seite des Golfs .
Es bleibt enorm wertvoll, wenn Deutschland als ehrlicher Makler versucht, einen echten Beitrag beider Länder zur Stabilisierung der Lage in Syrien, im Irak und
anderswo zu erreichen, so schwer dies auch bleibt . Das
allerdings - ich wiederhole das - darf nicht ohne Umsicht geschehen . Weil auf außenpolitischem Parkett jeder Schritt auf seine Nebenwirkungen überprüft werden
muss, gilt dies auch für die Menschenrechte .
Der Besuch in Riad und in Teheran ist wichtig und
richtig . Ein Besuch auf Prestigeveranstaltungen für die
Regime, ob in Saudi-Arabien oder im Iran, wäre dabei
grundfalsch . Für Menschenrechte und die Beendigung
von Krieg muss man manche Kröte schlucken . Einen
Fehler darf man dabei aber nicht begehen, nämlich sich
vor den Karren von Regimen spannen zu lassen, um deren Brutalität mit dem guten Namen unseres Landes zu
verbrämen .
Die Welt ist spätestens durch den Fall Badawi aufgewacht . Die neue saudische Führung braucht klare Signale, dass eine Öffnung auch für sie überlebenswichtig
ist . Peitsche und Mittelalter bedeuten im 21 . Jahrhundert
auch für eine lange Dynastie das baldige Ende .
Wir alle hier im Deutschen Bundestag sind uns einig
in den Grundwerten der Menschenrechte . Daher lautet
die gemeinsame Forderung an die saudische Führung:
Raif Badawi muss sofort aus der Haft befreit werden . Wir
erwarten, dass beim Besuch des deutschen Außenministers hierzu eindeutige Signale gesetzt werden . Die saudische Führung muss jetzt diese Zeichen der Öffnung und
der Verständigung setzen . Erst dann wird auch vonseiten
der internationalen Gemeinschaft mehr möglich, um den
Weg der Öffnung zu begleiten .
Muslime, Christen und andere setzen immer auch auf
das Prinzip Hoffnung . Denn wir glauben an das Gute im
Menschen, und zwar auch deshalb, weil wir eben nicht
mehr im Mittelalter leben .
Ich möchte meine Rede damit beenden, dass ich einer
Hoffnung Ausdruck verleihe . Es ist die Hoffnung eines
Kindes, das seinen unschuldig inhaftierten Vater wiedersehen will . Der kleine Sohn von Raif Badawi, Dodi,
hat in Kanada seiner Mutter beschrieben, wie er sich das
vorstellt:
Manchmal male ich mir zusammen mit den Kindern den Tag aus, an dem wir Raif am Flughafen in
Montreal abholen und zu uns nach Hause bringen
werden . Dodi hat mir anvertraut, dass er dann - wie
im Film - in Zeitlupe auf ihn zugehen und in seine
Arme schweben wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeiten wir daran,
dass sich der Traum dieses Kindes erfüllt .
({2})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/5450 . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/3832 mit dem Titel „Raif
Badawi sofort freilassen - Völkerrechtswidrige Strafen
in Saudi-Arabien abschaffen“ . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/3835 mit dem Titel „Ja zur Meinungsfreiheit, nein zur Folter - Menschenrechte in Saudi-Arabien schützen, Raif Badawi freilassen“ . Wer stimmt für
die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der
SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Vereinbarte Debatte
zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
60 Minuten für die Aussprache vorgesehen . - Ich höre
keinen Widerspruch .
Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner ist für die
Bundesregierung Staatsminister Michael Roth .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die große Zahl an Flüchtlingen, die derzeit nach Europa
kommen, die Wirtschaftskrise, die sich vor allem in einer viel zu hohen Jugendarbeitslosigkeit in viel zu vielen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union manifestiert,
der Vormarsch von Nationalisten und Populisten, die
Kontroverse über die Bedeutung der Grundwerte in der
Europäischen Union, das Referendum über die Zukunft
des Vereinigten Königreichs in oder außerhalb der Europäischen Union: Das sind einige Schlaglichter der derzeitigen Debatte um die Europäische Union, und ich bin mir
ziemlich sicher, dass ich damit noch nicht alle Krisen und
Bewährungsproben beschrieben habe .
Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Kommission die Zeichen der Zeit erkannt hat . „Jetzt ist nicht die
Zeit für Business as usual“: Das ist der Titel des Arbeitsprogramms der Kommission 2016 . Ja, da hat die Kommission völlig recht .
({0})
Wir haben hier im Deutschen Bundestag schon seit
vielen Jahren immer wieder auch über das Arbeits- und
Legislativprogramm der EU-Kommission gesprochen .
Ich selbst habe mir einmal die eine oder andere Rede angeschaut, die ich noch als Bundestagsabgeordneter hier
gehalten habe,
({1})
und ich stellte dabei fest, dass ich sicherlich auch zu denjenigen hier im Parlament gehörte, die bisweilen sehr
hart mit der Europäischen Kommission ins Gericht gegangen sind .
({2})
Ich war sicherlich nicht der schärfste Kritiker, aber auch
ich habe deutliche Worte gefunden .
({3})
Die EU-Kommission taugt derzeit nicht als Fußabtreter der Europäischen Union . Wir haben es nicht mit einer
Krise der EU-Institutionen zu tun . Wir haben es mit einer Krise aus einem Mangel an Solidarität und Teamgeist
und einem Übermaß an nationalen Egoismen zu tun . Das
ist die eigentliche Krise . Deshalb - das sage ich leichten
Herzens und auch dankbar - hat die Kommission auf vielen Politikfeldern zu liefern gesucht .
Juncker versteht sich und seine Kommission vor allem
als politischen Impulsgeber und als Antreiber und nicht
als bloße Verwaltungsmaschinerie, und die Bundesregierung unterstützt die Kommission und ihren politischen
Gestaltungsanspruch ausdrücklich .
Juncker hat vor einigen Monaten gesagt:
Es fehlt an Europa in dieser Europäischen Union
und es fehlt an Union in dieser Europäischen Union .
Ja, da hat er wohl recht . „Mehr Union“ heißt eben nicht,
noch mehr Regelungen im Detail, sondern mehr Gemeinsamkeit und Konzentration auf das Wesentliche .
Ich will die großen Bewährungsproben, denen wir derzeit ausgesetzt sind, nur sehr schlaglichtartig beschreiben und mit der Flüchtlingspolitik beginnen . Hier ist ein
Kurswechsel nötig . Deutschland leistet viel, Schweden,
Österreich und auch Griechenland stoßen an ihre Grenzen . Aber wir haben mit der EU-Kommission einen Verbündeten .
Wenn ich mir die derzeitigen Vorschläge zur Stärkung
der EU-Außengrenzen und die Vorschläge der Kommission zum erweiterten Mandat von Frontex und zum Ausbau zu einer Küstenschutz- und Grenzschutzwache vor
Augen führe, dann sage ich: Richtig so, aber wir brauchen eben auch eine breite Mehrheit in der EU, bei unseren Partnern und Freunden in den EU-Mitgliedstaaten .
({4})
Ich bin einmal gespannt, wie die Debatte weitergeht .
Demnächst wird die EU-Kommission Vorschläge zur
grundlegenden Reform des Dublin-Systems auf den
Tisch legen, und ich bin mir ziemlich sicher: Auch hier
werden wir ein hohes Maß an Übereinstimmung mit den
Vorschlägen der Kommission feststellen . Umso wichtiger ist es, dass dieses Bündnis zwischen der Kommission
und der Bundesregierung, getragen von vielen Abgeordneten im Deutschen Bundestag, hält und stabil bleibt .
Ich will einen weiteren wichtigen Punkt benennen, der
uns hier im Bundestag über viele Jahre hinweg umgetrieben hat . Die strategische Agenda der EU-Kommission
liegt genau auf der Linie der Koalitionsfraktionen und darüber hinaus - auch weiterer Akteure . Wir brauchen
in der EU endlich eine Politik für Wachstum und Beschäftigung, eine Politik, die sich dem Kampf gegen die
Massenarbeitslosigkeit, vor allem der jungen Menschen,
entschieden stellt .
({5})
Auch hier hat die EU-Kommission eine Reihe von vernünftigen, zukunftsweisenden Vorschlägen auf den Tisch
gelegt .
Jeder Jugendliche, der keinen Arbeitsplatz und keine
Perspektive hat, ist einer zu viel . Das ist nicht eine rein
nationale Aufgabe . Das ist eine gemeinsame Aufgabe,
der wir uns in der Europäischen Union stellen können .
Wir selbst wissen ja: Mit unserer starken Wirtschaft in
Europa, mit unserem stabilen Sozialstaat haben wir jungen Leuten aus anderen Ländern der Europäischen Union
eine Perspektive eröffnet . Aber das kann nicht die einzige
Lösung sein . Vielmehr brauchen wir ordentliche Perspektiven in den jeweiligen Heimatländern der Jugendlichen .
Wir verstehen uns auch nicht, liebe Kolleginnen und
Kollegen, als der Oberlehrer in der EU, der erst einmal
auf die anderen weist . Nein, wir wollen in der Europäischen Union ermutigen und ermuntern . Wenn ich mir einmal unsere Flüchtlings- und Migrationspolitik anschaue,
dann stelle ich fest, dass sie von Mut und Ermunterung
geprägt ist . Wir versuchen, Schengen zu retten . Wir tun
eine Menge dafür, dass das, was für die Bürgerinnen und
Bürger seit vielen Jahrzehnten spürbar und erfolgreich
ist, auch eine Zukunft hat . Auch hier setze ich auf eine
enge Abstimmung zwischen Deutschland und der Kommission .
Die Krisen erfordern eben nicht einfach ein Weiter-so,
sondern ein entschiedenes Handeln . Ich weiß, wie wir
mit den vielen Krisen in der Vergangenheit umgegangen
sind . Die einen sagten: Die EU ist aus den Krisen immer
gestärkt hervorgegangen . - Daran ist manches richtig .
Die anderen wiederum sagten: Es ist noch immer gut
gegangen . - Na ja, und da gab es vielleicht auch noch
den einen oder anderen, der sich dafür nicht sonderlich
interessiert hat . Ich glaube, jetzt, in dieser dramatischen
Lage, in der wir uns befinden, hilft es nichts, EU-Bashing
zu betreiben .
({6})
Was hilft, ist, Europa mit konkretem Handeln wieder fit
zu machen . Von Deutschland als stärkstem Land in der
Mitte der Europäischen Union geht eine ganz besondere
Verantwortung aus .
Ich stelle mir natürlich folgende Fragen: Wie geht es
in dieser immer heterogener werdenden Union weiter?
Brauchen wir möglicherweise mehr Differenzierung?
Müssen die Staaten, die entschieden in eine Richtung
gehen wollen, möglicherweise vorangehen? Meines Erachtens ist ein solches Europa der Tempomacher möglicherweise besser als ein Europa des Stillstands oder gar
des Rückschritts . Rückschritt brauchen wir nicht . Differenzierung tut not .
Insofern bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
das Arbeitsprogramm der Kommission genauso kritisch
wie immer, aber auch nicht minder konstruktiv zu begleiten . Ich wünsche mir, dass das eine oder andere, was sich
im Arbeitsprogramm wiederfindet, vom Deutschen Bundestag aktiv begleitet werden könnte . Dafür bitte ich Sie
um Unterstützung . Ich freue mich jetzt auf die Debatte .
Vielen herzlichen Dank .
({7})
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Europäische Union ist gerade dabei, an ihren zum Teil
selbst verursachten Krisen zu zerbrechen .
({0})
Herr Staatsminister Roth, ich glaube, auch Sie sollten langsam anfangen, nicht business as usual zu machen
und hier eine Sonntagsrede zu Europa zu halten, sondern
Sie sollten sich wirklich Gedanken machen, wo die Bundesregierung Mitverursacher bzw . Hauptverursacher dieser Krisen ist . Sie organisieren eine Politik mit, die dazu
führt, dass die Troika in die südeuropäischen Länder geschickt wird, während Sie gleichzeitig hier davon reden:
Wir brauchen mehr Wachstum und Beschäftigung . - Sie
müssen Ihre Politik verändern und keine Sonntagsrede zu
Europa halten, in der das Gegenteil von dem gesagt wird,
was politische Praxis ist .
({1})
Zur Flüchtlingspolitik . Wir können uns alle daran erinnern, als in Lampedusa viele Flüchtlinge angekommen
sind und die Italiener uns gefragt haben, wie wir ihnen
helfen können . Die deutsche Bundesregierung hat damals
diese Solidarität verweigert und auf Dublin hingewiesen .
Deshalb ist das, was jetzt kommt, eine Retourkutsche .
Deutschland hat mit dieser unsolidarischen Politik angefangen, und jetzt kommt die Retourkutsche von anderen
europäischen Ländern .
Schauen wir uns das einmal an: 160 000 Flüchtlinge
sollen verteilt werden . Seit Monaten ist das im Gespräch .
Wissen Sie, wie viele von diesen 160 000 Flüchtlingen
bisher verteilt worden sind? 300 . Und was diskutiert
die Bundesregierung? Sie will mal wieder den Griechen
die Schuld geben, weil sie ihre Außengrenzen scheinbar
nicht schützen - nach dem Motto: Die Griechen sind
wieder dran schuld .
Aber eines ist klar: Mit Zäunen und Grenzkontrollen
wird man dieses Problem nicht lösen .
({2})
Deshalb braucht die Bundesregierung auch hier eine
ganz andere Haltung .
Aber wir sehen, dass die Bundesregierung auch hier
handlungsunfähig ist und damit als größter Player in der
Europäischen Union ausfällt . Was sich CDU, CSU und
SPD in der Flüchtlingsfrage täglich leisten, ist kaum
noch als Regierungsversagen zu beschreiben . Es ist ein
Totalversagen dieser Bundesregierung .
({3})
Es ist aber auch nicht hinnehmbar - auch das sagen
wir als Linke ganz deutlich -, dass Länder wie Polen und
Ungarn auf Totalverweigerung umstellen . Es kann doch
nicht sein, dass Länder, die über die EU-Töpfe Solidarität
verlangen, eigene Solidarität verweigern . Deshalb muss
die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene dafür
einsetzen, dass diese EU-Töpfe geschlossen bleiben,
wenn von diesen Ländern menschliche Hilfe verweigert
wird .
Und damit auch das klar ist: Wir brauchen eine andere Haltung zur Türkei . Es kann nicht sein, dass die
EU-Kommission zu Recht darüber diskutiert, ob das Vorgehen Polens noch mit den europäischen Werten vereinbar ist, aber gleichzeitig mit der Türkei weitere Beitrittsverhandlungen geführt werden . Eigentlich müssten die
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort gestoppt
und auf Eis gelegt werden .
({4})
Herr Kollege, der Kollege Sarrazin würde Ihnen gerne
eine Frage stellen . Darf er das?
Natürlich . Sehr gerne .
Bitte schön .
Herr Ulrich, Sie haben gerade die Forderung aufgestellt, dass Mittel aus dem EU-Haushalt nicht an Länder
ausgezahlt werden sollen, die menschliche Hilfe in der
Flüchtlingskrise, der sogenannten, verweigern . Was genau erfüllt aus Ihrer Sicht den Tatbestand einer Verweigerung dieser Hilfe? Was genau muss gegeben sein, damit
aus Ihrer Sicht festzustellen ist, dass kein Geld ausgezahlt wird? Haben Sie diese Vorschläge mit dem Ministerpräsidenten der Hellenischen Republik abgestimmt,
oder laufen wir Gefahr, dass Sie die Nächsten sind, die
Griechenland damit das Geld absprechen wollen?
({0})
Herr Sarrazin, ich glaube, es wird Zeit, dass auch Sie
anerkennen müssen, dass Griechenland gemessen an
der Einwohnerzahl viel mehr für die Flüchtlinge tut als
Deutschland .
({0})
Die Griechen sind die Allerletzten, die man da an den
Pranger stellen kann . Im Gegenteil: Griechenland würde
davon profitieren, wenn es eine europäische Solidarität
gäbe . Es ist doch genau das Problem, dass viele Länder
sich dieser Solidarität verweigern . Das sage ich Ihnen
ganz deutlich . Länder wie Ungarn oder Polen, die auf
Totalverweigerung setzen, dürfen keine finanzielle Hilfe
von Europa bekommen .
({1})
Das könnte durchgesetzt werden, wenn der politische
Wille vorhanden wäre .
({2})
Eine andere Krise, die dadurch in den Hintergrund
gerückt ist, die Euro- und Finanzkrise, ist aber weiterhin nicht vorbei . Im Gegenteil: In Italien sind gerade mal
wieder vier Banken mit 750 Millionen Euro gerettet worden, ohne dass man die kleinen Sparguthaben gesichert
hat, was schon dazu geführt hat, dass sich in Italien Rentner umgebracht haben . Was die EU macht, ist mir schleierhaft: Man kehrt zu den Rezepten zurück, die 2007 in
den USA zum Beginn des großen Crashs geführt haben .
Auch der Umgang mit der Euro-Krise ist ein Totalversagen in der Europäischen Union .
({3})
Was ist im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission auch noch enthalten? Natürlich - richtig! - TTIP .
Laut dem Arbeitsprogramm hat TTIP eine Top-Priorität .
Deshalb fragt man sich schon: Haben die Damen und
Herren in Brüssel und auch in der deutschen Bundesregierung immer noch nicht verstanden, dass die Menschen
in Europa TTIP ablehnen, weil sie verstanden haben,
dass TTIP ein Frontalangriff auf Soziales, Demokratie,
Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz ist?
({4})
Alleine in Deutschland ist in den letzten eineinhalb Jahren die Zustimmung von 55 Prozent auf 34 Prozent gesunken . Im Oktober gab es hier in Berlin eine der größten
Demonstrationen in Deutschland in den letzten zehn Jahren . 250 000 Menschen haben in Berlin für „Stop TTIP“
demonstriert . Eine ganz tolle Veranstaltung!
({5})
3,3 Millionen Menschen aus ganz Europa haben den Aufruf der Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben . Die
Kommission tut aber so, als wäre nichts gewesen . Die
Bundeskanzlerin hat sich zudem geweigert, einen Termin
zu finden, an dem die Unterschriften übergeben werden
können . Auch das zeigt: TTIP soll gegen die Mehrheit
der Menschen in Europa durchgesetzt werden .
In diesem Zusammenhang möchte ich den Leseraum
ansprechen, der uns im Wirtschaftsministerium zur Einsichtnahme der Dokumente zur Verfügung gestellt wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wie ihr
damit umgeht, aber eigentlich müssen wir alle im Bundestag sagen: Das spottet jeder Demokratie .
({6})
Abgeordnete sind nicht für sich selbst da . Es ist geradezu unsere Aufgabe, mit Experten sowie Wählerinnen
und Wählern über das, was wir dort lesen können, ins
Gespräch zu kommen . Dass man uns das verweigert, ist
eigentlich eine Entmachtung des Bundestags, und Sie
freuen sich scheinbar darüber . Wir als Linke sagen: Auch
mit diesem Leseraum hat man nichts dafür getan, dass
Transparenz und Demokratie mit Blick auf TTIP hergestellt werden .
({7})
Last, but not least will die Europäische Kommission
einmal mehr etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun .
Ich weiß nicht, zum wievielten Male sich die Kommission dafür lobt, dass 6 Milliarden Euro zur Verfügung
gestellt werden, um gegen die Jugendarbeitslosigkeit
vorzugehen . Was passiert? Im Euro-Raum liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20 Prozent . In Griechenland
und Spanien liegt sie bei über 50 Prozent . Die vielfach
gepriesene Jugendgarantie hat überhaupt nichts gebracht,
weil sie angesichts der Probleme lächerlich klein ist und
zugleich durch eine permanente Rezessionspolitik, Herr
Staatsminister Roth - genau das ist es nämlich, wenn
man in der Krise immer weiter die Ausgaben kürzt -,
auch noch konterkariert wird . Ich nenne ein Beispiel:
Wir haben 1,8 Billionen Euro zur Verfügung gestellt,
um die Banken zu retten, aber wir haben nur lächerliche
6 Milliarden Euro, um etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu tun . Das zeigt, wo die Prioritäten der
EU-Kommission und der Bundesregierung liegen .
Das vorliegende Arbeitsprogramm der Kommission
ist eine Bankrotterklärung . Die gegenwärtige EU-Politik
ist gegen die Demokratie gewendet, führt zu immer mehr
Sozialabbau und hat kaum Respekt vor den Menschenrechten . Als Parlament sollten wir die Bundesregierung
auffordern, sich in Brüssel für eine Politik einzusetzen,
die dafür sorgt, dass der Druck auf Länder, die sich in der
Flüchtlingsfrage verweigern, deutlich erhöht wird,
({8})
dass der türkische Terror gegen Kurden nicht auch noch
mit EU-Mitteln unterstützt wird und stattdessen das
Welternährungsprogramm massiv ausgebaut wird,
({9})
dass die Finanzmärkte endlich geschrumpft und streng
reguliert werden durch eine Zerlegung der Großbanken
in kleinere Einheiten und eine Besteuerung sämtlicher
Finanztransaktionen, dass die Interessen der Menschen
endlich Vorrang vor denen der Banken haben - 6 Milliarden für die Jugend und 1,8 Billionen für die Banken, das
geht überhaupt nicht -,
({10})
dass Reichtum endlich anständig besteuert wird - gerade
kam heraus, dass 62 Menschen so viel Vermögen besitzen wie die halbe Weltbevölkerung; Europa liegt da voll
im Trend; das muss geändert werden -,
({11})
dass die europäischen Steueroasen endlich trockengelegt werden, dass eine echte soziale Mindestsicherung
geschaffen wird, die allen Menschen in Europa ein armutsfreies Leben garantiert, und nicht zuletzt dass TTIP
und CETA endlich abgeblasen werden und eine breite
Debatte über eine Neuausrichtung der EU-Handelspolitik initiiert wird .
Ich wünsche mir, dass sich Europa und die Bundesregierung endlich gegenüber den USA emanzipieren; denn
viele Probleme in Europa werden wir nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland lösen . Deshalb müssen
die Sanktionen endlich aufgehoben werden . Das wäre
eine vernünftige Politik in diesem Jahr und nicht business
as usual, wie es Herr Staatsminister Roth leider betreibt .
Vielen Dank .
({12})
Der Kollege Thomas Dörflinger hat für die CDU/CSU
das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „It’s no time
for business as usual“ . Es ist nicht die Zeit, um nur das
gewöhnliche Geschäft zu erledigen . Und ich ergänze
nach der eben gehörten Rede: Wenn das die Überschrift
über dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ist, dann ist auch „no time for speeches as usual“ .
Also: Es ist auch keine Zeit, die üblichen Reden zu halten, meine Damen und Herren .
({0})
- Ich habe es gerade übersetzt, Herr Kollege Sarrazin .
Herr Staatsminister Roth hat gesagt, wir sollen uns
wie in den Jahren zuvor kritisch und konstruktiv mit dem
Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission auseinandersetzen . Nun bin ich völlig unverdächtig, dass ich
der Bundesregierung unnötiges Lob zollen würde dort,
wo sie es nicht verdient hat . Aber, Herr Kollege Ulrich,
so kann man es auch nicht machen: dass man sämtliche
Missstände zwischen Lappland und Gibraltar, die man
glaubt erkannt zu haben, aufsummiert und die Schuld
dann einerseits der Kommission und andererseits der
Bundesregierung in die Schuhe schiebt . An allen Missständen zwischen Lappland und Gibraltar ist weder die
eine noch die andere Institution schuld . Da machen Sie
es sich etwas einfach .
({1})
Kritische Befassung heißt zum Beispiel, dass wir der
Kommission auch attestieren, dass sie über die letzten
Jahre etwas gelernt hat und dass sie sich offenkundig
hat leiten lassen von einem Wort, das der französische
Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry geprägt hat,
wenn er formuliert hat: Perfektion ist nicht dann erreicht,
wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man
nichts mehr weglassen kann . - Eine bemerkenswerte
Formulierung, der man beim Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission vielleicht nicht in allen Details,
aber mindestens bei der Grundstruktur gerecht geworden
ist . Zu dem Schluss kommt man, allein wenn man auf
den Umfang sieht .
Ich sage allerdings kritisch hinzu: Ich wünsche mir
schon, dass wir, wenn es an das Abarbeiten der einzelnen Punkte aus dem Arbeitsprogramm geht, uns nicht im
Detail verlieren, sondern dass wir uns tatsächlich auf das
konzentrieren, was in den laufenden zwölf Monaten unbedingt notwendig und was prioritär ist .
Da Detlef Seif und Andrea Lindholz nachfolgend etwas zum Thema Migrationspolitik sagen werden, konzentriere ich mich an der Stelle nur auf den einen Punkt:
Wenn das Thema Migrationspolitik unter aktuellen
Vorzeichen sozusagen wie eine imaginäre, unsichtbare
Überschrift über dem Arbeitsprogramm der Kommission steht - zu Recht aus meiner Sicht -, dann heißt das
notwendigerweise auch, dass wir uns beim Abarbeiten
nicht nur darauf konzentrieren können, in das Arbeitsprogramm zusätzlich etwas hineinzuformulieren, sondern
dass andere Punkte - abseits dieses Themas - vielleicht
bis zum nächsten oder bis zum übernächsten Jahr warten
können .
Ich will durchaus anerkennen, dass es in den Anhängen des Arbeitsprogramms, insbesondere in den
Punkten IV und V, insgesamt 48 Rechtsakte gibt, von
denen die Kommission sagt: Entweder wir verfolgen
diese Rechtsakte nicht weiter, oder wir heben bestehende
Rechtsakte auf . - Auch das ist eine Neuerung gegenüber
den Arbeitsprogrammen der Kommission in den letzten
Jahren .
Ich sage an dieser Stelle allerdings auch: Ich wünsche
mir schon, dass dieser Absicht dann nicht anschließend
der Gedanke folgt, dass das, was man jetzt nicht weiterverfolgen oder abschaffen will, dann im Arbeitsprogramm der Jahre 2017 ff . in einem anderen Gewand wieder auftaucht . Einmal gestrichen bleibt gestrichen . Einen
Relaunch sollte es an dieser Stelle nicht geben, meine
sehr verehrten Damen und Herren .
({2})
Die Kommission kündigt zu Recht an, mehr Transparenz
ins Verfahren zu bringen und die verstärkte Zusammenarbeit auch mit den Mitgliedstaaten und mit dem Rat zu
suchen . Der Ansatz ist richtig, aber er muss sich realiter
auch beweisen .
Ich will das aktuell an der Diskussion um die Einlagensicherung deutlich machen . Am Vorhaben, am Inhalt
der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten nationale Systeme zur Einlagensicherung einführen sollen, besteht in
diesem Hohen Haus und vermutlich über dieses Hohe
Haus hinaus kein Zweifel; da sind wir uns alle einig .
Fakt ist aber, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinie
im Juli des vergangenen Jahres, am 3 . Juli, abgelaufen
ist . Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat diese Richtlinie
bislang nicht umgesetzt .
Vor diesem Hintergrund, wie es die Kommission am
26 . November des vergangenen Jahres getan hat, die
Richtlinie zur europäischen Einlagensicherung auf den
Weg zu bringen, macht wenig Sinn, insbesondere wenn
die Kommission selbst sagt, dass ihre Vorstellungen zur
europäischen Einlagensicherung darauf fußen, dass zuvor die Maßnahmen zur nationalen Einlagensicherung
ergriffen worden sind . Also, die Logik des eigenen Arbeitens sieht, was die Abfolge der einzelnen Schritte angeht, anders aus .
Ich sage hinzu: Wenn der Ansatz richtig ist, dass die
Mitgliedstaaten nationale Einlagensicherungssysteme
installieren, dann kann man sich durchaus trefflich darüber streiten, ob es darüber hinaus einer europäischen
Einlagensicherung noch bedarf . Ich sage aus meiner persönlichen Sicht: Das ist das Bail-in durch die Hintertür .
Deswegen sage ich: Wir wollen dieses europäische Einlagensicherungssystem nicht nur nicht jetzt, zum jetzigen
Zeitpunkt, sondern wir wollen es überhaupt nicht .
({3})
Dass Jugendarbeitslosigkeit in Europa, Herr Kollege
Ulrich, insbesondere wenn ich die südlichen Staaten betrachte, Spanien beispielsweise, aber auch Portugal und
Griechenland, nicht nur aus der Sicht der betroffenen
Jugendlichen ein Skandal ist, darin sind wir uns einig .
Aber die Erfahrung aus Deutschland beispielsweise, wo
wir die Verhältnisse nachgewiesenermaßen am besten
kennen, aus der Zeit, in der wir auch 5 Millionen und
mehr Arbeitslose hatten - nicht nur Jugendliche, aber wir
hatten eine wesentlich höhere Jugendarbeitslosigkeit als
heute -, zeigt, dass die Hoffnung und das Verlassen darauf, dass ein Programm der Europäischen Kommission
dieses Problem löse, wohl trügerisch sind .
Ich bin sehr dafür, dass nationale Anstrengungen ihre
Begleitung auch im Arbeitsprogramm der Europäischen
Kommission finden, beispielsweise über den Europäischen Sozialfonds . Das ist unbestritten . Aber der Ansatz
zur Lösung dieser Probleme muss aus den Nationalstaaten kommen . Deutschland hat in den vergangenen Jahren
hier Maßnahmen ergriffen . Die Zahlen, auf die wir heute
sehen können, auch wenn sie regional etwas differenziert
ausfallen, sowohl was die Entwicklung der Arbeitslosigkeit insgesamt als auch was die Entwicklung der JugendThomas Dörflinger
arbeitslosigkeit angeht, zeigen, dass wir an dieser Stelle
auf dem richtigen Weg sind .
({4})
Die Kommission sagt, sie wolle die Durchsetzung verbessern . Deswegen ist es richtig, dass wir nicht nur einen
Blick darauf richten, wie denn umgesetzt worden ist, also
wo europäisches in nationales Recht überführt worden
ist, sondern dass wir verstärkt den Blick darauf richten,
ob der Umsetzung in nationales Recht anschließend auch
die Implementierung gefolgt ist . Das ist nämlich der entscheidende Punkt . Papier ist geduldig . Wichtig ist, ob
das, was an Möglichkeiten internationalen bzw . nationalen Rechts vorhanden ist, tatsächlich anschließend auch
angewandt wird oder nicht .
An dieser Stelle gibt es durchaus einen Nachholbedarf . Insofern kann ich die Kommission nur bestätigen
in ihrer Auffassung, dass die Hüterin der Verträge notwendigerweise bei der Begleitung des Arbeitsprogramms
der Europäischen Kommission und der Umsetzung desselben auch eine Kontrollfunktion ausüben wird und
ausüben muss, was mit der politischen Funktion, die die
Kommission zweifelsohne auch hat, nicht zwangsläufig
in einem kritischen Verhältnis stehen muss .
Letzte Bemerkung . Ich habe gestern im Ausschuss
bei den Beratungen zum Arbeitsprogramm mit Interesse
und Zustimmung gehört, dass der Leiter der Vertretung
der Europäischen Kommission hier in Berlin, Richard
Kühnel, gesagt hat, dass ein Arbeitsprogramm ein lernendes System ist, ein System, das so flexibel sein muss,
dass wir uns jederzeit in der Lage sehen müssen, auf aktuelle Entwicklungen ad hoc und vielleicht auch in Teilen
unkonventionell zu reagieren .
Ich will zum Schluss an dieser Stelle gern einen Vorschlag wiederholen, den Bundesminister Gerd Müller
vor einigen Wochen im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union unterbreitet hat, was die Prioritätensetzung nicht nur in den nächsten zwölf Monaten
angeht: Wenn jeder Mitgliedstaat in der Europäischen
Union nach seiner Leistungsfähigkeit und nach dem, was
ihm finanziell und materiell möglich ist, versucht, für die
Verbesserung der Situation in den Herkunftsstaaten der
Migranten, die jetzt nicht nur nach Deutschland, sondern
nach Zentraleuropa strömen, etwas zu tun, dann bekommen wir auf der Basis von 28 Mitgliedstaaten tatsächlich
eine solche Summe zusammen, um realiter etwas tun
zu können . Dazu ist es aber notwendig, dass wir in den
nächsten zwölf Monaten die richtigen Schwerpunkte setzen . Ich freue mich auf die weitere Beratung .
Herzlichen Dank .
({5})
Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Über das Arbeitsprogramm der Europäischen
Kommission am Beginn eines Jahres zu reden, obwohl
wir alle nicht wissen, was am Ende des Jahres hinter uns
liegen wird, wie Europa am Jahresende aussehen wird,
ist ein bisschen eine absurde Herausforderung .
({0})
Wir wissen alle nicht, ob das Referendum im Juni dieses
Jahres in Großbritannien dafür sorgen wird, dass Europa so oder so ganz schnell ganz anders aussieht . Wir erleben, dass eine Regierungspartei in Deutschland dazu
aufruft, den Schengen-Raum faktisch abzuschaffen . Außerdem befinden wir uns in einer Situation, in der wir die
größte Zuspitzung einer ökonomischen Krise verdrängt
zu haben glauben, die aber durch Unsicherheiten aufgrund externer Effekte, durch Entwicklungen beim Ölpreis, bei den Zinsen oder auch durch Schocks im Weltwirtschaftssystem sehr schnell zurückkommen könnte .
In dieser Lage besprechen wir das Arbeitsprogramm der
EU-Kommission .
Dazu lässt sich zunächst festhalten, dass es eine bemerkenswerte Entwicklung in der Politik der Bundeskanzlerin gegeben hat: Jahrelang hat die Bundeskanzlerin
seit ihrer Rede in Brügge mit Hinweis auf die sogenannte
Unionsmethode das Credo geäußert: Die Nationalstaaten
lösen Probleme in Krisen besser, weil die europäischen
Institutionen nicht in der Lage sind, zu liefern . - Jetzt
zeigt sich in der Flüchtlingssituation, dass das System
der Nationalstaaten, wo man jeweils zu Hause populistisch herumschreit und zum Ausdruck bringt, woran
andere schuld sind und was nur für einen selber gilt,
versagt . Man merkt plötzlich - wie Herr Staatsminister
Roth zu Recht gesagt hat -, wie wichtig eine Europäische
Kommission als strategischer Verbündeter ist, wenn man
Schwierigkeiten bewältigen muss .
({1})
In dieser Situation, glaube ich, ist es sehr wichtig, dass
Deutschland einen klaren Kompass hat und dass wir an
den Werten, die in Artikel 2 des EU-Vertrages festgelegt
sind, und auch an den Werten, die in den ersten Artikeln
des Grundgesetzes niedergeschrieben sind, festhalten
und dass wir bei allem Streit über Maßnahmen, darüber, wie man Probleme lösen und was man tun kann, nie
aus den Augen verlieren, dass die Würde des Menschen
Ausgangspunkt von deutscher Politik ist . Ich habe das
Gefühl, dass in manchem Streit in der Koalition Artikel 1
unseres Grundgesetzes nicht genügend berücksichtigt
wird .
({2})
Ich möchte aber noch etwas anderes sagen . In dieser
Situation, in der keiner mehr glaubt, eine europäische
Lösung sei noch erreichbar, bin ich einer derjenigen, die
glauben, es lohne sich noch, an diesem Ziel festzuhalten . Es wurde schon aus den Ausschusssitzungen zitiert,
Frau Merkel habe im Ausschuss gesagt, man sollte nicht
zu früh die Errungenschaften von Schengen aufgeben;
sonst würden unsere Kinder in 30 Jahren fragen: Habt
ihr schon nach einem halben Jahr aufgegeben? Habt ihr
schon nach neun Monaten aufgegeben?
Noch etwas anderes . Der Einigungsdruck ist doch
nicht zu leugnen . Glaubt irgendjemand hier im Saal,
dass ein Ja für den Verbleib in der Europäischen Union
beim Referendum in Großbritannien im Juni dieses Jahres - dann wird es wahrscheinlich stattfinden - zustande
kommt, wenn wir es bis dahin nicht hinbekommen, eine
klar erkennbare gemeinsame europäische Politik zum
Thema Flucht und Migration auf dem Tisch liegen zu haben? Mit dem in Deutschland ausgetragenen Streit, der
diejenigen, die wir eigentlich überwinden müssen, die
Kaczynskis und die Orbans, ja nur stärkt, weil ihre Argumente von Herrn Seehofer vorgetragen werden, lähmen
Sie die Europäische Union . Mit dieser Unentschlossenheit, mit diesem Hickhack wird das Argument „Europa
ist der Anker für Stabilität“ auch für das Vereinigte Königreich unterminiert werden .
({3})
Deswegen: In schweren Stunden sollte man wissen,
wo man steht, und man sollte da stehen, wo die eigenen
Werte sind . Ich wünsche mir, dass das Arbeitsprogramm
der Europäischen Kommission für alle in diesem Haus
Anlass ist, sich darüber noch einmal klar zu werden .
Vielen Dank .
({4})
Die Kollegin Dr . Dorothee Schlegel hat für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! Auch ich begleite das Arbeitsprogramm der
Europäischen Kommission gerne kritisch und beginne
mit drei kritischen Äußerungen .
Eigentlich sollte 2016 das Europäische Jahr gegen
Gewalt an Frauen werden . Dazu ist es leider nicht gekommen .
Die zweite enttäuschende Nachricht aus Brüssel im
vergangenen Jahr betraf das im Primärrecht der EU verankerte Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern . Es fehlt also an der Besinnung auf die ureigensten
Grundlagen der EU .
Zum Jahreswechsel erlitt noch eine weitere Entscheidung auf europäischer Ebene im Bereich Gender Equality eine klare Niederlage . So erhielt die Bundesregierung
auf der Tagung des Rates im Dezember ihren Prüfvorbehalt aufrecht, und die EU-Frauenquote scheiterte, nicht
zuletzt aufgrund der deutschen Stimmenthaltung .
({0})
- Ja . Gott sei Dank nicht aus den Reihen der SPD .
({1})
- Auch wahr . - Folglich erzielte der europäische Ministerrat gegen die Interessen der Frauen und gegen die Interessen der Wirtschaft keine Mehrheit für einen mindestens 40-prozentigen Frauenanteil in den Aufsichtsräten
börsennotierter Unternehmen . Dabei hatte die vorgelegte
EU-Richtlinie von uns nicht mehr verlangt als unsere
eigene Quote, mit der wir durchgesetzt haben, dass auf
jedem dritten Aufsichtsratsstuhl börsennotierter Unternehmen künftig, also ab jetzt, eine Frau zu sitzen hat .
Immerhin ist in vielen EU-Mitgliedstaaten seit Beginn
der Diskussion um die Quote der Frauenanteil in Aufsichtsräten gestiegen . Norwegen erreichte bereits 2009
40 Prozent, und in Frankreich sollen diese 40 Prozent bis
2017 erreicht werden .
Wir alle können es inzwischen rauf- und runterbeten:
Es gibt handfeste wirtschaftliche Gründe, Frauen und
Männer im Arbeitsleben gleichzustellen . Gleichberechtigung würde nämlich die Wirtschaft boomen lassen . Zu
diesem Ergebnis kommen führende internationale Unternehmen, die Europäische Stiftung zur Verbesserung der
Lebens- und Arbeitsbedingungen und Unternehmensberatungen, zum Beispiel McKinsey in der Studie „The
Power of Parity“ . Die Steigerung des EU-Bruttosozialprodukts betrüge - ich nenne hier ganz gerne eine Zahl etwa 325 Milliarden Euro . Das ist deutlich mehr als die
Ausgaben des Bundes im vergangenen Jahr . Mein Fazit
hier ist schon mal: Gleichberechtigung lohnt sich wirtschaftlich .
({2})
Aber im neuen Arbeitsprogramm der EU-Kommission mit dem Titel „Jetzt ist nicht die Zeit für Business
as usual“, das als erste Priorität „neue Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Innovationen“ nennt, kommt
Gleichstellung von Frauen und Männern nicht vor . Auch
im Zehn-Punkte-Plan des Kommissionspräsidenten
Juncker fehlt sie völlig . Dies ist nicht nur eine Fehlentscheidung, sondern auch ein Schlag ins Gesicht aller
Frauen in der EU . Zur Erinnerung: Das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern und die Verpflichtung
zu einer aktiven Politik im Sinne des Gender Mainstreaming sind im Primärrecht, also dem ranghöchsten Recht
der EU, verankert .
Im letzten Sommer hatten sich die zuständigen Ministerinnen und Minister aus 22 Mitgliedstaaten veranlasst
gesehen, die EU-Kommission in einem offenen Brief
zur Verabschiedung einer neuen Gleichstellungsstrategie
aufzufordern; denn die bisherige ist 2015 ausgelaufen .
Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geben
wir uns damit nicht zufrieden . Der SPD-Vorstand forderte zuletzt im Januar vehement: Diese Strategie muss
weitergeführt werden . - Die Kommission hatte nämlich
im Dezember lediglich ein internes Arbeitsdokument
vorgelegt, obwohl internationale Frauenrechtsorganisationen, das Europäische Parlament und die Mehrheit der
Mitgliedstaaten eine neue Strategie gefordert haben . Bereits in der aktuellen Strategie „Europa 2020“ gab es kein
eigenes Gleichstellungsziel im Bereich Beschäftigung
mehr . Es fehlt seit den 2000er-Jahren ein festgelegter
Finanzierungsrahmen für die Gleichstellung von Frauen
und Männern .
Meine Damen und Herren, die Kommission betont
zwar, dass sie eine Kontinuität ihrer Politik wünsche .
Durch die aktuellen Entscheidungen ist jedoch zu befürchten, dass die Gleichstellung schleichend von der
Agenda und aus den Förderaktivitäten der EU verschwindet . Aktuelle Stimmen wie die aus Polen über die
neue Sicht auf Frauenfragen im Land müssen uns daher
aufhorchen lassen . Da heißt es: „In puncto Gleichberechtigung stehen uns harte Zeiten bevor .“ . So formulierte es
eine Dozentin für Gesellschaftspolitik an der Universität Warschau . Wir dürfen also - damit möchte ich zum
Schluss kommen - nicht genau die Chancen verspielen,
die über Jahrzehnte in einem geeinten Europa gewachsen
sind . Wir nehmen daher Herrn Juncker sehr gerne beim
Wort: „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“ . Es
heißt ja nicht nur auf Deutsch: Wir brauchen in Europa
eine vorwärtsgewandte Frauen- und auch Familienpolitik .
Herzlichen Dank .
({3})
Der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn hat für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Europäische Union ist ganz zweifelsohne in einer
sehr schwierigen Lage . Manche sprechen sogar von Krise . Es ist aber, glaube ich, zu einfach - da schaue ich
einmal in eine bestimmte Richtung -, die EU als Ganzes
anzugreifen und EU-Bashing zu betreiben . Das ist zu undifferenziert, weil es die EU gar nicht gibt . Ich muss dem
Kollegen Michael Roth vollkommen zustimmen, wenn
er sagt, es seien vor allen Dingen die nationalen Egoismen,
({0})
die für die Krise, die wir in der Europäischen Union gerade beobachten, verantwortlich sind . Es sind die Nationalstaaten, die nationalen Regierungen und weniger
die Institutionen auf EU-Ebene . Gerade jetzt wären aber
mehr Zusammenhalt und mehr Solidarität zwischen den
Nationalstaaten und innerhalb der Europäischen Union
notwendig . Leider beobachten wir diese nicht . Auch in
der Bundesregierung gibt es zu viele nationale Egoismen . Manuel Sarrazin hat schon betont, welche Regierungspartei immer wieder nationale und antieuropäische
Positionen vertritt .
Wenn man sich die Herausforderungen anschaut, vor
denen wir stehen, dann muss man sagen: Angesichts globaler Herausforderungen wie der Klimakatastrophe, den
Fragen von sozialer Gerechtigkeit, den Friedensfragen,
den Demokratiefragen, den Menschenrechtsfragen - wir
hatten gerade eben eine Debatte dazu - braucht es mehr
Zusammenhalt in der Europäischen Union und eine starke europäische Stimme . Natürlich brauchen wir auch für
die vielen Probleme innerhalb der Europäischen Union,
die ja schon angesprochen worden sind, europäische Lösungen, weil die nationalen Lösungen alleine nicht tragen .
Es ist aber ganz wichtig, zu sagen, dass wir nicht nur
Zusammenhalt und Solidarität zwischen den Staaten
brauchen, sondern dass wir vor allen Dingen auch mehr
Zusammenhalt und Solidarität zwischen den Menschen
in der Europäischen Union brauchen . Auch da gibt es zu
viel nationales Denken . Sozial geht es auseinander . Das
stärkt die nationalen Parteien, die rechtsradikalen Parteien . Das ist überall in Europa zu sehen . Wir brauchen also
insgesamt mehr soziales Europa; das ist ein ganz wichtiger Punkt .
({1})
An dieser Stelle ist das Programm leider zu schwach .
Es gibt hierzu gerade einmal zwei Punkte in der langen
Liste: einmal die Stärkung der sozialen Rechte - dieser
Punkt ist allerdings noch sehr vage - und zum anderen
die Arbeitskräftemobilität . Hier ist eher ein Rückschritt
zu erwarten . Wir müssen aber eigentlich wieder dahin
kommen, dass die Europäische Union das ist, was sie
eigentlich immer war: ein Wohlfahrtsversprechen . Sie
war ein Wohlfahrtsversprechen für die Menschen, und
eigentlich sind wir - die Älteren können das besser beurteilen als die Jüngeren - ja auch weit gekommen, wenn
man vergleicht, wie es heute ist und wie es früher war . Es
sitzen viele junge Menschen hier auf der Tribüne . Viele
von ihnen wussten bis vor einem Jahr nicht, was Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen sind . Es war eine
Wohlfahrt für uns alle, dass wir uns frei in der Europäischen Union bewegen konnten . Freizügigkeit ist ein ganz
zentraler Wert in der Europäischen Union .
Im Rahmen der Diskussion über den Brexit und David
Cameron kommt jetzt eine Debatte auf uns zu, die die
Axt an diesen Grundwert legt und dafür sorgen will, dass
diese Freizügigkeit nicht mehr vernünftig sozial abgesichert ist . Wir sagen aber: Freizügigkeit muss noch besser
sozial abgesichert sein . Zur Freizügigkeit gehört auch,
dass man in einem anderen Land in der Europäischen
Union - für die jungen Leute ist das eine Selbstverständlichkeit - eine Arbeit suchen kann . Das heißt, wenn man
in einem anderen Land arbeitslos ist, muss man auch die
soziale Unterstützung finden, um dort in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können .
({2})
Es ist kein Wunder, dass die CSU David Cameron unterstützt . Das hat eine lange Tradition . Dass aber auch
von der SPD Unterstützung für diese Position kommt, ist
erstaunlich . Olaf Scholz hat einen Vorschlag zu Sozialkürzungen gemacht hat, der in Richtung Cameron geht,
und dass die Bundessozialministerin bereit ist, Kürzungen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zu machen, um Cameron entgegenzukommen, ist der falsche
Weg . Ich fordere die Kollegen der SPD auf, dass sie auf
ihre Kollegen einwirken, dass sie mit dem Quatsch nicht
weitermachen .
({3})
Herr Kollege .
Wir brauchen also keine Kürzungen der Sozialleistungen in Europa, sondern wir brauchen mehr soziales
Europa . Es ist jetzt wichtig, den sozialen Zusammenhalt
zu stärken und nicht zu schwächen . Das ist jetzt eine zentrale Aufgabe .
Vielen Dank .
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Detlef
Seif das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Das Arbeitsprogramm der
EU-Kommission 2016 lässt zunächst einmal das erklärte
Ziel von Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsidenten, ganz klar erkennen: Bürokratieabbau, Verschlankung, Beschränkung auf das Notwendige . Vergleicht man
2010 - da gab es 316 neue Initiativen - mit dem aktuell
laufenden Jahr - da gibt es 23 -, dann erkennt man, dass
das an dieser Stelle ernst gemeint ist . Man kann darüber
streiten, ob die Prioritäten im Einzelnen richtig gesetzt
sind . Aber eines steht fest: Egal welche Meinung man
vertritt, „Business as usual“ ist nicht der Spruch der Zeit .
Insoweit ist diese Überschrift des Arbeitsprogramms ich glaube, da besteht Einigkeit - richtig gewählt .
Die Kommission benennt dann Themen, die sie als
Herausforderungen der Europäischen Union sieht . An
erster Stelle steht ganz klar die Flüchtlingskrise, dann
die Arbeitslosigkeit nebst Beschäftigungs- und Wachstumslücke, die Notwendigkeit einer Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, der Klimawandel, die instabile Lage der östlichen und südlichen Partnerschaft,
natürlich auch - das ist angesprochen worden - der faire
Deal für das Vereinigte Königreich, für Großbritannien .
Was ich in dieser Auflistung nicht finde, was aber sicherlich auch eine besondere Herausforderung ist, ist die
effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus .
Die gehört für mich ganz klar prioritär nach oben .
({0})
Die Flüchtlingskrise - das haben die Beiträge gezeigt ist aber das Masterthema der Stunde, der Gegenwart:
kommunal, regional, national und international . Auch
wird diese Krise nur gelöst werden können, wenn wir
eine europäische Lösung, europäische Regeln im Kontext mit guten intelligenten nationalen Regelungen und
natürlich auch mit internationalen Rahmenbedingungen
finden. Eine nie dagewesene Anzahl von Flüchtlingen
hat zwischenzeitlich den Weg nach Europa gefunden . Im
letzten Jahr - man weiß es nicht genau, weil die Registrierung nicht hundertprozentig genau funktioniert - sind
schätzungsweise 1,4 Millionen Menschen hier angekommen . Zurzeit kommen täglich 2 000 bis 3 000 Menschen
an .
Die EU-Kommission legte im vergangenen Jahr eine
Migrationsagenda vor, und dann folgten auch Legislativvorschläge . Das sah richtig ambitioniert aus . Nach einigen Seiten hat man schon gedacht: Hier ist etwas in
Bewegung .
In der jüngsten Sitzung des Gremiums der EU-Kommission am 13 . Januar dieses Jahres - da braucht man
gar keinen anderen zu zitieren - lautete die ernüchternde
Feststellung: Keine dieser vorrangigen Maßnahmen ist
auch nur in irgendeiner Hinsicht zureichend umgesetzt
worden . Der Kollege Ulrich hat es angesprochen: Es sollten 160 000 Flüchtlinge verteilt werden . Die ganz aktuelle Zahl ist aber immerhin auf 414 gestiegen, und das
nach etlichen Monaten . Von den elf Hotspots sind drei
umgesetzt,
({1})
allerdings nicht mit den Mitteln und den Kapazitäten, die
vorgesehen waren, und wir wissen alle: Insbesondere die
Visegradländer, also Ungarn, Polen, Tschechien und die
Slowakei, aber auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben große Vorbehalte und stehen der
Aufnahme von Flüchtlingen sehr kritisch gegenüber .
Großbritannien und Irland beteiligen sich nach den
Verträgen nicht am Asylsystem . Dänemark hat ein Optout, das heißt, es kann sich aussuchen, ob es sich beteiligt oder nicht . Nur einige wenige Staaten nehmen zurzeit
tatsächlich Flüchtlinge auf - bis die Belastungen und der
innenpolitische Druck zu hoch werden . Wir haben die
Entwicklungen verfolgt: In Schweden, Dänemark und
Österreich gibt es strikte Grenzkontrollen, Obergrenzen
und massive Verschärfungen des Asylrechts .
Jetzt geht es natürlich los . Man wollte etwas tun, nämlich 160 000 Menschen verteilen . Das funktioniert nicht .
Jetzt kommt ein Bashing, und zwar in alle Richtungen,
in erster Linie in Richtung der einzelnen Mitgliedstaaten . Es gibt Schuldzuweisungen und ganz merkwürdige,
rechtsextreme Vorstellungen . Das mag ja sein; aber, meine Damen und Herren, diese Europäische Union, wie sie
besteht, ist geprägt durch Vielfalt und Pluralismus - historisch, politisch und kulturell . Sie besteht gerade nicht
aus gleichen Bürgern in gleichen Staaten, in gleichen
Regionen .
Man kann hier nicht alle über einen Kamm scheren .
Europa konnte bisher doch nicht nur funktionieren,
weil alle Länder mit allen anderen Menschen in anderen Ländern Europas solidarisch waren, sondern auch,
weil jeder Mitgliedstaat für sich große Vorteile gesehen
hat . Das ist doch auch der Grund für die Ausnahmevorschriften in den vielen Protokollen . Wenn man es auf den
Punkt bringt, dann könnte man die EU auch mit „Egoismus-Union“ übersetzen, aber das war sie doch von
vornherein, das ist doch nichts Neues . Europa konnte nur
funktionieren, weil man auch Rücksicht auf den anderen
genommen hat .
Jetzt muss man Folgendes sehen: Diese ablehnende
Haltung entsteht doch nicht in den einzelnen Regierungen und in ihren Gremien . Dort wird doch nicht überlegt:
Was tun wir jetzt, wie können wir der EU jetzt dazwischenfunken? - „Wir wollen keine Flüchtlinge“: Das ist
eine gefestigte und verwurzelte Haltung in der jeweiligen
Bevölkerung; das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen .
({2})
Jetzt stellt sich die Frage: Setzen wir das EU-Recht mit
Brachialgewalt um? Oder nehmen wir im Zuge unserer
Politik auch darauf Rücksicht?
Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben dazwischengerufen, aber ich sage Ihnen eines: Der Rechtsextremismus
entsteht nicht, wenn Sie nicht genügend Sozialleistungen
zur Verfügung stellen - das kann im Einzelfall einmal
so sein -, er entsteht dann, wenn Sie gegen eine Stimmungslage, gegen Anschauungen in einer Bevölkerung
mit Brachialgewalt und rücksichtslos Politik machen und
nicht bedenken, welche Auswirkungen das hat . Was meinen Sie denn, warum überall in Europa zurzeit die Anzahl der Rechts- und Linksextremen ansteigt? Das liegt
nicht an Verwerfungen im Sozialbereich, die sicherlich
auch da sind .
Kollege Seif, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ulrich?
Ja .
Vielen Dank . - Herr Seif, Sie sind jetzt der vierte
Redner der Regierungskoalition . Schauen Sie sich die
Presselandschaft an, denken Sie an Ihre eigenen Fraktionssitzungen der letzten Wochen: Man merkt, die Bundeskanzlerin schafft es nur noch, mit dem Thema einer
europäischen Lösung die Regierung zusammenzuhalten,
und ganz Deutschland wartet darauf, was denn die europäische Lösung sein soll .
({0})
Sie sind jetzt der vierte Redner der Regierungskoalition,
der keinen einzigen Satz dazu sagt, wie jetzt die europäischen Lösungen aussehen sollen . Finden Sie es verantwortbar für die Bundesregierung und für die Fraktionen
der Bundesregierung, dass sie auch in dieser Debatte nur
allgemein business as usual betreiben, oder wären Sie als
einer der letzten Redner vielleicht bereit, jetzt einmal zu
sagen, wie die europäische Lösung der Bundesregierung
aussieht, was die Meinung Ihrer Fraktion ist und was
bei dem EU-Gipfel in drei Wochen herauskommen soll?
Denn mit einem Weiter-so, wie Sie es heute hier vertreten, werden Sie den Rechten in diesem Land weiter Auftrieb bescheren .
Vielen Dank, Herr Ulrich . Ich habe auf diese Zwischenfrage gewartet, weil ich eigentlich nicht genügend
Redezeit habe, um über alle Themen zu reden .
({0})
Zunächst einmal eines zur Klarstellung: Die Unionsfraktion ist etwas anderes als das, was Sie in der Öffentlichkeit sehen können . Wir sind Kollegen, die sehr intensiv in der Sache um das richtige Ergebnis ringen .
({1})
Es gibt unter den Kollegen, die vielleicht einen anderen
Ansatz haben - ich habe ja auch an einer Stelle einen
weiteren Ansatz - und mit denen ich gesprochen habe,
keinen einzigen, der sagt, dass die Bundeskanzlerin nicht
die Richtige wäre, um uns gemeinsam erfolgreich durch
diese Krise zu führen . - Das zunächst einmal als Vorwort .
({2})
Herr Ulrich, Sie können stehen bleiben . Ich bin noch
nicht im Redetext angekommen . Sonst wird das von meiner Zeit abgezogen .
({3})
- Sie können mir gleich noch eine Frage stellen .
({4})
Man muss auch sehen: Der Druck, den wir in Europa
haben, folgt doch aus der hohen Zahl von Flüchtlingen .
Die Umsetzung der europäischen Lösung wird in vielen Bereichen schon angegangen . Ganz wichtig ist die
Fluchtursachenbekämpfung .
({5})
Da können wir nicht umhin . Ganz wichtig sind die
Rückübernahmeabkommen; denn die Rückübernahme
funktioniert nicht . Ganz wichtig sind auch weitere Einstufungen als sichere Herkunftsländer; wir reden hier
über die Maghreb-Staaten . Das sind ganz wichtige Maßnahmen .
Wir müssen aber auch - das vermisse ich in der Tat in
dem Programm; da bin ich dankbar für Ihre Frage - darüber nachdenken, ob bei der Schaffung des Asylrechts, das
wir in Europa haben, die Entwicklung der heutigen Zeit
vorhergesehen wurde . Die Genfer Flüchtlingskonvention
wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedet . Da
ging es um ganz andere Flüchtlinge, um viel weniger;
dann hat man das erweitert .
({6})
- Es ging jedenfalls nicht um Fluchtbewegungen wie
jene, die wir jetzt erwarten können,
({7})
bei denen es, wenn man genau hinschaut, um bis zu
100 Millionen Flüchtlinge geht . Solche Zahlen hat niemand vorhergesehen .
Eines ist klar: Bei der europäischen Lösung muss
der Flüchtlingsschutz ganz vorne stehen . Aber wo der
Flüchtling geschützt wird, wo wir ihm eine Perspektive geben - hier in Deutschland oder heimatnah, wo das
Ganze für nur 10 Prozent der Kosten umsetzbar ist und
wir viel mehr Menschen helfen können -, ist eine ganz
andere Frage .
Die europäische Lösung muss auch ganz dringend
bei der Anerkennungsrichtlinie ansetzen, die über die
EU-Verträge hinausgeht . Da heißt es nur, dass ein subsidiärer Schutz bereitgestellt werden muss . Aber wir haben
ihn in Europa sehr weit ausgeprägt, was es uns, wenn
Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns kommen, unmöglich
macht, zu sagen: Bitte schön, wir haben an anderer Stelle
mit den Vereinten Nationen die Möglichkeit geschaffen,
dich sicher unterzubringen und dir eine Perspektive zu
geben . - Das ist natürlich auch eine Zukunftsaufgabe .
Es ist beschämend, dass die Mittel im Bereich der
Fluchtursachenbekämpfung in den letzten Jahren immer
weniger wurden und im letzten Jahr nicht einmal die Finanzierung des Welternährungsprogramms und der wenigen Einrichtungen vor Ort, im Libanon, in Jordanien, sichergestellt wurde . - Herr Ulrich, Sie haben es gemerkt:
Ich bin jetzt wieder bei dem Gedanken von vorhin .
({8})
- Doch . Wenn Sie zugehört haben: Das war die Antwort .
({9})
Jetzt kehren wir zu dem Gedanken zurück, den ich erwähnt hatte . Der Gedanke ist: Es spielt keine Rolle, dass
es schwer ist, bei den Mitgliedsländern, die erhebliche
Vorbehalte haben, eine andere Politik auf den Weg zu
bringen; denn man sagt einfach: Wenn du nicht spurst,
dann kriegst du eine Vertragsstrafe, dann entziehen wir
dir die Finanzleistungen . - Damit wird man Europa nicht
zusammenhalten können .
In der Sitzung des LIBE-Ausschusses vom 14 . Januar
hat Kommissar Avramopoulos ausgeführt, dass zukünftig die Reformvorschläge der Kommission zum Dublin-System auf dem Prinzip der Solidarität - das hört sich
gut an - aufgebaut werden sollen und die Flüchtlinge mit
einem festen Schlüssel automatisch den einzelnen Mitgliedstaaten zugewiesen werden sollen . Meine Damen
und Herren, das wird der falsche Weg sein .
Wolfgang Schäuble hat letzte Woche in einer Rede
darauf hingewiesen, dass eine gute Europapolitik immer auch nationale Erfahrungen berücksichtigen muss .
Das gilt auch und gerade für die Integrationspolitik;
denn nicht alle Gesellschaften durften in gleicher Weise die Vorzüge von Offenheit gegenüber Abschottung
kennenlernen . Wir Deutsche erinnern uns an die Zeit der
Wiedervereinigung . Damals haben wir aus genau diesen Erwägungen heraus die Vorbehalte der Menschen in
Ostdeutschland berücksichtigt . Wir waren uns einig: Wir
müssen das behutsam regeln, es geht nicht, dass man sich
komplett aus dem System abmeldet; denn in irgendeiner
Weise muss eine Kosten- und Lastenteilung stattfinden.
Aber wir müssen das Vertrauen gewinnen, wir müssen
ins Gespräch kommen . - Vorbild für die europäische
Flüchtlingspolitik könnte durchaus das Modell sein, das
wir nach der deutschen Wiedervereinigung umgesetzt
haben .
({10})
Meine Damen und Herren, viele von uns sehen das
Risiko, dass Europa an den großen Herausforderungen
scheitern wird . Ich bin der festen Überzeugung: Europa
kann das schaffen . Europa kann die anstehenden Herausforderungen hervorragend bewältigen und geht vielleicht
sogar gestärkt daraus hervor . Aber wenn man keine Rücksicht nimmt, wenn man rücksichtslos an den Mitgliedstaaten vorbei agiert und meint, wir könnten von oben,
von der Ebene der EU-Kommission durchregieren, dann
sehe ich ein großes Risiko, dass dieses Europa scheitert .
({11})
Unabhängig von der zunehmenden Kritik war es zum
Beispiel unvertretbar, dass der EU-Präsident Martin
Schulz Polen bezichtigt hat, eine gelenkte Demokratie nach Putins Art zu sein . Das ist eine besonders geschmacklose Entgleisung, wenn man die historische und
geografische Situation Polens bedenkt.
({12})
Ich komme zum Schluss . - Meine Damen und Herren,
„Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“, das ist
absolut richtig . Eine einvernehmliche Lösung der Flüchtlingskrise in Europa wird aber nur möglich sein, wenn
eine intensive und freundschaftliche Kommunikation mit
den Ländern geführt werden wird, die Vorbehalte haben .
Aber davon ist in der aktuellen Kommissionsarbeit und
auch im Arbeitsprogramm 2016 leider nichts zu spüren .
({13})
Die Kollegin Andrea Lindholz hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ihrem
Arbeitsprogramm 2016 betont die Kommission, dass
Europa vor nie dagewesenen Herausforderungen steht .
Viele warnen heute schon vor dem Ende Europas, dem
Zerfall des Schengen-Raums und der Euro-Zone . Diese
Warnungen haben einen ernsten Hintergrund; denn Europa steht aktuell nicht nur vor einer, sondern vor vielen
Krisen gleichzeitig .
Die institutionellen Schwächen der Euro-Zone wurden bisher nur teilweise beseitigt. Hohe Staatsdefizite, instabile Banken und verschleppte Strukturreformen halten
die Euro-Krise virulent . Die hohe Arbeitslosigkeit und
auch die wirtschaftliche Schwäche einiger EU-Staaten
schwächen zum einen unseren Export und liefern zum
anderen den Nährboden für Radikalismus und Nationalismus . In Frankreich liegt der Front National bei 28 Prozent . Großbritannien droht mit dem EU-Austritt, was für
uns ein gewaltiger Verlust wäre .
An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Angleichung von Sozialstandards in der EU eingehen . Ja, sie
sind richtig, und sie sind wichtig . Allerdings sollten wir
die Kritik der Briten näher betrachten und ganz genau
zuhören . Wenn wir gleiche soziale Standards in Europa
fordern, dann, sehr geehrte Damen und Herren von den
Grünen, müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen,
warum wir als Deutsche für Kinder, die in Rumänien leben, das gleiche Kindergeld zahlen wie für Kinder, die in
Deutschland leben .
({0})
Das darf nicht der Fall sein . Die Reformen müssen daher
in beide Richtungen gehen .
({1})
Die Kommission hat das Freihandelsabkommen TTIP
zur Top-Priorität erklärt . Es soll die Grundlagen für neues Wirtschaftswachstum in Europa schaffen . Wir alle
kennen die Vorbehalte gegen TTIP; wir hören sie und
haben sie zum Teil auch selber . Es ist Aufgabe von uns
Parlamentariern, diese berechtigten Bedenken zu prüfen .
Uns fordern aber auch die Kriege in der Ukraine und
in Syrien sowie die Instabilität im arabischen Raum . Das
alles ruft Fanatismus und Terrorismus hervor .
Die aktuell größte Bedrohung und größte Herausforderung ist allerdings die unkontrollierte Zuwanderung
nach Europa, insbesondere nach Deutschland . Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ist erschüttert . Sehr
geehrter Herr Kollege Sarrazin, Europa muss alles daransetzen, um auf diese Flüchtlingskrise eine europäische Antwort in Form einer gemeinsamen Asylpolitik
zu finden. Das stellt kein Mitglied und keine Fraktion in
diesem Haus infrage .
({2})
Sehr geehrter Herr Kollege Ulrich, wenn Sie im
Zusammenhang mit der Asylthematik, obwohl wir in
Deutschland über 1 Million Menschen aufgenommen
haben - die Menschen in diesem Land haben Großartiges geleistet, und wir im Deutschen Bundestag haben in
den letzten Monaten insgesamt sechs Gesetzespakete auf
den Weg gebracht, um die Integration zu verbessern, aber
auch, um Fehlanreize zu vermeiden und Abschiebehindernisse zu reduzieren -, von einem „Totalversagen“ des
deutschen Staates sprechen, dann finde ich das völlig neben der Sache liegend . Ich muss ehrlich sagen: Ich kann
verstehen, dass Menschen europa- und politikverdrossen
sind, wenn wir bei unserer Wortwahl nicht aufpassen,
wenn wir nicht aufpassen, wann wir von einem „Totalversagen“ sprechen .
({3})
Wenn Sie Ihre Ernsthaftigkeit in Sachen europäischer
Flüchtlingspolitik dadurch unter Beweis stellen wollen,
dass Sie sagen, wir bekämen gerade von den anderen
Staaten eine „Retourkutsche“,
({4})
dann muss ich dazu sagen: Auch das ist unangemessen und unangebracht angesichts der Leistung, die in
Deutschland gerade erbracht wird . Wenn die Politik in
Europa davon bestimmt wird, dass man sich gegenseitig Retourkutschen verteilt, kann ich verstehen, dass
die Menschen mit der Politik nicht mehr viel anfangen
können, dass sie politikverdrossen und europaverdrossen
sind . Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete,
in unseren Reden darauf hinzuweisen und mit solchen
Begriffen vorsichtig umzugehen .
({5})
- Ich komme ganz sicher noch auf Herrn Seehofer zu
sprechen; Sie bieten mir so schöne Vorlagen .
({6})
Wir wollen eine gemeinsame Europapolitik . Es nützt
nichts, wenn im Programm der Kommission vieles steht:
Frontex-Einsätze verstärken, Dublin-Verordnung reformieren, Solidaritätsmechanismen einführen . Das sind
alles wichtige und richtige Maßnahmen . Wir brauchen
auch gemeinsame Kontingente in Europa und eine gemeinsame Solidaritätsanrechnung, weil es natürlich nicht
sein kann, dass es einzelne Länder gibt, die im Rahmen
des Dublin-Verfahrens die Hauptlast tragen . Aber Europa
muss auch handeln . Es genügt nicht, dass in dem Programm steht, dass die Kommission bis Ende des Jahres
Vorschläge vorlegt, wie gewisse Dinge überhaupt umgesetzt werden sollen . Das dauert nämlich zu lang für
Deutschland . Wir können nicht warten, bis man sich in
Europa irgendwie einigt . Auch wir hoffen auf eine Einigung in Europa; aber die Beschlüsse, die vereinbart wurden, wurden bisher noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt . 322 Flüchtlinge von 160 000 sind verteilt worden .
Wer von Ihnen war schon einmal in Bayern - das
frage ich in jeder meiner Reden - und hat sich die Verhältnisse an der Grenze vor Ort angeschaut? Wer hat mit
unseren Bürgermeistern und Landräten gesprochen, und
wer weiß, wie es ist, wenn tagtäglich Tausende und Abertausende Menschen nach Bayern strömen? Wenn es in
Europa keine zügige, keine zeitnahe und keine vernünftige Lösung gibt, dann hat Horst Seehofer das gute Recht,
darauf hinzuweisen,
({7})
dass beispielsweise Griechenland seiner Verpflichtung
zur Außengrenzensicherung nicht nachkommt und ein
unkoordiniertes Durchleiten von Flüchtlingen bis nach
Deutschland bei uns zu Problemen führt und wir deshalb sehr wohl darüber nachdenken müssen - dazu sind
wir verpflichtet -, ob wir Grenzkontrollen einführen und
stufenweise Zurückweisungen vornehmen, wie das jetzt
zum Beispiel schon gemacht wird, wenn die Leute klar
sagen, dass sie kein Asyl in Deutschland beantragen wollen .
Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?
Ich lasse sie gleich zu . Ich möchte den Gedanken noch
zu Ende führen . Danach gerne . - Wenn es in Europa keine zügige Lösung gibt, dann müssen wir auch über diese
Maßnahme nachdenken . Wenn wir diese Auffassung vertreten, heißt das nicht, dass die CSU oder Horst Seehofer
unsolidarisch ist oder gar eine gegen Europa gerichtete
Politik betreiben möchte .
Jetzt gestatte ich die Zwischenfrage .
Die Kollegin Baerbock wünscht, eine Frage zu stellen
oder eine Bemerkung zu machen . Da Sie es gestattet haben, hat sie jetzt das Wort .
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz . - Sie haben angesprochen, dass 160 000 Flüchtlinge aus Griechenland
und Italien umverteilt werden sollen . Sie haben gesagt,
dass alle ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Wie
erklären Sie sich dann - Sie haben die 300 angesprochen,
die bisher umverteilt wurden -, dass Deutschland das zugesagte Kontingent auch nicht umverteilt hat und bisher
erst 27 aufgenommen hat?
({0})
Was unternehmen Sie als Regierungsfraktion, damit
wir unserer eigenen Zusage bei der Umverteilung der
160 000 aus Griechenland gerecht werden? Während
zum Beispiel Bulgarien - das haben wir gemeinsam
gestern im Europaausschuss erfahren - sein Kontingent
schon aufgenommen hat, meldet Deutschland hier einfach nicht .
({1})
Frau Kollegin, wir haben in Deutschland über 1 Million Menschen aufgenommen . Das ist weit mehr als in
diesem Kontingent . Punkt eins .
({0})
Punkt zwei . Ich habe nicht davon gesprochen, dass
diese Flüchtlinge auf Italien und Griechenland aufzuteilen sind .
({1})
Ich bin also der Auffassung, dass die Kommission in
ihrem Programm viele gute und viele richtige Vorschläge unterbreitet hat . Es genügt uns aber nicht, wenn diese Vorschläge nicht umgesetzt werden, wenn das Dublin-Verfahren beispielsweise nicht reformiert wird und
Vorschläge dazu nicht schnell genug vorgelegt werden .
Europa muss in dieser Lage so schnell handeln, wie Europa in der Lage war, bei der Euro-Krise zu handeln . Das
können wir an dieser Stelle auch einfordern .
Ich möchte noch einmal betonen: Nicht Deutschland
hat sich in den letzten Monaten einer europäischen Lösung verschlossen . Wir haben in den letzten Monaten
viele, viele Hunderttausende, ja Millionen von Flüchtlingen aufgenommen und auch für die Zukunft die Bereitschaft erklärt, dass wir uns mit den Leidtragenden der
Krisen der Welt solidarisch zeigen . Hierzu gehört auch,
dass wir erkennen und begreifen, dass die Entwicklungshilfe, die Hilfe vor Ort - wir reden immer wieder davon - das Mittel ist, das wir verstärkt einsetzen müssen .
Wir sind nicht auf einer einsamen Insel . Wir sind auf die
anderen europäischen Staaten angewiesen . Wir sind bei
der Entwicklungshilfe auch auf die Weltgemeinschaft
angewiesen . Da kann man es sich nicht einfach machen
und so tun, als ob wir in Deutschland nicht genug zur
Bewältigung der Krisen beitragen .
({2})
Ich möchte mit einem Zitat von Konrad Adenauer
schließen . Er hat gesagt:
Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen .
Sie wurde eine Hoffnung für viele . Sie ist heute eine
Notwendigkeit für uns alle .
Dieses Zitat hat auch nach 62 Jahren nichts von seiner
Relevanz verloren . Ich wünsche mir Einheit in diesem
Parlament, was die Flüchtlingsfrage angeht, vor allen
Dingen aber in Europa . Ich wünsche mir eine europäische Antwort auf diese Krise und bin dennoch der festen
Überzeugung, dass wir auch um weitere nationalstaatliche Maßnahmen nicht herumkommen werden, wenn Europa in den nächsten Wochen nicht zügig handelt .
Danke schön .
({3})
Ich schließe die Aussprache .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann
({1}), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen - Mütterrente anerkennen
Drucksachen 18/6043, 18/6222
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Martin Rosemann für die SPD-Fraktion .
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Seit mittlerweile eineinhalb
Jahren wird die Kindererziehung für vor 1992 geborene
Kinder in Deutschland besser anerkannt . Es werden nämlich die ersten beiden Jahre berücksichtigt statt früher nur
das erste .
({0})
Wer seitdem in Rente gegangen ist und Kinder erzogen
hat, dem wird auch die Erziehungsleistung, die er oder
sie erbracht hat, zugerechnet . Das gilt für das erste Lebensjahr des Kindes und auch für das zweite . Das gilt
selbstverständlich auch für Pflege- und Adoptiveltern.
Das ist erst einmal eine gute Nachricht für alle Mütter
und Väter in unserem Land . Das hat diese Koalition geschafft .
({1})
Wir haben aber noch etwas anderes geschafft: Im
Unterschied zu allen anderen Verbesserungen im Rentenrecht profitieren von dieser Neuregelung, von dieser
Mütterrente, auch Frauen und Männer, die vor Inkrafttreten des Gesetzes schon in Rente waren . Auch das ist eine
gute Nachricht für alle Rentnerinnen und Rentner mit vor
1992 geborenen Kindern
({2})
Die Voraussetzung dafür, dass wir das so machen
konnten, war aber eine Pauschalregelung . Mütter bzw .
Väter, die bereits in Rente waren, bekamen pauschal
einen Entgeltpunkt für das zweite Jahr der Kindererziehungszeit zugewiesen . Dabei bekam jeweils die Person
den Rentenpunkt, die bereits die Mütterrente für das erste
Lebensjahr des Kindes bezog . Anders, meine Damen und
Herren, war es schlicht nicht möglich, dies für die Frauen
und Männer, die bereits in Rente waren, zu organisieren .
Sonst hätten wir Hunderttausende von Versicherungsbiografien noch einmal von Hand bearbeiten müssen. Der
Verwaltungsaufwand dafür stünde in keinem Verhältnis
zu den Leistungen, wäre schlichtweg nicht vertretbar gewesen .
Klar ist, meine Damen und Herren: Durch die gefundene pauschale Regelung wird in den meisten Fällen die
Realität abgebildet und damit die Leistung der Kindererziehung an der richtigen Stelle gewürdigt . Aber klar ist
auch - das soll nicht verschwiegen werden -, dass es in
speziellen Konstellationen zu einer falschen Zuordnung
und damit in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten kommen
kann . Eine, über die wir heute diskutieren, ist die Problematik bei der Anrechnung der Erziehungsleistung für
Adoptiveltern . Aber das ist eben nicht die einzige, sondern es gibt noch andere, so beispielsweise dann, wenn
der Vater ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes die
Kindererziehung übernommen hat, die Mutter aber im
ersten . In diesem Fall bekommt der Vater bei der Pauschalzuordnung selbstverständlich nicht den zusätzlichen Rentenpunkt, was vor allem dann ein Problem ist,
wenn die Ehe mittlerweile in die Brüche gegangen ist .
Ein weiteres Beispiel ist der Fall, dass Eltern ihr Kind im
ersten Lebensjahr im Ausland erzogen haben . Auch dann
kommt es zu Ungerechtigkeiten . Hier bekommt nämlich
keiner den zusätzlichen Rentenpunkt .
Umgekehrt gibt es aber auch Beispiele dafür, dass sich
die Pauschalzuordnung positiv auswirkt, beispielsweise
dann, wenn durch die pauschale Anrechnung keine Kappung an der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt, wenn
sich bestehende Abschläge, beispielsweise aufgrund einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente, nicht
auf den zusätzlichen, pauschal zugewiesenen Rentenentgeltpunkt auswirken . Das alles zeigt, meine Damen und
Herren: Man kann nicht eine Lösung nur für eines dieser
Probleme beschließen und die anderen Probleme ignorieren .
({3})
Man kann sich aber auch nicht alle diese Fälle noch einmal einzeln anschauen . Damit sind wir ohne Zweifel in
einem Dilemma, in einem Dilemma, in das man allerdings nur kommt, wenn man, wie wir, Verantwortung
übernimmt, regiert und Entscheidungen trifft, anstatt
sich, wie die Linke, in der Opposition zu gefallen .
({4})
Um es noch einmal zu sagen: Die einzige Alternative wäre es also gewesen, die Leute, die zum Zeitpunkt
der Gesetzesänderung bereits in Rente waren, von der
Verbesserung auszunehmen . Nochmals: Das wäre richAndrea Lindholz
tig ungerecht gewesen . Das wollten wir nicht . Deswegen
haben wir das auch nicht gemacht .
({5})
Denn wir sehen jetzt schon, dass die Mütterrente ein großer Erfolg ist . Durch die Mütterrente ist der durchschnittliche Zahlbetrag der Rente für Frauen heute um 10 Prozent höher, für Frauen mit Kindern sogar um 12 Prozent .
Natürlich ist aber auch klar, dass die Anerkennung
der Erziehungsleistung in der Rente nie wirklich der Lebensleistung gerecht wird, die man erbringt, wenn man
Kinder erzieht . Auch die drei Jahre Erziehungszeit, die
für ab 1992 geborene Kinder angerechnet wird, schaffen
das nicht .
Deshalb gibt es übrigens im Rentenrecht weitere Elemente der Anerkennung von Erziehungsleistungen: vor
1992 die Aufwertung von geringen Rentenanwartschaften im Rahmen der Rente nach Mindesteinkommen, ab
1992 die Höherwertung niedriger Entgeltpunkte bzw .
eine Gutschrift von zusätzlichen Entgeltpunkten im Rahmen der Kinderberücksichtigungszeiten . Bei der Rente
für besonders langjährig Versicherte werden bis zu zehn
Jahre Kinderberücksichtigungszeiten angerechnet, damit
man diese erreicht .
Meine Damen und Herren, klar muss aber auch sein:
Allein mit der Rente kann eine adäquate Anerkennung
der Erziehungsleistung letztlich nicht erreicht werden .
Das muss eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung
sein . Letztlich wird die beste Anerkennung dann gewährleistet sein, wenn es in unserem Land selbstverständlich
ist, dass sich Frauen und Männer die Erziehungsarbeit
ebenso wie die Erwerbsarbeit partnerschaftlich teilen .
Dafür sollten wir als Staat, als Gesellschaft und als Politik in den kommenden Jahren die richtigen Rahmenbedingungen schaffen .
({6})
Das Wort hat der Kollege Matthias W . Birkwald für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Rentenpaket ist jetzt eineinhalb Jahre alt . Insofern ist es höchste
Zeit, dass wir heute einmal über eine Gruppe sprechen,
die von Ihrem Rentenpaket überhaupt nicht profitiert.
Ganz im Gegenteil: Diese Mütter und Väter werden massiv benachteiligt, Herr Dr . Rosemann; es handelt sich um
Adoptivmütter und Adoptivväter .
Ich spreche hier von den Adoptivmüttern, die bereits
vor dem 1 . Juli 2014 in Rente waren . Sie gehen bei der
sogenannten neuen Mütterrente komplett leer aus, wenn
sie ihr vor 1992 geborenes Kind erst nach dessen erstem
Geburtstag adoptiert haben . Diese Mütter bekommen
keinen Cent Mütterrente . Keinen Cent . Wir Linke sagen:
Das ist ungerecht, und das darf nicht so bleiben .
({0})
Meine Damen und Herren, hier geht es nicht nur um
bares Geld, sondern auch um die gesellschaftliche Anerkennung für die bewundernswerte Entscheidung, sich
dauerhaft um ein Kind zu kümmern und es großzuziehen, und zwar mit allem, was dazugehört . Das ist nicht
selbstverständlich . Darum sage ich hier einmal ein großes Dankeschön an alle Adoptiveltern für ihr wertvolles
Engagement .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
der Verband der Pflege- und Adoptiveltern geht von
sage und schreibe 40 000 Familien aus, denen Sie die
sogenannte Mütterrente vorenthalten . Ich sage: Das sind
40 000 Betroffene zu viel .
({2})
Es gibt doch keinen Grund, die Adoptivmütter bei
der Mütterrente leer ausgehen zu lassen . Adoptivmütter wechseln genauso die Windeln ihrer Kinder, wie es
leibliche Mütter tun . Adoptivväter kochen genauso gut
für ihre Kinder, wie es leibliche Väter tun . Adoptiveltern
bringen ihre Kinder genauso in die Kita oder zur Schule,
wie es die leiblichen Eltern tun . Deswegen sage ich: Hier
muss etwas getan werden, und zwar dringend .
({3})
Meine Damen und Herren, am 24 . September haben
wir schon einmal über das Thema der Mütterrente auch
für Adoptiveltern debattiert . Damals habe ich an Union
und SPD appelliert, die 40 000 Adoptiveltern nicht im
Regen stehen zu lassen . Ich habe es damals gesagt, und
ich sage es heute: Legen Sie eine gerechte und angemessene Lösung auf den Tisch .
Liebe CDU, der Kollege Matthias Zimmer hatte ja
damals gespottet, die Opposition verlöre sich im kleinen
Karo . Das war zwar wie immer sehr poetisch, aber auch
eine Frechheit für die 40 000 Betroffenen .
({4})
Ihr Hinweis auf die Kostenprobleme ist schlicht unredlich . Warum? Bei 40 000 Adoptiveltern, die dann einen zusätzlichen Rentenentgeltpunkt, also weniger als
30 Euro mehr Rente, erhielten, müsste die Versichertengemeinschaft gerade einmal 14 Millionen Euro pro
Jahr aufbringen . In der Rentenkasse sind aktuell mehr
als 34 Milliarden Euro . 14 Millionen sind gerade einmal 0,04 Prozent davon . Liebe Union, da sage ich: Seien
Sie mal nicht geiziger als Finanzminister Schäuble . Das
muss drin sein .
({5})
Lieber Kollege Strebl von der CSU - die CSU will
ich hier ja nicht vergessen -, Sie haben in der ersten LeDr. Martin Rosemann
sung noch das Horrorszenario an die Wand gemalt, dass
9,5 Millionen Mütterrenten individuell hätten geprüft
werden müssen, wenn die Adoptiveltern gleichbehandelt
worden wären . Kollege Rosemann sagte das ja auch . Sie
haben sogar behauptet, die sogenannte neue Mütterrente
hätte dann gar nicht in Kraft treten können .
({6})
Mit Verlaub, Herr Kollege Strebl, das ist nicht mehr als
eine rhetorische Nebelkerze,
({7})
und die pusten wir jetzt mal aus .
({8})
Wenn wir den 40 000 Adoptiveltern die Möglichkeit
gäben, einen Antrag auf sogenannte Mütterrente zu stellen, dann würde das die Deutsche Rentenversicherung
in diesem klar umgrenzten Fall nicht überfordern, Herr
Kollege Strebl . Die Deutsche Rentenversicherung ist
nämlich sehr leistungsfähig . Sie bearbeitet rund 3,9 Millionen Renten- und Rehaanträge im Jahr . Um das einmal
mit Worten zu sagen, die Ihnen besonders bekannt sind:
Die schaffen das!
({9})
Nun komme ich zur SPD . Liebe Dagmar Schmidt, lieber Martin Rosemann, Sie haben in der ersten Lesung
und auch gerade immerhin ehrlich zugegeben: Die Regelung für Adoptiveltern ist ungerecht . - Kollegin Schmidt,
nur zu sagen, man brauche bei einer so großen Reform
pauschale Regelungen, wie wir es auch gerade wieder
gehört haben, und die könnten nicht jeden Einzelfall
berücksichtigten, bedeutet aber doch, sich nur - husch,
husch - herauszureden, und vor allem bringt es den
Adop tivmüttern keinen einzigen Cent Mütterrente .
Liebe SPD, 40 000 Mütter und Väter sind doch kein
Einzelfall . Sie füllen ein mittelgroßes Fußballstadion .
Sehen Sie das doch endlich einmal ein!
({10})
Meine Damen und Herren, die Linke bietet eine umsetzbare Lösung für die Adoptiveltern an:
({11})
Adoptivmütter, die ihr Kind nach seinem ersten Geburtstag adoptiert haben, erhalten auf Antrag die neue Mütterrente, also einen zusätzlichen Entgeltpunkt . Das war und
bleibt unser Vorschlag. Der ist praktikabel, finanzierbar
und vor allem auch sozial gerecht .
Herzlichen Dank .
({12})
Der Kollege Peter Weiß hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Mütterrente war und ist eine der großen sozialpolitischen Veränderungen, die diese Große Koalition
beschlossen hat . Sie war und ist ein Herzensanliegen,
das im Wahlprogramm der Union stand, und wir sind
froh, dass es uns zusammen mit den Sozialdemokraten
in dieser Großen Koalition gelungen ist, die Erziehungsleistungen der Mütter in unserem Land im Rentenrecht
endlich deutlich besser anerkennen zu können als in der
Vergangenheit .
({0})
Für das, was am 1 . Juli 2014 in Kraft getreten ist, ist
ein Finanzvolumen von 6,7 Milliarden Euro pro Jahr notwendig . Wenn Sie sich einmal anschauen, was wir sonst
noch alles beschlossen haben, dann stellen Sie fest: Das
ist die größte sozialpolitische Verbesserung in Heller
und Pfennig, in Euro und Cent, die es seit Jahrzehnten in
Deutschland gegeben hat . Wir können zu Recht stolz darauf sein, dass wir diesen riesigen finanziellen Aufwand
gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung tragen, um die Mütter aufgrund ihrer Erziehungszeiten im
Rentenrecht besserzustellen .
({1})
Der Kollege Rosemann hat ausgeführt: Es war uns bei
dieser Reform wichtig, dass bei der Berechnung der Rente künftig nicht nur die Kindererziehungszeiten derjenigen besser berücksichtigt werden, die heute im Arbeitsleben stehen, sondern dass wir vor allen Dingen auch den
9,5 Millionen Müttern, die bereits Rentnerinnen sind,
eine Besserstellung in der Rente gewähren können; denn
sie haben ihre Kinder in Zeiten großgezogen, in denen es
noch keine Kitas und kein Elterngeld gab,
({2})
und in der Regel hat damals die Frau - manchmal auch
der Mann - bei der Geburt des ersten Kindes ganz auf die
Berufstätigkeit verzichtet . Sie haben es besonders nötig,
dass sie durch die Kindererziehungszeiten rentenrechtlich bessergestellt werden . Dieses Gerechtigkeitsproblem haben wir mit mehr Leistungen durch die Mütterrente klar und eindeutig beantwortet .
({3})
Diese Regelung, bei der wir auch die Bestandsrentnerinnen und -rentner, wie man so schön sagt, also diejenigen, die schon in Rente sind, einbezogen haben, hat
übrigens dazu geführt, dass durch diese Neuregelung
64 000 Frauen zum ersten Mal einen eigenen Rentenanspruch bekommen . Auch das ist eine großartige Leistung .
Wenn man sich die Auszahlung von Rentenleistungen
an Frauen anschaut, dann stellt man fest, dass allein die
Verbesserung bei der Mütterrente zu einer rund 10-prozentigen Steigerung des Renteneinkommens der Frauen
geführt hat . Das zeigt doch: Wir haben hier einen ganz
maßgeblichen Beitrag zu mehr Rentengerechtigkeit für
die Frauen in unserem Land geleistet .
({4})
Weil natürlich auch die Linke weiß, dass man den
Erfolg dieser rentenpolitischen Innovation der Großen
Koalition eigentlich nicht kaputtreden kann, sucht sie
krampfhaft nach irgendeinem Haar in der Suppe .
({5})
Das Problem ist nur: Dabei ist sie bereit, die ganze Suppe
auszuschütten . Das möchte ich kurz erläutern .
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als wir in der Koalition mit den Fachleuten, den Experten im Ministerium und denen der Deutschen Rentenversicherung, darüber gesprochen haben, wie wir es machen können, auch
denjenigen, die bereits in Rente sind, diese Mütterrente
zukommen zu lassen, sind wir auf folgende Problematik
gestoßen: Wenn die Mitarbeiter der Rentenversicherung
wirklich die alten Akten von 9,5 Millionen Menschen,
die bereits Rente beziehen, deren Rentenkonto geschlossen ist, wie das fachtechnisch heißt, aus dem Keller hätten holen müssen, um die gesamte Rentenbiografie nachzurechnen,
({6})
dann hätten die Sachbearbeiter wahrscheinlich über drei
Jahre gebraucht - das lässt sich nicht am Computer erledigen -, um die Arbeit zu erledigen .
({7})
Da haben wir gesagt: Wenn wir mit so etwas ins Parlament gehen, brauchen wir uns in der Öffentlichkeit in
Deutschland gar nicht mehr blicken zu lassen, da lacht
uns die Bevölkerung aus . Es gibt nur eines: Wenn die
Mütterrente am 1 . Juli 2014 in Kraft tritt, dann muss die
Mütterrente binnen drei Monaten auch bei den Bestandsrentnerinnen und -rentnern in Deutschland ankommen .
Nur das geht .
({8})
Deshalb haben wir uns für eine Pauschallösung entschlossen . Nur mit einer Pauschallösung war es möglich, zu erreichen, dass die Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland bereits seit Monaten zusätzlich Mütterrente
beziehen können . Das haben wir geschafft, das haben wir
gemacht . Es war völlig richtig, es so zu machen, dass die
Mütterrente sofort möglich ist und nicht erst in ein paar
Jahren .
({9})
Warum ist das so? Die Linke hält Reden nach dem
Motto: Hoffentlich kennt niemand das Rentenrecht!
({10})
Dann kann man den Leuten alles Mögliche vormachen .
Was heißt denn Mütterrente? Mütterrente heißt Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rente . Das wird
technisch so gemacht: Um zu erreichen, dass es für ein
Jahr Kindererziehungszeit zusätzlich Rente gibt, wird
dem Rentenkonto der Frau respektive des Mannes im
ersten Lebensjahr des Kindes ein Entgeltpunkt - das sind
heutzutage rund 28 Euro ({11})
gutgeschrieben . Bei zwei Jahren Kindererziehungszeit
werden diese Punkte im zweiten Lebensjahr des Kindes
gutgeschrieben . Sind es drei Jahre - das gilt für alle Kinder, die ab 1992 geboren sind -, werden diese Punkte im
dritten Lebensjahr gutgeschrieben . So kann das jeder auf
seiner Renteninformation, die er erhält, nachlesen . Darauf ist für jedes Jahr ausgewiesen, wie viel Entgeltpunkte auf dem Rentenkonto gutgeschrieben werden .
Was haben wir gemacht? Wir haben für alle vor 1992
geborenen Kinder beschlossen, dass ein solcher Entgeltpunkt, eine zusätzliche Rentenleistung auch im zweiten Lebensjahr des Kindes auf dem Rentenkonto gutgeschrieben wird . Und das haben wir für alle gemacht,
selbstverständlich auch für die Adoptiveltern . Deswegen
ist das, was Herr Birkwald hier vorgetragen hat, nämlich
dass das die Adoptiveltern nicht betreffe, schlichtweg
falsch . Dieser Entgeltpunkt wird selbstverständlich auch
Adoptiveltern gutgeschrieben .
Nun ist es so, dass wir für diejenigen, die bereits in
Rente sind, irgendeinen Ansatzpunkt finden mussten, um
herauszufinden, wer von diesen Kinder großgezogen hat
und dafür schon für das erste Jahr Kindererziehungszeiten gutgeschrieben bekommt, um ihnen dann zusätzlich
einen Pauschalbetrag für ein zweites Jahr gutschreiben zu
können . Da bleibt dann eben nichts anderes übrig, wenn
man es einfach und per Computer machen will, als zu
schauen, ob für den zwölften Monat tatsächlich Kinderzuschlag auf die Rente ausbezahlt wird . Allen Rentnerinnen und Rentnern, auf die das zutrifft, wurde dann zum
1 . Juli der Pauschalzuschlag gutgeschrieben . So war es
möglich, dass spätestens drei Monate nach Inkrafttreten
des Gesetzes wirklich alle Berechtigten in Deutschland,
die bereits Rentnerin oder Rentner sind, diesen Zuschlag
gutgeschrieben bekommen haben .
Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald?
Ja, bitte schön .
Lieber Kollege Weiß, danke, dass Sie die Bemerkung
zulassen . Sie haben gerade so schön ausgeführt, wie das
alles funktioniert .
Ja, man muss es ja einmal erklären .
Peter Weiß ({0})
Das ist auch in Ordnung . - Sie haben nur den wesentlichen Punkt, um den es in dieser Debatte geht, elegant
unter den Tisch fallen lassen .
Wenn beispielsweise eine Frau ein 14 Monate altes
Kind adoptiert hat - gehen wir ausschließlich von einer
Adoptivmutter aus, nicht von Adoptiveltern -, dann hat
diese Adoptivmutter das Kind erzogen, als es 15 oder
20 Monate alt war usw ., bis es zum Beispiel zehn oder elf
war . Also hat sie, nicht die leibliche Mutter, die wesentliche Erziehungsleistung erbracht . Weil das Kind erst im
vierzehnten Lebensmonat und nicht im elften, zehnten
oder im vierten adoptiert wurde, bekommt diese Adoptivmutter, die die gesamte Erziehungsleistung - hoffentlich gemeinsam und gleichberechtigt mit ihrem Mann erbracht hat, keinen Cent von Ihrer schönen Mütterrente .
Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen .
Ehe Sie jetzt immer weiter behaupten, das hätte alles
berechnet werden müssen, bitte ich Sie, noch einmal in
unseren Antrag zu schauen . Wir haben vorgeschlagen,
dass das auf Antrag überprüft werden soll, damit die
Rentenversicherung eben nicht alle Akten und Rentenkonten prüfen muss . Das heißt, man müsste die Regelung
beschließen und publikmachen, und dann kämen sukzessive die Anträge herein . Jetzt erklären Sie mir bitte einmal, warum die Rentenversicherung das nicht schaffen
könnte .
({0})
Herr Kollege Birkwald, Sie haben schon wieder das
Rentensystem falsch erklärt,
({0})
oder Sie bauen darauf, dass die Mitbürgerinnen und -bürger das Rentenrecht nicht kennen .
({1})
Die Kindererziehungsleistung in der Rente wird nicht
für das zehnte oder elfte Lebensjahr bezahlt .
({2})
- Doch, doch .
({3})
Sie sagten, sie habe dann ja über zehn Jahre hinweg Kinder erzogen . - Bei der Rente wurde sie bis vor kurzem,
vor der Reform, für das erste Lebensjahr des Kindes gutgeschrieben, und nach der Reform wird sie für das zweite
Lebensjahr des Kindes gutgeschrieben . Das gilt für alle
Rentnerinnen und Rentner . Die einzige Frage ist: Macht
man eine Pauschalregelung, oder macht man keine Pauschalregelung?
({4})
Der Punkt ist folgender: Wenn Sie eine Pauschalregelung machen, dann bedeutet das, dass die große Mehrheit
der Leute, die es wirklich betrifft, die zusätzliche Rente
erhalten . Ich gebe zu: Es gibt auch Grenzsituationen, bei
denen es möglicherweise danebengeht .
({5})
Aber wir standen vor der Frage: Pauschalregelung - ja
oder nein? Und um es klar und deutlich zu sagen: Für
mich und, wie ich glaube, für uns alle in der Koalition
galt: Wer schnell hilft, hilft doppelt . Deswegen gibt es ein
klares Ja zur Pauschalregelung .
({6})
Wenn man aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten sagt:
„Nein, ich will eine Einzelfallprüfung auf Antrag!“ Entschuldigung, es gilt doch wohl: entweder Pauschalregelung oder in allen Fällen Einzelfallprüfung -, dann
muss man auch prüfen, wie der Kollege Rosemann vorgetragen hat, ob da vielleicht jemand die ersten 14 Monate im Ausland erzogen worden ist und erst im 15 . Lebensmonat nach Deutschland umgesiedelt ist und, und, und .
Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Entweder
macht man eine Pauschalregelung, oder man macht eine
Einzelfallprüfung . Wenn wir eine Einzelfallprüfung eingeführt hätten, hätte wahrscheinlich noch kein Mensch
in Deutschland die Mütterrente auf seinem Konto . Mit
der Pauschalregelung haben die Leute seit Monaten die
Mütterrente auf ihrem Konto . Das ist der Erfolg, auf den
wir gebaut haben . Das haben wir durchgesetzt .
({7})
Ich hätte von Ihnen als Linke eigentlich erwartet, dass
Sie den ganz besonderen Fall - den kann es auch geben vorgetragen hätten, dass bei jemandem, der im zweiten
Lebensjahr seines Kindes bereits wieder voll gearbeitet
hat, die Beitragsbemessungsgrenze erreicht hat und deswegen dank Pauschalregelung zu viel Mütterrente bekam, wieder abkassiert wird . Ich hoffe, dass die Linke
demnächst einen entsprechenden Antrag stellt .
({8})
So viel zu den Besonderheiten .
Man kann sicherlich zig Haare in der Suppe finden.
Die entscheidende Frage lautet aber: Betrifft die Pauschalregelung cum grano salis insgesamt betrachtet die
allergrößte Zahl der Fälle, in denen die Berechtigung besteht, für die Erziehungsleistung im zweiten Lebensjahr
des Kindes Mütterrente zu erhalten? Das haben wir geschafft . Im Übrigen hat das Sozialgericht Berlin im letzten Jahr in einem Urteil die Richtigkeit dieses staatlichen
Handelns bestätigt .
({9})
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss .
({10})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Mütterrente
ist ein großartiger Erfolg . Sie hilft denjenigen, die ihre
Kinder zu Zeiten erzogen haben, in denen Kindererziehung oft mit Ausscheiden aus dem Berufsleben gleichzusetzen war . Wir haben mit der Pauschalregelung, die wir
getroffen haben, eine rechtlich einwandfreie Lösung gefunden . Wir haben eine Lösung gefunden, die sofort hilft .
Was die Linke vorschlägt, ist in Wahrheit eine Vertagung
der Mütterrente . Das wollten und wollen wir nicht .
Vielen Dank .
({11})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Markus Kurth das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen,
ich frage mich gerade, ob Sie das jetzt wirklich so nachvollziehen konnten, was der Kollege Peter Weiß gerade
eben von diesem Rednerpult aus dargelegt hat. Ich finde, dass das ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie ein eigentlich überschaubarer und klarer Sachverhalt, der nach
meiner Einschätzung im Antrag der Fraktion Die Linke
auch übersichtlich dargestellt ist, künstlich vernebelt,
verkompliziert und dann auf eher unseriöse Weise diskreditiert wird .
({0})
- Ich muss hier im Gegenzug auch einmal austeilen und
den Kollegen Matthias Birkwald in Schutz nehmen . Man
kann, wenn es um rentenpolitische Vorstellungen geht,
die das Rentenniveau angehen und Hunderte Milliarden
Euro kosten, durchaus unterschiedlicher Meinung sein .
Aber eines kann man Herrn Birkwald sicherlich nicht
vorwerfen, nämlich die Unkenntnis des Rentenrechts .
({1})
- Sie hatten gerade eine solche Bemerkung gemacht,
Herr Weiß .
({2})
Der Sachverhalt ist jedenfalls überschaubar . Wenn
eine Mutter oder ein Vater über Jahre ihr bzw . sein Kind
erzogen hat, dann haben sie, wenn das Kind zwischen
dem 13 . und 24 . Monat erzogen wurde, einen Rentenpunkt als Anerkennung für diese Leistung verdient; darum geht es .
({3})
Und unseriös war - Herr Rosemann, Sie haben ja dazwischengerufen -, dass Sie einen Gegensatz aufgestellt
haben und so getan haben, als ob nur Pauschalregelung
oder nur Antragsregelung gehen würde . Man kann das
Ganze doch sehr wohl mit einer Antragsregelung kombinieren . Meinethalben nimmt man dann die von Ihnen
genannten Spezialfälle wie Zuzug aus dem Ausland und
dergleichen dann auch noch auf . Dann gibt es möglicherweise - wir wissen es nicht genau - mehr Anträge als
die 40 000 von betroffenen Adoptiveltern . Dann kommen
sicherlich einige Tausend oder sogar Zehntausend Anträge hinzu . Aber wir werden Lichtjahre von 9,5 Millionen
zu prüfenden Bescheiden entfernt sein . So viel Klarheit
und Ehrlichkeit in der Debatte können wir uns allen abverlangen .
({4})
Das können wir eigentlich umso mehr, weil uns endlich
einmal ein Antrag der Fraktion Die Linke vorliegt, dessen Umsetzung nicht Hunderte Milliarden Euro kostet
oder Beitragssätze von 28 Prozent nach sich zieht . Ich
hätte gedacht, Herr Birkwald - Sie kommen ja aus Köln,
wo die Karnevalstage bevorstehen -, Sie würden noch
einmal ordentlich Kamelle unters Volk bringen .
({5})
Jetzt sind wir hier aber beim Schwarzbrot und bei einem ernstzunehmenden Gerechtigkeitsproblem, das ja
auch von der Großen Koalition niemand wirklich leugnet . Dass es hier eine Ungerechtigkeit gibt, ist ja auch
bei den Beratungen im Ausschuss von allen zugegeben
worden . Und weil das so ist, möchte ich Sie in dem Zusammenhang auch noch einmal an das erinnern, was Sie
am 23 . Mai 2014 bei der Verabschiedung des sogenannten Rentenpakets vollmundig vom Redepult aus erklärt
haben . Karl Schiewerling sprach bei der Verabschiedung
des Rentenpakets von „mehr Gerechtigkeit für Millionen
Mütter“ . Andrea Nahles sagte bei der Verabschiedung Zitat -: „Mit der Mütterrente erkennen wir die großartige
Leistung von Millionen Müttern und auch Vätern an .“
Frau Böhmer von der Frauen-Union sagte: „Das ist ein
Dank an die Mütter“ sowie „Heute ist ein Tag der Gerechtigkeit .“
({6})
Peter Weiß ({7})
Ja was müssen denn die Adoptiveltern, die hier in Rede
stehen, die ihr Kind erst im 13 . Lebensmonat adoptiert
haben, von diesen Aussagen halten? Die müssen sich
doch verschaukelt vorkommen . Für die ist es nur Schall
und Rauch .
({8})
Übrigens darf ich daran erinnern, dass auch diejenigen Mütter, die in der Grundsicherung sind und durch
die Mütterrente nicht über die Grundsicherungsschwelle
kommen, nichts von dem Rentenpaket haben . Und wo
ich einmal dabei bin, erinnere ich auch gerne an die Zusammenhänge, die sich aus der Finanzierung der Mütterrente als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe aus der
Rentenkasse ergeben . Das führt nämlich dazu, dass das
Rentenniveau niedriger ausfällt, als es ausfallen müsste,
und dass der Beitragssatz höher ausfällt, als er eigentlich
ausfallen müsste. Das heißt also: Das finanzieren die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler mit statt die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . Das haben wir von Anfang
an diskutiert, und das darf in dem Zusammenhang, wo
wir von Ungerechtigkeiten beim Rentenpaket reden, gern
auch wiederholt und in Erinnerung gebracht werden .
({9})
Meine Damen und Herren, heute hätte die Regierungskoalition wenigstens signalisieren können, dass sie
eine der unzähligen Gerechtigkeitslücken dieses Rentenpakets schließen will . Sie verneinen es, wie gesagt,
prinzipiell nicht . Dass Sie sich hinter Formalien, hinter
angeblich nicht lösbaren Konflikten zwischen Pauschalregelung und Antragsregelung verstecken, finde ich doch
einigermaßen kläglich . Ich rufe Sie auf: Ändern Sie das!
Setzen Sie sich auf den Hosenboden, und dann schaffen
Sie das auch!
Danke .
({10})
Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Dr . Rosemann hat alles dazu gesagt, wie es zu den Ungerechtigkeiten gegenüber manchen bei der Mütterrente
gekommen ist, wie unter anderem bei manchen Adoptiveltern, während wir aber gleichzeitig für 9,5 Millionen,
vor allem Frauen, mehr Gerechtigkeit geschaffen haben .
Das ist nun einmal einer Stichtags- und Pauschalregelung
geschuldet; die bringt automatisch Ungerechtigkeiten
mit sich . Vielleicht haben Sie - ich weiß es nicht - in
Ihrem Leben auch schon einmal einer Stichtags- oder
Pauschalregelung zugestimmt .
Sie haben gesagt, dass man das ja auf Antrag machen
kann . Sie haben es auf die Adoptiveltern bezogen . Wir
haben gesagt, es gibt noch mehr, wo man alles einzeln
anpassen müsste . Niemand kann sagen, wie groß die
Dimension wirklich ist, die wir der Rentenversicherung
dort aufbürden . Ich weiß nicht, ob Sie mit der Rentenversicherung einmal darüber gesprochen haben, wie sie das
und alles andere, was wir ihr noch als Aufgaben gegeben
haben, dann in gleicher Art und Weise gut schaffen kann .
Wir haben uns entschieden . Damals wäre die Alternative gewesen, nichts zu machen . Wir haben uns für
eine Rentensteigerung bei Frauen von durchschnittlich
10 Prozent entschieden . Und das war auch gut so .
({0})
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass sich Adoptiveltern
als Erziehende zweiter Klasse fühlen oder fühlen müssten .
({1})
Ich finde, das ist schon harter Tobak. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Partei Die Linke, Sie sind immer
ganz schnell dabei, wenn es um Skandalisierung geht .
Aber wenn man alles zu einem Skandal macht, dann
erkennt man irgendwann den wirklichen Skandal nicht
mehr, und es gibt auch keine Superlative mehr, um ihn
dann noch zu beschreiben .
({2})
Sie tun so und Sie unterstellen, als würde sich diese
Bundesregierung nicht um die Belange der Adoptiveltern kümmern und als würde die notwendige pauschale
Regelung nur und ausgewählt Adoptiveltern treffen . Weder das eine noch das andere ist der Fall . Die pauschale
Regelung trifft leider genauso Väter, die im zweiten Lebensjahr des Kindes die Erziehung übernommen haben .
({3})
Wenn die einen Eltern zweiter Klasse sind, sind dann die
anderen, die von der Pauschale profitieren, auf einmal die
Premiumeltern, diejenigen, die ihr Kind in der Zeit nicht
versorgt haben und trotzdem den Entgeltpunkt bekommen? Hier wird doch schon deutlich, wie absurd der Vorwurf ist, den Sie gegen uns erheben . Es geht hier nicht
darum, eine Gruppe zu benachteiligen oder zu bevorteilen . Es ging und es geht darum, 9,5 Millionen Müttern
eine höhere Rente auszuzahlen .
({4})
Alle Adoptiveltern, die noch nicht in Rente sind, werden genauso behandelt wie leibliche Eltern . Ich weiß sehr
wohl um die besonderen Herausforderungen für Adoptiveltern . Oftmals sind es seelisch verletzte Kinder, die nicht
nur schöne Erlebnisse in ihrem bisherigen Leben hatten .
Die Eltern haben oft vorher lange gelitten, weil sie keine
eigenen Kinder bekommen konnten . Hinzu kommt der
langjährige Adoptionsprozess mit Eignungsprüfung usw .
usf . Das alles ist eine große Belastung . Umso schöner ist
es, dass sich Mütter und Väter der Aufgabe stellen und
Kindern eine neue Familie geben .
({5})
Aber vieles am Verfahren und bei der Unterstützung
der Eltern und Kinder kann und muss verbessert werden . Deswegen ist es gut, dass mit der Einrichtung eines Forschungszentrums für Adoption durch Ministerin
Schwesig eine Plattform geschaffen wurde, wo über Probleme im Zusammenhang mit dem Thema Adoption diskutiert und geforscht werden kann . Dieses Projekt hat im
November letzten Jahres die Arbeit aufgenommen und
soll uns, die Politik, beraten . Ich bin mir sicher, dass wir
Gutes daraus machen werden .
({6})
Aber natürlich profitieren Adoptiv- und Pflegeeltern
auch genauso von all dem, was wir für Familien tun, und
zwar für alle; denn drei Dinge brauchen alle Familien:
Geld, Zeit und gute Betreuung . Und das haben wir angepackt .
Mit der Erhöhung des Kinderfreibetrags und des
Kindergeldes, mit der Erhöhung des steuerlichen Entlastungsbetrags für Alleinerziehende und der Erhöhung
des Kinderzuschlags haben wir insgesamt 5,3 Milliarden
Euro für Familien mobilisiert .
({7})
Mit dem Elterngeld Plus unterstützen wir Familien für
mehr Zeit und Partnerschaftlichkeit .
Und das Familienministerium unterstützt mit zahlreichen Programmen die Betreuung von Kindern . Insgesamt geben wir in dieser Legislaturperiode 1 Milliarde
Euro für den Kitaausbau aus und unterstützen ab nächstem Jahr die Kitas mit 100 Millionen Euro jährlich bei
den Betriebskosten .
Das kann sich wahrlich sehen lassen .
({8})
Es gibt für uns keine Eltern erster oder zweiter Klasse .
Davon profitieren alle Familien.
({9})
Alle Familien brauchen eine passende Unterstützung;
denn es gibt keine größere und keine schönere Aufgabe,
als Kinder großzuziehen .
({10})
Es ist der SPD vollkommen egal, ob die Eltern leibliche
Eltern oder Adoptiv- oder Pflegeeltern sind,
({11})
ob sie verheiratet sind oder nicht, ob sie als homosexuelles Paar oder als Mann und Frau ein Kind erziehen, ob
sie alleine oder zusammen ein Kind großziehen, ob sie in
Deutschland großgeworden sind oder früher oder gerade
erst zu uns gekommen sind . Alles das macht für uns keine Unterschiede .
({12})
„Mit Kindern zusammen zu sein ist Balsam für die
Seele“, sagt der kluge Dostojewski . Es ist ein Glück, mit
Kindern zusammen zu sein, und es ist unsere Aufgabe,
es allen Familien leichter und ein bisschen einfacher zu
machen .
Glück auf!
({13})
Die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Es ist doch gar keine Frage,
dass es im Sommer 2014 für Millionen deutscher Frauen
richtig gute Nachrichten gab . Wir hatten die Mütterrente
auf den Weg gebracht, und die Erziehungsleistung von
Millionen Frauen, die wiederum Millionen Kinder großgezogen haben, wird seitdem finanziell besser anerkannt.
Herr Kollege Birkwald, geben Sie sich einen Ruck! Das
war eine richtig gute Aktion . Das können Sie einfach einmal zugeben .
({0})
All diese Frauen hatten, als ihre Kinder klein waren,
kein Recht auf einen Krippen- oder Kindergartenplatz,
sie hatten kein Elterngeld und keine Partnermonate . Sie
mussten in aller Regel wirklich zurückstecken - viel
mehr, als wir das mussten , in vielen Bereichen des Lebens . Mit dem zusätzlichen Rentenpunkt wird diese
Leistung, die für unseren Generationenvertrag so enorm
wichtig ist, finanziell mehr als bisher gewürdigt. Auf dieses Mehr an Gerechtigkeit können wir alle, wie ich meine, wirklich stolz sein . Und auch auf den reibungslosen
Ablauf und auf die schnelle Umsetzung dieses Projekts
können wir wirklich stolz sein . Das hat gut und schnell
geklappt .
({1})
Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele dafür nennen, wer
von unserer „schönen Mütterrente“, wie Sie es bezeichnet haben - es ist nämlich wirklich eine schöne Mütterrente -, profitiert:
Dagmar Schmidt ({2})
Da ist zum Beispiel die 80-jährige Großmutter, die
drei Kinder großgezogen hat; sie ist der Normalfall . Sie
spürt diesen zusätzlichen Entgeltpunkt pro Kind auf ihrem Konto recht deutlich . Vielleicht unterstützt sie damit
auch schon ihren Enkel, der dann wieder ein Beitragszahler wird .
In ganz wenigen Fällen haben auch früher schon Väter die Erziehung übernommen . Wenn diese das Kind im
ersten Lebensjahr erzogen haben, dann bekommen auch
diese Männer die Mütterrente .
Freuen kann sich aber zum Beispiel auch das Ehepaar,
Ende 70, das zwei Kinder, jeweils im ersten Lebensjahr,
adoptiert hat . Auch seine Erziehungsleistung wird mit
dem zweiten Entgeltpunkt berücksichtigt .
Diese Beispiele bilden die weit mehr als 90 Prozent
der Bestandsrentner ab, bei denen das Geld auf jeden Fall
an der richtigen Stelle ankommt . Sie konnten sich ab dem
1 . Juli 2014 über eine etwas höhere Rente freuen . Dass
die Auszahlung so schnell und reibungslos vonstattenging, das war eben tatsächlich nur durch eine Pauschale
und damit auch durch eine einfache Regelung bei den
Bestandsrenten möglich . Wer schon im ersten Lebensjahr die Kindererziehungszeit angerechnet bekommen
hat, der bekam auch das zweite Jahr angerechnet . In Einzelfällen - und es sind wirklich Einzelfälle ({3})
kann dies tatsächlich dazu führen, dass man sich benachteiligt fühlt . Auch dafür möchte ich Ihnen Beispiele nennen:
Dazu zählen die von Ihnen von der Linken angesprochenen Adoptiveltern, die ein Kind erst zwischen dem
13 . und dem 24 . Lebensmonat adoptiert haben .
({4})
Für sie ist diese Anrechnung nicht mehr möglich . Dieser Rentenpunkt wird noch der leiblichen Mutter gutgeschrieben . Aber es ist auch völlig klar, dass diese Leistung nicht weniger gewürdigt wird .
({5})
Dazu zählen auch die Fälle, in denen der Vater im
zweiten Jahr die Erziehung von der Mutter übernommen
hat, und auch die Fälle, in denen das Kind nach dem ersten Jahr in einer Pflegefamilie wieder zur leiblichen Mutter zurückgekehrt ist .
In all diesen Fällen - da haben Sie recht - kann man
meinen, dass man ungerecht behandelt wurde . Hätte man
aber diese Fälle verhindern wollen, hätte man mehr als
9 Millionen Frauen anschreiben müssen, um jeweils die
frühe Biografie ihrer Kinder abzufragen: Wer hat wann
das Kind erzogen? Gab es Pflege- oder Adoptiveltern?
({6})
Abgesehen davon, dass vermutlich Hunderttausende
Briefe gar nicht angekommen oder zurückgekommen
wären, hätte es sicher auch sich widersprechende Angaben gegeben . Diese Fälle hätten dann erst einmal gar
nicht bearbeitet werden können . Die Überprüfung wäre
eine Arbeit für Jahre gewesen . Auch die Auszahlung des
zusätzlichen Rentenpunkts hätte sich dann um Jahre verzögert . Das hätte eben nicht nur Zeit, sondern auch Geld
gekostet - Geld der Beitragszahler, das, wie ich meine,
besser in Renten investiert ist als in bürokratische Großaktionen .
Auch Ihr Vorschlag, die Problematik mit einem Antragsverfahren zu lösen, würde nicht sehr viel weniger
Probleme hervorrufen .
({7})
Auch das bindet selbstverständlich Ressourcen . Auch
dort wird es sich widersprechende Angaben geben . Auch
das führt natürlich wieder zu der einen oder anderen Ungerechtigkeit . Ob es rentenrechtlich überhaupt möglich
wäre, sei dahingestellt .
Auch deshalb bin ich zurückblickend überzeugt davon, dass wir vor knapp zwei Jahren hier die richtige
Entscheidung getroffen haben . Für die teilweise ja auch
schon sehr alten Frauen dieser Republik war es wichtig,
dass eine politische Entscheidung wie die Einführung der
Mütterrente schnell getroffen worden ist . Wenn ich Ihren
Zahlen glauben darf, dann ist es so, dass tatsächlich über
99 Prozent der Berechtigten von der Mütterrente auch
wirklich profitieren. Das halte ich bei einer pauschalen
Regelung, die sich schnell und einfach umsetzen ließ, für
eine wirklich gute Quote .
Die Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren sind und
die nach Sommer 2014 in Rente gegangen sind oder noch
gehen werden, erhalten den zusätzlichen Rentenpunkt
ohnehin ganz genau aufgeteilt nach ihrer Erziehungsleistung. Da ist es ganz egal, ob es leibliche Eltern, Pflegeeltern oder Adoptiveltern sind .
Ich meine also, die Mütterrente ist ein wirklich gutes
Projekt . Stimmen Sie uns einfach zu, Herr Birkwald .
Danke schön .
({8})
Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen - Mütterrente anerkennen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6222, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/6043 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .
Ich rufe die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf:
ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Menschen- und umweltgerechten Ausbau der
Rheintalbahn realisieren
Drucksache 18/7364
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Menschen- und umweltgerechte Realisierung
europäischer Schienennetze
Drucksache 18/7365
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae,
Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzierung eines bürgerfreundlichen und
umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn
jetzt sicherstellen
Drucksachen 18/6884, 18/7388
Zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD zum Ausbau der Rheintalbahn liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor .
Weiterhin liegt zu dem Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD zur Realisierung europäischer
Schienennetze ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich bitte jetzt, die nötigen Umgruppierungen, Verabschiedungen und Gespräche zügig abzuwickeln .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle für die Bundesregierung .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Meine sehr verehrten Bürgermeister
und Vertreter der Bürgerinitiative auf der Zuschauertribüne!
({0})
Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie leben in einem Haus
im Rheintal, an dem vielbefahrenen Schienenweg dort .
Dann fährt, die Nachtstunden eingerechnet, alle sechs
Minuten ein Güterzug an Ihrem Haus vorbei . Wenn unsere Verkehrsprognosen stimmen, dann wird in zehn Jahren
alle vier Minuten ein Güterzug an Ihrem Haus vorbeidonnern . - Daran sehen Sie, glaube ich, meine sehr verehrten
Damen und Herren, wie hoch der Handlungsbedarf ist
und dass es gilt, eine Lösung für die Lärmproblematik an
der meistbefahrenen Schienenstrecke Europas zu finden.
Es war eine jahrelange, eine sehr mühsame Arbeit, ein
Ringen um Ausgewogenheit und Interessenausgleich .
Umso erfreulicher ist das Ergebnis, das wir jetzt erreicht
haben; denn dieses Ergebnis wird der enormen Bedeutung
der Rheintalbahn als grenzüberschreitender Schienenmagistrale in vollem Umfang gerecht . Das ist ein guter Tag
für Deutschland, ein guter Tag für Baden-Württemberg,
aber vor allem auch ein guter Tag für das Rheintal .
({1})
Meine Damen und Herren, diese Strecke ist Bestandteil des Güterverkehrskorridors 1 von ZeebruggeAntwerpen bzw . Rotterdam über Mailand nach Genua
und damit das Herzstück des EU-Kernnetzkorridors
Rhein-Alpen . Gleichzeitig ist sie Zulaufstrecke zur Neuen Eisenbahn-Alpentransversale, kurz NEAT genannt, in
der Schweiz. Wir kommen somit unserer Verpflichtung
nach - das sage ich auch ausdrücklich im Namen der
Bundesregierung -, diese Trasse viergleisig auszubauen,
um damit die Durchgängigkeit herzustellen, auch in unsere Nachbarländer hinein .
Ich will als Allererstes allen danken, die an der Erarbeitung dieser Anträge zum menschen- und umweltgerechten Ausbau der Rheintalbahn mitgewirkt haben . Allen voran danke ich Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt . Ich denke, ohne seinen Einsatz am Dienstagmorgen wäre der Knoten nicht durchschlagen worden .
Jetzt ist er durchschlagen, und das haben wir auch ein
Stück weit ihm zu verdanken .
({2})
Ich will aber auch ausdrücklich den Kolleginnen und
Kollegen Abgeordneten aus der Region danken, die sich
seit Jahren für dieses Projekt eingesetzt haben . Namentlich nenne ich Armin Schuster, Peter Weiß und Matern
von Marschall .
({3})
- Sicherlich gab es da noch mehr Abgeordnete; deren
Namen sind mir im Moment allerdings nicht so präsent .
({4})
Ich will ausdrücklich aber auch Herrn Staatssekretär
Odenwald aus unserem Hause danken, der über lange
Zeit hinweg die Sitzungen des Projektbeirats Rheintalbahn moderiert hat, der vor Ort Vertreter des Bundes, des
Landes, der Region, der Deutschen Bahn und der Bürgerinitiativen um sich versammelt und diesen Prozess zu eiVizepräsidentin Petra Pau
nem glücklichen Ende gebracht hat . So sind die Empfehlungen des Projektbeirates entstanden .
({5})
- Selbstverständlich . Es waren noch mehr Kollegen mit
großem Einsatz beteiligt: Uli Lange, Kollege Vaatz, gar
keine Frage, auch Kollegen aus der Koalition .
({6})
Ich erinnere daran, dass wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag
Beschlüsse gefasst und einzelne Empfehlungen des Projektbeirates aufgegriffen haben . Die jetzt vorliegenden
Empfehlungen finden sich in den Anträgen wieder, und
das ist auch gut so . Ich betone ausdrücklich: Es ist schon
außergewöhnlich, dass Empfehlungen eines solchen
Gremiums direkt in die Entscheidungsfindung des Parlaments einfließen.
({7})
Das ist etwas außergewöhnlich - das sage ich ausdrücklich -; denn damit verschwimmt die Trennung zwischen
Exekutive und Legislative .
({8})
Darüber müssen wir uns im Klaren sein . Aber das ist im
vorliegenden Fall nicht zum Schaden, sondern sicherlich
zum Vorteil für alle Beteiligten .
Es ist eine Lösung entstanden, die im Interesse der
Bürger entlang dieser Bahnlinie zwischen Karlsruhe und
Basel ist . Ganz offensichtlich sind wir zur Realisierung
von großen Infrastrukturprojekten darauf angewiesen,
eine Akzeptanz der Menschen vor Ort zu erreichen und
sie entsprechend einzubinden . Anders würde es sehr
schwierig, überhaupt noch etwas zu realisieren .
Wir hören ja oft die Forderung, noch mehr Verkehr,
vor allem Schwerlastverkehr, von der Straße auf die
Schiene zu verlagern . Das ist richtig; aber man muss sich
darüber im Klaren sein, dass damit mehr Lärm und die
Anforderung einhergehen, etwas gegen diesen Lärm zu
machen . Das heißt, die Lärmfrage muss gelöst werden .
Deshalb hat für uns, das BMVI, Lärmschutz hohe Priorität . Wir geben erhebliche Summen an Geld aus, um
Lärm zu mindern, insbesondere durch Lärmschutz an
der Quelle, eine Anpassung der rechtlichen Vorschriften
und stationären Lärmschutz . Für diese drei Maßnahmen
stehen wir ein, wobei wir der Auffassung sind, dass die
effizienteste und nachhaltigste Methode, Lärm zu mindern, die Minderung des Lärms an der Quelle ist - darauf konzentrieren wir uns insbesondere -, durch leisere
Fahrzeuge . Dafür gilt es, lärmarme Bremstechniken zu
entwickeln und Güterwagen entsprechend umzurüsten .
Wenn es gelingt, die Abrollgeräusche eines Güterwagens
um 10 Dezibel zu reduzieren, dann nimmt der Mensch
das als Reduzierung der Lautstärke um die Hälfte wahr,
und das ist ein wirklich guter Wert . Wir tun alles, um weitere Fortschritte zu erreichen, insbesondere was die Reduktion des Lärms an der Quelle anbelangt . Das ist aus
unserer Sicht allemal besser, als in den laufenden Verkehr
einzugreifen . Wer Lärm über Tempolimits oder sonstige
Maßnahmen mindert, der geht im Grunde genommen
den falschen Weg . Wir müssen an der Quelle ansetzen;
denn das ist die nachhaltigste Methode .
Abschließend darf ich nochmals erwähnen, dass wir
einen Zustand erreicht haben, bei dem wir weit über das
gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus Geld in die Hand
nehmen, um die Bürgerinnen und Bürger vor Ort vor
Lärm zu schützen . Für das Rheintal ist es gut, dass es
gelungen ist, so vorzugehen . Das wird in dem einen oder
anderen Fall vielleicht auch andernorts noch gelingen .
Danke .
({9})
Vielen Dank, Kollege Barthle . - Einen schönen Nachmittag von meiner Seite Ihnen! Die nächste Rednerin in
der Debatte: Sabine Leidig für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste von der Bürgerinitiative! Man könnte diesen
Tagesordnungspunkt eigentlich mit dem Satz überschreiben: Was lange währt, wird endlich gut, aber nicht gut
genug . - Das muss man ganz deutlich sagen .
({0})
Herr Barthle, was bei Ihnen in der Koalition los ist, ist
eigentlich relativ irrelevant . Entscheidend ist, dass sich
die Leute aus den Bürgerinitiativen am Oberrhein seit
30 Jahren gegen die unsinnigen Pläne der Bahn zur Wehr
setzen, noch mehr Güterzüge durch eine dicht bebaute
Region mitten durch die Ortschaften zu schicken, anstatt
Alternativen zu wählen, die von Anfang an vorgeschlagen worden sind:
({1})
die Alternative, einen Tunnel durch Offenburg zu bauen,
die Alternative, die Eisenbahn- und die Güterbahntrasse
an die Autobahn zu legen, wo der Lärmschutz für beide
Verkehrswege organisiert werden kann . Das wird jetzt
beschlossen; das ist hervorragend . Aber ich möchte einmal deutlich sagen: Diese Bürgerinitiativen haben lange
dafür gekämpft . 5 000 Leute sind Mitglied in diesem Zusammenschluss . 48 500 Einwendungen sind geschrieben
worden, um auf die Prozesse Einfluss zu nehmen. Die
Bürgerinitiativen haben viel Geld ausgegeben, um Gutachten, Lärmmessungen usw . erstellen zu lassen . Es ist
toll, dass es hier gelungen ist . Das hat auch damit zu tun,
dass in Baden eine widerständige Kompetenz und Tradition vorhanden sind .
({2})
Das hat aber auch damit zu tun, dass die Auseinandersetzung mit Stuttgart 21 viele zum Nachdenken gebracht
hat .
({3})
Es geht doch darum, dass für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Maß an Beteiligung, dieses Reden über Alternativen selbstverständlich wird . Das ist Demokratie,
Herr Barthle, und keine Ausnahmeerscheinung .
Ich möchte noch einmal deutlich sagen, dass wir als
Linke fordern, dass die Vorschläge von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern in gleicher Weise zurate gezogen
werden wie die Vorschläge der Planer, der Bahn, und es
damit tatsächlich eine echte Bürgerbeteiligung, ein echtes Beraten über Alternativen von Anfang an gibt . Das
haben wir übrigens schon 2010 beantragt .
Sie haben nun in den Antrag, den Sie vorgelegt haben, um die Vorschläge des Projektbeirates in Gesetzesform zu gießen, eine Sache eingefügt, die ich überhaupt
nicht verstehe und der wir widersprechen . Deshalb haben
wir einen Änderungsantrag eingebracht . Sie schreiben
dort, dass der Ausbau der Bestandsstrecken auf 160 bis
250 Kilometer pro Stunde erfolgen soll . Sie wissen wahrscheinlich, was das heißt . Wenn ein ICE 250 Kilometer
pro Stunde fahren soll, dann müssen sämtliche Bahnhöfe
umgebaut werden . An diesen Strecken muss also unheimlich viel investiert werden, um die Hochgeschwindigkeit
zu realisieren . Die Bahn selber sagt, dass die Züge, wenn
sie statt mit 230 mit 250 Kilometern pro Stunde rasen,
auf dieser Strecke nur 31 Sekunden Zeit einsparen .
({4})
Ich bitte Sie: Wenn man geschätzt 300 bis 400 Millionen Euro zusätzlich für einen Zeitgewinn von maximal
31 Sekunden ausgeben will, dann ist da etwas verkehrt .
Wir beantragen also - das sagen übrigens auch die Bürgerinitiativen -, dass 230 Stundenkilometer genug sind .
Damit ist die Bahn schnell genug, und damit könnte man
viel Geld sparen .
({5})
Ich möchte einen weiteren Punkt anführen . Es ist gut,
dass jetzt am Oberrhein und am Hochrhein vernünftige
Lösungen gefunden und durchgesetzt worden sind . Aber
es ist nicht gut, dass überall anders im Land - nicht nur
am Mittelrhein, in Rheinland-Pfalz, in Hessen, sondern
auch an der Elbe, im Kinzigtal und überall dort, wo immer mehr und immer schwerere und längere Güterzüge
durch die Ortschaften fahren - ganz andere Maßstäbe angelegt werden. Ich finde, es ist die Verantwortung dieser
Bundesregierung, mit vernünftigen Lärmschutzmaßnahmen, mit alternativen Trassenführungen für den Schutz
der Anwohnerinnen und Anwohner zu sorgen, auch wenn
es mehr Geld kostet . Das ist das Recht der Bürgerinnen
und Bürger, auch dort, wo es keine finanzstarken und
durchsetzungsstarken Bürgerinitiativen gibt, weil es zum
Beispiel viele kleine Ortschaften sind, die sich schwer
vernetzen können .
In diesem Sinne haben wir in den letzten Jahren bereits mehrfach beantragt, dass der Lärmschutz verbessert wird, und zwar überall, entlang der Schiene und der
Straße, und dass es eine Selbstverständlichkeit sein muss,
dass die gesundheitliche Unversehrtheit der Bürgerinnen
und Bürger im Mittelpunkt steht und nicht die Kostenersparnis für den einen oder anderen Verkehrsweg .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Kollegin Leidig . - Wir haben ein kleines Problem mit der Uhr; deshalb war es hier so unruhig .
Wenn die bei Ihnen nicht rückwärtszählt, dann heißt das
nicht, dass Sie unbegrenzt reden dürfen .
({0})
Ich würde Sie bitten, darauf zu achten . Wir arbeiten
jetzt mit den traditionellen Weckern und hoffen, dass das
klappt . - Also, liebe Annette Sawade, Sie haben vier Minuten . Schauen wir mal, wie Sie das hinkriegen .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen
aus dem südbadischen Raum der SPD-Fraktion, Elvira
Drobinski-Weiß, Johannes Fechner und unsere Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter,
({0})
ich danke ganz herzlich, dass Sie alle mitgemacht haben,
dass ihr alle mitgemacht habt und dass wir dieses Projekt
nach vorn gebracht haben . Danken möchte ich an dieser
Stelle natürlich auch unserer Sprecherin der AG Verkehr,
Kirsten Lühmann, die sich heftigst dafür eingesetzt hat,
dass wir zu diesem Ergebnis gekommen sind .
({1})
- Frau Hagedorn wird erwähnt; sie wird nachher auch
noch reden, keine Sorge .
Liebes Publikum auf der Tribüne, liebe IG BOHR, liebe andere Mitstreiter für dieses große Projekt, eine kleine
Frage an Sie alle: Kennen Sie das Märchen vom Froschkönig oder vom eisernen Heinrich?
({2})
Dem eisernen Heinrich sind nämlich vor Freude über
die Rückwandlung seines Chefs in einen Menschen die
eisernen Bänder um sein Herz mit lautem Knall gesprungen . Ich glaube, uns allen ging es ein wenig so, als endlich diese beiden Anträge vor uns lagen, sodass wir heute
darüber beschließen können .
Aber zurück zur Realität; denn zum Glück befinden
wir uns nicht im Märchenland, sondern in der Realität der
Umsetzung eines wichtigen Verkehrsprojektes . Im letzten
Jahr stand ich mit meinem Kollegen Johannes Fechner in
Herbolzheim. Für die geografisch in Baden-Württemberg
nicht so ganz Fitten: Das ist ein schönes Städtchen an der
Rheintalbahnstrecke im südlichen, badischen Teil von
Baden-Württemberg . Ich stand aber nicht nur einfach
da, sondern ganz hoch oben auf einer Feuerwehrleiter .
Diesen technischen Aufwand haben der Bürgermeister
und die Anwohner extra für mich inszeniert, weil sie mir
zeigen wollten, wie hoch die Lärmschutzwände für einen
absoluten Lärmschutz sein müssten, wenn die Gleise 3
und 4 der Rheintalbahn für den Güterverkehr gebaut werden . Deshalb freue ich mich umso mehr, dass ich heute
hier vor Ihnen allen stehe und nicht auf einer Feuerwehrleiter und zu diesem wichtigen Projekt reden darf .
Wir halten ein Ergebnis in den Händen, an dem sehr
viele beteiligt waren . Bei diesen vielen möchte ich mich
ausdrücklich bedanken; denn ohne sie, ohne die Bürgerinitiativen und ohne die zahlreichen Gespräche - hier
schließe ich meine Kollegen in den einzelnen Fraktionen
mit ein -, ohne zahlreiche Kompromisse, Verhandlungen
und Schulterschlüsse wären der Beschluss des Projektbeirates und in Folge diese Anträge nicht zustande gekommen .
({3})
- Herr Strobl, dass das klar ist: Das geht alles zulasten
meiner Redezeit .
Es geht beim Ausbau der Rheintalbahn natürlich um
viel Geld; aber es geht noch um etwas ganz Entscheidendes: Es geht darum, dass wir jetzt und in Zukunft eine
neue Nachhaltigkeit in der Verkehrspolitik wollen . Ich
spreche als Verkehrspolitikerin zu Ihnen, und ich habe
sehr konkrete Vorstellungen von nachhaltiger Politik im
Verkehrsbereich . Ich meine damit: im Prozess mehr Bürgerbeteiligung in betroffenen Regionen und im Ergebnis
dadurch mehr Schutz für Mensch und Umwelt .
Ein Kernanliegen der Politik - von uns im Koalitionsvertrag auch so beschlossen - ist: Ja, wir wollen mehr
Güter und Verkehr auf die Schiene bekommen . Und wer
würde sich einem Lärmschutz, der diesen Namen auch
verdient, entgegenstellen? Genau an diesem Punkt, liebe
Kolleginnen und Kollegen, müssen wir das Paradoxon
auflösen. Mehr Züge machen mehr Lärm. Also brauchen
wir auch mehr Lärmschutz .
({4})
Wir wollen nicht, dass wichtige Verkehrsprojekte ohne
Rückhalt und Akzeptanz aus der Bevölkerung umgesetzt
werden .
Beim Ausbau der Rheintalbahn, um den es im ersten
Antrag geht, sollen die Anwohnerinnen und Anwohner
Lärmschutz über das gesetzliche Maß hinaus erhalten .
Das heißt im Klartext: nicht nur Lärmschutz, wie gesetzlich vorgeschrieben, sondern darüber hinaus . Wir
stellen in diesem Fall die haushaltsrechtlichen Vorgaben
zur Wirtschaftlichkeit, wie es auf Amtsdeutsch so schön
heißt, zurück . Das grün-rote Kabinett und der Landtag
von Baden-Württemberg haben bereits am 1 . Dezember
den Landesbeitrag für die erhöhten Lärmschutzkosten in
Höhe von circa 280 Millionen Euro beschlossen .
({5})
Nun stehen wir als Bund in der Pflicht.
Es ist festzuhalten: Die Rheintalbahnstrecke gehört zu
den transeuropäischen Netzen, den TEN . Deutschland ist
wirtschaftlich stark - der Wirtschaftsminister hat es heute
Morgen in seiner Rede betont -, und es ist ein Transitland: sechs Korridore von insgesamt neun TEN-Strecken
durchkreuzen unser Land . Es muss doch in unser aller
Interesse sein, diese Strecken einerseits auszubauen, andererseits aber die unmittelbar Betroffenen nicht mit dem
verstärkten Verkehrslärm alleinzulassen .
({6})
Denken Sie an die Redezeit? Sie ist schon deutlich
überschritten .
Ja, ich bin gleich fertig .
Wir dürfen gerade in der Verkehrspolitik das große
Ganze nicht aus den Augen verlieren . Es geht hier nicht
um einzelne autarke Baustellen und Projekte . Nein, wir
brauchen ein funktionierendes Netz, und dafür brauchen
wir ein Gesamtkonzept und vorausschauendes Denken .
Zum Schluss möchte ich die Worte der IG BOHR aus
dem Jahr 2008 aufgreifen - ich zitiere -:
An ALLE, die sich angesprochen fühlen, geht dafür
- für diese Zusammenarbeit ein herzliches Dankeschön! Dank für Ihre Geduld
und den Zeitaufwand, Dank für Ihre Offenheit und
Ihr Vertrauen . Und als Fortsetzung wünschen wir
uns: Mögen Sie uns bis zu einem erfolgreichen Abschluss in Berlin begleiten!
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, es sind Jahre vergangen; aber wir
haben es geschafft . Nun schließen wir erfolgreich ab und
unterstützen eine rasche Umsetzung .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank, Frau Kollegin . - Nächster Redner ist
Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Sehr gerne hätte ich schon einige Monate früher hier gestanden und über den Ausbau der Rheintalbahn und eiAnnette Sawade
nen besseren Lärmschutz gesprochen . Sehr gerne hätte
ich hier zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU, SPD und Linken einen gemeinsamen Antrag
zu diesem Thema vorgestellt .
({0})
Leider sieht die Wirklichkeit anders aus . Unsere Bemühungen um einen gemeinsamen Antrag wurden von der
CDU/CSU abgeblockt .
({1})
Stattdessen haben sich Union und SPD viel zu lange um
einen Koalitionsantrag gestritten .
Baden-Württemberg kann hier als Vorbild dienen . Der
Landtag hat schnell seine Beschlüsse gefasst, und das auf
Grundlage eines fraktionsübergreifenden Antrages . Regieren ist eben eine Stilfrage .
({2})
Der Landtag von Baden-Württemberg hat dies im Geiste des Projektbeirates getan . Auch dort wurde an einem
Strang gezogen . Auch dort wurde gemeinsam nach Lösungen gesucht, und es wurden gemeinsame Empfehlungen ausgesprochen .
({3})
Für diese hervorragende, konstruktive Arbeit des Projektbeirates und das große Engagement von Bürgerinnen
und Bürgern sagen wir ein herzliches Dankeschön . Wir
drücken ihnen allen unseren Respekt für die geleistete
konstruktive Arbeit aus .
({4})
Nun liegen im Bundestag zwei Anträge zur Rheintalbahn vor, einer von uns Grünen und einer von den Regierungsfraktionen . Beide Anträge sind nahezu inhaltsgleich . Wir werden beiden Anträgen zustimmen;
({5})
denn es geht um die Sache und nicht um parteipolitische
Spielchen .
({6})
Auf zwei Unterschiede muss ich aber hinweisen . Im
Antrag von uns Grünen wird gefordert, dass Öffentlichkeit und Kommunen auch im weiteren Planungsverlauf
eng eingebunden werden . Der Geist des Miteinanders,
der Offenheit und der Transparenz muss die weiteren
Prozesse begleiten .
({7})
Im Antrag von Union und SPD wird festgeschrieben,
dass die Bestandsstrecke zwischen Offenburg und Riegel
auf Tempo 250 ausgebaut werden soll . Wir halten dies
für voreilig; denn Hochgeschwindigkeit ist kein Wert an
sich . Wir brauchen in Deutschland verlässliche Reiseketten . Dafür steht der Deutschland-Takt . Die Infrastruktur ist daran anzupassen . Dafür braucht es langfristige
Fahrplanberechnungen . Erst dann wissen wir, welche
Strecken auf welche Geschwindigkeit ausgebaut werden
müssen .
({8})
Die Rheintalbahn ist von herausragender Bedeutung
für den Personen- und den Güterverkehr . Sie stellt schon
heute einen Engpass dar . Wir als Grüne wollen aus Umweltgründen höhere Verkehrsanteile für die Schiene .
Dazu brauchen wir den Ausbau . Daher gilt es, nun keine
weitere Zeit zu verlieren . Wir wollen auch kein weiteres
Geld für unsinnige Planungen verlieren . 55 Millionen
Euro an Planungskosten wurden bereits vergeudet . An
den Mehrkosten für den zusätzlichen Lärmschutz beteiligt sich Baden-Württemberg freiwillig .
({9})
Das darf nicht zum Standard werden; denn Länderhaushalte sind nicht dafür gemacht, Bundesaufgaben
zu übernehmen . Wie viel Lärmschutz für die Menschen
umgesetzt wird, darf nicht von der Finanzkraft einzelner
Bundesländer abhängen .
({10})
Hier muss der Bund seiner Verantwortung für die Menschen in allen besonders betroffenen Regionen gerecht
werden . Nicht alle Wünsche aus den Regionen entlang
der Rheintalstrecke können erfüllt werden; aber die Menschen in allen betroffenen Regionen werden von verbesserten Planungen profitieren.
Wir Grünen wollen mehr Verkehr auf der Schiene .
Dazu braucht es Akzeptanz, und für Akzeptanz braucht
es mehr Anstrengungen in Sachen Lärmschutz; denn
Lärmschutz ist auch Gesundheitsschutz, und zwar nicht
nur entlang der Rheintalbahn, sondern auch andernorts .
Daher unterstützen wir Grünen den zweiten heute zur
Abstimmung vorgelegten Antrag der Koalition . Damit
soll der Lärmschutz an europäischen Güterverkehrskorridoren verbessert werden .
({11})
Mehr Geld für den Lärmschutz darf aber nicht dazu führen, dass weniger Geld für den Ausbau der Schienenwege übrigbleibt . Deswegen haben wir einen Änderungsantrag gestellt .
Mein Fazit: Es hat lange gedauert, und ich bedaure,
dass kein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen im Bundestag zustande gekommen ist . In der Sache sind wir uns
aber weitgehend einig: Die Weichen werden in Richtung
mehr Verkehr auf der Schiene gestellt, und in Lärmschutzbelangen kommen wir den Menschen im Rheintal,
aber auch im Rest der Republik deutlich entgegen . Das
ist praktizierter Gesundheitsschutz . Mehr Bahn, weniger
Lärm - das setzen wir heute aufs Gleis .
({12})
Vielen Dank, Matthias Gastel . - Der nächste Redner in
der Debatte: Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat: Endlich ist es so weit . Mich selbst beschäftigt
das Thema Rheintalbahn seit meiner Wahl in den Bundestag im Jahr 2009 . Was war seitdem? Wir haben in der
vergangenen Legislaturperiode bereits zwei Beschlüsse
zur Rheintalbahn im Bundestag gefasst . Ich blicke zurück auf zahlreiche Besuche vor Ort mit meinen Bundestagskollegen Armin Schuster und Peter Weiß, die sich
wirklich unermüdlich für die Anliegen der Bürger ihrer
Wahlkreise eingesetzt haben . Ich blicke zurück auf viele
Gespräche mit Kommunalpolitikern und den Bürgerinitiativen . Es wurde gerade schon gesagt: Wir konnten
nicht alle Wünsche erfüllen . Aber ich glaube, insgesamt
konnten wir doch ein gutes Ergebnis erzielen . Auch von
mir gilt: Herzlich willkommen; ich freue mich auf den
Empfang der Bürgerinitiativen nachher .
({0})
Die Uhr funktioniert wieder . Sie zeigt seit einer Minute an, dass ich noch sechs Minuten Redezeit habe . Das
kann ich nur begrüßen .
({1})
Ende Dezember war in der Welt von der Rheintalbahn
zu lesen . Die Rheintalbahn wurde erstaunlicherweise in einem Artikel mit der Überschrift „Das waren die
dümmsten und teuersten Gesetze 2015“ unter „skurrile
Verordnungen“ erwähnt . Ich war schon sehr überrascht,
ausgerechnet unter solchen Schlagzeilen von der Rheintalbahn zu lesen . Der einzige korrekte Satz zur Rheintalbahn lautete: „Es war die CDU, die die Rheintalbahn
unbedingt wollte .“ - Das stimmt nun wirklich .
({2})
Aber keine Sorge: Ich will gerne zugeben, dass sich auch
die anderen Fraktionen dafür eingesetzt haben .
({3})
Ansonsten waren in dem Artikel die üblichen Missverständnisse enthalten . Die Gespräche im Projektbeirat
wurden zu Absprachen im Hinterzimmer, und Kostenexplosionen wurden heraufbeschworen . - Lassen Sie mich
weitere Fehlinterpretationen der vergangenen Woche ergänzen: mangelnde Transparenz im parlamentarischen
Verfahren, obwohl wir bereits seit 2009 im Bundestag,
insbesondere im Verkehrs- und im Haushaltsausschuss
immer wieder über die Rheintalbahn und die Initiativen
aus dem Projektbeirat diskutiert haben, oder auch, es
handele sich um ein teures Geschenk für den Wahlkreis
Schäuble . Das alles ist falsch . Es zeigt aber, dass wir immer wieder erklären müssen, weshalb unsere heutigen
Beschlüsse berechtigt, sinnvoll und notwendig sind .
Zurück ins Jahr 2009, als der Projektbeirat eingerichtet
wurde . Warum wurde damals ein anderer Weg gewählt?
Wir mussten erkennen, dass der bisherige Weg der Bürgerbeteiligung bei solchen Großprojekten nicht mehr
passend war . Es sollte in Baden-Württemberg eben nicht
noch einmal so schwierig werden wie bei Stuttgart 21 .
Aus Fehlern bei diesem Projekt wurden Lehren gezogen,
die sich nun bei der Rheintalbahn ausgezahlt haben .
({4})
Es gibt viele Bürger, die sich mit Sachverstand einbringen, berechtigterweise auf Probleme hinweisen und gemeinsam mit ihren kommunalen Vertretern den Dialog
suchen . Nicht zuletzt müssen wir die durch mehr Verkehr zunehmenden Belastungen so gut wie möglich in
Grenzen halten . Deswegen war es konsequent, dass wir
bereits in der vergangenen Wahlperiode den Schienenbonus, also das Privileg des Schienenverkehrs - ihm wurde
mehr Lärm zugestanden -, abgeschafft haben . Ich glaube, das ist ein Erfolg, auf den man immer wieder hinweisen kann; denn das ist im Sinne der betroffenen Bürger .
({5})
Für die Einzigartigkeit der Rheintalbahn gibt es viele Gründe: Sie ist national wie international notwendig .
Sie fungiert als Zubringer für den Gotthard-Basistunnel,
und wir haben Verpflichtungen gegenüber der Schweiz.
Auf die Auslastung dieser Strecke wurde schon hingewiesen - ich will sie trotzdem noch einmal ansprechen -:
2025 erwarten wir 335 Güterzüge pro Tag; das sind umgerechnet 14 Züge pro Stunde . Das ist eine wirklich gewaltige Dimension .
Bereits unter der CDU-geführten Landesregierung hat
sich Baden-Württemberg entschlossen, mögliche Mehrkosten für den zusätzlichen Lärmschutz anteilig zu übernehmen . Auch deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir
nun beschließen, einen Teil der Mehrkosten für die Beschlüsse des Projektbeirats zu übernehmen . Der Offenburger Tunnel wird uns finanziell einiges abverlangen;
aber es gibt keine andere realistische und rechtssichere
Variante . Daher stehen wir auch zu diesem Großprojekt .
Es geht um viel Geld; das wissen wir alle . Ich möchte
die Kollegen aus den anderen Bundesländern aber beruhigen: Der Ausbau der Rheintalbahn ist für den Steuerzahler angesichts des enormen Güterverkehrs, der dort
jetzt und in Zukunft verkehrt, ein gutes Geschäft; wie bereits erwähnt, mindert die Beteiligung des Landes an den
Mehrkosten für zusätzlichen Lärmschutz die Belastung
für den Bundeshaushalt . - Wenn Sie heute zustimmen,
tun Sie also genau das Richtige .
Bedanken möchte ich mich für die Geduld der Anwohner und der Bürgerinitiativen . Zugegeben, vom Projektbeiratsbeschluss im Juni 2015 bis jetzt hat es etwas
gedauert; aber nun haben wir alle Klarheit darüber, dass
der Kompromiss tatsächlich umgesetzt wird . Ich will
auch sagen, dass es durchaus wohltuend war, im Dezember die eine oder andere E-Mail bekommen zu haben, in
der BI-Vertreter geschrieben haben, dass sie wegen der
zeitlichen Verzögerung zwar in Sorge sind, aber um unser Bemühen wissen . Andere haben kräftig auf die Pauke
gehauen, was in einer so schwierigen Situation wie der,
die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, nicht
hilfreich und auch nicht erfreulich war .
({6})
Genauso wenig erfreulich waren die Störmanöver der
Grünen, insbesondere in Form der Pressearbeit zur Frage
eines gemeinsamen Antrags .
({7})
Lieber Herr Gastel, drei Mails in sechs Tagen - die letzte
enthielt bereits die Androhung öffentlicher Anprangerungen, wenn es nicht zu einem gemeinsamen Antrag
kommt - waren keine gute Grundlage für Ihr Anliegen,
({8})
und das alles in einer Zeit, als wir noch viel Grundsätzliches zu klären hatten .
({9})
Wie auch immer: Heute freuen wir uns alle über den
gemeinsamen Erfolg . Vielen Dank noch einmal an alle
Beteiligten, die sich an den verschiedensten Stellen für
die Rheintalbahn eingesetzt haben .
({10})
Vielen Dank, Herr Kollege Bilger . Auch danke dafür,
dass Sie sich an die Redezeit gehalten haben! Nach unserer Uhr hätten Sie nämlich noch lange Zeit gehabt . Die
anderen mögen sich bitte ein Beispiel daran nehmen . Nächste Rednerin: Bettina Hagedorn für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer aus Baden-Württemberg! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen:
Die versprochene Umsetzung der Projektbeiratsforderungen zur Rheintalbahn stand zu keinem
Zeitpunkt zur Diskussion . Die Große Koalition hat
während des gesamten Verfahrens klar die Umsetzung der betreffenden Kernforderungen zugesagt .
Damit gewährleisten wir den Schutz der Menschen
im Rheintal vor dem kommenden Schienenlärm .
Dieses Zitat stammt aus einer gemeinsamen Presseerklärung meines CDU-Kollegen Norbert Brackmann
aus dem Haushaltsausschuss und mir vom 8 . Dezember
2015 . Damals haben wir über die beiden Anträge, über
die wir heute abstimmen, in der Großen Koalition Einigkeit erzielt . Die SPD-Fraktion hat diese beiden Anträge
schon am 15 . Dezember 2015 einstimmig befürwortet .
Nachdem die Union das jetzt am Dienstag auch getan hat,
können wir heute darüber abstimmen . Das ist wunderbar .
({0})
Diese beiden Anträge sind bemerkenswert . Ich möchte jetzt einmal, auch aus Respekt vor Ihrem Handeln, das
Augenmerk auf den zweiten Antrag zu den Güterschwerverkehrstrassen in ganz Deutschland lenken . Ich bin jetzt
seit fast 14 Jahren in diesem Hause . Es ist das allererste
Mal, dass dieser Bundestag eine parlamentarische Initiative von solch einer Dimension unternimmt . Denn
es werden nicht nur 1,5 Milliarden Euro zugunsten der
Rheintalbahn, sondern mit dem zweiten Antrag werden
perspektivisch für die nächsten 15 Jahre
({1})
auch Milliarden für andere Güterschwerverkehrstrassen
in Deutschland zur Verfügung gestellt: vielleicht für die
Betuwe-Bahn in Nordrhein-Westfalen, für die Y-Trasse
in Niedersachsen, für die Hinterlandanbindung der Fehmarnbeltquerung oder andere . Unsere Große Koalition tut dies, und zwar die Abgeordneten, lieber Norbert
Barthle, und nicht das Verkehrsministerium und auch
nicht das Finanzministerium .
({2})
Beide Ministerien waren von diesem Antrag nicht sehr
begeistert . Wir Abgeordneten setzen uns aber durch . Wir
tun das auf Ihre Initiative hin .
Wir nehmen das, was heute für das Rheintal beschlossen wird, als Blaupause . Wir als Abgeordnete
des Bundestages wollen, dass bundesweit auch andere
Menschen, die ebenfalls an Güterschwerverkehrstrassen
wohnen, nach diesem Vorbild - natürlich mit Beteiligung
der dortigen Länder - künftig mehr Lärmschutz über das
gesetzliche Maß hinaus erreichen können . Damit, liebe
Kollegin Leidig von den Linken, tun wir genau das, von
dem Sie vorhin gesagt haben, dass wir es angeblich nicht
tun .
({3})
Wir nutzen den Antrag zur Rheintalbahn, um bundesweite Standards an Güterschwerverkehrstrassen zu
schaffen. Überall da, wo EU-Fördermittel fließen, wollen
wir sie für übergesetzliche Maßnahmen zugunsten der
Menschen einsetzen. Ich finde, das ist etwas, auf das das
Parlament insgesamt richtig stolz sein kann . Das haben
wir gut gemacht .
({4})
Vielen Dank, Bettina Hagedorn . - Nächster Redner:
Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, es ist geschafft mit der Rheintalbahn, und auch die
Uhr am Rednerpult läuft wieder . Es war - ich sage das
ganz offen - ein Schauspiel der ganz eigenen Art, liebe Kollegin Hagedorn, das jetzt gerade wieder eine unrühmliche Fortsetzung gefunden hat . Zu dieser Art der
Legendenbildung muss ich durchaus noch zwei, drei Sätze sagen .
({0})
Eines ist klar: Die Rheintalbahn hat nicht nur den
Menschen, sondern auch den Politikern den einen oder
anderen Nerv gekostet . Ich sage vor allem mit Blick auf
die Menschen: Heute ist ein guter Tag . Denn wir haben
uns, liebe Kollegin Hagedorn - Ihrer Legendenbildung
muss ich vorbeugen -, in der Fortsetzung unserer Beschlüsse der letzten Wahlperiode zunächst mit einem
ganz konkreten Antrag zur Rheintalbahn befasst .
({1})
Sie, die Sie bei anderen Projekten eher ein wandelnder
Bundesrechnungshof der Wirtschaftlichkeit sind,
({2})
wollen jetzt gerade in dem Teil die große Kämpferin
gewesen sein . Nein, Sie waren Trittbrettfahrerin, und es
war eine Tortur .
({3})
- Ich lasse keine Zwischenfrage zu . Sie können nach
meiner Rede eine Anmerkung machen .
Hauptsache ist: Lärmschutz an der Rheintalbahn
kommt . Ich danke dem Projektbeirat . Ich danke ganz wesentlich Staatssekretär Odenwald . Ich danke, lieber Peter
Weiß, auch dir .
({4})
Ich gebe offen zu: Es hat manchmal genervt, wenn ich
wieder eine SMS oder einen Anruf bekommen habe: Wir
müssen es doch noch einmal versuchen . - Aber so erreicht man in all diesen Fällen etwas .
Danke schön auch dafür, dass man mir das Rheintal
gezeigt hat, lieber Armin Schuster und lieber Peter Weiß,
wo ich hätte reden sollen, und zwar direkt an den Gleisen . Das war natürlich auch so eine Aktion: Wie überzeugt man einen Politiker, dass er reden soll? Man stellt
Bierbänke an ein Gleis, wo er nicht zum Reden kommt,
weil dort so viel Verkehr ist .
({5})
Lieber Peter Bleser, ich habe dir gerade versprochen: Wir
werden für den Mittelrhein einmal den gleichen Versuch
machen . Dann werden wir sehen, ob wir auch hier weiterkommen .
Eines erreichen wir mit unserem zweiten Antrag sehr
wohl: Wir eröffnen eine echte Chance für vergleichbar
belastete Strecken .
({6})
Ich sage ganz offen: Besonderer Lärmschutz für vergleichbar belastete Strecken, das ist Lärmschutz über das
gesetzliche Maß hinaus; das wissen wir .
({7})
Aber ich sage in aller Deutlichkeit auch: Es gilt zunächst
das Gesetz, und es gilt der Schienenbonus . Das ist auch
eine Frage der Gerechtigkeit . Wir müssen abwägen, wo
es ganz besondere Gründe gibt, über das Gesetz hinauszugehen, und wo wir an unseren derzeit schon hohen
Standards festhalten können und müssen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt schon ein
paar Parameter, die wir in den zweiten Antrag aufgenommen haben: Beteiligung der Länder, verfügbare Haushaltsmittel und eine wirklich ganz besondere Situation
im Hinblick auf die Belastung der Bürgerinnen und Bürger . In diesen Fällen wollen wir zusätzlichen Lärmschutz
garantieren . Aber ich sage auch ganz offen: Vor dem Gesetz sind erst einmal alle gleich .
({8})
Lärmschutz ist für unsere Koalition ein wichtiges
Thema . Wir wollen den Schienenlärm bis 2020 halbieren . Unterstützen wir unseren Minister in Brüssel! Da
sieht man das nämlich noch nicht ganz so .
Viel investiert haben wir in die Umrüstung von alten
Güterwagen durch Anwendung von innovativer Technik
und hohen Standards, die wir in den letzten Jahren geschaffen haben . Es geht uns um den Schienengüterverkehr
und darum, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen .
Wir alle wissen - das sagt an diesem Pult hier jeder -:
Akzeptanz für den Schienengüterverkehr bekommen wir
nur dann, wenn wir die Probleme des Lärmschutzes im
Sinne der betroffenen Menschen lösen . Deshalb - da bin
ich wieder bei Ihnen, liebe Kollegin Hagedorn ({9})
ist heute ein guter Tag: für das Rheintal, aber auch für
die Bürgerinnen und Bürger, die in besonderem Maße
von unserem Vorhaben, mehr Verkehr auf die Schiene zu
verlagern, betroffen sind und vom dadurch entstehenden
Lärm geplagt werden . Sie bekommen heute die Chance
auf mehr Schutz . „Rheintalbahn und Lärmschutz“, das ist
die wichtige Botschaft des heutigen Tages .
Herzlichen Dank .
({10})
Vielen Dank, Kollege Lange . - Das Wort zu einer
Kurzintervention hat die Kollegin Bettina Hagedorn .
Herr Kollege Lange, ich werde nachher im Protokoll
nachlesen, wie Sie mich gerade eben genau tituliert haben; vielleicht wäre das auch eine Rüge wert gewesen .
({0})
In jedem Fall war das ein persönlicher Angriff . Sie haben
mich der Legendenbildung bezichtigt . Das weise ich entschieden von mir. Ich finde, das ist kein guter Umgang in
einer Koalition und kein guter Umgang in einem Parlament . Das gilt erst recht angesichts der Wichtigkeit des
Themas, die ich beschworen habe . Heute sollte eigentlich
ein Freudentag für das ganze Parlament sein . Dies durch
solch nickelige parteipolitische Spielchen zu beflecken so will ich es einmal nennen -, finde ich einfach ungehörig .
({1})
Nun zur Sache . Da Sie gemeint haben, ich würde Legendenbildung betreiben: Ich habe aus einer Presseerklärung des von mir sehr geschätzten CDU-Kollegen
Norbert Brackmann zitiert . Wir beide sind die jeweiligen Sprecher für Verkehr unserer Fraktionen im Haushaltsausschuss . Unsere Fraktionen haben uns beauftragt,
diese beiden Anträge zu einen . Das ist uns Anfang Dezember erfolgreich gelungen . Wir haben sogar eine gemeinsame Presseerklärung herausgegeben, aus der ich
vorgelesen habe . Was soll daran Legendenbildung sein?
Ich bitte Sie!
Wir besprechen heute zwei Anträge . Sie haben für alle
nachvollziehbar noch einmal deutlich gemacht, dass Sie
zwar den Antrag zur Rheintalbahn gut finden, den anderen aber nicht ganz so intensiv lieben .
({2})
Herr Kollege Gastel, deshalb ist klar, weshalb Sie so viele Monate lang auf die heutige Beschlussfassung warten
mussten . Das beruht nämlich auf der Tatsache, dass wir
Sozialdemokraten nicht nur einen Antrag, sondern beide Anträge beschließen wollten . Das war ein bisschen
schwierig .
Der zweite Antrag „Menschen- und umweltgerechte
Realisierung europäischer Schienennetze“ ist im Oktober
auf meinem heimischen PC entstanden . Deshalb will ich
hier deutlich sagen: Ich betreibe keine Legendenbildung;
das ist für jedermann klar zu erkennen .
Herr Lange, ich finde, dass wir lieber stolz darauf sein
sollten, dass wir diese Anträge jetzt gemeinsam beschließen . Denn diese sind für die Menschen in Deutschland,
die von Lärm geplagt sind, von großer Bedeutung .
({3})
Herr Lange, wenn Sie mögen, können sie darauf erwidern .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will jetzt nicht mehr auf alles eingehen und auch
nicht auf die ganze Historie, liebe Kollegin Hagedorn .
Damit Sie aber eine Begründung für den von mir verwendeten Begriff der Legendenbildung haben: Es war
doch so, dass einige versucht haben - und deswegen sage
ich: Trittbrettfahrer -, ganz konkrete Projekte im zweiten
Antrag zu benennen . Es waren ganz wesentlich Norbert
Brackmann, die Kollegin Lühmann und ich, die versucht
haben, das Ganze auf ein Maß zu bringen, sodass sich
jeder darin wiederfinden kann.
({0})
Dort drüben sehe ich den Kollegen Peter Bleser, der
genauso Fragestellungen dazu hat . Da sehe ich die Kollegin Ludwig aus dem Inntal, die zum Brennerzulauf genau
die gleichen Fragestellungen hat . Darüber hinaus sehe
ich den Kollegen Sendker und den Kollegen Wichtel, die
in Nordrhein-Westfalen und in Hessen ebenfalls solche
Fragestellungen haben .
Insofern fanden wir es nicht in Ordnung - das sage
ich Ihnen ganz offen -, einzelne Strecken aufzulisten und
andere nicht . Genau darum ging es . Außerdem ging es
darum, eine Vergleichbarkeit zu schaffen .
({1})
Dies haben wir gemacht . Der Antrag zur Rheintalbahn
war am 30 . September fertig, und Ihr Zitat, liebe Kollegin Hagedorn, stammte vom 8 . Dezember . Insofern
haben Sie - und niemand anders - uns zunächst in die
Schleife geschickt .
Danke .
({2})
Den Abschluss in dieser lebendigen Debatte bildet
Dr . Johannes Fechner von der SPD .
({0})
In dieser Jahreszeit ist man geneigt, eine Rede mit
„Liebe Närrinnen und Narren!“ zu beginnen .
({0})
Das ist aber ein ernstes Thema .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ganz besonders begrüße ich auch die Gäste aus Südbaden auf der Tribüne . Was wir heute beschließen, ist eine
historische Entscheidung für Südbaden . Das verdanken
wir den Bürgerinitiativen und den engagierten Kommunalpolitikern vor Ort, die seit Jahrzehnten dafür gekämpft
haben, dass wir diesen Lärmschutz endlich bekommen .
({1})
Machen Sie keine parteipolitische Nummer daraus . Es
waren die Bürgerinitiativen und die Kommunalpolitiker,
die das durchgesetzt haben .
Mit unserem heutigen Beschluss geht das klare Signal an die Bahn für eine neue Bahnplanung . Ich freue
mich, dass die Bahn auch schon signalisiert hat, die neuen Planungen aufzunehmen . Deswegen bedeutet der heutige Beschluss - das kann man so deutlich sagen - die
Beerdigung der ursprünglichen Bahnpläne . Er ist somit
wegweisend für mehr Lärmschutz in Südbaden .
({2})
Das ist auch notwendig; denn nirgendwo anders in Europa fahren so viele Güterzüge wie durch das Rheintal .
Ebenso wichtig ist es, dass wir heute nicht nur für das
Rheintal mehr Lärmschutz beschließen, sondern mit dem
zweiten Antrag das klare Signal aussenden, dass wir auch
für andere Strecken in Deutschland mehr Lärmschutz für
die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben wollen .
Es ist also ein gutes Signal für mehr Lärmschutz in ganz
Deutschland .
({3})
Ich will eine weitere Besonderheit nennen . Das Land
Baden-Württemberg beteiligt sich mit 280 Millionen
Euro an diesem großen Projekt,
({4})
das uns insgesamt 1,8 Milliarden Euro kosten wird . Das
ist eine Beteiligung, die deutschlandweit ihresgleichen
sucht . Auch dieser Beitrag der grün-roten Landesregierung hat dazu beigetragen, dass wir heute diesen Beschluss zur Rheintalbahn fassen können .
({5})
Es gibt allerdings auch Gemeinden und Anwohner, die
nun neuen Lärmbelästigungen ausgesetzt sein werden . In
der sogenannten „Kappel-Grafenhausener Erklärung“
haben diese ihre Forderungen artikuliert . Wir müssen
nun im weiteren Verfahren sicherstellen, dass auch für
diese Gemeinden - zum Beispiel Kürzel, Riegel oder
Markgräflerland - Lösungen gefunden werden, damit
die Bürger auch dort den Lärmschutz bekommen, den sie
verdienen . Es darf beim Lärmschutz keine Bürger zweiter Klasse geben .
({6})
Abschließend danke ich allen, die sich hier engagiert
haben . Die Herren von der Union wurden genannt . Es
schien notwendig zu sein, deren Beitrag noch einmal extra zu erwähnen .
({7})
Ich möchte mich auch bei den Machern auf der
SPD-Seite bedanken . Vielen Dank an Katja Mast, Nils
Schmid, Kirsten Lühmann, Elvira Drobinski-Weiß,
Annette Sawade, Bettina Hagedorn, Joachim Poß und
ganz besonders an Sören Bartol und sein Team . Ohne deren großes Engagement hätten wir heute diese Debatte
nicht .
({8})
Ich freue mich sehr, dass wir heute diese historische
Entscheidung für Südbaden treffen können, und ich hoffe
vor allem, dass wir auch in einem überschaubaren Zeitraum die Gleise bauen können . Ich habe mir vorgenommen - das wünsche ich mir -, meinen 60 . Geburtstag
in einem Speisewagen feiern zu können, der durch das
schöne Südbaden auf den neuen Gleisen fährt .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({9})
Jetzt wollen natürlich alle wissen, wie alt Sie sind . -
Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/7364 mit dem Titel „Menschen- und umweltge-
rechten Ausbau der Rheintalbahn realisieren“ . Zu diesem
Antrag sowie zum Antrag der Koalitionsfraktionen unter
Zusatzpunkt 5 liegt eine Vielzahl Erklärungen - genau
gesagt sind es 50 - zur Abstimmung gemäß § 31 der Ge-
schäftsordnung vor .1)
Zum Antrag auf Drucksache 18/7364 liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/7381 vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen .
Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Zustim-
mung von Linken und Bündnis 90/Die Grünen und bei
Gegenstimmen beider Koalitionsfraktionen abgelehnt .
Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
1) Anlage 7
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist damit einstimmig angenommen .
({0})
Zusatzpunkt 5 . Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/7365
mit dem Titel „Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze“ . Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7379 vor, über den wir jetzt zuerst
abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke, abgelehnt haben CDU/CSU und
SPD .
Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser
Antrag einstimmig angenommen .
({1})
Zusatzpunkt 6 . Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Finanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt sicherstellen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7388, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6884 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen
und die Linke . - Gratulation!
({2})
Ich verabschiede unsere Gäste auf der Tribüne . Kommen Sie gut heim .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Annalena Baerbock, Özcan Mutlu,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für ein Rahmenprogramm für Klima- und
Klimafolgenforschung
Drucksache 18/7048
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
Debatte nicht teilnehmen wollen - warum auch immer -,
jetzt den Saal zu verlassen .
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Kai
Gehring für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir als grüne Bundestagsfraktion bringen hier und heute,
wenige Wochen nach der Weltklimakonferenz von Paris,
unseren Antrag zur Stärkung der Klima- und Klimafolgenforschung ein . Die Klimaforschung in Deutschland
hat zu Recht national wie international einen hervorragenden Ruf - unseren exzellenten Klimaforschungsinstituten sei Dank . Wir müssen diese Kompetenz aber weiter
stärken und als Teil einer auf Nachhaltigkeit setzenden
Forschungsförderpolitik ausbauen; denn valide Forschungsdaten sind Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Weltklimapolitik .
({0})
Die hohe Qualität von Forschungsergebnissen, gebündelt vom IPCC, ist die eine Seite der Medaille . Die andere Seite ist die Frage des politischen Willens, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen richtige Konsequenzen
zu ziehen . Während UN-Generalsekretär Ban Ki-moon
heute fordert, zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens die Investitionen in erneuerbare Energien
in den nächsten fünf Jahren weltweit zu verdoppeln, ist
das Urteil „beratungsresistent“ für die zögerliche Haltung dieser Bundesregierung beim Kohleausstieg noch
schmeichelhaft .
({1})
Das Herumlavieren der ehemaligen Klimakanzlerin und des Vizekanzlers droht die vereinbarten Klimaschutzziele zu unterhöhlen . Das ist hochproblematisch .
({2})
Weil Anspruch und Handeln auseinanderklaffen, wundert
mich auch nicht, dass sich die Koalition bei dem ganzen
Thema verzettelt und bei der Klimaforschung zu keiner
vorausdenkenden und wegweisenden Strategie findet. Da
geht aber deutlich mehr .
({3})
Nehmen Sie unseren Antrag daher als Einladung, der
Klimafolgenforschung einen deutlichen Schub zu geben;
denn eine ambitionierte Forschungs- und Klimapolitik
gegen die Überhitzung unseres Planeten ist notwendiger
denn je .
Extreme Wetterereignisse häufen sich: 2015 war das
weltweit heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen . 13 der 15 wärmsten Jahre wurden nach der Jahrtausendwende registriert . Das hat massive Folgen: Gletscherschmelzen in Polarregionen und weltweit Dürren,
Hitzewellen und Hungersnöte . Es entstehen neue Armutsrisiken, neue Verteilungsfragen und neue Fluchtursachen . Diese ökologischen, aber auch die sozialen und
Vizepräsidentin Claudia Roth
regionalen Klimafolgen gehören noch intensiver und interdisziplinärer erforscht .
({4})
Wir schlagen hierfür ein eigenständiges Forschungsrahmenprogramm zur Klima- und Klimafolgenforschung
unter Federführung des BMBF vor . Darin lassen sich die
Aktivitäten ressortübergreifend bündeln . Sie lassen sich
ausbauen, weiter gehende Forschungsbedarfe können
identifiziert und priorisiert werden.
Um die Folgen des Klimawandels beherrschbar zu
machen, müssen nämlich auch Gegen- und Anpassungsstrategien wissenschaftlich viel stärker entwickelt werden . Dieses transformative Wissen in der Frage, wie wir
mit den massiven Klimaveränderungen umgehen, wird
dringend zur weltweiten Anwendung gebraucht .
Weiterzuentwickeln sind Klimamodellierung und regionale Prognosen zu Folgen der Klimaveränderung für
die Natur und zu Auswirkungen auf die Menschen selbst,
die etwa in Megacitys und in Küstenregionen leben . Die
schnelle Anwendung dieses transformativen Wissens und
interdisziplinäre Kooperation sind dringend erforderlich .
Das wollen auch immer mehr Forschende .
Eine Chance wären integrierte Forschungsansätze
innerhalb dieses Rahmenprogramms . Das heißt, man
braucht biologische, geologische, ozeanografische, meteorologische, geophysikalische und chemische Langzeitmessungen sowie gleichzeitig sozial- und geisteswissenschaftliche Expertise .
({5})
Es geht darum, die entwicklungs-, flüchtlings- und wirtschaftspolitischen Implikationen auch interdisziplinär zu
erforschen und zu denken . Denn es ist vieles unklar, zum
Beispiel, welche Gesundheits- und Seuchenrisiken durch
Extremwetterereignisse und erhöhte Mitteltemperaturen
auf dem Globus entstehen . Was bedeutet das für die Resilienz von Mensch und Natur sowie für die biologische
Vielfalt?
Wir wissen, dass die Klimakrise uns alle trifft und bedroht . Ihre Auswirkungen können wir nicht allein durch
Expertendiskurse in den Griff bekommen, sondern wir
müssen Sensibilisierung und Problembewusstsein in der
gesamten Gesellschaft wecken . Gerade in der Klimafolgenforschung müssen Wissenstransfer bzw . die Kommunikation mit und Beteiligung der Zivilgesellschaft systematisch vorangetrieben werden .
Mit einem ambitionierten Forschungsrahmenprogramm wollen wir diesen gewaltigen Herausforderungen
beherzt gerecht werden . Sagen Sie Ja zu unserem Ansatz
und zu diesem Instrument, um in den nächsten Jahren einen Forschungsschwerpunkt der Bundesregierung darauf
zu legen! Lassen Sie uns keine Zeit verlieren . Ich freue
mich deshalb auch auf die Beratung im Ausschuss .
({6})
Vielen Dank, Kollege Kai Gehring . - Nächste Rednerin in der Debatte ist Sybille Benning für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Sie, meine lieben Kollegen von den Grünen, fordern ein
neues, eigenständiges Rahmenprogramm zur Klima- und
Klimafolgenforschung . Ressortübergreifend soll es sein
und alle Förderaktivitäten der Bundesregierung im Bereich der Klima- und Klimafolgenforschung miteinander
verknüpfen, bündeln, weiterentwickeln und stärken . Das
gibt es doch schon . Es heißt FONA: Forschung für Nachhaltige Entwicklung .
({0})
Es ist auch mehr als nur ein Impulsgeber, wie Sie es im
Antrag wenigstens anerkennen .
Schon 2005 hat die unionsgeführte Bundesregierung
das Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“, kurz FONA, ins Leben gerufen,
({1})
das im letzten September in der dritten Auflage für weitere fünf Jahre mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro
ausgestattet wurde .
({2})
Dankenswerterweise geben Sie mir heute die Gelegenheit, im Plenum des Deutschen Bundestages über FONA
zu sprechen, um dieses hervorragende Rahmenprogramm
bekannter zu machen .
({3})
Es ist ein Rahmenprogramm, und die Klimaforschung
ist dabei eine tragende Säule . Lesen Sie einmal das
FONA-Programm!
({4})
- Hören Sie doch erst einmal zu!
({5})
Hier wird ein besonderer Wert auf einen schnellen
Wissenstransfer und die Umsetzung der Forschungsergebnisse gelegt . Verbundforschung ist hier das Schlüsselwort .
FONA3 wurde in einem mehrjährigen Agendaprozess
unter Beteiligung zahlreicher Akteure aus Wissenschaft,
Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung
entwickelt . Sie merken: Jetzt sind schon zwei Ihrer Forderungen erfüllt. Ich finde für jede Ihrer weiteren Forderungen im Forschungsrahmenprogramm FONA eine Entsprechung . Ich kann nur einige wenige Beispiele nennen .
Zur Verbesserung der Klimamodellierung wurde
eine halbe Milliarde Euro in die Forschungsflotte und
in Großgeräte investiert . Der Hochleistungsrechner zur
Klimamodellierung „Mistral“ hat soeben seine Arbeit
aufgenommen .
({6})
- Jetzt hören Sie doch wenigstens zu!
({7})
Er berechnet mit hoher Auflösung Klimamodelle und
Simulationen, aus denen Zukunftsszenarien entwickelt
werden können .
Internationale Kooperationen, wie Sie sie auch fordern, im Klima-, Umwelt- und Energiebereich mit Partnern in Schwellen- und Entwicklungsländern fördert
CLIENT II . Vielleicht kennen Sie das auch schon . Auch
die Beteiligung der Gesellschaft bzw . die Bürgerbeteiligung ist fest in FONA verankert . Das ist unter dem Begriff „Citizen Science“ bekannt . Als Beispiel dafür nenne
ich die SenseBox . Mit dieser Box können Bürger und
Bürgerinnen selbstständig Umweltdaten messen, die automatisch in eine Karte einfließen. Diese gute Idee hat
soeben den Wettbewerb „Bürger schaffen die Zukunftsstadt“ gewonnen . Da sie in meinem Wahlkreis Münster
entwickelt wurde, macht mich das natürlich froh . Diese
Idee ist selbstverständlich auf alle anderen Städte übertragbar .
({8})
Bildungsangebote für Bürgerinnen und Bürger sind
unerlässlich . Deshalb ist Bildung für Nachhaltigkeit ein
wichtiger Baustein von FONA3, das die Eigenverantwortlichkeit des Handelns heranbildet und unterstützt .
Ein weiterer Schwerpunkt von FONA ist die Green Economy, in der Lösungen für ressourcenschonende Wirtschaftsprozesse entwickelt werden . Innovations- und
Unternehmergeist sind hier treibende Kräfte . Das geht
weit über Technologieförderung hinaus . Forschung für
nachhaltige Entwicklung, zu der auch Klimaforschung
zählt, bedeutet selbstverständlich, bezahlbare, nachhaltige Energien zu entwickeln . Hier gibt es keinen Widerspruch zwischen Energie- und Klimaforschung . Das Ziel
zählt .
({9})
Ihre Forderung nach einer ressortübergreifenden Bündelung wird übrigens bereits in der Nachhaltigkeitsstrategie
der Bundesregierung erfüllt, wie Sie wissen könnten .
Was sagt Ihr Antrag eigentlich noch aus? Sie fordern
mehr geisteswissenschaftlich motivierte Fragen für Forschungsprojekte . Auch die Umsetzung in gesellschaftliches Handeln soll intensiviert werden . Forschungsergebnisse sollen handlungsleitender sein . Wir sind davon
überzeugt, dass unsere angebotsoffenen Programme in
FONA3 das alles wirksam behandeln . Denken Sie nur an
den Wettbewerb „Zukunftsstadt“, der sich vor Anträgen
gar nicht retten kann .
Die Reaktionen auf Klimaveränderungen sind Prozesse, die mithilfe einer Bildung zum Verständnis naturwissenschaftlicher Zusammenhänge besser verstanden
werden . MINT-Bildung ist hier das Schlüsselwort . Verständnis führt zum Handeln, das erkenntnisgeleitet, verantwortungsbewusst und individuell ist und schließlich
auch gesellschaftlich wirksam wird . Wir von der CDU/
CSU wollen die Menschen befähigen, selber durch Bildung und Erkenntnis die notwendigen Entscheidungen
mitzutragen . Das ist unser Ziel .
({10})
Ihr Vorgehen scheint mir anders motiviert zu sein . Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank, Kollegin Benning . - Nächste Rednerin:
Eva Bulling-Schröter für die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass Politik von der Vernunft geleitet werden muss, Entscheidungen also auf der Grundlage von Wissenschaft
und Fakten zu treffen hat, muss eigentlich nicht erst erklärt werden . Das ist eine Binsenweisheit . Gerade beim
Klimawandel gibt es aber offensichtlich noch immer
große Wissenslücken . Nach dem Klimaschutzabkommen
von Paris Ende Dezember ist nun der richtige Zeitpunkt,
hier darüber zu reden . Die Linke unterstützt diese vernünftige Initiative, weil die Linke eine Partei der Vernunft und des Klimaschutzes ist .
({0})
Eine Kernforderung des Antrags ist die Stärkung von
Interdisziplinarität, also der Verknüpfung von Wissen
aus den Teilbereichen Verwaltung, Naturwissenschaften,
Gesellschaftswissenschaften und Zivilgesellschaft, also
dort, wo es darum geht, die Ursachen, Wirkungsweise und Folgen einer Wirtschaftsweise zu verstehen, die
zum großen Teil noch immer auf Kohle, Gas und Erdöl
beruht . Was bedeutet Interdisziplinarität, und warum ist
diese so wichtig? Das Gegenteil von Interdisziplinarität ist der Tunnelblick . Hier ein Beispiel: Ausgerechnet
ein Kollege aus dem Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung, Herr Lengsfeld von der
CDU/CSU, erklärte auf Twitter - ich zitiere -: „Junge
Männer/Jugendliche aus #Marokko, #Algerien ‚fliehen‘
nicht vor Bürgerkrieg, werden auch nicht vertrieben .
Kommen zum Geldverdienen .“
({1})
Die Nordafrikaner in Deutschland hätten rein egoistische
Gründe, es gehe ihnen um das Geldverdienen .
Die Welt ist aber nicht so einfach . Wenn wir in der
Lage sind, etwas komplexer zu denken, sehen wir die
Welt anders:
Der Grund für Migration ist erstens immer egoistisch .
Es geht um Selbsterhaltung . Das sagt uns die Biologie .
Zweitens sind das Geldverdienen und das Geldausgeben Grundpfeiler des Kapitalismus . Das sagt uns die
Volkswirtschaft .
Es sind drittens in Nordafrika die Männer, die Geld
verdienen und es nach Hause in ihre Heimat schicken
müssen . Das sagen uns Soziologie und Ethnologie .
Starkes Bevölkerungswachstum, Armut, soziale Ungleichheit, Jugendarbeitslosigkeit und ein schwacher
Staat sorgen viertens für Instabilität . Das sagen uns Politikwissenschaft und Demografie.
Und fünftens: Wegen seiner geografischen Besonderheit und Position im Mittelmeerraum gehört Algerien
heute zu den Ländern der Erde, deren Bevölkerung die
Konsequenzen des Klimawandels am meisten zu spüren
bekommen . Bei 1 200 Kilometern Küste und einer Fläche, die zu fast 90 Prozent Wüste ist, sind sowohl das
Ansteigen des Mittelmeeres als auch die Ausdehnung
der Sahara ein Problem . Der Klima-Risiko-Index stuft
Algerien darum als Risikoland ein . Das sagen wiederum
Geografie und Meereskunde.
Der Klimawandel hat einen verstärkenden Effekt, und
die Erderwärmung sorgt für noch mehr Druck, lässt Felder verdorren, Böden versalzen . Die Menschen gehen in
die Städte, finden keine Arbeit und werden so zu Migranten, zu Klimaflüchtlingen.
Es ist eben ein bisschen komplizierter, als manche sich
das vorstellen können .
({2})
Wenn wir die Welt um uns herum aber nur mit einem
Tunnelblick anschauen, dann interpretieren wir sie falsch
und treffen am Ende in der Politik falsche Entscheidungen . Wenn dann in der CDU noch Stimmen laut werden,
die ein Ende der erfolgreichen Förderung von erneuerbaren Energien fordern und die Verteidiger der Energiewende als ökologisch getriebene Ideologen abkanzeln,
wie es der CDU-Wirtschaftsrat formuliert oder es der
Energiebeauftragte der Union, Kollege Bareiß, sagt, und
die Protestbriefe ans Kanzleramt verfassen, dann kann
ich nur sagen, dass das Einmaleins der Klimaforschung
in der Union noch nicht beherrscht wird .
Wir stimmen also dem Antrag zu; er ist dringend notwendig .
Danke schön .
({3})
Vielen Dank, Kollegin Bulling-Schröter . - Nächster
Redner: René Röspel für die SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich finde die Initiative gut. Es ist immer wichtig, an
diesem Ort über Klimaschutz, Klimaforschung und Klimawandel zu reden. Aber ich finde es genauso wichtig,
zu unterscheiden zwischen Klimaforschung auf der einen
Seite und Klimaschutz auf der anderen Seite, weil das
schon ein Unterschied ist .
Klimaforschung bedeutet, dass Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler forschen, wie sich die Eismassen
auf der Welt verändern, welche Auswirkungen Treibhaus- und Klimagase auf die Versäuerung des Ozeans
und der Meere haben und welche Botschaften das für uns
und die Politik sind . Das ist Klimaforschung: wissenschaftliche Fakten zur Verfügung zu stellen . Dazu zählt
zum Beispiel, dass jedes Jahr - als neue Erkenntnis 500 Kubikkilometer Landeis verloren gehen, indem sie
schmelzen und in das Wasser geraten . Das ist so viel, als
würde man die Fläche von Hamburg mit einer 600 Meter
hohen Eisschicht bedecken . Das ist Klimaforschung und
Klimafolgenforschung .
Der andere Teil ist Klimaschutz . Es besteht eine wissenschaftliche Verantwortung, Lösungsvorschläge anzubieten, aber es besteht in erster Linie eine gesellschaftliche und politische Verantwortung, mit den Erkenntnissen
aus der Klimaforschung umzugehen und eben Handlungsoptionen anzubieten . Da hat Barack Obama es
auf den Punkt gebracht: Wir alle, die wir hier in diesem
Raum sitzen, sind die erste Generation, die den Klimawandel erleben wird, und wir sind gleichzeitig die letzte
Generation, die ihn aufhalten kann, die ihn noch positiv
verändern kann . Und das ist eine Anforderung an Politik
und an Gesellschaft .
({0})
Ich finde es sehr richtig, beides tatsächlich zu trennen:
Klimaforschung und Klimaschutz . Klimaforschung ist
wichtig, wird weiter gefördert werden . Aber wenn wir
die nächsten Jahre nur darauf warten, welche Ergebnisse noch kommen, wird es zu spät sein . Unsere Verantwortung ist, Klimaschutz zu betreiben . Ich bin sehr
überzeugt - das müssen wir hinkriegen -, dass möglichst
viel Kohle, Gas und Erdöl im Boden bleiben müssen und
nicht verbrannt werden dürfen . Das müssen wir politisch
organisieren .
({1})
Das, was mir an diesem Antrag wirklich nicht gefällt,
ist, dass vieles von beidem durcheinandergeht .
({2})
Sie schreiben beispielsweise:
Seit Jahrzehnten wird hierzulande Klimaforschung
auf internationalem Spitzenniveau betrieben .
Das ist richtig, hat Kai Gehring auch gesagt .
Einen Satz danach heißt es:
Eine führende Rolle beim Klimaschutz hat unser
Land dennoch längst eingebüßt .
Ich bin sehr überzeugt: Das ist falsch .
({3})
Sie haben den Antrag am 16 . Dezember geschrieben .
Das war wenige Tage nach der Klimakonferenz in Paris .
Ich finde, dort ist ein grandioser Erfolg erzielt worden,
vor allem unter deutscher Beteiligung . Dafür hätte ich
Barbara Hendricks gedankt, wenn sie hätte hier sein können, weil Deutschland da eine führende Rolle gespielt
hat .
Das 1,5-Grad-Ziel hätten wir uns vor vielen Jahren
noch nicht träumen lassen . Wir hätten uns vor allen Dingen nicht träumen lassen, dass 195 Mitgliedstaaten der
Vereinten Nationen dieses Ziel mittragen . Dazu bedarf es
eines einvernehmlichen Beschlusses der UN-Konferenz,
und den zu erreichen, ist ganz schwierig .
Zweifelsohne hätten wir mehr erreichen wollen, aber
es mussten alle 195 Staaten, die völlig unterschiedliche
Interessen haben, zustimmen. Deswegen finde ich, dass
das ein großer Erfolg ist .
({4})
Es ist auch national gesehen falsch, wenn Sie schreiben, dass unser Land die führende Rolle beim Klimaschutz längst eingebüßt habe. Ich finde, das stellt infrage,
was alle Fraktionen in unterschiedlichen Koalitionen in
den letzten 15 Jahren auf den Weg gebracht haben .
({5})
Man kann sich alles besser vorstellen . Klimaschutz
wird auch international funktionieren . Ich erinnere an
Matthäus 7, Vers 12: Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen . - Wir in der Bundesrepublik
Deutschland müssen gut vorangehen und zeigen, dass
die Bekämpfung des Klimawandels möglich ist und dass
die Energiewende möglich ist. Ich finde auch, dass wir in
Deutschland noch längst nicht alles geschafft haben, aber
wir haben viel in den letzten 15 Jahren geschafft .
Ich weiß nicht, was ich geantwortet hätte, wenn man
mich vor 20 Jahren gefragt hätte, wie ich die Lage in den
Jahren 2015 oder 2016 einschätze . Ich hätte aber sicherlich nicht zu träumen gewagt, dass wir ein Drittel unseres
Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zur
Verfügung stellen werden . Das ist schon ein gewaltiger
Erfolg . Wir müssen besser werden; das ist gar keine Frage, und das ist unsere Verantwortung . Das betrifft aber
den Klimaschutz, nicht die Klimaforschung .
Wenn Sie beispielsweise in dem Grünenantrag das
„Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ oder das Forschungsrahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige
Entwicklung“ als zu wenig forschungsorientiert bewerten, dann ist das in großen Teilen tatsächlich richtig . Aber
das sind per se keine Forschungsprogramme, sondern gerade das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ ist ein
Klimaschutzprogramm, bei dem geschaut wird, wo wir
uns in Schulen, Bildungseinrichtungen, an Hochschulen, in der Wirtschaft, beim Verkehr, beim Städtebau und
beim Bauen tatsächlich klimaschutzdienlich verhalten
können und was wir tun können, damit Klimaschutz tatsächlich verwirklicht wird .
({6})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung
oder Zwischenfrage?
Wenn ich den Satz in Ruhe lese -
Ich rede mit Ihnen . Entschuldigen Sie . - Ich wollte Sie
fragen, ob Sie eine Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage der Kollegin Annalena Baerbock erlauben .
Gerne .
Sehr geehrter Herr Kollege Röspel, Sie haben gesagt,
man müsse Klimaforschung auf der einen Seite und Klimaschutz und Klimapolitik auf der anderen Seite trennen . Deswegen frage ich Sie: Ist Ihnen bewusst, welche
Rolle eigentlich die führenden Klimawissenschaftler
gerade auf der Klimakonferenz in Paris gespielt haben?
Professor Schellnhuber zum Beispiel war mehrfach Seite
an Seite mit der Bundesregierung vor Ort, um die Forschungsergebnisse dort zu präsentieren, zu erklären und
daraus politische Handlungsempfehlungen anzubieten .
Ich erinnere auch an den Kollegen Edenhofer, der aus
der Klimaforschung abgeleitet hat, was die Erderwärmung eigentlich bedeutet . Er hat dargestellt, was das für
die Weltwirtschaft bedeutet . Es ging auch um die Frage des CO2-Zertifikatehandels. Es wurden auch Wirtschaftsketten, die durch den Klimawandel ausfallen,
thematisiert . Diese gesamte Komplexität hat auf der
Klimakonferenz deutlich gemacht, dass es einer starken
Klimawissenschaft bedarf . Deswegen machen wir in
unserem Antrag deutlich, dass wir einen Bereich zwar
sehr gut erforscht haben, auf der anderen Seite aber aus
der Klimawissenschaft hören, dass wir dieses Zusammenbringen brauchen; denn jetzt steht die Dekade der
Transformation an . Aber gerade diese Transformationsforschung in diesem Bereich haben wir in Deutschland
nicht .
Dasselbe gilt für die Klimaanpassung . Auch da steckt
die Forschung in Deutschland noch in den Kinderschuhen . Es geht um die Frage, wie wir eigentlich mit der Klimaveränderung umgehen und was diese politisch für uns
bedeutet . Wie können Sie das trennen, wenn die Politik
auf die wissenschaftlichen Ergebnisse angewiesen ist?
Ich werde nicht so ausführlich antworten . - Vielen
Dank für die Frage, aber Sie haben es nicht geschafft,
einen Widerspruch aufzubauen; denn allein die Tatsache, dass Klimaforschung in Deutschland exzellent ist
und weltweit anerkannt wird, zeigt, dass wir auf einem
richtigen Weg sind . Ich erinnere an das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“, die Stationen in der Antarktis und in der Arktis, das Alfred-Wegener-Institut und
die Helmholtz-Institute . All das hat dazu geführt, dass
Schellnhuber, Edenhofer und Mojib Latif genau die Experten sind, die weltweit Anerkennung genießen . Diese
entfalten über ihre Forschungsbeiträge international große Wirkung .
Es besteht die Gefahr - es gibt international immer
wieder entsprechende Bestrebungen -, dass erst noch
fünf Jahre weitergeforscht wird, und dann schaut man
einmal, was passiert . Ich sage ganz deutlich - ich habe es
auch bisher nicht anders getan -: Wir brauchen weiterhin
Klimaforschung; aber es ist unsere Verantwortung, Klimaschutz zu betreiben .
({0})
Sie vermischen das in Ihrem Antrag . Deswegen, glaube
ich, muss man das sauberer trennen .
Wenn Sie schreiben - das ist ein weiterer Widerspruch
in Ihrem Antrag -, dass die Klimaforschung im Moment
gegenüber der Energieforschung ins Hintertreffen zu
geraten droht, dann bin ich wirklich zwiegespalten . Wir
brauchen Klimaforschung - wir werden sie ausbauen -,
aber wir müssen die Priorität deutlich auf Energieforschung setzen; denn wir wissen - dementsprechend ist
unsere Verantwortung -, dass bereits in dieser Generation der Großteil der Energiewende geschafft werden
muss . Wenn ich mich für eines entscheiden müsste, wäre
Energieforschung mir wichtiger als Klimaforschung .
Aber wir lassen nicht zu, dass eine solche Entscheidung getroffen werden muss . Während der Bundesetat
für Klimaforschung vor zwei Jahren noch bei 81 Millionen Euro lag, liegt er 2016 bei 99 Millionen Euro . Das
heißt, wir haben eine deutliche Steigerung der Mittel im
Klimaforschungsbereich, und das ist auch gut so; denn
wir müssen weiterhin wissen, wie sich die von mir vorhin
genannten Beispiele regional auswirken, was den Klimawandel betrifft, und wir müssen im Forschungsbereich
deutlich weiterkommen .
Sie sprechen richtigerweise die Vernetzung an . Das
ist genau der Punkt, an dem ich mich frage, ob ein neues Rahmenforschungsprogramm für Klimaforschung nicht für Klimaschutz - eigentlich der richtige Ansatz
ist . An dieser Stelle bin ich wirklich skeptisch . Es gibt
seit 2009 das Deutsche Klima-Konsortium . Darin sind
wirklich alle - auch weltweit - angesehenen deutschen
Forschungseinrichtungen vertreten: Helmholtz-Institute,
Leibniz-Institute, Max-Planck-Institute und auch - ganz
wichtig - Universitäten wie die in Kiel, Bremen und
Hamburg, sogar deutsche Behörden wie der Deutsche
Wetterdienst oder das Umweltbundesamt . Sie betreiben
gemeinsam Klimaforschung . Sie machen sich gemeinsam auf den Weg, Vorschläge zu entwickeln, wie Klimaforschung funktionieren muss .
Das Positionspapier - wie ich gesehen habe, hat sich
Kai Gehring einiges aufschreiben lassen ({1})
enthält vieles, was wir im Klimaforschungsbereich machen müssen, bis hin zur Lösung der Fragen - das unterliegt aber der politischen Verantwortung -, wie wir etwas
in die Gesellschaft einführen, wie wichtig die Reaktion
auf Klimawandel ist und wie wir über sozialwissenschaftliche Forschung dazu beitragen können, dass deutlicher kenntlich gemacht wird, wie wichtig es ist, unser
Verhalten zu verändern, energieeffizienter und sparsamer
zu werden sowie auf andere Energien zu setzen .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank, René Röspel . - Der nächste und letzte
Redner in dieser Debatte: Dr . Philipp Lengsfeld für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, Sie haben gefühlt
die Hälfte Ihrer Redezeit auf mich verwendet . Ich deute
es einmal als Ehre . Dass mich die Linkspartei auf dem
Radar hat, wusste ich immer . Dass Sie mich so intensiv
beobachten, ist natürlich auch für mich eine Überraschung .
({0})
Wir sollten über das Thema, warum junge Männer aus
Algerien und Marokko nach Deutschland drängen, vielleicht doch an anderer Stelle debattieren und nicht, wenn
es um Klimaschutz geht . Aber ich nehme das gerne an .
Wenn Sie mich einladen, können wir das in extenso diskutieren .
({1})
Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen vom
Bündnis 90/Die Grünen, haben meine Kollegin Sybille
Benning und auch mein Kollege René Röspel schon sehr
viel gesagt . Ich will mich deshalb auf die Grundsatzfrage
konzentrieren .
Ich bin der Meinung, dass die Klimaforschung in
Deutschland, aber auch global nicht noch mehr, sondern
eher weniger politische Einmischung und Steuerung
braucht . Ich erläutere das einmal anhand eines Beispiels
aus Amerika . Kennen Sie Senator Ted Cruz aus Texas?
Er ist einer der Bewerber im Feld der Präsidentschaftskandidaten der Republikaner . Wer ihn heute noch nicht
kennt, der wird ihn sicherlich in drei Tagen, nach der ersten Vorwahl in Iowa, kennenlernen . Mein Sohn hat mich
schon vor Monaten auf Ted Cruz aufmerksam gemacht,
unter anderem, weil er rhetorisch wirklich beschlagen ist .
Ted Cruz ist das, was man hierzulande wohl einen Klimaskeptiker nennen würde .
({2})
Ted Cruz traf Ende letzten Jahres in einem Senate
Subcommittee Hearing, in dem es um Auswirkungen von
Präsident Obamas Klimagesetzesinitiativen auf Minoritäten ging, auf den Präsidenten des Sierra Clubs, Aaron
Mair . Der Sierra Club ist die älteste und größte Naturschutzorganisation der USA . In diesem Hearing kam es
zu einem sehr interessanten Wortgefecht über die Klimaforschung . Man kann sich das Ganze im Internet anschauen; es ist wirklich sehr lehrreich . Geschlagene neun
Minuten duellieren sich die beiden, und am Ende gibt es
keinen Erkenntnisgewinn .
Ted Cruz attackiert Aaron Mair wegen der Aussage,
die Wissenschaft hinter den Klimaschutzmaßnahmen
von Präsident Obama sei so eindeutig, dass sie - Zitat nicht mehr diskutiert werden sollte . Um diese These zu
erschüttern, fragt Cruz, warum dann die globale Durchschnittstemperatur während der letzten 20 Jahre nicht signifikant gestiegen ist.
({3})
Wie antwortet der Vorsitzende der großen Umweltschutzorganisation? Statt Senator Cruz darauf zu verweisen,
dass er nur einen isolierten Datensatz ins Feld führt,
kontert Mair lieber mit einem anderen, ebenfalls völlig
isolierten Datensatz, und zwar mit der viel zitierten Erhebung, nach der von einer Gruppe befragter führender
Klimaforscher 97 Prozent der Überzeugung sind, dass
es zweifelsfrei einen menschengemachten Klimawandel
gibt .
Ich will hier gar nicht über diese beiden Datensätze
reden oder diskutieren - es gibt zu beiden einiges zu sagen -, sondern will nur auf ein tieferes Problem hinweisen .
({4})
In der Klimaforschung wird viel zu viel politisiert, und
es werden zu viele Glaubenssätze aufgestellt . Statt Daten, Modelle und Unsicherheiten zu diskutieren und einzuordnen, bekriegen sich wie im beschriebenen Beispiel
die Kontrahenten lieber mit Einzelpunkten, die isoliert
gar nichts beweisen oder gar nichts beweisen können,
weder in die eine noch in die andere Richtung, oder es
wird gar nicht mehr diskutiert .
({5})
Wissenschaft darf kein Spielball der Politik werden,
und Wissenschaft darf erst recht nicht zu einer Glaubensfrage werden .
({6})
Das gilt natürlich insbesondere in der Klimaforschung .
Der medial-politische Rummel um den jährlichen IPCC
Report ist aus meiner Sicht an der Stelle nicht hilfreich
({7})
- liebe Grüne, das müsst ihr euch mal anhören! ({8})
- nein - und verführt den einen oder anderen Wissenschaftler zu oft zu Anschärfungen, Überspitzungen und
Einfärbung von Daten . Die legendäre Hockeyschläger-Kurve, die jahrelang auf dem IPCC Report prangte,
oder - das finde ich noch viel schlimmer - die Eisbärenromantik, die penetrant in Fachartikeln zur Klimaforschung vermittelt wird, auch in seriösen Medien, sind für
mich nur zwei krasse negative Beispiele .
Klimaforschung - jetzt kommt die Pointe - ist wichtig; da bin ich voll bei den Grünen . Wie jede Forschung
ist sie nur gut, wenn sie spitze ist . Wir brauchen Spitzenforschung auch im Klimabereich in Deutschland; auch da
bin ich voll bei Bündnis 90/Die Grünen, selbst wenn Sie
das nicht wollen .
({9})
Aber um wirklich spitze zu sein und um spitze zu bleiben, müssen sich die Forscher auf ihre Stärken besinnen, und das sind Fleiß, auch Ehrgeiz, Beharrlichkeit
und unbedingte wissenschaftliche Schärfe . Es geht eben
nicht primär um das Bedienen von irgendwelchen politischen Moden oder um mediale Predigten an das Volk .
Nach meiner Überzeugung braucht die Klimaforschung
in Deutschland deshalb weniger politischen Einfluss und
nicht mehr . Dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hier wirklich helfen würde, davon bin ich nicht überzeugt .
Vielen Dank .
({10})
Vielen Dank, Kollege Dr . Lengsfeld . - Das Wort zu
einer Kurzintervention hat Kai Gehring .
({0})
Herr Lengsfeld, Sie haben mich gereizt, den Antrag,
die Initiative jetzt doch noch einmal einzuordnen; denn
in der Debatte ist aus meiner Sicht jetzt leider doch so
einiges durcheinandergeraten .
Es ist interessant, dass Sie sich irgendwie sozusagen
als einer der letzten in der Unionsfraktion verbliebenen
Klimawandelskeptiker oder -kritiker geoutet haben . Das
ist bemerkenswert, weil sich die internationale Wissenschaftscommunity absolut einig ist und wir alle miteinander zufrieden sind, dass es bei der Weltklimakonferenz
zu einem Abkommen gekommen ist .
Ich bemerke aber bei den Redebeiträgen der Mitglieder der Koalitionsfraktionen ein bestimmtes Phänomen .
Wenn man einen Oppositionsantrag eigentlich sehr gut
findet, muss man irgendwelche Nebenkriegsschauplätze
aufmachen, die mit dem eigentlichen Antrag nicht allzu
viel zu tun haben .
Frau Benning, FONA ist ein tolles Programm .
({0})
Wir als Grüne haben es mit erfunden . Dieses FONA-Programm für Nachhaltigkeit ist selbstverständlich fortzusetzen, weiterzuentwickeln . Es ist ein Programm für
mehr Nachhaltigkeit in der Forschung . - Haken dahinter!
Das Programm „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ hat Rot-Grün auf den Weg gebracht; ich erinnere an die UN-Dekade . Es war ein Bulmahn- und grünes
Projekt, Bildung für nachhaltige Entwicklung zu fördern .
Auch d’accord; gar kein Dissens; hat aber mit dem Antrag eigentlich nichts zu tun .
({1})
In dem Antrag geht es um das Thema „Klimaforschung
und Klimafolgenforschung“ . Deshalb möchte ich es Ihnen noch einmal erklären .
({2})
- Ja, aber vielleicht haben Sie das auch nicht verstanden . - Ein Forschungsrahmenprogramm ist eine besondere Fördermöglichkeit seitens des BMBF, damit dieser
Bereich in der Wissenschaft noch gestärkt werden kann;
denn Sie wissen ja, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung der größte Drittmittelgeber für Forschung in dieser Republik ist .
({3})
Und wenn man sieht, dass da noch Erkenntnislücken
bestehen und dieses Feld wichtig ist, dann legt man zur
Klimafolgenforschung ein Forschungsrahmenprogramm
auf, damit die Wissenschaft in ihrer völligen Wissenschaftsfreiheit uns helfen kann, Erkenntnislücken zu
schließen . Herr Röspel hat richtigerweise gesagt, wie es
sich mit den Erkenntniswünschen, die wir noch haben,
verhält - siehe das Deutsche Klima-Konsortium .
({4})
Mit Verlaub, ich bin hier die Präsidentin, und er hat die
Möglichkeit, bis zu drei Minuten eine Kurzintervention
zu machen .
({0})
Selbstverständlich hat Dr . Lengsfeld die Möglichkeit,
darauf dann maximal drei Minuten zu antworten . Herr
Gehring hat bisher genau zwei Minuten und zehn Sekunden geredet . Seien Sie sich ganz sicher - huch! -, dass
ich aufpasse .
({1})
Es ist wichtig, dass wir Erkenntnislücken schließen,
die es in der Klimaforschung noch gibt . Wir müssen
tiefer einsteigen, damit uns die Klimaforschung hierzulande und weltweit mehr Erkenntnisse bringt: Wie sind
die regionalen Auswirkungen? Was ist, wenn es in den
Megacities im Sommer ein paar Grad wärmer wird? Wie
reagieren dann die Menschen darauf? Welche Voraussetzungen, welche Notwendigkeiten gibt es da? Was sind die
sozialen Folgen? Wie sehen Anpassungsstrategien aus?
Das sind Kernfragen des Antrags . Das war Kern meiner
Rede, und ich bitte darum, das zur Kenntnis zu nehmen .
Sie haben mir keinen einzigen Grund geliefert, warum
wir kein Forschungsrahmenprogramm für die Stärkung
der Klimaforschung in Deutschland auflegen sollten.
({0})
Jetzt hat Dr . Lengsfeld im gleichen Rahmen die Möglichkeit, zu antworten .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . Ich versuche
({0})
- haha! -, es kurz zu machen . - Herr Gehring, die Hälfte der Zeit haben Sie eigentlich meine Kollegin Benning
angesprochen . Vielleicht will sie auch noch antworten .
Nur noch einmal zum Verständnis: Man kann es im Manuskript nachlesen . Du kannst es auch in der Mediathek
noch einmal anschauen . Ich kann dir auch gerne das Manuskript geben . Ich habe kein einziges klimaskeptisches
Wort von mir gegeben, kein einziges .
({1})
Ich habe nur gesagt, dass auch in der Klimaforschung
wissenschaftliche Standards, wissenschaftliche Schärfe vorhanden sein müssen . Dazu gehört, dass man erst
einmal zuhört und versucht, ein Argument zu verstehen,
bevor man versucht, es zu skandalisieren .
({2})
Ich habe Ihren Antrag auch nicht rundweg abgelehnt,
sondern ich habe gesagt, dass ich ihn in der Summe für
nicht unbedingt zielführend halte .
({3})
Aber ich habe hier kein einziges klimaskeptisches Wort
von mir gegeben, kein einziges, Herr Kollege .
({4})
Vielen Dank, Kollege Dr . Lengsfeld . - Damit schließe
ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7048 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes
Drucksache 18/6560
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0})
Drucksache 18/7358
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski, und ich werde selbstverständlich
auf die fünf Minuten Redezeit achten .
({1})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Für die Beschäftigung mit dem Thema Hochschulstatistikgesetz erntet man so manches Lächeln . Über das
Thema Statistik zu reden, ist nichts Aufregendes . Es ist
eben nicht so wie beim großen Thema Klima: Es gibt
keine E-Mail-Aktionen, keine organisierte Empörung
von Campact oder wie sie alle heißen . Niemand wird
deswegen heute eine namentliche Abstimmung beantragen oder gar in seinem Wahlkreis einen Bürgerstammtisch veranstalten . Fakt ist aber: Sowohl wir Politiker wie
auch die Medien unterfüttern jeden gehaltvollen Beitrag
in einer politischen Debatte mit Zahlen und Daten . Das
ist eben Statistik .
({0})
Auch im Bereich der Hochschulstatistik haben wir
mit Spannung erwartete Zahlen: die Zahl der Studienanfänger, die Betreuungsrelation, der Frauenanteil, um nur
einige Beispiele zu nennen . Es ist also nicht so, dass uns
die Zahlen der Hochschulstatistik nicht interessieren . Es
interessiert uns jedoch recht selten, wer diese Daten auf
welcher Grundlage erhebt und auswertet . Es muss uns
aber politisch interessieren, wenn wir Politiker nicht alle
Informationen bekommen, die wir brauchen . So wussten
wir bislang nicht gesichert, wie viele Studierende eigentlich ihr Studium abbrechen . Wir konnten zwar zählen,
wie viele ihr Studium begonnen haben, aber wir wussten
nicht, ob einfach das Studienfach gewechselt oder das
Studium endgültig aufgegeben wurde .
Mit der Einführung der sogenannten Studienverlaufsstatistik bekommen wir künftig Informationen über
komplette Studienverläufe . Wir wissen, wie viele umsteigen und wie viele aussteigen . Wir bekommen valide
Zahlen zur Übertrittsquote, wie viele nach dem Bachelorabschluss ein Masterstudium beginnen, wie viele erst
einmal arbeiten, wie viele eine Promotion beginnen . Das
alles erfahren wir über die Verlaufsstatistik .
({1})
Da die Linksfraktion die Verlaufsstatistik als Teufelszeug bezeichnet, darf ich kurz erklären, wie die Verlaufsstatistik erstellt wird . Die Hochschulen erfassen, wie
bisher, die Daten und melden diese an das Statistische
Landesamt . Zusätzlich liefern sie vorhandene Daten, sogenannte Hilfsmerkmale, an das Amt wie: Geschlecht,
Staatsbürgerschaft, Geburtsdatum . Aus diesen unveränderlichen Hilfsmerkmalen wird für jeden Studierenden
eine individuelle Kennung erstellt . Aus dieser Kennung
wird anschließend über ein Hash-Codierungsverfahren
ein eindeutiges, aber nicht rückverfolgbares Pseudonym
erstellt . Diese Hilfsmerkmale der Kennung der Studierenden werden anschließend gelöscht . Von daher sehen
Sie: Das Pseudonymisierungsverfahren ist ein absolut
sicheres Verfahren . Das haben uns auch die Datenschutzbeauftragten in der Anhörung bestätigt . Wir erfüllen hiermit höchste Datenschutzstandards .
({2})
Über die Dauer der Speicherfrist haben wir uns intensiv
Gedanken gemacht . Wir wollen zum lebenslangen Lernen ermutigen .
({3})
- Sehr schön .
Wir wollen erfahren, wann ein Ingenieur im Beruf
ist, wann er einen MBA oder einen anderen Weiterbildungsstudiengang absolviert . Wir haben festgestellt, dass
zwölf Jahre zu wenig sind . Das würde bedeuten, wenn
jemand mit 18 Jahren ein Studium beginnt, dann hat er
mit 21 Jahren einen Abschluss als Bachelor . Zwölf Jahre Speicherfrist hieße, er würde mit 33 Jahren aus dieser
Statistik herausfallen . Das ist nicht lebenslanges Lernen,
wie wir uns das vorstellen . Daher unser Antrag, diese
Speicherfrist auf 18 Jahre zu verlängern .
Ausdrücklich danken möchte ich an dieser Stelle den
exzellenten Vorarbeiten des Ausschusses für Hochschulstatistik . Auf deren Basis und auf der Empfehlung der
Anhörung haben wir diese Novelle gestaltet . Wir haben
gemeinsam mit dem Koalitionspartner die Änderungsanträge vorgetragen . Ich hoffe sehr, dass wir den Gesetzentwurf heute beschließen . Es geht um die Gasthörerstatistik, die wir beibehalten . Es geht auch um eine verspätete
Einführung dieser Statistik . Wir haben die Einführung
um sechs Monate nach hinten verschoben, damit die
Unis genug Zeit haben, dieses Gesetz entsprechend umzusetzen . Wir erfassen erstmals auch Promovierende und
Berufsakademien . Ich denke, das ist ein Schritt in die
richtige Richtung .
({4})
Wir bekommen die Daten auch schneller, weil wir
eine neue Auswertungsdatenbank aufbauen . Trotz all
dieser Verbesserungen darf ich zum Schluss ein fränkisches Sprichwort mit auf den Weg geben: Vom Wiegen
wird das Schwein nicht fett .
({5})
Das heißt, die statistischen Daten können die Probleme
sichtbar machen, aber sie können sie nicht lösen . Sie geben uns aber idealerweise klare und präzise Daten, die
wir als Politiker brauchen, um die entsprechenden Entscheidungen zu treffen . Von daher bitte ich herzlich um
Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank, Herr Kollege Schipanski . - Der nächste
Redner ist Ralph Lenkert für die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die EU fordert zusätzliche Datenerfassung für Hochschulen zu Auslandssemestern, zu
Berufsakademien und zu Promotionen . Die Änderungen
der Koalition zum Hochschulstatistikgesetz gehen jedoch unerwartet weit über die EU-Vorgaben hinaus . Ich
frage: Warum?
({0})
Offensichtlich ist doch, dass die Grundfinanzierung der
Hochschulen zu knapp ist . Studienzeiten verlängern sich,
weil zu viele Studenten bei zu wenigen Lehrkräften lernen . Wohnheimplätze und bezahlbare Studentenbuden
fehlen . Immer mehr Studenten jobben neben dem Studium, weil trotz BAföG-Reform das Geld nicht zum Leben
reicht .
({1})
Etliche Wirtschaftsbereiche klagen über Nachwuchssorgen . All dies ist seit Jahren bekannt . Die Informationen
liegen vor: den Hochschulen, den Arbeitsagenturen, den
Rentenversicherungen und den Industrie- und Handelskammern . Doch statt konkret die Probleme zu lösen,
wollen Union und SPD nun erneut erst einmal Daten
sammeln als Grundlagen für Entscheidungen . Das nennen wir: Probleme aussitzen .
({2})
Statt Kosten in Millionenhöhe in Statistiken zu versenken, fordert die Linke, dieses Geld für die Grundfinanzierung der Hochschulen zu nutzen .
({3})
Das zweite Problem dieses Gesetzes ist der fehlende
Datenschutz .
Die gesammelten Daten werden Begehrlichkeiten bei
Firmen und Versicherungen wecken und zu Missbrauch
einladen .
({4})
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ein Ausschnitt aus
dem, was in jeder Studienverlaufsstatistik über jede Studentin und jeden Studenten erfasst wird: Geburtsdatum
und Name, wo und wann das Abitur erfolgte, BerufspraTankred Schipanski
xis vor dem Studium, belegte Fächer und abgelegte Prüfungen mit Ergebnis,
({5})
Studienunterbrechungen mit den Gründen der Unterbrechung, der Vergleich zur Regelstudienzeit, eventuelle
Dienst- und Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen,
vorherige oder parallele Studiengänge . Bis zu 18 Jahre
nach der Exmatrikulation werden diese Daten gespeichert,
({6})
- natürlich unter einem absolut sicheren, nicht nachverfolgbaren Pseudonym,
({7})
bestehend aus dem Geburtsdatum und den ersten vier
Buchstaben des Vornamens; das ist im Gesetz nachzulesen .
Bei mir wäre das also das Kürzel 09051967RALP . Es
wird nicht viele Menschen mit diesem Pseudonym geben, und mit der Kenntnis meines Berufes Werkzeugmacher - wir waren 1983 rund 60 Lehrlinge bei Carl Zeiss
in Jena - und meines Fernstudiums findet dann jeder problemlos meinen kompletten Datensatz .
({8})
Ihre tolle Verschlüsselung ist ein Witz .
({9})
Sie von der Koalition laden mit dieser Verschlüsselung
zum Datenmissbrauch ein, das lehnt die Linke ab .
({10})
Neue Geschäftsmodelle werden aus diesen Datenprofilen
Profite erwirtschaften.
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, warum scheitert zukünftig Ihre Bewerbung? Sie hatten zweimal die Studienrichtung gewechselt und ein Semester Pause eingelegt,
die Regelstudienzeit um 50 Prozent überschritten, und
schon werden Sie als nicht zielstrebig und unentschlossen eingestuft . Pech gehabt .
Es wundert Sie vielleicht, dass die neue Lebensversicherung viel teurer wird, als im Angebot stand .
({11})
Klar, die Versicherung fand heraus, dass Sie Auslandssemester in Mexiko, im Kongo und in Pakistan absolvierten . Sie gelten jetzt als Risikokunde mit höheren Prämien .
({12})
Schon heute errechnen Banken über Profile ihre Kreditausfallrisiken nach Ihrer Wohnanschrift . Eine falsche
Anschrift bedeutet höhere Zinsen . Und wer glaubt, dass
Daten sicher auf Zentralservern liegen, ist naiv . Datendiebstähle fanden selbst im Bundestag statt .
({13})
Für die Linke gilt: Meine Daten gehören mir . Auch
deshalb lehnen wir die Datenkrake Hochschulstatistikgesetz ab .
({14})
Ziehen Sie den Entwurf zurück .
({15})
Stecken Sie die eingesparten Gelder in unsere Hochschulen, und respektieren Sie den Datenschutz .
({16})
Das Wort für eine Zwischenbemerkung hat der Kollege Schipanski .
({0})
- Nein, ich sage jetzt nichts zur Beschlussfähigkeit .
Ich will den Kollegen Lenkert einfach darauf hinweisen,
dass das grob vorsätzlich falsch ist, was er vorgetragen
hat . Ich habe Ihnen gesagt: Wir pseudonymisieren diese
Daten . Wir erfassen die Hilfsmerkmale wie Geburtsdatum, Geschlecht und Staatsangehörigkeit . Das haben Sie
genannt . Diese benötigen wir für eine individuelle Kennung . Aus dieser Kennung wird in einem Hash-Codierungsverfahren ein eindeutiges, aber nicht rückverfolgbares Pseudonym erstellt .
({0})
Die Hilfsmerkmale, von denen Sie gerade gesprochen
haben, werden anschließend gelöscht .
Jetzt wissen Sie wahrscheinlich nicht, was der Hash
ist . Ich darf das kurz erklären: Das ist eine mathematische Einwegverschlüsselung . Das heißt, ich kann eine
Kennung zu einem Hash kodieren, aber ich kann anschließend diesen Hash nicht wieder zurück in eine Kennung dekodieren .
Das heißt: Jeder Studierende hat diesen eigenen Hash,
und nur diese Pseudonyme, diese Hashs, werden in einer bestimmten Frist gespeichert . Noch einmal: Es gab
keinen einzigen Datenschutzbeauftragten, der in der Anhörung oder in einer Stellungnahme zu diesem sicheren
Verfahren ein datenschutzrechtliches Bedenken vorgetragen hat .
({1})
Herr Lenkert, bitte .
Sehr geehrter Herr Schipanski, Sie wollen den gesamten Studien- und Bildungsverlauf speichern . Wenn Sie
das machen wollen, können Sie Ihre Codierung erst nach
Abschluss des gesamten Studien- und Bildungsverlaufes
durchführen, denn sonst können Sie die Daten nicht mehr
zuordnen; so wurde es uns dargestellt . Das heißt, Ihre
Codierung findet erst statt, wenn der Studien- und Bildungsverlauf - die Promotion und alles andere - längst
abgeschlossen ist,
({0})
wenn der komplette Lebenslauf steht . Damit ist das immer nachvollziehbar . Insofern schaffen Sie hier die Möglichkeit eines Missbrauches, und das ist nicht hinzunehmen .
Im Übrigen könnte ich einem einzelnen Verlauf problemlos den Namen Tankred Schipanski zuordnen; denn
anhand des Verlaufes kann man wunderbar darauf schließen .
({1})
Vielen Dank, Kollege Lenkert . - Jetzt kommt der
nächste Redner in der Debatte: Oliver Kaczmarek für die
SPD .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Statistik steht ein bisschen zu Unrecht in dem Verdacht,
ein Spezialisten- oder Nischenthema zu sein . Vielleicht
war die Debatte jetzt gerade doch ein bisschen sehr in
der Nische . Aber Statistiken - das wissen wir - liefern
wesentliche Grundlagen für unsere politischen Entscheidungen . Darüber hinaus sind Statistiken das einzige Instrument, das wir haben, um die Wirksamkeit von Maßnahmen zu überprüfen . Insofern ist es wichtig, dass wir
die Hochschulstatistik an veränderte Realitäten anpassen .
Einige Stichworte sind schon genannt worden: Umsetzung der Bologna-Reformen, Autonomisierung von
Hochschulen, neue Aufgaben wie Weiterbildung, Seniorenstudium und Integration von beruflich Qualifizierten.
All das sind neue Aufgabenfelder, die im Moment noch
nicht in der amtlichen Hochschulstatistik abgebildet werden können . Deswegen ist es notwendig, dass wir dieses
Gesetz verändern und an die Lebensrealitäten annähern .
({0})
Ich sage aber auch: Statistik ist nur dann gut, wenn
sie die Lebenswirklichkeit abbilden kann . Wir verfolgen
mit der Novelle konkrete Ziele, die sich aus dem Alltag
von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie
Studierenden ableiten lassen . Ich will anhand von drei
Beispielen verdeutlichen, wo wir in der Statistik tatsächlich einen Schritt weiterkommen .
Erstens . Die Studienverläufe haben sich verändert .
Mehr als ein Viertel der Bachelorstudierenden haben ihr
Studium abgebrochen . Wir wissen jetzt nicht immer, was
dahintersteckt: ein Fachwechsel, ein Studienortwechsel, vielleicht ein Auslandsaufenthalt . Wir wissen auch
nicht, ob Lernunterbrechungen stattfinden, wann jemand
wieder ein Studium aufnimmt, weil er lange nach dem
Bachelorabschluss ein Masterstudium aufnehmen will .
Diese Dinge werden durch die Studienverlaufsstatistik
besser nachgezeichnet . Sie bringt uns neue Erkenntnisse: Wo gehen die Studierenden hin? Wie ist ihr Studienerfolg? Wir können damit den Anforderungen an das
lebensbegleitende Lernen gerecht werden . Ich bin deshalb den Innenpolitikern der Großen Koalition dankbar,
dass sie den Weg mitgegangen sind, die Speicherfrist auf
18 Jahre zu erhöhen .
({1})
Ich will den Disput von vorhin aufgreifen: Das geht natürlich nur unter hohen Anforderungen an Datensparsamkeit und Datenschutz . Deswegen ist es wichtig, dass wir
auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder gehört haben und sie im Grundsatz ihre Zustimmung zu diesem Verfahren gegeben haben .
Herr Lenkert, Sie zeichnen in dieser Debatte - ich will
das einmal sagen - ein absurdes Zerrbild von der Nutzung amtlicher Statistik .
({2})
Die Pseudonymisierung von Daten ist notwendig, damit
wir sie als Summendaten nutzen können . Niemand will
Individualdaten nutzen, sondern wir werden am Ende
Summendaten erstellen . Da ist dieses Verfahren hilfreich
und wirksam; es ist an anderen Stellen schon ausprobiert
worden . Das Bild, das Sie hier zeichnen, ist ein Bild von
Statistik als staatlichem Repressionsinstrument . Das ist
absurd . Wir legen keine Akten an, sondern machen eine
Statistik . Deswegen rate ich zu etwas mehr Beruhigung
in dieser Debatte .
({3})
Zweiter Punkt . Die Datenlage in Bezug auf Promovierende an den Hochschulen ist teilweise desaströs .
({4})
Wir werden jetzt einen Schritt weiterkommen, indem
wir unsere Pflicht zur Lieferung von Daten für die europäische Statistik erfüllen und dafür die Zahl der Promovierenden und die Dauer der Promotionen erheben .
Ich will aber gleich einräumen, dass die Datenlage verbessert werden könnte, wenn wir zu einem einheitlichen
Status an den Hochschulen - mit Rückmeldeverpflichtungen - kommen würden . Das liegt aber in der Gesetzgebungskompetenz der Länder . Das Thema sollte trotz
aller Schwierigkeiten zukünftig noch einmal aufgegriffen werden .
Dritter Punkt . Ich bin froh, dass es uns gelungen ist,
die Gasthörerstatistik im Gesetzgebungsverfahren zu
erhalten . Wir haben in der Anhörung gehört: Die Daten
sind valide, der Aufwand ist vertretbar . Wir wissen, dass
Flüchtlinge teilweise als Gasthörer in die Statistik aufgenommen werden . Wir wissen, dass Seniorenstudenten,
ein kleiner Teil an der Hochschule, aber ein wachsender Teil mit Blick auf lebensbegleitendes Lernen in der
Statistik auftauchen . Deswegen brauchen wir mit Blick
auf die zukünftige Entwicklung diese Statistik vorläufig
noch, und es ist gut, dass wir sie erhalten haben .
({5})
Statistik wird angenähert an die veränderte Realität .
Aber allein das Wissen um Veränderung reicht nicht, es
müssen auch die richtigen politischen Schlussfolgerungen gezogen werden . Ich möchte deshalb zum Schluss
zwei Beispiele nennen, mit denen ich verdeutlichen will,
wo wir weitermachen müssen; eines der beiden politischen Felder, die ich skizziert habe, haben wir bearbeitet, das andere müssen wir uns für die nächste Novelle
aufheben .
Erstens . Ich prognostiziere: Die Studienanfängerzahlen werden hoch bleiben, deutlich höher als es zu Beginn
des Hochschulpaktes prognostiziert wurde . Herr Lenkert,
auch hier haben wir in dieser Wahlperiode eine Menge
geschafft. Wir haben den Hochschulpakt ausfinanziert.
Wir haben den Pakt für Forschung und Innovation
durch die bundesseitige Finanzierung des Aufwuchses
gesichert . Wir werden morgen das Gutachten der Imboden-Kommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative
zur Kenntnis nehmen können und haben jetzt schon die
Zusicherung, dass wir 4 Milliarden Euro für die Fortführung der Exzellenzinitiative bereitstellen plus 1 Milliarde
Euro für den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs .
({6})
Ich will damit sagen: Durch die vier Pakte unterstützen
wir schon jetzt die Hochschulen nachhaltig bei der Bewältigung der Herausforderungen aufgrund der Veränderungen in der Hochschullandschaft .
({7})
Sie wirken schon jetzt bei der Bewältigung der hohen
Studienanfängerzahlen .
({8})
Ich will aber auch sagen: Wenn die Zahlen hoch bleiben, dann müssen wir in der nächsten Wahlperiode zu
grundsätzlichen Entscheidungen kommen . Aus meiner
Sicht ist es sinnvoll, die Verantwortungsgemeinschaft,
die Bund und Länder für die Grundfinanzierung der
Hochschulen eingegangen sind, beispielsweise mit der
Finanzierung des Aufwuchses beim Hochschulpakt, zu
erhalten . Die Grundgesetzänderung macht es möglich .
Deswegen werden wir auch in der nächsten Wahlperiode,
wenn die Pakte auslaufen, darüber sprechen müssen, wie
wir zumindest einen Teil davon im Interesse der Hochschulen verstetigen .
({9})
Zum Zweiten - ein Feld, das wir in der Novelle stärker hätten aufgreifen müssen; das hätten wir uns gewünscht -: Wir brauchen auch ein Bild der sozialen Ungleichheit an Hochschulen . Nach wie vor ist die größte
Herausforderung für die Wissenschaftspolitik die Schaffung von Chancengleichheit . Zwei Zahlen - die kennen
Sie - zeigen den Bedarf: Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen über 70 ein Hochschulstudium,
und von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien beginnen 24 ein Studium .
Das heißt: Ungleichheit ist auch ein Thema für die Wissenschaftspolitik . Die Hochschule kann diese Probleme
nicht alleine lösen, da der Bildungstrichter natürlich weit
vorher ansetzt .
({10})
Aber wir wollen wissen, aus welchen sozialen Milieus
die Studierenden kommen; denn Aufnahme und Integration von Studierenden aus Arbeiterfamilien, aus
Nichtakademikerfamilien ist auch ein Qualitätsmerkmal
guter Hochschulpolitik . Deswegen wollen wir auch das
erfasst haben und wünschen uns für künftige Erhebungen
die Aufnahme weiterer Merkmale .
({11})
Das ist ein solide erarbeitetes Gesetz . Dem Dank an
den Ausschuss für die Hochschulstatistik schließe ich
mich an . Ich freue mich auf viele datengestützte Diskussionen und politische Entscheidungen . Ich glaube, man
kann dem vorliegenden Gesetzentwurf ruhigen Gewissens zustimmen .
Herzlichen Dank .
({12})
Vielen Dank, Kollege Kaczmarek . - Der nächste Redner ist Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute geht es in dieser Debatte gar nicht um die sehr
wichtige Fragestellung, wie wir die Grundfinanzierung
unserer Hochschulen verbessern, sondern es geht darum,
dass wir besseres hochschulpolitisches Steuerungswissen durch die Änderung der Statistik bekommen .
Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit,
das gilt auch für Oppositionspolitik, Herr Lenkert .
({0})
Darum war es so überfällig, das Hochschulstatistikgesetz
endlich zu überarbeiten . Dafür haben wir als Grüne auch
lange geworben; denn das jetzige Gesetz hat die hochschulpolitische Realität nicht mehr gut genug abgebildet .
({1})
Bund und Länder haben sich viel Zeit gelassen . Aber mit
Blick auf diese konkrete Gesetzesnovelle kann ich sagen:
Was lange währt, wird tatsächlich mal ganz gut .
({2})
Gut ist, dass nach der Anhörung im Deutschen Bundestag der Gesetzentwurf nachjustiert wurde . Die Hochschulen bekommen mehr Zeit für die Umstellung, und
die Gasthörerstatistik bleibt erhalten . Das ist nicht nur
wichtig für die vielen Seniorenstudierenden, sondern
auch für die vielen Geflüchteten, die jetzt einen Gasthörerstatus bekommen . Die wachsende Vielfalt der Bildungsbiografien kann besser abgebildet werden; denn die
pseudonymisierten Daten bleiben länger erhalten . - Alldem können wir zustimmen .
Ein wirksamer Datenschutz ist uns extrem wichtig .
Darum haben wir den Gesetzentwurf besonders kritisch
unter die Lupe genommen . Wir haben ihn für unbedenklich befunden . Der Vorwurf, dass diese Novelle den gläsernen Studierenden brächte, mag plakativ sein, hat mit
der Realität aber nichts zu tun .
({3})
Wenn alle Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern der Novelle ihren Segen geben und keinen Anlass
zur Kritik sehen, dann habe ich keinen Anlass, dieser
Einschätzung zu misstrauen . Man sollte hier keinen Popanz aufbauen . Liebe Linksfraktion, Sie entlarven sich
selbst: Sie haben keinen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf eingebracht
({4})
und noch nicht einmal einen Entschließungsantrag fabriziert . Sie springen echt zu kurz .
({5})
Ich sage für uns Grüne: Wenn Union und SPD ausnahmsweise etwas gut machen, und das kommt ja selten genug
vor,
({6})
dann bricht mir kein Zacken aus der Krone, wenn ich das
anerkenne; denn wir teilen das Ziel, Politik und Verwaltung bessere Daten zur Verfügung zu stellen, also uns
Parlamentarierinnen und Parlamentariern und den Ministerien . Für eine bessere Hochschulpolitik brauchen wir
das .
Seit der letzten Novelle 2005 hat sich die Hochschullandschaft rasant weiterentwickelt, sowohl quantitativ
als auch qualitativ . Auf Basis dieser Novelle werden wir
die Wirkung der politischen Entscheidungen in der letzten Dekade viel besser sichtbar und damit auch besser
bewertbar machen . Studienverläufe werden besser nachvollziehbar sein . Das ist sehr wichtig; denn nur so lüftet sich eines der größten Geheimnisse dieser Republik:
Wie viele Studienabbrecherinnen und -abbrecher haben
wir wirklich? Angesichts der Tatsache, dass Zahlen oft
politisch instrumentalisiert werden, finde ich es extrem
wichtig, dass künftig statistisch unterschieden wird, ob
ein Studienortwechsel stattfindet, ob ein Fachrichtungswechsel stattfindet oder ob junge Leute aus dem Studium
heraus angeworben werden und deshalb ihr Studium abbrechen . All das gibt es . Dann wird die Zahl nicht mehr
so abenteuerlich hoch sein wie die, die von manchen jetzt
für die Akademisierungswahndebatten missbraucht wird .
Dann wissen wir endlich: Wer bricht ab? Damit wird eine
zentrale Wissenslücke geschlossen, und man kann die
Zahlen nicht länger politisch instrumentalisieren .
({7})
Wir begrüßen, dass der Merkmalskatalog zum wissenschaftlichen Personal erweitert wird . Ebenso begrüßen wir, dass alle Promovierenden aufgeführt werden .
Das dürfte dazu führen, dass wir ein noch klareres Bild
von der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses
in unserem Land bekommen . Wir begrüßen auch, dass
mehr Informationen über die Hochschulleitungen erfasst
werden, damit zum Beispiel das Monitoring zur Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft endlich präzise
stattfinden kann. Das ist ein wahnsinnig wichtiges Thema . Auch das macht die Novelle möglich . Außerdem
begrüßen wir, dass der Migrationshintergrund differenzierter erfasst werden kann, weil das Erhebungsmerkmal
„weitere Staatsangehörigkeit“ erstmals eingeführt wird .
Bitte kommen Sie zum Ende .
Ja, Frau Präsidentin . - Es ist wichtig, dass wir die
Doppelstaatlichkeit und damit die gesellschaftliche Realität besser abbilden können .
Alles in allem: Wir können dieser Novelle zustimmen .
Über die Fragen nach der Grundfinanzierung und den
Weichenstellungen in der Hochschulpolitik diskutieren
wir an anderer Stelle weiter .
({0})
Vielen Dank, Kollege Gehring . - Die letzte Rednerin
in dieser Debatte: Dr . Claudia Lücking-Michel für die
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Statistik halten viele für sehr kompliziert und viele andere für langweilig . Das Erste scheint sich heute Abend
zu bestätigen - für einige ist es zu kompliziert -; aber
langweilig ist es sicherlich nicht .
({0})
Hochschulstatistik zeigt uns zudem, wie vielfältig das
Studium ist, und hilft, die richtigen Schlüsse zu ziehen .
Beispiele haben wir gehört . Ich will auf die Situation
der Promovierenden verweisen, weil sie mir besonders
wichtig sind . Ich kann es kurz machen, weil das gerade
schon einmal hervorgehoben wurde: Bisher wissen wir
tatsächlich noch nicht einmal, wie viele Promovierende
wir in Deutschland haben . Wenn auf Basis dieses Gesetzes der Status der Promovierenden, der an den einzelnen
Hochschulen sehr unterschiedlich ist, endlich einheitlich
definiert wird und wir sie früh erfassen können, dann ist
das ein wichtiger Punkt .
Mein zweiter Hinweis bezieht sich auf die Situation
des wissenschaftlichen Nachwuchses, für den wir - darüber sind wir uns ja einig - gute Bedingungen schaffen
wollen . Wir haben vor kurzem das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geändert, weil wir der missbräuchlichen Befristung von Verträgen einen Riegel vorschieben wollen .
Wir wollen mit den Ländern ein Tenure-Track-Programm
auflegen, das verlässliche Karrierewege hin zur Professur
eröffnet . Jedem ist klar, wie wichtig es ist, dafür verlässliche Daten zu haben .
({1})
Wir müssen wissen, welche Auswirkungen unsere wissenschaftspolitischen Entscheidungen haben .
Statistik liefert uns, wenn wir auf dem weiten Ozean namens Wissenschaftssystem unterwegs sind, wie
Leuchttürme wichtige Orientierungspunkte . Diese Novelle bringt endlich Licht ins Dunkel der Gründe für
Studienabbrüche . Wir brauchen die Novelle, um festzustellen, wie viele Masterstudienplätze nötig sind . Wir
brauchen die Novelle - das ist mir sehr wichtig -, weil sie
sicherstellt, dass die Leistungen der Hochschulen bundesweit eingeordnet und miteinander verglichen werden
können .
Das alles sind Fragen, die uns als Wissenschaftspolitiker und -politikerinnen, als Verantwortliche in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen dringend umtreiben, und zwar nicht, weil wir sie statt unseres Handelns
brauchen, sondern um daraus die richtigen Schlüsse zu
ziehen und unser zukünftiges Handeln noch besser justieren zu können .
({2})
Es war gut, dass wir noch drei wichtige Veränderungen eingebracht haben .
Erstens . Die Gasthörerstatistik bleibt erhalten . Darauf
wurde schon verwiesen .
Zweitens . Die Verlängerung der Erhebung . Die Studienverlaufsstatistik nach zwölf Jahren zu löschen - wir
haben es gehört -, wäre sinnwidrig gewesen . Es ist gut,
dass die Erhebung jetzt auf mindestens 18 Jahre verlängert wurde .
Schließlich . Wenn das Ganze erst 2017 in Kraft tritt,
hat keine Hochschule mehr das Argument, sie hätte nicht
genug Zeit gehabt, um ihre Software umzustellen . Das
Ganze startet dann gleich auf gut geordneten Wegen .
Jetzt noch einmal zu Ihnen, liebe Kollegen von der
Linken: Sie haben heute Abend, in der Anhörung und
auch im Ausschuss immer so getan, als sei das Statistische Bundesamt - gerade haben Sie es noch einmal gesagt - eine Datenkrake, die den Studierenden die Luft abdrückt . In den Entgegnungen wurde schon deutlich, dass
das wirklich lächerlich und an der Sache vorbei ist . Es ist
auch deutlich geworden, dass Sie lange suchen müssen,
um außerhalb Ihrer Fraktion jemanden zu finden, der dieses Seemannsgarn mit Ihnen weiterspinnen will . Wenn
selbst die Kollegen von den Grünen im Bundestag keine
Bedenken haben,
({3})
wenn die Datenschutzexperten des Statistischen Bundesamtes und der Länder in dem Gesetzentwurf keine
Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung von
Studierenden sehen, dann, liebe Linke, haben wir wichtige Gewährsleute, und Sie müssen, würde ich sagen, zurückrudern .
({4})
Herr Schipanski hat noch einmal erklärt, wie die Verschlüsselung funktioniert . Ich möchte hervorheben, dass
es bei zwei Datenbanken bleibt: eine für die Einzeldaten
und eine, die die Einzeldaten zusammenführt . Es ist klar,
dass die Hochschulen keinen Zugriff auf die Datenbank
für die Einzeldaten erhalten, sondern nur die statistischen
Ämter . Das muss man noch einmal hervorheben, um zu
zeigen: Die Geheimhaltung individueller Daten ist auch
für uns ein sehr hohes Gut . Wir sehen, dass es mit diesem
Gesetzentwurf klar geschützt wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie die Krake in der dunklen Tiefsee, wo sie ihren natürlichen Lebensraum hat . Wir legen hier heute ein modernes und
transparentes Hochschulstatistikgesetz vor . Es ist kein
Ungeheuer, das den Bürgerrechten der Studierenden an
den Kragen will, sondern ein Kompass, mit dem wir den
richtigen Kurs für die zukünftige Hochschul- und Wissenschaftspolitik setzen .
Danke .
({5})
Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . - Damit
schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Hochschulstatistikgesetzes . Der Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7358, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/6560 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Enthaltungen? - Wer stimmt dagegen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt hat die Linke .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dagegengestimmt haben die Linken .
Damit wechsle ich jetzt den Platz und wünsche Ihnen
noch einen schönen Restabend .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Niema Movassat, Caren Lay, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE sowie der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Claudia Roth ({1}), Tom Koenigs, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Herkunft von Konfliktrohstoffen konsequent
offenlegen
Drucksachen 18/5107, 18/6226
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Kollege Klaus Barthel, SPD-Fraktion .
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Laufe des Tages haben wir heute zum Beispiel über
die Bundeswehrmandate mit Blick auf Mali oder den
Irak gesprochen, wir haben die Menschenrechtsdebatte
gehört, wir haben immer wieder über Flüchtlinge gesprochen . Bei der Frage nach den Ursachen von Bürgerkriegen und Kriegen, von Krisen und Gewalt, von Flucht
und Vertreibung, von Menschenrechtsverletzungen stößt
man immer wieder auf dieselbe Frage, nämlich: Woher
kommt eigentlich der Treibstoff, woher kommen die finanziellen Ressourcen, woher kommt das Geld für Krieg,
für Waffen, für Söldner, für Kindersoldaten, für die Begehung von Menschenrechtsverletzungen, und was treibt
diese Spirale der Gewalt letzten Endes immer wieder an?
Früher oder später landet man - als einer der Quellen - bei den Rohstoffkonflikten, egal ob es um Öl, Gold,
Diamanten oder bestimmte Metalle geht . Es ist sehr
schnell der Ruf danach zu hören, ebendiese Quellen trockenzulegen . Dann sind wir in dieser Debatte, in der es
um Konfliktmineralien geht, sehr schnell vom Abstrakten
zum Konkreten gekommen. Im Fall der Konfliktmineralien geht es um bestimmte Metalle und Mineralien, die
nachweislich dazu benutzt werden, Kindersoldaten, Waffen, Milizen und übelste Menschenrechtsverletzungen zu
finanzieren, und um deren Abbau und Weiterverteilung
es immer wieder neue Kämpfe und Konflikte gibt.
Die EU will genau hier eingreifen . Die Kommission
hat einen Vorschlag für eine verantwortungsvolle Rohstoffversorgung gemacht . Der Vorschlag der Kommission sieht zwar vor, eine verbindliche Zertifizierung vorzunehmen; er umfasst aber nur eine freiwillige Teilnahme
an dieser Zertifizierung. Wir müssen leider feststellen,
dass die Mehrheit der europäischen Regierungen - mit
Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland und Schwedens - bis heute immer noch hinter diesem Vorschlag
steht . In der Sache ist der Vorschlag der Kommission in
Teilen auf jeden Fall überholt . Es gibt den Beschluss des
Europäischen Parlaments vom vergangenen Mai, und wir
alle wissen aus der Diskussion der letzten Jahre:
Erstens . Die Kommission hat recht: Wir brauchen einen weltweiten und keinen regionalen Ansatz, der nur
auf den Kongo und seine Umgebung ausgerichtet ist .
Zweitens . Anders als die Kommission das sieht, müssen wir - egal ob es um Textilien oder um Metalle geht alle Stufen der Wertschöpfungskette erfassen, wenn wir
die Sache vernünftig regeln wollen .
Drittens wissen wir, dass wir keine freiwillige Teilnahme, sondern verbindliche Regeln brauchen . Wir
kennen die vielen Initiativen und freiwilligen Vereinbarungen, die es seit vielen Jahren gibt . Nach einer bestimmten Zeit ist die Zeit aber einfach um . Alle Unternehmen und Verbände, die sich darüber beschweren, dass
wir Verbindlichkeit fordern, müssen sich halt bei denen
bedanken und auf die schauen, die bei den freiwilligen
Vereinbarungen jahrelang nicht mitgemacht haben . Das
hat bei den Konfliktmineralien dazu geführt, dass über
80 Prozent dessen, was gehandelt wird, nicht zertifiziert
ist, obwohl es schon seit vielen Jahren die Chance dazu
gibt .
Deswegen müssen wir jetzt die politischen Konsequenzen ziehen . Ich glaube, es hat sich ein wichtiger
Lernprozess vollzogen . Sicher haben das auch die Antragsteller vorangetrieben .
Die Position der SPD war eigentlich von Anfang an
klar . Diese habe ich auch schon am 18 . Juni vergangenen
Jahres vorgetragen . Das ist durch viele Beschlüsse auch
noch einmal bestätigt worden . Das ist also alles nichts
Neues . Das kennen wir .
Aber neu ist seit gestern, dass das nun auch die offizielle Position der Bundesregierung ist . Im Jahreswirtschaftsbericht, der heute auch hier diskutiert worden
ist, finden wir nicht nur erstmals ausführliche Sozial-,
Nachhaltigkeits- und Handelskapitel sowie Fragen zur
Wachstumsdiskussion - das ist also eine neue Qualität
des Jahreswirtschaftsberichts -, sondern wir finden auch
Bemerkungen über die globale Unternehmensverantwortung und über die Umsetzung der UN-Leitprinzipien sowie ein Kapitel über die Konfliktmineralien. Daraus darf
ich zitieren:
Sie
- die Bundesregierung sieht verbindliche Regelungen für geeignet an,
wenn sie verhältnismäßig sind und keine unnötigen
bürokratischen Belastungen verursachen . Für kleine
und mittlere Unternehmen sind unterstützende Begleitmaßnahmen . . . vorgesehen .
Letzteres teilen wir uneingeschränkt, was die kleinen
und mittleren Unternehmen betrifft . Bürokratie wird
durch mehr Verbindlichkeit abgebaut . Es soll eine Regelung statt vieler Zertifikate geben.
Zur Verhältnismäßigkeit will ich nur so viel sagen: Es
geht hier um viele Menschenleben; ich glaube, das ist in
der Debatte über Konflikte und Flucht deutlich geworden . Da muss man die Verhältnismäßigkeit schon sehr
deutlich betonen, wenn es darum geht, wirtschaftliche
Fragen verbindlich zu regeln, und zwar so, dass es allen
hilft und für alle verbindlich und transparent ist .
Vielen Dank .
({0})
- Genau . Deswegen hat sich unserer Meinung nach der
Antrag erledigt .
({1})
Entschuldigung . Das muss ich als Berichterstatter noch
sagen: Der Antrag hat sich erledigt . Deswegen müssen
wir ihn ablehnen . In der Sache sind wir aber einen erheblichen Schritt weitergekommen .
({2})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge
Höger, Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rohstoffreichtum ist für die meisten Regionen ein Fluch . Ein
großer Teil der Menschen in den Rohstoffexportländern
ist bitterarm. Sie haben keinen Anteil an den Profiten, die
mit Gold, Zinn, Wolfram oder Tantal gemacht werden .
Erbärmliche Arbeitsbedingungen sorgen dafür, dass
die Ärmsten im Austausch für einen Hungerlohn mit ihrer Gesundheit bezahlen . Gleichzeitig sorgt der Abbau
viel zu oft für die Zerstörung der Umwelt und für die
finanzielle Unterstützung von Bürgerkriegsfraktionen.
Wo liegt nun die Verantwortung für diese Menschenrechtsverletzungen? Kollege Barthel hat schon viele genannt . Wer allein auf Korruption und Misswirtschaft in
den Ursprungsländern verweist, der hat zwar teilweise
recht, macht es sich aber deutlich zu einfach .
({0})
Ein wesentlicher Teil der Verantwortung liegt dort, wo
die Rohstoffe verbraucht werden, wo die meisten Profite
bleiben und wo der Hauptsitz vieler beteiligter Firmen
ist, also in den Industrienationen des globalen Nordens .
Deswegen müssen wir die Politik hierzulande ändern .
Die Liste der Rohstoffe, über die wir heute abstimmen - Gold, Zinn, Tantal und Wolfram -, ist eigentlich
zu kurz, aber sie ist ein wichtiger Einstieg in den verantwortungsvollen Umgang mit Rohstoffabbau .
In letzter Zeit wird häufig davon geredet, dass es notwendig sei, Fluchtursachen zu bekämpfen . Ich hoffe, das
ist wirklich ernst gemeint . Der sorgfältige Umgang mit
Rohstoffen ist hier ein ganz wichtiger Schritt .
({1})
Es ist schon absurd, dass Unternehmen hierzulande
und in der EU die Konflikte, die dann angeblich mit der
Bundeswehr entschärft werden sollen, mit anheizen . Sehen wir einmal davon ab, dass Militär Konflikte häufig
verschärft, anstatt sie zu lösen, so ist es doch bemerkenswert, an welchem Punkt „Verantwortung“ als Anspruch
in der gegenwärtigen deutschen Außenpolitik beginnt:
nicht bei der wirtschaftlichen Ausbeutung ganzer Kontinente und nicht bei der systematischen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen, sondern erst dann, wenn militärische Stärke demonstriert werden kann . Beenden Sie
diesen Irrweg!
({2})
Wieder einmal wird auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen gesetzt . Das ist so, als würden wir
bei der Sicherheit im Straßenverkehr auf Freiwilligkeit
bei der Einhaltung von Tempolimits setzen .
({3})
Die Konsequenzen sind in jedem Fall absehbar: Schlechte Beispiele machen Schule . Wer Regeln einhält, ist der
oder die Dumme, und schlussendlich wächst das Risiko
für alle. Freiwillige Selbstverpflichtungen mögen gut
gemeint sein, sie sind jedoch ein Feigenblatt, und die
schwarzen Schafe ignorieren Menschenrechtsverletzungen ungeniert weiter . Darum hoffe ich, dass wir uns auf
verpflichtende Leitlinien verständigen.
({4})
Wenn Sie für fairen Wettbewerb und faire Produktionsbedingungen sind, dann setzen Sie sich für verbindliche Richtlinien ein - für die gesamte Industrie in
Deutschland und Europa .
Übrigens muss das Rad beim verantwortlichen Umgang mit Rohstoffen nicht neu erfunden werden . Die
OECD hat die entsprechenden Leitlinien längst verabschiedet, und in den USA ist die Dokumentation für
bestimmte Rohstoffe längst Pflicht. Namhafte Hersteller
von Mikroprozessoren und Elektronikkonzerne in den
USA haben mit der Offenlegung ihrer Lieferketten und
der Verbesserung der Standards begonnen .
Aus diesen Erfahrungen und Untersuchungen der
EU-Kommission ist bekannt, dass die Kosten dafür,
der Sorgfaltspflicht nachzukommen, überschaubar sind.
Selbst für kleine und mittlere Unternehmen wird nur mit
einem Aufwand in Höhe von ungefähr 0,01 Prozent des
jeweiligen Jahresumsatzes gerechnet . Mit diesem geringen Aufwand könnten wir gemeinsam dafür sorgen, dass
die Arbeits- und Lebensbedingungen in den rohstoffreichen Ländern ein wenig verbessert werden . Lassen Sie
uns heute damit beginnen .
({5})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
Dr . Herlind Gundelach das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, uns allen in
diesem Hohen Hause ist daran gelegen, die Finanzierung
von bewaffneten Auseinandersetzungen in Konfliktgebieten durch die Erlöse aus dem Verkauf von sogenannten Konfliktrohstoffen zu unterbinden. Hierbei handelt
es sich auch um eine internationale Aufgabe, für die wir
aber aktuell zumindest erst einmal eine europäische Regelung anstreben .
Das Thema ist brisant und auch sehr komplex . Genau
das fordert von uns, sehr sorgfältig mit diesem Thema
umzugehen; denn nicht durchdachte Schnellschüsse sollten wir vermeiden . Auch sollten wir Gleiches gleich und
Ungleiches ungleich behandeln; denn eine Generallösung für alle Sachverhalte kommt aus unserer Sicht nicht
in Betracht . Wir brauchen sinnvolle, praktikable, wirkungsvolle und vor allem auch nachhaltige Regelungen .
Diese Herangehensweise vermisse ich bei dem uns
vorliegenden Antrag der Grünen und der Linken . Das ist
schade; denn es handelt sich wirklich um ein drängendes
Problem .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
den Linken, Sie fordern beispielsweise, dass wir die Definition von Konflikt- und Hochrisikogebieten erweitern,
nämlich auf „Gebiete, die sich nach Konflikten in einer
fragilen Situation befinden“, und auf Gebiete, in denen
die „Staatsführung … schwach …“ ist . Da frage ich
mich, wer eigentlich entscheidet, ob die Staatsführung
stark oder schwach ist .
Selbstverständlich fordern Sie ein verbindliches Zertifizierungssystem für die gesamte Lieferkette, also für
die Upstream- und die Downstream-Industrie, und eine
Offenlegungspflicht, die mit einer Liste verantwortungsvoller Akteure einhergeht .
({0})
In einem nächsten Schritt würden Sie außerdem die
Liste der möglichen Konfliktrohstoffe gerne noch erweitern . Sie nennen dabei Chrom, Steinkohle, Kupfer, Kobalt, Seltene Erden und anderes .
({1})
Damit stellen Sie Importeure und Exporteure nach unserer Auffassung unter Generalverdacht und grundsätzlich
in eine Schmuddelecke .
({2})
Damit ist nun wirklich niemandem geholfen .
({3})
Ich denke, wir sind uns einig: Wir brauchen Rohstoffe,
aber sie müssen auf einem verantwortungsvollen Weg zu
uns kommen . Ziel der vorgesehenen Verordnung ist es
daher, die Querfinanzierung von Rebellengruppen und
Konflikten bei der Rohstoffgewinnung zu unterbinden.
Die Europäische Kommission hat dazu den Vorschlag
für ein freiwilliges Selbstzertifizierungssystem für europäische Importeure von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold
als verantwortungsvolle Einführer vorgelegt . Dieser
Vorschlag sieht Sorgfaltspflichten in der Lieferkette vor,
die bei der Einfuhr der genannten Materialien einzuhalten sind . Die Europäische Kommission hat damit ganz
bewusst einen anderen Weg eingeschlagen als die USA .
Nach dem dort geltenden Dodd-Frank Act müssen Unternehmen, die an der US-Börse notiert sind, angeben,
ob Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold in ihren Produkten
enthalten ist, welches aus der Konfliktregion der Demokratischen Republik Kongo oder ihren Nachbarstaaten
kommt .
Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass diese
Bestimmungen fast einem Embargo gleichkommen, da
sich die Lieferketten zum Teil gar nicht nachvollziehen
lassen, und das, obwohl auch klar ist, dass nicht das gesamte Gebiet der Demokratischen Republik Kongo als
Konflikt region eingestuft werden müsste. Aber eine genaue Abgrenzung gestaltet sich in der Praxis eben außerordentlich schwierig . Deswegen haben sich weder die
Kommission noch der federführende Ausschuss für internationalen Handel des Europäischen Parlaments noch
das Europäische Parlament in toto für eine abschließende
Liste der Konflikt- und Hochrisikogebiete ausgesprochen . Eine Länderliste wird von allen kategorisch abgelehnt .
Leider - auch das muss man wissen - hat der
Dodd-Frank Act auch zur Folge, dass aufgrund der rückläufigen Präsenz von amerikanischen und europäischen
Betrieben in der Demokratischen Republik Kongo ein
größeres Engagement von Firmen zu beobachten ist, die
die Empfehlungen der OECD zu Sozialstandards beim
Abbau von Rohstoffen nicht beachten . Deswegen ist es
einfach falsch, Länder, Regionen, Importeure oder ExInge Höger
porteure unter Generalverdacht zu stellen; denn es führt
am Ende eher zu einer Verschlechterung der Situation vor
Ort und nicht zu der von uns allen gewünschten Verbesserung . So haben übrigens allein in der Region Katanga
in den letzten Jahren rund 400 000 Menschen aufgrund
des undifferenzierten Vorgehens nach dem Dodd-Frank
Act ihren Arbeitsplatz verloren . Das kann ja wohl nicht
der Sinn unseres Handelns sein .
Im Februar soll nun das Trilogverfahren für die
EU-Verordnung begonnen werden . Nach mehreren Monaten der Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten
wurde zuletzt ein Kompromissvorschlag vorgelegt, der
wiederum eine freiwillige Regelung vorsieht . Damit werden die Verhandlungen starten . Wir als CDU/CSU - das
betone ich ganz bewusst - möchten uns an einem Kompromissvorschlag konstruktiv beteiligen . Das Thema ist
komplex . Wir wollen eine Lösung, die den Interessen der
Zivilgesellschaft und der Wirtschaft gerecht wird . Die
Positionen der Mitgliedstaaten sind dabei noch unterschiedlich; das hat auch der Kollege Barthel schon betont . Aber es gibt eine eindeutige Tendenz in Richtung
des ursprünglichen Vorschlags der Kommission .
Auch wir sprechen uns für eine Lösung aus, die auf
dem Vorschlag der Kommission und den bestehenden
freiwilligen Initiativen europäischer Unternehmen aufbaut . Dabei stützen wir uns ausdrücklich auf die im Koalitionsvertrag niedergelegte Vereinbarung, „freiwillige
Zertifizierungssysteme“ für den Import von Rohstoffen
zu etablieren; denn viele Firmen sind sich ihrer verantwortlichen Position innerhalb der Wertschöpfungskette
sehr bewusst und setzen seit Jahren auf diese freiwilligen
Initiativen . Zahlreiche Berichte, unter anderem von der
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, belegen, dass das sehr gut funktioniert . Deshalb sollten wir
mit unserer Regelung auf diesen bereits bestehenden Unternehmensinitiativen und anderen Systemen aufbauen .
In diesem Kontext könnte ich mir übrigens eine offene Liste vorstellen, die diejenigen Firmen auflistet, die
sich einer solchen freiwilligen Zertifizierung unterworfen haben . Dann hat jedes Unternehmen, das die in Rede
stehenden Rohstoffe verarbeiten will, die Möglichkeit,
hierauf zurückzugreifen und sich damit in die Kette der
verantwortungsvollen Nutzer einzureihen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Trilogverfahren dient gerade dazu, einen Kompromiss zwischen den
unterschiedlichen Vorstellungen von Kommission, Parlament und Rat zu finden. Die zentrale Frage dabei ist: Halten wir an dem System der Freiwilligkeit fest, oder machen wir den gesamten Prozess verpflichtend, und zwar
sowohl im Upstream- als auch im Downstream-Bereich?
Hier möchte ich an das anknüpfen, was der Kollege
Barthel gesagt hat: Die Einschränkung im Jahreswirtschaftsbericht, was in diesem Kontext das Thema Bürokratie betrifft, bei dem es auch darum geht, was auf
diesem Gebiet überhaupt leistbar ist, ist durchaus zu
beachten . Fast alle Handelnden, die in diesem Bereich
unterwegs sind, sagen, dass ein effizienter und umfassender Nachweis im Downstream-Bereich nahezu nicht zu
führen ist, vor allen Dingen, wenn es sich dabei um die
ganze Sekundärrohstoffkette handelt . Da ist ein lückenloser Nachweis schlicht nicht möglich .
Diesen Weg hat auch der federführende Ausschuss des
Europäischen Parlaments vorgeschlagen . Genau das ist
auch eine der Schwachstellen des Dodd-Frank Acts . Deswegen gibt es dort zwar formal einen Nachweis . Aber in
der Regel beruht er darauf, dass man auf einer Liste einen
Haken macht, ohne dabei Nachweise zu liefern . Deswegen denke ich, dass wir auf diesem Gebiet so fortfahren
sollten .
Wir könnten uns im Upstream-Bereich, wo man das
relativ gut nachkontrollieren kann, durchaus eine verpflichtende Regelung vorstellen. Ich glaube, das ist auch,
was die Konfliktregionen angeht, das Wesentlichere.
Aber im Downstream-Bereich sollten wir eine praktikable Lösung finden, die sozial und auch tatsächlich umsetzbar ist .
Insgesamt - ich glaube, darin sind wir uns einig - gehen wir mit dem Verordnungsentwurf in Europa einen
neuen Weg mit zum Teil noch unbekannten Größen . Deswegen schlage ich noch zusätzlich vor, vielleicht nach
drei bis fünf Jahren eine Evaluierung des Ganzen vorzunehmen, um dann gegebenenfalls in der Praxis aufgetretene Schwierigkeiten der Regelung sachgerecht beseitigen zu können .
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken, mein Fazit zu Ihrem Antrag lautet:
Der Antrag ist weder in der Sache hilfreich, noch ist er
praktikabel, und er würde zu mehr statt zu weniger Problemen für die Menschen in den betroffenen Regionen
führen . Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Uwe
Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema Konfliktmineralien bleibt ein heißes Eisen
für die Menschen in den Entwicklungsländern, aber auch
in der Koalition, wie die unterschiedliche Darstellung
der Thematik durch Herrn Kollegen Barthel oder Frau
Gundelach eben ganz klar zeigt .
Minister Gabriel wollte ganz lange auf europäischer
Ebene einfach dem Ratsvorschlag folgen, nirgendwo anecken und sich einfach durchlavieren . Dann kam unser
Antrag . Wir haben auch sehr intensiv mit den Entwicklungspolitikern der SPD gesprochen, die jetzt sehr spärlich vertreten sind - das macht aber nichts -,
({0})
und dann hat man offensichtlich mit Minister Gabriel
gesprochen, der jetzt auch in Brüssel eine etwas andere
Position vertritt .
({1})
- Das ist vielleicht auch eine berechtigte Zwischenfrage .
Die Bundesregierung unterstützt nun weiter den Kommissionsvorschlag, wie Herr Barthel richtig formuliert
hat, der auf Freiwilligkeit basiert, mit dem kleinen Zusatz: Sofern die Verhältnismäßigkeit gegeben ist, wären
verbindliche Standards gar nicht so schlecht .
Ich frage mich: Was ist verhältnismäßig? Wer definiert diese Verhältnismäßigkeit? Wir müssen uns doch
darüber klar sein: Um eine wirkliche Chance für Mindeststandards in den Abbaugebieten und auch im Handel
zu erhalten, müssen wir Verbindlichkeit einführen . Eine
freiwillige Verbindlichkeit hilft dort in keiner Weise weiter .
({2})
Verbindlichkeit würde keinem Unternehmen, außer den
kriminellen, die Handlungsoptionen entziehen . Es wird
auch kein Passepartout - das haben Sie richtig formuliert - für alle Firmen geben .
Nebenbei gesagt: Die OECD hat 2014 die Rohstoffindustrie zum bestechungsanfälligsten Wirtschaftszweig
überhaupt erklärt . In keinem Wirtschaftszweig gibt es
so viel kriminelle Energie wie in der Rohstoffindustrie.
Wenn man mir dann erklärt, dass man hier mit Freiwilligkeit einer Klärung näherkommen kann, dann sage ich:
Das ist unrealistisch . Freiwilligkeit - das zeigt uns die
Geschichte - führt hier zu nichts .
Der Trilog - das haben Sie richtig gesagt - beginnt
nächste Woche . Der Vorschlag des Rates basiert auf Freiwilligkeit . Da können Sie noch so schön daherreden:
Es ist freiwillig . Damit fällt dieser Vorschlag hinter die
OECD-Standards, die UN-Leitprinzipien, die US-Gesetzgebung und - was am erstaunlichsten ist; man kann
es kaum glauben - auch hinter die chinesische Rohstoffpolitik zurück . Das ist schlicht hochnotpeinlich .
({3})
Es gibt noch zwei Aspekte, die ich nennen möchte .
Wir sind aus Gründen der Fairness dazu verpflichtet, alles zu tun, damit alle Unternehmen gleiche Bedingungen
haben . Es gibt nämlich Unternehmen, die verbindliche
Standards wollen . Solange Mindeststandards durch freiwillige Regelungen leicht und locker unterlaufen werden
können, tragen wir zur Marktverzerrung bei . Wir stützen
verantwortungslose Unternehmen, und wir festigen prekäre Verhältnisse vor Ort .
Der zweite Punkt . Wir reden immer von Fluchtursachen . Es ist verdammt leicht, dieses Thema der Entwicklungspolitik zuzuschieben . Aber ich kann Ihnen als
leidenschaftlicher Entwicklungspolitiker versichern: Die
Entwicklungspolitik kann das nicht leisten . Sie kann es
schon zweimal nicht leisten, wenn internationale Strukturen entwicklungspolitische Ansätze konterkarieren .
({4})
Menschen verlassen ihr Land, wenn sie keine Sicherheit haben, wenn soziales Elend und Perspektivlosigkeit
dominieren und wenn die Bedingungen ihre Kinder in
kriminelle Gruppen zwingen . Unsere Antwort muss klar
und deutlich sein: Fangen wir an, Fluchtursachen durch
kohärente und konsequente Politik, also mit verbindlichen Standards, zu bekämpfen .
({5})
Das wäre doch einmal eine tolle Idee für die CSU .
Dann könnten Sie nämlich darauf verzichten, Flüchtlinge
zu bekämpfen . Der Kampf gegen Fluchtursachen würde
reichen, wäre effektiver und sinnvoller .
({6})
Franz Josef Strauß erklärt uns auch, warum das nicht
stattfindet. Er sagt nämlich: Diesen Leuten fehlt es einfach an christlich-sozialen Werten der abendländischen
Kultur . - Darüber sollten Sie einmal nachdenken .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Letzter Redner in dieser Debatte ist der
Kollege Dr . Sascha Raabe, SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Viele von Ihnen haben sich heute mit
roter Farbe an den Händen sozusagen verschönert, um
an den Red Hand Day, der am 12. Februar stattfindet,
zu erinnern . Dieser internationale Gedenktag weist darauf hin, dass es 250 000 Kinder auf der Welt gibt, die
jährlich als Soldaten missbraucht werden und ihr Leben
aufs Spiel setzen . Selbst wenn sie überleben, werden sie
ein Leben lang traumatisiert sein . Deswegen ist es gut
und richtig, dass wir heute darüber debattieren, wie wir
als Konsumenten und Verbraucher in Deutschland und
Europa dazu beitragen können, dass in unseren Smartphones oder anderen Geräten keine Rohstoffe verarbeitet werden, bei deren Gewinnung Kinder als Sklaven in
Minen gearbeitet haben, die dann von Rebellengruppen
missbraucht werden, um Krieg zu führen . Kinder sollen
spielen und nicht schießen .
({0})
Ich verstehe, dass zurzeit die Haltung der Bundesregierung sowohl den Kollegen Kekeritz von den Grünen
als auch die Kollegin von der Union vor SchwierigkeiUwe Kekeritz
ten stellt; denn unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
sagt in Europa und im Rat klar: Deutschland setzt sich für
eine verbindliche Regelung ein, um Konfliktmineralien
nur dann nach Europa einführen zu lassen, wenn sie nicht
aus Regionen stammen, in denen Schindluder mit dem
dadurch erwirtschafteten Geld getrieben wird und Kinder
als Soldaten missbraucht werden . - Das schmerzt natürlich, lieber Uwe, weil ihr Grünen in eurem Antrag so tut,
als hättet ihr einen Wandel in der Regierung erreicht .
({1})
Ich habe dir schon im letzten Jahr gesagt, als wir über
diesen Antrag beraten haben, dass dieser durch Regierungshandeln erledigt sein wird . Schon damals haben wir
gute Gespräche mit dem Wirtschaftsminister geführt . Wir
mussten nur noch die Union überzeugen; das wird vielleicht die Kollegin von der Union schmerzen . Deutschland setzt sich gemeinsam mit Schweden im Rat für verbindliche Regelungen ein .
Verhältnismäßig muss jedes Gesetz sein; das ist im
Prinzip nichts Besonderes . Da teile ich das, was der
Kollege Klaus Barthel gesagt hat: Natürlich ist jede Regelung, die dazu dient, Kinderleben zu schützen, und
verhindert, dass Kinder als Soldaten kämpfen müssen,
verhältnismäßig . Ich bin mir sicher, dass wir in Brüssel
einen guten Beitrag leisten und das unterstützen werden,
was das Europäische Parlament auf den Weg gebracht
hat . Wir als Sozialdemokraten stehen dazu . Die Bundesregierung mit dem federführenden Wirtschaftsminister
Sigmar Gabriel steht ebenfalls dazu . Deswegen sollten
Sie sich freuen, Herr Kekeritz .
({2})
Der Antrag Ihrer Fraktion ist im Kern durch Regierungshandeln erledigt . Deshalb werden wir ihn ablehnen .
Wir nehmen gerne Ihren Dank für die gute Haltung der
Bundesregierung entgegen .
Danke schön .
({3})
Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Herkunft von Konfliktrohstoffen konsequent offenlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6226,
den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/5107 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
vor den Gefahren des Konsums von elektronischen Zigaretten und elektronischen Shishas
Drucksachen 18/6858, 18/7205
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({0})
Drucksache 18/7394
Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auch Änderungen des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Caren Marks .
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kinder und Jugendliche brauchen
Freiräume . Sie müssen etwas ausprobieren und auch ihre
eigenen Erfahrungen machen . Aber dort, wo es nachweislich schädlich und auch gefährlich ist, muss es Verbote,
und zwar auch in Form von Gesetzen, geben . Dort, wo
Gefahren drohen, müssen Kinder und Jugendliche von
ihren Eltern, von der Gesellschaft und auch von der Politik geschützt werden . Verbote werden dann akzeptiert,
wenn sie gut begründet sind und konsequent umgesetzt
werden .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist gut,
dass wir heute mit diesem Gesetz die Abgabe von E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder und Jugendliche verbieten und nicht länger damit warten .
({0})
Nicht für Erwachsene - wie manche meinen -: Wer E-Zigaretten dampft, um zum Beispiel vom Rauchen wegzukommen, kann natürlich weiterdampfen . Im Wachstum,
also für Kinder und Jugendliche, sind diese Produkte
nachweislich ganz besonders gesundheitsschädlich . Auch
wenn sie nach Früchten oder Schokolade schmecken und
damit harmlos wirken: Sie sind nicht harmlos . Genau
deshalb verbieten wir die Abgabe an Kinder und Jugendliche, und zwar konsequent: im Handel, im Onlinehandel
und im Geschäft . Wir werden auch die Werbung dafür
auf Filme ab 18 beschränken . Der entsprechende Gesetzentwurf - federführend beim Bundesministerium für
Ernährung und Landwirtschaft - ist bereits bei der Europäischen Union zur Notifizierung.
Die Ausweitung der Verbote auf konventionelle Wasserpfeifen mit Steinen oder auch Kräutermischungen
werden wir angehen . Ich begrüße den entsprechenden
Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen und finde
es richtig, dass wir ohne Verzögerungen heute dieses Gesetz so verabschieden .
({1})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage aber
auch ganz deutlich Folgendes . Wir müssen im Jugendschutz konsequent bleiben: Verbote nur dann, wenn es
nachweislich schädlich und gefährlich ist . Jugendpolitik
ist nicht zuerst Verbotspolitik . Alles zu verbieten, wobei
Erwachsene ein schlechtes Gefühl haben, ist jugendpolitisch der falsche Weg .
({2})
Richtig und notwendig ist, das zu verbieten, was Kinder
und Jugendliche wirklich gefährdet . Wir brauchen klare Regeln im Jugendschutz, die gut begründet sind und
konsequent durchgesetzt werden . Mit dem Verbot der
Abgabe von E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder und
Jugendliche schließen wir eine Regelungslücke .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
mich bei allen bedanken, die hieran mitgewirkt haben auch dafür, dass wir mit einem Änderungsantrag die dreijährige Vollfinanzierung von Altenpflegeumschulungen
durch die Bundesagentur für Arbeit verlängern . Das ist
ein ganz anderes Thema, aber ich freue mich, dass wir
diese Gelegenheit nutzen . Unser Gesetz zum Schutz von
Kindern und Jugendlichen vor E-Zigaretten und E-Shishas ist der Omnibus, den wir brauchen, um diesen wirklich wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung in trockene Tücher zu bringen . Auch das ist wichtig .
({3})
Nochmals herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, auch im Sinne eines guten Jugendschutzes .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Frank
Tempel, Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! In der Drogen- und Suchtpolitik ist es unser
gemeinsames Anliegen, gesundheitliche Risiken zu minimieren und dadurch entsprechend auch die Zahl der Erkrankungen und vor allen Dingen der Todesfälle deutlich
zu reduzieren . Das gilt natürlich ganz besonders beim
Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen .
Insofern ist es erst einmal richtig, ein entsprechendes Gesetz auch für elektronische Zigaretten und elektronische
Shishas vorzulegen .
Bevor ich auf die Details des Gesetzentwurfes eingehe, möchte ich aber noch eine kleine Mahnung loswerden . Regulierung des Verkaufs dieser Produkte ist das
eine, wichtiger ist aber eine glaubhafte Aufklärung und
eine vor allen Dingen wirkungsvolle Präventionsarbeit .
({0})
Prävention heißt nicht zuletzt, zu schauen, warum und
wann Jugendliche überhaupt rauchen und wie wir ihnen
alternative Lebensweisen anbieten und vermitteln können . Das kommt in der ganzen Debatte deutlich zu kurz,
und die von uns angehörten Sachverständigen haben das
zum Teil zu Recht bemängelt . Verbote werden nun einmal gerade von Jugendlichen - das sollten wir gelernt haben - wenig akzeptiert und häufig infrage gestellt. Kinder
und Jugendliche müssen deshalb in die Präventionsarbeit
und Aufklärung verstärkt selbst einbezogen werden .
({1})
Dafür muss Aufklärung eben auch glaubhaft sein .
Wenn Sie weiter Tabakzigaretten, elektronische Zigaretten mit Nikotin und elektronische Zigaretten ohne
Nikotin in einen Topf werfen, nimmt Ihnen das einfach
keiner mehr ab, und Sie setzen sich dem Verdacht aus,
im Sinne der Tabakkonzerne elektronische Varianten
und Alternativen für die Tabakzigarette kleinhalten zu
wollen . Unglaubwürdige Pauschalisierungen - auch das
sollten wir gelernt haben - wirken in der Prävention sehr
oft kontraproduktiv, sie werden als ungerecht und als Bevormundung verstanden . Ich nehme einmal an, dass auch
Sie, meine Damen und Herren, entsprechende Briefe
zahlreicher Bürger in den letzten Tagen reichlich erhalten haben .
Bei E-Zigaretten entfallen ganz einfach die meisten
tabakbedingten Folgeschäden, und wenn es dann auch
noch eine E-Zigarette ohne Nikotin ist, dann gibt es einfach Unterschiede, die auch im Gesetzgebungsverfahren
benannt werden müssen . Ich denke, dass gerade das präventive Potenzial der E-Zigarette noch lange nicht ausreichend untersucht ist und es einer genaueren Betrachtung
bedarf . Nicht wenige Experten sehen beispielsweise die
E-Zigarette als risikoärmere Alternative für langjährige
Raucher . Auch das gehört in die Debatte hinein .
({2})
Es mag sein, dass Sie befürchten, dass E-Zigaretten
und E-Shishas nicht nur den Ausstieg aus dem Tabakkonsum fördern, sondern auch den Einstieg in das Rauchen,
gewissermaßen als Einstiegsdroge für die Tabakzigarette . Aber genau das wird in der Praxis selten beobachtet .
Es kommt nur selten vor, dass jemand sagt, die klassische
Zigarette sei ihm zu risikoreich, aber mit dem Rauchen
der elektronischen Zigarette fange er an . Das ist ein selten beobachteter Trend; auch das gehört in die Betrachtung hinein .
Natürlich hat der Konsum von E-Zigaretten und
E-Shishas gesundheitliche Risiken, gerade für Jugendliche . - Ich habe vier Minuten Redezeit, nicht nur zwei . Im Bereich des Tabakkonsums freuen wir uns seit Jahren
über einen Rückgang des Rauchens bei Jugendlichen .
Das hat natürlich etwas mit den Altersbeschränkungen
beim Verkauf dieser Produkte zu tun . Es macht keinen
Sinn, wenn der 16-Jährige keine Tabakzigaretten kaufen
darf, aber nikotinhaltige E-Zigaretten . Insofern ist der
Ansatz, auch hier eine Altersbeschränkung einzuführen,
unterstützenswert . Diesem Teil des Gesetzentwurfs würden wir auch zustimmen .
Genauso deutlich bekommen Sie unsere Unterstützung bei der Einschränkung von Werbungsmöglichkeiten . Niemand würde Geld für Werbung investieren, wenn
diese nicht einen deutlichen Anstieg des Konsums bewirken würde . Insofern fordert die Linke durchaus konsequente Werbeverbote für Tabakzigaretten, für E-Zigaretten, genauso aber auch für Alkohol und für Cannabis,
wenn es demnächst auch in Deutschland hierfür legale
Abgabeformen geben wird .
({3})
Wir können diese Genussmittel nun einmal nicht aus unserer Gesellschaft verbannen, aber gerade den gesundheitlichen Risiken und nicht allzu oft auch den tödlichen
Folgen können wir mit angemessener Regulierung, intensiver Aufklärung und Information entgegentreten .
Der Gesetzentwurf enthält durchaus richtige Maßnahmen, ist aber mit fehlerhaften Ansätzen zur Prävention
und einer unsachlichen Gleichsetzung von Tabak und
E-Zigaretten inkonsequent . Eine Zustimmung ist daher
leider nicht möglich .
({4})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Markus Koob .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte
ich sagen - dem entsprach ja auch der Diskussionsverlauf nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs -, dass
es wahrscheinlich selten einen Gesetzentwurf gab, der
so auf fraktionsübergreifende Zustimmung gestoßen ist .
Ich war schon etwas überrascht, als die Linke gestern im
Ausschuss ihre Kritik vorgebracht hat, die sie hier heute
erneuert hat . Natürlich haben Sie recht, dass es keinen
Sinn macht, dass wir mit Blick auf erwachsene Menschen E-Zigaretten in dieser Form regulieren . Aber heute
geht es nun einmal darum, dass wir den Jugendschutz
anpassen wollen .
({0})
Deshalb, so muss ich sagen, habe ich für Ihre Kritik an
dieser Stelle wirklich kein Verständnis .
({1})
- Ja, aber das kam in der Rede nicht wirklich rüber, Herr
Wunderlich .
({2})
Ich glaube, wir sind nach etwas mehr als einem Jahr
Beratungen, die auch dadurch notwendig geworden sind,
dass uns das Bundesverwaltungsgericht mit einem Urteil
gezwungen hat, zu erkennen, dass wir hier Handlungsbedarf haben, an einem Punkt, an dem wir sagen können: Wir schließen ein Gesetzesvorhaben ab . Ich glaube,
wir haben heute einen Tag, an dem wir sagen können,
dass der Jugendschutz gestärkt wird . Das ist eine positive
Nachricht und eine sehr gute Nachricht für die Kinder
und Jugendlichen in unserem Land .
({3})
Ich sage auch: Es war richtig, dass das Bundesverwaltungsgericht geurteilt hat, wie es geurteilt hat: dass
nikotinhaltige Liquids keine Arzneimittel im Sinne des
Arzneimittelgesetzes sind, denn sie werden eben nicht
als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von
Krankheiten vermarktet . Insofern war vorhersehbar,
dass wir hier ein solches Urteil dieses Gerichts erhalten
werden . Es ist auch in dieser Deutlichkeit angemessen .
Denn es geht hier um höchst gesundheitsgefährdende
Inhaltsstoffe, die als Arzneimittel zu deklarieren wären .
Wir sind dabei, gerade mit dem Jugendschutz Kinder und
Jugendliche vor Krankheiten zu schützen . Das gilt natürlich auch für den Bereich des Rauchens und Dampfens .
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf ist uns eine
gute und vor allem kurzfristige Antwort auf die entstandene Regelungslücke gelungen . Ich muss in dieser Rede
nicht noch einmal extra darauf hinweisen, dass wir es
mit Krankheiten zu tun haben, die sowohl vom Tabakkonsum als auch von E-Inhalationsprodukten ausgehen .
Dass diese Krankheiten umso gravierender verlaufen, je
früher mit dem Konsum der besagten Produkte begonnen
wird, ist rational leicht erschließbar .
Der von uns allen sehr geschätzte Helmut Schmidt
war nicht nur aufgrund seines hohen Alters und seines
Intellekts eine Rarität, sondern auch wegen seines hohen
Tabakkonsums . Den allermeisten Rauchern aber ist dieses Alter nicht vergönnt . Sie sterben wesentlich früher als
Helmut Schmidt an verschiedenen Krebsarten, Thrombosen oder Herzinfarkten .
Damit Kinder und Jugendliche längstmöglich vor diesem Konsum geschützt werden, ändern wir heute das Jugendschutzgesetz . Wir verbieten mit diesem Gesetz das
Angebot und die Abgabe von nikotinhaltigen E-Zigaretten und E-Shishas, aber auch die Abgabe von nikotinfreien E-Zigaretten und E-Shishas an Jugendliche off- und
online .
Wichtig ist vor allem die Berücksichtigung nikotinfreier E-Inhalationsprodukte in diesem Gesetzentwurf;
denn Nikotin ist nicht der gefährlichste Inhaltsstoff der
E-Zigaretten und der E-Shishas . Die Inhalation des Aerosols nikotinfreier Zigaretten entspricht der Inhalation
eines Chemiecocktails . Kurz zusammengefasst: Es befinden sich unter anderem Propylenglykol, Glyzerin, Diacetyl und Schwermetalle im Aerosol der nikotinfreien
E-Inhalationsprodukte . Zwar sind Propylenglykol und
Glyzerin in flüssiger bzw. fester Form nicht schädlich,
inhalativ aufgenommen haben sie allerdings erhebliche
Schäden der Lungen zur Folge, gerade in den noch nicht
voll ausgewachsenen Lungen von Kindern und Jugendlichen .
Zweifellos hätten wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits jetzt weiter gehende Regelungen für den
Gesundheitsschutz der Kinder und Jugendlichen in unserem Land gewünscht . Wir halten es für absolut geboten - nicht nur durch die eindeutigen Aussagen der Sachverständigen -, auch Dampfsteine, Kräutermischungen,
Pilze und Gele, die über konventionelle Wasserpfeifen
konsumiert werden, in das Jugendschutzgesetz aufzunehmen .
Konventionelle Wasserpfeifen funktionieren ähnlich
wie ihre elektronischen Schwestern . Es werden Dampfsteine, Kräutermischungen, Pilze und Gele verbrannt und
deren Schadstoffe, die denen der E-Shishas und E-Zigaretten ähneln, inhalativ aufgenommen . Zu ihnen gehören
unter anderem Kohlenmonoxid, Aldehyde, polyzyklische Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle . Wenn man
daran denkt, dass eine Wasserpfeifensitzung - auch das
haben uns die Sachverständigen gesagt - dem Rauch von
100 Zigaretten entspricht, bekommt man eine Vorstellung
von der Brisanz nikotinfreier Produkte für Wasserpfeifen
für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen .
Angesichts eines notwendigen EU-Notifizierungsverfahrens bei einer Änderung des Gesetzentwurfs des
Bundesfamilienministeriums standen wir vor der Wahl,
die Beschränkung der E-Zigaretten und E-Shishas um
weitere Monate hinauszuzögern oder aber die Beschränkung des Angebots und der Abgabe in einem zweiten Gesetzgebungsverfahren zu regeln . Es war eine schwierige
Abwägung, die unsere Fraktion vorgenommen hat, da
wir als CDU/CSU-Fraktion um die Gefahr, die vom Gebrauch herkömmlicher Wasserpfeifen ausgeht, wissen .
Mit der Entschließung, die wir im Ausschuss bereits verabschiedet haben, fordern die CDU/CSU- und
SPD-Vertreterinnen und -Vertreter, umgehend ein weiteres EU-Notifizierungsverfahren für einen Gesetzentwurf,
der das Angebot und die Abgabe von nikotinfreien Produkten wie Dampfsteinen, Kräutermischungen, Pilzen
und Gelen für die Nutzung konventioneller Wasserpfeifen für unter 18-Jährige regelt, einzuleiten . Aus meiner
Sicht ist die existierende Datenlage ausreichend, um im
Jugendschutzgesetz eine solche Reglementierung für
Kinder und Jugendliche vornehmen zu können .
({4})
Auch ein explizites Werbeverbot hinsichtlich E-Inhalationsprodukten bei Filmveranstaltungen befürworten
wir mit der bereits angesprochenen Entschließung .
Wir als Jugendpolitiker werden weiter kämpfen, bis
auch nikotinfreie Wasserpfeifenprodukte und das erwähnte Werbeverbot bei Filmveranstaltungen Aufnahme
im Jugendschutzgesetz gefunden haben und Kinder und
Jugendliche angemessen geschützt werden . Die umzusetzende Tabakproduktrichtlinie geht bereits in diese
Richtung .
Zigaretten, E-Inhalationsprodukte und konventionelle
Wasserpfeifen sind unabhängig vom jeweiligen Nikotingehalt Suchtmittel, die nicht in die Hände minderjähriger
Personen gehören . Nach dem heutigen Stand der Forschung hat Sucht sehr viel mit dem Angewöhnen und
dem Lernen von Ritualen zu tun . Durch explizit kinderfreundliche Aromen werden Kinder mit ihren Geschmäckern an die E-Zigaretten herangeführt . Ist der Einstieg
in die Sucht erst einmal bereitet und das Dampfverhalten
einstudiert, ist der zu gehende Weg in Richtung Tabakzigaretten kurz und ohne große Hürden . Der Weg wurde
dann bereits durch E-Inhalationsprodukte bereitet . Die
psychische Abhängigkeit ist dann dafür verantwortlich,
dass den Konsumenten der Ausstieg aus dem Rauchen
meist sehr schwer fällt .
Auch wenn E-Inhalationsprodukte für bereits suchterkrankte Raucherinnen und Raucher ein Ausstiegsmodell
sein können, besteht die Gefahr, dass sich dieses Ausstiegsmodell bei naturgemäß nicht zigarettenaffinen Kindern und Jugendlichen zu einem Einstiegsmodell in den
dauerhaften Tabak- oder E-Zigarettenkonsum entwickelt .
Dies gilt es mit aller Vehemenz zu verhindern . Auch dafür brauchen wir diese Jugendschutzgesetznovelle und
die sehr zeitnah erfolgende Erweiterung der Verbote um
Dampfsteine, Kräutermischungen, Pilze und Gele, die
über konventionelle Wasserpfeifen konsumiert werden .
Ich möchte meine Rede auch heute wieder, wie bereits das letzte Mal zu diesem Thema, dem Nichtraucheroder, wenn Sie so wollen, auch dem Nichtdampferschutz
widmen . Seit 2007 wurde in Deutschland auf diesem
Gebiet viel erreicht . Das Aufkommen der E-Zigaretten
und E-Shishas hat aber Maßnahmen zur Anpassung der
bestehenden Nichtraucherschutzgesetze notwendig gemacht . Ihrer Verantwortung, die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren des Rauchens und
Dampfens zu schützen, müssen explizit auch die Länder
nachkommen .
Diesen Appell richte ich ebenfalls an die Verantwortlichen für die Einhaltung der Nichtraucherschutzgesetze .
Gesetze helfen nicht, wenn sie nicht konsequent angewendet werden . Dies muss gerade bei E-Inhalationsprodukten und Wasserpfeifen noch konsequenter geschehen .
18 Prozent der E-Dampfer nutzen die E-Inhalationsprodukte laut einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung explizit, um in Nichtraucherbereichen
dampfen zu können . Das offenbart angesichts der Gesundheitsgefährdung, die von diesen Produkten für jeden Einzelnen ausgeht, Handlungsbedarf . Zwar hat jede
volljährige Person in Deutschland das Recht, zu dampfen
und zu rauchen - das ist Teil der individuellen Freiheit,
die ich sehr begrüße -; klar muss aber sein, dass meine
Freiheit als Dampfer und Raucher dort endet, wo durch
mein Verhalten die Freiheit meiner nichtrauchenden Mitmenschen eingeschränkt wird .
({5})
Rauchen kann töten, Dampfen sehr wahrscheinlich
auch . Es geht um Drogen, die die deutsche Gesellschaft durch Krankheit und Verringerung der Produktionsleistung jährlich Milliarden von Euro kosten . Allein
13,5 Prozent aller Todesfälle in Deutschland sind direkt
auf das Rauchen zurückzuführen . Im Vergleich dazu sind
nur 3,8 Prozent aller Todesfälle auf eine nicht natürliche
Todesursache wie eine Verletzung, einen Unfall oder eine
Vergiftung zurückzuführen . Die jährlichen direkten Kosten des Rauchens belaufen sich auf 25 Milliarden Euro .
Ein besonderes Thema, auf das ich vermehrt von Ärzten hingewiesen wurde und auf das ich hier aufmerksam
machen möchte, ist das Rauchen in der Schwangerschaft .
Das Rauchen in der Schwangerschaft ist bedauerlicherweise kein Randphänomen in unserer Gesellschaft . Jedes achte Kind zwischen null und sechs Jahren ist ein
Opfer dieser Körperverletzung geworden . Bereits ab
einer Zigarette erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von
Eileiterschwangerschaften, Frühgeburten, pränataler
Sterblichkeit, plötzlichen Kindstoden, verringerten Geburtsgewichten und -größen und vielem mehr . Wir als
Gesellschaft müssen gegensteuern und den künftigen
Eltern deutlich machen, dass es keine Lappalie ist, in
der Schwangerschaft zu rauchen . Zu dieser Aufklärung
gehört auch das Informieren darüber, dass vom Rauchen
in Autos für Kinder und Jugendliche eine sehr große Gesundheitsgefahr ausgeht, weil dort trotz offener Fenster
Kinder und Jugendliche einer sehr konzentrierten Schadstoffbelastung ausgesetzt sind .
({6})
Meiner Ansicht nach sollten Präventionsmaßnahmen
nicht immer gesetzlicher Natur, sondern vielmehr aufklärender Natur sein . Wir wollen keine schwer zu kontrollierenden gesetzlichen Regelungen wie in Großbritannien .
Wir wollen, dass alle Eltern auf die Gesundheit ihrer Kinder achtgeben - ob zu Hause oder im Auto -, und vertrauen darauf, dass sie es nach erfolgter Aufklärung auch tun .
Herr Kollege Koob, Sie denken an die Zeit?
Jawohl .
Sie haben ja schon so viel Redezeit .
Ja . - Ich komme zum Schluss . Ich freue mich - das ist
die zweite positive Nachricht in der heutigen Debatte -,
dass es uns in relativ kurzer Zeit gelungen ist, die für die
Gesundheit der Kinder und Jugendlichen so gefährliche
Gesetzeslücke zu schließen . Der Weg ist mit der Verabschiedung dieses Gesetzes noch nicht zu Ende, aber
er wurde von uns erfolgreich begonnen . Lassen Sie uns
weitergehen .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . Sie dürfen gleich noch einmal reden;
denn der Kollege Tempel hat um eine Kurzintervention
gebeten . Daher erteile ich Ihnen nachher noch einmal das
Wort . - Bitte schön .
Sehr geehrter Herr Koob, Sie haben sich nicht ausschließlich auf den Jugendschutz bezogen, aber ich
möchte trotzdem auf genau diesen zurückkommen . Es
gibt ja nicht nur die Äußerungen der Experten, die Sie
eingeladen haben, sondern auch andere . Wenn Sie ein
bisschen in meine Rede hineingehört haben, haben Sie
auch verstanden, dass ich unter anderem gesagt habe,
dass aus unserer Sicht eine Pauschalisierung und Gleichsetzung von Tabakzigarette, E-Zigarette mit Nikotin und
E-Zigarette ohne Nikotin unverhältnismäßig ist . Ich habe
auch gesagt, dass wir Altersbeschränkungen beim Verkauf von E-Zigaretten mit Nikotin zustimmen würden .
Das heißt nicht, dass wir die komplette Pauschalisierung,
alle diese Beschränkungen bei E-Zigaretten ohne Nikotin
gleichermaßen mittragen würden . Hier geht es nicht darum, dass wir den Jugendschutz nicht thematisiert haben,
sondern darum, dass tatsächlich ein inhaltlicher Dissens
besteht .
Herr Kollege Koob, bitte schön .
Vielen Dank . - Den Dissens sehe ich auch, aber ich
verstehe ihn nach wie vor nicht . Wir hatten in der Anhörung der Sachverständigen die Situation, dass das, was
wir als CDU/CSU und SPD jetzt zum Thema Dampfsteine und Wasserpfeifen fordern, nicht von allen Sachverständigen explizit gefordert worden ist . Es ist aber von
allen Sachverständigen explizit gesagt worden, dass in
diesem Bereich absoluter Handlungsbedarf besteht und
wir hier eine Gesetzeslücke haben . Noch einmal: Es
geht darum, dass wir hier für Jugendliche und Kinder
Regelungen vornehmen und eben nicht für Erwachsene .
Was diesen Punkt angeht, haben eigentlich alle Sachverständigen durch die Bank weg gesagt, dass dieses Gesetz sinnvoll und notwendig ist . Deshalb kann ich den
inhaltlichen Dissens an dieser Stelle nach wie vor nicht
nachvollziehen .
({0})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Dr . Harald Terpe das Wort .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jugendschutz hat
da seine Berechtigung, wo wir fürchten müssen, dass die
Schutzbefohlenen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt
sind, insbesondere dann, wenn sie gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind, die für sie vielleicht stärker sind
als für Erwachsene, weil das Gesundheitsrisiko entsprechend früher im Lebenszyklus einsetzt . Ich gehe auch so
weit, zu sagen, dass man, wenn ein solches Risiko nicht
explizit mit starken Argumenten nachweisbar ist, trotzdem im Jugendschutz Regelungen treffen kann, indem
man sagt: Weil das Risiko vielleicht besteht, muss man
gesetzliche Regelungen treffen .
Nun stellt sich die Frage: Ist dieses Gesetz an dieser
Stelle zielführend? Es ist schon gesagt worden, dass
es um den Konsum von elektronischen Zigaretten und
E-Shishas geht . Wenn man sich einmal umhört, fragt man
sich, ob es zielführend ist, weil damit verschleiert wird,
worum es eigentlich geht . Es geht gar nicht um die elektronische Zigarette als solche und um die E-Shisha als
solche, sondern um das, was damit verdampft und verraucht wird . Es wird Gott sei Dank in der Begründung
deutlich - das wissen wir auch alle -, dass es natürlich in
erster Linie um Nikotin geht .
Insbesondere in Deutschland war Nikotin als Liquid
in der Dosis nicht beschränkt wie jetzt nach der europäischen Richtlinie . Nicht nur für Erwachsene, sondern
besonders für Kinder besteht die Gefahr, dass Nikotin
nicht erst über den Genuss von Jahren und Jahrzehnten
irgendeine krankmachende Funktion hat, nämlich die
Abhängigkeit erzeugt, sondern direkt zum Tode führt .
Nikotin ist ein hochtoxischer Stoff und kann direkt zum
Tode führen . Insofern war natürlich klar, dass sich die
Diskussion zunächst am Nikotin entspann . Nun wird
durch eine Art Umweggesetzgebung - Gesetze, die den
Trigger oder den Vektor betreffen, der dieses Nikotin
oder andere Liquids als Dampf dem kindlichen oder dem
jugendlichen Körper aussetzt - vorgenommen . Insofern
kann man sagen: Natürlich erreicht man mit diesem Gesetz, indem man die Vektoren beschränkt, auch das Ziel .
Man kann nicht nach der Art vorgehen, indem man sagt:
Wir verhindern den Genuss des Eintopfs, indem wir die
Töpfe verbieten . - Aber wir gehen trotzdem mit, weil wir
damit tatsächlich Nikotinliquids und auch die möglicherweise krankmachenden Inhalate der Ausgangsprodukte
von Liquids regulieren .
Trotzdem muss man noch einmal darauf hinweisen,
dass die Datenlage wesentlich dünner ist als beim Tabakrauchen . Hier möchte ich dem Kollegen Koob von der
CDU noch einmal sagen: Es gibt seit Jahrzehnten Studien zum Tabakrauchen . Auch die Gesetzgebung zum
Schutz vor Passivrauchen, bei der ich sozusagen maßgeblich Treiber war, zielte darauf ab, dass Tausende von
Passivrauchern versterben, weil sie passivrauchen . Da
ist tatsächlich der Satz gerechtfertigt: Die Freiheit des
Einzelnen endet da, wo er in die Freiheit eines Dritten
eingreift . - Aber die Datenlage - das muss man schon sagen - für die Liquids ist bei weitem nicht so . Hier gibt es
keine Studienergebnisse . Deshalb würde ich schon verlangen, dass wir uns nach wie vor um Studienergebnisse
bemühen .
In dem Gesetzentwurf kommt das Thema der Verhaltensprävention viel zu kurz . Das Informieren der Konsumenten über Gefahren müssen wir ausbauen . Hier hat der
Kollege Tempel völlig recht .
Ich denke, in Ihrer Entschließung machen Sie wieder
etwas, was bereits bei der Richtlinie gemacht worden ist:
Sie gehen bei den Werbeverboten nicht weit genug .
({0})
Ich kann nicht verstehen, wieso man immer noch und
sogar im Zusammenhang mit Jugendschutz eine Beißhemmung für Werbeverbote hat . Das ist mir völlig unverständlich . Insofern ist dort der Ansatz zur Verhaltensprävention völlig unterbelichtet oder unterkomplex .
Vielen Dank . - Das war jetzt ein guter Schluss, Herr
Kollege .
Wir stimmen aber dem Gesetz zu, weil der Jugendschutz natürlich auch mit diesem Gesetz gestärkt wird .
({0})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Ursula Schulte,
SPD-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen
und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass Manuela Schwesig als zuständige Bundesministerin bei diesem Gesetzentwurf, den
wir heute hier beraten, richtig Gas gegeben hat; denn je
schneller das Gesetz kommt, desto schneller können wir
unsere Kinder und Jugendlichen schützen, und darum
geht es doch, liebe Kolleginnen und Kollegen .
E-Zigaretten und E-Shishas haben in Kinderhänden
nichts verloren;
({0})
denn der Konsum ist, wie wir mittlerweile wissen, gesundheitsschädlich, gerade in der Wachstumsphase . Ich
bin froh - das steht jetzt hier -, dass wir uns in diesem
Punkt in diesem Hause einig sind . Es ist sehr schade, dass
die Linken nicht mitmachen . Ehrlich gesagt, ich habe Ihren Einwurf auch nicht verstanden .
({1})
- Ja, das machen wir gleich . - Dass wir mit diesem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg sind, hat die öffentliche Anhörung am 11 . Januar doch deutlich gezeigt . Alle
Expertinnen und Experten haben das geplante Abgabeund Konsumverbot von E-Zigaretten und E-Shishas an
Kinder und Jugendliche ausdrücklich begrüßt .
({2})
Ich zitiere in diesem Zusammenhang Dr . Matthias
Brockstedt:
Bei einer umfassenden Gesundheitsfolgenabschätzung werden Kinder und Jugendliche eindeutig als
„Gewinner“ eines kompletten Vertriebs- und Verkaufsverbotes von E-Zigaretten und E-Shishas dastehen, …
Das ist eine klare und eindeutige Aussage, die meine
Fraktion und ich jedenfalls aus vollem Herzen teilen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({3})
Den erwachsenen Konsumenten, das sei Ihnen auch
noch einmal gesagt, Herr Tempel, die sich mit Hunderten
von Mails bei Ihnen und bei mir gemeldet haben, sage
ich klar und deutlich: Natürlich können Sie immer noch
frei entscheiden, ob Sie rauchen wollen oder nicht . Sie
können auch entscheiden, was Sie rauchen . Letzteres bezieht sich, gestatten Sie mir den Einwurf, allerdings auf
Tabak und E-Produkte . Ich stelle das hier klar, weil ich
im deutsch-niederländischen Grenzraum wohne, und da
raucht man schon gern einmal das eine oder andere, was
nicht so ganz mit dem Gesetz übereinstimmt .
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz leistet
nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Kinder- und Jugendschutz, sondern ebenso zum Gesundheits- und Verbraucherschutz, und den Verbraucherschutz werden wir
mit der Tabakproduktrichtlinie noch einmal verstärken .
Aber all das ist nur ein Anfang . Wir haben uns in einem
weiteren Schritt mit dem Abgabe- und Konsumverbot
von nikotinfreien Erzeugnissen an Kinder und Jugendliche zu beschäftigen, eben weil es den Verdacht gibt, dass
diese auch gesundheitsschädlich sind . Diese Dinge werden ja zum Beispiel durch konventionelle Wasserpfeifen
inhaliert . Ich denke da an Kräutermischungen, Zuckererzeugnisse und die sogenannten Dampfsteine . Gerade
die konventionellen Wasserpfeifen und die Dampfsteine
werden zunehmend beworben, und der Fantasie und dem
Erfindungsgeist der Raucherindustrie scheinen dabei keine Grenzen gesetzt zu werden .
({5})
Daher müssen wir nicht nur über ein Abgabeverbot nachdenken, sondern auch über ein Werbeverbot, und genau
das tun wir, und das werden wir auch auf den Weg bringen .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stehe an der Seite des Verbandes der deutschen Kinderärzte, wenn dieser
fordert, das Rauchen im Auto zu unterlassen, wenn Kinder anwesend sind . Die Feinstaubbelastung steigt dort
um ein Vielfaches, da nützt es auch nichts, wenn man das
Fenster öffnet . Es muss Konsens in diesem Land werden,
dass im Auto nicht geraucht wird, wenn Kinder an Bord
sind . Am besten, man raucht überhaupt nicht in der Nähe
von Kindern, das ist dann gelebte Prävention .
({7})
Als Berichterstatterin habe ich mich natürlich auch
in verschiedenen Dampferforen umgesehen . Es gab dort
eine vehemente Kritik an diesem Gesetzentwurf und an
unserer politischen Diskussion, vor allem aber auch an
unserer Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig .
Ich bin froh, dass wir alle dem Druck nicht nachgegeben
haben, und ich danke Manuela Schwesig noch einmal
ausdrücklich für ihren Einsatz im Sinne des Kinder- und
Jugendschutzes .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank .
Die Aussprache ist damit beendet, und wir kommen
zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den Gefahren des Konsums
von elektronischen Zigaretten und elektronischen Shishas . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7394, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6858 und
18/7205 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer ist
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7394 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen und der Linken angenommen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
Lazar, Özcan Mutlu, Dr . Konstantin von Notz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und
Fankultur - Bürgerrechte schützen, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv
bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken
Drucksache 18/6232
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({0})
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Herbst 2014 randalierten circa 5 000 Hooligans unter
dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ in der Kölner
Innenstadt . Die rechtsextreme Band Kategorie C trat auf;
die rechte Rockerszene und auch einschlägige Neonazis
waren vertreten . Im Nachhinein stellte sich heraus, wie
überfordert die Sicherheitsbehörden im Vorfeld bei der
Einschätzung des Gefahrenpotenzials dieser Veranstaltung gewesen waren . Die Teilnehmerzahl wurde unterschätzt, und viele wunderten sich, wie kurz der Draht
zwischen rechten Hools, Neonazis und rechten Rockern
war . Und tatsächlich: Der Mobilisierungsgrad innerhalb
der rechten Szene hat auch Kenner der Zivilgesellschaft
überrascht .
Danach wurde es vermeintlich ruhiger um HoGeSa .
Auch die Nachfolgeorganisation zerlegte sich schnell .
Trotzdem versuchen seit einigen Jahren rechtsextreme
Alt-Hools, in die Stadien zurückzudrängen und den oft
antirassistisch eingestellten Ultragruppierungen den
Platz streitig zu machen .
Aber auch außerhalb der Stadien tut sich etwas . Erst
vor kurzem haben wir in meiner Heimatstadt Leipzig
das Gewaltpotenzial der rechten Hooligan-Szene ganz
konkret zu spüren bekommen: Am 11. Januar überfielen
250 vermummte Nazi-Hooligans den alternativen Stadtteil Connewitz und verwüsteten einen Straßenzug . Viele
davon kamen aus dem Umfeld des Halleschen FC und
von Lok Leipzig . Aber auch am letzten Samstag überfielen vermeintliche Anhänger von Dynamo Dresden im
Anschluss an das Spiel Menschen mit Migrationshintergrund am Dresdner Hauptbahnhof . Diese aktuellen Beispiele aus Sachsen zeigen: Auch wenn HoGeSa kaum
noch eine Rolle spielt, wüten rechte Hooligans weiter .
Hier muss Politik reagieren .
({0})
Was haben Innenministerien und Polizeibehörden sich
nicht alles ausgedacht, um Gewalt im Fußball einzudämmen! So wird in einigen Fällen das niederländische
Modell praktiziert . Dabei sollen alle Auswärtsfans ihre
Eintrittskarten erst nach der Anreise ausgehändigt bekommen . Allerdings ist die Voraussetzung, dass man sich
verpflichtet, zum Beispiel mit Sonderbussen anzureisen,
nachdem man sich registriert hat .
Kaum eine Innenministerkonferenz vergeht, in der das
Thema „Sicherheit im Fußball“ nicht thematisiert wird .
Aber das Problem liegt woanders . Es braucht bei der
Bekämpfung des Rechtsextremismus im Sport wie auch
in anderen gesellschaftlichen Bereichen einen Präventionsansatz . Wir haben in unserem Antrag nicht umsonst
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Fanrechte gegenübergestellt . Denn die Fankultur im Fußball ist
vielfältig und gesellschaftlich relevant . Gerade die Ultras
sind Bestandteil dessen, was den Reiz des Fußballs ausmacht . Wer das kaputtmacht, indem er dafür sorgt, dass
Menschen nur noch unter Preisgabe ihrer Daten und unter Zwang zur Nutzung einer bestimmten Anreiseart zum
Stadion kommen, schneidet sich langfristig ins eigene
Fleisch . Denn so schafft man es, jede Emotion aus dem
Spiel zu nehmen, und Fans werden, bloß weil sie Anhängerinnen und Anhänger eines Vereins sind, als Krawallmacher stigmatisiert .
Trotz der positiven Entwicklung in den letzten Jahren
sind Rassismus und Rechtsextremismus im Sport weiterhin ein Problem . Um die Zivilgesellschaft auch im
Sport zu unterstützten, schlagen wir deshalb ein sportbezogenes Bundesprogramm vor . Im Bundesprogramm
„Zusammenhalt durch Teilhabe“ gibt es zwar positive
Beispiele zu dem Thema, nach Gesprächen mit Initiativen, die das jeden Tag aufs Neue erleben, ist uns aber klar
geworden: Es braucht einen gesonderten Sportbezug in
einem Programm, um das Problem wirklich zu lösen . Die
Details sind in unserem Antrag nachzulesen .
Kurz zusammengefasst: Der Schutz vor Diskriminierung und Rassismus im Sport ist zu stärken . Gleichzeitig
ist daran zu erinnern: Vergessen wir die Bürgerrechte von
Fußballfans nicht .
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Stephan Mayer,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit Verlaub: Das Beste an dem vorliegenden Antrag der Grünen „Für eine
weltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur“ ist die
Überschrift .
({0})
Darüber hinaus kann man wirklich nur sagen, meine liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Der Antrag ist mit heißer Nadel gestrickt,
({1})
und er ist leider über weite Strecken sehr unsubstanziiert
und einfach nur als dünne Suppe zu bezeichnen .
({2})
Sie bringen Dinge miteinander in Bezug, die nichts
miteinander zu tun haben . Ich kann insbesondere Ihrer
Forderung nach einem einheitlichen Bundesprogramm
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
gegen Rechtsextremismus im Sport nichts abgewinnen .
Ich sage das ganz bewusst nicht, weil ich den Rechtsextremismus im Sport verniedliche . Ganz im Gegenteil:
Jede Gewalttat, jede Straftat, die rechtsextremistisch motiviert ist, ist nicht nur unappetitlich, sie ist verabscheuungswürdig und in höchstem Maße verwerflich. Aber mit
Ihrem einheitlichen Bundesprogramm hängen Sie der
Idee nach: Man muss nur ein großes Programm auf die
Beine stellen, und damit ist man aller Probleme verlustig .
Das Gegenteil ist der Fall .
Schauen Sie sich den „Jahresbericht Fußball“ der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze genau an . Über
die letzten Jahre hinweg lag der Anteil rechts-, aber auch
linksextremistisch motivierter Straftaten bezogen auf alle
Straftaten deutlich unter 5 Prozent . Ich sage noch einmal ganz bewusst: Ich verniedliche nichts . Wie gesagt:
Jede rechts- oder linksextremistisch motivierte Straftat
im Sport ist eine zu viel, und sie muss nachdrücklich
verfolgt werden . Ich bin nur der festen Überzeugung, es
wäre falsch, der Idee anzuhängen, dass man mit einem
großen Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus im
Sport auf einen Schlag sämtliche Probleme löst . Das Gegenteil ist der Fall .
({3})
- Lieber Herr Kollege Mutlu, ich werde Ihnen jetzt darstellen, was schon alles erfolgreich umgesetzt wurde .
Es gibt die Plattform „Verein({4}) gegen Rechtsextremismus“, die unter anderem vom Bundesinnenministerium als Träger gefördert wird,
({5})
auf der sich unterschiedliche Organisationen, Vereinigungen oder Verbände, die sich im Kampf gegen Rechtsextremismus im Sport engagieren, austauschen bzw . miteinander in Beziehung gesetzt werden .
Ich möchte auch deutlich betonen, dass wir als Bundeshaushaltsgesetzgeber unsere Hausaufgaben gemacht
haben, indem wir das Programm „Integration durch
Sport“ deutlich aufgewertet haben: von 5,4 Millionen
Euro im Jahr 2015 auf 11 Millionen Euro in diesem Jahr .
Wir haben hier aus meiner Sicht ein klares Signal gesetzt .
Ich gebe Ihnen auch den guten Rat: Sehen Sie sich die
Handreichung „Wir wollen eigentlich nur Sport machen“
an, die vom Bundesinnenministerium gefördert wird . Das
ist ein Beispiel dafür, wie man abseits von großen Bundesprogrammen ganz zielgerichtet und praxistauglich
Vereine und Verbände bei ihrer Präventionsarbeit vor Ort
unterstützen kann . Darin sind praktische Beispiele enthalten, leicht verständlich und anschaulich geschildert .
Das ist aus meiner Sicht die beste und eine sinnstiftende
Präventionsarbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus .
({6})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, ich kann in keiner Weise Ihre Kritik an der Datei
„Gewalttäter Sport“ nachvollziehen . Ich sage das auch
als Innenpolitiker: Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist aus
meiner Sicht sogar ein herausragendes Beispiel für gute
Kooperation der Sicherheitsbehörden des Bundes mit denen der Länder . Sie gibt es schon lange, und sie hat sich
aus meiner Sicht auch in vollem Umfang bewährt sowohl
im Bereich der Gefahrenabwehr, also wenn es um die
Verhinderung von Gewaltexzessen im und rund um den
Sport geht, als auch, wenn es darum geht, Straftaten, die
sich im Umfeld von sportlichen Großereignissen ereignet
haben, aufzuklären .
Ich bitte auch zur Kenntnis zu nehmen, dass es den Beschluss einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 20 . Oktober 2014 gibt . Diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat
sich zur Aufgabe gemacht, die Datei „Gewalttäter Sport“
zu evaluieren, zu überprüfen, um herauszufinden, was zu
verbessern ist, und um die Transparenz, die Praktikabilität zu erhöhen . Ich kann Sie nur auffordern: Lassen Sie
uns doch erst einmal abwarten, was die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zutage fördert, bevor wir sehr schnell mit
Konsequenzen und Forderungen nach außen treten, die
aus meiner Sicht wie gesagt nicht ausgegoren und auch
nicht substanziiert sind .
Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Koordinierungsstelle Fanprojekte natürlich Sinn macht, es aber
nicht allein Aufgabe des Staates, des Bundes ist, diese
Fanprojekte mit Steuergeldern zu unterstützen . Ich sehe
hier gerade den Deutschen Fußballbund als größte Sportfachorganisation der Welt in der Verantwortung, für zusätzliche Stellen zu sorgen .
({7})
Der ständige Ruf nach dem Staat spricht aus meiner Sicht
für eine verfehlte Politik . Wir sprechen doch immer so
gerne von der Autonomie des Sports . In diesem Zusammenhang ist der Sport konkret gefordert, insbesondere in
Form des Deutschen Fußballbundes .
({8})
Der Bund unterstützt die Koordinierungsstelle Fanprojekte . Wir geben auch in diesem Jahr wieder einen Zuschuss von über 250 000 Euro . Wir stehlen uns also nicht
aus der Verantwortung, ganz im Gegenteil .
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
möchte Ihnen gar nicht den guten Willen absprechen das sage ich hier ganz bewusst und sehr ernsthaft zum
Abschluss -; aber ein derartiger Antrag, in den alles
Mögliche integriert wird, auch Punkte, die überhaupt
nichts damit zu tun haben, dient der Sache nicht . Dabei sind wir uns in der Sache ja einig: Es geht darum,
Rechts extremismus in jeder Hinsicht, aber insbesondere
im Sport nachdrücklich zu bekämpfen . In diesem Sinne
kann man Ihrem Antrag nur eine klare Ablehnung erteilen .
Vielen Dank .
({9})
Stephan Mayer ({10})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Dr . André Hahn .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern
war der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus . Wir haben hier im Bundestag eine bewegende Rede
der 84-jährigen Holocaust-Überlebenden Ruth Klüger
gehört . Aber es gab auch weitere Aktivitäten, zum Beispiel den Aufruf der Initiative „!Nie wieder“ . Durch vielfältige Aktionen rund um den 27 . Januar im deutschen
Profi- und Amateurfußball - einheitliche Sprecherdurchsagen oder antirassistische Choreografien - soll in den
Stadien ein Zeichen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus im Sport gesetzt werden . Ich
finde, solche Aktivitäten verdienen unser aller Unterstützung . Herr Kollege Mayer, das ist keine dünne Suppe,
sondern ein wirklich wichtiges Thema .
({0})
Was haben die Initiative „!Nie wieder“ und Ruth
Klüger gemeinsam? Beide schlagen die Brücke von den
Verbrechen des faschistischen Deutschlands zur aktuellen Situation in unserem Land, in Europa und weltweit . Heute wie damals brauchen Flüchtlinge sowie
Asyl suchende unseren Schutz und unsere aktive Hilfe .
Gleichzeitig müssen die Fluchtursachen, Krieg, Hunger
und nicht zuletzt die zunehmende Schere zwischen Arm
und Reich, endlich wirksam bekämpft werden . Was das
alles mit dem Sport zu tun hat? Die Linke hat hier eine
klare Position: Sport ist keine Spielwiese für Rechtsextremisten und Gewalttäter und auch nicht für Ausländerfeindlichkeit und Rassismus .
({1})
Im Gegenteil: Gerade der Sport leistet in diesen Zeiten
einen wichtigen Beitrag zur Integration von Menschen
mit Migrationshintergrund, von Asylbewerbern und
Flüchtlingen . Die diesbezüglichen Aktivitäten müssen
wir noch stärker als bisher unterstützen .
Deshalb begrüßen wir den Antrag der Grünen . Ich
möchte gerne die Gelegenheit nutzen, den vielen Initiativen zur Unterstützung von Flüchtlingen für ihr Engagement ganz herzlich zu danken .
({2})
Stellvertretend möchte ich hier den SV Babelsberg 03
nennen, der als erster Verein Deutschlands im Sommer 2014 eine Mannschaft in seinen Verein integrierte,
die ausschließlich aus Flüchtlingen besteht . Während
Babelsberg die Infrastruktur bereitstellte, sammelten die
Fans des Vereins Geld, bezahlten die Spielertrikots und
wurden Trikotsponsor . Das Team „Welcome United 03“
wurde im Sommer 2015 über den SV Babelsberg für den
regulären Spielbetrieb angemeldet und kämpft nun in der
Kreisliga um Punkte für seinen Heimatverein .
Positiv hervorheben will ich auch den 1 . FC Union
und den FC St . Pauli, die der bebilderten Zeitung mit den
großen Buchstaben die Stirn geboten haben und sich der
fragwürdigen Aktion „Wir helfen“ verweigerten . Beide
Vereine helfen wirklich, unter anderem durch die Bereitstellung ihres Fanhauses als Flüchtlingsunterkunft,
({3})
und sie sind seit Jahren dabei, wenn es darum geht, gegen
Rechtsextremismus und Rassismus klar Position zu beziehen . Ich wünschte mir, es mögen viele andere diesem
Beispiel folgen .
Leider sind zunehmende rechtsextreme, ausländerfeindliche und rassistische Tendenzen nicht nur im Fußball anzutreffen . Sie betreffen auch andere Sportarten;
aber der Schwerpunkt liegt ohne Zweifel beim Fußball .
Was die 14 Vorschläge und Forderungen der Grünen
im vorliegenden Antrag anbelangt, so sollten wir darüber in den Ausschüssen noch intensiv debattieren, zum
Beispiel darüber, ob es wirklich sinnvoll ist, ein einheitliches, finanziell starkes Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus im Sport statt der bestehenden Vielzahl
von Programmen zu schaffen . Auch zur Datei „Gewalttäter Sport“, zur Arbeit der Zentralen Informationsstelle
Sport einsätze sowie zur Finanzierung von Polizeieinsätzen - ich nenne hier nur das Stichwort „Bremen“ - haben
wir Linke Diskussionsbedarf .
Ich will auch ein Thema nennen, das heute noch gar
keine Rolle gespielt hat . Ich meine die zunehmende
Unterwanderung von Security-Firmen durch NPD-Leute und andere Rechtsextremisten, die dann auch in den
Stadien zum Einsatz kommen . Hier sind vor allem die
Vereine gefordert, diese Problematik nicht aus dem Auge
zu verlieren .
Abschließend möchte ich noch einen Satz aus dem
Antrag der Grünen zitieren . Dort heißt es:
Fußballaffine Personen mit rechtem Gedankengut
sind kein Problem allein des Fußballs, sondern der
gesamten Gesellschaft .
Ja, das ist richtig . Deshalb ist es aber auch unser aller
Aufgabe, diesem Phänomen entschieden zu begegnen .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion
ist der Kollege Matthias Schmidt .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir reden heute über Sport- und Fankultur . Bei meinen Vorrednern wie bei mir geht der erste Gedanke zum Fußball, bei mir zum Stadion An der Alten
Försterei des 1 . FC Union . Ich sehe die vielen tollen Fußballfans vor mir . Der Antrag geht aber über den Fußball
hinaus . Er betrifft den gesamten Sport . Natürlich gibt es
auch Fankultur und tolle Fans beim Basketball, beim Eishockey, beim Handball und bei anderen Sportarten .
Lassen Sie uns - um bei dem Beispiel zu bleiben den Fußball betrachten und eine Art Bestandsanalyse
machen. Was finden wir in den Fußballstadien vor? Wir
finden eine sehr aktive Fankultur vor. Für die einen, zum
Beispiel für mich, reicht es, eine Stadionwurst zu essen,
vielleicht ein Bier zu trinken und den Vereinsschal umzuhängen . Andere Fans verbringen ihre gesamte Freizeit
mit ihrem Verein. Sie bauen Choreografien. Sie zaubern
riesige Bilder und Botschaften in die Stadien . Sie lassen
dort zum Beispiel bildlich S-Bahn-Züge fahren . Die Vorbereitung der Choreografien dauert teilweise ein halbes
Jahr. Da die Heimspiele alle 14 Tage stattfinden, werden
die Choreografien teilweise überlappend vorbereitet. Es
gibt eigene Jugend- und Nachwuchsfans, die langsam
mit herangeführt werden . Letztendlich produzieren die
Fans dort sportpolitische Botschaften .
({0})
Erinnern Sie sich an die Forderung der Fans, keine
Montagsspiele in der zweiten Liga stattfinden zu lassen,
oder an die Forderung, dass die Spiele einheitlich um
15 .30 Uhr beginnen sollen? Das war ein übergreifendes
Thema, das alle Fans in allen Stadien parallel choreografiert haben. Teilweise geht es auch nur um die Vereinspolitik, um die Unterstützung eines erkrankten Spielers, um
die Trainerfrage oder um andere Aspekte . Aber es stecken immer Botschaften dahinter .
Zusammenfassend kann ich sagen: Die Fankultur ist
bunt, sie ist vielfältig, sie ist integrativ, und sie ist vor
allem eines, sie ist unangepasst . Wenn ich ins Stadion
gehe, will ich genau das haben . Wenn wir im Bundestag
zu der Erkenntnis kommen, dass die Fankultur gut ist,
dann müssen wir uns wirklich fragen, ob es sinnvoll ist,
dass wir als Bundestag nun eingreifen . Fragen Sie doch
einmal zu Hause Fans, ob sie wollen, dass wir an dieser
Stelle eingreifen . Die Prognose - sie ist nicht allzu gewagt - ist: Sie werden sich zurückhaltend und vorsichtig
dazu äußern .
Wenn die Fans etwas nicht gut finden, haben sie im
Stadion den Vorteil, dass sie einfach laut pfeifen können,
um damit ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen . Wenn
wir im Bundestag etwas nicht gut finden, können wir
nicht pfeifen, aber wir haben das Wort . Deswegen, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, möchte ich
mich mit Ihrem Antrag auseinandersetzen .
Letztendlich hat Ihr Antrag zwei Hauptzielrichtungen .
Erstens . Es geht um die Bekämpfung des Rechtsextremismus im Sport . Zu Recht schreiben Sie, dass es um die
Verbindungen einzelner Fußballfans zur rechtsextremen
Szene geht . Das ist also, Gott sei Dank, kein Massenphänomen, aber natürlich ein sehr wichtiges Thema . Ihre
Forderung ist dann, ein einheitliches Bundesprogramm
zu schaffen und viele andere zusammenzufassen . Genau
diesen Weg halte ich für falsch .
({1})
Nur die Vielzahl der Programme kann der Vielfalt tatsächlich gerecht werden . Ein einheitliches Programm
könnte dies nicht leisten .
Sie schlagen außerdem vor, einen unabhängigen Beirat einzusetzen . Auch an dieser Stelle habe ich große Bedenken . Wer soll denn in diesem Beirat Mitglied sein?
Etwa wir, wieder nach Fraktionsstärke? Lassen Sie den
Sport das alleine machen; das ist schon eine sinnvolle
Sache .
Die zweite Zielrichtung Ihres Antrags ist die Überprüfung der Datei „Gewalttäter Sport“ . Da haben Sie mehrere Punkte aufgeführt, die ich sehr unterstütze . Sie möchten, dass Fälle, in denen Sportfans in ungerechtfertigter
Weise, etwa nach einem Freispruch, in die Datei aufgenommen wurden, überprüft werden . Herr Staatssekretär
Schröder - ich denke, wir werden darüber ja noch in zwei
Ausschüssen miteinander sprechen -, da hätte ich schon
gerne eine klare Aussage der Bundesregierung, dass solche Menschen erst gar nicht in die Datei „Gewalttäter
Sport“ aufgenommen werden bzw . dass sie, wenn sie
drin sind, sofort gelöscht werden . Das Gleiche gilt für
Menschen, die nachweislich keine Straftaten begangen
haben; auch sie müssen aus der Datei gelöscht werden .
Als weitere Forderung haben Sie eine Art Widerspruchsmöglichkeit vorgesehen . Da habe ich am Anfang
gedacht: Eine Widerspruchsmöglichkeit kann man auf
keinen Fall schaffen; dann funktioniert das System nicht
mehr . - Nachdem ich ein bisschen länger darüber nachgedacht habe, kam ich ins Zweifeln . Darüber sollte man
ruhig noch einmal reden und auch im Ausschuss darüber
diskutieren .
Tatsächlich ist es so: Jemand darf nur dann in die
Datei „Gewalttäter Sport“ eingetragen werden, wenn es
einen konkreten Anfangsverdacht gegen die betreffende
Person gibt . Herr Staatssekretär, auch darüber werden
wir im Ausschuss hoffentlich noch reden .
Sie haben zwei weitere Punkte aufgeführt, zu denen
ich kurz Stellung nehmen möchte:
Der erste Aspekt betrifft die Löschungsfristen . Sie
wollen gerne, dass bei Erwachsenen nach zwölf und bei
Jugendlichen nach sechs Monaten gelöscht wird . Bei
Erwachsenen entspräche das allenfalls einer Saison . Ich
glaube, dass das viel zu kurz gegriffen ist . Sie selbst haben in Ihrer Rede gesagt, dass die Alt-Hools inzwischen
in die Stadien zurückdrängen . Wir brauchen an dieser
Stelle Repression, und wir brauchen die Datei „Gewalttäter Sport“ . Die Löschungsfristen sind hier deutlich zu
kurz .
Zweitens wünschen Sie sich auch im Hinblick auf die
Datei „Gewalttäter Sport“ einen Beirat . Da gilt das, was
ich eben schon in Bezug auf den anderen Beirat gesagt
habe: Ich finde, das ist zu viel. Wir sollten das nicht machen . Gleichwohl: Es ist gut, dass wir das in den Ausschüssen, im Innenausschuss und im Sportausschuss,
noch einmal debattieren und dann auch den Sachverstand
der Bundesregierung einfließen lassen.
Vielen herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion der Kollege Johannes Steiniger .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man
sich den Sachstandsbericht des Deutschen Olympischen
Sportbundes anschaut - Stephan Mayer hat ihn vorhin
schon angesprochen -, dann relativiert sich das von Ihnen
beschriebene Bild doch stark . Denn der DOSB kommt in
seiner Analyse zu dem Ergebnis:
Rechtsextremistische Tendenzen liegen in einigen
Fanszenen an einigen Standorten immer noch manifest vor, sie stellen jedoch in Deutschland kein generelles standortübergreifendes Problem dar .
Fankultur, meine Damen und Herren, beginnt mit der
Kultur, die in den großen Vereinen gelebt wird . Es wurde
eben angesprochen, dass auch der Sport hier etwas tun
muss . Wenn man sich da ein bisschen einarbeitet, dann
sieht man, dass der Sport schon vieles tut . Wenn wir uns
beispielsweise die Fußballbundesligisten anschauen,
stellen wir fest: Sie haben mittlerweile hauptberufliche
Fanbeauftragte für die erste, zweite und dritte Liga, die
sich regelmäßig treffen und sich gemeinsam mit DFB,
DFL, Deutscher Bahn und Polizei über die entsprechende Lage austauschen . Hier sitzen dann alle relevanten
Akteure am Tisch .
Wir haben in der öffentlichen Anhörung zum Thema
„Sicherer Stadionbesuch“ viel darüber erfahren, wie gut
diese Verzahnung funktioniert und wie reibungslos, jedenfalls gemessen an der großen Zahl von Zuschauern
und Fans an einem Wochenende, die vielen Sportereignisse Woche für Woche stattfinden.
Man muss schon sagen, der Antrag der Grünen erweckt den Eindruck, dass gerade der Fußball in Deutschland ein Sammelbecken für Schläger, Extremisten und
Rassisten sei .
({0})
Man muss schon ein bisschen aufpassen, wie man einen
solchen Antrag formuliert . Wenn man Rechtsradikalismus und Fußball in einen Topf wirft, baut man einen
gewissen Generalverdacht auf . An der Stelle muss man
schon etwas aufpassen .
({1})
Denn das Gegenteil ist der Fall . Der Sport in Deutschland
ist der mit Abstand größte und nachhaltig erfolgreichste
Integrationsmotor in unserem Land .
({2})
Rund 2,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sind in den Sportvereinen bundesweit aktiv . Das
sind immerhin rund 10 Prozent aller Vereinsmitglieder .
Es ist nun einmal ein unumstößlicher Fakt, dass an keinem anderen Platz in unserer Gesellschaft Integration
besser funktioniert als im Sport .
Bei der Verleihung der Sterne des Sports am vergangenen Dienstag haben wir gesehen, welch tolles Engagement es gibt . Auch noch einmal von dieser Stelle
aus einen herzlichen Glückwunsch an alle Preisträger,
insbesondere natürlich an den VfL Bad Wildungen, der
den ersten Preis geholt hat und beispielsweise ein tolles
Projekt im Bereich der Integration von Flüchtlingen initiiert hat . Herzlichen Glückwunsch von hier aus an alle
Preisträger!
({3})
Erkennbar ist allerdings auch, dass wir tatsächlich
strukturelle Defizite besonders in den unteren Ligen in
den östlichen Bundesländern bei der Bekämpfung von
Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung
({4})
und leider auch Hooliganszenen haben .
({5})
- Herr Mutlu, was wäre eine Rede im Deutschen Bundestag, ohne dass Sie die ganze Zeit dazwischenrufen?
({6})
Hören Sie mir genau zu, ich will es ausdrücklich sagen:
Hier lässt sich nicht der Sport haftbar machen . Denn
das, was wir uns etwa in Dresden von Pegida und Co .
jede Woche anschauen müssen, ereignet sich eben in der
Stadt und nicht im Stadion . Die Auseinandersetzung mit
diesem Phänomen muss tatsächlich erfolgen, aber ganzheitlich .
({7})
Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie ein ganzheitliches Programm im Grunde genommen nach dem Gießkannenprinzip auflegen wollen, obwohl wir schon seit
einiger Zeit mit einem subsidiären Ansatz viele verschiedene Projekte angehen, die auch der Vielfalt Genüge tun
und das Engagement zeigen - Stephan Mayer hat darauf
Matthias Schmidt ({8})
hingewiesen und einige Projekte genannt -, mit dem der
Bund hilft . Da ich Mitglied des FC-Bayern-Fanclubs hier
im Deutschen Bundestag bin,
({9})
möchte ich ein Projekt erwähnen: Die größte Ultra-Gruppe der Bayern, die Schickeria, ist beispielsweise 2014 für
ihr Engagement ausgezeichnet worden . Mit zahlreichen
Aktionen hatten sie nämlich des ehemaligen Präsidenten
Kurt Landauer, der durch den Naziterror verfolgt wurde, gedacht . Aus meiner Sicht ist das eine sehr kluge und
treffsichere Initiative . An dieser Stelle sieht man, dass es
da sehr viele Initiativen gibt .
({10})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es
gibt Fangewalt . Diese bekämpfen wir seit vielen Jahren
als Gesetzgeber gemeinsam mit dem organisierten Sport
in Deutschland mit zunehmendem und großem Erfolg .
Verglichen mit der Situation Mitte der 90er-Jahre hat sich
doch die Lage gerade bei den großen Spielen deutlich
und entschieden verbessert . Das sagen uns alle Experten .
Die Fans und die über 17 Millionen Stadionbesucher der
Bundesliga im Jahr fühlen sich jedenfalls nicht dauerhaft
bedroht . Wenn Straftaten auftreten, werden diese auch
entschieden verfolgt .
Für den Hochleistungssport und den Fußball in
Deutschland gilt vielmehr, dass der Fußball mit seiner
großen Strahlkraft ja gerade sehr viel für Integration und
gegen Extremismus leistet .
Herzlichen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6232 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann haben wir
so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/
EU des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der
Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame
Anlagen in Wertpapieren ({0}) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die
Vergütungspolitik und Sanktionen
Drucksache 18/6744
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
Drucksache 18/7393
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die
Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich höre keinen
Widerspruch . Dann ist so beschlossen .1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen
für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren im Hinblick
auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen. Der Finanzausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7393,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6744 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition
angenommen .
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist
in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7396 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes zur
Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der
Seeschifffahrt
Drucksache 18/6679
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
Drucksache 18/7268
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
1) Anlage 9
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Olav Gutting, CDU/CSU-Fraktion .
({3})
Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute hier abschließend über den
Gesetzentwurf, durch den der Lohnsteuereinbehalt der
Arbeitgeber in der Seeschifffahrt von derzeit 40 Prozent
auf 100 Prozent befristet angehoben wird . Dieses Gesetzesvorhaben ist von großer Bedeutung für die deutsche
maritime Wirtschaft und für die Sicherung des seemännischen Know-how am Standort Deutschland .
Unsere maritime Wirtschaft ist für unser exportorientiertes Land von hoher gesamtwirtschaftlicher Relevanz
und deshalb ein überaus wichtiger Wirtschaftszweig .
Gerade weil fast 95 Prozent des interkontinentalen Warenaustausches über die Seewege erfolgen, haben wir als
führende Exportnation ein überragendes Interesse daran,
eine leistungsstarke, eine international wettbewerbsfähige deutsche maritime Wirtschaft zu haben .
Unsere umfangreichen Exporte von Autos und Maschinen wären ohne eine schlagkräftige Seeschifffahrt
nicht denkbar . Zudem sichern unsere Häfen einen wichtigen Teil der industriellen Rohstoffversorgung . Wir wissen, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland vom
Export abhängt und dass unsere maritime Wirtschaft
bundesweit viele Zehntausende Arbeitsplätze sichert und
mit circa 50 Milliarden Euro Umsatz jährlich wesentlich
zur deutschen Wirtschaftsleistung beiträgt .
Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich unsere Handelsflotte in den letzten Jahren stark reduziert. Obwohl
sich knapp 3 000 Handelsschiffe im Eigentum deutscher
Reedereien befinden, fahren nur knapp 360 davon unter
deutscher Flagge . Die Anzahl der unter deutscher Flagge
fahrenden Handelsschiffe hat sich somit in den letzten
Jahren halbiert .
Die Gründe für die zunehmende Ausflaggung und die
damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung und Ausbildung von Seeleuten ist leicht zu
erklären: Die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe
sind bei den Lohnkosten und den Lohnnebenkosten dem
internationalen Wettbewerb ausgesetzt . Hier ergeben
sich Mehrkosten für die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe, die im internationalen Vergleich zunehmend
zu einem Wettbewerbsnachteil führen .
Um diesen Kostendruck für die Reedereien abzumildern und eine weitere Abwanderung der deutschen
Schiffe ins Ausland zu verhindern, müssen wir handeln .
Im Laufe der parlamentarischen Beratungen hat sich bestätigt, dass die aktuelle Förderung nicht ausreichend ist,
um den genannten Wettbewerbsnachteil der deutschen
Flagge im Vergleich zu anderen europäischen Flaggen
auszugleichen .
({0})
Sicherlich kann man dem 100-prozentigen Lohnsteuereinbehalt in der Seeschifffahrt unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten kritisch gegenüberstehen .
({1})
In der Diskussion der letzten Tage und Wochen ging es
sogar so weit, dass einige Deutschland mit Griechenland
verglichen haben, auch beim Stichwort „Tonnagesteuer“ . Ich will an dieser Stelle festhalten, dass die Tonnagebesteuerung, die wir in Deutschland haben, weltweit
an allen wichtigen maritimen Standorten üblich ist und
sich international zum Normalfall gewandelt hat und
dass gerade in den letzten Jahren, in denen aufgrund des
großen Frachtvolumens die Frachtpreise gefallen sind,
durch diese Tonnagesteuer keinerlei Mindereinnahmen
zu erkennen sind .
Wir wollen verhindern, dass die deutsche Seeschifffahrt in Seenot gerät . Ich denke, in der Verfolgung dieses
Ziels dürften wir uns doch hier im Hohen Hause hoffentlich alle einig sein . Mit der heute zu beschließenden
Änderung tun wir in einem Rahmen, den die EU explizit zulässt und den andere EU-Staaten im Vergleich zu
Deutschland weitaus mehr ausschöpfen, das, was möglich ist, und das, was notwendig ist
({2})
Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen,
darf ich Sie auch als Landratte auffordern, heute diesem
Gesetz zuzustimmen .
({3})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt die Kollegin Lisa Paus .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben schon gehört, worum es in dem vorliegenden Gesetzentwurf geht: Um Steuerprivilegien für Reeder .
({0})
Aber Sie von der Großen Koalition beschließen heute
nicht etwa die Abschaffung oder zumindest die Absenkung dieser Reederprivilegien, obwohl das eigentlich
naheliegt, wenn man sich daran erinnert, dass Unionsabgeordnete, zum Beispiel Wolfgang Bosbach oder Bundestagsvizepräsident Singhammer oder Fraktionsvize
Michael Fuchs, genau das mal laut und mal ganz laut für
griechische Reeder gefordert haben .
({1})
Nein, Sie beschließen heute mit Ihrer großkoalitionären Mehrheit die Ausweitung der Steuerprivilegien,
und zwar um weitere 50 Millionen Euro . Diese kommen
jetzt zu den mindestens 200 Millionen Euro dazu, die die
deutschen Reeder bereits bekommen . Was soll damit passieren? 5 739 Arbeitsplätze sollen unter deutscher Flagge
gesichert werden . Das macht rund 9 000 Euro pro Jahr
pro Arbeitsplatz . All das kommt zu den zusätzlichen BeVizepräsidentin Ulla Schmidt
freiungen hinzu, zum Beispiel bei der Versicherungsteuer
oder den bereits bestehenden drastischen Erleichterungen bei der Einkommensteuer .
Meine Damen und Herren, Vizepräsident Singhammer
hat im Juli 2015 getwittert: Warum soll eine Rentnerin
aus München mit ihren Steuer-Euros indirekt dafür haften, dass reiche griechische Reeder zu wenig Steuern
zahlen? - Ich frage Sie heute von der Union: Warum soll
eine Kassiererin aus Gelsenkirchen mit ihren Steuer-Euros dafür aufkommen, dass reiche deutsche Reeder zu
wenig Steuern zahlen, meine Damen und Herren?
({2})
Außerdem hat die Anhörung gezeigt: Von Arbeitsplatzsicherung kann nicht die Rede sein . Der Trend zur
Ausflaggung ist ungebrochen; das hatten Sie, Kollege
Gutting, hier ja auch schon eingeräumt . Es gab eben keinen Verbandsvertreter, der eine Aussage darüber machen
wollte, inwieweit diese Steuersubvention denn nun tatsächlich Arbeitsplätze sichert . Es gibt wie in den ganzen
Jahren zuvor wieder keinerlei Arbeitsplatzzusagen der
Reeder . Im Gegenteil: Mit diesem Gesetz wird sogar die
bisher vorgesehene Pflicht, einen Arbeitnehmer mindestens 183 Tage zu beschäftigen, um die Subventionen zu
erhalten, ersatzlos gestrichen .
({3})
Besonders absurd ist die Form der Subvention . Das
Geld fließt von den Arbeitnehmern direkt an die Reeder;
denn ihre Lohnsteuer fließt nicht mehr ans Finanzamt,
sondern an die Reeder . Das heißt, die Seeleute bezahlen
den Reeder dafür, dass er sie beschäftigt .
Dieses Gesetz widerspricht im Übrigen Ihren eigenen, gerade einmal ein Jahr alten Subventionspolitischen
Leitlinien . Herr Kruse - Sie sprechen ja gleich -, Sie sind
ja nicht nur Hamburger, sondern auch Mitglied des Haushaltsausschusses . Deswegen möchte ich Sie noch einmal
daran erinnern: Am 28 . Januar 2015, also genau heute
vor einem Jahr, hat die Bundesregierung beschlossen und
sich dafür gefeiert, dass Steuervergünstigungen nur noch
dann in ganz seltenen Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, wenn sie nachweisbar zielgenauer sind als direkte
Subventionen .
({4})
Aber in diesem Fall ist das Gegenteil der Fall .
({5})
Das hat Ihnen auch der Bundesrechnungshof bestätigt .
Aber er hat es noch drastischer und schlimmer formuliert . Der Bundesrechnungshof nennt die Regelung
„verfassungsrechtlich bedenklich“, nicht zielgenau und
außerdem „anfällig für Missbrauch“ . Wer Texte des Bundesrechnungshofs kennt, weiß: Eine schlimmere Ohrfeige kann man sich eigentlich nicht vorstellen .
Deswegen, meine Damen und Herren, kann man diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen . Man muss ihn ablehnen .
({6})
Danke schön . - Nächster Redner ist Dr . Jens Zimmermann,
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der auf eine Initiative
des Bundesrates zurückgeht . Wir wollen - das ist schon
gesagt worden - die deutsche Seeschifffahrt stärken,
und wir wollen damit Arbeitsplätze und seemännisches
Know-how sichern .
Liebe Frau Kollegin, Sie sind über die 5 000 Arbeitsplätze mit einem Federstrich hinweggegangen . Also ich
finde, 5 000 Arbeitsplätze - das ist schon etwas. Und
denken wir einmal an die Anhörung zurück: An dieser
hat ein relativ unverdächtiger Sachverständiger von
Verdi teilgenommen, der die vorgesehene Gesetzesregelung ausdrücklich begrüßt hat . Möglicherweise hat das
daran gelegen, dass es auch um den einen oder anderen
Arbeitsplatz geht . Die Expertinnen und Experten, die die
Opposition aufgeboten hat, haben letztendlich gesagt: Na
ja, dann geht diese Branche in Deutschland eben kaputt .
Da kann man nichts machen; dann sind die Arbeitsplätze
weg . - Das gehört zur Diskussion eben auch dazu, meine
Damen und Herren .
({0})
Ich will nicht bestreiten, dass wir mit den beiden
Maßnahmen, die wir vorschlagen, nämlich die Anhebung des Lohnsteuereinbehalts und der Abschaffung der
sogenannten 183-Tage-Regelung ordnungspolitisch auf
schwierigem Terrain sind .
({1})
Jeder, der das bestreitet, macht sich am Ende etwas vor .
Aber das, was angesprochen wurde, zeigt ganz deutlich,
dass wir in Deutschland nicht mit einer Maßnahme vorangehen; vielmehr ziehen wir nach . Das ist ein Effekt
des sogenannten Race to the Bottom . Andere Küstenländer in der Europäischen Union haben diese Maßnahmen
bereits durchgeführt . Denn genau das ist ja der Grund
dafür, dass Schiffe ausgeflaggt werden. Wenn immer die
griechischen Reeder angeführt werden, dann müssen wir
auch feststellen: Darauf müssen wir jetzt reagieren .
Ich glaube, bei allen Bauchschmerzen, die wir als
SPD-Fraktion mit dieser Maßnahme haben, ist für uns
ganz wichtig, dass wir auch eine Befristung durchgesetzt
haben . Beide Maßnahmen sind auf fünf Jahre befristet .
Das gibt uns die Möglichkeit, dann zu untersuchen, welche Effekte eingetreten sind .
({2})
Denn es ist genau so, wie Sie es gesagt haben: Keiner
der Experten konnte genau sagen, was am Ende passiert .
Aber das ist kein Argument dafür, dass es nicht funktioniert . Es kann genauso gut funktionieren .
({3})
Fünf Jahre sind unserer Meinung nach ein angemessener
Zeitraum . Danach können wir eine Evaluation vornehmen . Sollte die Regelung nicht geholfen haben, können
wir sie wieder streichen . Wir müssen sie nicht einmal
streichen; sie läuft nämlich aus . Das ist, glaube ich, ein
vernünftiger Kompromiss an dieser Stelle .
Wir als SPD-Fraktion sagen auch ganz klar: Die Reeder in Deutschland müssen jetzt auch liefern . Denn zu
sagen: „Wir brauchen diese Unterstützung“, ist das eine .
Aber diese Unterstützung als eine wirtschaftspolitische
Maßnahme zu gewähren - so sehen wir das -, ist dann
doch noch etwas anderes .
Insofern glauben wir bei allen Bedenken, die wir auch
in den Diskussionen zum Ausdruck gebracht haben,
dass das alles in allem ein guter Kompromiss und eine
sinnvolle Maßnahme ist, um die maritime Wirtschaft in
Deutschland zu stärken . Wir sind nun einmal eine der
stärksten Exportnationen weltweit . Dafür sind eine wettbewerbsfähige Schifffahrt, das seemännische Know-how
und eine maritime Wirtschaft notwendig . Das haben wir
als SPD-Bundestagsfraktion erkannt .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Der Kollege Herbert Behrens ist der
nächste Redner für die Linksfraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eines ist sicher: Der Beschluss heute Abend ist für die
deutschen Reeder fast so etwas wie ein Sechser im Lotto .
Es geht um erhebliche Summen, die hier über den Tisch
gereicht werden, für ein Ergebnis, das wir heute noch
nicht kennen und das möglicherweise in fünf Jahren einmal evaluiert wird . Dabei wissen wir sehr gut, wie mit
einer Regelung umgegangen wird, wenn sie erst einmal
Jahre in Kraft war, und was daraus folgt . Wir haben das
beim Schiffserlöspool gesehen . Dieses Instrument wurde
letztendlich zur Dauereinrichtung . Die Lobby der Reeder
hat ein offenes Ohr beim Finanzminister und auch in der
Großen Koalition gefunden. Das finden wir schlecht.
({0})
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen Reeder
künftig null Lohnsteuer an das Finanzamt abführen . Sie
können sie sich vollständig in die eigene Tasche stecken .
Wir haben doch Erfahrungen mit der dauerhaften Subventionierung in den vergangenen Jahren - bald sind es
schon Jahrzehnte - gemacht . Wenn wir da Bilanz ziehen
und uns ehrlich die Karten legen, dann sehen wir die Folgen der Subventionierung . Im Jahr 2000 waren auf Schiffen unter deutscher Flagge über 12 000 Seeleute beschäftigt . 2015 waren - so viel zur Arbeitsplatzsicherheit - nur
noch knapp über 8 000 deutsche und ausländische Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge tätig . Die Zahl
der Schiffe sank im gleichen Zeitraum unter die Grenze
von 400 . Wir sind jetzt bei 350 angekommen . Das heißt,
nur noch rund die Hälfte der Schiffe, die früher unter
deutscher Flagge gefahren sind, sind heute unter deutscher Flagge zu finden.
Auf den ausgeflaggten Schiffen arbeiten die Seeleute zu schlechteren Bedingungen als die Kolleginnen und
Kollegen auf Schiffen unter deutscher Flagge .
({1})
Nur noch 53 der über 300 Reedereien in Deutschland bilden aus . Dieser Niedergang der deutschen Seeschifffahrt
kostet den Bund Milliarden .
({2})
Allein bei der Tonnagesteuer sind in den letzten sieben
Jahren 4,7 Milliarden Euro zur direkten Subventionierung der Reeder über den Tisch gegangen . Das Ziel
war, Arbeitsplätze zu erhalten, Arbeitsplätze zu sichern .
Das wurde nicht erreicht . Das Gegenteil ist eingetreten .
In Zukunft sollen die Reeder also nicht nur 40 Prozent
einbehalten können, sondern 100 Prozent - alles in der
Hoffnung, mehr Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen zu
erhalten . Aber solche Subventionen haben nicht zu mehr,
sondern zu weniger Beschäftigung geführt, wie ich eben
gesagt habe .
Angeblich sollen mit mehr Geld für die Reeder Wettbewerbsnachteile abgebaut werden . Ja, Dänemark, Italien, Malta und auch Portugal, wohin sich zunehmend
deutsche Reeder mit Briefkastenfirmen flüchten, gewähren in der Tat großzügigere Bedingungen . Aber der
Rest ist Seemannsgarn . Selbst griechische Reeder führen
10 Prozent pauschal für ihre Seeleute ab . Das ist skandalös wenig, und es macht deutlich, dass hier ein enormer
Subventionswettbewerb in Richtung Race to the Bottom,
wie eben schon einmal gesagt wurde, auf den Weg gebracht worden ist . Das ist augenscheinlich das einzige
Ziel, das dahintersteckt . Die Reeder haben das Drehbuch
vorgeschrieben . Wir wissen nicht, was noch alles kommt,
welche Forderungen noch erfüllt werden sollen . Wir befürchten, dass eben nicht das eintritt, was gerade gesagt
wurde, nämlich dass die Reeder zuverlässig sagen: Ja,
für diese Subventionen wird es künftig mehr Schiffe unter deutscher Flagge geben . Es wird mehr Arbeitsplätze,
mehr Ausbildungsplätze geben . - Davon ist nichts zu
hören . Die Reeder halten sich da bedeckt, kassieren und
machen nichts .
Auch die Linksfraktion will das maritime Know-how
in unserem Land halten . Deshalb wollen wir eventuell
gezahlte Zuschüsse und Subventionen von verbindlichen
Zusagen abhängig machen . Ausbildungsplätze fördern? Ja, wenn reale Ausbildungsplätze vorhanden sind .
({3})
Aber Steuervorteile dürfen nicht pauschal gewährt werden mit dem Ziel, die Reeder weiter zu entlasten . Die
Linke fordert also, Steuerbegünstigungen in dieser Form
ganz fest an Zusagen zu binden .
Wenn wir - letzter Satz - das bei anderen Wirtschaftsbranchen ähnlich machen wollten, dann hätten wir ein
richtiges Problem . Ein Bäckermeister zahlt natürlich das wurde schon erwähnt - die Lohnsteuer für seine Angestellten an das Finanzamt - ganz klar . Auch Maschinen- und Anlagenbauer, die ins Ausland exportieren und
unter internationalem Druck stehen, zahlen sie . Wenn sie
es nicht tun, nennt man das Steuerhinterziehung . Das,
was die Reeder hier machen, ist Steuerhinterziehung unter staatlichem Schutz . Das akzeptieren wir nicht . Das
ist ein Skandal und ein gefährlicher Präzedenzfall für die
Wirtschaftspolitik insgesamt .
Vielen Dank .
({4})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rüdiger
Kruse .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja immer ganz nett, wenn man das so drastisch hört . Aber kann man Steuern hinterziehen, wenn die
Steuer gar nicht erhoben wird?
({0})
- Nein, kann man nicht . Also insofern: Nehmen Sie den
Begriff doch einfach heraus!
Und wenn Sie immer vom Kassieren sprechen, will
ich einmal auf die Tonnagesteuer hinweisen: Im Augenblick ist kein Reeder froh über die Tonnagesteuer . Im Augenblick würde er lieber seinen Gewinn besteuern lassen;
denn er kriegt keinen .
({1})
- Ja, Entschuldigung, man muss auch alle Freuden und
Leiden betrachten . - Wenn Sie hier als Argument anbringen, die Reeder haben doch die Tonnagesteuer, denen
geht es doch gut genug, dann sage ich Ihnen: Nein, denen
geht es nicht gut, und die Tonnagesteuer hilft ihnen im
Augenblick gar nicht .
({2})
Wir reden auch nicht über Gewinnmaximierung .
Wenn Sie einen Bulker haben, also um zum Beispiel Erze
zu fahren, und für diesen Bulker 40 000 Dollar Charter
am Tag brauchen, aber zurzeit nur 4 000 Dollar kriegen:
Wo ist da die Gewinnmaximierung? - Sie ist überhaupt
nicht da .
Gut, Sie haben von einem Race to the Bottom gesprochen . Ja, richtig, wir haben keine Lust, dass der Schifffahrtsstandort Deutschland dieses Rennen verliert . Wenn
in Europa und sonst wo die Bedingungen so gemacht
werden, dass wir unsere Reeder gleichstellen müssen,
dann werden wir das eben tun .
({3})
Wir haben uns entschieden, dass Schifffahrt für uns
keine Romantikveranstaltung ist . Ich würde Ihnen völlig
recht geben, wenn wir jetzt sagten, Deutschland sei ein
Reiseziel, und da müssten nur ein paar Schiffe im Hafen
liegen . Das könnten wir dann mit unseren Museen machen, und dann reichte es auch, wenn uns einmal eine
andere Linie besucht . Wir haben uns entschieden, dass es
für uns wichtig ist, eine Schifffahrtsnation zu sein . Dazu
gehören Werften, dazu gehören Reedereien und dazu gehört nautisches Personal . Wir wissen auch, dass es ein
Wert ist . Es wird ja nicht so sein, dass es keine Reeder
mehr gibt, wenn es die deutsche Flagge nicht mehr gibt,
gar keine Frage. Die gibt es dann natürlich noch; die flaggen dann halt aus . Aber es gibt dann irgendwann nicht
mehr das an Deutschland gebundene Know-how . Das
hätte einen großen Nachteil .
({4})
Vor dem Hintergrund der Analyse sagen wir uns, dass
wir, die wir eine Handels- und Exportnation sind, auch
in der Logistikkette Schiffe brauchen . Eine Logistikkette
ohne Schiffe funktioniert nicht . Selbst die Grünen möchten ja nicht, dass alles per Lkw gefahren wird .
({5})
Also ist es wohl schon ganz gut, wenn wir auch deutsche
Reedereien haben .
({6})
Von daher haben wir als Koalition bei der Vorbereitung
gesagt: Gut, wir fragen jetzt bei jeder Branche, was geschehen muss, damit wir eine führende Schifffahrtsnation bleiben . Wir haben natürlich auch mit den Reedereien
und den Gewerkschaften gesprochen, und wir sind zu der
Erkenntnis gekommen, dass wir eine Gleichstellung im
Wettbewerb brauchen .
({7})
Da muss man ja gar nicht so weit weg gehen . Auch schon
Nachbarländer bieten deutlich bessere Konditionen .
({8})
Da ziehen wir jetzt nach, und es wird sich folgendermaßen verhalten: Mit jedem Schiff, das umgeflaggt wird und das wird kommen -, stehen wir besser da, und Sie
stehen ein bisschen tiefer im Schlick . Zu Recht .
Danke .
({9})
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Dr . Birgit Malecha-Nissen .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir nehmen keine deutschen Seeleute, die sind zu teuer“, diese
Antwort bekommen nautische Hochschulabsolventen
immer öfter bei ihrer Jobsuche zu hören . Das bringt das
Problem auf den Punkt: Die deutsche Seeschifffahrt ist in
Seenot geraten . Von 2 850 Schiffen der deutschen Handelsflotte fahren aktuell weniger als 200 international unter deutscher Flagge . Mit jedem Schiff, das Deutschland
verloren geht, verlieren wir auch Arbeitsplätze und damit
langfristig das vorhandene Potenzial, unser Know-how
in einer für uns so wichtigen Zukunftsbranche .
Eines ist völlig klar: Die weitere Ausflaggung deutscher Schiffe muss gestoppt werden . Um den Schifffahrtsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken, hat der Bund in den vergangenen Jahren
bereits viele wichtige Weichen gestellt . Es wurden hier ja
auch schon viele genannt . Leider konnten diese Maßnahmen den bisherigen Trend zu weiteren Ausflaggungen
nicht aufhalten . Deshalb wird es höchste Zeit, dass auch
wir - wie unsere europäischen Nachbarn - die Möglichkeiten nutzen, die uns die EU-Kommission in der Beihilfeleitlinie für den Seeverkehr bietet . Und das ist die
Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 auf 100 Prozent für Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge ebenso die Abschaffung der sogenannten 183-Tage-Regelung . Beide Maßnahmen wollen wir bis Ende 2020
zeitlich begrenzen . Dadurch geben wir dem Gesetzgeber
zeitnah die Möglichkeit, eine umfassende Bewertung der
Maßnahmen vorzunehmen .
Damit haben wir geliefert . Jetzt sind auch die Reeder
gefragt . Es braucht klare und verbindliche Zusagen für
Ausbildungsplätze und Beschäftigung, für sozialverträgliche und tarifgebundene Arbeitsverträge . Nur so sichern wir langfristig die Beschäftigung und das maritime
Know-how am Standort Deutschland .
({0})
Nur so bieten wir den jungen Absolventen der Hochschulen, den Nautikern, einen erfolgreichen Start ins Berufsleben .
Kontraproduktiv in diesem Verfahren sind für mich
auch die Pläne des Ministeriums zur Änderung der
Schiffsbesetzungsverordnung .
({1})
Die geplante Reduzierung auf weniger als die Hälfte der
Beschäftigten - hier nenne ich insbesondere den Wegfall
des Schiffsmechanikers - ist nicht zielführend;
({2})
denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir brauchen, ist die Sicherung von Arbeitsplätzen und nicht den
weiteren Abbau . Deswegen machen wir das heute .
Vielen herzlichen Dank .
({3})
Damit schließe ich die Aussprache .
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Ein-
kommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuerein-
behalts in der Seeschifffahrt . Dazu liegen mir mehrere
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/7268, den Gesetzentwurf
des Bundesrates auf Drucksache 18/6679 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen jetzt zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand . Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/7378 . Wer für diesen Entschließungsantrag
stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsan-
trag ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur No-
vellierung des Rechts der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß
1) Anlage 8
§ 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung
anderer Vorschriften
Drucksache 18/7244
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe, dass Sie alle damit einverstanden sind .1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7244 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen
der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung ({1}) Nr. 537/2014 im Hinblick auf
die Abschlussprüfung bei Unternehmen von
öffentlichem Interesse ({2})
Drucksache 18/7219
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({3})
Finanzausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . - Ich sehe hier allgemeines Einverständnis .
Dann verfahren wir so .2)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7219 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie
damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf - es ist der
letzte Tagesordnungspunkt, zu dem heute eine Aussprache vorgesehen ist -:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung 2030-Agenda konsequent umsetzen
Drucksache 18/7361
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Haushaltsausschuss
1) Anlage 10
2) Anlage 11
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Da ich keinen
Widerspruch erkennen kann, gehe ich davon aus, dass
Sie alle damit einverstanden sind .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel .
({5})
Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass dieser Tagesordnungspunkt heute zu einer früheren Zeit im Plenum
behandelt wird; denn das, was in New York beschlossen
wurde, ist für uns schlichtweg der Weltzukunftsvertrag .
Der Inhalt lautet: Milliarden Menschen soll die Chance
auf ein würdiges Leben eröffnet werden, ohne dabei einen ökologischen Kollaps zu provozieren . Daraus ergeben sich einige Folgerungen:
Erstens . Nicht nur die sogenannten Entwicklungsländer werden sich verändern müssen, sondern auch wir; die
Industrieländer werden in bestimmter Weise zu Entwicklungsländern . Der bisherige fossile Entwicklungspfad
taugt nicht für weitere 7, 8 oder 9 Milliarden Menschen
auf diesem Globus .
Zweitens . Wir müssen zusammendenken, was nur
zusammen erreicht werden kann: Armuts- und Hungerbekämpfung, Umwelt- und Klimaschutz, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und vieles mehr . Nur so können
wir erreichen, dass der Frieden in dieser Welt zunimmt,
und das brauchen wir . Wir sehen in der heutigen Zeit tagtäglich, welchen Problemen wir ausgesetzt sind .
Deutschland kann hier natürlich einen großen Beitrag
leisten; denn wir sind ein starkes Land . Unsere Herausforderung besteht insbesondere darin, diesen Beitrag zu
leisten und gleichzeitig unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten . Nur ein starkes Land kann
auf Dauer Leuchttürme bauen und auf diese Weise Vorbild für andere sein .
Wir haben schon im vergangenen Jahr einige Weichenstellungen vorgenommen . Ich erinnere an den sehr
gelungenen G-7-Gipfel in Elmau . Ich erinnere auch an
die anderen großen Konferenzen . Es wurden Beschlüsse gefasst, von denen man eigentlich gar nicht erwartet
hat, dass sie in dieser Deutlichkeit ausfallen, beispielsweise im Hinblick auf Hungerbekämpfung oder Verantwortung für weltweite Lieferketten, ein neues großes
Thema auf dem internationalen Parkett, das gerade von
uns sehr stark vorangetrieben wurde . Ich weise auch auf
die Haushaltsentwicklungen - es gab einen historischen
Haushaltsaufwuchs - und die Neuausrichtung des BMZ
als solchem hin .
Außerdem verweise ich auf die Politik, die wir nach
Rana Plaza gemacht haben . Wenn die Kameras abschwenken, verschwindet normalerweise das Engagement der Politik . Wir aber haben gesagt: Nein, wir
Vizepräsident Johannes Singhammer
schmieden ein Textilbündnis . Am Anfang war es etwas
holprig . Mittlerweile haben sich nahezu 75 Prozent des
gesamten deutschen Textilmarktes diesem Bündnis angeschlossen . Das ist schlichtweg ein Zeichen, dass so etwas
möglich ist . Das sollte uns auch für viele andere Aufgaben, die wir miteinander anzugehen haben, Kraft geben .
({6})
Wir arbeiten auf drei Ebenen, der innerdeutschen Ebene, der Ebene der Partnerländer und natürlich auch auf
der globalen Ebene, wo es um die Gestaltung globaler
Regelungen geht . Auf der innerdeutschen Ebene beträgt das Volumen der öffentlichen Beschaffungen circa
300 Milliarden Euro im Jahr . Da ist noch sehr viel Spielraum für nachhaltigeres Beschaffen, der jetzt genutzt
werden muss . Das ist sehr konkret, meine Damen und
Herren .
Wir alle im Deutschen Bundestag entscheiden darüber, was wir an Geld zur Verfügung stellen können . Es
gibt sehr aufmerksame und kritische Beobachter, beispielsweise den ehemaligen Bundespräsidenten Horst
Köhler, der gesagt hat:
Ich bin gespannt, wie stark die deutsche Politik sich
dieser Agenda der Vernunft verschreiben wird . Baustellen gibt es ja genug .
Da hat er natürlich recht .
Unser Vorteil in Deutschland ist, dass wir bereits über
eine Nachhaltigkeitsstrategie verfügen . Das ist bei weitem nicht überall auf der Welt der Fall . Das gibt uns die
Chance, jetzt auf dieser Strategie aufzubauen und diese
Strategie entsprechend auszurichten . Wir können uns dafür einsetzen - das ist uns ganz besonders wichtig -, dass
mehr „Eine Welt“ in den gesamten Prozess einfließt, und
zwar durch Indikatoren, mit denen wir die Folgen unseres Tuns für die Entwicklungschancen anderer Länder
abschätzen können . Das ist neu, und das muss betrieben
werden . Dabei binden wir auch die Bürgerinnen und Bürger ein, nicht erst seit heute . Minister Dr . Gerd Müller
hat unmittelbar nach seinem Amtsantritt begonnen, die
Politik in eine andere Richtung zu lenken . Ich erinnere
hier nur an die Zukunftscharta, die mit großem Erfolg
eingeführt wurde und jetzt durch das ganze Land getragen wird . Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei den
NGOs dafür bedanken, dass sie an diesen Fragen so konstruktiv mitgearbeitet haben .
({7})
Es gibt kleine und große Dinge . Ich fange einmal mit
etwas ganz Kleinem an . Wenn bei uns früher eine Besuchergruppe fotografiert wurde, sagte man „Cheese“,
um ein Lächeln zu bekommen . Wir sagen im BMZ jetzt
„SDGs“ . Die Leute fragen „Warum?“, und schon sind
wir im Gespräch darüber, dass es den Weltzukunftsvertrag gibt, der von allen mitgetragen und umgesetzt werden muss .
Ein anderes Beispiel . Wir beginnen, ein Ziel zu verwirklichen, das in den SDGs enthalten ist, nämlich die
Beteiligung von Menschen mit Behinderungen . Wir nehmen die Menschen einfach mit auf die Reisen, die wir als
Leitung machen, und geben ihnen damit eine völlig neue
Chance, ihre Anliegen selbst zu vertreten . Wir zeigen damit auch, dass diese Bundesregierung an ihrer Seite steht .
Unsere bisherigen Bemühungen auf diesem Gebiet
sind also außerordentlich erfolgreich . Wir haben auch
ansonsten genügend Instrumente, die wir einführen und
weitertragen können und mit denen wir den anderen große Hilfestellungen geben können; das wollen wir auch
tun .
Wir wollen als BMZ, was die Gesamtdiskussion in
Deutschland und was die Beteiligung der Ministerien betrifft, in der ersten Reihe stehen . Das ist unser Anspruch,
und darauf werden wir unsere Arbeit ausrichten .
({8})
Wir sind auf vielen Gebieten tätig . Ich möchte noch
kurz darauf hinweisen, dass wir uns mit den anderen und
für die anderen sehr stark für den Aufbau von Steuersystemen einsetzen . Das hat eine viel größere Bedeutung,
als viele glauben . Wir wollen unser Engagement in diesem Bereich bis 2020 verdoppeln . Die OECD sagt nämlich: 1 Dollar, der in Steuersysteme investiert wird, bringt
100 Dollar Steuereinnahmen . Das müssen wir jetzt miteinander auf den Weg bringen .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
auch noch darauf hinweisen, dass wir in viel stärkerem
Maße das auf der ganzen Welt vagabundierende Geld für
die Ziele der Nachhaltigkeit an unsere regionalen Entwicklungsbanken binden müssen . Wir brauchen neue Finanzformate und neue Finanzprodukte, um diese Ziele
zu erreichen .
({9})
Wir werden demnächst mit der großen Tagung der Asiatischen Entwicklungsbank in Frankfurt am Main einen
ersten, ganz konkreten Anfang machen .
Ich darf zum Schluss darum bitten, dass wir eine sachliche Diskussion miteinander führen, dass wir das Verbindende, das bei den Nationen weltweit zum Ausdruck
gekommen ist, in unseren Diskussionen im Lande auch
spüren lassen . Insoweit sind wir der Überzeugung, dass
wir die Chance haben, einen sehr guten Beitrag zu leisten . Ich darf Ihnen ganz klar sagen: Diese Koalition ist
sich ihrer Verantwortung bewusst .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({10})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin
Birgit Menz .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
mit ihren 17 Zielen ist auch deshalb ein Erfolg, weil sich
die Länder des globalen Südens in den Diskussionsprozess stärker einbringen konnten, als dies in der Vergangenheit der Fall war . Die SDGs sprechen im Gegensatz
zu den MDGs auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Entwicklung an und nennen mitunter
sehr klare Umsetzungsmaßnahmen: etwa die Förderung
von Kleinproduzenten - darunter insbesondere Frauen,
Indigene, Kleinbauern, Hirten und Fischer -, unter anderem auch durch die Abschaffung von Exportsubventionen, Handelsbeschränkungen und -verzerrungen auf
den globalen Agrarmärkten; den Ausbau nachhaltiger Infrastruktur in den Entwicklungsländern, unter anderem
durch den verstärkten Transfer von Umwelttechnologien
zu günstigen Bedingungen; den Abbau von Ungleichheiten zwischen den und innerhalb der Gesellschaften, zum
Beispiel durch die Senkung der Transaktionskosten für
Rücküberweisungen, durch eine stärkere Repräsentation
der Länder des globalen Südens in den internationalen
Institutionen und durch die Verringerung von Einkommensunterschieden; das Erreichen nachhaltiger Produktions- und Konsumweisen unter anderem durch die
Rationalisierung ineffektiver Subventionierung fossiler
Brennstoffe und eine Umstrukturierung der Besteuerung .
Für die konsequente Umsetzung der SDGs, die Sie
in Ihrem Antrag ganz richtig fordern, muss eine weitere
Spezifizierung geleistet werden. Dazu kann ich aber in
Ihrem Antrag nichts lesen . Stattdessen bekräftigen Sie lediglich die Ziele, auf die sich Deutschland ohnehin schon
verständigt hat, und richten eine Reihe allgemeiner Forderungen an die Bundesregierung, die diese längst selbst
als Anspruch an sich formuliert . So fordern Sie die Bundesregierung auf, ihren politischen Willen, „die globalen
Ziele für nachhaltige Entwicklung in die breite Politikgestaltung auf allen Ebenen zu tragen“, deutlich zu formulieren und durch entsprechende Maßnahmen zu unterstützen, ordnen aber diese geforderte Entschlossenheit
sofort den „haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben
der Bundesregierung“ unter und damit der propagierten
austeritätspolitischen Alternativlosigkeit, die sich in den
letzten Jahren nicht gerade als hilfreich erwiesen hat, um
die Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen, insbesondere auch in ihrer sozialen Dimension, zu fördern .
Eine konsequente Umsetzung der SDGs wird aber
auch davon abhängen, ob ausreichend finanzielle Mittel
bereitgestellt und weitere Ressourcen mobilisiert werden, um die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen,
ihre Verschuldung abzubauen . Die SDGs enthalten die
klare Handlungsaufforderung - auch an die Bundesregierung -, die politischen Weichen in der Außen- und
internationalen Wirtschafts- und Handelspolitik neu zu
stellen . In diesem Zusammenhang stimmten aber schon
die Ergebnisse der dritten internationalen Konferenz über
Entwicklungsfinanzierung im Juli 2015 wenig hoffnungsvoll . Die reichen Industriestaaten schmetterten Vorstöße
der G 77 für eine gerechte soziale Entwicklung ab und
zielten stattdessen auf die Eigeninitiative der armen Länder und einen stärkeren Beitrag privater Unternehmen .
Auch in Ihrem Antrag ist an keiner Stelle die Rede von
einer Abschaffung der gerade für Entwicklungsländer
extrem schädlichen Subventionen, etwa im Agrarbereich .
An keiner Stelle findet sich eine Aussage zur deutschen
oder europäischen Handelspolitik oder eine Aussage zu
einem gerechten globalen Steuersystem auf der Basis
gleichberechtigter Mitbestimmung der Entwicklungsländer im Kontext der Vereinten Nationen . Das ist kein
glaubwürdiges Eintreten gegen Steuerflucht.
({0})
Mehr soziale Gerechtigkeit als Grundlage für nachhaltige Entwicklung weltweit wird ohne Umverteilung
von Reichtum und eine Demokratisierung der globalen
politischen Strukturen nicht möglich sein . Vor allem aber
müssen wir die Frage von sozialer Gerechtigkeit gemeinsam mit der Friedensfrage diskutieren . Es waren gerade
die Interventionen und Kriege des Westens in den vergangenen Jahren, die für Elend und Armut, für Millionen
von Flüchtlingen und verlorene Zukunftsperspektiven
verantwortlich sind . Diese Zusammenhänge nicht nur,
wie von Ihnen gefordert, zu verdeutlichen, sondern sie
durch klare Handlungsaufforderungen in eine kohärente
und verantwortungsvolle Politik zu übersetzen, verlangt
mehr Konsequenz, als in Ihrem Antrag zu erkennen ist .
Vielen Dank .
({1})
Nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter .
({0})
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin ein wenig irritiert durch Ihre Rede,
Frau Menz . Die 2030-Agenda, die die Staats- und Regierungschefs im September letzten Jahres in New York
beschlossen haben - und die G 77 waren dabei -, ist ein
Meilenstein für einen weltweiten Wandel hin zu einer
nachhaltigeren Wirtschaftsweise . Es hat in den Verhandlungen viel Überzeugungskraft gefordert, dass alle mit
im Boot sind . Deshalb noch einmal zur Erinnerung: Auch
die G 77 waren dabei .
Nachhaltigkeit soll gemäß dieser Agenda zum Grundprinzip politischer Entscheidungen sowie aller gesellschaftlichen Handlungen werden; denn beides hängt eng
zusammen, sowohl in den Entwicklungsländern als auch
in den Industrieländern . Die Umsetzung der Agenda erfordert eine intensive Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte . Gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den
NGOs, mit den Akteuren verfolgt die Bundesregierung
unter Federführung von BMUB und BMZ das Ziel einer wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen
Entwicklung in Deutschland selbst und ist bereit, andere
Länder hierbei zu unterstützen .
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die das
Herzstück der 2030-Agenda bilden - es gibt auch noch
169 Unterziele -, fordern ein Umsteuern aller Staaten hin
zu einer umweltverträglicheren, sozial inklusiven Wirtschaftsweise . Sie fordern menschenwürdige Arbeit für
alle, den Schutz von Arbeitnehmer- und Menschenrechten und ein verantwortungsvolles, umweltschonendes
Wirtschaften entlang der Produktions- und Lieferkette .
({1})
Die Produktions- und Lieferkette ist das eine, unsere
Konsummuster sind das andere . Beides gehört zusammen, und deshalb ist auch die Gesellschaft gefordert .
Deutschland fängt hier nicht bei null an, kann aber
insbesondere im Bereich nachhaltiger Produktions- und
Konsummuster noch viel mehr erreichen . Hier ist noch
viel Luft nach oben . Deshalb hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die Inanspruchnahme natürlicher
Ressourcen stärker von der wirtschaftlichen Entwicklung
zu entkoppeln, die Effizienz fortlaufend zu steigern und
die Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen weiter
zu reduzieren . Wir wollen, dass Deutschland zu einer der
effizientesten und umweltschonendsten Volkswirtschaften weltweit wird . Das ist nicht nur ein Regulatorium .
Dadurch sorgen wir auch dafür, dass Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt .
Ich will hier noch einmal den Blick auf den Konsum
werfen . Wir wollen ein Nationales Programm für Nachhaltigen Konsum Ende Februar im Kabinett verabschieden . Es ist unser Anliegen, nachhaltigere Lebensstile und
etablierte Umweltsiegel, zum Beispiel den Blauen Engel,
der ein gutes und etabliertes Siegel ist, zu stärken und
weiterzuentwickeln, sodass sich Verbraucher daran orientieren und tatsächlich nachhaltig konsumieren können .
Die Umsetzung der 2030-Agenda wird aber nur gelingen, wenn wir wissen, wo wir stehen und wie die
Umsetzung gelingt . Deswegen sind wir in New York dafür eingetreten, dass wir einen robusten und effizienten
Überprüfungsmechanismus einsetzen . Dieser wird sich
in politisch hochrangigen Foren, im HLPF der UN, in
jedem Jahr angeschaut . Um unseren Anspruch an einen
solchen Überprüfungsmechanismus zu unterstreichen,
gehen wir mit gutem Beispiel voran . Wir werden im Juli
beim nächsten HLPF schon einmal darüber berichten .
Wir sind die Ersten . Das heißt, die Welt wird auf uns
schauen und darauf, was wir liefern . Wir können nicht
nur von anderen die Erfüllung der Ziele einfordern . Die
Welt wird sich ansehen, wie wir das meistern und wie
erfolgreich wir sind .
Mit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie haben
wir ein gutes Instrument, das ein wesentlicher Rahmen
für die Umsetzung der globalen Ziele der Agenda durch
Deutschland und in Deutschland ist . Sie wird bis Oktober 2016 in einem Dialogprozess weiterentwickelt und
sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen orientieren .
Eines ist klar: 2016 muss mit der Umsetzung der
Nachhaltigkeitsagenda begonnen werden; denn der
Kurswechsel, der auf dem Gipfel in New York im vergangenen Jahr beschlossen wurde und den wir alle gemeinsam erreichen wollen, ist überfällig . Wir wollen
die extreme Armut beenden sowie die Ungleichheit, die
Ungerechtigkeit und auch den Klimawandel bekämpfen .
Hierbei war es im vergangenen Jahr durchaus ein wichtiger Etappenschritt, dass der Klimagipfel in Paris so erfolgreich vonstattenging . Zudem wollen wir nachhaltige
Produktions- und Lebensweisen sowie nachhaltige Konsummuster durchsetzen .
Ich danke herzlich .
({2})
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Dr . Valerie Wilms .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die
letzten zwei Besucher haben uns auch verlassen . Insofern sollten wir nächstes Mal vielleicht einmal schauen,
dass wir ein so wichtiges Thema zu einer etwas früheren
Zeit behandeln, werte Kolleginnen und Kollegen von der
GroKo .
({0})
Das sehen auch Herr Fuchtel und Frau SchwarzelührSutter so . Also: Ran da!
Frau Staatssekretärin, na klar, wir brauchen den
Kurswechsel, und zwar dringend . Wir müssen uns auch
endlich einmal wieder ernsthaft mit der Neufassung der
Nachhaltigkeitsstrategie beschäftigen; denn darin stehen
auch Ziele, die schon abgelaufen sind . Andere enden
2020; das ist nicht mehr lange hin . Insofern: Ran, ran,
ran!
Ich bin glücklich, dass mit diesem Antrag klar geworden ist, dass sich auch die Koalition hier im Parlament
einmal mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen
muss . Bisher haben Sie das nur über Anträge aus der
Grünenfraktion getan; wir haben Ihnen da schon einiges
vorgelegt . Die Beschäftigung des gesamten Parlaments
zu diesem relativ frühen Zeitpunkt - die Verabschiedung
der Ziele ist kaum ein halbes Jahr her - ist wichtig, richtig und dringend nötig .
({1})
An der Umsetzung der SDGs sind alle Ministerien
beteiligt . Da wäre es ein fatales Signal, wenn sich im
Parlament nur der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit damit befasst . Ich sitze nicht im Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung . Insofern
haben wir das jetzt schon etwas weiter gefasst .
Werte Kolleginnen und Kollegen, gleich zu Beginn
steht in Ihrem Antrag allerdings ein Absatz, der mir doch
sehr zu denken gibt . Sie schreiben über die 2030-Agenda - ich zitiere -: „Sie ist dementsprechend keine reine
Entwicklungsländeragenda“ . Stimmt! Aber was soll uns
das sagen? Natürlich sind die SDGs keine reine Entwicklungsländeragenda . Auch in Deutschland gibt es auf dem
Weg zur Nachhaltigkeit noch viel, viel zu tun .
Natürlich findet sich im Antrag auch die Forderung,
die Fortentwicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie auf die Umsetzung der SDGs auszurichten . Alles
Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
andere, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre ja auch
abwegig - obwohl man bei dieser GroKo nicht so genau
weiß, was da eigentlich läuft . Sie haben ja noch eine Parallelwelt nebenher laufen, „Gut leben in Deutschland“
genannt . Was Sie da machen wollen, ist ja auch eine Art
Strategie .
Aber so weit zu gehen, nun alle nationalen Nachhaltigkeitsziele mindestens bis 2030 fortzuschreiben, das
trauen Sie sich in diesem Antrag dann doch nicht . Dabei
wäre ja gerade das essenziell . Es ist doch so, dass es momentan an der konsequenten Fortschreibung aller Ziele
bis 2030 mangelt .
Richtig erkannt hat die Koalition endlich, dass die
2030-Agenda einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung
von Fluchtursachen leisten kann . Nur bricht der Antrag an dieser Stelle leider unvermittelt ab . Wie sollen
Fluchtursachen wirksam bekämpft werden? Da ist von
Ihnen nichts zu lesen . Kleiner Tipp: Lesen Sie doch mal
unseren Antrag mit der Drucksachennummer 18/7046 .
Da finden Sie eine ganze Reihe Hinweise, wie man so
etwas machen kann .
Werte Kolleginnen und Kollegen, besonders frech
finde ich das Lob für die Bundesregierung bezogen auf
den G-7-Gipfel . Da gab es einen Beschluss über die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft . Dass allerdings direkt
danach die geplante Kohleabgabe für Braunkohlekraftwerke wieder einkassiert wurde, wird in Ihrem Antrag
mit keinem Wort erwähnt . Leider ein typisches Beispiel
für die Dialektik Ihrer Politik: heute hü und morgen hott .
Nachhaltige Politik sieht anders aus .
({2})
Ich bin leider schon am Ende meiner Redezeit . Darum
nur noch ein kurzer Hinweis . Ich zitiere noch einmal aus
Ihrem Antrag . Da steht:
Die nationale Umsetzung muss sich in die haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundesregierung einfügen
Wird das wirklich ernst genommen? Dann wären ja
größere Umwälzungen im nächsten Haushalt zu erwarten, ja dann stände uns hier im Haus eine kleine Revolution bevor - im Haushaltsausschuss . Toll! Ich sehe hier
aber keinen Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, und
ich halte das für schwer vorstellbar . Nötig wäre es natürlich . Denn die Haushalts- und Finanzplanung ist, wie
Sie ja nun endlich selbst erkannt haben, der Schlüssel zu
einer mehr oder eben weniger nachhaltigen Politik . An
Ihren Versprechungen, werte Kolleginnen und Kollegen,
werden wir zukünftig die Haushaltsentwürfe messen .
Darauf können Sie sich verlassen .
Vielen Dank, dass Sie mir so aufmerksam zugehört
haben .
({3})
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Bärbel Kofler für die SPD.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es freut mich, dass ich an einigen Stellen auch von Ihnen, Frau Wilms, durchaus lobende Töne zu dem Antrag
vernehmen konnte . Es ist richtig: Dieser Antrag ist ein
erster Aufschlag . Ich darf daran erinnern: Die Konferenz
in New York war im September letzten Jahres, und die
Klimakonferenz in Paris war im November/Dezember .
Ich finde, dass wir uns relativ zügig darum bemüht haben, hier erste Ansätze für eine Umsetzung vorzulegen .
({0})
Und ich darf Sie auch beruhigen: Es kommt sicher noch
mehr . Da brauchen Sie keine Angst zu haben . Wir werden vielleicht noch gemeinsam das eine oder andere
Spannende erarbeiten .
Diese Debatte bietet Gelegenheit, über die Konferenzen des vergangenen Jahres ein bisschen zu reflektieren:
Was waren die wichtigen Punkte? Was waren die Punkte,
von denen wir wissen, dass wir nachsteuern müssen und
es noch Handlungsbedarf gibt? Bei den SDGs - das ist
das Entscheidende - kommt es jetzt auf die Umsetzung
an . Es kommt darauf an - das ist nicht trivial -, hineinzuschreiben, dass wir unsere nationale Nachhaltigkeitsstrategie auf internationale Bereiche ausweiten müssen . Ich
habe irgendwann einmal gelernt, dass es das Manko der
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist, dass wir uns viel
zu wenig auf die internationale Ebene begeben .
Was in den SDGs zu Recht eingefordert wird, ist Universalität . Es geht nicht nur darum, dass wir in Deutschland irgendetwas ein bisschen besser machen, sondern
auch darum, die Wechselwirkungen zwischen dem, was in
Deutschland passieren muss, und dem, was international
passieren muss - seien es Handelsfragen, die Fragen der
Arbeitnehmerrechte, die im Übrigen im Antrag ausführlich angesprochen werden, oder die Frage der Einhaltung
der ILO-Kernarbeitsnormen -, besser zu berücksichtigen
und mehr dafür zu tun, dass wir wirklich vorankommen
und die Menschen nachhaltig aus der Armut herausführen .
Das ist ein entscheidender, ganz wichtiger Punkt .
Ich glaube auch, dass wir bei den Finanzfragen - ich
nenne die Konferenz von Addis Abeba - noch nachlegen
müssen; das ist überhaupt keine Frage . Wir haben uns
im Zusammenhang mit ODA nicht zu dem verpflichtet,
was wirklich ganz schnell zu einem Aufwuchs und zur
Unterfütterung dieser Ziele führt . Wir werden noch viel
tun müssen .
Ich finde es gut, dass es eine Initiative zum Thema
„Aufbau der Steuersysteme in den Entwicklungsländern“
gibt . Da werden wir eine ganze Menge und noch viel
mehr tun müssen . Ich freue mich auf die Debatte im und
mit dem Finanzausschuss, wie das Thema Steuervermeidung und Steuerhinterziehung anzugehen ist . Mittlerweile weiß jeder, der sich mit Entwicklungszusammenarbeit
beschäftigt und den Mbeki-Bericht gelesen hat, dass den
Ländern Afrikas jährlich 50 bis 150 Milliarden US-Dollar durch Steuervermeidungskonzepte entgehen . Das
sind enorme Summen, die bei der Armutsbekämpfung
fehlen . Hier ist also noch viel zu tun . Das ist noch ein
ganz großes Handlungsfeld .
Ein Punkt ist noch nicht erwähnt worden . In dem vorliegenden Antrag ist ein Bekenntnis zur Finanztransaktionsteuer enthalten; das will ich deutlich unterstreichen .
Wir fordern die Bundesregierung auf, auf europäischer
Ebene alles zu tun, damit sie eingeführt wird . Wir von
den Koalitionsfraktionen bekennen uns gemeinsam dazu
und sagen, dass auch wir das wollen. Ich finde, das ist
eine wichtige Aussage .
({1})
Wir als Entwicklungspolitiker, aber nicht nur die Entwicklungspolitiker, werden noch viel darüber diskutieren
müssen, wie wir die SDGs mit unseren Partnern umsetzen . Es wird in vielen Bereichen zu einem entwicklungspolitischen Paradigmenwechsel kommen müssen . Wir
werden prüfen müssen: Ist das, was wir in den verschiedensten Feldern machen, im Sinne der Nachhaltigkeitsagenda bereits genug? Oder nehmen wir manchmal falsche Weichenstellungen vor und müssen daher vielleicht
einiges überprüfen und überdenken? Das wird ein wichtiger Prozess sein .
Ich glaube aber auch - und das ist das Entscheidende -: Das Thema der Politikkohärenz ist für uns alle das
A und O . Wir werden mit den Kollegen aus den anderen Ausschüssen darüber diskutieren müssen, wessen
Aufgabe es ist, die Nachhaltigkeitsagenda umzusetzen .
Sie ist eben auch die Aufgabe der Finanzpolitiker, sie
ist die Aufgabe der Gesundheitspolitiker - ich denke an
viele Verknüpfungen, was den Zugang zu Medikamenten und was Patentrechte anbelangt -, sie ist die Aufgabe
der Wirtschaftspolitiker, sie ist die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitiker, wenn es um das Thema „internationale
Arbeitsnormen“ geht, und sie ist selbstverständlich die
Aufgabe der Umweltpolitiker, wenn es um Klimaschutz,
den Zugang zu Wasser und anderen Ressourcen geht .
Das ist eine ganz entscheidende Frage . Für all das will
und soll die Entwicklungspolitik Motor sein . Dafür haben wir den vorliegenden Antrag geschrieben .
({2})
Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7361 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Widerspruch erhebt
sich keiner . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe jetzt den letzten Tagesordnungspunkt für heute, nämlich den Tagesordnungspunkt 20, auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung der Zuständigkeiten von
Bundesbehörden an die Neuordnung der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes ({0})
Drucksache 18/7316
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich
sehe hier ausschließlich Einverständnis . Dann geschieht
das so .1)
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7316 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Auch
hier kann ich nur allgemeines Einverständnis feststellen .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Damit sind wir auch am Schluss unserer Tagesordnung angelangt .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29 . Januar 2016, 9 Uhr, ein .
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend . Kommen Sie morgen wieder wohlbehalten und gesund ins
Plenum .
Die Sitzung ist geschlossen .