Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich .
Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Hierzu hat die Bundesregierung als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze.
Dazu erteile ich das Wort für einen einleitenden Kurzbericht dem Bundesminister für Verkehr und digitale
Infrastruktur, Alexander Dobrindt . - Bitte schön, Herr
Minister .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben heute das DigiNetz-Gesetz im Bundeskabinett beschlossen . Wir machen mit diesem Gesetz einen
großen Sprung in Richtung Gigabitgesellschaft . Das DigiNetz-Gesetz soll den Ausbau digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze erleichtern und beschleunigen sowie die
Kosten senken . Das heißt, wir verleihen dem Breitbandausbau mit diesem Gesetz zusätzlichen Schwung . Wir
schaffen das, indem wir für neue Transparenzen sorgen,
was die bestehende klassische Infrastruktur betrifft . Wir
räumen Mitnutzungsrechte bei der bestehenden Infrastruktur ein und regeln Ausbauverpflichtungen neu.
Im Einzelnen bedeutet das: Wir öffnen die bestehende klassische Infrastruktur und regeln die Mitnutzung
der Rohrleitungen von Energie- und Abwassernetzen an
Straßen und Schienen . Überall dort, wo freie Kapazitäten
bestehen, wird zukünftig Telekommunikationsunternehmen die Möglichkeit gegeben, Breitbandkabel mit zu
verlegen . Das sorgt natürlich für Synergien und verbessert die Koordinierung von Bauarbeiten . Das Ganze steuern wir über eine zentrale Informationsstelle, die bei der
BNetzA angesiedelt ist . Diese Stelle kann beurteilen, ob
ein faires Entgelt berechnet wird .
Der zweite bedeutende Punkt ist, dass zukünftig Glasfaserkabel in Neubaugebieten direkt mit verlegt werden
müssen . Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um Wohngebiete oder Gewerbegebiete handelt . Selbst heutzutage
werden bei Neubauten teilweise noch immer Kupferkabel verlegt . Das ist nicht zukunftsfähig; denn damit
verbunden ist die Herausforderung des Nachrüstens und
des Umbaus . Das kann nicht das Ziel sein . Wir wollen,
dass Glasfaserkabel sofort mit verlegt werden, um das
schnelle Internet überall zu ermöglichen . Das betrifft die
Verkehrswege des Bundes übrigens genauso .
Wir haben uns drittens vorgenommen, bei Modernisierung und Neubau unserer Verkehrswege sofort Glasfaserkabel mit verlegen zu lassen . Das heißt, wo zukünftig
der Bund Bundesstraßen oder Autobahnen baut, werden
Glasfaserkabel mitverlegt . Das Gleiche gilt auch für die
Länder und die Städte, bis hin zu Radwegen . Wo der Boden aufgerissen wird und man dementsprechend in die
Lage versetzt wird, Glasfaserkabel zu verlegen, soll es
zukünftig auch gemacht werden .
Tiefbauarbeiten sind ein wesentlicher Faktor der Kosten . 80 Prozent der Kosten beim Glasfaserausbau werden
durch den Tiefbau verursacht . Mit dieser Maßnahme der
verpflichtenden Mitverlegung von Glasfaserkabeln bei
Straßenbaumaßnahmen wird dafür gesorgt, dass diese
Kosten erheblich reduziert werden . Zukünftig gilt: Jede
Baustelle bringt Bandbreite .
Wir sparen damit Milliarden . Die Schätzungen sind
sehr unterschiedlich, aber man kann sagen, dass wir zukünftig durch die Synergien einen Milliardenbetrag einsparen werden . Wir sorgen auch dafür, dass wir schneller die Infrastruktur der Breitbandtechnologie umsetzen .
Wir können das auch in unsere Gesamtstrategie gut einordnen, die aus drei Säulen besteht: zum Ersten Markt,
zum Zweiten Förderung, zum Dritten Beschleunigung .
Sie wissen, dass wir mit der „Netzallianz Digitales
Deutschland“ im letzten Jahr erfolgreich den weiteren
Ausbau der Breitbandinfrastruktur befördert haben . Wir
haben allein für dieses Jahr wieder eine Vereinbarung mit
der „Netzallianz Digitales Deutschland“ getroffen, dass
marktgetrieben von den Unternehmen 8 Milliarden Euro
in den Ausbau des schnellen Breitbandnetzes investiert
werden .
Die zweite Säule ist die Förderung . Wir haben im
November vergangenen Jahres unser Bundesförderprogramm für den schnellen Breitbandausbau gestartet . Es
handelt sich um 2,7 Milliarden Euro, die sich in 2 Milliarden Euro für das Förderprogramm und über 600 Millionen Euro für die Länder, die wir direkt an diese ausgezahlt
haben, aufteilen . Das wird sehr gut angenommen . Es gibt
bisher rund 200 Anträge für dieses Förderprogramm, für
die wir laufend entsprechende Bescheide herausgeben .
Man merkt schon an der Zahl von 200 Anträgen in der
kurzen Zeit, dass auf dieses Programm in erheblichem
Maße vonseiten der Kommunen reagiert wird . Damit
haben wir Schwung in den Breitbandausbau bekommen .
Die dritte Säule ist die Beschleunigung, die ich gerade
dargestellt habe, durch das DigiNetz-Gesetz .
Wenn man das zusammenfasst und bewertet - das
kann man auch in dem aktuellen Wirtschafts-Digitalindex nachlesen -, dann kann man sagen: Wir haben jetzt
schon eine Vorwärtsbewegung gemacht . Denn laut Wirtschafts-Digitalindex ist Deutschland bei der Infrastruktur
auf Platz 4 vorgerutscht und befindet sich jetzt vor den
USA, vor Japan und vor Spanien . Das zeigt die hohe Dynamik, die wir in Deutschland inzwischen beim Ausbau
erzeugt haben . Das gibt uns allen Anlass, mit digitalem
Selbstbewusstsein in die Zukunft zu gehen, wobei wir
auch darauf hinweisen: Jede Maßnahme kann ein Zwischenschritt hin zu einer noch moderneren Infrastruktur
sein .
Herr Minister .
Wir haben uns bis 2018 50 Mbit vorgenommen . Herr Präsident .
Nicht 50 Minuten .
({0})
Ich dachte, ich darf es umfänglich darstellen .
Nein, eben nicht .
({0})
Dann warte ich darauf, dass mir die Fragen die Gelegenheit dazu geben . Wir haben uns 50 Mbit bis 2018
vorgenommen . Das wird ein Zwischenschritt sein, den
wir aber auf jeden Fall gehen werden .
Danke schön, Herr Präsident .
Ich bedanke mich auch . - Es ist immer das gleiche
Problem, dass man in diesen fünf Minuten nicht alles
vortragen kann, was es zum Thema zu sagen gibt . Aber
die Fragen werden sicher Gelegenheit bieten, noch ergänzende Informationen nachzuliefern .
Wir beginnen mit Frau Rößner .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Vielen Dank, Herr Minister, für die Vorstellung des Gesetzentwurfs . Ich denke,
es ist richtig, dass wir die EU-Richtlinie möglichst bald
umsetzen, damit der Breitbandausbau insgesamt vorankommt .
Der erste Entwurf dieses Gesetzes wurde am 11 . September vergangenen Jahres veröffentlicht . Es erfolgten,
soweit ich weiß, sehr viele Stellungnahmen . Meine Frage - der aktuelle Text des Gesetzentwurfs liegt uns noch
nicht vor -: Wo haben Sie diese Stellungnahmen berücksichtigt? An welchen Stellen haben Sie etwas geändert,
weil Sie auf Hinweise der Verbände eingegangen sind?
Herr Minister .
Sehr geehrte Frau Rößner, dieses Gesetzespaket zeichnet sich auch durch seinen Umfang aus .
({0})
Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die viele
Rechte anderer betreffen, vor allem im Bereich der Mitnutzung . Die Verbände haben sich umfangreich zur Frage der Mitnutzung der klassischen Infrastruktur geäußert .
Es hat im Prozess der Erstellung des Gesetzentwurfs eine
Diskussion gegeben . Eine Synopse darüber, wieweit die
einzelnen Vorschläge vonseiten der Verbände Berücksichtigung gefunden haben, liegt mir nicht vor .
Klar ist aber, dass es bei der Mitnutzung nicht nur eigene Rechte gibt, sondern auch Rechte anderer, die zu
berücksichtigen sind, was auch dazu führt, dass es Ausschlusskriterien für die Mitbenutzung der klassischen Infrastruktur gibt . Diese Kriterien sind im Prozess der Erstellung des Gesetzentwurfs durchaus verschärft worden .
Frau Esken .
Herr Minister, dieser Gesetzentwurf ist ein großer
Schritt für die Umsetzung der Digitalen Agenda der
Bundesregierung und auch für die Überwindung der reBundesminister Alexander Dobrindt
gionalen digitalen Spaltung in Deutschland . Ein weiterer
wichtiger Grund für den Digital Gap in der Bevölkerung
ist die unterschiedliche Ausprägung der digitalen Kompetenz und digitalen Souveränität .
Ein anderes wichtiges Ziel der Digitalen Agenda der
Bundesregierung ist die Entwicklung einer Strategie „digitales Lernen“, der Ausbau der digitalen Bildung . Insofern meine Frage in diesem Zusammenhang: Inwieweit
spielen in diesem Gesetzentwurf und in der bisherigen
Förderstrategie der Bundesregierung der Breitbandanschluss für Schulen und andere Bildungseinrichtungen
eine besondere Rolle?
Sehr geehrte Frau Kollegin, richtig ist, dass es über die
Frage der Teilhabegerechtigkeit eine Diskussion in unserem Land gibt und dass vieles davon abhängt, ob man
Zugang zu den modernen Technologien hat oder nicht, ob
man die neuen Chancen ergreifen kann oder nicht . Diese
Diskussion findet im ganzen Land statt. Wir wissen, dass
marktgetrieben der Breitbandausbau in den Städten stärker voranschreitet als zum Beispiel in den ländlichen Regionen . Genau das erklärt unser Ziel: einen Gleichklang
der Entwicklung zustande zu bringen . Gerade dazu dient
das Breitbandförderprogramm, wie wir es im letzten Jahr
vorgestellt haben .
Ich habe allen Kommunen, Gemeinden und Landkreisen die Bitte übermittelt, sich an diesem Programm
zu beteiligen, weil es nicht nur die Chance bietet, das
50-Mbit-Ziel kommunal umzusetzen, sondern auch die
Möglichkeit eröffnet, beim Umbau hin zu einer Gigabitgesellschaft deutlich voranzukommen . Das hat natürlich
auch etwas mit dem Anschluss von Gewerbegebieten
und natürlich auch von Schulen zu tun . Wir müssen beides im Blick haben: die berufliche Bildung genauso wie
die schulische Bildung .
Ich kann jetzt nur sagen, dass wir es mit einer hohen
Akzeptanz dieses Programms zu tun haben . Wir werden
sehen, inwieweit sich dies vor Ort in den einzelnen Bereichen umsetzen lässt . Unser Ziel ist es natürlich, dass
es im Bereich aller Schulen und Bildungsstätten zu einem schnellen Breitbandausbau kommt .
Kollege Behrens .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Minister, Sie haben darauf hingewiesen, dass es jetzt darauf ankommt,
dem Breitbandausbau neuen Schub zu verleihen . Wir begrüßen es sehr, wenn Sie sagen: Künftig muss bei Neubaugebieten die digitale Infrastruktur mitgeplant werden .
Ebenso soll es bei den bundeseigenen Verkehrswegen
sein .
Wer wird der Betreiber dieses Netzes sein? Es kann
ja nicht sein, dass man sagt: „Ihr müsst bauen“, wenn
man gar keinen Vertragspartner hat . Wird die Frage, wer
sich dort als Ausbauträger präsentiert, mit in die Planung
einbezogen? Das zu erfahren, wäre für mich aus kommunalpolitischer Sicht wichtig .
Nun haben wir gerade die Schulen und bestimmte
Prioritäten als Thema gehabt . Ich denke, es ist notwendig, dass man in diesem Gesetz Prioritäten setzt und beispielsweise solche Einrichtungen besonders fördert, damit man da vorankommen kann . Hier auf den Tribünen
sitzen viele junge Leute; für die treffen wir quasi diese
Entscheidung . Von daher bitte noch einmal eine konkrete Aussage zu den Schulen und deren Anbindung an das
schnelle Internet!
Herr Kollege Behrens, die Infrastruktur, wie wir sie
jetzt aufbauen werden - beispielsweise werden Glasfaserkabel unter Bundesstraßen verlegt -, ist eine Infrastruktur, die erst einmal allen zur Nutzung zur Verfügung
steht . Das heißt, der Bund betreibt keine eigenen Inhalte,
die er auf dieser Infrastruktur transportiert . Wir geben jedem die Möglichkeit, am Schluss diese Infrastruktur zu
benutzen . Das ist das Ziel, das dahintersteht . Von daher
ist in jeder Situation spezifisch zu klären, ob es zu diesem Zeitpunkt oder zu einem späteren Zeitpunkt einen
Interessenten gibt und zu welchen Bedingungen er diese
Infrastruktur nutzen will .
Wir gehen davon aus, dass es bei der Mehrzahl der
Straßen, die wir heute bauen, sinnvoll ist, diese Infrastruktur zu hinterlegen, und dass der Großteil der Nutzungsmöglichkeiten sich erst zu einem späteren Zeitpunkt ergeben wird .
Der Anschluss der Schulen ist Teil eines Förderprogramms, nämlich des Bundesförderprogramms für den
Breitbandausbau . Das heißt, die Kommunen, die nach
unserem Förderprogramm eigene Projekte definieren
können - das kann auch Teilbereiche betreffen -, können
sich über dieses Bundesförderprogramm Quellen für den
Ausbau der Infrastruktur an Schulen erschließen .
Ich erinnere noch einmal an die Minutenregel . - Die
nächste Frage hat der Kollege Viesehon .
Herr Präsident! Herr Bundesminister! Was mich interessieren würde - neben dem Glasfaserausbau, der auf
dem Weg zur Gigabitgesellschaft längerfristig wirkt - ist,
ob es noch weitere konkrete Maßnahmen zur Beschleunigung gibt, auch zur kurzfristigen praktischen Umsetzung,
um das, was Sie schon gesagt haben, gesetzlich und von
Bundesseite her zu hinterlegen .
Lieber Kollege, ein wesentlicher Teil der Beschleunigung wird sich dadurch ergeben, dass die Investoren bei
der Bundesnetzagentur Einsicht darin bekommen können, wo klassische Infrastruktur besteht, die zur Mitnutzung in Betracht kommt .
In der Vergangenheit - um es einfach einmal darzustellen - war die Situation die, dass ein Betreiber von
Infrastruktur oder ein Telekommunikationsunternehmen
mit Ausbauplänen für eine eigene Infrastruktur eine entsprechende Verlegung beantragen musste . Das ist relativ
aufwendig, wie wir wissen . Es müssen Straßen aufgerissen werden, es müssen Bauarbeiten stattfinden und vieles
mehr .
Zukünftig wird das Erste sein, bei der Bundesnetzagentur einen Blick in den konsolidierten Atlas der klassischen Infrastruktur zu werfen, um festzustellen: Hier
gibt es Möglichkeiten, Breitbandkabel in bestehenden
Rohrsystemen zu verlegen und damit eine erhebliche Beschleunigung des Ausbaus zu erzielen, weil man sich die
Tiefbauarbeiten komplett sparen kann .
Florian Oßner .
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister,
Sie haben gerade in Ihren Ausführungen eindrucksvoll
beschrieben, dass auf den Tiefbaubereich 80 Prozent der
Kosten anfallen . Ich denke, das ist ein ganz wichtiger
Punkt des DigiNetz-Gesetzes . Für mich stellt sich die
Frage, welche konkreten Maßnahmen dieses Gesetz vorsieht, um exakt diese Kosteneinsparungen dann auch im
Konkreten zu bewerkstelligen .
Sehr geehrter Herr Kollege, die Diskussion darüber,
wie hoch das Einsparpotenzial ist, richtet sich sehr stark
daran aus, wie hoch der Anteil an Tiefbauarbeiten ist, der
künftig eingespart werden kann . Sie haben selbst darauf
hingewiesen, dass 80 Prozent der Ausbaukosten Tiefbaukosten sind .
Jetzt kann man unterstellen, dass ein kompletter Glasfaserausbau in Deutschland - so sagen es zumindest
die Institute, die Schätzungen abgegeben haben - um
die 80 Milliarden Euro kosten wird . Wenn man davon
80 Prozent nimmt, dann wären es 64 Milliarden Euro an
Kosten für Tiefbauarbeiten . Ein Gutachten geht davon
aus, dass 30 Prozent davon mit den von uns jetzt vorgestellten Maßnahmen eingespart werden können . Das
heißt, man könnte von einem zweistelligen Milliardenbetrag reden, der eingespart würde, wenn man den Ausbau
über dieses Gesetz vorantreibt .
Ich weise allerdings darauf hin, dass diese Zahlen
sich auf einen kompletten Glasfaserausbau beziehen .
Das ist aber nicht die aktuelle Situation, weil wir einen
Technologiemix haben . Das heißt, wir sind von diesen
Zahlen entfernt; momentan investieren wir bis 2018
nicht 80 Milliarden Euro, sondern eine deutlich geringere Summe .
Frau Rößner .
Vielen Dank . - Eine Vorbemerkung: Wenn man ein
Gesetz macht, das sehr stark in den Infrastrukturwettbewerb eingreift bzw . diesen regeln soll, dann sollte man
wissen, welche Stellungnahmen die einzelnen Unternehmen, die betroffen sind, abgegeben haben und wie die
Verbände darüber denken . Von daher ist es wichtig, ein
Gesetz auch im Hinblick darauf zu bewerten .
Man will die Potenziale für die Mitnutzung bestmöglich ausschöpfen . Daher frage ich Sie, warum unbeschaltete Glasfaserkabel, die sogenannten Dark Fibre, die sich
insbesondere im Besitz der Deutschen Telekom befinden,
nicht in die Definition der passiven Netzinfrastruktur eingeschlossen sind, außen vorgelassen werden und somit
nicht genutzt werden können, sodass sich der Platzhirsch
wieder durchsetzen kann . Das ist die erste Frage .
Die zweite Frage schließt an die Frage von Herrn
Behrens an: Wer ist derjenige, der bei Neubauten die
Glasfaser verlegt? Wer bezahlt das Ganze, und wer koordiniert das?
Die Aufgabe, die Glasfaserkabel zu verlegen, liegt
bei demjenigen, der beispielsweise die Straßen baut, um
einen Bereich der klassischen Infrastruktur zu nennen .
Dieser wird die digitale Infrastruktur mitverlegen . Das
ist Ziel dieses Gesetzes .
Es hat in der Tat eine Diskussion darüber gegeben, ob
man darunter lediglich die Leerrohre versteht, die verlegt
werden sollen, damit die Unternehmen selbst die Glasfaser installieren können, oder ob man davon ausgeht,
dass die Glasfaserkabel gleich mit zur Verfügung gestellt
werden .
Wenn man den Ausbau möglichst schnell vorantreiben
will, dann sollte man die Glasfaser gleich mitverlegen .
Dazu haben wir uns entschlossen . Das ist ein Kostenfaktor, der in diesem Fall vom Bund als Träger der Baumaßnahmen entsprechend mitzutragen ist und ein Teil der
Aus- oder Neubaumaßnahme der Straße wird .
Ansonsten wird es zu den Details hinsichtlich der Frage, was an Mitnutzung der Infrastruktur zukünftig möglich ist oder nicht, eine Beratung im Bundestag geben .
Ich bin sicher, dass Sie eine Abschätzung darüber, welche Infrastrukturmaßnahmen richtigerweise mit dabei
sind, in den Ausschüssen treffen werden .
Kollege Behrens .
Herr Minister, nun werden die Stadtwerke in gewisser
Weise in die Pflicht genommen, ihre Infrastruktur zu öffnen . Sie machen in dem Gesetz aber keine Vorgaben, was
den Preis anbetrifft . Ich kann mir vorstellen, dass dies ein
Stück weit zum Pokern vonseiten der Stadtwerke einlädt
und nicht zur Beschleunigung des Ausbaus führt, indem
gesagt wird: Der eine Betreiber bietet mir so viel, ein
anderer Betreiber, den ich möglichweise noch gar nicht
kenne, könnte am nächsten Tag ein höheres Angebot vorlegen .
Was war der Grund für Sie, nicht einen entsprechenden Rahmen vorzugeben, in dem sich die Gebühren zu
befinden haben, um dieses Verhalten zu verhindern?
Eine zweite Frage in diesem Zusammenhang: Was
passiert, wenn die Stadtwerke meinen, dass sie die Infrastruktur nicht nur einmal vermarkten können, sondern
auch ein zweites Mal? Das kann unter Umständen dazu
führen, dass sich die Dinge sozusagen kannibalisieren .
Es ist eigentlich nur sinnvoll, eine Infrastruktur zu schaffen . Die Förderung von anderen Geschäftsmodellen ist
mit dem Gesetzentwurf wohl nicht gemeint .
Vielen Dank . - Bezüglich der Gebührensituation haben wir uns für folgendes Vorgehen entschlossen: Es
geht darum, faire Gebühren zu erheben . Faire Gebühren
müssen zwischen den Vertragspartnern ermittelt werden .
Sie können durchaus in unterschiedlichen Regionen eine
unterschiedliche Ausprägung haben . Damit sie wirklich
fair sind und nicht durch eine unangemessene Höhe eine
Barriere bilden und einen Zugang verhindern, haben wir
sowohl eine Streitbeilegungsstelle als auch eine Informationsstelle in der BNetzA geschaffen . Die BNetzA wird
in dem Fall, dass man sich über ein faires Entgelt nicht
einig wird, tätig werden . So kennen wir dies auch in anderen Bereichen . Die BNetzA erfüllt genau diese Funktion beim digitalen Ausbau .
Sie haben das Kannibalisieren von Infrastruktur angesprochen . Wir achten sehr genau darauf, dass mit diesem Gesetz kein Überbau von bestehender Breitbandinfrastruktur entsteht . Das heißt, dort, wo versucht wird,
einen vermeintlich günstigen Überbau über eine heute
bestehende Infrastruktur zu organisieren, ist auch wieder
die BNetzA gefragt . Sie kann dann diese Mitbenutzung
der klassischen Infrastruktur für einen offensichtlichen
Überbau einer digitalen Infrastruktur untersagen .
Vielen Dank . - Weitere Fragen hierzu liegen mir nicht
vor .
({0})
- Der Kollege Jarzombek hat also noch eine Frage zu
diesem Bereich . Danach kommen wir zu den sonstigen
Fragen an die Bundesregierung .
Herr Präsident, danke für die Gelegenheit, hier noch
eine Frage zu stellen . - Wir reden derzeit sehr viel über
das Thema Gigabitgesellschaft, den Ausbau von 5G-Netzen und die notwendige Infrastruktur . Ich möchte daher
den Bundesminister gerne fragen: Inwieweit ist auch das
Teil der Überlegung der Bundesregierung bei diesem Gesetzentwurf gewesen? Wie ist die Position der Bundesregierung dazu?
Das Thema Gigabitgesellschaft findet sich natürlich
in diesem Entwurf wieder, allein schon deswegen, weil
in Neubaugebieten keine Kupferleitungen mehr verlegt
werden dürfen, sondern nur noch Glasfaserkabel . Das ist
der Weg hin zur Gigabitgesellschaft . Von daher werden
Sie aufgrund der Herausforderungen bezüglich der Investitionen, die sich ergeben, feststellen, dass das jetzige
Vorgehen, nämlich das permanente Nachrüsten an verschiedenen Stellen, in Zukunft nicht mehr in Neubaugebieten angewandt wird .
Die 5G-Frage hängt entscheidend damit zusammen,
das Echtzeitinternet auch in Deutschland zu etablieren .
Diese Frage betrifft zurzeit eher die Forschung als die
Installation, weil 5G als Anwendung noch nicht zur Verfügung steht . Wir unterstützen allerdings die Erforschung
dieser Maßnahme und der entsprechenden Entwicklungen . Dies geschieht beispielsweise bei unserem digitalen
Testfeld Autobahn . An der A9 haben wir mit Unternehmen in Teilbereichen eine Technologie installiert, die der
5G-Technologie nahekommt . Wir wollen, wenn es um
5G geht, Marktführer werden . Wir sind dort im Wettbewerb mit asiatischen Ländern . Wir legen aber Wert auf
die Feststellung, dass sich die Entwicklung dieser Technologie in Deutschland zurzeit auf einem sehr hohen
Stand befindet und sie weiter ausgebaut wird.
Jetzt rufe ich, wie angekündigt, sonstige Fragen an
die Bundesregierung auf . Dazu haben folgende Kollegen
bereits Fragen bei mir angemeldet: Herr Krischer, Herr
Gastel, Frau Wilms und Frau Mihalic - in dieser Reihenfolge . Dann nehme ich den Kollegen Beck gerne dazu,
Frau Haßelmann vielleicht auch .
({0})
Wir schauen, ob wir das in dem Zeitrahmen bewältigen
können, der zur Verfügung steht . - Bitte schön, Herr Kollege Krischer .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Herr Minister
Dobrindt, ich habe eine Frage an Sie . Sie sind in dieser
Woche wörtlich so zitiert worden:
Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir um
Grenzschließungen nicht herumkommen .
Ich finde eine solche Äußerung eines Bundesverkehrsministers sehr interessant . Ich persönlich hätte es nicht
für möglich gehalten, das im 21 . Jahrhundert zu hören .
({0})
Aber es ist ja offensichtlich so gesagt worden .
Da Sie davon sprechen, dass Sie sich darauf „vorbereiten“, habe ich folgende Frage an den Bundesverkehrsminister: Mit welchen konkreten Auswirkungen der von
Ihnen geforderten Grenzschließungen auf den Warenverkehr und den Freihandel - wir sind ja ein exportorientierHerbert Behrens
tes Land, das insbesondere im europäischen Binnenhandel extrem stark ist - rechnen Sie?
Als Bewohner einer Grenzregion, der Städteregion
Aachen, fragen mich jetzt viele der Zehntausenden Pendler, die dort über die Grenzen wechseln: Wie stellt sich
Herr Minister Dobrindt das in Zukunft vor? Wie ist in
einem zusammengewachsenen Europa eine Grenzschließung umzusetzen? Ich würde Sie bitten, mir hier über
Ihre Vorbereitung dieser Grenzschließungen und darüber,
wie Sie sich damit auseinandergesetzt haben, Auskunft
zu geben .
Bitte .
Der erste Hinweis, Herr Krischer: Wir haben darüber
heute im Bundeskabinett nicht gesprochen .
Das ist ja auch eine sonstige Frage .
({0})
Das Zweite ist: Ich freue mich ausdrücklich, dass Sie
Interviews von mir lesen, weil Sie da etwas dazulernen
können .
({0})
Dass dies jetzt hier zu einer Diskussion führt, ist vielleicht durchaus hilfreich, weil die von mir in diesem - ({1})
- Darf ich jetzt erklären, oder wollen Sie eine weitere
Frage stellen?
({2})
- Sie wollen ja offensichtlich eine weitere Frage stellen .
Ich gebe Ihnen den Hinweis, dass ich in diesem Interview, das Sie sich vielleicht einmal detaillierter anschauen sollten, nicht auf die Frage des Warenverkehrs Bezug
nehme, sondern auf eine andere Situation, die wir zurzeit
in Deutschland erleben . Somit ist eine Auswirkung auf
den Warenverkehr nicht gegeben .
({3})
Nächster Fragesteller ist Herr Abgeordneter Gastel,
Bündnis 90/Die Grünen . Bitte .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Minister, ich
habe eine ganz andere Frage . Der bundeseigene Konzern
Deutsche Bahn AG befindet sich in schwierigem Fahrwasser . Die Verschuldung steigt . Der Investitionsbedarf
ist sehr hoch . Es muss in die Infrastruktur investiert werden . Die LuFV-Mittel, die Mittel nach der Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung, reichen nicht und hängen ja
auch von der Dividende ab, die der Konzern momentan
gar nicht erwirtschaften kann . Auch in den Fuhrpark
muss investiert werden . Die DB überlegt, sich von zwei
Konzerntöchtern, DB Arriva und DB Schenker Logistics,
zumindest in Teilen zu trennen . Es gibt aber einen Beteiligungsvertrag aus dem Jahr 2008, der vorsieht, dass der
Bund einen Großteil der entsprechenden Erlöse bekäme,
wenn sich die DB AG dazu entscheiden sollte . Neben der
Antwort auf die Frage, wie Sie den Zustand der DB allgemein bewerten, möchte ich von Ihnen wissen, ob die
Bundesregierung plant, den Beteiligungsvertrag mit der
DB AG durch einen neuen Beteiligungsvertrag abzulösen, damit der Erlös tatsächlich der DB und damit der
Schiene zugutekäme .
Herr Minister .
Erstens, Herr Gastel, sei darauf hingewiesen, dass wir
mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit
der Deutschen Bahn eine Rekordsumme an Investitionen
zur Verfügung gestellt haben, die es in früheren Zeiten so
nie gegeben hat; jetzt ist es deutlich mehr .
({0})
Die Gesamtsumme von 28 Milliarden Euro ist nicht
per se, so wie Sie es formulieren, zu wenig oder nicht
ausreichend, um die Deckung des Bedarfs an Investitionen in das bestehende Schienennetz zu garantieren .
Nach unserer Ansicht sind die enormen Investitionen in
das bestehende Schienennetz durch die Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung gesichert .
Nichtsdestotrotz - das ist eine andere Situation, der
Bereich der Schiene ist das eine; ich glaube, Sie wissen
sehr genau, wie der integrierte Konzern funktioniert geht es bei der DB darum, dass wir den Bereich des
Personenverkehrs und des Güterverkehrs zukunftsfähig
ausrichten . Dazu können zusätzliche Investitionen erforderlich sein . Der Konzern überlegt, eigene Mittel durch
Umstrukturierung zur Verfügung zu stellen . Das halte ich
für richtig und positiv, und ich begleite dies auch positiv .
Ob dafür rechtliche Änderungen nötig sind, wird man
sehen .
Schönen Dank . - Frau Dr . Wilms, Bündnis 90/Die
Grünen . Bitte .
Herzlichen Dank, Herr Präsident . - Ich möchte eine
Frage zu einem Thema stellen, Herr Bundesminister
Dobrindt, das heute garantiert nicht Thema Ihrer Kabinettssitzung war . Es geht um das Arbeitsprogramm der
Kommission 2016 . Darin sind durchaus interessante
Äußerungen zu Mautsystemen enthalten. Zu diesem Arbeitsprogramm hat die Bundesregierung am 8 . Dezember
2015 Stellung genommen . In der Stellungnahme heißt
es, dass die Bundesregierung die Kommission bei der
Einführung diskriminierungsfreier Straßenbenutzungsgebühren unterstützt . Ich frage Sie, Herr Bundesminister Dobrindt: Wie bewerten Sie als Bundesminister für
Verkehr und digitale Infrastruktur die Stellungnahme der
Bundesregierung zum Arbeitsprogramm?
Wir haben gegenüber der Kommission klar Stellung
bezogen und gesagt, dass es in unserem Interesse ist, ein
barrierefreies Lkw-Mautsystem zu haben, das heißt, ein
System, das es ermöglicht, mit der gleichen technischen
Einrichtung in ganz Europa Mautgebühren zu entrichten .
Des Weiteren - ich weiß ja, auf was Sie anspielen - habe
ich der Kommission mitgeteilt: Falls vonseiten der Kommission Vorschläge kommen sollten - bisher sind sie eher
als Andeutungen zu verstehen -, ein Pkw-Mautsystem in
Europa einzuführen, das die deutschen Autofahrer zusätzlich belastet, weil es so gedacht ist, dass jeder Kilometer Autobahn extra bezahlt werden soll von denen, die
bereits durch Kfz-Steuer und Mineralölsteuer die Straßen
hier finanzieren, dann kann die Kommission das knicken.
Das findet keine Zustimmung der Bundesregierung.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Mihalic
von Bündnis 90/Die Grünen . Bitte .
Vielen Dank . - Ich möchte zu einem ganz anderen
Thema fragen, und zwar zu den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln . Die Bundesregierung hat eine ziemlich schnelle Bewertung insbesondere der polizeilichen
Situation in Köln vorgenommen . Ich fand es schon erstaunlich, dass der Bundesinnenminister schon sehr bald
jegliche Verantwortung seines Zuständigkeitsbereichs
brüsk von sich gewiesen hat und die Verantwortung für
die Eskalation der Lage einzig und allein bei der Kölner
Polizei gesucht hat, und das, obwohl bereits ein Einsatzerfahrungsbericht der Bundespolizei vorgelegen hat, in
welchem die personelle Überforderung der Bundespolizei sehr eindrucksvoll geschildert wurde . Deswegen
möchte ich fragen, ob es zutrifft, dass der Bundesinnenminister bzw . die Hausleitung des BMI diesen Einsatzerfahrungsbericht der Bundespolizei bereits kannte, als
der Bundesinnenminister die Arbeit der Kölner Polizei
so scharf kritisiert hat mit den Worten - Zitat -: „So kann
Polizei nicht arbeiten .“
Wer antwortet für die Bundesregierung? - Staatssekretär Krings, bitte .
Frau Kollegin Mihalic, vielen Dank für diese Frage .
Ich glaube, es macht Sinn, wenn ich sie für das Ressort
beantworte . Sie haben ja bereits versucht, diese Frage als
dringliche Frage zu stellen . Das Präsidium hat sie aber
zurückgewiesen . Ich bin trotzdem gerne bereit, hierzu
etwas zu sagen . Ich möchte mich aber beim Präsidium
dafür entschuldigen, dass ich dadurch indirekt die Entscheidung des Präsidiums konterkariere . - Ihnen zuliebe
mache ich das aber gerne .
({0})
Ich kann das aufklären: Es gab, nachdem die ersten
Berichte in der Öffentlichkeit waren, von der zuständigen Fachabteilung, dem zuständigen Fachreferat unseres
Hauses die Bitte an das Präsidium der Bundespolizei, zu
berichten . Diese Berichtsbitte ist am 4 . Januar formuliert
worden, am 5 . Januar noch einmal wiederholt worden,
und am 5 . Januar, nachmittags, gab es einen Bericht des
Präsidiums der Bundespolizei . Das ist vor dem von Ihnen
angesprochenen Interview . Allerdings lag dem Fachreferat dieser von Ihnen auch angesprochene Erfahrungsbericht eines einzelnen Bundespolizisten, eines Einsatzführers eines Teils der Bundespolizei, die dort unterwegs
war, nicht vor . Insofern hatte der Minister in der Tat den
Bericht des Präsidiums der Bundespolizei . Daraus ergab
sich unter anderem, wenn ich das richtig erinnere - ich
habe ihn jetzt nicht vorliegen -, dass man mehr Kräfte als
im Vorjahr eingesetzt hat, also durchaus noch einmal einen Aufwuchs bei den Kräften hatte . Dieser konkrete Bericht, dieser Erfahrungsbericht eines Oberkommissars,
lag dem Fachreferat und folglich auch dem Minister zu
dem Zeitpunkt dieses Interviews im Fernsehen nicht vor .
Noch einmal zur Aufklärung: Es darf alles gefragt
werden, ob es als dringliche Frage anerkannt wurde oder
nicht . Jeder darf alles fragen, und die Regierung gibt
dann immer eine gute Antwort, wie wir das ja eben gehört haben .
Als Nächster ist Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen,
mit einer Frage dran .
Herr Krings, es wäre natürlich schön, wenn das Plenum auch eine Antwort auf die Frage erhalten würde,
wann die Hausleitung davon Kenntnis erlangt hat .
Aber ich habe eine Frage an Bundesverkehrsminister
Dobrindt zu seinen Ausführungen bezüglich der GrenzBundesminister Alexander Dobrindt
schließungen . Wenn die Grenzen geschlossen werden
und alles kontrolliert wird, dann werden selbstverständlich die Waren, Güter und Dienstleistungen genauso wie
die Personen kontrolliert, weil man einem Lastwagen
nicht von vornherein ansieht, ob Personen darin sind . Auf
jeden Fall sitzen im Führerhäuschen Personen als Fahrer .
Insofern können Sie das gar nicht trennen . Deshalb frage
ich Sie als Verkehrsminister, der auch für das Transportgewerbe zuständig ist, welche zusätzlichen Kosten auf
das Transportgewerbe zukämen, wenn wir in Deutschland wieder Grenzkontrollen an unseren Außengrenzen
einführen würden . Das muss man ja beziffern können;
denn die Wartezeiten an der Grenze sind ja Arbeitszeiten,
die die Transportunternehmen entsprechend bezahlen
müssten, ohne dass sie in dieser Zeit eine Transportleistung erbringen können . Ich bitte Sie, uns als zuständiger Ressortminister die Äußerung des Abgeordneten
Dobrindt im Interview hinsichtlich der Auswirkungen
auf die deutsche Wirtschaft genauer zu erläutern .
Herr Minister .
Ich habe meinen Ausführungen zu dem Interview des
Abgeordneten Dobrindt nichts weiter hinzuzufügen .
({0})
Ich kann nur noch einmal ergänzen, dass es in diesem
Interview ganz offensichtlich nicht um die Frage des Warenverkehrs geht .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns darauf achten, dass wir uns an die Regeln des Hauses halten .
({0})
Als Nächste ist Frau Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen, mit einer Frage dran .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich stelle die Frage
deshalb an das Kanzleramt .
({0})
- Vielen Dank . - Herr Präsident, ich hatte gesagt: Das
Schlimme ist, dass Minister Dobrindt noch nicht einmal
merkt, wie peinlich das ist .
Vielleicht gehen Sie an ein anderes Mikrofon . Anscheinend gibt es einen Wackelkontakt im Mikrofon;
denn das kommt akustisch hier nicht an .
({0})
Vielen Dank für den Hinweis; denn ich habe es nicht
bemerkt . - Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich frage mich,
wie lange es noch dauert, bis Herr Dobrindt merkt, wie
peinlich solche Einlassungen gegenüber dem Parlament
sind .
Ich stelle meine Frage jetzt an das Kanzleramt, weil
ich nicht die Erwartung habe, dass der Kollege Dobrindt
noch antwortet . Von daher, Herr Braun, würde ich von
Ihnen gerne wissen, wie Sie innerhalb der Bundesregierung damit umgehen . Bundesminister Dobrindt - so lässt
er sich im Interview dauernd anreden; das kann man im
Münchner Merkur und auch in der FAS nachlesen - gibt
ein Interview, in dem er die Flüchtlingspolitik massiv
infrage und zur Disposition stellt . Gleichzeitig macht er
Ankündigungen hinsichtlich Grenzschließungen . Meine
Kollegen Krischer und Beck haben versucht, danach zu
fragen, was das aus Sicht des Verkehrsministeriums für
das Transportgewerbe bedeuten würde. Ich finde, dass
das Parlament die Erwartung äußern kann, dass es darauf
eine seriöse Antwort gibt,
({0})
die nicht gespickt ist mit Eitelkeiten von Einzelpersonen .
Deshalb frage ich Sie zum einen nach der Richtlinienkompetenz und zum anderen danach, wann ich mit einer
Antwort zum konkreten Thema „Auswirkungen auf das
Transportgewerbe“ rechnen kann . Das Transportgewerbe
kann das genau beziffern; sie haben sich öffentlich schon
dazu eingelassen .
Liebe Frau Haßelmann, die Tatsache, dass sich Bundesminister in ihren Eigenschaften und Rollen, die sie in
einer Partei oder auch als Abgeordnete wahrnehmen, öffentlich äußern, ist kein neuer Vorgang, sondern das gab
es schon immer . Das ist völlig normal .
Darüber hinaus arbeitet die Bundesregierung gerade
beim Thema Flüchtlinge vertrauensvoll zusammen . Alle
Volker Beck ({0})
Beschlüsse dazu, die wir Ihnen als Bundestag vorgelegt
haben, haben wir einmütig getroffen .
({1})
Unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit wird dadurch
immer wieder deutlich . Die Bundesregierung wird hier
von der Opposition häufig als nicht handlungsfähig dargestellt .
({2})
Ich glaube, die Tatsache, dass wir das erste Asylpaket
sehr schnell beschlossen haben, die Tatsache, dass wir,
was die Auswirkungen der Geschehnisse in Köln angeht,
heute im Kabinett Beschlüsse gefasst haben,
({3})
und die Tatsache, dass sich abzeichnet, dass noch in
dieser Woche das Datenaustauschgesetz in Kraft treten
kann, zeigen, dass wir an der Stelle in der Bundesregierung sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten .
({4})
Nächster ist der Kollege Gehrcke, Fraktion Die Linke .
Ich wollte gerne einen Sprung in einen anderen Bereich machen. Aber auch ich finde, es wäre angemessen,
dass die Bundesregierung Fragen, die gestellt werden,
auch beantwortet . Ich hoffe, dass meine Fragen beantwortet werden .
Ich möchte wissen, ob die Bundesregierung auf ihrer
Sitzung über die Bürgerkriegssituation in der Türkei gesprochen hat . Es ist ja bekannt, dass in der Türkei in den
kurdischen Gebieten ein wirklicher Krieg herrscht, Menschen getötet werden, Straßen abgeriegelt werden und
Ausgangssperren bestehen . Das alles hat natürlich auch
Einfluss auf die Debatten über Syrien. Ich möchte gerne
wissen, ob die Bundesregierung ihrem Bündnispartner
klipp und klar gesagt hat, dass ein solches Vorgehen eine
Kooperation unmöglich macht und dass das beendet werden muss .
Das wäre eigentlich eine Frage für die vorherige Runde gewesen, aber wir lassen sie einmal zu . Wer möchte
darauf antworten? - Frau Staatsministerin .
Herr Kollege, der Punkt, den Sie ansprechen, ist auch
Gegenstand von Fragen, die nachher gestellt werden .
Aber ich nehme gerne dazu Stellung . - Sie wissen, dass
die deutsch-türkischen Konsultationen stattgefunden haben . Die Bundesregierung hat die Lage in den kurdischen
Gebieten immer wieder angesprochen . Wir wissen: Die
türkische Regierung ist gehalten, die Bevölkerung vor
terroristischen Anschlägen zu schützen . Auf der anderen
Seite dringen wir immer wieder darauf, dass der Friedensprozess, der unterbrochen worden ist, wieder aufgenommen wird; denn es geht darum, dass in diesem Land
alle miteinander auskommen .
Danke schön . - Letzte Frage: Herr Krischer, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Dobrindt, ich muss noch einmal auf Ihr Zitat zurückkommen . Von einem Bundesverkehrsminister, der
sagt: „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir um
Grenzschließungen nicht herumkommen“, erwarte ich,
dass er dann auch konkret sagt, wie das geschehen soll .
Ich bitte Sie, mir zu erläutern, wie Sie in einem Land wie
Deutschland mit Blick auf den Warenverkehr - die Grenze wird ja üblicherweise mit Fahrzeugen überschritten Grenzen schließen wollen . Woran wollen Sie bei Lkws
erkennen, ob da Güter oder Menschen drin sind? Woran
wollen Sie das bei Pkws erkennen? Ich bitte um eine konkrete Erläuterung, wie Sie sich das vorstellen, nachdem
Sie öffentlich eine solche Äußerung getan haben, die eine
zentrale Säule unserer Wirtschaft infrage stellt .
Ich kann Ihre Äußerung, der Güterverkehr sei davon
nicht betroffen, ja auch so interpretieren, dass der Personenverkehr sehr wohl davon betroffen ist . Dann bitte
ich Sie, mir zu erläutern, wie beispielsweise im Dreiländereck Deutschland-Belgien-Niederlande bzw . in der
Region Aachen mit Zehntausenden Menschen, die jeden
Tag über die Grenze pendeln, nach Ihren Vorstellungen
in Zukunft Grenzschließungen - auf die Sie sich ja vorbereiten, wie Sie selber sagen - funktionieren sollen .
Wenn Sie das hier nicht erläutern können, dann haben
Sie - wenn nicht sowieso schon - Ihre Aufgabe als Bundesverkehrsminister vollkommen verfehlt .
({0})
Herr Minister, bitte .
Herr Krischer, ich bedaure ja fast, dass ich Ihre Erwartungen nicht erfüllen kann .
({0})
Aber es wird dabei bleiben, dass ich Sie darauf hinweise,
dass in dem Interview, das Sie immer wieder erwähnen,
zur Frage des Warenverkehrs keine Auskünfte gegeben
wurden und es sich darauf auch nicht bezogen hat . Ich
empfehle deswegen eindringlich, es noch einmal zu studieren . Vielleicht verstehen Sie dann auch den Sinn der
Zeilen, die da stehen .
({1})
Ich beende die Befragung der Bundesregierung . Es
gibt parlamentarisch sicherlich noch Gelegenheit, diesen
Fragen in anderem Zusammenhang weiter nachzugehen;
aber für heute ist die Befragung der Bundesregierung damit beendet .
({0})
- Erstens . Bitte keine Kritik am Präsidenten!
({1})
Zweitens weise ich darauf hin, dass ich all die Fragen
über die Zeit hinaus, die wir vereinbart haben, noch zugelassen habe . Das haben Sie vielleicht nicht so mitbekommen; aber diejenigen, die das verfolgt haben, werden
es wissen . Das ist, glaube ich, schon ein fairer Umgang
untereinander . Jedenfalls beende ich jetzt die Befragung
der Bundesregierung .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/7330
Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich darauf verständigt, dass die Aktuelle Stunde pünktlich um
15 .45 Uhr aufgerufen wird . Die Fragestunde wird sich
dann entsprechend verkürzen .
Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksache 18/7330 in der üblichen Reihenfolge auf .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes . Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Professor Dr . Maria Böhmer bereit .
Wir beginnen mit Frage 1 des Abgeordneten Andrej
Hunko, Fraktion Die Linke . Er ist nicht da . Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen .
Wir kommen direkt zur Frage 2 des Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke:
Ist die Bundesregierung bereit, entsprechend der in einem
Appell von 120 humanitären Organisationen vorwiegend aus
dem UNO-Umfeld für ein Ende der syrischen Tragödie und
zur Rettung der syrischen Zivilbevölkerung ({2}) aufgestellten Forderungen, der sich
an all jene richtet, die die syrische Tragödie beenden könnten,
sowohl mit den maßgeblichen Verantwortlichen der Opposition als auch mit der Regierung des syrischen Präsidenten
Baschar al-Assad über Waffenstillstände und die Gewährung
bzw . Leistung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung in
den belagerten Städten Syriens zu verhandeln?
Herr Präsident! Herr Kollege, ich beantworte die
Frage wie folgt: Die Bundesregierung ist an der internationalen Unterstützergruppe für Syrien aktiv beteiligt .
Deutschland nimmt in diesem Rahmen zusammen mit
16 anderen Staaten sowie der EU, der Arabischen Liga
und den Vereinten Nationen direkt an den Verhandlungen
über eine politische Lösung des Syrien-Konflikts teil.
Am 18 . Dezember 2015 konnte auf Basis dieser Verhandlungen die Resolution 2254 des VN-Sicherheitsrates verabschiedet werden . Darin werden insbesondere
die Verbesserung des Zugangs für humanitäre Hilfsorganisationen und die Versorgung der Zivilbevölkerung in
belagerten Gebieten gefordert . Sowohl diese Forderung
als auch der Aufruf zur Verhandlung von Waffenstillständen richten sich primär an die direkt am Kampfgeschehen beteiligten Kriegsparteien, vor allem auch an das
Assad-Regime selbst .
Kollege Gehrcke, eine Zusatzfrage?
Schönen Dank, Herr Präsident . - Ich hoffe sehr, Frau
Staatsministerin, dass die Verhandlungen, die ja, was
auch Sie wissen dürften, ins Stocken geraten sind, so fortgesetzt werden, dass die Konfliktparteien an einem Tisch
sitzen und sich die syrischen Kräfte auf eine gemeinsame Verhandlungsgrundlage einigen können . Meinen Sie
nicht auch, es wäre zum Vorteil für diese Verhandlungen,
wenn die EU und auch Deutschland die Sanktionen gegen den Staat Syrien aufheben würden, sodass die Bevölkerung besser versorgt werden könnte? Sie hungert und
leidet in diesem Land unendlich .
Frau Ministerin .
Herr Kollege Gehrcke, ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass Deutschland Syrien und die Nachbarländer in großem Umfang unterstützt; seit 2012 mit
1,34 Milliarden Euro, davon 659 Millionen Euro an humanitärer Hilfe .
Wir haben uns auch immer wieder mit aller Kraft dafür eingesetzt, dass überall in Syrien Zugang zu der humanitären Hilfe besteht . Sie wissen ganz genau, wo die
Schwierigkeiten liegen . Das, was wir tun und was die EU
https://medium.com/@UNICEF/an-appeal-to-end-the-suffering-in-syria-44d803e494b#.yd5eju59f
https://medium.com/@UNICEF/an-appeal-to-end-the-suffering-in-syria-44d803e494b#.yd5eju59f
https://medium.com/@UNICEF/an-appeal-to-end-the-suffering-in-syria-44d803e494b#.yd5eju59f
tut, ist keine Frage dessen, was Sie aufgeworfen haben,
sondern wir leisten nach besten Kräften aktive Unterstützung, um den Menschen zu helfen .
Mögen Sie eine Zusatzfrage stellen? - Bitte, Herr Abgeordneter .
Ich würde Ihnen gern glauben, nur sprechen die Tatsachen teilweise gegen Sie . Ich weiß, dass Deutschland
in vielen Fragen eine vernünftige Rolle gespielt hat . Ich
bin ein absoluter Unterstützer der Ergebnisse der Wiener
Verhandlungen; sie müssen erhalten bleiben . Humanitäre
Hilfe muss aber unabhängig von der politischen Einstellung geleistet werden, und es ist nicht damit getan, nur in
Gebieten Hilfe zu leisten, die von den sogenannten Aufständischen besetzt sind . Ich möchte humanitäre Hilfe in
allen Bereichen der syrischen Gesellschaft, auch in den
kurdischen Bereichen .
Herr Kollege, ich glaube, ich habe das eben sehr deutlich gemacht: Es gibt von unserer Seite keinen Zweifel
daran, dass wir uns dafür einsetzen, dass der Zugang zu
humanitärer Hilfe überall möglich ist . Es war für uns erschreckend - ich nehme an, für Sie und jeden in diesem
Hohen Hause genauso -, als uns die Nachrichten über
die Belagerung von Madaja erreichten . Aber man muss
auch sehen, dass in der Nachbarschaft - in Fua und Kafraja - humanitäre Hilfe blockiert wurde . Durch intensive
Verhandlungen wurde das dann durchbrochen, aber Sie
wissen genauso gut wie ich, dass diese Öffnungen nicht
von Dauer sind . Das ist erschreckend; denn die Bevölkerung leidet darunter . Deshalb sage ich: Das, was wir tun
können, tun wir mit aller Kraft und Intensität .
Die nächste Frage stellt Kollegin Hänsel von der Fraktion Die Linke . Dann folgt Herr Ströbele .
Danke schön, Herr Präsident . - Frau Staatsministerin,
ich möchte bei der Aussage nachhaken, dass Sie alles
in Ihrem Ermessen Stehende täten . UNICEF-Direktorin
Hanna Singer war Ende letzten Jahres im Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und
hat sich auch noch einmal ausdrücklich für ein Ende
der Sanktionen ausgesprochen, da diese massiv zur Verschlechterung der Gesamtlage, der Versorgungslage der
Bevölkerung beitragen . Sie können solche Stimmen der
Vereinten Nationen doch nicht einfach ignorieren und sagen: Wir machen so weiter .
Wenn wir eine Friedenslösung für Syrien wollen,
müssen wir alles Mögliche tun, um auch in der Bevölkerung das Gefühl zu erzeugen, dass es eine Hoffnung,
eine Zukunft gibt . Sie sprechen doch immer davon, die
Fluchtursachen bekämpfen zu wollen . Perspektivlosigkeit in diesem Land, die durch die Sanktionen verstärkt
wird, ist da völlig kontraproduktiv . Sie müssen die Richtung Ihrer Politik ändern, wenn Sie merken, dass Sie damit in eine ganz falsche Richtung laufen .
Frau Kollegin, ich glaube, wenn es darum geht, Konflikte zu beseitigen, dann ist der Weg, der über die Wiener
Verhandlungen beschritten worden ist, die jetzt in innersyrische Verhandlungen münden, der einzig tragfähige .
Ihn begleiten und unterstützen wir mit aller Intensität .
Wir wissen, es wird keine schnellen Lösungen geben .
Deshalb wird es auch in Zukunft notwendig sein, humanitäre Hilfe zu leisten und den Aufbau von Strukturen in
diesen Regionen voranzutreiben . Dafür wird Deutschland immer bereitstehen .
Der Abgeordnete Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Staatsministerin, gilt die Antwort, die Sie gerade gegeben haben, auch für die Gebiete im Norden von
Syrien, an der Grenze zur Türkei, die unter der Kontrolle
der Kurden stehen, und ist der Bundesregierung bekannt,
dass unser NATO- und inzwischen auch wieder sonstiger
Partner, die Türkei, die Einfuhr humanitärer Güter und
vor allen Dingen auch von Aufbauhilfsgütern, die über
die türkisch-syrische Grenze ins Land gebracht werden
sollen - die Menschen dort leiden immer noch -, an der
Grenze unterbindet, selbst wenn diese Hilfe aus Europa
kommt? Was unternimmt die Bundesregierung, um diesem Missstand abzuhelfen?
Herr Ströbele, ich glaube, die schwierige Situation in
Syrien, die Tatsache, dass in den jeweiligen Gebieten die
stärkste Kraft das Sagen hat, und die dortigen Abschottungen treiben uns alle um . Das ist auch die Motivation
für uns, zu sagen: Wir wollen, dass die Menschen überall
Zugang zur humanitären Hilfe haben .
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke auf:
Welche Ziele strebt die Bundesregierung bei den in der
Woche vom 25 . bis 29 . Januar 2016 beginnenden weiteren
Verhandlungen zur Beendigung des syrischen Konfliktes an,
und mit welcher Konzeption agiert die Bundesregierung bei
diesen Verhandlungen?
Frau Staatsministerin .
Herr Kollege Gehrcke, am 25 . Januar 2016 kündigte
der VN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura,
bei einer Pressekonferenz in Genf an, dass die VN-geführten innersyrischen Gespräche am 29 . Januar 2016 beStaatsministerin Dr. Maria Böhmer
ginnen sollen . - Ich sehe an Ihrem Kopfnicken, dass Sie
das genauso wissen . - Diese sollen sechs Monate dauern
und zunächst in Form von Proximity-Talks stattfinden.
Die Bundesregierung wird an diesen innersyrischen Gesprächen nicht direkt beteiligt sein . Sie unterstützt jedoch
die Delegation des Hohen Verhandlungskomitees der syrischen Opposition logistisch .
Ich vermute, Sie haben eine Zusatzfrage . - Bitte
schön, Herr Kollege .
Herr Präsident, Ihre Vermutung trifft messerscharf zu .
Herzlichen Dank . - Ich möchte gerne wissen: Wie agiert
die Bundesregierung bei dem Versuch, möglichst viele
relevante Verhandlungspartner an einen Tisch zu bekommen?
Es ist bekannt, dass sich die Türkei und Saudi-Arabien
bislang weigern, die kurdischen Vertretungen aus Rojava, Kobane, zuzulassen, und dass sie angekündigt haben,
dass sie, wenn diese ebenfalls am Verhandlungstisch sitzen, nicht an den Verhandlungen teilnehmen werden, was
ich für einen schweren Fehler halte . Umgekehrt besteht
die russische Vertretung darauf, dass auch die kurdische
Vertretung aus Syrien teilnehmen kann, weil sie der Meinung ist, dass ohne sie ein Friedensschluss nicht vollständig ist .
Welche Position bezieht die Bundesregierung in dieser Frage?
Ich nehme an, dass auch Sie die Äußerung von Bundesaußenminister Steinmeier in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gelesen haben oder zumindest
kennen . Sie ist ja auch weiter durch die Presse gegangen .
Ihr ist unter anderem zu entnehmen - das darf ich hier
noch einmal sagen -, dass es der syrischen Opposition
selbst überlassen bleiben sollte, durch wen sie in den
Verhandlungen mit dem Assad-Regime vertreten sein
möchte .
Wir haben immer gesagt, dass auch andere Parteien
und Gruppen - in diesem Fall die kurdische Partei PYD in geeigneter Form ebenfalls an den Gesprächen beteiligt
werden sollten, und ich füge hinzu: Auch zivilgesellschaftliche Organisationen und Frauenrechtsvereinigungen sollte man mit hinzuziehen . Ich glaube aber, in dieser
schwierigen Situation sollte die Entscheidung darüber
von demjenigen getroffen werden, der sie treffen muss,
nämlich vom Beauftragten der Vereinten Nationen .
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? - Bitte .
Danke sehr. - Ich lese ja nicht nur die Äußerungen des
Außenministers, sondern auch die des UNO-Sonderbeauftragten de Mistura, der ausdrücklich Wert darauf legt,
dass alle Konfliktparteien von Relevanz an dem Verhandlungstisch versammelt sind . Es geht hier ja nicht um eine
Versammlung meiner Freunde oder Ähnliches.
Ich möchte gerne mehr darüber wissen, ob Deutschland bezüglich der Konfliktparteien auf die Verhandler
einwirkt . Ansonsten macht es ja gar keinen Sinn, dass
hier immer gesagt wird, wir hätten das Ganze mit befördert .
Zu diesen Konfliktparteien, die verhandeln müssen,
gehört auch die nicht gewaltsame Opposition in Syrien .
Das haben Sie auch angesprochen, und das kann ich sehr
begrüßen . Die Kurdinnen und Kurden gehören aber auch
dazu . Man kann doch nicht zuschauen, wie in der Türkei
die Kurdinnen und Kurden abgeschlachtet werden, und
gleichzeitig freundlich an einem Tisch miteinander reden . Man muss also darauf einwirken . Ich möchte gerne
wissen, ob die Bundesregierung diese Einwirkung leistet
und wie sie das macht .
Herr Kollege Gehrcke, es ist schade, dass Sie genau
diese Passage in meiner Antwort überhört haben . Aber
sie steht Ihnen über das Protokoll zur Verfügung .
Die nächste Frage stellt Frau Abgeordnete Hänsel,
ebenfalls Fraktion Die Linke .
Danke schön, Herr Präsident . - Wir haben vom Außenminister gehört, dass die Deutsche Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit ein Delegationsbüro für
die Opposition aufbauen soll . Da interessiert mich: Wo
soll dieses Büro eingerichtet werden? Sind auch Vertreterinnen und Vertreter der PYD dabei? Haben sie die Möglichkeit, diese Anlaufstelle, die über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit mit deutschen
Steuergeldern finanziert wird, zu nutzen?
Diese Anlaufstelle soll der Delegation der syrischen
Opposition zur Verfügung stehen . Es ist dann die Entscheidung dieser Gruppierung, wer als Mitglied dieser
Delegation anzusehen ist .
Ich glaube, die Entscheidung, die wir getroffen haben,
war wichtig . Die Unterstützung geschieht nicht nur durch
Deutschland, auch andere Staaten beteiligen sich finanziell . Es geht darum, dass die Verhandlungen auf Augenhöhe möglich sein sollen . Ich schätze, wir sind uns einig,
dass das ein wichtiger Schritt ist .
({0})
- Genf .
Wir kommen zur Frage 4 des Abgeordneten HansChristian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Angaben macht die Bundesregierung zur Unabhängigkeit der Parlamentsabgeordneten und Regierungsmitglieder beider Seiten in Libyen von ausländischen Einflüssen,
die das vom UN-Sonderbeauftragten Martin Kobler ausgehandelte Waffenstillstands- und Friedensabkommen unterzeichnet
haben und mittragen, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Vorwürfe gegen diese Personen und zur Akzeptanz der Vereinbarung zur Bildung einer Einheitsregierung
in der Bevölkerung Libyens?
Frau Staatsministerin .
Herr Kollege Ströbele, das politische Abkommen
wurde 2015 unter Vermittlung des Sondergesandten des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Léon, im libyschen Dialog genannten Format erarbeitet und unter dem
neuen VN-Gesandten Martin Kobler finalisiert. Es wurde
am 17 . Dezember 2015 von Mitgliedern des libyschen
Dialogs in Skhirat/Marokko unterzeichnet .
Für die Verhandlungsführung und, damit verbunden,
die Einladung der Teilnehmer stützt sich der VN-Gesandte auf ein Mandat des VN-Sicherheitsrates . Mitglieder der verschiedenen Delegationen haben während der
von den VN geleiteten Verhandlungen regelmäßig Kontakt zu den Vertretern vieler Staaten unterhalten . In dem
von Konflikten geprägten Umfeld in Libyen gibt es eine
Vielzahl von gegenseitigen Vorwürfen .
Nach Einschätzung der VN, die von der Bundesregierung geteilt wird, wünscht die libysche Bevölkerung
ein Ende der Gewalt und die Wiederherstellung eines
sicheren und stabilen Lebensumfeldes . Vor diesem Hintergrund sind die Reaktionen der Bevölkerung zum libyschen Abkommen nach Kenntnis der Bundesregierung
ganz überwiegend positiv .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Ströbele?
Ja, danke . - Frau Staatsministerin, ich habe nicht nach
der Geschichte dieses Abkommens gefragt . Diese kann
ich nachlesen, darüber bin ich auch informiert . Ich möchte von Ihnen konkret wissen, warum die Annahme im
Augenblick gescheitert ist . Sie erzählen hier nur schöne
Dinge . Warum ist die Annahme dieses Abkommens im
Parlament, und zwar in dem vom Westen unterstützten
Parlament, gescheitert?
Kann es sein, dass es gegen die Verhandler, also die
Abgeordneten und die Regierungsmitglieder von beiden
Seiten - dem vom Westen anerkannten und dem vom
Westen nicht anerkannten Parlament -, Vorwürfe gibt,
zum Beispiel den, dass sie aus dem Ausland finanzielle Zuwendungen erhalten und Ähnliches, welche sie so
diskreditieren, dass man dieses Abkommen nicht akzeptiert?
Herr Kollege Ströbele, ich kann gut nachvollziehen,
was Sie umtreibt. Ähnliche Fragen stellt sich, glaube ich,
jeder . Sie wissen genauso wie ich und auch jeder andere hier, wie schwierig das Zusammentreffen der Konfliktparteien in Libyen ist.
Dass es eine Vielzahl von Vorwürfen gibt, habe ich
eben in meiner Antwort gesagt . Sie war nicht nur eine
Darstellung der Entwicklung und der einzelnen Schritte,
vielmehr habe ich ganz bewusst gesagt: Es gibt eine Vielzahl von gegenseitigen Vorwürfen .
Sie wissen aber auch - das macht die Sache noch
schwieriger -, dass es Personen gibt - wir sprechen hier
von sogenannten Hardlinern -, die dieses Aufeinanderzugehen und die Umsetzung des Abkommens zu verhindern trachten . Ich habe mich deshalb noch einmal danach
erkundigt, wie die Entscheidung im Parlament ausgefallen ist: In der ersten Sitzung haben von 104 Anwesenden
97 für das VN-vermittelte Abkommen gestimmt, allerdings mit einem Vorbehalt gegen Artikel 8 . 89 Abgeordnete haben die vom Präsidialrat vorgelegte Kabinettsliste
abgelehnt und die Vorlage einer neuen, kürzeren Liste
binnen zehn Tagen gefordert . Das ist der Stand . Es war
also keine völlige Ablehnung, aber es zeigt, wie schwierig der Prozess ist, und wir wissen, dass von Tag zu Tag
und von Stunde zu Stunde immer wieder um ein Aufeinanderzugehen einer nationalen Regierung der Einheit
gerungen wird .
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön .
Frau Staatsministerin, ich stelle solche Fragen nicht
aus dem Blauen heraus, sondern weil es Informationen
gibt . Kann es sein, dass Sie - die Bundesregierung und
der Vermittler, vielleicht auch die UN - mindestens zum
Teil die falschen Verhandlungspartner haben, dass es
sich dabei um diskreditierte Personen handelt? Deshalb
ist meine ganz konkrete Frage: In welchem Maße sind
beispielsweise Stammesführer, die in Libyen eine ganz
besondere Rolle spielen, in solche Verhandlungen einbezogen? Denn wenn die Vereinbarung akzeptiert werden
soll - und ich stimme Ihnen zu: die Bevölkerung will
Frieden und ein Ende des Waffenganges -, dann muss
man ein Angebot machen, das von vertrauenswürdigen
Leuten, die nicht solchen Vorwürfen ausgesetzt sind, ausgehandelt wird . Sonst ist das von Anfang an bemakelt
und wird nicht angenommen .
Deshalb ist meine klare Frage: Was ist zum Beispiel
mit den Stammesführern, und ist die Bundesregierung
Vorwürfen nachgegangen, dass es Leute gibt, zum Beispiel einzelne Abgeordnete, die finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland beziehen?
Vizepräsident Peter Hintze
Im Detail kann ich Ihnen das jetzt nicht beantworten .
Aber ich will darauf hinweisen - das wissen Sie auch,
Herr Ströbele -, dass es für den VN-Sondergesandten
Martin Kobler keine einfache Situation ist und dass er
sich, wie wir alle auch, Tag für Tag genau diese Frage
stellt . Er trifft sich mit einer Vielzahl von Vertretern bis
hin zu den sogenannten Hardlinern, um Bewegung in die
Sache zu bringen und um sie voranzubringen . Davon,
dass Vorwürfe in den Raum gestellt werden, die sich zum
Teil erhärten, muss man in dieser Situation ausgehen .
Aber ich habe ein deutliches Vertrauen in Herrn Kobler,
dass er sich mit seiner Erfahrung dieser Situation sehr
dezidiert stellt .
Zusatzfrage von Frau Abgeordnete Dağdelen, Fraktion Die Linke .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Staatsministerin Böhmer, ich möchte gerne an die Fragen von Herrn
Ströbele zum Thema Libyen Folgendes anschließen: Wir
als Abgeordnete waren letztens etwas verwundert, dass
Verteidigungsministerin von der Leyen aufgrund der
vereinbarten engeren Kooperation zwischen den Terrormilizen Boko Haram und „Islamischer Staat“ auf einmal
gesagt hat, um dieses Zusammentreffen der Terrormilizen zu verhindern, bräuchte man eventuell einen Bundeswehreinsatz in Libyen . Insofern würde ich gerne von
Ihnen wissen: Wann, wie und in welchem Umfang wurde
in der Regierung über einen möglichen Bundeswehreinsatz in Libyen diskutiert und eventuell sogar eine Vorentscheidung getroffen, auch vor dem Hintergrund, dass
Herr Staatsminister Roth in der letzten Sitzungswoche
auf meine Frage zu dieser Kooperation zwischen Boko
Haram und „Islamischer Staat“ und den möglichen Folgen noch erklärt hat, dass es aufgrund der großen geografischen Entfernung zwischen den Operationsgebieten
von Boko Haram und „Islamischer Staat“ beispielsweise
bei dem Mali-Einsatz nur um die Stabilisierung Malis
ginge und dass die Kooperation keine Auswirkungen haben wird?
Frau Dağdelen, es ist bekannt, dass der IS verstärkt
dort präsent ist . Das strahlt aus . Wir setzen jetzt auf den
politischen Prozess . Das möchte ich in aller Deutlichkeit
sagen . Nachher wird noch eine Frage an das Bundesverteidigungsministerium aufgerufen, die in eine ähnliche
Richtung geht . Dann wird sicherlich der Kollege noch
dazu Stellung nehmen .
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf eine Äußerung von Frau von der Leyen, die gesagt hat, Deutschland müsse einen Beitrag dazu leisten, das Land zu
stabilisieren . Damit übereinstimmend hat sich auch der
Bundesaußenminister geäußert . Wir haben zugesagt,
dass Deutschland bereit ist, eine neue libysche Regierung
beim Wiederaufbau staatlicher Strukturen zu unterstützen .
Ich glaube, angesichts dessen, dass wir mit einem
totalen Zusammenbruch der Strukturen in Libyen konfrontiert sind, müssen wir, wenn einmal eine Regierung
stehen wird, Unterstützung geben . Ich vermute, dass Sie
dem auch zustimmen würden .
({0})
Frau Abgeordnete Hänsel, Fraktion Die Linke .
Danke schön . - Frau Staatsministerin, Sie haben jetzt
versucht, die Frage bei Ihrer Antwort zu umschiffen, indem Sie hier von „Beitrag“ und anderem sprachen . Es
ging aber dezidiert um die Entsendung von Bundeswehrsoldaten. Das war auch die Äußerung von Frau von
der Leyen . Deshalb noch einmal die Nachfrage: Wurde
im Kabinett ein möglicher militärischer Einsatz in Libyen diskutiert im Zusammenhang mit der Bekämpfung
von Boko Haram und IS? - Es geht mir um diesen Zusammenhang, nicht um die dritte Stufe von EUNAVFOR
MED . Wurde ansatzweise über die Entsendung von Bundeswehrsoldaten im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Boko Haram und IS diskutiert? Ich rede nicht
von irgendwie gearteter Aufbauhilfe .
Frau Staatsministerin .
Frau Kollegin, ich bin im Kabinett nicht teilnehmend,
aber ich gehe einmal davon aus, dass das nicht der Fall
war .
Frage 5 der Abgeordneten Heike Hänsel, Fraktion Die
Linke:
Wie bewertet die Bundesregierung die für Lateinamerika
höchste Anzahl von 54 ermordeten Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern in Kolumbien im Jahr 2015 laut Bericht von Front Line Defenders, angesichts der Tatsache, dass
die meisten Morde im Zusammenhang mit der Verteidigung
der Landrechte der indigenen Völker und der Afrokolumbianer stehen, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus in der politischen Zusammenarbeit mit der
kolumbianischen Regierung ({0})?
Die hohe Zahl ermordeter Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger in Kolumbien ist besorgniserregend . Sie zeigt eines der Hauptprobleme des bewaffneten
Binnenkonflikts auf, die Defizite staatlicher Präsenz in
der Fläche, insbesondere in den vom Konflikt am stärkshttp://www.contagioradio.com/54-defensores-de-derechos-humanos-fueron-asesinados-en-colombia-durante-2015-articulo-19057/
http://www.contagioradio.com/54-defensores-de-derechos-humanos-fueron-asesinados-en-colombia-durante-2015-articulo-19057/
http://www.contagioradio.com/54-defensores-de-derechos-humanos-fueron-asesinados-en-colombia-durante-2015-articulo-19057/
ten betroffenen ländlichen Gebieten . Indigene Völker
und Afrokolumbianer gehören zu den am stärksten betroffenen Gruppen .
Die kolumbianische Regierung hat ihre Bemühungen
zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und
-verteidigern seit dem Amtsantritt von Präsident Santos
2010 auf legislativer Ebene und durch institutionelle Verankerung des Themas Menschenrechte in ihrer Administration erheblich intensiviert . Gleichwohl bestehen weiterhin Defizite in der Umsetzung des effektiven Schutzes
von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern
und anderen Menschenrechtsaktivisten .
Die Bundesregierung berät Kolumbien intensiv beim
Aufbau bzw . der Stärkung staatlicher Strukturen vor
allem im ländlichen Raum . Sie unterstützt Menschenrechtsorganisationen und leistet Hilfe bei der Umsetzung
des Gesetzes über Landrückgabe und über Opferentschädigung . Die Menschenrechtslage ist fester Bestandteil
des politischen Dialogs mit der kolumbianischen Regierung sowohl auf bilateraler als auch auf internationaler
Ebene, insbesondere auf EU-Ebene . Die strukturierte Erörterung von Menschenrechtsfragen in den bestehenden
Gremien und Formaten hat sich bewährt und soll künftig
fortgesetzt werden .
Herr Präsident, ich danke Ihnen, dass ich etwas mehr
Zeit hatte .
Alles gut . - Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hänsel? Bitte .
Danke schön, Herr Präsident . - Nun besteht zwischen
der Bundesregierung und der kolumbianischen Regierung eine umfassende Entwicklungszusammenarbeit,
gerade im Bereich der Begleitung des Friedensprozesses .
Die Grundvoraussetzungen, dass ein Friedensprozess
gelingt, sind ja Sicherheitsgarantien für die Menschen
in den Regionen und natürlich auch in erster Linie für
Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger . Hier
wird die Situation ja nicht besser, sondern schlechter .
Zum Beispiel wurden vonseiten der Regierung die Mittel
und der Personalumfang für den Schutz von bedrohten
Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern gekürzt . Das heißt, es wird weniger Schutz angeboten . Das
betrifft sowohl die Menschen in den ländlichen Regionen
als auch die Menschen in Bogota, zum Beispiel die Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger von der
Organisation Justicia y Paz, Gerechtigkeit und Frieden .
Alle, die sich dort engagieren, erhalten systematische Todesdrohungen und können teilweise ihre Arbeit nur unter
Einsatz ihres Lebens durchführen .
Ich frage Sie: Gibt es eine Reaktion vonseiten der
Bundesregierung auf die kolumbianische Entscheidung,
die Mittel für die angesprochene Schutzeinheit zu kürzen?
Frau Staatsministerin .
Ich möchte das sehr grundsätzlich beantworten, Frau
Hänsel, weil ich keinen Zweifel daran lassen will, dass
uns - genauso wie Sie - die in Kolumbien vorhandenen
Gefährdungen der Menschenrechtsverteidigerinnen und
-verteidiger umtreiben . Wir sind uns sicherlich einig,
dass vieles nicht schnell genug geschieht, was die Sicherheit gerade in den ländlichen Räumen betrifft . Aber als
ich mich auf die Beantwortung Ihrer Frage vorbereitet
habe, ist mir ins Blickfeld gerückt, dass sich Kolumbien
sehr problembewusst zeigt und - anders als andere lateinamerikanische Staaten - bewusst auf solche Defizite
eingeht . Wir stehen sicherlich vor einer sehr schwierigen
Situation . Aber wir werden von deutscher Seite alles tun,
was getan werden kann . Ich bin sehr froh, dass wir mit
Tom Koenigs einen sehr erfahrenen Beauftragten zur Unterstützung des Friedensprozesses in Kolumbien haben .
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte .
Danke schön . - Das alles mag so richtig sein, Frau
Staatsministerin Böhmer . Trotzdem steht auch die Bundesregierung hier in der Verantwortung und muss darauf achten, dass sich die Menschenrechtssituation in
Kolumbien real verbessert . Ich frage Sie: Wie stellen
Sie sich das vor? Wie soll der Friedensprozess real vonstattengehen? Wird es zum Beispiel eine Verschränkung
mit einem Menschenrechtsmechanismus geben? Setzen
Sie sich für eine Beobachtermission ein, die ganz genau
darauf achtet, dass es eine enge Kooperation mit denjenigen, die sich für den Schutz von Menschenrechtsaktivisten einsetzen, und damit Sicherheitsgarantien für die
Menschen gibt?
Zur Motivation bei der Landrückgabe - das wird die
Schlüsselfrage des Friedensprozesses in Kolumbien
sein - kann ich nur feststellen: Es gibt zwar viele Gesetze, aber nur wenige werden real umgesetzt . Von 6 Millionen Hektar illegal angeeignetem Land sind bisher nur
wenige Tausend Hektar real zurückgegeben worden . Das
ist eine schreiende Ungerechtigkeit . Deshalb frage ich
noch einmal nach: Wie positionieren Sie sich gegenüber
der kolumbianischen Regierung, und was tun Sie, damit
die Gesetze real umgesetzt werden?
Frau Hänsel, wir sind auf vielen Ebenen tätig . Wie
Sie wissen, setzen wir uns dafür ein, dass die Menschenrechtsfrage in den dafür eingerichteten Dialogformaten
angesprochen wird . Auch wir sehen eine sehr enge Verbindung zwischen dem Friedensprozess und den Menschenrechten; das gehört einfach zusammen . In dieser
Einschätzung liegen wir überhaupt nicht auseinander .
Aber ich fand es beachtlich - das ist vielleicht der Unterschied zu anderen Regionen in Lateinamerika, wo die
Menschenrechtsfrage ebenfalls eine große Rolle spielt -,
dass es zu einer Verabschiedung der Resolution 2261 des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gekommen ist,
die - damit sind Sie sicherlich bestens vertraut - der Einrichtung einer Monitoringmission in Kolumbien dient .
Der kolumbianische Staatspräsident und die FARC haben sich darauf verständigt . Nun geht es in der Tat darum,
das umzusetzen . Die Länder in der Region stehen bereit,
hier entsprechende Unterstützung zu geben . Ich sage in
aller Deutlichkeit: Sollte seitens der Vereinten Nationen
und der Konfliktparteien zusätzlich der Wunsch vorhanden sein, dass sich auch die deutsche Seite hier einbringt,
dann werden wir das sicherlich wohlwollend prüfen .
Dann kommen wir zu Frage 6 der Abgeordneten Heike
Hänsel, Fraktion Die Linke:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
anhaltenden Repression der türkischen Regierung gegen Andersdenkende, so zum Beispiel gegen 1 128 Wissenschaftler,
die einen Friedensappell gegen die militärische Gewalt in den
Kurdengebieten unterzeichnet haben und nun mit Festnahmen
und Disziplinarverfahren konfrontiert sind ({0}), und in welcher Weise setzt
sich die Bundesregierung für die Wiederaufnahme des Friedensprozesses zwischen türkischer Regierung und kurdischer
Arbeiterpartei ({1}) ein?
Frau Staatsministerin .
Frau Kollegin Hänsel, die Bundesregierung verfolgt
die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei sehr
aufmerksam . Beide Themen, sowohl die Verhaftung von
Wissenschaftlern und das Vorgehen gegen Andersdenkende als auch der bewaffnete Konflikt mit der PKK,
wurden bei den deutsch-türkischen Regierungskonsultationen am 22 . Januar 2016, also vor wenigen Tagen,
angesprochen . Auch bei früheren Gelegenheiten hat die
Bundesregierung diese Themen angesprochen und an die
türkische Regierung appelliert, eine weitere Eskalation
zu vermeiden, verhältnismäßig zu agieren und den Friedensprozess wieder aufzunehmen .
Zusatzfrage?
Danke schön . - Das ist doch sehr allgemein angesichts dieser dramatischen Situation . Man muss sich das
einmal vorstellen: Über 1 000 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wenden sich mit einem Friedensappell
an die Regierung, um zu einem Ende dieser wirklich
brutalen Auseinandersetzung im Südosten der Türkei zu
kommen, zu einem Ende dieses Kriegs gegen die Kurdinnen und Kurden, und dann werden sie des Terrorismus
verdächtigt . Erdogan hetzt diesen Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern die Polizei auf den Hals; zahlreiche sind verhaftet worden, viele sind entlassen bzw . von
ihren Posten an den Universitäten suspendiert worden .
Ich frage Sie: Teilen Sie die Position des Präsidenten
Erdogan, dass solche Initiativen, die sich für den Frieden
in der Türkei aussprechen, terroristische Aktivitäten unterstützen?
Frau Kollegin, ich glaube, ich habe eben deutlich gemacht und auch bei der vorhergehenden Frage schon angesprochen, dass wir immer wieder für Meinungsfreiheit
und Pressefreiheit eintreten . Damit ist die Position der
Bundesregierung sehr klar an dieser Stelle . Das werden
wir auch gegenüber der türkischen Seite immer wieder
zur Sprache bringen .
Frau Hänsel .
Wie erklären Sie sich eigentlich, dass es nach diesen
Ereignissen, nach der anhaltenden brutalen Umzingelung
von kurdischen Städten, nach der Bombardierung von
kurdischen Städten und der Ermordung von Zivilisten
die Entscheidung des Entwicklungsministeriums gibt,
50 Millionen Euro mehr Entwicklungshilfe in die Türkei
zu schicken, wohingegen wir bei vielen anderen Ländern
der Erde erleben, zum Beispiel im Fall von Nicaragua,
anderen Staaten Lateinamerikas, aber auch etlichen anderen Ländern, dass man sich anders entscheidet, weil
man sagt, die Menschenrechtssituation sei dort schlechter, und deswegen die Entwicklungszusammenarbeit einstellt?
Wie kann es sein, dass es nach diesem brutalen Vorgehen der Armee und dem Vorgehen gegen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Entscheidung
gibt, mehr Entwicklungshilfegelder an die Türkei zu geben? Wie kommen Sie eigentlich dazu?
Frau Kollegin Hänsel, es geht um die Unterstützung
von Menschen, die auf der Flucht sind und die in der
Türkei Zuflucht gefunden haben. Wer mit der Situation
der Menschen dort vertraut ist, der weiß, dass sich der
kleinere Teil in Flüchtlingslagern aufhält und dort gut
versorgt ist . Ich habe mir das selbst angeschaut . Aber ein
größerer Teil ist eben nicht in den Flüchtlingslagern . Hier
stellt sich die Frage des Schulbesuchs und der medizinischen Versorgung in vielfältiger Art und Weise . Wollen
Sie diese Menschen alleinlassen?
Die nächste Frage dazu hat Kollegin Dağdelen, Fraktion Die Linke .
Frau Staatsministerin, ich habe eine Frage bezüglich
des Rechtsstaatsverständnisses der Bundesregierung .
Halten Sie es für verhältnismäßig, dass die türkische
Regierung im Südosten des Landes gegen die Kurden in
den Städten Panzer auffahren lässt, Städte mit Panzern
beschießt, über Menschen Kollektivstrafen verhängt,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/polizei-nimmt-intellektuelle-wegen-terrorpropaganda-fest-a-1072195.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/polizei-nimmt-intellektuelle-wegen-terrorpropaganda-fest-a-1072195.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/polizei-nimmt-intellektuelle-wegen-terrorpropaganda-fest-a-1072195.html
indem sie in mehreren Städten Ausgangssperren verhängt - das dauert schon fast zwei Monate in manchen
Gebieten -, dass Menschen in ihren Häusern ausharren
müssen, auch verwundete Zivilisten, und zwar tagelang,
die dann ihren Verletzungen erliegen, weil sie beispielsweise keinen Krankenwagen rufen können oder weil sie
wegen der Ausgangssperren nicht zum Krankenhaus gefahren werden können, außer sie nehmen es in Kauf, von
Scharfschützen erschossen zu werden?
Halten Sie es für verhältnismäßig, dass die Massaker
der türkischen Sicherheitskräfte laut Angaben des Auswärtigen Amts schon über 200 tote Zivilisten zur Folge
haben? Staatssekretär Ederer hat im Auswärtigen Ausschuss gesagt, dass in diesen Auseinandersetzungen über
200 Zivilisten durch die Operationen der türkischen Sicherheitskräfte gestorben sind . Halten Sie es zum Zwecke der Flüchtlingsabwehr für zielführend, dass es jetzt
schon 200 000 Kurden sind, die aufgrund dieser militärischen Operationen auf der Flucht sind? Ist die Kumpanei
mit der Regierung von Erdogan und Davutoglu zielführend, und ist es richtig, zu diesen Verbrechen wegen der
Flüchtlingsabwehr zu schweigen, wobei die türkische
Regierung aber letztendlich Flüchtlinge produziert?
Ist das verhältnismäßig und zielführend Ihrer Meinung
nach?
Frau Kollegin Dağdelen, ich möchte zunächst den
Begriff der Kumpanei zurückweisen . Wir haben mit der
Türkei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die über
die Jahre gewachsen ist . Aber ich möchte an dieser Stelle
auch daran erinnern, dass es sich bei der PKK um eine
gelistete Terrororganisation handelt . Wenn irgendwo Terror stattfindet, dann muss man dagegen angehen. Wir als
Bundesregierung haben immer wieder gesagt - daraus
machen wir keinen Hehl, weder in der Vergangenheit
noch in der Gegenwart oder in der Zukunft -, dass die
Auseinandersetzung verhältnismäßig sein muss und dass
der Friedensprozess so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden soll .
({0})
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Zdebel,
ebenfalls Fraktion Die Linke .
Frau Staatsministerin Böhmer, ich habe eine Frage
zur Pressefreiheit in der Türkei . Sie wissen ja, dass der
Chefredakteur von Cumhuriyet Can Dündar schon seit
mehr als zwei Monaten deswegen in Haft ist, weil er
seine Arbeit verrichtet hat und über die Zustände in der
Türkei und über bestimmte Verwicklungen dort berichtet
hat . Er ist sicherlich kein Einzelfall; auch mehrere andere
Journalisten sitzen schon seit längerer Zeit in Haft . Was
hat die deutsche Regierung bezüglich der Inhaftierungen
von Journalistinnen und Journalisten in der Türkei konkret unternommen? Wie bewerten Sie dieses Vorgehen
der türkischen Regierung?
Frau Staatsministerin .
Gerne . - Wir haben diesen Punkt stets angesprochen .
Wir finden es besorgniserregend; denn Presse- und Meinungsfreiheit sind, wie Sie wissen, ein hohes Gut, und es
muss gewahrt werden . Das ist bei jeder Begegnung mit
türkischen Vertretern Gegenstand der Erörterung, auch
zuletzt bei den Regierungskonsultationen .
Die Frage 7 des Abgeordneten Nouripour wird schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 8 der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Fraktion Die Linke, auf:
Inwieweit bedeutet die Antwort der Bundesregierung zu
Frage 16 der Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke ({0}), wonach „innerhalb der Operation Inherent Resolve durch die Gruppe von Staaten, die
an Luftoperationen teilnehmen ({1}), ein
gemeinsamer Informationsraum betrieben“ wird, sodass alles, „was Aufklärungswert hat . . . an alle Partner weitergegeben“ wird, das heißt, alles, „was von Nutzen ist, wird in die
Datenbank der Anti-IS-Koalition eingespeist“, und es „gibt
keinen Grund dafür, dass die Türkei bestimmte Bilder nicht
sehen darf“ ({2}), dass die Bundesregierung
nicht definitiv ausschließen kann, dass Staaten wie die Türkei und Saudi-Arabien die Erkenntnisse aus dieser Datenbank
gegen ihnen nicht genehme Gruppen, wie die der kurdischen
Volksschutzeinheiten ({3}) und die kurdische Arbeiterpartei
({4}), nutzen ({5}), und kann die Bundesregierung nach ihrer Kenntnis ausschließen, dass Erkenntnisse aus
dieser Datenbank an von ihnen unterstützte Terrormilizen, wie
der Ahrar al-Scham, in Syrien zur Bekämpfung syrischer Regierungstruppen und kurdischer Volksschutzeinheiten weitergegeben werden?
Frau Staatsministerin, bitte .
Gerne. - Frau Dağdelen, die Mitglieder der Allianz
teilen das Ziel, die IS-Terrorherrschaft in Syrien und im
Irak zu beenden . Zur Gewährleistung der Mandatskonformität des Einsatzes deutscher Tornados ist ein deutscher Stabsoffizier, ein sogenannter Red Card Holder, im
Hauptquartier in al-Udeid, Katar, eingesetzt . Dieser hat
ein Vetorecht bei der Beauftragung deutscher Tornados,
um so den mandatskonformen Einsatz, das heißt die Aufklärung von IS-Zielen zu deren Bekämpfung und zum
Schutz von ziviler Infrastruktur, sicherzustellen .
Alle Aufklärungsergebnisse bedürfen zudem einer nationalen Auswertung und einer anschließenden Freigabe .
So wird gewährleistet, dass die Weitergabe von Erkenntnissen ausschließlich der Bekämpfung des IS sowie dem
Schutz von Zivilpersonen und -einrichtungen dient . Die
Bundesregierung geht davon aus, dass die zu diesem
http://www.sz-online.de/nachrichten/tornados-fliegen-ueber-syrien-3292761.html
http://www.sz-online.de/nachrichten/tornados-fliegen-ueber-syrien-3292761.html
http://www.sz-online.de/nachrichten/tornados-fliegen-ueber-syrien-3292761.html
http://www.sz-online.de/nachrichten/tornados-fliegen-ueber-syrien-3292761.html
Zweck gesammelten Aufklärungsergebnisse ausschließlich dafür verwendet werden .
Zusatzfrage? - Bitte schön .
Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident . - Frau Staatsministerin, laut Berichten hat der IS bei seinem Angriff
auf die syrische Stadt Deir al-Sor letzte Woche erstaunlich genaue Informationen über die Stellungen der syrischen Regierungsarmee gehabt . Der IS soll Frauen, Kinder und auch Soldaten verschleppt haben .
Sie haben gerade gesagt: Wir, die Bundesregierung,
gehen davon aus, dass die zu diesem Zweck gesammelten Aufklärungsergebnisse nur für die genannten Ziele
und nicht für etwas anderes benutzt werden . - Ich möchte
gerne wissen, wie Sie das verifizieren. Habe ich es richtig verstanden, dass Sie als Bundesregierung nicht ausschließen können, dass diese Daten auch anders verwendet werden können, zumal der Sprecher der Bundeswehr
sagt, dass es natürlich keinen Grund dafür gebe, dass die
Türkei bestimmte Bilder nicht sehen dürfe? Das, was von
Nutzen ist, wird in die Datenbank der Anti-IS-Koalition
eingespeist . Das heißt, laut dem Sprecher der Bundeswehr werden alle Daten, die die Tornados aufnehmen,
auch an den NATO-Partner Türkei weitergegeben .
Frau Staatsministerin .
Frau Kollegin Dağdelen, ich hatte es schon erläutert,
und Sie haben auch eine Kleine Anfrage dazu gestellt;
die Antwort ist Ihnen am 14 . Januar zugegangen . Wir
haben darin sehr deutlich das gesagt, was ich eben auch
gesagt habe, nämlich dass die Datenverwendung mandatskonform geschieht .
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte .
„Mandatskonform“ schließt nicht aus, dass die Türkei
die Daten, die über die deutschen Tornado-Einsätze gewonnen werden, auch in ihrem Kampf gegen die Kurden
im Irak oder in Syrien benutzen kann .
Frau Kollegin, ich wiederhole das gern, aber ich schätze: Es wird auch weiterhin so sein, dass Sie diese Frage
stellen, nicht nur heute, sondern auch beim nächsten Mal
und beim übernächsten Mal, weil Ihnen eine bestimmte
Antwort vorschwebt . - Ich muss Ihnen sagen: Wir haben
das durch diese Mandatsbezogenheit gewährleistet und
stellen es damit auch sicher .
({0})
Danke schön . - Im letzten Moment noch; ausnahmsweise, Frau Hänsel .
({0})
- Ich habe Sie nicht gesehen . Das stimmt . Ich wurde abgelenkt .
Frau Hänsel, noch eine Frage .
Danke schön . - Ich möchte dazu einfach noch einmal nachfragen, Frau Staatsministerin; denn es gibt Geheimdienstinformationen, auf deutscher Seite, aber auch
Veröffentlichungen in der Türkei darüber, dass die Regierung Erdogan auch den IS und andere islamistische
Terrorgruppen in Syrien unterstützt .
({0})
Zu Waffenlieferungen gibt es mittlerweile öffentliche
Berichte . Journalisten sind in der Türkei ins Gefängnis
gekommen, weil sie es veröffentlicht haben .
Deswegen meine Nachfrage: Können Sie hiermit ausschließen, dass Aufklärungsbilder an den NATO-Partner
Türkei gehen, der auch islamistische Terrorgruppen in
Syrien unterstützt und mit diesen Bildern dazu beitragen
kann, dass diese Gruppen militärisch gestärkt werden?
Frau Staatsministerin .
Frau Kollegin Hänsel, ich bleibe dabei: Die Mandatskonformität ist gegeben .
Dann kommen wir zur Frage 9 des Abgeordneten
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen:
Werden nach Kenntnis bzw . Einschätzung der Bundesregierung Frauen in Algerien, Marokko und Tunesien hinreichend vor sexueller Gewalt geschützt, und inwiefern hält die
Bundesregierung den Vorschlag, diese Staaten zu sicheren
Herkunftsstaaten zu bestimmen, für geeignet, schutzsuchende
Frauen aus diesen Staaten effektiv vor geschlechtsspezifischer
Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure in diesen Staaten zu
schützen?
Frau Staatsministerin, bitte .
Gern . - Herr Kollege Beck, nach Erkenntnissen der
Bundesregierung werden in allen drei Ländern Frauen
grundsätzlich vor sexueller Gewalt geschützt . Dass es
dennoch zu Übergriffen kommt, ist nicht auszuschließen . Beim individuellen Schutz von Frauen, vor allem
vor nichtstaatlichen Akteuren, gibt es Raum für Verbesserungen .
Physische und psychische Gewalt einschließlich sexueller Gewalt kann ein Verfolgungshandeln im Sinne
des Asylgesetzes sein und das Recht auf Asyl begründen .
Dies gilt auch für Frauen aus Marokko, Algerien und
Tunesien - unabhängig von einer möglichen Einstufung
dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten .
Entscheidend ist, dass im Asylverfahren die Existenz
von Verfolgungsgründen im Einzelfall nachgewiesen
wird . Bei Asylverfahren von Antragstellern aus sicheren Herkunftsstaaten wird geprüft, ob die angegebenen
Tatsachen oder Beweismittel die Annahme begründen,
dass dem Antragsteller/der Antragstellerin abweichend
von der allgemeinen Lage im Herkunftsland politische
Verfolgung droht . Dabei wird eine etwaige Verfolgung
durch nichtstaatliche Akteure berücksichtigt; ebenso
werden mögliche Akteure berücksichtigt, die Schutz vor
Verfolgung bieten können . Ob dann eine vorgetragene
geschlechtsspezifische Verfolgung zu einer entsprechenden Schutzanerkennung führt, kann nur im Rahmen einer
Einzelfallprüfung festgestellt werden .
Zusatzfrage? - Herr Beck .
Vorausschicken möchte ich: Voraussetzung für die
Einstufung als sicheres Herkunftsland ist laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass keine
gruppenspezifische Verfolgung - bezogen auf keine soziale Gruppe - vorhanden ist . Frauen sind eine soziale
Gruppe wie Journalisten, religiöse Minderheiten usw . Es
hilft nichts, dass Sie sagen: Hinterher kann man trotzdem
noch individuell prüfen . - Vorher müssen Sie prüfen, ob
diese Einstufung von der Menschenrechtslage her angemessen ist .
Ich will Ihnen die Chance geben, darauf einzugehen - unter Einbeziehung eines weiteren Aspektes,
einer weiteren Gruppe, bezogen auf Marokko . Die
Friedrich-Naumann-Stiftung sagt, sie habe ihre Büroleiterin abgezogen, um ihre Mitarbeiterin und deren Familie zu schützen, da sich das marokkanische Büro der
Friedrich-Naumann-Stiftung „erdreistet“ hat, einem marokkanischen Journalisten einen Journalistenpreis zuzuerkennen, was auf den Unwillen der dortigen Regierung
gestoßen ist . Wenn eine deutsche Stiftung also sagt: „Wir
müssen die Mitarbeiterin und ihre Familie rausholen, um
sie zu schützen“, sagt das einiges über die Situation in
dem Land und vor allen Dingen über die Situation der
Journalisten in diesem Land . Würden Sie meine Auffassung teilen - und wenn nicht, warum nicht -, dass vor
diesem Hintergrund eine Einstufung Marokkos als sicheres Herkunftsland nicht infrage kommen kann?
Frau Staatsministerin .
Ja, gern . - Herr Kollege Beck, ich habe mir die Anerkennungsquoten für Algerien, Marokko und Tunesien
angeschaut . Wir haben bei Algerien eine Anerkennungsquote von 0,8 Prozent, bei Marokko von 3,7 Prozent und
bei Tunesien von 0,2 Prozent .
Wir alle wissen, was der Begriff „sicherer Herkunftsstaat“ bedeutet . „Sicherer Herkunftsstaat“ heißt nicht,
dass es deswegen keine Einzelfallprüfung mehr gibt .
Das, was Ihnen ein Anliegen ist - und ich darf Ihnen versichern: das gilt für mich genauso -, ist: Dort, wo Frauen
von sexueller Gewalt betroffen sind und Schutz suchen,
muss auch eine Schutzmöglichkeit gegeben sein . Dies ist
über die Einzelfallprüfung möglich .
Sie haben zwar schon einen ganzen Schwung an Fragen gestellt, aber Sie dürfen noch ein letztes Mal fragen .
Ja, so sieht das die Geschäftsordnung vor .
Nein, wenn Sie in einer Frage mehrere Fragen stellen,
dann könnte ich auch sagen: Das war es . - Aber stellen
Sie Ihre nächste Frage .
Es geht darum, dass bei einem sicheren Herkunftsstaat die Verfolgungssituation erst einmal verneint wird .
Wenn wir ein Land als sicheres Herkunftsland bezeichnen, heißt das, wir stellen auch einen Persilschein für die
Menschenrechtslage aus . Wir dürfen das nicht nur im
Hinblick auf die Rückwirkungen auf das Asylverfahren
hier sehen, sondern auch im Hinblick darauf, was das für
das Land heißt .
Würden Sie mir zustimmen, dass deshalb die Anerkennungsquote nicht wirklich etwas aussagt, sondern
dass die ausschlaggebende Frage sein muss: Wie ist die
Menschenrechtslage in dem Land? Die Menschenrechtslage ist für Frauen und Journalisten in diesen Ländern
nicht so, dass sie eine Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsländer rechtfertigt . Oder welche anderen Erkenntnisse über die Menschenrechtslage haben Sie hier?
Frau Staatsministerin .
Ja, gern . - Herr Kollege Beck, wir kennen uns jetzt
schon lange genug . Wir beide wissen, dass wir jeweils
vehement für Menschenrechte eintreten . Dass mit der
Einstufung als sicheres Herkunftsland ein Freischein
ausgestellt würde, ist mitnichten der Fall . Das wissen Sie
genauso gut wie ich . Ich weise das auch in aller Deutlichkeit zurück .
({0})
- Herr Beck, jetzt darf ich Sie daran erinnern: Sie sind
Kölner . In Köln haben wir erlebt, dass Übergriffe auf
Frauen stattfinden. Wir haben jetzt weit über 880 Meldungen . Das ist erschreckend, und ich glaube, vor diesem Hintergrund muss man alles tun, um gegen sexuelle
Gewalt vorzugehen . Frauen, die in Einzelfällen diesen
Schutz brauchen, werden ihn auch erhalten .
({1})
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern . Zur Beantwortung steht
bereit der Parlamentarische Staatssekretär Professor
Dr . Günter Krings .
Wir kommen zur Frage 10 des Abgeordneten Volker
Beck:
Inwiefern hält es die Bundesregierung für migrations- und
sicherheitspolitisch angezeigt und rechtssystematisch kohärent, aus einer positiven Sozialprognose, die Voraussetzung
für die Aussetzung einer Strafe zur Bewährung ist ({0}), darauf zu schließen, dass der
weitere Aufenthalt eines Ausländers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt ({1}), sodass infolgedessen eine Bewährungsstrafe unter Umständen ein Ausweisungsinteresse begründet?
Herr Staatssekretär, bitte .
Dr. Günter Krings, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister des Innern .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Beck, nach § 56 Absatz 1 des
Strafgesetzbuchs setzt das Gericht bei der Verurteilung
zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr
die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn
zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne
die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr
begehen wird .
Diese Wertung nach dem Strafgesetzbuch ist aber nicht
ohne Weiteres auf das Recht der Ausweisung zu übertragen; denn die im Aufenthaltsgesetz geregelten Ausweisungen und die Bewährung nach dem Strafgesetzbuch
verfolgen unterschiedliche Zwecke . Die Ausweisung
dient der Gefahrenabwehr und kann grundsätzlich auch
auf generalpräventiven Erwägungen beruhen . Das heißt,
selbst wenn von dem Ausländer individuell nicht mehr
die Gefahr weiterer Straftaten ausgeht, kann die Ausweisung notwendig sein, um andere von der Begehung von
Straftaten abzuhalten .
Im Übrigen beruht die Ausweisung nach § 53 Aufenthaltsgesetz immer auf einer umfassenden Abwägung von
Ausweisungs- und Bleibeinteressen im Einzelfall . Selbst
wenn also ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1
oder 2 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt, besteht kein Automatismus, dass letztlich auch die Ausweisung ergehen
wird .
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Beck?
Ich habe versucht, nach der Denklogik der verschiedenen Rechtsfolgen zu fragen . Wir haben also einen Täter .
Hier sagt das Strafgericht: Wir setzen die Strafe zur Bewährung aus, weil wir auf eine positive Sozialprognose
setzen . Das dürften wir sonst nicht tun . - Dann sagt das
Ausländeramt: Das nehmen wir als Grundlage für die
Behauptung, diese Person stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar . - Das widerspricht
eigentlich der Entscheidung des Strafgerichtes . Hier
muss man sagen: Hü oder hott . Entweder ist diese Person
eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dann ist die Erkennung auf eine Bewährungsstrafe eine
falsche Entscheidung -, oder sie ist eben keine Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung . Dann sind die
Voraussetzungen für eine Ausweisung nicht mit diesem
Automatismus gegeben . Deshalb würde mich interessieren, welchen Sinn es hat - mit Bewährungsstrafen sind
Bewährungsauflagen verbunden -, dass die Bewährung
überprüft wird, wenn wir jemanden in dieser Zeit abschieben . Das heißt dann auch, dass er seinen Bewährungsauflagen entgeht. Damit wird dem strafrechtlichen
Ziel der Besserung nicht hinreichend Rechnung getragen. Wie wollen Sie diese Widersprüche auflösen?
Herr Staatssekretär .
Vielen Dank . - Herr Beck, Sie sind ja kein Jurist, aber
Sie versuchen, uns juristisch immer ein wenig auf das
Glatteis zu führen .
({0})
Sie sind vielleicht Erfahrungsjurist . Ich kenne ohnehin
nur zwei Erfahrungsjuristen: Der andere ist Ministerpräsident in Bayern . Ich will gerne versuchen, juristisch etwas Licht in die Sache zu bringen, lieber Kollege Beck .
Wir haben zwei unterschiedliche Rechtskreise . Das
eine ist das Strafrecht, das andere das Ordnungsrecht .
Das Ausländerrecht ist ein besonderes Ordnungsrecht .
Von daher gibt es andere Maßstäbe und eine andere
Schwelle, ab der eine bestimmte Folge eintreten kann .
Insofern ist das kein Widerspruch . Vielmehr hat das
Strafrecht sehr viel strengere Maßstäbe . Gerade die InStaatsministerin Dr. Maria Böhmer
haftierung, das Wegsperren eines Menschen, ist an ganz
besondere Voraussetzungen gebunden, während das Ausländerrecht heute von einem besonderen Ordnungsrecht
ausgeht - früher haben wir von Polizeirecht gesprochen .
Die Frage, die Sie angesprochen haben, finde ich absolut berechtigt . Nimmt man dem Strafrecht und seinem
Anspruch bezüglich der Bewährungsauflagen nicht etwas
weg? Nein, das macht man im Ergebnis nicht . Im Schengen-Raum gibt es ein klares europarechtliches Rechtsprinzip: Die Rückführung aus dem Schengen-Raum hat
immer Vorrang vor dem nationalen Strafanspruch . Insofern handeln wir hier konsequent bei der Klarstellung der
Kriterien, was das Ausweisungsinteresse anlangt .
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte .
Wir reden jetzt über Köln und die Folgen . Aber wir
machen allgemeine Gesetze, die nicht nur für Algerier
und Marokkaner auf Bahnhofsvorplätzen gelten, sondern
die insgesamt stimmen müssen . Vielleicht können Sie
mir das noch einmal an einem anderen Beispiel erklären .
Wie muss man es sich bei einem assoziationsberechtigten Türken vorstellen, wenn in § 53 Absatz 3 Aufenthaltsgesetz auf eine schwerwiegende Gefahr abgestellt
wird und in § 56 StGB von der Perspektive ausgegangen
wird, dass diese Person keine Straftaten mehr begehen
wird? Trotzdem ist eine Entscheidung nach § 56 StGB
hinterher Grundlage, um die schwerwiegende Gefahr
dennoch zu bejahen . Können Sie erläutern, wie man sich
dies denklogisch vorzustellen hat?
Ich werde mit Erlaubnis des Präsidenten versuchen,
Ihnen dies näherzubringen .
Noch einmal ein Hinweis auf die beiden verschiedenen Rechtskreise . Im Ausländerrecht gibt es auch
generalpräventive Erwägungen . - Ich will noch einmal
darauf hinweisen, dass ich mit keinem Wort Köln und
die nordafrikanischen Staaten erwähnt habe . Vielleicht
haben Sie Ihre letzte Frage noch im Gedächtnis .
({0})
- Sie haben mich gefragt, und ich antworte Ihnen natürlich .
Ich stimme Ihnen zu, dass wir Gesetze so machen
müssen, dass sie generell und immer passen . Es ist übrigens auch nicht so, dass das zum ersten Mal passiert .
Auch nach geltender Rechtslage, durch Gerichte bestätigt, gibt es schon Konstellationen, dass jemanden nach
einer Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe die Ausweisung ereilt . Insofern ist das im Prinzip nichts Neues . Wir haben die Kriterien - die Abwägung zwischen
Ausweisungs- und Bleibeinteressen - durch diesen Gesetzentwurf noch einmal nachgeschärft . Wir haben aber
in die deutsche Rechtsordnung im Prinzip nichts Neues
eingeführt .
Zusatzfrage des Abgeordneten Wunderlich, Fraktion
Die Linke .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Ich bin Praxisabgeordneter, war zwölf Jahre Strafrichter, habe etliche Vollstreckungen zur Bewährung ausgesetzt, mit entsprechenden
Bewährungsauflagen. Ich habe das, was Herr Kollege
Beck hier gesagt hat, auch schon im Rechtsausschuss gesagt: Die Regelungen beißen sich .
Man bekommt auf der einen Seite von einem Gericht
eine günstige Legal- und Sozialprognose, die die Voraussetzung dafür ist, eine Vollstreckung zur Bewährung
auszusetzen; jetzt ist der Zeitrahmen dafür ein Jahr . Man
sagt also: Dieser Täter ist in einem gesicherten sozialen
Umfeld und wird keine Straftaten mehr begehen . - Auf
der anderen Seite sagt ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde: Von dem geht eine Gefährlichkeit aus, deswegen
wird er ausgewiesen . - Dabei heißt Ausweisung noch
nicht, dass derjenige draußen ist; auch da wird den Leuten Sand in die Augen gestreut .
Ich habe auch ein Problem damit: Was ist mit den faktischen Inländern, die bereits seit 25 oder 30 Jahren hier
in Deutschland wohnen, aber keinen deutschen Pass haben, den türkischen Gastarbeitern, die mit der ersten Welle gekommen sind? Sie gehen heute auf eine Demonstration gegen Erdogan, was man nachvollziehen kann . Die
Regierungskoalition hat vor kurzem die Strafandrohung
bei Widerstand gegen die Staatsgewalt auf zwei Jahre heraufgesetzt, was nach Überzeugung der Opposition völliger Quatsch war . Wie schnell ist bei solch einer Demonstration der Straftatbestand der Widerstandshandlung
erfüllt, wie schnell riskiert man ein Jahr Freiheitsstrafe
auf Bewährung! In einem solchen Fall droht einem als
faktischer Inländer die Abschiebung in ein Land, zu dem
man überhaupt keinen Bezug mehr hat, in dem keiner aus
der Familie mehr lebt, in dem die eigene Familie möglicherweise nie war . Sehen Sie das als rechtsstaatskonform
an?
Ich kann nur wiederholen: Wir machen hier ein generell-abstraktes Gesetz, und die Rechtsfigur des faktischen
Inländers ist der deutschen Rechtsordnung nicht bekannt .
({0})
Herzlichen Dank . - Die Frage 11 der Kollegin
Dağdelen wird schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 12 und 13 der Kollegin Jelpke und die Frage 14 des
Kollegen von Notz .
Dann kommen wir zur Frage 15 der Abgeordneten
Dr . Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen:
Aufgrund welcher neuen Erkenntnisse gelangt die Bundesregierung zu der Einschätzung, dass Algerien und Marokko
jetzt als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können
({0}), und hält die
Bundesregierung die Warnungen unter anderem von Pro Asyl
vor einer solchen Einstufung ({1}) für unbegründet?
Herr Staatssekretär, bitte .
Vielen Dank . - Das war bereits im Geschäftsbereich
des Auswärtigen Amtes Thema . Zurzeit kann ich nur
so viel sagen: Die Bundesregierung prüft aktuell die
Einstufung von Marokko und Algerien als sichere Herkunftsstaaten im Sinne von § 29 a des Asylgesetzes in
Verbindung mit dem bekannten Artikel 16 a Absatz 3 unseres Grundgesetzes . Die fachliche Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Einstufung der genannten Staaten
als sichere Herkunftsstaaten erfüllt sind, ist noch nicht
abgeschlossen . Die Bundesregierung verspricht sich von
einer solchen Einstufung, wenn sie denn erfolgen sollte,
dass Asylanträge von Staatsangehörigen aus diesen Ländern schneller bearbeitet und Rückführungen im Falle einer Ablehnung schneller durchgeführt werden, wenn die
individuelle Prüfung des Antrags keinen Anspruch auf
Asyl ergibt . Ich darf betonen, dass es nach wie vor eine
individuelle Prüfung gibt, aber die ganze Prüfung dann
schneller erfolgen kann .
Ihre Zusatzfrage, Frau Dr . Brantner .
Uns hat die Zuordnung dieser Frage zu diesem Geschäftsbereich auch gewundert . - Sie haben gesagt,
dieser Prozess sei noch nicht abgeschlossen . Kann ich
daraus rückschließen, dass es neue Lageeinschätzungen
gibt?
Ich habe jetzt keinen exakten Zeitplan, gehe aber davon aus, dass wir kurz vor dem Abschluss sind . Ich will
jetzt nicht sagen, dass das alles noch Wochen dauert,
will hier also keine falschen Vorstellungen wecken . Das
Ganze funktioniert so: Das Auswärtige Amt macht eine
Analyse zu den inneren Verhältnissen des betroffenen
Landes, also zur Rechtslage, aber auch zur Rechtsanwendung - allein die Tatsache, dass ein Gesetz im Buch
steht, ist noch nicht entscheidend - und zu den politischen Verhältnissen . Diese Analyse wird vom Auswärtigen Amt - da können Sie sicher sein - sehr sorgfältig
vorgenommen . Das Ergebnis lassen wir wiederum in
eine abschließende Bewertung einfließen. Das geht dann
in die gesetzgeberische Arbeit ein. Wir befinden uns in
diesem Prozess . Die aktuellsten dem Auswärtigen Amt
verfügbaren Erkenntnisse fließen darin ein.
Zusatzfrage? - Bitte schön .
Danke schön . - Ich möchte gern auf die Ausreise der
Büroleiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung aus Marokko eingehen, die aus Gründen der persönlichen Sicherheit bevorzugt, das Land zu verlassen, und möchte
Sie fragen, inwieweit Sie glauben, dass ein Land sicher
sein kann, aus dem eine Vertreterin aus dem Ausland bevorzugt auszureisen, weil sie sich nicht sicher fühlt .
Ich kann zu dem konkreten Einzelfall nichts sagen;
aber auch dieser Einzelfall wird in die Abwägungen und
die Analyse des Auswärtigen Amtes mit eingeflossen
sein . Ich zögere ein wenig, es so zu sagen, aber trotzdem will ich darauf hinweisen: Streng genommen geht
es natürlich um die Sicherheit der Menschen aus diesem
Land, also derjenigen, die für Asylanträge in Betracht
kommen . Man wird diesen Fall in die Analyse einbeziehen; aber er wird nicht das endgültige und nicht weiter zu
hinterfragende Kriterium sein . Es ist ein Punkt, der in die
Abwägung einfließt, aber es gibt viele weitere Punkte.
Eben hat die Kollegin aus dem Auswärtigen Amt auf die
sehr niedrige Anerkennungsquote hingewiesen . Dies ist
ein Anhaltspunkt bei der Klärung der Frage, ob es sich
um ein sicheres Herkunftsland handelt; aber es geht eben
auch um die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die
politischen Verhältnisse im jeweiligen Land . Das ist natürlich für jedes Land getrennt zu beurteilen .
Ich rufe die Frage 16 der Abgeordneten Martina
Renner, Fraktion Die Linke, auf:
Warum wurde laut Presseberichten ({0}) nach einem Waffenfund im Auto von
Anders Breivik im Rahmen einer Kontrolle nahe Wetzlar im
Jahr 2011 weder Anders Breivik in Gewahrsam genommen
noch der Kontakt zu norwegischen Behörden in dieser Angelegenheit gesucht?
Herr Staatssekretär, bitte .
Mit Erlaubnis des Präsidenten und auch mit Ihrer
Erlaubnis, Frau Abgeordnete, würde ich gerne die Fragen 16 und 17 zusammen beantworten .
Das können wir machen .
Dann rufe ich auch Frage 17 der Abgeordneten
Martina Renner, Fraktion Die Linke, auf:
Welche Behörden wurden von welchen Stellen in dieser
Angelegenheit unterrichtet ({0})?
Dann haben Sie vier Zusatzfragen, Frau Abgeordnete .
Vizepräsident Peter Hintze
http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/wir_machen_uns_die_welt_wie_sie_uns_gefaellt_die_ganze_welt_ein_sicherer_herkunftsstaa
http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/wir_machen_uns_die_welt_wie_sie_uns_gefaellt_die_ganze_welt_ein_sicherer_herkunftsstaa
http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/wir_machen_uns_die_welt_wie_sie_uns_gefaellt_die_ganze_welt_ein_sicherer_herkunftsstaa
http://hessenschau.de/politik/massenmoerder-breivik-vor-tat-bei-wetzlar-kontrolliert-,breivik-102.html
http://hessenschau.de/politik/massenmoerder-breivik-vor-tat-bei-wetzlar-kontrolliert-,breivik-102.html
http://hessenschau.de/politik/massenmoerder-breivik-vor-tat-bei-wetzlar-kontrolliert-,breivik-102.html
Genau, dann haben Sie vier Zusatzfragen . Ich fürchte allerdings - das kann man absehen -, dass Sie auch
mit vier Zusatzfragen nicht viel weiterkommen, weil ich
Ihnen nur Folgendes antworten kann: Der Bundesregierung liegen keine Informationen über eine Kontrolle des
Anders Breivik nahe Wetzlar im Jahr 2011 vor . Ich darf
zur Erläuterung ergänzen: Es geht wohl um den Bericht
eines Journalisten auf Arte, der auch schon als Autor
von Spielfilmen aktiv war. Er hat das Thema „Waffenexporte“ journalistisch wie auch in Form von Spielfilmen
behandelt . Er hat eine Aussage gemacht, die wiederum
von der Hessenschau aufgegriffen worden ist . Uns liegen
auch nach Abfrage - das müssen wir streng genommen
gar nicht tun, wir haben es aber selbstverständlich gemacht - bei den in Betracht kommenden Landessicherheitsbehörden keine Erkenntnisse über eine solche Kontrolle in dem genannten Jahr 2011 vor .
Haben Sie eine Zusatzfrage? - Nein . - In Ordnung,
gut . Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums des Innern .
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen, die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Uwe Kekeritz sowie die Fragen 20 und 21 der
Abgeordneten Katrin Kunert, werden schriftlich beantwortet .
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die Fragen 22 und 23 des
Abgeordneten Dr . André Hahn sowie die Frage 24 der
Abgeordneten Brigitte Pothmer, werden auch schriftlich
beantwortet .
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die Fragen 25
und 26 der Abgeordneten Bärbel Höhn, werden auch
schriftlich beantwortet .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung . Zur Beantwortung
steht bereit der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ralf
Brauksiepe .
Ich rufe die Frage 27 der Abgeordneten Dr . Franziska
Brantner, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Sieht die Bundesregierung nach dem Zustandekommen einer Einheitsregierung in Libyen die Voraussetzungen erfüllt,
um die von der Bundesministerin der Verteidigung, Dr . Ursula
von der Leyen, geäußerten Pläne für einen Einsatz der Bundeswehr in Libyen voranzutreiben ({0}),
und für welche der konkurrierenden libyschen Streitkräfte
würde die Bundeswehr Aufbauhilfe leisten?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Frau Kollegin Brantner, ich antworte Ihnen wie folgt:
Der fragile innerlibysche Verhandlungs- und Entscheidungsprozess zur Etablierung einer Einheitsregierung
ist noch nicht abgeschlossen . Damit gibt es noch keine
Einheitsregierung .
Während das Parlament in Tobruk am 25 . Januar trotz
Vorbehalten das Friedensabkommen mehrheitlich mit
97 von 104 der anwesenden Abgeordneten bestätigt hat,
hat es zugleich mit 89 von 104 Stimmen die durch den
Präsidialrat vorgelegte Kabinettsliste einer zukünftigen
libyschen Einheitsregierung abgelehnt . Hier gilt es, den
weiteren politischen Prozess abzuwarten . Die Bundesregierung begrüßt gleichwohl den durch die Vereinten
Nationen begleiteten Friedensprozess und die weitere
Umsetzung des Friedensabkommens in Libyen .
An der Bildung einer libyschen Einheitsregierung
im Rahmen des VN-vermittelten Friedensplans hat die
Bundesregierung ein hohes Interesse und unterstützt
den politischen Prozess . Erst nach der Bildung einer libyschen Einheitsregierung könnte diese eine formelle,
völkerrechtlich legitime Unterstützungsanfrage an die
internationale Gemeinschaft richten . Im Bereich der Sicherheit würde dann zunächst die Aufstellung von zur
Einheitsregierung loyalen Sicherheitskräften, den künftigen libyschen Streitkräften, abzuwarten sein . Das würde voraussichtlich noch einige Zeit nach der Einführung
einer Einheitsregierung in Anspruch nehmen . Nach dem
erfolgreichen Abschluss eines solchen Prozesses wäre
deutsche Ausbildungsunterstützung eine denkbare Option .
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete
Dr . Brantner?
Wohl wissend, dass die Verhandlungen sehr schwierig
sind - Sie haben es gerade erwähnt - und dass einer der
Gründe, warum die Verhandlungen schwer vorankommen, die Angst oder die Befürchtung einzelner Akteure ist, dass es einen Druck gibt, zu einer gemeinsamen
Regierung zu kommen, um danach militärisch in Libyen
aktiv zu sein, und dass viele sagen: Das ist von außen
aufgesetzt, der Druck ist sehr groß, und am Ende will
die internationale Gemeinschaft nur ISIS militärisch
bekämpfen - halten Sie es vor diesem Hintergrund für
hilfreich, dass Frau Ministerin von der Leyen diese Ankündigung gemacht hat?
Ja .
({0})
Okay . - Haben Sie zu dieser überraschenden Antwort
noch eine Zusatzfrage, Frau Dr . Brantner?
Wenn Sie sagen: „Ja“, dann würde ich gerne von Ihnen wissen: Warum?
({0})
Herr Staatssekretär .
Frau Kollegin Brantner, ich habe Ihnen den Prozess
aufgezeigt, der erforderlich ist, damit es überhaupt eine
Ausbildungsunterstützung geben könnte . Ich denke, es
ist für uns alle von großem Interesse, dass Libyen wieder eine handlungsfähige und international legitimierte
Regierung bekommt . An diesem Thema arbeiten viele
Länder, und daran arbeitet auch die Bundesregierung
intensiv . Das ist im Interesse der Menschen in Libyen
und natürlich auch im Interesse der Stabilität der gesamten Region, einer Region, die nicht weit von uns entfernt liegt . Vor diesem Hintergrund, denke ich, könnte
sich Deutschland, wenn es möglich wäre, einen solchen
Prozess zu unterstützen und positiv zu begleiten, dieser
Möglichkeit nicht von vornherein entziehen .
Die Frage 28 des Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele und die Frage 29 der Abgeordneten Höger werden schriftlich beantwortet .
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Verteidigung .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit . Zur Beantwortung steht die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Annette WidmannMauz bereit .
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Fraktion Die Linke, auf:
Was wird die Bundesregierung unternehmen, um die in
einem Offenen Brief vom Oktober 2015 von 212 Rotenburger Ärztinnen und Ärzten an die niedersächsische Ministerin
für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Cornelia Rundt,
({0}) erhobene Forderung, die Ursachenforschung bezüglich der in den letzten Jahren im Landkreis
Rotenburg ({1}) erfolgten Zunahme von Krebserkrankungen durch die rasche Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel für die unbedingt notwendigen wissenschaftlichen
Untersuchungen sicherzustellen, durchzusetzen ({2})?
Frau Staatssekretärin, bitte .
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die Aufklärung
der Ursachen von statistisch auffällig hohen Zahlen von
Krebserkrankungen in bestimmten Regionen liegt in der
Zuständigkeit der jeweiligen Landesbehörden . Die Ursachenerforschung wegen erhöhter Krebserkrankungszahlen im Landkreis Rotenburg ({0}) erfolgt derzeit
durch den zuständigen Landkreis, unterstützt von verschiedenen Behörden des Landes Niedersachsen, unter
anderem des Landesgesundheitsamtes sowie des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen . Zurzeit
läuft dort die Auswertung einer Befragung sämtlicher
Bewohner der Samtgemeinde Bothel . Circa 7 000 Fragebögen wurden verschickt, circa 5 000 sind zurückgekommen und werden derzeit geprüft und ausgewertet .
Auf der Grundlage der Informationen aus der Befragung wird versucht werden, die Ursache für die vermehrten Krebserkrankungen zu identifizieren. Zusätzlich hat
das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung eine Literaturstudie zu den Risikofaktoren des in diesem Zusammenhang gehäuft auftretenden multiplen Myeloms in Auftrag gegeben . Deren
Ergebnisse werden in der zweiten Jahreshälfte erwartet .
Sie sollen mit den Ergebnissen aus der Befragung abgeglichen werden, um daraus gegebenenfalls auf Landesoder kommunaler Ebene weitere Schritte abzuleiten .
Zusatzfrage? - Bitte schön .
Danke schön, Herr Präsident . - Frau Parlamentarische
Staatssekretärin, erst einmal mein Dankeschön für die
ausführliche Antwort . Ich habe trotzdem eine Nachfrage .
Ein Appell von 200 Ärzten ist ja keine Selbstverständlichkeit, sondern ein außergewöhnlicher Vorgang . Ich
kann mir gut vorstellen, dass sich die Bevölkerung in
Niedersachsen sehr große Sorgen macht . Es ist ja relativ
klar - das ist das absehbare Ergebnis, auch wenn das noch
nicht komplett erforscht ist; eigentlich bin ich auch kein
Freund von Analogieschlüssen -, dass möglicherweise
ein Zusammenhang mit der seit Jahrzehnten laufenden
intensiven Gasförderung im Land Niedersachsen bestehen könnte, um es einmal vorsichtig auszudrücken . Es
gibt ja durchaus Hinweise darauf, dass das so sein kann .
Deswegen noch einmal eine grundsätzliche Frage: In
der Öffentlichkeit wird schon darüber diskutiert, ob es
nicht sinnvoll sein könnte, einen öffentlich verwalteten
Fonds einzurichten, um eine umfassende Studie über die
gesundheitsbezogenen Folgen von 70 Jahren Erdgasund Erdölförderung in Niedersachsen zu erstellen . Würde sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass Gelder
für einen solchen zu gründenden öffentlich verwalteten
Fonds von der Industrie bereitgestellt werden, alternativ
dazu vom Bund oder dem Land Niedersachsen? Wie stehen Sie zu einem solchen Fonds?
Frau Staatssekretärin .
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich glaube, zunächst
einmal ist es wichtig, die Ergebnisse der Umfrage und
die Literaturstudie abzuwarten; denn nur so kann man
die Ursächlichkeit klären, nur so kann man klären, ob
http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/bothel144.pdf
http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/bothel144.pdf
http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Krebsfaelle-in-Bothel-Hilferuf-von-200-Aerzten,bothel142.html
http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Krebsfaelle-in-Bothel-Hilferuf-von-200-Aerzten,bothel142.html
http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Krebsfaelle-in-Bothel-Hilferuf-von-200-Aerzten,bothel142.html
ein Zusammenhang zwischen der Erdgasförderung in
der Region und den Erkrankungen besteht . Wenn diese
Ergebnisse vorliegen, dann wird zu entscheiden sein, ob
und welche weiter gehenden Untersuchungen durchzuführen sind . Wir warten sehr gespannt auf die Ergebnisse
der Befragung und die Studie .
Noch eine Zusatzfrage?
Ich habe noch eine Zusatzfrage in diesem Zusammenhang .
Bitte .
Aktuell wird sehr intensiv über die Frage der intensiven Gasförderung in Deutschland diskutiert . Herr
Kümpel von der BGR hat in einem aufsehenerregenden
Aufsatz für den Tagesspiegel sogar die These aufgestellt,
dass die Gefahren, zum Beispiel die Erdbebengefahr, bei
einer intensiven Gasförderung herkömmlicher Art größer
sind als die Gefahren, die möglicherweise durch Fracking hervorgerufen werden könnten . Wie bewerten Sie
denn solche Aussagen? Wäre es vor diesem Hintergrund
nicht tatsächlich sinnvoll, sich noch einmal viel genauer
mit den Ursachen und Folgen intensiver Gasförderung,
insbesondere im Land Niedersachsen, auseinanderzusetzen?
Zunächst einmal: Das Bundesgesundheitsministerium
ist an den gesundheitlichen Auswirkungen interessiert,
die sich gegebenenfalls aus verschiedenen Förderungen
ergeben können . Dafür haben wir bisher keine belastbaren Daten . Diese werden derzeit ermittelt . Wenn es
darüber hinausgehende Thesen gibt, die in andere Ressorts der Bundesregierung fallen, wird sich die Bundesregierung auch damit auseinandersetzen . Aber ich bitte
um Nachsicht, dass das Bundesgesundheitsministerium
zunächst natürlich die gesundheitlichen Auswirkungen
besonders im Blick hat . Dazu brauchen wir valide Kenntnisse . Diese sind erst Mitte des Jahres nach der Auswertung zu erwarten .
Danke schön .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Die
Fragen 31 und 32 des Kollegen Matthias Gastel, die Frage 33 des Kollegen Oliver Krischer sowie die Fragen 34
und 35 des Kollegen Herbert Behrens werden schriftlich
beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit . Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung . Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Stefan
Müller bereit .
Ich rufe Frage 38 des Abgeordneten Hubertus Zdebel
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die offenbar weiterhin
im Forschungszentrum Jülich stattfindenden Vorbereitungen
eines Exports der 152 Castorbehälter mit hochradioaktiven
Brennelementen aus Jülich in die USA entsprechend der jetzt
vorliegenden Umweltverträglichkeitsprüfung ({0}) sowie der offenkundigen Einbeziehung auch der bestrahlten Brennelemente des THTR
Hamm-Uentrop vor dem Hintergrund einer intensiven Diskussion und einem konsensualen Beschluss der Endlagerkommission vom 2 . Oktober 2015 für ein Exportverbot für hochradioaktive Brennelemente, insbesondere auch für Jülicher
Brennelemente, an dessen Erarbeitung auch das Bundesumweltministerium maßgeblich beteiligt war, und in welcher
Weise will die Bundesregierung der von der Endlagerkommission beschlossenen Exportverbotsempfehlung nachkommen
({1})?
Herr Staatssekretär, bitte .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kollege, Sie
fragen ja insbesondere vor dem Hintergrund der Umweltverträglichkeitsprüfung, die in den USA angestellt
wird . Ich will noch einmal die Ausgangslage in Erinnerung rufen . Das nordrhein-westfälische Ministerium für
Wirtschaft und Energie hatte am 2 . Juli 2014 angeordnet,
dass das Lager in Jülich unverzüglich zu räumen ist . Die
Verantwortung hierfür und für den Verbleib der Brennelemente trägt seit dem 1 . September 2015 die Jülicher
Entsorgungsgesellschaft, die jetzt in Abstimmung mit der
atomrechtlichen Behörde drei Optionen zu prüfen hat,
nämlich die Verbringung der Brennelemente in die USA,
die Verbringung in das Transportbehälterlager Ahaus und
den Bau eines neuen Zwischenlagers am Standort Jülich .
Zur Prüfung der technischen Möglichkeiten der
USA-Option - ich nenne es einmal verkürzt so - gab es
eine Vereinbarung zwischen dem Forschungszentrum
Jülich und dem Department of Energy . Dementsprechend
wird diese Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt .
Das Verfahren dauert entgegen anderslautender Presseberichte allerdings noch an . Es gibt lediglich einen Entwurf, und so gibt es jetzt ein Verfahren, um die Öffentlichkeit zu beteiligen . Insofern ist dieses Verfahren noch
nicht abgeschlossen .
Ich will ausdrücklich dazusagen, dass die Durchführung dieser Umweltverträglichkeitsprüfung ein Schritt
bei der Prüfung dieser sogenannten USA-Option ist, der
bei einer Priorisierung innerhalb der drei Optionen sicherlich berücksichtigt wird; aber es ist nicht der einzige
Schritt . Es ist Aufgabe der Jülicher Entsorgungsgesellschaft, in Abstimmung mit der atomrechtlichen Behörde,
http://energy.gov/sites/prod/files/2016/01/f28/Draft%20DOE%20EA%201977_FOR%20PUBLIC.pdf
http://energy.gov/sites/prod/files/2016/01/f28/Draft%20DOE%20EA%201977_FOR%20PUBLIC.pdf
http://energy.gov/sites/prod/files/2016/01/f28/Draft%20DOE%20EA%201977_FOR%20PUBLIC.pdf
http://www.bundestag.de/blob/390810/6ea047d665800493f63f4f1b6a3e6f78/drs_131-neu-data.pdf
http://www.bundestag.de/blob/390810/6ea047d665800493f63f4f1b6a3e6f78/drs_131-neu-data.pdf
also dem Ministerium für Wirtschaft und Energie, die
Priorisierung entsprechend vorzunehmen .
Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte .
Danke, Herr Präsident . - Ich habe folgende Zusatzfrage an Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär: Wie
erklären Sie sich denn, dass in dem Genehmigungsantrag bzw . in dieser Umweltverträglichkeitsstudie aus den
USA plötzlich die Abfälle aus Hamm-Uentrop auftauchen? Meines Wissens ist es so, dass bisher, zumindest
was den Export von Deutschland angeht, vonseiten der
Bundesregierung gesagt worden ist, dass das überhaupt
nicht zur Diskussion steht und dass diese Abfälle, die
sich ja im Moment in Ahaus befinden, weiterhin in der
Bundesrepublik Deutschland entsorgt werden sollen .
Das ist korrekt . All das, was bisher in Antworten auf
schriftliche und mündliche Fragen sowie auf Kleine Anfragen seitens der Bundesregierung bezüglich der Brennelemente aus dem Reaktor in Hamm-Uentrop ausgeführt
worden ist, gilt nach wie vor . Sie sind nicht Gegenstand
der Verhandlungen mit dem Department of Energy .
Noch eine Frage? - Bitte .
Herr Müller, Sie hatten ja gerade die Varianten angesprochen, die im Moment in der Diskussion sind, was,
grob vereinfachend gesagt, die Entsorgung der Jülicher
Atomabfälle angeht . Der Neubau eines Zwischenlagers
in Jülich ist Variante eins, der Transport in das Zwischenlager in Ahaus ist Variante zwei, und der Export in die
USA ist Variante drei . Welche dieser drei Varianten ist
denn aus Sicht der Bundesregierung nach bisheriger Einschätzung der Gesamtsituation die beste?
Dazu kann es zum jetzigen Zeitpunkt keine Einschätzung der Bundesregierung geben . Im Übrigen ist das Sache der Jülicher Entsorgungsgesellschaft in Abstimmung
mit der atomrechtlichen Behörde, nämlich dem nordrhein-westfälischen Wirtschafts- und Energieministerium . Diese drei Optionen werden ergebnisoffen geprüft .
Bislang liegt aber noch kein Ergebnis der Prüfung vor .
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes . Die Frage 39 des Abgeordneten Andrej Hunko wird schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie . Die Frage 40 des
Abgeordneten Oliver Krischer und die Fragen 41 und 42
der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden werden schriftlich
beantwortet .
Wir sind damit am Ende der Fragestunde .
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 .45 Uhr, also bis
zum Beginn der Aktuellen Stunde in fünf Minuten .
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet .
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Armuts- und Reichtumsstudien
Erster Redner dieser Aktuellen Stunde ist der Abgeordnete Dr . Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten
in der letzten Woche diverse Berichte zu einem Thema,
das uns - alle leider offensichtlich nicht ganz so - interessieren sollte: Armut und Vermögensungleichheit in unserem Land . Ich will insbesondere auf die Oxfam-Studie
eingehen, die einige Zahlen hervorgebracht hat, die uns
mehr als nachdenklich stimmen sollten .
Sie haben alle zur Kenntnis genommen, dass 62 Menschen - 53 Männer und 9 Frauen - zusammen genauso
viel besitzen wie 3,6 Milliarden Menschen auf dieser
Welt . Vor einem Jahr waren es sogar noch 80 Menschen;
es sind also noch weniger geworden . Die Vermögen dieser 62 sind in den letzten fünf Jahren noch einmal um
44 Prozent auf 1,76 Billionen Dollar gestiegen; das sind
sechs Bundeshaushalte . Das, meine Damen und Herren,
ist asozialer Reichtum,
({0})
zumal das Vermögen der 3,6 Milliarden Menschen, die
genauso viel besitzen, im selben Zeitraum um 41 Prozent
zurückgegangen ist . Das ist ungerecht, und das ist unmenschlich . Das hat im Übrigen mit dem Thema, das wir
hier nahezu täglich besprechen, nämlich dem der Flüchtlinge, sehr viel zu tun . Diese Zahlen sollten uns alle, und
zwar fraktionsübergreifend, aufrütteln . Es ist Aufgabe
der Politik, das zu ändern .
({1})
Diese weltweite Ungerechtigkeit und ihre Folgen sind
nicht gottgewollt, sondern Ergebnis falscher Politik, meine Damen und Herren . Das hat mit dem Wirtschaftssystem zu tun, und das hat mit den Machtverhältnissen zu
tun, und die müssen geändert werden . Jedenfalls ist das
die Position der Linken .
({2})
Wir sind uns mit Sicherheit einig, dass wir nicht zulassen dürfen, dass auf dieser Welt Kinder verhungern .
Wir müssen das gemeinsam verhindern . Deshalb ist es
die Aufgabe, hier einzuschreiten .
Die größte Vermögensungleichheit innerhalb der
Euro-Zone besteht, wie der Bericht feststellt, bei uns,
in Deutschland: Die 10 reichsten Prozent der Haushalte besitzen 63 Prozent des Gesamtvermögens, und der
größte Anteil - das ist der eigentliche Skandal - entsteht
durch Erbschaften und Schenkungen; auch das ist im
Bericht nachzulesen . Wenn die 500 reichsten Familien
in Deutschland ein Vermögen von 615 Milliarden Euro
besitzen, dann ist im Lande etwas nicht in Ordnung, und
dann sind wir gefordert, meine Damen und Herren .
({3})
Mit dem Reichtum in Deutschland muss mehr getan
werden, um auch die Probleme in der Welt zu lösen .
Wenn wir endlich 0,7 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungspolitik ausgeben würden, was seit
Jahren von unterschiedlichen Bundesregierungen postuliert wird, wären wir wirklich einen Schritt weiter .
({4})
Hunger und Durst - egal was deren Ursachen sind - sind
immer grausam und unmenschlich; da sind wir uns einig .
Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind eben auch Botschafter des Elends auf dieser Welt, meine Damen und
Herren .
({5})
Wenn wir dafür mitverantwortlich sind - deutsche Politik ist mitverantwortlich dafür -, dass jährlich weltweit
über 1 500 Milliarden Dollar für Rüstung ausgegeben
werden, dass Rüstungskonzerne blutige Profite machen und es ist nichts anderes - und auf der anderen Seite dem
UNHCR die Mittel fehlen, um die Lager auszustatten,
dann ist etwas völlig nicht in Ordnung, dann muss gehandelt werden .
({6})
Deshalb muss Schluss sein mit dem Diskussionstabu
der Regierungsparteien, wenn es um eine gerechte Steuerpolitik in unserem Land, in Europa und in der Welt
geht . Warum ist es denn so unmöglich, eine europaweite
Millionärssteuer einzuführen, durch die diejenigen, die
von all den Krisen profitiert haben, zur Kasse gebeten
werden?
({7})
Es muss doch bei hohen Freibeträgen möglich sein, hier
etwas abzuholen, um die Armut in der Gesellschaft zu
überwinden .
Genauso ist es im Übrigen auch mit der Erbschaftsteuer . Wir brauchen eine andere Reform und nicht das Pillepalle, das Sie hier vorschlagen . In den nächsten Jahren
werden über 3 Billionen Euro vererbt . Hier muss mehr
abgeholt werden, damit die Probleme, die in dem Bericht
von Oxfam ausgewiesen sind, wirklich angegangen werden .
Nicht zuletzt wurde auch zu den Steueroasen umfangreich etwas gesagt . Es ist festgehalten, dass reiche
Einzelpersonen rund 7,6 Billionen Euro in Steueroasen
angelegt haben . In den Heimatländern gehen damit über
190 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen verloren, die
für Bildung, Krankenversorgung und Investitionen fehlen . Das ist doch inakzeptabel .
Die Koalitionspartner fetzen sich über die Flüchtlingszahlen . Wir sagen: Es gibt in dieser Regierung leider keine moralische Obergrenze, sodass die Milliardenvermögen immer mehr steigen können, und das darf man nicht
zulassen .
({8})
Es ist genug Geld da, um weltweit Hunger, Durst und
medizinische Unterversorgung zu überwinden . Das geht
aber nicht, wenn man keine entschlossene Umverteilung
anstrebt . Keiner der Multimilliardäre auf dieser Welt auch keiner in Deutschland - würde dadurch verarmen,
und das ist eben keine Neiddebatte .
Es bleibt dabei: Die teuersten Flüchtlinge sind die
Steuerflüchtlinge, und wir in diesem Haus haben hier zu
handeln .
Herzlichen Dank .
({9})
Es gibt jedenfalls für die Redezeit in der Aktuellen
Stunde eine Obergrenze von fünf Minuten . Diese wurden
gerade ein bisschen überschritten, aber in Zukunft wollen
wir sie einhalten .
({0})
Als nächster Redner hat Dr . Matthias Zimmer, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort .
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bartsch, wir sollten uns davor hüten, hier falsche
Frontstellungen aufzubauen . Ich glaube, es gibt einen
Konsens in diesem Haus, dass die Entwicklungshilfe, die
ODA-Mittel, angehoben werden - das ist wichtig und
richtig - und die UNHCR-Mittel fließen müssen.
({0})
Keiner tut dafür mehr als unsere Bundeskanzlerin, und
ich freue mich, dass das in diesem Haus auch weitgehend
unterstützt wird .
({1})
Herr Kollege Bartsch, Sie haben Steueroasen und die
Finanztransaktionsteuer angesprochen . Wir haben die
Beschlusslage, die Steueroasen auszutrocknen und eine
Finanztransaktionsteuer einzuführen . Nichts lieber als
das! Natürlich, selbstverständlich!
({2})
Frau Kollegin Andreae, lieber Herr Kollege Bartsch, das
funktioniert aber eben nicht par ordre du mufti - „leider“
muss man hier vielleicht sagen -, sondern man muss dann
eben auch die Kolleginnen und Kollegen in den anderen
europäischen Ländern davon überzeugen, dass es gut und
wichtig und im Interesse aller in Europa und in der Welt
ist, Steueroasen auszutrocknen und eine Finanztransaktionsteuer einzuführen . Dann wird etwas daraus . So wie
Sie sich das vorstellen,
({3})
dass nämlich die deutsche Bundesregierung hier einfach
eine Ordre gibt, kann das Geschäft natürlich nicht funktionieren . Das unterscheidet unseren Politikstil auch von
Ihrem .
({4})
Meine Damen und Herren, wir diskutieren über das
Thema „Armut und Reichtum“ an diesem Tag vor dem
Hintergrund der Veröffentlichung des Jahreswirtschaftsberichts 2016 der Bundesregierung in diesen Minuten .
Der Jahreswirtschaftsbericht 2016 lässt einiges Positive
erahnen und erhoffen . In ihm wird zum Beispiel ausgewiesen, dass die Wachstumsrate im Jahr 2016 vermutlich
1,7 Prozent betragen wird .
({5})
Ich glaube, das ist doch die ganz entscheidende Botschaft:
({6})
Der beste Weg, Armut zu beseitigen, ist ein vernünftiges
Wachstum . Genau dafür sorgt diese Bundesregierung,
sorgen die Bundeskanzlerin und der Bundeswirtschaftsminister .
({7})
Ich sage aber auch, weil das in dem Gutachten anklingt und weil es an diesem Tag vielleicht einmal gesagt
werden sollte: Dem Vorschlag der Wirtschaftsweisen,
den Mindestlohn für die Flüchtlinge zu suspendieren,
werden wir nicht folgen .
({8})
Ich finde es schädlich, ich finde es falsch, ich finde es
vor allen Dingen nicht richtig, die Flüchtlinge gegen die
Niedrigverdiener auszuspielen . Das entspricht nicht unserem Menschenbild .
({9})
Der Markt, meine Damen und Herren, ist nicht alles, sondern der Mensch steht über dem Markt .
({10})
Das ist die Maxime, die wir als christliche Demokraten
haben .
({11})
Vielleicht noch ein Wort zu dem Oxfam-Bericht . Auch
ich habe ihn gelesen . Darin gibt es natürlich eine ganze
Reihe von statistischen Verzerrungen, aber gut .
({12})
- Na ja . Die Wissenschaftler von den Linken haben gesagt: Das stimmt nicht . - Deswegen glaube ich das . Das
ist in Ordnung .
({13})
- Der Glaube spielt bei uns eine große Rolle . Das ist
wohl wahr . Aber auch das Wissen spielt eine große Rolle . Man muss den Unterschied kennen, gnädige Frau . Die
entscheidende Frage ist: Ist Ungleichheit - darauf läuft
der Dissens mit den Linken hinaus - schädlich oder nicht
schädlich für Gesellschaften?
({14})
Die Antwort darauf ist weder ein einfaches Ja noch ein
einfaches Nein . Bei Matthäus zum Beispiel lesen wir
sehr deutlich, dass eine Gesellschaft, die in sich selbst
gespalten ist, keinen Bestand hat . Das gilt natürlich auch
für ökonomische Ungleichheit .
Gleichzeitig ist aber ein gewisses Maß an Ungleichheit auch ein Maß an Freiheit und ein Maß, das uns Innovation und Wachstum ermöglicht . Das wollen wir als
christliche Demokraten haben . Das entspricht ebenfalls
unserem Menschenbild . Unserem Menschenbild entspricht es eben nicht, die Gleichheit zugunsten der Freiheit überzubetonen .
({15})
Ein letzter Gedanke, Herr Kollege Bartsch, was die
Entwicklung der Ungleichheit angeht: Wenn man bei
Thomas Piketty in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert nachliest, dann stellt man fest, dass die Entwicklung der Ungleichheit in den westlichen Demokratien in
den letzten 80 Jahren deutlich abgenommen hat, um dann
in den letzten 20 Jahren moderat zu steigen . Ich glaube,
das ist kein Grund für Alarmismus, wie Sie uns das hier
vormachen wollen, sondern das ist Grund für eine nüchterne Betrachtung dessen, was wir unter sozialer Marktwirtschaft verstehen: mit einem Ausgleich von Gleichheit und Freiheit .
Herzlichen Dank .
({16})
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Kerstin
Andreae, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Zimmer, jetzt haben Sie mich an einer Stelle echt
enttäuscht .
({0})
Dieser Jahreswirtschaftsbericht und die Betonung auf
dem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent: Mein Gott,
der Jahreswirtschaftsbericht ist nicht nur ökologisch
blind, sondern er ist auch sozial gleichgültig, weil einfach nicht dargestellt wird, wie sich der Wohlstand in
dieser Gesellschaft verteilt .
({1})
Ein Streit über die Frage, ob jetzt die Statistik der Oxfam-Studie richtig gerechnet ist oder nicht: Mein Gott, so
what! Fakt ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich
national und global auseinandergeht .
({2})
Es ist eine Aufgabe für uns alle, dagegen etwas zu tun .
({3})
Natürlich gibt es eindeutig Probleme am unteren Ende
der Einkommens- und Vermögensskala; das ist doch offensichtlich . Viel zu viele Menschen haben viel zu wenig . Gleichzeitig verfestigt sich Armut . Dieses Auseinanderdriften schadet einer Gesellschaft . Es schadet dem
Zusammenhalt einer Gesellschaft . Es schadet dem Gefühl, dabei zu sein . Es schadet dem Gefühl, an der gesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben .
Es ist auch wirtschaftlich schädlich . Ich stelle jetzt
nicht die Frage, was es heißt, wenn große Konzerne immer mehr Einfluss auf die Politik nehmen. Das ist vielleicht einmal ein Thema für eine andere Debatte . Aber
Existenzängste schaden der Kreativität . Sie schaden der
Innovation . Wie sollen sich Menschen, die sich Sorgen
machen, ob sie auch noch morgen ihre Existenz sichern
können und ob es ihren Kindern gut geht, kreativ entfalten? Deswegen sind dieses Auseinanderdriften und diese
Verfestigung von Armut bei den unteren Einkommensschichten einfach auch wirtschaftlich schädlich . Es stünde Ihnen gut an, dies anzuerkennen .
({4})
Als Erstes müssen wir am Arbeitsmarkt ansetzen . Das
heißt, wir müssen Menschen mit geringem Einkommen
in den Blick nehmen .
Was Sie in den letzten Monaten bzw . in dieser Legislaturperiode im Gesundheitsbereich und bei den Renten
gemacht haben, hat doch faktisch zur Folge gehabt, dass
die Sozialkassen belastet wurden .
({5})
Wenn wir fixe Sozialabgaben haben, dann trifft das vor
allem Menschen im unteren Einkommensbereich, weil
sich 20 Prozent bei einem geringeren Einkommen stärker auswirken als bei hohen Einkommen . Das heißt, Sie
haben mit Ihrer Politik Menschen mit geringem Einkommen überproportional belastet . Auch das hat dazu geführt, dass es ihnen jetzt schlechter geht .
({6})
Ja, der Mindestlohn war absolut richtig . Aber wir haben neue Entwicklungen . Wir erleben eine Digitalisierung am Arbeitsmarkt, die zu den sogenannten Crowd-,
Cloud- und Click-Workern führt .
({7})
Faktisch ist das die Entwicklung einer prekären Arbeitsschicht, die Sie in den Blick nehmen müssen . Darüber
müssen Sie sich Gedanken machen . Neue Herausforderungen brauchen neue Antworten . Reden wir doch einmal über Mindesthonorare für diese Gruppen . Reden Sie
darüber! Ich fordere im Übrigen auch die Gewerkschaften auf, sich darüber Gedanken zu machen .
({8})
Sehenden Auges laufen wir in die Situation, dass es
eine neue prekäre Arbeitsschicht gibt . Machen Sie sich
darüber Gedanken! Das stünde tatsächlich an .
({9})
In der Steuerpolitik ist ohne Zweifel viel zu tun . Es ist
ein absolutes Unding, dass es bisher nicht gelungen ist,
die Abgeltungsteuer abzuschaffen . Warum im Himmel
werden Lohneinkommen und Kapitaleinkommen unterschiedlich besteuert? Wir haben den Informationsaustausch . Ihr Argument, wir wüssten nicht, wo die Kapitaleinkommen anfallen, weswegen wir die Abgeltungsteuer
von 25 Prozent brauchen, ist hinfällig . Schaffen Sie sie
ab!
({10})
Dann gehen Sie tatsächlich an die hohen Einkommen heran . Denn die Abgeltungsteuer ist für Menschen mit hoDr. Matthias Zimmer
hen Einkommen, die noch richtig Geld anlegen können,
interessant . Aber leider beträgt sie nur 25 Prozent; es gibt
keine progressive Besteuerung . Macht das doch endlich!
Das sagen im Übrigen alle - ihr sagt es; der Finanzminister sagt es -: Die Abgeltungsteuer kann weg .
Letzter Punkt: die Kinderarmut . Sie ist viel zu hoch .
Es ist nach wie vor so: Wenn Sie alleinerziehend sind
oder eine kinderreiche Familie haben, dann stehen Ihre
Chancen gut, dass es Ihnen schlecht geht . Dass Kinder in
Deutschland nach wie vor ein Armutsrisiko sind, ist ein
absolutes Unding .
({11})
Was das für die Kinder in Bezug auf Teilnahme, Teilhabe, Stigmatisierung, aber auch die Verfestigung von Armut bedeutet, ist hochproblematisch .
Die Ganztagsbetreuung, den Ausbau von Kitaplätzen
und die Durchlässigkeit im Bildungssystem haben wir
rauf- und runterdiskutiert .
({12})
Aber wissen Sie, was mich wahnsinnig ärgert? Das betrifft das Kindergeld . Meine Kinder sind 240 Euro wert,
und zwar jedes Kind . Im mittleren Einkommensbereich
bekommt man 190 Euro, und bei einer Hartz-IV-Empfängerin wird das Kindergeld voll angerechnet . Mit dem
Satz, dass jedes Kind gleich viel wert ist, hat das überhaupt nichts zu tun . Das ist zutiefst ungerecht . Machen
Sie etwas dagegen!
({13})
Und schließlich die Erbschaftsteuer .
Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit .
Ich sehe es . Noch ein Punkt . - Einigt euch endlich bei
der Erbschaftsteuer! Die Erbschaftsteuer ist eine Gerechtigkeitssteuer . Wer mit dem goldenen Löffel im Mund
geboren wird, dem geht es besser als jemandem, dessen
Eltern wenig Geld haben . Diese Gerechtigkeitssteuer
müssen Sie in Angriff nehmen . Da müssen Sie etwas tun .
({0})
Wir haben das Problem der Abgrenzung zwischen Privat- und Betriebsvermögen . Dieses Problem sehen wir .
Aber das Finanzministerium ist gefordert, eine Balance
zu finden. Wirtschaftlich vernünftige Vermögensbesteuerung, wirtschaftlich vernünftige Erbschaftsteuer und die
Beteiligung von großen Vermögen und Erbschaften an
der Finanzierung des Gemeinwesens - das wäre Ihr Job .
Frau Kollegin Andreae .
Dazu warte ich auf eine Antwort . Da kommt nichts .
Danke schön .
({0})
Nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Daniela
Kolbe .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wenn so unterschiedliche Organisationen
wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds,
aber auch der DGB, die OECD und sogar das Weltwirtschaftsforum das Gleiche sagen, dann ist das zunächst
einmal irritierend . Es lässt einen stutzen und ins Grübeln
kommen . Es zeigt aber auch, dass es sich lohnt, genauer hinzuschauen . Denn alle gemeinsam sagen, dass die
wachsende globale Ungleichheit ein Riesenproblem für
unsere Welt ist, das wir dringend angehen müssen . Das
sage ich auch Ihnen, Herr Dr . Zimmer, weil Sie gerade
von akzeptabler Ungleichheit gesprochen haben . Das,
was wir weltweit sehen, ist vollkommen inakzeptabel .
({0})
Diese Ungleichheit ist in vielerlei Hinsicht ein Problem: zunächst einmal für die Betroffenen, für die Ärmsten in den Gesellschaften, die nach den Studien nicht nur
relativ, sondern auch in absoluten Zahlen ärmer werden .
In manchen Ländern geht es da ums nackte Überleben .
Aber auch in Deutschland geht es für die Betroffenen um
Lebenschancen, um Teilhabe . Es ist aber auch ein Problem für ganze Volkswirtschaften . Studien der OECD
besagen glasklar: Einkommensungleichheit ist eine
Wachstumsbremse - auch in Deutschland . Insofern widerspreche ich Ihnen da ganz klar, was das Akzeptieren
angeht .
({1})
- Wir führen die Debatte vielleicht an anderer Stelle weiter . Ich habe leider nur fünf Minuten Zeit, und Zwischenfragen kann ich jetzt leider auch nicht zulassen .
Ungleichheit ist aber auch an anderen Stellen negativ,
nicht nur für die Ärmsten und für die Volkswirtschaft,
sondern für alle Betroffenen der jeweiligen Gesellschaft .
Das ist unterhaltsam, aber auch sehr erschreckend nachzulesen in dem Buch Gleichheit ist Glück; es ist schon
etwas länger auf dem Markt und macht ganz deutlich:
In Gesellschaften mit hoher Ungleichheit sind die Menschen unzufriedener, sie fühlen sich unsicherer, und auch
das Bildungsniveau nimmt ab . Der Bildungserfolg der
Kinder in diesen Gesellschaften nimmt ab .
Ich möchte mich hier gar nicht in einzelne Zahlen oder
Studien verlieren . Fakt ist doch: Die Schere zwischen
Arm und Reich klafft auch in Deutschland aus unserer
Sicht zu weit auseinander, und sie schließt sich nicht so,
wie wir uns das wünschen .
({2})
Für uns Sozialdemokraten ist es ein Ansporn, und wir
sagen selbstbewusst: Wir haben auch schon jede Menge
getan . Zur guten Arbeitsmarktsituation in Deutschland
sagen wir selbstbewusst: Das haben Sozialdemokraten
organisiert .
({3})
Wenn wir uns die Primärverteilung anschauen, also
die Einkommensverteilung vor Steuern und Sozialabgaben, dann sagen wir Sozialdemokraten - das ist für uns
ein ganz aktuelles, wichtiges Thema -: Wir haben den
Mindestlohn umgesetzt und durchgekämpft, wir haben
die Tarifbindung gestärkt und werden das weiter tun, und
wir regulieren Leiharbeit und Werkverträge .
({4})
Auch für die sekundäre Verteilung - zum Beispiel im
Sozialsystem - haben wir einiges getan . Wir sind die Situation von Alleinerziehenden endlich angegangen; denn
die sind besonders von Armut bedroht . Wir haben das
Thema Langzeitarbeitslosigkeit auf der Agenda . Andrea
Nahles hat hier Programme aufgelegt, und wir werden
weiter dafür streiten . Und: Wir streiten für eine solidarische Lebensleistungsrente . Die haben wir in den Koalitionsvertrag hineingekämpft, und die muss jetzt auch
kommen, um Altersarmut abzumildern .
({5})
Wir wollen auch mehr Steuergerechtigkeit . Ich freue
mich, dass wir bei der Finanztransaktionsteuer einer
Meinung sind . Wir hatten uns auch andere Dinge vorgestellt, wir haben es nicht im Koalitionsvertrag verhandeln
können .
({6})
Aber es bleibt richtig, dass sehr reiche Menschen, dass
sehr breite Schultern auch mehr tragen können und müssen . Das gilt insbesondere für Kapitalerträge und für sehr
große Erbschaften . Ich rede hier von Villen und nicht von
Omas kleinem Häuschen . Aber bei den 25 Prozent haben
wir uns an dieser Stelle nicht durchsetzen können . Wer
mehr Steuergerechtigkeit durchsetzen möchte, der muss
das Kreuz auch an der richtigen Stelle machen .
({7})
Meine Beispiele zeigen auch: Steuern sind wichtig,
aber der Staat kann eben auch an vielen anderen Stellen
für die Verteilung vieles erreichen . Und wir tun das auch .
Zentral ist auch, wie man mit der Verteilungsfrage mental umgeht . Wir Sozialdemokraten sagen: Nicht
kleinreden, nicht wegschauen . Wir schauen genau hin .
Deswegen haben wir auch den Armuts- und Reichtumsbericht initiiert; dieser wird im Sommer zum fünften Mal
vorgelegt werden mit Schwerpunkten wie beispielsweise
atypische Beschäftigung, Kinderarmut und auch Reichtum, über den wir in Deutschland erschreckend wenig
wissen. Die Beratung findet sehr transparent statt. Sie
können sich schon jetzt im Internet informieren . Und ich
freue mich auf die wichtigen Debatten zu diesem Bericht
noch in diesem Jahr. Denn ich finde, es ist eine ganz zentrale Debatte - nicht, um sich unbedingt zu profilieren,
sondern um das Thema anzugehen und zu mehr Verteilungsgerechtigkeit in unserem Land zu kommen .
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({8})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Carsten
Linnemann, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bartsch, Sie haben ein wichtiges
Thema angesprochen: die internationale Steuerverschiebung in Steueroasen . Wir haben nicht erst seit Jahren,
sondern seit Jahrzehnten auf globaler Ebene Probleme
damit, dass das Geld nicht dort versteuert wird, wo die
Bruttowertschöpfung stattfindet. Interessant ist festzustellen: Obwohl wir seit Jahren darüber reden, erwähnen
Sie nicht, dass wir endlich nach einer langen Debatte
durch das Engagement von Wolfgang Schäuble erstens
einen G-20-Beschluss und zweitens einen OECD-Plan
haben, der vorsieht, dass wir das Thema angehen, sowie
drittens schon die ersten Erfolge sehen . Das sollte man
nicht negieren . Vielmehr sollte man Herrn Schäuble und
die Bundesregierung bei ihren Bestrebungen unterstützen .
({0})
Interessant ist ebenfalls - das muss man objektiv
sagen -, dass bei den Statistiken über die Vermögensverteilung - das gilt auch für die aktuellen Daten des
Statistischen Bundesamts - der Referenzwert bzw . das
Basisjahr bei der Interpretation entscheidend ist . Wenn
ich 2003 mit 2013 vergleiche, dann erkenne ich, dass
der entsprechende Wert gestiegen ist . Wenn ich aber als
Referenzjahr 2008 nehme, muss ich konstatieren, dass
es nicht nur einen stabilen, sondern einen rückläufigen
Trend gibt . Das heißt, die Vermögensunterschiede haben
am Rand abgenommen . Ich will mich aber nicht über die
Technik und die Quellen streiten . Interessant ist aber ausweislich aller Studien und Statistiken die Tatsache, dass
die Vermögensbildung insgesamt, also nicht nur in den
unteren Schichten, sondern auch in der Mittelschicht,
abnimmt . Einige erklären das mit dem niedrigen Zinsniveau . Trotzdem ist das eine interessante Tatsache . Wir
müssen uns die Frage stellen: Was können wir tun, damit
es Vermögensbildung auch in den unteren Schichten sowie in der Mittelschicht gibt?
Die Wohneigentumsquote in der Europäischen Union
sollte uns allen zu denken geben . In Ländern wie Kroatien, Ungarn und Norwegen liegt die Wohneigentumsquote bei 80 bis 90 Prozent . In Frankreich liegt sie bei
65 Prozent und im Vereinigten Königreich bei 64 Prozent . In Deutschland ist nur jede zweite Wohnung selbst
bewohntes Eigentum . Damit müssen wir uns befassen .
({1})
Frau Nahles, das Arbeitsministerium sagen zu Recht:
Das liegt daran, dass in Deutschland im Vergleich zum
europäischen Ausland die jungen Leute eher von zu Hause ausziehen, dann Miete zahlen und weniger die Möglichkeit nutzen, Vermögen aufzubauen . Es liegt sicherlich auch am Niedrigzinsumfeld . Nach der Taylor-Regel
müssten wir aufgrund der konjunkturellen Situation in
Deutschland - das sagen alle Volkswirte - eigentlich
einen Zinssatz von 2 Prozent, 2,5 Prozent oder sogar
2,7 Prozent haben . Einen solchen Zinssatz haben wir
nicht, weil der EZB aufgrund der bekannten Situation in
Südeuropa die Hände gebunden sind .
({2})
So lautet jedenfalls die Argumentation der EZB .
({3})
Ich habe eine andere Meinung . Nicht trotz, sondern
wegen des Niedrigzinsumfeldes müssen wir uns mit dem
Vermögensaufbau mehr befassen . Wie können wir privates Wohneigentum mehr fördern? Wie können wir die
betriebliche und private Altersvorsorge voranbringen?
Angesichts des Niedrigzinsumfeldes geht es hier um
Akzeptanz . Auch hier sollten wir Herrn Schäuble unterstützen, der das zusammen mit dem Arbeitsministerium
federführend macht . Wenn das entsprechende Gutachten
vorliegt, reden wir darüber, wie wir die betriebliche und
private Altersvorsorge stützen und stärken können; das
ist wichtig . Spätestens wenn der Bericht vorliegt, werden
wir über die entsprechenden Fragen diskutieren .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Sabine
Zimmermann, Fraktion Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Eigentlich sollte ich entsetzt sein über das, was
ich von Ihnen zu Arm und Reich in unserem Land und
auf der Welt gehört habe . Aber ehrlich gesagt, ich habe
nichts anderes erwartet . Sie leugnen die himmelschreienden Unterschiede zwischen obszönem Reichtum auf
der einen Seite und bitterer Armut auf der anderen Seite
in diesem Land . Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass
Armut nicht nur auf der Welt, sondern auch in unserem
Land vorhanden ist . Aber das tun Sie nicht .
({0})
Worum geht es? 10 Prozent gehört mehr als die Hälfte
des Gesamtvermögens, und das sind nur Ihre offiziellen
Daten .
({1})
- Hören Sie mir bitte zu! Dann werden Sie die Lage in
Deutschland vielleicht ein bisschen besser verstehen .
({2})
Wie gesagt, das sind nur die offiziellen Daten Ihrerseits . Ich zitiere einmal die taz:
In Wahrheit dürften die obersten 10 Prozent über
mindestens 62 Prozent des Volksvermögens verfügen . Genaues weiß man nicht: Reichtum ist anonym
in Deutschland .
Aber letztendlich ist es auch egal, ob den reichsten
10 Prozent mehr als 2,5 Billionen oder 3,1 Billionen
Euro gehören . Ich will einmal plastisch darlegen, wie
viel Geld das ist . 2,5 Billionen sind 2 500 mal 1 Milliarde . Was macht man mit so viel Geld?
Armut ist kein Thema, auch wenn sie zu sehen ist
und wenn sie zunimmt . Man braucht nur hinzuschauen .
Man sieht sie jeden Tag in den Kindertagesstätten, in den
Schulen, in den Jobcentern, aber auch an den Tafeln . Da
scheinen Sie, Herr Zimmer, nie zu sein . Ich will Ihnen
eine Zahl nennen, die ich herausgesucht habe . Wir hatten
1994 4 Tafeln in Deutschland . Im Jahr 2003 haben wir
320 Tafeln gehabt . Diese Zahl hat sich seit 2003 verdreifacht . Wir haben über 900 Tafeln . Das ist die Realität in
Deutschland . Nehmen Sie die endlich zur Kenntnis . Das
ist beschämend .
({3})
Ich selbst - das muss ich Ihnen sagen - bin oft bei
den Tafeln. Ich finde es sehr traurig, wenn ich sehe, wie
die Kinder in der Schlange stehen und dort ihr Essen abholen, wenn ich sehe, wie Kinder in der Suppenküche
stehen, um eine warme Mahlzeit zu erhalten, aber auch
wenn ich sie in der Kleiderkammer sehe, wo sie sich eine
warme Jacke abholen . Das ist die Realität . Sie können
die Armut nicht verstecken . Sie ist da, und man sieht sie;
sie ist sichtbar .
Auf der Homepage des Sozialministeriums findet sich
der folgende, sehr richtige Satz: „Einkommensreichtum
bedeutet … ein hohes Maß an Gestaltungs- und Verwirklichungschancen .“ Das gilt aber auch umgekehrt . Armut
an Einkommen und Vermögen bedeutet auch, dass man
sein eigenes Leben nicht mehr gestalten kann . Es bedeutet, dass man seinen Wohnsitz nicht mehr frei wählen
kann, weil die Mieten so hoch sind . Es bedeutet, dass
man nicht mehr alles essen kann, was man gern möchte .
Biokost ist völlig unbezahlbar .
Man kann sich aber auch nicht so kleiden, wie man
es gern möchte . Es bedeutet auch einen Ausschluss von
sozialen Aktivitäten. So finden zum Beispiel die Besuche
von Kino oder Tierpark bei Familien, die im Hartz-IVBezug sind, nicht mehr statt . Das betrifft aber auch Eltern, die im Niedriglohnbereich arbeiten . Das bedeutet,
dass man seinen Kindern nicht mehr das kaufen kann,
was sie sich wünschen oder was sie brauchen . Das ist Realität . Schauen Sie sich dort einmal um . Das betrifft auch
1 Million Langzeiterwerbslose, die von der Zunahme der
Beschäftigung, die Sie immer so schön darstellen - Sie
sprechen immer von Boom -, überhaupt nicht profitieren.
Aber wir sehen das auch bei Menschen, die arbeiten und
von ihrem Lohn nicht leben und ihre Familien nicht ernähren können . Das wird auch nicht besser .
Nun sagen Herr Linnemann und auch das Sozialministerium, dass die Kluft zwischen den reichsten Menschen
im Lande und der unteren Hälfte in den letzten Jahren
statistisch kleiner geworden ist . Ja, aber das liegt daran,
dass im Zuge der Wirtschaftskrise Aktien und Wertpapiere an Wert verloren haben . Es hat sich aber nichts daran
geändert, dass 30 Prozent bei uns in Deutschland statistisch kein Vermögen, sondern Schulden haben . Daran hat
sich nichts geändert . Diese 30 Prozent arbeiten auch im
Niedriglohnbereich, und diese 30 Prozent gehen nicht
wählen . Diejenigen, die abgehängt sind oder die sich zumindest so fühlen, suchen natürlich nach Schuldigen für
ihre Lage . Die AfD, die nicht einmal weiß, wie das Wort
„sozial“ geschrieben wird, liefert ihnen die Sündenböcke .
Gerade junge Menschen sehen oft keine Perspektive
mehr, sie haben das Gefühl, dass für sie nichts getan wird
oder dass sie gar nicht mehr zählen . Da ist die Gefahr
von rechts besonders groß . Wir brauchen uns bloß die
deutsche Geschichte oder den bedenklichen Rechtsruck
in ganz Europa anzuschauen .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Es reicht
einfach nicht, wegzusehen, wenn Reiche immer reicher
werden . Tun Sie endlich das, was auch das Sozialstaatsgebot im Grundgesetz von Ihnen verlangt . Tun Sie endlich etwas gegen die extreme Spaltung in unserer Gesellschaft .
({4})
Führen Sie endlich die Millionärssteuer ein .
Danke schön .
({5})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat Kerstin Griese für die
SPD-Fraktion das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sehen nicht weg . Im Gegenteil: Wir diskutieren über
eine ganz wichtige Grundsatzfrage, mit der wir uns im
Ausschuss für Arbeit und Soziales oft beschäftigen und
die für uns in der SPD ganz zentral ist . In der Tat: Es gibt
keine Argumente für eine so große globale Ungleichverteilung von Ressourcen und Vermögen . Es ist ein Skandal, dass weltweit immer noch 1 Milliarde Menschen in
extremer Armut lebt . Deshalb geht es auch darum, europaweit und auch weltweit gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen zu fordern .
({0})
Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales
waren in Asien und haben sich vor Ort über die unglaubliche Tragödie des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch informiert und haben an die über
1 100 Menschen, die ihr Leben verloren haben, und an
die 2 000 Menschen, die verletzt wurden, erinnert . Insofern geht es auch um weltweite Regeln für gute Arbeitsbedingungen .
({1})
Wenn wir auf den Rahmen schauen, den wir hier in
Deutschland gestalten können, wenn wir auf das schauen, was wir hier regulieren können, erkennt man: Man
muss die Lage sehr differenziert sehen . Ich will drei
Punkte nennen, bei denen man ansetzen kann .
Erstens . Es war ein rot-grünes Projekt - ich betone es
noch einmal -, die Armuts- und Reichtumsberichterstattung als ständige Aufgabe mit Berichtspflicht zu implementieren. Das war ein guter Schritt. Ich finde es sehr
gut, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
den Prozess jetzt so transparent gestaltet, dass daran alle
mitwirken können - es hat extra ärmere Menschen an der
Auswertung beteiligt - und dass auch der Reichtum genauer untersucht werden soll . Wir sind auf die Ergebnisse
des nächsten Armuts- und Reichtumsberichts gespannt .
({2})
Zweitens . Wenn wir die Ursachen von Armut konkret
untersuchen, dann können wir an der richtigen Stelle ansetzen . Es geht um Vermögensentwicklung und Vermögensspreizung - darüber ist schon gesprochen worden -;
aber es geht eben auch um Einkommensentwicklung und
Einkommensspreizung . Da kann die Politik sehr direkt
etwas tun .
Interessant ist, dass der letzte Armuts- und Reichtumsbericht ergeben hat, dass bis 2005 die sogenannte qualifikatorische Lohnspreizung zugenommen hatte, dass die
Sabine Zimmermann ({3})
Arbeitslosigkeit angestiegen war und dass die Arbeitslosigkeit für eine zunehmende Einkommensspreizung verantwortlich war . Aber seit 2005 hat sich das gedreht und
leicht gebessert . Die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die wir jetzt zu verzeichnen haben, der Rückgang der Arbeitslosigkeit, all das ist ein wesentliches und
entscheidendes Moment, um Armut zu verhindern .
({4})
- Danke schön, Herr Kollege .
Übrigens haben wir die strukturellen Reformen am
Arbeitsmarkt gemeinsam durchgesetzt, deren Ziel es ja
war, viel mehr Menschen die Chance zu geben, durch
Arbeit ihr Leben selbstständig zu gestalten und integriert
zu werden .
({5})
Das war notwendig, es war im Grundsatz richtig, und es
hatte - das ist wichtig für unser Thema - eine positive
Beschäftigungsentwicklung zur Folge .
({6})
Wegen der Schieflage im unteren Einkommensbereich haben wir zusätzlich den Mindestlohn eingeführt .
Sie von den Linken hätten ja dafürstimmen können - das
wäre eine gute Idee gewesen -; dann hätten wir das Mindestlohngesetz in diesem Haus einstimmig verabschieden können .
({7})
Die Linksfraktion hat das leider unterlassen . Wir haben
also den flächendeckenden Mindestlohn eingeführt, und
alle Horrorszenarien, die von verschiedenen Seiten gezeichnet wurden, haben sich nicht bewahrheitet . Das
heißt ganz klar: Aktive Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsmarktreformen, Lohnpolitik, die Einführung des Mindestlohns sind ein Mittel gegen Einkommensspreizung
und damit gegen Armut .
({8})
Noch etwas gehört zu diesem Punkt: Wir haben unter anderem mit der Einführung des Mindestlohns die
Tarifbindung unterstützt . Wir konnten mehr Branchen
motivieren, Tarifverträge abzuschließen . Wir haben die
Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen verbessert, und wir werden im Bereich der Werkverträge und
der Leiharbeit so agieren, dass wir da besonders unterstützen, wo Tarifverträge abgeschlossen werden . Durch
Tarifbindung kann die Einkommensverteilung positiv
gestaltet werden . Deshalb ist mehr Tarifbindung gut für
mehr Gerechtigkeit .
({9})
Drittens - dieser Punkt liegt mir sehr am Herzen -:
Armutsbekämpfung muss sich wesentlich der Schwächsten annehmen, nämlich der Kinder; denn die Zahl der
Kinder, die in Familien geboren werden, in denen es so
etwas wie vererbte Armut gibt, ist leider groß, und sie
wird auch größer . Es gibt Kinder, die schon in der Schule
auf die Frage nach ihrem Berufsziel antworten, sie wollten „Hartzer“ werden . Die Chancen dieser Kinder, einmal ein selbstbestimmtes, das heißt ein selbstfinanziertes
Leben zu führen, sind, das wissen wir, leider nicht gut .
Deshalb ist es so wichtig, dass wir noch mehr in eine gute
und leistungsfähige Infrastruktur für Kinder investieren .
Wir haben schon viel getan . Beim Ausbau der Kindertageseinrichtungen und der Ganztagsschulen sind wir in
den letzten Jahren einen Riesenschritt vorangekommen .
In diesem Zusammenhang danke ich den Familienministerinnen, angefangen bei Renate Schmidt und Christine
Bergmann bis hin zu Manuela Schwesig .
({10})
- Frau von der Leyen hat unsere Politik wunderbar umgesetzt;
({11})
dafür waren wir ihr sehr dankbar . Der Ausbau der Kinderbetreuung war in der letzten Großen Koalition eines
der Gewinnerthemen .
Besonders benachteiligt sind weiterhin die alleinerziehenden Mütter . Deshalb muss für sie mehr getan werden .
Ich denke an Angebote zur vorschulischen und schulischen Bildung, die Müttern den Einstieg in Erwerbsarbeit ermöglichen, und daran, Kinderbetreuung flexibel
zu gestalten . All das ist konkrete Politik gegen Armut,
damit sich Armut nicht vererbt, damit jedes Kind gute
Bildungschancen hat und einen geregelten Tagesablauf
erleben kann und damit jeder Mensch die Chance hat,
gegen Armut selbst anzugehen .
({12})
Mein letzter Punkt . Interessant ist, dass alle Studien
betonen, dass soziale Ungleichheit auch der wirtschaftlichen Entwicklung schadet; wir haben es heute schon
gehört . Es gibt also einen Grund mehr dafür, dass wir
uns nicht ausruhen, sondern für die soziale Teilhabe aller
Menschen, für die Teilhabe an Arbeit und ganz besonders
für gute Chancen für alle Kinder kämpfen .
Vielen Dank .
({13})
Vielen Dank . - Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt
der Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe das Gefühl,
dass vielen Rednerinnen und Rednern, gerade von der
Großen Koalition, die Brisanz der Lage nicht wirklich
klar ist .
({0})
Wir haben eine Situation, in der der soziale Zusammenhalt in Deutschland tatsächlich bedroht ist . Gerade heute
gab es in der FAZ eine Umfrage von Allensbach zu lesen,
nach der die Menschen Existenzängste haben, und diese
Existenzängste drücken sich in fehlender Wahlbeteiligung aus, drücken sich auch aus in 13 Prozent für die
AfD; so gestern in der Umfrage von INSA nachzulesen .
Die Menschen haben Angst, und der soziale Zusammenhalt ist bedroht . Dagegen müssen wir gemeinsam etwas
tun .
({1})
Es wird immer viel über die Zahlen gestritten . Aber
eindeutig ist: Die Armut in Deutschland ist viel zu hoch .
Es sind 15 Prozent der Menschen in Deutschland von Armut betroffen . Das kann man über die Grundsicherung
berechnen; das kann man über Armutsquoten berechnen .
Das ist die Größenordnung, und es sind definitiv zu viele:
12 Millionen Menschen .
Wenn man sich die Zahlen anguckt, stellt man fest:
Daran hat auch die gute ökonomische Situation nichts
geändert . Die Arbeitslosenzahlen gehen runter, aber die
Armutsquote bleibt mindestens konstant .
Ein Ergebnis ist, dass wir zunehmend mehr erwerbstätige Arme in Deutschland haben, und das ist ein Skandal,
den wir dringend bekämpfen müssen .
({2})
Es kann nicht sein, dass Menschen, die den ganzen Tag
arbeiten, nicht viel mehr haben als Leute, die weniger
arbeiten .
({3})
- Jetzt kommt der Mindestlohn als Antwort .
({4})
Ich bin jemand, der mindestens 20 Jahre für den Mindestlohn gestritten hat .
({5})
Der Mindestlohn war eine gute Sache, eine der wenigen
guten Sachen, die die Große Koalition gemacht hat .
({6})
Aber was das Thema Armut angeht, hat der Mindestlohn fast keine Wirkung . Es gibt jetzt die ersten Zahlen zu
den Aufstockern; die haben wir im Ausschuss behandelt .
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten
Erwerbstätigen, die aufstocken, ist sogar gestiegen . Das
heißt, trotz Mindestlohn haben wir einen Anstieg von Armut bei Erwerbsarbeit . Das war für mich als jemand, der
darüber seine Doktorarbeit geschrieben hat, auch nicht
überraschend, weil die Ursachen von Armut trotz Erwerbstätigkeit vielfältig sind . Es sind nicht nur die Löhne - das ist ein Grund -; ein wesentlicher Grund ist, dass
Erwerbstätige Kinder haben, und im Hinblick darauf
nützt auch der Mindestlohn nichts . Das heißt, an dieser
Stelle müssen wir ansetzen, dass Familien mit Kindern in
Deutschland nicht mehr von Armut bedroht sind .
({7})
Das heißt, wir müssen definitiv noch einmal das Thema
Kindergrundsicherung angehen . Die Kollegin Kerstin
Andreae hat schon gesagt: Wir müssen dahin kommen,
dass uns wirklich jedes Kind gleich viel wert ist . - Das
ist ein wesentlicher Punkt .
Wir haben, was den sozialen Zusammenhalt angeht,
auch ein Problem am oberen Teil der Einkommens- oder
Wohlfahrtsverteilung . Wir haben eine wachsende Gruppe von Vermögenden, die von der Gesellschaft abgespalten ist und ihrer solidarischen Verpflichtung nicht mehr
nachkommt .
({8})
Es sind viele Statistiken genannt worden . Der Kollege
Linnemann hat die EVS angesprochen . Dazu muss ich als
Statistiker sagen: Da fehlen die ganz Reichen . Es gibt da
eine Abschneidegrenze; die liegt bei einem Einkommen
von 18 000 Euro im Monat . Das ist nicht wenig Geld .
Die wirklich Reichen sind nicht in dieser Statistik . Wenn
man sich nicht nur Piketty anguckt, sondern auch seine
Mitstreiter Anthony Atkinson und andere, stellt man fest,
dass Einkommen und Vermögen der oberen 1 Prozent die sind gar nicht in der EVS - ganz stark gestiegen sind,
auch in Deutschland .
({9})
- Es ist europaweit gestiegen, aber in Deutschland besonders stark . In der Euro-Zone ist die Vermögensverteilung
in Deutschland am ungleichsten . Auch das müssen wir
angehen . Wir müssen wieder mehr Vermögensgleichheit
hinkriegen . Aus sozialen Gründen, aber auch aus ökonomischen Gründen müssen wir darangehen .
({10})
Die Vermögensverteilung ist nicht nur in Deutschland
und in Europa oder in der Euro-Zone ein Problem, sondern auch weltweit . Die Zahlen von Oxfam sind genannt
worden . Man kann sich über die Methode streiten, aber
deutlich ist, dass die Zahl der Menschen, die so viel Vermögen haben wie die untere Hälfte auf der Welt, sogar
sinkt . Auch an dieser Stelle ist zu sagen: Der Reichtum
der einen ist die Armut der anderen . Ganz deutlich muss
man sagen: Wenn wir nicht an den Reichtum dieser Vermögenden herangehen, werden wir die großen globalen
Probleme - das geht von globaler Armut bis hin zum
Klimawandel oder zur Klimakatastrophe - nicht bewältigen . Auch das sind Fragen der sozialen Gerechtigkeit .
Das müssen wir unbedingt zusammendenken . Nur wenn
wir das anpacken, kriegen wir es auch hin, insgesamt
in der Welt, in Europa und in Deutschland den sozialen
Zusammenhalt wieder herzustellen . Da müssen wir alle
gemeinsam ran .
Vielen Dank .
({11})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt
die Kollegin Antje Lezius das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser
Aktuellen Stunde reden wir über die jüngsten Studien
zur Vermögensverteilung . Die Organisation Oxfam - sie
wurde ja schon häufig genannt - hat beispielsweise mit
ihrer neuesten Studie viel Aufmerksamkeit erregt . Was in
solchen Berichten gemessen wird, ist die Verteilung von
Einkommen, aber nicht von Armut .
Eine gerechte Welt ohne Armut: Wer wollte das nicht,
meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen? Laut
Statistischem Bundesamt sind diejenigen in Deutschland
von Armut bedroht, die mit weniger als 60 Prozent des
mittleren Einkommens der gesamten Bevölkerung auskommen müssen . Die Hilfsorganisation World Vision
definiert den Begriff der Armut auf drei Arten: Die absolute Armut ist existenzbedrohend; weltweit sind 1,2 Milliarden Menschen betroffen, weil sie nicht in der Lage
sind, ihre lebenswichtigen Grundbedürfnisse zu decken .
In Deutschland haben wir es im Regelfall mit den beiden
anderen Arten der Armut zu tun . Neben der gefühlten
Armut, die sich einstellt, wenn sich Menschen aufgrund
ihrer wirtschaftlichen Situation diskriminiert fühlen,
bezeichnet die relative Armut eine Unterversorgung an
materiellen und immateriellen Gütern im Vergleich zum
Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft, in der sie leben .
Wir müssen diese Arten der Armut voneinander unterscheiden, um den Betroffenen gerecht zu werden und angemessen helfen zu können .
Wir haben das große Glück, in Deutschland ein funktionierendes soziales Sicherungssystem zu haben, das
garantiert, dass niemand lebensbedrohlicher Armut ausgesetzt ist .
({0})
Darüber hinaus haben wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, das die Heilung von Krankheit eben
nicht von der individuellen finanziellen Lage abhängig
macht .
({1})
Darauf können wir stolz sein .
({2})
Unterversorgung kann allerdings auch emotional gegeben sein oder aus kultureller Armut bzw . Bildungsarmut bestehen . Hier ergeben sich Ansatzpunkte, wie wir
die am meisten von Armut Betroffenen - Alleinerziehende, Kinder oder Langzeitarbeitslose; das wurde schon
angesprochen - erreichen können .
Die beste Armutsbekämpfung ist die Bekämpfung
ungleicher Chancen zur Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben . Alleinerziehende Frauen sind zum Beispiel auf
Einkommen angewiesen . Aber auch Frauen mit Partnern
und Kindern arbeiten zu 40 Prozent wegen der familiären
Verpflichtungen nicht. Hieran müssen wir arbeiten; hier
sind Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie entscheidend . Hierzu zählen nicht nur Maßnahmen
zur Kinderbetreuung, sondern auch die Arbeitszeitflexibilisierung. Durch den demografischen Wandel wird sich
auch die Arbeitswelt verändern . Mit dem Dialog „Arbeiten 4 .0“ werden wir in diesem Jahr gemeinsam mit dem
BMAS auf politischer Ebene die Leitplanken setzen, um
die Rahmenbedingungen für weiterhin gute Arbeit zu
schaffen .
({3})
Zur Debatte über Armut und die Bekämpfung von Armut gehört aber auch die Debatte über Reichtum . Das
Bild, das die Kolleginnen und Kollegen von den Linken
in uns wachrufen wollen, ist das des milliardenschweren
Konzernchefs. Darüber werden häufig diejenigen vergessen, die mit ihrer Leistungsbereitschaft und ihrem Unternehmergeist den Wohlstand unseres Landes zu einem
großen Teil miterwirtschaften .
({4})
Hierbei handelt es sich nicht um den sprichwörtlichen
Krösus mit Konten in den Steuerparadiesen dieser Welt,
sondern häufig um mittelständische Unternehmen, die
99,6 Prozent aller privatwirtschaftlichen Unternehmen
in Deutschland ausmachen und 59,4 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in diesem Land
schaffen . Ohne Arbeitsplätze auch kein Einkommen!
({5})
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
und der Wohlstand dieses Landes hängen außerdem entscheidend von gut ausgebildeten Arbeitnehmern ab . So
ist Bildung nicht nur von zentraler Bedeutung, um durch
Erwerbstätigkeit Armut zu durchbrechen, sondern auch
der Stellenwert von Bildung an sich ist nicht zu unterschätzen; denn je mehr Bildung vorhanden ist, desto
mehr sind Menschen in der Lage, für sich selbst zu sorgen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ehrliche, verantwortungsbewusste Politik ist das Gegenteil von Sozialfolklore . Sie kümmert sich um die Menschen, die Hilfe benötigen . In unserer Gesellschaft ist der Begriff der Solidarität
mit dem Schwächeren keine Worthülse . Ich glaube, in
diesen Tagen können wir das auch daran sehen, was die
Kanzlerin alles leistet .
Wir haben das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft .
Wir setzen darauf, Wettbewerb und wirtschaftliche Leistung mit sozialem Ausgleich und ökonomischer und
sozialer Teilhabe zu verbinden . Wir bieten keinen allumfassenden und allversorgenden Staat, aber Hilfe zur
Selbsthilfe für mündige Bürger .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Als Nächster hat der Kollege Ralf
Kapschack, SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuschauer! Ich nehme Sie mal kurz mit auf eine
Zeitreise in das Jahr 1980 .
({0})
Da gab es eine Diplomarbeit eines jungen, hoffnungsvollen Wirtschaftswissenschaftlers an der Uni Bochum .
Das Thema war: Ökonomische Aspekte der Diskussion
über die neue soziale Frage - Armut in der Bundesrepublik . Neue soziale Frage - das war damals ein politischer
Kampfbegriff, unter anderem von Heiner Geißler, dem
Generalsekretär der CDU .
({1})
- Ich komme gleich noch einmal darauf zurück . - Neue
soziale Frage, weil die alte, nämlich der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital, angeblich erledigt war und sich
neue Probleme ergeben hätten . Neue Probleme, weil bestimmte Gruppen nicht mehr ausreichend vertreten wurden .
Das Ergebnis der Diplomarbeit war: Vor allem Arbeitslose, kinderreiche Familien, ältere alleinstehende
Frauen waren von Armut bedroht, und das hatte - wenig
überraschend - auch etwas mit dem sozialen Status zu
tun . Insofern war die alte Frage nicht beantwortet . Das
ist jetzt mehr als 30 Jahre her . Doch an den Armutsrisiken
für diese Gruppen hat sich wenig geändert . Andere sind
dazugekommen, wie zum Beispiel Solo-Selbstständige zugegeben . Das hat auch mit unserem System der sozialen Sicherung zu tun . Es ist differenzierter geworden, ja,
komplizierter auch und an der einen oder anderen Stelle
bestimmt gerechter . Viele beneiden uns um dieses System; aber ich finde, es ist noch Luft nach oben.
Altersarmut zum Beispiel, meinen ja einige, sei eigentlich gar kein Thema, weil deutlich weniger ältere Menschen Grundsicherung beziehen als der Durchschnitt der
Bevölkerung . Das stimmt . Das stimmt, allerdings steigt
die Zahl der Menschen, die als Rentner Grundsicherung
beziehen, ständig an . Das hat auch damit zu tun, dass
Rentnerinnen und Rentner künftig immer weniger auf
eine ununterbrochene lange und gut bezahlte Erwerbstätigkeit zurückblicken können, eine Erwerbstätigkeit, die
ein gesichertes Alterseinkommen sicherstellen soll . Auch
da ist, wie man feststellt, wenn man sich das ansieht, das
Risiko sehr ungleich verteilt . Rente ist ein Spiegel der
Erwerbsbiografie. Wer, wie überwiegend Frauen, wenig,
in Teilzeit oder in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet hat,
bekommt im Alter die Quittung dafür und kann daran
nichts mehr ändern .
Deshalb ist alles, was qualifizierte Erwerbstätigkeit
fördert und notwendige Familienzeiten für die Rente absichert, gut gegen weibliche Altersarmut . Deshalb brauchen wir Möglichkeiten für Frauen, Familie und Beruf
unter einen Hut zu bringen - wir arbeiten daran . Deshalb
brauchen wir ein Entgeltgleichheitsgesetz, das die Diskriminierung von Frauen beendet - wir arbeiten daran .
({2})
Deshalb brauchen wir auch - das ist schon angesprochen
worden - eine Solidarrente, meinetwegen auch eine solidarische Lebensleistungsrente .
({3})
Von dieser Rente würde zum Beispiel auch meine Mutter profitieren, die nach der Ausbildung früh geheiratet
hat und sich dann um Familie und vier Kinder kümmerte . Sie hat jahrzehntelang kleinere Jobs auf Steuerkarte
gemacht . Das Ergebnis sind 500 Euro Rente . 500 Euro
Rente für ein Leben voller Arbeit - und das ist ja nun
wirklich kein Einzelfall . Das ist ungerecht, und deshalb
wollen wir das ändern - wir arbeiten daran .
({4})
Natürlich werden wir uns auch damit beschäftigen
müssen, wie die Alterssicherung insgesamt stabilisiert
und verbessert werden kann . Und das kostet Geld, völlig
klar . Aber damit eines klar ist: Auch die Wohlhabenden
profitieren langfristig davon, wenn es gerechter zugeht.
Das ist nicht meine Erkenntnis, sondern zum Beispiel die
von Klaus Engel, dem Chef des Energiekonzerns Evonik . Sozialer Frieden ist ein Standortfaktor, der nicht zu
unterschätzen ist .
({5})
Um diesen sozialen Frieden zu sichern, braucht der Staat
Geld, auch, um Armut bekämpfen zu können . Die stärkere Besteuerung hoher und höchster Einkommen und Vermögen bleibt deshalb für mich auf der Tagesordnung trotz sprudelnder Steuereinnahmen . Ich würde da nicht
allein auf Wachstum setzen .
({6})
Zum Schluss noch zwei Bemerkungen . Heiner Geißler
ist mir heute deutlich sympathischer als vor 30 Jahren;
ich habe den Eindruck, in den eigenen Reihen ist das
nicht so .
({7})
Ganz zum Schluss: Armut ist keine Schande; aber das ist
das einzig Gute, was man darüber sagen kann .
Vielen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Matthäus
Strebl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Reichtum und Armut zu thematisieren, bietet
zweifelsfrei Raum für eine emotionale Debatte . Bereits
im Juni und im Oktober letzten Jahres haben wir hier im
Plenum über den zukünftigen Armuts- und Reichtumsbericht diskutiert . Der neue Bericht liegt zwar immer
noch nicht vor, aber wir widmen uns erneut weiteren Armuts- und Reichtumsstudien . Vorgestellt wurden sowohl
die neue Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des
Statistischen Bundesamtes als auch die Oxfam-Studie .
Natürlich werden die Zahlen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe auch in den Armuts- und Reichtumsbericht einfließen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, neben Themen wie „potenzielles Armutsrisiko“ oder auch
„soziale Sicherheit“ wird sich der Bericht auch mit neuen
Fragestellungen befassen, ja befassen müssen . Konkret
meine ich damit - erstens - die Auswirkungen atypischer
Beschäftigungsformen und - zweitens - das Armutsrisiko von jungen Erwachsenen . Ich kann nur begrüßen, dass
wir neben den allgemeinen Themen diese zwei zusätzlich
in den Fokus nehmen . Und wir wollen erreichen, dass
insbesondere junge Menschen gute Startmöglichkeiten
haben. Eine fehlende berufliche Ausbildung oder Qualifikation kann dazu führen, dass ein sozialer Aufstieg erschwert wird oder schneller ein Arbeitsplatzverlust droht .
Deshalb wollen wir erreichen, dass immer mehr jüngere
Menschen eine Ausbildung absolvieren, statt Hilfstätigkeiten auszuüben .
({0})
Werte Kolleginnen und Kollegen, ein weiterer Bericht, der in den letzten Tagen ausführlich in den Medien
thematisiert wurde, ist die Oxfam-Studie . Diese Studie,
die zweifelsfrei auch in Deutschland sehr umstritten ist,
stellt die These auf, dass wenigen Reichen die halbe Welt
gehört . Es ist natürlich unstreitig, dass es in Deutschland
Menschen gibt, die ein erhebliches Vermögen haben . Ich
möchte aber in dieser Debatte ausdrücklich darauf hinweisen: Was dabei oft vergessen wird, ist, dass die meisten reichen Menschen durch ihre Unternehmen vielen
Beschäftigten Arbeitsplätze sichern - gute Arbeitsplätze
sichern, Ausbildungsplätze sichern . Und das muss auch
in dieser Debatte einmal gesagt werden .
Ein unschlagbares Werkzeug gegen Armut und sozialen Abstieg sind eine gut funktionierende Wirtschaft und
in erster Linie ein Arbeitsplatz .
({1})
Durch den von der Großen Koalition beschlossenen Mindestlohn - es wurde schon gesagt - haben wir einen weiteren Schritt zur Stärkung der sozialen Sicherheit getan .
Seit der Einführung des Mindestlohns ist die Anzahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gestiegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb
freue ich mich - alle sollten sich freuen - über die auch
im europäischen Vergleich guten Zahlen zum Arbeitsmarkt:
Die Arbeitslosigkeit ist 2015 erneut gesunken . Sie lag
im letzten Jahr bei 6,4 Prozent und ist damit im Vergleich
zum Vorjahr um 0,3 Prozentpunkte gesunken .
Die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern ist gestiegen .
Im Dezember 2015 waren 93 000 offene Stellen mehr bei
der Bundesagentur für Arbeit gemeldet als im Vorjahr .
2015 waren so wenige Menschen arbeitslos wie im
Jahr 1991 . Die Zahl der Erwerbstätigen erreichte im Jahresdurchschnitt 43 Millionen und damit den höchsten
Stand seit der Wiedervereinigung .
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die
Ergebnisse der Arbeitsmarktpolitik dieser Koalition .
Bei der ganzen Diskussion über Indikatoren wie soziale Sicherheit, Einkommensverteilung und Investitionen in soziale Bildung dürfen wir nicht vergessen, dass
es eine Gleichheit in der Gesellschaft, im Arbeitsleben
und beim Vermögen nicht gibt . Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer haben unterschiedliche Fähigkeiten, Erwartungen und auch Motivationen .
({3})
Sie bewerten Ihre Ziele im Leben unterschiedlich, also
was Sie erreichen wollen und können, und auch, wie viel
Zeit und wie viel Engagement sie in ihre Bildung und
Weiterbildung investieren wollen . Hier lautet das Stichwort - das dürfen wir bei der ganzen Diskussion nicht
vergessen; auch darüber müssen wir hier reden -: Chancengerechtigkeit . Das sollten wir uns vor Augen halten .
Letztendlich sind wir von der Großen Koalition genauso an dem Armuts- und Reichtumsbericht interessiert
wie die Opposition . Ich hoffe, dass bei unserer nächsten
Diskussion zu diesem Thema im Plenum der Bericht
dann vorliegt .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Kai Whittaker, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Wenn ich mir die
Reden der Opposition so anhöre, komme ich nur zu einem Fazit: Je komplizierter die Lage, desto einfacher haben es die schrecklichen Vereinfacher .
({0})
Liebe Frau Kollegin Zimmermann, Sie haben hier die
Frage gestellt, was man mit 2 oder 3 Billionen Euro eigentlich anfängt . Es ist doch nicht so, dass die wie bei
Dagobert Duck in irgendwelchen Geldspeichern liegen,
sondern sie sind investiert in Firmen, in Anlagekapital
und in Produktionskapital, womit viele Millionen Menschen in diesem Land ihr tägliches Brot erarbeiten .
({1})
Ich möchte zwei Studien ansprechen, die in den letzten Monaten diskutiert worden sind . Da ist zum einen der
Armutsbericht 2014 . Darüber schreibt der Paritätische
Wohlfahrtsverband Folgendes:
Noch nie war die Armut in Deutschland so hoch und
noch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wie
heute . Deutschland ist … eine … zerklüftete Republik .
({2})
Die Oxfam-Studie hat vor kurzem nachgelegt; sie wird in
der Zeit wie folgt zusammengefasst - Zitat -:
Die reichsten 62 Personen des Planeten besitzen zusammen 1,76 Billionen Dollar - ebenso viel wie die
ärmere Hälfte der Menschheit, rund 3,5 Milliarden
Personen .
({3})
Aber bei aller Liebe zur Lust am Untergang, meine
Damen und Herren: Bevor man schreit, dass das Schiff
sinkt, sollte man erst einmal nachschauen, ob es ein Leck
hat . Schauen wir uns die Zahlen doch einmal an: Die Oxfam-Studie nutzt Daten der Credit Suisse, bei denen es
um das Nettovermögen geht, also das Vermögen minus
die Schulden . So kann man wirklich absurde Fälle von
Armut kreieren . Ein Beispiel: Eine Familie - Vater, Mutter, zwei Kinder - erbt ein Haus und nimmt einen großen
Kredit auf, um es zu renovieren . Diese Familie ist laut
Statistik nach dem Erbfall ärmer, als sie es vorher war,
aber objektiv ist sie es nicht, weil sie in ihren eigenen
vier Wänden lebt .
({4})
Die Statistik ist darüber hinaus wirklich wenig stichhaltig . Das stellt man fest, wenn man sich anschaut, wo
laut dieser Statistik die ärmsten 10 Prozent der Menschen
leben . Auf Platz eins liegt Indien mit einem Anteil von
16 Prozent - so weit, so gut . Auf Platz zwei mit 7,5 Prozent, sehr überraschend, liegen die USA, gefolgt von
Bangladesch und Pakistan . China taucht in der Statistik
übrigens überhaupt nicht auf . Es gibt keine armen Chinesen; das liegt wahrscheinlich am erfolgreichen Kommunismus in China . - Das sollte doch zu denken geben .
Beim Armutsbericht sieht die Sache etwas anders aus .
Da muss man genau hinschauen, wie man die Zahlen interpretiert . Armut droht bei einem Einkommen von unter
60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens; in
Deutschland sind das ungefähr 890 Euro . Wenn ein Student bei seiner Familie daheim wohnt, dann gehört er zur
Mittelschicht . Aber wenn derselbe Student am nächsten
Tag auszieht und von seinen Eltern nun 750 Euro im Monat bekommt, dann ist er statistisch über Nacht verarmt .
({5})
Ich persönlich sehe das anders . Es ist für mich ein Zeichen von Wohlstand, dass immer mehr junge Menschen
studieren gehen und in ihren eigenen vier Wänden leben
können .
({6})
Damit will ich nicht sagen, dass es keine armen Studenten gibt, die zwei Jobs brauchen, um sich über Wasser
halten zu können . Aber diese Statistik schert beide Studenten über einen Kamm; sie erfasst die tatsächliche Armut in diesem Land nicht .
({7})
Schauen wir uns die regionalen Armutsstudien an . In
Bayern liegt das Armutsrisiko bei 11,5 Prozent, in Thüringen bei 17,8 Prozent . Ich bin schon einmal von Bayern
nach Thüringen gefahren, und ich hatte nicht das Gefühl,
dass ich aus dem Paradies vertrieben und ins Elend hineingetrieben wurde .
({8})
Der Grund ist auch ein ganz einfacher, Herr Kollege:
Mit 800 Euro kommt man in München nicht sehr weit,
aber in Schmalkalden kommt man damit schon etwas
weiter . Der Zauber ist der Kaufkraftunterschied . Den
muss man berücksichtigen . Wenn man ihn berücksichtigt, dann schmilzt der Unterschied auf 1 Prozent . Mit
anderen Worten: In Thüringen ist die Armut nicht viel
größer als in Bayern .
({9})
Zumindest war das bis 2014 so . Ob es so bleibt, liebe
Linke, werden wir spätestens bei der nächsten Landtagswahl merken .
Ich könnte weitere ähnliche Beispiele bringen . Fakt ist
jedoch: Die Angstüberschriften passen nicht zur Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Land . Wir haben
die geringste Arbeitslosenquote seit 1990; wir haben so
viele Erwerbstätige wie noch nie; die Reallöhne steigen
seit sieben Jahren konstant an; die Sozialabgaben sind
stabil - das ist die konkrete Wahrheit in diesem Land .
({10})
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich dachte eigentlich, dass
Sie von den Linken der Wahrheit sehr nahe stehen . Auch
Lenin hat ja erkannt, dass die Wahrheit immer konkret
ist; aber das scheint ja heute in dieser Aktuellen Stunde
relativ wenige von Ihnen zu interessieren .
({11})
Wenn wir Einkommens- und Vermögensunterschiede
wirklich bekämpfen wollen, dann durch Arbeitsplätze
und gute Wirtschaft .
({12})
Das lehrt die Geschichte; denn ebenso wie die Arbeitslosigkeit in diesem Land unter Rot-Grün bis 2005 kontinuierlich angestiegen ist, hat auch die Einkommensungleichheit zugenommen; seit 2005, seitdem wir in der
Bundesregierung sind, geht die Einkommensungleichheit zurück .
({13})
Diesen Erfolg wollen wir fortsetzen,
({14})
indem wir es den Menschen ermöglichen, endlich wieder
Vermögen aufzubauen, statt es ihnen sofort wieder wegzunehmen, wie Sie es wollen, liebe Linke .
Vielen Dank .
({15})
Vielen Dank . - Die Aktuelle Stunde ist beendet .
Wir sind gleichzeitig am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Donnerstag, den 28 . Januar 2016, 9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen .