Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/28/2016

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer Plenarsitzung . Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Rainer Spiering zu seinem gestrigen 60 . Geburtstag ({0}) sowie dem Kollegen Cajus Caesar, der in der vergangenen Woche seinen 65 . Geburtstag gefeiert hat, herzlich gratulieren . ({1}) Alle guten Wünsche im Namen des ganzen Hauses . Wir müssen noch die Wahl eines Mitglieds des Beirats beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR gemäß § 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes durchführen . Die Fraktion Die Linke schlägt vor, für eine weitere Amtszeit den Kollegen Jörn Wunderlich als Mitglied des Beirats zu berufen . - Heftiges Nicken bei der Fraktion Die Linke . Kein erkennbarer Widerspruch aus den Reihen der anderen Fraktionen . Dann ist das hiermit so beschlossen und der Kollege Wunderlich in den Beirat nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz gewählt . Des Weiteren schlägt die SPD-Fraktion vor, als stellvertretendes Mitglied des Wahlprüfungsausschusses gemäß § 3 Absatz 2 des Wahlprüfungsgesetzes den Kollegen Dr. Matthias Bartke für die aus dem Gremium ausscheidende Kollegin Dr . Katarina Barley zu wählen . Stimmen Sie auch diesem Vorschlag zu? - Das ist offenkundig der Fall . Damit ist der Kollege Bartke gewählt . Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Armuts- und Reichtumsstudien ({2}) ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({3}) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck ({4}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung Drucksache 18/7359 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache ({5}) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({6}) zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr Chancen für die Menschen und die Unternehmen KOM({7}) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15 hier: Politischer Dialog mit EU-Institutionen Drucksachen 18/6855 A.5, 18/7395 ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Menschen- und umweltgerechten Ausbau der Rheintalbahn realisieren Drucksache 18/7364 ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze Drucksache 18/7365 ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae, Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt sicherstellen Drucksachen 18/6884, 18/7388 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zukunft des Strommarktes - Mit ökologischem Flexibilitätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten Drucksache 18/7369 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({9}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden . Der Tagesordnungspunkt 27 - da geht es um die Einsetzung eines weiteren Untersuchungsausschusses - wird heute abgesetzt . Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs . Ich möchte schließlich noch auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam machen: Der am 15 . Januar 2016 ({10}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({11}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen Drucksache 18/7204 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({12}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Der am 14 . Januar 2016 ({13}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({14}) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse Drucksache 18/7218 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ({15}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Gesundheit Die am 18 . Dezember 2015 gemäß § 80 Absatz 3 der Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrichtung soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden: Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ÖPP-Projekte im Betrieb Drucksachen 18/6898, 18/7116 Nr. 2 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({17}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes auf Drucksache 18/6986 sowie die dazu vorliegende Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7288 sollen an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({18}) zurücküberwiesen werden . Dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen . Also kön- nen wir so verfahren . Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie Zukunftsfähigkeit sichern - Die Chancen des digitalen Wandels nutzen b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahreswirtschaftsbericht 2016 der Bundesregierung Drucksache 18/7380 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({19}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Präsident Dr. Norbert Lammert Jahresgutachten 2015/2016 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Drucksache 18/6740 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({20}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Oliver Krischer, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahreswohlstandsbericht einführen Drucksache 18/7368 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({21}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 77 Minuten vorgesehen . - Auch das ist offenkundig unstreitig . Also verfahren wir so . Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Wirtschaft und Energie . - Herr Gabriel, bitte schön . ({22})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt erneut, dass Deutschland gerade eine langanhaltende Phase des Wachstums und der Prosperität erlebt . Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft geht in das dritte Jahr . Nach den Jahren 2012 und 2013 mit nur 0,4 Prozent und 0,3 Prozent hatten wir 2014 1,6 Prozent und 2015 1,7 Prozent Wirtschaftswachstum, und 2016 wird mit einem Wachstum in der gleichen Größenordnung - 1,7 Prozent - gerechnet . Das zeigt, dass sich die Wachstumsphase fortsetzt . Aber wichtiger ist: Es setzt sich auch der Aufbau von Beschäftigung in Deutschland zu vernünftigen Löhnen fort . ({0}) Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland war noch nie so hoch . Für 2016 ist prognostiziert, dass wir einen Beschäftigungsaufbau von 380 000 Personen haben werden . Für 2017 wird mit knapp 300 000 weiteren Beschäftigten gerechnet . Wir erreichen damit im laufenden Jahr 43,3 Millionen Erwerbstätige und im Jahr 2017 43,7 Millionen Erwerbstätige . Eine solche Zahl gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie . Gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit . Wir haben schon im letzten Jahr die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung verzeichnen können . Besonders wichtig ist, dass die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse mit plus 540 000 deutlich zunimmt und ein Rückgang der Zahl geringfügig Beschäftigter um 90 000 Personen zu verzeichnen ist . Löhne und Gehälter steigen aufgrund der guten Rahmenbedingungen und entsprechender Tarifverhandlungen an: um 2,3 Prozent in 2015, um 2,6 Prozent in 2016 . Aufgrund des niedrigen Ölpreises sind auch die Realeinkommen erstmals seit vielen Jahren um durchschnittlich 2,2 Prozent gestiegen . Das heißt, der Wohlstand und das Wachstum kommen bei den Menschen in Deutschland an . Ich finde, es ist gerade in diesen Zeiten wichtig, auch das einmal laut und öffentlich zu sagen, meine Damen und Herren . ({1}) Unsere Unternehmen sind wettbewerbsfähig und unsere Staatsfinanzen solide. Deutschlands Wirtschaft steht damit fast allein . Angesichts der geopolitischen Risiken, die es gibt, der Schwierigkeiten in China und Lateinamerika, der Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine, des Krieges im Nahen Osten und des nur langsamen Zusammenwachsens Europas ist es doch erstaunlich - ich finde, das darf dieses Land auch stolz auf sich selber machen -, was dieses Land in dieser Zeit zu leisten in der Lage ist und wie gut die wirtschaftliche, aber auch die soziale Situation in unserem Land ist . ({2}) Das heißt aber nicht, dass wir so tun, als gäbe es nicht auch in unserem Lande Probleme und Schwierigkeiten . Ich erinnere an Alleinerziehende, Familien, Rentnerinnen und Rentner, die 40 Jahre gearbeitet haben und am Ende ihres Arbeitslebens nicht einmal eine Rente auf Sozialhilfeniveau bekommen . ({3}) - Das liegt unter anderem daran, dass wir es noch nicht geschafft haben - was wir in dieser Koalition aber machen werden -, eine solidarische Lebensleistungsrente einzuführen, sodass der, der 40 Jahre gearbeitet hat, mehr bekommt als derjenige, der nicht gearbeitet hat . ({4}) - Bei Ihnen darf man nicht einmal mehr auf die Zwischenrufe gespannt sein . Die kann man sich schon vor der Rede vorstellen . Präsident Dr. Norbert Lammert Ich sage das nicht ohne Grund; denn es gibt einen merkwürdigen Widerspruch . ({5}) - Ich weiß nicht, ob es Ihnen besser ginge, wenn es dem Land schlechter ginge . Vielleicht hätten Sie dann bessere Laune . Das weiß ich aber nicht . ({6}) Ich erwähne diese Zahlen deshalb, weil es einen merkwürdigen Kontrast gibt zwischen einerseits der gefühlten Stimmung im Land und manchmal auch der politischen Hysterie, die wir erleben, und andererseits dieser exzellenten wirtschaftlichen und sozialen Situation, die wir in unserem Land vorfinden. Ja, die Herausforderung, mehr als 1 Million Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, ist riesig . Ja, nicht alles läuft dabei perfekt; ja, manchmal machen wir dabei auch Fehler . Manchmal streiten wir auch . Manchmal sind Dinge auch nicht so schnell ins Lot zu bringen, wie wir uns das wünschen . Ich hoffe, wir schaffen am heutigen Tag wieder einen deutlichen Schritt nach vorn . Man kann aber nun wirklich nicht sagen, dass dieses Land handlungsunfähig sei, ({7}) dass wir die Kontrolle über das Land verloren hätten und dass jeden Tag aufs Neue das Chaos ausbreche . Wenn man die Zeitungen, die Medien und die Briefe, die man erhält, liest, muss man den Eindruck haben, dass wir in einem Land leben, das überall funktionsunfähig geworden ist . Das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und Herren: Wir sind eines der am besten aufgestellten Länder Europas . ({8}) Noch einmal: Nicht alles ist perfekt . Manches machen wir auch falsch . Das liegt übrigens daran, dass wir Menschen sind und dass wir nicht vorhersehen konnten, vor welche Herausforderungen man gestellt wird, wenn 1 Million Zuwanderer im Jahr zu uns kommen . Manchmal arbeiten auch die Behörden nicht gut genug . Das liegt auch daran, dass sie nicht genug Personal haben, dass wir in der Vergangenheit zu viel auf das Einsparen von Lehrer- und Polizeistellen gesetzt haben, was wir jetzt wieder ändern werden . ({9}) Deshalb darf man aber doch nicht eine Krise der Demokratie, der Republik und auch nicht der Koalition herbeireden oder herbeischreiben . Das alles gibt es nicht, meine Damen und Herren . Wir haben ein stabiles Land, eine stabile Bundesregierung, ein Land, das ungeheuer kräftig ist und das die Möglichkeiten hat, das zu schaffen . ({10}) - Herr Krischer, als ich mir überlegt habe, diese Sätze zu sagen, wusste ich, dass Leute wie Sie darüber lachen und sagen: Schaut euch doch einmal den Streit in der Bundesregierung an . - Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Zur Demokratie gehört auch Streit . Ihre Partei hat einmal dafür gefochten . ({11}) Ihre Partei ist großgeworden mit der Aussage, dass man unterschiedliche Meinungen auch öffentlich aussprechen darf . Heute halten Sie das für ein Zeichen von Regierungsunfähigkeit . ({12}) Ich finde es auch nicht belebend, was an mancher Stelle der Debatte in der Union stattfindet. ({13}) - Und der SPD . Okay . Nur die anderen beiden sind sich immer einig; es sei denn, Cem Özdemir sagt etwas zur Zuwanderung - dann gibt es da auch Ärger ({14}) oder Frau Wagenknecht spricht über das Gastrecht . ({15}) Wir müssen aufhören, der Öffentlichkeit vorzumachen, dass man bei einer der größten Herausforderungen unserer Zeit nicht auch in den Parteien zu unterschiedlichen Positionen in den Diskussionen kommen kann . Das Problem ist nicht, dass wir an einzelnen Stellen unterschiedlicher Auffassung sind . Das Problem ist vielmehr, dass wir dabei ein Bohei daraus machen, als wären wir mitten in einer Staatskrise . Das sind wir nicht . ({16}) Ich sage das deshalb, weil von dieser Art der Debatte, von der Überzeichnung ganz normaler politischer Diskussionen, ({17}) nur die profitieren, von denen keiner hier im Parlament will, dass sie demnächst in Parlamenten sitzen . ({18}) Warum sind sie keine Alternative für Deutschland? Weil sie diese wirtschaftliche Entwicklung ruinieren würden, weil das Leute sind, die sich gegen den sozialen AusBundesminister Sigmar Gabriel gleich stellen, nicht für den Zusammenhalt der Gesellschaft einstehen und sich obendrein auch noch häufig rassistisch verhalten und übrigens nicht selten das sind, was wir früher einmal „Feinde der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ genannt haben . ({19}) Ich trete nicht dafür ein, dass wir nicht unterschiedliche Auffassungen debattieren . ({20}) Das ist notwendig . - Ich weiß, dass es für Sie ganz schwer ist, eine ernsthafte Debatte zu führen, weil Sie den Eindruck haben, nur bei hohen Wellen wahrgenommen zu werden . Ich sage Ihnen: Das ist nicht so . Sie werden auch wahrgenommen, wenn Sie ernsthaft diskutieren und handeln . ({21}) - Wenn Sie möchten, kann ich Cem Özdemir auch gerne einmal wörtlich zitieren . Sie können dann ja hierherkommen und sagen, was Sie davon halten . Ich glaube, unterschiedliche Auffassungen zu haben, ist nicht das Problem . Wir müssen vielmehr aufpassen, dass wir nicht ein Zerrbild unseres Landes zeichnen . Dieses Land wird nicht durch rechtsradikale Brandstifter gekennzeichnet, auch nicht durch kriminelle Ausländer . Deutschland ist ein handlungsfähiger Staat, ein sehr starkes und sehr stabiles Land, das in der Lage ist, vieles zu bewältigen, wie kein anderes Land der Erde es in dieser Weise tun könnte . Das ist das Land, von dem wir reden . ({22}) Weil man das so schnell vergisst, will ich noch einmal in Erinnerung rufen, was wir schon geschafft haben: Wir haben den Ländern und Kommunen im letzten Jahr 6 Milliarden Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise gegeben, und wir alle ahnen, dass das in Zukunft eher noch mehr werden wird . Wir haben dafür gesorgt, dass mit hoher Geschwindigkeit Entscheidungszentren aufgebaut wurden . Wir haben das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in kurzer Zeit nicht nur personell aufgestockt, sondern auch noch mit der Bundesagentur für Arbeit verzahnt . Wir haben die ersten Arbeitsmarktprogramme aufgelegt und uns um die Unterbringung gekümmert; auch die Kommunen haben Phantastisches geleistet . ({23}) Ich könnte diese Liste fortsetzen . Denken Sie zum Beispiel daran, wie wir mit der Gesundheitsversorgung umgehen . Natürlich haben wir einige Probleme noch nicht gelöst, beispielsweise die Frage, wie wir mit dem Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige umgehen . Das sind Menschen, die nicht aus Bürgerkriegsgebieten kommen, die nicht unmittelbar gefährdet sind, aber die wir aus humanitären Gründen nicht abschieben . Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir eine gute Chance haben, das heute zu klären . Angesichts der Zahlen, über die wir dabei reden, ist das eher eine Randfrage; aber es wird als Beispiel genutzt, um zu zeigen, wir seien angeblich handlungsunfähig . Deswegen ist es wichtig, dass wir dies heute klären . ({24}) Noch einmal: Es ist nicht alles perfekt; aber wir haben das Erreichte ohne Verteilungskämpfe in diesem Land geschafft . Wir haben niemandem etwas weggenommen, damit wir das schaffen können . Es ist nicht zu sozialen Auseinandersetzungen gekommen . Im Gegenteil: Wir legen Wohnungsbauprogramme auf, die allen dienen werden, die in den Großstädten nach bezahlbaren Wohnungen suchen . ({25}) Keine Verteilungskämpfe, trotzdem solide Finanzen und eine wirklich exzellente Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt - ich finde, das kann uns Mut geben für das, was wir noch schaffen müssen . Wir haben im letzten Jahr im Wesentlichen über Unterbringung geredet . Jetzt ist die Zeit, über Integration und eine nachhaltige Integrationsstruktur zu sprechen . ({26}) Wir brauchen soziale Investitionen, und zwar wieder nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle, die in Deutschland beispielsweise auf der Suche nach einem Ganztagsschulplatz sind oder noch keinen Platz in einer Kindertagesstätte gefunden haben . Aber es geht auch darum, dass wir ganz generell über die Frage sprechen: Was ist nötig, damit sich diese wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzt? Die Spannungen in unserem Land sind nämlich nur dann beherrschbar, wenn wir auch in Zukunft Verteilungskonflikte vermeiden. Dafür sind eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung und ein hoher Beschäftigungsstand von großer Bedeutung . Deswegen schlagen wir vor, in unserem Hause darüber zu debattieren: Was können wir tun, um den Schritten, die wir zur Stärkung der Investitionstätigkeit schon gemacht haben, weitere folgen zu lassen? Auch da hat die Koalition schon viel geschafft . Immerhin sind die Investitionen des im letzten Jahr beschlossenen Haushalts 20 Prozent höher als die im Jahr 2014; wir liegen da jetzt nahe an 30 Milliarden Euro . Wir haben den OECD-Durchschnitt, 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu investieren, inzwischen fast erreicht . Wir haben die Städte und Gemeinden in dieser Legislaturperiode um 20 Milliarden Euro entlastet, damit sie wieder investieren können, weil die Kommunen die Hauptträger öffentlicher Investitionen sind, nicht Bund oder Länder . Wir werden Länder und Kommunen bis 2018 um sage und schreibe 45 Milliarden Euro entlasten, ein Riesenschritt zur Verbesserung der kommunalen Investitionstätigkeit . ({27}) Also: Wie gehen wir auf diesem Weg weiter? Ein Thema ist natürlich der Breitbandausbau . Der Kollege Dobrindt hat das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2018 eine Übertragungsgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde bereitzustellen . ({28}) Wir alle wissen: Das ist ein wichtiges Ziel . Aber es ist nur ein Zwischenziel, um zu einem wesentlich schnelleren Netz in unserem Land zu kommen, weil wir nur so an den digitalen Geschäftsmodellen teilhaben können . Wir sind dabei, den digitalen Ordnungsrahmen neu aufzustellen: in Europa mit der Datenschutz-Grundverordnung und bei uns, indem wir das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen novellieren und uns fragen: Können wir eigentlich zulassen, dass die Giganten auf den Datenmärkten immer größer werden und marktbeherrschende Stellungen erreichen? Wir kümmern uns um die Frage, wie wir den Mittelstand in Deutschland stärker an das Thema Digitalisierung heranbringen . Das Ziel sind fünf Kompetenzzentren - plus eines für das Handwerk - für die Digitalisierung im Mittelstand . Wir digitalisieren auch die Energiewende . Das heißt, wir sind auch da auf dem Weg . Klar, wir haben noch eine Menge zu tun . Aber die Bundesregierung hat hier in den letzten zwei Jahren vieles auf den Weg gebracht . Wir sind auch beim Thema „Start-up und Venture Capital“ weitergekommen . Es gibt ein vorbörsliches Segment . Wir haben Eckpunkte für ein Venture-Capital-Gesetz erarbeitet . Wir haben 2 Milliarden Euro mehr für Investitionen in unserem Land zur Verfügung gestellt . Auf all den Feldern, auf denen wir unterwegs sein müssen, um die Investitionstätigkeit weiter anzuregen, um Start-ups und Gründerzeit zu fördern und die öffentliche Infrastruktur zu verbessern, hat die Bundesregierung bereits vieles auf den Weg gebracht . Wir haben ein Bürokratieentlastungsgesetz verabschiedet, das mit einer Einsparung von immerhin 1,4 Milliarden Euro Wirkung zeigt . Wir sind beim Bürokratieindex zum ersten Mal unter dem Ausgangswert 100, also unterhalb des Wertes, bei dem wir gestartet sind; wir haben die Bürokratie nicht ausgebaut . Ich finde, wir können auch relativ stolz auf das sein, was wir im Bereich der Energiemärkte inzwischen geschafft haben . In nur zwei Jahren haben wir die verschiedenen Teile der Energiewende ineinandergreifen lassen, die losen Fäden miteinander verknüpft . Wir bringen jetzt Verlässlichkeit und Planbarkeit in die Energiepolitik in Deutschland zurück . Meine Damen und Herren, all das sind Bedingungen, die dieses Land in den kommenden Jahren nutzen kann, um seinen wirtschaftlichen Aufschwung fortzusetzen . Natürlich gibt es auch auf einigen Feldern Beratungsbedarf . Wenn wir stolz darauf sind, dass unser Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung bei 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, während andere Europäer nur einen Anteil von 2 Prozent aufweisen, dann kann ich nur sagen: Das ist eine optische Täuschung . ({29}) Unsere Wettbewerber in Südkorea oder Asien haben sich 4 bis 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zum Ziel gesetzt . Davon sind übrigens immer 80 Prozent private Investitionen und nicht öffentliche . Das heißt: Was können wir tun, um gerade im Mittelstand die Investitionen in Forschung und Entwicklung zu befördern? Mich hat sehr beunruhigt, dass im letzten Jahr die Investitionen in Forschung und Entwicklung gerade im Mittelstand deutlich zurückgegangen sind . Das ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft . Deswegen wird die Koalition darüber zu beraten haben, wie wir die Investitionstätigkeit in den kommenden Jahren besser fördern können . Die Debatte geht zwischen Projektförderung und steuerlicher Forschungsförderung hin und her . Ich bin zuversichtlich, dass wir uns da verständigen; denn auf Dauer können wir uns nachlassende Forschungsinvestitionen gerade im Mittelstand mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit nicht leisten, meine Damen und Herren . ({30}) Auch in der Industriepolitik gibt es, glaube ich, viel zu tun . Wir sind auch in diesem Bereich in der Diskussion, zum Beispiel über die Frage, wie wir in einer so wichtigen Leitindustrie wie der Automobilindustrie das Thema Elektromobilität voranbringen können . Wir werden uns ohnehin in den nächsten Jahren sehr stark um die Systemverknüpfung zwischen erneuerbaren Energien und dem Mobilitätssektor bemühen müssen . Man muss sich letztlich entscheiden, ob man an dem Ziel von 1 Million Elektroautos bis 2020 festhalten will . Dann brauchen wir Markteinführungsprogramme und Investitionen in Ladeinfrastruktur - ohne sie wird es nicht gehen -, und wir brauchen auch ein Beschaffungsprogramm von Bund, Ländern und Gemeinden . Sonst kann man dieses Ziel von 1 Million nicht erreichen . Aber wir müssen von der Industrie auch eine Gegenleistung fordern, ({31}) und diese muss darin bestehen, dass die industrielle Batterieproduktion nach Deutschland zurückkommen muss . Das ist es, was wir in diesem Land schaffen müssen . ({32}) Meine Damen und Herren, soziale Investitionen brauchen wir insbesondere vor dem Hintergrund der Zuwanderung, aber nicht nur deshalb . Wir brauchen soziale Investitionen in Bildung und Erziehung, in Sprachförderung, Qualifizierung, in den Arbeitsmarkt und übrigens auch in ein System, in dem die soziale Marktwirtschaft ihrem Namen gerecht bleibt . ({33}) Ich weiß, dass in unserem Land Werkverträge und Leiharbeit auch in Zukunft zur ganz normalen FlexibilitätsBundesminister Sigmar Gabriel option unserer Unternehmen gehören müssen . Es kann aber nicht sein, dass diese Instrumente von Arbeitgebern missbraucht werden, um sich aus der Arbeitgeberrolle zu verabschieden . ({34}) Arbeitgeber sind etwas anderes als Manager . Manager können sich möglicherweise vorstellen, ihren Betrieb so zu managen, dass dabei im Wesentlichen andere Unternehmen wie Werkvertragsunternehmen tätig sind . Ein Arbeitgeber in der sozialen Marktwirtschaft hat über den Produktionsprozess hinaus Verantwortung, auch für die soziale Sicherheit seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Wir möchten gerne, dass die Werkverträge da, wo sie Flexibilität für Arbeitgeber herstellen, erhalten bleiben . Wir können nicht Werkverträge an der Stelle einschränken . ({35}) Aber wir wollen nicht, dass der Ausbau bzw . der Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit weiter fortschreitet und damit letztlich die Idee des Arbeitgebers in einer sozialen Marktwirtschaft immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird . Das wollen wir nicht . ({36}) An dieser Schnittstelle werden wir arbeiten müssen . Meine Damen und Herren, ich weiß, dass zu der Frage, wie wir in den kommenden Jahren wettbewerbsfähig bleiben, noch mehr Themen gehören, beispielsweise auch die Frage, wie es in Europa weitergeht . Aber mir lag auch beim Jahreswirtschaftsbericht ein bisschen daran, diese doch wirklich beeindruckenden Zahlen zu nutzen, um zu zeigen, dass das Land keine Angst haben muss, dass wir nicht in einem Land leben, das unsicher über sich selber wird, dass es auch um Themen wie soziale Ungleichheit im Land geht, dass wir mehr und bessere Primäreinkommen brauchen und dass wir auch über die Steuerpolitik in diesem Land weiter diskutieren und streiten werden . Für das alles gibt es ausreichend Raum . Aber wir sollten bei solchen Debatten unseren Bürgerinnen und Bürgern im Land auch zeigen: Das ist ein verdammt starkes Land, das eine Menge kann und auf das die Menschen, die das erarbeiten, ziemlich stolz sein können . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({37})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion Die Linke . ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister, lieber Sigmar, in einem Punkt bin ich mit dir einer Meinung ({0}) - ja, in einem Punkt -: Das ist tatsächlich ein starkes Land . Es bewältigt Probleme und sorgt dafür, dass Flüchtlinge vernünftig aufgenommen und betreut werden . Es gibt aber einen großen Unterschied: Dieses Land ist handlungsfähig; aber bei dieser Regierung habe ich inzwischen gravierende Zweifel, was die Handlungsfähigkeit in dieser Frage betrifft . ({1}) Da will ich gleich einmal auf die Flüchtlingskrise eingehen; du hast sie angesprochen, Sigmar . In der Regierung gibt es eine Bandbreite der Diskussion, die von der Forderung aus Bayern, die Grenzen zu schließen, bis hin zur Willkommenskultur reicht . Die Kanzlerin wird von der eigenen Fraktion angesägt; leider ist sie jetzt nicht mehr anwesend . ({2}) - Ihr wisst doch selber, was ihr macht . Tut doch nicht so! - Da ihr in dieser Situation die Kanzlerin ansägt und wir als Opposition sie auch noch verteidigen müssen, stellt sich die Frage: Wen hättet ihr denn als Alternative? Da ist doch weit und breit niemand vorhanden . Deshalb bin ich froh, dass Frau Merkel Kanzlerin ist und nicht jemand von euch; das will ich mit aller Klarheit sagen . ({3}) Der Jahreswirtschaftsbericht ist verständlicherweise nichts anderes als ein Selbstlob; daran kann man nichts ändern . Aber dass man gravierende Fehlentwicklungen nicht einmal anspricht, ist wirklich ein Problem . 62 der reichsten Menschen, darunter auch sechs Deutsche, besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit . Eine unglaubliche Zahl! In keinem Euro-Land ist der Reichtum so ungerecht verteilt wie in Deutschland . ({4}) - Sich der Realität zu verweigern, ist bei euch nichts Neues . - Ich will euch eine Zahl nennen . Die Schweizer Bank UBS hat veröffentlicht, dass in Deutschland allein im Jahre 2014 das Vermögen derjenigen, die 30 Millionen Euro und mehr besitzen, um mehr als 200 Milliarden US-Dollar gestiegen ist . ({5}) Das entspricht ungefähr zwei Dritteln des Staatshaushalts der Bundesrepublik . ({6}) Wie gesagt, es geht hier um den Zuwachs und nicht um das Vermögen selber . Zwei Drittel des Staatshaushalts der Bundesrepublik könnten diese reichen Menschen alleine von ihrem Vermögenszuwachs bezahlen . Im letzten Jahreswirtschaftsbericht heißt es - ich habe das nachgelesen -: Nach Auffassung der Bundesregierung lassen sich effizientes Wirtschaften und gerechte Verteilung in der sozialen Marktwirtschaft nicht trennen . Ja, einverstanden! Aber dem aktuellen Jahreswirtschaftsbericht kann ich entnehmen, dass die Löhne weiterhin langsamer wachsen als die Gewinne . Die Schere wird also weiter auseinandergehen . Was ich schlichtweg vermisse, ist irgendeine Initiative, die dazu dient, die ungerechte Verteilung in dieser Republik anzugehen . Da macht die Bundesregierung nichts . Das ist Arbeitsverweigerung . ({7}) Was könnten Sie tun? Sie könnten die Leiharbeit und die Werkverträge vernünftig regeln . Aber was tun Sie? Sie legen ein Gesetz vor, das weit hinter den Anforderungen zurückbleibt . ({8}) Dieses unzureichende Gesetz wird von der Kanzlerin dann auch noch angeschossen . So kann man das Problem nicht lösen . Welche Möglichkeit hätten Sie noch? Sie könnten die Vermögen vernünftig besteuern . Aber auch das machen Sie nicht . Vielmehr schonen Sie die Vermögen der Reichen . Sie belassen es bei der ungleichen Verteilung . Damit haben Sie auch nicht das Geld, das dringend notwendig wäre, um die Flüchtlingskrise so anzugehen, wie es angemessen wäre, nämlich mit mehr Wohnungen und einer vernünftigen Ausstattung der Kommunen, die mittlerweile nicht mehr wissen, wie sie das alles finanzieren sollen . Aber nein! Die Arbeitsverweigerung dieser Regierung ist unerträglich . ({9}) Ein weiteres Thema, bei dem Sie sich weigern, es anzugehen, sind die Bruttoanlageinvestitionen . Sie reden dauernd von notwendigen Investitionen . Schaut man aber Ihr eigenes Zahlenwerk an, Herr Gabriel, lieber Sigmar, dann stelle ich fest, dass die Investitionen des Staates im Jahre 2015 im Vergleich zu 2014 um 2,1 Prozent gesunken sind . Sie sind also nicht mehr, sondern weniger geworden . Wo bitte schön ist da die Investitionsinitiative? Wir wissen, dass jährlich 100 Milliarden Euro fehlen, um die Infrastruktur - Brücken, Straßen, Schulhäuser - in Ordnung zu bringen . Wir brauchen genügend Geld für Kindergärten . Aber die Investitionen gehen zurück . Solange ihr die Reichen schont und die schwarze Null wie eine Monstranz vor euch hertragt, euch hinter ihr versammelt und euch an den Händen haltet, so lange wird das Problem nicht gelöst werden . ({10}) Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, weil er so aktuell ist, betrifft die bislang nicht angesprochenen Handelsabkommen . Nun dürfen wir Abgeordnete in einem Leseraum im Wirtschaftsministerium nachschauen, was über unsere Köpfe hinweg zwischen EU und den Amerikanern vereinbart wurde . Tolle Sache! Wenn man sich genau anschaut, wie das laufen soll, dann haut es einem den Vogel hinaus . Frau Malmström hat im Wirtschaftsausschuss gesagt, es sei ein Bonbon für die Abgeordneten der nationalen Parlamente, dass sie die Unterlagen überhaupt ansehen dürften . Die Abgeordneten haben eigentlich nichts zu melden . Schließlich verhandelt die Europäische Union mit den Amerikanern . Dass wir die Unterlagen überhaupt ansehen dürfen, ist sozusagen ein Entgegenkommen . Dass die amerikanischen Abgeordneten mehr Rechte haben, einen tieferen Einblick nehmen, ihre Mitarbeiter mitnehmen und darüber diskutieren können, was in den Abkommen steht, liegt daran, dass diese in die Verhandlungen einbezogen sind . Bei uns ist es ein Entgegenkommen, und deshalb sind die Regelungen für uns anders . An welcher Stelle sind jetzt die Regelungen anders? Die Unterlagen sind ausschließlich in Englisch, man muss sein Handy abgeben, offensichtlich ist ein Sicherheitsbeamter dabei, der einem über die Schulter schaut . Es wird registriert, was man anguckt; es gibt auch keine Papiere, sondern alles kann nur am Computer angesehen werden, meine Damen und Herren . Selbstverständlich ist alles geheim, und man darf nichts sagen . Die Geheimhaltung bei diesen Abkommen wird nicht verändert . Die Bürgerinnen und Bürger werden nach wie vor ausgeschlossen, meine Damen und Herren . Der Hammer ist, dass selbst die Regelungen, die jetzt beschlossen wurden und unter denen wir Abgeordnete uns die Papiere ansehen dürfen, zur Verschlusssache erklärt wurden . Auch darüber dürfen wir nicht sprechen . Ja, meine Damen und Herren, wo leben wir denn eigentlich? Ich kann sagen: Ich weiß nicht, ob ich das so auf mir sitzen lasse, ob ich nicht tatsächlich darüber informiere, welche Regelungen die Abgeordneten zu beachten haben, wenn sie das einsehen . Das hat mit Geheimhaltung nichts zu tun . Das gehört an die Öffentlichkeit; denn da geht es nicht um die Inhalte von irgendwelchen Verhandlungen, sondern da geht es darum, wie die Abgeordneten gegängelt werden, sodass sie diese Sache nicht ordentlich behandeln können . Ich danke Ihnen für das Zuhören . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Flüchtlingsstrom ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, die dieses Land jemals zu bewältigen hatte, und wir haben erhebliche Mühen, um das Thema in den Griff zu bekommen . Wenn wir diese Herausforderungen meistern wollen, dann müssen wir allerdings auch wirtschaftliche Stärke haben, und wenn wir diese wirtschaftliche Stärke nicht haben, dann werden wir Probleme bekommen . Gott sei Dank - der Wirtschaftsminister hat das völlig zu Recht dargestellt - ist unsere Situation gut . Ja, sie ist sogar sehr gut und war eigentlich nie so gut wie jetzt . Dass wir auch hinsichtlich der Arbeitslosigkeit so gut aufgestellt sind wie noch nie, das muss man einfach anerkennen . Das ist hervorragend . ({0}) Aber - dieses Aber sollten wir uns merken - wir haben eine Menge an exogenen Faktoren, die unsere wirtschaftliche Großwetterlage positiv beeinflussen, die wir nicht außer Acht lassen können und die sich auch in kürzester Zeit verändern können . Ich will einmal folgende Punkte nennen: Der niedrige Ölpreis ist mit Sicherheit nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger eine erfreuliche Sache, sondern natürlich auch für die Unternehmen . Die niedrigen Zinsen sind es genauso, auch wenn man da schon Zweifel haben kann, ob sie nicht in dem einen oder anderen Fall eher kontraproduktiv sind . Und wir haben einen Euro, dessen Kurs gegenüber dem Dollar sehr niedrig ist . Da gibt es enorme Windfall Profits für unsere Unternehmen, die in den Dollar-Bereich hinein exportieren . Das sollten wir nicht vergessen . Es ist aber nicht garantiert, dass das unbedingt immer so bleibt . Im Gegenteil: Das kann sich von heute auf morgen ändern. Darauf haben wir keinerlei Einfluss. Diese ökonomische Schönwetterlage, die wir momentan haben, ist erfreulich . Aber wir müssen darauf achten, dass wir diese gute Situation auch weiter nutzen und nicht anfangen, an irgendwelchen Stellen Veränderungen vorzunehmen, die die Wirtschaft nicht tragen kann . Ich habe es für richtig gehalten, Herr Bundesminister, dass Sie eben über das Thema Werkverträge gesprochen haben . Aber wir dürfen auf keinen Fall dieses Flexibilitätsinstrument, das die Unternehmen brauchen, kaputtmachen ({1}) weder bei den Werkverträgen noch bei der Zeitarbeit . ({2}) Wir sollten auch nicht anfangen, im Bereich der Entgeltgleichheit neue Lohnbürokratie aufzubauen . Auch das muss verhindert werden . Bürokratie haben wir genug . Ich bin froh, dass Sie die „One in, one out“-Regel ins Gesetz hineingebracht haben . Das sollten wir auch weiter beachten . Wir müssen auch im Umweltbereich aufpassen . Ich fand es völlig richtig, als die Bundeskanzlerin gesagt hat: Wir können gerade in der jetzigen Situation nicht unbedingt jede alte, liebgewonnene Regel beibehalten . Nein, wir müssen darüber nachdenken, ob wir da Flexibilisierung hineinbringen . Sie haben völlig recht: Das Thema Investitionen ist ein ganz wichtiges . Mir macht es Sorge, dass energieintensive Unternehmen - man kann sich die Statistiken vom VDMA ansehen - nur noch 80 Prozent ihrer Abschreibungen reinvestieren . Was ist das denn? Das ist nichts anderes als Desinvestition in Deutschland . Ich gehe einmal davon aus, dass die Unternehmen weiter existieren wollen, also auch weiter investieren werden, aber anscheinend nicht mehr bei uns . Da müssen wir uns fragen: Warum ist das so? Was ist der Grund dafür, dass nicht in Deutschland investiert wird? Das halte ich für einen Trend, den ich schon als dramatisch betrachte . Die Folgen sehen wir erst in einigen Jahren . Ein sicher ganz wichtiger Punkt ist der hohe Energiepreis in Deutschland, der hohe Strompreis . Ich will einmal ein Beispiel nennen: Ein Badener Bürger kam vor drei Tagen zu mir und sagte: Hier ist meine Stromrechnung . Ich habe mir eine Wärmepumpe geleistet und zahle jetzt schon 600 Euro pro Jahr für die EEG-Kosten . Wenn wir so weitermachen, wird dieser Betrag nicht bei 600 Euro bleiben, sondern in kürzester Zeit weit über die 600 Euro steigen und sich in Richtung 1 000 Euro entwickeln . Die EEG-Umlage beträgt jetzt schon 6,3 Cent pro Kilowattstunde . Mit Blick auf den enormen, weit über die Korridore hinausgehenden Windkraftausbau - die Korridore haben wir uns selbst gegeben - kann man sagen, dass die EEG-Umlage in kürzester Zeit bei einer Größenordnung von 8 Cent, eher 10 Cent liegen wird . Dann wird dieser Badener Bürger 1 000 Euro pro Jahr allein an EEG-Kosten zahlen . Das ist Kaufkraft, die abgeschöpft wird und damit in anderen Bereichen fehlt . Ich möchte nicht nur dem Badener Bürger helfen, sondern ich möchte auch ganz gerne dafür sorgen, dass die Unternehmen, vor allen Dingen die Mittelständler, nicht so belastet werden, dass es zu Abwanderungstendenzen kommt . Genau das darf nicht passieren . Ein Punkt ärgert mich ganz besonders . Wer E wie „Erneuerbare“ sagt, der muss auch L wie „Leitungsausbau“ sagen; denn der geschieht in Deutschland nicht . Der Leitungsausbau hinkt hinterher . ({3}) Sie alle kennen EnLAG . ({4}) - Sie . ({5}) 1 700 Kilometer sollen nach dem EnLAG gebaut werden, davon unter anderem 405 Kilometer in dem schönen Land Niedersachsen . Herr Minister, das liegt Ihnen nahe . Nun raten Sie einmal, wie viel davon bis jetzt gebaut wurde . ({6}) Ich sehe Sie verzweifelt, weil nämlich kein einziger Kilometer gebaut wurde . ({7}) Das kann nicht sein . Seit 2003 gibt es das EnLAG, seit 2007 ist es in Kraft . 405 Kilometer sollen in Niedersachsen gebaut werden, aber nicht ein einziger Kilometer ist bis jetzt gebaut worden . Dafür haben wir aber in der gleichen Zeit 5 700 Windmasten aufgestellt, nur in Niedersachsen . Insgesamt sind es in Deutschland 26 000 . Wenn wir es nicht schaffen, den Leitungsausbau mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu synchronisieren, dann wird genau das passieren, was uns immer mehr belastet, nämlich dass immer mehr Redispatch-Maßnahmen, also das Abschalten von Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee und das Hochfahren von alten Anlagen - das geht bis hin zu alten Ölkraftwerken -, im Südteil der Republik stattfinden. Das Wirtschaftsministerium hat mir auf Nachfrage mitgeteilt, dass wir im letzten Jahr bereits 1,2 Milliarden Euro zusätzliche Ausgaben nur für Redispatch hatten . ({8}) Das fließt dann in die sogenannten Netzentgelte. Darüber wird sich der Badener Bürger demnächst auch wieder beschweren . ({9}) Wenn wir es nicht schaffen, den Windkraftausbau mit dem Leitungsausbau zu synchronisieren, und wenn wir es nicht schaffen, den Bürgerinitiativen gegen den Leitungsausbau, die es überall gibt, zu sagen, dass wir die erneuerbaren Energien nur dann ausbauen können, wenn wir auch bereit sind, parallel dazu den Leitungsausbau zu beschleunigen, dann werden Kosten entstehen, die wir uns nicht leisten können . Ich würde gerne noch drei Worte zu TTIP sagen . TTIP ist eine Chance für uns, nicht ein Risiko für uns . Ich verstehe bis heute nicht, warum dieses Land, das das exportstärkste Land in Europa und das zweitstärkste Exportland in der Welt ist, meint, wir müssten ausgerechnet den Freihandel zusätzlich beschränken . Die Amerikaner haben in vielen Bereichen wesentlich strengere Regulierungen als wir . Herr Ernst, fragen Sie einmal bei VW nach, wenn Sie es mir nicht glauben . Zum Beispiel darf ein Dieselfahrzeug in den USA maximal 32 Milligramm NOx ausstoßen, 80 Milligramm sind es bei uns . Die Umweltmaßnahmen in den USA sind somit wesentlich strenger als bei uns . Das müssen wir irgendwo harmonisieren; diese Harmonisierung wollen wir zustande bringen . Dann haben wir auch die Probleme nicht mehr, die wir in den letzten Jahren dort sehen konnten . TTIP ist eine Chance für uns . Wer bei TTIP schläft, der wird durch die Asiaten bestraft, weil TPP und die damit verbundenen Standards dann nämlich viel schneller kommen . Das wollen wir gemeinsam verhindern . ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Anton Hofreiter das Wort .

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Gabriel, Sie haben gesagt: Das Land ist handlungsfähig . - Ja, das Land ist handlungsfähig dank Tausender und Abertausender Ehrenamtlicher, die sich darum kümmern, dass die Flüchtlinge entsprechend versorgt werden, dass die Flüchtlinge anständig behandelt werden . Außerdem ist das Land handlungsfähig dank Unmengen aktiver Kommunalpolitiker und dank Unmengen Beamter und Angestellter im öffentlichen Dienst, die einen ganzen Haufen Überstunden schieben . Dadurch ist das Land handlungsfähig . Da gebe ich Ihnen sogar recht . ({0}) Aber wenn ich mir anschaue, wie sich die Große Koalition - die CSU und die SPD sind bekanntermaßen Teil der Großen Koalition - in den letzten Wochen und Monaten benommen hat - dabei geht es nicht darum, einen sachlichen Streit zu führen -, dann stelle ich fest, dass diese Regierung nicht handlungsfähig ist . Denke man allein an den Herrn Seehofer: Er stellt inzwischen zum fünften Mal dieser Bundesregierung ein Ultimatum . Er schreibt inzwischen Briefe und spricht davon, dass er die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht verklagen will . Ist dieser Mensch jetzt Teil der Großen Koalition? Ja oder nein? Er ist es! Also stellen wir fest: Die Große Koalition ist nicht handlungsfähig . ({1}) Ich sehe hier die Kollegin und den Kollegen von der CSU und der SPD sitzen, Frau Hasselfeldt und Herrn Oppermann . Frau Hasselfeldt hat davon gesprochen, dass die SPD das Koalitionsklima vergiftet . Herr Oppermann hat davon gesprochen, dass diese Große Koalition ein Kasperletheater aufführt . ({2}) Dennoch tun Sie so, als wenn das Ganze ein nüchterner, sachlicher Streit wäre . Nein, Herr Gabriel, einen nüchternen, sachlichen Streit und eine vernünftige Debatte würden wir von Ihnen erwarten . ({3}) Wissen Sie, wie eine vernünftige Debatte ausschaut? Eine vernünftige Debatte, Herr Gabriel, schaut so aus: Man streitet sich . Man überlegt sich etwas . Man entscheidet, man handelt dann und dreht sich nicht wie ein Brummkreisel die ganze Zeit im Kreis . Bei so etwas ist zwar Bewegung drin, aber vorwärts geht dabei überhaupt nichts . ({4}) Wissen Sie, Herr Gabriel, was man einfach schlichtweg feststellen kann? Ihre Koalition hat hier zwar 80 Prozent der Abgeordneten, und wir haben wirklich ein hervorragendes Land mit klasse Bürgern; aber dieses Land wird einfach krass unter Wert regiert, unter anderem von Ihnen . ({5}) Ich hätte mir von der SPD in dieser Krise erwartet, dass sie ganz klar für die offene Gesellschaft steht, dass sie ganz klar erläutert, wie wir das schaffen . Erwartet hätte ich aber nicht diesen wüsten Zickzackkurs, den die SPD hier aufführt: ({6}) mal rechts von der Kanzlerin, mal links von der Kanzlerin, und fünf Minuten später weiß man schon nicht mehr, wo sie steht . Das erklärt auch das seltsame Verhalten der SPD-Ortsverbände in Essen, wo sie einen Lichtermarsch gegen neue Flüchtlingsheime geplant haben . Ich meine, das ist ein Symptom Ihres eigenen Zickzackkurses, den Sie hier aufführen . ({7}) Vielleicht noch ein paar Bemerkungen zu Ihrem Jahreswirtschaftsbericht . Wissen Sie, Ihr Jahreswirtschaftsbericht ist unvollständig, ebenso wie sämtliche Jahreswirtschaftsberichte der letzten Jahre unvollständig waren . Sie stellen hier einen Bericht vor, der ökologisch blind und sozial gleichgültig ist . ({8}) Es erstaunt uns zwar nicht, dass Sie einen Bericht vorstellen, der ökologisch blind ist, aber dass Sie einen Bericht vorstellen, der sozial gleichgültig ist, ist, wie ich finde, für einen SPD-Vorsitzenden und für einen SPD-Vizekanzler schon ziemlich bemerkenswert . Sie verlieren kein Wort dazu, dass die Einkommensungleichheit in diesem Land so groß ist, wie seit 20 Jahren nicht mehr . Sie unternehmen nichts dagegen, dass die oberen 10 Prozent inzwischen die Hälfte des Nettovermögens besitzen und dass die unteren 50 Prozent de facto nichts haben . Sorgen Sie endlich dafür, dass unser Staat gerechter wird! Dann empfinden die Leute dieses Land auch wieder als gerechter und identifizieren sich stärker mit diesem Land und dieser Demokratie . ({9}) Herr Gabriel, auch in einer ganzen Reihe von Bereichen in der Energiepolitik ist dringend etwas zu tun . Es ist dringend dafür zu sorgen, dass die Kohlenutzung endlich ausläuft . Die Folgekosten der Kohleverstromung sind gigantisch . Sie sind nicht nur ökologisch gigantisch, sondern auch ökonomisch gigantisch . Ich gestehe Ihnen zu, dass es in der Energiepolitik mit Ihrem Koalitionspartner schwierig ist . Herr Fuchs hat hier wieder ein Beispiel abgeliefert von - ich weiß gar nicht, ({10}) was man dazu sagen soll, wenn man fachlich Ahnung hat - vollkommener Unbelecktheit in energiepolitischen Fragen . Ich will politisch nur eines dazu sagen: Bei allen Volten, die Herr Seehofer schlägt: Dass Seehofer jetzt zu uns Grünen gehört, Herr Fuchs, möchte ich wirklich bestreiten . ({11}) Da der Hauptfeind des Leitungsausbaus in Deutschland Herr Seehofer ist, würde ich sagen: Fassen Sie sich da mal an die eigene Nase, und reden Sie mal mit Ihren Kollegen von der CSU, dass es da endlich vorwärtsgeht! In einem Punkt hatten Sie nämlich recht: Beim Leitungsausbau muss es vorwärtsgehen . Deshalb: Stellen Sie Herrn Seehofer mal in den Senkel, und lassen Sie sich von ihm nicht weiter auf der Nase herumtanzen! ({12}) Zum Schluss: Ja, unser Land ist stark, unser Land ist handlungsfähig, aber es wird von dieser Bundesregierung unter Wert regiert . Ändern Sie das endlich; denn es ist Zeit dafür . Vielen Dank . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion . ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass es richtig ist, einen realistischen Blick auf die Situation in Deutschland zu werfen, und dieser Jahreswirtschaftsbericht tut das . Aber ich habe ein bisschen das Gefühl, dass wir in der Debatte ein Schisma haben, also zwei Arten, mit dem Befund über die wirtschaftliche Lage umzugehen: Wir haben Mutmacher in diesem Land, und wir haben Miesmacher in diesem Parlament . ({0}) Die vorige Rede war ein Beleg dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren . ({1}) Wenn wir uns die Lage angucken, dann stellen wir fest - das ist nicht zu leugnen -: Es ist tatsächlich so, dass dieses Land ein wirtschaftliches Wachstum hat . Wir sind Wachstumsmotor und Stabilitätsanker in Europa trotz aller Schwierigkeiten . Wir haben vor allen Dingen die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Einheit und die höchste Beschäftigungsquote, auch im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, die das Land je hatte . Das führt übrigens dazu, dass wir nach Jahren, meine Damen und Herren, endlich wieder Lohnzuwächse haben . Die Löhne sind im vergangenen Jahr stärker gewachsen als in den letzten 20 Jahren, und auch in diesem Jahr werden sie weiter wachsen . Das führt übrigens dazu, dass wir in diesem Jahr auch endlich wieder kräftige Rentenerhöhungen haben werden . Der Aufschwung kommt an bei den Menschen in Deutschland . Das ist die Nachricht, die man nicht verschweigen darf, Herr Ernst . ({2}) Wenn man sich die wirtschaftliche Lage anguckt, stellt man fest: Sie ist im Gegensatz zur Vergangenheit nicht allein vom Export getragen . Wir sind nach wie vor wettbewerbsfähig und exportstark - mit Verfahren und Produkten made in Germany sind wir auf den Märkten der Welt erfolgreich -, aber wir haben jetzt zudem eine starke Binnenkaufkraft . Die Binnenwirtschaft - der Konsum, auch der Wohnungsbau - trägt mit dazu bei, dass wir gerade in diesen weltwirtschaftlich unsicheren Zeiten eine robuste Nachfrage in Deutschland haben . Wenn wir an die zum Teil hysterischen Debattenbeiträge einiger zur Einführung des Mindestlohns vor einem Jahr denken: Der Mindestlohn - das ist nicht zu leugnen - hat einen Teil dazu beigetragen, dass die Binnenkaufkraft gestiegen ist . Der Jahreswirtschaftsbericht macht es deutlich . Alle die Horrorszenarien von der Vernichtung von Arbeitsplätzen durch den Mindestlohn sind nicht eingetreten; das Gegenteil ist der Fall . ({3}) Aber der Jahreswirtschaftsbericht verschweigt auch nicht, dass es konjunkturelle Risiken gibt . Es sind vor allen Dingen weltwirtschaftliche Risiken . Die geopolitische Lage und das nachlassende Wachstum in Schwellenländern sind angesprochen worden . Wir haben uns natürlich auch bei uns Sorgen zu machen, weil wir in Deutschland nicht erst seit gestern, sondern schon über zehn Jahren zu niedrige Investitionen haben, vor allen Dingen zu niedrige private Investitionen, Kollege Fuchs . Wir sind uns bewusst, dass wir uns bei diesem Thema nicht ausruhen können . Da teile ich auch den Befund: In einer Situation, in der wir niedrige Ölpreise, niedrige Zinsen und auch eine günstige Entwicklung der Wechselkurse haben, wäre es eigentlich an der Zeit, dass hier privatwirtschaftlich kräftig investiert wird . Wir dürfen uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit und der Gegenwart ausruhen . Vielmehr müssen wir uns in diesem Land so einrichten, dass wir in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich sind . Deshalb ist es an der Zeit, dass wir nicht nur die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur und die kommunale Investitionskraft in den Blick nehmen - was diese Bundesregierung tut -, sondern in dieser Koalition auch beraten, was wir tun müssen, um privatwirtschaftliche Investitionen anzureizen . Da gibt es ganz unterschiedliche Bereiche, und es gibt sektorale Rahmenbedingungen . Sie haben an dieser Stelle die Energiewirtschaft angesprochen . Hier müssen wir für angemessene Rahmenbedingungen sorgen . Die Grünen sagen, wir würden die Erneuerbaren abwürgen . Teile der Union sagen, wir würden die Erneuerbaren zu massiv ausbauen . Irgendwo in der Mitte zwischen diesen Extremen liegt die Wahrheit . Wir werden von einer Preissteuerung zu einer Mengensteuerung übergehen müssen, damit die Erneuerbaren weiter kräftig ausgebaut werden, aber eben kosteneffizienter und auch systemintegriert. Wir werden uns neben all diesen Fragen auch die Frage stellen müssen, was wir tun können und müssen, um wichtige Leitmärkte in diesem Land zu halten und zu entwickeln . Die Automobilindustrie ist nach wie vor einer der stärksten Wirtschaftsbereiche dieses Landes . Über 750 000 Menschen arbeiten in der Automobilindustrie - nicht nur in den Automobilunternehmen, sondern auch in der Zulieferindustrie . ({4}) Deshalb ist es richtig, dass wir uns darüber Gedanken machen, was notwendig ist, damit nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft Wertschöpfung, Arbeit und Beschäftigung in der Automobilindustrie in Deutschland geschaffen werden . Damit wir nicht den Anschluss an neue Antriebsarten verpassen, müssen wir die Hindernisse aus dem Weg räumen, die in diesem Land die Ausbreitung von Elektromobilität verhindern . Das betrifft drei Bereiche . Wir haben erstens immer noch einen Preisunterschied . Es gibt zwar inzwischen auch im Bereich der Elektromobilität ganz viele deutsche Modelle, aber wir haben nach wie vor einen Preis-Gap zwischen konventionellen Antrieben und Elektroantrieben . Wir müssen zweitens etwas tun für die Ladeinfrastruktur in diesem Land . Und drittens müssen die Reichweiten - das betrifft den Bereich Batterieforschung - erhöht werden, damit die Elektromobilität endlich zum Durchbruch kommt . Minister Gabriel hat es vorhin deutlich gesagt: Jetzt ist die Zeit, zu handeln, damit wir das gesetzte Ziel - 1 Million Elektrofahrzeuge bis 2020 - tatsächlich erreichen können und nicht verfehlen . ({5}) Deshalb müssen wir uns in der Koalition verständigen . Wir haben Vorschläge für Marktanreizprogramme gemacht . ({6}) Hubertus Heil ({7}) - Herr Kauder, Sie werden sich an dieser Stelle auch noch korrigieren; das sage ich Ihnen . ({8}) Ich bin ja sehr froh, dass einige in der Union jetzt weiter sind . ({9}) Da will ich ausnahmsweise Frau Aigner und Herrn Seehofer einmal kräftig loben, die uns in unseren Vorstellungen unterstützen, weil sie begriffen haben, wie wichtig es ist - nicht nur für Bayern, sondern für ganz Deutschland -, dass wir eine zukunftsfähige Automobilindustrie in Deutschland haben . ({10}) Ich füge aber auch hinzu: Wenn wir Anreize geben, dann erwarten wir von der deutschen Automobilindustrie eine Gegenleistung . Diese Gegenleistung besteht darin, dafür zu sorgen, dass wir bei uns die gesamte Wertschöpfungskette aufbauen . 40 Prozent der Wertschöpfung im Bereich der Elektromobilität hat etwas mit Batterietechnik zu tun . Da das so ist, wollen wir uns nicht darauf beschränken, dass in Deutschland Fahrzeuge nur zusammengeschraubt werden, sondern wir wollen, dass die ganze Wertschöpfungskette aufgebaut wird . ({11}) Deshalb hat die deutsche Automobilindustrie, wenn wir Anreize geben, eine Verpflichtung, wieder in die Batterieproduktion in Deutschland einzusteigen . Das ist auch im Interesse von Beschäftigung in diesem Land . ({12}) Ich kenne viele Regionen in Deutschland wie beispielsweise in Sachsen - da schaue ich zum Kollegen Kretschmer - oder auch in Niedersachsen, in denen wir nicht nur Forschung im Bereich der Batterietechnologien, sondern auch wirklich wieder Produktion brauchen . Wir wollen die Batterietechnik nach Deutschland zurückholen, sonst werden wir in diesem Bereich abgehängt, meine Damen und Herren . ({13}) Zum Schluss . Es ist angesprochen worden: Beim Thema Flüchtlinge - das hat etwas mit der ökonomischen Entwicklung dieses Landes zu tun - sind wir im Moment in der Lage, vieles zu schaffen, weil es wirtschaftlich gut läuft . Aber umgekehrt müssen wir jetzt auch eine ganze Menge schaffen, damit wir tatsächlich wirtschaftliche und soziale Integration in diesem Land leisten, damit wir unsere Gesellschaft zusammenhalten, damit wir diejenigen, die zu uns gekommen sind und die dauerhaft bei uns bleiben werden, tatsächlich gut integrieren können . Da geht es um Sprache . Es geht um Schule . Es geht um berufliche Ausbildung. Es geht um die Integration in Arbeit . Es geht auch um Wertevermittlung . Deshalb sind jetzt neben den privatwirtschaftlichen und infrastrukturellen Investitionen die sozialen Investitionen das Gebot der Stunde . Ich will das an einem Aspekt verdeutlichen: Allein durch die Entwicklung der Flüchtlingszahlen im letzten Jahr haben wir 300 000 zusätzliche Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter. Wir brauchen Investitionen in unsere Schulen, in Bildung und Ausbildung . Ich sage an dieser Stelle: Da muss auch der Bund mitmachen können . Deshalb muss dieses unsinnige Kooperationsverbot an dieser Stelle endlich weg, sonst erleben wir Unfrieden, ({14}) sonst verschlechtert sich die Unterrichtsqualität für die Schüler, die schon hier sind, und wir schaffen die Integration nicht .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber vor allen Dingen - das ist der Zusammenhang mit der Wirtschaft - hat die Wirtschaft recht .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Heil, würden Sie freundlicherweise gelegentlich einmal einen Blick auf die Uhr werfen?

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne, Herr Präsident . - Oh, da ist ja eine Uhr . ({0}) Deshalb sage ich zum Schluss - mit Verlaub, Herr Präsident, danke für die Erinnerung -: Dieses Land ist ein starkes Land . Wir haben eine starke Wirtschaft . Wir haben einen starken, handlungsfähigen Staat, vor allem haben wir aber eine starke Gesellschaft . Das sind die Voraussetzungen dafür, dass wir es wirtschaftlich und sozial tatsächlich schaffen können . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Joachim Pfeiffer ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den Jahreswirtschaftsbericht und den Ausblick auf 2016 und 2017 . Der Bericht ist durchaus erfreulich; der Wirtschaftsminister hat dies eingangs vorgetragen . Das war nicht immer so . Wenn wir zurückblicken: Vor 12, 13, 14 Jahren - ich bin seit 2002 im Deutschen Bundestag - war der Jahreswirtschaftsbericht immer unHubertus Heil ({0}) erfreulich . Wir hatten damals die Situation, dass die Zahl der Arbeitslosen zunahm . ({1}) Hunderttausend Menschen mehr in Arbeitslosigkeit sind ein enormer Kostenfaktor für die öffentliche Hand . Pro Arbeitslosen sind das im Jahr 18 000 bis 19 000 Euro plus weitere sekundäre Effekte, also weniger Steuereinnahmen und anderes mehr, in einer Größenordnung von 15 000 Euro . Das bedeutet: Wir, die öffentlichen Haushalte, hatten 2003 - um einen Zehnjahreszeitraum zu wählen - direkte und indirekte Ausgaben für die Folgen der Arbeitslosigkeit in Höhe von 92 Milliarden Euro pro Jahr: Arbeitslosenversicherung, Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II, Zahlungen in die Sozialversicherung aus den öffentlichen Kassen und weniger Einnahmen bei den Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen . Umgekehrt bedeuten aber Hunderttausend Menschen mehr in Arbeit allein 1,3 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen pro Jahr . Das ist der Haupterfolgsgrund, warum es uns in Deutschland immer noch so gut geht . Sigmar Gabriel hat vorhin darauf hingewiesen: 43,3 Millionen Menschen in diesem Jahr, wahrscheinlich 43,7 Millionen Menschen im nächsten Jahr in Lohn und Brot . Um noch einmal die Zahlen von 2003 und 2013 zu vergleichen: 2003 haben wir insgesamt 92 Milliarden Euro ausgegeben, 2013 nur noch 54 Milliarden Euro . Rechnet man dieses auf das BIP um, so ist die Quote von über 4 Prozent auf circa 2 Prozent gesunken . Das macht deutlich, wo wir einen Spielraum hatten . Diesen Spielraum haben wir für Strukturreformen am Arbeitsmarkt genutzt, um aus dem Teufelskreis von mehr Arbeitslosen, weniger Sozialversicherungseinnahmen und weniger Steuereinnahmen herauszukommen . Die Agenda 2010 war ein wichtiger Punkt . Diese ist heute oftmals etwas vater- oder mutterlos . ({2}) Ich glaube, es war genau der richtige Weg . Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir diese zentralen Strukturreformen, die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, nicht wieder rückgängig machen . Wir haben sie genutzt, um mehr in Innovationen zu investieren . Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind heute so hoch wie nie zuvor, und sie werden zielgerichtet in neue innovative Felder und Sektoren investiert . Gleichzeitig haben wir die Haushalte konsolidiert . Wir werden auch in 2016 eine Nullverschuldung haben und die Konsolidierung weiter vorantreiben . Deutschland ist eines der wenigen Länder in Europa, in denen die Staatsverschuldung sinkt . Wir hatten eine Quote von über 83 Prozent auf dem Höhepunkt der Krise . Jetzt liegt sie bei unter 70 Prozent, und wir gehen in Richtung 60 Prozent, so wie es das Maastricht-Kriterium vorsieht . Das ist die Folge von Konsolidieren und Investieren . Diesen Teufelskreis haben wir verlassen . Jetzt sind wir sozusagen in einer Art Glücksspirale und müssen diesen Weg weiter fortsetzen . ({3}) Glück fällt einem aber nicht einfach nur vor die Füße, sondern Glück ist auch das Ergebnis harter Arbeit von Unternehmen und Arbeitnehmern, aber auch von Konsolidieren und Investieren . Gerade in die Richtung der Grünen kann ich sagen: Man kann das auch anders machen . Schauen Sie nach Baden-Württemberg . ({4}) In Baden-Württemberg haben Sie es in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung geschafft, den Haushalt um 30 Prozent aufzublähen und die höchste Verschuldung in der Geschichte Baden-Württembergs herbeizuführen . ({5}) So ist das, wenn man den Grünen und leider auch den Sozialdemokraten in Baden-Württemberg die Regierung überlässt . Wie man das bei gleichen Rahmenbedingungen anders macht, haben wir hier im Bund gezeigt . ({6}) Jetzt geht es darum, die Wachstumspotenziale weiter zu heben . Der Freihandel ist angesprochen worden . Herr Ernst, es wird immer abstruser . Sie haben keine einzige Aussage zum Inhalt gemacht . Jetzt haben Sie Zugang zu entsprechenden Dokumenten, und jetzt ist es auch wieder nicht recht . ({7}) - Melden Sie sich einmal an . Ich habe es getan . Wir sprechen uns dann in der nächsten Sitzungswoche und sehen, welche Dokumente dort sind und welche nicht . Sie vergleichen hier Amerikaner mit Deutschen . Aber es ist so, dass die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen - im Gegensatz zu uns - hier federführend verhandeln, weil die USA mit der Europäischen Union verhandeln . Wir hingegen haben dieses Mandat übertragen . Die Europäische Union hat von uns ein Mandat zur Verhandlung bekommen . Die europäischen Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Ausschuss sind, haben die gleichen Rechte wie die Amerikaner . Insofern lassen Sie uns über die Sache reden und nicht immer irgendwelche Scheingefechte austragen . ({8}) Dann gilt es, neue Technologien zu fördern .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Pfeiffer, darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Unbedingt .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Pfeiffer, Sie haben sicher zur Kenntnis genommen, dass das Thema Transparenz ein zentrales Thema der TTIP-Debatte ist . Wenn das so passiert, wie Sie es jetzt sagen, wenn Sie so argumentieren, dann akzeptieren Sie, dass die europäischen Abgeordneten, die EU, letztendlich verhandeln und zu einem Abschluss kommen und dass die nationalen Parlamente das Ergebnis nur noch abnicken können . Wir waren immer gemeinsam der Auffassung, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, dass also auch die Parlamente der nationalen Staaten mitreden und mit Einfluss nehmen dürfen. Ich habe auch Herrn Lammert, unseren Bundestagspräsidenten, so verstanden, als er sagte, er könne sich eine Zustimmung eigentlich nicht so vorstellen, dass man nur abnickt . Ich weiß nicht, wie ich Ihre Aussage hier werten soll . Herr Pfeiffer, schauen Sie sich die Richtlinien an, die uns zugegangen sind . Fakt ist: Wenn wir diese Räume betreten, dann werden wir behandelt, als würden wir einen Schwerverbrecher in einem Sicherheitsknast besuchen . Ich bin es nicht gewohnt, dass hinter mir ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes steht, wenn ich irgendwelche Unterlagen lese . Ich bin es auch nicht gewohnt, dass ich sozusagen alles abgeben muss . Ich bin es auch nicht gewohnt - und ich wiederhole das noch einmal; denn Sie haben dazu nichts gesagt -, dass selbst die Regeln, die wir als Abgeordnete bei der Einsicht in diese Dokumente beachten müssen, geheim sind . Ja, Herr Pfeiffer, geht es denn noch? Wollen Sie das wirklich positiv bewerten? ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst sage ich: Wie das mit dem Sicherheitsdienst oder dem Staatssicherheitsdienst funktioniert, das kann ich nicht beurteilen . Da kenne ich mich nicht aus . Fragen Sie Frau Wagenknecht, die weiß das wahrscheinlich besser als ich . ({0}) Ich kann Ihnen aber gern etwas zum Freihandel und zu TTIP sagen . Was ist die Vereinbarung? Wir haben im Lissabon-Vertrag zuletzt das Verhandlungsmandat auf die Europäische Union übertragen . Wir, und zwar nicht nur Deutschland, sondern 28 Staaten der Europäischen Union, haben gesagt: Es gibt einen Verhandlungsrahmen, innerhalb dessen die Europäische Union verhandelt . Die Europäische Union informiert uns regelmäßig über den Stand der Verhandlungen . In der letzten Sitzungswoche war die zuständige Kommissarin Malmström hier bei uns im Ausschuss und hat uns zum aktuellen Verhandlungsstand in allen Punkten Rede und Antwort gestanden . Sie waren dabei . Wir waren im November in Brüssel und haben mit ihr gesprochen . Die Chefunterhändler sind ständig hier . Ich kann überhaupt nicht erkennen, wo es hier in der Sache oder bei sonst etwas an Transparenz fehlt und wo es bei Ihnen ein Informationsdefizit gibt. Wo das bei Ihnen besteht, würde mich mal interessieren . Sie haben heute keinen einzigen Satz zu der Sache gesagt, um die es geht . ({1}) Die Vermutung liegt nahe, dass es bei Ihnen nicht um die Sache geht, ({2}) sondern dass Sie dieses Thema als Monstranz vor sich hertragen . Sie projizieren alle möglichen Ängste und Befürchtungen auf TTIP und begründen damit, gegen TTIP zu sein . Das ist, was ich kritisiere . ({3}) TTIP bietet die letzte Chance, die Globalisierung gemeinsam mit den Amerikanern mit unseren Standards, in unsere Richtung zu gestalten . Sonst werden es andere tun . Herr Präsident, ich bin eigentlich immer noch bei der Beantwortung der Zwischenfrage .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, ich weiß, dass die Kreativität von Rednern, Zwischenfragen zu einer Verdoppelung der Redezeit zu nutzen, nahezu unbegrenzt ist . Dem muss ich mit Blick auf unser eigenes, beschlossenes Zeitregime widerstehen . Bitte schön .

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann muss ich allerdings mit den Wachstumspotenzialen fortfahren . ({0}) Wachstumspotenziale birgt nicht nur der Freihandel, sondern auch der Energiebereich . Es geht darum, dass wir bezahlbare Energiepreise haben; Kollege Fuchs hat es ausgeführt . ({1}) Um es deutlich zu machen: Wir haben in dieser Koalition gemeinsam Ausbaupfade bis 2020, 2025 und 2030 verabredet . Dem haben auch die Bundesländer - auch die unter grüner Beteiligung - zugestimmt . Jetzt zeigt sich, dass der Ausbau schneller vorangeht und wir die Erzeugungsmengen des Jahres 2030 wahrscheinlich bereits 2019 erreichen, der Netzausbau aber weitaus schleppender und langsamer vorangeht . Deshalb müssen wir hier korrigieren und die Dinge entsprechend zueinanderbringen . Ich möchte noch kurz auf das Thema Digitalisierung eingehen . Es birgt ungeahnte Chancen, dass die physische mit der digitalen Welt verschmilzt und wir eine neue Vernetzung von Produktion, Logistik und Kunden erreichen, die wir auch in unseren traditionellen industriellen Bereichen nutzen müssen . Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen, dass damit auch Gefahren verbunden sind, denen wir uns stellen müssen, Stichwort: Cyber Crime und Cybersicherheit . 40 Prozent aller Branchen waren in den letzten zwei Jahren von Cyberkriminalität betroffen; die Zahlen haben sich in den letzten Jahren erhöht . Bei den Finanzdienstleistern waren es sogar 55 Prozent . Der Schaden in den Jahren 2013 und 2014 wird auf eine Größenordnung von 50 bis 60 Milliarden Euro geschätzt, also mehr als 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts . Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir das geistige Eigentum insbesondere des Mittelstands schützen können, wie wir dafür sorgen können, dass die Daten eines Unternehmens, das an einer Ausschreibung teilnimmt, nicht den Wettbewerbern oder anderen Staaten bekannt werden . Das ist eine Aufgabe, der wir uns im Rahmen der Digitalisierung widmen müssen . Wenn es uns gelingt, in der Glücksspirale zu bleiben, in der wir uns befinden, ({2}) indem wir die wirtschaftliche Entwicklung mit Innovationen, mit Digitalisierung und mit Flexibilisierung am Arbeitsmarkt und am Gütermarkt befeuern, dann wird es auch in den nächsten Jahren Grund zur Freude geben, wenn es gilt, den Jahreswirtschaftsbericht vorzustellen, dann werden wir weiterhin eine positive Entwicklung konstatieren können . In diesem Sinne arbeiten wir in diesem Jahr daran, dass es im nächsten Jahr so weitergehen kann . Vielen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Wawzyniak erhält nun für die Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Gabriel, Sie haben jetzt in Ihrer 22 Minuten langen Regierungserklärung zum Thema „Zukunftsfähigkeit sichern - Die Chancen des digitalen Wandels nutzen“ für zwei Minuten vier digitale Themen angeschnitten . Ich dachte ja eigentlich, heute käme Digi-Siggi, der Checker des Digitalen . Sie sind aber Analog-Siggi geblieben . ({0}) Dieser Umgang mit Chancen des digitalen Wandels ist ein Problem . Wir brauchen - besser gestern als heute Antworten auf die Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, und zwar solche, von denen alle profitieren können. Wie Sie mit diesem Thema umgehen, ist wenig zukunftsfähig . ({1}) Dabei steht doch im Jahreswirtschaftsbericht sogar etwas zum Digitalen . Ich sage Ihnen gleich etwas zu dem, was da ab Ziffer 110 steht, nämlich zu Netzneutralität, Störerhaftung und Breitbandausbau . ({2}) - Ja, diese wichtigen Themen kamen aber leider nicht vor . Dass die Störerhaftung beim Betreiben offener WLAN-Netze das größte Hindernis für die Verbreitung öffentlicher Funknetze ist, gilt als unbestritten . Und dass offene Funknetze hilfreich wären, um Menschen mit geringem Einkommen und Geflüchteten einen Internetzugang zu ermöglichen und innovative Geschäftsideen zu fördern, liegt auf der Hand . ({3}) Doch statt die Störerhaftung abzuschaffen, zementieren Sie sie . Grüne und Linke haben einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, dem könnten Sie zustimmen . Wenn Sie uns nicht vertrauen, dann vertrauen Sie dem Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfraktion . Der fordert nämlich, dass WLAN-Anbieter als Zugangsanbieter nicht für Rechtsverletzungen ihrer Nutzer haften, auch nicht im Rahmen der Störerhaftung . Und da hat der Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfraktion recht . ({4}) Nun soll der Telekom erlaubt werden, DSL-Anschlüsse mithilfe des Einsatzes des sogenannten VDSL2-Vectoring an den Hauptverteilern zu beschleunigen . Dumm nur, dass dadurch verhindert wird, dass Konkurrenten der Telekom ihre Technologie einsetzen können ({5}) und ein neues Quasimonopol der Telekom geschaffen wird . Kein Wunder, dass die Mitbewerber überlegen, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen . ({6}) Sie geben beim Breitbandausbau veralteten Technologien den Vorrang, anstatt den Glasfaserausbau zu unterstützen . Sie können damit zwar möglicherweise in ein paar Jahren das Erreichen eines niedrigen Ziels verkünden, aber in zehn Jahren stehen wir vor demselben Problem . Sie vertagen die Lösung des Problems und verspielen eine große Chance . Sie sagen, Sie wollen Start-ups fördern, um endlich einen Gegenpol zum Silicon Valley in Kalifornien zu schaffen . Ein Grundpfeiler für Chancengerechtigkeit kleiner IT-Unternehmen ist aber die Netzneutralität . Doch statt jetzt tätig zu werden und wenigstens das bisschen Netzneutralität aus der EU-Verordnung abzusichern, warten Sie lieber ab und lassen so die Start-ups im Stich . Handeln Sie doch einfach, wie im Antrag der Linken empfohlen . Wenn Sie dann noch etwas für kleine und mittlere Unternehmen machen wollen, dann setzen Sie doch einfach bei öffentlichen Aufträgen auf Open-Source-Software und nicht auf Software großer Konzerne . ({7}) Über die Veränderungen der Erwerbsarbeitswelt durch Digitalisierung wäre noch viel zu sagen . Ich will nur kurz auf die Situation von Click- und Crowdworkern aufmerksam machen, die sich von einem schlecht bezahlten Auftrag zum nächsten hangeln . Der Mindestlohn greift hier nicht, viele sind selbstständig . Es wäre also an der Zeit, ein Mindesthonorar einzuführen, das allen prekär arbeitenden Selbstständigen zugutekäme . ({8}) Wenn man darüber spricht, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, könnte man auch über viele andere Themen sprechen, nämlich Datenschutz, Urheberrecht, IT-Sicherheit, Bildung, Weiterbildung, Nachhaltigkeit und Landwirtschaft . Kluge, konkrete und zügige Maßnahmen würden dabei helfen, die Chancen der Digitalisierung so zu nutzen, dass alle davon profitieren. Aber wir haben es gehört - diese Regierung hat nicht einmal Ideen, geschweige denn einen Plan, den man umsetzen könnte . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd Westphal für die SPD-Fraktion . ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Jahreswirtschaftsbericht 2016 ist eine Erfolgsstory . Trotz eines europäischen und globalen Umfelds der Unsicherheit ist es gelungen - das belegt der Bericht -, dass sich die Wirtschaft gut entwickelt hat . Einige Kennzahlen hat der Bundeswirtschaftsminister genannt: Beschäftigung, gute konjunkturelle Lage und die Einkommen sind gestiegen - alles gute Parameter für eine positive Entwicklung . Dieses Ergebnis ist sicherlich Auswirkung der klugen Wirtschaftspolitik unseres Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel, guter Unternehmensführung, aber vor allem ist es das Verdienst von engagierten, motivierten und gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land . ({0}) Diese positive Entwicklung gilt es nun zu erneuern . ({1}) Herr Fuchs, Sie haben das Stichwort der Entbürokratisierung gebracht . Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass wir die Chance haben, in § 6 des Einkommensteuergesetzes die Grenze für die sofortige Abschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter von 400 Euro auf 800 Euro zu erhöhen . Wir sollten zusehen, dass mehr direkt bei den Unternehmen ankommt, und entsprechende Regelungen auf den Weg bringen . ({2}) Wir brauchen eine Politik für Fortschritt und Gerechtigkeit . Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor dem digitalen Wandel . Es ist enormes Potenzial vorhanden . Ein großer Teil des Jahreswirtschaftsberichts widmet sich diesem Thema . Stichworte sind „Industrie 4 .0“ und „Arbeit 4 .0“ . Das Potenzial dieser vierten industriellen Revolution müssen wir heben . Dafür sind Investitionen und Innovationen notwendig . Nachhaltig erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch ein innovationsfreundliches Umfeld aus . Bedeutung erlangen dabei vor allen Dingen gute Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung, starke Gewerkschaften und eine starke, verlässliche, vertrauensvolle Sozialpartnerschaft . Das sind die Voraussetzungen dafür . Deutschland ist von der industriellen Produktion und vom Export abhängig . Industrie, Handwerk, Mittelstand sind Garanten unseres Wohlstands . Sie sorgen für Einnahmen bei den Sozialversicherungen und für hohe Steuereinnahmen der öffentlichen Hand . Die europäische Integration und faire Handelsbedingungen sind dementsprechend zu gestalten . Wir brauchen in dem Fall mehr Europa und nicht weniger . ({3}) Wir haben einen berechenbaren Kurs bei der Energiewende . Das Prinzip der Nachhaltigkeit wird dabei deutlich sichtbar; denn wir haben sinkende CO2-Emissionen und ein steigendes Bruttoinlandsprodukt . Das ist eine sehr gute Situation. Global betrachtet findet aber das Gegenteil davon statt: Da haben wir steigende CO2-Emissionen . Wir müssen aber darauf achten, dass wir uns beim Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien an dem Korridor orientieren, der im Koalitionsvertrag vereinbart wurde . Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass der Netzausbau synchron dazu verläuft . ({4}) Derzeit benötigen wir für eine verlässliche Energieversorgung auch fossile Energieträger, zumindest so lange, wie PV, Wind, Speicher und Co . nicht ausreichend zur Verfügung stehen . Wir dürfen uns keine unkalkulierbaren Ausstiegsszenarien leisten . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Anmerkung zum Thema Flüchtlinge: Die aktuelle Situation ist sicherlich eine Herausforderung, an einigen Stellen aber auch eine Überforderung . Wir wollen Grund- und Menschenrechte nicht außer Kraft setzen, aber die Integrationskapazitäten stoßen an ihre Grenzen . Die Probleme sind vielschichtig, sie sind komplex und teilweise auch kompliziert . Abgesehen von der Bewältigung des derzeitigen Zustroms brauchen wir für die Zukunft ein verlässliches Einwanderungsgesetz, mit dem genau dieser Zustrom gesteuert wird . Deshalb müssen wir uns trotz der gegenwärtig schwierigen Situation jetzt auf den Weg machen, um so etwas für Deutschland als Einwanderungsland zu vereinbaren . ({6}) Herr Hofreiter, Sie haben gesagt, dass Sie das Thema „Nachhaltigkeit“ im Jahreswirtschaftsbericht vermisst haben . Als Mitglied des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass der Jahreswirtschaftsbericht ein Kapitel enthält, in dem steht, dass die globalen Nachhaltigkeitsziele, die in New York im September letzten Jahres vereinbart worden sind, die Richtschnur für unsere Wirtschaftspolitik sind . Es ist also nicht so, wie Sie es gesagt haben; denn unsere Wirtschaftspolitik orientiert sich genau an diesen Nachhaltigkeitszielen, und das ist in diesem Bericht klar zu erkennen . ({7}) Wir als SPD stellen die Weichen für ein modernes, weltoffenes und wettbewerbsfähiges Deutschland . Wir können Wirtschaftspolitik! Herzlichen Dank . Glück auf! ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dieter Janecek ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Kollege Pfeiffer, mit dem Bild von der Glücksspirale, das Sie im Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gezeichnet haben, bin ich ja sehr einverstanden; aber da endet dann schon die Einigkeit . Ich habe eine Frage an den Minister . Sie schreiben in der Großen Koalition ja viele Briefe . Ich weiß nicht, ob Sie in der Großen Koalition auch noch miteinander reden . ({0}) Diesbezüglich hätte ich gerne eine Stellungnahme von Ihnen zur Flüchtlingspolitik . Herr Minister Dobrindt hat gesagt, dass Grenzschließungen eine gute Sache seien . 44 Abgeordnete der CDU sagen, dass Grenzschließungen und verschärfte Grenzkontrollen gut seien . Entspricht das der Meinung des Wirtschaftsministers? Sind Sie der Meinung, dass das für eine vernetzte Ökonomie gut ist? Sind Sie der Meinung, dass Staus auf den Autobahnen infolge geschlossener Grenzen für unsere Wirtschaft gut sind? Glauben Sie nicht, dass wir dadurch Milliarden verlieren würden? Dazu hätte ich gerne einmal eine Stellungnahme von Ihnen . Sagen Sie hier einmal, ob das, was Herr Dobrindt sagt, auch Ihrer Position entspricht . ({1}) Die Debatte heute stand ja unter der großen Überschrift: Chancen des digitalen Wandels . Gesprochen dazu haben eigentlich ausschließlich die Linken und ein bisschen noch Sie . In der einen Minute Redezeit, die mir jetzt verbleibt, versuche ich, das Thema aufzumachen . Was ist dazu zu sagen? ({2}) Sie haben ja groß angefangen: die Champions League, die Aufholjagd . Vielleicht waren das auch die Worte von Herrn Dobrindt . Ich glaube, bei Ihnen nimmt man es differenzierter wahr . Aber man muss sich auch um den Markt, um die Rahmenbedingungen kümmern . Da frage ich Sie: Wo waren Sie zum Beispiel beim Thema Netzneutralität? Sie auf der rechten und Sie auf der linken Seite, Ihre Parteikollegen haben im Europäischen Parlament dagegengestimmt, dass wir faire Wettbewerbsbedingungen bekommen . Das kann es ja wohl nicht sein . ({3}) Schauen wir uns das Thema Breitband an . Die Autobahnen sollen jetzt untertunnelt werden . Das ist ja alles schön . Aber gerade einmal jedes dritte Unternehmen hat momentan schnelles Internet . Das ist die Realität 2016 . So kommen wir wirklich nicht voran . ({4}) Thema E-Government . In Estland braucht man heute keinen Kugelschreiber mehr . Vertreter des Bundesinnenministeriums waren bei uns im Ausschuss Digitale Agenda . Ich habe sie gefragt: Was machen Sie denn in den nächsten Jahren? - Sie haben geantwortet: Na ja, 2020 fangen wir vielleicht einmal an; denn kulturell ist das mit unseren Behörden, mit unserer Bundesbehörde ganz schwierig . - Wo sind die 45 Milliarden Euro Einsparpotenzial, die der Normenkontrollrat im Zusammenhang mit dem E-Government genannt hat? Wo realisieren Sie dieses Potenzial? Wo gehen Sie das an? Die Unternehmen haben 130 Behördengänge pro Jahr . Sie würden das gern digital machen . Dazu würde ich Ihnen gern ein paar Vorschläge mitgeben . Vielen Dank . So weit für heute . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Janecek, jetzt hätte mich doch interessiert, welche Vorschläge Sie in Ihren zwei Minuten Redezeit zum digitalen Wandel machen . ({0}) Dazu haben Sie sich leider keine Zeit mehr genommen . Aber vielleicht sagen Sie in einer der kommenden Debatten etwas dazu . ({1}) Leistungsfähig, wettbewerbsfähig und zukunftsfähig - das sind die drei Schlagworte, die heute immer wieder genannt werden . Dass wir leistungsfähig und wettbewerbsfähig sind, bestätigen, denke ich, dieser Wirtschaftsbericht und die Zahlen . Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung . Wir haben ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent . Die Löhne steigen . In diesem Jahr steigen auch die Renten deutlich . Ich denke, das kann sich sehen lassen . Das ist das Ergebnis von guten politischen und wirtschaftlichen Weichenstellungen in den letzten Jahren . Ob wir zukunftsfähig sind, hängt jetzt von uns ab . Das ist die Aufgabe dieser Regierung in dieser Legislaturperiode . Sie haben zu Recht angesprochen, dass ein Faktor dafür die Digitalisierung ist . Die Digitalisierung wird darüber entscheiden, ob wir auch in Zukunft Arbeitsplätze in unserem Land haben, ob wir noch Wohlstand in unserem Land haben und ob wir wirtschaftlich weiterhin erfolgreich sind . Wenn ein soziales Netzwerk innerhalb von wenigen Jahren mehr wert ist als ein Industriekonzern, der jahrzehntelang gewachsen ist, wenn die Wertschöpfung im Bereich des Automobils heute nahezu komplett aus der Software kommt und eben nicht mehr aus der Hardware, aus der Karosserie, wenn sich innerhalb von wenigen Monaten ganze Branchen, ganze Wertschöpfungsketten, ganze Geschäftsmodelle ändern, dann spüren wir, dann merken wir, dass sich durch die Digitalisierung auch die Kräfteverhältnisse im Wirtschaftsleben komplett ändern . Für uns ist klar: Wir wollen an der Spitze marschieren . Wir wollen dazugehören . Wir wollen das Wachstumsland Nummer eins in der Welt sein . Wir wollen in der digitalisierten Welt global genauso wirtschaftlich erfolgreich sein, wie wir es in den letzten Jahren waren . ({2}) Dazu braucht es zwei Stoßrichtungen . Zum einen geht es darum, komplett neue Lösungen und Geschäftsmodelle mit auf den Weg zu bringen . Es ist ein Drama, dass SAP das einzige große Softwarehaus in Deutschland und Europa ist und wir nur mit amerikanischen und asiatischen Konkurrenten im Wettbewerb stehen . Zum anderen geht es darum, dass wir die Geschäftsmodelle unserer klassischen Wirtschaft, die uns über all die Jahre erfolgreich gemacht hat, anpassen, dass sich der Mittelstand, die Industrie, aber eben auch Dienstleistungsunternehmen, die Energiewirtschaft, Unternehmen im Bereich der Mobilität und das Gesundheitswesen auf die Herausforderungen der Digitalisierung einstellen . Wir haben gute Voraussetzungen . Wir haben hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung . Wir haben eine vitale Start-up-Szene . Wir haben Vorzeigebereiche, mit denen wir im Hinblick auf Industrie 4 .0 schon sehr gut sind, etwa beim Anlagenbau . Wir sind gut in der IT-Sicherheit . Wir haben also wirklich gute Voraussetzungen . Es gibt aber auch - das muss man ebenfalls sagen - Probleme und Herausforderungen . Diese gilt es anzupacken . Es fehlt eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur; das packen wir gerade in dieser Legislaturperiode gemeinsam an . ({3}) Bei Bildung und Ausbildung haben wir Nachholbedarf . Noch sind unsere Schulen in der Kreidezeit verhaftet . Digitalisierung ist in kaum einem Bundesland ein großes Thema . Wir als Fraktion haben mit der Strategie „Digitales Lernen“ ein gutes, kluges Konzept vorgelegt; das gilt es gemeinsam umzusetzen . Unsere Verwaltung ist noch in alten Strukturen verhaftet . Jetzt, in der Flüchtlingskrise, merken wir, dass wir hier an unsere Grenzen kommen . Die große Chance dieser Krise ist, dass wir es schaffen, die Verwaltung zu modernisieren, schneller und flexibler zu werden und alte Strukturen aufzubrechen; denn wir sehen, dass es sich lohnt, alte Strukturen aufzubrechen, neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln und Prozesse zu digitalisieren . Hier bin ich Minister de Maizière und Staatssekretär Fritsche sehr dankbar, dass sie das so entschieden angehen . ({4}) Elementar wichtig ist, dass wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen so anpassen, dass sie Innovationen ermöglichen . Deshalb, Herr Minister Gabriel, wird es leider nicht reichen, nur zu versuchen, die Großen Google und Amazon - zu zähmen . Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Kleinen, die es in unserem Land bereits gibt, groß werden und die Innovationskraft, die in unserem Land vorhanden ist, gestärkt wird . Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass wir den innovativen Köpfen in unserem Land alle Möglichkeiten geben, zu wachsen und mit den Großen zu konkurrieren . ({5}) Hier haben wir noch einiges vor uns, und da ist jeder von uns gefragt . Reden Sie zum Beispiel mit Ihrem Kollegen Maas! Solange er noch am Dogma der Datensparsamkeit festhält, ist es für kleine Start-ups unheimlich schwer, in der digitalen Welt mit innovativen Geschäftsmodellen erfolgreich zu sein . ({6}) Wir sollten lieber auf Verantwortung und Haftung setzen - das ist der richtige Weg -, statt nur auf Verbote, Beschränkungen und Regulierung . ({7}) Reden Sie mit Ihrer Kollegin Nahles! Die Arbeitsstättenverordnung, die festschreibt, wie weit der Abstand zwischen Schreibtischkante und Bildschirmtastatur sein muss, passt leider nicht mehr in Zeiten des mobilen Arbeitens und des Homeoffice. ({8}) Deshalb ist es wichtig, dass wir heute Rahmenbedingungen setzen, die Innovationen ermöglichen und Freiheiten schaffen, damit wir die Chance der Digitalisierung, wie es auch im Jahreswirtschaftsbericht heißt, nutzen können . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin .

Nadine Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Denn nur dann sind wir zukunftsfähig, und nur dann sind wir in Zukunft sowohl wettbewerbsfähig als auch erfolgreich . Vielen Dank . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Katharina Dröge ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, das, was Sie - und auch Herr Heil - hier heute gemacht haben, hat mich ein bisschen an Selbstbeschwörung erinnert . Die Hälfte Ihrer Redezeit haben Sie darauf verwendet, uns vorzutragen: Uns geht es gut, die Wirtschaft brummt, ({0}) wir haben keine Koalitionskrise . ({1}) Man hatte den Eindruck, Sie müssen es nur oft genug sagen, damit Sie es auch selbst glauben . ({2}) Wenn man bilanziert, stellt man fest: Einen Koalitionspartner zu haben, der sich vor den Flüchtlingen fürchtet, statt die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Potenziale zu sehen, ist schon eine Misere . Aber wenn man dann auch noch selbst keine Konzepte hat, weder in der Flüchtlingspolitik noch wirtschaftlich im Hinblick auf die künftigen Herausforderungen für unser Land, dann ist das schon ziemlich blöd, und dann ist Selbstbeschwörung wahrscheinlich nötig . ({3}) Wenn man sich Ihre Wirtschaftspolitik ansieht, muss man sagen: zu geringe Investitionen in Infrastruktur, erneuerbare Energien und Bildung, keine koordinierte europäische Wirtschaftspolitik . ({4}) Zur Wettbewerbspolitik, die das Potenzial und die Kreativität der Unternehmen im Lande fördern soll, habe ich von Ihnen in Ihrer Rede heute kein einziges Wort gehört . Dabei ist dies die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft . Es wäre Ihr Job, hier faire Spielregeln zu schaffen . Genau da tun Sie aber nichts, bzw . Sie tun das Gegenteil: Sie fördern einseitig große Unternehmen zum Schaden von vielen kleinen und anderen Unternehmen in diesem Land . ({5}) Das zeigt zum Beispiel Ihre Entscheidung zur Fusion von Edeka und Tengelmann, die Sie gegen jede Expertise und jeden Rat durchgedrückt haben . ({6}) Sie wird zur Folge haben, dass Edeka eine größere Marktmacht bekommen wird, dass das Unternehmen in der Lage sein wird, die Preise zu drücken und die KondiNadine Schön ({7}) tionen zu diktieren, und kleinere Supermärkte, Hersteller und Bauern in die Ecke gedrängt werden . ({8}) Diese Politik, die auf Große setzt und den Wettbewerb schädigt, wird auch an der Entscheidung der Bundesnetzagentur deutlich, das Telekommonopol im Bereich des Kupferkabels auszuweiten . Gestern haben Sie im Wirtschaftsausschuss gesagt, dass Sie das für eine gute Entscheidung halten . Sie begrenzt aber den Glasfaserausbau und stellt die Wettbewerber in die Ecke . So nutzen Sie aus Ihrer Sicht die Chancen der Digitalisierung . Ich kann nur sagen: Damit haben Sie die Reise in die Vergangenheit angetreten . Wirtschafts- und zukunftsfähig ist das nicht . ({9}) Zum Schluss zum Thema „Digitalisierung und ihre Bedeutung für die Wettbewerbspolitik“ . Sie haben jetzt endlich gesagt, dass man bei der Fusionskontrolle auch das Thema Datenmacht berücksichtigen müsse . Auch wir haben eine Brieffreundschaft miteinander . Wir haben schon viele Briefe geschrieben, in denen wir gefragt haben, was Sie eigentlich mit dem Wettbewerbsrecht machen und wie Sie auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren wollen . Im Mai vergangenen Jahres war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen, dass Sie Google zerschlagen wollen . Dann ist Ihnen aber aufgefallen, dass das vielleicht doch etwas schwierig ist und dies deshalb vielleicht doch eine etwas zu steile These ist . Danach kam lange nichts von Ihnen . Jetzt kommt nun vielleicht eine Änderung bei der Fusionskontrolle . Hinzu kommen die Themen AGB, Missbrauchskontrolle, Belastung der Verbraucher usw . Hierzu fehlen Konzepte von Ihnen . Diese wären aber dringend notwendig; denn wir haben es mit Giganten im Internet zu tun, die Monopolisierungstendenzen aufweisen . Vor allen Dingen haben wir es beim Thema „digitale Wirtschaft“ nicht mit einem normalen Gut zu tun, sondern mit einem sehr sensiblen Gut . Dabei geht es auch um Datenschutz, Verbraucherschutz und sehr sensible Informationen über unser tägliches Leben . Deshalb wäre es besonders wichtig, dass der Wirtschaftsminister hinschaut . Sie haben aber viel zu lange gewartet . Deswegen ist es dringend notwendig, dass Sie endlich handeln . ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Poschmann für die SPD-Fraktion . ({0})

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tatsache ist: Die wirtschaftliche Lage der meisten kleinen und mittleren Unternehmen ist sehr gut, auch wenn sich das Klima laut ifo etwas eintrübt . Viele Betriebe konnten sich in den zurückliegenden Jahren ein ansehnliches Polster zulegen . Seit 1999 ist die Eigenkapitalquote im Mittelstand von 2,6 Prozent auf 25 Prozent gestiegen . Das sind Bestwerte, die vor allem eines signalisieren: Unser Mittelstand ist stark und robust . ({0}) Leider hat die Medaille auch ihre Kehrseite . Die Betriebe haben ihre Kapitalkraft gestärkt, dafür aber ihre Investitionen zurückgeschraubt . Die KfW hat bereits 2015 darauf hingewiesen, dass gerade einmal 28 Prozent der kleinen und mittleren Betriebe in innovative Produkte investieren . Das sollte uns Sorgen machen . Wer auf Innovationen verzichtet, verzichtet auf Wertschöpfung und Arbeitsplätze . Ich rede nicht von den mittelständischen Unternehmen, die in der Industrie 4 .0 angekommen sind . Ich rede von den kleinen und mittleren Betrieben, die in der Regel sofort das Heft aus der Hand legen, wenn sie nur die Überschrift „Digitalisierung von Geschäftsprozessen“ lesen . Ihnen müssen wir uns mehr widmen . Wir müssen auch dem Handwerker um die Ecke unter die Arme greifen und ihm die Chancen aufzeigen, die ihm der digitale Wandel bietet: schnelle und effiziente Prozesse, mehr Kunden und am Ende auch mehr Umsatz . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mittelstand war und ist ein Innovationstreiber und Impulsgeber für die Wirtschaft . Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, damit er dieser Rolle auch zukünftig gerecht werden kann . Wir werden aufpassen, dass Unternehmen nicht abgehängt werden, weil sie zu wenig in Forschung und Entwicklung investieren . Innovationsstarke Unternehmen sind meist in der Lage, das teils wenig übersichtliche Fördersystem zu durchschauen, Anträge zu formulieren und Projekte umzusetzen . Kleine und mittelständische Unternehmen, junge Dienstleister und Handwerker haben damit aber Probleme . Sie benötigen ein transparentes und niedrigschwelliges Fördersystem, das einfach und unbürokratisch ist . Die Unternehmer wünschen sich zeitnahe Genehmigungen; denn sonst ist die Idee in der schnelllebigen Zeit keine Innovation mehr . Vieles haben wir auf den Weg gebracht . Wir bauen bundesweit 4 .0-Kompetenzzentren auf, mit denen wir auch kleine Betriebe auf den digitalen Wandel vorbereiten . Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem wir mit Gewerkschaftlern, Wissenschaftlern und Vertretern der Wirtschaft innovative Ideen diskutieren . Wir wollen Investitionen auslösen und über Steuervorteile die Forschung in kleinen und mittleren Unternehmen ankurbeln . Außerdem werden wir dafür kämpfen, dass wir endlich ein WagniskapitalKatharina Dröge gesetz bekommen, das Investoren ermutigt, innovative Start-ups mit den nötigen Mitteln zu versorgen . ({1}) Wir können nicht länger zusehen, dass ausländische Kapitalgeber in diese Lücke springen und das Know-how ins Ausland abwandert . Es kommt noch etwas hinzu: Der Mittelstand - insbesondere das Handwerk - ist ein Eckpfeiler der Ausbildung . Viele Betriebe haben Projekte mit jungen Flüchtlingen begonnen, bieten Bewerbungstrainings an und stellen Praktikums- und Ausbildungsplätze zur Verfügung . Jeder Meister, jeder Ausbilder, der zusätzlich einen Flüchtling an die Hand nimmt, leistet die beste Integrationsarbeit, die wir uns vorstellen können . Dafür meinen herzlichen Dank . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich müssen wir darauf achten, die Integrationskraft unserer Gesellschaft nicht zu überfordern . Ich sage aber auch: Die Grenzen zu schließen, ist keine Lösung . Im Gegenteil: Das ist kontraproduktiv für ein Land, das von einer exportorientierten Wirtschaft lebt und wie kein anderes vom freien Warenund Dienstleistungsverkehr profitiert. Was Deutschland benötigt, sind keine Grenzbefestigungen und Schranken . Was Deutschland benötigt, ist endlich ein modernes und zeitgemäßes Einwanderungsgesetz, das von einem großen gesellschaftlichen Konsens getragen wird . Herzlichen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion ist Andreas Lenz der nächste Redner . ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft steht gut da . Das geht einmal mehr aus dem Jahreswirtschaftsbericht hervor . Bei der Präsentation der wirtschaftlichen Zahlen für Deutschland meinten die Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes, die Wissenschaftler hier vor Ort: Es fällt schon ziemlich schwer, hier ein Haar in der Suppe zu finden. - Herr Ernst, Frau Dröge, dass das mit viel Kreativität trotzdem geht, merkt man an den Aussagen der Opposition . Herr Ernst, ich erinnere mich an gestern, als Sie meinten, wir müssten jetzt die Steuern vernünftig erhöhen . Was bei Ihnen „vernünftig“ heißt, ist klar, nämlich „kräftig“ . Dass das der falsche Weg ist, muss uns allen klar sein . ({0}) Die deutsche Wirtschaft ist in einem international schwierigen Umfeld um real 1,7 Prozent gewachsen . Der wichtigste Wachstumsmotor war der inländische Konsum . Das verfügbare Einkommen stieg um 2,8 Prozent . Bei allen Unwägbarkeiten gibt neben der deutschen Entwicklung aber auch die europäische Entwicklung verhaltenen Anlass zum Optimismus . Nach 1,1 Prozent im vergangenen Jahr wird die Wirtschaft im Euro-Raum um 1,7 Prozent wachsen . Bei allen Problemen zeigt das eben auch, dass die Strukturreformen im Euro-Raum weiter zu forcieren sind . Die Herausforderungen nehmen aber zu . Wir haben es gehört: „Die Wirtschaft blickt erschrocken ins neue Jahr“, sagte ifo-Chef Sinn zum ifo-Geschäftsklimaindex . Das schwächere Wachstum in China und anderen Schwellenländern verursacht Risiken . Auch stellt sich heraus, dass der niedrige Ölpreis Fluch und Segen zugleich ist . In vielen Schwellenländern verursacht er weitere Stabilitätsrisiken, aber natürlich auch politische Risiken . Trotz dieser internationalen Krisen arbeiten in Deutschland erstmals mehr als 43 Millionen Menschen, so viele wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik . Gleichzeitig waren seit der Wiedervereinigung noch nie so wenige Menschen ohne Arbeit . Auf diese Entwicklung können wir durchaus stolz sein . ({1}) Gerade im Hinblick auf die langfristige Wettbewerbsfähigkeit müssen wir aber die Entwicklung der Lohnstückkosten genau beobachten . Ich kann mich erinnern: 2014 hat das Handelsblatt „Verkehrte Welt“ getitelt, als Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Zusammenhang von Lohnentwicklung und Produktivität hinwies . Das hat er heute nicht gemacht . Wir weisen aber gerne darauf hin, dass hier eine maßvolle Entwicklung notwendig ist, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten . Eine auch wirtschaftliche Herausforderung ist die aktuelle Flüchtlingskrise . Der Sachverständigenrat schreibt dazu wörtlich: Auf Dauer ist die derzeitige Konzentration der Flüchtlinge auf wenige EU-Mitgliedsländer nicht durchzuhalten . Eine Begrenzung des Zuzugs ist also auch aus wirtschaftlicher Sicht notwendig - auch, um die Leistungsfähigkeit staatlicher Strukturen aufrechtzuerhalten . Klar ist, dass die jetzige Situation ohne die konsequente Konsolidierung der öffentlichen Haushalte während der letzten Jahre nicht stemmbar wäre . Bund, Länder und Kommunen erzielten 2015 einen Finanzüberschuss in Höhe von 16,4 Milliarden Euro . Diesen Weg müssen und werden wir trotz der Flüchtlingskrise fortsetzen . Das ifo-Institut geht davon aus, dass sich allein die Kosten für die Asylbewerber im Jahr 2015 auf mindestens 10 Milliarden Euro belaufen werden . Außerdem seien die Flüchtlinge verständlicherweise ungenügend auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet . Die wenigsten kommen eben mit dem Werkzeugkoffer und stellen sich an die Produktionsstraße . Nur etwa 20 Prozent sind hinreichend qualifiziert. Es ist eben nicht so einfach, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge die Rente für die heutige Erwerbsgeneration zahlen, wie dies Herr Oppermann noch im Sommer formulierte . ({2}) Ebenso werden wir das demografische Problem in Deutschland nicht durch die Flüchtlingsströme lösen . Die Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt ist eine Mammutaufgabe, und sie wird viel Geld kosten . Keine Integration ist aber langfristig noch teurer . Auch das muss uns klar sein . ({3}) Aber auch die Wirtschaft ist gefordert, diejenigen in Arbeit zu bringen, die eine langfristige Bleibeperspektive bei uns haben . Es geht nicht an, von einem Wirtschaftswunder 2 .0 zu sprechen, sich aber bei den Integrationskosten zurückzuhalten . Sprache ist dabei der Schlüssel für Integration . Oft sind wiederum Arbeit und Beschäftigung der Schlüssel zur Sprache . Der Bund hat die Mittel für Sprach- und Integrationskurse bewusst erhöht . Bayern leistet beispielsweise mit dem Integrationspakt einen wesentlichen Beitrag zur Integration am Arbeitsmarkt . Allein durch diesen Pakt der bayerischen Wirtschaft und der Arbeitsagentur werden bis 2019 60 000 Flüchtlinge in Arbeit gebracht . Ich denke, das wäre ein gutes Beispiel für die Bundesebene . Gerade jetzt brauchen wir weiterhin einen flexiblen und aufnahmefähigen Arbeitsmarkt . Beschränkungen bei Zeitarbeit und Werkverträgen passen nicht in dieses Anforderungsprofil. Natürlich muss Missbrauch verhindert werden . Aber gerade hinsichtlich der Regelung von Werkverträgen sind kleinteilige Kriterienkataloge praxisfremd. Bei den Dokumentationspflichten hinsichtlich des Mindestlohns werden wir noch einmal nachhaken . Wir haben da schon einiges erreicht . Wir waren nie gegen den Mindestlohn . ({4}) Wir brauchen aber gerade für die Ehrenamtlichen Rechtssicherheit . Auch der Minijobbereich muss entbürokratisiert werden . Wenn beispielsweise nur jeder zweite der 1,1 Millionen Minijobber Bayerns pro Jahr 50 Stundenzettel ausfüllt, dann ergibt das aneinandergereiht eine Papierstrecke von München nach Tokio, und das im Zeitalter der Digitalisierung . Ich glaube, dem Bürokratiewahnsinn gilt es auch hier ein Ende zu bereiten . ({5}) - Für ganz Deutschland müsste diese Strecke wieder zurückgegangen werden . Wir brauchen eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung der Erbschaftsteuer zum Erhalt der Arbeitsplätze . Der Unternehmer ist für uns weiterhin Vorbild und kein Feindbild . Wir investieren in die digitale Infrastruktur . Der Breitbandausbau wird von Minister Alexander Dobrindt entschieden vorangetrieben . ({6}) Gerade im Bereich der Digitalisierung brauchen wir Offenheit . Wir brauchen Experimentierfelder für neue Technologien . Wir müssen Freiräume für Kreativität zulassen . Ebenso brauchen wir Regeln sowie einen Rahmen, welcher der digitalen Welt gerecht wird . Wir brauchen noch mehr Raum und Förderung für Forschung und Innovationen, auch für eine nachhaltige Entwicklung . Es gilt also, den Blick in die Zukunft zu richten . Ludwig Erhard sagte dazu: Den Wohlstand zu bewahren, ist schwerer, als ihn zu erwerben . - Dieser Satz gilt auch und gerade heute . Mit dem Jahreswirtschaftsbericht stellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft, um diese zu meistern . Herzlichen Dank . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Matthias Ilgen für die SPD-Fraktion . ({0})

Matthias Ilgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004310, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben den Herausforderungen, die in dieser Debatte zum Jahreswirtschaftsbericht sehr deutlich geworden sind, diskutieren wir heute auch über die Chancen des digitalen Wandels . Wir diskutieren zum Beispiel über neue Möglichkeiten für das Arbeiten von zu Hause, weil wir in unserer Gesellschaft Familie und Beruf besser unter einen Hut bringen wollen . Wir diskutieren über neue Chancen zum Beispiel für die dezentrale Energieproduktion, die wir schon sehr stark ausgebaut haben, in intelligenter Vernetzung mit Energieversorgungssystemen der Zukunft . Und wir sprechen über Bereiche - zu all diesen Chancen war allerdings von der Opposition recht wenig zu hören - wie die Telemedizin und die Diagnosemöglichkeiten der Zukunft, die unsere Gesellschaft und die Art und Weise, wie wir miteinander leben und wirtschaften, verändern werden . Die Opposition im Haus ignoriert in ihren Schaufensterreden wie heute sehr gerne, was die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen dazu beitragen, dass wir einen vernünftigen Weg der Digitalisierung einschlagen . Dazu ist übrigens auch einiges im Etat des Bundeswirtschaftsministers enthalten . Ich weise zum Beispiel auf die Aufstockung der ERP-Venture-Capital-Dachfondsmittel des European Angels Funds auf insgesamt 1,7 Milliarden Euro und die Auflage eines neuen ERP-Wachstumsfonds mit einem Volumen von 500 Millionen Euro hin . Auf Fondsfinanzierung und Förderinstrumente setzen wir aber nicht zum Spaß, sondern - das hat der Bundeswirtschaftsminister klar herausgestellt - damit wir auch in Zukunft weiter Investitionen in unsere Volkswirtschaft bekommen . Diese werden in allererster Linie von den Privaten getätigt: von den Unternehmerinnen und Unternehmern in diesem Lande, die mutig vorangehen und neue Geschäftsideen entwickeln . Darum geht es beim digitalen Wandel . ({0}) Wir wollen das fortsetzen . Die Koalitionsfraktionen haben anlässlich der CeBIT 2014 eine gemeinsame Entschließung vorgelegt, in der wir der Bundesregierung einen klaren Auftrag erteilt haben . Wir warten alle gemeinsam gespannt auf das, was Finanzminister Schäuble - er ist zwar nicht mehr anwesend, aber es ist wichtig, dass er das weiß - im Bereich Wagniskapital vorlegen wird . Die Kollegin Poschmann hat schon darauf hingewiesen . Es ist unabdingbar, dass wir in diesem Bereich Fortschritte machen . Denn wir haben auch innerhalb Europas schon Wettbewerbsnachteile, die sich inzwischen zu einer Investitions- und auch Innovationsbremse bei Start-ups und beim deutschen Mittelstand entwickeln . Hier werden wir nachlegen müssen . ({1}) Ich will ein konkretes Beispiel einer der Baustellen nennen, die diejenigen, die in der Start-up-Szene tätig sind, beschäftigt, damit die Opposition heute auch etwas Handfestes bekommt und nicht sagen kann, wir würden nur wolkige Reden halten . Es geht zum Beispiel darum, im Zusammenhang mit einem Wagniskapitalgesetz auch über eine Reform des § 8 c des Körperschaftsteuergesetzes zu reden . Wir haben das Problem, dass junge Unternehmer, die mit wenig Kapital an den Start gehen und dann in eine Wachstumsphase kommen, einen Investor suchen müssen, wenn sie bei den Banken - mangels fehlender Sicherheiten; das muss man einräumen - nicht weiterkommen . Dabei geht es oft um Millionenbeträge, und der Investor will natürlich eine Gegenleistung . Also erwirbt er in der Regel Unternehmensanteile bzw . Beteiligungen . Wenn diese über 50 Prozent hinausgehen - und das kann vorkommen -, dann wird Körperschaftsteuer fällig . Das Problem tritt dann auf, wenn der Investor sich aus dem Unternehmen zurückzieht oder die anderen Anteilseigner, also die Unternehmensgründer, wieder mehr Anteile übernehmen. Dann bleibt diese Steuerpflicht erhalten . Die Schwierigkeit besteht darin, dass dann oft Verlustvorträge, die vorher angefallen sind - in der Phase, in der das Unternehmen noch nicht profitabel war -, nicht erstattet werden können . Das führt im Ergebnis dazu, dass wir fiktive Gewinne besteuern. In der Öffentlichkeit gibt es derzeit viele Diskussionen über Erbschaftsteuer und anderes . Dabei geht es auch darum, mittelständischen Unternehmen keine Steine in den Weg zu legen . Aber diese Diskussionen sind nichts im Vergleich zu der Debatte über die Wachstumshemmnisse in unserem Fördersystem und bei der Kapitalbeschaffung . Deswegen ist es dringend notwendig, dass die Bundesregierung das Wagniskapitalgesetz angeht . Ich gehe davon aus, dass sich der Finanzminister redlich darum bemühen wird . Wir brauchen in diesem Bereich Änderungen . ({2}) Und wir müssen das mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft noch in dieser Legislaturperiode schaffen . Vielen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Axel Knoerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004073, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Zuschauer! Der vorliegende Jahreswirtschaftsbericht weist sehr wohl auch die Chancen der Digitalisierung aus . Es wird vor allem dargestellt, in welchem Maße die Unternehmen die Digitalisierung bisher umgesetzt haben . Dabei wird großer Wert auf die Arbeitswelt gelegt - das ist wichtig -, Stichwort „Arbeit 4 .0“ . Dazu gibt es unterschiedliche Beurteilungen . Amerikanische Studien sagen voraus, dass sich bis zu 59 Prozent der Berufe verändern werden und dass 81 Prozent der Beschäftigten davon betroffen sein werden . Man kann diese amerikanischen Studien sicherlich nicht eins zu eins auf den deutschen Arbeitsmarkt übertragen, daher ist es richtig und wichtig, dass das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit erstmals diesbezüglich eine Studie vorgelegt hat . Demnach werden bis 2030 keine Berufe durch den digitalen Wandel verschwinden . Das ist keine Entwarnung; denn innerhalb der Berufsfelder müssen wir auf Veränderungen vorbereitet sein . Das kann man sehr einfach in einem Satz zusammenfassen: Die Zahl der einfachen Tätigkeiten wird abnehmen, die der kreativen, komplexen Aufgaben zunehmen . Wir müssen den digitalen Wandel so gestalten, dass Deutschland ein attraktiver Innovationsstandort für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bleibt und dass die Folgen aufgrund der geschilderten Entwicklung für Berufe und Branchen berechenbarer werden . Dafür ist eine zielgerichtete Bildungs- und Forschungspolitik wichtig . Wir brauchen eine verlässliche, auf Innovation gerichtete Wirtschaftspolitik und nicht neue Vorschläge für Subventionen . Wir wollen, dass die Wirtschaft überall, nicht nur in großen Unternehmungen und den wirtschaftlichen Kraftzentren der Republik, wächst . Wir wollen gerade aus diesem Grund die Innovationskraft des Mittelstandes sowie der kleinen und mittleren Unternehmen stärken . ({0}) In der digitalen Wirtschaft sind drei Voraussetzungen maßgeblich . Erstens . Die Branchen müssen sich auf den Weltmärkten behaupten können . Zweitens . Es muss bei der Netzinfrastruktur einen Dreiklang aus Breitbandausbau, Datenschutz und IT-Sicherheit geben . Drittens . Wir müssen fortlaufend durch Bildung und Weiterbildung das ist ganz wichtig - die Mitarbeiterschaft mobilisieren . Zudem gibt es Optimierungspotenziale . Deutschland liegt hier beim Vergleich führender Volkswirtschaften nur im Mittelfeld . Hier gilt es, das Wachstumspotenzial auszuschöpfen; denn wir haben erlebt, dass dort, wo Mittelstand und Digitalisierung aufeinandertreffen, bereits große Wachstumspotenziale gehoben wurden . Ich bin mir sicher, dass unser Mittelstand weiterhin solche Potenziale heben wird . ({1}) Die Digitalisierung muss vor allem flächendeckend erfolgen . In jeder Branche muss sie zu einem Hauptthema werden . Dabei stellen wir fest, dass sich die Unternehmen in drei Cluster aufteilen . Eine Gruppe von Unternehmen sieht große Chancen in der Digitalisierung ihrer Prozesse und schlägt zukunftsorientiert neue Wege ein . In einer anderen Gruppe ist das weitaus geringer ausgeprägt . Sie wägt eher Chancen und Risiken ab . Zudem gibt es leider einen bedeutenden Anteil an Unternehmen, in denen die Digitalisierung nur schleppend vorankommt . Hier müssen wir Überzeugungsarbeit leisten . Das Bundeswirtschaftsministerium hat vielfältige Förderprogramme aufgelegt, um die Entwicklung zu beschleunigen . So werden beim Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, digitale Technologiebereiche gerade im Mittelstand gestärkt . Neu ist die Initiative „Mittelstand 4 .0 - Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“ . Damit werden gezielt Handwerk und Handel unterstützt . In vielen Bundesländern entstehen Kompetenzzentren, um das Wissen in den Betrieben rund um das Thema Digitalisierung zu verbessern . Letztendlich hängt der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens aber von einer ganzheitlichen Unternehmensstrategie ab . Das ist Sache der Manager und weniger der Informatiker . Unsere Forschungsministerin Frau Professor Wanka hat einen integrierten Ansatz aus Produktion, Dienstleistungen und Arbeit gewählt und alles in einem Programm zusammengefasst . Trotz der Kritik, die es von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gegeben hat, ist dieser integrative Ansatz richtig . Wir wissen heute, dass gerade diese Vorgehensweise richtig gewesen ist . ({2}) Mittlerweile geben wir 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Bildung aus . Wir sollten heute schon mutig sein und insbesondere mit Blick auf 2017 sagen, dass wir das in der nächsten Wahlperiode auf 4 Prozent anheben möchten . Die berufliche Bildung könnte in der Praxis durchlässiger sein, gerade wenn man sie gegenüber der akademischen Bildung aufwerten möchte . Wir müssen vor allem im ländlichen Raum Übergänge schaffen, weil dort der Fachkräftebedarf im Handwerk und im Handel besonders hoch ist . Vor diesem Hintergrund appelliere ich: Wir brauchen die Berufsschule 4 .0 . Sie richtet die duale Ausbildung auf die Digitalisierung aus . Sie ist mehr als „training on the job“; denn sie vermittelt Theorie und Praxis in der Produktion von Industrie 4 .0, und das auch für Handwerk und Handel . ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen vor allen Dingen auch auf Verwaltungsebene nachlegen . Wenn Länder wie USA, Großbritannien, Südkorea uns da um einiges voraus sind, dann müssen wir als Bund leistungsfähige IT-Infrastrukturen für die elektronische Kommunikation zwischen Bürgern und Behörden schaffen . Und ich frage Sie: Wo ist das denn am weitesten ausgeprägt? Das ist doch in der Kommune . Seit Mitte der 90er-Jahre stellen wir Jahr für Jahr auf der CeBIT die virtuelle Kommune vor . Wir sprechen davon, für Private Leitmärkte im IKT-Bereich zu entwickeln . Aber dann müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen, ob der öffentliche Sektor dabei wirklich so gut aufgestellt ist, wie es bei Unternehmen in gewissen Größenordnungen selbstverständlich ist . Deswegen brauchen wir, sehr geehrter Herr Minister, in jedem Bundesland ein IT-Zentrum und ein einheitliches System, das die Dienste von Bund, Ländern und Kommunen zusammenführt . Wir brauchen eine neue Bund-Länder-Kommission mit dem Schwerpunkt Digitalisierung und Verwaltung . In den letzten Wochen haben wir mit dem Datenaustauschverbesserungsgesetz zur Beschleunigung der Asylverfahren gezeigt, wie schnell ein Gesetz im Bundestag verabschiedet werden kann . Für die Betreiber von Flüchtlingsheimen, für die Kommunen, für die Bundesagentur ist es damit auf einmal, binnen weniger Wochen, möglich, auf ein und dieselbe Software zuzugreifen . Da sage ich: So eine zügige parlamentarische Arbeit wünsche ich mir auch bei vielen anderen Gesetzesvorhaben, insbesondere bei solchen mit Blick auf die Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeit . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Damit schließe ich die Debatte . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/7380, 18/6740 und 18/7368 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen . Die Vorlage auf Drucksache 18/7368 - das ist der Tagesordnungspunkt 3 d - soll federführend beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie beraten werden . Die hierfür zuständigen Kollegen sind zwar größtenteils schon weg, ich frage aber dennoch: Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für bezahlbare Mietwohnungen - Modernisierungsumlage reduzieren, Luxusmodernisierungen einschränken Drucksache 18/7263 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Lay, Heidrun Bluhm, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Mietspiegel - Sozial gerecht und mietpreisdämpfend erstellen Drucksache 18/5230 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in dieser Debatte hat Caren Lay von der Fraktion Die Linke das Wort . ({2})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Monatelang ging ein Beispiel aus der Kopenhagener Straße in Berlin-Prenzlauer Berg durch die Medien: Ein Haus wurde vor ein paar Jahren von einer Immobilienfirma mit einem blumigen Slogan, der da lautete: „Werte erhalten - Werte schaffen“, gekauft . Das Haus sollte saniert werden . Das klingt ja erst einmal gut, aber im Ergebnis dieser Sanierung sollte sich die Miete für die Mieterinnen und Mieter sage und schreibe verdreifachen . Natürlich sind die meisten Mieterinnen und Mieter ausgezogen, haben sich von der angekündigten Mieterhöhung oder auch von der Schikane der Vermieter abschrecken lassen . Nur ein Mieter ist noch übrig geblieben und kämpft tapfer weiter . Meine Damen und Herren, das ist das, was zynischerweise Entmietung genannt wird und was leider Praxis in vielen deutschen Großstädten ist . Das müssen wir endlich stoppen . ({0}) Das ist ein prominentes Beispiel, aber nur eines von vielen . Denn Luxussanierungen auf Kosten der Mieterinnen und Mieter verdrängen diese aus ihren Stadtteilen . Das bedeutet Verdrängung, das bedeutet Gentrifizierung. Wir wollen diese stoppen . ({1}) Natürlich wollen auch wir als Linke, dass marode Häuser saniert werden; das ist gar keine Frage . Aber so, wie die Regelungen jetzt sind, sind sie sozial ungerecht . Und das ist das Problem . ({2}) Derzeit können die Hausbesitzer 11 Prozent der Modernisierungskosten auf die Kaltmiete umlegen, und das unbefristet . Das heißt, die Miete für die Mieterinnen und Mieter erhöht sich dauerhaft, zum Teil verdoppelt sie sich, und zwar auch dann, wenn die Sanierungskosten, die der Vermieter hatte, längst abbezahlt sind . Das ist doch wirklich völlig absurd, das müssen wir ändern . ({3}) So, wie sie jetzt ist, ist diese Modernisierungsumlage vor allen Dingen eines, nämlich eine lukrative Geldanlage für die Vermieter und ein Motor für die Vertreibung der Mieter . Hier müssen wir ran, diese Regelung müssen wir ändern . ({4}) Die ganze Sache wird noch dadurch verschärft, dass die sanierten Wohnungen von der Mietpreisbremse ausgenommen sind . Das heißt, es ist geradezu eine Einladung an die Vermieter, sich dort, wo die Mietpreisbremse überhaupt gilt, in die Sanierung zu retten . ({5}) Das kann so wirklich nicht bleiben . ({6}) Wir schlagen vor, dass wir die Modernisierungsumlage in einem ersten Schritt zeitlich begrenzen und deutlich auf 5 Prozent absenken . Mittelfristig sollte man, glaube ich, die Vorschläge des Deutschen Mieterbundes, die Sanierungskosten in die Bewertung im Mietspiegel einfließen zu lassen, aufnehmen . Da müssen wir perspektivisch hinkommen . Die energetische Gebäudesanierung ist sinnvoll . Auch wir sind natürlich für mehr Anstrengungen im Wärmebereich . Aber was nicht geht und was ehrlich gesagt auch nicht zur Akzeptanz dieser Maßnahmen beiträgt, ist, dass auch hier die Kosten sehr einseitig von Mieterinnen und Mietern getragen werden . Wir sagen: Hier muss die öffentliche Hand investieren, hier muss wirklich Geld in die Hand genommen werden . Die 5 Milliarden Euro, die wir seit vielen Jahren in den Haushaltsberatungen fordern ({7}) und die auch in der einschlägigen Szene seit Jahren diskutiert werden, wären gut angelegtes Geld für Klimaschutz und für bezahlbare Mieten . ({8}) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Ein weiteres Problem bezieht sich auf den Mietspiegel . Dort, wo es ihn gibt, werden die Mieten der letzten vier Jahre als Berechnungsgrundlage genommen . Was ist aber in den letzten vier Jahren eigentlich passiert? Da hilft ein Blick in die Analysen der einschlägigen Internetportale, wo Neuvertragsmieten angeboten werden . Was kommt dabei heraus? In Berlin hat es in fünf Jahren bei den neu angebotenen Mietverträgen eine Mietenexplosion von 56 Prozent gegeben . In München sind es „nur“ 26 Prozent und in Hamburg 20 Prozent, aber auf einem sehr hohen Niveau . Das können wir doch unmöglich als Berechnungsgrundlage für den Mietspiegel nehmen . Das ist wirklich völlig absurd . ({9}) Das schadet nicht nur den Mieterinnen und Mietern, die umziehen müssen, das wird auch dafür sorgen, dass für die Altmieter die Miete ganz legal angehoben werden kann . Das ist Mieterhöhung per Gesetz . Das wollen wir endlich ändern . ({10}) Deswegen schlagen wir vor, den Mietspiegel auf breite Füße zu stellen: Wir wollen alle Mieten in die Berechnung einfließen lassen. Nur so können wir den permanenten Mietenanstieg stoppen . ({11}) Natürlich wären viele Mieterinnen und Mieter froh, wenn es überhaupt einen qualifizierten Mietspiegel gäbe. Auch dazu machen wir einen Vorschlag, nämlich einen Mietspiegel verbindlich festzuschreiben und die Kommunen bei der Erstellung zu unterstützen . Lassen Sie mich einen letzten Gedanken sagen: Der Mietspiegel muss natürlich auch rechtsverbindlich sein . Wir erleben schon in einigen Städten wie in Berlin und Bonn, dass von Vermieterseite gegen die Mietspiegel geklagt wird, zum Teil mit Erfolg . Das tun sie, weil sie die Mietpreisbremse umgehen wollen . Hier müssen wir Rechtsverbindlichkeit schaffen . Die Mieterinnen und Mieter brauchen hier wirklich Klarheit . ({12}) Ich ahne, dass der eine oder andere Redner von der Koalition sagen wird: Na ja, alles gut und schön, haben wir auf dem Schirm, machen wir alles . - Aber bisher gibt es nur ein Eckpunktepapier des Ministers, in dem auf viele Punkte eingegangen wird, wenn auch nicht in dem Maße, wie wir es uns vorstellen würden . Aber es wäre ein erster Schritt; das sehe ich . Aber leider habe ich von dem Koalitionspartner der SPD, nämlich von der Union, schon kritische Stimmen gehört: Was in diesem Papier steht, werden wir so nicht mittragen . Das ist meine Sorge: Es gibt nur ein Eckpunktepapier, es gibt noch nicht einmal einen Referentenentwurf . Wenn hier weiter Koalitionsstreit herrscht, dann fürchte ich, dass es in dieser Legislatur keine Einbringung in den Bundestag geben wird . Da hilft die Opposition, da hilft die Linke: Wir haben zwei kluge Vorschläge heute auf den Tisch gelegt, und ich hoffe im Interesse der Mieterinnen und Mieter auf Ihre Zustimmung . ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Jan-Marco Luczak von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst einmal um Nachsicht dafür bitten, dass ich leider ganz unmittelbar nach meiner Rede das Plenum wieder verlassen muss . ({0}) Legen Sie mir das bitte nicht als mangelnden Respekt vor dem Hohen Haus oder vor Ihnen aus . Sie alle kennen das: In einer Sitzungswoche gibt es manchmal seit langem feststehende Termine, die dringend wahrgenommen werden müssen . ({1}) Ich bedauere das ganz besonders, weil es hier um das Mietrecht geht . Beim Mietrecht gibt es immer besonders spannende Diskussionen, besonders emotionale Debatten, die auch ich selber mit großer Leidenschaft und mit viel Herzblut führe . Besonders emotional sind diese Debatten meistens dann, wenn es um Anträge der Linken geht . ({2}) Ich kann jedenfalls für mich sagen: Mein Blutdruck steigt da meistens, und mein Puls fängt an zu rasen . ({3}) Das liegt aber nicht daran, dass sie so gut sind, Frau Kollegin Lay, sondern daran, dass so viel Ideologie und so viel wirtschaftlicher Unverstand in einen Antrag gepresst werden . Es verwundert mich immer wieder, dass das gelingt . ({4}) So ist es auch bei diesem Antrag . Es ist ein Schaufensterantrag, mit dem die Linke wieder einmal versucht, die Vermieter in die Rolle der bösen Kapitalisten zu drängen, die hemmungslos und ohne Rücksicht nach Profit gieren und ihre Mieter ausbeuten . Zugleich versuchen Sie, die Koalition so darzustellen, als ob wir diese Sorgen und Nöte von Mietern nicht ernst nehmen würden, und Sie fordern uns zu einer sozialen Mietrechtsnovelle auf . ({5}) Beides, meine sehr verehrten Kollegen von den Linken, ist grundfalsch . Mit dieser Schwarz-Weiß-Malerei - hier der Vermieter, da der Mieter - werden Sie der Komplexität des Wohnungsmarktes und auch der vielen Herausforderungen, die sich dort stellen, in keiner Weise gerecht . ({6}) Natürlich ist es so, dass es bei den Mieten Exzesse gibt, und natürlich gibt es auch Fälle, in denen Mieter von rücksichtslosen Vermietern aus der Wohnung gedrängt werden . Hier ist völlig klar - das ist unbestritten; darüber besteht völliger Konsens -, dass Politik handeln muss und dass Mieter in so einem Fall geschützt werden müssen . Wir als Union wissen sehr genau, dass das Mietrecht an dieser Stelle sozial ausgewogen gestaltet werden muss . Darauf haben wir in der Vergangenheit immer sehr großen Wert gelegt . Das werden wir auch dieses Mal tun . Um uns daran zu erinnern, brauchen wir aber nicht die Linken als pseudosoziales Gewissen . ({7}) Diese Ausgewogenheit ist so prägend für das Mietrecht; dennoch lassen Sie sie in Ihren Anträgen wieder einmal völlig vermissen . Gerade die privaten Kleinvermieter vernachlässigen Sie in Ihren Anträgen völlig . ({8}) Man hat immer den Eindruck, sie würden nach und nach rechtlos gestellt . Sie vernachlässigen in Ihren Anträgen auch, dass die übergroße Mehrheit der Mietverhältnisse völlig reibungslos funktioniert, dass dort fair miteinander umgegangen wird . Deswegen kann es doch nicht darum gehen, Vermieter und Mieter gegeneinander auszuspielen, sondern man muss die berechtigten Interessen von beiden in den Blick nehmen und miteinander in Einklang bringen . ({9}) Wie gesagt, Sie lassen diese Ausgewogenheit in Ihren Anträgen völlig vermissen . Denn was schlagen Sie uns vor? Sie haben es ja gerade dargestellt: die Absenkung der Modernisierungsumlage von 11 auf 5 Prozent . In Ihrer Begründung klingt es so an, als ob Modernisierungen vermieterseitig massenhaft missbraucht würden, um Bestandsmieter zur Kündigung zu nötigen . ({10}) - Natürlich . Es gibt diese Fälle . Sie haben gerade ein Beispiel aus Berlin genannt, Frau Lay . Ich bin selber Berliner Abgeordneter . Ich kenne diese Fälle . Aber so zu tun, als ob das ein massenhaftes Phänomen sei, ohne dafür konkrete Zahlen zu benennen, das wird dem Ernst der Sache nicht gerecht . Ebenso wird dem Ernst der Sache nicht gerecht, wenn Sie hier pauschale Vorwürfe an Vermieter richten, dass sie Mieter sogar nötigen, dass sie also eine Straftat begehen . Das ist absolut fehl am Platz . Klar ist: Wir müssen Missbrauch verhindern, und es darf auch kein „Herausmodernisieren“ von Mietern geben . Genau das ist auch Inhalt des Koalitionsvertrages . Wir haben uns als Koalition dazu verpflichtet, hierzu etwas vorzulegen . Wenn wir hier von Modernisierungen reden, dann ist genauso klar: Das Ziel und die Funktion von § 559 BGB, nämlich Anreize für Modernisierungen zu schaffen, dürfen wir selbstverständlich nicht konterkarieren; vielmehr müssen die Vorschriften, die wir zum Schutz der Mieter brauchen, immer so ausgestaltet sein, dass Investitionen in den Neubau, in den altersgerechten Umbau und in die energetische Sanierung nicht verhindert werden . Das muss unverrückbarer Grundsatz aller Regelungen sein, die wir hier miteinander angehen . Darauf werden wir als Union ganz besonders achten . Das gilt nicht nur für die Anträge der Linken, sondern auch für das schon angesprochene Grundlinienpapier des BMJV . Selbstverständlich ist es so, dass wir diese Investitionen nicht verhindern dürfen und dass wir bezahlbaren Wohnraum brauchen . Das muss miteinander in Einklang gebracht werden . Das wird immer so abstrakt dahergesagt . Das kann man gar nicht richtig einordnen . Ich mache es mal am Beispiel des altersgerechten Umbaus deutlich . Sie müssen sich das ganz konkret vorstellen: Viele ältere Menschen - wir leben in einer älter werdenden Gesellschaft - müssen irgendwann ihre Wohnung verlassen, weil kein Fahrstuhl da ist oder weil sie das Bad nicht mehr benutzen können . Es ist für einen alten Menschen eine ganz gravierende Situation, wenn das gewohnte Lebensumfeld verlassen werden muss, wenn man die Nachbarn, mit denen man vielleicht schon Jahrzehnte zusammengelebt hat, nicht mehr hat . Deswegen ist der altersgerechte Umbau ({11}) nicht irgendetwas Abstraktes . Wir müssen dafür sorgen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen so sind, dass tatsächlich in altersgerechten Umbau investiert werden kann; denn wir als Union wollen, dass ältere Menschen möglichst lange in ihrer angestammten Wohnung bleiben können . ({12}) Deswegen brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen . ({13}) Jetzt rufen Sie als Linke natürlich wieder nach dem Staat: Wir müssen hier Milliardensummen in die Hand nehmen . - Aber wenn Sie sich mal vor Augen führen, welche Summen wir benötigen, ist völlig klar: Das bekommen wir als Staat allein aus Steuermitteln nicht hin, sondern wir brauchen dafür private Investitionen . Diese privaten Investitionen bekommen wir nicht, wenn die Modernisierungskosten nicht in irgendeiner Weise auch wirtschaftlich darstellbar sind . Sie müssen wirtschaftlich tragbar und finanzierbar sein; sonst funktioniert das nicht. Das, was Sie uns vorschlagen - eine Absenkung der Modernisierungsumlage auf 5 Prozent -, ist völliger Humbug . Weil sich dann keine Modernisierungsmaßnahme, keine energetische Sanierung, kein altersgerechter Umbau mehr rechnen wird, werden solche Modernisierungen unterbleiben . Das geht letztlich zulasten der Mieter . Deswegen werden wir das nicht mitmachen . ({14}) In gleicher Weise kritisch wie diese Absenkung auf 5 Prozent ist eine Änderung bei den Kappungsgrenzen; das ist auch schon vorgeschlagen worden . Da muss man sehr genau aufpassen, dass die gesamtgesellschaftlichen Ziele beim Klimaschutz und beim demografischen Wandel nicht gefährdet werden . Im Gegenteil: Wir müssen diese gesamtgesellschaftlichen Ziele, auf die in § 559 BGB Bezug genommen wird, befördern und gleichzeitig die Mieter schützen . Das muss miteinander in Einklang gebracht werden, und das werden wir in der Koalition auch tun . Dazu brauchen wir Ihre Anträge ganz bestimmt nicht, meine Kolleginnen und Kollegen von den Linken . ({15}) Lassen Sie mich noch etwas zur ortsüblichen Vergleichsmiete sagen . Sie schlagen uns jetzt vor, dass alle Mietverhältnisse in die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete einbezogen werden . Ich könnte jetzt einen rechtshistorischen Exkurs darüber machen, wie es sich mit der ortsüblichen Vergleichsmiete verhält, was eigentlich deren Funktion ist . Ihre Funktion ist jedenfalls nicht, eine mietpreisbeschränkende Wirkung zu haben . Tatsächlich wurde das Vergleichsmietensystem in den 70er-Jahren eingeführt, um die Änderungskündigung auszuschließen . Damals haben Vermieter Mieterhöhungen nämlich so gemacht: Lieber Mieter, ich erhöhe die Miete um soundso viel Prozent . Du kannst bleiben, wenn du dem zustimmst; ansonsten musst du die Wohnung verlassen . - Deswegen hat man seinerzeit die ortsübliche Vergleichsmiete eingeführt . Es war nie ein Instrument, um die Mieten zu senken, sondern es war ein Instrument, um Transparenz auf dem Wohnungsmarkt herzustellen . ({16}) Es geht darum, die Realität auf dem Wohnungsmarkt mit einem Mietspiegel darzustellen . Es soll nicht ein Rückspiegel in längst vergangene Zeiten sein, sondern ein Mittel der Transparenz . Deswegen muss der Mietspiegel diese Funktion behalten . Alle Überlegungen, die dahin gehen, den Betrachtungszeitraum von derzeit vier Jahren auf acht Jahre, zehn Jahre oder gar ganz auszudehnen, sind völlig verfehlt . Deswegen werden wir als Union diese Verlängerung der Betrachtungszeit nicht mitmachen . ({17}) Dann will ich noch sagen, was das zur Folge hätte; dafür bleibt mir jetzt leider nur wenig Zeit . Sie müssen bedenken: Was folgt denn daraus, wenn Sie diesen Betrachtungszeitraum so verlängern? Die ortsübliche Vergleichsmiete würde sofort sinken, automatisch, und gleichzeitig auf diesem niedrigen Niveau eingefroren . Nun kann mancher sagen: Das ist genau das, was ich will . - Aber Sie müssen sich einmal überlegen, was die Folgen für die Immobilienunternehmen an der Stelle wären: Die Immobilienwerte würden automatisch sinken, der Verschuldungsgrad würde ansteigen, und die Eigenkapitalquote würde sinken . Dann ist kein Bewegungsspielraum für Investitionen in Modernisierung oder in Neubau mehr vorhanden . Damit geben Sie den Mietern Steine statt Brot . Deswegen kann das nicht sein . Der Betrachtungszeitraum von vier Jahren muss bleiben, meine Damen und Herren . ({18})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen . Deshalb will ich auch keine Zwischenfrage erlauben . Die Redezeit war schon überschritten .

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Redezeit ist schon überschritten - das ist schade -; deswegen muss ich zum Schluss kommen . Meine Damen und Herren, Sie haben gesehen: Die Anträge der Linken sind mit Ideologie gespickt . ({0}) Sie zeugen auch von wirtschaftlichem Unverstand .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Luczak, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen .

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Sinne werden wir sie hier natürlich nicht nur ablehnen, sondern auch eigene gute Vorschläge vorlegen, die einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den berechtigten Interessen der Mieter und der Vermieter darstellen . Vielen Dank, meine Damen und Herren . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn jeder die Redezeit um eine Minute überschreitet, summiert es sich . Deswegen bitte ich wirklich darum, sich an die Redezeit zu halten . Als nächster Redner hat Oliver Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort . ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier über ein zentrales sozialpolitisches Thema: Mieten und Wohnungsnot . Wenn ich mir die Regierungsbank anschaue, dann fällt mir auf: Keiner der zuständigen Minister - Herr Maas oder Frau Hendricks - hält es für nötig, hier zu sein . Das zeigt ja schon, welchen Stellenwert dieses Thema ganz offensichtlich hat und dass es nicht so ganz ernst genommen wird . Herr Luczak - ist er noch da? nein, er ist schon weg - hat das hier gerade mit dem Bild, das er abgegeben hat, bestätigt . Nach seiner Rede könnte man ja glauben: Es ist alles gut . Aber, meine Damen und Herren, weshalb haben wir denn steigende Mieten? Wir stehen in den nächsten Jahren vor einer Riesenherausforderung, weil Hunderttausende Wohnungen in Deutschland fehlen . Das sorgt natürlich für sozialen Sprengstoff . Das sorgt für Probleme, und diesen müssen wir uns widmen . ({0}) Ich sage ganz deutlich: Das, was sich die Koalition jetzt mit der steuerlichen Förderung überlegt hat, ist dem Problem nicht angemessen . Denn das ist Gießkannenprinzip . Das bedeutet gerade nicht, dass günstiger Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung gestellt wird, sondern dass breit gefördert wird . Das ist nicht die notwendige Antwort auf diese Herausforderung . Da müssen wir andere Dinge tun . Was wir brauchen, ist eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus . 60 000 Wohnungen fallen pro Jahr aus der Preisbindung, und das ist ein Riesenproblem für Menschen mit geringem Einkommen . Da müssen wir handeln . ({1}) Ich sage: Die zentrale Stellschraube ist, dass der Bund hier investieren muss . Wir brauchen 2 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau . Wie ich gerade gelesen habe, unterstützt ja Frau Hendricks, die leider der Debatte nicht beiwohnt, diese Forderung, 2 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen . Das Problem ist nur, dass die Forderungen von Frau Hendricks in dieser Koalition die Durchschlagskraft von Wattebällchen haben . Das nützt uns dann überhaupt nichts . Hier wird von dieser Regierung nicht angemessen regiert . ({2}) Was wir ansonsten brauchen, ist eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit . Das wäre eine angemessene Antwort . Wir haben viele kommunale Wohnungsbaugenossenschaften . Die könnten hier handeln . Die müssen wir in die Lage versetzen, dass sie günstigen Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stellen . ({3}) Dabei geht es nicht darum - wie manche das jetzt wieder diskutieren -, irgendwo in Gettos am Stadtrand mit abgesenkten Standards zu bauen . Da sollten wir aus den Fehlern des 20 . Jahrhunderts gelernt haben . Guten, preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, ist eine Herausforderung für die Bundespolitik . Hier, meine Damen und Herren, müssen Sie endlich handeln . ({4}) Aber mit dem Handeln ist das ja so eine Sache . Sie haben mit großem Tamtam eine Mietpreisbremse beschlossen . Diese galt als großes Innovationsprojekt; jedenfalls sollte sie das sein . Jetzt stellen wir fest: Diese Mietpreisbremse ist löchrig wie ein Schweizer Käse . Sie wird an allen Ecken und Enden umgangen . Sie tut vieles; sie bewirkt alles Mögliche . Was sie nicht tut, ist, den Anstieg der Mieten zu bremsen . Und das haben wir Ihnen schon vorher gesagt, das haben Ihnen schon die Experten gesagt . Da, meine Damen und Herren, haben Sie versagt . ({5}) Sie versagen auch bei den weiteren Baustellen im Mietrecht . Sie haben im Koalitionsvertrag und auch nach Einführung der Mietpreisbremse groß angekündigt, dass Sie ein zweites Paket vorlegen würden . Dazu gibt es jetzt von Herrn Maas ein Eckpunktepapier . Aber das war es dann schon wieder . Man hört überhaupt nichts mehr . Still ruht jetzt der See . Die Herausforderungen sind riesig; aber von dieser Koalition kommt nichts . Ich bin den Kollegen von den Linken dankbar, dass sie zwei dieser Baustellen hier zum Thema gemacht haben . Wir brauchen endlich rechtssichere, qualifizierte Mietspiegel. Die unklaren Regelungen in diesem Bereich führen unter anderem auch dazu, dass die Mietpreisbremse wirkungslos ist und dass hier nicht vernünftig gehandelt werden kann . Dass es Verträge mit solchen Mietpreissteigerungen gibt, das darf nicht sein . ({6}) Die zweite große Baustelle ist die Modernisierungsumlage - im Moment 11 Prozent -, die auch Luxussanierungen ermöglicht, sodass genau das stattfindet, was beschrieben worden ist: dass es Entmietungen gibt, dass es teilweise Kostensteigerungen von 1 000 Euro gibt, ({7}) um die Menschen aus den Wohnungen zu treiben . Meine Damen und Herren, das darf nicht sein . Wir wollen die energetische Gebäudesanierung, aber nicht eine Umlage, die am Ende dazu beiträgt, dass die Menschen aus den Wohnungen vertrieben werden . Auch wenn Sie es ignorieren: Das findet in den Ballungsgebieten überall statt, das ist Realität in unserem Land . Dagegen müssen Sie etwas unternehmen . ({8}) Ich sage Ihnen zum Schluss, meine Damen und Herren: Angesichts von Wohnungsmangel, explodierenden Mietpreisen, steigendem Neubaubedarf und Klimaschutz im Gebäudebereich stehen wir vor riesigen Herausforderungen . Ich würde mich gerne eines Besseren belehren lassen; aber bei dem, was ich in dieser Legislaturperiode wohnungs- und mietenpolitisch von dieser Koalition gesehen habe, habe ich die große Sorge, dass Sie diesen Herausforderungen nicht gewachsen sind und es am Ende wieder die Menschen treffen wird, die nicht auf der Sonnenseite unserer Gesellschaft stehen . Das spaltet unsere Gesellschaft weiter . Das können wir uns aus vielen Gründen nicht leisten . Ich danke Ihnen . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dennis Rohde von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dennis Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Krischer, vorweg eine Sache: Hier den Minister Heiko Maas anzugreifen, dass er nicht anwesend ist, obwohl Sie wissen, dass er einen seit vielen Wochen feststehenden Termin in Straßburg hat, um ein Abkommen zur Geldwäsche zu unterzeichnen, ging voll daneben. Ich finde, es ist gut, dass der Minister in Straßburg ist und nicht hier der Beratung eines Oppositionsantrags beiwohnt . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht zum ersten Mal . ({1}) Wir haben schon öfter festgestellt, dass der Wohnungsmarkt aus dem Gleichgewicht geraten ist . Wir haben in ländlichen Gebieten die Situation, dass sich Vermieterinnen und Vermieter freuen, wenn sie überhaupt noch einen Mieter finden. In der Stadt treffen wir genau das Gegenteil an: Die Nachfrage überschreitet das Angebot weit, und die Mieten haben sich in den letzten Jahren explosionsartig entwickelt . Das betrifft Studentinnen und Studenten, die kleine Wohnungen suchen . Das betrifft Familien, die in eine andere Stadt wechseln und deutlich mehr für die Miete aufbringen müssen . Das betrifft natürlich auch ältere Menschen, die zum Beispiel nach einer Modernisierung die Miete mit ihrer Rente nicht mehr zahlen können . Wenn wir uns an dieser Stelle ehrlich machen, dann wissen wir auch: Die gegenwärtige Flüchtlingssituation wird den Wohnungsmarkt nicht vereinfachen . Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir als Koalition hier gegensteuern . Das haben wir getan und werden wir auch weiter tun . Wir haben im vergangenen Jahr bereits zwei Maßnahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Bestellerprinzip bei den Immobilienmaklern . Endlich gilt hier auch das marktwirtschaftliche Prinzip: Wer die Leistung bestellt, hat sie auch zu bezahlen . Schluss damit, erst einmal Hunderte von Euro auf den Tisch zu legen, bevor man einziehen kann! ({2}) Das Bestellerprinzip wirkt und wird angenommen . Ich zitiere die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4 . Dezember 2015 . Dort steht: Ein halbes Jahr nach der Einführung des Bestellerprinzips lässt sich mit einiger Gewissheit sagen, dass dies eine gute Regelung ist . Und weiter: Das alles kommt Kunden und Mietern entgegen . Außerdem trägt die Entwicklung dazu bei, das miserable Image der Wohnungsmakler zu verbessern . Das war und ist ein gutes Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Wir haben die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht . Wir können heute, ein Jahr danach, sagen, dass die Landesregierungen dieses Angebot angenommen haben . Wir haben mittlerweile in 292 Städten und Gemeinden eine Mietpreisbremse. Ich finde, an dieser Stelle sollte man noch einmal betonen, dass es wichtig war, dass wir uns als SPD durchgesetzt und die Mietpreisbremse nicht an das Vorhandensein eines Mietspiegels gekoppelt haben . Hätten wir das getan, dann hätten wir heute nicht 292 Mietpreisbremsen, sondern lediglich 75 . Hätten wir es an das Vorhandensein eines qualifizierten Mietspiegels gekoppelt, hätten wir nicht 292 Mietpreisbremsen, sondern 45 . Es war richtig, dass wir diese Koppelung nicht vorgenommen haben, damit auch die anderen 217 Städte und Gemeinden dieses Mittel verwenden können, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({4}) Die Frage, die richtigerweise im Raum steht, ist doch: Warum sind die Kommunen momentan so zurückhaltend, wenn es darum geht, einen Mietspiegel auszubringen? Warum sind die Kommunen momentan so zurückhaltend, wenn es darum geht, einen Mietspiegel herauszubringen, insbesondere einen qualifizierten Mietspiegel? Da ist die jetzige Gesetzeslage eben problematisch, da bei einem qualifizierten Mietspiegel nur die Vertragsabschlüsse der letzten vier Jahre berücksichtigt werden . Wir wissen alle, was in den letzten vier Jahren auf dem Mietwohnungsmarkt passiert ist . Die Mieten sind gestiegen, gestiegen und gestiegen . Wenn ich das in einem Mietspiegel darstellen würde, dann würde ich eben nicht darstellen, was in einer Kommune durchschnittlich an Mieten gezahlt wird, sondern ich würde darstellen, wie viel ein Vermieter momentan für sein Objekt bekommen könnte . Die Angst, die in vielen Kommunen vorherrscht, ist dann auch berechtigt . Dort denkt man nämlich, man erreicht genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will . Wir wollen die Mieterinnen und Mieter in diesem Land schützen und kein Instrument ausweisen, das der Renditeoptimierung dient, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({5}) Deshalb findet sich - bei aller Debatte - ein ganz entscheidender Satz im Koalitionsvertrag . Da steht: Wir sorgen dafür, dass im Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete auf eine breitere Basis gestellt und realitätsnäher dargestellt wird . ({6}) Nur darum darf es in den kommenden Wochen und Monaten gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({7}) Eines ist uns ganz wichtig - und das unterscheidet uns elementar von dem Antrag der Linken, der uns heute vorliegt -: Wir wollen das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Kommunen weiterhin oben halten . Wir wollen keine Zwangsmietspiegel . Wir haben gute Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, wir haben gute Ratsfrauen und Ratsherren, und wir trauen denen zu, diese Entscheidung zu treffen . ({8}) Wir werden uns in den nächsten Wochen und Monaten für noch mehr starkmachen . Wir werden uns ganz genau ansehen, was es zur Folge hat, dass Mietfläche und vereinbarte Mietfläche um 10 Prozent abweichen können, dass man für Phantomflächen Mietgebühren und Betriebskosten zahlt . Hier brauchen wir eine neue Regelung, um insbesondere das Vertrauen zwischen Mietern und Vermietern zu stärken . ({9}) Es geht um eine vernünftige Lösung für die Modernisierungsumlage . Wir wollen nicht, dass Mieterinnen und Mieter durch sogenannte Luxussanierungen aus ihrem Heim oder aus der Wohnung ausziehen müssen, in denen sie viele Jahre gewohnt haben . Wir wissen aber auch, dass wir hier ganz behutsam sein müssen und aufpassen müssen, welche Regelungen wir treffen; denn wir haben natürlich die Pariser Beschlüsse im Hinterkopf . Wir wissen, dass Barbara Hendricks mit einem sehr guten Ergebnis zurück nach Deutschland gekommen ist, und wir wollen insbesondere die CO2-Ziele einhalten . Dazu gehört natürlich die energetische Sanierung . Wir wollen den Weg dafür nicht verbauen, aber wir wollen auch Mieterinnen und Mieter schützen . Diese Debatte werden wir in den nächsten Wochen führen, damit beides möglichst gut ineinander aufgeht . ({10}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Städte ändern sich . Sie sind, das zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, attraktiv für viele Menschen, für Familien mit Kindern, für Migrantinnen und Migranten, für Berufstätige, aber natürlich auch für unsere ältere Generation . Dafür zu sorgen, dass diese lebendige Mischung erhalten bleibt, dass unsere Städte eben nicht nur für eine Oligarchie von Betuchten da sind, das ist und bleibt unsere Aufgabe . Deswegen müssen wir die Missstände angehen, statt wie in vergangenen Zeiten - in Untätigkeit zu verharren, aber wir wollen das nicht mit Fantastereien . Wir wollen das nicht durch Luftschlösser und mit unüberlegtem Aktionismus erreichen, sondern mit guten, tragfähigen und auf Sachverstand bauenden Lösungen . Deshalb: Warten wir das ab, was derzeit im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz entwickelt wird! Wir werden diesen Vorgang parlamentarisch intensiv begleiten . Wir sind der festen Überzeugung: Am Ende kommt ein gutes Gesetz dabei heraus . Vielen Dank . ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Marie-Luise Dött von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebes Präsidium! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den kommenden Jahren müssen circa 350 000 bis 400 000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut werden . Nur so erhalten alle Wohnungssuchenden eine Chance, geeigneten Wohnraum zu finden. Darüber hinaus muss die Rate bei der Gebäudesanierung auf über 2 Prozent gesteigert werden . Die ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen wir sonst nicht . Der deutsche Wohnungsmarkt steht also vor einer historischen Investitionsherausforderung . Neubau und Sanierung müssen zeitgleich zur Hochform auflaufen. Aber: Am Ende muss alles bezahlt werden . Kein vernünftiger Mensch wird in den Mietwohnungsbau oder in die energetische Sanierung von Mietwohnungen investieren, wenn eine Wirtschaftlichkeit nicht erreicht werden kann . Ich verstehe es nun als unsere Aufgabe, die bestmöglichen Voraussetzungen für die notwendige Investitionsoffensive zu schaffen . Wir müssen die optimalen Rahmenbedingungen entwickeln . Die Arbeit daran wird kontinuierlich fortgesetzt, und sie erreicht hoffentlich heute ein weiteres Etappenziel, nämlich eine politische Verständigung der Bundesregierung mit den MinisterpräDennis Rohde sidenten der Länder heute Abend über eine steuerliche Förderung des Wohnungsneubaus . ({0}) Sie wird bei richtiger Ausgestaltung der erfolgversprechende Baustein im Reigen der Maßnahmen sein, die vom Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen entwickelt worden sind . Dazu nur zwei Stichworte: Wohnungen für Familien mit mehreren Kindern - auch damit muss man sich beschäftigen -, richtige Baukostengrenzen . Forderungen nach investitionsfeindlichen Änderungen am Mietrecht kann ich nur in einer Form kommentieren: eine ausgesprochen schlechte Idee . Wir brauchen keine Gesetzgebung zur sozialistischen Mangelverwaltung, sondern Anreize zur marktwirtschaftlichen Angebotsausweitung . ({1}) Das betrifft nicht nur die vorliegenden Anträge der Linken - da habe ich auch nichts anderes erwartet -, ({2}) sondern leider auch weite Teile der von Bundesminister Maas entwickelten Vorschläge zur Änderung des Mietrechts . ({3}) Herr Staatssekretär Kelber, ich würde mich freuen, wenn Sie das dem Bundesminister ausrichten: weniger Ideologie, mehr Praxisbezug - dann passt das auch . ({4}) Nur vermute ich, dass da am Ende nicht viel von Ihren Vorschlägen übrig bleibt . Verständigen wir uns auf das, was im Koalitionsvertrag vereinbart und machbar ist! ({5}) Auf die Ausweitung des Bezugszeitraums bei der Ermittlung der Vergleichsmiete hatte die SPD schon bei den Koalitionsverhandlungen verzichtet . Das wäre nämlich auch nicht bauförderlich . Die rosarote Seifenblase mit Amortisationsregelungen im Modernisierungsmietrecht ist ja auch schon seit langem geplatzt . ({6}) Die Bundesregierung insgesamt hat sich also auch mit Zustimmung des Bundesministers Maas in mehreren Beschlüssen zum Klimaschutz dazu bekannt, dass Änderungen am Modernisierungsmietrecht die Anreize zur Modernisierung nicht verringern dürfen . ({7}) Das ist also der Gradmesser für alle dazu zu entwickelnden Ideen . Fundamentale Änderungen am Modernisierungsmietrecht stehen also überhaupt nicht zur Debatte . ({8}) Der populistische Wettbewerb um die niedrigste Prozentzahl bei der Modernisierungsmieterhöhung geht zulasten der Klimaziele, geht zulasten der Umwelt . ({9}) Als umwelt- und baupolitische Sprecherin bin ich vom Deutschen Mieterbund enttäuscht . ({10}) Er führt eine rufschädigende Debatte um das bestehende Modernisierungsmietrecht: hier der profitorientierte Vermieter, auf der anderen Seite der arme Mieter . ({11}) Ich kenne keinen investitionsfreundlichen und vor allem umsetzbaren Gegenvorschlag des Mieterbundes, auch nicht der Linken . ({12}) Im Gegenteil: Das, was mir vorliegt, bedeutet Verfall der Bausubstanz - da gebe ich Ihnen teilweise recht; hier in Berlin kann man das auch sehen - und Sanierungsstau auf ewig . Wer Feuer schürt, sollte auch wissen, wie man es erfolgreich löscht . ({13}) Lieber Mieterbund, unser Interesse muss doch sein, ein größeres Wohnungsangebot zu haben . Ja, es gibt auch schwarze Schafe aufseiten der Vermieter . Richtig ist, dass einige das bestehende Modernisierungsmietrecht nicht ordnungsgemäß anwenden . Sie trennen nicht sauber die Kosten der Instandhaltung von den Kosten der Modernisierung . Andere achten nicht auf die Grenze der Zumutbarkeit bzw . der Belastbarkeit der Mieter . Aber das ist nicht die Regel . Wir sollten mit der Schwarz-Weiß-Malerei aufhören; Herr Luczak hat schon darauf hingewiesen . Im Regelfall werden Modernisierungsmaßnahmen ordnungsgemäß durchgeführt, und die darauffolgende Modernisierungsmieterhöhung wird als angemessener Preis für den gestiegenen Wohnwert akzeptiert . All die ordentlich arbeitenden Vermieter sollten wir wegen der wenigen schwarzen Schafe nicht durch schlechtere Rahmenbedingungen bestrafen . ({14}) Übrigens kann in vielen Regionen Deutschlands gar nicht die maximal mögliche Modernisierungsmieterhöhung durchgesetzt werden . Der dortige Wohnungsmarkt gibt es nicht her . Auch da müssen wir wegen der energetischen Sanierung noch einmal genau hinschauen . ({15}) So komme ich zu der Schlussfolgerung: Der beste Mieterschutz ist die Angebotsausweitung . Es gilt: Bauen, bauen, bauen . Erstens . Die Länder müssen zügig die vom Bund bereitgestellten Milliarden in wirksame und kraftvolle Wohnungsbauprogramme umsetzen . Herr Krischer, für den sozialen Wohnungsbau sind die Länder und die Kommunen zuständig, nicht der Bund . ({16}) Zweitens . Die Kommunen sind angehalten, deutlich mehr Bauland auszuweisen . Die Länder müssen ihnen dafür auch mehr Spiel in den Landesentwicklungsplänen geben . ({17}) Drittens . Die geplante steuerliche Förderung des Wohnungsneubaus muss effektiv und unbürokratisch erfolgen . Normalerweise gilt: Klasse statt Masse . ({18}) Liebe Kollegen von der SPD, hier kommt es auf die Masse und nicht auf den Klassenkampf an . ({19}) Also: Nicht nur auf den sozialen Wohnungsbau abstellen, sondern auch auf Wohnungen für den Normalverdiener . Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Linken dokumentieren heute mit ihren Anträgen einmal mehr ihre populistische Gedankenwelt . ({20}) Bei der SPD setze ich noch auf Vernunft und Einsicht . Liebe SPD-Kollegen, laufen Sie den anderen Genossen nicht hinterher . Sie können sie nicht links überholen, schon gar nicht beim Mietrecht . ({21}) Bleiben Sie bei uns! Wir sind die Mitte und wissen, was gut für Deutschland ist . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({22})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren in der Debatte fort . Als nächste Rednerin hat die Kollegin Halina Wawzyniak von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! So eine Koalition scheint eine total friedvolle und nette Veranstaltung zu sein . Vielleicht ziehen Sie sich doch einfach in einen Raum zurück und klären das untereinander . Das schien mir jetzt am Ende doch eine sehr populistische Rede zu sein, die auch sehr ideologiegeprägt ist . ({0}) Ich will zu Beginn auf eine bemerkenswerte Entscheidung des Bundesgerichtshofes hinweisen . Der hat als legitimes Regelungsziel akzeptiert, dass in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt der Anstieg von Mieten gedämpft werden kann . Der BGH sagt klar und deutlich: Die Bestandsgarantie des Eigentums nach dem Grundgesetz wird nicht dadurch infrage gestellt, dass nicht die höchstmögliche Rendite aus dem Eigentumsobjekt oder nicht die Marktmiete ohne jede Verzögerung und in voller Höhe erzielt werden kann . - Das Bundesverfassungsgericht sagt in ständiger Rechtsprechung, dass die Bindung des Eigentumsgebrauchs an das Wohl der Allgemeinheit die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange desjenigen einschließt, der konkret auf die Nutzung des Eigentumsobjektes angewiesen ist . Warum erzähle ich das alles? Offensichtlich braucht die Union ein wenig Nachhilfe in Verfassungsrecht . ({1}) Die SPD will ich ein wenig ermuntern und sagen: Es gibt keine verfassungsrechtlichen Bedenken, Vermieterinnen und Vermieter an ihre soziale Verantwortung zu erinnern . Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, Vermieterinnen und Vermietern zu untersagen, schnellen und höchsten Profit aus der Vermietung von Wohnraum zu erzielen . Man muss es nur wollen, man kann es auch machen . Ich befürchte nur: Mit diesem Koalitionspartner wird das etwas schwierig . Insofern bin ich gespannt, wie es weitergeht . Herr Kelber hat in der Debatte am 2 . Dezember 2015 gesagt, es soll im ersten Quartal 2016 einen Referentenentwurf geben . Spannend wäre, zu wissen, ob der wirklich kommt, ob er am Ende sogar durchs Plenum kommt . ({2}) Auch da bin ich relativ skeptisch, wenn ich mir so anschaue, wie der Koalitionsfrieden aussieht . Aber das ist nicht mein Problem . Zu dem Eckpunktepapier will ich sagen: Es ist sicherlich richtig, und der Vorschlag, die Modernisierungsumlage abzusenken, geht in die richtige Richtung . Auch die Neuregelung der Kappungsgrenze scheint uns eine Maßnahme zu sein, die in die richtige Richtung geht . Wir wollen natürlich deutlich mehr . Hinsichtlich dessen, was Ihr Koalitionspartner dazu gesagt hat, empfehle ich großzügiges Ignorieren der Einwände . ({3}) Wir haben bereits im März 2015 - meine Kollegin Lay hat bereits darauf hingewiesen - einen Vorschlag zur Veränderung des Systems der ortsüblichen Vergleichsmiete unterbreitet . Dieser Antrag liegt Ihnen heute vor . Den Vorschlag von Ihnen, den Zeitraum auf zehn Jahre auszudehnen, finden wir sinnvoll und richtig. Ich kann nur hoffen, dass Sie von der SPD an dieser Stelle standhaft bleiben . Für eine solche Ausweitung hätten Sie im Übrigen unsere Stimmen . Wenn die Grünen mitmachten, gäbe es dafür sogar eine Mehrheit . ({4}) Sinnvoll ist aus unserer Sicht auch, die Schutzregelung bei Zahlungsverzug im Hinblick auf fristlose Kündigungen auf ordentliche Kündigungen auszudehnen . Es kann einfach nicht sein, dass, wenn zwei Monate nach einer fristlosen Kündigung gezahlt wird, die ordentliche Kündigung bestehen bleibt . Ich möchte Sie bitten, eine weitere Lücke zu schließen, die leider nach einem BGH-Urteil eingetreten ist . Der BGH hat nämlich entschieden, dass einer Mieterin oder einem Mieter, die bzw . der auf Sozialleistungen angewiesen ist und diese auch rechtzeitig beantragt hat, sie aber zu spät bekommen hat und deshalb die Miete nicht zahlen konnte, gekündigt werden kann. Ich finde, solche Kündigungen müssen wir gesetzlich ausschließen . ({5}) Es gibt noch zwei weitere Punkte, die aus meiner Sicht wichtig sind . Es geht um die Regelung zur Eigenbedarfskündigung und die Regelung zur Kündigung wegen Hinderung der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung . Wir bleiben dabei: Eine Kündigung wegen beabsichtigter wirtschaftlicher Verwertung muss ausgeschlossen werden, wenn diese für Mieterinnen und Mieter eine unzumutbare soziale Härte bedeuten würde . Es muss ein Ende haben, dass Mieterinnen und Mieter mit der Androhung einer Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung zur Zahlung höherer Mietpreise erpresst werden. Dies findet statt, und das kann nicht so bleiben . ({6}) Der Kündigungsschutz nach Umwandlung in Eigentumswohnungen muss bundesgesetzlich nach oben angeglichen werden . Es gibt in den Ländern Regelungen, die deutlich weiter gehen als die bundesgesetzliche Regelung . Kurz und gut: Es gibt in diesem Bereich einiges zu tun . Wenn es um die Verbesserung der Situation von Mieterinnen und Mietern geht, werden wir Sie kritisch, konstruktiv begleiten . Unsere Beiträge sind übrigens deutlich gehaltvoller, substanzieller und auch seriöser als das, was wir heute hier von der Union gehört haben . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dirk Wiese für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesagt - getan - gerecht! In Deutschland gilt die Mietpreisbremse . Dieses Versprechen hat die SPD gegeben und gehalten . Gut so! ({0}) Mein Heimatland, Nordrhein-Westfalen, war eines der ersten drei Bundesländer, die mit gutem Beispiel vorangegangen sind . Nordrhein-Westfalen hat gleich Mitte letzten Jahres, am 1 . Juli 2015, die Mietpreisbremse in 22 Städten eingeführt . Das ist gut für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen, ganz besonders für die in den Hotspots Düsseldorf, Köln, Bonn oder auch Münster . An dieser Stelle muss man dem NRW-Bauminister Mike Groschek danken, der eine hervorragende Arbeit geleistet hat . ({1}) - Herr Kollege Hirte, da ich Ihren Zwischenruf gerade gehört habe, diese leichte Bemerkung gegen die Landesregierung, sage ich: Ich glaube, wenn ein CDU-Landesvorsitzender es nicht einmal schafft, korrigierte Klausuren vernünftig zurückzuschicken, sollten Sie lieber kleine Brötchen backen . ({2}) Des Weiteren haben wir ganz klar dafür gesorgt, dass die soziale Marktwirtschaft endlich auch bei den Maklern angekommen ist . Wer die Leistungen bestellt, der bezahlt sie mittlerweile auch . Das ist gut . Auch das haben wir versprochen und umgesetzt . Kurzum: Wir haben den Schutz der Mieterinnen und Mieter in Deutschland erheblich verbessert . Diesen Weg werden wir weitergehen . Bei den Maklern werden wir künftig einen Sachverständigennachweis einführen . Das halte ich ebenfalls für richtig . Es kann nicht jeder Dahergelaufene aus dem Import-Export-Geschäft als Makler von Wohnungen auftreten . Dafür bedarf es einer gewisHalina Wawzyniak sen Ausbildung und eines gewissen Sachverstandes . Dieses Thema werden wir ebenfalls anpacken . Ich bin Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Linken, wirklich dankbar dafür, dass Sie uns mit dieser Kernzeitdebatte die Möglichkeit geben, auf bereits bestehende Erfolge hinzuweisen und deutlich zu machen, was wir im Mietrecht noch vorhaben . Ich möchte noch auf den einen oder anderen Punkt Ihrer Anträge eingehen, weil mich die Ziele, die Sie mit diesen Anträgen verfolgen, ein bisschen wundern . Sie wollen, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert, qualifizierte Mietspiegel für bestimmte Städte einzuführen und die Modernisierungsumlage zu begrenzen . Ich habe mich, ehrlich gesagt, gefragt, ob Sie keine Zeitung lesen und in informationstechnischer Hinsicht etwas abgeschnitten sind; denn das, wozu Sie die Bundesregierung heute auffordern wollen, ist schon längst in Angriff genommen worden . Das BMJV hat ein Eckpunktepapier vorgelegt . Der Referentenentwurf ist in Arbeit . ({3}) Warten Sie doch erst einmal bei diesem einen Punkt ab! ({4}) Liebe Frau Kollegin Künast, bei Zwischenrufen ist es wie mit dem Posten bei Facebook: Erst nachdenken, dann das Foto posten . ({5}) Der Kollege Rohde hat, glaube ich, noch einmal ausführlich deutlich gemacht - darauf will ich gar nicht mehr eingehen -, dass der Mietspiegel und die Modernisierungsumlage wichtige Punkte für uns als Sozialdemokratie sind . Frau Künast, der Kollege Dr . Ullrich ist ja im Bereich des Facebook-Postens mit Ihnen der Experte . Er wird die Geschichte vielleicht gleich noch einmal erzählen . ({6}) Ich will mich heute auf zwei Punkte beschränken, die wir in der Planung haben . Erstens . Die Abschaffung der Abweichung von der tatsächlichen Wohnfläche bei Mietverträgen. Sie alle kennen das Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2004, das damals eine zulässige Abweichungsgrenze von 10 Prozent festsetzte . Mieter hatten faktisch keine Chance mehr, gerichtlich gegen Abweichungen in dieser Höhe vorzugehen . Man muss sich das einmal verdeutlichen: Bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung zahlt man im schlimmsten Fall quasi jeden Monat für ein kleines Zimmer, das in Wirklichkeit gar nicht existiert, etwa ein kleines Arbeitszimmer von 10 Quadratmetern, fleißig mit . An teuren Wohnungsmärkten wie in Düsseldorf und Münster ist das schnell ein sehr teurer Spaß . Über die Jahre entrichten die Mieter somit hohe Beträge für eigentlich virtuellen Wohnraum, zumal sie nicht nur die Mietkosten zahlen, sondern die Wohnfläche auch bei der Berechnung der Betriebskosten eine Rolle spielt . Der neutrale Zuhörer mag jetzt vielleicht denken, dass solche Abweichungen nur die absolute Ausnahme sind, doch dem ist mitnichten so . Denn leider muss man sagen, dass das eben genannte Urteil des Bundesgerichtshofs von unredlichen Vermietern leider wohl auch als Freibrief verstanden worden ist mit der Folge, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Wohnung zu haben, bei der die tatsächliche Fläche von der im Mietvertrag ausgewiesenen Fläche abweicht, wirklich groß ist . Nach Schätzungen des Deutschen Mieterbundes - diesen möchte ich einmal in Schutz nehmen; der Deutsche Mieterbund macht einen hervorragenden Job; man sollte ihn nicht kritisieren; das ist nicht angemessen ({7}) betrifft das jede zweite oder dritte Wohnung in Deutschland . Da werden zu Unrecht Milliardenbeträge für nicht vorhandenen Wohnraum gezahlt, den es nur auf dem Papier gibt . Das ist ein unhaltbarer Zustand, den wir jetzt beseitigen werden . ({8}) Ich bin froh, dass wir die Beseitigung dieses Missstandes in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt haben . Noch einmal: Zwischen Koalitionspartnern gilt der Koalitionsvertrag . ({9}) Frau Kollegin Dött, ich würde Sie bitten, dort noch einmal nachzulesen . ({10}) Künftig wird damit bei Mieterhöhungen und bei der Umlage von Betriebskosten nur die tatsächliche Wohnfläche zählen. Also: Wer 100 Quadratmeter Wohnraum anmietet, der zahlt in Zukunft auch nur für 100 Quadratmeter - Punkt . Der zweite Punkt, der wichtig ist, ist die Unterstützung von Klein- und Privatvermietern, denen wir mit unserem zweiten Mietpaket unterstützend unter die Arme greifen werden . Gerade in ländlichen Räumen - auch in meinem Wahlkreis im Sauerland - ist die Vermietung einer kleinen Wohnung oft ein guter Nebenverdienst, etwa wenn die alte Wohnung der Eltern im Haus vermietet werden soll . Nach einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung gibt es deutschlandweit etwa 10,7 Millionen Mietwohnungen von Privateigentümern in Mehrfamilienhäusern . Davon vermieten 57 Prozent nur eine einzige Wohnung . Größere Bestände sind eher die Ausnahme . Nur 2 Prozent der Vermieter haben mehr als 15 Mietobjekte im Angebot . Kleinvermieter sind aber oftmals - das müssen wir feststellen - mit der Bürokratie überfordert, wenn es um die Umlegung von entstandenen Instandhaltungskosten auf die Mieter geht . Deshalb werden wir ein vereinfachtes Verfahren für Kleinstvermieter einführen . Das ist gut so und schützt die vielen redlichen Kleinvermieter in unserem Land . ({11}) Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die rot-schwarze Koalition optimiert auch weiterhin das Mietrecht . Auf diese Verbesserungen warten viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, ({12}) in Düsseldorf, in Köln, in Münster, aber auch im Wahlbezirk Tempelhof-Schöneberg . Denn bei der einen oder anderen Debatte habe ich manchmal den Eindruck, dass in Tempelhof-Schöneberg 99 Prozent der Makler im Land wohnen . Vielleicht sollten die Mieterinnen und Mieter einmal genau hinschauen, wer hier welche Rede hält . ({13}) Mieter schützen und Vermieter unterstützen - das ist die Prämisse unseres Handelns . Vielen Dank . ({14})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Renate Künast von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich in dieser Debatte, ehrlich gesagt, nicht ganz entscheiden können, ob die Hauptentwicklung war, dass man sich innerhalb der Koalition gegenseitig Ideologie vorwirft, oder ob es großkoalitionäre Autosuggestion war, wie schön die Situation doch für Mieterinnen und Mieter ist . Ich kann mich nicht entscheiden; aber wir haben ja noch ein paar Redner vor uns . Es wurde gesagt: Wir haben Eckpunkte vorgelegt . Diese Methode kennen wir . Es werden Eckpunkte vorgelegt, und es wird gesagt: Ab heute ist die Situation für die Mieterinnen und Mieter besser . - Danach vergehen noch zwei Jahre, bis das Gesetz kommt, und die Situation ist immer noch nicht grundlegend geändert . Das ist die Wahrheit . ({0}) Sie geben hier mit Dingen wie zum Beispiel einer neuen Wohnflächenberechnung an, die Sie natürlich nur deshalb vornehmen, weil es gerade eine entsprechende BGH-Rechtsprechung gab . Sehen wir uns doch einmal an, wie die Situation ist . Ich will mit dem Grundgesetz beginnen, weil der BGH vor kurzem eine Entscheidung zur Kappungsgrenze in Berlin - für Frau Dött ist das wahrscheinlich Teufelszeug und sozialistische Ideologie; so habe ich Ihren ruhigen, seriösen, unideologischen Redebeitrag gerade verstanden - gefällt hat . ({1}) Der BGH hat gesagt, dass uns ein Blick ins Grundgesetz den Satz „Eigentum verpflichtet“ finden lässt. Er verpflichtet aber auch uns, nämlich dazu, den Gedanken, dass Eigentum auch eine soziale Pflicht nach sich zieht, in Recht umzusetzen . Deshalb haben wir das Recht und die Pflicht, dort, wo Wohnungsmangel herrscht und wo die Mieten nach oben gehen, die Länder zu befähigen, etwas dagegen zu unternehmen, und das Bundesrecht so zu gestalten, dass den Vermietern auch soziale Pflichten abgerungen werden, sodass sie bei der Miete nicht alles ausreizen dürfen . ({2}) Das ist ein Stück sozialer Friede, das ist ausbalanciert, und möglicherweise entspricht das ja auch der katholischen Soziallehre und damit der Kernklientel der Union - nur Frau Dött wusste das noch nicht . ({3}) Meine Damen und Herren, wir warten sehnsüchtig auf die nächste Mietrechtsnovelle . Aber ich sage Ihnen: Sie können auch die letzte ändern . Auch wenn Sie Ihre sogenannte Mietpreisbremse sehr gelobt haben, muss ich Ihnen sagen: Sie haben vergessen, eine Bremse zu installieren . Ja, es stimmt: Es gibt jetzt hier und da entsprechende Einrichtungen . Aber sie sind doch im wahrsten Sinne des Wortes minimal . Was bleibt - ich muss darauf hinweisen -, ist eine Rügepflicht der Mieterinnen und Mieter, wenn der Vermieter rechtswidrig zu viel Miete verlangt . Dann müssen die Mieter dies rügen und es materiell nachweisen . Ab dem Zeitpunkt der eingereichten, substantiiert vorgetragenen Rüge kann man eine Rückzahlung geltend machen . Wenn man das ein, zwei Jahre später macht, bleibt das Geld beim Vermieter . Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, das ist doch nicht sozial! Aber das steht in Ihrer sogenannten Mietpreisbremse . ({4}) Ich fordere Sie auf, das zu verändern . „Eigentum verpflichtet.“ Es soll nicht dazu dienen, in die Taschen der Mieterinnen und Mieter zu fassen . Auch der Mietspiegel ist ein Thema, das in eurer Vorlage drin ist . Auch wenn er verschiedentlich als nicht ganz rechtssicher kritisiert wird, sage ich Ihnen: Wir brauchen eine ordentliche rechtliche Definition, wie ein qualifizierter Mietspiegel auszusehen hat, damit er tatsächlich als Grundlage taugt und rechtsprechungssicher ist . ({5}) - Das ist ja schon einmal etwas. - Es muss ein qualifizierter Mietspiegel sein, der auch Aspekte der Ökologie mit einbezieht . Frau Hendricks ist heute übrigens nicht entschuldigt; ich gebe zu, ich habe nachgesehen . ({6}) Mein Zwischenruf vorhin war falsch . Herr Maas ist nämlich entschuldigt; Frau Hendricks ist es aber nicht . Es hätte mich nicht gestört, wenn er hier wäre . Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Mietspiegel - in Paris hat man sich ja jetzt für den Klimaschutz eingesetzt -, der auch den Klimaschutz beim Wohnungsbau berücksichtigt . ({7}) Wir brauchen darüber hinaus mehr soziale Kriterien . Ich bin dafür, die Berechnungsgrundlage von vier auf zehn Jahre zu erhöhen, weil „Eigentum verpflichtet“. Wir müssen auch die Modernisierung angehen . Schade, dass Herr Luczak, mein Kollege aus Tempelhof-Schöneberg dem Ort aller Immobilienverwalter, wie Herr Wiese sagte -, jetzt nicht mehr hier ist . Er hat ja eine wunderbare ideologische Volte geschlagen, indem er gesagt hat: Wir wollen den altersgerechten Umbau . Wir wollen, dass die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden . Wir bekommen nur dann private Investitionen, wenn wir an dieser Stelle nicht zu enge Vorgaben machen . Deshalb kann man die 11 Prozent nicht senken. - Das finde ich materiell falsch . Ich meine, wir müssen diesen Wert reduzieren, weil die 11 Prozent sonst eine Art Dukatenesel sind, wenn man einmal abgeschrieben hat . ({8}) - Ja, ja . Meine Damen und Herren, ich habe nichts gegen das Geldverdienen . Aber man würde auch bei 9 Prozent noch Geld verdienen und nicht verarmen . ({9}) Herr Luczak hat immer nur erzählt, dass man die Investitionen nicht drücken darf . Aber er hat nicht gesagt, wie er die Vermieter und die Eigentümer dazu bringen möchte, dann auch Barrierefreiheit für alte Menschen zu schaffen, wie er dafür sorgen will, dass man für sein Geld auch eine Leistung und nicht nur Mieterhöhungen bekommt, und wie er das alles umsetzen will . Selbst wenn Sie die 11 Prozent beibehalten, frage ich Sie: Wo ist Ihre Regelung, zu sagen: „Zu dulden hat der Mieter nur Maßnahmen im Hinblick auf Barrierefreiheit und effektive energetische Sanierung“? Auch da trauen Sie sich nicht heran . ({10}) Das ist pure Ideologie, die Sie hier verbreitet haben, meine Damen und Herren . ({11}) Meine Damen und Herren, bis hin zum Thema Kappungsgrenze gibt es an dieser Stelle viel zu tun . Ich sage Ihnen eines: Eine der zentralen sozialen Fragen bezieht sich auf das Thema Miete, an dieser Stelle auch auf das Thema Mieterhöhung . Was wir an dieser Stelle brauchen, ist: Bauen, Bauen, Bauen . Ferner brauchen wir eine Nachbesserung im Recht, aber auch Baumaßnahmen . Wir brauchen mindestens 2 Milliarden Euro pro Jahr . Zudem muss über Bundes-, Landes- und Kommunalrecht sichergestellt werden, dass bezahlbare Wohnungen gebaut werden . Wir brauchen nicht nur Modernisierung sowie schicke und schöne Wohnungen, sondern auch Otto Normalverbraucher muss in Deutschland eine Wohnung finden können.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen .

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das stellen Ihre Programme aber nicht sicher . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Michael Frieser von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Michael Frieser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie erlebten großes Theater . ({0}) Das ist wirklich wahr . Man muss bei Frau Künast immer aufpassen . Je höher der Tonfall und je intensiver die Gestik wird, desto dünner wird der Inhalt . ({1}) Da muss der eine oder andere manchmal ein bisschen aufpassen . Egal ob es um die Frage der Barrierefreiheit oder um Ähnliches geht, kann ich nur zu dem sagen, was Sie gerade aufgerufen haben, dass vieles von dem nicht nur in der Mache ist, sondern auch schon Recht und Gesetz . ({2}) Wer versucht, hier den Eindruck zu erwecken, in ganz Deutschland würden durch Modernisierungen die Mieter aus den Wohnungen getrieben, der erzählt einfach nur Unsinn . Das ist nicht der Normalfall in diesem Land . ({3}) - Frau Künast, ganz ehrlich: Beim Thema Ideologie beuge ich mich Ihrem Sachverstand . Auf diesem Gebiet haben Sie viel mehr Erfahrung als ich . ({4}) Glauben Sie mir, wir haben den Koalitionsvertrag nicht nur gelesen, wir haben ihn sogar gemacht . Also wissen wir auch, was drinsteht . Wir wissen auch, was der Umsetzung bedarf . Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Linken heute einen Antrag stellen, der darauf abzielt, die Vermietung ganz abzuschaffen, staatliche Wohnungen zu schaffen, diese zuzuweisen und das Geld direkt zu überweisen; denn das sei mit weniger Bürokratie verbunden, und außerdem könne man sich eine ganze Reihe von diesbezüglichen Vorschriften sparen . ({5}) Im Blickpunkt stehen doch die Ballungszentren . Es ist doch unbestritten, dass es in diesem Land Städte gibt, in denen tatsächlich ein Ungleichgewicht auf dem Wohnungsmarkt herrscht . Das ist nun wahrlich keine neue Erkenntnis . ({6}) Berlin ist ein wirklich gutes Beispiel für einen leicht aus der Balance geratenen Wohnungsmarkt . Ich frage mich aber nur, wer dort eine ganze Zeit lang Verantwortung getragen hat . Unter der Verantwortung der Linken sind in dieser Stadt 100 000 Sozialwohnungen abgebaut worden . Das ist die Wahrheit . Das heißt, dort, wo Sie Verantwortungen getragen haben, haben die Menschen keine Wohnung mehr . So banal ist das . ({7}) Wir brauchen mehr als 300 000 zusätzliche Wohnungen . Das werden wir nur schaffen, wenn wir die sozialen, die demografischen und die energetischen Herausforderung angehen . Außerdem wird die Situation nicht gerade einfacher durch die vielen Flüchtlinge, die sich bei uns im Land befinden. Die Lösung kann deshalb nur ein Dreiklang sein . Dieser Dreiklang hat seinen Ursprung in einem ausbalancierten und gerechten Mietrecht . Er hat aber natürlich vor allem die Komponente eines sozialen Wohnungsbaus, der tatsächlich im Argen liegt . Da brauchen wir die Schuld gar nicht zuzuschieben . Der soziale Wohnungsbau war einmal das Rückgrat des Aufbaus der Prosperität dieses Landes . Ich glaube, dass wir gut beraten sind, alle miteinander daran weiterzuarbeiten . ({8}) Wahr ist aber auch die Tatsache, dass nur private Investitionen in den Wohnungsmarkt die Voraussetzungen schaffen, diese drei Herausforderungen auch nur annähernd anzugehen, damit auch nur annähernd ein einigermaßen zufriedenstellender Erfolg erreicht wird . Weit mehr als zwei Drittel des privaten Wohnungsmarktes in diesem Land befinden sich in privater Vermieterhand. Es hilft überhaupt nichts, wenn Sie die privaten Vermieter einfach an die Wand stellen und pauschal sagen, alle seien unsozial und missbrauchten alle Instrumente, nur um Geld zu verdienen . Bei der Modernisierung ist das aber doch so: Es ist eine banale Wahrheit, dass jeder, der schon einmal modernisiert hat, genau weiß, dass er die Kosten nicht insgesamt umlegen kann . Beim Vermieter bleiben immer auch Dinge hängen, beispielsweise die Finanzierungskosten . ({9}) Deshalb muss ich ganz ehrlich sagen: Wer wirklich einen sozialen Ausgleich auf dem Wohnungsmarkt will, der muss für einen angemessenen und ausreichenden Wohnungsmarkt sorgen . ({10}) Egal wie der Wohnungsmarkt aussieht, egal wie auch immer Sie versuchen, die Mieten künstlich zu deckeln und zu dämpfen, am Ende des Tages wird der sozial Schwächere bei einem angespannten Wohnungsmarkt immer das Nachsehen haben . Genau das ist das Problem . Deshalb werden wir überhaupt keine Alternative haben, als den Wohnungsmarkt mit allem, was wir haben, anzukurbeln . Dazu gehört auch, das Gift herauszunehmen, das diesen Investitionsmarkt niederhält . ({11}) Wir müssen bei der Modernisierung aufpassen . Im Augenblick ist bei Gottlob - na ja, nicht für jeden niedrigen Energiepreisen natürlich auch die Umlage der Modernisierungskosten schwieriger, weil die Amortisation niedriger ist . Das Thema Modernisierung macht den Markt im Augenblick nicht einfacher . Wenn Frau Künast ihren Antrag und ihre Ideologie schon vor 40 Jahren durchgesetzt hätte, hätten wir die Toilette auf dem Flur - die Außentoilette - jetzt tatsächlich immer noch als Standard . ({12}) Es geht doch nicht nur darum, dass wir Barrierefreiheit herstellen . Das ist zwar wichtig, aber es geht auch darum, dass heutzutage bestimmte Standards notwendig sind, und dabei geht es nicht nur um Luxusmodernisierungen . So leid es mir tut: Das ist tatsächlich ideologischer Ballast . Wenn wir die Umlagefähigkeit auf 5 Prozent senken würden, dann würde sich am Ende sogar die Absurdität ergeben, dass man für eine nicht modernisierte Wohnung mehr Miete verlangen dürfte - die Miete dürfte stärker steigen - als für eine modernisierte Wohnung . Ja, wo sind wir denn? Ich bitte schon, dass man seine Vorschläge zumindest logisch zu Ende denkt . ({13}) Am Ende will ich noch einmal etwas zum Thema Mietspiegel sagen . Ich habe wirklich lange Jahre bei mir zu Hause im Nürnberger Stadtrat gesessen und viel Zeit mit der Wohnungspolitik verbracht und kann Ihnen nur sagen: Gottlob gibt es das Instrument des Mietspiegels . Er entfaltet in Zigtausenden Kommunen eine befriedende Wirkung . Alle Seiten - die Mieterbünde zum größten Teil, die Hausvermietungen und der Eigentümerverband Haus und Grund - wirken daran mit . Die Kommunen stellen ihn auf und tragen am Ende auch die Kosten . Das ist schön . Hier soll nun aber etwas bestellt werden, solange die Zeche von jemand anderem bezahlt wird . Ich frage mich schon, ob Sie die Regelungen zum Mietspiegel wirklich auf andere Füße stellen wollen, wodurch Sie Abermillionen an Kosten für die Kommunen verursachen würden, die sie nicht haben . Wir haben uns dazu verabredet, im Koalitionsvertrag zu sagen: Wir brauchen wissenschaftliche, vereinheitlichende Standards . Es kann aber nicht sein, dass wir am Ende des Tages dafür sorgen, dass der Mietspiegel die Politik ersetzt, wenn es um die Mietpreisbildung in der Kommune geht . Das wäre absurd . Der Mietspiegel soll eine befriedende Wirkung erzielen und eine Orientierung sein, und schon jetzt ist er ein Mittel, um die Mietpreise zu dämpfen . Am Ende des Tages sollte ein Mietspiegel aber nicht ein Spiegel der Politik, sondern ein Spiegel der Realität sein . Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir bei den historischen Herausforderungen, denen sich dieses Land gegenübersieht, nicht so tun, als ob der Mietmarkt das Einfache wäre, an dem wir uns austoben können . Wir brauchen jeden Euro und jeden Cent, der in den Wohnungsbau investiert wird . Es heißt, hier möglichst wenige Barrieren aufzubauen und den Menschen Mut zu machen, dass das einen Sinn hat und dass das eine gemeinschaftliche Aufgabe in diesem Land ist . Vielen Dank . ({14})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Ulli Nissen von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, dass wir durch die vorliegenden Anträge zu so prominenter Zeit über bezahlbaren Wohnraum sprechen können . Dieser Bereich ist uns als rot-schwarzer Regierungskoalition besonders wichtig, wobei ich mir bei Frau Dött da nicht ganz so sicher bin . Liebe Frau Dött, ich bin mir ganz sicher, dass Sie hier nicht eine solche Rede gehalten hätten, wenn Düsseldorf Ihr Wahlkreis wäre und Sie ihn direkt gewinnen wollten . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, es ist klasse, Anträge aus der Opposition heraus zu stellen; denn man muss sich ja nicht um die Realisierung kümmern . Der Mietspiegel ist hierfür ein Beispiel . Sie fordern, dass jede Stadt ab 25 000 Einwohner einen qualifizierten Mietspiegel erstellen sollte. Der Bund und die Kommunen sollten die Kosten hälftig tragen . Die Linke hat im Osten des Landes einige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister . Haben Sie mit denen darüber gesprochen, ob sie in der Lage sind, ihre meist geringen Finanzmittel auch dafür zu nutzen, einen qualifizierten Mietspiegel zu erstellen? Wir als Bund planen konkrete Verbesserungen beim Mietspiegel . Wir wollen ihn auf eine breitere Basis stellen und unter anderem die Mieten der letzten zehn Jahre berücksichtigen . Auch bei Mieterhöhungen nach Modernisierungen soll es Grenzen bis zu bestimmten Prozentsätzen des Einkommens geben . Der angespannte Wohnungsmarkt steht bei vielen Kommunen ganz oben auf der Tagesordnung . Ich komme aus Frankfurt am Main und weiß, wovon ich rede . „Bauen, Mieten und Wohnen“ ist bei uns das bestimmende Thema . Die Vorschläge der Linken helfen da nicht weiter . Zurück zu der Realität und zu den Dingen, die wir auf den Weg gebracht haben und wozu auch Länder und Kommunen beitragen müssen . Wir als rot-schwarze Regierungskoalition haben zum 1 . Juni 2015 die Mietpreisbremse eingeführt . Sie ist ein wichtiges Instrument, das Symptome bekämpft, nicht die Ursachen; das wissen wir alle . Manche Länder haben sich mit der Umsetzung viel Zeit gelassen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lay zu?

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne . Dann habe ich mehr Redezeit, danke .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Lay .

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . - Sie sind in Ihrer Rede schon mehrfach auf die Linke eingegangen und haben uns kritisiert . Geben Sie mir recht, dass der bisherige Debattenverlauf eher den Eindruck erweckt hat, als seien die Gemeinsamkeiten zwischen Linker und SPD in dieser Frage deutlich größer als die Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Union? Geben Sie mir auch recht, dass mindestens zwei der Redner, die heute für die Union gesprochen haben, dem, was Minister Maas von der SPD, also von Ihrer Partei, vorgelegt hat, direkt und frontal widersprochen haben? Zwei der Rednerinnen und Redner haben gesagt, dass die Union das, was bei der Absenkung der Modernisierungsumlage vom Minister geplant ist, und auch das, was geplant ist, um den Mietspiegel auf eine breitere Grundlage zu stellen, gar nicht mittragen wird . Was halten Sie denn bitte schön davon? ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Lay, ich bin mir ganz sicher, dass die große Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU ganz genau Bescheid weiß, wie wichtig es ist, Mieterinnen und Mieter zu schützen . Wir arbeiten sehr gut zusammen . Es ist in jeder Fraktion so - das ist auch bei Ihnen so -, dass man nicht in allen Themen zu 100 Prozent übereinstimmt . Das ist auch in der CDU/CSU so . Aber ich sehe hier viele Kolleginnen und Kollegen, bei denen ich genau weiß, dass ihnen die Mieterinnen und Mieter wichtig sind . Deshalb bin ich mir ganz sicher, dass wir das, was in der Koalitionsvereinbarung steht, umsetzen werden . - Ich danke Ihnen für Ihre Frage . ({0}) Ich habe angesprochen, dass wir zum 1 . Juni 2015 die Mietpreisbremse eingeführt haben, aber sich manche Länder mit der Umsetzung leider Zeit gelassen haben . Ich muss hier die Grünen ansprechen . Ihr von den Grünen haltet immer tolle Reden . Aber was machen die Grünen in Hessen? Ich werde hier einige Punkte erwähnen, die mich wirklich erschrecken . Im schwarz-grünen Hessen wurde die Mietpreisbremse erst Ende November 2015 eingeführt, also etwa sechs Monate später . Sie wurde in meiner Stadt Frankfurt auch nicht flächendeckend für alle Stadtteile eingeführt. Das ist für die Mieterinnen und Mieter ganz schlecht . ({1}) Sprechen Sie bitte einmal mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Landtag . ({2}) - Frau Künast, zuhören bitte . ({3}) Natürlich brauchen wir Maßnahmen gegen Luxussanierungen, die allein zur Profitmaximierung, zur Entmietung und damit zur Vertreibung von Mieterinnen und Mietern dienen sollen . Dagegen werden wir als Bund Initiativen ergreifen . Aber auch Kommunen selbst können durch eine Milieuschutzsatzung gegen Luxussanierungen vorgehen . Dann müssten alle geplanten Modernisierungen der Stadt zur Genehmigung vorgelegt werden . Dies ist leider in Frankfurt-Ostend, dem Stadtteil der EZB, nicht passiert . Dort gibt es ein über die Stadtgrenzen hinaus bekanntes negatives Beispiel für die Entmietungsversuche eines Miethais, die Wingertstraße 21 . Es ist nur der großen Solidarität der dortigen Bewohner untereinander gemeinsam mit der Nachbarschaft zu verdanken, dass der Miethai mit seinen aus meiner Sicht brutalen Entmietungsversuchen keinen Erfolg hat . Liebe Wingertstraße 21, ihr habt mich weiter kämpferisch auf eurer Seite! ({4}) Auch die Länder können viel tun, unter anderem eine Landesverordnung erlassen, mit der die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unter Genehmigungsvorbehalt gestellt wird . Dies würde uns in Frankfurt sehr helfen . Leider gibt es dies unter der schwarz-grünen Landesregierung Hessen nicht . Außerdem gibt es in Hessen weiterhin das große Problem der Eigenbedarfsklagen bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen . Länder könnten durch eine Rechtsverordnung die Kündigungssperrfrist auf zehn Jahre verlängern . Unter Schwarz-Grün in Hessen ist diese Frist bei fünf Jahren geblieben, so wie das auch unter der CDU- und FDP-Regierung der Fall gewesen ist. Das finde ich sehr erschreckend . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen: Es gibt viele Punkte, die wir gemeinsam klären können . Auf Bundesebene, Landesebene und kommunaler Ebene müssen wir zusammenarbeiten . Ich bin mir ganz sicher um noch einmal auf die CDU/CSU einzugehen -, dass wir das umsetzen werden, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben . Ich danke Ihnen . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Dr . Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohnen ist ein Grundbedürfnis der Menschen, und wir sollten uns mit diesem Bedürfnis beschäftigen statt mit uns selbst . Wir haben über Facharbeiter, Polizisten, Krankenschwestern, Handwerker, Verwaltungsangestellte und viele mehr zu sprechen, die in den großen Städten arbeiten und wesentlich zum Gelingen der Stadtgesellschaft beitragen, sich dort aber keine WohCaren Lay nung bzw . kein Haus für sich und ihre Familien leisten können und gezwungen sind, lange Pendelwege in Kauf zu nehmen . Wir haben zu diskutieren über Wartelisten für Sozialwohnungen der Wohnungsbaugesellschaften in den Städten, die schneller wachsen, als neue Wohnungen entstehen . Wir müssen aber auch über umsichtige Vermieter reden, die über 70 Prozent des Mietbestands in ihrem Besitz halten und ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern pflegen. Zutreffend ist, dass die Große Koalition mit der Mietpreisbremse ein Gesetz zur Begrenzung des Anstiegs der Miete geschaffen hat . Wahr ist aber auch, dass durch die Regulierung der Miethöhe allein kein neuer Wohnraum geschaffen wird . Der Schlüssel zu bezahlbarem Wohnen liegt in einer einzigen Tatsache: dem Neubau von Wohnungen . ({0}) Wir werden und müssen daher mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln dafür sorgen, dass neuer Wohnraum entsteht . Es ist nicht der Weg der schnellen und kurzfristigen Versprechungen, der zum Erfolg führt, sondern die Schwierigkeiten des Wohnungsmietmarktes erfordern durchdachte Lösungen und eine gute Balance zwischen den Rechten der Mieter und der Investitionsbereitschaft der Vermieter . Wir spielen Mieter und Vermieter nicht gegeneinander aus, sondern wir versöhnen sie im Interesse der Menschen . ({1}) Wir haben uns um unsere Städte und Kommunen zu kümmern . Der Schlüssel zum Neubau liegt in den großen Städten und Kommunen . Aber viele Kommunen fragen sich zu Recht, weshalb sie über ihre Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen errichten oder Wohngebiete mit Sozialbindung ausweisen sollen, wenn sie dann durch die Kosten der Unterkunft für wirtschaftlich Schwache im Ergebnis die Miete selbst bezahlen und damit ihre ohnehin angespannten Haushalte weiter belasten sollen . ({2}) Deswegen hat die Große Koalition ein Paket auf den Weg gebracht, um die Kommunen zu entlasten . Wir müssen uns fragen: Was können wir in Sachen Entlastung der Kommunen noch weiter tun? Der Wohnungsmietmarkt ist kein Markt wie jeder andere . Er ist aus guten Gründen wie der Sozialbindung des Eigentums und aus Erwägungen des Gemeinwohls stark reglementiert . Wir können aber trotzdem die Instrumente des Marktmechanismus nicht ganz ausblenden . Durch zu tiefe rechtliche Einschränkungen und wirtschaftliche Einschnitte darf nicht die Situation entstehen, dass Investitionen in Wohnungsbestand oder Neubau für Vermieter so unattraktiv werden, dass sie erlahmen oder unterbleiben und die öffentliche Hand das am Ende durch Programme retten muss . Wir müssen uns fragen: Wie setzen wir die richtigen Anreize, damit Vermieter in den Wohnungsmarkt investieren? ({3}) In den letzten Jahren sind aus guten und politisch ehrenwerten Motiven immer höhere Ansprüche an Bauen und Sanieren gestellt worden . Energieeinsparungsverordnung, Kosten für Umweltprüfungen, Barrierefreiheit, Brandschutz, ökologische Ausgleichsmaßnahmen und Klimaschutz: Daran will und darf niemand etwas ändern . Wir müssen uns aber fragen, ob wir die gleichen Ziele nicht gleich effektiv durch weniger Vorschriften erreichen können und damit Baukosten senken . Für die Erreichung all dieser Ziele sind die Anträge der Linken nicht weiter hilfreich . Sie schaffen keinen neuen Wohnraum . Sie dämpfen nicht die Mietpreisentwicklung, ({4}) sondern führen zu mehr Regulierung in einem Marktbereich, der vieles benötigt, nur keine neuen Regeln, die Investitionen erschweren und damit das Leben der Mieter schwerer machen . ({5}) Wir brauchen klare Signale für bezahlbare Mieten und neuen Wohnraum in diesem Land . Dazu gehört: Erstens . Wir brauchen mehr und bessere steuerliche Anreize, damit neuer Wohnraum entsteht . Das dient nicht nur dazu, dass wir Kapital, das nach einer Investition sucht, gezielt in den Wohnungsmietmarkt lenken . Vielmehr wollen wir durch steuerliche Anreize den Neubau von Wohnungen fördern . Wir sollten uns überlegen, eine degressive Abschreibung für Wohnungsneubauten einzuführen . Die Eigenheimzulage, die abgeschafft wurde, wäre für Familien möglicherweise ein gutes Instrument . ({6}) Zweitens . Wir müssen über baurechtliche Vorgaben und Standards reden . Wir sollten die Länder ermutigen, in ihren bauordnungsrechtlichen Vorschriften sowie im Rahmen der Stellplatzverordnung und der Energieeinsparverordnung Potenziale zu heben; denn diese brauchen wir, um neue Wohnungen entstehen zu lassen . ({7}) Drittens . Wir brauchen eine Förderung des sozialen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus, nicht als alleinseligmachendes Instrument, sondern als Ergänzung in sozialen Städten, um Menschen, die wirtschaftlich schwächer sind, Wohnen in Städten zu erlauben . Wir sollten uns fragen, ob der Bund den sozialen Wohnungsbau noch stärker unterstützen kann und inwiefern wir durch Rechtsänderungen dem genossenschaftlichen Wohnungsbau zu einer Renaissance verhelfen können . Wir sollten auch über Fragen der Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau nachdenken . Viertens . Wir brauchen ein kluges und ausgewogenes Mietrecht . Die Modernisierungsumlage darf nicht dazu führen, dass Investitionen gänzlich unterbleiben . Aber sie darf auch nicht zu einer Situation führen, in der sich Vermieter einseitig und zulasten der Mieter bereichern . Wir sollten bei den Regeln, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, bleiben; denn das sind gute und ausgewogene Regeln . ({8}) Wir müssen auch über die Frage sprechen, wie wir wesentliche Punkte, die die Rechtsprechung in den letzten Jahren geregelt hat und die ebenfalls zu einem Anstieg der Mieten geführt haben - Stichworte „Kappungsgrenze“ und „Schönheitsreparaturen“ -, rechtlich regeln, um Rechtssicherheit zu schaffen, und zwar für Vermieter und Mieter . Rechtssicherheit ist im Bereich des Mietrechts ein Wert, den wir nicht hoch genug schätzen können . Wenn wir all diese Punkte beachten und umsetzen von steuerlichen Vorschriften bis hin zur Entschlackung der Bauvorschriften -, wenn wir klug und besonnen vorgehen und wenn wir an die Menschen denken, für die gutes Wohnen eine wesentliche Frage ist, dann werden wir Erfolg haben und die Lebensqualität in den Städten und Gemeinden für die Menschen erhöhen . Vielen Dank . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte hat Michael Groß von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Michael Groß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004045, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ullrich, Sie sind ja ein Versöhner und Brückenbauer . ({0}) Sie haben in Ihrer Rede darauf hingewiesen, dass in unserem Koalitionsvertrag steht, dass wir die Mieter und Mieterinnen vor finanzieller Überforderung schützen und den Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen wollen . Ich bin gespannt, ob uns das gemeinsam gelingt . Eine breitere Basis bedeutet für mich jedenfalls, dass wir auch über die Bezugsdauer reden müssen, also darüber, wie lange man bei der Erhebung des Mietspiegels zurückblickt . Es kann nicht sein, dass wir am bisherigen Vierjahreszeitraum festhalten . ({1}) Ich hatte heute schon Angst, dass wir die soziale Marktwirtschaft als Grundlage unseres Handelns verlassen . ({2}) Von Ideologie war die Rede . Für mich verhält es sich so: Eigentum verpflichtet, ist aber auch zu schützen. Beides gehört zusammen . Wir stehen sowohl auf der Seite der kleinen Vermieter, der Vermieter, die mit ihrer Wohnimmobilie verantwortlich umgehen, als auch auf der Seite des Deutschen Mieterbundes . Beide müssen zusammengeführt werden . ({3}) Das Beispiel, über das heute auch der Kollege Luczak berichtet hat, nämlich dass Rentner und Rentnerinnen ihre Wohnungen verlassen müssen, weil sie nicht in barrierefreien Wohnungen wohnen, und dass man deswegen auch die 11 Prozent Modernisierungsumlage ermöglichen müsse, ist die eine Seite . Es ist richtig: Uns fehlen in Deutschland über 2 Millionen barrierefreie Wohnungen . In diesem Umfang müssen in den nächsten Jahren Wohnungen barrierefrei modernisiert werden . Die andere Seite ist aber, dass Rentnerinnen und Rentner ausziehen müssen, weil modernisiert wurde . Und das müssen wir verhindern . ({4}) Das müssen wir in Einklang bringen . Wenn Sie den Wohngeldbericht der Bundesregierung studieren, dann sehen Sie, dass von den Wohngeldempfängern und -empfängerinnen fast 50 Prozent Rentner und Rentnerinnen sind . Es ist eine soziale Tat, dafür zu sorgen, dass diese Menschen in ihrem Umfeld bleiben können, dass sie ihre Nachbarschaften weiter nutzen können, dass sie sich darauf verlassen können, eben nicht vertrieben zu werden, weil Luxusmodernisierung stattfindet. ({5}) Wir haben vor zwei Jahren versucht, im Koalitionsvertrag die soziale Funktion des Mietrechts zu stärken . Das ist durch das Mietrechtspaket I passiert . Es gibt sicherlich Dinge, die wir beobachten müssen, die wir evaluieren müssen . Der Mieterbund weist darauf hin, dass nachfolgende Mieter häufig nicht wissen, wie hoch die Miete vorher war, weil unter anderem kein Mietspiegel vorhanden war, aber auch deshalb, weil der Vermieter die Information nicht zur Verfügung stellt und der Mieter erst sehr spät erfährt, ob unsere Gesetzgebung auch für ihn dahin gehend greift, einen neuen Mietvertrag nur mit einer Mietsteigerung von bis zu 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu unterschreiben . Dieses zweite Mietrechtspaket, über das heute schon mehrfach gesprochen wurde, ist unbedingt notwendig . ({6}) Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht passiert, dass dann, wenn eine Investitionssumme von 20 000 Euro in die Hand genommen wird, ein Mieter womöglich damit belastet werden kann, dass eine Mieterhöhung von 180 Euro pro Monat stattfindet, und das dauerhaft. ({7}) Das darf nicht passieren . Denn das führt natürlich dazu, dass es zu finanziellen Überforderungen kommt und dass der Mieter gegebenenfalls gezwungen wird, aus seiner Wohnung auszuziehen . Also, wir haben zwei Leitplanken gesetzt: das erste Mietrechtspaket und das zweite . Ich will nur noch darauf hinweisen - das wurde heute ja mehrfach angesprochen -, dass wir Wohnraum schaffen müssen . Ja - unsere Ministerin hat das deutlich gemacht -, wir wollen unter anderem die soziale Wohnraumförderung noch einmal ausbauen . Ich hoffe, wir werden uns da einig . Sie hat den Vorschlag gemacht, die Mittel auf 2 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen . Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir gerade unter dem Blickwinkel, dass Menschen mit geringem Einkommen auch in den Gebieten, in denen es teurer wird, wohnen können müssen, mehr sozialen Wohnraum schaffen . Wir müssen uns auch mit den Sozialbindungen aus einandersetzen, wir brauchen dauerhafte Bindungen bei den Wohnungen . Vorhin - ich bin ja fast vom Stuhl gefallen - sagte Kollege Ullrich, wir müssten über den Ausbau der Genossenschaften reden, wir müssten über Gemeinnützigkeit reden . Ja, tun wir das, machen wir das, ({8}) erreichen wir das noch in dieser Legislatur! Dann sind wir auf einem sehr guten Weg . Herzlichen Dank . Glück auf! ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/7263 und 18/5230 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen auch so beschlossen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 6: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali ({1}) auf Grundlage der Resolutionen 2100 ({2}), 2164 ({3}) und 2227 ({4}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014 und 29. Juni 2015 Drucksachen 18/7206, 18/7366 - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7389 Zu der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses werden wir später namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der Aussprache hat Niels Annen von der SPD-Fraktion das Wort . ({6})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Meine Kolleginnen und Kollegen! Im Januar 2013, also vor gut drei Jahren, konnte der Vorstoß islamistischer Milizen auf Bamako nur durch das beherzte Eingreifen der französischen Armee gestoppt werden, und man konnte die damals besetzten Regionen im Norden des Landes und die Städte Kidal, Gao und Timbuktu wieder befreien . Seitdem bemüht sich die internationale Gemeinschaft darum, die Lage in dem Land wieder zu stabilisieren . Es geht bei diesem Engagement um den Versöhnungsprozess in Mali, aber es geht dabei ebenso um eine wirtschaftliche und eine politische Stabilisierung der gesamten Sahelregion, durch die wichtige legale, aber leider - wir wissen es alle - auch sehr viele illegale Handelsrouten führen, die von Menschen- und Drogenschmugglern ebenso genutzt werden wie von islamistischen Terroristen . Erst vor wenigen Tagen wurde die bisher von uns als sicher betrachtete Hauptstadt von Burkina Faso, Ouagadougou, Opfer eines schrecklichen islamistischen Anschlages . Das zeigt, wie fragil die Lage in der Region weiterhin ist . Wenn deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundeswehr ihren bisher eher symbolischen Beitrag für die UN-geführte MINUSMA-Operation jetzt deutlich ausweitet, ist dies ein Engagement, das ein sehr klares Zeichen setzen soll: Unser Nachbarkontinent Afrika darf uns nicht egal sein, auch deswegen, weil wir schmerzlich erfahren mussten, dass unsere Sicherheit miteinander verbunden ist . ({0}) Dreh- und Angelpunkt unserer Bemühungen ist die Friedensvereinbarung vom Juni 2015, die von der malischen Regierung und von verschiedenen Rebellenmilizen unterzeichnet wurde . So soll aus dem Norden, der auch in den letzten Jahrzehnten immer vernachlässigt worden ist, eine prosperierende Gegend werden; es soll dort auch ein größerer Teil - bis zu einem Drittel - der Steuereinnahmen investiert werden, und es soll eine Verfassungsreform in Mali geben . Wir wissen, dass nicht alle Gruppierungen der Aufständischen diesen Friedensvertrag unterzeichnet haben . Auch deswegen brauchen wir hier eine robuste Stabilisierung - ich sage das noch einmal - auf Grundlage eines UN-Mandats . Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wahr: Der Norden ist unterfinanziert, die staatlichen Strukturen sind ausgesprochen schwach, es herrschen dort Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Korruption, auch der Drogenhandel hat sich dort festsetzen können . Das trägt zur Destabilisierung Malis bei . Aber wenn Sie sich einmal die Handelsrouten in der Sahelregion und durch die Sahara anschauen, dann werden Sie sehr schnell erkennen können, welche strategische Bedeutung der Norden Malis für die gesamte Region hat . Die letzten Monate haben auch gezeigt - ich will das an dieser Stelle nicht verschweigen, weil es für die Debatte auch wichtig ist -, dass wir weiterhin Druck nicht nur auf die Rebellen, die den Vertrag unterzeichnet haben, ausüben müssen, sich an das zu halten, was sie unterzeichnet haben, sondern auch auf die Regierung in Bamako; denn dort hat es so etwas wie ein Sicheinrichten in die Situation gegeben . Ich glaube, wir müssen deutlich machen: Es gibt eine große Chance für Mali, aber es gibt sie nur, wenn sich alle Seiten beteiligen . Deswegen muss dieser Druck aufrechterhalten werden . Der Versöhnungsprozess kann nicht nur auf dem Papier stattfinden. Insofern glaube ich, dass die Angebote, die wir mit dem unterbreiten, was hier zur Beschlussfassung vorliegt, nämlich eine Ausweitung unseres Beitrags für MINUSMA, aber eben auch die zivilen und politischen Unterstützungsmaßnahmen, ganz entscheidend sind . Denn Mali - auch das darf man nicht vergessen - ist ein Land mit großem Potenzial, gerade im Bereich der Landwirtschaft, das aber nicht ausreichend genutzt wird . Auch im Bereich des Bildungssektors gibt es große Defizite. Ich könnte das fortsetzen. Deutsche Expertinnen und Experten können und werden dort wichtige Arbeit leisten, um Mali auf seinem Weg weiter zu begleiten . Doch der Friedensprozess - ich habe das angedeutet - stockt auch deswegen, weil es in der Hauptstadt Bamako, in den dortigen politischen Vereinigungen, nicht genügend Durchsetzungskraft gibt . Ich will das in einer Zeit sagen, in der wir hier in Deutschland über die Neuregelung der Finanzierung zwischen Bund und Ländern miteinander diskutieren . In einem Land, in dem etwa 90 Prozent der Bevölkerung im Süden leben, ist der Anreiz für die dortige Politik, ein Drittel der Steuereinnahmen im Norden auszugeben, natürlich nicht besonders hoch . Deswegen müssen wir auch deutlich machen: Es lohnt sich für diejenigen, die sich in Mali dafür einsetzen, weil wir unterstützen werden . Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will auch offen sagen: Wenn dieses Parlament der Ausweitung von MINUSMA zustimmt, wird die Bundeswehr eine wichtige Arbeit im Bereich der Lagebilderstellung sowie der Sicherung und des Schutzes der Bevölkerung erledigen - in einer Gegend, die nicht ungefährlich ist . Ich will es ausdrücklich ansprechen: Es ist ein gefährlicher Einsatz . Aber alle meine Gesprächspartner, sowohl in Bamako als auch in Gao, haben sehr deutlich gemacht: Der Vergleich mit Afghanistan - man hat von „Afghanistan 2 .0“ und anderen Dingen in der deutschen Presse ab und zu lesen können - ist wirklich sehr weit hergeholt . Man kann die Situation dort nicht mit der in anderen Ländern vergleichen . ({1}) Ich glaube, es ist sehr entscheidend, dass wir die Erfahrungen aus langjähriger politischer, entwicklungspolitischer Zusammenarbeit zwischen Mali und Deutschland jetzt nutzen, um auch in Gao und in der Region, wo wir uns stärker präsentieren werden, deutlich zu machen: Es gibt eine unmittelbare Verbindung zwischen wirtschaftlichen Perspektiven für die örtliche Bevölkerung und dem, was wir dort machen . Ich glaube, dass es ein Einsatz ist, den man guten Gewissens unterstützen kann . Ich bitte Sie deswegen um Zustimmung für das vorliegende Mandat . Herzlichen Dank . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Christine Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort . ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während wir hier über das Mandat für den UN-Militäreinsatz MINUSMA in Mali diskutieren, wohin Sie zusätzlich 500 Soldaten schicken wollen, findet in Eutin in Schleswig-Holstein eine Waffenschau statt . ({0}) Heer und Luftwaffe führen Waffen vor, die sie mit nach Mali nehmen wollen - unter anderem Drohnen . Eine parlamentarische Debatte mit einer Waffenschau zu begleiten, das geht gar nicht . ({1}) Das offenbart auch Ihre Prioritäten . Was Sie, was die Bundesregierung, was Frau von der Leyen hier in Szene setzen möchten, ist: Sie wollen Deutschland wieder zu einer Militärmacht machen; daher der wahnwitzige Aufrüstungsplan, innerhalb von 15 Jahren 130 Milliarden Euro in militärische Aufrüstung zu stecken . Was Sie hier betreiben, hat nichts mit Friedenssicherung oder Stabilisierung zu tun . ({2}) Sie reden davon, dass das Friedensabkommen von Algier gerettet werden muss . Was Sie verschweigen, ist nicht nur, dass das Abkommen stockt, sondern auch, dass seit sechs Monaten, seit dem Abschluss des Abkommens, keine der getroffenen Vereinbarungen umgesetzt wurde . Stattdessen ist in den letzten drei Wochen die Gewalt in Mali wieder eskaliert . Und Sie rechtfertigen den Bundeswehreinsatz damit, er solle den Frieden erhalten . Sie verschweigen, dass es diesen Frieden nicht gibt . Die Bundeswehr wird ihn auch nicht herstellen . ({3}) Um den Militäreinsatz zu rechtfertigen, präsentieren Sie hier einen Konflikt zwischen Gut und Böse; aber das ist viel zu einfach . Einige Beispiele: In der Nähe von Timbuktu kamen vor zwei Wochen zwei malische Soldaten bei einem Attentat von Dschihadisten um; malische Soldaten haben am selben Tag ein Lager von Tuareg-Nomaden überfallen und dort vier Zivilisten getötet . MINUSMA selbst hat zwei Berichte veröffentlicht, wonach die malische Armee 2014 blindlings mit Artillerie auf die Tuareg-Stadt Kidal geschossen hat . In einem anderen Fall haben regierungstreue Milizen 2015 in der Region Gao sechs Menschen hingerichtet . Die Wahrheit ist: Die Regierung in Bamako und ihre Armee sind selbst Teil des Problems . ({4}) Was auffällt, Herr Gädechens, Herr Annen - der Punkt ist klar -, ist, dass die Haltung der malischen Bevölkerung weder bei der CDU noch bei der SPD Berücksichtigung findet. Der Grund dafür ist ganz einfach: Viele Malier stehen den Truppen feindlich gegenüber und haben jedes Vertrauen verloren . ({5}) Mali-Mètre - das ist der Titel einer Umfrage, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wurde - ergab vor einem halben Jahr folgendes Bild: Nur ein Drittel der Malier glaubt, dass MINUSMA ihre Aufgabe zufriedenstellend oder einigermaßen umsetzt . Die Hälfte der Befragten glaubt nicht, dass MINUSMA sie schützt . Damals wurde das Friedensabkommen gerade unterzeichnet . Seitdem hat sich die Lage deutlich verschlechtert . Diesen Eindruck bestätigen mir auch meine Gesprächspartner in Mali . Offensichtlich reden wir mit unterschiedlichen Leuten, Niels Annen . Mit der Ausweitung des deutschen Einsatzes auf Gao besteht die Gefahr, dass die Bundeswehrpräsenz für die Einwohner im Norden Malis immer weniger vom Kampfeinsatz der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zu unterscheiden ist . Im Rahmen der Operation Barkhane führt die französische Armee abseits jeder Berichterstattung einen Antiterroreinsatz durch . MINUSMA und Barkhane sind zwar voneinander getrennte Einsätze, aber sie sind miteinander verbunden . Das uns vorliegende Mandat sieht für den Notfall sogar ausdrücklich die Einsatzunterstützung für französische Kampftruppen von Barkhane vor . Wir, meine Damen und Herren, haben die Antiterroroperationen im Irak, in Afghanistan und anderswo abgelehnt . Wir lehnen eine solche Operation auch in Mali ab . ({6}) Die traurige Bilanz des Antiterrorkriegs in der Region, aber auch in Mali gibt uns recht . Frau von der Leyen wird in der Presse heute zitiert, wir sollten mit Geduld an die neue Aufgabe dieses ausgeweiteten Einsatzes in Mali herangehen, er habe ja gerade erst begonnen, und verweist darauf, dass es eine der gefährlichsten Missionen sei . Wir geben ihr an der Stelle recht . Aber wir sagen auch: Bitte ziehen Sie endlich die Konsequenzen! Die Beteiligung an MINUSMA ist falsch, sie löst keine Probleme in Mali, und sie setzt auf lange Zeit Soldatinnen und Soldaten Gefahren aus, die nicht kalkulierbar sind . Die Linke sagt geschlossen Nein zu MINUSMA . Wir sagen Ihnen auch: Hören Sie auf, Heerschauen und Waffenspektakel zur Begleitung Ihrer Bundeswehreinsätze zu veranstalten! ({7}) Das ist bestenfalls geschmacklos . ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Elisabeth Motschmann hat als nächste Rednerin das Wort für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in meiner Rede auf zwei Punkte eingehen, nämlich erstens: Warum wollen wir das Mandat in Mali erweitern? Diese Frage ist im Außenverhältnis wichtig, um es denen, die sich nicht täglich mit diesen Problemen beschäftigen, zu erklären . Zweitens möchte ich mir erlauben, einmal auf die ethische Begründung für militärische Einsätze der Bundeswehr einzugehen . ({0}) - Genau das möchte ich auch zu Ihrer Unterrichtung tun, lieber Herr Gehrcke . - Dahinter steht die Frage: Kann man Frieden schaffen mit Waffen? Das haben Sie ja eben verneint, Frau Buchholz . ({1}) Ich gehe aber zunächst kurz auf den ersten Punkt ein: Die instabile Lage in Mali hat nicht nur Auswirkungen auf die Region, sondern natürlich auch auf Europa; das wissen wir inzwischen . Die Probleme in Mali sind unsere Probleme; denn wenn sich Flüchtlinge aus Mali auf den Weg nach Europa oder gar Deutschland machen, wissen wir, was geschieht . Wenn es uns nicht gelingt, auch in Afrika erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen - darauf ist vielfach hingewiesen worden -, werden wir in Zukunft mit weiteren Fluchtbewegungen rechnen müssen . Wenn wir Mali helfen und stabilisieren wollen, brauchen wir zwei Dinge: Wir brauchen Geduld, und wir brauchen Vertrauen . Warum brauchen wir Geduld? Im Rahmen der MINUSMA-Mission haben die Soldaten der Vereinten Nationen in Mali Rückschläge erfahren . Das wird auch in Zukunft passieren . Das darf aber gar kein Anlass dafür sein, dass wir an unseren Zielen, die der Kollege Annen eben schon klar beschrieben hat, zweifeln . Ein Friedensprozess bzw . ein Versöhnungsprozess wie der in Mali braucht also viel Zeit . Die Vereinten Nationen haben schon erreicht, dass sich fast alle bewaffneten Gruppen zu Verhandlungen zusammengesetzt und einen Friedensvertrag ausgehandelt und unterzeichnet haben . Der erreichte Waffenstillstand ist ein erster wichtiger Schritt in diesem Versöhnungsprozess . Warum brauchen wir Vertrauen? Uns ist durchaus bewusst, dass es sich bei dieser Mission um einen schwierigen Einsatz handelt; darauf ist hingewiesen worden . Schon aus Solidarität mit den Vereinten Nationen, mit Frankreich, mit den Niederlanden ist die Erweiterung des Einsatzes für uns wichtig . Derzeit trägt Frankreich die militärische Hauptlast in Mali; und wir sind einer der engsten und wichtigsten Bündnispartner Frankreichs . Das bestätigt eine Umfrage: 82 Prozent der Franzosen bezeichnen Deutschland da als den vertrauenswürdigsten Bündnispartner . Da ist das Vertrauen; und andere Länder setzen ebenfalls auf uns . Die MINUSMA-Mission dient nicht nur der Sicherheit und Stabilisierung des Landes, sondern auch - darauf ist hingewiesen worden - dem Schutz von Zivilpersonen, dem Schutz der Menschen . Noch immer tyrannisieren Rebellen die Bewohner des Nordens, sie verfolgen sie, sie töten sie auf grausame Weise . Ich komme zum zweiten Punkt, der ethischen Begründung, die wir auch im Innenverhältnis brauchen . Jeder Einsatz der Bundeswehr muss ja nicht nur politisch und militärisch begründet werden, sondern wir müssen uns auch immer wieder fragen: Sind diese Einsätze ethisch verantwortbar? Die Bundeskanzlerin und der Außenminister haben niemals einen Zweifel daran gelassen, dass militärische Einsätze immer nur die Ultima Ratio, das letzte Mittel, sein können . Parallel müssen wir in politischen, diplomatischen Verhandlungen und Prozessen nach Lösungen suchen . Und genau das geschieht ja auch . Hier schließt sich aber die Frage an: Können wir nur mit diplomatischen Prozessen Frieden schaffen? Da sage ich ganz klar: leider nicht. Die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann vertritt ja die Ansicht - ich zitiere -: Ich fände es gut, wenn die Bundesrepublik auf eine Armee verzichten könnte … ({2}) Welch eine Illusion! ({3}) Vor dem Hintergrund dessen, was wir im Augenblick erleben, ist das hochgradig naiv und unverantwortbar, was Margot Käßmann sagt . ({4}) Unverantwortlich ist auch, Frau Buchholz, wenn Sie von einem „wahnwitzigen Aufrüstungsplan“ sprechen . ({5}) Wir müssen die Bundeswehr vernünftig ausstatten, wenn wir sie in diese Einsätze schicken, und erst recht, wenn wir sie in gefährliche Einsätze schicken . ({6}) Ganz anders sieht es übrigens der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber . Dessen Zitat geht mir immer wieder durch den Kopf, weil ich es wichtig für uns finde; wir müssen ja nachher eine blaue, rote oder weiße Karte in die Urne werfen . ({7}) - Sie können die rote Karte nehmen, aber wir nehmen die blaue . - Er sagt: Für mich schließt das Gebot „Du sollst nicht töten“ auch das Gebot ein: „Du sollst nicht töten lassen“ . Ich wiederhole noch einmal, was Huber sagt: Für mich schließt das Gebot „Du sollst nicht töten“ das Gebot „Du sollst nicht töten lassen“ ein . Terroristen, ob in Syrien, dem Irak oder Mali, kann man nicht mit Argumenten begegnen, liebe Frau Buchholz . ({8}) Das müssten Sie auch schon einmal bemerkt haben . Wir wollen die Menschen in Mali doch schützen und ihnen die Chance auf ein friedliches Leben geben . In diesem Fall müssen wir dies auch mit militärischen Mitteln tun; denn ohne das Militär gibt es keine humanitäre Hilfe, gibt es keinen Friedensprozess . Die Präsidentin mahnt, deshalb schließe ich ab und möchte den Linken noch ins Stammbuch schreiben, was Rupert Neudeck, ein ausgewiesener Pazifist, erklärt hat Zitat -: Ich möchte nicht Menschen sterben lassen nur wegen der Reinheit meiner Philosophie oder meines Pazifismus. Besser kann ich es nicht sagen, und das möchte ich Ihnen ins Stammbuch schreiben . Vielen Dank . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Agnieszka Brugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn die Menschen das Wort „Militäreinsatz“ hören, dann denken aktuell viele an Syrien, an Afghanistan, an den Irak oder an Libyen . Viel weniger im Licht der Aufmerksamkeit stehen die Friedensmissionen der Vereinten Nationen eindeutig zu Unrecht . Denn im Rahmen dieser Einsätze leisten zivile Expertinnen und Experten, Polizeiangehörige und natürlich vor allem Soldatinnen und Soldaten Beachtliches, um in sehr schwierigen Situationen in den Bürgerkriegsregionen und Krisenregionen dieser Welt die Weichen für einen Weg hin zu weniger Gewalt und zu Frieden und Sicherheit zu stellen . Es gibt für diese Einsätze keine Erfolgsgarantie, und es gibt in der Geschichte auch einige, die gescheitert sind, aber eine Reihe von ihnen hat entscheidend dazu beigetragen, dass Gewaltkonflikte ein Ende gefunden haben. Eine dieser Friedensmissionen findet seit ungefähr drei Jahren in Mali statt . Es ist sicher zu früh, zu sagen, dass sie ein Erfolg wird, aber man kann mit Sicherheit getrost feststellen, dass sie einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisierung geleistet hat . ({0}) Der jahrzehntelange Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen im Süden und im Norden von Mali ist 2012 schrecklich eskaliert, und das hat dazu geführt, dass eine unheilvolle Allianz aus Rebellenorganisationen, Unabhängigkeitsbewegungen, aber eben auch Kriminellen und Islamisten eine Schreckensherrschaft im Norden von Mali errichtet hat und dann versucht hat, auch den Süden zu erobern . Infolgedessen kam es zu einem Militärputsch in der Hauptstadt Bamako, der gleichzeitig auch die Schwäche der staatlichen Institutionen und der malischen Sicherheitskräfte offenbart hat . Nur das Eingreifen der Weltgemeinschaft, insbesondere der Franzosen, als Reaktion auf den Hilferuf der malischen Regierung hat das Schlimmste verhindert . 2012 war aber auch klar, dass der Weg hin zu dauerhaftem Frieden und zu dauerhafter Sicherheit ein sehr langer und schwieriger, ein sehr brüchiger und gefährlicher Prozess sein würde . Um die Menschen in Mali dabei zu unterstützen und zu begleiten, haben die Vereinten Nationen die Einrichtung der Friedensmission MINUSMA beschlossen . Heute, vier Jahre später, ist Mali an einer wichtigen Weggabelung; denn die Zukunft Malis wird sich daran entscheiden, ob die große Herausforderung gelingt, das Friedensabkommen umzusetzen . Genau das ist die Aufgabe von MINUSMA . Die Mission fordert diesen Friedensprozess offensiv ein, sie mahnt ihn immer an . Das war extrem wichtig; denn die Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien waren sehr schwierig und hätten nur allzu leicht scheitern können . MINUSMA schafft aber auch als unparteiliche Kraft Transparenz und benennt die Verstöße gegen die Abmachungen ebenso wie die dafür Verantwortlichen . Dass Frau Buchholz uns vorhin Zahlen präsentieren konnte, liegt daran, dass MINUSMA die Aufgaben erfüllt . ({1}) Die eben zitierte Umfrage kann man natürlich auch so lesen - zu den Aufgaben von MINUSMA gehört ja auch der Schutz der Zivilbevölkerung, die Stärkung der Menschenrechte und der staatlichen Institutionen -, dass sich die Menschen mehr Schutz und mehr MINUSMA wünschen . Genau so habe ich auf vielen meiner Reisen die meisten Gesprächspartner in Mali verstanden . Damit diese Friedensmission diese Aufgaben erfüllen kann - hier sind wir, glaube ich, an dem entscheidenden Punkt -, muss sie personell und materiell gut aufgestellt und ausgestattet sein . Dazu gehören Polizisten ebenso wie die technischen Fähigkeiten, um die Einhaltung des Friedensabkommens überwachen und Gefährdungen frühzeitig feststellen zu können . Einer der Gründe, warum die Friedensmissionen der Vereinten Nationen ihre Ziele in der Vergangenheit manchmal nicht oder nur teilweise erreichen konnten, war - das formuliere ich jetzt einmal sehr freundlich und diplomatisch - die Haltung der westlichen Staaten, die zwar diese Einsätze im großen Maße finanzieren, sich aber bei der Bereitstellung von Personal und Material vornehmend zurückgehalten haben, ({2}) obwohl die Vereinten Nationen sie seit Jahren händeringend um Hilfe bitten, weil nur sie über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen . Nicht nur wir Grüne, sondern auch viele hier im Parlament haben in den letzten Jahren einen Kurswechsel angemahnt und deutlich gemacht, dass wir auch bereit wären, größere und relevantere Beiträge für die Friedensmissionen der Vereinten Nationen zu mandatieren . ({3}) Nachdem der bisherige deutsche Beitrag zu MINUSMA eher symbolisch und bescheiden war und teilweise nur auf dem Papier bestanden hat, hat die Bundesregierung mit dem neuen Mandat entschieden, gerade im Bereich Aufklärung einen substanziellen Beitrag zu liefern: von 650 Soldatinnen und Soldaten bis hin zu technischen Kapazitäten wie Aufklärungsdrohnen . Damit kommt die Regierung der Forderung aus dem Bundestag nach . Und das unterstützen wir ausdrücklich . Meine Damen und Herren, man darf sich über die Lage in Mali aber auch keine Illusionen machen . Der Begriff „Friedensmission“ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich gerade im Norden und in der Stadt Gao um einen hochgefährlichen Einsatz handelt . Die Sicherheitslage ist fragil . Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen und Anschlägen, gerade auch auf die Patrouillen und Camps von MINUSMA, weil einige wenige terroristische Gruppen bewusst den Friedensprozess für die vielen Menschen in Mali zerstören wollen . Aber genau das will MINUSMA verhindern . Meine Damen und Herren, nicht nur die Sicherheitslage ist schwierig, Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt . Gleichzeitig habe ich auf meinen Reisen kaum ein Land erlebt, in dem die Menschen trotz Armut und all der Rückschläge so lebensfroh, stolz und zuversichtlich in die Zukunft blicken und sie gestalten wollen . Das hat mich immer wieder sehr berührt . Es war eine große Herausforderung, das Friedensabkommen überhaupt auf den Weg zu bringen . Dabei hat die Friedensmission der Vereinten Nationen einen unverzichtbaren und sehr wertvollen Beitrag geleistet . ({4}) Noch größer ist aber die Herausforderung, es zügig und nachhaltig umzusetzen, damit Entwicklung, Frieden und Sicherheit für die Menschen in Mali nicht nur ein Hoffnungsstreif am fernen Horizont sind, sondern endlich Realität werden können . Deshalb werden wir Grüne heute dem Mandat zustimmen . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Lars Klingbeil von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir entscheiden heute über die Verlängerung der Stabilisierungsmission in Mali . Seit Juni 2013 ist Deutschland beteiligt, und wir wollen heute über ein Mandat abstimmen, das bis Ende Januar 2017 laufen wird . Zu der bisherigen Mission mit bis zu 150 Soldaten kommen jetzt 500 weitere Soldatinnen und Soldaten dazu . Wir weiten diese Mission qualitativ aus . Nachdem wir bisher in den Stäben, in Beratungs- und Führungsaufgaben aktiv waren, so kommen nun Aufklärung, Raumüberwachung und Objektschutz als Aufgaben dazu, die von der Bundeswehr übernommen werden . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir übernehmen mehr Verantwortung in Mali . Wenn man sich die Situation anguckt - der Kollege Annen hat es vorhin beschrieben -, stellt man fest, dass die Situation fragil ist . Wir bekommen das immer wieder vor Augen geführt . Aber ich sage Ihnen: Wenn wir überzeugt sind, dass der Prozess, den die Vereinten Nationen angestoßen haben, richtig ist, dann müssen wir diesen Prozess als Deutscher Bundestag auch unterstützen . ({0}) Ich sage Ihnen: Dem Weg, dass die Vereinten Nationen versuchen, alle Akteure an einen Tisch zu holen, dass man versucht, einen gemeinsamen Fahrplan zu entwickeln, dass man dann in einem Vertragstext festlegt, was in Mali passieren soll, zum Beispiel die Entwicklung dezentraler politischer Strukturen, dass man die entwicklungspolitische Komponente stärkt und zugleich am Ende sagt, dass man, damit die entwicklungspolitischen, die ökonomischen und die zivilen Mittel auch alle greifen können, auch Militär braucht, um einen Rahmen zu schaffen, der das Ganze absichert, stimme ich hier im Bundestag mit Überzeugung zu, weil ich ihn wirklich für richtig halte . ({1}) Wir als SPD-Fraktion wollen - ich glaube, hier sind mehrere Kollegen im Raum, die das unterstützen -, dass der Friedensvertrag von Mai und Juni 2015 gelingt . Also noch einmal: Wenn wir das, was die Vereinten Nationen hier auf den Weg gebracht haben, als richtig empfinden, dann können wir uns als Parlament hier nicht vor unserer Verantwortung drücken, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wir erweitern die Mission, und wir tun das auf Wunsch der Vereinten Nationen, wir tun das auf Wunsch vieler Akteure in Mali - die Regierung ist mit dabei -, und wir tun das auch auf Wunsch unserer französischen Freunde. Die Debatte fing an nach den furchtbaren Anschlägen in Paris, und ja, wir sind im Rahmen der europäischen Solidarität aufgefordert, unsere Freunde in Frankreich zu unterstützen . Es ist aber auch in unserem Interesse, dass das Land stabilisiert wird . Wir haben in den Reden bei der ersten Lesung gehört, wie gefährlich die Situation vor Ort ist und welche Auswirkungen das Ganze auf Europa haben kann . Wir müssen den Aussöhnungsprozess unterstützen . Niemand behauptet hier, dass das eine leichte Mission wird . Nein, ich behaupte sogar das Gegenteil . Das wird eine gefährliche Situation, aber ich sehe wenig Alternativen zu dem, was dort passiert . Auch wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen, ist es wichtig, dass wir Mali stabilisieren und den Menschen dort eine Perspektive geben . Wenn wir im Mandatstext lesen, dass 80 Prozent der Binnenflüchtlinge mittlerweile in ihre Heimatorte zurückgekehrt sind, dann ist das - das möchte ich jetzt nicht euphorisch beschreiben - ein kleiner Erfolg, der dort in Mali zu sehen ist . Wir sollten diesen Weg weitergehen . Die Linke verweise ich hinsichtlich ihrer Behauptung, es sei eine rein militärische Strategie oder militärische Mission, auf den Mandatstext und möchte Ihnen nur einiAgnieszka Brugger ge Beispiele nennen: Wir haben Ausbildungsmissionen, die wir unterstützen . ({2}) Wir unterstützen den Aufbau ziviler Sicherheitsstrukturen . Wir stellen Mittel für die Krisenprävention bereit . Es sind Nahrungsmittelhilfe, die Unterstützung der Binnenflüchtlinge, die finanzielle Unterstützung des Aussöhnungsprozesses, der Aufbau der Landwirtschaft, die Dezentralisierung der Regierungsstrukturen und die Wasserversorgung vorgesehen . Überall hier ist Deutschland engagiert . Dafür ein großer Dank auch an unseren Außenminister Frank Steinmeier, der das Ganze vorangetrieben hat . ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser zivilen und entwicklungspolitischen Maßnahmen entscheiden wir hier heute über den drittgrößten Auslandseinsatz der Bundeswehr . Nach der Afghanistan-Mission und dem Einsatz auf dem Balkan ist das die drittgrößte Mission, und in einer Stunde wie der heutigen, in der wir entscheiden, sollten wir an diejenigen denken, die wir in diese Auslandseinsätze schicken, die Verantwortung für uns übernehmen, aber auch an deren Familien . Ich will hier noch einmal betonen, dass wir als Parlament wirklich eine große Verantwortung sowohl bei der Ausbildung, in der Mission selbst, aber auch bei der Nachbereitung tragen . Ich bin dem Wehrbeauftragten sehr dankbar, dass er in dieser Woche den Finger deutlich in die Wunde gelegt hat und klargemacht hat, wo noch Mangel in der Bundeswehr besteht und worin unsere Verantwortung als Parlament besteht . Die Ministerin hat das auch deutlich gemacht . Ich wünsche ihr jetzt viel Erfolg bei den Verhandlungen mit dem Finanzminister, weil ich in der Tat glaube: Wir brauchen eine gut ausgestattete Bundeswehr . Das ist die Verantwortung, die wir als Parlament tragen . Ich selbst habe in der letzten Woche in meinem Wahlkreis in Munster mit dem Deutschen BundeswehrVerband eine Veranstaltung zum Weißbuch gemacht . Man sieht: Es gibt dort bei den Soldatinnen und Soldaten ein Verantwortungsbewusstsein . Sie wissen, dass in instabilen Zeiten ihr Einsatz gefordert ist . Sie erwarten aber, dass wir als Parlament vernünftig mit ihnen umgehen, und sie erwarten, dass wir sie bestmöglich ausstatten . Ich will betonen: Das ist eine Verantwortung, die wir als Parlament tragen . Ich hoffe, dass wir dieser Verantwortung im Jahr 2016 gebührend nachkommen . Wir als SPD-Fraktion werden heute mit großer Mehrheit zustimmen, und ich wünsche mir, dass dies auch viele andere Kolleginnen und Kollegen im Parlament tun . Herzlichen Dank . ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Rednerin in der Debatte ist die Abgeordnete Julia Obermeier, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mali ist sowohl ein wichtiges Transitland als auch ein Herkunftsland von Migranten . Im Norden des Landes beginnt eine der drei Hauptrouten für den gesamten afrikanischen Menschen-, Waffen- und Drogenschmuggel . Diese Route durch die Sahara ist für viele, die sich nach Europa aufmachen, ein tödlicher Pfad . Sandstürme, große Hitze, Landminen, Überfälle, Vergewaltigungen sowie lebensbedrohlicher Hunger und Durst - Abertausende machen sich trotzdem, eingepfercht im Laderaum klappriger Transporter, auf den Weg, und viele bezahlen das mit ihrem Leben . Somit macht es einen Unterschied, ob der Zugang zur Sahara von zumindest halbwegs funktionierenden staatlichen Strukturen kontrolliert wird oder ob hier Warlords, Terroristen und Schleusern Tür und Tor geöffnet ist . Diesen Unterschied spüren wir auch in Europa und in Deutschland . Aber es macht vor allem für die Menschen in Mali einen Unterschied, wie es um ihre Sicherheit bestellt ist . Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt . Auf dem Human Development Index liegt es auf Platz 176 von 187 . Fast 2 Millionen der 16 Millionen Einwohner sind mangelernährt . Die dramatische Situation im Land wurde 2012 verschärft durch die Tuareg-Rebellion im Norden und den islamistischen Extremismus . Ein Militärputsch hat die Lage weiter verschärft . Wir sind dankbar für das rasche Eingreifen unserer französischen Partner, die Schlimmeres verhindern konnten . Mittlerweile konnte infolge eines Dialog- und Versöhnungsprozesses mit den nichtterroristischen Gruppen ein Friedensabkommen unterzeichnet werden . Das Abkommen von Algier ist zweifelsohne ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung . Allerdings müssen wir weiterhin um dessen Umsetzung ringen . Nur dieser politische Prozess und die Schaffung von Vertrauen in die malische Regierung können die Lage in Mali stabilisieren und die Situation der Bevölkerung nachhaltig verbessern . ({0}) Denn die Not treibt die Menschen in die Fänge der Dschihadisten und bringt mehr Terror und Gewalt in das Land . Doch ohne Sicherheit wird es auch keine wirtschaftliche Entwicklung geben . Um mehr Sicherheit zu schaffen, engagiert sich Deutschland nicht nur diplomatisch im Friedensprozess . Wir verfolgen auch hier einen vernetzten Ansatz, der neben der Diplomatie auch die Entwicklungszusammenarbeit und die Sicherheitspolitik umfasst . Deutschland ist der viertgrößte Geldgeber für die Entwicklungszusammenarbeit mit Mali . Dabei fördern wir vor Ort nicht nur Dezentralisierung und gute Regierungsführung, sondern wir helfen vor allem den Menschen: durch die BereitLars Klingbeil stellung von Nahrungsmitteln, durch eine bessere Trinkwasserversorgung und durch Bewässerungsprojekte, die die Erträge der Landwirtschaft steigern . Auch wird die Rückkehrersituation nach Nordmali verbessert . Aber, meine Damen und Herren, all diese Hilfe kann nur ankommen, wenn die Sicherheit vor Ort gewährleistet ist . Deshalb beteiligt sich Deutschland an mehreren Missionen der internationalen Gemeinschaft: an der europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali, bei der Deutschland gerade die Führungsverantwortung trägt, an der Polizeimission EUCAP Sahel Mali sowie an der VN-geführten Mission MINUSMA, über deren Ausweitung wir heute abstimmen werden . MINUSMA ist eine große Mission mit 11 000 Soldatinnen und Soldaten, die den Waffenstillstand überwachen sowie Frieden und Aussöhnung unterstützen . Das stärkere Engagement der Bundeswehr setzt genau dort an, wo spezielle Fähigkeiten dringend benötigt werden: beim Lufttransport und bei der Luftbetankung, in den Führungsstäben sowie bei der Aufklärung . Wir werden mit LUNA-Aufklärungsdrohnen im Einsatz sein und ab Herbst voraussichtlich auch mit der Heron 1 . Die hohe Zahl von 650 Soldatinnen und Soldaten ist notwendig für ihren eigenen Schutz, der uns ganz besonders am Herzen liegt . ({1}) Meine Damen und Herren, der Einsatz in Mali ist zwar gefährlich, aber auch besonders wichtig . Mali ist von strategischer Bedeutung für die Migrationsbewegungen und die Schleuserkriminalität in Afrika . ({2}) Die Sicherheitslage in Mali ist instabil . Durch unseren Einsatz wollen wir den Menschen in Mali Frieden und Sicherheit in ihrer Heimat ermöglichen . Daher bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Mandat . Vielen Dank . ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Michael Vietz, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Michael Vietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Republik Mali steht weiterhin vor einer Herkulesaufgabe . Sicherheit, Stabilität, Frieden - leicht gesagt, schwer getan . Radikale Gruppierungen versuchen immer wieder, den Friedensprozess durch heimtückische Anschläge zum Scheitern zu bringen . Eine politische Lösung benötigt aber ein stabiles Umfeld . Mali ist auf seinem langen und mühsamen Weg zu Sicherheit, Stabilität und Frieden weiterhin auf Unterstützung angewiesen; auch in Afrika gibt es nicht einen Schalter, den man nur umlegen muss . Bei dieser Herausforderung stehen wir dem Land zuverlässig zur Seite . Wir setzen im Rahmen der Mission auf eine starke und abgestimmte Zusammenarbeit zwischen militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten . Dieser vernetzte Ansatz ist in meinen Augen ein wichtiges Kennzeichnen unserer Außenpolitik . Wir werden mit dem heutigen Beschluss unsere Kräfte im Rahmen der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen, kurz: MINUSMA, erheblich aufstocken . Mit den Fähigkeiten, die wir zur Verfügung stellen, werden wir unserer Verantwortung gerecht . Warum? Weil wir es leisten können und weil Zuschauen definitiv keine Option ist. Zur Fortführung unseres militärischen Beitrags soll der Einsatz auf maximal 650 deutsche Soldaten erweitert werden . Schwerpunkte sind die Sicherung des Friedenprozesses und die Stabilisierung Malis . Die Eindämmung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Verarmung in der Sahelzone liegt in unserem Interesse; einige meiner Vorredner haben darauf hingewiesen . Tag für Tag erfahren wir erneut, dass Terror und Krise nicht lokal bleiben, sondern irgendwann den Rest der Welt erreichen . Daher legt Deutschland gerade hier nach: Wir stellen den malischen Kräften unsere Polizisten zur Seite . Gemeinsam werden Kapazitäten und Strukturen aufgebaut, die organisierte Kriminalität und Terrorismus bekämpfen . Mit der internationalen Gemeinschaft leisten wir im Rahmen von MINUSMA einen substanziellen Beitrag zur Bewältigung des Konflikts in Mali. Neben unserer Beteiligung an der europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali unterstützen wir den Dialog und Versöhnungsprozess . Der Wiederaufbau, die Versöhnung und die Festigung von Sicherheitsstrukturen im Norden sind ausschlaggebend, um Perspektiven für die vielen Binnenflüchtlinge zu schaffen. Wir unterstützen unsere Partner, vor allem Frankreich, weiterhin durch die Bereitstellung von Lufttransport und Luftbetankung . Hinzu kommen nun Objektschutz, Aufklärung, Logistik sowie Sanitäts- und Stabskräfte . Mit dem neuen Mandat entlasten und ergänzen wir nunmehr auch unsere niederländischen Nachbarn . Das ist insgesamt ein gutes Zeichen für die deutsch-niederländische Kooperation im Speziellen und für die europäische Zusammenarbeit im Allgemeinen . ({0}) Das unterzeichnete Friedensabkommen zwischen den Konfliktparteien legte das Fundament für eine dauerhafte Stabilisierung des Landes . Darauf aufbauend müssen wir gerade im Norden die Umsetzung des Abkommens weiter vorantreiben . Seit Beginn der internationalen Mission - auch darauf wurde schon hingewiesen - hat sich die humanitäre Lage verbessert . Der Zugang zu humanitären Hilfen und Entwicklungszusammenarbeit ist aber noch nicht für alle Regionen sichergestellt . Unsere weitere und erweiterte Beteiligung an MINUSMA ist richtig und wichtig . Wir senden damit weiterhin ein starkes Signal an unsere Partner auf dem afrikanischen Kontinent . Die bisher erreichten Fortschritte im Versöhnungsprozess sind zu teuer bezahlt, als dass wir sie nun aufs Spiel setzen dürften . Ohne Frage ist dieser Einsatz unter UN-Flagge einer der gefährlichsten . Ich habe großen Respekt vor dem, was unsere Einsatzkräfte leisten . Ihnen gebührt Dank und Anerkennung . ({1}) MINUSMA ist und bleibt ein wichtiger Baustein für einen dauerhaften Frieden in Mali . Wir sind bereit, diesen Weg weiterzugehen, damit das Land seiner Bevölkerung eine Perspektive in Sicherheit, Frieden und Freiheit bieten kann . Ich bitte dieses Hohe Haus, die Menschen in der Region nicht alleinzulassen . Die Unionsfraktion wird diesem Antrag der Bundesregierung zustimmen . Ich bitte die restlichen Fraktionen, vor allem eine, diesem Vorbild zu folgen . Vielen Dank . ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite- rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungs- mission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7366, den Antrag der Bundesregie- rung auf Drucksache 18/7206 anzunehmen . Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich möch- te bereits jetzt darauf hinweisen, dass wir zum nachfol- genden Tagesordnungspunkt 8 in circa 45 Minuten eine weitere namentliche Abstimmung durchführen werden . Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Ich bitte die eingeteilten Schriftführer, sich zu den Urnen zu bege- ben . - Die Abstimmung ist eröffnet . Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung . Das Ergebnis wird später bekannt gegeben .1) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7376 . Wer stimmt für den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD und der Fraktion Die Linke abgelehnt bei Zustimmung durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . 1) Ergebnis Seite 14936 C Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte Drucksachen 18/7207, 18/7367 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7390 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat das Wort Dr . Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion . ({2})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation im Irak ist in den letzten Wochen im Gegensatz zu anderen Schauplätzen im Nahen und Mittleren Osten in der Berichterstattung, in der Aufmerksamkeit etwas in den Hintergrund getreten . Dennoch, glaube ich, ist es wichtig, dass wir uns mit der Situation, mit dem Land, mit den Verhältnissen in der Region insgesamt befassen; denn genau dort wird über die Existenz, über die Stärken und Schwächen des „Islamischen Staates“ mit entschieden werden . Der IS ist im Irak entstanden . Er hat dort seine historische Genese . Er ist dort weiterhin ein Sammelbecken für sunnitische Kämpfer, für alte Gruppen des Baath-Regimes, aber eben auch immer wieder für Kämpfer aus Europa und leider eben auch aus Deutschland . Aus dieser Situation heraus, aus einer sehr breiten Betrachtung haben wir große Verantwortung im Hinblick auf den Irak . ({0}) Ich glaube, wir alle hier sind der gleichen Meinung das erhoffe ich mir zumindest -, dass allein eine militärische Antwort für die Bewältigung dieser Herausforderung nicht genügt . Dennoch sind die territoriale Zurückdrängung und insbesondere die Begrenzung der Ressourcen für den IS ein wesentlicher Bestandteil, um die Situation dort zu ändern und dafür zu sorgen, dass der Irak und auch die gesamte Region eine Zukunft ohne Krieg, ohne eine militärische Auseinandersetzung haben und dass dort wieder Frieden einkehrt . ({1}) Es ist richtig gewesen, dass Deutschland mit Ausbildung und mit Material dort hilft; denn es sind insbesondere - darüber bestand Einigkeit, als wir über das Syrien-Mandat gesprochen haben; ich glaube, darüber besteht auch weiterhin Einigkeit - die kurdischen Kräfte und die Peschmerga, aber auch - das sage ich klar - die PYD und in anderen Situationen an anderer Stelle andere kurdische Kräfte, die den IS massiv bekämpft haben . Aber politisch - es ist wichtig, auch dies in dieser Debatte zu betonen - ist es richtig gewesen, dass sich die Bundesregierung auf diese Region konzentriert hat . Sie hat klargemacht, dass wir am Einheitsstaat Irak ein großes Interesse haben und dass diese Hilfen nur mit Zustimmung der irakischen Regierung geleistet werden . Über Bagdad wollen wir mit anderen europäischen Partnern eine Ausbildungs- und Sicherheitssituation herbeiführen, die das Überleben in dieser Region erst möglich macht . Es kommt also darauf an, mit der Regierung in Bagdad, mit den europäischen Partnern und - das ist immer der dritte Bestandteil dieses Mandats gewesen - in Tranchen vorzugehen . Wir haben immer wieder überprüft und uns auch rückversichert: Was passiert mit den Dingen, die wir geliefert haben? Denn es geht ja nicht nur um Waffen und Ausbildung, sondern auch um Sanitätsmaterial und Schutzausrüstung; auch dies sind Bestandteile des Mandats . Es geht also um militärische Teile, aber sehr stark auch um die zivile Komponente . Ich glaube, darüber müssen wir öffentlich diskutieren . Wir sind, weil der Deutsche Bundestag dieses Mandat erteilt, dazu berechtigt, in diesem Zusammenhang auch kritische Fragen zu stellen . Das hat gestern in der Fragestunde, aber auch in der Berichterstattung der letzten Wochen eine Rolle gespielt, als es darum ging, wie kurdische Kräfte in den Dörfern, die befreit wurden, vorgegangen sind. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung mit den Partnern im Nordirak und mit der Regierung in Erbil nicht nur darüber spricht, sondern dass auch die Verantwortung von Erbil deutlich gemacht wird . Wir alle haben die Briefe der Vertretung der Kurden im Nordirak bekommen, in denen klargemacht wurde, dass sie diesen Dingen nachgehen will . Das muss getan werden . Ich glaube, es ist eine sehr unübersichtliche Situation . Aber entscheidend wird sein, dass es keinen weiteren Konflikt im Irak gibt; ich habe eben über den „Islamischen Staat“ gesprochen . Es darf nicht erneut zu einem Konflikt zwischen Kämpfern der kurdischen Streitkräfte und möglicherweise arabischen Streitkräften oder solchen der irakischen Armee kommen . Es gibt schon genügend Konflikte. Deswegen sind wir angehalten, über die kritischen Fragen mit den Verantwortlichen in Erbil zu diskutieren . Genauso verhält es sich bezüglich der offensichtlich geringen Zahl unerlaubter Waffenverkäufe, die in den vergangenen Tagen Aufmerksamkeit bekommen hat . Ich unterstütze das, was die Bundesregierung bzw . der Außenminister gesagt und getan haben . Der Außenminister hat nämlich einen Vertreter der Regierung in Erbil ins Auswärtige Amt einbestellt und um Aufklärung gebeten . Wir bitten Sie, Herr Bundesaußenminister, die entsprechenden Erkenntnisse mit dem Deutschen Bundestag zu teilen . Gerade weil die Bundesregierung die Risiken dieses Mandats im letzten Jahr nicht verschwiegen hat - wir wussten um die Risiken -, ist es ein Abwägungsprozess gewesen, und es ist richtig, dass nach diesem Abwägungsprozess, bei dem es um die Vor- und Nachteile der Situation im Irak selbst, aber auch um die Bekämpfung des „Islamischen Staates“ ging, heute die Mehrheit meiner Fraktion genau wie die Bundesregierung zu der Überzeugung gekommen ist, der Verlängerung dieses Mandats zuzustimmen . Es ist verantwortbar, und es ist verfassungsrechtlich und völkerrechtlich abgefedert . Ich glaube, auch die internationale Gemeinschaft hat ein großes Interesse daran, dass Deutschland an dieser Komponente mitwirkt . ({2}) Wenn wir über dieses Mandat diskutieren, finde ich, gehört zu einer ehrlichen Debatte dazu, auch darauf hinzuweisen, dass unser Engagement weit darüber hinausgeht . Es beinhaltet nämlich einen politischen und einen humanitären Ansatz . Wenn wir in Deutschland und Europa über die Flüchtlingssituation sprechen, sollten wir uns vor Augen führen: 1 Million Flüchtlinge sind im Nordirak in Flüchtlingslagern, Dörfern und Städten untergekommen, und das bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 5,4 Millionen Menschen, die im Nordirak leben . Was das für dieses Land bedeutet, kann sich jeder von uns ausmalen, weil wir eine solche Situation mittlerweile auch in Deutschland kennen . Es ist richtig gewesen, mit diesem Mandat politisch und humanitär zu verknüpfen, dass wir mit deutscher Finanzhilfe den UNHCR, das Rote Kreuz, aber auch den Roten Halbmond - wir verschließen nicht die Augen vor den Problemen - in die Lage versetzen, der dortigen Administration dabei unter die Arme zu greifen, mit der Flüchtlingssituation im Nordirak umzugehen . Deswegen bin ich dankbar, dass der Deutsche Bundestag beschlossen hat, dass Deutschland im Hinblick auf den Nordirak der drittgrößte Geber bilateraler Hilfe ist, und zwar mit den Schwerpunkten Ernährung, Wasser, Winterhilfe und Gesundheit . Dabei - dieser Punkt gehört genauso zur Debatte wollen wir uns auf die Gebiete konzentrieren, die vom IS befreit sind; denn Voraussetzung dafür, dass der IS nicht zurückkehrt, ist, dass die Bevölkerung von einer indirekten Unterstützung des IS ablässt . Deswegen ist es richtig, dass im Jahr 2016 das Außenministerium 5 Millionen Euro und das BMZ 10 Millionen Euro für die Unterstützung in die Hand genommen haben . Dennoch könnte ich mir vorstellen, dass das BMZ aufgrund der Situation noch mehr Geld in die Hand nimmt; denn es ist politisch entscheidend, dies zu tun . ({3}) Weil wir ein Interesse an der Verbesserung der Situation haben, müssen wir auch über die politischen Verhältnisse im Irak insgesamt sprechen . Wir machen uns Sorgen über das Verhältnis der unterschiedlichen politischen Gruppierungen im Nordirak zueinander . Das diskutieren wir nicht nur in Deutschland, sondern auch an anderer Stelle . Natürlich geht es auch um die Legitimation der nordirakischen Führung. Ich finde, das gehört zu einer ehrlichen Debatte . Die Situation in der Hauptstadt Bagdad bietet keine Aussicht darauf, dass diese Gruppen in den nächsten Wochen und Monaten endlich wieder zusammenkommen . Obwohl Ministerpräsident al-Abadi alles unternimmt, mehr Gruppen in seine Regierung aufzunehmen, ist es nicht gelungen, diese Spaltungen entlang ethnischer und konfessioneller Grenzen, die sich im Parlament und in der Regierung zeigen, zu überwinden . Gleichwohl - das ist mein Eindruck, und ich hoffe, die Bundesregierung sieht das ebenso - wollen die Menschen diesen Spaltpilz im Irak nicht mehr . Auch dafür müssen wir politisch eintreten, und auch das ist indirekt mit diesem Mandat verbunden, meine Damen und Herren . ({4}) Ich sage es sehr deutlich: Den politischen Verhältnissen in Bagdad muss Aufmerksamkeit geschenkt werden, umso mehr, weil wir immer noch damit konfrontiert sind, dass die dortigen Streitkräfte sehr korrumpierbar sind und viel stärker an einem solchen Zuwachs interessiert sind als an einem Macht- oder Sicherheitszuwachs . Deswegen lautet mein Appell: Ja, wir sollten die irakischen Streitkräfte ausbilden und in die Lage versetzen, den einheitlichen Irak abzubilden . Ich warne aber davor, über weitergehende Material- und insbesondere Militärhilfe bereits jetzt zu entscheiden . Das wäre zu früh . Die Situation in Syrien hat gezeigt, dass es auswärtige Mächte wie Saudi-Arabien oder auch der Iran sind, die dieses gebeutelte Land in den vergangenen Jahren immer wieder belastet und leider wenig dazu beigetragen haben, dass eine Versöhnung möglich ist. Ich finde, umso mehr muss der Westen, muss auch Deutschland daran arbeiten, dass sich eine junge zukunftsversprechende Generation herausbildet, die in Zukunft politische Verantwortung übernimmt und sich von den alten Traditionen des Konflikts entfernt. Ich glaube, die Situation im Irak geht uns etwas an . Wir müssen die Entwicklung aufmerksam verfolgen . Ich sage aber auch ganz offen, dass das noch lange Zeit dauern wird und wir an dieser Stelle wahrscheinlich noch öfter über den Irak sprechen müssen . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich verlese das Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali ({0}) auf Grundlage der Resolutionen 2100 ({1}), 2164 ({2}) und 2227 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25 . April 2013, 25 . Juni 2014 und 29 . Juni 2015“, Drucksachen 18/7206 und 18/7366: abgegebene Stimmen 574 . Mit Ja haben gestimmt 502, mit Nein haben gestimmt 66, enthalten haben sich 6 Kolleginnen oder Kollegen . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 575; davon ja: 503 nein: 66 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({4}) Veronika Bellmann Dr . Andre Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({5}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({6}) Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr . Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({7}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({8}) Karl Holmeier Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Jens Koeppen Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({9}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Dr . Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Carsten Müller ({10}) Stefan Müller ({11}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Anita Schäfer ({12}) Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({13}) Gabriele Schmidt ({14}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({15}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({16}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({17}) Christina Schwarzer Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Carola Stauche Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl ({18}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Volkmar Vogel ({19}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({20}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({21}) Sabine Weiss ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({23}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G . Wöhrl Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({24}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr . h .c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({25}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({26}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Dr . Eva Högl Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({27}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Dr . Birgit Malecha-Nissen Katja Mast Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({28}) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({29}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post ({30}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dr . Martin Rosemann Dr . 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Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Oliver Krischer Stephan Kühn ({39}) Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({40}) Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Nein SPD Ulrike Bahr Dr . Ute Finckh-Krämer Wolfgang Gunkel Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Christian Petry Waltraud Wolff ({41}) DIE LINKE Dr . Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Dr . Andre Hahn Heike Hänsel Dr . Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({42}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Harald Petzold ({43}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Dr . Axel Troost Kathrin Vogler Dr . Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({44}) Enthalten SPD Marco Bülow Petra Hinz ({45}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Corinna Rüffer Hans-Christian Ströbele Nächster Redner in unserer Debatte ist Jan van Aken, Fraktion Die Linke . ({46})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Mützenich, vielen Dank für diese Rede . Ich glaube, besser als Sie hätte ich gar nicht begründen können, warum es falsch ist, jetzt 150 Soldatinnen und Soldaten in den Nordirak zu schicken, um dort kurdische Peschmerga auszubilden . ({0}) Ich meine das ganz im Ernst und komme gleich noch darauf zurück . Es gibt zwei sehr gute Gründe, diesen Einsatz abzulehnen: Erstens treiben Sie die Spaltung des Irak mit diesem Militäreinsatz weiter voran . Zweitens ist das Risiko, wie Sie ja auch gesagt haben, sehr hoch, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga für ganz und gar unschöne Dinge eingesetzt werden . Ich fange mit dem ersten Punkt an . Ja, ich bin mir sicher: Mit jeder Stärkung der kurdischen Regionalregierung droht der Irak weiter zu zerfallen . Das würde wiederum die Daesh-Terroristen noch stärker machen . Deshalb ist der Einsatz nicht nur falsch, sondern auch richtiggehend gefährlich, und ich finde, Sie haben das hervorragend hergeleitet . Daesh ist der sogenannte „Islamische Staat“ . Wir alle wissen, warum Daesh in den letzten Jahren im Irak so stark werden konnte . - Hören Sie sich das an, Herr Mützenich! - Sie konnten dort nur deswegen so stark werden, weil die sunnitischen Moslems über Jahre von der Zentralregierung in Bagdad komplett ausgegrenzt worden sind . Alle lukrativen Posten und all das gute Ölgeld gingen an die Schiiten und zum Teil auch an die Kurden . Die sunnitischen Regionen waren davon aber vollkommen ausgeschlossen. Alle einflussreichen Posten waren für Sunniten blockiert . Die Sunniten waren die Verlierer in dem neuen Irak nach der amerikanischen Invasion . Das ist der Ursprung der Stärke von Daesh . ({1}) Es entstand dort natürlich ein extremer Hass bei den Sunniten, den wir beide in der Region auch erlebt haben, und das ist doch der Nährboden, auf dem Daesh jetzt so groß werden konnte . Darum gibt es in der sunnitischen Bevölkerung heute eine derart breite Unterstützung für diese Terrormiliz . An einem Punkt sind wir alle uns einig: Sie werden Daesh im Irak nur bekämpfen können, wenn es wieder eine inklusive, ausgewogene und faire Zentralregierung in Bagdad gibt, in der alle Bevölkerungsgruppen - die Sunniten, die Schiiten und die Kurden - gleichberechtigt vertreten sind . Sie machen mit dem Militäreinsatz jetzt genau das Gegenteil und greifen sich die eine Kraft im Irak he raus, die im Moment am lautesten sagt: Wir wollen uns abspalten . - Ihr Partner, der Präsident der nordirakischen Autonomieregion, Massud Barzani, sagt doch ganz klar, dass er die Abspaltung und einen eigenen Nationalstaat möchte . Hier entsteht jetzt Ihr Problem; denn Massud Barzani hat heute schon die wirtschaftlichen und auch die kulturellen Voraussetzungen für die Abspaltung . Das Einzige, was ihm noch fehlt, ist die militärische Stärke, und diese liefern Sie ihm jetzt frei Haus . Sie liefern die Waffen und bilden seine Leute aus . Damit machen Sie einen katastrophalen Fehler . Herr Mützenich, Sie selbst haben gerade gesagt, dass wir alle hier ein großes Interesse an der Einheitsregierung haben . Wir haben hier den klassischen Fall, dass Sie politisch das Richtige wollen, nämlich die Einheitsregierung - dafür tun Sie auf der politischen und der diplomatischen Ebene auch viel -, während Sie Ihre politischen Ziele durch die Militäraktion ganz praktisch unterminieren . Dieser Militäreinsatz macht alles kaputt, was Sie politisch vorhaben und wollen . Deswegen ist das ein Riesenfehler . Lassen Sie die Finger davon . ({2}) Ich komme zum zweiten Problem . Weiß irgendwer hier im Raum, wen genau Sie dort ausbilden? Wissen Sie eigentlich, wo, von wem und wofür diese Peschmerga eingesetzt werden? Auch das haben Sie wunderbar gesagt. Es gibt gerade Konflikte zwischen den beiden großen kurdischen Parteien im Nordirak . Sie waren vor wenigen Jahren schon einmal in einen blutigen Bürgerkrieg verwickelt . Das eskaliert gerade wieder . Können Sie ausschließen, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga in einem neuen Bürgerkrieg wieder eingesetzt werden? Können Sie ausschließen, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga schon heute zur Repression im Inneren von Barzani eingesetzt werden? Können Sie ausschließen, dass sie bei der Folterung von Journalisten eingesetzt werden? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die Menschenrechtsbilanz von Massud Barzani sehr düster ist . Können Sie eigentlich ausschließen, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga im Moment bei Kirkuk eingesetzt werden? Kirkuk ist die Stadt, die sich Massud Barzani verfassungswidrig unter den Nagel gerissen hat, ({3}) was natürlich massiv dazu beigetragen hat, dass der Konflikt mit der Zentralregierung in Bagdad weiter eskaliert ist . Denken Sie eigentlich, es gibt irgendeine Garantie dafür, dass die von Ihnen ausgebildeten Peschmerga bei weiteren Auseinandersetzungen um Territorien im Irak nicht eingesetzt werden? Nichts davon können Sie ausschließen, und vieles davon ist sogar sehr wahrscheinlich . Einiges ist im Moment schon passiert, und deshalb ist es verantwortungslos, deutsche Soldaten jetzt in diese Mission zu schicken . ({4}) Noch ein Wort zu den Waffen - Sie haben das auch erwähnt -: Wir wissen jetzt, dass Sie keine Garantie dafür haben, wo die Waffen am Ende landen . Sie werden im Moment auf verschiedenen Schwarzmärkten im Nordirak zum Verkauf angeboten . Niemand von uns kann sagen, wo diese Waffen in den nächsten Jahren von wem gegen wen zum Töten eingesetzt werden . Sie haben darüber keine Kontrolle . Deswegen muss ich abschließend sagen: Die Zwischenbilanz Ihres Einsatzes im Nordirak ist wirklich verheerend . Den Staatszerfall des Irak haben Sie weiter vorangetrieben, die Region mit weiteren 20 000 Sturmgewehren geflutet und die Peschmerga für alle schmutzigen Jobs ausgebildet . Lassen Sie das einfach sein . ({5}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte, nicht in den Nordirak, nicht in den Südirak und schon gar nicht in die Türkei . Danke schön . ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Herr van Aken, dass Sie in der Tat die völlig falschen Schlussfolgerungen aus der Situation im Nordirak ziehen . Natürlich ist es so, dass wir in der Vergangenheit hier in diesem Hause über kaum ein anderes Mandat heftiger diskutiert haben als über die Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak und die anschließende Ausbildungsunterstützungsmission der Bundeswehr . Aber wenn wir heute ein Zwischenresümee ziehen müssten, dann fiele es ausnahmslos positiv aus. Angesichts dieser Rahmenbedingungen kann man an dieser Stelle ein positives Resümee ziehen, weil sich all das, was auch vor einem Jahr vorgetragen worden ist - nämlich dass der Bundeswehreinsatz den IS stärkt, dass die Zerfallskräfte im Irak zunehmen, dass der Einsatz rechtlich nicht legitimierbar ist und dass er politisch falsch ist -, in der Zwischenzeit nicht bewahrheitet hat . ({0}) Ich will etwas zum Rahmen sagen . Es ist richtig, dass wir als Deutsche und auch als Europäer in unserem unmittelbaren Umfeld Verantwortung übernehmen . Das stärkt im Übrigen nicht nur die Europäische Union insgesamt, sondern auch den europäischen Pfeiler in der NATO, egal ob das ein Einsatz in Mali, in Nordafrika oder im Nahen und Mittleren Osten ist . Es ist richtig, wie wir uns dort engagieren . Herr Mützenich ist darauf eingegangen, was unmittelbar vor Ort tatsächlich an Positivem geleistet werden konnte . Wenn man in das Spätjahr 2014 geht, dann stellt man fest, dass damals die Peschmerga die einzige Bastion gegen den IS waren . Was haben sie erreicht? Im vergangenen November haben sie Sindschar zurückerobert . Sie haben beispielsweise die Autobahn 47 zwischen Rakka und Tikrit zurückerobert, die eine wichtige Logistiktrasse zwischen Irak und Syrien ist . Sie haben darüber hinaus westlich von Kirkuk neue Pufferzonen geschaffen . All das war richtig und wichtig . Auch die irakische Zentralregierung hat bedeutende Erfolge erzielt, beispielsweise mit der Rückeroberung von Tikrit und Ramadi . Auch wenn es illusorisch klingen mag, dass al-Abadi davon spricht, bis Ende des Jahres den IS vollständig vertrieben zu haben, so glaube ich schon, dass es klar ist, dass sich die Kräfteverhältnisse verändert haben . Da wäre es zu kurz gesprungen, nur darauf zu gucken, dass in den vergangenen zwölf Monaten der IS etwa 15 Prozent seiner Einflusssphäre verloren hat. In dieser Zeit ist auch anderes passiert . 10 000 islamistische Terroristen - darunter auch wichtige Köpfe des Terrorkalifats - sind getötet worden . Finanzierungsquellen werden Stück für Stück ausgetrocknet und Nachschubwege systematisch abgeschnitten . Das hat auch unmittelbare Erfolge . Man kann ja sehen, dass der IS an Schlagkraft verliert, dass er beispielsweise seinen Beschäftigten nur noch den halben Sold auszahlen kann, dass er nicht mehr so viele Terrorsöldner akquirieren kann wie in der Vergangenheit . Das Allerwichtigste ist, dass er ein Stück weit seinen Nimbus verliert, nämlich den Nimbus, in der fragilen Region für Stabilität sorgen zu können . Deswegen müssen wir exakt auf diesem Weg weitermachen; davon bin ich überzeugt . ({1}) Auf diesem Wege weiterzugehen, ist auch deshalb notwendig, weil trotz aller Erfolge der IS immer noch den Terrorismus nach Europa exportiert, weil er immer noch unsere Werte, unsere Art, zu leben, angreift und weil er darüber hinaus für immer neue Fluchtursachen in der Region verantwortlich ist . Man kann ganz unmittelbar sehen, dass das militärische Eingreifen und die Unterstützung in der Region letztlich verhindert haben, dass weitere Menschen aus dieser Region zu uns nach Europa und nach Deutschland kommen . Das hat im Übrigen auch dazu geführt, dass man die Arbeit des UN-Flüchtlingshilfswerks entsprechend unterstützen und in relativer Stabilität Flüchtlingscamps in der Region betreiben kann . Das ist notwendig und wichtig . Deshalb muss man diesen Weg weitergehen . Ich glaube, dass ein Beitrag sein muss, dem IS dort in der Region die Stirn zu bieten, wo er seine Wurzeln hat . Deshalb ist dieser Einsatz richtig . Das zeigt sich in Kobane, wohin die Menschen wieder zurückkehren . Vor genau einem Jahr haben die syrischen Kurden Kobane zurückerobert . Von den 400 000 Menschen, die dort in der engeren Region leben, sind etwa 200 000 wieder zurückgekehrt . Selbst nach Sindschar kehren die Menschen zurück, obwohl die Lage schwierig ist . Das heißt, dass die Menschen in der Region bleiben, wenn sie eine Perspektive haben . Diese Perspektive müssen wir auch mit militärischen Beiträgen eröffnen und sichere Pufferzonen für die Zivilbevölkerung schaffen . ({2}) Herr Mützenich, Sie haben richtigerweise gesagt, dass das nur ein Teil des Ganzen ist . Hinzu kommen 100 Millionen Euro an humanitärer Hilfe und 170 Millionen Euro, die wir einsetzen, um die staatlichen Strukturen im Irak zu stärken und letztlich dem IS den Nährboden zu entziehen . Das ist richtig . Man muss auch auf die Probleme in Bezug darauf hinweisen, was mit den Waffen passiert . Man muss mit der kurdischen Regionalregierung in Erbil und genauso mit der Zentralregierung in Bagdad deutlich sprechen, weil es nicht sein kann, dass internationale Gelder zurückgehalten werden und dass monatelang keine Gehälter gezahlt werden; denn damit wird die Grundlage geschaffen, mit diesem Geld Schindluder zu treiben . Ich will einen letzten Punkt ansprechen . Wir müssen den Blick auch etwas weiter in die Zukunft richten, wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen. Ich finde, Minister Müller hat mit seinem Zehn-Punkte-Plan und seinem Programm „Cash for Work“ exakt das Richtige getan, um für 500 000 Menschen in der Region die Grundlage nicht nur für eine Arbeits-, sondern auch für eine Lebensperspektive zu schaffen . Das ist der richtige Weg . ({3}) Es sind viele Punkte, die man zusammenbringen muss . Wir machen das . Deswegen sollten wir diesen Weg fortsetzen . Herzlichen Dank . ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Redner ist der Abgeordnete Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen .

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bedrohung durch ISIS ist ein Weltproblem . ISIS ist in den letzten zwölf Monaten eher stärker geworden . Sie haben in Libyen Territorium gewonnen . Sie haben das Chaos des unfassbaren Krieges im Jemen, vor allem von der Koalition um Saudi-Arabien geführt, genutzt, um dort Fuß zu fassen . Spätestens seit Paris wissen alle, dass ISIS sehr aktiv in Europa netzwerkt und arbeitet . Es gibt aber ein Land, in dem ISIS auf dem Rückzug ist . Das ist der Irak . Dazu haben dort sehr viele beigetragen . Dazu gehören auch die Region Nordirak und die kurdische Regionalregierung, denen man dafür danken muss . ({0}) Es ist gut, dass Deutschland dort einen Beitrag der Hilfe leisten will . Das ist keine Frage . Die Ausbildung hat etwas gebracht . Das bestreitet niemand von uns . Die Frontlinie ist stabilisiert . Das hat auch etwas mit der Ausbildung zu tun . Das zeigt sich daran, dass Sindschar gerade nach der Ausbildung der jesidischen Selbstverteidigungskräfte befreit worden ist . Dass es bei den Peschmerga und den Jesiden deutlich weniger Tote gibt, seit dort Sanitätskräfte ausgebildet worden sind, kann man nur richtig finden. Dafür muss man, finde ich, den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort arbeiten, danken . ({1}) Die Ausbildung ist wichtig und richtig . Dennoch haben wir Grüne uns letztes Jahr mit großer Mehrheit enthalten . Dies wird dieses Jahr genauso sein . Dafür gibt es einen zentralen Grund: Es gibt keine richtige Rechtsgrundlage . Das war bisher überhaupt kein Thema hier, und das wundert mich ein bisschen . Es ist völkerrechtlich korrekt, ein solches Mandat einzubringen . Es gibt eine Einladung der Zentralregierung aus dem Irak . Aber das reicht in Deutschland bekanntermaßen nicht . Wir haben das Grundgesetz, und es gibt eine klare Rechtsprechung aus Karlsruhe, die besagt, dass Einsätze nur im Rahmen der Systeme kollektiver Sicherheit erfolgen dürfen . Sie hatten zwölf Monate Zeit, verehrte Bundesregierung, eine solche Grundlage zu schaffen, beispielsweise in Form einer EU-Trainingsmission . Sie haben stattdessen versucht, eine Rechtsgrundlage herbeizufantasieren . In diesen Tagen gab es im Ausschuss einen Erklärungsversuch . Es hieß, ein System kollektiver Sicherheit sei nicht notwendig, weil es sich gar nicht um einen Einsatz handele . Dann frage ich mich, warum Sie das mandatieren . Die Antwort ist eindeutig: Es handelt sich um einen Einsatz von bewaffneten Soldaten und Soldatinnen 30 Kilometer hinter der Frontlinie . Deshalb ist es absurd, dass Sie sich nicht um eine Rechtsgrundlage bemüht haben . Das führt dazu, dass wir auch in diesem Jahr mit großer Mehrheit nicht zustimmen können . ({2}) Gleichzeitig dürfen wir das politische Umfeld nicht aus den Augen verlieren; natürlich müssen wir auch darüber reden . Man muss sehen, dass mit abnehmendem militärischem Druck viele alte Gräben innerhalb der kurdischen Fraktionen aufbrechen . Es ist teilweise hoch dramatisch . Man darf nicht vergessen, dass der Parlamentspräsident nicht mehr das Parlament betreten darf, dass vier Minister ausgesperrt wurden, dass Parteien, die große Wahlerfolge erzielt haben, aus dem Parlament ausgeschlossen werden und dass Demonstranten niedergeknüppelt werden . Es gibt viele Berichte - nicht nur den aktuellen Bericht von Amnesty International, sondern auch den von Human Rights Watch aus dem letzten Jahr -, in denen klar beschrieben wird, dass die arabische Bevölkerung von Kurden vertrieben wird . Es werden starke Vorwürfe erhoben, die man ernst nehmen und denen man dringend nachgehen muss . Auch die Pressefreiheit ist sehr stark beschränkt . Ich zitiere aus einer Mail, die ich von einem mir bekannten Journalisten aus Erbil - er ist dort mittlerweile nicht mehr - bekommen habe: Ich lebe derzeit in einem Asylbewerberlager . Ich habe vor, in Deutschland zu bleiben und hier Asyl zu beantragen . Die Sicherheitskräfte der KDP griffen mein Büro an und verhafteten mich . Als ich später eine Todesdrohung erhielt, habe ich Kurdistan-Irak verlassen, und bin, um mein Leben zu retten, nach Deutschland gekommen . Das zeigt das Wagnis auf und verpflichtet uns, über die Missstände laut und klar zu sprechen . ({3}) Das wird derzeit aber nicht gemacht . Viele deutsche Minister sind nach Erbil gefahren . Das war auch richtig, aber ich habe die klare Sprache nicht gehört . Es gibt sehr vieles, worüber man reden müsste . Der Kollege Mützenich hat vorhin zum Beispiel die Einbindung der Peschmerga in die irakischen Sicherheitskräfte angesprochen . Eine solche Einbindung fehlt noch immer . Wir sind hier nicht weiter als vor zwölf Monaten . Hinzu kommen nun noch Berichte darüber, dass seit fünf Monaten kein Sold mehr an die Peschmerga gezahlt wurde . Die kurdische Regionalregierung steht unter immensem finanziellen Druck. Daher ist es umso wichtiger, auf die Sicherheitssektorreform zu achten und zu helfen, aber auch gleichzeitig - weil es sich hier um einen wichtigen Partner im Kampf gegen ISIS handelt - laut und klar anzusprechen, was dort alles falsch läuft . Es läuft sehr viel falsch . Darüber muss man sprechen . ({4}) Der letzte Punkt, der schon im letzten Jahr zu großen Diskussionen geführt hat, sind die Waffenlieferungen . Wir haben auch innerhalb der Fraktion der Grünen sehr heftig darum gerungen . Das ist bei einer solch zentralen Frage auch richtig . Aber angesichts der vorliegenden Berichte über einen Schwarzmarkt für Waffen in einer der am meisten proliferationsgefährdeten Gegenden der Welt brauchen wir Aufklärung . Die Bundesregierung kommt ihrer Nachweisverpflichtung allerdings nicht nach. Es reicht nicht, zu sagen: Es gibt eine Endverbleiberklärung . - Wir brauchen eine Endverbleibkontrolle . Wir wollen sehen, wo die Waffen geblieben sind, damit wir über die nächsten Schritte beraten können . Stattdessen verspricht Frau von der Leyen nach jeder Reise weitere Waffenlieferungen . So wird das nicht funktionieren . Machen Sie Ihre Hausaufgaben, wenn Sie wollen, dass wir in zwölf Monaten mit Ihnen gemeinsam zustimmen . Ich bin relativ sicher, dass wir in zwölf Monaten erneut darüber beraten müssen .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege .

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist nicht fair, ohne Rechtsgrundlage und damit auf Kosten der Soldatinnen und Soldaten ein solches Mandat vorzulegen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({0})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Es reißt ein bisschen ein - das hat schon der Vorredner gemacht -, dass man den letzten Punkt ankündigt, nachdem die Redezeit abgelaufen ist . Wenn das PräsidiOmid Nouripour um hoffnungsvoll denkt, dass sich der Redner daran hält, dann wird das meistens ein bisschen ausgedehnt . Es ist eine Frage der Fairness, dass sich alle an ihre Redezeit halten . Nächster Redner ist der Abgeordnete Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, herzlichen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verlängern heute das Mandat für die Ausbildungsmission im Norden Iraks . Warum bilden wir aus? Weil der furchtbare IS-Terror sonst voranschreitet, Menschen umbringt und eine ganze Region destabilisiert . Wen bilden wir aus und wozu? Wir bilden kurdische Kämpfer vor Ort aus, damit sie in die Lage versetzt werden, die eigene Heimat zu verteidigen . In welchen Bereichen bilden wir aus? Wir bilden für Sanitätstätigkeiten, Minenräumung, Kampf und Schutz aus . Meine Damen und Herren, diese Ausbildungsmission trägt auch dazu bei, die Fluchtursachen dort zu bekämpfen, wo sie entstehen . Wir müssen gemeinsam einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen diesen unmenschlichen IS-Terror leisten, gegen den sogenannten „Islamischen Staat“, der im Zentrum Nordiraks und in Syrien wirkt und wie ein Franchisesystem versucht, die Welt zu destabilisieren . Der IS-Terror ist eine Bedrohung für den Weltfrieden, und dem stellen wir uns gemeinsam entgegen . ({0}) Es leiden insbesondere die Jesiden dort vor Ort . Hunderte, ja Tausende jesidische Männer sind getötet worden; Hunderte, ja Tausende Frauen und Mädchen sind verschleppt oder getötet worden . Viele Mädchen sind noch in den Händen dieser Barbaren . Ich wiederhole: Viele Mädchen sind noch in den Händen dieser Barbaren . Sehr geehrter Herr Kollege van Aken, ich habe Ihnen ganz genau zugehört . Sie haben das Leid dieser Menschen nicht mit einem Wort angesprochen - nicht mit einem Wort -, nur damit Sie Ihre Programmatik hier von diesem Pult aus vertreten konnten . Das ist keine Verantwortung, das ist Augenverschließen vor dem Leid vieler Menschen . Das ist nicht zu akzeptieren, meine Damen und Herren . ({1}) Genau vor dieser Gewalt fliehen nämlich die Menschen, weil sie keine andere Zuflucht finden. Sie geben ihre Heimat auf, sie kommen auch nach Deutschland, weil sie Schutz suchen . Das stellt unsere Gesellschaft vor eine große Herausforderung . Der IS versucht beispielsweise, in Libyen einen neuen Brückenkopf zu bilden, dort Fuß zu fassen und von dort aus über das Mittelmeer Europa zu destabilisieren . Das müssen wir verhindern - auch zum Schutz unseres Landes. Wir müssen uns dort engagieren, wo die Konflikte entstehen; wir müssen dort aktiv werden, wo die Konflikte auch uns bedrohen . Ansonsten werden sich noch mehr Menschen auf die Flucht machen . Ja, es ist ein innerislamischer Konflikt, und die arabischen Staaten sind mehr denn je aufgefordert, selbst Verantwortung zu tragen . Ja, es ist ein innerislamischer Bürgerkrieg . Aber es liegt auch im europäischen Interesse und insbesondere im deutschen Interesse, diesen Konflikt zu entschärfen und zu verhindern, dass sich die Lage weiter destabilisiert . Es ist vor allem auch eine Frage der Menschlichkeit, meine Damen und Herren, Menschen zu schützen und sie nicht sterben zu lassen . Auch deswegen helfen wir, auch deswegen erteilen wir dieses Mandat . ({2}) Es geht auch darum, dass wir den kurdischen Peschmerga weiter beistehen, die den IS auf breiter Front zurückgedrängt haben . Das zeigt, dass diese Strategie erfolgreich ist . Kollege Frei hat es deutlich dargestellt . Deswegen werden wir die Anzahl der im Rahmen dieser Mission eingesetzten deutschen Soldatinnen und Soldaten von 100 auf 150 erhöhen . Dieses Mandat ist rechtlich abgesichert . Kollege Mützenich hat es deutlich herausgestellt . Ich sage auch an die Adresse der Grünen: Es gibt immer viele Ausreden, die man suchen könnte, um einem solchen Mandat nicht zuzustimmen . Aber jetzt eine solche Position zu beziehen, das ist nicht verantwortungsvoll . ({3}) Wir ertüchtigen die Menschen vor Ort - das ist nachhaltig -, selbst für Stabilität in der Region zu sorgen . Das ist Nachhaltigkeit und keine Ideologie, die Ihnen passen würde . Die Verantwortung und die Wahrnehmung der Realität sind Maßstab für uns, meine Damen und Herren . ({4}) Wer zu seiner Verantwortung in der Welt steht, der darf sich der Last, die sich daraus ergibt, nicht entziehen . Das ist ein gutes Motto, wie ich finde. Deswegen sage ich: Nicht mit erhobenem Zeigefinger an der Seite stehen, ({5}) sondern Verantwortung übernehmen . Wir, die Union, übernehmen Verantwortung mit unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit unserer Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und mit unseren Koalitionspartnern, allen voran Außenminister Steinmeier . Ich danke diesen Lebensrettern, und ich danke vor allem den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die oft auch selbst Mütter und Väter sind, die einen Beitrag zur Stabilisierung leisten und dazu, dass die Menschen nicht vor diesem Terror fliehen. Es ist auch gut, dass wir unseren Soldaten die notwendige Ausrüstung zur Verfügung stellen . 130 Milliarden Vizepräsident Peter Hintze Euro - so hat es unsere Verteidigungsministerin gesagt sind notwendig . Wir stellen diese Mittel zur Verfügung . Sie dienen dem Schutz unserer Soldaten . Die Bundeswehr ist Garant für die Sicherheit . Wir alle haben den Auftrag, den Frieden und die Sicherheit in dieser Welt zum Nutzen der Menschen zu stabilisieren . Herzlichen Dank . ({6})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich dem Abgeordneten Dr . Reinhard Brandl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . ({0})

Dr. Reinhard Brandl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004018, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im August 2014 hatten wir uns hier in diesem Saal zu einer Sondersitzung versammelt . Wir waren schockiert über den Erfolg und die scheinbare Unbesiegbarkeit der Terrororganisation IS, die damals nach und nach immer mehr Gebiete im Irak erobert hatte . Ich erinnere mich gut: Sie stand damals 40 Kilometer vor Erbil, und es waren die Peschmerga-Kämpfer, die sich ihr entgegengestellt haben und in deren Gebiet damals Zehntausende Jesiden und Christen geflohen waren. Wir haben uns damals in einer schwierigen Abwägung und nach einer sehr intensiven Debatte dafür entschieden, den Peschmerga im Kampf gegen den IS beizustehen, sie zuerst auszurüsten und danach auch auszubilden, wohl wissend, welche Risiken damit verbunden sind, in einen laufenden Konflikt Waffen zu liefern, und wohl wissend, was für ein Risiko es auch für den Irak sein kann, wenn wir eine Gruppe in diesem fragilen Staatsgebilde plötzlich direkt unterstützen . Im Nachhinein war diese Entscheidung richtig . Erbil konnte gehalten werden . Der Mythos der Unbesiegbarkeit des IS wurde gebrochen, und nach und nach konnten die Peschmerga weitere Gebiete zurückerobern, wie zum Beispiel die Stadt Sindschar im November 2015 . All das wäre ohne die internationale und insbesondere die deutsche Hilfe nicht möglich gewesen . Ich war im letzten Jahr, wenige Monate später, mit einigen Kollegen zu Gast in Erbil und habe dort mit Vertretern der kurdischen Regionalregierung, der Peschmerga und auch der Bundeswehr gesprochen . Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen, die zeigen, wie die Hilfe der Bundeswehr tatsächlich vor Ort wirkt . Erstes Beispiel . Der IS hatte damals Lastwagen voll mit Sprengstoff gepackt und mit Metallplatten notdürftig gepanzert . Selbstmordattentäter haben diese Fahrzeuge damals in die kurdischen Dörfer gefahren und an den Stellungen der Peschmerga explodieren lassen . Die Peschmerga konnten dem nichts entgegensetzen . Sie waren dem hilflos ausgeliefert. Mit den Milan-Raketen, mit denen wir sie unterstützt haben, konnten sie nun erstmals diese Fahrzeuge auch auf Distanz bekämpfen, was zum einen die Verteidigungsfähigkeit, zum anderen aber auch die Moral der Truppe enorm erhöht hat . Zweites Beispiel: Sanitätsausbildung . Die Peschmerga haben damals sehr viele Kämpfer verloren, weil sie einfach nicht wussten, wie sie bei Verletzungen handeln sollen und wie sie bei einem Massenanfall von Verletzten reagieren sollen . Die Sanitätsausbildung der Bundeswehr - ganz einfache Dinge wie das Stillen von Blutungen zum Beispiel - hat massiv dazu beigetragen, dass deutlich weniger Opfer anfallen, und auch das hat die Verteidigungsfähigkeit erhöht und die Moral der Truppe gestärkt . ({0}) Der Einsatz war ein Erfolg . Er war vor allem wegen der Kombination von Waffenlieferungen und Ausbildung ein Erfolg . Ein Element alleine hätte diese Wirkung nicht gehabt. Auch das können wir für zukünftige Konfliktsituationen lernen . Aber der Einsatz ist nur ein Mosaikstein; er ist ein Erfolg, aber isoliert betrachtet ist er keine Lösung . Meine Damen und Herren, fokussieren wir uns einmal nur auf den Nordirak . Wir waren dort bei der Regionalregierung . Diese sagte: Klar, der Kampf gegen den IS ist eines unserer Probleme, aber wir haben noch zwei viel größere Probleme . Erstens sind wir praktisch zahlungsunfähig . Wir können unsere Kämpfer und unsere Staatsbediensteten nicht bezahlen . Zweitens wissen wir auch nicht, wie wir die im Moment 350 000 Flüchtlinge, die in unserer Region sind, tatsächlich versorgen sollen, vor allem auf lange Sicht . - Auch dafür braucht der Nordirak unsere Unterstützung . Wir haben uns damals auch mit Vertretern von Christen und Jesiden getroffen . Die haben uns berichtet, dass, als der IS kam und sie vertrieben wurden, es ihre arabischen Nachbarn waren, die begonnen haben, ihre Häuser zu plündern . Meine Damen und Herren, das allein zeigt, was für eine große Aufgabe die Menschen in der Region im Hinblick auf Aussöhnung und Wiederaufbau noch vor sich haben . Wir sollten jenseits dieses Einsatzes dann, wenn die Waffen schweigen, wenn der IS besiegt ist, diese Menschen nicht vergessen . Sie sind auf unsere Hilfe dringend angewiesen . Ich kann für unsere Fraktion sagen, dass wir diese Menschen nicht vergessen werden und dass wir ihnen auch dann zur Seite stehen werden . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({1})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache . Zur gleich folgenden Abstimmung liegen mehrere Er- klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1) 1) Anlagen 2 bis 4 Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär- tigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicher- heitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7367, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/7207 anzunehmen . Wir stimmen über die Beschlussempfeh- lung namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall . Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung . Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall . Ich schließe jetzt die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben .1) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7377 . Wer stimmt für den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie- ßungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .2) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a und 28 b sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 28 a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Designgesetzes und wei- terer Vorschriften des gewerblichen Rechts- schutzes Drucksache 18/7195 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr . Julia Verlinden, Stephan Kühn ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Behinderung des Windenergieausbaus durch Radaranlagen Drucksache 18/7050 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 2 Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung Drucksache 18/7359 1) Ergebnis Seite 14947 C 2) Anlage 5 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 h sowie den Zusatzpunkt 3 auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Tagesordnungspunkt 29 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. November 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusammenarbeit im Bereich des Eisenbahnverkehrs über die deutsch-polnische Staatsgrenze Drucksache 18/6931 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({3}) Drucksache 18/7256 Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 18/7256, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6931 anzunehmen . Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plät- zen zu erheben . - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .3) Tagesordnungspunkt 29 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Mess- und Eichgesetzes Drucksache 18/7194 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({4}) Drucksache 18/7382 3) Anlage 6 Vizepräsident Peter Hintze Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7382, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/7194 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen . Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Keiner . Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 29 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({5}) zu der Verordnung der Bundesregierung Fünfte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/6522, 18/6605 Nr. 2, 18/7222 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7222, die Aufhebung der Verordnung auf Drucksache 18/6522 nicht zu verlangen . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Tagesordnungspunkte 29 d bis 29 h . Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses . Tagesordnungspunkt 29 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 272 zu Petitionen Drucksache 18/7251 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 272 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 29 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 273 zu Petitionen Drucksache 18/7252 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 273 ist angenommen worden mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke . Tagesordnungspunkt 29 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 274 zu Petitionen Drucksache 18/7253 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 274 mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 29 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 275 zu Petitionen Drucksache 18/7254 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 275 auf Drucksache 18/7254 angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei keiner Enthaltung . Tagesordnungspunkt 29 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 276 zu Petitionen Drucksache 18/7255 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Sammelübersicht 276 auf Drucksache 18/7255 mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion angenommen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei keiner Enthaltung . Zusatzpunkt 3: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({11}) zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr Chancen für die Menschen und die Unternehmen KOM({12}) 550 endg.; Ratsdok. 13370/15 hier: Politischer Dialog mit EU-Institutionen Drucksachen 18/6855 A.5, 18/7395 Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist das mit Zustimmung aller Fraktionen so beschlossen . Vizepräsident Peter Hintze Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({13}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Raif Badawi sofort freilassen - Völkerrechtswidrige Strafen in Saudi-Arabien abschaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin GöringEckardt, Tom Koenigs, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Ja zur Meinungsfreiheit, nein zur Folter Menschenrechte in Saudi-Arabien schützen, Raif Badawi freilassen Drucksachen 18/3832, 18/3835, 18/5450 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen . Bevor ich die Aussprache eröffne, verlese ich noch das Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der zweiten namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung mit dem Titel „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“, Drucksachen 18/7207 und 18/7367: abgegebene Stimmen 570 . Mit Ja haben gestimmt 441, mit Nein haben gestimmt 81, enthalten haben sich 48 Kolleginnen und Kollegen . Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 572; davon ja: 442 nein: 82 enthalten: 48 Ja CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({14}) Veronika Bellmann Dr . Andre Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Hermann Färber Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({15}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({16}) Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Florian Hahn Dr . Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({17}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann ({18}) Karl Holmeier Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Andreas Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Jens Koeppen Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Vizepräsident Peter Hintze Barbara Lanzinger Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer ({19}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Carsten Müller ({20}) Stefan Müller ({21}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Alexander Radwan Alois Rainer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Anita Schäfer ({22}) Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({23}) Gabriele Schmidt ({24}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({25}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({26}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({27}) Christina Schwarzer Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Carola Stauche Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Stritzl Thomas Strobl ({28}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Volkmar Vogel ({29}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({30}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({31}) Sabine Weiss ({32}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({33}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar G . Wöhrl Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding ({34}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr . h .c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({35}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({36}) Marcus Held Wolfgang Hellmich Heidtrud Henn Gustav Herzog Dr . Eva Högl Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Arno Klare Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({37}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Dr . Birgit Malecha-Nissen Katja Mast Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller ({38}) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post ({39}) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({40}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({41}) Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({42}) Matthias Schmidt ({43}) Dagmar Schmidt ({44}) Carsten Schneider ({45}) Elfi Scho-Antwerpes Ewald Schurer Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr . Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Tom Koenigs Nein SPD Ulrike Bahr Marco Bülow Dr . Ute Finckh-Krämer Gabriele Hiller-Ohm Ralf Kapschack Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Mahmut Özdemir ({46}) Dr . Nina Scheer Swen Schulz ({47}) Kerstin Tack Waltraud Wolff ({48}) DIE LINKE Dr . Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W . Birkwald Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Dr . Andre Hahn Heike Hänsel Dr . Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({49}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Harald Petzold ({50}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Dr . Axel Troost Kathrin Vogler Dr . Sahra Wagenknecht Harald Weinberg Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({51}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Uwe Kekeritz Katja Keul Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Corinna Rüffer Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Beate Walter-Rosenheimer Enthalten SPD Petra Hinz ({52}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Marieluise Beck ({53}) Volker Beck ({54}) Dr . Franziska Brantner Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Stephan Kühn ({55}) Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({56}) Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Dr . Valerie Wilms Wir kommen nun zur Aussprache . Als Erster in dieser Aussprache erteile ich das Wort der Abgeordneten Dr . Ute Finckh-Krämer, SPD-Fraktion . ({57})

Dr. Ute Finckh-Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004273, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Ziemlich genau vor einem Jahr haben wir die beiden Anträge zum ersten Mal diskutiert, und vor etwa zwei Wochen das Thema „Menschenrechte in und Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien“ in Aktuellen Stunden behandelt . Raif Badawi und sein Anwalt Walid Abu al-Chair sind immer noch in Haft . Dass die Prügelstrafe gegen Badawi weiterhin ausgesetzt ist, ist ein schwacher Trost, auch wenn wir uns darüber freuen . Besorgniserregend sind dagegen die 47 Hinrichtungen Anfang Januar, bei denen mit dem schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr jemand hingerichtet wurde, der sich ausdrücklich für friedliche politische Proteste eingesetzt hatte . Es ist daher absolut unpassend, wenn in einem aktuellen Hintergrundbericht über Saudi-Arabien in der Wirtschaftswoche vom 15 . Januar dieses Jahres versucht wird, die Hinrichtungen und den Krieg im Jemen folgendermaßen zu erklären - ich zitiere -: „Dass Saudi-Arabien derzeit so wild um sich schlägt, ist auch ein Zeichen seiner ökonomischen Krise“, und dann kein weiteres Wort über die Menschenrechtssituation im Land verloren wird . Denn wir können getrost davon ausgehen, dass die saudische Regierung nicht nur wahrnimmt, wie im Bundestag über ihr Land diskutiert wird, sondern dass sie auch die Berichterstattung in den deutschen Medien verfolgt . Die Wirtschaftswoche profitiert hier ganz selbstverständlich von der Pressefreiheit . Wenn in ihrem Bericht nicht erwähnt wird, wie schlecht es um die Meinungs- und Pressefreiheit in Saudi-Arabien bestellt ist, entsteht bei der saudischen Regierung der Eindruck, dass die wirtschaftlichen Beziehungen wichtiger genommen werden als zentrale Menschenrechte in ihrem Land . Das ist ein fatales Zeichen . Wir wären wohl alle froh, wenn wir als Bundestag die Macht hätten, die sofortige Freilassung nicht nur von Raif Badawi und Walid Abu al-Chair durchzusetzen, sondern auch die von allen anderen politischen Gefangenen in Saudi-Arabien . ({0}) Leider haben wir diese Macht nicht . Also stellt sich die Frage, was wir als Abgeordnete zur Unterstützung politischer Gefangener tun können . Das Berliner Global Public Policy Institute, GPPI, hat sich im letzten Herbst auf einer Fachtagung mit dieser Frage beschäftigt . Die ausführliche Tagungsdokumentation enthält konkrete Empfehlungen an den Deutschen Bundestag, die ich im Folgenden vorstellen und kommentieren möchte . Erste Empfehlung - Zitat -: Öffentliche Stellungnahmen einzelner Ausschüsse zu Fällen politischer Haft sowie Anträge zur Abstimmung im Bundestag sollten fraktionsübergreifend getragen werden, damit ein deutliches politisches Signal an Entscheidungsträger im Ausland gesandt wird . Es ist also schade, dass es vor einem Jahr keine Versuche gab, einen fraktionsübergreifenden Antrag zustande zu bringen, sondern stattdessen zwei Oppositionsanträge vorgelegt wurden . Zweite Empfehlung - Zitat -: Alle Bundestagsabgeordneten sollten das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ des Menschenrechtsausschusses unterstützen und mindestens eine Patenschaft übernehmen . ({1}) Die Auswahl der Einzelfälle - so die Empfehlung weiter kann nach eigenen geographischen und inhaltlichen Interessen erfolgen, wobei sich die Abgeordneten bemühen sollten, besonders gefährdete politische Gefangene zu priorisieren . Dabei muss die wohlinformierte Einwilligung nach erfolgter Aufklärung ({2}) stets gesichert sein . Derzeit haben von uns 630 Abgeordneten 50 eine oder mehrere Patenschaften für politisch verfolgte Parlamentsabgeordnete, Journalistinnen bzw . Journalisten oder Menschenrechtsverteidigerinnen bzw . Menschenrechtsverteidiger übernommen . Wir alle können in unseren Fraktionen dafür werben, dass diese Zahl deutlich ansteigt . Dritte Empfehlung: Auf Auslandsreisen in Länder, in denen politische Haft systematisch als Machtinstrument eingesetzt wird, sollten Bundestagsabgeordnete nicht nur Einzelfälle in ihren Gesprächen mit Regierungsvertreterinnen ansprechen . Sie sollten vielmehr auch um Besuchstermine im Gefängnis oder bei unter Hausarrest stehenden Personen bitten und bei der Übernahme einer Patenschaft wenn möglich auch Prozessen beiwohnen . Das ist sicher nicht immer mit unseren Zeitplänen und Reisezielen vereinbar, könnte aber in Einzelfällen hilfreich sein, gerade dann, wenn politischen Gefangenen andere Besuche verweigert werden . Vierte Empfehlung: Wo erforderlich sollten deutsche Bundestagsabgeordnete auf eine bessere medizinische Versorgung, die Ermöglichung von Familienbesuchen oder andere Hafterleichterungen drängen . Die deutsche Botschaft vor Ort sollte vorab die betroffene Person oder ihre Familie nach Bedarf aufklären und die notwendige Zustimmung einholen . Diese Empfehlung ist fast eine Selbstverständlichkeit: Keine Alleingänge machen, sondern die Betroffenen und ihre Familien einbeziehen, die Vor- und Nachteile eines Appells von außen besser abschätzen können als wir, was allerdings dann schwierig wird, wenn - wie im Fall von Raif Badawi - Ehefrau und Schwester unterschiedliche Standpunkte vertreten . Die fünfte Empfehlung bezieht sich darauf, dass auch das Bundestagspräsidium vor Auslandsreisen überlegen soll, was es zur Unterstützung politischer Gefangener tun kann . Die sechste Empfehlung betrifft wieder uns alle - Zitat -: Die Menschenrechtspolitik darf nicht ausschließlich an den Menschenrechtsausschuss delegiert werden . Das unterstütze ich nachdrücklich, ebenso die Forderung, vor Auslandsreisen frühzeitig Kontakt zu geeigneten Menschenrechtsorganisationen aufzunehmen . Auch der siebte Vorschlag könnte von einigen von uns umgesetzt werden: … Abgeordnete mit … Erfahrungen in der Einzelfallarbeit sollten parteiübergreifend bei jüngeren Bundestagsabgeordneten für ein aktiveres Engagement für politische Häftlinge werben, von Erfolgen berichten und, wenn erwünscht, auch individuelles Coaching anbieten . Auch der regelmäßige „Erfahrungsaustausch auf der Mitarbeiterebene“ kann unser Engagement für politische Gefangene verstärken . Das alles bezieht sich nicht nur auf politische Gefangene in Saudi-Arabien . Viele von uns setzen sich für den iranischen Menschenrechtsanwalt Abdolfattah Soltani ein, der durch die originelle Facebook-Aktion „Kochen für Soltani“, die von seiner in Nürnberg lebenden Tochter ins Leben gerufen wurde, weltweit bekannt geworden ist . Wir freuen uns darüber, dass er eine Woche Hafturlaub erhalten hat, denken aber an die vielen politischen Gefangenen im Iran, die weniger bekannt sind als er . Wie in Saudi-Arabien gibt es im Iran jährlich Hunderte von Hinrichtungen, darunter auch von zur Tatzeit Minderjährigen . Ähnliches gilt für Ägypten oder Pakistan . Von den Vorschlägen der erwähnten Fachtagung, die Mitglieder der Bundesregierung betreffen, möchte ich einen herausgreifen . Er lautet - Zitat -: In Gesprächen über einzelne politische Gefangene hinter verschlossenen Türen sollte die Bundesregierung immer kritischer auftreten als in der Öffentlichkeit . Außenminister Steinmeier war gestern in der Sitzung des Menschenrechtsausschusses und hat dabei unter anderem dargelegt, welche Fälle politischer Gefangener er im vergangenen Jahr in vertraulichen Gesprächen angesprochen hat . So verlockend es im Einzelfall sein kann, sich öffentlich zu äußern; oft ist es politisch unklug, weil es eine gesichtswahrende Richtungsänderung der betreffenden Regierungen erschwert . Ich hoffe, dass Außenminister Steinmeier bei seiner bevorstehenden Reise nach Saudi-Arabien und in den Iran die genannten und weitere Fälle ansprechen kann . Meinungs- und Pressefreiheit, das Verbot der Todesstrafe und andere menschenrechtliche Errungenschaften wurden in der deutschen und in der europäischen Geschichte mühsam erkämpft und sind Teil unserer politischen Kultur geworden . Wir können auf ihre Vorteile verweisen und andere ermutigen, unserem Beispiel zu folgen . Danke schön . ({3})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Inge Höger, Fraktion Die Linke . ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Blogger und Träger des Sacharow-Preises für Meinungsfreiheit, Raif Badawi, wurde vor etwas mehr als einem Jahr in Saudi-Arabien zu zehn Jahren Haft und 1 000 Peitschenhieben verurteilt . Ashraf Fayadh, ein junger Dichter mit palästinensischen Wurzeln, wurde vor zwei Monaten ebenfalls in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt . Anfang dieses Jahres wurden vom saudischen Regime zeitgleich 47 Menschen hingerichtet, unter ihnen ein populärer Prediger, der sich mit friedlichen Mitteln für Menschenrechte und Demokratie einsetzte . Die Todesstrafe steht in Saudi-Arabien nicht nur auf religiöse Verstöße und schwere Verbrechen, sondern auch auf Homosexualität . Nach Angaben der Vereinten Nationen wurde die Todesstrafe im Jahr 2015 157-mal vollstreckt, gern auch öffentlich . Es ist wirklich unerträglich, dass genau dieses Land eines der engsten Partnerländer Deutschlands im arabischen Raum ist . ({0}) Dabei wissen Sie es doch besser . Die Homepage des Auswärtigen Amtes ist da sehr klar - Zitat -: Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie … Ein Parlament gibt es nicht … Kritik am König, der Herrscherfamilie, der Herrschaft der Königsfamilie an sich und an der islamischen Religion saudischer Auslegung stellen … rote Linien dar … KörperDr. Ute Finckh-Krämer strafen wie zum Beispiel Stockhiebe werden regelmäßig vollzogen, Dissidenten werden inhaftiert, Frauen werden wesentliche Menschenrechte vorenthalten, minderjährige Mädchen zwangsverheiratet, . . . die schiitische Minderheit im Osten des Landes wird diskriminiert, und ausländische Arbeitnehmer können ihre Rechte häufig nicht durchsetzen. Die Definition der Straftatbestände lässt … die Tür dazu offen, jedwede Art und Äußerung von Opposition als „terroristischen“ Straftatbestand zu verfolgen und zu ahnden . So weit das Auswärtige Amt . Sogar der Bundesnachrichtendienst warnte kürzlich vor einer Idealisierung Saudi-Arabiens als außenpolitischer Partner der Bundesrepublik . Das Land betreibe eine zunehmend aggressive Außenpolitik . Hören Sie also endlich damit auf, dieses Land als strategischen Verbündeten und Stabilitätsanker zu behandeln! ({1}) Die Politik gegenüber Saudi-Arabien scheint weniger von dem Gedanken an Menschenrechte oder Demokratie als von den Gewinnerwartungen der Industrie bestimmt zu werden . Nach wie vor werden Waffenlieferungen in dieses Land genehmigt . Der Krieg im Jemen, das Niederschlagen der Demokratiebewegung in Bahrain, die Beteiligung am Krieg in Syrien, Massenhinrichtungen, Missachtung von Frauenrechten, Entrechtung von Millionen von ausländischen Arbeitskräften - all das sollte Grund genug sein, die enge Kooperation zu beenden . Seit 2009 bilden 30 deutsche Polizisten im Land Grenzschützer aus . Der Einsatz steht im engen Zusammenhang mit einem Milliardenprojekt des Rüstungskonzerns EADS, der dort Grenzsicherungsanlagen baut . Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, fordert die Beendigung dieses Einsatzes . Zitat Radek: Das saudi-arabische Königreich hat mit seinem Feudalsystem mit unseren Vorstellungen eines Rechtsstaats nichts gemein . ({2}) Doch die Bundesregierung lässt weiter Waffen liefern . Patrouillenboote sollen es diesmal sein . Das Ganze hat angeblich einen defensiven Charakter . Es geht um 15 Patrouillenboote für 1,5 Milliarden Euro . Die Boote sichern die aggressive Außenpolitik der Saudis ab und werden zur weiteren Destabilisierung der Region beitragen . Die Lieferung von 270 Leopard-Kampfpanzern ist erst einmal gestoppt worden, aber der Export von Lizenzen hat es ermöglicht, dass das Land sich nun in Spanien mit Panzern versorgen kann . Beenden Sie die Kungelei mit dem saudischen Regime! Schluss mit den Waffenexporten! ({3}) 210 000 Unterschriften hat Amnesty International für Raif Badawis Freilassung gesammelt . Kürzlich wurde die Schwester von Herrn Badawi gemeinsam mit ihrer zwei Jahre alten Tochter ins Gefängnis geworfen, ebenso sein Rechtsanwalt . Badawis Ehefrau hat seit Wochen keinen Kontakt mehr zu ihm . Er wurde an einen unbekannten Ort verlegt . Dort wartet man wohl darauf, dass die Wunden der ersten 50 Peitschenhiebe verheilen, damit ihm dann die restlichen 950 verabreicht werden können . Körperlich sowie psychisch sei Badawi bereits vor der Verlegung am Ende gewesen, sagt seine Ehefrau . Ihre Bitte an die Bundesregierung, mehr für seine Freiheit zu tun, kann ich nur aus vollem Herzen unterstützen . Herr Badawi ist inzwischen Teil des parlamentarischen Schutzprogramms des Bundestages . Jetzt ist die Regierung dran . Wenden Sie sich endlich öffentlich gegen das barbarische Justizsystem in Saudi-Arabien! ({4}) Setzen Sie sich für die sofortige Freilassung von Badawi ein, und bieten Sie ihm in Deutschland politisches Asyl an! ({5})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Nächster Redner ist der Abgeordnete Frank Heinrich, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Über Menschenrechte zu sprechen, heißt immer auch, über Menschen zu sprechen . Menschenrechte sind Individualrechte . Sie betreffen einzelne Personen, einzelne geschichtliche Orte, einzelne Lebensumstände . Wer für Menschenrechte im Allgemeinen plädiert, ohne das Individuum im Besonderen zu schützen, hat das Prinzip nicht verstanden . Und doch geht unsere Debatte heute weit darüber hinaus . Ich bin sehr dankbar, dass Sie die Debatte mit Ihren Anträgen mit ausgelöst haben . Wir diskutieren darüber, wie vorhin gesagt wurde, zum zweiten Mal . Das Einzelschicksal steht sehr häufig exemplarisch für eine politische Realität, in der Menschenrechte missachtet, eingeschränkt und - wie man in diesem Fall und manch anderes Mal auch sagen könnte - verhöhnt werden . In diesen Fällen kann es nicht nur um den einen gehen; wir müssen auch über das System sprechen, das zum Bruch der Rechte der Menschen führt . Angesichts der gestrigen Gedenkstunde zum 27 . Januar, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, möchte ich dazu Bertolt Brecht zitieren: Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist . Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! Dennoch möchte ich zugleich eine Warnung aussprechen . Wir dürfen das Schicksal einzelner Menschen nicht instrumentalisieren, um die eigene politische Ideologie voranzutreiben . Dieser Gedanke kommt mir hin und wieder, wenn ich Ihnen, Frau Höger, zuhöre - auch im Ausschuss - und von Ihnen kein Aufschrei kommt, wenn Menschenrechte in gleicher Weise von kommunistischen Regimen verletzt werden . ({0}) Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass wir in unserer Debatte zugleich über die fragile weltpolitische Gemengelage sprechen, in welcher ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung der Menschenrechte in der Befriedung von Kriegsgebieten und in der Beseitigung von Fluchtursachen besteht . ({1}) Lassen Sie mich drei Punkte ansprechen . Die Debatte heute ist dreierlei: Erstens ist sie eine Debatte über einen Menschen, den Blogger Raif Badawi, der als Symbol dafür steht, zweitens führen wir eine Debatte über die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien - das haben Sie zu Recht angesprochen -, und drittens führen wir eine Debatte über Allianzen und Bündnisse im Nahen Osten; hier sind wir unterschiedlicher Meinung . Ich beginne mit dem Menschen Raif Badawi . Im Juni 2012 wurde er wegen Beleidigung des Islam verhaftet und im November 2014 zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe, einer Geldstrafe und den bekannten, vorhin genannten 1 000 Stock- und Peitschenhieben verurteilt . Fast genau vor einem Jahr - morgen jährt sich das - haben wir an gleicher Stelle über die Situation von Raif Badawi gesprochen . Damals bekam sein Fall eine erschütternde Aktualität; denn am 9 . Januar, also drei Wochen vorher, war eine Einheit von 50 Peitschenhieben an Badawi öffentlich vollstreckt worden . Was hat sich seither getan? Ein positives Zeichen der Solidarität der Öffentlichkeit mit Badawi war die Verleihung des Sacharow-Preises des Europäischen Parlaments im Dezember letzten Jahres . Stellvertretend für ihren in Saudi-Arabien inhaftierten Ehemann hat Ensaf Haidar in Straßburg diesen Preis entgegengenommen und eine engagierte Rede zur Freiheit gehalten . Einige von uns haben sie hier im Haus treffen dürfen . Ich bin dankbar, diese kleine, aber mutige und taffe Frau erlebt zu haben . Doch die jüngsten Nachrichten sind erneut mehr als besorgniserregend . So wurde am 6 . Januar berichtet, der Kontakt des inhaftierten saudischen Bloggers Raif Badawi zu seiner Familie sei abgebrochen . Seit er im Dezember in ein anderes Gefängnis verlegt wurde, habe seine Frau nichts mehr von ihm gehört . Seit drei Wochen gebe es „überhaupt keinen Kontakt mehr“, und sie vermute, dass es ihm schlecht gehe . Am 10 . Dezember 2015 hatte Haidar über Twitter mitgeteilt, dass ihr Mann verlegt worden sei, sich im Hungerstreik befinde. Nun appellierte sie erneut an die Regierungen, „mehr für Raifs Freiheit zu tun, mehr zu tun, damit er bei uns in Kanada“ - dort lebt sie jetzt im Exil - „sein kann“ . Die internationalen Würdigungen seien für ihren Mann von großer Bedeutung . Wir fordern hier und heute gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg die Verantwortlichen in Saudi-Arabien nachdrücklich auf: Lassen Sie Raif Badawi frei! ({2}) Der zweite Punkt: die Lage in Saudi-Arabien . Vor einem Jahr, im Januar 2015, hatte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert explizit zu diesem Land hier im Haus geäußert - ich zitierte -: Wem unter den Muslimen über rhetorische Floskeln hinaus tatsächlich an Aufklärung gelegen ist, muss sich mit der Frage auseinandersetzen, warum noch immer im Namen Allahs Menschen verfolgt, drangsaliert und getötet werden . … Auch mit staatlicher Autorität wird im Namen Gottes gegen Mindeststandards der Menschlichkeit verstoßen . Saudi-Arabien hat … das Attentat in Paris als „feigen Terrorakt“ verurteilt, „der gegen den wahren Islam verstößt“, und zwei Tage später den Blogger Raif Badawi in Dschidda öffentlich auspeitschen lassen . Auch hier müssen wir uns fragen: Was ist seitdem passiert? Leider müssen wir festhalten: Neben den Verbesserungen etwa beim Wahlrecht für Frauen hat sich das meiste eher verschlimmert . Ein Beispiel - auch das wurde hier schon gesagt - ist die Anwendung der Todesstrafe . Die Situation hat sich erheblich verschärft . Amnesty International schreibt dazu: Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien hat sich unter dem neuen König Salman im vergangenen Jahr kontinuierlich verschlechtert . So hat Saudi-Arabien 2015 mindestens 151 Menschen hingerichtet, ein trauriger Höchstwert seit knapp 20 Jahren . Bereits am 2 . Januar dieses Jahres erreichte die Zahl der Hinrichtungen eine weitere Steigerung: 47 Menschen wurden an einem Tag getötet . Uns allen steht auch die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr Baqir al-Nimr vor Augen . Dazu noch einmal aus dem Bericht von Amnesty International: Bei Scheich Nimr Baqir al-Nimr handelte es sich um einen gewaltlosen politischen Gefangenen . Al-Nimr wurde unter anderem wegen ‚Ungehorsam gegenüber dem Herrscher‘ zum Tode verurteilt . Dabei hat Scheich Nimr Baqir al-Nimr mit seinen Predigten und Forderungen nach politischen Reformen nur von seinem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht . Der Prozess gegen den Scheich . . . war eine Farce und politisch motiviert . Unter anderem wurde ihm der Zugang zu einem Rechtsbeistand in wichtigen Prozessphasen verweigert . Dass die saudi-arabische Regierung ihn trotz der zahlreichen Verfahrensmängel hinrichten ließ, ist eine schreckliche Ungerechtigkeit und ein Beleg für die Fehler in Saudi-Arabiens Justizsystem . Dies haben auch Sie, Frau Höger, gerade angesprochen . Diese Hinrichtungen in Saudi-Arabien sind eine massive Verletzung der Menschenrechte, für die es keine Rechtfertigung gibt . Ich schließe mich dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Jung an, der in einer Pressemitteilung unserer Fraktion Anfang Januar sagte: Wir fordern „Saudi-Arabien eindringlich auf, keine weiteren Hinrichtungen durchzuführen - auch mit Blick auf die Frank Heinrich ({3}) notwendigen Bemühungen um eine Deeskalation der Beziehungen zum Iran“ . Mit diesem letzten Satz komme ich zu dem dritten von mir genannten Punkt, zur Lage im Nahen Osten, in der ganzen Region . Wir müssen und werden die Menschenrechte in Saudi-Arabien anmahnen und ansprechen, und auch in den Ländern im Umfeld, die, wie wir wissen, teilweise noch höhere Hinrichtungszahlen haben . Aber wir dürfen die Beziehungen zu Saudi-Arabien meiner, unserer Überzeugung nach nicht einfach abbrechen . Das würde die politische Lage im Nahen Osten meines Erachtens eher noch verschärfen . Schon vor einem Jahr verurteilte Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Vollzug der Stockschläge an Raif Badawi, bezeichnete das wahhabitische Königreich aber zugleich als wichtigen Verbündeten gegen die Dschihadisten-Miliz „Islamischer Staat“ . Das ist und bleibt ein politisches Dilemma, aber das ist eben auch politische Realität . Dazu zitiere ich noch einmal unseren Kollegen Jung: Nach der Hinrichtung des schiitischen Geistlichen . . . verschlechtern sich die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran . Deutschland sollte deeskalierend wirken . Wir „müssen jetzt alle Anstrengungen“ unternehmen, „damit beide Länder möglichst umgehend wieder zum Dialog zurückkehren“ . Eine Eskalation in den Beziehungen beider Länder würde die schon erheblichen Spannungen im Nahen und Mittleren Osten weiter verschärfen . . . Ein Abbruch der Beziehungen ist deshalb der falsche Weg . Allerdings müssen wir - und wir reden noch lange nicht von einer heroisierenden Partnerschaft oder von Kungelei - alle Einflussmöglichkeiten nutzen. Wenn wir die Handelsbeziehungen abbrechen, sind diese zunichte . Ich komme zum Ende . Tun wir bitte alles, unter anderem durch eine Debatte zu einer sehr prominenten Stunde, zur Mittagszeit, um diesen Einfluss auszuüben. Dieses Plädoyer muss heute von hier aus an die Regierung gehen . Deshalb noch einmal ganz klar zum Schluss an die Adresse Saudi-Arabiens: Lassen Sie Raif Badawi frei! Let this man go! - Und wenn sie diese Sprachen nicht verstehen, werde ich es in ihrer Sprache versuchen: Da’a hadha al-radschal yadhhab! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Tom Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen .

Tom Koenigs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004077, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es einen Indikator für vorauszusehende Instabilität gibt, dann sind das Menschenrechtsverletzungen . Menschenrechtsverletzungen in massivem Maße haben unmittelbar Unruhen, oft zunächst friedliche Demonstrationen zur Folge, dann Radikalisierungen und schließlich Krieg . Nun hat der Arabische Frühling Saudi-Arabien bisher offensichtlich nicht erreicht . Das heißt aber nicht, dass Saudi-Arabien nicht eingegriffen hätte, zum Beispiel in Bahrain oder im Jemen . Aber jeder, der das Terrorre gime dort sieht, und jeder, der die Bewegungen dort sieht, weiß: Dies ist ein instabiler Staat . Man kann jeden Investor nur warnen, dort zu investieren . Man muss auch allen, die dort Politik machen, sagen: Ihr macht noch genauso Politik wie vor 10, 20, 30 Jahren, so als wäre das ein Stabilitätsanker . Von dort wird Radikalismus exportiert . Es gab einmal vor zwei oder drei Jahren eine Umfrage, in der festgestellt wurde: Wenn in Saudi-Arabien heute direkte und freie Wahlen wären, würde wahrscheinlich Osama Bin Laden gewählt . Alle machen genauso weiter, als wäre das ein demokratischer Staat . Die Waffenlieferungen: Panzer wurden ein wenig weniger . Aber was ist mit Schiffen und Fregatten? Ja, die machen ja nichts, die spielen nur . Das geschieht in einer Situation, in der die Spannung zwischen den dortigen Regionalmächten gewaltig zunimmt, und die Fregatten natürlich auch bis Iran kommen . Wandel durch Handel . Ja, wie viel Handel muss es denn noch geben, damit sich da etwas wandelt? Da passiert nichts . ({0}) Eine Strategie der Bundesregierung, wie mit diesem und solchen Staaten umzugehen ist, gibt es nicht . Ja, manche Sachen geheim verhandeln, ja, nur nichts offen sagen . Ja, in Genf muss man verhandeln, auch mit ihnen . Aber die Staatsbesuche mit dem jährlichen Hofknicks der Kanzlerin, muss das denn sein? Das fragt man sich . Der Wirtschaftsminister reist und verteidigt die Arbeitsplätze in Kassel und Bremen . ({1}) Ja, wenn es das denn ist . Aber eine kohärente Strategie, mit so einem Terrorregime umzugehen, gibt es nicht und das noch dazu, wo diese Macht ja am Rande einer möglichen Atommacht steht, vielleicht mithilfe von Pakistan . Wenn die Bundesregierung schon keine Strategie hinbekommt, dann sollte wenigstens der Bundestag Resolutionen verfassen, damit die dort tätigen, dort aktiven oder verhafteten Menschenrechtsverteidiger wenigstens wissen, wer auf ihrer Seite steht . ({2}) Frau Finckh-Krämer hat bei ihren Empfehlungen als Allererstes gesagt: gemeinsame Resolutionen . Ja, das wäre schön, aber das scheitert - und da sitzt die große Verhinderin; es liegt an einer einzigen Dame in diesem Hohen Hause . Liebe CDU/CSU, ist das eure MenschenFrank Heinrich ({3}) rechtspolitik? Ihr stimmt doch im Europaparlament den Resolutionen zu . ({4}) Ihr könnt euch doch nicht so gefangen nehmen lassen von einzelnen Personen . ({5}) Warum geht es nicht, dass wir hier im Parlament eine einstimmige gemeinsame Resolution zum Fall Badawi, zu den 47 Hinrichtungen und zum Terrorregime in Saudi-Arabien machen? Warum geht das nicht? Noch eines: das Sicherheitsabkommen . Da fragt jetzt schon die Polizeigewerkschaft: Ist das denn wirklich nötig? - Welche Sicherheit ist das denn eigentlich, die Sie da verteidigen? Ist es nicht wirklich Zeit, wenigstens davon Abschied zu nehmen? ({6}) Ich sage noch einmal: Es gibt auch eine Verantwortung der Unternehmen, die dort investieren, und auch der Unternehmen, die hier produzieren und dorthin exportieren . Es gibt eine Unternehmensverantwortung . Es soll keiner sagen, er hätte davon überhaupt nichts gewusst . Diesen Gestus kennen wir aus Deutschland; wir sollten ihn nicht wiederholen . ({7}) Jeder, der dort investiert, nimmt ein hohes Risiko in Kauf, ein finanzielles, ein wirtschaftliches, aber auch ein moralisches . Vielen Dank . ({8})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Letzter Redner in der Aussprache: der Abgeordnete Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage Saudi-Arabiens wird wie in einem Brennglas in einem besonderen Fall fokussiert, nämlich dem des Bloggers und Sacharow-Preisträgers, über den wir hier heute exemplarisch diskutieren: Raif Badawi . Ich bin mit seiner tapferen Frau Ensaf Haidar mehrfach zu für mich sehr beeindruckenden Begegnungen zusammengetroffen; wir sind auch im Gespräch mit dem Auswärtigen Amt . Es ist erwähnt worden: Raif Badawi ist im Patenschaftsprogramm PsP des Deutschen Bundestages, so wie im Übrigen Leyla Yunus aus Aserbaidschan, die mit Unterstützung auch aus Deutschland vor einigen Tagen freigelassen werden konnte . Unser Ziel hier im Parlament ist klar: Wir wollen die Freiheit dieses mutigen Mannes erreichen, und wir wollen die weitere Vollstreckung des mittelalterlichen, schlicht barbarischen Urteils von 1 000 Peitschenhieben endgültig stoppen . ({0}) Ensaf hat in ihrem Buch Freiheit für Raif Badawi, die Liebe meines Lebens beschrieben, was sie empfand, als sie die illegal gefilmten Aufnahmen dieser abscheulichen Tat sah . Ich will das hier zitieren, um die Barbarei vor Augen zu führen: Wieder war Raifs Rücken zu sehen, der unter der Wucht der Hiebe erzitterte, die ihm einer der Sicherheitsleute verabreichte . Der Mann selbst war auf dem Video nicht zu erkennen . Aber ich sah deutlich, dass er mit voller Gewalt zuschlug . Raifs Kopf hing gebeugt nach unten . In sehr schneller Abfolge kassierte er die Hiebe auf dem gesamten hinteren Teil seines Körpers . Sie schreibt weiter: Das war zu viel für mich . Es ist unbeschreiblich, dabei zuzusehen, wie dem Menschen, den man liebt, so etwas angetan wird . Ich spürte den Schmerz, den sie Raif zufügten, als ob er mein eigener sei: Ebenso gut hätten die Männer, die ich im Video gesehen hatte, mich selbst auf einen Platz stellen und auspeitschen können . Das Schlimmste jedoch war das Gefühl der Hilflosigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt lebt im Jahr 2016 . Aber die Islamisten in Saudi-Arabien - nichts anderes ist die Sekte der Wahhabiten in Saudi-Arabien - leben nicht in unserer Welt . Feudaler Pomp und Hightech-Fassade können eben nicht darüber hinwegtäuschen: Saudi-Arabien lebt politisch, geistig und religiös im Mittelalter . ({1}) Aber es ist nun einmal so, und deshalb bleibt es tatsächlich alternativlos: Es braucht massive Veränderungen am Golf, wenn dauerhaft Frieden auf der von Krieg und auch Genozid geprägten Arabischen Halbinsel einkehren soll . Ja, dazu braucht es Saudi-Arabien . Dazu braucht es aber ein modernisiertes Saudi-Arabien . Das Schicksal von Raif Badawi ist dabei zum Kristallisationspunkt geworden . Der internationale Druck wirkt, auch wenn das Regime dies von sich weist . Ensaf Haidar schreibt zu Recht - auch das zitiere ich -: Raif ist zu einer Art Staatsaffäre geworden . Sie macht eine Fortsetzung des Strafvollzugs heikel . Liebe Kolleginnen und Kollegen, allerdings hat das feudal-religiöse Regime in Saudi-Arabien noch immer nicht den Ernst der eigenen Lage verstanden . Auch dazu möchte ich die Frau von Raif Badawi zitieren, die formuliert, was auch ihr inhaftierter Mann in seinen Blogs vielfach betont hat - ich zitiere -: Andererseits fürchtet das Land seine aufmüpfige Jugend - und möchte ihr gegenüber das Signal aussenden, dass es mit harter Hand gegen Blogger und Andersdenkende vorgeht . Wie dieses interne Ringen ausgeht, ist noch nicht abzusehen . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf Syrien, Irak, Libyen und andere Krisen auf der Arabischen Halbinsel gilt: Wer Genozid, die Kriege und die daraus resultierenden Fluchtbewegungen beenden will, der muss mit allen reden . Das gilt leider auch für ein Regime wie das saudische . Dabei gilt aber auch: Saudi-Arabien ist sicher kein Freund . Deutschland kann sich keine Freunde leisten, die das, was uns heilig ist, so brutal verachten: die Rechte der Menschen, die Menschenrechte . Wenn wir aber diesen Drahtseilakt schon vollführen müssen, dann kommt es umso mehr darauf an, vorsichtig und umsichtig zu sein . Niemand darf sich missbrauchen lassen; niemand darf diesen Regimen zu distanzlos begegnen . Regierungskontakte sind das eine . Sie bleiben in fast jeder Lage erforderlich; das weiß doch auch jeder . Darüber hinausgehende Gesten - auch das will ich sagen - müssen sorgfältig gewählt werden . Zu hoch bleibt das Risiko der symbolischen Stärkung brutaler Regime, die Gefahr der Schwächung der Opposition, im Übrigen auch der Preisgabe unserer eigenen Glaubwürdigkeit in Sachen Menschenrechte . Realpolitik darf die schlimme Realität der Menschenrechte in Saudi-Arabien eben nicht ausblenden . Natürlich wünschen sich auch die Menschen in Saudi-Arabien eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht und nicht eine mit sogar öffentlich zur Schau gestellter Barbarei . Raif Badawi ist zum Symbol für Zigtausende Fälle in diesem Land geworden . Sein Fall ist im Übrigen ein starker Beleg dafür, dass in Saudi-Arabien keineswegs ein mittelalterliches Regime als gottgegeben hingenommen wird, wie uns manche weismachen wollen, um ihre eigenen Interessen zu schützen . Ich zitiere noch einmal Ensaf Haidar: Auch wenn sich die internationale Aufmerksamkeit im Moment stark auf Raif fokussiert, dürfen wir doch nie vergessen, dass er auch stellvertretend für alle anderen politischen Gefangenen steht, die in Saudi-Arabien unter härtesten Bedingungen im Gefängnis sitzen, weil sie auf die eine oder andere Weise für Menschenrechte und Meinungsfreiheit eingetreten sind . . . . Aber eigentlich hat Raif immer dafür gearbeitet, etwas am politischen System in unserem Vaterland zu verändern . Deshalb ist er ja im Gefängnis gelandet - und mit ihm noch viele andere mutige Männer und Frauen aus Saudi-Arabien . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das saudische Königshaus bleibt in seinem Bestand gefährdet . Mit mittelalterlicher Brutalität und Dogma, auch mit Massenexekutionen auf die Auswirkungen des Internets zu reagieren, das muss einfach schiefgehen . Ohne eine echte Öffnung und das Beenden der Repression wird das Königshaus nicht überleben . Saudi-Arabien hat sich auch international isoliert, hat durch religiösen Imperialismus und das Sponsern des internationalen Terrorismus viele Partner verprellt . Die Rückkehr des Irans als selbsternannte Schutzmacht der Schiiten auf die politische Weltbühne mit seiner ebenfalls hegemonialen Politik bedeutet eine direkte Bedrohung der mittelalterlichen Wahhabiten auf der anderen Seite des Golfs . Es bleibt enorm wertvoll, wenn Deutschland als ehrlicher Makler versucht, einen echten Beitrag beider Länder zur Stabilisierung der Lage in Syrien, im Irak und anderswo zu erreichen, so schwer dies auch bleibt . Das allerdings - ich wiederhole das - darf nicht ohne Umsicht geschehen . Weil auf außenpolitischem Parkett jeder Schritt auf seine Nebenwirkungen überprüft werden muss, gilt dies auch für die Menschenrechte . Der Besuch in Riad und in Teheran ist wichtig und richtig . Ein Besuch auf Prestigeveranstaltungen für die Regime, ob in Saudi-Arabien oder im Iran, wäre dabei grundfalsch . Für Menschenrechte und die Beendigung von Krieg muss man manche Kröte schlucken . Einen Fehler darf man dabei aber nicht begehen, nämlich sich vor den Karren von Regimen spannen zu lassen, um deren Brutalität mit dem guten Namen unseres Landes zu verbrämen . Die Welt ist spätestens durch den Fall Badawi aufgewacht . Die neue saudische Führung braucht klare Signale, dass eine Öffnung auch für sie überlebenswichtig ist . Peitsche und Mittelalter bedeuten im 21 . Jahrhundert auch für eine lange Dynastie das baldige Ende . Wir alle hier im Deutschen Bundestag sind uns einig in den Grundwerten der Menschenrechte . Daher lautet die gemeinsame Forderung an die saudische Führung: Raif Badawi muss sofort aus der Haft befreit werden . Wir erwarten, dass beim Besuch des deutschen Außenministers hierzu eindeutige Signale gesetzt werden . Die saudische Führung muss jetzt diese Zeichen der Öffnung und der Verständigung setzen . Erst dann wird auch vonseiten der internationalen Gemeinschaft mehr möglich, um den Weg der Öffnung zu begleiten . Muslime, Christen und andere setzen immer auch auf das Prinzip Hoffnung . Denn wir glauben an das Gute im Menschen, und zwar auch deshalb, weil wir eben nicht mehr im Mittelalter leben . Ich möchte meine Rede damit beenden, dass ich einer Hoffnung Ausdruck verleihe . Es ist die Hoffnung eines Kindes, das seinen unschuldig inhaftierten Vater wiedersehen will . Der kleine Sohn von Raif Badawi, Dodi, hat in Kanada seiner Mutter beschrieben, wie er sich das vorstellt: Manchmal male ich mir zusammen mit den Kindern den Tag aus, an dem wir Raif am Flughafen in Montreal abholen und zu uns nach Hause bringen werden . Dodi hat mir anvertraut, dass er dann - wie im Film - in Zeitlupe auf ihn zugehen und in seine Arme schweben wird . Liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeiten wir daran, dass sich der Traum dieses Kindes erfüllt . ({2})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf Drucksache 18/5450 . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3832 mit dem Titel „Raif Badawi sofort freilassen - Völkerrechtswidrige Strafen in Saudi-Arabien abschaffen“ . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3835 mit dem Titel „Ja zur Meinungsfreiheit, nein zur Folter - Menschenrechte in Saudi-Arabien schützen, Raif Badawi freilassen“ . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Vereinbarte Debatte zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind 60 Minuten für die Aussprache vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Ich eröffne die Aussprache . Erster Redner ist für die Bundesregierung Staatsminister Michael Roth . ({0})

Not found (Gast)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die große Zahl an Flüchtlingen, die derzeit nach Europa kommen, die Wirtschaftskrise, die sich vor allem in einer viel zu hohen Jugendarbeitslosigkeit in viel zu vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union manifestiert, der Vormarsch von Nationalisten und Populisten, die Kontroverse über die Bedeutung der Grundwerte in der Europäischen Union, das Referendum über die Zukunft des Vereinigten Königreichs in oder außerhalb der Europäischen Union: Das sind einige Schlaglichter der derzeitigen Debatte um die Europäische Union, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich damit noch nicht alle Krisen und Bewährungsproben beschrieben habe . Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Kommission die Zeichen der Zeit erkannt hat . „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“: Das ist der Titel des Arbeitsprogramms der Kommission 2016 . Ja, da hat die Kommission völlig recht . ({0}) Wir haben hier im Deutschen Bundestag schon seit vielen Jahren immer wieder auch über das Arbeits- und Legislativprogramm der EU-Kommission gesprochen . Ich selbst habe mir einmal die eine oder andere Rede angeschaut, die ich noch als Bundestagsabgeordneter hier gehalten habe, ({1}) und ich stellte dabei fest, dass ich sicherlich auch zu denjenigen hier im Parlament gehörte, die bisweilen sehr hart mit der Europäischen Kommission ins Gericht gegangen sind . ({2}) Ich war sicherlich nicht der schärfste Kritiker, aber auch ich habe deutliche Worte gefunden . ({3}) Die EU-Kommission taugt derzeit nicht als Fußabtreter der Europäischen Union . Wir haben es nicht mit einer Krise der EU-Institutionen zu tun . Wir haben es mit einer Krise aus einem Mangel an Solidarität und Teamgeist und einem Übermaß an nationalen Egoismen zu tun . Das ist die eigentliche Krise . Deshalb - das sage ich leichten Herzens und auch dankbar - hat die Kommission auf vielen Politikfeldern zu liefern gesucht . Juncker versteht sich und seine Kommission vor allem als politischen Impulsgeber und als Antreiber und nicht als bloße Verwaltungsmaschinerie, und die Bundesregierung unterstützt die Kommission und ihren politischen Gestaltungsanspruch ausdrücklich . Juncker hat vor einigen Monaten gesagt: Es fehlt an Europa in dieser Europäischen Union und es fehlt an Union in dieser Europäischen Union . Ja, da hat er wohl recht . „Mehr Union“ heißt eben nicht, noch mehr Regelungen im Detail, sondern mehr Gemeinsamkeit und Konzentration auf das Wesentliche . Ich will die großen Bewährungsproben, denen wir derzeit ausgesetzt sind, nur sehr schlaglichtartig beschreiben und mit der Flüchtlingspolitik beginnen . Hier ist ein Kurswechsel nötig . Deutschland leistet viel, Schweden, Österreich und auch Griechenland stoßen an ihre Grenzen . Aber wir haben mit der EU-Kommission einen Verbündeten . Wenn ich mir die derzeitigen Vorschläge zur Stärkung der EU-Außengrenzen und die Vorschläge der Kommission zum erweiterten Mandat von Frontex und zum Ausbau zu einer Küstenschutz- und Grenzschutzwache vor Augen führe, dann sage ich: Richtig so, aber wir brauchen eben auch eine breite Mehrheit in der EU, bei unseren Partnern und Freunden in den EU-Mitgliedstaaten . ({4}) Ich bin einmal gespannt, wie die Debatte weitergeht . Demnächst wird die EU-Kommission Vorschläge zur grundlegenden Reform des Dublin-Systems auf den Tisch legen, und ich bin mir ziemlich sicher: Auch hier werden wir ein hohes Maß an Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Kommission feststellen . Umso wichtiger ist es, dass dieses Bündnis zwischen der Kommission und der Bundesregierung, getragen von vielen Abgeordneten im Deutschen Bundestag, hält und stabil bleibt . Ich will einen weiteren wichtigen Punkt benennen, der uns hier im Bundestag über viele Jahre hinweg umgetrieben hat . Die strategische Agenda der EU-Kommission liegt genau auf der Linie der Koalitionsfraktionen und darüber hinaus - auch weiterer Akteure . Wir brauchen in der EU endlich eine Politik für Wachstum und Beschäftigung, eine Politik, die sich dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit, vor allem der jungen Menschen, entschieden stellt . ({5}) Auch hier hat die EU-Kommission eine Reihe von vernünftigen, zukunftsweisenden Vorschlägen auf den Tisch gelegt . Jeder Jugendliche, der keinen Arbeitsplatz und keine Perspektive hat, ist einer zu viel . Das ist nicht eine rein nationale Aufgabe . Das ist eine gemeinsame Aufgabe, der wir uns in der Europäischen Union stellen können . Wir selbst wissen ja: Mit unserer starken Wirtschaft in Europa, mit unserem stabilen Sozialstaat haben wir jungen Leuten aus anderen Ländern der Europäischen Union eine Perspektive eröffnet . Aber das kann nicht die einzige Lösung sein . Vielmehr brauchen wir ordentliche Perspektiven in den jeweiligen Heimatländern der Jugendlichen . Wir verstehen uns auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, als der Oberlehrer in der EU, der erst einmal auf die anderen weist . Nein, wir wollen in der Europäischen Union ermutigen und ermuntern . Wenn ich mir einmal unsere Flüchtlings- und Migrationspolitik anschaue, dann stelle ich fest, dass sie von Mut und Ermunterung geprägt ist . Wir versuchen, Schengen zu retten . Wir tun eine Menge dafür, dass das, was für die Bürgerinnen und Bürger seit vielen Jahrzehnten spürbar und erfolgreich ist, auch eine Zukunft hat . Auch hier setze ich auf eine enge Abstimmung zwischen Deutschland und der Kommission . Die Krisen erfordern eben nicht einfach ein Weiter-so, sondern ein entschiedenes Handeln . Ich weiß, wie wir mit den vielen Krisen in der Vergangenheit umgegangen sind . Die einen sagten: Die EU ist aus den Krisen immer gestärkt hervorgegangen . - Daran ist manches richtig . Die anderen wiederum sagten: Es ist noch immer gut gegangen . - Na ja, und da gab es vielleicht auch noch den einen oder anderen, der sich dafür nicht sonderlich interessiert hat . Ich glaube, jetzt, in dieser dramatischen Lage, in der wir uns befinden, hilft es nichts, EU-Bashing zu betreiben . ({6}) Was hilft, ist, Europa mit konkretem Handeln wieder fit zu machen . Von Deutschland als stärkstem Land in der Mitte der Europäischen Union geht eine ganz besondere Verantwortung aus . Ich stelle mir natürlich folgende Fragen: Wie geht es in dieser immer heterogener werdenden Union weiter? Brauchen wir möglicherweise mehr Differenzierung? Müssen die Staaten, die entschieden in eine Richtung gehen wollen, möglicherweise vorangehen? Meines Erachtens ist ein solches Europa der Tempomacher möglicherweise besser als ein Europa des Stillstands oder gar des Rückschritts . Rückschritt brauchen wir nicht . Differenzierung tut not . Insofern bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Arbeitsprogramm der Kommission genauso kritisch wie immer, aber auch nicht minder konstruktiv zu begleiten . Ich wünsche mir, dass das eine oder andere, was sich im Arbeitsprogramm wiederfindet, vom Deutschen Bundestag aktiv begleitet werden könnte . Dafür bitte ich Sie um Unterstützung . Ich freue mich jetzt auf die Debatte . Vielen herzlichen Dank . ({7})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Alexander Ulrich, Fraktion Die Linke . ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union ist gerade dabei, an ihren zum Teil selbst verursachten Krisen zu zerbrechen . ({0}) Herr Staatsminister Roth, ich glaube, auch Sie sollten langsam anfangen, nicht business as usual zu machen und hier eine Sonntagsrede zu Europa zu halten, sondern Sie sollten sich wirklich Gedanken machen, wo die Bundesregierung Mitverursacher bzw . Hauptverursacher dieser Krisen ist . Sie organisieren eine Politik mit, die dazu führt, dass die Troika in die südeuropäischen Länder geschickt wird, während Sie gleichzeitig hier davon reden: Wir brauchen mehr Wachstum und Beschäftigung . - Sie müssen Ihre Politik verändern und keine Sonntagsrede zu Europa halten, in der das Gegenteil von dem gesagt wird, was politische Praxis ist . ({1}) Zur Flüchtlingspolitik . Wir können uns alle daran erinnern, als in Lampedusa viele Flüchtlinge angekommen sind und die Italiener uns gefragt haben, wie wir ihnen helfen können . Die deutsche Bundesregierung hat damals diese Solidarität verweigert und auf Dublin hingewiesen . Deshalb ist das, was jetzt kommt, eine Retourkutsche . Deutschland hat mit dieser unsolidarischen Politik angefangen, und jetzt kommt die Retourkutsche von anderen europäischen Ländern . Schauen wir uns das einmal an: 160 000 Flüchtlinge sollen verteilt werden . Seit Monaten ist das im Gespräch . Wissen Sie, wie viele von diesen 160 000 Flüchtlingen bisher verteilt worden sind? 300 . Und was diskutiert die Bundesregierung? Sie will mal wieder den Griechen die Schuld geben, weil sie ihre Außengrenzen scheinbar nicht schützen - nach dem Motto: Die Griechen sind wieder dran schuld . Aber eines ist klar: Mit Zäunen und Grenzkontrollen wird man dieses Problem nicht lösen . ({2}) Deshalb braucht die Bundesregierung auch hier eine ganz andere Haltung . Aber wir sehen, dass die Bundesregierung auch hier handlungsunfähig ist und damit als größter Player in der Europäischen Union ausfällt . Was sich CDU, CSU und SPD in der Flüchtlingsfrage täglich leisten, ist kaum noch als Regierungsversagen zu beschreiben . Es ist ein Totalversagen dieser Bundesregierung . ({3}) Es ist aber auch nicht hinnehmbar - auch das sagen wir als Linke ganz deutlich -, dass Länder wie Polen und Ungarn auf Totalverweigerung umstellen . Es kann doch nicht sein, dass Länder, die über die EU-Töpfe Solidarität verlangen, eigene Solidarität verweigern . Deshalb muss die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass diese EU-Töpfe geschlossen bleiben, wenn von diesen Ländern menschliche Hilfe verweigert wird . Und damit auch das klar ist: Wir brauchen eine andere Haltung zur Türkei . Es kann nicht sein, dass die EU-Kommission zu Recht darüber diskutiert, ob das Vorgehen Polens noch mit den europäischen Werten vereinbar ist, aber gleichzeitig mit der Türkei weitere Beitrittsverhandlungen geführt werden . Eigentlich müssten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort gestoppt und auf Eis gelegt werden . ({4})

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege, der Kollege Sarrazin würde Ihnen gerne eine Frage stellen . Darf er das?

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Natürlich . Sehr gerne .

Peter Hintze (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000907

Bitte schön .

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Ulrich, Sie haben gerade die Forderung aufgestellt, dass Mittel aus dem EU-Haushalt nicht an Länder ausgezahlt werden sollen, die menschliche Hilfe in der Flüchtlingskrise, der sogenannten, verweigern . Was genau erfüllt aus Ihrer Sicht den Tatbestand einer Verweigerung dieser Hilfe? Was genau muss gegeben sein, damit aus Ihrer Sicht festzustellen ist, dass kein Geld ausgezahlt wird? Haben Sie diese Vorschläge mit dem Ministerpräsidenten der Hellenischen Republik abgestimmt, oder laufen wir Gefahr, dass Sie die Nächsten sind, die Griechenland damit das Geld absprechen wollen? ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Sarrazin, ich glaube, es wird Zeit, dass auch Sie anerkennen müssen, dass Griechenland gemessen an der Einwohnerzahl viel mehr für die Flüchtlinge tut als Deutschland . ({0}) Die Griechen sind die Allerletzten, die man da an den Pranger stellen kann . Im Gegenteil: Griechenland würde davon profitieren, wenn es eine europäische Solidarität gäbe . Es ist doch genau das Problem, dass viele Länder sich dieser Solidarität verweigern . Das sage ich Ihnen ganz deutlich . Länder wie Ungarn oder Polen, die auf Totalverweigerung setzen, dürfen keine finanzielle Hilfe von Europa bekommen . ({1}) Das könnte durchgesetzt werden, wenn der politische Wille vorhanden wäre . ({2}) Eine andere Krise, die dadurch in den Hintergrund gerückt ist, die Euro- und Finanzkrise, ist aber weiterhin nicht vorbei . Im Gegenteil: In Italien sind gerade mal wieder vier Banken mit 750 Millionen Euro gerettet worden, ohne dass man die kleinen Sparguthaben gesichert hat, was schon dazu geführt hat, dass sich in Italien Rentner umgebracht haben . Was die EU macht, ist mir schleierhaft: Man kehrt zu den Rezepten zurück, die 2007 in den USA zum Beginn des großen Crashs geführt haben . Auch der Umgang mit der Euro-Krise ist ein Totalversagen in der Europäischen Union . ({3}) Was ist im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission auch noch enthalten? Natürlich - richtig! - TTIP . Laut dem Arbeitsprogramm hat TTIP eine Top-Priorität . Deshalb fragt man sich schon: Haben die Damen und Herren in Brüssel und auch in der deutschen Bundesregierung immer noch nicht verstanden, dass die Menschen in Europa TTIP ablehnen, weil sie verstanden haben, dass TTIP ein Frontalangriff auf Soziales, Demokratie, Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz ist? ({4}) Alleine in Deutschland ist in den letzten eineinhalb Jahren die Zustimmung von 55 Prozent auf 34 Prozent gesunken . Im Oktober gab es hier in Berlin eine der größten Demonstrationen in Deutschland in den letzten zehn Jahren . 250 000 Menschen haben in Berlin für „Stop TTIP“ demonstriert . Eine ganz tolle Veranstaltung! ({5}) 3,3 Millionen Menschen aus ganz Europa haben den Aufruf der Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben . Die Kommission tut aber so, als wäre nichts gewesen . Die Bundeskanzlerin hat sich zudem geweigert, einen Termin zu finden, an dem die Unterschriften übergeben werden können . Auch das zeigt: TTIP soll gegen die Mehrheit der Menschen in Europa durchgesetzt werden . In diesem Zusammenhang möchte ich den Leseraum ansprechen, der uns im Wirtschaftsministerium zur Einsichtnahme der Dokumente zur Verfügung gestellt wird . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wie ihr damit umgeht, aber eigentlich müssen wir alle im Bundestag sagen: Das spottet jeder Demokratie . ({6}) Abgeordnete sind nicht für sich selbst da . Es ist geradezu unsere Aufgabe, mit Experten sowie Wählerinnen und Wählern über das, was wir dort lesen können, ins Gespräch zu kommen . Dass man uns das verweigert, ist eigentlich eine Entmachtung des Bundestags, und Sie freuen sich scheinbar darüber . Wir als Linke sagen: Auch mit diesem Leseraum hat man nichts dafür getan, dass Transparenz und Demokratie mit Blick auf TTIP hergestellt werden . ({7}) Last, but not least will die Europäische Kommission einmal mehr etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun . Ich weiß nicht, zum wievielten Male sich die Kommission dafür lobt, dass 6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, um gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorzugehen . Was passiert? Im Euro-Raum liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20 Prozent . In Griechenland und Spanien liegt sie bei über 50 Prozent . Die vielfach gepriesene Jugendgarantie hat überhaupt nichts gebracht, weil sie angesichts der Probleme lächerlich klein ist und zugleich durch eine permanente Rezessionspolitik, Herr Staatsminister Roth - genau das ist es nämlich, wenn man in der Krise immer weiter die Ausgaben kürzt -, auch noch konterkariert wird . Ich nenne ein Beispiel: Wir haben 1,8 Billionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Banken zu retten, aber wir haben nur lächerliche 6 Milliarden Euro, um etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu tun . Das zeigt, wo die Prioritäten der EU-Kommission und der Bundesregierung liegen . Das vorliegende Arbeitsprogramm der Kommission ist eine Bankrotterklärung . Die gegenwärtige EU-Politik ist gegen die Demokratie gewendet, führt zu immer mehr Sozialabbau und hat kaum Respekt vor den Menschenrechten . Als Parlament sollten wir die Bundesregierung auffordern, sich in Brüssel für eine Politik einzusetzen, die dafür sorgt, dass der Druck auf Länder, die sich in der Flüchtlingsfrage verweigern, deutlich erhöht wird, ({8}) dass der türkische Terror gegen Kurden nicht auch noch mit EU-Mitteln unterstützt wird und stattdessen das Welternährungsprogramm massiv ausgebaut wird, ({9}) dass die Finanzmärkte endlich geschrumpft und streng reguliert werden durch eine Zerlegung der Großbanken in kleinere Einheiten und eine Besteuerung sämtlicher Finanztransaktionen, dass die Interessen der Menschen endlich Vorrang vor denen der Banken haben - 6 Milliarden für die Jugend und 1,8 Billionen für die Banken, das geht überhaupt nicht -, ({10}) dass Reichtum endlich anständig besteuert wird - gerade kam heraus, dass 62 Menschen so viel Vermögen besitzen wie die halbe Weltbevölkerung; Europa liegt da voll im Trend; das muss geändert werden -, ({11}) dass die europäischen Steueroasen endlich trockengelegt werden, dass eine echte soziale Mindestsicherung geschaffen wird, die allen Menschen in Europa ein armutsfreies Leben garantiert, und nicht zuletzt dass TTIP und CETA endlich abgeblasen werden und eine breite Debatte über eine Neuausrichtung der EU-Handelspolitik initiiert wird . Ich wünsche mir, dass sich Europa und die Bundesregierung endlich gegenüber den USA emanzipieren; denn viele Probleme in Europa werden wir nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland lösen . Deshalb müssen die Sanktionen endlich aufgehoben werden . Das wäre eine vernünftige Politik in diesem Jahr und nicht business as usual, wie es Herr Staatsminister Roth leider betreibt . Vielen Dank . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Thomas Dörflinger hat für die CDU/CSU das Wort . ({0})

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „It’s no time for business as usual“ . Es ist nicht die Zeit, um nur das gewöhnliche Geschäft zu erledigen . Und ich ergänze nach der eben gehörten Rede: Wenn das die Überschrift über dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ist, dann ist auch „no time for speeches as usual“ . Also: Es ist auch keine Zeit, die üblichen Reden zu halten, meine Damen und Herren . ({0}) - Ich habe es gerade übersetzt, Herr Kollege Sarrazin . Herr Staatsminister Roth hat gesagt, wir sollen uns wie in den Jahren zuvor kritisch und konstruktiv mit dem Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission auseinandersetzen . Nun bin ich völlig unverdächtig, dass ich der Bundesregierung unnötiges Lob zollen würde dort, wo sie es nicht verdient hat . Aber, Herr Kollege Ulrich, so kann man es auch nicht machen: dass man sämtliche Missstände zwischen Lappland und Gibraltar, die man glaubt erkannt zu haben, aufsummiert und die Schuld dann einerseits der Kommission und andererseits der Bundesregierung in die Schuhe schiebt . An allen Missständen zwischen Lappland und Gibraltar ist weder die eine noch die andere Institution schuld . Da machen Sie es sich etwas einfach . ({1}) Kritische Befassung heißt zum Beispiel, dass wir der Kommission auch attestieren, dass sie über die letzten Jahre etwas gelernt hat und dass sie sich offenkundig hat leiten lassen von einem Wort, das der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry geprägt hat, wenn er formuliert hat: Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann . - Eine bemerkenswerte Formulierung, der man beim Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission vielleicht nicht in allen Details, aber mindestens bei der Grundstruktur gerecht geworden ist . Zu dem Schluss kommt man, allein wenn man auf den Umfang sieht . Ich sage allerdings kritisch hinzu: Ich wünsche mir schon, dass wir, wenn es an das Abarbeiten der einzelnen Punkte aus dem Arbeitsprogramm geht, uns nicht im Detail verlieren, sondern dass wir uns tatsächlich auf das konzentrieren, was in den laufenden zwölf Monaten unbedingt notwendig und was prioritär ist . Da Detlef Seif und Andrea Lindholz nachfolgend etwas zum Thema Migrationspolitik sagen werden, konzentriere ich mich an der Stelle nur auf den einen Punkt: Wenn das Thema Migrationspolitik unter aktuellen Vorzeichen sozusagen wie eine imaginäre, unsichtbare Überschrift über dem Arbeitsprogramm der Kommission steht - zu Recht aus meiner Sicht -, dann heißt das notwendigerweise auch, dass wir uns beim Abarbeiten nicht nur darauf konzentrieren können, in das Arbeitsprogramm zusätzlich etwas hineinzuformulieren, sondern dass andere Punkte - abseits dieses Themas - vielleicht bis zum nächsten oder bis zum übernächsten Jahr warten können . Ich will durchaus anerkennen, dass es in den Anhängen des Arbeitsprogramms, insbesondere in den Punkten IV und V, insgesamt 48 Rechtsakte gibt, von denen die Kommission sagt: Entweder wir verfolgen diese Rechtsakte nicht weiter, oder wir heben bestehende Rechtsakte auf . - Auch das ist eine Neuerung gegenüber den Arbeitsprogrammen der Kommission in den letzten Jahren . Ich sage an dieser Stelle allerdings auch: Ich wünsche mir schon, dass dieser Absicht dann nicht anschließend der Gedanke folgt, dass das, was man jetzt nicht weiterverfolgen oder abschaffen will, dann im Arbeitsprogramm der Jahre 2017 ff . in einem anderen Gewand wieder auftaucht . Einmal gestrichen bleibt gestrichen . Einen Relaunch sollte es an dieser Stelle nicht geben, meine sehr verehrten Damen und Herren . ({2}) Die Kommission kündigt zu Recht an, mehr Transparenz ins Verfahren zu bringen und die verstärkte Zusammenarbeit auch mit den Mitgliedstaaten und mit dem Rat zu suchen . Der Ansatz ist richtig, aber er muss sich realiter auch beweisen . Ich will das aktuell an der Diskussion um die Einlagensicherung deutlich machen . Am Vorhaben, am Inhalt der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten nationale Systeme zur Einlagensicherung einführen sollen, besteht in diesem Hohen Haus und vermutlich über dieses Hohe Haus hinaus kein Zweifel; da sind wir uns alle einig . Fakt ist aber, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinie im Juli des vergangenen Jahres, am 3 . Juli, abgelaufen ist . Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat diese Richtlinie bislang nicht umgesetzt . Vor diesem Hintergrund, wie es die Kommission am 26 . November des vergangenen Jahres getan hat, die Richtlinie zur europäischen Einlagensicherung auf den Weg zu bringen, macht wenig Sinn, insbesondere wenn die Kommission selbst sagt, dass ihre Vorstellungen zur europäischen Einlagensicherung darauf fußen, dass zuvor die Maßnahmen zur nationalen Einlagensicherung ergriffen worden sind . Also, die Logik des eigenen Arbeitens sieht, was die Abfolge der einzelnen Schritte angeht, anders aus . Ich sage hinzu: Wenn der Ansatz richtig ist, dass die Mitgliedstaaten nationale Einlagensicherungssysteme installieren, dann kann man sich durchaus trefflich darüber streiten, ob es darüber hinaus einer europäischen Einlagensicherung noch bedarf . Ich sage aus meiner persönlichen Sicht: Das ist das Bail-in durch die Hintertür . Deswegen sage ich: Wir wollen dieses europäische Einlagensicherungssystem nicht nur nicht jetzt, zum jetzigen Zeitpunkt, sondern wir wollen es überhaupt nicht . ({3}) Dass Jugendarbeitslosigkeit in Europa, Herr Kollege Ulrich, insbesondere wenn ich die südlichen Staaten betrachte, Spanien beispielsweise, aber auch Portugal und Griechenland, nicht nur aus der Sicht der betroffenen Jugendlichen ein Skandal ist, darin sind wir uns einig . Aber die Erfahrung aus Deutschland beispielsweise, wo wir die Verhältnisse nachgewiesenermaßen am besten kennen, aus der Zeit, in der wir auch 5 Millionen und mehr Arbeitslose hatten - nicht nur Jugendliche, aber wir hatten eine wesentlich höhere Jugendarbeitslosigkeit als heute -, zeigt, dass die Hoffnung und das Verlassen darauf, dass ein Programm der Europäischen Kommission dieses Problem löse, wohl trügerisch sind . Ich bin sehr dafür, dass nationale Anstrengungen ihre Begleitung auch im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission finden, beispielsweise über den Europäischen Sozialfonds . Das ist unbestritten . Aber der Ansatz zur Lösung dieser Probleme muss aus den Nationalstaaten kommen . Deutschland hat in den vergangenen Jahren hier Maßnahmen ergriffen . Die Zahlen, auf die wir heute sehen können, auch wenn sie regional etwas differenziert ausfallen, sowohl was die Entwicklung der Arbeitslosigkeit insgesamt als auch was die Entwicklung der JugendThomas Dörflinger arbeitslosigkeit angeht, zeigen, dass wir an dieser Stelle auf dem richtigen Weg sind . ({4}) Die Kommission sagt, sie wolle die Durchsetzung verbessern . Deswegen ist es richtig, dass wir nicht nur einen Blick darauf richten, wie denn umgesetzt worden ist, also wo europäisches in nationales Recht überführt worden ist, sondern dass wir verstärkt den Blick darauf richten, ob der Umsetzung in nationales Recht anschließend auch die Implementierung gefolgt ist . Das ist nämlich der entscheidende Punkt . Papier ist geduldig . Wichtig ist, ob das, was an Möglichkeiten internationalen bzw . nationalen Rechts vorhanden ist, tatsächlich anschließend auch angewandt wird oder nicht . An dieser Stelle gibt es durchaus einen Nachholbedarf . Insofern kann ich die Kommission nur bestätigen in ihrer Auffassung, dass die Hüterin der Verträge notwendigerweise bei der Begleitung des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission und der Umsetzung desselben auch eine Kontrollfunktion ausüben wird und ausüben muss, was mit der politischen Funktion, die die Kommission zweifelsohne auch hat, nicht zwangsläufig in einem kritischen Verhältnis stehen muss . Letzte Bemerkung . Ich habe gestern im Ausschuss bei den Beratungen zum Arbeitsprogramm mit Interesse und Zustimmung gehört, dass der Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission hier in Berlin, Richard Kühnel, gesagt hat, dass ein Arbeitsprogramm ein lernendes System ist, ein System, das so flexibel sein muss, dass wir uns jederzeit in der Lage sehen müssen, auf aktuelle Entwicklungen ad hoc und vielleicht auch in Teilen unkonventionell zu reagieren . Ich will zum Schluss an dieser Stelle gern einen Vorschlag wiederholen, den Bundesminister Gerd Müller vor einigen Wochen im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union unterbreitet hat, was die Prioritätensetzung nicht nur in den nächsten zwölf Monaten angeht: Wenn jeder Mitgliedstaat in der Europäischen Union nach seiner Leistungsfähigkeit und nach dem, was ihm finanziell und materiell möglich ist, versucht, für die Verbesserung der Situation in den Herkunftsstaaten der Migranten, die jetzt nicht nur nach Deutschland, sondern nach Zentraleuropa strömen, etwas zu tun, dann bekommen wir auf der Basis von 28 Mitgliedstaaten tatsächlich eine solche Summe zusammen, um realiter etwas tun zu können . Dazu ist es aber notwendig, dass wir in den nächsten zwölf Monaten die richtigen Schwerpunkte setzen . Ich freue mich auf die weitere Beratung . Herzlichen Dank . ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Manuel Sarrazin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003889, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission am Beginn eines Jahres zu reden, obwohl wir alle nicht wissen, was am Ende des Jahres hinter uns liegen wird, wie Europa am Jahresende aussehen wird, ist ein bisschen eine absurde Herausforderung . ({0}) Wir wissen alle nicht, ob das Referendum im Juni dieses Jahres in Großbritannien dafür sorgen wird, dass Europa so oder so ganz schnell ganz anders aussieht . Wir erleben, dass eine Regierungspartei in Deutschland dazu aufruft, den Schengen-Raum faktisch abzuschaffen . Außerdem befinden wir uns in einer Situation, in der wir die größte Zuspitzung einer ökonomischen Krise verdrängt zu haben glauben, die aber durch Unsicherheiten aufgrund externer Effekte, durch Entwicklungen beim Ölpreis, bei den Zinsen oder auch durch Schocks im Weltwirtschaftssystem sehr schnell zurückkommen könnte . In dieser Lage besprechen wir das Arbeitsprogramm der EU-Kommission . Dazu lässt sich zunächst festhalten, dass es eine bemerkenswerte Entwicklung in der Politik der Bundeskanzlerin gegeben hat: Jahrelang hat die Bundeskanzlerin seit ihrer Rede in Brügge mit Hinweis auf die sogenannte Unionsmethode das Credo geäußert: Die Nationalstaaten lösen Probleme in Krisen besser, weil die europäischen Institutionen nicht in der Lage sind, zu liefern . - Jetzt zeigt sich in der Flüchtlingssituation, dass das System der Nationalstaaten, wo man jeweils zu Hause populistisch herumschreit und zum Ausdruck bringt, woran andere schuld sind und was nur für einen selber gilt, versagt . Man merkt plötzlich - wie Herr Staatsminister Roth zu Recht gesagt hat -, wie wichtig eine Europäische Kommission als strategischer Verbündeter ist, wenn man Schwierigkeiten bewältigen muss . ({1}) In dieser Situation, glaube ich, ist es sehr wichtig, dass Deutschland einen klaren Kompass hat und dass wir an den Werten, die in Artikel 2 des EU-Vertrages festgelegt sind, und auch an den Werten, die in den ersten Artikeln des Grundgesetzes niedergeschrieben sind, festhalten und dass wir bei allem Streit über Maßnahmen, darüber, wie man Probleme lösen und was man tun kann, nie aus den Augen verlieren, dass die Würde des Menschen Ausgangspunkt von deutscher Politik ist . Ich habe das Gefühl, dass in manchem Streit in der Koalition Artikel 1 unseres Grundgesetzes nicht genügend berücksichtigt wird . ({2}) Ich möchte aber noch etwas anderes sagen . In dieser Situation, in der keiner mehr glaubt, eine europäische Lösung sei noch erreichbar, bin ich einer derjenigen, die glauben, es lohne sich noch, an diesem Ziel festzuhalten . Es wurde schon aus den Ausschusssitzungen zitiert, Frau Merkel habe im Ausschuss gesagt, man sollte nicht zu früh die Errungenschaften von Schengen aufgeben; sonst würden unsere Kinder in 30 Jahren fragen: Habt ihr schon nach einem halben Jahr aufgegeben? Habt ihr schon nach neun Monaten aufgegeben? Noch etwas anderes . Der Einigungsdruck ist doch nicht zu leugnen . Glaubt irgendjemand hier im Saal, dass ein Ja für den Verbleib in der Europäischen Union beim Referendum in Großbritannien im Juni dieses Jahres - dann wird es wahrscheinlich stattfinden - zustande kommt, wenn wir es bis dahin nicht hinbekommen, eine klar erkennbare gemeinsame europäische Politik zum Thema Flucht und Migration auf dem Tisch liegen zu haben? Mit dem in Deutschland ausgetragenen Streit, der diejenigen, die wir eigentlich überwinden müssen, die Kaczynskis und die Orbans, ja nur stärkt, weil ihre Argumente von Herrn Seehofer vorgetragen werden, lähmen Sie die Europäische Union . Mit dieser Unentschlossenheit, mit diesem Hickhack wird das Argument „Europa ist der Anker für Stabilität“ auch für das Vereinigte Königreich unterminiert werden . ({3}) Deswegen: In schweren Stunden sollte man wissen, wo man steht, und man sollte da stehen, wo die eigenen Werte sind . Ich wünsche mir, dass das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für alle in diesem Haus Anlass ist, sich darüber noch einmal klar zu werden . Vielen Dank . ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dr . Dorothee Schlegel hat für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Dorothee Schlegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004399, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Auch ich begleite das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission gerne kritisch und beginne mit drei kritischen Äußerungen . Eigentlich sollte 2016 das Europäische Jahr gegen Gewalt an Frauen werden . Dazu ist es leider nicht gekommen . Die zweite enttäuschende Nachricht aus Brüssel im vergangenen Jahr betraf das im Primärrecht der EU verankerte Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern . Es fehlt also an der Besinnung auf die ureigensten Grundlagen der EU . Zum Jahreswechsel erlitt noch eine weitere Entscheidung auf europäischer Ebene im Bereich Gender Equality eine klare Niederlage . So erhielt die Bundesregierung auf der Tagung des Rates im Dezember ihren Prüfvorbehalt aufrecht, und die EU-Frauenquote scheiterte, nicht zuletzt aufgrund der deutschen Stimmenthaltung . ({0}) - Ja . Gott sei Dank nicht aus den Reihen der SPD . ({1}) - Auch wahr . - Folglich erzielte der europäische Ministerrat gegen die Interessen der Frauen und gegen die Interessen der Wirtschaft keine Mehrheit für einen mindestens 40-prozentigen Frauenanteil in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen . Dabei hatte die vorgelegte EU-Richtlinie von uns nicht mehr verlangt als unsere eigene Quote, mit der wir durchgesetzt haben, dass auf jedem dritten Aufsichtsratsstuhl börsennotierter Unternehmen künftig, also ab jetzt, eine Frau zu sitzen hat . Immerhin ist in vielen EU-Mitgliedstaaten seit Beginn der Diskussion um die Quote der Frauenanteil in Aufsichtsräten gestiegen . Norwegen erreichte bereits 2009 40 Prozent, und in Frankreich sollen diese 40 Prozent bis 2017 erreicht werden . Wir alle können es inzwischen rauf- und runterbeten: Es gibt handfeste wirtschaftliche Gründe, Frauen und Männer im Arbeitsleben gleichzustellen . Gleichberechtigung würde nämlich die Wirtschaft boomen lassen . Zu diesem Ergebnis kommen führende internationale Unternehmen, die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und Unternehmensberatungen, zum Beispiel McKinsey in der Studie „The Power of Parity“ . Die Steigerung des EU-Bruttosozialprodukts betrüge - ich nenne hier ganz gerne eine Zahl etwa 325 Milliarden Euro . Das ist deutlich mehr als die Ausgaben des Bundes im vergangenen Jahr . Mein Fazit hier ist schon mal: Gleichberechtigung lohnt sich wirtschaftlich . ({2}) Aber im neuen Arbeitsprogramm der EU-Kommission mit dem Titel „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“, das als erste Priorität „neue Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Innovationen“ nennt, kommt Gleichstellung von Frauen und Männern nicht vor . Auch im Zehn-Punkte-Plan des Kommissionspräsidenten Juncker fehlt sie völlig . Dies ist nicht nur eine Fehlentscheidung, sondern auch ein Schlag ins Gesicht aller Frauen in der EU . Zur Erinnerung: Das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern und die Verpflichtung zu einer aktiven Politik im Sinne des Gender Mainstreaming sind im Primärrecht, also dem ranghöchsten Recht der EU, verankert . Im letzten Sommer hatten sich die zuständigen Ministerinnen und Minister aus 22 Mitgliedstaaten veranlasst gesehen, die EU-Kommission in einem offenen Brief zur Verabschiedung einer neuen Gleichstellungsstrategie aufzufordern; denn die bisherige ist 2015 ausgelaufen . Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geben wir uns damit nicht zufrieden . Der SPD-Vorstand forderte zuletzt im Januar vehement: Diese Strategie muss weitergeführt werden . - Die Kommission hatte nämlich im Dezember lediglich ein internes Arbeitsdokument vorgelegt, obwohl internationale Frauenrechtsorganisationen, das Europäische Parlament und die Mehrheit der Mitgliedstaaten eine neue Strategie gefordert haben . Bereits in der aktuellen Strategie „Europa 2020“ gab es kein eigenes Gleichstellungsziel im Bereich Beschäftigung mehr . Es fehlt seit den 2000er-Jahren ein festgelegter Finanzierungsrahmen für die Gleichstellung von Frauen und Männern . Meine Damen und Herren, die Kommission betont zwar, dass sie eine Kontinuität ihrer Politik wünsche . Durch die aktuellen Entscheidungen ist jedoch zu befürchten, dass die Gleichstellung schleichend von der Agenda und aus den Förderaktivitäten der EU verschwindet . Aktuelle Stimmen wie die aus Polen über die neue Sicht auf Frauenfragen im Land müssen uns daher aufhorchen lassen . Da heißt es: „In puncto Gleichberechtigung stehen uns harte Zeiten bevor .“ . So formulierte es eine Dozentin für Gesellschaftspolitik an der Universität Warschau . Wir dürfen also - damit möchte ich zum Schluss kommen - nicht genau die Chancen verspielen, die über Jahrzehnte in einem geeinten Europa gewachsen sind . Wir nehmen daher Herrn Juncker sehr gerne beim Wort: „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“ . Es heißt ja nicht nur auf Deutsch: Wir brauchen in Europa eine vorwärtsgewandte Frauen- und auch Familienpolitik . Herzlichen Dank . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Union ist ganz zweifelsohne in einer sehr schwierigen Lage . Manche sprechen sogar von Krise . Es ist aber, glaube ich, zu einfach - da schaue ich einmal in eine bestimmte Richtung -, die EU als Ganzes anzugreifen und EU-Bashing zu betreiben . Das ist zu undifferenziert, weil es die EU gar nicht gibt . Ich muss dem Kollegen Michael Roth vollkommen zustimmen, wenn er sagt, es seien vor allen Dingen die nationalen Egoismen, ({0}) die für die Krise, die wir in der Europäischen Union gerade beobachten, verantwortlich sind . Es sind die Nationalstaaten, die nationalen Regierungen und weniger die Institutionen auf EU-Ebene . Gerade jetzt wären aber mehr Zusammenhalt und mehr Solidarität zwischen den Nationalstaaten und innerhalb der Europäischen Union notwendig . Leider beobachten wir diese nicht . Auch in der Bundesregierung gibt es zu viele nationale Egoismen . Manuel Sarrazin hat schon betont, welche Regierungspartei immer wieder nationale und antieuropäische Positionen vertritt . Wenn man sich die Herausforderungen anschaut, vor denen wir stehen, dann muss man sagen: Angesichts globaler Herausforderungen wie der Klimakatastrophe, den Fragen von sozialer Gerechtigkeit, den Friedensfragen, den Demokratiefragen, den Menschenrechtsfragen - wir hatten gerade eben eine Debatte dazu - braucht es mehr Zusammenhalt in der Europäischen Union und eine starke europäische Stimme . Natürlich brauchen wir auch für die vielen Probleme innerhalb der Europäischen Union, die ja schon angesprochen worden sind, europäische Lösungen, weil die nationalen Lösungen alleine nicht tragen . Es ist aber ganz wichtig, zu sagen, dass wir nicht nur Zusammenhalt und Solidarität zwischen den Staaten brauchen, sondern dass wir vor allen Dingen auch mehr Zusammenhalt und Solidarität zwischen den Menschen in der Europäischen Union brauchen . Auch da gibt es zu viel nationales Denken . Sozial geht es auseinander . Das stärkt die nationalen Parteien, die rechtsradikalen Parteien . Das ist überall in Europa zu sehen . Wir brauchen also insgesamt mehr soziales Europa; das ist ein ganz wichtiger Punkt . ({1}) An dieser Stelle ist das Programm leider zu schwach . Es gibt hierzu gerade einmal zwei Punkte in der langen Liste: einmal die Stärkung der sozialen Rechte - dieser Punkt ist allerdings noch sehr vage - und zum anderen die Arbeitskräftemobilität . Hier ist eher ein Rückschritt zu erwarten . Wir müssen aber eigentlich wieder dahin kommen, dass die Europäische Union das ist, was sie eigentlich immer war: ein Wohlfahrtsversprechen . Sie war ein Wohlfahrtsversprechen für die Menschen, und eigentlich sind wir - die Älteren können das besser beurteilen als die Jüngeren - ja auch weit gekommen, wenn man vergleicht, wie es heute ist und wie es früher war . Es sitzen viele junge Menschen hier auf der Tribüne . Viele von ihnen wussten bis vor einem Jahr nicht, was Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen sind . Es war eine Wohlfahrt für uns alle, dass wir uns frei in der Europäischen Union bewegen konnten . Freizügigkeit ist ein ganz zentraler Wert in der Europäischen Union . Im Rahmen der Diskussion über den Brexit und David Cameron kommt jetzt eine Debatte auf uns zu, die die Axt an diesen Grundwert legt und dafür sorgen will, dass diese Freizügigkeit nicht mehr vernünftig sozial abgesichert ist . Wir sagen aber: Freizügigkeit muss noch besser sozial abgesichert sein . Zur Freizügigkeit gehört auch, dass man in einem anderen Land in der Europäischen Union - für die jungen Leute ist das eine Selbstverständlichkeit - eine Arbeit suchen kann . Das heißt, wenn man in einem anderen Land arbeitslos ist, muss man auch die soziale Unterstützung finden, um dort in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können . ({2}) Es ist kein Wunder, dass die CSU David Cameron unterstützt . Das hat eine lange Tradition . Dass aber auch von der SPD Unterstützung für diese Position kommt, ist erstaunlich . Olaf Scholz hat einen Vorschlag zu Sozialkürzungen gemacht hat, der in Richtung Cameron geht, und dass die Bundessozialministerin bereit ist, Kürzungen für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger zu machen, um Cameron entgegenzukommen, ist der falsche Weg . Ich fordere die Kollegen der SPD auf, dass sie auf ihre Kollegen einwirken, dass sie mit dem Quatsch nicht weitermachen . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir brauchen also keine Kürzungen der Sozialleistungen in Europa, sondern wir brauchen mehr soziales Europa . Es ist jetzt wichtig, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und nicht zu schwächen . Das ist jetzt eine zentrale Aufgabe . Vielen Dank . ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Detlef Seif das Wort . ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2016 lässt zunächst einmal das erklärte Ziel von Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsidenten, ganz klar erkennen: Bürokratieabbau, Verschlankung, Beschränkung auf das Notwendige . Vergleicht man 2010 - da gab es 316 neue Initiativen - mit dem aktuell laufenden Jahr - da gibt es 23 -, dann erkennt man, dass das an dieser Stelle ernst gemeint ist . Man kann darüber streiten, ob die Prioritäten im Einzelnen richtig gesetzt sind . Aber eines steht fest: Egal welche Meinung man vertritt, „Business as usual“ ist nicht der Spruch der Zeit . Insoweit ist diese Überschrift des Arbeitsprogramms ich glaube, da besteht Einigkeit - richtig gewählt . Die Kommission benennt dann Themen, die sie als Herausforderungen der Europäischen Union sieht . An erster Stelle steht ganz klar die Flüchtlingskrise, dann die Arbeitslosigkeit nebst Beschäftigungs- und Wachstumslücke, die Notwendigkeit einer Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, der Klimawandel, die instabile Lage der östlichen und südlichen Partnerschaft, natürlich auch - das ist angesprochen worden - der faire Deal für das Vereinigte Königreich, für Großbritannien . Was ich in dieser Auflistung nicht finde, was aber sicherlich auch eine besondere Herausforderung ist, ist die effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus . Die gehört für mich ganz klar prioritär nach oben . ({0}) Die Flüchtlingskrise - das haben die Beiträge gezeigt ist aber das Masterthema der Stunde, der Gegenwart: kommunal, regional, national und international . Auch wird diese Krise nur gelöst werden können, wenn wir eine europäische Lösung, europäische Regeln im Kontext mit guten intelligenten nationalen Regelungen und natürlich auch mit internationalen Rahmenbedingungen finden. Eine nie dagewesene Anzahl von Flüchtlingen hat zwischenzeitlich den Weg nach Europa gefunden . Im letzten Jahr - man weiß es nicht genau, weil die Registrierung nicht hundertprozentig genau funktioniert - sind schätzungsweise 1,4 Millionen Menschen hier angekommen . Zurzeit kommen täglich 2 000 bis 3 000 Menschen an . Die EU-Kommission legte im vergangenen Jahr eine Migrationsagenda vor, und dann folgten auch Legislativvorschläge . Das sah richtig ambitioniert aus . Nach einigen Seiten hat man schon gedacht: Hier ist etwas in Bewegung . In der jüngsten Sitzung des Gremiums der EU-Kommission am 13 . Januar dieses Jahres - da braucht man gar keinen anderen zu zitieren - lautete die ernüchternde Feststellung: Keine dieser vorrangigen Maßnahmen ist auch nur in irgendeiner Hinsicht zureichend umgesetzt worden . Der Kollege Ulrich hat es angesprochen: Es sollten 160 000 Flüchtlinge verteilt werden . Die ganz aktuelle Zahl ist aber immerhin auf 414 gestiegen, und das nach etlichen Monaten . Von den elf Hotspots sind drei umgesetzt, ({1}) allerdings nicht mit den Mitteln und den Kapazitäten, die vorgesehen waren, und wir wissen alle: Insbesondere die Visegradländer, also Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei, aber auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben große Vorbehalte und stehen der Aufnahme von Flüchtlingen sehr kritisch gegenüber . Großbritannien und Irland beteiligen sich nach den Verträgen nicht am Asylsystem . Dänemark hat ein Optout, das heißt, es kann sich aussuchen, ob es sich beteiligt oder nicht . Nur einige wenige Staaten nehmen zurzeit tatsächlich Flüchtlinge auf - bis die Belastungen und der innenpolitische Druck zu hoch werden . Wir haben die Entwicklungen verfolgt: In Schweden, Dänemark und Österreich gibt es strikte Grenzkontrollen, Obergrenzen und massive Verschärfungen des Asylrechts . Jetzt geht es natürlich los . Man wollte etwas tun, nämlich 160 000 Menschen verteilen . Das funktioniert nicht . Jetzt kommt ein Bashing, und zwar in alle Richtungen, in erster Linie in Richtung der einzelnen Mitgliedstaaten . Es gibt Schuldzuweisungen und ganz merkwürdige, rechtsextreme Vorstellungen . Das mag ja sein; aber, meine Damen und Herren, diese Europäische Union, wie sie besteht, ist geprägt durch Vielfalt und Pluralismus - historisch, politisch und kulturell . Sie besteht gerade nicht aus gleichen Bürgern in gleichen Staaten, in gleichen Regionen . Man kann hier nicht alle über einen Kamm scheren . Europa konnte bisher doch nicht nur funktionieren, weil alle Länder mit allen anderen Menschen in anderen Ländern Europas solidarisch waren, sondern auch, weil jeder Mitgliedstaat für sich große Vorteile gesehen hat . Das ist doch auch der Grund für die Ausnahmevorschriften in den vielen Protokollen . Wenn man es auf den Punkt bringt, dann könnte man die EU auch mit „Egoismus-Union“ übersetzen, aber das war sie doch von vornherein, das ist doch nichts Neues . Europa konnte nur funktionieren, weil man auch Rücksicht auf den anderen genommen hat . Jetzt muss man Folgendes sehen: Diese ablehnende Haltung entsteht doch nicht in den einzelnen Regierungen und in ihren Gremien . Dort wird doch nicht überlegt: Was tun wir jetzt, wie können wir der EU jetzt dazwischenfunken? - „Wir wollen keine Flüchtlinge“: Das ist eine gefestigte und verwurzelte Haltung in der jeweiligen Bevölkerung; das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen . ({2}) Jetzt stellt sich die Frage: Setzen wir das EU-Recht mit Brachialgewalt um? Oder nehmen wir im Zuge unserer Politik auch darauf Rücksicht? Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben dazwischengerufen, aber ich sage Ihnen eines: Der Rechtsextremismus entsteht nicht, wenn Sie nicht genügend Sozialleistungen zur Verfügung stellen - das kann im Einzelfall einmal so sein -, er entsteht dann, wenn Sie gegen eine Stimmungslage, gegen Anschauungen in einer Bevölkerung mit Brachialgewalt und rücksichtslos Politik machen und nicht bedenken, welche Auswirkungen das hat . Was meinen Sie denn, warum überall in Europa zurzeit die Anzahl der Rechts- und Linksextremen ansteigt? Das liegt nicht an Verwerfungen im Sozialbereich, die sicherlich auch da sind .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Seif, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Ulrich?

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja .

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank . - Herr Seif, Sie sind jetzt der vierte Redner der Regierungskoalition . Schauen Sie sich die Presselandschaft an, denken Sie an Ihre eigenen Fraktionssitzungen der letzten Wochen: Man merkt, die Bundeskanzlerin schafft es nur noch, mit dem Thema einer europäischen Lösung die Regierung zusammenzuhalten, und ganz Deutschland wartet darauf, was denn die europäische Lösung sein soll . ({0}) Sie sind jetzt der vierte Redner der Regierungskoalition, der keinen einzigen Satz dazu sagt, wie jetzt die europäischen Lösungen aussehen sollen . Finden Sie es verantwortbar für die Bundesregierung und für die Fraktionen der Bundesregierung, dass sie auch in dieser Debatte nur allgemein business as usual betreiben, oder wären Sie als einer der letzten Redner vielleicht bereit, jetzt einmal zu sagen, wie die europäische Lösung der Bundesregierung aussieht, was die Meinung Ihrer Fraktion ist und was bei dem EU-Gipfel in drei Wochen herauskommen soll? Denn mit einem Weiter-so, wie Sie es heute hier vertreten, werden Sie den Rechten in diesem Land weiter Auftrieb bescheren .

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Ulrich . Ich habe auf diese Zwischenfrage gewartet, weil ich eigentlich nicht genügend Redezeit habe, um über alle Themen zu reden . ({0}) Zunächst einmal eines zur Klarstellung: Die Unionsfraktion ist etwas anderes als das, was Sie in der Öffentlichkeit sehen können . Wir sind Kollegen, die sehr intensiv in der Sache um das richtige Ergebnis ringen . ({1}) Es gibt unter den Kollegen, die vielleicht einen anderen Ansatz haben - ich habe ja auch an einer Stelle einen weiteren Ansatz - und mit denen ich gesprochen habe, keinen einzigen, der sagt, dass die Bundeskanzlerin nicht die Richtige wäre, um uns gemeinsam erfolgreich durch diese Krise zu führen . - Das zunächst einmal als Vorwort . ({2}) Herr Ulrich, Sie können stehen bleiben . Ich bin noch nicht im Redetext angekommen . Sonst wird das von meiner Zeit abgezogen . ({3}) - Sie können mir gleich noch eine Frage stellen . ({4}) Man muss auch sehen: Der Druck, den wir in Europa haben, folgt doch aus der hohen Zahl von Flüchtlingen . Die Umsetzung der europäischen Lösung wird in vielen Bereichen schon angegangen . Ganz wichtig ist die Fluchtursachenbekämpfung . ({5}) Da können wir nicht umhin . Ganz wichtig sind die Rückübernahmeabkommen; denn die Rückübernahme funktioniert nicht . Ganz wichtig sind auch weitere Einstufungen als sichere Herkunftsländer; wir reden hier über die Maghreb-Staaten . Das sind ganz wichtige Maßnahmen . Wir müssen aber auch - das vermisse ich in der Tat in dem Programm; da bin ich dankbar für Ihre Frage - darüber nachdenken, ob bei der Schaffung des Asylrechts, das wir in Europa haben, die Entwicklung der heutigen Zeit vorhergesehen wurde . Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedet . Da ging es um ganz andere Flüchtlinge, um viel weniger; dann hat man das erweitert . ({6}) - Es ging jedenfalls nicht um Fluchtbewegungen wie jene, die wir jetzt erwarten können, ({7}) bei denen es, wenn man genau hinschaut, um bis zu 100 Millionen Flüchtlinge geht . Solche Zahlen hat niemand vorhergesehen . Eines ist klar: Bei der europäischen Lösung muss der Flüchtlingsschutz ganz vorne stehen . Aber wo der Flüchtling geschützt wird, wo wir ihm eine Perspektive geben - hier in Deutschland oder heimatnah, wo das Ganze für nur 10 Prozent der Kosten umsetzbar ist und wir viel mehr Menschen helfen können -, ist eine ganz andere Frage . Die europäische Lösung muss auch ganz dringend bei der Anerkennungsrichtlinie ansetzen, die über die EU-Verträge hinausgeht . Da heißt es nur, dass ein subsidiärer Schutz bereitgestellt werden muss . Aber wir haben ihn in Europa sehr weit ausgeprägt, was es uns, wenn Bürgerkriegsflüchtlinge zu uns kommen, unmöglich macht, zu sagen: Bitte schön, wir haben an anderer Stelle mit den Vereinten Nationen die Möglichkeit geschaffen, dich sicher unterzubringen und dir eine Perspektive zu geben . - Das ist natürlich auch eine Zukunftsaufgabe . Es ist beschämend, dass die Mittel im Bereich der Fluchtursachenbekämpfung in den letzten Jahren immer weniger wurden und im letzten Jahr nicht einmal die Finanzierung des Welternährungsprogramms und der wenigen Einrichtungen vor Ort, im Libanon, in Jordanien, sichergestellt wurde . - Herr Ulrich, Sie haben es gemerkt: Ich bin jetzt wieder bei dem Gedanken von vorhin . ({8}) - Doch . Wenn Sie zugehört haben: Das war die Antwort . ({9}) Jetzt kehren wir zu dem Gedanken zurück, den ich erwähnt hatte . Der Gedanke ist: Es spielt keine Rolle, dass es schwer ist, bei den Mitgliedsländern, die erhebliche Vorbehalte haben, eine andere Politik auf den Weg zu bringen; denn man sagt einfach: Wenn du nicht spurst, dann kriegst du eine Vertragsstrafe, dann entziehen wir dir die Finanzleistungen . - Damit wird man Europa nicht zusammenhalten können . In der Sitzung des LIBE-Ausschusses vom 14 . Januar hat Kommissar Avramopoulos ausgeführt, dass zukünftig die Reformvorschläge der Kommission zum Dublin-System auf dem Prinzip der Solidarität - das hört sich gut an - aufgebaut werden sollen und die Flüchtlinge mit einem festen Schlüssel automatisch den einzelnen Mitgliedstaaten zugewiesen werden sollen . Meine Damen und Herren, das wird der falsche Weg sein . Wolfgang Schäuble hat letzte Woche in einer Rede darauf hingewiesen, dass eine gute Europapolitik immer auch nationale Erfahrungen berücksichtigen muss . Das gilt auch und gerade für die Integrationspolitik; denn nicht alle Gesellschaften durften in gleicher Weise die Vorzüge von Offenheit gegenüber Abschottung kennenlernen . Wir Deutsche erinnern uns an die Zeit der Wiedervereinigung . Damals haben wir aus genau diesen Erwägungen heraus die Vorbehalte der Menschen in Ostdeutschland berücksichtigt . Wir waren uns einig: Wir müssen das behutsam regeln, es geht nicht, dass man sich komplett aus dem System abmeldet; denn in irgendeiner Weise muss eine Kosten- und Lastenteilung stattfinden. Aber wir müssen das Vertrauen gewinnen, wir müssen ins Gespräch kommen . - Vorbild für die europäische Flüchtlingspolitik könnte durchaus das Modell sein, das wir nach der deutschen Wiedervereinigung umgesetzt haben . ({10}) Meine Damen und Herren, viele von uns sehen das Risiko, dass Europa an den großen Herausforderungen scheitern wird . Ich bin der festen Überzeugung: Europa kann das schaffen . Europa kann die anstehenden Herausforderungen hervorragend bewältigen und geht vielleicht sogar gestärkt daraus hervor . Aber wenn man keine Rücksicht nimmt, wenn man rücksichtslos an den Mitgliedstaaten vorbei agiert und meint, wir könnten von oben, von der Ebene der EU-Kommission durchregieren, dann sehe ich ein großes Risiko, dass dieses Europa scheitert . ({11}) Unabhängig von der zunehmenden Kritik war es zum Beispiel unvertretbar, dass der EU-Präsident Martin Schulz Polen bezichtigt hat, eine gelenkte Demokratie nach Putins Art zu sein . Das ist eine besonders geschmacklose Entgleisung, wenn man die historische und geografische Situation Polens bedenkt. ({12}) Ich komme zum Schluss . - Meine Damen und Herren, „Jetzt ist nicht die Zeit für Business as usual“, das ist absolut richtig . Eine einvernehmliche Lösung der Flüchtlingskrise in Europa wird aber nur möglich sein, wenn eine intensive und freundschaftliche Kommunikation mit den Ländern geführt werden wird, die Vorbehalte haben . Aber davon ist in der aktuellen Kommissionsarbeit und auch im Arbeitsprogramm 2016 leider nichts zu spüren . ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Andrea Lindholz hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ihrem Arbeitsprogramm 2016 betont die Kommission, dass Europa vor nie dagewesenen Herausforderungen steht . Viele warnen heute schon vor dem Ende Europas, dem Zerfall des Schengen-Raums und der Euro-Zone . Diese Warnungen haben einen ernsten Hintergrund; denn Europa steht aktuell nicht nur vor einer, sondern vor vielen Krisen gleichzeitig . Die institutionellen Schwächen der Euro-Zone wurden bisher nur teilweise beseitigt. Hohe Staatsdefizite, instabile Banken und verschleppte Strukturreformen halten die Euro-Krise virulent . Die hohe Arbeitslosigkeit und auch die wirtschaftliche Schwäche einiger EU-Staaten schwächen zum einen unseren Export und liefern zum anderen den Nährboden für Radikalismus und Nationalismus . In Frankreich liegt der Front National bei 28 Prozent . Großbritannien droht mit dem EU-Austritt, was für uns ein gewaltiger Verlust wäre . An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Angleichung von Sozialstandards in der EU eingehen . Ja, sie sind richtig, und sie sind wichtig . Allerdings sollten wir die Kritik der Briten näher betrachten und ganz genau zuhören . Wenn wir gleiche soziale Standards in Europa fordern, dann, sehr geehrte Damen und Herren von den Grünen, müssen wir uns auch die Frage gefallen lassen, warum wir als Deutsche für Kinder, die in Rumänien leben, das gleiche Kindergeld zahlen wie für Kinder, die in Deutschland leben . ({0}) Das darf nicht der Fall sein . Die Reformen müssen daher in beide Richtungen gehen . ({1}) Die Kommission hat das Freihandelsabkommen TTIP zur Top-Priorität erklärt . Es soll die Grundlagen für neues Wirtschaftswachstum in Europa schaffen . Wir alle kennen die Vorbehalte gegen TTIP; wir hören sie und haben sie zum Teil auch selber . Es ist Aufgabe von uns Parlamentariern, diese berechtigten Bedenken zu prüfen . Uns fordern aber auch die Kriege in der Ukraine und in Syrien sowie die Instabilität im arabischen Raum . Das alles ruft Fanatismus und Terrorismus hervor . Die aktuell größte Bedrohung und größte Herausforderung ist allerdings die unkontrollierte Zuwanderung nach Europa, insbesondere nach Deutschland . Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ist erschüttert . Sehr geehrter Herr Kollege Sarrazin, Europa muss alles daransetzen, um auf diese Flüchtlingskrise eine europäische Antwort in Form einer gemeinsamen Asylpolitik zu finden. Das stellt kein Mitglied und keine Fraktion in diesem Haus infrage . ({2}) Sehr geehrter Herr Kollege Ulrich, wenn Sie im Zusammenhang mit der Asylthematik, obwohl wir in Deutschland über 1 Million Menschen aufgenommen haben - die Menschen in diesem Land haben Großartiges geleistet, und wir im Deutschen Bundestag haben in den letzten Monaten insgesamt sechs Gesetzespakete auf den Weg gebracht, um die Integration zu verbessern, aber auch, um Fehlanreize zu vermeiden und Abschiebehindernisse zu reduzieren -, von einem „Totalversagen“ des deutschen Staates sprechen, dann finde ich das völlig neben der Sache liegend . Ich muss ehrlich sagen: Ich kann verstehen, dass Menschen europa- und politikverdrossen sind, wenn wir bei unserer Wortwahl nicht aufpassen, wenn wir nicht aufpassen, wann wir von einem „Totalversagen“ sprechen . ({3}) Wenn Sie Ihre Ernsthaftigkeit in Sachen europäischer Flüchtlingspolitik dadurch unter Beweis stellen wollen, dass Sie sagen, wir bekämen gerade von den anderen Staaten eine „Retourkutsche“, ({4}) dann muss ich dazu sagen: Auch das ist unangemessen und unangebracht angesichts der Leistung, die in Deutschland gerade erbracht wird . Wenn die Politik in Europa davon bestimmt wird, dass man sich gegenseitig Retourkutschen verteilt, kann ich verstehen, dass die Menschen mit der Politik nicht mehr viel anfangen können, dass sie politikverdrossen und europaverdrossen sind . Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete, in unseren Reden darauf hinzuweisen und mit solchen Begriffen vorsichtig umzugehen . ({5}) - Ich komme ganz sicher noch auf Herrn Seehofer zu sprechen; Sie bieten mir so schöne Vorlagen . ({6}) Wir wollen eine gemeinsame Europapolitik . Es nützt nichts, wenn im Programm der Kommission vieles steht: Frontex-Einsätze verstärken, Dublin-Verordnung reformieren, Solidaritätsmechanismen einführen . Das sind alles wichtige und richtige Maßnahmen . Wir brauchen auch gemeinsame Kontingente in Europa und eine gemeinsame Solidaritätsanrechnung, weil es natürlich nicht sein kann, dass es einzelne Länder gibt, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens die Hauptlast tragen . Aber Europa muss auch handeln . Es genügt nicht, dass in dem Programm steht, dass die Kommission bis Ende des Jahres Vorschläge vorlegt, wie gewisse Dinge überhaupt umgesetzt werden sollen . Das dauert nämlich zu lang für Deutschland . Wir können nicht warten, bis man sich in Europa irgendwie einigt . Auch wir hoffen auf eine Einigung in Europa; aber die Beschlüsse, die vereinbart wurden, wurden bisher noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt . 322 Flüchtlinge von 160 000 sind verteilt worden . Wer von Ihnen war schon einmal in Bayern - das frage ich in jeder meiner Reden - und hat sich die Verhältnisse an der Grenze vor Ort angeschaut? Wer hat mit unseren Bürgermeistern und Landräten gesprochen, und wer weiß, wie es ist, wenn tagtäglich Tausende und Abertausende Menschen nach Bayern strömen? Wenn es in Europa keine zügige, keine zeitnahe und keine vernünftige Lösung gibt, dann hat Horst Seehofer das gute Recht, darauf hinzuweisen, ({7}) dass beispielsweise Griechenland seiner Verpflichtung zur Außengrenzensicherung nicht nachkommt und ein unkoordiniertes Durchleiten von Flüchtlingen bis nach Deutschland bei uns zu Problemen führt und wir deshalb sehr wohl darüber nachdenken müssen - dazu sind wir verpflichtet -, ob wir Grenzkontrollen einführen und stufenweise Zurückweisungen vornehmen, wie das jetzt zum Beispiel schon gemacht wird, wenn die Leute klar sagen, dass sie kein Asyl in Deutschland beantragen wollen .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Lindholz, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich lasse sie gleich zu . Ich möchte den Gedanken noch zu Ende führen . Danach gerne . - Wenn es in Europa keine zügige Lösung gibt, dann müssen wir auch über diese Maßnahme nachdenken . Wenn wir diese Auffassung vertreten, heißt das nicht, dass die CSU oder Horst Seehofer unsolidarisch ist oder gar eine gegen Europa gerichtete Politik betreiben möchte . Jetzt gestatte ich die Zwischenfrage .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Baerbock wünscht, eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen . Da Sie es gestattet haben, hat sie jetzt das Wort .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz . - Sie haben angesprochen, dass 160 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien umverteilt werden sollen . Sie haben gesagt, dass alle ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Wie erklären Sie sich dann - Sie haben die 300 angesprochen, die bisher umverteilt wurden -, dass Deutschland das zugesagte Kontingent auch nicht umverteilt hat und bisher erst 27 aufgenommen hat? ({0}) Was unternehmen Sie als Regierungsfraktion, damit wir unserer eigenen Zusage bei der Umverteilung der 160 000 aus Griechenland gerecht werden? Während zum Beispiel Bulgarien - das haben wir gemeinsam gestern im Europaausschuss erfahren - sein Kontingent schon aufgenommen hat, meldet Deutschland hier einfach nicht . ({1})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wir haben in Deutschland über 1 Million Menschen aufgenommen . Das ist weit mehr als in diesem Kontingent . Punkt eins . ({0}) Punkt zwei . Ich habe nicht davon gesprochen, dass diese Flüchtlinge auf Italien und Griechenland aufzuteilen sind . ({1}) Ich bin also der Auffassung, dass die Kommission in ihrem Programm viele gute und viele richtige Vorschläge unterbreitet hat . Es genügt uns aber nicht, wenn diese Vorschläge nicht umgesetzt werden, wenn das Dublin-Verfahren beispielsweise nicht reformiert wird und Vorschläge dazu nicht schnell genug vorgelegt werden . Europa muss in dieser Lage so schnell handeln, wie Europa in der Lage war, bei der Euro-Krise zu handeln . Das können wir an dieser Stelle auch einfordern . Ich möchte noch einmal betonen: Nicht Deutschland hat sich in den letzten Monaten einer europäischen Lösung verschlossen . Wir haben in den letzten Monaten viele, viele Hunderttausende, ja Millionen von Flüchtlingen aufgenommen und auch für die Zukunft die Bereitschaft erklärt, dass wir uns mit den Leidtragenden der Krisen der Welt solidarisch zeigen . Hierzu gehört auch, dass wir erkennen und begreifen, dass die Entwicklungshilfe, die Hilfe vor Ort - wir reden immer wieder davon - das Mittel ist, das wir verstärkt einsetzen müssen . Wir sind nicht auf einer einsamen Insel . Wir sind auf die anderen europäischen Staaten angewiesen . Wir sind bei der Entwicklungshilfe auch auf die Weltgemeinschaft angewiesen . Da kann man es sich nicht einfach machen und so tun, als ob wir in Deutschland nicht genug zur Bewältigung der Krisen beitragen . ({2}) Ich möchte mit einem Zitat von Konrad Adenauer schließen . Er hat gesagt: Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen . Sie wurde eine Hoffnung für viele . Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle . Dieses Zitat hat auch nach 62 Jahren nichts von seiner Relevanz verloren . Ich wünsche mir Einheit in diesem Parlament, was die Flüchtlingsfrage angeht, vor allen Dingen aber in Europa . Ich wünsche mir eine europäische Antwort auf diese Krise und bin dennoch der festen Überzeugung, dass wir auch um weitere nationalstaatliche Maßnahmen nicht herumkommen werden, wenn Europa in den nächsten Wochen nicht zügig handelt . Danke schön . ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann ({1}), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen - Mütterrente anerkennen Drucksachen 18/6043, 18/6222 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Dr . Martin Rosemann für die SPD-Fraktion . ({2})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit mittlerweile eineinhalb Jahren wird die Kindererziehung für vor 1992 geborene Kinder in Deutschland besser anerkannt . Es werden nämlich die ersten beiden Jahre berücksichtigt statt früher nur das erste . ({0}) Wer seitdem in Rente gegangen ist und Kinder erzogen hat, dem wird auch die Erziehungsleistung, die er oder sie erbracht hat, zugerechnet . Das gilt für das erste Lebensjahr des Kindes und auch für das zweite . Das gilt selbstverständlich auch für Pflege- und Adoptiveltern. Das ist erst einmal eine gute Nachricht für alle Mütter und Väter in unserem Land . Das hat diese Koalition geschafft . ({1}) Wir haben aber noch etwas anderes geschafft: Im Unterschied zu allen anderen Verbesserungen im Rentenrecht profitieren von dieser Neuregelung, von dieser Mütterrente, auch Frauen und Männer, die vor Inkrafttreten des Gesetzes schon in Rente waren . Auch das ist eine gute Nachricht für alle Rentnerinnen und Rentner mit vor 1992 geborenen Kindern ({2}) Die Voraussetzung dafür, dass wir das so machen konnten, war aber eine Pauschalregelung . Mütter bzw . Väter, die bereits in Rente waren, bekamen pauschal einen Entgeltpunkt für das zweite Jahr der Kindererziehungszeit zugewiesen . Dabei bekam jeweils die Person den Rentenpunkt, die bereits die Mütterrente für das erste Lebensjahr des Kindes bezog . Anders, meine Damen und Herren, war es schlicht nicht möglich, dies für die Frauen und Männer, die bereits in Rente waren, zu organisieren . Sonst hätten wir Hunderttausende von Versicherungsbiografien noch einmal von Hand bearbeiten müssen. Der Verwaltungsaufwand dafür stünde in keinem Verhältnis zu den Leistungen, wäre schlichtweg nicht vertretbar gewesen . Klar ist, meine Damen und Herren: Durch die gefundene pauschale Regelung wird in den meisten Fällen die Realität abgebildet und damit die Leistung der Kindererziehung an der richtigen Stelle gewürdigt . Aber klar ist auch - das soll nicht verschwiegen werden -, dass es in speziellen Konstellationen zu einer falschen Zuordnung und damit in Einzelfällen zu Ungerechtigkeiten kommen kann . Eine, über die wir heute diskutieren, ist die Problematik bei der Anrechnung der Erziehungsleistung für Adoptiveltern . Aber das ist eben nicht die einzige, sondern es gibt noch andere, so beispielsweise dann, wenn der Vater ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes die Kindererziehung übernommen hat, die Mutter aber im ersten . In diesem Fall bekommt der Vater bei der Pauschalzuordnung selbstverständlich nicht den zusätzlichen Rentenpunkt, was vor allem dann ein Problem ist, wenn die Ehe mittlerweile in die Brüche gegangen ist . Ein weiteres Beispiel ist der Fall, dass Eltern ihr Kind im ersten Lebensjahr im Ausland erzogen haben . Auch dann kommt es zu Ungerechtigkeiten . Hier bekommt nämlich keiner den zusätzlichen Rentenpunkt . Umgekehrt gibt es aber auch Beispiele dafür, dass sich die Pauschalzuordnung positiv auswirkt, beispielsweise dann, wenn durch die pauschale Anrechnung keine Kappung an der Beitragsbemessungsgrenze erfolgt, wenn sich bestehende Abschläge, beispielsweise aufgrund einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente, nicht auf den zusätzlichen, pauschal zugewiesenen Rentenentgeltpunkt auswirken . Das alles zeigt, meine Damen und Herren: Man kann nicht eine Lösung nur für eines dieser Probleme beschließen und die anderen Probleme ignorieren . ({3}) Man kann sich aber auch nicht alle diese Fälle noch einmal einzeln anschauen . Damit sind wir ohne Zweifel in einem Dilemma, in einem Dilemma, in das man allerdings nur kommt, wenn man, wie wir, Verantwortung übernimmt, regiert und Entscheidungen trifft, anstatt sich, wie die Linke, in der Opposition zu gefallen . ({4}) Um es noch einmal zu sagen: Die einzige Alternative wäre es also gewesen, die Leute, die zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits in Rente waren, von der Verbesserung auszunehmen . Nochmals: Das wäre richAndrea Lindholz tig ungerecht gewesen . Das wollten wir nicht . Deswegen haben wir das auch nicht gemacht . ({5}) Denn wir sehen jetzt schon, dass die Mütterrente ein großer Erfolg ist . Durch die Mütterrente ist der durchschnittliche Zahlbetrag der Rente für Frauen heute um 10 Prozent höher, für Frauen mit Kindern sogar um 12 Prozent . Natürlich ist aber auch klar, dass die Anerkennung der Erziehungsleistung in der Rente nie wirklich der Lebensleistung gerecht wird, die man erbringt, wenn man Kinder erzieht . Auch die drei Jahre Erziehungszeit, die für ab 1992 geborene Kinder angerechnet wird, schaffen das nicht . Deshalb gibt es übrigens im Rentenrecht weitere Elemente der Anerkennung von Erziehungsleistungen: vor 1992 die Aufwertung von geringen Rentenanwartschaften im Rahmen der Rente nach Mindesteinkommen, ab 1992 die Höherwertung niedriger Entgeltpunkte bzw . eine Gutschrift von zusätzlichen Entgeltpunkten im Rahmen der Kinderberücksichtigungszeiten . Bei der Rente für besonders langjährig Versicherte werden bis zu zehn Jahre Kinderberücksichtigungszeiten angerechnet, damit man diese erreicht . Meine Damen und Herren, klar muss aber auch sein: Allein mit der Rente kann eine adäquate Anerkennung der Erziehungsleistung letztlich nicht erreicht werden . Das muss eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung sein . Letztlich wird die beste Anerkennung dann gewährleistet sein, wenn es in unserem Land selbstverständlich ist, dass sich Frauen und Männer die Erziehungsarbeit ebenso wie die Erwerbsarbeit partnerschaftlich teilen . Dafür sollten wir als Staat, als Gesellschaft und als Politik in den kommenden Jahren die richtigen Rahmenbedingungen schaffen . ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Matthias W . Birkwald für die Fraktion Die Linke . ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Ihr Rentenpaket ist jetzt eineinhalb Jahre alt . Insofern ist es höchste Zeit, dass wir heute einmal über eine Gruppe sprechen, die von Ihrem Rentenpaket überhaupt nicht profitiert. Ganz im Gegenteil: Diese Mütter und Väter werden massiv benachteiligt, Herr Dr . Rosemann; es handelt sich um Adoptivmütter und Adoptivväter . Ich spreche hier von den Adoptivmüttern, die bereits vor dem 1 . Juli 2014 in Rente waren . Sie gehen bei der sogenannten neuen Mütterrente komplett leer aus, wenn sie ihr vor 1992 geborenes Kind erst nach dessen erstem Geburtstag adoptiert haben . Diese Mütter bekommen keinen Cent Mütterrente . Keinen Cent . Wir Linke sagen: Das ist ungerecht, und das darf nicht so bleiben . ({0}) Meine Damen und Herren, hier geht es nicht nur um bares Geld, sondern auch um die gesellschaftliche Anerkennung für die bewundernswerte Entscheidung, sich dauerhaft um ein Kind zu kümmern und es großzuziehen, und zwar mit allem, was dazugehört . Das ist nicht selbstverständlich . Darum sage ich hier einmal ein großes Dankeschön an alle Adoptiveltern für ihr wertvolles Engagement . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, der Verband der Pflege- und Adoptiveltern geht von sage und schreibe 40 000 Familien aus, denen Sie die sogenannte Mütterrente vorenthalten . Ich sage: Das sind 40 000 Betroffene zu viel . ({2}) Es gibt doch keinen Grund, die Adoptivmütter bei der Mütterrente leer ausgehen zu lassen . Adoptivmütter wechseln genauso die Windeln ihrer Kinder, wie es leibliche Mütter tun . Adoptivväter kochen genauso gut für ihre Kinder, wie es leibliche Väter tun . Adoptiveltern bringen ihre Kinder genauso in die Kita oder zur Schule, wie es die leiblichen Eltern tun . Deswegen sage ich: Hier muss etwas getan werden, und zwar dringend . ({3}) Meine Damen und Herren, am 24 . September haben wir schon einmal über das Thema der Mütterrente auch für Adoptiveltern debattiert . Damals habe ich an Union und SPD appelliert, die 40 000 Adoptiveltern nicht im Regen stehen zu lassen . Ich habe es damals gesagt, und ich sage es heute: Legen Sie eine gerechte und angemessene Lösung auf den Tisch . Liebe CDU, der Kollege Matthias Zimmer hatte ja damals gespottet, die Opposition verlöre sich im kleinen Karo . Das war zwar wie immer sehr poetisch, aber auch eine Frechheit für die 40 000 Betroffenen . ({4}) Ihr Hinweis auf die Kostenprobleme ist schlicht unredlich . Warum? Bei 40 000 Adoptiveltern, die dann einen zusätzlichen Rentenentgeltpunkt, also weniger als 30 Euro mehr Rente, erhielten, müsste die Versichertengemeinschaft gerade einmal 14 Millionen Euro pro Jahr aufbringen . In der Rentenkasse sind aktuell mehr als 34 Milliarden Euro . 14 Millionen sind gerade einmal 0,04 Prozent davon . Liebe Union, da sage ich: Seien Sie mal nicht geiziger als Finanzminister Schäuble . Das muss drin sein . ({5}) Lieber Kollege Strebl von der CSU - die CSU will ich hier ja nicht vergessen -, Sie haben in der ersten LeDr. Martin Rosemann sung noch das Horrorszenario an die Wand gemalt, dass 9,5 Millionen Mütterrenten individuell hätten geprüft werden müssen, wenn die Adoptiveltern gleichbehandelt worden wären . Kollege Rosemann sagte das ja auch . Sie haben sogar behauptet, die sogenannte neue Mütterrente hätte dann gar nicht in Kraft treten können . ({6}) Mit Verlaub, Herr Kollege Strebl, das ist nicht mehr als eine rhetorische Nebelkerze, ({7}) und die pusten wir jetzt mal aus . ({8}) Wenn wir den 40 000 Adoptiveltern die Möglichkeit gäben, einen Antrag auf sogenannte Mütterrente zu stellen, dann würde das die Deutsche Rentenversicherung in diesem klar umgrenzten Fall nicht überfordern, Herr Kollege Strebl . Die Deutsche Rentenversicherung ist nämlich sehr leistungsfähig . Sie bearbeitet rund 3,9 Millionen Renten- und Rehaanträge im Jahr . Um das einmal mit Worten zu sagen, die Ihnen besonders bekannt sind: Die schaffen das! ({9}) Nun komme ich zur SPD . Liebe Dagmar Schmidt, lieber Martin Rosemann, Sie haben in der ersten Lesung und auch gerade immerhin ehrlich zugegeben: Die Regelung für Adoptiveltern ist ungerecht . - Kollegin Schmidt, nur zu sagen, man brauche bei einer so großen Reform pauschale Regelungen, wie wir es auch gerade wieder gehört haben, und die könnten nicht jeden Einzelfall berücksichtigten, bedeutet aber doch, sich nur - husch, husch - herauszureden, und vor allem bringt es den Adop tivmüttern keinen einzigen Cent Mütterrente . Liebe SPD, 40 000 Mütter und Väter sind doch kein Einzelfall . Sie füllen ein mittelgroßes Fußballstadion . Sehen Sie das doch endlich einmal ein! ({10}) Meine Damen und Herren, die Linke bietet eine umsetzbare Lösung für die Adoptiveltern an: ({11}) Adoptivmütter, die ihr Kind nach seinem ersten Geburtstag adoptiert haben, erhalten auf Antrag die neue Mütterrente, also einen zusätzlichen Entgeltpunkt . Das war und bleibt unser Vorschlag. Der ist praktikabel, finanzierbar und vor allem auch sozial gerecht . Herzlichen Dank . ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Peter Weiß hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Mütterrente war und ist eine der großen sozialpolitischen Veränderungen, die diese Große Koalition beschlossen hat . Sie war und ist ein Herzensanliegen, das im Wahlprogramm der Union stand, und wir sind froh, dass es uns zusammen mit den Sozialdemokraten in dieser Großen Koalition gelungen ist, die Erziehungsleistungen der Mütter in unserem Land im Rentenrecht endlich deutlich besser anerkennen zu können als in der Vergangenheit . ({0}) Für das, was am 1 . Juli 2014 in Kraft getreten ist, ist ein Finanzvolumen von 6,7 Milliarden Euro pro Jahr notwendig . Wenn Sie sich einmal anschauen, was wir sonst noch alles beschlossen haben, dann stellen Sie fest: Das ist die größte sozialpolitische Verbesserung in Heller und Pfennig, in Euro und Cent, die es seit Jahrzehnten in Deutschland gegeben hat . Wir können zu Recht stolz darauf sein, dass wir diesen riesigen finanziellen Aufwand gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung tragen, um die Mütter aufgrund ihrer Erziehungszeiten im Rentenrecht besserzustellen . ({1}) Der Kollege Rosemann hat ausgeführt: Es war uns bei dieser Reform wichtig, dass bei der Berechnung der Rente künftig nicht nur die Kindererziehungszeiten derjenigen besser berücksichtigt werden, die heute im Arbeitsleben stehen, sondern dass wir vor allen Dingen auch den 9,5 Millionen Müttern, die bereits Rentnerinnen sind, eine Besserstellung in der Rente gewähren können; denn sie haben ihre Kinder in Zeiten großgezogen, in denen es noch keine Kitas und kein Elterngeld gab, ({2}) und in der Regel hat damals die Frau - manchmal auch der Mann - bei der Geburt des ersten Kindes ganz auf die Berufstätigkeit verzichtet . Sie haben es besonders nötig, dass sie durch die Kindererziehungszeiten rentenrechtlich bessergestellt werden . Dieses Gerechtigkeitsproblem haben wir mit mehr Leistungen durch die Mütterrente klar und eindeutig beantwortet . ({3}) Diese Regelung, bei der wir auch die Bestandsrentnerinnen und -rentner, wie man so schön sagt, also diejenigen, die schon in Rente sind, einbezogen haben, hat übrigens dazu geführt, dass durch diese Neuregelung 64 000 Frauen zum ersten Mal einen eigenen Rentenanspruch bekommen . Auch das ist eine großartige Leistung . Wenn man sich die Auszahlung von Rentenleistungen an Frauen anschaut, dann stellt man fest, dass allein die Verbesserung bei der Mütterrente zu einer rund 10-prozentigen Steigerung des Renteneinkommens der Frauen geführt hat . Das zeigt doch: Wir haben hier einen ganz maßgeblichen Beitrag zu mehr Rentengerechtigkeit für die Frauen in unserem Land geleistet . ({4}) Weil natürlich auch die Linke weiß, dass man den Erfolg dieser rentenpolitischen Innovation der Großen Koalition eigentlich nicht kaputtreden kann, sucht sie krampfhaft nach irgendeinem Haar in der Suppe . ({5}) Das Problem ist nur: Dabei ist sie bereit, die ganze Suppe auszuschütten . Das möchte ich kurz erläutern . Verehrte Kolleginnen und Kollegen, als wir in der Koalition mit den Fachleuten, den Experten im Ministerium und denen der Deutschen Rentenversicherung, darüber gesprochen haben, wie wir es machen können, auch denjenigen, die bereits in Rente sind, diese Mütterrente zukommen zu lassen, sind wir auf folgende Problematik gestoßen: Wenn die Mitarbeiter der Rentenversicherung wirklich die alten Akten von 9,5 Millionen Menschen, die bereits Rente beziehen, deren Rentenkonto geschlossen ist, wie das fachtechnisch heißt, aus dem Keller hätten holen müssen, um die gesamte Rentenbiografie nachzurechnen, ({6}) dann hätten die Sachbearbeiter wahrscheinlich über drei Jahre gebraucht - das lässt sich nicht am Computer erledigen -, um die Arbeit zu erledigen . ({7}) Da haben wir gesagt: Wenn wir mit so etwas ins Parlament gehen, brauchen wir uns in der Öffentlichkeit in Deutschland gar nicht mehr blicken zu lassen, da lacht uns die Bevölkerung aus . Es gibt nur eines: Wenn die Mütterrente am 1 . Juli 2014 in Kraft tritt, dann muss die Mütterrente binnen drei Monaten auch bei den Bestandsrentnerinnen und -rentnern in Deutschland ankommen . Nur das geht . ({8}) Deshalb haben wir uns für eine Pauschallösung entschlossen . Nur mit einer Pauschallösung war es möglich, zu erreichen, dass die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland bereits seit Monaten zusätzlich Mütterrente beziehen können . Das haben wir geschafft, das haben wir gemacht . Es war völlig richtig, es so zu machen, dass die Mütterrente sofort möglich ist und nicht erst in ein paar Jahren . ({9}) Warum ist das so? Die Linke hält Reden nach dem Motto: Hoffentlich kennt niemand das Rentenrecht! ({10}) Dann kann man den Leuten alles Mögliche vormachen . Was heißt denn Mütterrente? Mütterrente heißt Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rente . Das wird technisch so gemacht: Um zu erreichen, dass es für ein Jahr Kindererziehungszeit zusätzlich Rente gibt, wird dem Rentenkonto der Frau respektive des Mannes im ersten Lebensjahr des Kindes ein Entgeltpunkt - das sind heutzutage rund 28 Euro ({11}) gutgeschrieben . Bei zwei Jahren Kindererziehungszeit werden diese Punkte im zweiten Lebensjahr des Kindes gutgeschrieben . Sind es drei Jahre - das gilt für alle Kinder, die ab 1992 geboren sind -, werden diese Punkte im dritten Lebensjahr gutgeschrieben . So kann das jeder auf seiner Renteninformation, die er erhält, nachlesen . Darauf ist für jedes Jahr ausgewiesen, wie viel Entgeltpunkte auf dem Rentenkonto gutgeschrieben werden . Was haben wir gemacht? Wir haben für alle vor 1992 geborenen Kinder beschlossen, dass ein solcher Entgeltpunkt, eine zusätzliche Rentenleistung auch im zweiten Lebensjahr des Kindes auf dem Rentenkonto gutgeschrieben wird . Und das haben wir für alle gemacht, selbstverständlich auch für die Adoptiveltern . Deswegen ist das, was Herr Birkwald hier vorgetragen hat, nämlich dass das die Adoptiveltern nicht betreffe, schlichtweg falsch . Dieser Entgeltpunkt wird selbstverständlich auch Adoptiveltern gutgeschrieben . Nun ist es so, dass wir für diejenigen, die bereits in Rente sind, irgendeinen Ansatzpunkt finden mussten, um herauszufinden, wer von diesen Kinder großgezogen hat und dafür schon für das erste Jahr Kindererziehungszeiten gutgeschrieben bekommt, um ihnen dann zusätzlich einen Pauschalbetrag für ein zweites Jahr gutschreiben zu können . Da bleibt dann eben nichts anderes übrig, wenn man es einfach und per Computer machen will, als zu schauen, ob für den zwölften Monat tatsächlich Kinderzuschlag auf die Rente ausbezahlt wird . Allen Rentnerinnen und Rentnern, auf die das zutrifft, wurde dann zum 1 . Juli der Pauschalzuschlag gutgeschrieben . So war es möglich, dass spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes wirklich alle Berechtigten in Deutschland, die bereits Rentnerin oder Rentner sind, diesen Zuschlag gutgeschrieben bekommen haben .

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald?

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön .

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege Weiß, danke, dass Sie die Bemerkung zulassen . Sie haben gerade so schön ausgeführt, wie das alles funktioniert .

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, man muss es ja einmal erklären . Peter Weiß ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist auch in Ordnung . - Sie haben nur den wesentlichen Punkt, um den es in dieser Debatte geht, elegant unter den Tisch fallen lassen . Wenn beispielsweise eine Frau ein 14 Monate altes Kind adoptiert hat - gehen wir ausschließlich von einer Adoptivmutter aus, nicht von Adoptiveltern -, dann hat diese Adoptivmutter das Kind erzogen, als es 15 oder 20 Monate alt war usw ., bis es zum Beispiel zehn oder elf war . Also hat sie, nicht die leibliche Mutter, die wesentliche Erziehungsleistung erbracht . Weil das Kind erst im vierzehnten Lebensmonat und nicht im elften, zehnten oder im vierten adoptiert wurde, bekommt diese Adoptivmutter, die die gesamte Erziehungsleistung - hoffentlich gemeinsam und gleichberechtigt mit ihrem Mann erbracht hat, keinen Cent von Ihrer schönen Mütterrente . Das müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen . Ehe Sie jetzt immer weiter behaupten, das hätte alles berechnet werden müssen, bitte ich Sie, noch einmal in unseren Antrag zu schauen . Wir haben vorgeschlagen, dass das auf Antrag überprüft werden soll, damit die Rentenversicherung eben nicht alle Akten und Rentenkonten prüfen muss . Das heißt, man müsste die Regelung beschließen und publikmachen, und dann kämen sukzessive die Anträge herein . Jetzt erklären Sie mir bitte einmal, warum die Rentenversicherung das nicht schaffen könnte . ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Birkwald, Sie haben schon wieder das Rentensystem falsch erklärt, ({0}) oder Sie bauen darauf, dass die Mitbürgerinnen und -bürger das Rentenrecht nicht kennen . ({1}) Die Kindererziehungsleistung in der Rente wird nicht für das zehnte oder elfte Lebensjahr bezahlt . ({2}) - Doch, doch . ({3}) Sie sagten, sie habe dann ja über zehn Jahre hinweg Kinder erzogen . - Bei der Rente wurde sie bis vor kurzem, vor der Reform, für das erste Lebensjahr des Kindes gutgeschrieben, und nach der Reform wird sie für das zweite Lebensjahr des Kindes gutgeschrieben . Das gilt für alle Rentnerinnen und Rentner . Die einzige Frage ist: Macht man eine Pauschalregelung, oder macht man keine Pauschalregelung? ({4}) Der Punkt ist folgender: Wenn Sie eine Pauschalregelung machen, dann bedeutet das, dass die große Mehrheit der Leute, die es wirklich betrifft, die zusätzliche Rente erhalten . Ich gebe zu: Es gibt auch Grenzsituationen, bei denen es möglicherweise danebengeht . ({5}) Aber wir standen vor der Frage: Pauschalregelung - ja oder nein? Und um es klar und deutlich zu sagen: Für mich und, wie ich glaube, für uns alle in der Koalition galt: Wer schnell hilft, hilft doppelt . Deswegen gibt es ein klares Ja zur Pauschalregelung . ({6}) Wenn man aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten sagt: „Nein, ich will eine Einzelfallprüfung auf Antrag!“ Entschuldigung, es gilt doch wohl: entweder Pauschalregelung oder in allen Fällen Einzelfallprüfung -, dann muss man auch prüfen, wie der Kollege Rosemann vorgetragen hat, ob da vielleicht jemand die ersten 14 Monate im Ausland erzogen worden ist und erst im 15 . Lebensmonat nach Deutschland umgesiedelt ist und, und, und . Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Entweder macht man eine Pauschalregelung, oder man macht eine Einzelfallprüfung . Wenn wir eine Einzelfallprüfung eingeführt hätten, hätte wahrscheinlich noch kein Mensch in Deutschland die Mütterrente auf seinem Konto . Mit der Pauschalregelung haben die Leute seit Monaten die Mütterrente auf ihrem Konto . Das ist der Erfolg, auf den wir gebaut haben . Das haben wir durchgesetzt . ({7}) Ich hätte von Ihnen als Linke eigentlich erwartet, dass Sie den ganz besonderen Fall - den kann es auch geben vorgetragen hätten, dass bei jemandem, der im zweiten Lebensjahr seines Kindes bereits wieder voll gearbeitet hat, die Beitragsbemessungsgrenze erreicht hat und deswegen dank Pauschalregelung zu viel Mütterrente bekam, wieder abkassiert wird . Ich hoffe, dass die Linke demnächst einen entsprechenden Antrag stellt . ({8}) So viel zu den Besonderheiten . Man kann sicherlich zig Haare in der Suppe finden. Die entscheidende Frage lautet aber: Betrifft die Pauschalregelung cum grano salis insgesamt betrachtet die allergrößte Zahl der Fälle, in denen die Berechtigung besteht, für die Erziehungsleistung im zweiten Lebensjahr des Kindes Mütterrente zu erhalten? Das haben wir geschafft . Im Übrigen hat das Sozialgericht Berlin im letzten Jahr in einem Urteil die Richtigkeit dieses staatlichen Handelns bestätigt . ({9}) Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss . ({10}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Mütterrente ist ein großartiger Erfolg . Sie hilft denjenigen, die ihre Kinder zu Zeiten erzogen haben, in denen Kindererziehung oft mit Ausscheiden aus dem Berufsleben gleichzusetzen war . Wir haben mit der Pauschalregelung, die wir getroffen haben, eine rechtlich einwandfreie Lösung gefunden . Wir haben eine Lösung gefunden, die sofort hilft . Was die Linke vorschlägt, ist in Wahrheit eine Vertagung der Mütterrente . Das wollten und wollen wir nicht . Vielen Dank . ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Markus Kurth das Wort .

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen, ich frage mich gerade, ob Sie das jetzt wirklich so nachvollziehen konnten, was der Kollege Peter Weiß gerade eben von diesem Rednerpult aus dargelegt hat. Ich finde, dass das ein sehr gutes Beispiel dafür ist, wie ein eigentlich überschaubarer und klarer Sachverhalt, der nach meiner Einschätzung im Antrag der Fraktion Die Linke auch übersichtlich dargestellt ist, künstlich vernebelt, verkompliziert und dann auf eher unseriöse Weise diskreditiert wird . ({0}) - Ich muss hier im Gegenzug auch einmal austeilen und den Kollegen Matthias Birkwald in Schutz nehmen . Man kann, wenn es um rentenpolitische Vorstellungen geht, die das Rentenniveau angehen und Hunderte Milliarden Euro kosten, durchaus unterschiedlicher Meinung sein . Aber eines kann man Herrn Birkwald sicherlich nicht vorwerfen, nämlich die Unkenntnis des Rentenrechts . ({1}) - Sie hatten gerade eine solche Bemerkung gemacht, Herr Weiß . ({2}) Der Sachverhalt ist jedenfalls überschaubar . Wenn eine Mutter oder ein Vater über Jahre ihr bzw . sein Kind erzogen hat, dann haben sie, wenn das Kind zwischen dem 13 . und 24 . Monat erzogen wurde, einen Rentenpunkt als Anerkennung für diese Leistung verdient; darum geht es . ({3}) Und unseriös war - Herr Rosemann, Sie haben ja dazwischengerufen -, dass Sie einen Gegensatz aufgestellt haben und so getan haben, als ob nur Pauschalregelung oder nur Antragsregelung gehen würde . Man kann das Ganze doch sehr wohl mit einer Antragsregelung kombinieren . Meinethalben nimmt man dann die von Ihnen genannten Spezialfälle wie Zuzug aus dem Ausland und dergleichen dann auch noch auf . Dann gibt es möglicherweise - wir wissen es nicht genau - mehr Anträge als die 40 000 von betroffenen Adoptiveltern . Dann kommen sicherlich einige Tausend oder sogar Zehntausend Anträge hinzu . Aber wir werden Lichtjahre von 9,5 Millionen zu prüfenden Bescheiden entfernt sein . So viel Klarheit und Ehrlichkeit in der Debatte können wir uns allen abverlangen . ({4}) Das können wir eigentlich umso mehr, weil uns endlich einmal ein Antrag der Fraktion Die Linke vorliegt, dessen Umsetzung nicht Hunderte Milliarden Euro kostet oder Beitragssätze von 28 Prozent nach sich zieht . Ich hätte gedacht, Herr Birkwald - Sie kommen ja aus Köln, wo die Karnevalstage bevorstehen -, Sie würden noch einmal ordentlich Kamelle unters Volk bringen . ({5}) Jetzt sind wir hier aber beim Schwarzbrot und bei einem ernstzunehmenden Gerechtigkeitsproblem, das ja auch von der Großen Koalition niemand wirklich leugnet . Dass es hier eine Ungerechtigkeit gibt, ist ja auch bei den Beratungen im Ausschuss von allen zugegeben worden . Und weil das so ist, möchte ich Sie in dem Zusammenhang auch noch einmal an das erinnern, was Sie am 23 . Mai 2014 bei der Verabschiedung des sogenannten Rentenpakets vollmundig vom Redepult aus erklärt haben . Karl Schiewerling sprach bei der Verabschiedung des Rentenpakets von „mehr Gerechtigkeit für Millionen Mütter“ . Andrea Nahles sagte bei der Verabschiedung Zitat -: „Mit der Mütterrente erkennen wir die großartige Leistung von Millionen Müttern und auch Vätern an .“ Frau Böhmer von der Frauen-Union sagte: „Das ist ein Dank an die Mütter“ sowie „Heute ist ein Tag der Gerechtigkeit .“ ({6}) Peter Weiß ({7}) Ja was müssen denn die Adoptiveltern, die hier in Rede stehen, die ihr Kind erst im 13 . Lebensmonat adoptiert haben, von diesen Aussagen halten? Die müssen sich doch verschaukelt vorkommen . Für die ist es nur Schall und Rauch . ({8}) Übrigens darf ich daran erinnern, dass auch diejenigen Mütter, die in der Grundsicherung sind und durch die Mütterrente nicht über die Grundsicherungsschwelle kommen, nichts von dem Rentenpaket haben . Und wo ich einmal dabei bin, erinnere ich auch gerne an die Zusammenhänge, die sich aus der Finanzierung der Mütterrente als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe aus der Rentenkasse ergeben . Das führt nämlich dazu, dass das Rentenniveau niedriger ausfällt, als es ausfallen müsste, und dass der Beitragssatz höher ausfällt, als er eigentlich ausfallen müsste. Das heißt also: Das finanzieren die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler mit statt die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . Das haben wir von Anfang an diskutiert, und das darf in dem Zusammenhang, wo wir von Ungerechtigkeiten beim Rentenpaket reden, gern auch wiederholt und in Erinnerung gebracht werden . ({9}) Meine Damen und Herren, heute hätte die Regierungskoalition wenigstens signalisieren können, dass sie eine der unzähligen Gerechtigkeitslücken dieses Rentenpakets schließen will . Sie verneinen es, wie gesagt, prinzipiell nicht . Dass Sie sich hinter Formalien, hinter angeblich nicht lösbaren Konflikten zwischen Pauschalregelung und Antragsregelung verstecken, finde ich doch einigermaßen kläglich . Ich rufe Sie auf: Ändern Sie das! Setzen Sie sich auf den Hosenboden, und dann schaffen Sie das auch! Danke . ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion . ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr . Rosemann hat alles dazu gesagt, wie es zu den Ungerechtigkeiten gegenüber manchen bei der Mütterrente gekommen ist, wie unter anderem bei manchen Adoptiveltern, während wir aber gleichzeitig für 9,5 Millionen, vor allem Frauen, mehr Gerechtigkeit geschaffen haben . Das ist nun einmal einer Stichtags- und Pauschalregelung geschuldet; die bringt automatisch Ungerechtigkeiten mit sich . Vielleicht haben Sie - ich weiß es nicht - in Ihrem Leben auch schon einmal einer Stichtags- oder Pauschalregelung zugestimmt . Sie haben gesagt, dass man das ja auf Antrag machen kann . Sie haben es auf die Adoptiveltern bezogen . Wir haben gesagt, es gibt noch mehr, wo man alles einzeln anpassen müsste . Niemand kann sagen, wie groß die Dimension wirklich ist, die wir der Rentenversicherung dort aufbürden . Ich weiß nicht, ob Sie mit der Rentenversicherung einmal darüber gesprochen haben, wie sie das und alles andere, was wir ihr noch als Aufgaben gegeben haben, dann in gleicher Art und Weise gut schaffen kann . Wir haben uns entschieden . Damals wäre die Alternative gewesen, nichts zu machen . Wir haben uns für eine Rentensteigerung bei Frauen von durchschnittlich 10 Prozent entschieden . Und das war auch gut so . ({0}) Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass sich Adoptiveltern als Erziehende zweiter Klasse fühlen oder fühlen müssten . ({1}) Ich finde, das ist schon harter Tobak. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Partei Die Linke, Sie sind immer ganz schnell dabei, wenn es um Skandalisierung geht . Aber wenn man alles zu einem Skandal macht, dann erkennt man irgendwann den wirklichen Skandal nicht mehr, und es gibt auch keine Superlative mehr, um ihn dann noch zu beschreiben . ({2}) Sie tun so und Sie unterstellen, als würde sich diese Bundesregierung nicht um die Belange der Adoptiveltern kümmern und als würde die notwendige pauschale Regelung nur und ausgewählt Adoptiveltern treffen . Weder das eine noch das andere ist der Fall . Die pauschale Regelung trifft leider genauso Väter, die im zweiten Lebensjahr des Kindes die Erziehung übernommen haben . ({3}) Wenn die einen Eltern zweiter Klasse sind, sind dann die anderen, die von der Pauschale profitieren, auf einmal die Premiumeltern, diejenigen, die ihr Kind in der Zeit nicht versorgt haben und trotzdem den Entgeltpunkt bekommen? Hier wird doch schon deutlich, wie absurd der Vorwurf ist, den Sie gegen uns erheben . Es geht hier nicht darum, eine Gruppe zu benachteiligen oder zu bevorteilen . Es ging und es geht darum, 9,5 Millionen Müttern eine höhere Rente auszuzahlen . ({4}) Alle Adoptiveltern, die noch nicht in Rente sind, werden genauso behandelt wie leibliche Eltern . Ich weiß sehr wohl um die besonderen Herausforderungen für Adoptiveltern . Oftmals sind es seelisch verletzte Kinder, die nicht nur schöne Erlebnisse in ihrem bisherigen Leben hatten . Die Eltern haben oft vorher lange gelitten, weil sie keine eigenen Kinder bekommen konnten . Hinzu kommt der langjährige Adoptionsprozess mit Eignungsprüfung usw . usf . Das alles ist eine große Belastung . Umso schöner ist es, dass sich Mütter und Väter der Aufgabe stellen und Kindern eine neue Familie geben . ({5}) Aber vieles am Verfahren und bei der Unterstützung der Eltern und Kinder kann und muss verbessert werden . Deswegen ist es gut, dass mit der Einrichtung eines Forschungszentrums für Adoption durch Ministerin Schwesig eine Plattform geschaffen wurde, wo über Probleme im Zusammenhang mit dem Thema Adoption diskutiert und geforscht werden kann . Dieses Projekt hat im November letzten Jahres die Arbeit aufgenommen und soll uns, die Politik, beraten . Ich bin mir sicher, dass wir Gutes daraus machen werden . ({6}) Aber natürlich profitieren Adoptiv- und Pflegeeltern auch genauso von all dem, was wir für Familien tun, und zwar für alle; denn drei Dinge brauchen alle Familien: Geld, Zeit und gute Betreuung . Und das haben wir angepackt . Mit der Erhöhung des Kinderfreibetrags und des Kindergeldes, mit der Erhöhung des steuerlichen Entlastungsbetrags für Alleinerziehende und der Erhöhung des Kinderzuschlags haben wir insgesamt 5,3 Milliarden Euro für Familien mobilisiert . ({7}) Mit dem Elterngeld Plus unterstützen wir Familien für mehr Zeit und Partnerschaftlichkeit . Und das Familienministerium unterstützt mit zahlreichen Programmen die Betreuung von Kindern . Insgesamt geben wir in dieser Legislaturperiode 1 Milliarde Euro für den Kitaausbau aus und unterstützen ab nächstem Jahr die Kitas mit 100 Millionen Euro jährlich bei den Betriebskosten . Das kann sich wahrlich sehen lassen . ({8}) Es gibt für uns keine Eltern erster oder zweiter Klasse . Davon profitieren alle Familien. ({9}) Alle Familien brauchen eine passende Unterstützung; denn es gibt keine größere und keine schönere Aufgabe, als Kinder großzuziehen . ({10}) Es ist der SPD vollkommen egal, ob die Eltern leibliche Eltern oder Adoptiv- oder Pflegeeltern sind, ({11}) ob sie verheiratet sind oder nicht, ob sie als homosexuelles Paar oder als Mann und Frau ein Kind erziehen, ob sie alleine oder zusammen ein Kind großziehen, ob sie in Deutschland großgeworden sind oder früher oder gerade erst zu uns gekommen sind . Alles das macht für uns keine Unterschiede . ({12}) „Mit Kindern zusammen zu sein ist Balsam für die Seele“, sagt der kluge Dostojewski . Es ist ein Glück, mit Kindern zusammen zu sein, und es ist unsere Aufgabe, es allen Familien leichter und ein bisschen einfacher zu machen . Glück auf! ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dr . Astrid Freudenstein hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist doch gar keine Frage, dass es im Sommer 2014 für Millionen deutscher Frauen richtig gute Nachrichten gab . Wir hatten die Mütterrente auf den Weg gebracht, und die Erziehungsleistung von Millionen Frauen, die wiederum Millionen Kinder großgezogen haben, wird seitdem finanziell besser anerkannt. Herr Kollege Birkwald, geben Sie sich einen Ruck! Das war eine richtig gute Aktion . Das können Sie einfach einmal zugeben . ({0}) All diese Frauen hatten, als ihre Kinder klein waren, kein Recht auf einen Krippen- oder Kindergartenplatz, sie hatten kein Elterngeld und keine Partnermonate . Sie mussten in aller Regel wirklich zurückstecken - viel mehr, als wir das mussten , in vielen Bereichen des Lebens . Mit dem zusätzlichen Rentenpunkt wird diese Leistung, die für unseren Generationenvertrag so enorm wichtig ist, finanziell mehr als bisher gewürdigt. Auf dieses Mehr an Gerechtigkeit können wir alle, wie ich meine, wirklich stolz sein . Und auch auf den reibungslosen Ablauf und auf die schnelle Umsetzung dieses Projekts können wir wirklich stolz sein . Das hat gut und schnell geklappt . ({1}) Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele dafür nennen, wer von unserer „schönen Mütterrente“, wie Sie es bezeichnet haben - es ist nämlich wirklich eine schöne Mütterrente -, profitiert: Dagmar Schmidt ({2}) Da ist zum Beispiel die 80-jährige Großmutter, die drei Kinder großgezogen hat; sie ist der Normalfall . Sie spürt diesen zusätzlichen Entgeltpunkt pro Kind auf ihrem Konto recht deutlich . Vielleicht unterstützt sie damit auch schon ihren Enkel, der dann wieder ein Beitragszahler wird . In ganz wenigen Fällen haben auch früher schon Väter die Erziehung übernommen . Wenn diese das Kind im ersten Lebensjahr erzogen haben, dann bekommen auch diese Männer die Mütterrente . Freuen kann sich aber zum Beispiel auch das Ehepaar, Ende 70, das zwei Kinder, jeweils im ersten Lebensjahr, adoptiert hat . Auch seine Erziehungsleistung wird mit dem zweiten Entgeltpunkt berücksichtigt . Diese Beispiele bilden die weit mehr als 90 Prozent der Bestandsrentner ab, bei denen das Geld auf jeden Fall an der richtigen Stelle ankommt . Sie konnten sich ab dem 1 . Juli 2014 über eine etwas höhere Rente freuen . Dass die Auszahlung so schnell und reibungslos vonstattenging, das war eben tatsächlich nur durch eine Pauschale und damit auch durch eine einfache Regelung bei den Bestandsrenten möglich . Wer schon im ersten Lebensjahr die Kindererziehungszeit angerechnet bekommen hat, der bekam auch das zweite Jahr angerechnet . In Einzelfällen - und es sind wirklich Einzelfälle ({3}) kann dies tatsächlich dazu führen, dass man sich benachteiligt fühlt . Auch dafür möchte ich Ihnen Beispiele nennen: Dazu zählen die von Ihnen von der Linken angesprochenen Adoptiveltern, die ein Kind erst zwischen dem 13 . und dem 24 . Lebensmonat adoptiert haben . ({4}) Für sie ist diese Anrechnung nicht mehr möglich . Dieser Rentenpunkt wird noch der leiblichen Mutter gutgeschrieben . Aber es ist auch völlig klar, dass diese Leistung nicht weniger gewürdigt wird . ({5}) Dazu zählen auch die Fälle, in denen der Vater im zweiten Jahr die Erziehung von der Mutter übernommen hat, und auch die Fälle, in denen das Kind nach dem ersten Jahr in einer Pflegefamilie wieder zur leiblichen Mutter zurückgekehrt ist . In all diesen Fällen - da haben Sie recht - kann man meinen, dass man ungerecht behandelt wurde . Hätte man aber diese Fälle verhindern wollen, hätte man mehr als 9 Millionen Frauen anschreiben müssen, um jeweils die frühe Biografie ihrer Kinder abzufragen: Wer hat wann das Kind erzogen? Gab es Pflege- oder Adoptiveltern? ({6}) Abgesehen davon, dass vermutlich Hunderttausende Briefe gar nicht angekommen oder zurückgekommen wären, hätte es sicher auch sich widersprechende Angaben gegeben . Diese Fälle hätten dann erst einmal gar nicht bearbeitet werden können . Die Überprüfung wäre eine Arbeit für Jahre gewesen . Auch die Auszahlung des zusätzlichen Rentenpunkts hätte sich dann um Jahre verzögert . Das hätte eben nicht nur Zeit, sondern auch Geld gekostet - Geld der Beitragszahler, das, wie ich meine, besser in Renten investiert ist als in bürokratische Großaktionen . Auch Ihr Vorschlag, die Problematik mit einem Antragsverfahren zu lösen, würde nicht sehr viel weniger Probleme hervorrufen . ({7}) Auch das bindet selbstverständlich Ressourcen . Auch dort wird es sich widersprechende Angaben geben . Auch das führt natürlich wieder zu der einen oder anderen Ungerechtigkeit . Ob es rentenrechtlich überhaupt möglich wäre, sei dahingestellt . Auch deshalb bin ich zurückblickend überzeugt davon, dass wir vor knapp zwei Jahren hier die richtige Entscheidung getroffen haben . Für die teilweise ja auch schon sehr alten Frauen dieser Republik war es wichtig, dass eine politische Entscheidung wie die Einführung der Mütterrente schnell getroffen worden ist . Wenn ich Ihren Zahlen glauben darf, dann ist es so, dass tatsächlich über 99 Prozent der Berechtigten von der Mütterrente auch wirklich profitieren. Das halte ich bei einer pauschalen Regelung, die sich schnell und einfach umsetzen ließ, für eine wirklich gute Quote . Die Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren sind und die nach Sommer 2014 in Rente gegangen sind oder noch gehen werden, erhalten den zusätzlichen Rentenpunkt ohnehin ganz genau aufgeteilt nach ihrer Erziehungsleistung. Da ist es ganz egal, ob es leibliche Eltern, Pflegeeltern oder Adoptiveltern sind . Ich meine also, die Mütterrente ist ein wirklich gutes Projekt . Stimmen Sie uns einfach zu, Herr Birkwald . Danke schön . ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdigen - Mütterrente anerkennen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6222, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6043 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe die Zusatzpunkte 4 bis 6 auf: ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Menschen- und umweltgerechten Ausbau der Rheintalbahn realisieren Drucksache 18/7364 ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze Drucksache 18/7365 ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae, Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt sicherstellen Drucksachen 18/6884, 18/7388 Zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Ausbau der Rheintalbahn liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Weiterhin liegt zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Realisierung europäischer Schienennetze ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich bitte jetzt, die nötigen Umgruppierungen, Verabschiedungen und Gespräche zügig abzuwickeln . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Norbert Barthle für die Bundesregierung .

Norbert Barthle (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003033

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine sehr verehrten Bürgermeister und Vertreter der Bürgerinitiative auf der Zuschauertribüne! ({0}) Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie leben in einem Haus im Rheintal, an dem vielbefahrenen Schienenweg dort . Dann fährt, die Nachtstunden eingerechnet, alle sechs Minuten ein Güterzug an Ihrem Haus vorbei . Wenn unsere Verkehrsprognosen stimmen, dann wird in zehn Jahren alle vier Minuten ein Güterzug an Ihrem Haus vorbeidonnern . - Daran sehen Sie, glaube ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie hoch der Handlungsbedarf ist und dass es gilt, eine Lösung für die Lärmproblematik an der meistbefahrenen Schienenstrecke Europas zu finden. Es war eine jahrelange, eine sehr mühsame Arbeit, ein Ringen um Ausgewogenheit und Interessenausgleich . Umso erfreulicher ist das Ergebnis, das wir jetzt erreicht haben; denn dieses Ergebnis wird der enormen Bedeutung der Rheintalbahn als grenzüberschreitender Schienenmagistrale in vollem Umfang gerecht . Das ist ein guter Tag für Deutschland, ein guter Tag für Baden-Württemberg, aber vor allem auch ein guter Tag für das Rheintal . ({1}) Meine Damen und Herren, diese Strecke ist Bestandteil des Güterverkehrskorridors 1 von ZeebruggeAntwerpen bzw . Rotterdam über Mailand nach Genua und damit das Herzstück des EU-Kernnetzkorridors Rhein-Alpen . Gleichzeitig ist sie Zulaufstrecke zur Neuen Eisenbahn-Alpentransversale, kurz NEAT genannt, in der Schweiz. Wir kommen somit unserer Verpflichtung nach - das sage ich auch ausdrücklich im Namen der Bundesregierung -, diese Trasse viergleisig auszubauen, um damit die Durchgängigkeit herzustellen, auch in unsere Nachbarländer hinein . Ich will als Allererstes allen danken, die an der Erarbeitung dieser Anträge zum menschen- und umweltgerechten Ausbau der Rheintalbahn mitgewirkt haben . Allen voran danke ich Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt . Ich denke, ohne seinen Einsatz am Dienstagmorgen wäre der Knoten nicht durchschlagen worden . Jetzt ist er durchschlagen, und das haben wir auch ein Stück weit ihm zu verdanken . ({2}) Ich will aber auch ausdrücklich den Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten aus der Region danken, die sich seit Jahren für dieses Projekt eingesetzt haben . Namentlich nenne ich Armin Schuster, Peter Weiß und Matern von Marschall . ({3}) - Sicherlich gab es da noch mehr Abgeordnete; deren Namen sind mir im Moment allerdings nicht so präsent . ({4}) Ich will ausdrücklich aber auch Herrn Staatssekretär Odenwald aus unserem Hause danken, der über lange Zeit hinweg die Sitzungen des Projektbeirats Rheintalbahn moderiert hat, der vor Ort Vertreter des Bundes, des Landes, der Region, der Deutschen Bahn und der Bürgerinitiativen um sich versammelt und diesen Prozess zu eiVizepräsidentin Petra Pau nem glücklichen Ende gebracht hat . So sind die Empfehlungen des Projektbeirates entstanden . ({5}) - Selbstverständlich . Es waren noch mehr Kollegen mit großem Einsatz beteiligt: Uli Lange, Kollege Vaatz, gar keine Frage, auch Kollegen aus der Koalition . ({6}) Ich erinnere daran, dass wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag Beschlüsse gefasst und einzelne Empfehlungen des Projektbeirates aufgegriffen haben . Die jetzt vorliegenden Empfehlungen finden sich in den Anträgen wieder, und das ist auch gut so . Ich betone ausdrücklich: Es ist schon außergewöhnlich, dass Empfehlungen eines solchen Gremiums direkt in die Entscheidungsfindung des Parlaments einfließen. ({7}) Das ist etwas außergewöhnlich - das sage ich ausdrücklich -; denn damit verschwimmt die Trennung zwischen Exekutive und Legislative . ({8}) Darüber müssen wir uns im Klaren sein . Aber das ist im vorliegenden Fall nicht zum Schaden, sondern sicherlich zum Vorteil für alle Beteiligten . Es ist eine Lösung entstanden, die im Interesse der Bürger entlang dieser Bahnlinie zwischen Karlsruhe und Basel ist . Ganz offensichtlich sind wir zur Realisierung von großen Infrastrukturprojekten darauf angewiesen, eine Akzeptanz der Menschen vor Ort zu erreichen und sie entsprechend einzubinden . Anders würde es sehr schwierig, überhaupt noch etwas zu realisieren . Wir hören ja oft die Forderung, noch mehr Verkehr, vor allem Schwerlastverkehr, von der Straße auf die Schiene zu verlagern . Das ist richtig; aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass damit mehr Lärm und die Anforderung einhergehen, etwas gegen diesen Lärm zu machen . Das heißt, die Lärmfrage muss gelöst werden . Deshalb hat für uns, das BMVI, Lärmschutz hohe Priorität . Wir geben erhebliche Summen an Geld aus, um Lärm zu mindern, insbesondere durch Lärmschutz an der Quelle, eine Anpassung der rechtlichen Vorschriften und stationären Lärmschutz . Für diese drei Maßnahmen stehen wir ein, wobei wir der Auffassung sind, dass die effizienteste und nachhaltigste Methode, Lärm zu mindern, die Minderung des Lärms an der Quelle ist - darauf konzentrieren wir uns insbesondere -, durch leisere Fahrzeuge . Dafür gilt es, lärmarme Bremstechniken zu entwickeln und Güterwagen entsprechend umzurüsten . Wenn es gelingt, die Abrollgeräusche eines Güterwagens um 10 Dezibel zu reduzieren, dann nimmt der Mensch das als Reduzierung der Lautstärke um die Hälfte wahr, und das ist ein wirklich guter Wert . Wir tun alles, um weitere Fortschritte zu erreichen, insbesondere was die Reduktion des Lärms an der Quelle anbelangt . Das ist aus unserer Sicht allemal besser, als in den laufenden Verkehr einzugreifen . Wer Lärm über Tempolimits oder sonstige Maßnahmen mindert, der geht im Grunde genommen den falschen Weg . Wir müssen an der Quelle ansetzen; denn das ist die nachhaltigste Methode . Abschließend darf ich nochmals erwähnen, dass wir einen Zustand erreicht haben, bei dem wir weit über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus Geld in die Hand nehmen, um die Bürgerinnen und Bürger vor Ort vor Lärm zu schützen . Für das Rheintal ist es gut, dass es gelungen ist, so vorzugehen . Das wird in dem einen oder anderen Fall vielleicht auch andernorts noch gelingen . Danke . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Barthle . - Einen schönen Nachmittag von meiner Seite Ihnen! Die nächste Rednerin in der Debatte: Sabine Leidig für die Linke . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste von der Bürgerinitiative! Man könnte diesen Tagesordnungspunkt eigentlich mit dem Satz überschreiben: Was lange währt, wird endlich gut, aber nicht gut genug . - Das muss man ganz deutlich sagen . ({0}) Herr Barthle, was bei Ihnen in der Koalition los ist, ist eigentlich relativ irrelevant . Entscheidend ist, dass sich die Leute aus den Bürgerinitiativen am Oberrhein seit 30 Jahren gegen die unsinnigen Pläne der Bahn zur Wehr setzen, noch mehr Güterzüge durch eine dicht bebaute Region mitten durch die Ortschaften zu schicken, anstatt Alternativen zu wählen, die von Anfang an vorgeschlagen worden sind: ({1}) die Alternative, einen Tunnel durch Offenburg zu bauen, die Alternative, die Eisenbahn- und die Güterbahntrasse an die Autobahn zu legen, wo der Lärmschutz für beide Verkehrswege organisiert werden kann . Das wird jetzt beschlossen; das ist hervorragend . Aber ich möchte einmal deutlich sagen: Diese Bürgerinitiativen haben lange dafür gekämpft . 5 000 Leute sind Mitglied in diesem Zusammenschluss . 48 500 Einwendungen sind geschrieben worden, um auf die Prozesse Einfluss zu nehmen. Die Bürgerinitiativen haben viel Geld ausgegeben, um Gutachten, Lärmmessungen usw . erstellen zu lassen . Es ist toll, dass es hier gelungen ist . Das hat auch damit zu tun, dass in Baden eine widerständige Kompetenz und Tradition vorhanden sind . ({2}) Das hat aber auch damit zu tun, dass die Auseinandersetzung mit Stuttgart 21 viele zum Nachdenken gebracht hat . ({3}) Es geht doch darum, dass für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Maß an Beteiligung, dieses Reden über Alternativen selbstverständlich wird . Das ist Demokratie, Herr Barthle, und keine Ausnahmeerscheinung . Ich möchte noch einmal deutlich sagen, dass wir als Linke fordern, dass die Vorschläge von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern in gleicher Weise zurate gezogen werden wie die Vorschläge der Planer, der Bahn, und es damit tatsächlich eine echte Bürgerbeteiligung, ein echtes Beraten über Alternativen von Anfang an gibt . Das haben wir übrigens schon 2010 beantragt . Sie haben nun in den Antrag, den Sie vorgelegt haben, um die Vorschläge des Projektbeirates in Gesetzesform zu gießen, eine Sache eingefügt, die ich überhaupt nicht verstehe und der wir widersprechen . Deshalb haben wir einen Änderungsantrag eingebracht . Sie schreiben dort, dass der Ausbau der Bestandsstrecken auf 160 bis 250 Kilometer pro Stunde erfolgen soll . Sie wissen wahrscheinlich, was das heißt . Wenn ein ICE 250 Kilometer pro Stunde fahren soll, dann müssen sämtliche Bahnhöfe umgebaut werden . An diesen Strecken muss also unheimlich viel investiert werden, um die Hochgeschwindigkeit zu realisieren . Die Bahn selber sagt, dass die Züge, wenn sie statt mit 230 mit 250 Kilometern pro Stunde rasen, auf dieser Strecke nur 31 Sekunden Zeit einsparen . ({4}) Ich bitte Sie: Wenn man geschätzt 300 bis 400 Millionen Euro zusätzlich für einen Zeitgewinn von maximal 31 Sekunden ausgeben will, dann ist da etwas verkehrt . Wir beantragen also - das sagen übrigens auch die Bürgerinitiativen -, dass 230 Stundenkilometer genug sind . Damit ist die Bahn schnell genug, und damit könnte man viel Geld sparen . ({5}) Ich möchte einen weiteren Punkt anführen . Es ist gut, dass jetzt am Oberrhein und am Hochrhein vernünftige Lösungen gefunden und durchgesetzt worden sind . Aber es ist nicht gut, dass überall anders im Land - nicht nur am Mittelrhein, in Rheinland-Pfalz, in Hessen, sondern auch an der Elbe, im Kinzigtal und überall dort, wo immer mehr und immer schwerere und längere Güterzüge durch die Ortschaften fahren - ganz andere Maßstäbe angelegt werden. Ich finde, es ist die Verantwortung dieser Bundesregierung, mit vernünftigen Lärmschutzmaßnahmen, mit alternativen Trassenführungen für den Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner zu sorgen, auch wenn es mehr Geld kostet . Das ist das Recht der Bürgerinnen und Bürger, auch dort, wo es keine finanzstarken und durchsetzungsstarken Bürgerinitiativen gibt, weil es zum Beispiel viele kleine Ortschaften sind, die sich schwer vernetzen können . In diesem Sinne haben wir in den letzten Jahren bereits mehrfach beantragt, dass der Lärmschutz verbessert wird, und zwar überall, entlang der Schiene und der Straße, und dass es eine Selbstverständlichkeit sein muss, dass die gesundheitliche Unversehrtheit der Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt steht und nicht die Kostenersparnis für den einen oder anderen Verkehrsweg . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Leidig . - Wir haben ein kleines Problem mit der Uhr; deshalb war es hier so unruhig . Wenn die bei Ihnen nicht rückwärtszählt, dann heißt das nicht, dass Sie unbegrenzt reden dürfen . ({0}) Ich würde Sie bitten, darauf zu achten . Wir arbeiten jetzt mit den traditionellen Weckern und hoffen, dass das klappt . - Also, liebe Annette Sawade, Sie haben vier Minuten . Schauen wir mal, wie Sie das hinkriegen . ({1})

Annette Sawade (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004223, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus dem südbadischen Raum der SPD-Fraktion, Elvira Drobinski-Weiß, Johannes Fechner und unsere Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter, ({0}) ich danke ganz herzlich, dass Sie alle mitgemacht haben, dass ihr alle mitgemacht habt und dass wir dieses Projekt nach vorn gebracht haben . Danken möchte ich an dieser Stelle natürlich auch unserer Sprecherin der AG Verkehr, Kirsten Lühmann, die sich heftigst dafür eingesetzt hat, dass wir zu diesem Ergebnis gekommen sind . ({1}) - Frau Hagedorn wird erwähnt; sie wird nachher auch noch reden, keine Sorge . Liebes Publikum auf der Tribüne, liebe IG BOHR, liebe andere Mitstreiter für dieses große Projekt, eine kleine Frage an Sie alle: Kennen Sie das Märchen vom Froschkönig oder vom eisernen Heinrich? ({2}) Dem eisernen Heinrich sind nämlich vor Freude über die Rückwandlung seines Chefs in einen Menschen die eisernen Bänder um sein Herz mit lautem Knall gesprungen . Ich glaube, uns allen ging es ein wenig so, als endlich diese beiden Anträge vor uns lagen, sodass wir heute darüber beschließen können . Aber zurück zur Realität; denn zum Glück befinden wir uns nicht im Märchenland, sondern in der Realität der Umsetzung eines wichtigen Verkehrsprojektes . Im letzten Jahr stand ich mit meinem Kollegen Johannes Fechner in Herbolzheim. Für die geografisch in Baden-Württemberg nicht so ganz Fitten: Das ist ein schönes Städtchen an der Rheintalbahnstrecke im südlichen, badischen Teil von Baden-Württemberg . Ich stand aber nicht nur einfach da, sondern ganz hoch oben auf einer Feuerwehrleiter . Diesen technischen Aufwand haben der Bürgermeister und die Anwohner extra für mich inszeniert, weil sie mir zeigen wollten, wie hoch die Lärmschutzwände für einen absoluten Lärmschutz sein müssten, wenn die Gleise 3 und 4 der Rheintalbahn für den Güterverkehr gebaut werden . Deshalb freue ich mich umso mehr, dass ich heute hier vor Ihnen allen stehe und nicht auf einer Feuerwehrleiter und zu diesem wichtigen Projekt reden darf . Wir halten ein Ergebnis in den Händen, an dem sehr viele beteiligt waren . Bei diesen vielen möchte ich mich ausdrücklich bedanken; denn ohne sie, ohne die Bürgerinitiativen und ohne die zahlreichen Gespräche - hier schließe ich meine Kollegen in den einzelnen Fraktionen mit ein -, ohne zahlreiche Kompromisse, Verhandlungen und Schulterschlüsse wären der Beschluss des Projektbeirates und in Folge diese Anträge nicht zustande gekommen . ({3}) - Herr Strobl, dass das klar ist: Das geht alles zulasten meiner Redezeit . Es geht beim Ausbau der Rheintalbahn natürlich um viel Geld; aber es geht noch um etwas ganz Entscheidendes: Es geht darum, dass wir jetzt und in Zukunft eine neue Nachhaltigkeit in der Verkehrspolitik wollen . Ich spreche als Verkehrspolitikerin zu Ihnen, und ich habe sehr konkrete Vorstellungen von nachhaltiger Politik im Verkehrsbereich . Ich meine damit: im Prozess mehr Bürgerbeteiligung in betroffenen Regionen und im Ergebnis dadurch mehr Schutz für Mensch und Umwelt . Ein Kernanliegen der Politik - von uns im Koalitionsvertrag auch so beschlossen - ist: Ja, wir wollen mehr Güter und Verkehr auf die Schiene bekommen . Und wer würde sich einem Lärmschutz, der diesen Namen auch verdient, entgegenstellen? Genau an diesem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir das Paradoxon auflösen. Mehr Züge machen mehr Lärm. Also brauchen wir auch mehr Lärmschutz . ({4}) Wir wollen nicht, dass wichtige Verkehrsprojekte ohne Rückhalt und Akzeptanz aus der Bevölkerung umgesetzt werden . Beim Ausbau der Rheintalbahn, um den es im ersten Antrag geht, sollen die Anwohnerinnen und Anwohner Lärmschutz über das gesetzliche Maß hinaus erhalten . Das heißt im Klartext: nicht nur Lärmschutz, wie gesetzlich vorgeschrieben, sondern darüber hinaus . Wir stellen in diesem Fall die haushaltsrechtlichen Vorgaben zur Wirtschaftlichkeit, wie es auf Amtsdeutsch so schön heißt, zurück . Das grün-rote Kabinett und der Landtag von Baden-Württemberg haben bereits am 1 . Dezember den Landesbeitrag für die erhöhten Lärmschutzkosten in Höhe von circa 280 Millionen Euro beschlossen . ({5}) Nun stehen wir als Bund in der Pflicht. Es ist festzuhalten: Die Rheintalbahnstrecke gehört zu den transeuropäischen Netzen, den TEN . Deutschland ist wirtschaftlich stark - der Wirtschaftsminister hat es heute Morgen in seiner Rede betont -, und es ist ein Transitland: sechs Korridore von insgesamt neun TEN-Strecken durchkreuzen unser Land . Es muss doch in unser aller Interesse sein, diese Strecken einerseits auszubauen, andererseits aber die unmittelbar Betroffenen nicht mit dem verstärkten Verkehrslärm alleinzulassen . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an die Redezeit? Sie ist schon deutlich überschritten .

Annette Sawade (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004223, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich bin gleich fertig . Wir dürfen gerade in der Verkehrspolitik das große Ganze nicht aus den Augen verlieren . Es geht hier nicht um einzelne autarke Baustellen und Projekte . Nein, wir brauchen ein funktionierendes Netz, und dafür brauchen wir ein Gesamtkonzept und vorausschauendes Denken . Zum Schluss möchte ich die Worte der IG BOHR aus dem Jahr 2008 aufgreifen - ich zitiere -: An ALLE, die sich angesprochen fühlen, geht dafür - für diese Zusammenarbeit ein herzliches Dankeschön! Dank für Ihre Geduld und den Zeitaufwand, Dank für Ihre Offenheit und Ihr Vertrauen . Und als Fortsetzung wünschen wir uns: Mögen Sie uns bis zu einem erfolgreichen Abschluss in Berlin begleiten! Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, es sind Jahre vergangen; aber wir haben es geschafft . Nun schließen wir erfolgreich ab und unterstützen eine rasche Umsetzung . Vielen Dank . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin . - Nächster Redner ist Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen .

Matthias Gastel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004278, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr gerne hätte ich schon einige Monate früher hier gestanden und über den Ausbau der Rheintalbahn und eiAnnette Sawade nen besseren Lärmschutz gesprochen . Sehr gerne hätte ich hier zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, SPD und Linken einen gemeinsamen Antrag zu diesem Thema vorgestellt . ({0}) Leider sieht die Wirklichkeit anders aus . Unsere Bemühungen um einen gemeinsamen Antrag wurden von der CDU/CSU abgeblockt . ({1}) Stattdessen haben sich Union und SPD viel zu lange um einen Koalitionsantrag gestritten . Baden-Württemberg kann hier als Vorbild dienen . Der Landtag hat schnell seine Beschlüsse gefasst, und das auf Grundlage eines fraktionsübergreifenden Antrages . Regieren ist eben eine Stilfrage . ({2}) Der Landtag von Baden-Württemberg hat dies im Geiste des Projektbeirates getan . Auch dort wurde an einem Strang gezogen . Auch dort wurde gemeinsam nach Lösungen gesucht, und es wurden gemeinsame Empfehlungen ausgesprochen . ({3}) Für diese hervorragende, konstruktive Arbeit des Projektbeirates und das große Engagement von Bürgerinnen und Bürgern sagen wir ein herzliches Dankeschön . Wir drücken ihnen allen unseren Respekt für die geleistete konstruktive Arbeit aus . ({4}) Nun liegen im Bundestag zwei Anträge zur Rheintalbahn vor, einer von uns Grünen und einer von den Regierungsfraktionen . Beide Anträge sind nahezu inhaltsgleich . Wir werden beiden Anträgen zustimmen; ({5}) denn es geht um die Sache und nicht um parteipolitische Spielchen . ({6}) Auf zwei Unterschiede muss ich aber hinweisen . Im Antrag von uns Grünen wird gefordert, dass Öffentlichkeit und Kommunen auch im weiteren Planungsverlauf eng eingebunden werden . Der Geist des Miteinanders, der Offenheit und der Transparenz muss die weiteren Prozesse begleiten . ({7}) Im Antrag von Union und SPD wird festgeschrieben, dass die Bestandsstrecke zwischen Offenburg und Riegel auf Tempo 250 ausgebaut werden soll . Wir halten dies für voreilig; denn Hochgeschwindigkeit ist kein Wert an sich . Wir brauchen in Deutschland verlässliche Reiseketten . Dafür steht der Deutschland-Takt . Die Infrastruktur ist daran anzupassen . Dafür braucht es langfristige Fahrplanberechnungen . Erst dann wissen wir, welche Strecken auf welche Geschwindigkeit ausgebaut werden müssen . ({8}) Die Rheintalbahn ist von herausragender Bedeutung für den Personen- und den Güterverkehr . Sie stellt schon heute einen Engpass dar . Wir als Grüne wollen aus Umweltgründen höhere Verkehrsanteile für die Schiene . Dazu brauchen wir den Ausbau . Daher gilt es, nun keine weitere Zeit zu verlieren . Wir wollen auch kein weiteres Geld für unsinnige Planungen verlieren . 55 Millionen Euro an Planungskosten wurden bereits vergeudet . An den Mehrkosten für den zusätzlichen Lärmschutz beteiligt sich Baden-Württemberg freiwillig . ({9}) Das darf nicht zum Standard werden; denn Länderhaushalte sind nicht dafür gemacht, Bundesaufgaben zu übernehmen . Wie viel Lärmschutz für die Menschen umgesetzt wird, darf nicht von der Finanzkraft einzelner Bundesländer abhängen . ({10}) Hier muss der Bund seiner Verantwortung für die Menschen in allen besonders betroffenen Regionen gerecht werden . Nicht alle Wünsche aus den Regionen entlang der Rheintalstrecke können erfüllt werden; aber die Menschen in allen betroffenen Regionen werden von verbesserten Planungen profitieren. Wir Grünen wollen mehr Verkehr auf der Schiene . Dazu braucht es Akzeptanz, und für Akzeptanz braucht es mehr Anstrengungen in Sachen Lärmschutz; denn Lärmschutz ist auch Gesundheitsschutz, und zwar nicht nur entlang der Rheintalbahn, sondern auch andernorts . Daher unterstützen wir Grünen den zweiten heute zur Abstimmung vorgelegten Antrag der Koalition . Damit soll der Lärmschutz an europäischen Güterverkehrskorridoren verbessert werden . ({11}) Mehr Geld für den Lärmschutz darf aber nicht dazu führen, dass weniger Geld für den Ausbau der Schienenwege übrigbleibt . Deswegen haben wir einen Änderungsantrag gestellt . Mein Fazit: Es hat lange gedauert, und ich bedaure, dass kein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen im Bundestag zustande gekommen ist . In der Sache sind wir uns aber weitgehend einig: Die Weichen werden in Richtung mehr Verkehr auf der Schiene gestellt, und in Lärmschutzbelangen kommen wir den Menschen im Rheintal, aber auch im Rest der Republik deutlich entgegen . Das ist praktizierter Gesundheitsschutz . Mehr Bahn, weniger Lärm - das setzen wir heute aufs Gleis . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Matthias Gastel . - Der nächste Redner in der Debatte: Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Steffen Bilger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Endlich ist es so weit . Mich selbst beschäftigt das Thema Rheintalbahn seit meiner Wahl in den Bundestag im Jahr 2009 . Was war seitdem? Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode bereits zwei Beschlüsse zur Rheintalbahn im Bundestag gefasst . Ich blicke zurück auf zahlreiche Besuche vor Ort mit meinen Bundestagskollegen Armin Schuster und Peter Weiß, die sich wirklich unermüdlich für die Anliegen der Bürger ihrer Wahlkreise eingesetzt haben . Ich blicke zurück auf viele Gespräche mit Kommunalpolitikern und den Bürgerinitiativen . Es wurde gerade schon gesagt: Wir konnten nicht alle Wünsche erfüllen . Aber ich glaube, insgesamt konnten wir doch ein gutes Ergebnis erzielen . Auch von mir gilt: Herzlich willkommen; ich freue mich auf den Empfang der Bürgerinitiativen nachher . ({0}) Die Uhr funktioniert wieder . Sie zeigt seit einer Minute an, dass ich noch sechs Minuten Redezeit habe . Das kann ich nur begrüßen . ({1}) Ende Dezember war in der Welt von der Rheintalbahn zu lesen . Die Rheintalbahn wurde erstaunlicherweise in einem Artikel mit der Überschrift „Das waren die dümmsten und teuersten Gesetze 2015“ unter „skurrile Verordnungen“ erwähnt . Ich war schon sehr überrascht, ausgerechnet unter solchen Schlagzeilen von der Rheintalbahn zu lesen . Der einzige korrekte Satz zur Rheintalbahn lautete: „Es war die CDU, die die Rheintalbahn unbedingt wollte .“ - Das stimmt nun wirklich . ({2}) Aber keine Sorge: Ich will gerne zugeben, dass sich auch die anderen Fraktionen dafür eingesetzt haben . ({3}) Ansonsten waren in dem Artikel die üblichen Missverständnisse enthalten . Die Gespräche im Projektbeirat wurden zu Absprachen im Hinterzimmer, und Kostenexplosionen wurden heraufbeschworen . - Lassen Sie mich weitere Fehlinterpretationen der vergangenen Woche ergänzen: mangelnde Transparenz im parlamentarischen Verfahren, obwohl wir bereits seit 2009 im Bundestag, insbesondere im Verkehrs- und im Haushaltsausschuss immer wieder über die Rheintalbahn und die Initiativen aus dem Projektbeirat diskutiert haben, oder auch, es handele sich um ein teures Geschenk für den Wahlkreis Schäuble . Das alles ist falsch . Es zeigt aber, dass wir immer wieder erklären müssen, weshalb unsere heutigen Beschlüsse berechtigt, sinnvoll und notwendig sind . Zurück ins Jahr 2009, als der Projektbeirat eingerichtet wurde . Warum wurde damals ein anderer Weg gewählt? Wir mussten erkennen, dass der bisherige Weg der Bürgerbeteiligung bei solchen Großprojekten nicht mehr passend war . Es sollte in Baden-Württemberg eben nicht noch einmal so schwierig werden wie bei Stuttgart 21 . Aus Fehlern bei diesem Projekt wurden Lehren gezogen, die sich nun bei der Rheintalbahn ausgezahlt haben . ({4}) Es gibt viele Bürger, die sich mit Sachverstand einbringen, berechtigterweise auf Probleme hinweisen und gemeinsam mit ihren kommunalen Vertretern den Dialog suchen . Nicht zuletzt müssen wir die durch mehr Verkehr zunehmenden Belastungen so gut wie möglich in Grenzen halten . Deswegen war es konsequent, dass wir bereits in der vergangenen Wahlperiode den Schienenbonus, also das Privileg des Schienenverkehrs - ihm wurde mehr Lärm zugestanden -, abgeschafft haben . Ich glaube, das ist ein Erfolg, auf den man immer wieder hinweisen kann; denn das ist im Sinne der betroffenen Bürger . ({5}) Für die Einzigartigkeit der Rheintalbahn gibt es viele Gründe: Sie ist national wie international notwendig . Sie fungiert als Zubringer für den Gotthard-Basistunnel, und wir haben Verpflichtungen gegenüber der Schweiz. Auf die Auslastung dieser Strecke wurde schon hingewiesen - ich will sie trotzdem noch einmal ansprechen -: 2025 erwarten wir 335 Güterzüge pro Tag; das sind umgerechnet 14 Züge pro Stunde . Das ist eine wirklich gewaltige Dimension . Bereits unter der CDU-geführten Landesregierung hat sich Baden-Württemberg entschlossen, mögliche Mehrkosten für den zusätzlichen Lärmschutz anteilig zu übernehmen . Auch deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir nun beschließen, einen Teil der Mehrkosten für die Beschlüsse des Projektbeirats zu übernehmen . Der Offenburger Tunnel wird uns finanziell einiges abverlangen; aber es gibt keine andere realistische und rechtssichere Variante . Daher stehen wir auch zu diesem Großprojekt . Es geht um viel Geld; das wissen wir alle . Ich möchte die Kollegen aus den anderen Bundesländern aber beruhigen: Der Ausbau der Rheintalbahn ist für den Steuerzahler angesichts des enormen Güterverkehrs, der dort jetzt und in Zukunft verkehrt, ein gutes Geschäft; wie bereits erwähnt, mindert die Beteiligung des Landes an den Mehrkosten für zusätzlichen Lärmschutz die Belastung für den Bundeshaushalt . - Wenn Sie heute zustimmen, tun Sie also genau das Richtige . Bedanken möchte ich mich für die Geduld der Anwohner und der Bürgerinitiativen . Zugegeben, vom Projektbeiratsbeschluss im Juni 2015 bis jetzt hat es etwas gedauert; aber nun haben wir alle Klarheit darüber, dass der Kompromiss tatsächlich umgesetzt wird . Ich will auch sagen, dass es durchaus wohltuend war, im Dezember die eine oder andere E-Mail bekommen zu haben, in der BI-Vertreter geschrieben haben, dass sie wegen der zeitlichen Verzögerung zwar in Sorge sind, aber um unser Bemühen wissen . Andere haben kräftig auf die Pauke gehauen, was in einer so schwierigen Situation wie der, die wir in den vergangenen Wochen erlebt haben, nicht hilfreich und auch nicht erfreulich war . ({6}) Genauso wenig erfreulich waren die Störmanöver der Grünen, insbesondere in Form der Pressearbeit zur Frage eines gemeinsamen Antrags . ({7}) Lieber Herr Gastel, drei Mails in sechs Tagen - die letzte enthielt bereits die Androhung öffentlicher Anprangerungen, wenn es nicht zu einem gemeinsamen Antrag kommt - waren keine gute Grundlage für Ihr Anliegen, ({8}) und das alles in einer Zeit, als wir noch viel Grundsätzliches zu klären hatten . ({9}) Wie auch immer: Heute freuen wir uns alle über den gemeinsamen Erfolg . Vielen Dank noch einmal an alle Beteiligten, die sich an den verschiedensten Stellen für die Rheintalbahn eingesetzt haben . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Bilger . Auch danke dafür, dass Sie sich an die Redezeit gehalten haben! Nach unserer Uhr hätten Sie nämlich noch lange Zeit gehabt . Die anderen mögen sich bitte ein Beispiel daran nehmen . Nächste Rednerin: Bettina Hagedorn für die SPD . ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer aus Baden-Württemberg! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen: Die versprochene Umsetzung der Projektbeiratsforderungen zur Rheintalbahn stand zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion . Die Große Koalition hat während des gesamten Verfahrens klar die Umsetzung der betreffenden Kernforderungen zugesagt . Damit gewährleisten wir den Schutz der Menschen im Rheintal vor dem kommenden Schienenlärm . Dieses Zitat stammt aus einer gemeinsamen Presseerklärung meines CDU-Kollegen Norbert Brackmann aus dem Haushaltsausschuss und mir vom 8 . Dezember 2015 . Damals haben wir über die beiden Anträge, über die wir heute abstimmen, in der Großen Koalition Einigkeit erzielt . Die SPD-Fraktion hat diese beiden Anträge schon am 15 . Dezember 2015 einstimmig befürwortet . Nachdem die Union das jetzt am Dienstag auch getan hat, können wir heute darüber abstimmen . Das ist wunderbar . ({0}) Diese beiden Anträge sind bemerkenswert . Ich möchte jetzt einmal, auch aus Respekt vor Ihrem Handeln, das Augenmerk auf den zweiten Antrag zu den Güterschwerverkehrstrassen in ganz Deutschland lenken . Ich bin jetzt seit fast 14 Jahren in diesem Hause . Es ist das allererste Mal, dass dieser Bundestag eine parlamentarische Initiative von solch einer Dimension unternimmt . Denn es werden nicht nur 1,5 Milliarden Euro zugunsten der Rheintalbahn, sondern mit dem zweiten Antrag werden perspektivisch für die nächsten 15 Jahre ({1}) auch Milliarden für andere Güterschwerverkehrstrassen in Deutschland zur Verfügung gestellt: vielleicht für die Betuwe-Bahn in Nordrhein-Westfalen, für die Y-Trasse in Niedersachsen, für die Hinterlandanbindung der Fehmarnbeltquerung oder andere . Unsere Große Koalition tut dies, und zwar die Abgeordneten, lieber Norbert Barthle, und nicht das Verkehrsministerium und auch nicht das Finanzministerium . ({2}) Beide Ministerien waren von diesem Antrag nicht sehr begeistert . Wir Abgeordneten setzen uns aber durch . Wir tun das auf Ihre Initiative hin . Wir nehmen das, was heute für das Rheintal beschlossen wird, als Blaupause . Wir als Abgeordnete des Bundestages wollen, dass bundesweit auch andere Menschen, die ebenfalls an Güterschwerverkehrstrassen wohnen, nach diesem Vorbild - natürlich mit Beteiligung der dortigen Länder - künftig mehr Lärmschutz über das gesetzliche Maß hinaus erreichen können . Damit, liebe Kollegin Leidig von den Linken, tun wir genau das, von dem Sie vorhin gesagt haben, dass wir es angeblich nicht tun . ({3}) Wir nutzen den Antrag zur Rheintalbahn, um bundesweite Standards an Güterschwerverkehrstrassen zu schaffen. Überall da, wo EU-Fördermittel fließen, wollen wir sie für übergesetzliche Maßnahmen zugunsten der Menschen einsetzen. Ich finde, das ist etwas, auf das das Parlament insgesamt richtig stolz sein kann . Das haben wir gut gemacht . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Bettina Hagedorn . - Nächster Redner: Ulrich Lange für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist geschafft mit der Rheintalbahn, und auch die Uhr am Rednerpult läuft wieder . Es war - ich sage das ganz offen - ein Schauspiel der ganz eigenen Art, liebe Kollegin Hagedorn, das jetzt gerade wieder eine unrühmliche Fortsetzung gefunden hat . Zu dieser Art der Legendenbildung muss ich durchaus noch zwei, drei Sätze sagen . ({0}) Eines ist klar: Die Rheintalbahn hat nicht nur den Menschen, sondern auch den Politikern den einen oder anderen Nerv gekostet . Ich sage vor allem mit Blick auf die Menschen: Heute ist ein guter Tag . Denn wir haben uns, liebe Kollegin Hagedorn - Ihrer Legendenbildung muss ich vorbeugen -, in der Fortsetzung unserer Beschlüsse der letzten Wahlperiode zunächst mit einem ganz konkreten Antrag zur Rheintalbahn befasst . ({1}) Sie, die Sie bei anderen Projekten eher ein wandelnder Bundesrechnungshof der Wirtschaftlichkeit sind, ({2}) wollen jetzt gerade in dem Teil die große Kämpferin gewesen sein . Nein, Sie waren Trittbrettfahrerin, und es war eine Tortur . ({3}) - Ich lasse keine Zwischenfrage zu . Sie können nach meiner Rede eine Anmerkung machen . Hauptsache ist: Lärmschutz an der Rheintalbahn kommt . Ich danke dem Projektbeirat . Ich danke ganz wesentlich Staatssekretär Odenwald . Ich danke, lieber Peter Weiß, auch dir . ({4}) Ich gebe offen zu: Es hat manchmal genervt, wenn ich wieder eine SMS oder einen Anruf bekommen habe: Wir müssen es doch noch einmal versuchen . - Aber so erreicht man in all diesen Fällen etwas . Danke schön auch dafür, dass man mir das Rheintal gezeigt hat, lieber Armin Schuster und lieber Peter Weiß, wo ich hätte reden sollen, und zwar direkt an den Gleisen . Das war natürlich auch so eine Aktion: Wie überzeugt man einen Politiker, dass er reden soll? Man stellt Bierbänke an ein Gleis, wo er nicht zum Reden kommt, weil dort so viel Verkehr ist . ({5}) Lieber Peter Bleser, ich habe dir gerade versprochen: Wir werden für den Mittelrhein einmal den gleichen Versuch machen . Dann werden wir sehen, ob wir auch hier weiterkommen . Eines erreichen wir mit unserem zweiten Antrag sehr wohl: Wir eröffnen eine echte Chance für vergleichbar belastete Strecken . ({6}) Ich sage ganz offen: Besonderer Lärmschutz für vergleichbar belastete Strecken, das ist Lärmschutz über das gesetzliche Maß hinaus; das wissen wir . ({7}) Aber ich sage in aller Deutlichkeit auch: Es gilt zunächst das Gesetz, und es gilt der Schienenbonus . Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit . Wir müssen abwägen, wo es ganz besondere Gründe gibt, über das Gesetz hinauszugehen, und wo wir an unseren derzeit schon hohen Standards festhalten können und müssen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt schon ein paar Parameter, die wir in den zweiten Antrag aufgenommen haben: Beteiligung der Länder, verfügbare Haushaltsmittel und eine wirklich ganz besondere Situation im Hinblick auf die Belastung der Bürgerinnen und Bürger . In diesen Fällen wollen wir zusätzlichen Lärmschutz garantieren . Aber ich sage auch ganz offen: Vor dem Gesetz sind erst einmal alle gleich . ({8}) Lärmschutz ist für unsere Koalition ein wichtiges Thema . Wir wollen den Schienenlärm bis 2020 halbieren . Unterstützen wir unseren Minister in Brüssel! Da sieht man das nämlich noch nicht ganz so . Viel investiert haben wir in die Umrüstung von alten Güterwagen durch Anwendung von innovativer Technik und hohen Standards, die wir in den letzten Jahren geschaffen haben . Es geht uns um den Schienengüterverkehr und darum, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen . Wir alle wissen - das sagt an diesem Pult hier jeder -: Akzeptanz für den Schienengüterverkehr bekommen wir nur dann, wenn wir die Probleme des Lärmschutzes im Sinne der betroffenen Menschen lösen . Deshalb - da bin ich wieder bei Ihnen, liebe Kollegin Hagedorn ({9}) ist heute ein guter Tag: für das Rheintal, aber auch für die Bürgerinnen und Bürger, die in besonderem Maße von unserem Vorhaben, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern, betroffen sind und vom dadurch entstehenden Lärm geplagt werden . Sie bekommen heute die Chance auf mehr Schutz . „Rheintalbahn und Lärmschutz“, das ist die wichtige Botschaft des heutigen Tages . Herzlichen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Lange . - Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Bettina Hagedorn .

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lange, ich werde nachher im Protokoll nachlesen, wie Sie mich gerade eben genau tituliert haben; vielleicht wäre das auch eine Rüge wert gewesen . ({0}) In jedem Fall war das ein persönlicher Angriff . Sie haben mich der Legendenbildung bezichtigt . Das weise ich entschieden von mir. Ich finde, das ist kein guter Umgang in einer Koalition und kein guter Umgang in einem Parlament . Das gilt erst recht angesichts der Wichtigkeit des Themas, die ich beschworen habe . Heute sollte eigentlich ein Freudentag für das ganze Parlament sein . Dies durch solch nickelige parteipolitische Spielchen zu beflecken so will ich es einmal nennen -, finde ich einfach ungehörig . ({1}) Nun zur Sache . Da Sie gemeint haben, ich würde Legendenbildung betreiben: Ich habe aus einer Presseerklärung des von mir sehr geschätzten CDU-Kollegen Norbert Brackmann zitiert . Wir beide sind die jeweiligen Sprecher für Verkehr unserer Fraktionen im Haushaltsausschuss . Unsere Fraktionen haben uns beauftragt, diese beiden Anträge zu einen . Das ist uns Anfang Dezember erfolgreich gelungen . Wir haben sogar eine gemeinsame Presseerklärung herausgegeben, aus der ich vorgelesen habe . Was soll daran Legendenbildung sein? Ich bitte Sie! Wir besprechen heute zwei Anträge . Sie haben für alle nachvollziehbar noch einmal deutlich gemacht, dass Sie zwar den Antrag zur Rheintalbahn gut finden, den anderen aber nicht ganz so intensiv lieben . ({2}) Herr Kollege Gastel, deshalb ist klar, weshalb Sie so viele Monate lang auf die heutige Beschlussfassung warten mussten . Das beruht nämlich auf der Tatsache, dass wir Sozialdemokraten nicht nur einen Antrag, sondern beide Anträge beschließen wollten . Das war ein bisschen schwierig . Der zweite Antrag „Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze“ ist im Oktober auf meinem heimischen PC entstanden . Deshalb will ich hier deutlich sagen: Ich betreibe keine Legendenbildung; das ist für jedermann klar zu erkennen . Herr Lange, ich finde, dass wir lieber stolz darauf sein sollten, dass wir diese Anträge jetzt gemeinsam beschließen . Denn diese sind für die Menschen in Deutschland, die von Lärm geplagt sind, von großer Bedeutung . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Lange, wenn Sie mögen, können sie darauf erwidern . ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will jetzt nicht mehr auf alles eingehen und auch nicht auf die ganze Historie, liebe Kollegin Hagedorn . Damit Sie aber eine Begründung für den von mir verwendeten Begriff der Legendenbildung haben: Es war doch so, dass einige versucht haben - und deswegen sage ich: Trittbrettfahrer -, ganz konkrete Projekte im zweiten Antrag zu benennen . Es waren ganz wesentlich Norbert Brackmann, die Kollegin Lühmann und ich, die versucht haben, das Ganze auf ein Maß zu bringen, sodass sich jeder darin wiederfinden kann. ({0}) Dort drüben sehe ich den Kollegen Peter Bleser, der genauso Fragestellungen dazu hat . Da sehe ich die Kollegin Ludwig aus dem Inntal, die zum Brennerzulauf genau die gleichen Fragestellungen hat . Darüber hinaus sehe ich den Kollegen Sendker und den Kollegen Wichtel, die in Nordrhein-Westfalen und in Hessen ebenfalls solche Fragestellungen haben . Insofern fanden wir es nicht in Ordnung - das sage ich Ihnen ganz offen -, einzelne Strecken aufzulisten und andere nicht . Genau darum ging es . Außerdem ging es darum, eine Vergleichbarkeit zu schaffen . ({1}) Dies haben wir gemacht . Der Antrag zur Rheintalbahn war am 30 . September fertig, und Ihr Zitat, liebe Kollegin Hagedorn, stammte vom 8 . Dezember . Insofern haben Sie - und niemand anders - uns zunächst in die Schleife geschickt . Danke . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Den Abschluss in dieser lebendigen Debatte bildet Dr . Johannes Fechner von der SPD . ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In dieser Jahreszeit ist man geneigt, eine Rede mit „Liebe Närrinnen und Narren!“ zu beginnen . ({0}) Das ist aber ein ernstes Thema . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz besonders begrüße ich auch die Gäste aus Südbaden auf der Tribüne . Was wir heute beschließen, ist eine historische Entscheidung für Südbaden . Das verdanken wir den Bürgerinitiativen und den engagierten Kommunalpolitikern vor Ort, die seit Jahrzehnten dafür gekämpft haben, dass wir diesen Lärmschutz endlich bekommen . ({1}) Machen Sie keine parteipolitische Nummer daraus . Es waren die Bürgerinitiativen und die Kommunalpolitiker, die das durchgesetzt haben . Mit unserem heutigen Beschluss geht das klare Signal an die Bahn für eine neue Bahnplanung . Ich freue mich, dass die Bahn auch schon signalisiert hat, die neuen Planungen aufzunehmen . Deswegen bedeutet der heutige Beschluss - das kann man so deutlich sagen - die Beerdigung der ursprünglichen Bahnpläne . Er ist somit wegweisend für mehr Lärmschutz in Südbaden . ({2}) Das ist auch notwendig; denn nirgendwo anders in Europa fahren so viele Güterzüge wie durch das Rheintal . Ebenso wichtig ist es, dass wir heute nicht nur für das Rheintal mehr Lärmschutz beschließen, sondern mit dem zweiten Antrag das klare Signal aussenden, dass wir auch für andere Strecken in Deutschland mehr Lärmschutz für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben wollen . Es ist also ein gutes Signal für mehr Lärmschutz in ganz Deutschland . ({3}) Ich will eine weitere Besonderheit nennen . Das Land Baden-Württemberg beteiligt sich mit 280 Millionen Euro an diesem großen Projekt, ({4}) das uns insgesamt 1,8 Milliarden Euro kosten wird . Das ist eine Beteiligung, die deutschlandweit ihresgleichen sucht . Auch dieser Beitrag der grün-roten Landesregierung hat dazu beigetragen, dass wir heute diesen Beschluss zur Rheintalbahn fassen können . ({5}) Es gibt allerdings auch Gemeinden und Anwohner, die nun neuen Lärmbelästigungen ausgesetzt sein werden . In der sogenannten „Kappel-Grafenhausener Erklärung“ haben diese ihre Forderungen artikuliert . Wir müssen nun im weiteren Verfahren sicherstellen, dass auch für diese Gemeinden - zum Beispiel Kürzel, Riegel oder Markgräflerland - Lösungen gefunden werden, damit die Bürger auch dort den Lärmschutz bekommen, den sie verdienen . Es darf beim Lärmschutz keine Bürger zweiter Klasse geben . ({6}) Abschließend danke ich allen, die sich hier engagiert haben . Die Herren von der Union wurden genannt . Es schien notwendig zu sein, deren Beitrag noch einmal extra zu erwähnen . ({7}) Ich möchte mich auch bei den Machern auf der SPD-Seite bedanken . Vielen Dank an Katja Mast, Nils Schmid, Kirsten Lühmann, Elvira Drobinski-Weiß, Annette Sawade, Bettina Hagedorn, Joachim Poß und ganz besonders an Sören Bartol und sein Team . Ohne deren großes Engagement hätten wir heute diese Debatte nicht . ({8}) Ich freue mich sehr, dass wir heute diese historische Entscheidung für Südbaden treffen können, und ich hoffe vor allem, dass wir auch in einem überschaubaren Zeitraum die Gleise bauen können . Ich habe mir vorgenommen - das wünsche ich mir -, meinen 60 . Geburtstag in einem Speisewagen feiern zu können, der durch das schöne Südbaden auf den neuen Gleisen fährt . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt wollen natürlich alle wissen, wie alt Sie sind . - Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa- che 18/7364 mit dem Titel „Menschen- und umweltge- rechten Ausbau der Rheintalbahn realisieren“ . Zu diesem Antrag sowie zum Antrag der Koalitionsfraktionen unter Zusatzpunkt 5 liegt eine Vielzahl Erklärungen - genau gesagt sind es 50 - zur Abstimmung gemäß § 31 der Ge- schäftsordnung vor .1) Zum Antrag auf Drucksache 18/7364 liegt ein Än- derungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- che 18/7381 vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Zustim- mung von Linken und Bündnis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen beider Koalitionsfraktionen abgelehnt . Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer 1) Anlage 7 stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist damit einstimmig angenommen . ({0}) Zusatzpunkt 5 . Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/7365 mit dem Titel „Menschen- und umweltgerechte Realisierung europäischer Schienennetze“ . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7379 vor, über den wir jetzt zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, abgelehnt haben CDU/CSU und SPD . Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist auch dieser Antrag einstimmig angenommen . ({1}) Zusatzpunkt 6 . Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Finanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt sicherstellen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7388, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6884 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . - Gratulation! ({2}) Ich verabschiede unsere Gäste auf der Tribüne . Kommen Sie gut heim . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Annalena Baerbock, Özcan Mutlu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein Rahmenprogramm für Klima- und Klimafolgenforschung Drucksache 18/7048 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen wollen - warum auch immer -, jetzt den Saal zu verlassen . Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als grüne Bundestagsfraktion bringen hier und heute, wenige Wochen nach der Weltklimakonferenz von Paris, unseren Antrag zur Stärkung der Klima- und Klimafolgenforschung ein . Die Klimaforschung in Deutschland hat zu Recht national wie international einen hervorragenden Ruf - unseren exzellenten Klimaforschungsinstituten sei Dank . Wir müssen diese Kompetenz aber weiter stärken und als Teil einer auf Nachhaltigkeit setzenden Forschungsförderpolitik ausbauen; denn valide Forschungsdaten sind Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Weltklimapolitik . ({0}) Die hohe Qualität von Forschungsergebnissen, gebündelt vom IPCC, ist die eine Seite der Medaille . Die andere Seite ist die Frage des politischen Willens, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen richtige Konsequenzen zu ziehen . Während UN-Generalsekretär Ban Ki-moon heute fordert, zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens die Investitionen in erneuerbare Energien in den nächsten fünf Jahren weltweit zu verdoppeln, ist das Urteil „beratungsresistent“ für die zögerliche Haltung dieser Bundesregierung beim Kohleausstieg noch schmeichelhaft . ({1}) Das Herumlavieren der ehemaligen Klimakanzlerin und des Vizekanzlers droht die vereinbarten Klimaschutzziele zu unterhöhlen . Das ist hochproblematisch . ({2}) Weil Anspruch und Handeln auseinanderklaffen, wundert mich auch nicht, dass sich die Koalition bei dem ganzen Thema verzettelt und bei der Klimaforschung zu keiner vorausdenkenden und wegweisenden Strategie findet. Da geht aber deutlich mehr . ({3}) Nehmen Sie unseren Antrag daher als Einladung, der Klimafolgenforschung einen deutlichen Schub zu geben; denn eine ambitionierte Forschungs- und Klimapolitik gegen die Überhitzung unseres Planeten ist notwendiger denn je . Extreme Wetterereignisse häufen sich: 2015 war das weltweit heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen . 13 der 15 wärmsten Jahre wurden nach der Jahrtausendwende registriert . Das hat massive Folgen: Gletscherschmelzen in Polarregionen und weltweit Dürren, Hitzewellen und Hungersnöte . Es entstehen neue Armutsrisiken, neue Verteilungsfragen und neue Fluchtursachen . Diese ökologischen, aber auch die sozialen und Vizepräsidentin Claudia Roth regionalen Klimafolgen gehören noch intensiver und interdisziplinärer erforscht . ({4}) Wir schlagen hierfür ein eigenständiges Forschungsrahmenprogramm zur Klima- und Klimafolgenforschung unter Federführung des BMBF vor . Darin lassen sich die Aktivitäten ressortübergreifend bündeln . Sie lassen sich ausbauen, weiter gehende Forschungsbedarfe können identifiziert und priorisiert werden. Um die Folgen des Klimawandels beherrschbar zu machen, müssen nämlich auch Gegen- und Anpassungsstrategien wissenschaftlich viel stärker entwickelt werden . Dieses transformative Wissen in der Frage, wie wir mit den massiven Klimaveränderungen umgehen, wird dringend zur weltweiten Anwendung gebraucht . Weiterzuentwickeln sind Klimamodellierung und regionale Prognosen zu Folgen der Klimaveränderung für die Natur und zu Auswirkungen auf die Menschen selbst, die etwa in Megacitys und in Küstenregionen leben . Die schnelle Anwendung dieses transformativen Wissens und interdisziplinäre Kooperation sind dringend erforderlich . Das wollen auch immer mehr Forschende . Eine Chance wären integrierte Forschungsansätze innerhalb dieses Rahmenprogramms . Das heißt, man braucht biologische, geologische, ozeanografische, meteorologische, geophysikalische und chemische Langzeitmessungen sowie gleichzeitig sozial- und geisteswissenschaftliche Expertise . ({5}) Es geht darum, die entwicklungs-, flüchtlings- und wirtschaftspolitischen Implikationen auch interdisziplinär zu erforschen und zu denken . Denn es ist vieles unklar, zum Beispiel, welche Gesundheits- und Seuchenrisiken durch Extremwetterereignisse und erhöhte Mitteltemperaturen auf dem Globus entstehen . Was bedeutet das für die Resilienz von Mensch und Natur sowie für die biologische Vielfalt? Wir wissen, dass die Klimakrise uns alle trifft und bedroht . Ihre Auswirkungen können wir nicht allein durch Expertendiskurse in den Griff bekommen, sondern wir müssen Sensibilisierung und Problembewusstsein in der gesamten Gesellschaft wecken . Gerade in der Klimafolgenforschung müssen Wissenstransfer bzw . die Kommunikation mit und Beteiligung der Zivilgesellschaft systematisch vorangetrieben werden . Mit einem ambitionierten Forschungsrahmenprogramm wollen wir diesen gewaltigen Herausforderungen beherzt gerecht werden . Sagen Sie Ja zu unserem Ansatz und zu diesem Instrument, um in den nächsten Jahren einen Forschungsschwerpunkt der Bundesregierung darauf zu legen! Lassen Sie uns keine Zeit verlieren . Ich freue mich deshalb auch auf die Beratung im Ausschuss . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kai Gehring . - Nächste Rednerin in der Debatte ist Sybille Benning für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Sybille Benning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004251, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sie, meine lieben Kollegen von den Grünen, fordern ein neues, eigenständiges Rahmenprogramm zur Klima- und Klimafolgenforschung . Ressortübergreifend soll es sein und alle Förderaktivitäten der Bundesregierung im Bereich der Klima- und Klimafolgenforschung miteinander verknüpfen, bündeln, weiterentwickeln und stärken . Das gibt es doch schon . Es heißt FONA: Forschung für Nachhaltige Entwicklung . ({0}) Es ist auch mehr als nur ein Impulsgeber, wie Sie es im Antrag wenigstens anerkennen . Schon 2005 hat die unionsgeführte Bundesregierung das Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“, kurz FONA, ins Leben gerufen, ({1}) das im letzten September in der dritten Auflage für weitere fünf Jahre mit einem Volumen von 2 Milliarden Euro ausgestattet wurde . ({2}) Dankenswerterweise geben Sie mir heute die Gelegenheit, im Plenum des Deutschen Bundestages über FONA zu sprechen, um dieses hervorragende Rahmenprogramm bekannter zu machen . ({3}) Es ist ein Rahmenprogramm, und die Klimaforschung ist dabei eine tragende Säule . Lesen Sie einmal das FONA-Programm! ({4}) - Hören Sie doch erst einmal zu! ({5}) Hier wird ein besonderer Wert auf einen schnellen Wissenstransfer und die Umsetzung der Forschungsergebnisse gelegt . Verbundforschung ist hier das Schlüsselwort . FONA3 wurde in einem mehrjährigen Agendaprozess unter Beteiligung zahlreicher Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung entwickelt . Sie merken: Jetzt sind schon zwei Ihrer Forderungen erfüllt. Ich finde für jede Ihrer weiteren Forderungen im Forschungsrahmenprogramm FONA eine Entsprechung . Ich kann nur einige wenige Beispiele nennen . Zur Verbesserung der Klimamodellierung wurde eine halbe Milliarde Euro in die Forschungsflotte und in Großgeräte investiert . Der Hochleistungsrechner zur Klimamodellierung „Mistral“ hat soeben seine Arbeit aufgenommen . ({6}) - Jetzt hören Sie doch wenigstens zu! ({7}) Er berechnet mit hoher Auflösung Klimamodelle und Simulationen, aus denen Zukunftsszenarien entwickelt werden können . Internationale Kooperationen, wie Sie sie auch fordern, im Klima-, Umwelt- und Energiebereich mit Partnern in Schwellen- und Entwicklungsländern fördert CLIENT II . Vielleicht kennen Sie das auch schon . Auch die Beteiligung der Gesellschaft bzw . die Bürgerbeteiligung ist fest in FONA verankert . Das ist unter dem Begriff „Citizen Science“ bekannt . Als Beispiel dafür nenne ich die SenseBox . Mit dieser Box können Bürger und Bürgerinnen selbstständig Umweltdaten messen, die automatisch in eine Karte einfließen. Diese gute Idee hat soeben den Wettbewerb „Bürger schaffen die Zukunftsstadt“ gewonnen . Da sie in meinem Wahlkreis Münster entwickelt wurde, macht mich das natürlich froh . Diese Idee ist selbstverständlich auf alle anderen Städte übertragbar . ({8}) Bildungsangebote für Bürgerinnen und Bürger sind unerlässlich . Deshalb ist Bildung für Nachhaltigkeit ein wichtiger Baustein von FONA3, das die Eigenverantwortlichkeit des Handelns heranbildet und unterstützt . Ein weiterer Schwerpunkt von FONA ist die Green Economy, in der Lösungen für ressourcenschonende Wirtschaftsprozesse entwickelt werden . Innovations- und Unternehmergeist sind hier treibende Kräfte . Das geht weit über Technologieförderung hinaus . Forschung für nachhaltige Entwicklung, zu der auch Klimaforschung zählt, bedeutet selbstverständlich, bezahlbare, nachhaltige Energien zu entwickeln . Hier gibt es keinen Widerspruch zwischen Energie- und Klimaforschung . Das Ziel zählt . ({9}) Ihre Forderung nach einer ressortübergreifenden Bündelung wird übrigens bereits in der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung erfüllt, wie Sie wissen könnten . Was sagt Ihr Antrag eigentlich noch aus? Sie fordern mehr geisteswissenschaftlich motivierte Fragen für Forschungsprojekte . Auch die Umsetzung in gesellschaftliches Handeln soll intensiviert werden . Forschungsergebnisse sollen handlungsleitender sein . Wir sind davon überzeugt, dass unsere angebotsoffenen Programme in FONA3 das alles wirksam behandeln . Denken Sie nur an den Wettbewerb „Zukunftsstadt“, der sich vor Anträgen gar nicht retten kann . Die Reaktionen auf Klimaveränderungen sind Prozesse, die mithilfe einer Bildung zum Verständnis naturwissenschaftlicher Zusammenhänge besser verstanden werden . MINT-Bildung ist hier das Schlüsselwort . Verständnis führt zum Handeln, das erkenntnisgeleitet, verantwortungsbewusst und individuell ist und schließlich auch gesellschaftlich wirksam wird . Wir von der CDU/ CSU wollen die Menschen befähigen, selber durch Bildung und Erkenntnis die notwendigen Entscheidungen mitzutragen . Das ist unser Ziel . ({10}) Ihr Vorgehen scheint mir anders motiviert zu sein . Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab . Vielen Dank . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Benning . - Nächste Rednerin: Eva Bulling-Schröter für die Linke . ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Politik von der Vernunft geleitet werden muss, Entscheidungen also auf der Grundlage von Wissenschaft und Fakten zu treffen hat, muss eigentlich nicht erst erklärt werden . Das ist eine Binsenweisheit . Gerade beim Klimawandel gibt es aber offensichtlich noch immer große Wissenslücken . Nach dem Klimaschutzabkommen von Paris Ende Dezember ist nun der richtige Zeitpunkt, hier darüber zu reden . Die Linke unterstützt diese vernünftige Initiative, weil die Linke eine Partei der Vernunft und des Klimaschutzes ist . ({0}) Eine Kernforderung des Antrags ist die Stärkung von Interdisziplinarität, also der Verknüpfung von Wissen aus den Teilbereichen Verwaltung, Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und Zivilgesellschaft, also dort, wo es darum geht, die Ursachen, Wirkungsweise und Folgen einer Wirtschaftsweise zu verstehen, die zum großen Teil noch immer auf Kohle, Gas und Erdöl beruht . Was bedeutet Interdisziplinarität, und warum ist diese so wichtig? Das Gegenteil von Interdisziplinarität ist der Tunnelblick . Hier ein Beispiel: Ausgerechnet ein Kollege aus dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Herr Lengsfeld von der CDU/CSU, erklärte auf Twitter - ich zitiere -: „Junge Männer/Jugendliche aus #Marokko, #Algerien ‚fliehen‘ nicht vor Bürgerkrieg, werden auch nicht vertrieben . Kommen zum Geldverdienen .“ ({1}) Die Nordafrikaner in Deutschland hätten rein egoistische Gründe, es gehe ihnen um das Geldverdienen . Die Welt ist aber nicht so einfach . Wenn wir in der Lage sind, etwas komplexer zu denken, sehen wir die Welt anders: Der Grund für Migration ist erstens immer egoistisch . Es geht um Selbsterhaltung . Das sagt uns die Biologie . Zweitens sind das Geldverdienen und das Geldausgeben Grundpfeiler des Kapitalismus . Das sagt uns die Volkswirtschaft . Es sind drittens in Nordafrika die Männer, die Geld verdienen und es nach Hause in ihre Heimat schicken müssen . Das sagen uns Soziologie und Ethnologie . Starkes Bevölkerungswachstum, Armut, soziale Ungleichheit, Jugendarbeitslosigkeit und ein schwacher Staat sorgen viertens für Instabilität . Das sagen uns Politikwissenschaft und Demografie. Und fünftens: Wegen seiner geografischen Besonderheit und Position im Mittelmeerraum gehört Algerien heute zu den Ländern der Erde, deren Bevölkerung die Konsequenzen des Klimawandels am meisten zu spüren bekommen . Bei 1 200 Kilometern Küste und einer Fläche, die zu fast 90 Prozent Wüste ist, sind sowohl das Ansteigen des Mittelmeeres als auch die Ausdehnung der Sahara ein Problem . Der Klima-Risiko-Index stuft Algerien darum als Risikoland ein . Das sagen wiederum Geografie und Meereskunde. Der Klimawandel hat einen verstärkenden Effekt, und die Erderwärmung sorgt für noch mehr Druck, lässt Felder verdorren, Böden versalzen . Die Menschen gehen in die Städte, finden keine Arbeit und werden so zu Migranten, zu Klimaflüchtlingen. Es ist eben ein bisschen komplizierter, als manche sich das vorstellen können . ({2}) Wenn wir die Welt um uns herum aber nur mit einem Tunnelblick anschauen, dann interpretieren wir sie falsch und treffen am Ende in der Politik falsche Entscheidungen . Wenn dann in der CDU noch Stimmen laut werden, die ein Ende der erfolgreichen Förderung von erneuerbaren Energien fordern und die Verteidiger der Energiewende als ökologisch getriebene Ideologen abkanzeln, wie es der CDU-Wirtschaftsrat formuliert oder es der Energiebeauftragte der Union, Kollege Bareiß, sagt, und die Protestbriefe ans Kanzleramt verfassen, dann kann ich nur sagen, dass das Einmaleins der Klimaforschung in der Union noch nicht beherrscht wird . Wir stimmen also dem Antrag zu; er ist dringend notwendig . Danke schön . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollegin Bulling-Schröter . - Nächster Redner: René Röspel für die SPD . ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich finde die Initiative gut. Es ist immer wichtig, an diesem Ort über Klimaschutz, Klimaforschung und Klimawandel zu reden. Aber ich finde es genauso wichtig, zu unterscheiden zwischen Klimaforschung auf der einen Seite und Klimaschutz auf der anderen Seite, weil das schon ein Unterschied ist . Klimaforschung bedeutet, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen, wie sich die Eismassen auf der Welt verändern, welche Auswirkungen Treibhaus- und Klimagase auf die Versäuerung des Ozeans und der Meere haben und welche Botschaften das für uns und die Politik sind . Das ist Klimaforschung: wissenschaftliche Fakten zur Verfügung zu stellen . Dazu zählt zum Beispiel, dass jedes Jahr - als neue Erkenntnis 500 Kubikkilometer Landeis verloren gehen, indem sie schmelzen und in das Wasser geraten . Das ist so viel, als würde man die Fläche von Hamburg mit einer 600 Meter hohen Eisschicht bedecken . Das ist Klimaforschung und Klimafolgenforschung . Der andere Teil ist Klimaschutz . Es besteht eine wissenschaftliche Verantwortung, Lösungsvorschläge anzubieten, aber es besteht in erster Linie eine gesellschaftliche und politische Verantwortung, mit den Erkenntnissen aus der Klimaforschung umzugehen und eben Handlungsoptionen anzubieten . Da hat Barack Obama es auf den Punkt gebracht: Wir alle, die wir hier in diesem Raum sitzen, sind die erste Generation, die den Klimawandel erleben wird, und wir sind gleichzeitig die letzte Generation, die ihn aufhalten kann, die ihn noch positiv verändern kann . Und das ist eine Anforderung an Politik und an Gesellschaft . ({0}) Ich finde es sehr richtig, beides tatsächlich zu trennen: Klimaforschung und Klimaschutz . Klimaforschung ist wichtig, wird weiter gefördert werden . Aber wenn wir die nächsten Jahre nur darauf warten, welche Ergebnisse noch kommen, wird es zu spät sein . Unsere Verantwortung ist, Klimaschutz zu betreiben . Ich bin sehr überzeugt - das müssen wir hinkriegen -, dass möglichst viel Kohle, Gas und Erdöl im Boden bleiben müssen und nicht verbrannt werden dürfen . Das müssen wir politisch organisieren . ({1}) Das, was mir an diesem Antrag wirklich nicht gefällt, ist, dass vieles von beidem durcheinandergeht . ({2}) Sie schreiben beispielsweise: Seit Jahrzehnten wird hierzulande Klimaforschung auf internationalem Spitzenniveau betrieben . Das ist richtig, hat Kai Gehring auch gesagt . Einen Satz danach heißt es: Eine führende Rolle beim Klimaschutz hat unser Land dennoch längst eingebüßt . Ich bin sehr überzeugt: Das ist falsch . ({3}) Sie haben den Antrag am 16 . Dezember geschrieben . Das war wenige Tage nach der Klimakonferenz in Paris . Ich finde, dort ist ein grandioser Erfolg erzielt worden, vor allem unter deutscher Beteiligung . Dafür hätte ich Barbara Hendricks gedankt, wenn sie hätte hier sein können, weil Deutschland da eine führende Rolle gespielt hat . Das 1,5-Grad-Ziel hätten wir uns vor vielen Jahren noch nicht träumen lassen . Wir hätten uns vor allen Dingen nicht träumen lassen, dass 195 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dieses Ziel mittragen . Dazu bedarf es eines einvernehmlichen Beschlusses der UN-Konferenz, und den zu erreichen, ist ganz schwierig . Zweifelsohne hätten wir mehr erreichen wollen, aber es mussten alle 195 Staaten, die völlig unterschiedliche Interessen haben, zustimmen. Deswegen finde ich, dass das ein großer Erfolg ist . ({4}) Es ist auch national gesehen falsch, wenn Sie schreiben, dass unser Land die führende Rolle beim Klimaschutz längst eingebüßt habe. Ich finde, das stellt infrage, was alle Fraktionen in unterschiedlichen Koalitionen in den letzten 15 Jahren auf den Weg gebracht haben . ({5}) Man kann sich alles besser vorstellen . Klimaschutz wird auch international funktionieren . Ich erinnere an Matthäus 7, Vers 12: Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen . - Wir in der Bundesrepublik Deutschland müssen gut vorangehen und zeigen, dass die Bekämpfung des Klimawandels möglich ist und dass die Energiewende möglich ist. Ich finde auch, dass wir in Deutschland noch längst nicht alles geschafft haben, aber wir haben viel in den letzten 15 Jahren geschafft . Ich weiß nicht, was ich geantwortet hätte, wenn man mich vor 20 Jahren gefragt hätte, wie ich die Lage in den Jahren 2015 oder 2016 einschätze . Ich hätte aber sicherlich nicht zu träumen gewagt, dass wir ein Drittel unseres Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stellen werden . Das ist schon ein gewaltiger Erfolg . Wir müssen besser werden; das ist gar keine Frage, und das ist unsere Verantwortung . Das betrifft aber den Klimaschutz, nicht die Klimaforschung . Wenn Sie beispielsweise in dem Grünenantrag das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ oder das Forschungsrahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ als zu wenig forschungsorientiert bewerten, dann ist das in großen Teilen tatsächlich richtig . Aber das sind per se keine Forschungsprogramme, sondern gerade das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ ist ein Klimaschutzprogramm, bei dem geschaut wird, wo wir uns in Schulen, Bildungseinrichtungen, an Hochschulen, in der Wirtschaft, beim Verkehr, beim Städtebau und beim Bauen tatsächlich klimaschutzdienlich verhalten können und was wir tun können, damit Klimaschutz tatsächlich verwirklicht wird . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage?

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ich den Satz in Ruhe lese -

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich rede mit Ihnen . Entschuldigen Sie . - Ich wollte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage der Kollegin Annalena Baerbock erlauben .

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege Röspel, Sie haben gesagt, man müsse Klimaforschung auf der einen Seite und Klimaschutz und Klimapolitik auf der anderen Seite trennen . Deswegen frage ich Sie: Ist Ihnen bewusst, welche Rolle eigentlich die führenden Klimawissenschaftler gerade auf der Klimakonferenz in Paris gespielt haben? Professor Schellnhuber zum Beispiel war mehrfach Seite an Seite mit der Bundesregierung vor Ort, um die Forschungsergebnisse dort zu präsentieren, zu erklären und daraus politische Handlungsempfehlungen anzubieten . Ich erinnere auch an den Kollegen Edenhofer, der aus der Klimaforschung abgeleitet hat, was die Erderwärmung eigentlich bedeutet . Er hat dargestellt, was das für die Weltwirtschaft bedeutet . Es ging auch um die Frage des CO2-Zertifikatehandels. Es wurden auch Wirtschaftsketten, die durch den Klimawandel ausfallen, thematisiert . Diese gesamte Komplexität hat auf der Klimakonferenz deutlich gemacht, dass es einer starken Klimawissenschaft bedarf . Deswegen machen wir in unserem Antrag deutlich, dass wir einen Bereich zwar sehr gut erforscht haben, auf der anderen Seite aber aus der Klimawissenschaft hören, dass wir dieses Zusammenbringen brauchen; denn jetzt steht die Dekade der Transformation an . Aber gerade diese Transformationsforschung in diesem Bereich haben wir in Deutschland nicht . Dasselbe gilt für die Klimaanpassung . Auch da steckt die Forschung in Deutschland noch in den Kinderschuhen . Es geht um die Frage, wie wir eigentlich mit der Klimaveränderung umgehen und was diese politisch für uns bedeutet . Wie können Sie das trennen, wenn die Politik auf die wissenschaftlichen Ergebnisse angewiesen ist?

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde nicht so ausführlich antworten . - Vielen Dank für die Frage, aber Sie haben es nicht geschafft, einen Widerspruch aufzubauen; denn allein die Tatsache, dass Klimaforschung in Deutschland exzellent ist und weltweit anerkannt wird, zeigt, dass wir auf einem richtigen Weg sind . Ich erinnere an das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“, die Stationen in der Antarktis und in der Arktis, das Alfred-Wegener-Institut und die Helmholtz-Institute . All das hat dazu geführt, dass Schellnhuber, Edenhofer und Mojib Latif genau die Experten sind, die weltweit Anerkennung genießen . Diese entfalten über ihre Forschungsbeiträge international große Wirkung . Es besteht die Gefahr - es gibt international immer wieder entsprechende Bestrebungen -, dass erst noch fünf Jahre weitergeforscht wird, und dann schaut man einmal, was passiert . Ich sage ganz deutlich - ich habe es auch bisher nicht anders getan -: Wir brauchen weiterhin Klimaforschung; aber es ist unsere Verantwortung, Klimaschutz zu betreiben . ({0}) Sie vermischen das in Ihrem Antrag . Deswegen, glaube ich, muss man das sauberer trennen . Wenn Sie schreiben - das ist ein weiterer Widerspruch in Ihrem Antrag -, dass die Klimaforschung im Moment gegenüber der Energieforschung ins Hintertreffen zu geraten droht, dann bin ich wirklich zwiegespalten . Wir brauchen Klimaforschung - wir werden sie ausbauen -, aber wir müssen die Priorität deutlich auf Energieforschung setzen; denn wir wissen - dementsprechend ist unsere Verantwortung -, dass bereits in dieser Generation der Großteil der Energiewende geschafft werden muss . Wenn ich mich für eines entscheiden müsste, wäre Energieforschung mir wichtiger als Klimaforschung . Aber wir lassen nicht zu, dass eine solche Entscheidung getroffen werden muss . Während der Bundesetat für Klimaforschung vor zwei Jahren noch bei 81 Millionen Euro lag, liegt er 2016 bei 99 Millionen Euro . Das heißt, wir haben eine deutliche Steigerung der Mittel im Klimaforschungsbereich, und das ist auch gut so; denn wir müssen weiterhin wissen, wie sich die von mir vorhin genannten Beispiele regional auswirken, was den Klimawandel betrifft, und wir müssen im Forschungsbereich deutlich weiterkommen . Sie sprechen richtigerweise die Vernetzung an . Das ist genau der Punkt, an dem ich mich frage, ob ein neues Rahmenforschungsprogramm für Klimaforschung nicht für Klimaschutz - eigentlich der richtige Ansatz ist . An dieser Stelle bin ich wirklich skeptisch . Es gibt seit 2009 das Deutsche Klima-Konsortium . Darin sind wirklich alle - auch weltweit - angesehenen deutschen Forschungseinrichtungen vertreten: Helmholtz-Institute, Leibniz-Institute, Max-Planck-Institute und auch - ganz wichtig - Universitäten wie die in Kiel, Bremen und Hamburg, sogar deutsche Behörden wie der Deutsche Wetterdienst oder das Umweltbundesamt . Sie betreiben gemeinsam Klimaforschung . Sie machen sich gemeinsam auf den Weg, Vorschläge zu entwickeln, wie Klimaforschung funktionieren muss . Das Positionspapier - wie ich gesehen habe, hat sich Kai Gehring einiges aufschreiben lassen ({1}) enthält vieles, was wir im Klimaforschungsbereich machen müssen, bis hin zur Lösung der Fragen - das unterliegt aber der politischen Verantwortung -, wie wir etwas in die Gesellschaft einführen, wie wichtig die Reaktion auf Klimawandel ist und wie wir über sozialwissenschaftliche Forschung dazu beitragen können, dass deutlicher kenntlich gemacht wird, wie wichtig es ist, unser Verhalten zu verändern, energieeffizienter und sparsamer zu werden sowie auf andere Energien zu setzen . Vielen Dank . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, René Röspel . - Der nächste und letzte Redner in dieser Debatte: Dr . Philipp Lengsfeld für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, Sie haben gefühlt die Hälfte Ihrer Redezeit auf mich verwendet . Ich deute es einmal als Ehre . Dass mich die Linkspartei auf dem Radar hat, wusste ich immer . Dass Sie mich so intensiv beobachten, ist natürlich auch für mich eine Überraschung . ({0}) Wir sollten über das Thema, warum junge Männer aus Algerien und Marokko nach Deutschland drängen, vielleicht doch an anderer Stelle debattieren und nicht, wenn es um Klimaschutz geht . Aber ich nehme das gerne an . Wenn Sie mich einladen, können wir das in extenso diskutieren . ({1}) Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen, haben meine Kollegin Sybille Benning und auch mein Kollege René Röspel schon sehr viel gesagt . Ich will mich deshalb auf die Grundsatzfrage konzentrieren . Ich bin der Meinung, dass die Klimaforschung in Deutschland, aber auch global nicht noch mehr, sondern eher weniger politische Einmischung und Steuerung braucht . Ich erläutere das einmal anhand eines Beispiels aus Amerika . Kennen Sie Senator Ted Cruz aus Texas? Er ist einer der Bewerber im Feld der Präsidentschaftskandidaten der Republikaner . Wer ihn heute noch nicht kennt, der wird ihn sicherlich in drei Tagen, nach der ersten Vorwahl in Iowa, kennenlernen . Mein Sohn hat mich schon vor Monaten auf Ted Cruz aufmerksam gemacht, unter anderem, weil er rhetorisch wirklich beschlagen ist . Ted Cruz ist das, was man hierzulande wohl einen Klimaskeptiker nennen würde . ({2}) Ted Cruz traf Ende letzten Jahres in einem Senate Subcommittee Hearing, in dem es um Auswirkungen von Präsident Obamas Klimagesetzesinitiativen auf Minoritäten ging, auf den Präsidenten des Sierra Clubs, Aaron Mair . Der Sierra Club ist die älteste und größte Naturschutzorganisation der USA . In diesem Hearing kam es zu einem sehr interessanten Wortgefecht über die Klimaforschung . Man kann sich das Ganze im Internet anschauen; es ist wirklich sehr lehrreich . Geschlagene neun Minuten duellieren sich die beiden, und am Ende gibt es keinen Erkenntnisgewinn . Ted Cruz attackiert Aaron Mair wegen der Aussage, die Wissenschaft hinter den Klimaschutzmaßnahmen von Präsident Obama sei so eindeutig, dass sie - Zitat nicht mehr diskutiert werden sollte . Um diese These zu erschüttern, fragt Cruz, warum dann die globale Durchschnittstemperatur während der letzten 20 Jahre nicht signifikant gestiegen ist. ({3}) Wie antwortet der Vorsitzende der großen Umweltschutzorganisation? Statt Senator Cruz darauf zu verweisen, dass er nur einen isolierten Datensatz ins Feld führt, kontert Mair lieber mit einem anderen, ebenfalls völlig isolierten Datensatz, und zwar mit der viel zitierten Erhebung, nach der von einer Gruppe befragter führender Klimaforscher 97 Prozent der Überzeugung sind, dass es zweifelsfrei einen menschengemachten Klimawandel gibt . Ich will hier gar nicht über diese beiden Datensätze reden oder diskutieren - es gibt zu beiden einiges zu sagen -, sondern will nur auf ein tieferes Problem hinweisen . ({4}) In der Klimaforschung wird viel zu viel politisiert, und es werden zu viele Glaubenssätze aufgestellt . Statt Daten, Modelle und Unsicherheiten zu diskutieren und einzuordnen, bekriegen sich wie im beschriebenen Beispiel die Kontrahenten lieber mit Einzelpunkten, die isoliert gar nichts beweisen oder gar nichts beweisen können, weder in die eine noch in die andere Richtung, oder es wird gar nicht mehr diskutiert . ({5}) Wissenschaft darf kein Spielball der Politik werden, und Wissenschaft darf erst recht nicht zu einer Glaubensfrage werden . ({6}) Das gilt natürlich insbesondere in der Klimaforschung . Der medial-politische Rummel um den jährlichen IPCC Report ist aus meiner Sicht an der Stelle nicht hilfreich ({7}) - liebe Grüne, das müsst ihr euch mal anhören! ({8}) - nein - und verführt den einen oder anderen Wissenschaftler zu oft zu Anschärfungen, Überspitzungen und Einfärbung von Daten . Die legendäre Hockeyschläger-Kurve, die jahrelang auf dem IPCC Report prangte, oder - das finde ich noch viel schlimmer - die Eisbärenromantik, die penetrant in Fachartikeln zur Klimaforschung vermittelt wird, auch in seriösen Medien, sind für mich nur zwei krasse negative Beispiele . Klimaforschung - jetzt kommt die Pointe - ist wichtig; da bin ich voll bei den Grünen . Wie jede Forschung ist sie nur gut, wenn sie spitze ist . Wir brauchen Spitzenforschung auch im Klimabereich in Deutschland; auch da bin ich voll bei Bündnis 90/Die Grünen, selbst wenn Sie das nicht wollen . ({9}) Aber um wirklich spitze zu sein und um spitze zu bleiben, müssen sich die Forscher auf ihre Stärken besinnen, und das sind Fleiß, auch Ehrgeiz, Beharrlichkeit und unbedingte wissenschaftliche Schärfe . Es geht eben nicht primär um das Bedienen von irgendwelchen politischen Moden oder um mediale Predigten an das Volk . Nach meiner Überzeugung braucht die Klimaforschung in Deutschland deshalb weniger politischen Einfluss und nicht mehr . Dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hier wirklich helfen würde, davon bin ich nicht überzeugt . Vielen Dank . ({10})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Dr . Lengsfeld . - Das Wort zu einer Kurzintervention hat Kai Gehring . ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Lengsfeld, Sie haben mich gereizt, den Antrag, die Initiative jetzt doch noch einmal einzuordnen; denn in der Debatte ist aus meiner Sicht jetzt leider doch so einiges durcheinandergeraten . Es ist interessant, dass Sie sich irgendwie sozusagen als einer der letzten in der Unionsfraktion verbliebenen Klimawandelskeptiker oder -kritiker geoutet haben . Das ist bemerkenswert, weil sich die internationale Wissenschaftscommunity absolut einig ist und wir alle miteinander zufrieden sind, dass es bei der Weltklimakonferenz zu einem Abkommen gekommen ist . Ich bemerke aber bei den Redebeiträgen der Mitglieder der Koalitionsfraktionen ein bestimmtes Phänomen . Wenn man einen Oppositionsantrag eigentlich sehr gut findet, muss man irgendwelche Nebenkriegsschauplätze aufmachen, die mit dem eigentlichen Antrag nicht allzu viel zu tun haben . Frau Benning, FONA ist ein tolles Programm . ({0}) Wir als Grüne haben es mit erfunden . Dieses FONA-Programm für Nachhaltigkeit ist selbstverständlich fortzusetzen, weiterzuentwickeln . Es ist ein Programm für mehr Nachhaltigkeit in der Forschung . - Haken dahinter! Das Programm „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ hat Rot-Grün auf den Weg gebracht; ich erinnere an die UN-Dekade . Es war ein Bulmahn- und grünes Projekt, Bildung für nachhaltige Entwicklung zu fördern . Auch d’accord; gar kein Dissens; hat aber mit dem Antrag eigentlich nichts zu tun . ({1}) In dem Antrag geht es um das Thema „Klimaforschung und Klimafolgenforschung“ . Deshalb möchte ich es Ihnen noch einmal erklären . ({2}) - Ja, aber vielleicht haben Sie das auch nicht verstanden . - Ein Forschungsrahmenprogramm ist eine besondere Fördermöglichkeit seitens des BMBF, damit dieser Bereich in der Wissenschaft noch gestärkt werden kann; denn Sie wissen ja, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung der größte Drittmittelgeber für Forschung in dieser Republik ist . ({3}) Und wenn man sieht, dass da noch Erkenntnislücken bestehen und dieses Feld wichtig ist, dann legt man zur Klimafolgenforschung ein Forschungsrahmenprogramm auf, damit die Wissenschaft in ihrer völligen Wissenschaftsfreiheit uns helfen kann, Erkenntnislücken zu schließen . Herr Röspel hat richtigerweise gesagt, wie es sich mit den Erkenntniswünschen, die wir noch haben, verhält - siehe das Deutsche Klima-Konsortium . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Mit Verlaub, ich bin hier die Präsidentin, und er hat die Möglichkeit, bis zu drei Minuten eine Kurzintervention zu machen . ({0}) Selbstverständlich hat Dr . Lengsfeld die Möglichkeit, darauf dann maximal drei Minuten zu antworten . Herr Gehring hat bisher genau zwei Minuten und zehn Sekunden geredet . Seien Sie sich ganz sicher - huch! -, dass ich aufpasse . ({1})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist wichtig, dass wir Erkenntnislücken schließen, die es in der Klimaforschung noch gibt . Wir müssen tiefer einsteigen, damit uns die Klimaforschung hierzulande und weltweit mehr Erkenntnisse bringt: Wie sind die regionalen Auswirkungen? Was ist, wenn es in den Megacities im Sommer ein paar Grad wärmer wird? Wie reagieren dann die Menschen darauf? Welche Voraussetzungen, welche Notwendigkeiten gibt es da? Was sind die sozialen Folgen? Wie sehen Anpassungsstrategien aus? Das sind Kernfragen des Antrags . Das war Kern meiner Rede, und ich bitte darum, das zur Kenntnis zu nehmen . Sie haben mir keinen einzigen Grund geliefert, warum wir kein Forschungsrahmenprogramm für die Stärkung der Klimaforschung in Deutschland auflegen sollten. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt hat Dr . Lengsfeld im gleichen Rahmen die Möglichkeit, zu antworten .

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . Ich versuche ({0}) - haha! -, es kurz zu machen . - Herr Gehring, die Hälfte der Zeit haben Sie eigentlich meine Kollegin Benning angesprochen . Vielleicht will sie auch noch antworten . Nur noch einmal zum Verständnis: Man kann es im Manuskript nachlesen . Du kannst es auch in der Mediathek noch einmal anschauen . Ich kann dir auch gerne das Manuskript geben . Ich habe kein einziges klimaskeptisches Wort von mir gegeben, kein einziges . ({1}) Ich habe nur gesagt, dass auch in der Klimaforschung wissenschaftliche Standards, wissenschaftliche Schärfe vorhanden sein müssen . Dazu gehört, dass man erst einmal zuhört und versucht, ein Argument zu verstehen, bevor man versucht, es zu skandalisieren . ({2}) Ich habe Ihren Antrag auch nicht rundweg abgelehnt, sondern ich habe gesagt, dass ich ihn in der Summe für nicht unbedingt zielführend halte . ({3}) Aber ich habe hier kein einziges klimaskeptisches Wort von mir gegeben, kein einziges, Herr Kollege . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Dr . Lengsfeld . - Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7048 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes Drucksache 18/6560 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Drucksache 18/7358 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Tankred Schipanski, und ich werde selbstverständlich auf die fünf Minuten Redezeit achten . ({1})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Für die Beschäftigung mit dem Thema Hochschulstatistikgesetz erntet man so manches Lächeln . Über das Thema Statistik zu reden, ist nichts Aufregendes . Es ist eben nicht so wie beim großen Thema Klima: Es gibt keine E-Mail-Aktionen, keine organisierte Empörung von Campact oder wie sie alle heißen . Niemand wird deswegen heute eine namentliche Abstimmung beantragen oder gar in seinem Wahlkreis einen Bürgerstammtisch veranstalten . Fakt ist aber: Sowohl wir Politiker wie auch die Medien unterfüttern jeden gehaltvollen Beitrag in einer politischen Debatte mit Zahlen und Daten . Das ist eben Statistik . ({0}) Auch im Bereich der Hochschulstatistik haben wir mit Spannung erwartete Zahlen: die Zahl der Studienanfänger, die Betreuungsrelation, der Frauenanteil, um nur einige Beispiele zu nennen . Es ist also nicht so, dass uns die Zahlen der Hochschulstatistik nicht interessieren . Es interessiert uns jedoch recht selten, wer diese Daten auf welcher Grundlage erhebt und auswertet . Es muss uns aber politisch interessieren, wenn wir Politiker nicht alle Informationen bekommen, die wir brauchen . So wussten wir bislang nicht gesichert, wie viele Studierende eigentlich ihr Studium abbrechen . Wir konnten zwar zählen, wie viele ihr Studium begonnen haben, aber wir wussten nicht, ob einfach das Studienfach gewechselt oder das Studium endgültig aufgegeben wurde . Mit der Einführung der sogenannten Studienverlaufsstatistik bekommen wir künftig Informationen über komplette Studienverläufe . Wir wissen, wie viele umsteigen und wie viele aussteigen . Wir bekommen valide Zahlen zur Übertrittsquote, wie viele nach dem Bachelorabschluss ein Masterstudium beginnen, wie viele erst einmal arbeiten, wie viele eine Promotion beginnen . Das alles erfahren wir über die Verlaufsstatistik . ({1}) Da die Linksfraktion die Verlaufsstatistik als Teufelszeug bezeichnet, darf ich kurz erklären, wie die Verlaufsstatistik erstellt wird . Die Hochschulen erfassen, wie bisher, die Daten und melden diese an das Statistische Landesamt . Zusätzlich liefern sie vorhandene Daten, sogenannte Hilfsmerkmale, an das Amt wie: Geschlecht, Staatsbürgerschaft, Geburtsdatum . Aus diesen unveränderlichen Hilfsmerkmalen wird für jeden Studierenden eine individuelle Kennung erstellt . Aus dieser Kennung wird anschließend über ein Hash-Codierungsverfahren ein eindeutiges, aber nicht rückverfolgbares Pseudonym erstellt . Diese Hilfsmerkmale der Kennung der Studierenden werden anschließend gelöscht . Von daher sehen Sie: Das Pseudonymisierungsverfahren ist ein absolut sicheres Verfahren . Das haben uns auch die Datenschutzbeauftragten in der Anhörung bestätigt . Wir erfüllen hiermit höchste Datenschutzstandards . ({2}) Über die Dauer der Speicherfrist haben wir uns intensiv Gedanken gemacht . Wir wollen zum lebenslangen Lernen ermutigen . ({3}) - Sehr schön . Wir wollen erfahren, wann ein Ingenieur im Beruf ist, wann er einen MBA oder einen anderen Weiterbildungsstudiengang absolviert . Wir haben festgestellt, dass zwölf Jahre zu wenig sind . Das würde bedeuten, wenn jemand mit 18 Jahren ein Studium beginnt, dann hat er mit 21 Jahren einen Abschluss als Bachelor . Zwölf Jahre Speicherfrist hieße, er würde mit 33 Jahren aus dieser Statistik herausfallen . Das ist nicht lebenslanges Lernen, wie wir uns das vorstellen . Daher unser Antrag, diese Speicherfrist auf 18 Jahre zu verlängern . Ausdrücklich danken möchte ich an dieser Stelle den exzellenten Vorarbeiten des Ausschusses für Hochschulstatistik . Auf deren Basis und auf der Empfehlung der Anhörung haben wir diese Novelle gestaltet . Wir haben gemeinsam mit dem Koalitionspartner die Änderungsanträge vorgetragen . Ich hoffe sehr, dass wir den Gesetzentwurf heute beschließen . Es geht um die Gasthörerstatistik, die wir beibehalten . Es geht auch um eine verspätete Einführung dieser Statistik . Wir haben die Einführung um sechs Monate nach hinten verschoben, damit die Unis genug Zeit haben, dieses Gesetz entsprechend umzusetzen . Wir erfassen erstmals auch Promovierende und Berufsakademien . Ich denke, das ist ein Schritt in die richtige Richtung . ({4}) Wir bekommen die Daten auch schneller, weil wir eine neue Auswertungsdatenbank aufbauen . Trotz all dieser Verbesserungen darf ich zum Schluss ein fränkisches Sprichwort mit auf den Weg geben: Vom Wiegen wird das Schwein nicht fett . ({5}) Das heißt, die statistischen Daten können die Probleme sichtbar machen, aber sie können sie nicht lösen . Sie geben uns aber idealerweise klare und präzise Daten, die wir als Politiker brauchen, um die entsprechenden Entscheidungen zu treffen . Von daher bitte ich herzlich um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf . Vielen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Schipanski . - Der nächste Redner ist Ralph Lenkert für die Linke . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die EU fordert zusätzliche Datenerfassung für Hochschulen zu Auslandssemestern, zu Berufsakademien und zu Promotionen . Die Änderungen der Koalition zum Hochschulstatistikgesetz gehen jedoch unerwartet weit über die EU-Vorgaben hinaus . Ich frage: Warum? ({0}) Offensichtlich ist doch, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen zu knapp ist . Studienzeiten verlängern sich, weil zu viele Studenten bei zu wenigen Lehrkräften lernen . Wohnheimplätze und bezahlbare Studentenbuden fehlen . Immer mehr Studenten jobben neben dem Studium, weil trotz BAföG-Reform das Geld nicht zum Leben reicht . ({1}) Etliche Wirtschaftsbereiche klagen über Nachwuchssorgen . All dies ist seit Jahren bekannt . Die Informationen liegen vor: den Hochschulen, den Arbeitsagenturen, den Rentenversicherungen und den Industrie- und Handelskammern . Doch statt konkret die Probleme zu lösen, wollen Union und SPD nun erneut erst einmal Daten sammeln als Grundlagen für Entscheidungen . Das nennen wir: Probleme aussitzen . ({2}) Statt Kosten in Millionenhöhe in Statistiken zu versenken, fordert die Linke, dieses Geld für die Grundfinanzierung der Hochschulen zu nutzen . ({3}) Das zweite Problem dieses Gesetzes ist der fehlende Datenschutz . Die gesammelten Daten werden Begehrlichkeiten bei Firmen und Versicherungen wecken und zu Missbrauch einladen . ({4}) Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ein Ausschnitt aus dem, was in jeder Studienverlaufsstatistik über jede Studentin und jeden Studenten erfasst wird: Geburtsdatum und Name, wo und wann das Abitur erfolgte, BerufspraTankred Schipanski xis vor dem Studium, belegte Fächer und abgelegte Prüfungen mit Ergebnis, ({5}) Studienunterbrechungen mit den Gründen der Unterbrechung, der Vergleich zur Regelstudienzeit, eventuelle Dienst- und Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen, vorherige oder parallele Studiengänge . Bis zu 18 Jahre nach der Exmatrikulation werden diese Daten gespeichert, ({6}) - natürlich unter einem absolut sicheren, nicht nachverfolgbaren Pseudonym, ({7}) bestehend aus dem Geburtsdatum und den ersten vier Buchstaben des Vornamens; das ist im Gesetz nachzulesen . Bei mir wäre das also das Kürzel 09051967RALP . Es wird nicht viele Menschen mit diesem Pseudonym geben, und mit der Kenntnis meines Berufes Werkzeugmacher - wir waren 1983 rund 60 Lehrlinge bei Carl Zeiss in Jena - und meines Fernstudiums findet dann jeder problemlos meinen kompletten Datensatz . ({8}) Ihre tolle Verschlüsselung ist ein Witz . ({9}) Sie von der Koalition laden mit dieser Verschlüsselung zum Datenmissbrauch ein, das lehnt die Linke ab . ({10}) Neue Geschäftsmodelle werden aus diesen Datenprofilen Profite erwirtschaften. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, warum scheitert zukünftig Ihre Bewerbung? Sie hatten zweimal die Studienrichtung gewechselt und ein Semester Pause eingelegt, die Regelstudienzeit um 50 Prozent überschritten, und schon werden Sie als nicht zielstrebig und unentschlossen eingestuft . Pech gehabt . Es wundert Sie vielleicht, dass die neue Lebensversicherung viel teurer wird, als im Angebot stand . ({11}) Klar, die Versicherung fand heraus, dass Sie Auslandssemester in Mexiko, im Kongo und in Pakistan absolvierten . Sie gelten jetzt als Risikokunde mit höheren Prämien . ({12}) Schon heute errechnen Banken über Profile ihre Kreditausfallrisiken nach Ihrer Wohnanschrift . Eine falsche Anschrift bedeutet höhere Zinsen . Und wer glaubt, dass Daten sicher auf Zentralservern liegen, ist naiv . Datendiebstähle fanden selbst im Bundestag statt . ({13}) Für die Linke gilt: Meine Daten gehören mir . Auch deshalb lehnen wir die Datenkrake Hochschulstatistikgesetz ab . ({14}) Ziehen Sie den Entwurf zurück . ({15}) Stecken Sie die eingesparten Gelder in unsere Hochschulen, und respektieren Sie den Datenschutz . ({16})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das Wort für eine Zwischenbemerkung hat der Kollege Schipanski . ({0})

Tankred Schipanski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Nein, ich sage jetzt nichts zur Beschlussfähigkeit . Ich will den Kollegen Lenkert einfach darauf hinweisen, dass das grob vorsätzlich falsch ist, was er vorgetragen hat . Ich habe Ihnen gesagt: Wir pseudonymisieren diese Daten . Wir erfassen die Hilfsmerkmale wie Geburtsdatum, Geschlecht und Staatsangehörigkeit . Das haben Sie genannt . Diese benötigen wir für eine individuelle Kennung . Aus dieser Kennung wird in einem Hash-Codierungsverfahren ein eindeutiges, aber nicht rückverfolgbares Pseudonym erstellt . ({0}) Die Hilfsmerkmale, von denen Sie gerade gesprochen haben, werden anschließend gelöscht . Jetzt wissen Sie wahrscheinlich nicht, was der Hash ist . Ich darf das kurz erklären: Das ist eine mathematische Einwegverschlüsselung . Das heißt, ich kann eine Kennung zu einem Hash kodieren, aber ich kann anschließend diesen Hash nicht wieder zurück in eine Kennung dekodieren . Das heißt: Jeder Studierende hat diesen eigenen Hash, und nur diese Pseudonyme, diese Hashs, werden in einer bestimmten Frist gespeichert . Noch einmal: Es gab keinen einzigen Datenschutzbeauftragten, der in der Anhörung oder in einer Stellungnahme zu diesem sicheren Verfahren ein datenschutzrechtliches Bedenken vorgetragen hat . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Lenkert, bitte .

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Schipanski, Sie wollen den gesamten Studien- und Bildungsverlauf speichern . Wenn Sie das machen wollen, können Sie Ihre Codierung erst nach Abschluss des gesamten Studien- und Bildungsverlaufes durchführen, denn sonst können Sie die Daten nicht mehr zuordnen; so wurde es uns dargestellt . Das heißt, Ihre Codierung findet erst statt, wenn der Studien- und Bildungsverlauf - die Promotion und alles andere - längst abgeschlossen ist, ({0}) wenn der komplette Lebenslauf steht . Damit ist das immer nachvollziehbar . Insofern schaffen Sie hier die Möglichkeit eines Missbrauches, und das ist nicht hinzunehmen . Im Übrigen könnte ich einem einzelnen Verlauf problemlos den Namen Tankred Schipanski zuordnen; denn anhand des Verlaufes kann man wunderbar darauf schließen . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Lenkert . - Jetzt kommt der nächste Redner in der Debatte: Oliver Kaczmarek für die SPD . ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Statistik steht ein bisschen zu Unrecht in dem Verdacht, ein Spezialisten- oder Nischenthema zu sein . Vielleicht war die Debatte jetzt gerade doch ein bisschen sehr in der Nische . Aber Statistiken - das wissen wir - liefern wesentliche Grundlagen für unsere politischen Entscheidungen . Darüber hinaus sind Statistiken das einzige Instrument, das wir haben, um die Wirksamkeit von Maßnahmen zu überprüfen . Insofern ist es wichtig, dass wir die Hochschulstatistik an veränderte Realitäten anpassen . Einige Stichworte sind schon genannt worden: Umsetzung der Bologna-Reformen, Autonomisierung von Hochschulen, neue Aufgaben wie Weiterbildung, Seniorenstudium und Integration von beruflich Qualifizierten. All das sind neue Aufgabenfelder, die im Moment noch nicht in der amtlichen Hochschulstatistik abgebildet werden können . Deswegen ist es notwendig, dass wir dieses Gesetz verändern und an die Lebensrealitäten annähern . ({0}) Ich sage aber auch: Statistik ist nur dann gut, wenn sie die Lebenswirklichkeit abbilden kann . Wir verfolgen mit der Novelle konkrete Ziele, die sich aus dem Alltag von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden ableiten lassen . Ich will anhand von drei Beispielen verdeutlichen, wo wir in der Statistik tatsächlich einen Schritt weiterkommen . Erstens . Die Studienverläufe haben sich verändert . Mehr als ein Viertel der Bachelorstudierenden haben ihr Studium abgebrochen . Wir wissen jetzt nicht immer, was dahintersteckt: ein Fachwechsel, ein Studienortwechsel, vielleicht ein Auslandsaufenthalt . Wir wissen auch nicht, ob Lernunterbrechungen stattfinden, wann jemand wieder ein Studium aufnimmt, weil er lange nach dem Bachelorabschluss ein Masterstudium aufnehmen will . Diese Dinge werden durch die Studienverlaufsstatistik besser nachgezeichnet . Sie bringt uns neue Erkenntnisse: Wo gehen die Studierenden hin? Wie ist ihr Studienerfolg? Wir können damit den Anforderungen an das lebensbegleitende Lernen gerecht werden . Ich bin deshalb den Innenpolitikern der Großen Koalition dankbar, dass sie den Weg mitgegangen sind, die Speicherfrist auf 18 Jahre zu erhöhen . ({1}) Ich will den Disput von vorhin aufgreifen: Das geht natürlich nur unter hohen Anforderungen an Datensparsamkeit und Datenschutz . Deswegen ist es wichtig, dass wir auch die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder gehört haben und sie im Grundsatz ihre Zustimmung zu diesem Verfahren gegeben haben . Herr Lenkert, Sie zeichnen in dieser Debatte - ich will das einmal sagen - ein absurdes Zerrbild von der Nutzung amtlicher Statistik . ({2}) Die Pseudonymisierung von Daten ist notwendig, damit wir sie als Summendaten nutzen können . Niemand will Individualdaten nutzen, sondern wir werden am Ende Summendaten erstellen . Da ist dieses Verfahren hilfreich und wirksam; es ist an anderen Stellen schon ausprobiert worden . Das Bild, das Sie hier zeichnen, ist ein Bild von Statistik als staatlichem Repressionsinstrument . Das ist absurd . Wir legen keine Akten an, sondern machen eine Statistik . Deswegen rate ich zu etwas mehr Beruhigung in dieser Debatte . ({3}) Zweiter Punkt . Die Datenlage in Bezug auf Promovierende an den Hochschulen ist teilweise desaströs . ({4}) Wir werden jetzt einen Schritt weiterkommen, indem wir unsere Pflicht zur Lieferung von Daten für die europäische Statistik erfüllen und dafür die Zahl der Promovierenden und die Dauer der Promotionen erheben . Ich will aber gleich einräumen, dass die Datenlage verbessert werden könnte, wenn wir zu einem einheitlichen Status an den Hochschulen - mit Rückmeldeverpflichtungen - kommen würden . Das liegt aber in der Gesetzgebungskompetenz der Länder . Das Thema sollte trotz aller Schwierigkeiten zukünftig noch einmal aufgegriffen werden . Dritter Punkt . Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, die Gasthörerstatistik im Gesetzgebungsverfahren zu erhalten . Wir haben in der Anhörung gehört: Die Daten sind valide, der Aufwand ist vertretbar . Wir wissen, dass Flüchtlinge teilweise als Gasthörer in die Statistik aufgenommen werden . Wir wissen, dass Seniorenstudenten, ein kleiner Teil an der Hochschule, aber ein wachsender Teil mit Blick auf lebensbegleitendes Lernen in der Statistik auftauchen . Deswegen brauchen wir mit Blick auf die zukünftige Entwicklung diese Statistik vorläufig noch, und es ist gut, dass wir sie erhalten haben . ({5}) Statistik wird angenähert an die veränderte Realität . Aber allein das Wissen um Veränderung reicht nicht, es müssen auch die richtigen politischen Schlussfolgerungen gezogen werden . Ich möchte deshalb zum Schluss zwei Beispiele nennen, mit denen ich verdeutlichen will, wo wir weitermachen müssen; eines der beiden politischen Felder, die ich skizziert habe, haben wir bearbeitet, das andere müssen wir uns für die nächste Novelle aufheben . Erstens . Ich prognostiziere: Die Studienanfängerzahlen werden hoch bleiben, deutlich höher als es zu Beginn des Hochschulpaktes prognostiziert wurde . Herr Lenkert, auch hier haben wir in dieser Wahlperiode eine Menge geschafft. Wir haben den Hochschulpakt ausfinanziert. Wir haben den Pakt für Forschung und Innovation durch die bundesseitige Finanzierung des Aufwuchses gesichert . Wir werden morgen das Gutachten der Imboden-Kommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative zur Kenntnis nehmen können und haben jetzt schon die Zusicherung, dass wir 4 Milliarden Euro für die Fortführung der Exzellenzinitiative bereitstellen plus 1 Milliarde Euro für den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs . ({6}) Ich will damit sagen: Durch die vier Pakte unterstützen wir schon jetzt die Hochschulen nachhaltig bei der Bewältigung der Herausforderungen aufgrund der Veränderungen in der Hochschullandschaft . ({7}) Sie wirken schon jetzt bei der Bewältigung der hohen Studienanfängerzahlen . ({8}) Ich will aber auch sagen: Wenn die Zahlen hoch bleiben, dann müssen wir in der nächsten Wahlperiode zu grundsätzlichen Entscheidungen kommen . Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, die Verantwortungsgemeinschaft, die Bund und Länder für die Grundfinanzierung der Hochschulen eingegangen sind, beispielsweise mit der Finanzierung des Aufwuchses beim Hochschulpakt, zu erhalten . Die Grundgesetzänderung macht es möglich . Deswegen werden wir auch in der nächsten Wahlperiode, wenn die Pakte auslaufen, darüber sprechen müssen, wie wir zumindest einen Teil davon im Interesse der Hochschulen verstetigen . ({9}) Zum Zweiten - ein Feld, das wir in der Novelle stärker hätten aufgreifen müssen; das hätten wir uns gewünscht -: Wir brauchen auch ein Bild der sozialen Ungleichheit an Hochschulen . Nach wie vor ist die größte Herausforderung für die Wissenschaftspolitik die Schaffung von Chancengleichheit . Zwei Zahlen - die kennen Sie - zeigen den Bedarf: Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien beginnen über 70 ein Hochschulstudium, und von 100 Kindern aus Nichtakademikerfamilien beginnen 24 ein Studium . Das heißt: Ungleichheit ist auch ein Thema für die Wissenschaftspolitik . Die Hochschule kann diese Probleme nicht alleine lösen, da der Bildungstrichter natürlich weit vorher ansetzt . ({10}) Aber wir wollen wissen, aus welchen sozialen Milieus die Studierenden kommen; denn Aufnahme und Integration von Studierenden aus Arbeiterfamilien, aus Nichtakademikerfamilien ist auch ein Qualitätsmerkmal guter Hochschulpolitik . Deswegen wollen wir auch das erfasst haben und wünschen uns für künftige Erhebungen die Aufnahme weiterer Merkmale . ({11}) Das ist ein solide erarbeitetes Gesetz . Dem Dank an den Ausschuss für die Hochschulstatistik schließe ich mich an . Ich freue mich auf viele datengestützte Diskussionen und politische Entscheidungen . Ich glaube, man kann dem vorliegenden Gesetzentwurf ruhigen Gewissens zustimmen . Herzlichen Dank . ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kaczmarek . - Der nächste Redner ist Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es in dieser Debatte gar nicht um die sehr wichtige Fragestellung, wie wir die Grundfinanzierung unserer Hochschulen verbessern, sondern es geht darum, dass wir besseres hochschulpolitisches Steuerungswissen durch die Änderung der Statistik bekommen . Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit, das gilt auch für Oppositionspolitik, Herr Lenkert . ({0}) Darum war es so überfällig, das Hochschulstatistikgesetz endlich zu überarbeiten . Dafür haben wir als Grüne auch lange geworben; denn das jetzige Gesetz hat die hochschulpolitische Realität nicht mehr gut genug abgebildet . ({1}) Bund und Länder haben sich viel Zeit gelassen . Aber mit Blick auf diese konkrete Gesetzesnovelle kann ich sagen: Was lange währt, wird tatsächlich mal ganz gut . ({2}) Gut ist, dass nach der Anhörung im Deutschen Bundestag der Gesetzentwurf nachjustiert wurde . Die Hochschulen bekommen mehr Zeit für die Umstellung, und die Gasthörerstatistik bleibt erhalten . Das ist nicht nur wichtig für die vielen Seniorenstudierenden, sondern auch für die vielen Geflüchteten, die jetzt einen Gasthörerstatus bekommen . Die wachsende Vielfalt der Bildungsbiografien kann besser abgebildet werden; denn die pseudonymisierten Daten bleiben länger erhalten . - Alldem können wir zustimmen . Ein wirksamer Datenschutz ist uns extrem wichtig . Darum haben wir den Gesetzentwurf besonders kritisch unter die Lupe genommen . Wir haben ihn für unbedenklich befunden . Der Vorwurf, dass diese Novelle den gläsernen Studierenden brächte, mag plakativ sein, hat mit der Realität aber nichts zu tun . ({3}) Wenn alle Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern der Novelle ihren Segen geben und keinen Anlass zur Kritik sehen, dann habe ich keinen Anlass, dieser Einschätzung zu misstrauen . Man sollte hier keinen Popanz aufbauen . Liebe Linksfraktion, Sie entlarven sich selbst: Sie haben keinen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf eingebracht ({4}) und noch nicht einmal einen Entschließungsantrag fabriziert . Sie springen echt zu kurz . ({5}) Ich sage für uns Grüne: Wenn Union und SPD ausnahmsweise etwas gut machen, und das kommt ja selten genug vor, ({6}) dann bricht mir kein Zacken aus der Krone, wenn ich das anerkenne; denn wir teilen das Ziel, Politik und Verwaltung bessere Daten zur Verfügung zu stellen, also uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern und den Ministerien . Für eine bessere Hochschulpolitik brauchen wir das . Seit der letzten Novelle 2005 hat sich die Hochschullandschaft rasant weiterentwickelt, sowohl quantitativ als auch qualitativ . Auf Basis dieser Novelle werden wir die Wirkung der politischen Entscheidungen in der letzten Dekade viel besser sichtbar und damit auch besser bewertbar machen . Studienverläufe werden besser nachvollziehbar sein . Das ist sehr wichtig; denn nur so lüftet sich eines der größten Geheimnisse dieser Republik: Wie viele Studienabbrecherinnen und -abbrecher haben wir wirklich? Angesichts der Tatsache, dass Zahlen oft politisch instrumentalisiert werden, finde ich es extrem wichtig, dass künftig statistisch unterschieden wird, ob ein Studienortwechsel stattfindet, ob ein Fachrichtungswechsel stattfindet oder ob junge Leute aus dem Studium heraus angeworben werden und deshalb ihr Studium abbrechen . All das gibt es . Dann wird die Zahl nicht mehr so abenteuerlich hoch sein wie die, die von manchen jetzt für die Akademisierungswahndebatten missbraucht wird . Dann wissen wir endlich: Wer bricht ab? Damit wird eine zentrale Wissenslücke geschlossen, und man kann die Zahlen nicht länger politisch instrumentalisieren . ({7}) Wir begrüßen, dass der Merkmalskatalog zum wissenschaftlichen Personal erweitert wird . Ebenso begrüßen wir, dass alle Promovierenden aufgeführt werden . Das dürfte dazu führen, dass wir ein noch klareres Bild von der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in unserem Land bekommen . Wir begrüßen auch, dass mehr Informationen über die Hochschulleitungen erfasst werden, damit zum Beispiel das Monitoring zur Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft endlich präzise stattfinden kann. Das ist ein wahnsinnig wichtiges Thema . Auch das macht die Novelle möglich . Außerdem begrüßen wir, dass der Migrationshintergrund differenzierter erfasst werden kann, weil das Erhebungsmerkmal „weitere Staatsangehörigkeit“ erstmals eingeführt wird .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Bitte kommen Sie zum Ende .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, Frau Präsidentin . - Es ist wichtig, dass wir die Doppelstaatlichkeit und damit die gesellschaftliche Realität besser abbilden können . Alles in allem: Wir können dieser Novelle zustimmen . Über die Fragen nach der Grundfinanzierung und den Weichenstellungen in der Hochschulpolitik diskutieren wir an anderer Stelle weiter . ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Gehring . - Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Dr . Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Claudia Lücking-Michel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Statistik halten viele für sehr kompliziert und viele andere für langweilig . Das Erste scheint sich heute Abend zu bestätigen - für einige ist es zu kompliziert -; aber langweilig ist es sicherlich nicht . ({0}) Hochschulstatistik zeigt uns zudem, wie vielfältig das Studium ist, und hilft, die richtigen Schlüsse zu ziehen . Beispiele haben wir gehört . Ich will auf die Situation der Promovierenden verweisen, weil sie mir besonders wichtig sind . Ich kann es kurz machen, weil das gerade schon einmal hervorgehoben wurde: Bisher wissen wir tatsächlich noch nicht einmal, wie viele Promovierende wir in Deutschland haben . Wenn auf Basis dieses Gesetzes der Status der Promovierenden, der an den einzelnen Hochschulen sehr unterschiedlich ist, endlich einheitlich definiert wird und wir sie früh erfassen können, dann ist das ein wichtiger Punkt . Mein zweiter Hinweis bezieht sich auf die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses, für den wir - darüber sind wir uns ja einig - gute Bedingungen schaffen wollen . Wir haben vor kurzem das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geändert, weil wir der missbräuchlichen Befristung von Verträgen einen Riegel vorschieben wollen . Wir wollen mit den Ländern ein Tenure-Track-Programm auflegen, das verlässliche Karrierewege hin zur Professur eröffnet . Jedem ist klar, wie wichtig es ist, dafür verlässliche Daten zu haben . ({1}) Wir müssen wissen, welche Auswirkungen unsere wissenschaftspolitischen Entscheidungen haben . Statistik liefert uns, wenn wir auf dem weiten Ozean namens Wissenschaftssystem unterwegs sind, wie Leuchttürme wichtige Orientierungspunkte . Diese Novelle bringt endlich Licht ins Dunkel der Gründe für Studienabbrüche . Wir brauchen die Novelle, um festzustellen, wie viele Masterstudienplätze nötig sind . Wir brauchen die Novelle - das ist mir sehr wichtig -, weil sie sicherstellt, dass die Leistungen der Hochschulen bundesweit eingeordnet und miteinander verglichen werden können . Das alles sind Fragen, die uns als Wissenschaftspolitiker und -politikerinnen, als Verantwortliche in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen dringend umtreiben, und zwar nicht, weil wir sie statt unseres Handelns brauchen, sondern um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen und unser zukünftiges Handeln noch besser justieren zu können . ({2}) Es war gut, dass wir noch drei wichtige Veränderungen eingebracht haben . Erstens . Die Gasthörerstatistik bleibt erhalten . Darauf wurde schon verwiesen . Zweitens . Die Verlängerung der Erhebung . Die Studienverlaufsstatistik nach zwölf Jahren zu löschen - wir haben es gehört -, wäre sinnwidrig gewesen . Es ist gut, dass die Erhebung jetzt auf mindestens 18 Jahre verlängert wurde . Schließlich . Wenn das Ganze erst 2017 in Kraft tritt, hat keine Hochschule mehr das Argument, sie hätte nicht genug Zeit gehabt, um ihre Software umzustellen . Das Ganze startet dann gleich auf gut geordneten Wegen . Jetzt noch einmal zu Ihnen, liebe Kollegen von der Linken: Sie haben heute Abend, in der Anhörung und auch im Ausschuss immer so getan, als sei das Statistische Bundesamt - gerade haben Sie es noch einmal gesagt - eine Datenkrake, die den Studierenden die Luft abdrückt . In den Entgegnungen wurde schon deutlich, dass das wirklich lächerlich und an der Sache vorbei ist . Es ist auch deutlich geworden, dass Sie lange suchen müssen, um außerhalb Ihrer Fraktion jemanden zu finden, der dieses Seemannsgarn mit Ihnen weiterspinnen will . Wenn selbst die Kollegen von den Grünen im Bundestag keine Bedenken haben, ({3}) wenn die Datenschutzexperten des Statistischen Bundesamtes und der Länder in dem Gesetzentwurf keine Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung von Studierenden sehen, dann, liebe Linke, haben wir wichtige Gewährsleute, und Sie müssen, würde ich sagen, zurückrudern . ({4}) Herr Schipanski hat noch einmal erklärt, wie die Verschlüsselung funktioniert . Ich möchte hervorheben, dass es bei zwei Datenbanken bleibt: eine für die Einzeldaten und eine, die die Einzeldaten zusammenführt . Es ist klar, dass die Hochschulen keinen Zugriff auf die Datenbank für die Einzeldaten erhalten, sondern nur die statistischen Ämter . Das muss man noch einmal hervorheben, um zu zeigen: Die Geheimhaltung individueller Daten ist auch für uns ein sehr hohes Gut . Wir sehen, dass es mit diesem Gesetzentwurf klar geschützt wird . Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie die Krake in der dunklen Tiefsee, wo sie ihren natürlichen Lebensraum hat . Wir legen hier heute ein modernes und transparentes Hochschulstatistikgesetz vor . Es ist kein Ungeheuer, das den Bürgerrechten der Studierenden an den Kragen will, sondern ein Kompass, mit dem wir den richtigen Kurs für die zukünftige Hochschul- und Wissenschaftspolitik setzen . Danke . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel . - Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes . Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7358, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6560 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Enthaltungen? - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt hat die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dagegengestimmt haben die Linken . Damit wechsle ich jetzt den Platz und wünsche Ihnen noch einen schönen Restabend .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Caren Lay, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth ({1}), Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Herkunft von Konfliktrohstoffen konsequent offenlegen Drucksachen 18/5107, 18/6226 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Kollege Klaus Barthel, SPD-Fraktion . ({2})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Laufe des Tages haben wir heute zum Beispiel über die Bundeswehrmandate mit Blick auf Mali oder den Irak gesprochen, wir haben die Menschenrechtsdebatte gehört, wir haben immer wieder über Flüchtlinge gesprochen . Bei der Frage nach den Ursachen von Bürgerkriegen und Kriegen, von Krisen und Gewalt, von Flucht und Vertreibung, von Menschenrechtsverletzungen stößt man immer wieder auf dieselbe Frage, nämlich: Woher kommt eigentlich der Treibstoff, woher kommen die finanziellen Ressourcen, woher kommt das Geld für Krieg, für Waffen, für Söldner, für Kindersoldaten, für die Begehung von Menschenrechtsverletzungen, und was treibt diese Spirale der Gewalt letzten Endes immer wieder an? Früher oder später landet man - als einer der Quellen - bei den Rohstoffkonflikten, egal ob es um Öl, Gold, Diamanten oder bestimmte Metalle geht . Es ist sehr schnell der Ruf danach zu hören, ebendiese Quellen trockenzulegen . Dann sind wir in dieser Debatte, in der es um Konfliktmineralien geht, sehr schnell vom Abstrakten zum Konkreten gekommen. Im Fall der Konfliktmineralien geht es um bestimmte Metalle und Mineralien, die nachweislich dazu benutzt werden, Kindersoldaten, Waffen, Milizen und übelste Menschenrechtsverletzungen zu finanzieren, und um deren Abbau und Weiterverteilung es immer wieder neue Kämpfe und Konflikte gibt. Die EU will genau hier eingreifen . Die Kommission hat einen Vorschlag für eine verantwortungsvolle Rohstoffversorgung gemacht . Der Vorschlag der Kommission sieht zwar vor, eine verbindliche Zertifizierung vorzunehmen; er umfasst aber nur eine freiwillige Teilnahme an dieser Zertifizierung. Wir müssen leider feststellen, dass die Mehrheit der europäischen Regierungen - mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland und Schwedens - bis heute immer noch hinter diesem Vorschlag steht . In der Sache ist der Vorschlag der Kommission in Teilen auf jeden Fall überholt . Es gibt den Beschluss des Europäischen Parlaments vom vergangenen Mai, und wir alle wissen aus der Diskussion der letzten Jahre: Erstens . Die Kommission hat recht: Wir brauchen einen weltweiten und keinen regionalen Ansatz, der nur auf den Kongo und seine Umgebung ausgerichtet ist . Zweitens . Anders als die Kommission das sieht, müssen wir - egal ob es um Textilien oder um Metalle geht alle Stufen der Wertschöpfungskette erfassen, wenn wir die Sache vernünftig regeln wollen . Drittens wissen wir, dass wir keine freiwillige Teilnahme, sondern verbindliche Regeln brauchen . Wir kennen die vielen Initiativen und freiwilligen Vereinbarungen, die es seit vielen Jahren gibt . Nach einer bestimmten Zeit ist die Zeit aber einfach um . Alle Unternehmen und Verbände, die sich darüber beschweren, dass wir Verbindlichkeit fordern, müssen sich halt bei denen bedanken und auf die schauen, die bei den freiwilligen Vereinbarungen jahrelang nicht mitgemacht haben . Das hat bei den Konfliktmineralien dazu geführt, dass über 80 Prozent dessen, was gehandelt wird, nicht zertifiziert ist, obwohl es schon seit vielen Jahren die Chance dazu gibt . Deswegen müssen wir jetzt die politischen Konsequenzen ziehen . Ich glaube, es hat sich ein wichtiger Lernprozess vollzogen . Sicher haben das auch die Antragsteller vorangetrieben . Die Position der SPD war eigentlich von Anfang an klar . Diese habe ich auch schon am 18 . Juni vergangenen Jahres vorgetragen . Das ist durch viele Beschlüsse auch noch einmal bestätigt worden . Das ist also alles nichts Neues . Das kennen wir . Aber neu ist seit gestern, dass das nun auch die offizielle Position der Bundesregierung ist . Im Jahreswirtschaftsbericht, der heute auch hier diskutiert worden ist, finden wir nicht nur erstmals ausführliche Sozial-, Nachhaltigkeits- und Handelskapitel sowie Fragen zur Wachstumsdiskussion - das ist also eine neue Qualität des Jahreswirtschaftsberichts -, sondern wir finden auch Bemerkungen über die globale Unternehmensverantwortung und über die Umsetzung der UN-Leitprinzipien sowie ein Kapitel über die Konfliktmineralien. Daraus darf ich zitieren: Sie - die Bundesregierung sieht verbindliche Regelungen für geeignet an, wenn sie verhältnismäßig sind und keine unnötigen bürokratischen Belastungen verursachen . Für kleine und mittlere Unternehmen sind unterstützende Begleitmaßnahmen . . . vorgesehen . Letzteres teilen wir uneingeschränkt, was die kleinen und mittleren Unternehmen betrifft . Bürokratie wird durch mehr Verbindlichkeit abgebaut . Es soll eine Regelung statt vieler Zertifikate geben. Zur Verhältnismäßigkeit will ich nur so viel sagen: Es geht hier um viele Menschenleben; ich glaube, das ist in der Debatte über Konflikte und Flucht deutlich geworden . Da muss man die Verhältnismäßigkeit schon sehr deutlich betonen, wenn es darum geht, wirtschaftliche Fragen verbindlich zu regeln, und zwar so, dass es allen hilft und für alle verbindlich und transparent ist . Vielen Dank . ({0}) - Genau . Deswegen hat sich unserer Meinung nach der Antrag erledigt . ({1}) Entschuldigung . Das muss ich als Berichterstatter noch sagen: Der Antrag hat sich erledigt . Deswegen müssen wir ihn ablehnen . In der Sache sind wir aber einen erheblichen Schritt weitergekommen . ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke . ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rohstoffreichtum ist für die meisten Regionen ein Fluch . Ein großer Teil der Menschen in den Rohstoffexportländern ist bitterarm. Sie haben keinen Anteil an den Profiten, die mit Gold, Zinn, Wolfram oder Tantal gemacht werden . Erbärmliche Arbeitsbedingungen sorgen dafür, dass die Ärmsten im Austausch für einen Hungerlohn mit ihrer Gesundheit bezahlen . Gleichzeitig sorgt der Abbau viel zu oft für die Zerstörung der Umwelt und für die finanzielle Unterstützung von Bürgerkriegsfraktionen. Wo liegt nun die Verantwortung für diese Menschenrechtsverletzungen? Kollege Barthel hat schon viele genannt . Wer allein auf Korruption und Misswirtschaft in den Ursprungsländern verweist, der hat zwar teilweise recht, macht es sich aber deutlich zu einfach . ({0}) Ein wesentlicher Teil der Verantwortung liegt dort, wo die Rohstoffe verbraucht werden, wo die meisten Profite bleiben und wo der Hauptsitz vieler beteiligter Firmen ist, also in den Industrienationen des globalen Nordens . Deswegen müssen wir die Politik hierzulande ändern . Die Liste der Rohstoffe, über die wir heute abstimmen - Gold, Zinn, Tantal und Wolfram -, ist eigentlich zu kurz, aber sie ist ein wichtiger Einstieg in den verantwortungsvollen Umgang mit Rohstoffabbau . In letzter Zeit wird häufig davon geredet, dass es notwendig sei, Fluchtursachen zu bekämpfen . Ich hoffe, das ist wirklich ernst gemeint . Der sorgfältige Umgang mit Rohstoffen ist hier ein ganz wichtiger Schritt . ({1}) Es ist schon absurd, dass Unternehmen hierzulande und in der EU die Konflikte, die dann angeblich mit der Bundeswehr entschärft werden sollen, mit anheizen . Sehen wir einmal davon ab, dass Militär Konflikte häufig verschärft, anstatt sie zu lösen, so ist es doch bemerkenswert, an welchem Punkt „Verantwortung“ als Anspruch in der gegenwärtigen deutschen Außenpolitik beginnt: nicht bei der wirtschaftlichen Ausbeutung ganzer Kontinente und nicht bei der systematischen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen, sondern erst dann, wenn militärische Stärke demonstriert werden kann . Beenden Sie diesen Irrweg! ({2}) Wieder einmal wird auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen gesetzt . Das ist so, als würden wir bei der Sicherheit im Straßenverkehr auf Freiwilligkeit bei der Einhaltung von Tempolimits setzen . ({3}) Die Konsequenzen sind in jedem Fall absehbar: Schlechte Beispiele machen Schule . Wer Regeln einhält, ist der oder die Dumme, und schlussendlich wächst das Risiko für alle. Freiwillige Selbstverpflichtungen mögen gut gemeint sein, sie sind jedoch ein Feigenblatt, und die schwarzen Schafe ignorieren Menschenrechtsverletzungen ungeniert weiter . Darum hoffe ich, dass wir uns auf verpflichtende Leitlinien verständigen. ({4}) Wenn Sie für fairen Wettbewerb und faire Produktionsbedingungen sind, dann setzen Sie sich für verbindliche Richtlinien ein - für die gesamte Industrie in Deutschland und Europa . Übrigens muss das Rad beim verantwortlichen Umgang mit Rohstoffen nicht neu erfunden werden . Die OECD hat die entsprechenden Leitlinien längst verabschiedet, und in den USA ist die Dokumentation für bestimmte Rohstoffe längst Pflicht. Namhafte Hersteller von Mikroprozessoren und Elektronikkonzerne in den USA haben mit der Offenlegung ihrer Lieferketten und der Verbesserung der Standards begonnen . Aus diesen Erfahrungen und Untersuchungen der EU-Kommission ist bekannt, dass die Kosten dafür, der Sorgfaltspflicht nachzukommen, überschaubar sind. Selbst für kleine und mittlere Unternehmen wird nur mit einem Aufwand in Höhe von ungefähr 0,01 Prozent des jeweiligen Jahresumsatzes gerechnet . Mit diesem geringen Aufwand könnten wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen in den rohstoffreichen Ländern ein wenig verbessert werden . Lassen Sie uns heute damit beginnen . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt Dr . Herlind Gundelach das Wort . ({0})

Dr. Herlind Gundelach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, uns allen in diesem Hohen Hause ist daran gelegen, die Finanzierung von bewaffneten Auseinandersetzungen in Konfliktgebieten durch die Erlöse aus dem Verkauf von sogenannten Konfliktrohstoffen zu unterbinden. Hierbei handelt es sich auch um eine internationale Aufgabe, für die wir aber aktuell zumindest erst einmal eine europäische Regelung anstreben . Das Thema ist brisant und auch sehr komplex . Genau das fordert von uns, sehr sorgfältig mit diesem Thema umzugehen; denn nicht durchdachte Schnellschüsse sollten wir vermeiden . Auch sollten wir Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln; denn eine Generallösung für alle Sachverhalte kommt aus unserer Sicht nicht in Betracht . Wir brauchen sinnvolle, praktikable, wirkungsvolle und vor allem auch nachhaltige Regelungen . Diese Herangehensweise vermisse ich bei dem uns vorliegenden Antrag der Grünen und der Linken . Das ist schade; denn es handelt sich wirklich um ein drängendes Problem . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken, Sie fordern beispielsweise, dass wir die Definition von Konflikt- und Hochrisikogebieten erweitern, nämlich auf „Gebiete, die sich nach Konflikten in einer fragilen Situation befinden“, und auf Gebiete, in denen die „Staatsführung … schwach …“ ist . Da frage ich mich, wer eigentlich entscheidet, ob die Staatsführung stark oder schwach ist . Selbstverständlich fordern Sie ein verbindliches Zertifizierungssystem für die gesamte Lieferkette, also für die Upstream- und die Downstream-Industrie, und eine Offenlegungspflicht, die mit einer Liste verantwortungsvoller Akteure einhergeht . ({0}) In einem nächsten Schritt würden Sie außerdem die Liste der möglichen Konfliktrohstoffe gerne noch erweitern . Sie nennen dabei Chrom, Steinkohle, Kupfer, Kobalt, Seltene Erden und anderes . ({1}) Damit stellen Sie Importeure und Exporteure nach unserer Auffassung unter Generalverdacht und grundsätzlich in eine Schmuddelecke . ({2}) Damit ist nun wirklich niemandem geholfen . ({3}) Ich denke, wir sind uns einig: Wir brauchen Rohstoffe, aber sie müssen auf einem verantwortungsvollen Weg zu uns kommen . Ziel der vorgesehenen Verordnung ist es daher, die Querfinanzierung von Rebellengruppen und Konflikten bei der Rohstoffgewinnung zu unterbinden. Die Europäische Kommission hat dazu den Vorschlag für ein freiwilliges Selbstzertifizierungssystem für europäische Importeure von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold als verantwortungsvolle Einführer vorgelegt . Dieser Vorschlag sieht Sorgfaltspflichten in der Lieferkette vor, die bei der Einfuhr der genannten Materialien einzuhalten sind . Die Europäische Kommission hat damit ganz bewusst einen anderen Weg eingeschlagen als die USA . Nach dem dort geltenden Dodd-Frank Act müssen Unternehmen, die an der US-Börse notiert sind, angeben, ob Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold in ihren Produkten enthalten ist, welches aus der Konfliktregion der Demokratischen Republik Kongo oder ihren Nachbarstaaten kommt . Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass diese Bestimmungen fast einem Embargo gleichkommen, da sich die Lieferketten zum Teil gar nicht nachvollziehen lassen, und das, obwohl auch klar ist, dass nicht das gesamte Gebiet der Demokratischen Republik Kongo als Konflikt region eingestuft werden müsste. Aber eine genaue Abgrenzung gestaltet sich in der Praxis eben außerordentlich schwierig . Deswegen haben sich weder die Kommission noch der federführende Ausschuss für internationalen Handel des Europäischen Parlaments noch das Europäische Parlament in toto für eine abschließende Liste der Konflikt- und Hochrisikogebiete ausgesprochen . Eine Länderliste wird von allen kategorisch abgelehnt . Leider - auch das muss man wissen - hat der Dodd-Frank Act auch zur Folge, dass aufgrund der rückläufigen Präsenz von amerikanischen und europäischen Betrieben in der Demokratischen Republik Kongo ein größeres Engagement von Firmen zu beobachten ist, die die Empfehlungen der OECD zu Sozialstandards beim Abbau von Rohstoffen nicht beachten . Deswegen ist es einfach falsch, Länder, Regionen, Importeure oder ExInge Höger porteure unter Generalverdacht zu stellen; denn es führt am Ende eher zu einer Verschlechterung der Situation vor Ort und nicht zu der von uns allen gewünschten Verbesserung . So haben übrigens allein in der Region Katanga in den letzten Jahren rund 400 000 Menschen aufgrund des undifferenzierten Vorgehens nach dem Dodd-Frank Act ihren Arbeitsplatz verloren . Das kann ja wohl nicht der Sinn unseres Handelns sein . Im Februar soll nun das Trilogverfahren für die EU-Verordnung begonnen werden . Nach mehreren Monaten der Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten wurde zuletzt ein Kompromissvorschlag vorgelegt, der wiederum eine freiwillige Regelung vorsieht . Damit werden die Verhandlungen starten . Wir als CDU/CSU - das betone ich ganz bewusst - möchten uns an einem Kompromissvorschlag konstruktiv beteiligen . Das Thema ist komplex . Wir wollen eine Lösung, die den Interessen der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft gerecht wird . Die Positionen der Mitgliedstaaten sind dabei noch unterschiedlich; das hat auch der Kollege Barthel schon betont . Aber es gibt eine eindeutige Tendenz in Richtung des ursprünglichen Vorschlags der Kommission . Auch wir sprechen uns für eine Lösung aus, die auf dem Vorschlag der Kommission und den bestehenden freiwilligen Initiativen europäischer Unternehmen aufbaut . Dabei stützen wir uns ausdrücklich auf die im Koalitionsvertrag niedergelegte Vereinbarung, „freiwillige Zertifizierungssysteme“ für den Import von Rohstoffen zu etablieren; denn viele Firmen sind sich ihrer verantwortlichen Position innerhalb der Wertschöpfungskette sehr bewusst und setzen seit Jahren auf diese freiwilligen Initiativen . Zahlreiche Berichte, unter anderem von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, belegen, dass das sehr gut funktioniert . Deshalb sollten wir mit unserer Regelung auf diesen bereits bestehenden Unternehmensinitiativen und anderen Systemen aufbauen . In diesem Kontext könnte ich mir übrigens eine offene Liste vorstellen, die diejenigen Firmen auflistet, die sich einer solchen freiwilligen Zertifizierung unterworfen haben . Dann hat jedes Unternehmen, das die in Rede stehenden Rohstoffe verarbeiten will, die Möglichkeit, hierauf zurückzugreifen und sich damit in die Kette der verantwortungsvollen Nutzer einzureihen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Trilogverfahren dient gerade dazu, einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen von Kommission, Parlament und Rat zu finden. Die zentrale Frage dabei ist: Halten wir an dem System der Freiwilligkeit fest, oder machen wir den gesamten Prozess verpflichtend, und zwar sowohl im Upstream- als auch im Downstream-Bereich? Hier möchte ich an das anknüpfen, was der Kollege Barthel gesagt hat: Die Einschränkung im Jahreswirtschaftsbericht, was in diesem Kontext das Thema Bürokratie betrifft, bei dem es auch darum geht, was auf diesem Gebiet überhaupt leistbar ist, ist durchaus zu beachten . Fast alle Handelnden, die in diesem Bereich unterwegs sind, sagen, dass ein effizienter und umfassender Nachweis im Downstream-Bereich nahezu nicht zu führen ist, vor allen Dingen, wenn es sich dabei um die ganze Sekundärrohstoffkette handelt . Da ist ein lückenloser Nachweis schlicht nicht möglich . Diesen Weg hat auch der federführende Ausschuss des Europäischen Parlaments vorgeschlagen . Genau das ist auch eine der Schwachstellen des Dodd-Frank Acts . Deswegen gibt es dort zwar formal einen Nachweis . Aber in der Regel beruht er darauf, dass man auf einer Liste einen Haken macht, ohne dabei Nachweise zu liefern . Deswegen denke ich, dass wir auf diesem Gebiet so fortfahren sollten . Wir könnten uns im Upstream-Bereich, wo man das relativ gut nachkontrollieren kann, durchaus eine verpflichtende Regelung vorstellen. Ich glaube, das ist auch, was die Konfliktregionen angeht, das Wesentlichere. Aber im Downstream-Bereich sollten wir eine praktikable Lösung finden, die sozial und auch tatsächlich umsetzbar ist . Insgesamt - ich glaube, darin sind wir uns einig - gehen wir mit dem Verordnungsentwurf in Europa einen neuen Weg mit zum Teil noch unbekannten Größen . Deswegen schlage ich noch zusätzlich vor, vielleicht nach drei bis fünf Jahren eine Evaluierung des Ganzen vorzunehmen, um dann gegebenenfalls in der Praxis aufgetretene Schwierigkeiten der Regelung sachgerecht beseitigen zu können . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und den Linken, mein Fazit zu Ihrem Antrag lautet: Der Antrag ist weder in der Sache hilfreich, noch ist er praktikabel, und er würde zu mehr statt zu weniger Problemen für die Menschen in den betroffenen Regionen führen . Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab . Herzlichen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Konfliktmineralien bleibt ein heißes Eisen für die Menschen in den Entwicklungsländern, aber auch in der Koalition, wie die unterschiedliche Darstellung der Thematik durch Herrn Kollegen Barthel oder Frau Gundelach eben ganz klar zeigt . Minister Gabriel wollte ganz lange auf europäischer Ebene einfach dem Ratsvorschlag folgen, nirgendwo anecken und sich einfach durchlavieren . Dann kam unser Antrag . Wir haben auch sehr intensiv mit den Entwicklungspolitikern der SPD gesprochen, die jetzt sehr spärlich vertreten sind - das macht aber nichts -, ({0}) und dann hat man offensichtlich mit Minister Gabriel gesprochen, der jetzt auch in Brüssel eine etwas andere Position vertritt . ({1}) - Das ist vielleicht auch eine berechtigte Zwischenfrage . Die Bundesregierung unterstützt nun weiter den Kommissionsvorschlag, wie Herr Barthel richtig formuliert hat, der auf Freiwilligkeit basiert, mit dem kleinen Zusatz: Sofern die Verhältnismäßigkeit gegeben ist, wären verbindliche Standards gar nicht so schlecht . Ich frage mich: Was ist verhältnismäßig? Wer definiert diese Verhältnismäßigkeit? Wir müssen uns doch darüber klar sein: Um eine wirkliche Chance für Mindeststandards in den Abbaugebieten und auch im Handel zu erhalten, müssen wir Verbindlichkeit einführen . Eine freiwillige Verbindlichkeit hilft dort in keiner Weise weiter . ({2}) Verbindlichkeit würde keinem Unternehmen, außer den kriminellen, die Handlungsoptionen entziehen . Es wird auch kein Passepartout - das haben Sie richtig formuliert - für alle Firmen geben . Nebenbei gesagt: Die OECD hat 2014 die Rohstoffindustrie zum bestechungsanfälligsten Wirtschaftszweig überhaupt erklärt . In keinem Wirtschaftszweig gibt es so viel kriminelle Energie wie in der Rohstoffindustrie. Wenn man mir dann erklärt, dass man hier mit Freiwilligkeit einer Klärung näherkommen kann, dann sage ich: Das ist unrealistisch . Freiwilligkeit - das zeigt uns die Geschichte - führt hier zu nichts . Der Trilog - das haben Sie richtig gesagt - beginnt nächste Woche . Der Vorschlag des Rates basiert auf Freiwilligkeit . Da können Sie noch so schön daherreden: Es ist freiwillig . Damit fällt dieser Vorschlag hinter die OECD-Standards, die UN-Leitprinzipien, die US-Gesetzgebung und - was am erstaunlichsten ist; man kann es kaum glauben - auch hinter die chinesische Rohstoffpolitik zurück . Das ist schlicht hochnotpeinlich . ({3}) Es gibt noch zwei Aspekte, die ich nennen möchte . Wir sind aus Gründen der Fairness dazu verpflichtet, alles zu tun, damit alle Unternehmen gleiche Bedingungen haben . Es gibt nämlich Unternehmen, die verbindliche Standards wollen . Solange Mindeststandards durch freiwillige Regelungen leicht und locker unterlaufen werden können, tragen wir zur Marktverzerrung bei . Wir stützen verantwortungslose Unternehmen, und wir festigen prekäre Verhältnisse vor Ort . Der zweite Punkt . Wir reden immer von Fluchtursachen . Es ist verdammt leicht, dieses Thema der Entwicklungspolitik zuzuschieben . Aber ich kann Ihnen als leidenschaftlicher Entwicklungspolitiker versichern: Die Entwicklungspolitik kann das nicht leisten . Sie kann es schon zweimal nicht leisten, wenn internationale Strukturen entwicklungspolitische Ansätze konterkarieren . ({4}) Menschen verlassen ihr Land, wenn sie keine Sicherheit haben, wenn soziales Elend und Perspektivlosigkeit dominieren und wenn die Bedingungen ihre Kinder in kriminelle Gruppen zwingen . Unsere Antwort muss klar und deutlich sein: Fangen wir an, Fluchtursachen durch kohärente und konsequente Politik, also mit verbindlichen Standards, zu bekämpfen . ({5}) Das wäre doch einmal eine tolle Idee für die CSU . Dann könnten Sie nämlich darauf verzichten, Flüchtlinge zu bekämpfen . Der Kampf gegen Fluchtursachen würde reichen, wäre effektiver und sinnvoller . ({6}) Franz Josef Strauß erklärt uns auch, warum das nicht stattfindet. Er sagt nämlich: Diesen Leuten fehlt es einfach an christlich-sozialen Werten der abendländischen Kultur . - Darüber sollten Sie einmal nachdenken . Danke schön . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr . Sascha Raabe, SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Viele von Ihnen haben sich heute mit roter Farbe an den Händen sozusagen verschönert, um an den Red Hand Day, der am 12. Februar stattfindet, zu erinnern . Dieser internationale Gedenktag weist darauf hin, dass es 250 000 Kinder auf der Welt gibt, die jährlich als Soldaten missbraucht werden und ihr Leben aufs Spiel setzen . Selbst wenn sie überleben, werden sie ein Leben lang traumatisiert sein . Deswegen ist es gut und richtig, dass wir heute darüber debattieren, wie wir als Konsumenten und Verbraucher in Deutschland und Europa dazu beitragen können, dass in unseren Smartphones oder anderen Geräten keine Rohstoffe verarbeitet werden, bei deren Gewinnung Kinder als Sklaven in Minen gearbeitet haben, die dann von Rebellengruppen missbraucht werden, um Krieg zu führen . Kinder sollen spielen und nicht schießen . ({0}) Ich verstehe, dass zurzeit die Haltung der Bundesregierung sowohl den Kollegen Kekeritz von den Grünen als auch die Kollegin von der Union vor SchwierigkeiUwe Kekeritz ten stellt; denn unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sagt in Europa und im Rat klar: Deutschland setzt sich für eine verbindliche Regelung ein, um Konfliktmineralien nur dann nach Europa einführen zu lassen, wenn sie nicht aus Regionen stammen, in denen Schindluder mit dem dadurch erwirtschafteten Geld getrieben wird und Kinder als Soldaten missbraucht werden . - Das schmerzt natürlich, lieber Uwe, weil ihr Grünen in eurem Antrag so tut, als hättet ihr einen Wandel in der Regierung erreicht . ({1}) Ich habe dir schon im letzten Jahr gesagt, als wir über diesen Antrag beraten haben, dass dieser durch Regierungshandeln erledigt sein wird . Schon damals haben wir gute Gespräche mit dem Wirtschaftsminister geführt . Wir mussten nur noch die Union überzeugen; das wird vielleicht die Kollegin von der Union schmerzen . Deutschland setzt sich gemeinsam mit Schweden im Rat für verbindliche Regelungen ein . Verhältnismäßig muss jedes Gesetz sein; das ist im Prinzip nichts Besonderes . Da teile ich das, was der Kollege Klaus Barthel gesagt hat: Natürlich ist jede Regelung, die dazu dient, Kinderleben zu schützen, und verhindert, dass Kinder als Soldaten kämpfen müssen, verhältnismäßig . Ich bin mir sicher, dass wir in Brüssel einen guten Beitrag leisten und das unterstützen werden, was das Europäische Parlament auf den Weg gebracht hat . Wir als Sozialdemokraten stehen dazu . Die Bundesregierung mit dem federführenden Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel steht ebenfalls dazu . Deswegen sollten Sie sich freuen, Herr Kekeritz . ({2}) Der Antrag Ihrer Fraktion ist im Kern durch Regierungshandeln erledigt . Deshalb werden wir ihn ablehnen . Wir nehmen gerne Ihren Dank für die gute Haltung der Bundesregierung entgegen . Danke schön . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Herkunft von Konfliktrohstoffen konsequent offenlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6226, den Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/5107 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den Gefahren des Konsums von elektronischen Zigaretten und elektronischen Shishas Drucksachen 18/6858, 18/7205 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Drucksache 18/7394 Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auch Änderungen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat die Parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks . ({1})

Caren Marks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003587

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kinder und Jugendliche brauchen Freiräume . Sie müssen etwas ausprobieren und auch ihre eigenen Erfahrungen machen . Aber dort, wo es nachweislich schädlich und auch gefährlich ist, muss es Verbote, und zwar auch in Form von Gesetzen, geben . Dort, wo Gefahren drohen, müssen Kinder und Jugendliche von ihren Eltern, von der Gesellschaft und auch von der Politik geschützt werden . Verbote werden dann akzeptiert, wenn sie gut begründet sind und konsequent umgesetzt werden . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass wir heute mit diesem Gesetz die Abgabe von E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder und Jugendliche verbieten und nicht länger damit warten . ({0}) Nicht für Erwachsene - wie manche meinen -: Wer E-Zigaretten dampft, um zum Beispiel vom Rauchen wegzukommen, kann natürlich weiterdampfen . Im Wachstum, also für Kinder und Jugendliche, sind diese Produkte nachweislich ganz besonders gesundheitsschädlich . Auch wenn sie nach Früchten oder Schokolade schmecken und damit harmlos wirken: Sie sind nicht harmlos . Genau deshalb verbieten wir die Abgabe an Kinder und Jugendliche, und zwar konsequent: im Handel, im Onlinehandel und im Geschäft . Wir werden auch die Werbung dafür auf Filme ab 18 beschränken . Der entsprechende Gesetzentwurf - federführend beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft - ist bereits bei der Europäischen Union zur Notifizierung. Die Ausweitung der Verbote auf konventionelle Wasserpfeifen mit Steinen oder auch Kräutermischungen werden wir angehen . Ich begrüße den entsprechenden Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen und finde es richtig, dass wir ohne Verzögerungen heute dieses Gesetz so verabschieden . ({1}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich sage aber auch ganz deutlich Folgendes . Wir müssen im Jugendschutz konsequent bleiben: Verbote nur dann, wenn es nachweislich schädlich und gefährlich ist . Jugendpolitik ist nicht zuerst Verbotspolitik . Alles zu verbieten, wobei Erwachsene ein schlechtes Gefühl haben, ist jugendpolitisch der falsche Weg . ({2}) Richtig und notwendig ist, das zu verbieten, was Kinder und Jugendliche wirklich gefährdet . Wir brauchen klare Regeln im Jugendschutz, die gut begründet sind und konsequent durchgesetzt werden . Mit dem Verbot der Abgabe von E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder und Jugendliche schließen wir eine Regelungslücke . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich bei allen bedanken, die hieran mitgewirkt haben auch dafür, dass wir mit einem Änderungsantrag die dreijährige Vollfinanzierung von Altenpflegeumschulungen durch die Bundesagentur für Arbeit verlängern . Das ist ein ganz anderes Thema, aber ich freue mich, dass wir diese Gelegenheit nutzen . Unser Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor E-Zigaretten und E-Shishas ist der Omnibus, den wir brauchen, um diesen wirklich wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung in trockene Tücher zu bringen . Auch das ist wichtig . ({3}) Nochmals herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, auch im Sinne eines guten Jugendschutzes . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Frank Tempel, Fraktion Die Linke . ({0})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Drogen- und Suchtpolitik ist es unser gemeinsames Anliegen, gesundheitliche Risiken zu minimieren und dadurch entsprechend auch die Zahl der Erkrankungen und vor allen Dingen der Todesfälle deutlich zu reduzieren . Das gilt natürlich ganz besonders beim Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen . Insofern ist es erst einmal richtig, ein entsprechendes Gesetz auch für elektronische Zigaretten und elektronische Shishas vorzulegen . Bevor ich auf die Details des Gesetzentwurfes eingehe, möchte ich aber noch eine kleine Mahnung loswerden . Regulierung des Verkaufs dieser Produkte ist das eine, wichtiger ist aber eine glaubhafte Aufklärung und eine vor allen Dingen wirkungsvolle Präventionsarbeit . ({0}) Prävention heißt nicht zuletzt, zu schauen, warum und wann Jugendliche überhaupt rauchen und wie wir ihnen alternative Lebensweisen anbieten und vermitteln können . Das kommt in der ganzen Debatte deutlich zu kurz, und die von uns angehörten Sachverständigen haben das zum Teil zu Recht bemängelt . Verbote werden nun einmal gerade von Jugendlichen - das sollten wir gelernt haben - wenig akzeptiert und häufig infrage gestellt. Kinder und Jugendliche müssen deshalb in die Präventionsarbeit und Aufklärung verstärkt selbst einbezogen werden . ({1}) Dafür muss Aufklärung eben auch glaubhaft sein . Wenn Sie weiter Tabakzigaretten, elektronische Zigaretten mit Nikotin und elektronische Zigaretten ohne Nikotin in einen Topf werfen, nimmt Ihnen das einfach keiner mehr ab, und Sie setzen sich dem Verdacht aus, im Sinne der Tabakkonzerne elektronische Varianten und Alternativen für die Tabakzigarette kleinhalten zu wollen . Unglaubwürdige Pauschalisierungen - auch das sollten wir gelernt haben - wirken in der Prävention sehr oft kontraproduktiv, sie werden als ungerecht und als Bevormundung verstanden . Ich nehme einmal an, dass auch Sie, meine Damen und Herren, entsprechende Briefe zahlreicher Bürger in den letzten Tagen reichlich erhalten haben . Bei E-Zigaretten entfallen ganz einfach die meisten tabakbedingten Folgeschäden, und wenn es dann auch noch eine E-Zigarette ohne Nikotin ist, dann gibt es einfach Unterschiede, die auch im Gesetzgebungsverfahren benannt werden müssen . Ich denke, dass gerade das präventive Potenzial der E-Zigarette noch lange nicht ausreichend untersucht ist und es einer genaueren Betrachtung bedarf . Nicht wenige Experten sehen beispielsweise die E-Zigarette als risikoärmere Alternative für langjährige Raucher . Auch das gehört in die Debatte hinein . ({2}) Es mag sein, dass Sie befürchten, dass E-Zigaretten und E-Shishas nicht nur den Ausstieg aus dem Tabakkonsum fördern, sondern auch den Einstieg in das Rauchen, gewissermaßen als Einstiegsdroge für die Tabakzigarette . Aber genau das wird in der Praxis selten beobachtet . Es kommt nur selten vor, dass jemand sagt, die klassische Zigarette sei ihm zu risikoreich, aber mit dem Rauchen der elektronischen Zigarette fange er an . Das ist ein selten beobachteter Trend; auch das gehört in die Betrachtung hinein . Natürlich hat der Konsum von E-Zigaretten und E-Shishas gesundheitliche Risiken, gerade für Jugendliche . - Ich habe vier Minuten Redezeit, nicht nur zwei . Im Bereich des Tabakkonsums freuen wir uns seit Jahren über einen Rückgang des Rauchens bei Jugendlichen . Das hat natürlich etwas mit den Altersbeschränkungen beim Verkauf dieser Produkte zu tun . Es macht keinen Sinn, wenn der 16-Jährige keine Tabakzigaretten kaufen darf, aber nikotinhaltige E-Zigaretten . Insofern ist der Ansatz, auch hier eine Altersbeschränkung einzuführen, unterstützenswert . Diesem Teil des Gesetzentwurfs würden wir auch zustimmen . Genauso deutlich bekommen Sie unsere Unterstützung bei der Einschränkung von Werbungsmöglichkeiten . Niemand würde Geld für Werbung investieren, wenn diese nicht einen deutlichen Anstieg des Konsums bewirken würde . Insofern fordert die Linke durchaus konsequente Werbeverbote für Tabakzigaretten, für E-Zigaretten, genauso aber auch für Alkohol und für Cannabis, wenn es demnächst auch in Deutschland hierfür legale Abgabeformen geben wird . ({3}) Wir können diese Genussmittel nun einmal nicht aus unserer Gesellschaft verbannen, aber gerade den gesundheitlichen Risiken und nicht allzu oft auch den tödlichen Folgen können wir mit angemessener Regulierung, intensiver Aufklärung und Information entgegentreten . Der Gesetzentwurf enthält durchaus richtige Maßnahmen, ist aber mit fehlerhaften Ansätzen zur Prävention und einer unsachlichen Gleichsetzung von Tabak und E-Zigaretten inkonsequent . Eine Zustimmung ist daher leider nicht möglich . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Markus Koob . ({0})

Markus Koob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004331, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich sagen - dem entsprach ja auch der Diskussionsverlauf nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs -, dass es wahrscheinlich selten einen Gesetzentwurf gab, der so auf fraktionsübergreifende Zustimmung gestoßen ist . Ich war schon etwas überrascht, als die Linke gestern im Ausschuss ihre Kritik vorgebracht hat, die sie hier heute erneuert hat . Natürlich haben Sie recht, dass es keinen Sinn macht, dass wir mit Blick auf erwachsene Menschen E-Zigaretten in dieser Form regulieren . Aber heute geht es nun einmal darum, dass wir den Jugendschutz anpassen wollen . ({0}) Deshalb, so muss ich sagen, habe ich für Ihre Kritik an dieser Stelle wirklich kein Verständnis . ({1}) - Ja, aber das kam in der Rede nicht wirklich rüber, Herr Wunderlich . ({2}) Ich glaube, wir sind nach etwas mehr als einem Jahr Beratungen, die auch dadurch notwendig geworden sind, dass uns das Bundesverwaltungsgericht mit einem Urteil gezwungen hat, zu erkennen, dass wir hier Handlungsbedarf haben, an einem Punkt, an dem wir sagen können: Wir schließen ein Gesetzesvorhaben ab . Ich glaube, wir haben heute einen Tag, an dem wir sagen können, dass der Jugendschutz gestärkt wird . Das ist eine positive Nachricht und eine sehr gute Nachricht für die Kinder und Jugendlichen in unserem Land . ({3}) Ich sage auch: Es war richtig, dass das Bundesverwaltungsgericht geurteilt hat, wie es geurteilt hat: dass nikotinhaltige Liquids keine Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes sind, denn sie werden eben nicht als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten vermarktet . Insofern war vorhersehbar, dass wir hier ein solches Urteil dieses Gerichts erhalten werden . Es ist auch in dieser Deutlichkeit angemessen . Denn es geht hier um höchst gesundheitsgefährdende Inhaltsstoffe, die als Arzneimittel zu deklarieren wären . Wir sind dabei, gerade mit dem Jugendschutz Kinder und Jugendliche vor Krankheiten zu schützen . Das gilt natürlich auch für den Bereich des Rauchens und Dampfens . Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf ist uns eine gute und vor allem kurzfristige Antwort auf die entstandene Regelungslücke gelungen . Ich muss in dieser Rede nicht noch einmal extra darauf hinweisen, dass wir es mit Krankheiten zu tun haben, die sowohl vom Tabakkonsum als auch von E-Inhalationsprodukten ausgehen . Dass diese Krankheiten umso gravierender verlaufen, je früher mit dem Konsum der besagten Produkte begonnen wird, ist rational leicht erschließbar . Der von uns allen sehr geschätzte Helmut Schmidt war nicht nur aufgrund seines hohen Alters und seines Intellekts eine Rarität, sondern auch wegen seines hohen Tabakkonsums . Den allermeisten Rauchern aber ist dieses Alter nicht vergönnt . Sie sterben wesentlich früher als Helmut Schmidt an verschiedenen Krebsarten, Thrombosen oder Herzinfarkten . Damit Kinder und Jugendliche längstmöglich vor diesem Konsum geschützt werden, ändern wir heute das Jugendschutzgesetz . Wir verbieten mit diesem Gesetz das Angebot und die Abgabe von nikotinhaltigen E-Zigaretten und E-Shishas, aber auch die Abgabe von nikotinfreien E-Zigaretten und E-Shishas an Jugendliche off- und online . Wichtig ist vor allem die Berücksichtigung nikotinfreier E-Inhalationsprodukte in diesem Gesetzentwurf; denn Nikotin ist nicht der gefährlichste Inhaltsstoff der E-Zigaretten und der E-Shishas . Die Inhalation des Aerosols nikotinfreier Zigaretten entspricht der Inhalation eines Chemiecocktails . Kurz zusammengefasst: Es befinden sich unter anderem Propylenglykol, Glyzerin, Diacetyl und Schwermetalle im Aerosol der nikotinfreien E-Inhalationsprodukte . Zwar sind Propylenglykol und Glyzerin in flüssiger bzw. fester Form nicht schädlich, inhalativ aufgenommen haben sie allerdings erhebliche Schäden der Lungen zur Folge, gerade in den noch nicht voll ausgewachsenen Lungen von Kindern und Jugendlichen . Zweifellos hätten wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits jetzt weiter gehende Regelungen für den Gesundheitsschutz der Kinder und Jugendlichen in unserem Land gewünscht . Wir halten es für absolut geboten - nicht nur durch die eindeutigen Aussagen der Sachverständigen -, auch Dampfsteine, Kräutermischungen, Pilze und Gele, die über konventionelle Wasserpfeifen konsumiert werden, in das Jugendschutzgesetz aufzunehmen . Konventionelle Wasserpfeifen funktionieren ähnlich wie ihre elektronischen Schwestern . Es werden Dampfsteine, Kräutermischungen, Pilze und Gele verbrannt und deren Schadstoffe, die denen der E-Shishas und E-Zigaretten ähneln, inhalativ aufgenommen . Zu ihnen gehören unter anderem Kohlenmonoxid, Aldehyde, polyzyklische Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle . Wenn man daran denkt, dass eine Wasserpfeifensitzung - auch das haben uns die Sachverständigen gesagt - dem Rauch von 100 Zigaretten entspricht, bekommt man eine Vorstellung von der Brisanz nikotinfreier Produkte für Wasserpfeifen für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen . Angesichts eines notwendigen EU-Notifizierungsverfahrens bei einer Änderung des Gesetzentwurfs des Bundesfamilienministeriums standen wir vor der Wahl, die Beschränkung der E-Zigaretten und E-Shishas um weitere Monate hinauszuzögern oder aber die Beschränkung des Angebots und der Abgabe in einem zweiten Gesetzgebungsverfahren zu regeln . Es war eine schwierige Abwägung, die unsere Fraktion vorgenommen hat, da wir als CDU/CSU-Fraktion um die Gefahr, die vom Gebrauch herkömmlicher Wasserpfeifen ausgeht, wissen . Mit der Entschließung, die wir im Ausschuss bereits verabschiedet haben, fordern die CDU/CSU- und SPD-Vertreterinnen und -Vertreter, umgehend ein weiteres EU-Notifizierungsverfahren für einen Gesetzentwurf, der das Angebot und die Abgabe von nikotinfreien Produkten wie Dampfsteinen, Kräutermischungen, Pilzen und Gelen für die Nutzung konventioneller Wasserpfeifen für unter 18-Jährige regelt, einzuleiten . Aus meiner Sicht ist die existierende Datenlage ausreichend, um im Jugendschutzgesetz eine solche Reglementierung für Kinder und Jugendliche vornehmen zu können . ({4}) Auch ein explizites Werbeverbot hinsichtlich E-Inhalationsprodukten bei Filmveranstaltungen befürworten wir mit der bereits angesprochenen Entschließung . Wir als Jugendpolitiker werden weiter kämpfen, bis auch nikotinfreie Wasserpfeifenprodukte und das erwähnte Werbeverbot bei Filmveranstaltungen Aufnahme im Jugendschutzgesetz gefunden haben und Kinder und Jugendliche angemessen geschützt werden . Die umzusetzende Tabakproduktrichtlinie geht bereits in diese Richtung . Zigaretten, E-Inhalationsprodukte und konventionelle Wasserpfeifen sind unabhängig vom jeweiligen Nikotingehalt Suchtmittel, die nicht in die Hände minderjähriger Personen gehören . Nach dem heutigen Stand der Forschung hat Sucht sehr viel mit dem Angewöhnen und dem Lernen von Ritualen zu tun . Durch explizit kinderfreundliche Aromen werden Kinder mit ihren Geschmäckern an die E-Zigaretten herangeführt . Ist der Einstieg in die Sucht erst einmal bereitet und das Dampfverhalten einstudiert, ist der zu gehende Weg in Richtung Tabakzigaretten kurz und ohne große Hürden . Der Weg wurde dann bereits durch E-Inhalationsprodukte bereitet . Die psychische Abhängigkeit ist dann dafür verantwortlich, dass den Konsumenten der Ausstieg aus dem Rauchen meist sehr schwer fällt . Auch wenn E-Inhalationsprodukte für bereits suchterkrankte Raucherinnen und Raucher ein Ausstiegsmodell sein können, besteht die Gefahr, dass sich dieses Ausstiegsmodell bei naturgemäß nicht zigarettenaffinen Kindern und Jugendlichen zu einem Einstiegsmodell in den dauerhaften Tabak- oder E-Zigarettenkonsum entwickelt . Dies gilt es mit aller Vehemenz zu verhindern . Auch dafür brauchen wir diese Jugendschutzgesetznovelle und die sehr zeitnah erfolgende Erweiterung der Verbote um Dampfsteine, Kräutermischungen, Pilze und Gele, die über konventionelle Wasserpfeifen konsumiert werden . Ich möchte meine Rede auch heute wieder, wie bereits das letzte Mal zu diesem Thema, dem Nichtraucheroder, wenn Sie so wollen, auch dem Nichtdampferschutz widmen . Seit 2007 wurde in Deutschland auf diesem Gebiet viel erreicht . Das Aufkommen der E-Zigaretten und E-Shishas hat aber Maßnahmen zur Anpassung der bestehenden Nichtraucherschutzgesetze notwendig gemacht . Ihrer Verantwortung, die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger vor den Gefahren des Rauchens und Dampfens zu schützen, müssen explizit auch die Länder nachkommen . Diesen Appell richte ich ebenfalls an die Verantwortlichen für die Einhaltung der Nichtraucherschutzgesetze . Gesetze helfen nicht, wenn sie nicht konsequent angewendet werden . Dies muss gerade bei E-Inhalationsprodukten und Wasserpfeifen noch konsequenter geschehen . 18 Prozent der E-Dampfer nutzen die E-Inhalationsprodukte laut einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung explizit, um in Nichtraucherbereichen dampfen zu können . Das offenbart angesichts der Gesundheitsgefährdung, die von diesen Produkten für jeden Einzelnen ausgeht, Handlungsbedarf . Zwar hat jede volljährige Person in Deutschland das Recht, zu dampfen und zu rauchen - das ist Teil der individuellen Freiheit, die ich sehr begrüße -; klar muss aber sein, dass meine Freiheit als Dampfer und Raucher dort endet, wo durch mein Verhalten die Freiheit meiner nichtrauchenden Mitmenschen eingeschränkt wird . ({5}) Rauchen kann töten, Dampfen sehr wahrscheinlich auch . Es geht um Drogen, die die deutsche Gesellschaft durch Krankheit und Verringerung der Produktionsleistung jährlich Milliarden von Euro kosten . Allein 13,5 Prozent aller Todesfälle in Deutschland sind direkt auf das Rauchen zurückzuführen . Im Vergleich dazu sind nur 3,8 Prozent aller Todesfälle auf eine nicht natürliche Todesursache wie eine Verletzung, einen Unfall oder eine Vergiftung zurückzuführen . Die jährlichen direkten Kosten des Rauchens belaufen sich auf 25 Milliarden Euro . Ein besonderes Thema, auf das ich vermehrt von Ärzten hingewiesen wurde und auf das ich hier aufmerksam machen möchte, ist das Rauchen in der Schwangerschaft . Das Rauchen in der Schwangerschaft ist bedauerlicherweise kein Randphänomen in unserer Gesellschaft . Jedes achte Kind zwischen null und sechs Jahren ist ein Opfer dieser Körperverletzung geworden . Bereits ab einer Zigarette erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Eileiterschwangerschaften, Frühgeburten, pränataler Sterblichkeit, plötzlichen Kindstoden, verringerten Geburtsgewichten und -größen und vielem mehr . Wir als Gesellschaft müssen gegensteuern und den künftigen Eltern deutlich machen, dass es keine Lappalie ist, in der Schwangerschaft zu rauchen . Zu dieser Aufklärung gehört auch das Informieren darüber, dass vom Rauchen in Autos für Kinder und Jugendliche eine sehr große Gesundheitsgefahr ausgeht, weil dort trotz offener Fenster Kinder und Jugendliche einer sehr konzentrierten Schadstoffbelastung ausgesetzt sind . ({6}) Meiner Ansicht nach sollten Präventionsmaßnahmen nicht immer gesetzlicher Natur, sondern vielmehr aufklärender Natur sein . Wir wollen keine schwer zu kontrollierenden gesetzlichen Regelungen wie in Großbritannien . Wir wollen, dass alle Eltern auf die Gesundheit ihrer Kinder achtgeben - ob zu Hause oder im Auto -, und vertrauen darauf, dass sie es nach erfolgter Aufklärung auch tun .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Koob, Sie denken an die Zeit?

Markus Koob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004331, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Sie haben ja schon so viel Redezeit .

Markus Koob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004331, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja . - Ich komme zum Schluss . Ich freue mich - das ist die zweite positive Nachricht in der heutigen Debatte -, dass es uns in relativ kurzer Zeit gelungen ist, die für die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen so gefährliche Gesetzeslücke zu schließen . Der Weg ist mit der Verabschiedung dieses Gesetzes noch nicht zu Ende, aber er wurde von uns erfolgreich begonnen . Lassen Sie uns weitergehen . Herzlichen Dank . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . Sie dürfen gleich noch einmal reden; denn der Kollege Tempel hat um eine Kurzintervention gebeten . Daher erteile ich Ihnen nachher noch einmal das Wort . - Bitte schön .

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Koob, Sie haben sich nicht ausschließlich auf den Jugendschutz bezogen, aber ich möchte trotzdem auf genau diesen zurückkommen . Es gibt ja nicht nur die Äußerungen der Experten, die Sie eingeladen haben, sondern auch andere . Wenn Sie ein bisschen in meine Rede hineingehört haben, haben Sie auch verstanden, dass ich unter anderem gesagt habe, dass aus unserer Sicht eine Pauschalisierung und Gleichsetzung von Tabakzigarette, E-Zigarette mit Nikotin und E-Zigarette ohne Nikotin unverhältnismäßig ist . Ich habe auch gesagt, dass wir Altersbeschränkungen beim Verkauf von E-Zigaretten mit Nikotin zustimmen würden . Das heißt nicht, dass wir die komplette Pauschalisierung, alle diese Beschränkungen bei E-Zigaretten ohne Nikotin gleichermaßen mittragen würden . Hier geht es nicht darum, dass wir den Jugendschutz nicht thematisiert haben, sondern darum, dass tatsächlich ein inhaltlicher Dissens besteht .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Koob, bitte schön .

Markus Koob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004331, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank . - Den Dissens sehe ich auch, aber ich verstehe ihn nach wie vor nicht . Wir hatten in der Anhörung der Sachverständigen die Situation, dass das, was wir als CDU/CSU und SPD jetzt zum Thema Dampfsteine und Wasserpfeifen fordern, nicht von allen Sachverständigen explizit gefordert worden ist . Es ist aber von allen Sachverständigen explizit gesagt worden, dass in diesem Bereich absoluter Handlungsbedarf besteht und wir hier eine Gesetzeslücke haben . Noch einmal: Es geht darum, dass wir hier für Jugendliche und Kinder Regelungen vornehmen und eben nicht für Erwachsene . Was diesen Punkt angeht, haben eigentlich alle Sachverständigen durch die Bank weg gesagt, dass dieses Gesetz sinnvoll und notwendig ist . Deshalb kann ich den inhaltlichen Dissens an dieser Stelle nach wie vor nicht nachvollziehen . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Dr . Harald Terpe das Wort .

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jugendschutz hat da seine Berechtigung, wo wir fürchten müssen, dass die Schutzbefohlenen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind, insbesondere dann, wenn sie gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind, die für sie vielleicht stärker sind als für Erwachsene, weil das Gesundheitsrisiko entsprechend früher im Lebenszyklus einsetzt . Ich gehe auch so weit, zu sagen, dass man, wenn ein solches Risiko nicht explizit mit starken Argumenten nachweisbar ist, trotzdem im Jugendschutz Regelungen treffen kann, indem man sagt: Weil das Risiko vielleicht besteht, muss man gesetzliche Regelungen treffen . Nun stellt sich die Frage: Ist dieses Gesetz an dieser Stelle zielführend? Es ist schon gesagt worden, dass es um den Konsum von elektronischen Zigaretten und E-Shishas geht . Wenn man sich einmal umhört, fragt man sich, ob es zielführend ist, weil damit verschleiert wird, worum es eigentlich geht . Es geht gar nicht um die elektronische Zigarette als solche und um die E-Shisha als solche, sondern um das, was damit verdampft und verraucht wird . Es wird Gott sei Dank in der Begründung deutlich - das wissen wir auch alle -, dass es natürlich in erster Linie um Nikotin geht . Insbesondere in Deutschland war Nikotin als Liquid in der Dosis nicht beschränkt wie jetzt nach der europäischen Richtlinie . Nicht nur für Erwachsene, sondern besonders für Kinder besteht die Gefahr, dass Nikotin nicht erst über den Genuss von Jahren und Jahrzehnten irgendeine krankmachende Funktion hat, nämlich die Abhängigkeit erzeugt, sondern direkt zum Tode führt . Nikotin ist ein hochtoxischer Stoff und kann direkt zum Tode führen . Insofern war natürlich klar, dass sich die Diskussion zunächst am Nikotin entspann . Nun wird durch eine Art Umweggesetzgebung - Gesetze, die den Trigger oder den Vektor betreffen, der dieses Nikotin oder andere Liquids als Dampf dem kindlichen oder dem jugendlichen Körper aussetzt - vorgenommen . Insofern kann man sagen: Natürlich erreicht man mit diesem Gesetz, indem man die Vektoren beschränkt, auch das Ziel . Man kann nicht nach der Art vorgehen, indem man sagt: Wir verhindern den Genuss des Eintopfs, indem wir die Töpfe verbieten . - Aber wir gehen trotzdem mit, weil wir damit tatsächlich Nikotinliquids und auch die möglicherweise krankmachenden Inhalate der Ausgangsprodukte von Liquids regulieren . Trotzdem muss man noch einmal darauf hinweisen, dass die Datenlage wesentlich dünner ist als beim Tabakrauchen . Hier möchte ich dem Kollegen Koob von der CDU noch einmal sagen: Es gibt seit Jahrzehnten Studien zum Tabakrauchen . Auch die Gesetzgebung zum Schutz vor Passivrauchen, bei der ich sozusagen maßgeblich Treiber war, zielte darauf ab, dass Tausende von Passivrauchern versterben, weil sie passivrauchen . Da ist tatsächlich der Satz gerechtfertigt: Die Freiheit des Einzelnen endet da, wo er in die Freiheit eines Dritten eingreift . - Aber die Datenlage - das muss man schon sagen - für die Liquids ist bei weitem nicht so . Hier gibt es keine Studienergebnisse . Deshalb würde ich schon verlangen, dass wir uns nach wie vor um Studienergebnisse bemühen . In dem Gesetzentwurf kommt das Thema der Verhaltensprävention viel zu kurz . Das Informieren der Konsumenten über Gefahren müssen wir ausbauen . Hier hat der Kollege Tempel völlig recht . Ich denke, in Ihrer Entschließung machen Sie wieder etwas, was bereits bei der Richtlinie gemacht worden ist: Sie gehen bei den Werbeverboten nicht weit genug . ({0}) Ich kann nicht verstehen, wieso man immer noch und sogar im Zusammenhang mit Jugendschutz eine Beißhemmung für Werbeverbote hat . Das ist mir völlig unverständlich . Insofern ist dort der Ansatz zur Verhaltensprävention völlig unterbelichtet oder unterkomplex .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das war jetzt ein guter Schluss, Herr Kollege .

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir stimmen aber dem Gesetz zu, weil der Jugendschutz natürlich auch mit diesem Gesetz gestärkt wird . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Ursula Schulte, SPD-Fraktion . ({0})

Ursula Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004404, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass Manuela Schwesig als zuständige Bundesministerin bei diesem Gesetzentwurf, den wir heute hier beraten, richtig Gas gegeben hat; denn je schneller das Gesetz kommt, desto schneller können wir unsere Kinder und Jugendlichen schützen, und darum geht es doch, liebe Kolleginnen und Kollegen . E-Zigaretten und E-Shishas haben in Kinderhänden nichts verloren; ({0}) denn der Konsum ist, wie wir mittlerweile wissen, gesundheitsschädlich, gerade in der Wachstumsphase . Ich bin froh - das steht jetzt hier -, dass wir uns in diesem Punkt in diesem Hause einig sind . Es ist sehr schade, dass die Linken nicht mitmachen . Ehrlich gesagt, ich habe Ihren Einwurf auch nicht verstanden . ({1}) - Ja, das machen wir gleich . - Dass wir mit diesem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg sind, hat die öffentliche Anhörung am 11 . Januar doch deutlich gezeigt . Alle Expertinnen und Experten haben das geplante Abgabeund Konsumverbot von E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder und Jugendliche ausdrücklich begrüßt . ({2}) Ich zitiere in diesem Zusammenhang Dr . Matthias Brockstedt: Bei einer umfassenden Gesundheitsfolgenabschätzung werden Kinder und Jugendliche eindeutig als „Gewinner“ eines kompletten Vertriebs- und Verkaufsverbotes von E-Zigaretten und E-Shishas dastehen, … Das ist eine klare und eindeutige Aussage, die meine Fraktion und ich jedenfalls aus vollem Herzen teilen, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({3}) Den erwachsenen Konsumenten, das sei Ihnen auch noch einmal gesagt, Herr Tempel, die sich mit Hunderten von Mails bei Ihnen und bei mir gemeldet haben, sage ich klar und deutlich: Natürlich können Sie immer noch frei entscheiden, ob Sie rauchen wollen oder nicht . Sie können auch entscheiden, was Sie rauchen . Letzteres bezieht sich, gestatten Sie mir den Einwurf, allerdings auf Tabak und E-Produkte . Ich stelle das hier klar, weil ich im deutsch-niederländischen Grenzraum wohne, und da raucht man schon gern einmal das eine oder andere, was nicht so ganz mit dem Gesetz übereinstimmt . ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Kinder- und Jugendschutz, sondern ebenso zum Gesundheits- und Verbraucherschutz, und den Verbraucherschutz werden wir mit der Tabakproduktrichtlinie noch einmal verstärken . Aber all das ist nur ein Anfang . Wir haben uns in einem weiteren Schritt mit dem Abgabe- und Konsumverbot von nikotinfreien Erzeugnissen an Kinder und Jugendliche zu beschäftigen, eben weil es den Verdacht gibt, dass diese auch gesundheitsschädlich sind . Diese Dinge werden ja zum Beispiel durch konventionelle Wasserpfeifen inhaliert . Ich denke da an Kräutermischungen, Zuckererzeugnisse und die sogenannten Dampfsteine . Gerade die konventionellen Wasserpfeifen und die Dampfsteine werden zunehmend beworben, und der Fantasie und dem Erfindungsgeist der Raucherindustrie scheinen dabei keine Grenzen gesetzt zu werden . ({5}) Daher müssen wir nicht nur über ein Abgabeverbot nachdenken, sondern auch über ein Werbeverbot, und genau das tun wir, und das werden wir auch auf den Weg bringen . ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stehe an der Seite des Verbandes der deutschen Kinderärzte, wenn dieser fordert, das Rauchen im Auto zu unterlassen, wenn Kinder anwesend sind . Die Feinstaubbelastung steigt dort um ein Vielfaches, da nützt es auch nichts, wenn man das Fenster öffnet . Es muss Konsens in diesem Land werden, dass im Auto nicht geraucht wird, wenn Kinder an Bord sind . Am besten, man raucht überhaupt nicht in der Nähe von Kindern, das ist dann gelebte Prävention . ({7}) Als Berichterstatterin habe ich mich natürlich auch in verschiedenen Dampferforen umgesehen . Es gab dort eine vehemente Kritik an diesem Gesetzentwurf und an unserer politischen Diskussion, vor allem aber auch an unserer Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig . Ich bin froh, dass wir alle dem Druck nicht nachgegeben haben, und ich danke Manuela Schwesig noch einmal ausdrücklich für ihren Einsatz im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . Die Aussprache ist damit beendet, und wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den Gefahren des Konsums von elektronischen Zigaretten und elektronischen Shishas . Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7394, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/6858 und 18/7205 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7394 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und der Linken angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Özcan Mutlu, Dr . Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur - Bürgerrechte schützen, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken Drucksache 18/6232 Überweisungsvorschlag: Sportausschuss ({0}) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre dazu keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen .

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Herbst 2014 randalierten circa 5 000 Hooligans unter dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ in der Kölner Innenstadt . Die rechtsextreme Band Kategorie C trat auf; die rechte Rockerszene und auch einschlägige Neonazis waren vertreten . Im Nachhinein stellte sich heraus, wie überfordert die Sicherheitsbehörden im Vorfeld bei der Einschätzung des Gefahrenpotenzials dieser Veranstaltung gewesen waren . Die Teilnehmerzahl wurde unterschätzt, und viele wunderten sich, wie kurz der Draht zwischen rechten Hools, Neonazis und rechten Rockern war . Und tatsächlich: Der Mobilisierungsgrad innerhalb der rechten Szene hat auch Kenner der Zivilgesellschaft überrascht . Danach wurde es vermeintlich ruhiger um HoGeSa . Auch die Nachfolgeorganisation zerlegte sich schnell . Trotzdem versuchen seit einigen Jahren rechtsextreme Alt-Hools, in die Stadien zurückzudrängen und den oft antirassistisch eingestellten Ultragruppierungen den Platz streitig zu machen . Aber auch außerhalb der Stadien tut sich etwas . Erst vor kurzem haben wir in meiner Heimatstadt Leipzig das Gewaltpotenzial der rechten Hooligan-Szene ganz konkret zu spüren bekommen: Am 11. Januar überfielen 250 vermummte Nazi-Hooligans den alternativen Stadtteil Connewitz und verwüsteten einen Straßenzug . Viele davon kamen aus dem Umfeld des Halleschen FC und von Lok Leipzig . Aber auch am letzten Samstag überfielen vermeintliche Anhänger von Dynamo Dresden im Anschluss an das Spiel Menschen mit Migrationshintergrund am Dresdner Hauptbahnhof . Diese aktuellen Beispiele aus Sachsen zeigen: Auch wenn HoGeSa kaum noch eine Rolle spielt, wüten rechte Hooligans weiter . Hier muss Politik reagieren . ({0}) Was haben Innenministerien und Polizeibehörden sich nicht alles ausgedacht, um Gewalt im Fußball einzudämmen! So wird in einigen Fällen das niederländische Modell praktiziert . Dabei sollen alle Auswärtsfans ihre Eintrittskarten erst nach der Anreise ausgehändigt bekommen . Allerdings ist die Voraussetzung, dass man sich verpflichtet, zum Beispiel mit Sonderbussen anzureisen, nachdem man sich registriert hat . Kaum eine Innenministerkonferenz vergeht, in der das Thema „Sicherheit im Fußball“ nicht thematisiert wird . Aber das Problem liegt woanders . Es braucht bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus im Sport wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen einen Präventionsansatz . Wir haben in unserem Antrag nicht umsonst gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Fanrechte gegenübergestellt . Denn die Fankultur im Fußball ist vielfältig und gesellschaftlich relevant . Gerade die Ultras sind Bestandteil dessen, was den Reiz des Fußballs ausmacht . Wer das kaputtmacht, indem er dafür sorgt, dass Menschen nur noch unter Preisgabe ihrer Daten und unter Zwang zur Nutzung einer bestimmten Anreiseart zum Stadion kommen, schneidet sich langfristig ins eigene Fleisch . Denn so schafft man es, jede Emotion aus dem Spiel zu nehmen, und Fans werden, bloß weil sie Anhängerinnen und Anhänger eines Vereins sind, als Krawallmacher stigmatisiert . Trotz der positiven Entwicklung in den letzten Jahren sind Rassismus und Rechtsextremismus im Sport weiterhin ein Problem . Um die Zivilgesellschaft auch im Sport zu unterstützten, schlagen wir deshalb ein sportbezogenes Bundesprogramm vor . Im Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ gibt es zwar positive Beispiele zu dem Thema, nach Gesprächen mit Initiativen, die das jeden Tag aufs Neue erleben, ist uns aber klar geworden: Es braucht einen gesonderten Sportbezug in einem Programm, um das Problem wirklich zu lösen . Die Details sind in unserem Antrag nachzulesen . Kurz zusammengefasst: Der Schutz vor Diskriminierung und Rassismus im Sport ist zu stärken . Gleichzeitig ist daran zu erinnern: Vergessen wir die Bürgerrechte von Fußballfans nicht . Vielen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Mit Verlaub: Das Beste an dem vorliegenden Antrag der Grünen „Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und Fankultur“ ist die Überschrift . ({0}) Darüber hinaus kann man wirklich nur sagen, meine liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Der Antrag ist mit heißer Nadel gestrickt, ({1}) und er ist leider über weite Strecken sehr unsubstanziiert und einfach nur als dünne Suppe zu bezeichnen . ({2}) Sie bringen Dinge miteinander in Bezug, die nichts miteinander zu tun haben . Ich kann insbesondere Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Bundesprogramm Vizepräsidentin Ulla Schmidt gegen Rechtsextremismus im Sport nichts abgewinnen . Ich sage das ganz bewusst nicht, weil ich den Rechtsextremismus im Sport verniedliche . Ganz im Gegenteil: Jede Gewalttat, jede Straftat, die rechtsextremistisch motiviert ist, ist nicht nur unappetitlich, sie ist verabscheuungswürdig und in höchstem Maße verwerflich. Aber mit Ihrem einheitlichen Bundesprogramm hängen Sie der Idee nach: Man muss nur ein großes Programm auf die Beine stellen, und damit ist man aller Probleme verlustig . Das Gegenteil ist der Fall . Schauen Sie sich den „Jahresbericht Fußball“ der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze genau an . Über die letzten Jahre hinweg lag der Anteil rechts-, aber auch linksextremistisch motivierter Straftaten bezogen auf alle Straftaten deutlich unter 5 Prozent . Ich sage noch einmal ganz bewusst: Ich verniedliche nichts . Wie gesagt: Jede rechts- oder linksextremistisch motivierte Straftat im Sport ist eine zu viel, und sie muss nachdrücklich verfolgt werden . Ich bin nur der festen Überzeugung, es wäre falsch, der Idee anzuhängen, dass man mit einem großen Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus im Sport auf einen Schlag sämtliche Probleme löst . Das Gegenteil ist der Fall . ({3}) - Lieber Herr Kollege Mutlu, ich werde Ihnen jetzt darstellen, was schon alles erfolgreich umgesetzt wurde . Es gibt die Plattform „Verein({4}) gegen Rechtsextremismus“, die unter anderem vom Bundesinnenministerium als Träger gefördert wird, ({5}) auf der sich unterschiedliche Organisationen, Vereinigungen oder Verbände, die sich im Kampf gegen Rechtsextremismus im Sport engagieren, austauschen bzw . miteinander in Beziehung gesetzt werden . Ich möchte auch deutlich betonen, dass wir als Bundeshaushaltsgesetzgeber unsere Hausaufgaben gemacht haben, indem wir das Programm „Integration durch Sport“ deutlich aufgewertet haben: von 5,4 Millionen Euro im Jahr 2015 auf 11 Millionen Euro in diesem Jahr . Wir haben hier aus meiner Sicht ein klares Signal gesetzt . Ich gebe Ihnen auch den guten Rat: Sehen Sie sich die Handreichung „Wir wollen eigentlich nur Sport machen“ an, die vom Bundesinnenministerium gefördert wird . Das ist ein Beispiel dafür, wie man abseits von großen Bundesprogrammen ganz zielgerichtet und praxistauglich Vereine und Verbände bei ihrer Präventionsarbeit vor Ort unterstützen kann . Darin sind praktische Beispiele enthalten, leicht verständlich und anschaulich geschildert . Das ist aus meiner Sicht die beste und eine sinnstiftende Präventionsarbeit im Kampf gegen Rechtsextremismus . ({6}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich kann in keiner Weise Ihre Kritik an der Datei „Gewalttäter Sport“ nachvollziehen . Ich sage das auch als Innenpolitiker: Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist aus meiner Sicht sogar ein herausragendes Beispiel für gute Kooperation der Sicherheitsbehörden des Bundes mit denen der Länder . Sie gibt es schon lange, und sie hat sich aus meiner Sicht auch in vollem Umfang bewährt sowohl im Bereich der Gefahrenabwehr, also wenn es um die Verhinderung von Gewaltexzessen im und rund um den Sport geht, als auch, wenn es darum geht, Straftaten, die sich im Umfeld von sportlichen Großereignissen ereignet haben, aufzuklären . Ich bitte auch zur Kenntnis zu nehmen, dass es den Beschluss einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 20 . Oktober 2014 gibt . Diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat sich zur Aufgabe gemacht, die Datei „Gewalttäter Sport“ zu evaluieren, zu überprüfen, um herauszufinden, was zu verbessern ist, und um die Transparenz, die Praktikabilität zu erhöhen . Ich kann Sie nur auffordern: Lassen Sie uns doch erst einmal abwarten, was die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zutage fördert, bevor wir sehr schnell mit Konsequenzen und Forderungen nach außen treten, die aus meiner Sicht wie gesagt nicht ausgegoren und auch nicht substanziiert sind . Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Koordinierungsstelle Fanprojekte natürlich Sinn macht, es aber nicht allein Aufgabe des Staates, des Bundes ist, diese Fanprojekte mit Steuergeldern zu unterstützen . Ich sehe hier gerade den Deutschen Fußballbund als größte Sportfachorganisation der Welt in der Verantwortung, für zusätzliche Stellen zu sorgen . ({7}) Der ständige Ruf nach dem Staat spricht aus meiner Sicht für eine verfehlte Politik . Wir sprechen doch immer so gerne von der Autonomie des Sports . In diesem Zusammenhang ist der Sport konkret gefordert, insbesondere in Form des Deutschen Fußballbundes . ({8}) Der Bund unterstützt die Koordinierungsstelle Fanprojekte . Wir geben auch in diesem Jahr wieder einen Zuschuss von über 250 000 Euro . Wir stehlen uns also nicht aus der Verantwortung, ganz im Gegenteil . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen gar nicht den guten Willen absprechen das sage ich hier ganz bewusst und sehr ernsthaft zum Abschluss -; aber ein derartiger Antrag, in den alles Mögliche integriert wird, auch Punkte, die überhaupt nichts damit zu tun haben, dient der Sache nicht . Dabei sind wir uns in der Sache ja einig: Es geht darum, Rechts extremismus in jeder Hinsicht, aber insbesondere im Sport nachdrücklich zu bekämpfen . In diesem Sinne kann man Ihrem Antrag nur eine klare Ablehnung erteilen . Vielen Dank . ({9}) Stephan Mayer ({10})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Dr . André Hahn . ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern war der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus . Wir haben hier im Bundestag eine bewegende Rede der 84-jährigen Holocaust-Überlebenden Ruth Klüger gehört . Aber es gab auch weitere Aktivitäten, zum Beispiel den Aufruf der Initiative „!Nie wieder“ . Durch vielfältige Aktionen rund um den 27 . Januar im deutschen Profi- und Amateurfußball - einheitliche Sprecherdurchsagen oder antirassistische Choreografien - soll in den Stadien ein Zeichen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus im Sport gesetzt werden . Ich finde, solche Aktivitäten verdienen unser aller Unterstützung . Herr Kollege Mayer, das ist keine dünne Suppe, sondern ein wirklich wichtiges Thema . ({0}) Was haben die Initiative „!Nie wieder“ und Ruth Klüger gemeinsam? Beide schlagen die Brücke von den Verbrechen des faschistischen Deutschlands zur aktuellen Situation in unserem Land, in Europa und weltweit . Heute wie damals brauchen Flüchtlinge sowie Asyl suchende unseren Schutz und unsere aktive Hilfe . Gleichzeitig müssen die Fluchtursachen, Krieg, Hunger und nicht zuletzt die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich, endlich wirksam bekämpft werden . Was das alles mit dem Sport zu tun hat? Die Linke hat hier eine klare Position: Sport ist keine Spielwiese für Rechtsextremisten und Gewalttäter und auch nicht für Ausländerfeindlichkeit und Rassismus . ({1}) Im Gegenteil: Gerade der Sport leistet in diesen Zeiten einen wichtigen Beitrag zur Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, von Asylbewerbern und Flüchtlingen . Die diesbezüglichen Aktivitäten müssen wir noch stärker als bisher unterstützen . Deshalb begrüßen wir den Antrag der Grünen . Ich möchte gerne die Gelegenheit nutzen, den vielen Initiativen zur Unterstützung von Flüchtlingen für ihr Engagement ganz herzlich zu danken . ({2}) Stellvertretend möchte ich hier den SV Babelsberg 03 nennen, der als erster Verein Deutschlands im Sommer 2014 eine Mannschaft in seinen Verein integrierte, die ausschließlich aus Flüchtlingen besteht . Während Babelsberg die Infrastruktur bereitstellte, sammelten die Fans des Vereins Geld, bezahlten die Spielertrikots und wurden Trikotsponsor . Das Team „Welcome United 03“ wurde im Sommer 2015 über den SV Babelsberg für den regulären Spielbetrieb angemeldet und kämpft nun in der Kreisliga um Punkte für seinen Heimatverein . Positiv hervorheben will ich auch den 1 . FC Union und den FC St . Pauli, die der bebilderten Zeitung mit den großen Buchstaben die Stirn geboten haben und sich der fragwürdigen Aktion „Wir helfen“ verweigerten . Beide Vereine helfen wirklich, unter anderem durch die Bereitstellung ihres Fanhauses als Flüchtlingsunterkunft, ({3}) und sie sind seit Jahren dabei, wenn es darum geht, gegen Rechtsextremismus und Rassismus klar Position zu beziehen . Ich wünschte mir, es mögen viele andere diesem Beispiel folgen . Leider sind zunehmende rechtsextreme, ausländerfeindliche und rassistische Tendenzen nicht nur im Fußball anzutreffen . Sie betreffen auch andere Sportarten; aber der Schwerpunkt liegt ohne Zweifel beim Fußball . Was die 14 Vorschläge und Forderungen der Grünen im vorliegenden Antrag anbelangt, so sollten wir darüber in den Ausschüssen noch intensiv debattieren, zum Beispiel darüber, ob es wirklich sinnvoll ist, ein einheitliches, finanziell starkes Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus im Sport statt der bestehenden Vielzahl von Programmen zu schaffen . Auch zur Datei „Gewalttäter Sport“, zur Arbeit der Zentralen Informationsstelle Sport einsätze sowie zur Finanzierung von Polizeieinsätzen - ich nenne hier nur das Stichwort „Bremen“ - haben wir Linke Diskussionsbedarf . Ich will auch ein Thema nennen, das heute noch gar keine Rolle gespielt hat . Ich meine die zunehmende Unterwanderung von Security-Firmen durch NPD-Leute und andere Rechtsextremisten, die dann auch in den Stadien zum Einsatz kommen . Hier sind vor allem die Vereine gefordert, diese Problematik nicht aus dem Auge zu verlieren . Abschließend möchte ich noch einen Satz aus dem Antrag der Grünen zitieren . Dort heißt es: Fußballaffine Personen mit rechtem Gedankengut sind kein Problem allein des Fußballs, sondern der gesamten Gesellschaft . Ja, das ist richtig . Deshalb ist es aber auch unser aller Aufgabe, diesem Phänomen entschieden zu begegnen . Herzlichen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Matthias Schmidt . ({0})

Matthias Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004403, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über Sport- und Fankultur . Bei meinen Vorrednern wie bei mir geht der erste Gedanke zum Fußball, bei mir zum Stadion An der Alten Försterei des 1 . FC Union . Ich sehe die vielen tollen Fußballfans vor mir . Der Antrag geht aber über den Fußball hinaus . Er betrifft den gesamten Sport . Natürlich gibt es auch Fankultur und tolle Fans beim Basketball, beim Eishockey, beim Handball und bei anderen Sportarten . Lassen Sie uns - um bei dem Beispiel zu bleiben den Fußball betrachten und eine Art Bestandsanalyse machen. Was finden wir in den Fußballstadien vor? Wir finden eine sehr aktive Fankultur vor. Für die einen, zum Beispiel für mich, reicht es, eine Stadionwurst zu essen, vielleicht ein Bier zu trinken und den Vereinsschal umzuhängen . Andere Fans verbringen ihre gesamte Freizeit mit ihrem Verein. Sie bauen Choreografien. Sie zaubern riesige Bilder und Botschaften in die Stadien . Sie lassen dort zum Beispiel bildlich S-Bahn-Züge fahren . Die Vorbereitung der Choreografien dauert teilweise ein halbes Jahr. Da die Heimspiele alle 14 Tage stattfinden, werden die Choreografien teilweise überlappend vorbereitet. Es gibt eigene Jugend- und Nachwuchsfans, die langsam mit herangeführt werden . Letztendlich produzieren die Fans dort sportpolitische Botschaften . ({0}) Erinnern Sie sich an die Forderung der Fans, keine Montagsspiele in der zweiten Liga stattfinden zu lassen, oder an die Forderung, dass die Spiele einheitlich um 15 .30 Uhr beginnen sollen? Das war ein übergreifendes Thema, das alle Fans in allen Stadien parallel choreografiert haben. Teilweise geht es auch nur um die Vereinspolitik, um die Unterstützung eines erkrankten Spielers, um die Trainerfrage oder um andere Aspekte . Aber es stecken immer Botschaften dahinter . Zusammenfassend kann ich sagen: Die Fankultur ist bunt, sie ist vielfältig, sie ist integrativ, und sie ist vor allem eines, sie ist unangepasst . Wenn ich ins Stadion gehe, will ich genau das haben . Wenn wir im Bundestag zu der Erkenntnis kommen, dass die Fankultur gut ist, dann müssen wir uns wirklich fragen, ob es sinnvoll ist, dass wir als Bundestag nun eingreifen . Fragen Sie doch einmal zu Hause Fans, ob sie wollen, dass wir an dieser Stelle eingreifen . Die Prognose - sie ist nicht allzu gewagt - ist: Sie werden sich zurückhaltend und vorsichtig dazu äußern . Wenn die Fans etwas nicht gut finden, haben sie im Stadion den Vorteil, dass sie einfach laut pfeifen können, um damit ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen . Wenn wir im Bundestag etwas nicht gut finden, können wir nicht pfeifen, aber wir haben das Wort . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, möchte ich mich mit Ihrem Antrag auseinandersetzen . Letztendlich hat Ihr Antrag zwei Hauptzielrichtungen . Erstens . Es geht um die Bekämpfung des Rechtsextremismus im Sport . Zu Recht schreiben Sie, dass es um die Verbindungen einzelner Fußballfans zur rechtsextremen Szene geht . Das ist also, Gott sei Dank, kein Massenphänomen, aber natürlich ein sehr wichtiges Thema . Ihre Forderung ist dann, ein einheitliches Bundesprogramm zu schaffen und viele andere zusammenzufassen . Genau diesen Weg halte ich für falsch . ({1}) Nur die Vielzahl der Programme kann der Vielfalt tatsächlich gerecht werden . Ein einheitliches Programm könnte dies nicht leisten . Sie schlagen außerdem vor, einen unabhängigen Beirat einzusetzen . Auch an dieser Stelle habe ich große Bedenken . Wer soll denn in diesem Beirat Mitglied sein? Etwa wir, wieder nach Fraktionsstärke? Lassen Sie den Sport das alleine machen; das ist schon eine sinnvolle Sache . Die zweite Zielrichtung Ihres Antrags ist die Überprüfung der Datei „Gewalttäter Sport“ . Da haben Sie mehrere Punkte aufgeführt, die ich sehr unterstütze . Sie möchten, dass Fälle, in denen Sportfans in ungerechtfertigter Weise, etwa nach einem Freispruch, in die Datei aufgenommen wurden, überprüft werden . Herr Staatssekretär Schröder - ich denke, wir werden darüber ja noch in zwei Ausschüssen miteinander sprechen -, da hätte ich schon gerne eine klare Aussage der Bundesregierung, dass solche Menschen erst gar nicht in die Datei „Gewalttäter Sport“ aufgenommen werden bzw . dass sie, wenn sie drin sind, sofort gelöscht werden . Das Gleiche gilt für Menschen, die nachweislich keine Straftaten begangen haben; auch sie müssen aus der Datei gelöscht werden . Als weitere Forderung haben Sie eine Art Widerspruchsmöglichkeit vorgesehen . Da habe ich am Anfang gedacht: Eine Widerspruchsmöglichkeit kann man auf keinen Fall schaffen; dann funktioniert das System nicht mehr . - Nachdem ich ein bisschen länger darüber nachgedacht habe, kam ich ins Zweifeln . Darüber sollte man ruhig noch einmal reden und auch im Ausschuss darüber diskutieren . Tatsächlich ist es so: Jemand darf nur dann in die Datei „Gewalttäter Sport“ eingetragen werden, wenn es einen konkreten Anfangsverdacht gegen die betreffende Person gibt . Herr Staatssekretär, auch darüber werden wir im Ausschuss hoffentlich noch reden . Sie haben zwei weitere Punkte aufgeführt, zu denen ich kurz Stellung nehmen möchte: Der erste Aspekt betrifft die Löschungsfristen . Sie wollen gerne, dass bei Erwachsenen nach zwölf und bei Jugendlichen nach sechs Monaten gelöscht wird . Bei Erwachsenen entspräche das allenfalls einer Saison . Ich glaube, dass das viel zu kurz gegriffen ist . Sie selbst haben in Ihrer Rede gesagt, dass die Alt-Hools inzwischen in die Stadien zurückdrängen . Wir brauchen an dieser Stelle Repression, und wir brauchen die Datei „Gewalttäter Sport“ . Die Löschungsfristen sind hier deutlich zu kurz . Zweitens wünschen Sie sich auch im Hinblick auf die Datei „Gewalttäter Sport“ einen Beirat . Da gilt das, was ich eben schon in Bezug auf den anderen Beirat gesagt habe: Ich finde, das ist zu viel. Wir sollten das nicht machen . Gleichwohl: Es ist gut, dass wir das in den Ausschüssen, im Innenausschuss und im Sportausschuss, noch einmal debattieren und dann auch den Sachverstand der Bundesregierung einfließen lassen. Vielen herzlichen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt für die CDU/ CSU-Fraktion der Kollege Johannes Steiniger . ({0})

Johannes Steiniger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man sich den Sachstandsbericht des Deutschen Olympischen Sportbundes anschaut - Stephan Mayer hat ihn vorhin schon angesprochen -, dann relativiert sich das von Ihnen beschriebene Bild doch stark . Denn der DOSB kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis: Rechtsextremistische Tendenzen liegen in einigen Fanszenen an einigen Standorten immer noch manifest vor, sie stellen jedoch in Deutschland kein generelles standortübergreifendes Problem dar . Fankultur, meine Damen und Herren, beginnt mit der Kultur, die in den großen Vereinen gelebt wird . Es wurde eben angesprochen, dass auch der Sport hier etwas tun muss . Wenn man sich da ein bisschen einarbeitet, dann sieht man, dass der Sport schon vieles tut . Wenn wir uns beispielsweise die Fußballbundesligisten anschauen, stellen wir fest: Sie haben mittlerweile hauptberufliche Fanbeauftragte für die erste, zweite und dritte Liga, die sich regelmäßig treffen und sich gemeinsam mit DFB, DFL, Deutscher Bahn und Polizei über die entsprechende Lage austauschen . Hier sitzen dann alle relevanten Akteure am Tisch . Wir haben in der öffentlichen Anhörung zum Thema „Sicherer Stadionbesuch“ viel darüber erfahren, wie gut diese Verzahnung funktioniert und wie reibungslos, jedenfalls gemessen an der großen Zahl von Zuschauern und Fans an einem Wochenende, die vielen Sportereignisse Woche für Woche stattfinden. Man muss schon sagen, der Antrag der Grünen erweckt den Eindruck, dass gerade der Fußball in Deutschland ein Sammelbecken für Schläger, Extremisten und Rassisten sei . ({0}) Man muss schon ein bisschen aufpassen, wie man einen solchen Antrag formuliert . Wenn man Rechtsradikalismus und Fußball in einen Topf wirft, baut man einen gewissen Generalverdacht auf . An der Stelle muss man schon etwas aufpassen . ({1}) Denn das Gegenteil ist der Fall . Der Sport in Deutschland ist der mit Abstand größte und nachhaltig erfolgreichste Integrationsmotor in unserem Land . ({2}) Rund 2,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sind in den Sportvereinen bundesweit aktiv . Das sind immerhin rund 10 Prozent aller Vereinsmitglieder . Es ist nun einmal ein unumstößlicher Fakt, dass an keinem anderen Platz in unserer Gesellschaft Integration besser funktioniert als im Sport . Bei der Verleihung der Sterne des Sports am vergangenen Dienstag haben wir gesehen, welch tolles Engagement es gibt . Auch noch einmal von dieser Stelle aus einen herzlichen Glückwunsch an alle Preisträger, insbesondere natürlich an den VfL Bad Wildungen, der den ersten Preis geholt hat und beispielsweise ein tolles Projekt im Bereich der Integration von Flüchtlingen initiiert hat . Herzlichen Glückwunsch von hier aus an alle Preisträger! ({3}) Erkennbar ist allerdings auch, dass wir tatsächlich strukturelle Defizite besonders in den unteren Ligen in den östlichen Bundesländern bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung ({4}) und leider auch Hooliganszenen haben . ({5}) - Herr Mutlu, was wäre eine Rede im Deutschen Bundestag, ohne dass Sie die ganze Zeit dazwischenrufen? ({6}) Hören Sie mir genau zu, ich will es ausdrücklich sagen: Hier lässt sich nicht der Sport haftbar machen . Denn das, was wir uns etwa in Dresden von Pegida und Co . jede Woche anschauen müssen, ereignet sich eben in der Stadt und nicht im Stadion . Die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen muss tatsächlich erfolgen, aber ganzheitlich . ({7}) Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie ein ganzheitliches Programm im Grunde genommen nach dem Gießkannenprinzip auflegen wollen, obwohl wir schon seit einiger Zeit mit einem subsidiären Ansatz viele verschiedene Projekte angehen, die auch der Vielfalt Genüge tun und das Engagement zeigen - Stephan Mayer hat darauf Matthias Schmidt ({8}) hingewiesen und einige Projekte genannt -, mit dem der Bund hilft . Da ich Mitglied des FC-Bayern-Fanclubs hier im Deutschen Bundestag bin, ({9}) möchte ich ein Projekt erwähnen: Die größte Ultra-Gruppe der Bayern, die Schickeria, ist beispielsweise 2014 für ihr Engagement ausgezeichnet worden . Mit zahlreichen Aktionen hatten sie nämlich des ehemaligen Präsidenten Kurt Landauer, der durch den Naziterror verfolgt wurde, gedacht . Aus meiner Sicht ist das eine sehr kluge und treffsichere Initiative . An dieser Stelle sieht man, dass es da sehr viele Initiativen gibt . ({10}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, es gibt Fangewalt . Diese bekämpfen wir seit vielen Jahren als Gesetzgeber gemeinsam mit dem organisierten Sport in Deutschland mit zunehmendem und großem Erfolg . Verglichen mit der Situation Mitte der 90er-Jahre hat sich doch die Lage gerade bei den großen Spielen deutlich und entschieden verbessert . Das sagen uns alle Experten . Die Fans und die über 17 Millionen Stadionbesucher der Bundesliga im Jahr fühlen sich jedenfalls nicht dauerhaft bedroht . Wenn Straftaten auftreten, werden diese auch entschieden verfolgt . Für den Hochleistungssport und den Fußball in Deutschland gilt vielmehr, dass der Fußball mit seiner großen Strahlkraft ja gerade sehr viel für Integration und gegen Extremismus leistet . Herzlichen Dank . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit ist die Aussprache beendet . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6232 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann haben wir so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/ EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren ({0}) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen Drucksache 18/6744 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) Drucksache 18/7393 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7393, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6744 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7396 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts in der Seeschifffahrt Drucksache 18/6679 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) Drucksache 18/7268 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre kei- nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . 1) Anlage 9 Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Olav Gutting, CDU/CSU-Fraktion . ({3})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute hier abschließend über den Gesetzentwurf, durch den der Lohnsteuereinbehalt der Arbeitgeber in der Seeschifffahrt von derzeit 40 Prozent auf 100 Prozent befristet angehoben wird . Dieses Gesetzesvorhaben ist von großer Bedeutung für die deutsche maritime Wirtschaft und für die Sicherung des seemännischen Know-how am Standort Deutschland . Unsere maritime Wirtschaft ist für unser exportorientiertes Land von hoher gesamtwirtschaftlicher Relevanz und deshalb ein überaus wichtiger Wirtschaftszweig . Gerade weil fast 95 Prozent des interkontinentalen Warenaustausches über die Seewege erfolgen, haben wir als führende Exportnation ein überragendes Interesse daran, eine leistungsstarke, eine international wettbewerbsfähige deutsche maritime Wirtschaft zu haben . Unsere umfangreichen Exporte von Autos und Maschinen wären ohne eine schlagkräftige Seeschifffahrt nicht denkbar . Zudem sichern unsere Häfen einen wichtigen Teil der industriellen Rohstoffversorgung . Wir wissen, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Deutschland vom Export abhängt und dass unsere maritime Wirtschaft bundesweit viele Zehntausende Arbeitsplätze sichert und mit circa 50 Milliarden Euro Umsatz jährlich wesentlich zur deutschen Wirtschaftsleistung beiträgt . Trotz anhaltender Exporterfolge hat sich unsere Handelsflotte in den letzten Jahren stark reduziert. Obwohl sich knapp 3 000 Handelsschiffe im Eigentum deutscher Reedereien befinden, fahren nur knapp 360 davon unter deutscher Flagge . Die Anzahl der unter deutscher Flagge fahrenden Handelsschiffe hat sich somit in den letzten Jahren halbiert . Die Gründe für die zunehmende Ausflaggung und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung und Ausbildung von Seeleuten ist leicht zu erklären: Die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe sind bei den Lohnkosten und den Lohnnebenkosten dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt . Hier ergeben sich Mehrkosten für die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe, die im internationalen Vergleich zunehmend zu einem Wettbewerbsnachteil führen . Um diesen Kostendruck für die Reedereien abzumildern und eine weitere Abwanderung der deutschen Schiffe ins Ausland zu verhindern, müssen wir handeln . Im Laufe der parlamentarischen Beratungen hat sich bestätigt, dass die aktuelle Förderung nicht ausreichend ist, um den genannten Wettbewerbsnachteil der deutschen Flagge im Vergleich zu anderen europäischen Flaggen auszugleichen . ({0}) Sicherlich kann man dem 100-prozentigen Lohnsteuereinbehalt in der Seeschifffahrt unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten kritisch gegenüberstehen . ({1}) In der Diskussion der letzten Tage und Wochen ging es sogar so weit, dass einige Deutschland mit Griechenland verglichen haben, auch beim Stichwort „Tonnagesteuer“ . Ich will an dieser Stelle festhalten, dass die Tonnagebesteuerung, die wir in Deutschland haben, weltweit an allen wichtigen maritimen Standorten üblich ist und sich international zum Normalfall gewandelt hat und dass gerade in den letzten Jahren, in denen aufgrund des großen Frachtvolumens die Frachtpreise gefallen sind, durch diese Tonnagesteuer keinerlei Mindereinnahmen zu erkennen sind . Wir wollen verhindern, dass die deutsche Seeschifffahrt in Seenot gerät . Ich denke, in der Verfolgung dieses Ziels dürften wir uns doch hier im Hohen Hause hoffentlich alle einig sein . Mit der heute zu beschließenden Änderung tun wir in einem Rahmen, den die EU explizit zulässt und den andere EU-Staaten im Vergleich zu Deutschland weitaus mehr ausschöpfen, das, was möglich ist, und das, was notwendig ist ({2}) Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie auch als Landratte auffordern, heute diesem Gesetz zuzustimmen . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Lisa Paus .

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben schon gehört, worum es in dem vorliegenden Gesetzentwurf geht: Um Steuerprivilegien für Reeder . ({0}) Aber Sie von der Großen Koalition beschließen heute nicht etwa die Abschaffung oder zumindest die Absenkung dieser Reederprivilegien, obwohl das eigentlich naheliegt, wenn man sich daran erinnert, dass Unionsabgeordnete, zum Beispiel Wolfgang Bosbach oder Bundestagsvizepräsident Singhammer oder Fraktionsvize Michael Fuchs, genau das mal laut und mal ganz laut für griechische Reeder gefordert haben . ({1}) Nein, Sie beschließen heute mit Ihrer großkoalitionären Mehrheit die Ausweitung der Steuerprivilegien, und zwar um weitere 50 Millionen Euro . Diese kommen jetzt zu den mindestens 200 Millionen Euro dazu, die die deutschen Reeder bereits bekommen . Was soll damit passieren? 5 739 Arbeitsplätze sollen unter deutscher Flagge gesichert werden . Das macht rund 9 000 Euro pro Jahr pro Arbeitsplatz . All das kommt zu den zusätzlichen BeVizepräsidentin Ulla Schmidt freiungen hinzu, zum Beispiel bei der Versicherungsteuer oder den bereits bestehenden drastischen Erleichterungen bei der Einkommensteuer . Meine Damen und Herren, Vizepräsident Singhammer hat im Juli 2015 getwittert: Warum soll eine Rentnerin aus München mit ihren Steuer-Euros indirekt dafür haften, dass reiche griechische Reeder zu wenig Steuern zahlen? - Ich frage Sie heute von der Union: Warum soll eine Kassiererin aus Gelsenkirchen mit ihren Steuer-Euros dafür aufkommen, dass reiche deutsche Reeder zu wenig Steuern zahlen, meine Damen und Herren? ({2}) Außerdem hat die Anhörung gezeigt: Von Arbeitsplatzsicherung kann nicht die Rede sein . Der Trend zur Ausflaggung ist ungebrochen; das hatten Sie, Kollege Gutting, hier ja auch schon eingeräumt . Es gab eben keinen Verbandsvertreter, der eine Aussage darüber machen wollte, inwieweit diese Steuersubvention denn nun tatsächlich Arbeitsplätze sichert . Es gibt wie in den ganzen Jahren zuvor wieder keinerlei Arbeitsplatzzusagen der Reeder . Im Gegenteil: Mit diesem Gesetz wird sogar die bisher vorgesehene Pflicht, einen Arbeitnehmer mindestens 183 Tage zu beschäftigen, um die Subventionen zu erhalten, ersatzlos gestrichen . ({3}) Besonders absurd ist die Form der Subvention . Das Geld fließt von den Arbeitnehmern direkt an die Reeder; denn ihre Lohnsteuer fließt nicht mehr ans Finanzamt, sondern an die Reeder . Das heißt, die Seeleute bezahlen den Reeder dafür, dass er sie beschäftigt . Dieses Gesetz widerspricht im Übrigen Ihren eigenen, gerade einmal ein Jahr alten Subventionspolitischen Leitlinien . Herr Kruse - Sie sprechen ja gleich -, Sie sind ja nicht nur Hamburger, sondern auch Mitglied des Haushaltsausschusses . Deswegen möchte ich Sie noch einmal daran erinnern: Am 28 . Januar 2015, also genau heute vor einem Jahr, hat die Bundesregierung beschlossen und sich dafür gefeiert, dass Steuervergünstigungen nur noch dann in ganz seltenen Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, wenn sie nachweisbar zielgenauer sind als direkte Subventionen . ({4}) Aber in diesem Fall ist das Gegenteil der Fall . ({5}) Das hat Ihnen auch der Bundesrechnungshof bestätigt . Aber er hat es noch drastischer und schlimmer formuliert . Der Bundesrechnungshof nennt die Regelung „verfassungsrechtlich bedenklich“, nicht zielgenau und außerdem „anfällig für Missbrauch“ . Wer Texte des Bundesrechnungshofs kennt, weiß: Eine schlimmere Ohrfeige kann man sich eigentlich nicht vorstellen . Deswegen, meine Damen und Herren, kann man diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen . Man muss ihn ablehnen . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön . - Nächster Redner ist Dr . Jens Zimmermann, SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Jens Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der auf eine Initiative des Bundesrates zurückgeht . Wir wollen - das ist schon gesagt worden - die deutsche Seeschifffahrt stärken, und wir wollen damit Arbeitsplätze und seemännisches Know-how sichern . Liebe Frau Kollegin, Sie sind über die 5 000 Arbeitsplätze mit einem Federstrich hinweggegangen . Also ich finde, 5 000 Arbeitsplätze - das ist schon etwas. Und denken wir einmal an die Anhörung zurück: An dieser hat ein relativ unverdächtiger Sachverständiger von Verdi teilgenommen, der die vorgesehene Gesetzesregelung ausdrücklich begrüßt hat . Möglicherweise hat das daran gelegen, dass es auch um den einen oder anderen Arbeitsplatz geht . Die Expertinnen und Experten, die die Opposition aufgeboten hat, haben letztendlich gesagt: Na ja, dann geht diese Branche in Deutschland eben kaputt . Da kann man nichts machen; dann sind die Arbeitsplätze weg . - Das gehört zur Diskussion eben auch dazu, meine Damen und Herren . ({0}) Ich will nicht bestreiten, dass wir mit den beiden Maßnahmen, die wir vorschlagen, nämlich die Anhebung des Lohnsteuereinbehalts und der Abschaffung der sogenannten 183-Tage-Regelung ordnungspolitisch auf schwierigem Terrain sind . ({1}) Jeder, der das bestreitet, macht sich am Ende etwas vor . Aber das, was angesprochen wurde, zeigt ganz deutlich, dass wir in Deutschland nicht mit einer Maßnahme vorangehen; vielmehr ziehen wir nach . Das ist ein Effekt des sogenannten Race to the Bottom . Andere Küstenländer in der Europäischen Union haben diese Maßnahmen bereits durchgeführt . Denn genau das ist ja der Grund dafür, dass Schiffe ausgeflaggt werden. Wenn immer die griechischen Reeder angeführt werden, dann müssen wir auch feststellen: Darauf müssen wir jetzt reagieren . Ich glaube, bei allen Bauchschmerzen, die wir als SPD-Fraktion mit dieser Maßnahme haben, ist für uns ganz wichtig, dass wir auch eine Befristung durchgesetzt haben . Beide Maßnahmen sind auf fünf Jahre befristet . Das gibt uns die Möglichkeit, dann zu untersuchen, welche Effekte eingetreten sind . ({2}) Denn es ist genau so, wie Sie es gesagt haben: Keiner der Experten konnte genau sagen, was am Ende passiert . Aber das ist kein Argument dafür, dass es nicht funktioniert . Es kann genauso gut funktionieren . ({3}) Fünf Jahre sind unserer Meinung nach ein angemessener Zeitraum . Danach können wir eine Evaluation vornehmen . Sollte die Regelung nicht geholfen haben, können wir sie wieder streichen . Wir müssen sie nicht einmal streichen; sie läuft nämlich aus . Das ist, glaube ich, ein vernünftiger Kompromiss an dieser Stelle . Wir als SPD-Fraktion sagen auch ganz klar: Die Reeder in Deutschland müssen jetzt auch liefern . Denn zu sagen: „Wir brauchen diese Unterstützung“, ist das eine . Aber diese Unterstützung als eine wirtschaftspolitische Maßnahme zu gewähren - so sehen wir das -, ist dann doch noch etwas anderes . Insofern glauben wir bei allen Bedenken, die wir auch in den Diskussionen zum Ausdruck gebracht haben, dass das alles in allem ein guter Kompromiss und eine sinnvolle Maßnahme ist, um die maritime Wirtschaft in Deutschland zu stärken . Wir sind nun einmal eine der stärksten Exportnationen weltweit . Dafür sind eine wettbewerbsfähige Schifffahrt, das seemännische Know-how und eine maritime Wirtschaft notwendig . Das haben wir als SPD-Bundestagsfraktion erkannt . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Der Kollege Herbert Behrens ist der nächste Redner für die Linksfraktion . ({0})

Herbert Behrens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004007, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines ist sicher: Der Beschluss heute Abend ist für die deutschen Reeder fast so etwas wie ein Sechser im Lotto . Es geht um erhebliche Summen, die hier über den Tisch gereicht werden, für ein Ergebnis, das wir heute noch nicht kennen und das möglicherweise in fünf Jahren einmal evaluiert wird . Dabei wissen wir sehr gut, wie mit einer Regelung umgegangen wird, wenn sie erst einmal Jahre in Kraft war, und was daraus folgt . Wir haben das beim Schiffserlöspool gesehen . Dieses Instrument wurde letztendlich zur Dauereinrichtung . Die Lobby der Reeder hat ein offenes Ohr beim Finanzminister und auch in der Großen Koalition gefunden. Das finden wir schlecht. ({0}) Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen Reeder künftig null Lohnsteuer an das Finanzamt abführen . Sie können sie sich vollständig in die eigene Tasche stecken . Wir haben doch Erfahrungen mit der dauerhaften Subventionierung in den vergangenen Jahren - bald sind es schon Jahrzehnte - gemacht . Wenn wir da Bilanz ziehen und uns ehrlich die Karten legen, dann sehen wir die Folgen der Subventionierung . Im Jahr 2000 waren auf Schiffen unter deutscher Flagge über 12 000 Seeleute beschäftigt . 2015 waren - so viel zur Arbeitsplatzsicherheit - nur noch knapp über 8 000 deutsche und ausländische Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge tätig . Die Zahl der Schiffe sank im gleichen Zeitraum unter die Grenze von 400 . Wir sind jetzt bei 350 angekommen . Das heißt, nur noch rund die Hälfte der Schiffe, die früher unter deutscher Flagge gefahren sind, sind heute unter deutscher Flagge zu finden. Auf den ausgeflaggten Schiffen arbeiten die Seeleute zu schlechteren Bedingungen als die Kolleginnen und Kollegen auf Schiffen unter deutscher Flagge . ({1}) Nur noch 53 der über 300 Reedereien in Deutschland bilden aus . Dieser Niedergang der deutschen Seeschifffahrt kostet den Bund Milliarden . ({2}) Allein bei der Tonnagesteuer sind in den letzten sieben Jahren 4,7 Milliarden Euro zur direkten Subventionierung der Reeder über den Tisch gegangen . Das Ziel war, Arbeitsplätze zu erhalten, Arbeitsplätze zu sichern . Das wurde nicht erreicht . Das Gegenteil ist eingetreten . In Zukunft sollen die Reeder also nicht nur 40 Prozent einbehalten können, sondern 100 Prozent - alles in der Hoffnung, mehr Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen zu erhalten . Aber solche Subventionen haben nicht zu mehr, sondern zu weniger Beschäftigung geführt, wie ich eben gesagt habe . Angeblich sollen mit mehr Geld für die Reeder Wettbewerbsnachteile abgebaut werden . Ja, Dänemark, Italien, Malta und auch Portugal, wohin sich zunehmend deutsche Reeder mit Briefkastenfirmen flüchten, gewähren in der Tat großzügigere Bedingungen . Aber der Rest ist Seemannsgarn . Selbst griechische Reeder führen 10 Prozent pauschal für ihre Seeleute ab . Das ist skandalös wenig, und es macht deutlich, dass hier ein enormer Subventionswettbewerb in Richtung Race to the Bottom, wie eben schon einmal gesagt wurde, auf den Weg gebracht worden ist . Das ist augenscheinlich das einzige Ziel, das dahintersteckt . Die Reeder haben das Drehbuch vorgeschrieben . Wir wissen nicht, was noch alles kommt, welche Forderungen noch erfüllt werden sollen . Wir befürchten, dass eben nicht das eintritt, was gerade gesagt wurde, nämlich dass die Reeder zuverlässig sagen: Ja, für diese Subventionen wird es künftig mehr Schiffe unter deutscher Flagge geben . Es wird mehr Arbeitsplätze, mehr Ausbildungsplätze geben . - Davon ist nichts zu hören . Die Reeder halten sich da bedeckt, kassieren und machen nichts . Auch die Linksfraktion will das maritime Know-how in unserem Land halten . Deshalb wollen wir eventuell gezahlte Zuschüsse und Subventionen von verbindlichen Zusagen abhängig machen . Ausbildungsplätze fördern? Ja, wenn reale Ausbildungsplätze vorhanden sind . ({3}) Aber Steuervorteile dürfen nicht pauschal gewährt werden mit dem Ziel, die Reeder weiter zu entlasten . Die Linke fordert also, Steuerbegünstigungen in dieser Form ganz fest an Zusagen zu binden . Wenn wir - letzter Satz - das bei anderen Wirtschaftsbranchen ähnlich machen wollten, dann hätten wir ein richtiges Problem . Ein Bäckermeister zahlt natürlich das wurde schon erwähnt - die Lohnsteuer für seine Angestellten an das Finanzamt - ganz klar . Auch Maschinen- und Anlagenbauer, die ins Ausland exportieren und unter internationalem Druck stehen, zahlen sie . Wenn sie es nicht tun, nennt man das Steuerhinterziehung . Das, was die Reeder hier machen, ist Steuerhinterziehung unter staatlichem Schutz . Das akzeptieren wir nicht . Das ist ein Skandal und ein gefährlicher Präzedenzfall für die Wirtschaftspolitik insgesamt . Vielen Dank . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rüdiger Kruse . ({0})

Rüdiger Kruse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004083, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja immer ganz nett, wenn man das so drastisch hört . Aber kann man Steuern hinterziehen, wenn die Steuer gar nicht erhoben wird? ({0}) - Nein, kann man nicht . Also insofern: Nehmen Sie den Begriff doch einfach heraus! Und wenn Sie immer vom Kassieren sprechen, will ich einmal auf die Tonnagesteuer hinweisen: Im Augenblick ist kein Reeder froh über die Tonnagesteuer . Im Augenblick würde er lieber seinen Gewinn besteuern lassen; denn er kriegt keinen . ({1}) - Ja, Entschuldigung, man muss auch alle Freuden und Leiden betrachten . - Wenn Sie hier als Argument anbringen, die Reeder haben doch die Tonnagesteuer, denen geht es doch gut genug, dann sage ich Ihnen: Nein, denen geht es nicht gut, und die Tonnagesteuer hilft ihnen im Augenblick gar nicht . ({2}) Wir reden auch nicht über Gewinnmaximierung . Wenn Sie einen Bulker haben, also um zum Beispiel Erze zu fahren, und für diesen Bulker 40 000 Dollar Charter am Tag brauchen, aber zurzeit nur 4 000 Dollar kriegen: Wo ist da die Gewinnmaximierung? - Sie ist überhaupt nicht da . Gut, Sie haben von einem Race to the Bottom gesprochen . Ja, richtig, wir haben keine Lust, dass der Schifffahrtsstandort Deutschland dieses Rennen verliert . Wenn in Europa und sonst wo die Bedingungen so gemacht werden, dass wir unsere Reeder gleichstellen müssen, dann werden wir das eben tun . ({3}) Wir haben uns entschieden, dass Schifffahrt für uns keine Romantikveranstaltung ist . Ich würde Ihnen völlig recht geben, wenn wir jetzt sagten, Deutschland sei ein Reiseziel, und da müssten nur ein paar Schiffe im Hafen liegen . Das könnten wir dann mit unseren Museen machen, und dann reichte es auch, wenn uns einmal eine andere Linie besucht . Wir haben uns entschieden, dass es für uns wichtig ist, eine Schifffahrtsnation zu sein . Dazu gehören Werften, dazu gehören Reedereien und dazu gehört nautisches Personal . Wir wissen auch, dass es ein Wert ist . Es wird ja nicht so sein, dass es keine Reeder mehr gibt, wenn es die deutsche Flagge nicht mehr gibt, gar keine Frage. Die gibt es dann natürlich noch; die flaggen dann halt aus . Aber es gibt dann irgendwann nicht mehr das an Deutschland gebundene Know-how . Das hätte einen großen Nachteil . ({4}) Vor dem Hintergrund der Analyse sagen wir uns, dass wir, die wir eine Handels- und Exportnation sind, auch in der Logistikkette Schiffe brauchen . Eine Logistikkette ohne Schiffe funktioniert nicht . Selbst die Grünen möchten ja nicht, dass alles per Lkw gefahren wird . ({5}) Also ist es wohl schon ganz gut, wenn wir auch deutsche Reedereien haben . ({6}) Von daher haben wir als Koalition bei der Vorbereitung gesagt: Gut, wir fragen jetzt bei jeder Branche, was geschehen muss, damit wir eine führende Schifffahrtsnation bleiben . Wir haben natürlich auch mit den Reedereien und den Gewerkschaften gesprochen, und wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass wir eine Gleichstellung im Wettbewerb brauchen . ({7}) Da muss man ja gar nicht so weit weg gehen . Auch schon Nachbarländer bieten deutlich bessere Konditionen . ({8}) Da ziehen wir jetzt nach, und es wird sich folgendermaßen verhalten: Mit jedem Schiff, das umgeflaggt wird und das wird kommen -, stehen wir besser da, und Sie stehen ein bisschen tiefer im Schlick . Zu Recht . Danke . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Dr . Birgit Malecha-Nissen . ({0})

Dr. Birgit Malecha-Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wir nehmen keine deutschen Seeleute, die sind zu teuer“, diese Antwort bekommen nautische Hochschulabsolventen immer öfter bei ihrer Jobsuche zu hören . Das bringt das Problem auf den Punkt: Die deutsche Seeschifffahrt ist in Seenot geraten . Von 2 850 Schiffen der deutschen Handelsflotte fahren aktuell weniger als 200 international unter deutscher Flagge . Mit jedem Schiff, das Deutschland verloren geht, verlieren wir auch Arbeitsplätze und damit langfristig das vorhandene Potenzial, unser Know-how in einer für uns so wichtigen Zukunftsbranche . Eines ist völlig klar: Die weitere Ausflaggung deutscher Schiffe muss gestoppt werden . Um den Schifffahrtsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken, hat der Bund in den vergangenen Jahren bereits viele wichtige Weichen gestellt . Es wurden hier ja auch schon viele genannt . Leider konnten diese Maßnahmen den bisherigen Trend zu weiteren Ausflaggungen nicht aufhalten . Deshalb wird es höchste Zeit, dass auch wir - wie unsere europäischen Nachbarn - die Möglichkeiten nutzen, die uns die EU-Kommission in der Beihilfeleitlinie für den Seeverkehr bietet . Und das ist die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 auf 100 Prozent für Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge ebenso die Abschaffung der sogenannten 183-Tage-Regelung . Beide Maßnahmen wollen wir bis Ende 2020 zeitlich begrenzen . Dadurch geben wir dem Gesetzgeber zeitnah die Möglichkeit, eine umfassende Bewertung der Maßnahmen vorzunehmen . Damit haben wir geliefert . Jetzt sind auch die Reeder gefragt . Es braucht klare und verbindliche Zusagen für Ausbildungsplätze und Beschäftigung, für sozialverträgliche und tarifgebundene Arbeitsverträge . Nur so sichern wir langfristig die Beschäftigung und das maritime Know-how am Standort Deutschland . ({0}) Nur so bieten wir den jungen Absolventen der Hochschulen, den Nautikern, einen erfolgreichen Start ins Berufsleben . Kontraproduktiv in diesem Verfahren sind für mich auch die Pläne des Ministeriums zur Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung . ({1}) Die geplante Reduzierung auf weniger als die Hälfte der Beschäftigten - hier nenne ich insbesondere den Wegfall des Schiffsmechanikers - ist nicht zielführend; ({2}) denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir brauchen, ist die Sicherung von Arbeitsplätzen und nicht den weiteren Abbau . Deswegen machen wir das heute . Vielen herzlichen Dank . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes- rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Ein- kommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteuerein- behalts in der Seeschifffahrt . Dazu liegen mir mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1) Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 18/7268, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/6679 in der Aus- schussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- ter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand . Der Ge- setzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa- che 18/7378 . Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsan- trag ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal- tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur No- vellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß 1) Anlage 8 § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften Drucksache 18/7244 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Gesundheit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, dass Sie alle damit einverstanden sind .1) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7244 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der prüfungsbezogenen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU sowie zur Ausführung der entsprechenden Vorgaben der Verordnung ({1}) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse ({2}) Drucksache 18/7219 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({3}) Finanzausschuss Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe hier allgemeines Einverständnis . Dann verfahren wir so .2) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7219 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf - es ist der letzte Tagesordnungspunkt, zu dem heute eine Aussprache vorgesehen ist -: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung 2030-Agenda konsequent umsetzen Drucksache 18/7361 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({4}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Haushaltsausschuss 1) Anlage 10 2) Anlage 11 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Da ich keinen Widerspruch erkennen kann, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort für die Bundesregierung dem Parlamentarischen Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel . ({5}) Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass dieser Tagesordnungspunkt heute zu einer früheren Zeit im Plenum behandelt wird; denn das, was in New York beschlossen wurde, ist für uns schlichtweg der Weltzukunftsvertrag . Der Inhalt lautet: Milliarden Menschen soll die Chance auf ein würdiges Leben eröffnet werden, ohne dabei einen ökologischen Kollaps zu provozieren . Daraus ergeben sich einige Folgerungen: Erstens . Nicht nur die sogenannten Entwicklungsländer werden sich verändern müssen, sondern auch wir; die Industrieländer werden in bestimmter Weise zu Entwicklungsländern . Der bisherige fossile Entwicklungspfad taugt nicht für weitere 7, 8 oder 9 Milliarden Menschen auf diesem Globus . Zweitens . Wir müssen zusammendenken, was nur zusammen erreicht werden kann: Armuts- und Hungerbekämpfung, Umwelt- und Klimaschutz, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und vieles mehr . Nur so können wir erreichen, dass der Frieden in dieser Welt zunimmt, und das brauchen wir . Wir sehen in der heutigen Zeit tagtäglich, welchen Problemen wir ausgesetzt sind . Deutschland kann hier natürlich einen großen Beitrag leisten; denn wir sind ein starkes Land . Unsere Herausforderung besteht insbesondere darin, diesen Beitrag zu leisten und gleichzeitig unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten . Nur ein starkes Land kann auf Dauer Leuchttürme bauen und auf diese Weise Vorbild für andere sein . Wir haben schon im vergangenen Jahr einige Weichenstellungen vorgenommen . Ich erinnere an den sehr gelungenen G-7-Gipfel in Elmau . Ich erinnere auch an die anderen großen Konferenzen . Es wurden Beschlüsse gefasst, von denen man eigentlich gar nicht erwartet hat, dass sie in dieser Deutlichkeit ausfallen, beispielsweise im Hinblick auf Hungerbekämpfung oder Verantwortung für weltweite Lieferketten, ein neues großes Thema auf dem internationalen Parkett, das gerade von uns sehr stark vorangetrieben wurde . Ich weise auch auf die Haushaltsentwicklungen - es gab einen historischen Haushaltsaufwuchs - und die Neuausrichtung des BMZ als solchem hin . Außerdem verweise ich auf die Politik, die wir nach Rana Plaza gemacht haben . Wenn die Kameras abschwenken, verschwindet normalerweise das Engagement der Politik . Wir aber haben gesagt: Nein, wir Vizepräsident Johannes Singhammer schmieden ein Textilbündnis . Am Anfang war es etwas holprig . Mittlerweile haben sich nahezu 75 Prozent des gesamten deutschen Textilmarktes diesem Bündnis angeschlossen . Das ist schlichtweg ein Zeichen, dass so etwas möglich ist . Das sollte uns auch für viele andere Aufgaben, die wir miteinander anzugehen haben, Kraft geben . ({6}) Wir arbeiten auf drei Ebenen, der innerdeutschen Ebene, der Ebene der Partnerländer und natürlich auch auf der globalen Ebene, wo es um die Gestaltung globaler Regelungen geht . Auf der innerdeutschen Ebene beträgt das Volumen der öffentlichen Beschaffungen circa 300 Milliarden Euro im Jahr . Da ist noch sehr viel Spielraum für nachhaltigeres Beschaffen, der jetzt genutzt werden muss . Das ist sehr konkret, meine Damen und Herren . Wir alle im Deutschen Bundestag entscheiden darüber, was wir an Geld zur Verfügung stellen können . Es gibt sehr aufmerksame und kritische Beobachter, beispielsweise den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der gesagt hat: Ich bin gespannt, wie stark die deutsche Politik sich dieser Agenda der Vernunft verschreiben wird . Baustellen gibt es ja genug . Da hat er natürlich recht . Unser Vorteil in Deutschland ist, dass wir bereits über eine Nachhaltigkeitsstrategie verfügen . Das ist bei weitem nicht überall auf der Welt der Fall . Das gibt uns die Chance, jetzt auf dieser Strategie aufzubauen und diese Strategie entsprechend auszurichten . Wir können uns dafür einsetzen - das ist uns ganz besonders wichtig -, dass mehr „Eine Welt“ in den gesamten Prozess einfließt, und zwar durch Indikatoren, mit denen wir die Folgen unseres Tuns für die Entwicklungschancen anderer Länder abschätzen können . Das ist neu, und das muss betrieben werden . Dabei binden wir auch die Bürgerinnen und Bürger ein, nicht erst seit heute . Minister Dr . Gerd Müller hat unmittelbar nach seinem Amtsantritt begonnen, die Politik in eine andere Richtung zu lenken . Ich erinnere hier nur an die Zukunftscharta, die mit großem Erfolg eingeführt wurde und jetzt durch das ganze Land getragen wird . Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei den NGOs dafür bedanken, dass sie an diesen Fragen so konstruktiv mitgearbeitet haben . ({7}) Es gibt kleine und große Dinge . Ich fange einmal mit etwas ganz Kleinem an . Wenn bei uns früher eine Besuchergruppe fotografiert wurde, sagte man „Cheese“, um ein Lächeln zu bekommen . Wir sagen im BMZ jetzt „SDGs“ . Die Leute fragen „Warum?“, und schon sind wir im Gespräch darüber, dass es den Weltzukunftsvertrag gibt, der von allen mitgetragen und umgesetzt werden muss . Ein anderes Beispiel . Wir beginnen, ein Ziel zu verwirklichen, das in den SDGs enthalten ist, nämlich die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen . Wir nehmen die Menschen einfach mit auf die Reisen, die wir als Leitung machen, und geben ihnen damit eine völlig neue Chance, ihre Anliegen selbst zu vertreten . Wir zeigen damit auch, dass diese Bundesregierung an ihrer Seite steht . Unsere bisherigen Bemühungen auf diesem Gebiet sind also außerordentlich erfolgreich . Wir haben auch ansonsten genügend Instrumente, die wir einführen und weitertragen können und mit denen wir den anderen große Hilfestellungen geben können; das wollen wir auch tun . Wir wollen als BMZ, was die Gesamtdiskussion in Deutschland und was die Beteiligung der Ministerien betrifft, in der ersten Reihe stehen . Das ist unser Anspruch, und darauf werden wir unsere Arbeit ausrichten . ({8}) Wir sind auf vielen Gebieten tätig . Ich möchte noch kurz darauf hinweisen, dass wir uns mit den anderen und für die anderen sehr stark für den Aufbau von Steuersystemen einsetzen . Das hat eine viel größere Bedeutung, als viele glauben . Wir wollen unser Engagement in diesem Bereich bis 2020 verdoppeln . Die OECD sagt nämlich: 1 Dollar, der in Steuersysteme investiert wird, bringt 100 Dollar Steuereinnahmen . Das müssen wir jetzt miteinander auf den Weg bringen . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass wir in viel stärkerem Maße das auf der ganzen Welt vagabundierende Geld für die Ziele der Nachhaltigkeit an unsere regionalen Entwicklungsbanken binden müssen . Wir brauchen neue Finanzformate und neue Finanzprodukte, um diese Ziele zu erreichen . ({9}) Wir werden demnächst mit der großen Tagung der Asiatischen Entwicklungsbank in Frankfurt am Main einen ersten, ganz konkreten Anfang machen . Ich darf zum Schluss darum bitten, dass wir eine sachliche Diskussion miteinander führen, dass wir das Verbindende, das bei den Nationen weltweit zum Ausdruck gekommen ist, in unseren Diskussionen im Lande auch spüren lassen . Insoweit sind wir der Überzeugung, dass wir die Chance haben, einen sehr guten Beitrag zu leisten . Ich darf Ihnen ganz klar sagen: Diese Koalition ist sich ihrer Verantwortung bewusst . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Birgit Menz . ({0})

Birgit Menz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004619, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel mit ihren 17 Zielen ist auch deshalb ein Erfolg, weil sich die Länder des globalen Südens in den Diskussionsprozess stärker einbringen konnten, als dies in der Vergangenheit der Fall war . Die SDGs sprechen im Gegensatz zu den MDGs auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Entwicklung an und nennen mitunter sehr klare Umsetzungsmaßnahmen: etwa die Förderung von Kleinproduzenten - darunter insbesondere Frauen, Indigene, Kleinbauern, Hirten und Fischer -, unter anderem auch durch die Abschaffung von Exportsubventionen, Handelsbeschränkungen und -verzerrungen auf den globalen Agrarmärkten; den Ausbau nachhaltiger Infrastruktur in den Entwicklungsländern, unter anderem durch den verstärkten Transfer von Umwelttechnologien zu günstigen Bedingungen; den Abbau von Ungleichheiten zwischen den und innerhalb der Gesellschaften, zum Beispiel durch die Senkung der Transaktionskosten für Rücküberweisungen, durch eine stärkere Repräsentation der Länder des globalen Südens in den internationalen Institutionen und durch die Verringerung von Einkommensunterschieden; das Erreichen nachhaltiger Produktions- und Konsumweisen unter anderem durch die Rationalisierung ineffektiver Subventionierung fossiler Brennstoffe und eine Umstrukturierung der Besteuerung . Für die konsequente Umsetzung der SDGs, die Sie in Ihrem Antrag ganz richtig fordern, muss eine weitere Spezifizierung geleistet werden. Dazu kann ich aber in Ihrem Antrag nichts lesen . Stattdessen bekräftigen Sie lediglich die Ziele, auf die sich Deutschland ohnehin schon verständigt hat, und richten eine Reihe allgemeiner Forderungen an die Bundesregierung, die diese längst selbst als Anspruch an sich formuliert . So fordern Sie die Bundesregierung auf, ihren politischen Willen, „die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung in die breite Politikgestaltung auf allen Ebenen zu tragen“, deutlich zu formulieren und durch entsprechende Maßnahmen zu unterstützen, ordnen aber diese geforderte Entschlossenheit sofort den „haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundesregierung“ unter und damit der propagierten austeritätspolitischen Alternativlosigkeit, die sich in den letzten Jahren nicht gerade als hilfreich erwiesen hat, um die Nachhaltigkeit in ihren drei Dimensionen, insbesondere auch in ihrer sozialen Dimension, zu fördern . Eine konsequente Umsetzung der SDGs wird aber auch davon abhängen, ob ausreichend finanzielle Mittel bereitgestellt und weitere Ressourcen mobilisiert werden, um die Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, ihre Verschuldung abzubauen . Die SDGs enthalten die klare Handlungsaufforderung - auch an die Bundesregierung -, die politischen Weichen in der Außen- und internationalen Wirtschafts- und Handelspolitik neu zu stellen . In diesem Zusammenhang stimmten aber schon die Ergebnisse der dritten internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im Juli 2015 wenig hoffnungsvoll . Die reichen Industriestaaten schmetterten Vorstöße der G 77 für eine gerechte soziale Entwicklung ab und zielten stattdessen auf die Eigeninitiative der armen Länder und einen stärkeren Beitrag privater Unternehmen . Auch in Ihrem Antrag ist an keiner Stelle die Rede von einer Abschaffung der gerade für Entwicklungsländer extrem schädlichen Subventionen, etwa im Agrarbereich . An keiner Stelle findet sich eine Aussage zur deutschen oder europäischen Handelspolitik oder eine Aussage zu einem gerechten globalen Steuersystem auf der Basis gleichberechtigter Mitbestimmung der Entwicklungsländer im Kontext der Vereinten Nationen . Das ist kein glaubwürdiges Eintreten gegen Steuerflucht. ({0}) Mehr soziale Gerechtigkeit als Grundlage für nachhaltige Entwicklung weltweit wird ohne Umverteilung von Reichtum und eine Demokratisierung der globalen politischen Strukturen nicht möglich sein . Vor allem aber müssen wir die Frage von sozialer Gerechtigkeit gemeinsam mit der Friedensfrage diskutieren . Es waren gerade die Interventionen und Kriege des Westens in den vergangenen Jahren, die für Elend und Armut, für Millionen von Flüchtlingen und verlorene Zukunftsperspektiven verantwortlich sind . Diese Zusammenhänge nicht nur, wie von Ihnen gefordert, zu verdeutlichen, sondern sie durch klare Handlungsaufforderungen in eine kohärente und verantwortungsvolle Politik zu übersetzen, verlangt mehr Konsequenz, als in Ihrem Antrag zu erkennen ist . Vielen Dank . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter . ({0}) Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ein wenig irritiert durch Ihre Rede, Frau Menz . Die 2030-Agenda, die die Staats- und Regierungschefs im September letzten Jahres in New York beschlossen haben - und die G 77 waren dabei -, ist ein Meilenstein für einen weltweiten Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise . Es hat in den Verhandlungen viel Überzeugungskraft gefordert, dass alle mit im Boot sind . Deshalb noch einmal zur Erinnerung: Auch die G 77 waren dabei . Nachhaltigkeit soll gemäß dieser Agenda zum Grundprinzip politischer Entscheidungen sowie aller gesellschaftlichen Handlungen werden; denn beides hängt eng zusammen, sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industrieländern . Die Umsetzung der Agenda erfordert eine intensive Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte . Gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den NGOs, mit den Akteuren verfolgt die Bundesregierung unter Federführung von BMUB und BMZ das Ziel einer wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung in Deutschland selbst und ist bereit, andere Länder hierbei zu unterstützen . Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die das Herzstück der 2030-Agenda bilden - es gibt auch noch 169 Unterziele -, fordern ein Umsteuern aller Staaten hin zu einer umweltverträglicheren, sozial inklusiven Wirtschaftsweise . Sie fordern menschenwürdige Arbeit für alle, den Schutz von Arbeitnehmer- und Menschenrechten und ein verantwortungsvolles, umweltschonendes Wirtschaften entlang der Produktions- und Lieferkette . ({1}) Die Produktions- und Lieferkette ist das eine, unsere Konsummuster sind das andere . Beides gehört zusammen, und deshalb ist auch die Gesellschaft gefordert . Deutschland fängt hier nicht bei null an, kann aber insbesondere im Bereich nachhaltiger Produktions- und Konsummuster noch viel mehr erreichen . Hier ist noch viel Luft nach oben . Deshalb hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen stärker von der wirtschaftlichen Entwicklung zu entkoppeln, die Effizienz fortlaufend zu steigern und die Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen weiter zu reduzieren . Wir wollen, dass Deutschland zu einer der effizientesten und umweltschonendsten Volkswirtschaften weltweit wird . Das ist nicht nur ein Regulatorium . Dadurch sorgen wir auch dafür, dass Deutschland international wettbewerbsfähig bleibt . Ich will hier noch einmal den Blick auf den Konsum werfen . Wir wollen ein Nationales Programm für Nachhaltigen Konsum Ende Februar im Kabinett verabschieden . Es ist unser Anliegen, nachhaltigere Lebensstile und etablierte Umweltsiegel, zum Beispiel den Blauen Engel, der ein gutes und etabliertes Siegel ist, zu stärken und weiterzuentwickeln, sodass sich Verbraucher daran orientieren und tatsächlich nachhaltig konsumieren können . Die Umsetzung der 2030-Agenda wird aber nur gelingen, wenn wir wissen, wo wir stehen und wie die Umsetzung gelingt . Deswegen sind wir in New York dafür eingetreten, dass wir einen robusten und effizienten Überprüfungsmechanismus einsetzen . Dieser wird sich in politisch hochrangigen Foren, im HLPF der UN, in jedem Jahr angeschaut . Um unseren Anspruch an einen solchen Überprüfungsmechanismus zu unterstreichen, gehen wir mit gutem Beispiel voran . Wir werden im Juli beim nächsten HLPF schon einmal darüber berichten . Wir sind die Ersten . Das heißt, die Welt wird auf uns schauen und darauf, was wir liefern . Wir können nicht nur von anderen die Erfüllung der Ziele einfordern . Die Welt wird sich ansehen, wie wir das meistern und wie erfolgreich wir sind . Mit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie haben wir ein gutes Instrument, das ein wesentlicher Rahmen für die Umsetzung der globalen Ziele der Agenda durch Deutschland und in Deutschland ist . Sie wird bis Oktober 2016 in einem Dialogprozess weiterentwickelt und sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen orientieren . Eines ist klar: 2016 muss mit der Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda begonnen werden; denn der Kurswechsel, der auf dem Gipfel in New York im vergangenen Jahr beschlossen wurde und den wir alle gemeinsam erreichen wollen, ist überfällig . Wir wollen die extreme Armut beenden sowie die Ungleichheit, die Ungerechtigkeit und auch den Klimawandel bekämpfen . Hierbei war es im vergangenen Jahr durchaus ein wichtiger Etappenschritt, dass der Klimagipfel in Paris so erfolgreich vonstattenging . Zudem wollen wir nachhaltige Produktions- und Lebensweisen sowie nachhaltige Konsummuster durchsetzen . Ich danke herzlich . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Dr . Valerie Wilms .

Dr. Valerie Wilms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004190, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die letzten zwei Besucher haben uns auch verlassen . Insofern sollten wir nächstes Mal vielleicht einmal schauen, dass wir ein so wichtiges Thema zu einer etwas früheren Zeit behandeln, werte Kolleginnen und Kollegen von der GroKo . ({0}) Das sehen auch Herr Fuchtel und Frau SchwarzelührSutter so . Also: Ran da! Frau Staatssekretärin, na klar, wir brauchen den Kurswechsel, und zwar dringend . Wir müssen uns auch endlich einmal wieder ernsthaft mit der Neufassung der Nachhaltigkeitsstrategie beschäftigen; denn darin stehen auch Ziele, die schon abgelaufen sind . Andere enden 2020; das ist nicht mehr lange hin . Insofern: Ran, ran, ran! Ich bin glücklich, dass mit diesem Antrag klar geworden ist, dass sich auch die Koalition hier im Parlament einmal mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen muss . Bisher haben Sie das nur über Anträge aus der Grünenfraktion getan; wir haben Ihnen da schon einiges vorgelegt . Die Beschäftigung des gesamten Parlaments zu diesem relativ frühen Zeitpunkt - die Verabschiedung der Ziele ist kaum ein halbes Jahr her - ist wichtig, richtig und dringend nötig . ({1}) An der Umsetzung der SDGs sind alle Ministerien beteiligt . Da wäre es ein fatales Signal, wenn sich im Parlament nur der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit damit befasst . Ich sitze nicht im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung . Insofern haben wir das jetzt schon etwas weiter gefasst . Werte Kolleginnen und Kollegen, gleich zu Beginn steht in Ihrem Antrag allerdings ein Absatz, der mir doch sehr zu denken gibt . Sie schreiben über die 2030-Agenda - ich zitiere -: „Sie ist dementsprechend keine reine Entwicklungsländeragenda“ . Stimmt! Aber was soll uns das sagen? Natürlich sind die SDGs keine reine Entwicklungsländeragenda . Auch in Deutschland gibt es auf dem Weg zur Nachhaltigkeit noch viel, viel zu tun . Natürlich findet sich im Antrag auch die Forderung, die Fortentwicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie auf die Umsetzung der SDGs auszurichten . Alles Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter andere, liebe Kolleginnen und Kollegen, wäre ja auch abwegig - obwohl man bei dieser GroKo nicht so genau weiß, was da eigentlich läuft . Sie haben ja noch eine Parallelwelt nebenher laufen, „Gut leben in Deutschland“ genannt . Was Sie da machen wollen, ist ja auch eine Art Strategie . Aber so weit zu gehen, nun alle nationalen Nachhaltigkeitsziele mindestens bis 2030 fortzuschreiben, das trauen Sie sich in diesem Antrag dann doch nicht . Dabei wäre ja gerade das essenziell . Es ist doch so, dass es momentan an der konsequenten Fortschreibung aller Ziele bis 2030 mangelt . Richtig erkannt hat die Koalition endlich, dass die 2030-Agenda einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen leisten kann . Nur bricht der Antrag an dieser Stelle leider unvermittelt ab . Wie sollen Fluchtursachen wirksam bekämpft werden? Da ist von Ihnen nichts zu lesen . Kleiner Tipp: Lesen Sie doch mal unseren Antrag mit der Drucksachennummer 18/7046 . Da finden Sie eine ganze Reihe Hinweise, wie man so etwas machen kann . Werte Kolleginnen und Kollegen, besonders frech finde ich das Lob für die Bundesregierung bezogen auf den G-7-Gipfel . Da gab es einen Beschluss über die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft . Dass allerdings direkt danach die geplante Kohleabgabe für Braunkohlekraftwerke wieder einkassiert wurde, wird in Ihrem Antrag mit keinem Wort erwähnt . Leider ein typisches Beispiel für die Dialektik Ihrer Politik: heute hü und morgen hott . Nachhaltige Politik sieht anders aus . ({2}) Ich bin leider schon am Ende meiner Redezeit . Darum nur noch ein kurzer Hinweis . Ich zitiere noch einmal aus Ihrem Antrag . Da steht: Die nationale Umsetzung muss sich in die haushalts- und finanzpolitischen Vorgaben der Bundesregierung einfügen Wird das wirklich ernst genommen? Dann wären ja größere Umwälzungen im nächsten Haushalt zu erwarten, ja dann stände uns hier im Haus eine kleine Revolution bevor - im Haushaltsausschuss . Toll! Ich sehe hier aber keinen Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, und ich halte das für schwer vorstellbar . Nötig wäre es natürlich . Denn die Haushalts- und Finanzplanung ist, wie Sie ja nun endlich selbst erkannt haben, der Schlüssel zu einer mehr oder eben weniger nachhaltigen Politik . An Ihren Versprechungen, werte Kolleginnen und Kollegen, werden wir zukünftig die Haushaltsentwürfe messen . Darauf können Sie sich verlassen . Vielen Dank, dass Sie mir so aufmerksam zugehört haben . ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Bärbel Kofler für die SPD. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass ich an einigen Stellen auch von Ihnen, Frau Wilms, durchaus lobende Töne zu dem Antrag vernehmen konnte . Es ist richtig: Dieser Antrag ist ein erster Aufschlag . Ich darf daran erinnern: Die Konferenz in New York war im September letzten Jahres, und die Klimakonferenz in Paris war im November/Dezember . Ich finde, dass wir uns relativ zügig darum bemüht haben, hier erste Ansätze für eine Umsetzung vorzulegen . ({0}) Und ich darf Sie auch beruhigen: Es kommt sicher noch mehr . Da brauchen Sie keine Angst zu haben . Wir werden vielleicht noch gemeinsam das eine oder andere Spannende erarbeiten . Diese Debatte bietet Gelegenheit, über die Konferenzen des vergangenen Jahres ein bisschen zu reflektieren: Was waren die wichtigen Punkte? Was waren die Punkte, von denen wir wissen, dass wir nachsteuern müssen und es noch Handlungsbedarf gibt? Bei den SDGs - das ist das Entscheidende - kommt es jetzt auf die Umsetzung an . Es kommt darauf an - das ist nicht trivial -, hineinzuschreiben, dass wir unsere nationale Nachhaltigkeitsstrategie auf internationale Bereiche ausweiten müssen . Ich habe irgendwann einmal gelernt, dass es das Manko der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist, dass wir uns viel zu wenig auf die internationale Ebene begeben . Was in den SDGs zu Recht eingefordert wird, ist Universalität . Es geht nicht nur darum, dass wir in Deutschland irgendetwas ein bisschen besser machen, sondern auch darum, die Wechselwirkungen zwischen dem, was in Deutschland passieren muss, und dem, was international passieren muss - seien es Handelsfragen, die Fragen der Arbeitnehmerrechte, die im Übrigen im Antrag ausführlich angesprochen werden, oder die Frage der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen -, besser zu berücksichtigen und mehr dafür zu tun, dass wir wirklich vorankommen und die Menschen nachhaltig aus der Armut herausführen . Das ist ein entscheidender, ganz wichtiger Punkt . Ich glaube auch, dass wir bei den Finanzfragen - ich nenne die Konferenz von Addis Abeba - noch nachlegen müssen; das ist überhaupt keine Frage . Wir haben uns im Zusammenhang mit ODA nicht zu dem verpflichtet, was wirklich ganz schnell zu einem Aufwuchs und zur Unterfütterung dieser Ziele führt . Wir werden noch viel tun müssen . Ich finde es gut, dass es eine Initiative zum Thema „Aufbau der Steuersysteme in den Entwicklungsländern“ gibt . Da werden wir eine ganze Menge und noch viel mehr tun müssen . Ich freue mich auf die Debatte im und mit dem Finanzausschuss, wie das Thema Steuervermeidung und Steuerhinterziehung anzugehen ist . Mittlerweile weiß jeder, der sich mit Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt und den Mbeki-Bericht gelesen hat, dass den Ländern Afrikas jährlich 50 bis 150 Milliarden US-Dollar durch Steuervermeidungskonzepte entgehen . Das sind enorme Summen, die bei der Armutsbekämpfung fehlen . Hier ist also noch viel zu tun . Das ist noch ein ganz großes Handlungsfeld . Ein Punkt ist noch nicht erwähnt worden . In dem vorliegenden Antrag ist ein Bekenntnis zur Finanztransaktionsteuer enthalten; das will ich deutlich unterstreichen . Wir fordern die Bundesregierung auf, auf europäischer Ebene alles zu tun, damit sie eingeführt wird . Wir von den Koalitionsfraktionen bekennen uns gemeinsam dazu und sagen, dass auch wir das wollen. Ich finde, das ist eine wichtige Aussage . ({1}) Wir als Entwicklungspolitiker, aber nicht nur die Entwicklungspolitiker, werden noch viel darüber diskutieren müssen, wie wir die SDGs mit unseren Partnern umsetzen . Es wird in vielen Bereichen zu einem entwicklungspolitischen Paradigmenwechsel kommen müssen . Wir werden prüfen müssen: Ist das, was wir in den verschiedensten Feldern machen, im Sinne der Nachhaltigkeitsagenda bereits genug? Oder nehmen wir manchmal falsche Weichenstellungen vor und müssen daher vielleicht einiges überprüfen und überdenken? Das wird ein wichtiger Prozess sein . Ich glaube aber auch - und das ist das Entscheidende -: Das Thema der Politikkohärenz ist für uns alle das A und O . Wir werden mit den Kollegen aus den anderen Ausschüssen darüber diskutieren müssen, wessen Aufgabe es ist, die Nachhaltigkeitsagenda umzusetzen . Sie ist eben auch die Aufgabe der Finanzpolitiker, sie ist die Aufgabe der Gesundheitspolitiker - ich denke an viele Verknüpfungen, was den Zugang zu Medikamenten und was Patentrechte anbelangt -, sie ist die Aufgabe der Wirtschaftspolitiker, sie ist die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitiker, wenn es um das Thema „internationale Arbeitsnormen“ geht, und sie ist selbstverständlich die Aufgabe der Umweltpolitiker, wenn es um Klimaschutz, den Zugang zu Wasser und anderen Ressourcen geht . Das ist eine ganz entscheidende Frage . Für all das will und soll die Entwicklungspolitik Motor sein . Dafür haben wir den vorliegenden Antrag geschrieben . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7361 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Widerspruch erhebt sich keiner . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe jetzt den letzten Tagesordnungspunkt für heute, nämlich den Tagesordnungspunkt 20, auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Zuständigkeiten von Bundesbehörden an die Neuordnung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes ({0}) Drucksache 18/7316 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({1}) Innenausschuss Haushaltsausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe hier ausschließlich Einverständnis . Dann geschieht das so .1) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7316 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Auch hier kann ich nur allgemeines Einverständnis feststellen . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Damit sind wir auch am Schluss unserer Tagesordnung angelangt . Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 29 . Januar 2016, 9 Uhr, ein . Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend . Kommen Sie morgen wieder wohlbehalten und gesund ins Plenum . Die Sitzung ist geschlossen .