Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie einen Augenblick Platz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
zu unserer ersten Sitzung nach der Weihnachtspause und
bekräftige alle guten Wünsche, die wir für das neue Jahr
untereinander ausgetauscht haben .
Nun muss ich Sie gleich zu Beginn unserer Sitzung
bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und
Herren, verehrte Gäste, wenn wir heute Nachmittag im
Bundestag über die aktuelle Lage im Nahen und Mittleren Osten debattieren, dann tun wir das unter dem Eindruck eines brutalen Selbstmordanschlags, bei dem ein
fanatischer Attentäter mindestens elf unschuldige Menschen in den Tod gerissen hat, darunter neun Deutsche,
die als Teil einer Reisegruppe den Nahen Osten, seine
Städte und seine Kultur kennenlernen wollten .
Wir trauern und fühlen mit den Angehörigen aller Opfer . Wir denken an die vielen zum Teil schwer Verletzten,
von denen einige um ihr Leben kämpfen . Wir vergewissern den Menschen und den Behörden in der Türkei unsere Unterstützung bei der Aufklärung der Hintergründe
dieses feigen und brutalen Anschlags .
Am Bosporus begegnen sich seit jeher Kulturen und
Religionen . Das lebendige, weltoffene, bei Touristen aus
aller Welt beliebte Istanbul zum Angriffsziel zu wählen
und ein Attentat in unmittelbarer Nähe einer religiös wie
kunstgeschichtlich bedeutenden Moschee zu verüben,
folgt der Absicht, Angst in die Metropolen und Städte zu
tragen . Ihr werden wir uns nicht ausliefern - von wem
auch immer diese Gefahr und Absicht ausgeht .
Der Schmerz, den wir bei jeder terroristischen Attacke aufs Neue empfinden, eint uns - auch über manche
Differenzen im Umgang mit großen Herausforderungen
hinweg, zu denen der weltweite Terrorismus gehört . Ja,
wir streiten in Europa über die richtigen Wege im Umgang mit der Bedrohung durch den Terrorismus und mit
den nicht zuletzt durch ihn ausgelösten Flüchtlingsbewegungen . Wir debattieren darüber auch in Deutschland
kontrovers . Wir werden das auch und gerade hier im Parlament weiter tun - offen und ehrlich, sachlich und verantwortungsbewusst .
Wir haben am Ende jeweils Entscheidungen zu treffen, die nicht jeden zufriedenstellen können und werden .
Dass wir aber darüber streiten können, unterscheidet uns
von all den Fanatikern, die aus politischen Motiven oder
im falschen Namen Gottes ihre vermeintlichen Wahrheiten anderen mordend aufzwingen wollen . Genau diese
Fähigkeit und Bereitschaft zeichnet uns aus . Es ist keine
Schwäche, sondern Ausdruck unseres Weges, mit den demokratischen Mitteln einer freien, pluralen Gesellschaft
den uns aufgezwungenen Kampf für unsere Werte und
Überzeugungen entschlossen anzunehmen .
Sie haben sich als Zeichen der Trauer und des Respekts für die Opfer und ihre Angehörigen von den Plätzen erhoben . Ich danke Ihnen .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt die interfraktionelle Vereinbarung, vor Tagesordnungspunkt 1 eine
Vereinbarte Debatte mit dem Titel „Konsequenzen aus
den Ereignissen von Köln und anderen Großstädten in
der Silvesternacht“ im Umfang von 60 Minuten aufzurufen . Die Dauer der nach der Regierungsbefragung folgenden Fragestunde soll 90 Minuten betragen . Ich will
mich vergewissern, ob Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden sind . - Das ist offensichtlich der Fall . Dann
können wir so verfahren .
Ich rufe Zusatzpunkt 1 unserer Tagesordnung auf:
Vereinbarte Debatte
Konsequenzen aus den Ereignissen von Köln
und anderen Großstädten in der Silvesternacht
Wir haben uns gerade auf eine 60-minütige Debatte
verständigt, die ich hiermit eröffne .
Ich erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen
Staatssekretär Ole Schröder .
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit drei Blickwinkeln, die
alle etwas mit den Ereignissen in der Silvesternacht in
Köln zu tun haben, beginnen .
Ich beginne mit der Aussage einer angegriffenen Frau
in der Silvesternacht in Köln - ich zitiere -:
Wir liefen dann durch diese Männergruppe . Es tat
sich eine Gasse auf, durch die wir liefen . Plötzlich
spürte ich eine Hand an meinem Po, dann an meinen
Brüsten, schließlich wurde ich überall begrapscht .
Es war der Horror . Obwohl wir schrien und um uns
schlugen, hörten die Typen nicht auf . Ich war verzweifelt und glaube, dass ich rund 100 Mal auf den
knapp 200 Metern angefasst wurde .
Meine Damen und Herren, die Politik und die Polizeien des Bundes und der Länder müssen und werden
gemeinsam alles dafür tun, dass sich so etwas in unserem
Land nicht wiederholt .
({0})
Es wird keine rechtsfreien Räume in unserem Land geben . Ich danke an dieser Stelle allen Polizeibeamtinnen
und Polizeibeamten, die sich in dieser Nacht in ihrem
Einsatz schützend vor die Frauen gestellt haben, auch
unter eigenem Opfer . Auch daran müssen wir denken .
({1})
Ein zweiter Blickwinkel zeigt sich in den Geschehnissen rund um die Facebook-Gruppe „Nett-Werk Köln“ .
Etwa eine Woche nachdem dort die ersten Informationen
zu den sexuellen Übergriffen vor dem Kölner Hauptbahnhof gepostet wurden, musste die Seite vorübergehend geschlossen werden . Der Administrator schrieb
dazu am 7 . Januar auf der Seite - ich zitiere -:
Das Nettwerk ist derzeit nahezu ein Kriegsschauplatz verbaler Gewalt, gegenseitiger Schuldzuweisungen, Aufrufe zur Lynchjustiz, Beleidigungen,
Pöbel, Hetze und Rassismus .
Auch das ist ein Teil der Geschichte . Auch das ist ein
Teil der Konsequenzen, die wir gemeinsam ziehen müssen: Niemand darf die furchtbaren Straftaten der Silvesternacht mit Hass und Rassismus beantworten .
({2})
Den dritten Blickwinkel bilden die vielen Hunderttausend Flüchtlinge in unserem Land, die sich nichts zuschulden kommen lassen . In einem offenen Brief an die
Bundeskanzlerin schreiben einige Flüchtlinge aus Syrien
und Pakistan - ich zitiere -:
. . . sind wir entsetzt über das, was sich in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten zugetragen hat . Wir verabscheuen die sexuellen Übergriffe
und Diebstahldelikte . . . und verurteilen sie auf das
Schärfste .
Die Straftaten in Köln und anderswo betreffen uns
alle, auch die Flüchtlinge, die sich anständig verhalten,
und das ist die große Mehrheit .
Meine Damen und Herren, die Ereignisse der Silvesternacht haben vor allem unser Land als Ganzes getroffen . Mich als Vater von zwei kleinen Töchtern haben - das bekenne ich ganz offen - diese Taten wütend
und fassungslos gemacht . Ich möchte nicht, dass meine
Töchter in einem Land aufwachsen, in dem sie sich auf
öffentlichen Plätzen nicht sicher fühlen .
Heute sprechen wir über die Konsequenzen, und jetzt
richte ich meinen Blick auf die Täter . Ihnen, den Tätern
der Silvesternacht, sagen wir heute Folgendes: Wenn Sie
nach Deutschland kommen, vielleicht auch, um Schutz
zu suchen, hier aber schwere Straftaten begehen, dann
haben Sie in unserem Land nichts zu suchen .
({3})
Wir haben nun die Aufgabe, die Täter schnell zu finden, sie vor ein Gericht zu bringen und sie zu bestrafen .
Einige fordern, dass wir härtere Gesetze machen . Andere
fordern einen besseren Vollzug der bestehenden Gesetze .
Ich sage: Wir brauchen beides . Die Bevölkerung erwartet
von uns, dass wir schnell reagieren .
Gestern haben sich Bundesinnenminister de Maizière
und Bundesjustizminister Maas darauf verständigt, die
Ausweisung krimineller Ausländer zu erleichtern . Wir
wollen die Hürden für die Ausweisung ausländischer
Straftäter deutlich absenken . Das machen wir bei Straftaten gegen das Leben, gegen die körperliche Unversehrtheit, gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen Eigentum und auch bei Angriffen auf Polizisten . Zukünftig
liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse dann
vor, wenn ein Straftäter wegen dieser Delikte zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt wurde, unabhängig davon, ob
diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist . Ein besonders
schwerwiegendes Ausweisungsinteresse - das ist die
nächsthöhere Stufe - liegt zukünftig bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr
vor .
Asylsuchenden, die Straftaten begehen, werden wir
künftig konsequenter die rechtliche Anerkennung als
Flüchtling versagen . Bei der Frage, ab wann jemand
nicht mehr als Flüchtling anerkannt wird, haben wir uns
darauf verständigt, die Schwelle für die genannten Straftaten von drei Jahren Freiheitsstrafe auf ein Jahr Freiheitsstrafe zu senken .
({4})
Meine Damen und Herren, das ist eine harte Reaktion
des Staates gegenüber den Menschen, die zu uns kommen und meinen, hier Straftaten begehen zu können,
ohne dass das Auswirkungen auf ihre Anwesenheit in
Deutschland hätte . Der Rechtsstaat muss und wird seine
Bürger schützen . Schutz des Rechtsstaates heißt härtere Gesetze, wenn es nötig ist . Schutz des Rechtsstaates
heißt auch, dass wir Strafgesetze an neue Arten der Tatbegehung anpassen müssen . Schutz des Rechtsstaates
bedeutet aber vor allem Vollzug unserer Gesetze . Für den
Bereich der Polizei heißt das mehr Personal und bessere
Ausrüstung . Wir haben in den Haushaltsverhandlungen
für dieses Jahr 3 000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei erhalten . Ich gehe davon aus, dass auch die Länder ihre Polizeien jetzt wieder verstärken werden .
({5})
Meine Damen und Herren, zu den Konsequenzen aus
der Silvesternacht gehört auch, dass wir nicht verschweigen, aus welchen Ländern die Täter kamen, und darüber
reden, dass auch kulturelle Hintergründe bei den Taten
eine Rolle spielen . Die Silvesternacht macht deutlich,
wie schwer es ist, gerade junge, alleinstehende Männer
mit arabischer Herkunft hier in unserem Land zu integrieren . Die Silvesternacht macht auch deutlich, dass
jede Integrationskraft einer Gesellschaft endlich ist .
Kein Generalverdacht, aber auch kein Verschweigen
oder Relativieren von Tatsachen, Integration der zu uns
kommenden Menschen, aber keine Toleranz gegenüber
Straftätern - das ist die Aufgabe, nicht nur in Köln, sondern überall in unserem Land .
Vielen Dank .
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der
Silvesternacht waren viele Frauen sexualisierter Gewalt
ausgesetzt . Das, was auf dem Bahnhofsvorplatz in Köln
passierte, war ein übler männerbündischer Exzess . Es
ist ein Unding, dass die Polizei den Frauen nicht eher
helfen konnte . Ich möchte den betroffenen Frauen auch
ganz persönlich mein Mitgefühl aussprechen . Sexuelle
Belästigung ist keine Lappalie . Diese gilt es überall zu
bekämpfen .
({0})
Die Straftaten müssen umfassend aufgeklärt werden . Die
Täter müssen nach den Regeln der Gesetze zur Rechenschaft gezogen werden . Da darf es weder einen Bonus
noch einen Malus für die Herkunft geben .
({1})
Sexismus ist keine Importware aus dem Ausland, sondern leider fester Bestandteil unserer Gesellschaft . Die
Hälfte aller Frauen in Europa wurde schon sexuell belästigt, so die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte . Laut Kriminalstatistik werden hierzulande jeden
Tag 20 Vergewaltigungen angezeigt . 25 Prozent der in
Deutschland lebenden Frauen haben bereits Gewalt durch
frühere oder aktuelle Partner erfahren, so eine Studie des
Familienministeriums. Ein großer Teil der Gewalt findet
also in den Familien statt . Es sind in der Regel eben nicht
die Fremden, sondern die Männer, die den Frauen vermeintlich nahestehen, die an ihnen Gewalt verüben . Nun
mag diese alltägliche häusliche Gewalt nicht so spektakulär sein wie die öffentliche in Köln, aber aus Sicht der
Betroffenen ist sie gleichermaßen belastend . Deswegen
meine ich: Wir müssen sexualisierte Gewalt auch dann
thematisieren und bekämpfen, wenn die Täter nicht die
vermeintlich Fremden sind .
({2})
Wenn Sie, Herr Schröder, von einer Integrationspflicht
reden, so finde ich, dass sie für alle Gewalttäter gelten
muss .
({3})
Auch die deutschen gewalttätigen Partner müssen offensichtlich integriert werden .
({4})
Denn Sexismus ist wahrlich nicht das Alleinstellungsmerkmal einer Religion oder einer bestimmten Kultur .
Die Unterdrückung von Frauen ist fester Bestandteil aller
Kulturen, auch der westlichen . Hierzulande mussten die
Frauenrechte doch hart erkämpft werden, und zwar von
der Frauenbewegung . Sie hat diese oft gegen den erbitterten Widerstand des politischen Establishments erkämpft .
Erinnert sei nur daran, dass noch 1997 große Teile der
Union dagegen waren, die Straffreiheit bei Vergewaltigung in der Ehe aufzuheben - als ob ein Trauschein eine
Vergewaltigung weniger schlimm machen würde .
Es ist schon erstaunlich, wer alles angesichts muslimischer Geflüchteter nun auf einmal zur Instantfeministin wird . Viele, die nun angeblich im Sinne des Schutzes der Frauen vor sexualisierter Gewalt in „Ausländer
raus“-Rhetorik verfallen, waren bis vor kurzem noch
dafür, das Geld für Frauenschutzhäuser zu streichen .
Insofern wird man den Eindruck nicht los, dass in der
Debatte Frauenanliegen instrumentalisiert werden . Viele
Feministinnen sagen deshalb zum Beispiel in dem Aufruf
#ausnahmslos: Wir lassen uns nicht für rassistische Hetze
missbrauchen .
({5})
Auffällig an den Debatten nach Köln ist auch Folgendes: Bei fast allen lautet die Fragestellung: Wie können wir Ausländer schneller und effizienter abschieben?
Wem es wirklich um die Frauen geht, der müsste die Frage doch anders stellen: Wie können wir Frauen, Kinder
und Männer generell besser vor sexualisierter Gewalt
schützen?
({6})
Ich möchte dazu drei konkrete Maßnahmen vorschlagen:
Erstens, gesetzliche Schutzlücken schließen . Es gibt
in der Tat eine Schutzlücke für Opfer sexueller Gewalt .
So kommt es nur bei jeder zehnten angezeigten Vergewaltigung überhaupt zu einer Verurteilung . Das heißt,
neun von zehn Frauen, die den Mut aufbringen, eine Vergewaltigung anzuzeigen, müssen erleben, dass der Täter
straffrei davonkommt . Insofern gibt es aus gutem Grund
schon viel länger eine Debatte dahin gehend, dass das
Sexualstrafrecht überarbeitet werden muss, gemäß dem
Motto: Nein heißt nein! Hier gibt es Regelungsbedarf,
um Opfern von sexualisierter Gewalt tatsächlich zu helfen . Also schließen Sie endlich diese Schutzlücke, anstatt
Geflüchtete unter Generalverdacht zu stellen!
({7})
Zweitens . In den vergangenen Tagen haben Politiker
verschiedener Couleur immer wieder unterstrichen, wie
wichtig der Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt ist .
Hier werden wir Sie beim Wort nehmen, wenn es um die
Finanzierung der Frauenschutzhäuser geht .
({8})
Drittens . Dass die Situation vor Ort so eskalieren
konnte, liegt womöglich auch an einer fehlenden Sensibilität der Polizei für die Straftat sexuelle Belästigung .
({9})
Um so etwas in Zukunft zu vermeiden, bedarf es, wie ich
finde, noch einmal einer Schulungsoffensive, einer Beratung, wie man bei Polizei und Justiz mit dieser heiklen
Situation umgeht . Unterhalten Sie sich doch einmal mit
Frauen, die eine Vergewaltigung angezeigt haben . Diese
Frauen hatten nicht immer das Gefühl, dass sie bei Polizei und Justiz mit ihrer spezifischen Problemlage gut
aufgehoben waren .
({10})
An den Reaktionen auf die Straftaten in Köln wird
noch etwas anderes deutlich: ein zunehmend aggressiver,
ja pogromartiger Rassismus . Straftaten einer üblen Männergruppe werden missbraucht, um Stimmung gegen alle
Nichtdeutschen zu machen,
({11})
und während dieser Stimmungsmache explodiert die rassistische Gewalt . Wissen Sie, was mich wirklich schockiert? Das ist die Hierarchie der Empörung, die sich hier
breitmacht . Vergegenwärtigen wir uns doch noch einmal
das Maß der Aufregung und der Berichterstattung, wenn
nichtdeutsche Täter auf üble Art und Weise Frauen angreifen, und vergleichen wir das mit der deutlich geringeren Aufregung, wenn sich deutsche Rassisten zu einer
Menschenjagd verabreden, wenn ein tunesisches Mädchen krankenhausreif geschlagen wird . Sollte uns nicht
jedes Opfer gleichermaßen umtreiben und belasten?
({12})
Wir haben ein Problem in dieser Gesellschaft - das
wurde auch in den Debatten über Köln deutlich -: Wir
haben eine Zunahme an Rassismus und rassistischer Gewalt; im Zusammenspiel von Hooligans, Neonazis in
Nadelstreifen und Rechtspopulisten der Straße nimmt die
rassistische Gewalt in diesem Land zu .
({13})
Sie kennen die Zahlen auch . Diese Gewalt strahlt bis weit
in die Mitte der Gesellschaft .
Ich finde es unverantwortlich, wenn Politik und Medien diesen Rassismus auch noch befeuern . Sexuelle
Gewalt und Kriminalität gilt es zu bekämpfen . Aber wer
diesen Kampf kulturalistisch auflädt, wer den Eindruck
erweckt, dies sei das spezielle Problem einer bestimmten
Kultur oder einer bestimmten Religion, der macht sich
am Ende des Tages zum Helfershelfer der AfD und von
Pegida .
({14})
Wenn diese Regierung eine Pegida-Forderung nach
der anderen in Gesetzesform gießt,
({15})
dann leistet sie damit eine Aufbauhilfe für AfD und
Pegida .
({16})
Schauen Sie sich doch einmal den Forderungskatalog an,
den Pegida vor einem Jahr erstellt hat! Die Hälfte der
Punkte ist bereits ganz oder teilweise umgesetzt .
({17})
Wer glaubt, AfD und Pegida zu schwächen, indem man
ihnen nach dem Mund redet, der irrt gewaltig . Ganz im
Gegenteil: Man stärkt sie damit .
({18})
Im Kampf gegen Rassismus und Sexismus war und ist
Opportunismus kein guter Ratgeber . Die Ängste ernst zu
nehmen, darf nicht heißen, selber rassistisch zu werden .
Es geht darum, die Ängste zu nehmen . Wer die Ängste, auf denen Rassismus gedeiht, nehmen will, der muss
kräftig in die Bereiche Soziales und Bildung investieren, der muss alle sanktionsfrei vor Armut schützen, der
muss bezahlbaren Wohnraum für alle sicherstellen, und
der muss verbindlich Sozial- und Rentenkürzungen ausKatja Kipping
schließen . So trocknet man den Nährboden aus, auf dem
Rassismus gedeiht .
Vielen Dank .
({19})
Das Wort erhält nun der Bundesminister der Justiz,
Heiko Maas .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Blick auf die Ereignisse in der Silvesternacht in
Köln will ich Folgendes feststellen:
Erstens . Niemand darf sich in Deutschland über Recht
und Gesetz stellen, und zwar völlig unabhängig davon,
welchen Pass er hat oder ob er überhaupt einen Pass hat .
Zweitens . Für sexuelle Übergriffe auf Frauen gibt es
keine Rechtfertigung und auch keine Entschuldigung .
Auch ein möglicher kultureller Hintergrund entschuldigt
nichts . Ganz im Gegenteil: Er ist noch nicht einmal als
Erklärung akzeptabel .
({0})
Drittens . Kriminelle müssen für ihre Taten konsequent
zur Rechenschaft gezogen werden . Bei kriminellen Ausländern ist auch die Ausweisung eine solche Konsequenz .
({1})
Ausländer, die sich in Deutschland strafbar machen,
werden wir nach Umsetzung der Vorschläge, die Herr de
Maizière und ich gestern unterbreitet haben, in Zukunft
schneller ausweisen können . Sie werden auch schneller
ihre Anerkennung als Flüchtling verlieren können . Die
Änderungen im Ausweisungsrecht, die wir vorgeschlagen haben, sind nach meiner festen Überzeugung nicht
nur angemessen, sondern sie sind auch notwendig .
Wir befinden uns zurzeit in einer kritischen Phase, in
der sich viele Bürgerinnen und Bürger Sorgen um die
Handlungsfähigkeit des Staates machen . Das dürfen wir
nicht zulassen .
({2})
Das gilt im Übrigen auch für diejenigen, die sich in den
letzten Wochen und Monaten sehr engagiert für Flüchtlinge eingesetzt haben . Ja, das gilt auch für Flüchtlinge .
Ich habe mit Flüchtlingen gesprochen, die mir gesagt haben: Sorgen Sie dafür, dass diese Menschen hart bestraft
werden, und schicken Sie sie dann weg . Denn wir wollen
wegen diesen Kriminellen nicht in Verruf geraten .
Es kommt auf zwei Dinge an: Ja, Recht ist nur so viel
wert, wie es durchgesetzt wird . Wir müssen - unabhängig von den Abläufen in der Silvesternacht - die Behörden mit ausreichend Personal ausstatten, damit sie das
Recht auch durchsetzen können .
({3})
Darüber wird überall in den Ländern längst diskutiert .
Auch die Bundesregierung hat bereits gehandelt . Nicht
umsonst haben wir 3 000 zusätzliche Stellen für Bundespolizisten im Haushalt ausgewiesen .
Wenn notwendig, müssen wir auch Gesetze ändern .
Wenn wir die Gesetze, wenn es notwendig ist, schnell
ändern, hat das nichts mit einem Schnellschuss zu tun .
Wir sind der Auffassung, dass für eine besondere Tätergruppe - wir machen das nicht pauschal für alle, sondern
für diejenigen, die vorsätzlich Straftaten gegen Leib und
Leben, gegen die körperliche Unversehrtheit, gegen die
sexuelle Selbstbestimmung, gegen Vollstreckungsbeamte begehen, und auch für Serientäter bei Eigentumsdelikten - die Voraussetzungen abgesenkt werden sollten,
um sie ausweisen zu können . Das wird dazu führen, dass
es mehr Ausweisungen gibt . Das wird auch dazu führen, dass es in Zukunft mehr Abschiebungen gibt . Das
sind wir nicht nur den Opfern der Silvesternacht in Köln
schuldig, sondern das dient auch dem Schutz zukünftiger
Opfer . Im Übrigen schützen wir damit Hunderttausende
unbescholtene Flüchtlinge in unserem Land, die es nicht
verdient haben, mit Kriminellen in einen Topf geworfen
zu werden .
({4})
Wir ändern das Recht auch an einer anderen Stelle . Ja,
es gibt im Gesetz Schutzlücken bei der sexuellen Nötigung und auch bei der Vergewaltigung . Deshalb hat die
Bundesregierung schon im Dezember des letzten Jahres
einen Gesetzentwurf in die Länder- und Verbändeanhörung eingebracht, mit dem wir diese Schutzlücken
schließen wollen . Es ist bedauerlicherweise nun einmal
so, dass die Rechtsprechung in der Vergangenheit nicht
wegen Vergewaltigung verurteilen konnte, wenn sich ein
Opfer nicht ausreichend zur Wehr gesetzt hat . Wir wissen aber, dass es Fälle gibt, in denen es dem Opfer durch
ein Überraschungsmoment gar nicht möglich ist, sich zu
wehren . Der Kölner Fall ist ein solcher Fall . Wenn viele
Männer um Frauen herumstehen und die Frau gar nicht
weiß, von wem sie angefasst wird, ist das nichts anderes
als ein Überraschungsmoment . Die hier im Gesetz bestehende Schutzlücke schließen wir .
({5})
Wir schließen auch eine andere Lücke . Wenn Frauen
auf Widerstand verzichten, weil sie sich ansonsten noch
größerer Gewaltanwendung ausgesetzt sehen, dann hat
auch das in der Vergangenheit dazu geführt, dass nicht
bestraft werden konnte, zumindest nicht im Rahmen dessen, was nach § 177 Strafgesetzbuch möglich ist . Auch
diese Schutzlücke schließen wir . Das heißt, wir werden das ist ein Thema, mit dem wir uns schon länger beschäftigen - mit dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung
auf den Weg gebracht hat, Frauen ganz massiv besser vor
sexueller Gewalt schützen . Es ist bitter notwendig, dass
wir das jetzt zügig umsetzen .
({6})
Meine Damen und Herren, ich möchte aber noch etwas anderes feststellen: Ja, es stimmt, dass viele Täter
in Köln Migranten waren . Aber das Triumphgeheul der
Populisten und der Rassisten sowie die pauschale Hetze
gegen Flüchtlinge, die danach eingesetzt hat, sind widerlich .
({7})
Die Krawalle von rechtsradikalen Hooligans am Montag
in Leipzig sind genauso empörend wie die Vorfälle in
Köln; auch diese verdienen eine Antwort .
({8})
Meine Damen und Herren, wir werden unsere Hilfe
für Millionen Flüchtlinge in Not nicht dadurch infrage
stellen lassen, dass einige Hundert von ihnen kriminell
sind . Eines sollten wir auf jeden Fall deutlich sagen: Wir
werden es nicht zulassen, dass Kriminelle den gesellschaftlichen Frieden in unserem Land dauerhaft kaputtmachen, und zwar ganz gleich, ob es straffällige Ausländer oder deutsche Rechtsradikale sind .
Herzlichen Dank .
({9})
Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir haben Tag 13 nach Köln, und immer noch gibt
es neue Informationen . Eben hat der Innenausschuss
getagt . Wir sind bei der Aufklärung ein Stück weiter .
Dennoch: Es gibt noch vieles zu klären . Jeder, dem die
Flüchtlinge besonders am Herzen liegen - das sage ich
auch ganz persönlich -, will lückenlos wissen, was da
passiert ist, wer es war und wie die Sicherheit von Frauen
im öffentlichen Raum geschützt werden kann .
({0})
Jede Frau muss sich frei und ohne Angst in der Öffentlichkeit bewegen können . Das zu garantieren, ist Aufgabe des Staates . Wenn der Staat hier versagt, dann macht
das Angst .
Sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum sind kein
neues Problem . Sie waren schon ein Problem, bevor
Flüchtlinge kamen . Aber neu ist diese Erscheinungsform, die wir bisher nur aus patriarchal geprägten Gesellschaften wie Indien oder Marokko kannten . Wir haben
sie jetzt hier . Das macht Frauen zusätzlich Angst - nicht
mehr und nicht weniger als bei anderen Straftaten, aber
eben zusätzlich .
Frauen, die überrumpelt wurden, deren Arglosigkeit
für sexuelle Übergriffe ausgenutzt wurde, waren schon
immer schutzlos . Frauen sind bei Übergriffen in vielen
Fällen bislang rechtlos . Deswegen, Herr Maas, hatte
meine Fraktion schon im letzten Sommer vorgeschlagen, diese Lücke zu schließen . Sie haben damals gesagt,
man könne erst einmal alles beim Alten belassen . Die gesamte Bundesregierung hat diese Gesetzesänderung verschleppt . Das Nein einer Frau muss ein Nein sein, meine
Damen und Herren . Sie hätten dieses Gesetz schon haben
können . Ihr Versäumnis baden jetzt womöglich auch die
Opfer von Köln aus, weil die Täter nicht bestraft werden
können; auch das gehört zur Wahrheit .
({1})
Es gehört sich in einem zivilisierten Land, dass man
einen Täter einen Täter und einen Flüchtling einen
Flüchtling nennt .
({2})
Nicht aber gehört es sich - das sage ich all denjenigen,
die diese Debatte missbrauchen -, dass, wenn ein Täter oder seien es auch 10, 20 oder 100 - ein Flüchtling war,
alle Flüchtlinge zu potenziellen Tätern gemacht werden,
meine Damen und Herren .
({3})
Denn genau das unterscheidet einen Rechtsstaat, eine demokratische und offene Gesellschaft von allen anderen .
Deshalb braucht es Aufklärung . Es braucht aber keine
aufgeregte Debatte und keine Schnellschüsse .
Dass Sie schon vor dem Abschluss der Sachverhaltsaufklärung einen fertigen Gesetzentwurf haben, meine
Damen und Herren von der Großen Koalition, ist keine
Antwort auf das, was in Köln passiert ist . Was fehlte denn
in der Silvesternacht in Köln, und was fehlte anderswo?
Herr Schröder, Sie haben das hier sehr deutlich gesagt .
Die Handlungsfähigkeit ist aber noch längst nicht
hergestellt . Es fehlt schlicht und ergreifend an genügend
Polizei .
({4})
Es waren dort nicht genügend Polizistinnen und Polizisten, die die widerwärtigen Taten hätten verhindern können .
({5})
Es waren nicht genügend Einsatzkräfte vor Ort, die die
Personalien der Täter hätten aufnehmen können .
({6})
Angeblich war sogar nur eine einzige Polizistin auf dem
Revier, um dort Anzeigen aufzunehmen .
Weil Sie fragen, wer in Nordrhein-Westfalen verantwortlich war - ich weiß nicht, ob es Herr Scheuer oder
wer auch immer war -, will ich Ihnen eines sagen: Wer
hat denn die meisten Polizeikräfte eingestellt? Das waren die rot-grünen Landesregierungen . Vorher wurde dies
versäumt . Das kann man leider nicht von einem Tag auf
den anderen machen .
({7})
Ich rufe Sie zu einer sachlichen Debatte
({8})
und dazu auf, einen klaren Kopf zu bewahren . Herr Maas
und Herr de Maizière haben gestern gesagt: Das Entscheidende ist und bleibt die Integration .
Ihre Antwort auf diese Taten sind jetzt neue Gesetze,
um Abschiebungen zu beschleunigen. Ja, ich finde, dass
bei Straftaten auch ausländerrechtliche Konsequenzen zu
ziehen sind . Vor 14 Tagen haben Sie ein neues Gesetz in
Kraft gesetzt, das eine solche Verschärfung vorsieht . Tun
Sie aber bitte nicht so, als wäre das die zentrale Antwort .
Wohin wollen Sie denn die Flüchtlinge abschieben?
Nach Syrien, nach Madaja oder Rakka? Sie wissen, dass
das nicht geht . Es gibt eben Probleme, die sich nicht ganz
schnell mit dem Bundesgesetzblatt erschlagen lassen .
Ja, es geht um Integration . Dazu gehört, dass alle, die
hier leben, Frauen mit Respekt behandeln und akzeptieren müssen, dass ein Nein ein Nein ist und dass es daran
nichts zu deuten gibt .
({9})
Der Schlüssel ist Integration .
Schauen wir uns jetzt doch bitte einmal die Marokkaner an, die hierhergekommen sind und deren Asylverfahren zwei Jahre dauern . Was machen sie eigentlich in
dieser Zeit? Absolvieren sie einen Integrationskurs und
lernen Deutsch? Lernen sie etwas über das Frauenbild
in unserem Land? Nein, denn einen Integrationskurs bekommen sie nicht genehmigt, weil ihre Anerkennungsquote nur bei 2 Prozent liegt .
({10})
Arbeiten können sie auch nicht, weil ihnen das verwehrt
wird . Nein, das ist keine Entschuldigung für irgendeine
Straftat und auch keine Relativierung, aber das gehört zur
Wahrheit dazu. Und ich finde, auch diese Wahrheit sollten Sie nicht verschweigen .
({11})
Schauen wir bitte einmal in ein anderes Land, in
dem ähnliche Taten geplant gewesen sind, nämlich nach
Finnland . In Helsinki haben Integrationsbehörden sehr
frühzeitig darauf hingewiesen, dass es zu solchen Taten
kommen kann . Deswegen hat die Polizei dort sehr frühzeitig dafür gesorgt, dass dies nicht geschehen ist . Wenn
wir uns Helsinki und Köln anschauen, dann wissen wir,
woran es hier mangelt . Es mangelt an Integrationszentren . Die Kräfte vor Ort müssen gebündelt werden, und
die Leute müssen wissen, was geschehen kann . Dadurch
könnten solche Taten verhindert werden .
Die Integration wird der Schlüssel sein . Die Probleme
müssen sehr frühzeitig erkannt und benannt werden, um
dann auch handeln zu können und es nicht dem Zufall zu
überlassen .
Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie und hat
eines der besten Rechtssysteme der Welt . Wir sehen
aber mit zunehmender Sorge, dass sich junge Männer
verabreden, um, wie es heißt, „big party“ zu machen .
Wie furchtbar und widerlich ist es, wenn dazu sexuelle
Übergriffe gehören . Dem müssen wir uns entgegenstellen - auch mit Ausweisungen, die unsere Gesetze bereits
ermöglichen .
Deutschland hat eine wehrhafte Demokratie . Wir sehen aber mit Sorge, dass 250 Neonazis in Leipzig-Connewitz gewalttätige Krawalle organisieren, Autos zerdeppern, Häuser anzünden und Schaufenster einschmeißen .
Auch darauf muss der Rechtsstaat mit Konsequenzen
reagieren .
({12})
Wir haben eine wehrhafte Demokratie . Wenn Rocker
und Türsteher in Köln auf Ausländerjagd gehen und versuchen, Selbstjustiz zu üben, dann ist klar: Das muss Konsequenzen haben . Wir haben eine wehrhafte Demokratie,
und die Anschläge auf Asylbewerberheime reißen nicht
ab . Wir haben eine wehrhafte Demokratie, und mehrere
Hundert rechtsradikale Täter sind in Deutschland - wie
uns die Bundesregierung gerade auf eine Anfrage hin gesagt hat - nach wie vor auf freiem Fuß . Wir haben eine
wehrhafte Demokratie, und wir sehen und erleben eine
völlig enthemmte Hetze und Androhung von Gewalt im
Netz, meine Damen und Herren .
All das zu sehen, gehört dazu, wenn wir wollen, dass
unser Staat wehrhaft und stark ist . Auch deswegen sollten wir eine klare und sachliche Debatte mit kühlem
Kopf führen . Und wenn es irgendetwas gibt, was mich an
Köln zusätzlich ärgert, dann das, dass die rechten Hetzer
jetzt neue Munition haben, meine Damen und Herren . Es
kommt darauf an, dass wir klarmachen: Unser Staat ist
handlungsfähig, und wir lassen das nicht zu .
Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich: Sorgen Sie dafür, dass es mehr Einsatzkräfte bei der Polizei gibt .
({13})
Sorgen Sie dafür, dass niemand den Rassisten noch zusätzliche Munition gibt, meine Damen und Herren, und
tun wir es erst recht nicht, indem wir Flüchtlinge vorverurteilen oder insgesamt beurteilen .
Vielen Dank .
({14})
Thomas Strobl ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Silvesternacht beinhaltet einige bittere Wahrheiten . Eine der bitteren Wahrheiten ist, dass sich die Ereignisse mitten im Herzen einer Großstadt ereignet haben .
Es gab sie aber im Übrigen nicht nur in Köln . Auch in
Stuttgart, Frankfurt und Hamburg gab es ähnliche Ereignisse .
Ich mache mir schon Sorgen über Verrohungstendenzen und mangelnden Respekt, über eine Brutalisierung in
der Sprache und in den Netzwerken und auch auf unseren
Straßen . Das ist ein gesellschaftliches Problem . Wir sollten darüber eine Wertediskussion führen - nicht nur in
Nordrhein-Westfalen, sondern in ganz Deutschland .
Es hat mich beeindruckt, dass gestern ein junger
Mann, der offensichtlich aus einer Moschee kam und
der, auf der Straße vom Fernsehen befragt, was er zu
Köln meine, drei Worte sagte: Ich schäme mich . - Auch
ich schäme mich, wenn ich so manches in den sozialen
Netzwerken lese . Ich schäme mich, wenn Deutsche auf
Demonstrationen einen Galgen oder eine Guillotine vor
sich hertragen . Das ist nicht unser Deutschland, das ist
Vergangenheit und nicht Deutschland im Jahre 2016!
({0})
Zu dieser Wertediskussion gehört auch, dass es bei uns
Regeln und Gesetze gibt, an die sich alle halten müssen egal woher man kommt . Und es gehört auch dazu, dass
wir die Kraft in diesem Land entwickeln, unsere Rechtsvorschriften von Anfang an konsequent durchzusetzen .
Die Kölner Domplatte ist doch nicht erst seit dem
31 . Dezember letzten Jahres ein Problem, sondern die
Zustände dort sind schon seit Monaten und Jahren bekannt . Hier in dieser Stadt, in der wir gerade die Diskussion führen, gibt es seit Jahren Verhältnisse, die nicht in
Ordnung sind . Lassen Sie uns Köln auch als einen Weckruf ansehen . Es darf in Deutschland keine No-go-Areas
geben . Es darf in Deutschland keine rechtsfreien Räume
geben . Es ist jetzt allerhöchste Zeit, dass wir die Missstände überall beseitigen, damit sich Frauen und Männer
in Deutschland Tag und Nacht überall frei bewegen können . Dazu müssen wir handeln .
({1})
Unsere Polizei: Ja, wir tun etwas für unsere Bundespolizei . Es gibt mehr Mittel, mehr Personal und mehr
Möglichkeiten . In diesem Haushalt haben wir 3 000 zusätzliche Stellen für unsere Bundespolizei geschaffen .
Das darf ein Vorbild auch für die Landespolizeien sein .
Rasches Handeln ist gefordert, wenn wir erkennen,
dass wir eine Verschärfung unserer Gesetze brauchen .
({2})
Ich bin dem Bundesjustizminister und dem Bundesinnenminister außerordentlich dankbar, dass wir uns in so
kurzer Zeit verständigen konnten . Diese Koalition redet
nicht nur, sondern sie handelt .
({3})
Das gilt für das Thema Ausweisung von straffälligen
Ausländern und von Asylbewerbern . Es ist unerklärlich,
wie man vor Gewalt, Vergewaltigung, Folter und Krieg
flüchtet, um hier dann Ähnliches zu tun. Es ist richtig,
solche Menschen aus dem Asylverfahren herauszunehmen . Selbstverständlich gibt es in Deutschland für das
„Antanzen“ - was für ein verharmlosender Begriff! - und
das hundertfache Begrapschen von Frauen die rote Karte .
Deswegen werden wir die Gesetze entsprechend ändern .
({4})
Mit Blick auf den Bericht des Bundespolizeipräsidenten heute Morgen im Innenausschuss möchte ich einen
Punkt erwähnen, der hier noch nicht angesprochen worden ist . Die Polizistinnen und Polizisten, die in dieser
Nacht ihren Kopf hingehalten haben, hatten keinen einfachen Job . An dem Verhalten der Bundespolizei gibt es
jedenfalls nichts zu kritisieren . Ich danke allen Polizistinnen und Polizisten für ihre Arbeit vor Ort in dieser Nacht .
Sie verdienen unseren Respekt und unsere Dankbarkeit .
({5})
Ob Lageeinschätzung und Einsatzleitung der Landespolizei in Ordnung waren, ist nicht mein Thema . Das
mag der Landtag von Nordrhein-Westfalen untersuchen,
und das wird er tun . Nicht den Polizistinnen und Polizisten in der Silvesternacht ist ein Vorwurf zu machen .
Aber, meine Damen und Herren, dem Polizisten, der am
1 . Januar in der warmen Amtsstube eine Pressemitteilung
geschrieben hat, in der von einem friedlichen Abend und
einer entspannten Einsatzlage die Rede war, ist wohl ein
Vorwurf zu machen .
Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit .
Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident . - Diese
Pressemitteilung ist nicht am 1 . Januar korrigiert worden, auch nicht am 2 . oder am 3 . Januar, sondern diese
Meldung ist tagelang im Raum stehen geblieben . Dieser
Versuch des Vertuschens und des Täuschens der Öffentlichkeit hat die Glaubwürdigkeit der staatlichen Organe
und der Politik erschüttert und sie aufs Spiel gesetzt . Das
ist der eigentliche politische Skandal in dieser Angelegenheit .
({0})
Wir werden in der Großen Koalition alles dafür tun,
verlorengegangenes Vertrauen in unseren Rechtsstaat
wiederherzustellen . Dafür arbeiten wir . Ich lade Sie ein,
daran mitzuwirken .
Herzlichen Dank .
({1})
Für die SPD-Fraktion erhält nun die Kollegin Eva
Högl das Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auf die Ereignisse auf der Domplatte in Köln
in der Silvesternacht, auf die erschreckenden Übergriffe, auf die unfassbaren Vorkommnisse gibt es keine einfachen Antworten . Ich möchte hier noch einmal ganz
deutlich sagen, dass diese fürchterlichen Ereignisse nicht
straffrei sind, damit hier kein falscher Eindruck entsteht .
({0})
Es geht jetzt in erster Linie darum - das sind wir nicht zuletzt den Opfern schuldig -, diese Straftaten konsequent
und lückenlos aufzuklären und die Täter zu ermitteln und
umgehend zu bestrafen . Das ist die entscheidende Konsequenz aus den Ereignissen in Köln .
({1})
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch
fragen: Wer waren die Täter? Woher kamen sie? Auch das
gehört dazu . Da darf es keine Tabus geben, und da darf
auch nichts verschwiegen werden. Ich finde es wichtig,
auch das in dieser Debatte noch einmal zu betonen . Das
ist für die Aufklärung ganz entscheidend . Die Tatsachen
dürfen auch nicht für rassistische Hetze genutzt werden .
Denn die Herkunft der Täter darf nicht dazu führen, dass
die Verfolgung ins Gegenteil verkehrt wird .
({2})
Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir
zunächst einmal überhaupt kein Gesetz ändern, sondern
wir müssen Handlungsfähigkeit demonstrieren, und das
tun wir auch . Wir müssen die bestehenden Gesetze konsequent anwenden und vollziehen . Wir brauchen ausreichend Polizei - das ist schon gesagt worden; ich betone
es noch einmal ausdrücklich -, eine effiziente Strafverfolgung und ausreichende Kapazitäten in der Justiz .
Als Zweites - das ist für die Analyse wichtig - müssen
wir uns fragen, wie es überhaupt dazu kommen konnte
und wie es uns in der Zukunft gelingt, solche Straftaten
wirksam zu vermeiden . Denn so etwas hat in unserem
Land keinen Platz .
({3})
Deswegen fragen wir: Gab es genug Polizeikräfte?
Hatte die Polizei in Köln die richtige Strategie? Und was
müssen wir in Zukunft besser machen? Das A und O ist:
Wir brauchen mehr Polizei . Das ist schon oft gesagt worden, und es kann nicht oft genug gesagt werden . Deswegen fordert die SPD: Nicht nur kleckern, sondern klotzen! Wir sagen: Wir brauchen 12 000 Polizeibeamtinnen
und -beamte mehr in Bund und Ländern .
({4})
Wofür brauchen wir sie, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wir brauchen sie vor allen Dingen auf den öffentlichen Plätzen, in Einrichtungen, Parks und in den Bahnen .
Wir müssen die öffentlichen Plätze stärker sichern . Es
darf in Deutschland keine Angsträume geben . Wir wissen
aber, dass es solche Angsträume gibt .
({5})
Wir müssen es schaffen, dass alle Bürgerinnen und Bürger sich überall sicher fühlen, ob Tag oder Nacht, ob in
der Bahn oder auf einem Platz . Das ist unsere gemeinsame Aufgabe .
Es darf nicht nur in Köln keine Angsträume geben,
sondern auch in Leipzig, wo rechtsextreme Hooligans
ganze Straßen verwüstet haben, und in anderen Städten .
Es darf auch keine Orte wie Jamel in Mecklenburg-Vorpommern geben, wo Demokratinnen und Demokraten
nicht mehr sicher leben können, weil Rechtsextreme das
Dorf beherrschen .
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Deutschen Bundestag müssen wir uns fragen, ob wir gesetzgeberischen
Handlungsbedarf haben . Ich möchte noch einmal betonen, dass es ganz wichtig ist, dass wir nicht auf jeden
Vorfall - und sei er noch so schlimm; Köln war ein
schlimmer Exzess und für die Opfer individuell besonders schrecklich - mit dem Ruf nach neuen Gesetzen reagieren . Das ist nicht angemessen .
({7})
Aber dort, wo wir nach einer sachlichen und konzentrierten Diskussion gemeinsam feststellen, dass es Lücken
gibt, müssen wir sie auch schnell und unaufgeregt schließen . Das tun wir gerade, und damit demonstrieren wir
Thomas Strobl ({8})
Handlungsfähigkeit . Auch ich bin sehr dankbar - Heiko
Maas hat es hier dargelegt -, dass wir schnell reagieren,
indem wir sagen: Wir müssen unser Ausweisungsrecht
noch einmal verschärfen, auch wenn wir das bereits getan haben . Kriminelle Ausländer haben in Deutschland
keinen Platz . Das halte ich für die richtige Konsequenz .
({9})
Wir verschärfen unser Sexualstrafrecht nicht wegen
Köln - der Vorschlag liegt schon lange vor -,
({10})
sondern wir verschärfen es - und schaffen damit hoffentlich eine richtige Grundlage und ein gutes Strafrecht -,
damit solche Vorfälle wie in Köln und anderswo in Zukunft konsequenter bestraft werden können . Wir wollen,
dass alle Formen nichteinvernehmlichen Geschlechtsverkehrs bestraft werden .
({11})
Wir wollen sexuelle Belästigung bestrafen . Wir haben
eine hervorragende Grundlage aus dem Justizministerium, über die wir weiter beraten werden . Diejenigen, die
bisher diesen guten Gesetzentwurf blockiert haben, sollten sich fragen, ob das die angemessene Reaktion war .
({12})
Diese Nebenbemerkung sei mir erlaubt .
Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir
im Weiteren eine ausreichende Grundlage für eine besonnene und konzentrierte Diskussion über den nötigen
Reformbedarf . Ich bin mir sehr sicher, dass wir im Deutschen Bundestag aus den Vorfällen in Köln und anderen
schrecklichen Vorkommnissen die richtigen Schlüsse
ziehen, damit wir sie in Zukunft konsequent verhindern
können .
Herzlichen Dank .
({13})
Wolfgang Bosbach erhält nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Politik hat schnell und hart reagiert - nun auch mit
Maßnahmen der Bundesregierung -, zunächst einmal vor
allen Dingen rhetorisch . Die ganze Härte des Gesetzes
müsse die Straftäter treffen, heißt es. Was denn sonst?
Die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Frau
Kraft, hat sich wie folgt eingelassen: „Straftäter sind
Straftäter, egal wo sie herkommen .“ In den Fällen, wo
die Voraussetzungen gegeben seien, müssten sie abgeschoben werden. Was denn sonst? Das eigentlich Überraschende ist, dass man das sagen und betonen muss .
Warum muss man das eigentlich sagen? Weil es offensichtlich in der Praxis nicht selbstverständlich ist . Weil
es eine große Diskrepanz zwischen dem geltenden Recht
und der Durchsetzung des Rechts gibt .
({0})
Alle gesetzlichen Regelungen, sowohl die bestehenden
als auch diejenigen, über die wir noch sprechen werden,
laufen ins Leere, wenn es an dem Willen fehlt, das geltende Recht konsequent anzuwenden . Das ist die Bewährungsprobe, vor der wir stehen .
Frau Göring-Eckardt, es war interessant, zu erfahren,
dass die Grünen nun mehr Polizei fordern . Das war einmal anders .
({1})
Ihre Forderung, die in der Sache richtig ist, wäre viel
glaubwürdiger, wenn Sie in der Regierungsverantwortung vor allen Dingen in Berlin und in Nordrhein-Westfalen um das Jahr 2000 herum nicht für einen massiven
Abbau von Polizeistellen gesorgt hätten .
({2})
Wir können der Polizei nicht ständig neue Aufgaben
übertragen .
({3})
Wir sollten uns darauf verständigen, dass derjenige,
der das Wort hat, es auch nutzen kann .
Dass das wehtut, Herr Hofreiter, ist mir klar .
({0})
Sie sind doch so sehr für politische Korrektheit . Politisch
korrekt ist die Wahrheit .
({1})
Deswegen müssen Sie sich das in Ruhe anhören .
({2})
Wir können der Polizei nicht ständig neue Verantwortung und neue Aufgaben übertragen, ohne sie personell
angemessen auszustatten . Die Polizei braucht die richtige
Personalausstattung, das richtige rechtliche Instrumentarium und auch die notwendige technische Ausstattung .
Lieber Kollege Bosbach, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Notz zu?
Ja, selbstverständlich .
Bitte .
Geschätzter Herr Kollege Bosbach, vielen Dank für
das Zulassen meiner Zwischenfrage . - Es ist interessant,
dass Sie auf Berlin rekurrieren . Wir Grüne haben vor vielen Jahren einmal in Berlin regiert . Dass das für Sie eine
so prägende Erfahrung war, ist interessant .
Mich interessiert aber eine andere Frage viel mehr Sie waren schließlich lange Jahre Vorsitzender des Innenausschusses -: Wie ist es denn um die Verantwortung
der Union bestellt?
({0})
Seit über zehn Jahren tragen Sie Verantwortung für die
Innenpolitik auf Bundesebene . Sie wollen das offenbar
mit Ihrem Hinweis auf Berlin im Jahr 2000 vernebeln .
Wo ist die Kompetenzzuschreibung der Union? Sind die
nun bestehenden Missstände nicht durch die Innenpolitik
der Union in den letzten zehn Jahren verursacht worden?
Vielen Dank .
({1})
Ich bin Ihnen für diese Frage ausgesprochen dankbar;
denn sie gibt mir die Gelegenheit, Ihnen die Kenntnisse
zu vermitteln, die Sie eigentlich schon hätten haben müssen, bevor Sie sich um ein Mandat im Deutschen Bundestag beworben haben .
({0})
Wir haben die Verantwortung für das Bundesamt für
Verfassungsschutz . Wir haben die Verantwortung für
die Bundespolizei . Wir haben die Verantwortung für das
Bundeskriminalamt .
({1})
Den massiven Stellenabbau, den es in einigen Bundesländern in der Vergangenheit gegeben hat,
({2})
hat es im Verantwortungsbereich des Bundes nie gegeben, und zwar völlig unabhängig in welcher Konstellation die Bundesregierung im Amt war . Im Gegenteil: Wir
haben sogar einen deutlichen Aufwuchs der Stellen im
Verantwortungsbereich des Bundes zu verzeichnen .
({3})
Anders sieht es im Verantwortungsbereich der Länder
aus . Viele Länder haben Stellen abgebaut .
({4})
Einige haben aber auch Stellen aufgebaut . Den größten
Stellenabbau hat es um das Jahr 2000 herum gegeben .
Fast die Hälfte des Stellenabbaus der damaligen Zeit entfällt auf zwei Bundesländer: auf das Land Berlin und das
Land Nordrhein-Westfalen . Das wollte ich Ihnen an dieser Stelle nur einmal mitteilen .
({5})
Bei aller Kritik, die es in den letzten Tagen gegeben
hat: Es besteht überhaupt keine Veranlassung, die Polizei, die in Köln im Einsatz war, so pauschal zu kritisieren . Es stimmt: Es hat eine Fehleinschätzung der Polizeiführung gegeben .
({6})
Aber wir sollten uns heute einmal ausdrücklich bei denen
bedanken, die in dieser Silvesternacht in Köln und in anderen Großstädten in dramatischer Unterzahl ihren Kopf
hingehalten haben, um die bedrohten Menschen, insbesondere Frauen, zu schützen .
({7})
Was mir in den letzten Tagen viel zu kurz gekommen ist, ist die politische Selbstkritik . Wir müssen uns
schon als Parlamentarier, als Politiker selber fragen, ob
wir nicht auch durch Tun und Unterlassen einen Beitrag
dazu leisten, dass es überhaupt zu solchen dramatischen
Vorfällen kommen kann . Die Gewerkschaft der Polizei
schreibt am 3 . Dezember - ich zitiere -: Eine Situation,
in der die zuständige Grenzpolizei in Hunderttausenden
Fällen nicht mehr erfährt und wegen politischer Absprachen nicht mehr erfahren kann, wer unter welchem Namen und aus welchem Grunde in das Land einreist, ist
mit Blick auf die Gewährleistung der inneren Sicherheit
staatsgefährdend .
Ein Polizist, der in Köln in dieser berühmten Silvesternacht im Einsatz war, schreibt: Zahlreiche Bürgerinnen wurden nicht vor diesen Männern geschützt, und das
hat nicht nur mit polizeilicher Arbeit, sondern auch mit
politischen Entscheidungen zu tun, die dazu führen, dass
sich in einem bisher unbekannten Ausmaß Männer mit
solchem Verhaltensbild in derartiger Größenordnung zusammenrotten .
Es ist richtig, dass unser Asylrecht keine Obergrenzen
kennt .
Herr Kollege .
Unser Asylrecht kennt keine Quoten und kennt keine
Höchstgrenzen .
({0})
Aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass wir eine
völlig unbegrenzte Aufnahmefähigkeit haben, eine völlig
unbegrenzte Integrationskraft . Das gilt weder für die Gesellschaft noch für den Arbeitsmarkt .
({1})
Je besser und je rascher Integration gelingt, desto eher
ist die Möglichkeit gegeben, dass sich solche Ausschreitungen nicht wiederholen . Wir stehen nicht nur vor einer
Lieber Kollege Bosbach .
- wir stehen vor einer Überforderung unseres Landes .
Deswegen brauchen wir eine politische Kurskorrektur .
Diesen Kontrollverlust, den wir seit Sommer vergangenen Jahres haben, müssen wir so rasch wie möglich beenden .
({0})
Nun hat die Frau Bundesministerin Schwesig das
Wort .
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Jede Frau, die schon einen sexuellen Übergriff erlebt hat, weiß, dass er sich verdammt
schlimm anfühlt, und sie weiß, dass keine Beschreibung
der Tat - auch nicht wirklich Gesetze - das aufheben
kann, was sie erlebt hat und was sie auch begleiten wird,
vielleicht ein Leben lang . Dennoch müssen wir dafür
Sorge tragen, dass jede Frau in unserem Land weiß, dass
sie den Übergriff ansprechen soll, dass sie ihn zur Anzeige bringen soll und dass wir mit aller Konsequenz solche Taten verfolgen, egal wer sie begangen hat, woher
er kommt oder wohin er will . Jeder Übergriff gegen eine
Frau ist ein Übergriff zu viel .
({0})
Wir sind das den Frauen schuldig, die in Köln und in
anderen Orten in der Silvesternacht Schlimmes erlebt
haben, in einer Form, die wir uns so bisher nicht vorstellen konnten, und wir sind es auch den Frauen schuldig, die Übergriffe im Alltag erleben und sich vielleicht
manchmal allein mit diesem Thema fühlen, weil es nicht
angesprochen wird . Das betrifft den Arbeitsplatz, den
Bekanntenkreis, die U-Bahn oder auch das Zuhause . Wir
sind es jeder einzelnen Frau schuldig .
Ich liebe eigentlich eher lebendige parlamentarische
Debatten . Es gehört sicherlich dazu, dass man gegenseitig Versäumnisse aufrechnet . Aber ich glaube, es geht
jetzt weniger darum, gegenseitig aufzurechnen, wer
wann wie viel Polizei zur Verfügung stellt, sondern mehr
um einen Konsens aller demokratischen Fraktionen .
({1})
Diese müssen sagen: Wir wollen diese Vorfälle zum
Anlass nehmen, um Frauen, die so etwas erleben, den
Rücken zu stärken, die Taten zur Anzeige zu bringen, damit sie konsequent verfolgt werden können .
({2})
Wenn wir das wollen, müssen wir über jede einzelne
Tat und auch über die Umstände offen sprechen können .
Wenn wir wollen, dass die Rechtsextremen diese Taten
jetzt eben nicht so widerlich benutzen, wie sie es tun,
dann müssen wir Demokraten den Mut haben, anzusprechen: Ja, in der Silvesternacht waren es viele Männer aus
anderen Ländern, die eigentlich gesagt haben, sie wollten
Schutz bei uns; aber sie haben den Frauen hier Schutz
genommen . Das muss ausgesprochen werden . Alles andere ist Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremisten .
Das nicht zuzulassen, sind wir den Frauen und allen
Flüchtlingen, die hier anständig leben und leben wollen,
gemeinsam schuldig .
({3})
Wir sollten aber gleichzeitig darüber sprechen - das
haben heute schon viele getan -, dass sexuelle Gewalt
in ganz verschiedenen Formen im Alltag viele Frauen
betrifft . Wir müssen diese Diskussion jetzt zum Anlass
nehmen, den Frauen besser zu helfen . Deshalb unterstütze ich sehr die Vorschläge des Bundesjustizministers, die
Lücken im Sexualstrafrecht zu schließen, und deshalb
müssen wir noch stärker als bisher in unserem Land auch
eine Debatte darüber führen, wie wichtig uns gleiche
Rechte für Frauen und Männer sind .
Es ist auch eine Chance, deutlich zu machen: Wir
haben eine ganz klare Trennlinie . Wir erwarten, dass jeder, der in diesem Land aufwächst, und jeder, der zu uns
kommt, die Rechte von Frauen achtet und unterstützt .
Wir wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt . Für
sexistische Gewalttäter ist in diesem Land genauso wenig Platz wie für Rassisten, egal ob sie Deutsche sind
oder Ausländer .
({4})
Wir müssen dieses Signal senden .
Ich sage ganz klar: Wenn Menschen in anderen Ländern, aus denen viele vor Gewalt und Krieg fliehen,
mitbekommen, dass wir ein Land sind, das Schutz für
Kinder, Frauen und Männer bietet - ein solches Land
wollen wir weiterhin sein -, dann müssen sie auch mitbekommen, dass wir eine Werteordnung haben, und diese Werteordnung beinhaltet auch die Rechte der Frauen .
Das heißt aber auch, dass wir hier, im eigenen Land, mit
gutem Beispiel vorangehen müssen .
({5})
Wir haben jetzt gemeinsam die Chance, die Rechte
von Frauen viel stärker in den Mittelpunkt zu rücken
und diese auch viel stärker als bisher zum Thema in Integrationskursen und auch in anderen Debatten zu machen .
Wir haben es jetzt selber in der Hand, zu klären, ob das
Jahr 2016 so schrecklich, wie es für viele Frauen begonnen hat, bleibt oder ob wir es zu einem Jahr für Frauen,
für mehr Rechte von Frauen, für mehr Respekt vor Frauen machen . Das liegt in unserer Hand, und dafür werbe
ich .
({6})
Andreas Scheuer ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundesministerin, ich glaube, wir sollten nicht
Köln zum Anlass nehmen, diese Diskussion zu führen;
vielmehr sollte es in unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein, dass alle gegen Übergriffe in Form sexueller Gewalt ankämpfen, egal wer sie ausübt und egal
was gerade für eine politische Diskussion geführt wird .
({0})
Aber wir müssen natürlich auch darüber diskutieren
und klarstellen, dass Deutschland ein Staat des Rechts
und der Sicherheit ist . Das ist auch der Grund dafür, dass
Deutschland in der Welt so angesehen ist . Deutschland
hat in einzigartiger humanitärer Verantwortung Flüchtlinge aufgenommen und viel geleistet . Aber unsere Maxime muss auch sein, dass Bürgerinnen und Bürger die
Klarheit und die Garantie haben, dass Deutschland sicher
ist und auch sicher bleibt . In dieser Verantwortung müssen wir die Diskussion führen . Niemand stellt Ausländer
unter Generalverdacht . Wer das trotzdem tut, stellt die
gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht .
Die Bürgerinnen und Bürger können die Wahrheit
schon richtig einschätzen . Die Bürger können zwischen
gesetzestreuen Migranten und Kriminellen unterscheiden . Das sage ich auch, selbst wenn jetzt hier oft eine andere Diskussion geführt wird oder versucht wird, etwas
anderes in die politische Diskussion zu bringen: Es gibt
gewaltbereite und kriminelle Extremisten, aber nicht nur
von rechts, sondern auch von links, und das muss auch
klargestellt sein .
({1})
Die Bürger aber dürfen nicht bevormundet werden,
wenn es um den Anspruch auf Information, auf Wahrheit
und auf Tatsachen geht . Das treibt viele Bürgerinnen und
Bürger in den Zuschriften an die Abgeordneten und an
die Parteien um: dass wir eine gefährliche gesellschaftliche Diskussion bekommen, wenn wir nicht offen auch
die Probleme und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger
ansprechen und wenn in verschiedenen Berichten sogar
versucht wird, zu vertuschen, was vorgefallen ist . Es ist
unsere Aufgabe, das offen zu diskutieren .
Deswegen geht es um Vertrauen - Vertrauen in die Politik, in unsere Demokratie . Die Bevölkerung wurde über
die Schande von Köln lange im Unklaren gelassen, und
deswegen müssen wir dafür sorgen - alle in unserer Gesellschaft haben da dieselbe Verantwortung -, dass dieses
Vertrauen in Medien, Politik, in Behörden hergestellt ist .
Nur so kann die Herausforderung der Integration bei millionenfacher Zuwanderung gelingen . Die Bevölkerung da gebe ich Kollegen Bosbach absolut recht - muss wissen, wer zu uns kommt, wer bei uns lebt, wer sich bei uns
aufhält . Deswegen müssen wir auch über die Behörden
in den einzelnen Bundesländern dafür sorgen, dass die,
die zu uns kommen, ordentlich registriert werden . Das ist
schon allein dem Anspruch auf Sicherheit, auf Recht und
Ordnung geschuldet, den die einheimische Bevölkerung
hat .
({2})
Köln war ein Ort des Versagens in der Silvesternacht und ein Versagen der politischen und polizeilichen Führung . Es ist schäbig und feige, sich mit Verweis auf einzelne Polizeibeamte herauszureden . Es geht darum, den
Polizeibeamten die notwendige Klarheit in der Strategie
zu geben . Und ich sage Ihnen: Das bayerische Konzept,
wenn es solche Vorfälle gibt, ist „Deeskalation durch
Stärke, durch Stärke im Auftreten“ und nicht „Deeskalation durch Rückzug und Schwäche“ . Das muss klargestellt werden, damit diese Gruppen auch sehen, dass
der Staat sofort, in derselben Sekunde, handelt, wenn es
solche Übergriffe gibt .
({3})
Deswegen bin ich dankbar für die jetzige Übereinkunft
der zuständigen Fachminister zur Verschärfung . Aber ich
sage auch: In den Bundesländern - wir haben in dieser
Debatte schon viel über Personalabbau geredet - brauchen wir mehr Uniformierte, mehr Videoüberwachung
an den Brennpunkten, vor allem in den Großstädten, und
wir brauchen mehr unangemeldete Personenkontrollen
bei solchen Aufläufen.
({4})
Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen wird
selber im Landtag darüber diskutieren müssen, wie die
politische Leistung des zuständigen Fachministers zu
bewerten ist . Aber ich sage Ihnen ganz bewusst, dass es
natürlich auch darum geht, ein zweites Köln, ein zweites
Stuttgart, ein zweites Hamburg in Deutschland nicht passieren zu lassen . Deswegen haben wir alle gemeinsam
eine Verantwortung .
Wer als Asylbewerber hier unsere Gastfreundschaft
missachtet, muss sofort abgeschoben werden . Das ist die
klare Botschaft, und das müssen wir ohne Scheuklappen
und große politische Unterschiede den Bürgerinnen und
Bürgern auch ganz klar sagen .
Frau Göring-Eckardt, ganz zum Schluss: Ich habe aus
Ihren Bemerkungen herausgehört, dass Sie sehr an einer
gelingenden Integration interessiert sind . Ich sage aber:
Die Verfahren für Angehörige bestimmter Staaten, die
nachweislich rein als Wirtschaftsflüchtlinge hierherkommen - Sie haben die Marokkaner angesprochen -, dauern
zu lange. Warum? Weil die Ausdehnung der Gruppe der
sicheren Herkunftsstaaten fehlt .
({5})
Wir müssen einen Schnellbescheid erwirken, damit diese
Gruppen als Wirtschaftsflüchtlinge schnellstens wieder
raus aus unserem Land kommen
Herr Kollege .
- und wir uns auf die konzentrieren können, die wirklich
schutzbedürftig sind, nämlich die Unbescholtenen, die,
die vor Krieg und Krisen geflüchtet sind. Das ist unsere
gemeinsame Verantwortung .
({0})
Deswegen würde ich mich freuen, wenn Sie bei der Ausdehnung der Gruppe der sicheren Herkunftsstaaten mitmachen würden .
Herzlichen Dank .
({1})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Karin Maag für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will am Ende der Debatte den Fokus noch einmal auf die
Frauen lenken, die die Hauptopfer in Köln waren . Silvester in Köln: Das war ein bisher noch nie dagewesener Angriff auf die körperliche Integrität, aber vor allen
Dingen auf die Würde von Frauen und auf den Respekt
vor Frauen . Alle diese Frauen haben ausnahmslos mein
Mitgefühl .
Zwei Anzeigen wegen Vergewaltigung; Frauen wurden bedrängt, begrapscht und bestohlen - und die Polizei
war nicht in der Lage, die Sicherheit zu gewährleisten .
Damit wir uns richtig verstehen - es wurde hier schon gesagt -: Ich mache nicht einem einzelnen Polizisten einen
Vorwurf . Ich gehe davon aus, dass jeder in dieser Nacht
an seinem Platz das Richtige, Notwendige und Mögliche
getan hat . Die schiere Masse war es, die nicht zu bewältigen war .
Umso mehr muss von Köln das Signal ausgehen, dass
wir eine solche Provokation des Rechtsstaats nicht mehr
dulden; denn mit den Frauen trifft man die verletzlichste
Seite unseres Gemeinwesens, und das geht gar nicht .
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, mir als Frau sind übrigens die Nationalität
und der Status eines Angreifers zunächst egal . Unsere
Gesetze und die zugrundeliegenden Wertvorstellungen
müssen für alle gelten . Ich weiß, dass die überwiegende
Mehrzahl der Migranten und Flüchtlinge diese Vorstellung teilt . Auch sie wollen ja ihre Töchter, ihre Ehefrauen
und ihre Freundinnen vor sexuellen Angriffen geschützt
sehen .
Ich begrüße ganz ausdrücklich, dass die Reform des
Sexualstrafrechts endlich vorangeht und auch Grapschen
strafbar werden soll .
Ich bin erleichtert, dass sich die Regierung darauf verständigt hat, Personen, die Straftaten insbesondere auch
gegen die sexuelle Selbstbestimmung begehen, die rechtliche Anerkennung als Flüchtling konsequent zu versagen .
Zu den ganz alltäglichen Selbstverständlichkeiten gehört aber auch, dass Frauen alleine oder in Begleitung jederzeit im öffentlichen Raum sicher unterwegs sein können . Dieses Recht und diese Freiheit sehe ich gefährdet,
und zwar nicht erst seit Köln . Viele Frauen haben heute
schon in der U-Bahn und auf öffentlichen Plätzen ein unsicheres Gefühl . Das heißt, wir haben doch vor allem ein
Problem bei der Durchsetzung des Rechts .
Polizeistellen in den Ländern - wir haben es gehört wurden abgebaut . Ich will auch noch einmal den Fokus
auf die Polizeiarbeit lenken . Wertvolle Arbeitszeit muss
zum Beispiel darauf verwendet werden, Bilder von Rotlichtsündern abzugleichen . Diese Beamten fehlen doch
auf der Straße .
Wenn dann Straftäter gefasst werden, werden Personalien festgestellt . Die Strafverfahren folgen nach Monaten - Verurteilung ungewiss . Auch die Justiz ist überlastet .
Dort müssen wir ansetzen . Jedenfalls müssen die Täter aus Köln genau deshalb zeitnah strafrechtlich belangt
werden . Wir müssen beweisen, dass unser Rechtsstaat
handlungsfähig und auch sichtbar ist .
Jetzt komme ich noch einmal zu den Tätern . Die meisten kommen aus Marokko, Tunesien oder Algerien, hat
man mir aus Köln berichtet . Offensichtlich liegen auch
Erkenntnisse vor, dass seit einigen Monaten verstärkt
Personen aus dem nordafrikanischen Raum als Flüchtlinge getarnt zu uns reisen . Dazu sage ich klipp und klar:
Menschen, die das Gastrecht missbrauchen, müssen gehen .
({1})
Mir ist aber wichtig, dass wir differenzieren . Nach
der Auswertung seitens der Kölner Polizei ist von den
Schutzsuchenden aus Syrien nicht einmal ein halbes Prozent polizeilich aufgefallen . Wenn es um die Bleiberechte dieser Schutzbedürftigen geht, bin ich nach wie vor
davon überzeugt, dass Integration gut gelingen kann .
An dieser Stelle geht es auch um kulturelle Bildung .
Sie ist oft patriarchalischer Art und auch nicht zwangsläufig ähnlich unserer. Das kann sich aber ändern. Der
Kriminologe Christian Pfeiffer hat in seinen Forschungen an jungen Migranten festgestellt, dass und wie sich
eine Macho-Orientierung abschwächt und sich die Geschlechterrollen in den Familien verändern, wenn die
Menschen hier sind . Es sei so einfach: Arbeit, Bildung
und deutsche Freunde .
Frau Kollegin .
Gerade gestern konnte ich mich mit meiner Gruppe
der Unionsfrauen und den Arbeitnehmern in der Unionsfraktion davon überzeugen, dass die BA im Hinblick auf
die Flüchtlinge gut gerüstet ist .
Ich komme zum Schluss . Wir müssen uns noch stärker
für ein funktionierendes Gemeinwesen einsetzen . Das
gelingt nur, wenn sich niemand zurücklehnt und wir uns
nicht in eine beobachtende Haltung - ich spreche da vor
allen Dingen von den sozialen Netzwerken - zurückdrängen lassen . Nein, das Beobachten reicht nicht . Wir müssen uns - da spreche ich jetzt auch für die Bürgerinnen
und Bürger - für diesen Staat einsetzen . Wir müssen uns
für das Gemeinwesen verantwortlich fühlen . Für uns ist
das ein politischer Auftrag .
Herzlichen Dank .
({0})
Ich schließe die Aussprache und rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen
Zwecken ({0})
Drucksache 18/7203
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Eine Aussprache ist dazu heute nicht vorgesehen . Wir
kommen daher gleich zur Überweisung . Interfraktionell
wird vorgeschlagen, die Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Damit kommen wir nun zum Tagesordnungspunkt 2:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Reform der Pflegeberufe.
Für Erläuterungen und Rückfragen stehen der Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe, und die
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Manuela Schwesig, zur Verfügung .
Ich will gleich zu Beginn darauf aufmerksam machen,
dass ich nicht die Absicht habe, in Zukunft zu gleichen
Themen mehrere Mitglieder der Bundesregierung vortragen zu lassen . Aber wir haben hier eine geteilte und
gemeinsame Zuständigkeit, wie der Kollege Gröhe zu
Beginn vielleicht kurz erläutert, die die Ausnahme von
der sonstigen Regel rechtfertigt .
Damit gebe ich Herrn Minister Gröhe die Gelegenheit
zu seinen einführenden Bemerkungen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich greife gleich die Bemerkung des Präsidenten auf:
Ich spreche natürlich lieber von einer gemeinsamen als
von einer geteilten Federführung . Es ist so, dass die
Verantwortung für den Bereich der Kinderkranken- und
Krankenpflege im Gesundheitsministerium und die Verantwortung für den Bereich der Altenpflege im Familienministerium liegt und zugleich die Finanzierung der
zukünftigen Ausbildung wesentlich aus dem Rechtskreis
der Kranken- und Pflegeversicherungen gestaltet wird.
Daraus resultiert diese gemeinsame Federführung .
Sie wissen: In dieser Legislaturperiode haben wir sowohl mit der Krankenhausreform als auch mit den Pflegestärkungsgesetzen wichtige Schritte unternommen, um
die Pflege in diesem Land zu stärken. Jetzt geht es um
einen weiteren wichtigen Schritt: die Stärkung der Ausbildung und damit die Steigerung der Attraktivität der
Pflegeberufe. Denn wir werden in den nächsten Jahren
angesichts der wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen mehr Pflegekräfte brauchen.
Wir haben einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht,
der die Stärkung der Berufsausbildung in der Pflege in
Form der sogenannten Generalistik vorsieht . Dabei handelt es sich um die Zusammenführung von Alten-, Kinderkranken- und Krankenpflege. Das ist etwas, was über
Jahre in Modellprojekten erprobt worden ist und wiederholt von den zuständigen Fachministerkonferenzen der
Länder und vielen Verbänden gefordert wurde .
Die Zusammenführung trägt den Berufsanforderungen besser Rechnung, weil sich die Gesellschaft zunehmend dahin gehend verändert, dass wir etwa im Bereich
der Altenpflege aufgrund wachsender Zahlen chronisch
Erkrankter krankenpflegerische Kenntnisse und im Bereich der Krankenpflege aufgrund wachsender Zahlen
demenziell erkrankter Patientinnen und Patienten altenpflegerisches Know-how brauchen.
Diese Zusammenlegung stärkt aber auch die Attraktivität der Pflegeberufe, weil weiter gehende Aufstiegsund Weiterentwicklungsperspektiven in den einzelnen Pflegeberufen existieren. Es gibt eine gemeinsame
Grundausbildung, und es gibt einen sogenannten Vertiefungseinsatz, etwa im Bereich der Kinderkrankenpflege,
in dem dann der wesentliche Teil der praktischen Ausbildung erfolgt; auch dies ist wichtig .
Wir waren uns mit den Ländern darin einig, dass wie
bisher sowohl ein mittlerer Schulabschluss als auch ein
Hauptschulabschluss mit einer besonderen Qualifikation, etwa der zehnjährigen Schulausbildung, im Rahmen
der entsprechenden EU-Vorgaben zum Zugang zu dieser
Ausbildung berechtigen sollen . Ergänzt - auch dies ist im
Modellvorhaben erprobt - wird die große Säule der gestärkten Berufsausbildung zukünftig durch die Möglichkeit der Länder, dies durch ein Angebot an akademischer
Pflegeausbildung zu ergänzen, um den Transfer der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse in die Pflegepraxis zu
stärken, aber auch, um für besondere Leitungsaufgaben
und spezialisierte Aufgaben auszubilden .
Das ist ein großer Schritt, der Fragen, aber auch manche Sorgen auslöst . Wir werden - hier bin ich zuversichtlich - dies im parlamentarischen Verfahren intensiv
diskutieren und gemeinsam zu guten Lösungen für alle
Tätigkeitsfelder in der Pflege kommen.
Frau Schwesig, schließen Sie sich gleich an? - Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Gröhe hat es gesagt: Wir wollen mit diesem Gesetz die Pflegeberufe attraktiver machen; denn wir brauchen in diesem Bereich
Nachwuchs. Wir wollen, dass jeder im Land, der Pflege
braucht, ob es ein kleines Kind oder die pflegebedürftige
Oma ist, gute Pflege bekommt. Dafür brauchen wir gute
Fachkräfte .
Wenn sich heute junge Menschen für einen Beruf entscheiden, dann müssen sie die Perspektive haben, mit
ihrer Ausbildung in verschiedenen Bereichen, die sich
nahestehen, tätig sein zu können . Das schließt eine Spezialisierung, die heutzutage ohnehin während des Berufslebens gemacht werden muss, nicht aus . Deshalb ist es
schon lange in der Diskussion der Länder, des Bundes
und auch der Fachwelt, zu einer generalisierten Ausbildung zu kommen . Alle Bundesländer haben schon vor
vielen Jahren beschlossen, diesen Weg zu gehen . Ich
freue mich sehr, dass es Herrn Gröhe und mir gemeinsam
gelungen ist, die Ergebnisse dieser langjährigen Diskussion in einen Gesetzentwurf münden zu lassen .
Aus Sicht der Altenpflege, die ich als Ministerin zu
verantworten haben, möchte ich sagen: Dieser Gesetzentwurf wird die Altenpflege attraktiver machen. Die
einheitliche Berufsausbildung wird dazu führen, dass
Altenpflege besser anerkannt und wertgeschätzt wird,
dass Altenpflege damit besser bezahlt wird. Es wird Zeit,
dass wir hier zu einer Art dualen Ausbildung kommen,
wo Ausbildungsvergütung statt Schulgeld an der Tagesordnung ist .
({0})
Das ist aus Sicht der Frauen sehr wichtig . Heutzutage
machen diesen Job zu 80 Prozent Frauen . Die Lohnungerechtigkeit beginnt oft schon am Anfang, indem man
Schulgeld mitbringt, anstatt eine Ausbildungsvergütung
zu erhalten . Insofern ist es auch ein wichtiger Schritt zur
Lohngerechtigkeit .
Herr Gröhe und ich wissen, dass es viele Fragen und
Sorgen gibt, die wir sehr ernst nehmen . Wir freuen uns
auf die parlamentarische Debatte, um hier gut beraten zu
können .
Vielen Dank für die Berichte . - Ich habe reichlich
Wortmeldungen, sodass sichergestellt ist, dass wir die
Zeit benötigen werden . Die erste Worterteilung geht an
den Kollegen Weinberg .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Im Vorfeld des Gesetzentwurfes hat es im Ministerium einige kontroverse Diskussionen über die generalistische Ausbildung gegeben .
Das Bündnis für Altenpflege hat eine Folgenabschätzung
zu den Wirkungen der generalistischen Ausbildung erstellt und gefordert, dass es für die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung zumindest Eckpunkte vor Abschluss
des Gesetzes geben sollte . Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung
oder zumindest Eckpunkte bis zum Beginn des Verfahrens im Bundesrat oder gar früher vorlegen will? Wenn
nicht: Wann ist damit zu rechnen? Wie ist der weitere
Zeitplan des Gesetzgebungsverfahrens?
Mit den im Bündnis für Altenpflege zusammengeschlossenen Gruppen finden regelmäßig Gespräche statt,
so auch heute . Ja, es ist so: Das Gesetz benennt sehr viel
klarer, als es manchmal in der Öffentlichkeit zum Ausdruck kommt, die Kompetenzen, die vermittelt werden
müssen . Das steht in § 5 des Entwurfes . Aber es erfolgt
dann eine Ausfächerung in eine Ausbildungsverordnung .
Wir arbeiten hier unter Hochdruck an den Eckpunkten,
die zum Zeitpunkt des ersten Durchlaufs durch den Bundesrat - ich schätze, das ist Anfang März - vorliegen sollen . Ich bitte um Verständnis . Wir arbeiten unter Hochdruck, aber wir wollen bei den Eckpunkten auch mehr
als Überschriften liefern, die dann neue Nachfragen auslösen würden . Insofern soll es sich um eine substanzielle
Beteiligung handeln .
Uns ist daran gelegen, parallel zur Erarbeitung dieses
Gesetzentwurfes auch deutlich zu machen, in welche
Richtung die Verordnung geht, die Grundlage für spätere
curriculare Entwicklungen ist . Den Zeitrahmen habe ich
Ihnen genannt .
Kollege Beermann .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Meine Frage geht dahin: Wie soll eigentlich die Zusammenführung von drei
Ausbildungen ohne Kompetenzverlust möglich sein?
Denkt man darüber nach, die Kinderkrankenpflege vielleicht doch herauszunehmen und stattdessen die Heilerziehungspflege in das Konstrukt des Gesetzesvorhabens mit aufzunehmen?
Kollege Beermann, soweit die Sorgen hinsichtlich
der Kinderkrankenpflege angesprochen wurden, erlaube
ich mir den Hinweis, dass es heute keine separate Kinderkrankenpflegeausbildung über drei Ausbildungsjahre
hinweg gibt, sondern diese Ausbildung in die ersten zwei
Jahre der Krankenpflegeausbildung integriert ist und im
dritten Ausbildungsjahr eine Differenzierung stattfindet.
Wenn zukünftig gilt, dass in dem gewählten Vertiefungsbereich über die Hälfte der praktischen Ausbildung stattfindet, dann wird sich dort keine Verschlechterung ergeben .
Zweitens . Die Evaluierungsberichte zu den genannten
Projekten, die Sie übrigens bereits im Informationsangebot des Deutschen Bundestages finden, zeigen, dass ungefähr 70 Prozent der Ausbildungsinhalte identisch sind
oder sich weithin überschneiden . Auch das spricht dafür,
dass es leistbar ist .
Ich erlaube mir den Hinweis, dass sich der Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e. V. im September für eine Integration der Kinderkrankenpflege als
Spezialisierung in die generalistische Pflegeausbildung
ausgesprochen hat .
Frau Scharfenberg .
Vielen Dank . - Ich möchte bezüglich der Eckpunkte,
die genannt wurden, genauer nachfragen . Mein Kollege
Erwin Rüddel, der pflegepolitische Berichterstatter der
Union, hat sich dahin gehend geäußert, dass Eckpunkte
eigentlich nicht ausreichen, sondern wir die Verordnung
brauchen, um wirklich kompetent entscheiden zu können, was die Auswirkungen des Gesetzes sein werden .
Deswegen möchte ich klar und deutlich nachfragen: Warum spricht man jetzt davon, Eckpunkte vorzulegen, und
nicht davon, die Verordnung vorzulegen? Letztendlich ist
die Verordnung das Herzstück des Gesetzes . Ich glaube,
um eine kompetente Entscheidung, die alle weitreichenden Folgen berücksichtigt, treffen zu können, müsste uns
die Verordnung vorgelegt werden . Sonst stimmen wir
hier über ein Überraschungsei ab .
Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, dass
der Gesetzentwurf natürlich bereits weit mehr als nur
irgendeine generalistische Berufs- oder Ausbildungsbezeichnung enthält . Er enthält - wie bei allen Berufsausbildungsgesetzen üblich - eine konkrete Aufzählung
der Kompetenzfelder, die entwickelt werden müssen . Es
geht darum, die Dinge, die wir in der Vergangenheit im
Zusammengehen mit den unterschiedlichsten Verantwortlichen der Länder im Kultusbereich, im Hochschulbereich, im Arbeits- und Sozialbereich und im Gesundheitsbereich entwickelt haben, weiterzuentwickeln und
zu Beginn der Beratungen, also bevor es hier zur ersten
intensiveren Beratung kommt, substanziierte Eckpunkte
vorzulegen .
Ab dem heutigen Kabinettsbeschluss ist das Parlament
Herr des Verfahrens . Das heißt, wir werden fortlaufend
aus den Eckpunkten den konkreten Verordnungstext entwickeln, und wir werden weitere Gespräche mit den unterschiedlichsten Verbänden führen, auch denen, die sich
jetzt kritisch eingelassen haben . Es liegt in Ihren Händen,
in den Händen des Parlamentes, der parlamentarischen
Mehrheit, über die Frage zu entscheiden, in welchem
Stadium der Text einen Grad an Konkretheit erreicht hat,
der es erlaubt, zu sagen: Ja, jetzt können wir in die zweite
und dritte Lesung gehen .
Herr Minister .
Wir werden alsbald substanziierte Eckpunkte vorlegen .
Frau Crone .
Das Gesetz ist schon lange in der Mache, auch schon
in der letzten Legislaturperiode . Es wird sich viel verändern . Meine Frage geht dahin: Wie sind die Zugangsvoraussetzungen für die Schülerinnen und Schüler? Welche
Möglichkeiten des Aufstiegs gibt es für die Ausgebildeten? Welche Arbeitsmöglichkeiten ergeben sich für
Absolventen der akademisierten Ausbildung, der Hochschulausbildung?
Vielen Dank, Frau Abgeordnete . Ziel unseres Gesetzes ist es, verschiedenen Schülern, vom Hauptschüler
bis zum Abiturienten, Zugang zum Berufsfeld zu ermöglichen . Wir stellen mit dem Gesetzentwurf sicher, dass
Hauptschüler wie bisher in Kombination mit der Pflegehelferausbildung Zugang zu diesem Berufsfeld haben .
Durch die Durchlässigkeit haben sie die Möglichkeit,
sich weiterzuentwickeln .
Neu ist, dass wir einen bundeseinheitlichen akademischen Abschluss einführen . Das war uns wichtig . Uns ist
es wichtig, dass es einen bundeseinheitlichen Abschluss
gibt, weil wir es in anderen Bereichen oft mit großen
Unterschieden zu tun haben . Wir sagen aber auch ganz
klar: Nein, unser Ziel ist nicht die vollständige Akademisierung des Berufes, aber sie soll zum Teil angeboten
werden, um gerade in bestimmten Arbeitsbereichen, bei
denen es um komplexe Pflegefälle, aber auch um Leitungsfunktion geht, attraktive Berufsmöglichkeiten anzubieten . Das zeigt: Das Gesetz hat wirklich viel Potenzial, verschiedene Abschlüsse zu integrieren . Es bietet aber
auch verschiedene Aufstiegsmöglichkeiten .
Frau Vogler .
Mir geht es um eher praktische Fragen, die sich in
Bezug auf den vorliegenden Gesetzentwurf schon jetzt
stellen . In § 7 legen Sie fest, dass Auszubildende in der
praktischen Ausbildung Pflichteinsätze im Bereich der
allgemeinen geronto-, kinder- und jugendpsychologischen Versorgung zu absolvieren haben . Da stellt sich die
Frage: Wie wollen Sie gewährleisten, dass es genügend
solcher Ausbildungsplätze gibt? Es gibt im Moment nur
circa 1 100 Auszubildende zum Kinderkrankenpfleger
und zur -pflegerin, die ein Praktikum in einer Kinderklinik durchlaufen . Es gibt nur 50 Kinderkliniken, die
solche Praktika überhaupt anbieten . Sie wollen nun, dass
demnächst alle Pflegeschülerinnen und -schüler eine entsprechende Ausbildung durchlaufen . Aber es gibt doch
große Zweifel, ob die Zahl der Ausbildungsstätten ausreicht. Wie wollen Sie ein solches Nadelöhr vermeiden?
Frau Kollegin Vogler, das ist in der Tat eine der Fragen, die immer wieder gestellt werden . Wenn es um das
Ziel geht, später in diesem Berufsbild zu arbeiten, geht es
nicht nur um die Frage, ob für den Vertiefungseinsatz im
Bereich Kinderkrankenpflege ausreichend Ausbildungskapazitäten zur Verfügung stehen . Es geht auch um diejenigen, die einen Vertiefungseinsatz in der Altenpflege
oder in der allgemeinen Krankenpflege wünschen. Für
diesen Teil sind im Rahmen der praktischen modularen
Ausbildung nicht alleine Einsätze in Kinderkliniken vorgesehen. Vielmehr sollen diese Pflichteinsätze zur Erlernung des richtigen Umganges mit Kindern, auch mit erkrankten und behinderten Kindern, beispielsweise auch
in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe angeboten
werden . Auch in Ausbildungsorten jenseits der Kinderkrankenpflege wird ein entsprechender Vertiefungseinsatz angeboten .
Marcus Weinberg .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Im Zuge der Arbeit an
dem Gesetzentwurf gab es eine breite kritische Diskussion; Sie haben das auch bestätigt. Es wird häufig darauf hingewiesen, dass die Generalistik viele Perspektiven bietet, aber möglicherweise auch Gefahren mit sich
bringt . Dann kommt man sehr schnell auf das Thema
Altenpflege. Ich würde gerne wissen, wie sichergestellt
werden kann, dass die Altenpflege innerhalb der Generalistik nicht an Bedeutung verliert . Ich frage das gerade
vor dem Hintergrund, dass wir in diesem Bereich künftig
einen Fachkräftemangel haben werden .
Frau Schwesig, Sie können die Frage gerne im Sitzen
beantworten .
Danke schön, Herr Präsident, Sie haben diese Fürsorge
schon bei der letzten Regierungsbefragung walten lassen .
Allerdings ist der Umfang des Bauches so fortgeschritten, dass ich besser im Stehen reden kann . Deswegen
wechsele ich immer . Ansonsten drückt das Baby zu sehr
auf die Atmung . Oder Sie geben mir ein bisschen mehr
Redezeit . Aber noch einmal: Vielen herzlichen Dank .
Aus unserer Sicht ist es so, dass die geplanten Maßnahmen - sie sind politisch innerhalb der Länder sehr
früh diskutiert worden - eher dazu führen, dass der Bereich der Altenpflege attraktiver wird. Jetzt ist es weniger
so, dass wir junge Menschen finden, die sagen: Hurra,
Altenpflege! Die vielfältigen Möglichkeiten, im Bereich
Gesundheit und Pflege das Berufsfeld zu wechseln, die
sich durch den Abschluss ergeben, machen den Bereich
Altenpflege attraktiver.
Der einheitliche Berufsabschluss wird auch zu einer
Veränderung der massiven Lohnunterschiede führen,
die derzeit zwischen Altenpflege und Krankenpflege bestehen; in der Altenpflege wird weniger gezahlt. Das ist
übrigens ein Grund, warum einige gegen diesen Gesetzentwurf sind . Ich bin sehr dafür, dass der Bereich der Altenpflege finanziell besser ausgestattet wird.
Außerdem sehe ich die große Chance, dass die Kenntnisse der Altenpfleger, die oft total unterschätzt werden,
in der Krankenpflege zukünftig eine größere Rolle spielen . Das ist wichtig, weil viele ältere Menschen in den
Krankenhäusern behandelt werden .
Mit Blick auf die Altenpflege sehe ich daher die Chance, dass wir durch diese Attraktivitätssteigerung mehr
Fachkräfte gewinnen .
Frau Schulz-Asche .
Herr Minister, ich habe eine Frage zu den Folgen des
Gesetzes für die Zahl der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze, und zwar sowohl hinsichtlich der Kosten
als auch hinsichtlich der schulischen Ausbildungskapazitäten . Wir haben in diesem Bereich bereits heute einen
sehr großen Mangel an Lehrfachkräften, und wir wissen,
dass mit diesem Gesetz die Anforderungen an die LehrBundesministerin Manuela Schwesig
kräfte auf jeden Fall steigen werden . Von daher meine
Frage: Wo sehen Sie in diesem Bereich des Gesetzes die
Gefahren, und wie wollen Sie ihnen entgegenwirken?
Frau Kollegin, ein Teil dieser Herausforderungen besteht unabhängig davon, ob wir die Systematik der Ausbildung ändern . Ohne Zweifel werden wir allein in der
Altenpflege in den nächsten 15 Jahren 1 Million mehr
Pflegebedürftige haben. Insofern werden wir einen Aufwuchs an Pflegekräften dringend benötigen und damit
verbunden auch entsprechende schulische Angebote .
Diese Herausforderung besteht unabhängig vom Ausbildungsmodell .
Wir sind davon überzeugt, dass durch die Kombination die Attraktivität erhöht werden kann . Wir unterbreiten
ein akademisches Angebot, zum Beispiel für Lehrkräfte . Hinzu kommt das, was wir bereits entwickelt haben:
Stärkung der Betreuungsassistenz, der Pflegehelferberuf.
Jetzt kommt eine moderne Berufsausbildung im Bereich
Pflege hinzu. Damit steigern wir insgesamt die Attraktivität .
Das wird zu Mehrkosten führen . Im Gesetzentwurf
ist von den Mehrkosten ja auch die Rede . Wir schlagen
eine Fondslösung vor, die dafür sorgt, dass diejenigen,
die jetzt in der Verantwortung stehen, in Verantwortung
bleiben . Bei einer steigenden Zahl der Schülerinnen und
Schüler - derzeit haben wir einen Ausbildungsrekord;
wir hoffen, dass das so weitergeht - haben sie die Kosten
entsprechend zu tragen .
Frau Yüksel .
Vielen Dank . - Da es in der Bevölkerung Ängste gibt,
die auch an uns herangetragen werden, würde ich gerne
nachfragen: Könnten Sie bitte noch einmal kurz erläutern, was mit den bisherigen Ausbildungsabschlüssen in
der Altenpflege und Krankenpflege passiert? Werden sie
wertlos?
Auch wenn die Ausbildung verändert wird, wird die
bisherige Qualifikation für die Arbeit in diesem Tätigkeitsfeld natürlich in keiner Weise entwertet . Diejenigen,
die in der Alten-, der Kranken-, der Kinderkrankenpflege mit den bisherigen Abschlüssen arbeiten, werden im
Rahmen ihrer Qualifikation - auf die Ausbildung folgen
ja häufig Weiterbildungen und Spezialisierungen - weiterhin arbeiten können .
Es wird eine Übergangszeit geben . Wenn wir dieses
Gesetz 2018 einführen, werden die dann bestehenden
Ausbildungsgänge selbstverständlich fortgesetzt, damit
all diejenigen, die unter den Bedingungen der heutigen
Rechtslage eine Ausbildung begonnen haben, sie bis zum
Ende fortsetzen können . Der Gesetzentwurf sieht die
Umstellung zum 1 . Januar 2018 vor . Letztlich wird aber
bis 2022 eine Vollendung der Ausbildung nach dem alten Modell mit den entsprechenden Ausbildungsschwerpunkten und Tätigkeitsfeldern möglich sein .
Frau Hein .
Frau Ministerin, mit meiner Frage möchte ich auf Ihr
Eingangsstatement reagieren . Sie haben zu Recht gesagt,
dass es wichtig ist, eine Ausbildungsvergütung zu erhalten, dass das besser ist, als Schulgeld zahlen zu müssen .
Da stellt sich mir aber die folgende Frage: Wie werden
die derzeit bestehenden privaten Altenpflegeschulen und
privaten Krankenpflegeschulen, die Schulgeld verlangen
und die es massenhaft gibt - die Zahl dieser Schulen ist ja
sogar gestiegen -, künftig finanziert werden?
Das Gesetz wird regeln, dass zukünftig eine angemessene Ausbildungsvergütung gezahlt wird . Das Gesetz
wird übrigens auch regeln, dass die Zeit der Ausbilder
zusätzlich anerkannt wird. Jetzt besteht häufig ein Problem darin, dass die Ausbildung nicht wirklich gut durchgeführt wird, weil der Ausbilder oder die Ausbilderin oft
auch noch Verpflichtungen in der Pflege hat.
Beim Thema Schulgeldfreiheit stellt sich die Frage
nach den Kosten . Herr Gröhe hat unser Vorgehen eben
beschrieben . Wir richten einen gemeinsamen Fonds ein,
in den die Länder weiterhin einzahlen, in dem aber zum
Beispiel auch die Gelder der Arbeitgeber enthalten sind .
Da muss man ganz klar sagen: Das wird ein gerechteres System . Denn bisher haben nur die Arbeitgeber gezahlt, die auch ausgebildet haben, und andere haben sich
zum Teil zurückgelehnt . Wir haben - dafür bin ich Herrn
Gröhe außerordentlich dankbar - auch die Möglichkeit,
einen Teil der Einnahmen durch die Beitragserhöhung
bei der Pflegeversicherung, der privaten und der gesetzlichen, in den Fonds zu geben, sodass die Finanzierung
insgesamt gut gesichert ist .
Kollege Henke .
Wir sind es ja aus der Medizin gewohnt, dass es auf
der Basis einer einheitlichen Ausbildung - in dem Fall
des Medizinstudiums - nachfolgend eine Spezialisierung
gibt . Der Chirurg, der Psychiater, der Internist und der
Pathologe sind alle auf der Basis einer einheitlichen Ausbildung Ärzte geworden und haben sich dann auf dieser
Basis spezialisiert . Es sind keine unterschiedlichen Berufe . Es ist ein einheitlicher Beruf . Dass diese Konzeption auch für die Ausbildung in der Pflege attraktiv ist,
erschließt sich ja. Das finde ich einfach.
Wir haben aber natürlich bei, glaube ich, derzeit
126 000 Auszubildenden in der Kranken- und in der
Altenpflege und 6 300 Auszubildenden in der Kinderkrankenpflege - darauf sind wir eben schon einmal eingegangen - das Dilemma oder die Sorge, ob die Plätze
ausreichen, um die Schwerpunktausbildung in der Kinderkrankenpflege im Praktischen beizubehalten und
gleichzeitig auch die pädiatrischen Pflichteinsätze für
alle zu ermöglichen . Mich würde interessieren, ob das an
der Praxis gemessen wird oder ob es gewissermaßen am
Willen gemessen wird .
Herr Kollege Henke, bei der Kinderkrankenpflege, auf
deren zahlenmäßig kleineren Anteil an der Gesamtausbildung Sie hingewiesen haben, ist heute schon entscheidend, dass zwei Drittel der Ausbildung voll integriert in
die Krankenpflege stattfinden. Das liegt an der großen
Schnittmenge des erforderlichen Grundwissens . Für diejenigen, die in Zukunft den Vertiefungseinsatz wählen,
ändert sich - einmal abgesehen von einer stärkeren Orientierung der Ausbildung in Richtung der Beschäftigung
mit Kindergesundheit - insofern nichts . Wie ich gerade
ausgeführt habe, müssen diejenigen, die diesen Vertiefungseinsatz wählen, wie andere auch ihre Ausbildungsstelle finden. Insofern ist es für die entsprechenden Einrichtungen durchaus attraktiv, hier werben zu können,
um junge Menschen zu gewinnen .
Für diejenigen, die mit dem Vertiefungseinsatzziel
Altenpflege, Krankenpflege sozusagen eher im ergänzenden Bereich tätig werden, brauchen wir eine Ausweitung
der Praxisorte . Das geschieht durch die Hinzuziehung
der Orte der Kinder- und Jugendhilfe . In den stationären
Jugendhilfeeinrichtungen finden Sie eine Fülle von Erfahrungen, die gerade mit den gesundheitlichen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen zusammenhängen .
Auch das sind geeignete Ausbildungsorte für diesen Teil
der Praxisausbildung .
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Schlegel,
SPD-Fraktion .
Herzlichen Dank . - Meine Frage ist: Was geschieht
mit den heutigen Kranken- und Altenpflegeschulen und
deren Strukturen und natürlich auch mit den Schulleitungen und den Lehrkräften?
Es hat dazu ja Untersuchungen gegeben, etwa zur
Mindestgröße und zu anderem mehr . Wir werden in dem
Prozess, den ich geschildert habe, eine Überführung
gerade jener Ausbildungsorte im schulischen Bereich
durchführen, die sich allein auf einen Ausbildungsgang
fixiert haben. Sie werden sich verändern; das Ziel ist hier
ein generalistisches Schulangebot . Gerade darüber sind
wir deswegen mit den Ländern, den für die schulischen
Angebote Zuständigen, aber auch mit den Anbietern entsprechender schulischer Angebote im Gespräch . Natürlich führt die generalistische Ausbildung dazu, dass sich,
während die Vielfalt der Einsatzorte uneingeschränkt
bleibt, der Charakter der Schulen in der breiteren Ausbildung weiterentwickelt .
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Wöllert,
Fraktion Die Linke .
Danke schön . - Meine Frage bezieht sich auf die schulische und die hochschulische Ausbildung . Beides dauert
drei Jahre . In § 5 des Gesetzentwurfes sind die gleichen
Kompetenzen auch für die hochschulische Ausbildung
vorgesehen . Darüber hinaus gibt es noch einen speziellen
Bereich . Für mich ist jetzt die Frage: Wie wird bei der
hochschulischen Ausbildung gesichert, dass die Praxisausbildung die gleiche Qualität hat wie bei der schulischen Ausbildung, und wie wirken sich unterschiedliche
Abschlüsse, Berufsausbildungsabschluss und Hochschulabschluss, nachher im Ergebnis, in der praktischen
Tätigkeit, bei der Bezahlung vor Ort aus?
Frau Kollegin Wöllert, wie Kollegin Schwesig schon
ausgeführt hat, gehen wir davon aus, dass mit der Stärkung der Berufsausbildung in der Pflege deutlich wird:
Diese duale Berufsausbildung ist auch weiterhin das
zentrale Ausbildungsangebot für die Pflege. Die Länder
haben in akademischen Pilotprojekten ergänzend Pflegestudien eingeführt . Hier gibt es jetzt die Verabredung,
den Ländern generell zu ermöglichen, diese anzubieten;
sie entscheiden dann über den Umfang . Es gibt einen
gemeinsamen Abschluss, der sicherstellen muss, dass es
eine gleiche Qualifizierung gibt, auch für die praktische
Arbeit in der Pflege. Diese sicherzustellen, wird Aufgabe
der Studiengestaltung mit praktischen Zeiten sein .
Das kennen wir ja auch aus anderen Fachberufen mit
akademischem Teil, auch in Gesundheitsberufen . Auch
bei Physiotherapeuten beispielsweise gibt es bereits heute neben der Berufs- und der schulischen Ausbildung
eine fachhochschulspezifische Ausbildung. Diese wird
vor allen Dingen im Hinblick auf die Tätigkeiten angeboten, bei denen es um den schnellen Transfer von pflegewissenschaftlichen Kenntnissen in die Pflegepraxis und
andere Bereiche, etwa die Leitungsverantwortung, geht .
Dann wird der Verantwortung entsprechend bezahlt .
Aber zunächst wird durch die Ausbildung sichergestellt,
dass die Einsatzfähigkeit in gleicher Weise unter gleichen Bedingungen in der normalen Pflege gegeben ist.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Pahlmann,
CDU/CSU-Fraktion .
Viele Fragen sind schon beantwortet worden . Ich
möchte auf die Frage der Schulstandorte zu sprechen
kommen . Wir haben ja momentan ein sehr breit gefächertes Angebot, auch und gerade im ländlichen Raum .
Wie können Sie sicherstellen, dass der Zugang auch und
gerade für Hauptschüler, die mir sehr am Herzen liegen,
gewährleistet ist? Gerade den Bereich der Pflege brauchen wir nach wie vor als Betätigungsfeld für Hauptschüler . Sie sind aber in der Regel deutlich jünger und
nicht so mobil wie diejenigen, die das Abitur abgelegt
haben . Wie wollen Sie sicherstellen, dass der Schulstandort im ländlichen Bereich auch von diesem Personenkreis
noch gut erreicht werden kann, sodass es nicht zu einer
Ausdünnung des Angebots, das wir momentan vorfinden,
kommt?
Bitte schön .
Frau Kollegin Pahlmann, das ist - deswegen sind wir
ja in einem so engen Diskussionsprozess mit den Ländern - natürlich auch Aufgabe der Länder . Es ist, glaube
ich, nicht so, dass man sagen kann: Die kleineren Schulen sind alle im ländlichen Raum . - Zum Teil gibt es im
städtischen Raum mehr Anbieter entsprechender Leistungen und damit möglicherweise auch stärker zersplitterte
Angebote an kleineren Schulen . Wir brauchen insgesamt
mehr Schulplätze . Deswegen ist, glaube ich, die Sorge,
dass da in großem Umfang Schulen gefährdet werden,
unbegründet . Aber im Hinblick auf die Stadt-Land-Verteilung der schulischen Angebote sind in besonderer
Weise natürlich auch die Länder gefordert; das sage ich
sehr deutlich .
Es gibt heute eine Kombination von Betreuungsassistenz und Pflegehelfern. Wir haben großartige Pflegefachkräfte, die nach der Hauptschule eine Pflegehelferausbildung gemacht haben und dann unter Teilanerkennung
der Leistungen eine Fachausbildung absolvieren . All dies
wird weiterhin stattfinden. Ich bin davon überzeugt, dass
dieser Zugang, der von europäischer Seite immer wieder
in Frage gestellt wurde, sogar erleichtert und diese Regelung deswegen auch entfristet werden kann, wenn wir
diese Ausbildung insgesamt stärken .
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete
Scharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . - Durch den Gesetzentwurf wird deutlich, dass eine Nachqualifizierung im Anschluss an die
Ausbildung notwendig ist, um spezifisches Fachwissen
für die einzelnen Einsatzbereiche zu erwerben . Die Ausbildung soll zukünftig kostenfrei sein, was schon einmal
ein Wert an sich ist. Eine Nachqualifizierung bedeutet
aber eigentlich eine Verlängerung der grundständigen
Ausbildung .
Deshalb stellen sich jetzt schon die Fragen: Wer wird
die Nachqualifizierungen finanzieren? Wo werden die
Nachqualifizierungen stattfinden? Wird es vom Arbeitgeber eine Freistellung für diese Zeit geben, oder werden
sie in der Freizeit stattfinden müssen?
Wir alle wissen, dass die Pflege weiblich ist. Wenn
Nachqualifizierungen außerhalb der Arbeitszeit stattfinden, also in der Freizeit - vielleicht am Wochenende, am
Abend oder im Urlaub -, dann wird es natürlich noch
einmal schwieriger, Beruf, Familie und eine wirklich
gute Ausbildung gemeinsam in den Griff zu bekommen .
Wie soll das geregelt werden?
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Scharfenberg . - Zunächst einmal: Bereits heute findet nach der Grundausbildung in vielen Fällen eine Weiterbildung statt, die
in der Verantwortung der Länder und der dafür zuständigen Selbstorganisationen liegt; das erwähnten Sie ja
auch selber . Daran wird sich nichts ändern . Schon heute
wird eine Krankenschwester - oder auch ein Krankenpfleger -, die sich nach ihrer Grundausbildung für den
intensivmedizinischen Einsatz, für den Einsatz im OP,
für Palliative Care oder für anderes weiterbilden will, ein
solches Weiterbildungsangebot wahrnehmen, und dabei
bleibt es auch .
({0})
Im Übrigen: Ich habe darauf hingewiesen, dass es in
den Projekten zu einer 70-prozentigen Überschneidung
der Inhalte kommt, und dass die überwiegende Ausbildung im gewählten Vertiefungseinsatz stattfindet. Insofern sind die Voraussetzungen dafür, in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern tätig zu werden, durchaus mit
denen von heute vergleichbar .
Zur Entwicklung neuer Perspektiven in der Funktionspflege oder anderswo wird sich daran in der Tat in vielen
Fällen eine Weiterbildung nach den bisherigen Regularien anschließen .
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Pantel,
CDU/CSU-Fraktion .
Weil schon sehr viel abgearbeitet ist, bitte ich noch
einmal um die ganz klare Erklärung, dass jemandem, der
bereits längere Zeit ohne qualifizierten Hauptschulabschluss in der Altenhilfe gearbeitet hat, der Zugang nicht
verwehrt wird . Ist es also richtig, dass man sich aufgrund
der praktischen Tätigkeit, die man vorher erbracht hat, in
dem neuen System weiterqualifizieren und dadurch einen
höherwertigen Abschluss bekommen kann, oder wird
dadurch, dass man keinen qualifizierten Hauptschulabschluss vorweisen kann, eine bestimmte Laufbahn ausgeschlossen, obwohl man in der Altenhilfe gearbeitet hat?
Frau Kollegin Pantel, ich hoffe, dass ich Ihre Frage
richtig verstanden habe . - Wenn ich heute ohne einen
qualifizierten Hauptschulabschluss in der Altenpflege
arbeite, dann werde ich zukünftig nach dem jetzigen
Zugang in die Fachausbildung - so stelle ich mir Ihren
Fall vor - als Pflegehelfer tätig sein. Diese Pflegehelfertätigkeit ermöglicht es bereits heute, eine Weiterbildung
zu durchlaufen, und daran ändert sich nichts . Diese WeiIngrid Pahlmann
terentwicklungsperspektive aus dem Helferberuf in den
Fachkraftberuf wird es also auch weiterhin geben .
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Crone,
SPD-Fraktion .
Herzlichen Dank . - Nach dem SGB III wird die Altenpflegeumschulung derzeit für einen Zeitraum von drei
Jahren voll finanziert. Meine Frage lautet: Wird diese
Tatsache in dem Gesetzentwurf berücksichtigt? Wird es
also bei dieser vollfinanzierten Umschulungsmöglichkeit
bleiben?
Vielen Dank, Frau Abgeordnete . - Wir planen, dass es
weiter dabei bleibt, dass wir die volle Umschulung finanzieren . Es ist so, wie Sie sagen: Die Regelung zum dritten
Umschulungsjahr in der Altenpflege - es war ja bisher
eine Besonderheit, dass das auch finanziert wird - ist bis
zum 31 . März dieses Jahres befristet . Deshalb sind wir
sehr froh, dass wir uns gemeinsam - Herr Gröhe, Frau
Nahles und ich - darauf verständigt haben, das weiter zunächst befristet bis 2017 - fortzusetzen . Im weiteren
Verfahren wollen wir auch darüber sprechen, wie eine
langfristige Lösung aussehen kann .
Da wir das Pflegeberufegesetz nicht vor Auslaufen der
Frist am 31 . März verabschieden werden, wäre unsere
Empfehlung, dass wir uns ein Gesetz als Omnibusgesetz
suchen, in das wir diese Verbesserung bzw . Fortsetzung
der Finanzierung einfügen können . Es bietet sich das
neue Jugendschutzgesetz an . Das als Ankündigung: Wir
müssen das schnell durchziehen, damit es dann auch die
Verlängerung gibt .
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Irlstorfer,
CDU/CSU-Fraktion .
Frau Ministerin, meine Frage geht in folgende Richtung: Was halten Sie den Verantwortlichen aus der Altenpflege entgegen, die große Sorgen haben, wenn die
generalistische Ausbildung kommt bzw. greift? Es gibt
bei ihnen die Sorge, dass all diejenigen, die eine sehr
gute Qualifizierung bzw. einen guten Notendurchschnitt
haben, aufgrund der Vergütungssituation in die Krankenpflege gehen, weil sie dort deutlich mehr - zwischen
600 Euro und 700 Euro - verdienen, während die Altenpflege im Endeffekt ein Auffangbecken für diejenigen
wird, die schlechtere schulische Leistungen aufweisen .
Oder ist an eine sofortige Angleichung der Bezahlung
zwischen Alten- und Krankenpflege gedacht?
Vielen Dank, Herr Abgeordneter . - Die Unterschiede
in der Bezahlung zwischen Krankenpflege und Altenpflege sind auch regional sehr unterschiedlich. In einigen
Bundesländern gibt es extrem große Unterschiede - sie
betragen dort zwischen 500 Euro und 1 000 Euro -, in
manchen ist der Unterschied geringer . Fakt ist, dass es
diese Unterschiede zwischen Alten- und Krankenpflege
gibt . Das hat damit zu tun, dass es sich um unterschiedliche Berufsabschlüsse handelt . Es hat nichts damit zu
tun, dass in der Altenpflege die mit den schlechten Noten
arbeiten und in der Krankenpflege die mit den guten. Die
Ursache ist, dass Altenpflege in Bezug auf das, was dort
gefordert und geleistet wird, heute noch nicht so anerkannt wird wie Kranken- und Kinderkrankenpflege.
Deswegen sage ich ganz klar: Wenn wir zur Generalistik und zu einem einheitlichen Berufsabschluss kommen, wird das zu einer Anerkennung der Tätigkeit im
Bereich der Altenpflege führen. Dann wird es natürlich
zu Recht die Diskussion darüber geben, ob Altenpflege
nicht auch besser - in Richtung hin auf die Bezahlung in
der Krankenpflege - bezahlt werden muss.
Nur ein einheitlicher Berufsabschluss - davon bin ich
fest überzeugt; das ist übrigens auch meine Erfahrung als
ehemalige Gesundheitsministerin in einem ländlichen
Bundesland, wo es genau diese Probleme gibt - wird
dazu führen, dass sich die Bezahlung annähert .
Es gibt jetzt eine letzte Frage zu einem anderen Thema
von Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . - Ich hatte schon fast gar nicht mehr damit gerechnet, jetzt noch dranzukommen .
Sehen Sie mal .
Wunderbar, dass es geklappt hat . - Das Kabinett hat
sich ja nicht nur mit dem einen Thema Pflege beschäftigt,
sondern unter anderem auch mit der Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes . Sie haben offensichtlich
grünes Licht gegeben, sodass sich das Parlament in den
nächsten Monaten mit dem Thema beschäftigen wird .
In diesem Entwurf wird auf die Bundesverwaltung
fokussiert . Auch dazu ließen sich Fragen bezüglich der
Fristen stellen . Da gibt es einiges, was ich als unverbindlich bezeichnen würde . Aber in diesem Zusammenhang
erscheint mir jetzt die Frage wesentlicher zu sein, warum
der Bereich der Privatwirtschaft vollständig herausgelassen worden ist .
Wer antwortet?
Ich will in einer ersten Antwort zu dem heute ohne
Aussprache im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf
etwas sagen . Für weitere Nachfragen wäre dann das
BMAS - ich sehe aber gerade, dass es nicht vertreten
ist - zuständig .
Ich gebe nur folgenden Hinweis: Es geht um eine
Modernisierung im Rahmen der bisherigen Zuständigkeiten des Behindertengleichstellungsgesetzes, das an
die Sprache bzw. Begrifflichkeit der UN-Behindertenrechtskonvention angepasst wird . Es geht ferner darum,
dass die Barrierefreiheit in der Bundesverwaltung auch
unter besonderer Stärkung des Aspekts der leichten
Sprache verbessert wird . Vor allen Dingen geht es darum, dass entsprechende Fachstellen eingerichtet werden,
um zu einer besseren Schlichtung zu kommen, wenn es
Ausei nandersetzungen gibt . Insofern wird die bisherige
Rechtsmaterie durch neue Vorgaben weiterentwickelt .
Daraus erklärt sich diese Fokussierung .
Gut, das war es dann . - Will sonst jemand von der Regierung etwas sagen? - Nein. Dann sind wir am Ende der
Befragung der Bundesregierung . Ich beende den TOP 2 .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/7210
Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich
darauf verständigt, dass die Fragestunde bis 16 .20 Uhr
gehen und pünktlich um 16 .20 Uhr die Aktuelle Stunde
aufgerufen werden soll .
Wir kommen nun zu den mündlichen Fragen in der
üblichen Reihenfolge .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts . Zur Beantwortung steht bereit Staatsminister
Michael Roth .
Ich rufe Frage 1 der Abgeordneten Sevim Dağdelen,
Fraktion Die Linke, auf:
Welche Kenntnisse ({0}) hat die
Bundesregierung, dass der Chef der nigerianischen Terrormiliz Boko Haram, Abubakar Shekau, dem „Islamischen Staat“
({1}) die Treue von Boko Haram zugesichert hat ({2}), sodass der Vorstoß der
Terrormiliz IS in Libyen auch nach Süden insofern besonders gefährlich ist, weil hier ein Schulterschluss mit der Terrorgruppe Boko Haram droht, was die Sicherheitslage in den
Nachbarländern Niger und Tschad erheblich verändert ({3}), und welche Schlussfolgerungen
zieht die Bundesregierung daraus für den Einsatz der Bundeswehr in Mali?
Herr Staatsminister, bitte .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Kollegin
Dağdelen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nach
den Erkenntnissen, die der Bundesregierung vorliegen,
hat die - - Bei dieser Unruhe kann ich die Frage nicht
beantworten .
Es wäre nett, wenn die Kollegen, die nicht mehr zuhören wollen, ihre Gespräche draußen führen würden . Ich
bitte darum, sich auf der Regierungsbank solidarisch zu
verhalten und die Besprechungen nicht jetzt zu führen .
Bitte geben Sie dem Staatsminister Gelegenheit, seine
Ausführungen zu machen .
Ich tue das aus Respekt gegenüber dem Parlament und
nicht aus Lust und Laune .
Wir erwarten allerdings, Herr Staatsminister, dass Sie
dem Parlament mit Lust und Laune Rede und Antwort
stehen . Das ist schon eine andere Sache .
({0})
Herr Präsident, ich gebe trotz meiner leichten Erkältung das Beste, wie immer . - Frau Abgeordnete
Dağdelen, ich beantworte Ihre Frage für die Bundesregierung wie folgt: Nach Erkenntnissen, die der Bundesregierung vorliegen, hat die nigerianische Terrormiliz
Boko Haram der Terrororganisation „Islamischer Staat“,
IS, die Treue zugesichert .
Nun wissen Sie, dass es eine relativ große geografische und territoriale Distanz zwischen deren Operationsgebieten gibt . Insofern konzentriert sich die bisherige
Kooperation vor allem auf die Bereiche Logistik, Finanzierung und Rekrutierung. Hier findet eine Zusammenarbeit zwischen Boko Haram und der Terrororganisation
„Islamischer Staat“ statt .
Boko Haram agiert hauptsächlich mit einer regionalen Agenda und stellt insbesondere eine Bedrohung
in Nigeria und in den angrenzenden Ländern dar . Eine
erfolgreiche Stabilisierung Malis, über die wir in dieser
Woche debattieren werden, wird - das hoffen wir zumindest - positive Auswirkungen auf die Lage im weiteren
Sahelraum, bei den Nachbarn und möglicherweise auch
in Libyen haben und mit dazu beitragen, eine verstärkte
länderübergreifende Ausbreitung terroristischer Vereinigungen zu verhindern . Genau in diesem Zusammenhang
möchte ich die Ausweitung des deutschen Engagements
in der VN-Mission MINUSMA verstanden wissen .
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Staatsminister
Roth, ich halte das für eine sehr gewagte These . Wenn
der UN-Sondergesandte für Libyen, Herr Kobler, ganz
klar erklärt, dass durch diese Zusammenarbeit die Gefahr
einer Destabilisierung und eine Gefahr für die Sicherheit
der Länder Niger und Tschad besteht, und wenn man
weiß, dass Mali ein Nachbarland Nigers ist, dann ist meiner Meinung nach die These sehr steil, die Gebiete seien
so weit voneinander entfernt, dass dies den Einsatz der
Bundeswehr in Mali mit Sicherheit nicht tangieren wird .
http://www.bbc.com/news/world-africa-31784538
http://www.bbc.com/news/world-africa-31784538
http://www.nzz.ch/international/zwischen-is-und-boko-haram-droht-ein-schulterschluss-1.18672875
http://www.nzz.ch/international/zwischen-is-und-boko-haram-droht-ein-schulterschluss-1.18672875
http://www.nzz.ch/international/zwischen-is-und-boko-haram-droht-ein-schulterschluss-1.18672875
Mit welcher Sicherheit können Sie ausschließen, dass
die Ausbreitung des IS in der Region, auch mithilfe von
Boko Haram, in irgendeiner Weise den Einsatz der Bundeswehr in Mali berühren wird? Inwieweit können Sie
auch ausschließen, dass dies den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von EUNAVFOR MED in der zweiten
Phase dieses Einsatzes, der am 7 . Januar dieses Jahres
im Rat der Europäischen Union beschlossen worden ist,
tangiert?
Frau Abgeordnete Dağdelen, ich habe Ihnen die bisherigen Erkenntnisse der Bundesregierung geschildert .
Die müssen Sie nicht teilen . Das ist Ihr gutes Recht . Ich
habe darauf hingewiesen, dass es in einigen Bereichen
eine Kooperation zwischen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ und der Terrororganisation Boko Haram
gibt . Aber die Befürchtungen, die Sie eben abermals zum
Ausdruck gebracht haben, teilen wir derzeit nicht .
Mögen Sie noch eine Zusatzfrage stellen, Frau
Dağdelen? - Bitte.
Ich habe die Antwort, die Sie vorgetragen haben, zur
Kenntnis genommen . Aber ich möchte nachfragen, weil
meine erste Frage insofern nicht beantwortet wurde, als
Sie auf Ihre ursprüngliche Antwort hingewiesen haben .
Welche Erkenntnisse liegen Ihnen vor, um das auszuschließen? Das würde ich gerne wissen. Vielleicht sind
es nachrichtendienstliche Erkenntnisse; dann können
Sie sie uns gerne zukommen lassen . Welche Erkenntnisse oder Informationen liegen Ihnen vor, um eine solche
Aussage zu tätigen, dass der Einsatz in Mali durch die
Ausbreitung des IS in Libyen und durch die Zusammenarbeit mit Boko Haram in der Region in keinster Weise
tangiert wird?
Frau Abgeordnete Dağdelen, ich habe Ihnen geschildert, dass Boko Haram eine regionale Agenda verfolgt
und dass dies eine große Gefahr für die Sicherheitslage in
Nigeria und in den angrenzenden Ländern darstellt . Ich
habe den Status quo beschrieben . Ich habe Ihnen die Erkenntnisse präsentiert, die uns derzeit vorliegen .
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch . Ich kann angesichts der derzeitigen Lage in der Region nicht irgendetwas kategorisch, zu 100 Prozent, ausschließen . Ich bin
mir auch ziemlich sicher, dass mich die Kolleginnen und
Kollegen so auch nicht verstanden haben .
Nachfrage des Abgeordneten Beck, Bündnis 90/Die
Grünen, zu diesem Thema .
Dafür, dass Sie als Bundesregierung gerade bei der
unübersichtlichen Sicherheitslage in der Region etwas
nicht kategorisch ausschließen können, habe ich großes
Verständnis . Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob
Sie die Erkenntnisse der Bayerischen Staatsregierung,
dass es sich bei Mali um ein sicheres Herkunftsland handeln soll, bestätigen können und welche Auswirkungen
das gegebenenfalls auf unser militärisches Engagement
in Mali hat . Denn in sicheren Herkunftsstaaten sind wir
nicht gefragt .
Angesichts der derzeitigen Lage in Mali, die Ihnen sicherlich auch bekannt ist, Herr Abgeordneter Beck, geht
es gerade darum, diese Lage mit unserem konkreten Engagement zu verbessern . Die Stabilisierung Malis bleibt
nach wie vor ein Schwerpunkt unserer Politik . Wir sind
in den EU-Missionen EUTM Mali und EUCAP Sahel
Mali engagiert . Morgen steht noch einmal die VN-Mission MINUSMA auf der Tagesordnung .
Wir engagieren uns seit Jahrzehnten im Rahmen der
militärischen Ausstattungshilfe . Das Auswärtige Amt unterstützt das Versöhnungsministerium und Projekte der
humanitären Hilfe mit Geldern in Höhe von 5,9 Millionen US-Dollar . Wir sind im Kampf gegen Ebola und
in dem Programm zur Kontrolle von Kleinwaffen engagiert, und das Entwicklungshilfeministerium leistet Hilfe in den Bereichen Landwirtschaft, Beschäftigung und
Nahrungsmittelversorgung .
Insofern gibt es ein konkretes Engagement der Bundesregierung,
({0})
gerade weil die Lage in Mali so ist, wie sie ist . Ich werde
seitens der Bundesregierung nicht Überlegungen einer
Landesregierung bewerten . Ich kann Ihnen nur meine eigenen Bewertungen präsentieren .
({1})
Eine Nachfrage dazu von der Abgeordneten Lemke,
Bündnis 90/Die Grünen .
Dafür habe ich Verständnis, Herr Staatsminister . Ich
möchte mich nur noch einmal vergewissern: Die Bundesregierung ist also nicht der Auffassung, dass Mali ein
sicheres Herkunftsland ist?
Ich kann Ihnen nur die derzeitige Position der Bundesregierung präsentieren . Derzeit hat die Bundesregierung
noch keinen Beschluss gefasst - und es ist auch derzeit
kein Beschluss geplant -, dass Mali ein sicheres Herkunftsland ist .
({0})
Wir kommen damit zur Frage 2, ebenfalls von der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke:
Sieht die Bundesregierung in der palästinensischen Terrororganisation Hamas, die als Teil der Muslimbruderschaft
Kriegspartei in Syrien gegen den syrischen Präsidenten
Baschar al-Assad ist, einen gemäßigten bzw . moderaten Bündnispartner vor dem Hintergrund, dass die Hamas beispielsweise mit dem „Islamischen Staat“ in Ägypten zusammenarbeitet
({0}), und
welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus,
dass es nicht zuletzt infolge der Unterstützung von Hamas auf
der einen und des IS auf der anderen Seite durch die Türkei,
Saudi-Arabien und Katar den Terror in dieser Größenordnung
gibt, für politische, militärische und finanzielle Unterstützung
durch Deutschland ({1})?
Herr Staatsminister .
Ich bedanke mich, Herr Präsident . - Frau Kollegin
Dağdelen, Sie wissen, dass sowohl der politische als
auch der militärische Arm der Hamas von der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft werden .
Wir verfolgen eine sogenannte „non-contact policy“,
die Hamas kommt für uns als Bündnispartner nicht infrage . Der Bundesregierung liegen auch keine Hinweise
auf eine staatliche Unterstützung der Terrororganisation
„Islamischer Staat“ durch Saudi-Arabien, Katar oder
die Türkei vor . Die Türkei, Katar und Saudi-Arabien
sind als Teil der sogenannten Anti-IS-Koalition im Antiterrorkampf aktiv . Saudi-Arabien hat im August 2014
100 Millionen US-Dollar für das VN-Antiterrorzentrum
in New York gespendet .
Die Türkei tritt im Nahostfriedensprozess als Fürsprecher der Palästinenser auf . Die Hamas wird von Ankara
nicht als eine Terrororganisation betrachtet . Ihr politischer Führer Chalid Maschal war wiederholt Gast der
derzeitigen AKP-Regierung in der Türkei .
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen .
Die Frage 3 des Kollegen Omid Nouripour, die Fragen 4 und 5 der Kollegin Heike Hänsel und die Frage 6
der Abgeordneten Ulla Jelpke werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf . Für die Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr . Ole Schröder bereit .
Die Frage 7 der Abgeordneten Ulla Jelpke wird
schriftlich beantwortet .
Wir kommen nun zur Frage 8 des Abgeordneten
Volker Beck:
Wie wird sich die Beendigung der Praxis, Asylanträge von
Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Eritrea im schriftlichen
Verfahren zu bearbeiten, und die damit einhergehende Rückkehr zur persönlichen Anhörung jedes Asylbewerbers aus
diesen Staaten auf die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren insgesamt bzw . der Asylverfahren dieser Flüchtlinge
auswirken, und welche gesetzgeberischen, haushaltspolitischen und sonstigen Maßnahmen wird die Bundesregierung
ergreifen, um die Mehrbelastung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der Verwaltungsgerichte und anderer mit
der Flüchtlingsaufnahme befasster Stellen abzuwenden bzw .
abzumildern?
Herr Staatssekretär, bitte .
Herr Abgeordneter Beck, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Nach derzeitiger Einschätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge werden sich die jeweiligen Asylverfahren um die Dauer der Organisation und
Durchführung der Anhörung verlängern . Die Anhörungen dauern im Mittel bei Fällen ohne Besonderheiten,
unabhängig vom Herkunftsland, 40 bis 120 Minuten,
je nach Sachvortrag . Die Auswirkungen auf die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren insgesamt lassen
sich nicht quantifizieren, da die durchschnittliche Dauer
der Asylverfahren von zahlreichen Variablen abhängt .
Die Bundesregierung hat jedenfalls eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die Asylverfahren insgesamt zu
beschleunigen und die bereits anhängigen Verfahren abzubauen .
Im Bereich der Gesetzgebung ist das Asylpaket I zur
Beschleunigung der Asylverfahren bereits Ende Oktober 2015 in Kraft getreten . Das Datenaustauschverbesserungsgesetz, bei dem die schnelle Registrierung der
Asylsuchenden im Vordergrund steht, wird voraussichtlich im Februar 2016 in Kraft treten . Mit dem Asylpaket II, das voraussichtlich in wenigen Tagen in das Kabinett kommt, werden die Verfahren für Asylbewerber mit
geringer Aussicht auf Anerkennung weiter beschleunigt .
Der Haushaltsgesetzgeber hat zahlreiche Maßnahmen
zur Bewältigung der Flüchtlingslage beschlossen . Im
Einzelplan 06 wurden hierfür zusätzliche Mittel in einem
Umfang von 900 Millionen Euro und knapp 4 000 Stellen für das Jahr 2016 beschlossen . Insgesamt wurden für
diesen Bereich weitere Leistungen des Bundes mit einem
Volumen von 4,2 Milliarden Euro im parlamentarischen
Verfahren zum Bundeshaushalt 2016 beschlossen . Das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurde personell massiv aufgestockt . Der Personalkörper des BAMF
umfasst mit Stand 1 . Januar 2016 rund 3 300 Vollzeitäquivalente . Das BAMF hat außerdem eine Reihe organisatorischer Maßnahmen ergriffen, um die Asylverfahren
zu beschleunigen und die Zahl der anhängigen Verfahren
zu verringern, unter anderem die Einrichtung von vier
Entscheidungszentren, Einsatz mobiler Teams zur Registrierung der Asylsuchenden, Cluster der Verfahren, Einteilung in drei Kategorien zur effizienten Bearbeitung der
Verfahren . Das sind die wesentlichen Maßnahmen . Ich
könnte das noch näher ausführen, denke aber, dass dies
das Wesentliche ist .
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Beck .
Es wäre schön, wenn Sie nur die Fragen beantworten würden, anstatt uns allgemein bekannte Tatsachen
zu übermitteln . Was der Haushaltsgesetzgeber bzw . der
http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/hamas-and-the-islamic-state-growing-cooperation-in-the-sinai
http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/hamas-and-the-islamic-state-growing-cooperation-in-the-sinai
http://www.heise.de/tp/artikel/46/46600/1.html
Gesetzgeber beschlossen hat, weiß der Bundestag im
Wesentlichen, weil er an der Gesetzgebung nicht unmaßgeblich beteiligt ist .
Die Frage ist schon: Welche Auswirkungen hat es,
dass diese Fälle nicht mehr schriftlich, sondern im Rahmen eines mündlichen Anhörungsverfahrens bearbeitet
werden? Ich habe Ihrer Antwort entnommen, dass das
im Durchschnitt pro Fall bis zu 120 Minuten dauert . Das
heißt natürlich: Das dauert alles länger . Wenn wir davon ausgehen, dass sich die Aufnahme von Flüchtlingen
nicht mit der Jahreswende erledigt hat, sondern dass der
Prozess noch weitergeht, kommen wir wieder zu langen
Verfahrensdauern . Wir haben heute im Innenausschuss
gesagt, dass wir bei bestimmten Gruppen schnellere Entscheidungen brauchen, damit die Leute das Land wieder
verlassen . Das verhindern Sie .
Man hat den Eindruck, dass Sie mit der einen Maßnahme einreißen, was Sie mit der anderen Maßnahme,
der Personalaufstockung durch den Haushaltsgesetzgeber, gerade zu reparieren versucht haben . Deshalb schon
noch einmal meine Frage: Können Sie dem Bundestag
zumindest perspektivisch zusagen, monatlich zu berichten, wie sich die Verfahrensdauer verändert, damit wir
als Gesetzgeber gegebenenfalls die Grundlage haben, um
wieder einzugreifen?
Herr Kollege Beck, Sie haben ausdrücklich nach organisatorischen und haushalterischen Maßnahmen gefragt . Die habe ich vorgetragen . Ich habe nicht gesagt,
dass die Anhörungen immer 120 Minuten dauern, sondern sie dauern 40 bis 120 Minuten, je nach Komplexität
des Falls . Ich gehe nicht davon aus, dass die Bearbeitung
bei allen Fällen von syrischen Flüchtlingen 120 Minuten
dauern wird, sondern dass sie eher nicht so komplex sind
und deshalb schneller gehen .
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Beck?
Ja . - Wir wollen konstruktiv sein . Wir alle haben ein
Interesse, dass wir diese Aufgabe bewältigen . Wäre es
nicht sinnvoller, gerade bei Syrern und Irakern mit einem vereinfachten Verfahren, das die Identitäts- und Sicherheitsüberprüfung im Rahmen der Registrierung löst,
diese Aufgaben vorzuverlagern, damit man zu einer beschleunigten Bearbeitung bei den Fällen, die ohnehin zu
einer Anerkennung führen, kommt und Kapazitäten hat,
um die abzulehnenden Fälle ordentlich zu bearbeiten?
Diese Einzelfallprüfung ist erforderlich . Das haben
auch alle Landesinnenminister so gesehen . Wir setzen
das um, um auch genau entscheiden zu können, ob die
Asylbewerber lediglich subsidiären Schutz erhalten oder
den Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention .
Wir kommen zur Frage 9 des Abgeordneten Volker
Beck, Bündnis 90/Die Grünen:
Werden Dublin-Rückführungen nach Griechenland in
Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Gerichtshofs der Europäischen Union und des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte weiterhin
in jedem Fall ausgesetzt, und inwiefern ist es aus Sicht der
Bundesregierung menschenrechtlich verantwortbar, dass das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei sogenannten
Dublin-Fällen aus Ungarn und Bulgarien nicht generell von
seinem Selbsteintrittsrecht ({0}) Gebrauch macht, auch in Hinblick darauf, dass die
Verwaltungsgerichte in solchen Fällen nicht selten einstweiligen Rechtsschutz gewähren ({1}), sodass die Asylverfahren erheblich verzögert werden?
Herr Staatssekretär, bitte .
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das Bundesministerium des Innern hat das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge angewiesen, bis zum 30 . Juni 2016 an
Griechenland keine Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuche nach der Dublin-Verordnung wegen der dort bestehenden systemischen Mängel zu richten, soweit nicht
eine andere Bewertungslage im Rahmen der Europäischen Union vorher eintritt .
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge prüft
bei Dublin-Bezügen zu Ungarn jeden Fall als Einzelfall
einschließlich der Aspekte für einen Selbsteintritt . Nach
den vorliegenden Angaben des Flüchtlingshilfswerks der
Vereinten Nationen, der Auslandsvertretungen und der
Mitgliedstaaten kann nicht davon ausgegangen werden,
dass in Ungarn systemische Mängel des Asylverfahrens
und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vorliegen .
Diese Beurteilung wird von verschiedenen deutschen
Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten
und auch durch Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3 . Juli 2014 bestätigt . Die Gerichte haben festgestellt, dass das ungarische
Asylsystem im Einklang mit den internationalen und europäischen Standards stehe und die wichtigsten Garantien enthalte .
Diese Feststellungen umfassen sowohl das Asylverfahren als auch die in Ungarn vorhandenen Aufnahmebedingungen, insbesondere auch im Hinblick auf die
dort bestehenden Möglichkeiten der Verhängung von
Asylhaft, wobei sich insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung
vom 3 . Juli 2014 ausführlich mit der Kritik verschiedener
Nichtregierungsorganisationen und des UNHCR kritisch
auseinandergesetzt und festgestellt hat, dass keine systemischen Mängel anzunehmen seien .
Auch beim bulgarischen Asylsystem liegen keine
Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln vor .
Volker Beck ({0})
Dies wird von vielen deutschen Verwaltungsgerichten
bestätigt . Zwar sprach sich der UNHCR in seinem Bericht „Bulgaria as a Country of Asylum“ vom 2 . Januar
2014 vor dem Hintergrund erheblich gestiegener Flüchtlingszahlen dafür aus, zunächst von Überstellungen nach
Bulgarien abzusehen . Dies rechtfertige jedoch nicht die
Annahme systemischer Mängel im Sinne der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR . Drei Monate später,
am 15 . April 2014, ging der UNHCR in einem weiteren
Bericht aber davon aus, dass aufgrund der erzielten Fortschritte und trotz des gestiegenen Flüchtlingszustroms
die Anforderungen des Gemeinsamen Europäischen
Asylsystems gewährleistet seien und Überstellungen
nach Bulgarien nicht grundsätzlich ausgesetzt werden
müssten .
Zusatzfrage .
Wie Sie das schildern, dürfte es all die Urteile, die ich
in meiner Frage zitiert habe, nicht geben . Wie bewerten
Sie denn die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen,
die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangen
sind, vom VG Aachen vom 5 . November 2015, vom VG
Bayreuth vom 12 . Oktober 2015, vom VG Potsdam vom
20 . Juli 2015, vom 3 . Juli 2015, vom 28 . Oktober 2014,
vom VG Berlin vom 17 . März 2015, vom 18 . Dezember
2014, vom VG Meiningen vom 5 . Januar 2015, vom VG
München vom 9. Juli 2014?
Was hier auffällt, ist, dass das nicht in irgendeinem bestimmten Bundesland so gesehen wird, sondern dass sich
das quer durch die Republik von München bis Potsdam
zieht . Vor diesem Hintergrund würde ich schon gerne
wissen: Welche Erkenntnisse haben Sie, die diesen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen widersprechen?
Diese Entscheidungen bestärken uns in der Ansicht,
dass wir selbst eine Einzelfallprüfung vornehmen müssen . Das bezieht sich insbesondere auf besonders schutzbedürftige Personen, die beispielsweise nicht reisefähig
sind oder einer besonderen medizinischen Behandlung
bedürfen . Aber die gerichtlichen Entscheidungen, die Sie
zitiert haben, begründen nicht die Annahme, dass es solche systemischen Mängel gibt, dass dorthin nicht überführt werden kann .
Noch eine Zusatzfrage .
Es ist schwer, in einem Einzelfall zu klären, ob die
Verfahren in einem anderen Land grundsätzlich nicht
rechtsstaatlich sind . Entweder sind sie es nicht, und man
weiß erst hinterher, wenn jemand das Verfahren durchlaufen hat, ob er von dieser Nichtrechtsstaatlichkeit betroffen ist, oder sie sind es nicht . Ich weiß nicht, was die
Einzelfallbewertung da bringen soll . Trotzdem würde ich
Sie gerne einmal fragen: Wie viele verwaltungsgerichtliche Kapazitäten und BAMF-Kapazitäten kostet es uns,
dass wir hier von dem Selbsteintrittsrecht nicht Gebrauch
machen?
Natürlich hat das miteinander zu tun . Auf der einen
Seite geht es um die Frage von systemischen Mängeln .
Sie liegen nicht vor; so lautet jedenfalls die europäische
Rechtsprechung . Sie ist für uns maßgeblich . Dann ist die
Frage, ob im Einzelfall eine Überführung durchgeführt
werden kann .
({0})
- Die Kapazitäten sind in den Verwaltungsgerichten natürlich vorhanden . Jedem steht es in einem Rechtsstaat
frei - nach der Dublin-III-Verordnung ist es ja auch
festgeschrieben -, den Rechtsweg einzuschlagen . Daran
wollen wir nichts ändern und Sie sicherlich auch nicht .
Deshalb müssen diese Kapazitäten vorhanden sein .
({1})
Für uns ist klar: Wenn wir einen europäischen Verteilungsmechanismus wollen, dann ist es für uns selbstverständlich, dass wir gerade in die osteuropäischen Mitgliedstaaten überführen . Wir wollen diese Staaten daran
beteiligen, Flüchtlinge, die nach Europa gekommen sind,
aufzunehmen . Diese Staaten wollen wir eben gerade
nicht ausschließen .
({2})
Die Frage 10 der Abgeordneten Corinna Rüffer, die
Frage 11 des Abgeordneten Dr . Konstantin von Notz, die
Frage 12 der Abgeordneten Irene Mihalic und die Frage 13 der Abgeordneten Katharina Dröge werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zur Frage 14 der Abgeordneten Petra
Pau, Fraktion Die Linke:
Wann genau und aus welchem Anlass wurden die rechtsextremistische Gruppierung „Sturm 18 e . V .“ und besonders
gewaltbereite Personen dieses Vereins im Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/-terrorismus ({0})
bzw . Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum ({1}) behandelt ({2}), dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass dem
Umfeld dieses rechtsextremen Vereins „fast 300 Straftaten“
({3}) zur Last gelegt und bei
Hausdurchsuchungen Waffen sichergestellt worden waren?
Herr Staatssekretär, bitte .
http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-razzien-im-august-hessen-verbietet-rechtsextremistischenverein-sturm-18/12513592.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-razzien-im-august-hessen-verbietet-rechtsextremistischenverein-sturm-18/12513592.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-razzien-im-august-hessen-verbietet-rechtsextremistischenverein-sturm-18/12513592.html
Herr Präsident! Bei „Sturm 18 e . V .“ handelt es sich
um eine Gruppierung, die in die Zuständigkeit des Landes Hessen fällt . Demzufolge liegt es in der Entscheidung des Landes Hessen, ob und wie dieser Vorgang im
Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum behandelt wird und wie diese Informationen
weitergegeben werden dürfen .
Die aus Sicht der Bundesregierung weitergabefähigen
Informationen wurden bereits in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die
Linke auf Bundestagsdrucksache 18/7028 vom 14 . Dezember 2015 mitgeteilt .
Zusatzfrage? - Bitte.
Vielleicht zur Erklärung für diejenigen, die uns hier
zuhören - sie wundern sich womöglich -: Herr Staatssekretär antwortete, dass in der Antwort auf eine Kleine
Anfrage der Fraktion Die Linke vom 10 . Dezember 2015
die entsprechenden der Bundesregierung vorliegenden
Erkenntnisse mitgeteilt wurden . Ausgerechnet das ist
nicht der Fall: Die Bundesregierung hat uns nämlich in
der Beantwortung der Kleinen Anfrage zum Vereinsverbot dieser militanten, hochgefährlichen Neonaziorganisation mitgeteilt, dass ihr keine eigenen Erkenntnisse
vorliegen, obwohl, wie Sie sich in dieser Antwort ausdrücken, mehrfach ebendiese Gruppierung und die Vorgänge, die zum Vereinsverbot im Bundesland Hessen geführt haben, Gegenstand der Beratungen im eigens nach
dem Auffliegen des NSU gegründeten Gemeinsamen
Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum waren .
Deshalb noch einmal meine Frage: Welche Erkenntnisse
wurden dort ausgetauscht, nicht mit Blick auf Hessen,
sondern mit Blick auf die allgemeine Gefährdung der
Demokratie sowie von Leib und Leben durch militante,
sich vernetzende Neonazis, die von diesem „Sturm 18“
ausgeht?
Sie haben das richtig beschrieben . Das sind keine Erkenntnisse der Bundesregierung, sondern Erkenntnisse
der Sicherheitsbehörden des Landes Hessen . Deshalb
sind die Sicherheitsbehörden des Landes Hessen auch
dafür verantwortlich, diese Informationen weiterzugeben . Für die parlamentarische Kontrolle dieses Vorgangs
ist der Landtag in Hessen zuständig und nicht der Deutsche Bundestag . Genau so ist es .
Noch eine Frage? - Bitte.
Dann versuche ich noch einmal, Ihnen zu helfen, mein
Erkenntnisinteresse zu verstehen . Es gibt hier nicht nur
Fakten, die im Bundesland Hessen den Sicherheitsbehörden zum Verein „Sturm 18“ und den Mitgliedern vorlagen . Dieser Verein war beispielsweise auch Gegenstand
eines Verfassungsschutzberichts des Landes Niedersachsen . Da ging es um die „Kameradschaft Dreiländereck“,
deren Bestandteil der „Sturm 18“ war .
Nach meinem Verständnis wurde das Gemeinsame
Abwehrzentrum gerade deshalb geschaffen, um alle
verfügbaren Informationen, egal bei welcher Behörde
in welchem Bundesland oder bei welcher Bundesbehörde sie anfallen, zu vernetzen, um rechtzeitig Gefahren
nicht nur zu erkennen, sondern auch abzuwehren und
Schlussfolgerungen zu ziehen . Deshalb möchte ich wissen: Welchen Erkenntnisgewinn hat denn die Bundesregierung aus der mehrfachen Behandlung dieser Vorgänge
gezogen, und was haben Sie - jetzt komme ich zu Ihrer
Zuständigkeit - in den Behörden des Bundes veranlasst?
Beim Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum handelt es sich um eine Kooperationsplattform und keine eigene Behörde . Deshalb ist immer
die jeweilige eigene Behörde zuständig .
Selbstverständlich hat man sich dort ausgetauscht .
Das Land Hessen war bereits dabei, diese Organisation zu verbieten . Deshalb ist das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht weiter tätig geworden, auch um dieses
Verbotsverfahren nicht zu gefährden .
Bitte schön, Herr Kollege .
Da muss ich noch einmal nachhaken . Habe ich Sie
jetzt richtig verstanden, dass Ihnen keine Erkenntnisse
vorliegen? Obwohl durch die Medien gegangen ist, wie
der „Sturm 18 e . V .“ sich sowohl nach Südniedersachsen als auch nach Westthüringen vernetzt hat, das Ganze im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht 2014
auftaucht, der Vereinsvorsitzende vom „Sturm 18 e . V .“
sich - ich weiß nicht, 2000 und irgendwann - in Kassel mit Mundlos und Böhnhardt getroffen hat und nach
dem NSU, wozu wir auch im Bundestag einen Untersuchungsausschuss haben - und wir sagen: aus den Fehlern,
die seinerzeit gemacht wurden, haben wir jetzt gelernt -,
sagen Sie heute: Das ist Ländersache . Da gibt es kein eigenes Amt . Wir haben keine Erkenntnisse . - Obwohl so
eine Vernetzung schon durch die Medien ging, sagen Sie:
Da sind wir nicht zuständig . - Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie aus dem NSU-Skandal - „Skandal“ ist
noch sehr beschönigt ausgedrückt - offensichtlich nichts
gelernt haben?
Ihre Unterstellungen sind falsch . Für das Bundesamt
für Verfassungsschutz und für die Bundesregierung war
entscheidend, dass diese Organisation vom Land Hessen
verboten wird . Das war die entscheidende Information .
Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Pau, Fraktion
Die Linke, auf:
Welche genauen Informationen wurden in diesem Zusammenhang ausgetauscht ({0}), und welche
Schlussfolgerungen und Maßnahmen wurden daraus jeweils
gezogen ({1})?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Zu dieser Frage verweise ich auf meine Antwort auf
die vorangegangene Frage sowie auf die Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
Die Linke vom 14 . Dezember 2015, die schon erwähnt
wurde .
Zudem werden durch das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum keine operativen
Maßnahmen beschlossen . Dies obliegt vielmehr den teilnehmenden Behörden im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten .
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Ich versuche es wieder, obwohl ich ahne, dass Sie
die Fakten nicht dabeihaben, obwohl Sie darauf hätten
vorbereitet sein können, dass wir nach der nichtssagenden Antwort auf die Kleine Anfrage nachfragen . - Ich
wüsste gern, ob zu irgendeinem Zeitpunkt aus Ihrer Sicht
das Bundeskriminalamt oder aber auch das Bundesamt
für Verfassungsschutz zuständig geworden wäre, um
Maßnahmen beispielsweise im Zuge der ja immer noch
laufenden NSU-Aufklärung auch gegenüber Mitgliedern - oder ehemaligen Mitgliedern, da der Verein jetzt
verboten ist - des Vereins „Sturm 18“ durchzuführen .
Ich verweise auf ein Gründungsmitglied oder auch den
Chef dieser Vereinigung in seiner Eigenschaft als Zeuge
sowohl vor dem Bundeskriminalamt als auch vor dem
Oberlandesgericht in München, aber auch auf die eigenen Aussagen, dass sie sich mit Böhnhardt und Mundlos
auf Konzerten getroffen haben . Spätestens da sollte dann
doch vielleicht der Bund zuständig werden .
Herr Staatssekretär .
In dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum sind Informationen ausgetauscht worden . Das heißt, dass man entsprechende Informationen
hatte . Dadurch werden diese Informationen aber nicht zu
Informationen des Bundesamtes . Vielmehr bleiben sie
Informationen des jeweiligen Landesamtes .
Entscheidend ist für die Bundesregierung, dass diese
Organisation verboten wurde . Man wollte das Verbotsverfahren nicht dadurch gefährden, dass man dieses Verfahren an sich zieht .
Selbstverständlich muss genau aufgeklärt werden,
welche Verstrickungen es hier gab . Die Staatsanwaltschaften führen entsprechende Ermittlungsverfahren . Insofern ist dies gewährleistet .
Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön.
Von mir eine letzte Nachfrage: Sind wir denn wenigstens einer Meinung, dass die Bundesbehörden bei den
Ermittlungen zur Schaffung eines Gefängnisnetzwerkes,
also eines Netzwerkes unter verurteilten Straftätern aus
rechtextremen, gewaltbereiten, militanten Kreisen, zuständig gewesen sind? Und haben Sie im Rahmen der
Ermittlungen zu diesem Gefängnisnetzwerk, welches
wiederum von einem Gründer des Vereins „Sturm 18“
aus dem Gefängnis heraus organisiert wurde, Maßnahmen ergriffen, um Informationen, die Ihnen bei diesem
Informationsaustausch zugänglich geworden sind, zu
nutzen, um auf die Gefährdungen zu reagieren, die von
diesem Netzwerk ausgehen? Ich will daran erinnern, dass
der Gründer dieses Netzwerkes auch Kontakt zu Herrn
Wohlleben und Frau Zschäpe - zwei Angeklagte vor dem
Oberlandesgericht München - gesucht hat . Also: Haben
Sie sich zumindest damit befasst und diese Erkenntnisse
genutzt, um dieses Netzwerk aufzudecken und zu zerschlagen?
Herr Staatssekretär .
Es geht ja um die Fortführung des Vereins HNG, der
am 30 . August 2011 vom Bundesministerium des Innern
verboten wurde . Insofern haben wir uns selbstverständlich mit der Materie beschäftigt . Wir haben dieses Netzwerk sogar verboten .
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat auch
gegen diese Personen ermittelt und das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 17 . April 2014 nach § 170 Absatz 2 StPO, also aus Mangel an Beweisen, eingestellt .
Die Frage 16 des Abgeordneten Dr . André Hahn wird
schriftlich beantwortet .
Ich rufe Frage 17 des Abgeordneten Andrej Hunko
auf:
Welche weiteren Aktivitäten ({0}) sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen des EU-Internetforums mit Behörden der
EU-Mitgliedstaaten, Internetanbietern, der Kommission, dem
Auswärtigen Dienst, Europol, dem EU-Antiterrorismuskoordinator und dem Gegendiskurs-Projekt SSCAT für das erste
Halbjahr 2016 geplant ({1}), und welche Regierungen haben sich zustimmend zu der Frage positioniert, dass ein von den Beteiligten verhandeltes Memorandum zur zukünftigen Zusammenarbeit bzw . zu entsprechenden Maßnahmen als Verschlusssache
eingestuft und daher nicht als offizielles Ratsdokument an die
nationalen Parlamente verteilt werden muss, da nach Kenntnis
des Fragestellers sowohl Regierungen mancher Mitgliedstaaten als auch Internetfirmen hierzu äußerste Verschwiegenheit
einforderten ({2})?
Bitte, Herr Staatssekretär .
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, welche
weiteren Aktivitäten die Europäische Kommission im
Rahmen des EU-Internetforums im ersten Halbjahr 2016
plant . Die Europäische Kommission hat lediglich angekündigt, weitere Tagungen durchführen zu wollen . Entsprechende Einladungen erfolgen in der Regel kurzfristig .
Bei im Rahmen des EU-Internetforums erstellten Dokumenten handelt es sich nicht um Ratsdokumente, die
an die nationalen Parlamente zu verteilen wären, sondern um Dokumente der Europäischen Kommission . Die
Europäische Kommission entscheidet eigenständig über
Weitergabe oder Einstufung ihrer Dokumente . Eine Beteiligung der Mitgliedstaaten ist insoweit nicht vorgesehen . Daher hat sich die Bundesregierung nicht selbst zur
Frage der Weitergabe oder Einstufung des genannten Dokuments der Europäischen Kommission positioniert . Es
ist der Bundesregierung auch nicht bekannt, welche Mitgliedstaaten sich gegenüber der Europäischen Kommission möglicherweise zustimmend zu einer Nichtweitergabe oder Einstufung des Dokuments positioniert haben .
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Abgeordneter?
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Vergangene Woche hat auch die US-Regierung einen sogenannten Dialog mit Internetanbietern begonnen . Laut dem Guardian
stand die terroristische Nutzung des Internets inklusive
Verschlüsselung ganz oben auf der Agenda . Was ist der
Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die beiden
Diskussionsforen mit den Internetdienstleistern in den
USA und in der Europäischen Union untereinander abgestimmt sind? Ich denke da zum Beispiel an die regelmäßigen Ministertreffen, die es mit dem Heimatschutzministerium in den USA gibt, oder an die Treffen im Format
„G 6 plus 1“ .
Ich selbst war im Dezember nicht auf der Sitzung und
kann Ihnen die Frage insofern jetzt nicht beantworten .
Ich würde Ihnen gerne schriftlich nachreichen, inwieweit
uns da eine Zusammenarbeit der Kommission mit den
amerikanischen Behörden bekannt ist .
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? - Bitte.
Auf der Tagesordnung dieses Internetforums soll
auch die Frage stehen, wie die beteiligten Firmen den
Behörden den Zugang zu verschlüsselter Kommunikation gewähren können . Möglich wäre etwa, teilweise
verschlüsselte Dienste von WhatsApp und Telegram zu
korrumpieren, indem die Betreiber aufgefordert werden,
die Verschlüsselung für einzelne Nutzer auszusetzen oder
abzuschwächen . Möglich wäre auch, unbemerkt Abonnentinnen und Abonnenten in bestimmte Gruppen und
Listen von WhatsApp und Telegram einzuschleusen . Inwiefern werden solche Techniken von der Bundesregierung selbst angewandt?
Soweit ich informiert bin, ist man nur zum ersten Tagesordnungspunkt gekommen, und da ging es um die Erörterung der Frage, welche Instrumente zur Bekämpfung
terroristischer Propaganda im Internet und in den sozialen Medien eingesetzt werden können, also inwieweit
die Provider selbst die Entfernung von Inhalten durchführen, die zu gewalttätigem Extremismus aufrufen oder
diesen verherrlichen . Dann ging es um sogenannte Counter Narratives, also darum, terroristische Propaganda
mittels Gegenerzählung zu entlarven und zu bekämpfen .
In einem dritten Tagesordnungspunkt ging es um Überlegungen zum Umgang der Strafverfolgungsbehörden
mit Verschlüsselungstechnologien . Soweit ich informiert
bin, ist man in dieser Sitzung - und es gab nur diese eine
Sitzung - nur bis zum Tagesordnungspunkt 1 gekommen .
Es gibt eine Nachfrage der Abgeordneten Pau .
Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, auch den zweiten Teil
und eigentlich den Kern der Frage des Kollegen Hunko
zu beantworten . Er hatte nicht nach dem Sitzungsverlauf
gefragt, sondern danach, inwieweit die Bundesregierung
oder Bundesbehörden ein solches Vorgehen bzw . solche
Ermittlungsmethoden anstreben . Gibt es dazu Strategiedebatten oder schon vorbereitete Beschlüsse, gesetzliche
Grundlagen oder was auch immer, oder schließt die Bundesregierung den Einsatz solcher Mittel aus?
Ich bitte, zu entschuldigen, wenn ich nicht richtig auf
die Frage von Herrn Hunko eingegangen bin . Ich dachte,
er meinte das in Bezug auf diese Sitzung .
Natürlich hat die Bundesregierung hierzu eine klare
Haltung . Wir unterstützen den Einsatz von Verschlüsselung für die Bürger . Selbstverständlich ist aber auch, dass
Vizepräsident Peter Hintze
der Staat die Möglichkeit haben muss, zur Verbrechensbekämpfung mögliche Verschlüsselung zu überwinden .
Das ist wie im analogen Bereich . Wir unterstützen die
Bürger darin, ihr Haus entsprechend zu sichern . Aber
wenn es für den Staat zur Verfolgung schwerster Straftaten notwendig ist, beispielsweise eine Hausdurchsuchung durchzuführen, dann muss es auch möglich sein,
die Verschlüsselung in diesem Fall zu überwinden .
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen . Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Michael Meister
bereit .
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Andrej Hunko,
Fraktion Die Linke, auf:
Welche Position vertrat der Vertreter der Bundesregierung
im Exekutivdirektorium des Internationalen Währungsfonds
({0}) bei der Entscheidung über die Regeländerung, die es
dem IWF jetzt ermöglicht, neue Kredite auch an Länder zu
vergeben, die Zahlungsrückstände gegenüber staatlichen
Gläubigern aufweisen ({1}), und welche Folgen erwartet die
Bundesregierung aufgrund dieser Entscheidung für die Rolle
des IWF in der Diskussion um einen Schuldenschnitt für Griechenland?
Bitte schön, Herr Staatssekretär .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kollege Hunko,
der deutsche Exekutivdirektor hat der vom IWF-Stab
vorgeschlagenen Politikänderung zugestimmt . Die Änderung des Regelwerks ist eine Reaktion des Internationalen Währungsfonds auf sich ändernde internationale
Rahmenbedingungen für die Kreditvergabepolitik des
IWF . Die Frage nach einem Schuldenschnitt für Griechenland stellt sich aktuell nicht .
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hunko .
Ich will noch einmal den Vorgang deutlich machen:
Der IWF hat Regeln, nach denen er Kredite an Staaten,
die Kredite nicht bedient hatten, nicht vergeben darf .
Dass diese Regeln sehr hart umgesetzt werden, haben wir
zum Beispiel bei Griechenland gesehen . Im Dezember
hat es nun in Bezug auf die Ukraine eine Ausnahme von
dieser Regelung gegeben . Die Ukraine hat Kredite an
Russland nicht bedient . Daraufhin hat der IWF im Exekutivrat die Regeln geändert . Offenbar hat die Bundesregierung dieser Änderung zugestimmt .
Denken Sie nicht, dass in der internationalen Politik
mit zweierlei Maß gemessen wird und damit das Vertrauen in internationale Organisationen und auch den IWF
unterminiert wird, wenn in Bezug auf Griechenland entsprechend hart durchgegriffen wird, aber in Bezug auf
die Ukraine die Regeln so geändert werden, dass ein
Staatsbankrott verhindert wird?
Herr Staatssekretär .
Vielen Dank . - Herr Kollege Hunko, die Bundesregierung hat die Wahrnehmung, dass die Anpassung der
Kreditvergabepolitik keine Einzelfallentscheidung ist,
sondern eine generelle Veränderung der Regeln, die ab
Beschlussfassung künftig für alle IWF-Mitglieder gleichermaßen gilt .
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Hunko?
Ja, vielen Dank . - Es ging ja um einen Kredit in Höhe
von 3 Milliarden Dollar an Russland, den die Ukraine
nicht zurückgezahlt hat . Die russische Seite hatte als Reaktion angekündigt, gegen diese Nichtrückzahlung vor
internationalen Gerichten zu klagen . Ist Ihnen etwas über
den gegenwärtigen Stand bekannt? Ist eine solche Klage
eingereicht worden? Oder ist Ihnen dazu nichts bekannt?
Zu Klagebemühungen anderer Regierungen kann ich
Ihnen keine Auskunft erteilen, da mir das nicht bekannt
ist .
Nachfrage des Abgeordneten Ströbele, Bündnis 90/
Die Grünen .
Danke, Herr Präsident . - Ich habe hierzu eine Nachfrage: Bedeutet die Änderung der Vorschrift, dass der
IWF selber beispielsweise an Griechenland neue Kredite
vergeben kann, wenn seine alten noch nicht voll bezahlt
worden sind, und, wenn nein, warum nicht?
Es geht bei dieser Entscheidung, wenn ich die Regeländerung richtig verstanden habe, nicht um die Frage, ob
Kredite gegenüber dem IWF bedient worden sind oder
nicht, sondern um die Frage, inwieweit Kredite, die ein
Schuldner bezogen auf einen anderen öffentlichen Gläubiger hat, bereits vollumfänglich und zeitgemäß bedient
wurden . Die Frage, die Sie stellen, Herr Kollege Ströbele,
ist nach meiner Wahrnehmung von dieser Regeländerung
nicht erfasst .
Die Frage 19 des Abgeordneten Christian Kühn wird
schriftlich beantwortet .
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/ukraine-russland-kredit-101.html
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/ukraine-russland-kredit-101.html
Die Frage 20 des Abgeordneten Dr . Alexander S . Neu
sowie die Frage 21 der Abgeordneten Katrin Kunert zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Zur
Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Norbert Barthle zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Matthias
Gastel, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Tatsache, dass in der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Deutschland-Takt-Studie der Bau der sogenannten
Wendlinger Kurve in zwei- statt nur in eingleisiger Weise
empfohlen wird und die Bewertung dieser Maßnahme für den
Bundesverkehrswegeplan noch nicht abgeschlossen wurde,
der Bau der Wendlinger Kurve in eingleisiger Ausführung
aber noch im Dezember 2015 von der Deutschen Bahn AG
({0}) vergeben wurde ({1}), und wie würde sich eine nachträgliche
Planänderung auf zwei Gleise nach Einschätzung der Bundesregierung zeit- und kostenmäßig auswirken?
Herr Staatssekretär, bitte .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Kollege Gastel,
die Kleine Wendlinger Kurve stellt die eingleisige Verbindung zwischen der zu realisierenden Neubaustrecke
zwischen Stuttgart und Ulm und der Neckartalbahn her .
Nach Angaben des Vorhabenträgers wird diese Kurve
gemäß dem zu berücksichtigenden Betriebskonzept von
Teilen des Personenverkehrs von Stuttgart Hauptbahnhof
in Richtung Tübingen und zurück genutzt . Das hierfür
prognostizierte Verkehrsaufkommen kann demnach auch
unter Beachtung der Verkehre auf der Neubaustrecke und
der Neckartalbahn über eine eingleisige und niveaugleiche Anbindung abgewickelt werden . Dies wurde im Rahmen der Planfeststellung bestätigt .
Die in der Machbarkeitsstudie zum Deutschland-Takt
unter dem Punkt „Kleinere Maßnahmen mit regionaler
Bedeutung“ genannte Maßnahme eines Ausbaus - hier
als Abzweig Neckartal bezeichnet - dient nach bisherigem Erkenntnisstand lediglich dem Schienenpersonennahverkehr, den die Länder eigenverantwortlich gestalten . Die Gutachter halten hier eine Einzelfallprüfung für
erforderlich . Wie alle Maßnahmen und Vorschläge der
Machbarkeitsstudie ist auch der Ausbau des angesprochenen Abzweigs Neckartal bei Wendlingen in das mehrstufige Bewertungsverfahren für den neuen Bundesverkehrswegeplan aufgenommen worden . Die Prüfung ist
noch nicht abgeschlossen .
Um einer eventuellen Nachfrage zuvorzukommen: Sie
haben sicherlich schon zur Kenntnis genommen, dass die
Bundesregierung in Absprache mit der Regierungskoalition beschlossen hat, eine strategische Umweltprüfung
aller Maßnahmen dem Bundesverkehrswegeplan hinzuzufügen und der Bundesverkehrswegeplan voraussichtlich vor Ostern im Entwurf veröffentlicht wird .
Ihre Zusatzfrage, Herr Abgeordneter .
Herr Staatssekretär Barthle, an der Thematik, dass sich
aufgrund der erheblichen Verzögerung bei der Erstellung
des Entwurfs des neuen Bundesverkehrswegeplans bereits vollendete Tatsachen ergeben, die dem widersprechen, was in Ihrer eigenen Machbarkeitsstudie empfohlen wurde, nämlich die Zweigleisigkeit, haben Sie jetzt
komplett vorbeigeredet . Was wird die Bundesregierung
aufgrund dessen machen, dass es eine Empfehlung für
den zweigleisigen Ausbau gibt, sich ihre Prüfung, ob
die Zweigleisigkeit unter dem Gesichtspunkt der Netzwirksamkeit tatsächlich für den Deutschland-Takt erforderlich ist, endlos herauszögert und gleichzeitig bereits
eine Vergabe für die eingleisige Streckenführung getätigt
wurde? Das ist die Frage. Sie haben noch nicht zu Ende
geprüft; gleichzeitig wird etwas in einer kleineren Dimension gebaut, als von Ihrem eigenen Gutachter empfohlen. Wie gehen Sie damit um? Welche Konsequenzen
ziehen Sie daraus?
Herr Staatssekretär .
Herr Kollege Gastel, ich sage nochmals, dass die
Maßnahme, die in der Machbarkeitsstudie vorgeschlagen
wird, hinsichtlich ihres Nutzens für den Personenfernund Güterverkehr von uns geprüft wird . Diese Prüfung
findet im Rahmen der Erstellung des Bundesverkehrswegeplanes statt . Davon unabhängig ist der Verkehr auf
dieser Strecke, der lediglich im Schienenpersonennahverkehr stattfindet. Das muss man getrennt betrachten.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort - das wird Sie nicht
wundern - kann nicht zufriedenstellen . Die Grundlage
meiner Frage ist das Thema Deutschland-Takt und die
Tatsache, dass die alte Bundesregierung eine Studie dazu
in Auftrag gegeben hat . Deswegen die Fragen zum Thema Deutschland-Takt und dazu, wie es damit weitergeht:
Wer koordiniert bei Ihnen das Thema Deutschland-Takt?
Wer bringt das Ganze in die Koordination mit denen
ein, die daran beteiligt sein müssen, also beispielsweise
mit den Infrastruktureigentümern? Wer bringt das Thema Deutschland-Takt voran? Wer koordiniert die unterschiedlichen Interessen, damit es beim Thema Deutschland-Takt tatsächlich vorangeht?
Herr Kollege Gastel, das findet nach meinem Kenntnisstand mit dem Vorhabenträger, also mit der Bahn, statt .
Darüber hinaus kann ich momentan keine Auskunft geben .
Vizepräsident Peter Hintze
Ich rufe Frage 23 ebenfalls des Abgeordneten Gastel,
Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wie begründet die Bundesregierung ihre Ablehnung einer Maut für Busse, während sie die Bemautung von Lkw ab
7,5 Tonnen sowie von Pkw befürwortet ({0})?
Herr Staatssekretär .
Danke, Herr Präsident . - Herr Kollege Gastel, der
Fernbusmarkt wurde 2013 liberalisiert und befindet sich
seither in einer zwar erfreulichen, aber dennoch frühen
Entwicklungsphase . Deshalb planen wir keine Maut für
den Fernbusmarkt .
Zusatzfrage?
Ja . Vielen Dank . - Ich möchte schon wissen, ob Sie
nicht den Eindruck haben, dass sich der Fernbusmarkt,
nachdem wir jetzt bei etwa 20 Millionen Fahrgästen
pro Jahr angekommen sind und seine Entwicklung viel
schneller und intensiver vorangegangen ist, als erwartet
wurde, in einer Situation befindet, in der man durchaus
über die Einführung einer Bemautung nachdenken könnte und aus unserer Sicht auch sollte? Welche konkreten
Befürchtungen haben Sie? Inwieweit könnte eine Maut
dem Fernbusmarkt schaden?
Herr Kollege Gastel, eine Maut für den Fernbusmarkt
würde das Kundenverhalten wahrscheinlich relativ wenig beeinflussen; denn umgerechnet auf den einzelnen
Fahrgast beträgt sie gerade einmal 0,2 Cent pro Kilometer . Das ändert am Fahrpreis wenig .
Nebenbei bemerkt, ist die Forderung nach der Erhebung einer Maut in jüngster Zeit vom Kollegen Ramelow
von der Linkspartei öffentlich vorgetragen worden .
Wenn ich die Veröffentlichungen in der Welt richtig interpretiere, dann hat auch Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr
Hofreiter, das entsprechend abgelehnt . Insofern sehe ich
auch Zustimmung vonseiten der Grünen .
Das provoziert eine weitere Zusatzfrage, zu der Sie
auch das Recht haben, Herr Kollege Gastel . - Bitte .
Ministerpräsident Ramelow hatte behauptet, der Fernbus würde ökologisch keinen Sinn machen . Dem hat unser Fraktionsvorsitzender Toni Hofreiter widersprochen .
Er hat nicht der Forderung nach der Maut widersprochen .
Dazu stehen wir als Fraktion . Deswegen die Nachfrage
an Sie: Ist es nicht eine Frage der Logik, dass, wenn man
Lkw, und zwar auch kleinere, leichtere Lkw, zunehmend
bemautet, man dann auch die Busse in die Bemautung
einbezieht? Sie nutzen die Infrastruktur doch in gleichem
Umfang ab wie etwa gleichschwere Lkw, und die werden
bemautet .
Herr Kollege Gastel, ich wiederhole meine Aussage,
dass der Fernbusmarkt erst vor kurzem liberalisiert wurde und sich in einer frühen Entwicklungsphase befindet.
Wir wollen diese Entwicklungsphase beobachten und
jetzt noch nicht eingreifen . Dafür ist der Zeitpunkt zu
früh .
Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Oliver
Krischer sowie die Fragen 26 und 27 des Abgeordneten
Stephan Kühn werden schriftlich beantwortet .
Die Frage 28 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit wird
schriftlich beantwortet .
Die Frage 29 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird ebenfalls schriftlich beantwortet .
Die Frage 30 des Abgeordneten Omid Nouripour zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird schriftlich
beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes . Zur Beantwortung
der Fragen 31 und 32 steht Staatssekretär Klaus-Dieter
Fritsche bereit, zur Beantwortung der Frage 33 Staatsministerin Monika Grütters .
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Hans-Christian
Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Inwieweit trifft zu, dass das Bundeskanzleramt dem Bundesnachrichtendienst ({0}) ausdrücklich gestattete ({1}), dessen
kritische Analyse über Saudi-Arabiens „impulsive Interventionspolitik” sowie die Förderung des Islamismus ({2}) gegen ausdrückliche
Widerworte des Auswärtigen Amts ({3}) per Pressemitteilung mit Sperrfrist 2 . Dezember 2015 „unter 1“ zu veröffentlichen, also keineswegs
Journalisten dies indiskretioniert hätten, wie aber BND-Vizepräsident Guido Müller im Auswärtigen Ausschuss des
Deutschen Bundestags „unwahr“ behauptete ({4}), und
wie erklärt die Bundesregierung demgegenüber, dass danach
zwar zunächst das Bundeskanzleramt diese Veröffentlichung
unglücklich nannte und das Auswärtige Amt die angebliche
gute Kooperation mit dem BND lobte ({5}), Ersteres aber kurz darauf den BND eine
weitere vertrauliche Analyse zulasten Saudi-Arabiens medial
lancieren ließ, dessen jahrzehntelange Missionierung nämlich
Deutschland heute so breiten Salafismus beschert habe ({6})?
Herr Staatssekretär, bitte .
http://gruenlink.de/12sw
http://www.tagesschau.de
http://www.tagesschau.de
http://gruenlink.de/12sv
http://gruenlink.de/l2sx
Danke, Herr Präsident . - Herr Abgeordneter Ströbele,
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Am 1 . Dezember 2015 hat ein Pressehintergrundgespräch des BND zu
Saudi-Arabien stattgefunden . In diesem Rahmen wurde
das von Ihnen genannte Papier als zitierfähig verteilt .
Aufgabe des BND ist es, die Bundesregierung mit Erkenntnissen und Analysen zu versorgen . Der BND äußert sich in Einzelfällen auch öffentlich zu Themen von
außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung . Die dort
geäußerten Einschätzungen entsprechen nicht unbedingt
der Haltung der Bundesregierung .
Herr Abgeordneter, von dem am 1 . Dezember 2015
verteilten Papier zu unterscheiden ist die in der Süddeutschen Zeitung vom 7 . Januar 2016 zitierte BND-Analyse .
Dabei handelt es sich um eingestufte Berichterstattung
des BND zum sogenannten „Islamischen Staat“ für die
Bundesregierung, die nicht für die Medien bestimmt war .
Die Bundesregierung hat keine Kenntnis darüber, wie
diese Analyse an die Öffentlichkeit gelangt ist, und missbilligt dies ausdrücklich .
Vielen Dank . - Herr Abgeordneter Ströbele, Sie haben
bestimmt eine Zusatzfrage . - Bitte .
Herr Staatssekretär, habe ich das richtig verstanden:
Es gibt ein Informationspapier vom Bundesnachrichtendienst, das mit Zustimmung des Kanzleramtes weitergegeben worden ist, und die Aussage des Außenministeriums, in der es kritisiert, dass der BND überhaupt etwas
herausgegeben hat, bezieht sich auf ein ganz anderes
Papier?
Herr Abgeordneter, noch einmal zur Verdeutlichung:
Ich habe von zwei Papieren gesprochen . Es gibt ein zitierfähiges Papier, das bei dem Hintergrundgespräch des
BND verteilt worden ist, und es gibt eine indiskretionierte Unterlage zum „Islamischen Staat“, in der man sich
eben auch mit Saudi-Arabien beschäftigt hat, die ohne
Wissen und Wollen der Bundesregierung und auch des
BND nach draußen gegeben worden ist .
Die Kritik des Auswärtigen Amtes, das die Zentralstelle für die Bewertung der Außenpolitik in der Bundesregierung ist, bezieht sich nach meiner Kenntnis auf das
verteilte Papier .
Auf das verteilte Papier . - Ja, aber dann vertritt das
Auswärtige Amt in diesem Punkt eine andere Auffassung
als das Bundeskanzleramt; denn das Bundeskanzleramt
war damit einverstanden - das haben Sie ja gerade gesagt -, dass dieses erste Papier - ich benenne das jetzt
einfach einmal mit Zahlen - herausgegeben worden ist .
Gibt es nicht irgendeine Vereinbarung oder eine Besprechung? Stimmt man das untereinander nicht ab?
Nein .
Wie kann es sein, dass die eine Stelle sagt: „Das könnt
ihr herausgeben“ - die tun das dann auch - und dann die
andere Stelle sagt: „Ungeheuerlich“?
Bitte schön .
Danke, Frau Präsidentin . - Zentrale Schaltstelle
für die Bewertung der Außenpolitik der Bundesregierung - das habe ich gerade erwähnt, Herr Abgeordneter
Ströbele - ist das Auswärtige Amt . Einer der Zulieferer mit einem Teil der Informationen und Bewertungen - für
diese Gesamtbeurteilung der Bundesregierung durch das
Auswärtige Amt ist der Bundesnachrichtendienst . Die
Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes ist nicht
gleichzeitig die politische Bewertung der Bundesregierung, für die, wie ich bereits gesagt habe, das Auswärtige
Amt zuständig ist . Es ist unglücklich, dass sie in der öffentlichen Diskussion als solche wahrgenommen worden
ist . Das ist allerdings unmittelbar danach richtiggestellt
worden .
Vielen Dank . - Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele auf:
Inwieweit trifft zu, dass vor Juni 2013 der BND eine „nur
für deutsche Augen bestimmte“ Liste eigener Abhörziele versehentlich der NSA zeigte, auf der Rufnummern führender Regierungsbeamter des Weißen Hauses standen ({0}),
die unter Umständen mit den angeblich 2008 vom BND versehentlich offenbarten 300 Telefonnummern von US-Bürgern
übereinstimmen ({1}), und welche Angaben
macht die Bundesregierung über Zahl und Identität der Betroffenen, Dauer der Überwachung sowie Gründe und Verantwortliche dieser Offenbarung?
Bitte schön, Herr Staatssekretär .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Abgeordneter
Ströbele, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Arbeitsmethoden und Vorgehensweise der Nachrichtendienste des
Bundes sind im Hinblick auf die künftige erfolgreiche
Auftragserfüllung besonders schutzwürdig, da aus ihrem
Bekanntwerden sowohl staatliche als auch nichtstaatliche
Akteure Rückschlüsse auf den Modus Operandi sowie die
Fähigkeiten und die Methoden der Nachrichtendienste
ziehen können . Dadurch wird die Aufgabenerfüllung der
http://gruenlink.de/12su
http://gruenlink.de/12t8
Nachrichtendienste zum Schutz unserer Bürgerinnen und
Bürger erschwert . Im Ergebnis kann dies für die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste und für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland schädlich sein . Die
künftige Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste des
Bundes würde beeinträchtigt . Die Offenlegung der entsprechenden Information kann die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder ihren Interessen
schweren Schaden zufügen . Deswegen kann die Antwort
nicht in öffentlicher Sitzung erfolgen . Ich habe deshalb
die Antwort auf Ihre Frage für Sie in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegen lassen .
Herr Kollege Ströbele .
Das ist natürlich wenig zufriedenstellend, weil es sich
ja hier - ich habe das auch zitiert - um eine Meldung
in der Washington Post handelt, also um eine Meldung
in einer sehr seriösen US-Zeitung . In dieser Meldung
ist das alles genau dargelegt worden . Ich denke, das ist
im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit den
Ergebnissen des 1 . Untersuchungsausschusses dieser Sitzungsperiode, also des NSA-Untersuchungsausschusses,
zu sehen, die in Deutschland öffentlich stattfindet. Demnach sollen auch Ziele in den USA, auch Regierungsstellen in den USA, durch den Bundesnachrichtendienst
abgehört worden sein . Das sollen 300 gewesen sein . Man
soll diese Liste versehentlich sogar den US-Behörden gezeigt haben . Über diesen Vorgang wird inzwischen auch
öffentlich diskutiert, auch in den USA . Warum darf man
hier nicht darüber diskutieren?
Das wird Ihnen der Herr Staatssekretär jetzt beantworten .
Frau Präsidentin, vielen Dank . - Herr Abgeordneter
Ströbele, das erinnert mich an Diskussionen, die ich mit
Ihnen in verschiedenen Gremien schon öfter geführt
habe: Dadurch, dass etwas, aus welchen Gründen auch
immer, in öffentlichen Medien dargestellt wird, sind der
Staatswohlgedanke und die grundsätzliche Geheimhaltung nicht außer Kraft gesetzt . Deswegen kann darüber
eben auch nicht öffentlich diskutiert werden . Sie haben
im Parlamentarischen Kontrollgremium, in dem Sie Mitglied sind, und im Untersuchungsausschuss, in dem Sie
Mitglied sind, die Erfahrung gemacht, dass in geheimer
Sitzung Fehler, die seitens der Behörden entstanden sind,
von den Parlamentariern gerügt werden können . Dann
können sie öffentlich gerügt werden, ohne auf die Methodik der Dienste einzugehen, weil wir effektive Dienste
für die Zukunft brauchen .
Herr Kollege Ströbele, Sie sind noch nicht zufrieden .
Kann ich dem entnehmen, Herr Staatssekretär, dass,
um das öffentlich diskutieren zu können und eine öffentliche Stellungnahme der Bundesregierung dazu zu
bekommen, man das erst einmal im Parlamentarischen
Kontrollgremium auf die Tagesordnung setzen und eine
Untersuchung durchführen muss, dass man notfalls einen
Untersuchungsausschuss einrichten muss, damit auch die
Öffentlichkeit, die sich mit dieser Meldung beschäftigt,
weiß, was Sache ist?
Herr Staatssekretär .
Frau Präsidentin, vielen Dank . - Herr Abgeordneter
Ströbele, das können Sie meinen Aussagen nicht entnehmen . Ihnen ist das Verfahren bekannt, das die sogenannte
BND-eigene Erfassung, die BND-eigenen Selektoren,
angeht . Hier ist in dem Spannungsverhältnis zwischen
dem Informations- und Fragerecht des Deutschen Bundestags - dies ist verfassungsrechtlich abgesichert - und
dem Staatswohlgedanken, dem beide Gremien, der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung, verpflichtet
sind, ein Verfahren hinsichtlich der BND-eigenen Selektoren gemeinsam mit dem PKGr entwickelt worden . Die
Selektoren liegen im Kanzleramt für die Mitglieder des
PKGr zur Einsichtnahme bereit . Ich denke, damit ist diesem Spannungsverhältnis und auch der Aufklärungsmöglichkeit der Abgeordneten Genüge getan .
Vielen Dank . - Ich sehe keine weiteren Nachfragen .
Dann bedanke ich mich bei Staatssekretär Fritsche für
die Beantwortung .
Ich rufe die Frage 33 der Abgeordneten Tabea Rößner
auf:
Inwiefern wird die Bundesregierung bei der Reform der
Ende Februar 2016 auslaufenden Richtlinie des Deutschen
Filmförderfonds sicherstellen, dass Dokumentarfilme sowie
kleinere Spielfilmproduktionen mit Herstellungskosten zwischen 1 Million und 2 Millionen Euro bei dem automatischen
Fördermechanismus nicht schlechtergestellt werden als größere Produktionen, und, falls sie dies nicht vorhat, empfiehlt
die Bundesregierung Produzenten dieser niedrig budgetierten
Produktionen, ihre Anträge für das Jahr 2016 noch alle vor
Ablauf der aktuellen Richtlinie zu stellen?
Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Grütters
bereit . Bitte schön .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Kollegin
Rößner, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Seit der
erfolgten Entfristung und Festschreibung des Deutschen
Filmförderfonds auf 50 Millionen Euro und den Erfahrungen im Jahr 2015 mit einer erstmaligen Überzeichnung des DFFF wird in der Tat über eine Anhebung
der Einstiegsschwellen sowohl im Beirat des DFFF als
auch - das wissen Sie - in der Filmbranche diskutiert .
Die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung zur Gestaltung der voraussichtlich am 1 . März 2016 in Kraft
tretenden DFFF-Richtlinie ist bei uns bislang nicht abgeschlossen .
Frau Kollegin Rößner .
Vielen Dank, Frau Staatsministerin . - Sie kennen sicherlich den Gender Report der Uni Rostock vom Februar 2015, der ja sehr deutlich macht, dass es Unterschiede
hinsichtlich der Größe der Produktionen und der Regisseurinnen und Regisseure gibt . Dieser Gender Report
zeigt, dass 74 Prozent der in Deutschland von Frauen
inszenierten Kinofilme ein Budget von unter 2 Millionen
Euro aufweisen . Können Sie daher ausschließen, dass
durch die Reform der DFFF-Richtlinie die Benachteiligung von Produktionen, die unter der Regie von Frauen
entstehen, noch stärker ausfällt, als es bereits der Fall ist?
Richtig ist, dass tatsächlich immer wieder über die
Höhe der Einstiegsschwelle diskutiert worden ist, und
zwar ganz unabhängig davon, welche Gründe und Motivationen - in diesem Fall nennen Sie die Produktionen
von Frauen - es dafür gab . Natürlich wissen wir beide
wie auch andere in der Branche, dass eine Anhebung der
Einstiegsschwelle eher größere Produktionen und entsprechende Standorte begünstigen würde und andere dadurch eher einen Nachteil hätten, nämlich die kleineren,
beispielsweise auch Dokumentarfilmer. Deshalb bin ich,
was solche Überlegungen angeht, vorsichtig und zurückhaltend .
Frau Kollegin Rößner .
Vielen Dank . - Sie sind zurückhaltend . Heißt das, dass
Sie sich noch nicht entschieden haben, oder wollen Sie
vielleicht die Schwelle absenken, um die Benachteiligung von Frauen in dem Bereich der niedrigen Budgets
zu reduzieren?
Sie wissen, dass wir inzwischen fast 25 Millionen
Euro mehr für die Filmförderung zur Verfügung haben .
Über den DFFF hinaus gibt es ja jetzt 15 Millionen Euro
mehr für die kulturelle Filmförderung . Außerdem gibt es
beim BMWi noch einmal 10 Millionen Euro . Insofern
lohnt es sich in der Tat, über die Einstiegsschwellen noch
einmal nachzudenken . Durch die Tatsache, dass wir beim
DFFF 50 Millionen Euro haben, und zwar verstetigt, und
25 Millionen Euro mehr als vorher, kann man eine Veränderung der Einstiegsschwellen sowohl nach unten wie
auch nach oben begründen . Aber damit wir tatsächlich
kleinere Produktionen nicht unnötig belasten und umgekehrt den DFFF dort entlasten, wo es nötig ist, müssen
wir alle Gründe gut abwägen . Dieser Prozess ist noch
nicht endgültig abgeschlossen .
Vielen Dank . - Ich sehe keine weiteren Zusatzfragen . Dann bedanke ich mich bei Frau Staatsministerin
Grütters für die Beantwortung der Fragen .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie .
Die Frage 34 des Abgeordneten Dr . Konstantin von
Notz, die Frage 35 der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden,
die Frage 36 der Abgeordneten Katrin Kunert, die Frage 37 der Abgeordneten Katharina Dröge sowie die Fragen 38 und 39 der Abgeordneten Bärbel Höhn werden
schriftlich beantwortet .
Damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde angelangt .
Ich unterbreche die Sitzung bis zur Aktuellen Stunde
um 16 .20 Uhr .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung wird fortgeführt .
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Aktuelle Lage im Nahen und Mittleren Osten
Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Dr . FrankWalter Steinmeier .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein Terroranschlag im Zentrum von Istanbul hat gestern
zwölf Menschen in den Tod gerissen . Viele wurden verletzt . Wir wissen jetzt, dass zehn der Todesopfer deutsche
Staatsbürger sind . Sie waren Reisende, neugierig auf die
Welt . Sie bestaunten einen der schönsten Plätze der Türkei, gerade zu dem Zeitpunkt, als die Bombe detonierte .
Wir sind vereint mit den Angehörigen in der Trauer
über die Opfer, vereint auch in Wut und Abscheu gegenüber dieser heimtückischen Tat . Klar ist für uns:
Deutschland darf und wird sich von Mord und Gewalt
nicht einschüchtern lassen . Ganz im Gegenteil, gemeinsam mit unseren Partnern werden wir dem Terror weiter
entgegentreten: hier zu Hause mit den Mitteln von Polizei und Rechtsstaat, auch im Kampf um die Köpfe junger
Menschen, aber auch mit den Möglichkeiten, die Außenpolitik hat, indem wir uns darum bemühen, Eskalationen
in unserer Nachbarschaft entgegenzuwirken, die nur neuen Hass und neuen Terror schüren .
Meine Damen und Herren, das gilt ganz besonders
auch für den Mittleren Osten, eine Region, in der über
viele Jahre hinweg die Gräben tiefer, die religiösen bzw .
konfessionellen Spannungen erbitterter und die Konflikte
brutaler geworden sind . All das wird zunehmend überlagert vom Ringen zwischen Sunni und Schia und deren
Schutzmächten Saudi-Arabien und Iran .
Am Beginn dieses Jahres ist die Spannung zwischen
Riad und Teheran brandgefährlich eskaliert, nicht nur
deshalb, weil sich das bilaterale Verhältnis der beiden
hart auf eine offene Konfrontation zubewegt hat, sondern eben auch, weil diese Eskalation alles zu vernichten
drohte und droht, was wir im letzten Jahr auf den Weg
gebracht haben . Denn 2015 haben wir, wenn man sich
zurückerinnert, gerade dort - im Krisenbogen zwischen
Libyen und Irak - doch ein paar Fortschritte erzielt, die
manchmal einen kleinen Hoffnungsschimmer aufscheinen ließen .
Im Juli haben wir nach über zehn Jahren Verhandlungen das Nuklearabkommen mit dem Iran geschlossen,
und jetzt gerade stehen wir kurz vor dem sogenannten
Implementation Day . In Libyen gelang es am Jahresende,
einen wichtigen Schritt hin auf dem Weg zu einer Regierung der nationalen Einheit zu machen - auch dank
der Vermittlungsbemühungen eines VN-Sondergesandten, eines deutschen Diplomaten. Im Syrien-Konflikt ist
es nach fünf viel zu langen Jahren des Blutvergießens
gelungen, im sogenannten Wiener Prozess endlich alle
Akteure an einen Tisch zu holen, die wir zur Entschärfung, zur Lösung dieses Problems brauchen, auch Riad
und Teheran .
Dahin zu gelangen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
war schwierig und mühsam . Weil es so war, darf das gerade jetzt nicht aufs Spiel gesetzt werden . Deshalb erwarten wir von Teheran und von Riad, dass sie sich auch
tatsächlich weiterhin auf diesen Verhandlungsweg einlassen und nicht versuchen, mit bilateralen Eskalationen
das Erreichte wieder zu torpedieren .
({0})
Sie, die beiden - Iran und Saudi-Arabien -, haben den
entscheidenden Einfluss in der Nachbarschaft. Das gilt
für Jemen, aber es gilt auch für Syrien . Wir erwarten,
dass sie von diesem Einfluss auch vernünftig und verantwortlich Gebrauch machen . Wir - Deutschland, Europa,
die E3+3 - können das politisch und diplomatisch unterstützen; aber wir können Vernunft und Verantwortung
anderer, wo sie fehlen, eben nicht komplett ersetzen . Das
Grauen in Syrien muss ein Ende haben . Deshalb müssen
die hart errungenen Wiener Gespräche fortgeführt werden, und zwar, meine Damen und Herren, mit Teheran
und mit Riad . Anders wird es nicht gehen .
({1})
Die politischen Prozesse - darüber haben wir hier in
diesem Saal verschiedene Male geredet - sind der Kern
unserer Bemühungen im Mittleren Osten . Aber sie sind
eben bei weitem nicht alles . Die Stichworte kennen Sie:
der Kampf gegen den Terror des IS, die Stabilisierung
der Krisenstaaten und vor allen Dingen natürlich die humanitäre Hilfe für die Betroffenen und Vertriebenen . Ich
kann in den paar Minuten meiner Redezeit nicht alles erwähnen . Sie haben hier im Hohen Hause zum Ende des
vergangenen Jahres einen Haushalt verabschiedet, der
in beispiellosem Umfang humanitäre Hilfe im Mittleren
Osten ermöglicht . Ich kann Ihnen versprechen: Wir in der
Bundesregierung werden sie mit unseren Möglichkeiten
umsetzen .
Im Kampf gegen den IS steht morgen ein weiteres
Mandat zur Debatte . Auf Bitte der irakischen Regierung
leistet die Bundeswehr seit einem knappen Jahr Unterstützung im Nordirak . Wir haben Peschmerga und lokale Sicherheitskräfte ausgebildet und ausgerüstet . Das
Engagement zeigt Wirkung: Der IS verliert an Boden .
Wir wollen die Ausbildung weiter intensivieren und zusätzlich in den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten
investieren . Für dieses Mandat kann ich schon jetzt um
Unterstützung bitten .
Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber wirkt
diese harte Arbeit nur, wenn sie in politische Prozesse
eingebettet ist . Dafür ist es nötig, dass wir eben auch mit
schwierigen Partnern reden . Ich verstehe - glauben Sie
mir das - die Skepsis, wenn es um Saudi-Arabien geht .
Natürlich dürfen wir nicht wegschauen, wenn es um
Menschenrechte, erst recht um Hinrichtungen oder um
Extremismus geht . Die Frage ist doch, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen .
Reisen absagen, dichtmachen und Belehrungen über
die heimischen Medien erteilen: Wer glaubt, dass so
Außenpolitik funktioniert, der irrt meiner Ansicht nach .
Außenpolitik funktioniert nicht aus der Sofaecke mit der
Fernbedienung in der Hand . Wenn wir überhaupt etwas
bewirken wollen, meine Damen und Herren, dann müssen wir raus in die Welt, dann müssen wir hin zu den
Konflikten. Wir müssen mit den Konfliktparteien reden,
gerade auch mit den schwierigen . Andersherum gesagt:
Wenn ich mit all den Vertretern der Länder nicht mehr
sprechen würde, deren Politik wir nicht teilen, dann hätte ich in der Tat mehr Zeit, unsere prima Beziehungen
zu Luxemburg zu pflegen. Das würde ich gerne machen.
Aber das ist deutlich weniger, als man weltweit von uns
erwartet .
({2})
Ich jedenfalls werde - das kann ich Ihnen voraussagen im vor uns liegenden Jahr eher mehr und ganz gewiss
nicht weniger Reisen in den Mittleren Osten unternehmen .
Vielen Dank .
({3})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
der Kollege Wolfgang Gehrcke .
({0})
Danke sehr . - Frau Präsidentin! Ich glaube, es ist völlig unumstritten, dass die Lage im Nahen und Mittleren
Osten mit jedem Tag dramatischer wird . Auf einige dieser dramatischen Entwicklungen hat der Außenminister
aufmerksam gemacht: der furchtbare Anschlag in Istanbul, der in der Lage ist, sehr viel von dem, was es an
vernünftigen Überlegungen gegeben hat, mit sich in den
Abgrund zu reißen, das fortgesetzte Morden und Töten
in Syrien, der Krieg im Jemen, die Auseinandersetzung
zwischen Saudi-Arabien und dem Iran .
Ich habe die große Sorge, dass dieser Mord an 47 verurteilten Menschen, darunter dem schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien, gewollt oder ungewollt, zu einem
großen Konflikt in der ganzen Region führen kann. Ich
finde, die deutsche Außenpolitik ist gut beraten, alles zu
tun, um so etwas zu verhindern .
({0})
Angesichts einer solchen Situation bin ich, ehrlich
gesagt, Herr Außenminister, für eine Doppelstrategie .
Ich bin dafür, dass man mit den betroffenen Menschen
redet; da haben Sie völlig recht . Gesprächen auszuweichen, bringt überhaupt nichts . Solche Gespräche sind
nicht immer angenehm . Das muss sich aber damit verbinden, dass man Klartext spricht und auch entsprechend
handelt, wenn es um die Kritik an einem solchen Verhalten wie das Saudi-Arabiens geht . Ich muss Ihnen ehrlich
sagen: Saudi-Arabien ist für mich so etwas wie der Staat
des IS geworden . Vom IS unterscheidet Saudi-Arabien
nicht viel . Menschen werden enthauptet, geschlagen oder
totgepeitscht .
({1})
- Das kann ja sein . Das Eis ist immer dünn, Herr Kauder .
Das wissen Sie am besten .
({2})
Das ist der staatgewordene IS .
Ich möchte, dass jetzt endlich einmal einige Dinge
klargestellt werden. Ich finde, dass die deutsche Nahostpolitik sprunghaft, streckenweise prinzipienlos und opportunistisch ist . Ich nenne Ihnen vier Beispiele . Es gäbe
viel mehr .
Das erste Beispiel ist Saudi-Arabien . Nach der Hinrichtung der 47 Menschen wäre es notwendig gewesen,
dem Staat Saudi-Arabien mitzuteilen: Es wird keine
deutschen Waffenexporte nach Saudi-Arabien mehr geben .
({3})
Das wäre doch das Mindeste, was man hätte tun können .
Das ersetzt nicht die Gespräche . Zu den Gesprächen gehört aber auch, seitens der Weltgemeinschaft deutlich zu
machen: So nicht! Das ist ausgeblieben . Gespräche sind
angekündigt worden, aber das Handeln ist ausgeblieben .
Ich glaube, dass man ähnlich nachdenken muss, wie
man mit der Türkei weiter umgeht . Das fällt mir jetzt
schwer vor dem Hintergrund des Anschlags in Istanbul .
Muss man der Türkei nicht viel deutlicher sagen: „Ja, es
ist vernünftig, wenn die Türkei ebenso wie Saudi-Arabien und der Iran weiter an den Gesprächen in Wien teilnimmt, weil man dort zu einem Ergebnis kommen muss,
aber wir werden nicht akzeptieren, dass die Türkei nach
wie vor für den IS eine Nachschub- und Erholungsbasis
ist“? Auch das muss man in aller Deutlichkeit vermitteln.
({4})
Nehmen wir Syrien selber . Ich war sehr froh über die
Ergebnisse in Wien . Ich habe mich bei Ihnen, Herr Außenminister, für das, was dort verhandelt worden ist, auch
bedankt. Ich finde die neun Punkte sehr vernünftig. Das
ist ein Friedensplan für Syrien . Gehört dazu nicht auch,
zu sagen: „Wir achten und akzeptieren die Staatlichkeit
Syriens“? Eine deutsche Verletzung des Luftraums von
Syrien durch den Tornado-Einsatz ohne UN-Beschluss
und ohne Einladung der syrischen Regierung ist völlig
inakzeptabel . Das ist verfassungs- und völkerrechtswidrig . Das werden wir auch dem Verfassungsgericht so
vortragen . Es geht nicht, dass wir uns anmaßen, einfach
über andere Staaten deutsches Militär einzusetzen . Das
ist völlig inakzeptabel . Damit setzt man sich selber ins
Unrecht .
({5})
Ich möchte auch ein Thema ansprechen, das Sie nicht
angesprochen haben: Muss man nicht gerade in dieser Situation auf die israelische Regierung einwirken,
sich doch mehr zu bewegen, was die Zweistaatlichkeit
angeht? Vielleicht ist sie jetzt noch möglich. Ob sie in
einem Jahr noch möglich ist und was das für die ganze
Region bedeutet, weiß keiner . Auch hier würde ich mir
von der Bundesregierung wünschen - ich glaube ja nicht
daran, dass es dazu kommt -, dass man ein paar deutliche Worte an die israelische Regierung richtet, und zwar
nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern auch in
der Öffentlichkeit .
({6})
Ich fordere Sie auf, dass die Bundesregierung ihr Reden und Handeln in Übereinstimmung bringt . Sonntagsreden über Werte, die man geachtet haben will, und ein
anderes Handeln: Eine solche Politik kann nie auf Dauer
vernünftig sein . Ich möchte gerne eine vernünftige deutsche Nahostpolitik . Die vermisse ich .
Danke sehr .
({7})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Dr . Franz Josef Jung .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich denke, das
Selbstmordattentat auf eine westliche Touristengruppe in
Istanbul hat uns alle tief getroffen . Wir trauern um die
Toten, darunter zehn Deutsche . Wir fühlen mit den Hinterbliebenen . Wir sind in Gedanken bei den Verletzten,
denen wir eine baldige Genesung wünschen .
Aber wir werden uns von diesem menschenverachtenden Terrorismus nicht einschüchtern lassen, sondern wir
werden ihn entschieden weiter bekämpfen . Wir stehen
an der Seite Europas . Wir stehen an der Seite unserer
NATO-Partner . Wir werden im Interesse der Menschlichkeit, lieber Herr Gehrcke, gerade unseren Beitrag in der
Anti-ISIS-Koalition fortsetzen; denn das ist notwendig,
um den schlimmen Terrorismus, der von ISIS ausgeht,
wirkungsvoll zu bekämpfen .
({0})
Ich halte es für abscheulich - das muss ich so deutlich
sagen -, dass der eine oder andere versucht, aus diesem
grausamen Anschlag politisches Kapital zu schlagen .
({1})
Das neue Jahr hat leider im Nahen und Mittleren Osten
mit weiteren schlechten Nachrichten begonnen . Die Eskalation zwischen Saudi-Arabien und Iran gibt zu Recht
Anlass zur Sorge . Deshalb sind wir herausgefordert - der
Außenminister hat das gerade deutlich gemacht -, alle
Anstrengungen zu unternehmen, um zu einer Deeskalation beizutragen . Dies ist aus meiner Sicht im Interesse
einer friedlichen Entwicklung in der Region . Das ist das
Gebot der Stunde . All diejenigen, die nun fordern, beispielsweise den Handel, die Beziehungen und den Dialog
mit Saudi-Arabien abzubrechen, können keinen Beitrag
zu einer friedlichen Entwicklung mehr leisten . Wer Beziehungen abbricht, verliert an Einfluss. Dies wäre jetzt
die falsche Politik, auch und gerade im Hinblick auf eine
friedliche Perspektive in dieser Region .
({2})
Gerade im Hinblick auf die Stabilität in der Region
ist Saudi-Arabien weiterhin ein wichtiger Partner . Deshalb ist es richtig - auch das hat der Außenminister
deutlich gemacht -, dass wir die Menschenrechtssituation ansprechen und dass wir uns beispielsweise im Fall
Badawi einsetzen . Aber wir müssen unsere Beziehungen
zu Saudi-Arabien und dem Iran nutzen, um gerade die
Wiener Verhandlungen für ein Ende des Bürgerkriegs in
Syrien voranzutreiben . Zu Recht hat gerade die Wochenzeitung Die Zeit geschrieben: Der schlimmste Schaden
der saudi-iranischen Eskalation wäre das Scheitern der
Friedensgespräche über Syrien . - Wer die grausamen
Bilder der hungernden Menschen in Syrien sieht und daran denkt, dass über 200 000 Tote in Syrien zu beklagen
sind, muss alles unternehmen, um diesem schrecklichen
Bürgerkrieg endlich ein Ende zu bereiten .
({3})
Die bisherigen Gespräche in Wien bieten vorsichtige Anhaltspunkte zur Hoffnung . Als nächster Schritt im
Wiener Prozess sollen am 25 . Januar erstmals die gesprächsbereiten Vertreter des Assad-Regimes und wichtiger Oppositionsgruppen zusammenkommen und in
direkte Verhandlungen eintreten . Das schließt selbstverständlich konstruktive Beiträge von Saudi-Arabien und
dem Iran ein . Deshalb ist es richtig, darauf hinzuweisen,
dass Saudi-Arabien weitere Hinrichtungen unterlassen
sollte . Der Iran gibt Anlass zu einem Hoffnungsschimmer, dass es zu einer Deeskalation kommt . Nach den Attacken gegen die saudische Botschaft in Teheran ist der
zuständige Polizeichef im Iran abgesetzt worden . Ferner
ist eine Strafverfolgung der Personen, die die Sicherheit
der Botschaft gefährdet haben, angelaufen . Das sind Signale, die deutlich machen, dass es eine Perspektive für
eine Deeskalation gibt . Deshalb sollten wir die Bundesregierung in ihrem Bemühen unterstützen, zur Deeskalation beizutragen . Nutzen wir diese Chance, um so eine
friedliche Entwicklung in Syrien und in der Region voranzubringen .
Besten Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 10 Tote
bei Anschlag auf belebten Platz in der Innenstadt; mindestens 20 Tote bei Luftangriff auf ein Schwimmbad;
etwa 400 Menschen, die fast zu Tode verhungert sind;
die zeitweise Verhaftung einer prominenten Bloggerin;
20 Tote bei Bombenangriff auf ein Café - das ist nur ein
Ausschnitt der Meldungen, die uns alleine gestern aus
dem Nahen Osten erreicht haben .
Dabei wissen wir: Zehn Deutsche sind bei dem Anschlag in Istanbul gestorben, viele sind verletzt worden,
einige sehr schwer . Ihren Angehörigen gilt unser Mitgefühl genauso wie den anderen Opfern, die nicht in Istanbul waren, sondern im Jemen, in Syrien, in Saudi-Arabien oder im Irak .
Die wichtigsten Exportprodukte des Nahen Ostens,
schreibt vor diesem Hintergrund gestern der großartige
Satiriker Karl Sharro, sind Öl und Schlagzeilen . - In dieser Stimmung fragen sich natürlich sehr viele Menschen:
Was kann man denn eigentlich tun? - Es gibt viele, die
nach einem großen Plan rufen . Der letzte wirklich wirksame große Plan für den Nahen Osten wird im Mai dieses Jahres 100 Jahre alt . Es ist der Plan von Sykes und
Picot, ein Gebilde, unter dessen Trümmern mittlerweile
Millionen von Menschen begraben sind . Die Zeiten der
Masterpläne für den Nahen Osten sind vorbei .
Die Region ist dafür viel zu vielschichtig . Die meisten
Probleme haben sehr individuelle und lokale Ursachen .
Deshalb muss man da immer sehr genau hinschauen und
darf nicht das Gerede von den angeblich großen Linien
nachplappern . Manchmal ist das wirklich kontraprodukDr. Franz Josef Jung
tiv . Wenn man dieses Tremolo von Teheran und Riad,
von Schia und Sunna immer nachplappert, dann befeuert
man einen konfessionellen Krieg, obwohl es eigentlich
nur um Machtverhältnisse geht . Das sollte man nicht tun .
({0})
Wir brauchen einen klaren Blick, wir brauchen Rückgrat und Standfestigkeit. Haben wir das denn? Ich will einige Beispiele nennen . Irakisch-Kurdistan war sehr lange
eine Oase der Stabilität im Norden des Irak . Wir haben
den großen Widerstand gegen den Ansturm der Barbaren des ISIS erlebt . Dieser Widerstand ist zu begrüßen,
und den sollten wir auch weiterhin unterstützen . Nur, seit
Monaten wird die Brüchigkeit dieser Stabilität im Nordirak immer klarer . Würden wir genau hinschauen, dann
würden wir sehen, was da eigentlich gerade los ist .
Es gibt eine massive Wirtschaftskrise, die so manche
Sollbruchstellen, die älter sind als die durch den ISIS hervorgerufenen, offenlegt . Wir erleben, dass die Regierung
Barzani gewaltsam versucht, demokratische Debatten
zu verhindern, Parlamentarier aussperrt und Journalisten verfolgt . Auch die sind aber unsere Partnerinnen und
Partner, nicht nur Barzani . Ich frage mich, wo eigentlich
der laute Protest unserer Ministerinnen und Minister in
Erbil geblieben ist . Ich habe nichts davon gehört .
({1})
Wenn wir von Prinzipien und Rückgrat sprechen,
dann, so glaube ich, muss man auch über das Positive
sprechen und Stärken stärken . Dazu wirklich nur ein
Satz: Es ist mehr als ein Wunder, dass der Libanon bei
den Flüchtlingszahlen noch nicht zusammengebrochen
ist . Die Libanesen brauchen nicht nur unsere verbale Solidarität, sondern sie brauchen politische Unterstützung
und deutlich mehr materielle Hilfe . Ich wünschte mir,
dass es deutlich mehr wäre als das, was wir jetzt tun . Ich
freue mich, dass die Hilfe schon angewachsen ist .
({2})
Im Falle von Syrien geht es nicht um die großen Friedenslösungen . Die gibt es so nicht . Das ist uns bekannt .
Auch wir freuen uns über die Verhandlungen in Wien .
Die sind richtig, auch wenn wir nicht mit allem, was
dort aufgeschrieben worden ist, einverstanden sind, auch
wenn wir nicht ganz so viel Dynamik wie der Außenminister an mancher Stelle sehen .
Es gibt vier Resolutionen, die den Zugang der Menschen zu humanitärer Hilfe fordern, alle mit der Stimme
Russlands im Sicherheitsrat verabschiedet . Wenn es nicht
die großen Lösungen gibt, dann ist es doch offenkundig,
dass man das tut, was man tun kann, und das ist, Hilfslieferungen zu bringen . Es ist wirklich nicht leicht heutzutage, den Syrern zu erklären, wie es denn sein kann,
dass wir dort Flieger haben, aber keine Hilfslieferungen
bringen können . Das ist für niemanden klar . Im Übrigen
könnte die Bundesregierung mit einer Initiative in diese
Richtung auch den Finger in die Wunde des russischen
Beistands für Assad legen, der sich stets so pompös auf
die Vereinten Nationen bezieht .
({3})
Wir würden im Übrigen auch zeigen, auf wessen Seite
wir stehen . In Syrien gibt es Millionen von Menschen,
die unsere Partner sein können .
Zu Saudi-Arabien . Herr Außenminister, lieber Frank,
du weißt, ich schätze dich sehr . Aber was ich nicht verstehe, ist, wie du immer wieder bei Kritik einen Pappkameraden rhetorisch aufbaust und damit die Kritik umgehst .
Wir haben nicht gesagt, dass du nicht nach Saudi-Arabien fahren sollst . Wir haben nicht gesagt, dass man nicht
mit den Saudis sprechen soll . Natürlich brauchen wir sie .
Wir sind wirklich dankbar, dass du einen großen Beitrag
geleistet hast, dass Iran und Saudi-Arabien in Wien wieder zusammengekommen sind .
Wir würden uns freuen, wenn du drei Tage vor diesem
Festival oder drei Tage nach diesem Festival dahin fahren
würdest, am besten verbunden mit einer Pendeldiplomatie zwischen Riad und Teheran . Niemand sagt, dass der
Chefdiplomat Deutschlands mit den Schurken der Welt
nicht reden soll . Das ist dein Job . Das wissen wir . Wir
freuen uns, wenn du das tust . Die Frage ist nur: Gehört
in diesen Zeiten ein Kulturfestival und die Normalität,
die damit suggeriert wird, wirklich dazu? Wollen wir das
Land wirklich mit dem Besuch eines Kabinettsmitglieds
aufwerten?
Ich kann nur sagen: Das Land Baden-Württemberg auch dort beteiligt - hat sich weise verhalten . Es hat
beschlossen, genau diese Aufwertung nicht mitzumachen und keine Kabinettsmitglieder hinzuschicken . Ich
wünschte mir, dass die deutsche Bundesregierung das
genauso macht .
({4})
Das heißt nicht, dass man mit Saudi-Arabien nicht reden
soll .
Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union - letzter Satz -, ich freue mich sehr, dass es bei Ihnen
ein Umdenken in der Frage des Umgangs mit Saudi-Arabien gibt; das ist die letzten Tage spürbar gewesen . Allerdings sind jetzt zwei Gesichtspunkte zu beachten .
Herr Kollege Nouripour, jetzt sagen Sie aber wirklich
den letzten Satz .
Erstens . Man sollte um Gottes willen nicht eine strategische Partnerschaft mit Saudi-Arabien, die falsch ist,
gegen eine falsche strategische Partnerschaft mit dem
Iran austauschen .
Zweitens . Der Tod von 47 Menschen, durch den so
viele wachgerüttelt worden sind, ist wahrscheinlich leider nicht das Ende einer ganz langen Kette ähnlicher
Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien .
({0})
- Und im Iran . - Ich frage mich, wohin Sie die letzten
Jahre geschaut haben .
({1})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Niels Annen .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir sind natürlich heute in
dieser Stunde in Gedanken bei den Opfern des schrecklichen Anschlags in der Türkei . Ich glaube, man kann an
dieser Stelle daran erinnern, dass auch die hier vielkritisierte Türkei - übrigens ist sie von dieser Stelle auch
von mir manchmal kritisiert worden - mehrfach Opfer
von Terroranschlägen geworden ist. Deswegen, finde ich,
sollten wir gerade in einer Zeit der Trauer etwas auf unsere Rhetorik in dieser Situation achten .
Ich jedenfalls bin der Meinung, dass wir uns doch unabhängig davon, was sich noch an Erkenntnissen ergibt,
darin bestätigt fühlen können, dass sich Deutschland an
den internationalen Bemühungen zur Bekämpfung des
Terrorismus beteiligt, als Teil der Anti-IS-Koalition die militärische Beteiligung ist ein Teil dieser Bemühungen -, aber vor allem politisch . Das steht doch im
Mittelpunkt der Bemühungen und, ich hoffe, auch im
Mittelpunkt dieser Debatte . Der Anschlag zeigt, dass es
nicht nur wichtig ist, dass wir die Kontakte zu unseren
Freunden aufrechterhalten, sondern dass es auch wichtig ist, dass wir die Gesprächsfähigkeit in einer solchen
Situation bewahren und sogar verbessern, lieber Kollege
Nouripour .
Ich möchte an dieser Stelle schon einmal klarstellen,
was die Politik der Bundesregierung und des Außenministers in den letzten zwei Jahren gewesen ist . Es war
eine mühevolle Arbeit, die Kontrahenten in Wien an
einen Tisch zu bekommen. Der Kernkonflikt in Syrien
strahlt aus bis hin zu uns in unsere Kommunen, in die
Gemeinden, in die Wahlkreise . In der Diskussion über
die Situation der Flüchtlinge ist es zentral gewesen, dass
nicht nur die USA und Russland - deren erneute hochrangige Gesprächsbereitschaft übrigens dazu beigetragen
hat, dass wir in Wien vorangekommen sind - an einen
Tisch gekommen sind, sondern eben auch die beiden regionalen Antagonisten: der Iran und Saudi-Arabien .
Wenn ich mir die Pressemeldungen der letzten Tage
anschaue - ich will das hier nicht zu pauschal sagen -,
dann stelle ich fest, dass es vor allem aus den Reihen
der Grünen, aber leider auch von einigen Kolleginnen
und Kollegen der Union schon so etwas wie eine mediale
schwarz-grüne Empörungskoalition gegeben hat . Das hat
der deutschen Außenpolitik geschadet . Es hat der deutschen Außenpolitik nicht wegen der Kritik an Saudi-Arabien geschadet; diese Kritik teile ich . Herr Nouripour,
ich kann es Ihnen ja vorlesen . Sie haben gesagt, dass der
Außenminister seine Reise zum Dschanadrija-Festival
absagen soll . Dies geschah in einem Kontext, in dem natürlich konkret unterstellt wurde, dass es quasi eine moralisch verwerfliche Reise wäre, die dorthin unternommen werden soll .
Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist der Fall . Mit der
Teilnahme an diesem Festival wird die Anerkennung der
Reformpolitik des verstorbenen Königs zum Ausdruck
gebracht .
({0})
Es gab vorsichtige, langsame, ich würde sogar sagen: zu
langsame Schritte, dieses Land in die Moderne zu führen .
Es gibt keinerlei kulturelle Veranstaltungen in diesem
Land außer diesem großen kulturellen Ereignis, und bei
diesem Ereignis präsentiert sich unser Land mit einem
Pavillon . Ein Kernteil der dortigen Ausstellung dreht
sich übrigens um die Arbeit in diesem Haus, um unsere
demokratische Kultur . Die soll ein Außenminister nicht
besuchen dürfen? Ja, wo leben wir denn, meine Damen
und Herren?
({1})
Ich finde, wir müssen doch in dieser Situation selbstbewusst für unsere eigenen Werte einstehen .
Wir reden in dieser Situation ständig über Saudi-Arabien und zu Recht - ich wiederhole das - über die skandalösen Exekutionen und die politische Provokation
der Hinrichtung eines schiitischen Predigers . Natürlich
musste die Führung in Saudi-Arabien genau wissen, was
das auslöst . Deswegen ist es von uns auch gemeinsam darüber bin ich froh - zu Recht kritisiert worden . Aber
wir fahren doch nicht nach Saudi-Arabien, weil wir uns
denen so freundschaftlich verbunden fühlen,
({2})
sondern deshalb, weil wir sie in dieser katastrophalen Situation als einen der regionalen Akteure brauchen,
({3})
ohne die der Konflikt nicht zu lösen ist.
Das gilt übrigens auch für den Iran . Dort sind im letzten Jahr Hunderte von Menschen hingerichtet worden,
ohne dass es dieselbe mediale Empörungslogik hier gegeben hätte . Da muss man sich schon ein bisschen fragen: Ist das, was Sie hier gesagt haben, Herr Nouripour,
eigentlich ein Beitrag dazu - ich freue mich darüber, dass
Sie die Arbeit unseres Außenministers unterstützen wollen -, oder ist es eher ein Beitrag zur Selbstprofilierung?
Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie sich den Mühen der Ebene entziehen wollen, machen Sie das! Wir werden uns
den Mühen der Ebene nicht entziehen . Deswegen, glaube
ich, ist der Außenminister nicht nur mit seiner Politik auf
dem richtigen Weg, sondern auch seine Reiseziele sind
gut und wohlabgewogen ausgewählt .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Heike Hänsel,
Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin, danke schön . - Das denke ich mir,
Herr Kauder, dass Sie hier jetzt schon Fracksausen bekommen .
({0})
Es geht natürlich auch um Rüstungsexporte, um Rüstungsgüter, die unter anderem aus Ihrem Wahlkreis in
alle Welt geliefert werden . Da haben Sie bisher noch gar
nichts gemacht . „Das wäre ein großer Beitrag zur Terrorbekämpfung“, kann ich nur sagen .
({1})
Jetzt kommen wir zu den entscheidenden Punkten, die
hier überhaupt nicht benannt werden .
Auch wir haben tiefes Mitgefühl für die Opfer der Anschläge sowohl in der Türkei - es gab schon etliche blutige Attentate - als auch an vielen anderen Orten dieser
Welt, aber auch Mitgefühl für die Opfer der Kriege, die
durch den Westen weltweit geführt werden . Hier darf es
keine Aufteilung geben . Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel .
({2})
Ich muss schon sagen: Die Redebeiträge, die ich in
den letzten Minuten gehört habe, haben sich wenig mit
der Rolle der Türkei zum Beispiel beschäftigt . Hierzu hören wir eigentlich nichts . Der Herr Jung sagt: Wir müssen
den IS bekämpfen . - Das ist schön und gut . Aber seit
wie vielen Jahren beklagen wir hier, dass es auch eine
Unterstützung des IS durch den NATO-Partner Türkei
gibt, und zwar nachweislich? Selbst der BND hat mittlerweile gemeldet, dass Waffen an den IS über den türkischen Geheimdienst geliefert werden . Hierzu hört man
von Ihnen gar nichts . Sie schauen diesem Treiben von
Erdogan einfach zu . Im Gegenteil: Er bekommt 3 Milliarden Euro von der Europäischen Union . Angela Merkel
hat einen Wahlkampfbesuch für Erdogan gemacht, kurz
vor den Wahlen . Es werden nach wie vor auch Waffen in
diese Region geliefert . Wir halten diese Politik für heuchlerisch . Sie trägt zu mehr Terror und nicht zu weniger
Terror bei .
({3})
Ich möchte es noch einmal sagen: Der IS hat sein Rekrutierungsgebiet auf türkischem Gebiet . Wie viele von
uns haben die Türkei besucht? Die Grenze nach Syrien ist
offen . Gebetsmühlenartig warnen wir davor und fordern,
dass hier eingeschritten werden muss, dass Druck auf die
Türkei ausgeübt werden muss . Aber hierzu kommt von
Ihrer Seite gar nichts . Im Gegenteil: Die Unterstützung
wird ausgebaut .
Dasselbe gilt eigentlich auch für Saudi-Arabien - ein
Land, das die Region maßgeblich destabilisiert hat, das
eine ungute Rolle in Syrien spielt und das massiv dazu
beiträgt, dass islamistische Terrortruppen unterstützt,
aufgerüstet und trainiert werden . Viel Unterstützung zum
Beispiel für einen radikalen Salafismus kommt aus Saudi-Arabien . Auch hierzu hört man von Ihnen sehr wenig .
Im Gegenteil: Sie führen die militärische Kooperation
fort . Es wird jetzt nachgedacht: Man muss die Waffenexporte in die Region mal prüfen . - Aber es ist keine ernstzunehmende Politik, die Sie hier gegenüber der blutigen
Diktatur - wir haben es nach den massenhaften Hinrichtungen in den letzten Wochen gesehen - betreiben .
Es braucht eine ernsthafte Politik, die auch glaubwürdig ist . Herr Steinmeier, insofern halten wir es für mehr
als kontraproduktiv, zu einem solchen Kulturfestival
nach Riad zu fahren .
Herr Annen, Sie haben das jetzt hier als ein einziges
Dialogforum zur Reform Saudi-Arabiens dargestellt . Damit streuen Sie der Bevölkerung Sand in die Augen . Zum
Beispiel ist der Pavillon von Baden-Württemberg von
zahlreichen Wirtschaftsunternehmen aus Baden-Württemberg gestaltet, die unter anderem teure Whirlpoolanlagen anbieten und natürlich dort verkaufen wollen .
Ich frage mich, was das eigentlich zu einer ernsthaften
Friedenspolitik in der Region beiträgt . Das ist wirklich
Hohn und kann absolut nicht akzeptiert werden .
Deswegen fordern wir, dass sowohl der Besuch von
Herrn Steinmeier als auch dieser baden-württembergische Pavillon vollständig abgesagt werden .
({4})
Wir müssen uns ja überlegen: Was macht die Bundesregierung jetzt? Sie beteiligen sich auch noch an einem
neuen großen Krieg gegen den Terror mit Tornados, der
zu viel Leid und noch mehr Bomben in Syrien führt . Dabei haben wir in dieser Region doch erlebt, dass gerade
der letzte große Krieg gegen den Terror - begonnen 2001
mit Afghanistan, mit Irak, mit Libyen - die Welt so unsicher gemacht hat wie noch nie zuvor . Wie viel Leid, wie
viele Hunderttausende Tote, wie viele Millionen Flüchtlinge hat dieser Krieg gegen den Terror gebracht! Und
was machen Sie jetzt? Sie beginnen mit einem neuen
Krieg gegen den Terror; Sie beteiligen sich aktiv und tragen zu noch mehr Leid und noch mehr Flüchtlingen bei .
Wir lehnen diese Politik ab . Wir fordern eine grundsätzliche Wende in der Außenpolitik - für eine aktive
Friedenspolitik, die Kriegsbeteiligung ablehnt .
Vielen Dank .
({5})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis eben war
unsere Debatte von Besonnenheit und Weitsicht geprägt .
Wir sollten auch angesichts der Anschläge, zuletzt gestern fürchterlich in Istanbul, unseren Weg der Besonnenheit sowie der strategischen Geduld und Weitsicht
beharrlich fortsetzen .
Ich möchte das hier ganz bewusst so deutlich ansprechen . Unser Außenminister hat es klar gesagt; Niels
Annen und Franz Josef Jung haben es aufgegriffen . Dann
ist es bedauerlich, wenn eine Rednerin der Opposition
nicht einmal den Willen aufbringt, den Außenminister
anzuhören, sondern später kommt . Sie hätten Ihre Rede
umschreiben müssen, liebe Frau Kollegin .
({0})
Wenn wir angesichts dieser Anschläge zur Besonnenheit mahnen, auch in unserem innenpolitischen Erleben,
dann müssen wir uns Gedanken machen, wie die Entwicklungslinien über die letzten Jahrzehnte, aber auch
über die letzten Jahrhunderte zu diesen Verhärtungen
geführt haben .
Deswegen ist es gut, dass sich unsere Bundesregierung in den letzten Jahren zu einem ehrlichen Makler,
zu einem Honest Broker im internationalen Umfeld entwickelt hat . Wir verhandeln und geben Anstöße . Unser
Außenminister hat den Prozess in Wien vorangebracht .
Ganz aktuell war der Innenminister heute in Istanbul .
Diese Woche ist der Kanzleramtsminister in Ankara aktiv gewesen .
Wir müssen den Dialog fortsetzen . Ich möchte die
Bundesregierung ermutigen, diesen Weg der Diplomatie
fortzusetzen und mit beiden Seiten in diesen Konfliktlinien zu sprechen .
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind natürlich ungeheuer viele Vernetzungen und Herausforderungen . Wir
brauchen nur drei anzusprechen: die Bekämpfung des
internationalen Terrorismus, insbesondere des islamistischen Terrorismus, die Fluchtursachen, die nicht nur mit
dem Terrorismus zu tun haben, sowie - zurzeit in den
Hintergrund geraten, aber dennoch alles überlagernd das Existenzrecht Israels und die Auseinandersetzung
mit den Palästinensern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die sehr ausführlich
Kritik hinsichtlich einer möglichen Reise unseres Außenministers äußern: Hätten wir die Bemühungen mit dem
Iran hinsichtlich des Nuklearabkommens eingestellt,
weil im Iran ein Mehrfaches an Hinrichtungen stattfindet
wie in Saudi-Arabien, wären wir nicht zu dem Nuklearabkommen gekommen .
({2})
Das dürfen wir nie vergessen . So schwer es akut fällt,
auch aus der Reaktion heraus, jegliche Kontakte mit Saudi-Arabien abzulehnen,
({3})
umso wichtiger ist es doch, den Saudis vor Augen zu führen, dass wir an sie als Stabilitätsfaktor in der Region
andere Erwartungen haben .
({4})
Das können wir nicht vom grünen Tisch aus und nur in
begrenztem Maße vielleicht von diesem Pult aus tun .
Niels Annen und Franz Josef Jung haben es angesprochen: Entscheidend ist doch, dass wir Akzente setzen .
Gerade das angesprochene Fest ist ein Erbe des verstorbenen Königs, der langsam versucht hat, dieses Land zu
öffnen und Frauen Wahlen zu ermöglichen . Wenn wir
dort Akzente setzen, setzen wir die richtigen Akzente .
Zum Verhältnis innerhalb Syriens und des Iraks: Wir
engagieren uns dort sehr stark . Wir dürfen aber nicht
vergessen, dass hier - Omid Nouripour hat es angesprochen - aus der Historie heraus religiöse Überlagerungen
stattfinden. Deshalb ist es so wichtig, dass wir versuchen,
die drei Linien, die ich ansprach, zu verknüpfen . Wenn
der Iran versucht, aus dem Abkommen von Wien Kapital
zu schlagen - Rohani sagt, Israel glaube, 25 Jahre lang
Ruhe zu haben, und in 25 Jahren werde Israel, so sinngemäß, nicht mehr existieren -, so müssen wir gerade deshalb deutlich darauf aufmerksam machen, dass für uns
das Existenzrecht Israels unabdingbar ist . Wir müssen
den Iran in all seinem Handeln stets daran festmachen .
Das dürfen wir nicht vergessen .
({5})
Das bedeutet also: nicht einseitig einzelne Staaten verurteilen, sondern unsere Interessen generell deutlich machen .
Das führt mich zu meinem letzten Punkt . Wenn ich
von Besonnenheit und strategischer Weitsicht spreche,
meine ich, dass wir - das haben wir in den letzten zwei
Jahren massiv erlebt, und darauf müssen wir uns einstellen - in der Gleichzeitigkeit von Krisen das Unerwartete,
das Ungeplante, das Unwahrscheinliche stärker annehmen müssen als bisher und versuchen müssen, es zu bewältigen . Das geht vorrangig mit Mitteln der Diplomatie .
Das bedeutet, dass wir Deutsche in Europa mit dazu beitragen müssen, dass die Europäische Union insgesamt als
Partner der Staaten im Nahen und Mittleren Osten wahrgenommen wird, nicht nur als Technologiepartner - das
unqualifizierte Beispiel von Whirlpools wurde vorhin angesprochen -, sondern als Partner in der Transformation,
als Partner für den Aufbau zivilgesellschaftlicher, breiterer Strukturen, aber auch als Technologiepartner und
Mahner in bestimmten Bereichen . Ich weiß, dass wir da
den einen oder anderen Bereich überdenken müssen . Das
hindert uns aber nicht daran, zu überlegen, wer, wenn wir
uns aus der Region zurückzögen, dort aktiv würde . Ich
glaube, wir haben kein Interesse daran, dass Russland
und China die wesentlichen Ansprechpartner dieser Region werden . Wir müssen Ansprechpartner bleiben und
diese Position ausbauen . Deshalb jegliche Unterstützung
in dieser Richtung für unsere Bundesregierung!
Herzlichen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Dr . Franziska
Brantner, Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lieber Niels, ich habe mich gefreut, dass
du mit einer solchen Vehemenz Frank-Walter Steinmeier
verteidigt hast - stärker, als er sich selbst verteidigt hat .
Das war wirklich sehr ambitioniert .
({0})
Aber ich fand die Beschreibung des Festivals doch etwas
beschönigend . Ich würde ja hoffen, dass es so kommt,
und mich über die revolutionierenden Ergebnisse des
Festivals freuen . Ich fände es auch besser, wenn Baden-Württemberg nur noch Whirlpools statt Rüstung exportiert .
({1})
Das würde bestimmt mehr zum Frieden in der Region
beitragen als die Rüstungsexporte aus dem Ländle .
Aber, Herr Steinmeier, bei dem Thema des Festivals geht es ja nicht darum, ob man mit Saudi-Arabien
redet oder nicht, sondern grundsätzlich geht es um die
Frage: Haben wir noch eine besondere Partnerschaft mit
Saudi-Arabien - dann geht man zu Festivals -, oder ist
Saudi-Arabien einer der Partner in der Region wie viele andere auch und sowohl Teil des Problems als auch
Teil der Lösung wie viele andere in der Region auch?
Ich glaube, das ist der grundsätzliche Streitpunkt, den wir
in Deutschland haben: Was ist die Rolle Saudi-Arabiens
für Deutschland? Gibt es eine besondere Beziehung, eine
besondere Partnerschaft, oder gibt es die eben nicht? Wir
Grüne argumentieren schon seit langem - deswegen ist
das nicht Effekthascherei oder Ringen um Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit -, dass es keine Begründung
mehr gibt für eine besondere Partnerschaft zu Saudi-Arabien .
({2})
Wir wissen, dass der Wahhabismus in dieser Region, der
Teil des Problems von ISIS und der anderen radikal-islamistischen Strömungen ist, aus Saudi-Arabien heraus
gestärkt wird .
Ja, Sie fahren nach Saudi-Arabien, Sie fahren nach Teheran, um beim Thema Syrien voranzukommen, um den
Wiener Prozess voranzubringen . Das ist ja auch richtig .
Aber wir wissen alle um die Verstrickungen, wissen, dass
Assad anfangs sehr gerne mit ISIS kooperiert hat, um die
Amerikaner im Irak zu ärgern, dann, um die Opposition
zu bekämpfen, dass Saudi-Arabien die Al-Nusra-Front
stützt, die ja auch nicht besonders schön auftritt, dass die
Türkei die Opposition unterstützt, aber auch gerne gegen
die Kurden agiert, dass Russland gegen die Opposition
antritt . Trotzdem bekämpfen alle zusammen irgendwie
ISIS . Deswegen, Herr Steinmeier, ist es nicht nur eine
Frage des Redens
({3})
- da gebe ich Ihnen absolut recht -, sondern auch des
Handelns . Aber welches Handeln, das über das Reden
hinausgeht, würde ich mir wünschen, Herr Steinmeier?
Sie haben richtigerweise gesagt: Wir müssen Teheran
und Riad am Tisch haben . - Aber wir brauchen auch die
syrische Opposition . Wir wissen, dass wir sie mittel- und
langfristig nur am Tisch behalten, wenn der Abwurf von
Fassbomben und das Aushungern durch Assad enden .
({4})
Da müssen wir dringend handeln . Wenn es um mehr als
Reden, also um Handeln geht, dann geht es darum, den
Abwurf von Fassbomben und das Aushungern zu beenden . Ich würde mir wünschen, dass es ein stärkeres und
auch ein lauteres Engagement in diese Richtung gäbe .
Wir haben heute den ägyptischen Außenminister
Shoukry in Berlin zu Besuch . Auch Sie haben ihn getroffen; mehrere von uns haben ihn getroffen . Er geriert sich
überall als Stabilitätsanker in der Region . Gleichzeitig
wird die Opposition in Ägypten gerade wirklich grausam,
bis zum Letzten, verfolgt und ins Gefängnis gesteckt . Ich
möchte nur den Fall von Ahmed Said erwähnen . Er lebt
mittlerweile seit Jahren in Deutschland, ist verlobt mit einer Deutschen . Er reiste, um die Heiratspapiere fertig zu
machen und sich um die Formalitäten zu kümmern, nach
Ägypten, nahm an einer Mahnwache teil und endete für
zwei Jahre in einem der grausamsten Foltergefängnisse
Ägyptens . Das ist die aktuelle Situation in Ägypten: absolute Willkür, die nicht nachvollziehbar ist .
Natürlich müssen wir auch mit Ägypten über die Situation in der Region reden . Aber auch hier erwarte ich
klarere Worte der Kritik . Ich möchte sie von Ihnen hören;
denn nur dann können wir glaubwürdig mit allen in der
Region reden und auch in Zukunft glaubwürdig für Demokratie und Menschenrechte in dieser Region eintreten .
Ansonsten ist es nur Reden, etwas, was einem am Ende
keiner mehr glaubt . Dann wird es zu einem Festival, auf
dem man zusammen feiert . Aber das ist nicht die Außenpolitik, die wir uns wünschen .
Ich danke Ihnen .
({5})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die
Kollegin Michelle Müntefering .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen
Sie mich auf die Rolle der beiden zentralen Akteure Iran
und Saudi-Arabien eingehen. Denn häufig wird es so
dargestellt, als würde zwischen Saudi-Arabien und Iran
ein Konflikt eskalieren, der bereits die Anfänge des Islam
geprägt hat und daher seit vielen Jahrhunderten schwelt,
nämlich die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten. Aber von einem Konflikt, wie wir ihn heute kennen,
kann man erst seit 1979 sprechen, seit der Revolution in
Iran, der Moscheebesetzung in Mekka und dem Afghanistan-Krieg .
Beide Staaten versuchen zwar schon seit langer Zeit,
ihre Formen des politischen Islam zu exportieren; aber
viel wichtiger ist die politische Dimension . Beide Regionalmächte versuchen, Machtvakuen zu nutzen, Loyalitäten aufzubauen, den eigenen Einfluss zu stärken und
den Anspruch auf die Führungsrolle in der muslimischen
Welt geltend zu machen .
Nach dem Atomabkommen will Saudi-Arabien seine
starke Stellung in der Region erhalten . Genau deshalb ist
es wichtig, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen
und den Dialog aufrechtzuerhalten . Die Politik der neuen
Machthaber erscheint allerdings zumindest unzuverlässig . Es besteht die Gefahr, dass die Instrumentalisierung
der Sunna und der Schia auch für diese Staaten außer
Kontrolle gerät .
Das verändert natürlich unseren Blick auf die Region .
Im internationalen Kampf gegen Daesh, den sogenannten IS, steigen die Aufmerksamkeit und die Sensibilität
für die Unterstützung salafistischer Gruppen durch Saudi-Arabien . Die anhaltenden massiven Menschenrechtverletzungen in beiden Staaten sind für uns nicht hinnehmbar, und die jüngsten Hinrichtungen sind auch eine
klare Provokation gegen den Iran .
Wir machen klar, dass Menschenrechte ein strategisches Interesse unseres Landes sind; sie müssen es sein .
Selbst wenn wir ganz pragmatisch sind: Es ist gut für uns,
wenn es anderen gut geht . Menschen müssen geschützt
sein vor Gewalt und Tod . Dennoch bleiben Iran und Saudi-Arabien zentrale Akteure im Kampf gegen den IS .
Ich erinnere mich an die letzte Reise von Frank-Walter
Steinmeier in diese Region: Iran, Saudi-Arabien, Jordanien . Hinter vorgehaltener Hand gab es auch damals
Kritik an der Reise . Man hat sich gefragt: Wohin mag das
führen? Ist diese Reiseroute nicht naiv? - Nein, sie war
es nicht; denn wenige Wochen später haben sich beide
Akteure am Verhandlungstisch in Wien wiedergefunden .
Unsere Überzeugung ist und bleibt: Ein Miteinander ist
die weitaus bessere Option als ein Gegeneinander .
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Franziska,
lassen Sie mich als Sprecherin der SPD für Kulturdiplomatie noch ein paar Worte sagen . Die Gesprächskanäle
offenzuhalten, das schaffen wir auch durch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik . Sie ist neben der klassischen Diplomatie und den Wirtschaftsbeziehungen die
dritte Säule; sie ist die sanfte Macht der Außenpolitik .
Sie erreicht die Menschen auch in schwierigen Zeiten .
So ist es seit vielen Jahren auch in Iran - durch studentische Beziehungen, die wir aufrechterhalten und gepflegt
haben .
In Saudi-Arabien wird auf dem Kulturfest ein deutscher Pavillon zu sehen sein . Die Besucher werden darin - so ist die Planung - eine deutsche Stadt finden,
ein Straßencafé, eine Ausstellung von Literatur und die
Übersetzung wichtiger deutscher Grundgesetzartikel .
Die Themen sind „Frauen in der Wirtschaft“ und „Kommunale Selbstverwaltung als politische Mitbestimmung“ .
Ja, auch die deutsche Wirtschaft ist dabei, zum Beispiel
mit dem Thema Elektromobilität; ob da der Whirlpool
hineinpasst, kann ich nicht beurteilen . Die Veranstaltung
soll auch für Frauen geöffnet sein . Es sollen deutsche
Jazzmusikerinnen auftreten, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das ist ein starkes Zeichen in einem Land, in dem
es nahezu kein öffentliches kulturelles Leben gibt .
({1})
Wir werden im Unterausschuss über die inhaltliche Planung noch einmal genauer diskutieren .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie genau hinsehen, dann können Sie den sanften Wandel durch die
Förderung der Kultur erkennen . Der zuständige Minister
des Königshauses, übrigens 35 Jahre alt, hat im Westen
studiert und in Deutschland gearbeitet . Er wurde noch
vom alten König Salman eingesetzt . Mittlerweile gibt es
auch einige Literaturclubs mit Frauen in den Vorständen,
eine Gesellschaft für Kunst und Kultur, Frauentheatergruppen und Medien, die Frauen unverschleiert gezeigt
haben . Für uns in Deutschland mag das furchtbar rückständig erscheinen . Tatsächlich können wir uns so ein
Leben überhaupt nicht vorstellen . Aber diese Beispiele
zeigen die Kraft von Kunst und Kultur, und wir brauchen
sie, auch für unsere diplomatischen Bemühungen .
Für die Anstrengungen, die Konflikte im Nahen und
Mittleren Osten zu entschärfen, vielleicht sogar eines
Tages dabei zu helfen, sie zu befrieden, hat unser Außenminister die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt der Kollege Dr . Norbert Röttgen .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Terror und die vor dem Terror Flüchtenden kommen gleichermaßen aus dem Mittleren und Nahen Osten nach Europa, nach Deutschland . Diese Situation ist
nicht vorübergehend, und auch ihre Auswirkungen auf
Deutschland werden für Jahre zu spüren sein . Ich mache diese Anmerkung ganz ausdrücklich im Kontext der
Flüchtlingsdebatte, die wir führen . Ich glaube, es ist an
der Zeit, die Realität auszusprechen . Das müssen wir
mehr tun .
Wir werden durch die Auswirkungen des Krieges, des
Terrors, des Todes und der Verzweiflung in dieser Region in Deutschland und in Europa so gefordert sein wie
wahrscheinlich nie zuvor, und zwar über Jahre hinweg .
Darum finde ich es übrigens richtig, dass die Koalitionsfraktionen unter anderem diese Debatte beantragt haben .
Wir brauchen mehr öffentliche Debatte . Manche sagen,
das sei so kompliziert . Nein, besonders wegen der Komplexität müssen wir gerade außenpolitische Entscheidungen erklären, weil das für die Akzeptanz von politischen
Entscheidungen, ja von Demokratie und für das Sicherheitsbewusstsein unserer Bürgerinnen und Bürger ganz
entscheidend ist . Wir brauchen mehr Debatte über die
Außenpolitik, weil die Themen so berührend, so existenziell für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind .
({0})
Ich will in der Kürze der Zeit in dieser Aktuellen Stunde auf drei Punkte eingehen, die ich für wichtig halte:
Erstens . Es geht bei der Situation im Nahen Osten im
Kern und immer mehr um unsere Sicherheit . Der Anschlag von gestern hat uns das erneut vor Augen geführt .
Obwohl es um unsere Sicherheit und zum Beispiel nicht
um die Sicherheit der Amerikaner geht, ist unser Einfluss in dieser Region relativ begrenzt. Gemessen an dem
Maß unserer Betroffenheit haben wir keinen sehr großen
Einfluss. Weil wir hier oft darüber reden, was wir alles
machen, wollte ich diese Mahnung zur Bescheidenheit
einmal aussprechen .
Wir haben deshalb nicht viel Einfluss, weil wir in einem zentralen Punkt keine Funktion erfüllen: Europa und
Deutschland sind nicht die Gewährleister von Sicherheit .
Das sind wir im Wesentlichen nicht; doch das ist es, was
diese Region braucht . Diese Tatsache hat zwei Konsequenzen: Zum einen ist und bleibt die Partnerschaft mit
den Vereinigten Staaten, auch wenn das manchen aus
ideologischen Gründen nicht gefällt, in dieser Region
unverzichtbar - bei allen Fehlern, die die amerikanische
Politik gemacht hat . Zum anderen müssen wir uns die
Frage stellen, ob wir bereit sind, unsere Sicherheitsarchitektur, die immer noch sehr stark vom Kalten Krieg
geprägt ist, umzustellen. Wenn wir unsere spezifische
europäische, also nicht die amerikanische, Erfahrung
mit Kriegen, die wir in Jahrhunderten gesammelt haben,
wenn wir diese leidvolle Erfahrung, die am Ende zum
Ausgleich zwischen rivalisierenden Staaten geführt hat,
in dieser Region einbringen wollen, dann brauchen wir
mehr europäische Ressourcen, mehr europäische Fähigkeiten und die Bereitschaft, europäische Ressourcen und
Fähigkeiten in der Region einzusetzen .
({1})
Zweitens . Unsere Priorität muss es sein, die Terrororganisation „Islamischer Staat“ politisch und militärisch zu bekämpfen . Das ist die überragende Priorität .
Daher müssen wir Dinge, die wir sehen, auch aussprechen . Wir sehen - wir haben vor wenigen Wochen ein
entsprechendes Mandat beschlossen -, dass sich der „Islamische Staat“ in Libyen ausbreitet, in einem Staat, der
gar kein Staat ist, weil es dort keine staatliche Autorität,
keine Ordnungsmacht gibt . Der „Islamische Staat“ geht
in dieses Vakuum hinein: Auf Hunderten Kilometern
entlang der Küste wird Menschenhandel betrieben und
werden Angriffe gegen Ölfirmen mit schwerem Gerät
verübt . Wir müssen dieser Gefahr auch dort entgegentreten . Wir können uns nicht damit begnügen, den „Islamischen Staat“ im Irak und in Syrien zu bekämpfen . Wir
müssen den Kampf der internationalen Gemeinschaft auf
Libyen ausweiten . Diese Bemühungen müssen beginnen .
Das auszusprechen und darüber nachzudenken, wie das
geschehen kann, ist der Bundesregierung übrigens nicht
vorzuwerfen .
Ferner müssen wir unsere Verbündeten, unsere Partner für unsere Priorität gewinnen . Die Priorität ist, den
„Islamischen Staat“ zu bekämpfen . Ich will heute wegen
des Anschlages gestern in Istanbul nicht auf die Türkei
eingehen, sondern es dabei bewenden lassen, zu sagen,
dass wir die Türkei für unsere Prioritätensetzung gewinnen müssen, wenn wir erfolgreich sein wollen . Das muss
auch öffentlich ausgesprochen werden dürfen .
Ich möchte abschließend in aller Kürze eine dritte Anmerkung machen, und zwar zum Umgang mit unseren
Partnern . Ich will diese Debatte etwas ablösen von der
Frage des Festivals und über Saudi-Arabien sprechen .
Worum geht es bei Saudi-Arabien? Erstens wissen wir:
Wenn das System zusammenbrechen würde, wäre das
eine Horrorvorstellung für die Region und für die Sicherheit in Europa .
({2})
Zweitens müssen wir lernen, zu verstehen, dass Saudi-Arabien sich von innen und von außen bedroht fühlt .
Jetzt kommt das eigentliche Thema . Die eigentliche
Frage ist nicht, ob die Partnerschaft mit Saudi-Arabien
aufgegeben werden muss . Die eigentliche Frage ist auch
nicht, ob Herr Steinmeier reisen soll oder nicht reisen
soll . Kein Mensch sagt, dass er nicht reisen oder nicht
reden soll . Die eigentlichen Fragen lauten: Wie gehen
wir mit schwerwiegenden Fehlern um, die die saudi-arabische Politik seit einem Jahr unter der neuen Führung
macht, die auch unsere Interessen berühren, indem nämlich versucht wird, der inneren Gefährdung durch äußere
Polarisierung zu begegnen? Wie gehen wir mit dem Vernichtungskrieg im Jemen um, den Saudi-Arabien nicht
begonnen hat, der aber nicht zu gewinnen ist, sondern zur
Zerstörung des Landes führt, der wirtschaftliche, finanzielle und politische Kosten verursacht? Wie gehen wir
damit um, wenn Massenhinrichtungen, die stattgefunden
haben, die an sich schon ein fundamentaler Verstoß gegen unsere Vorstellung von Menschenwürde sind, als politisches Instrument eingesetzt werden?
Herr Kollege Röttgen .
Ich komme zum Schluss . - Angesichts dessen lautet
die Frage nicht, ob es richtig ist, zu reden, sondern die
Frage lautet, ob es richtig ist, zu schweigen .
({0})
Das dürfen wir nicht . Schweigen ist nicht deshalb nicht
richtig, weil wir dadurch mehr oder weniger Einfluss auf
Saudi-Arabien haben . Vielmehr bin ich - das ist meine
letzte Anmerkung - davon überzeugt, dass es, weil die
außenpolitischen Debatten so gravierend werden, für uns
innenpolitisch notwendig ist, dass unsere Bürgerinnen
und Bürger bei den schwierigen Entscheidungen, die wir
getroffen haben und treffen werden, unsere Politik nachvollziehen können . Dafür benötigt sie ein Mindestmaß an
Konsistenz, an Glaubwürdigkeit und Plausibilität sowie
eine Vermeidung von Doppelstandards .
Der IS setzt genau dieses Instrument ein . Das führt Sie
zur Diffamierung, dass der IS und Saudi-Arabien gleichzusetzen sind . Das ist eine Diffamierung . Diese Diffamierung dürfen wir nicht zulassen .
({1})
Wir müssen ihr dadurch begegnen, dass wir auch offen
Kritik an unseren Partnern üben, ohne die Partnerschaft
selbst infrage zu stellen . Das ist meine Position zu diesem Thema .
({2})
Vielen Dank . - Ich darf vielleicht noch einmal da ran
erinnern, dass in der Aktuellen Stunde die Redezeit von
fünf Minuten nicht überschritten werden soll . Fünf ist
immer noch fünf, auch wenn dies eine emotionale Debatte ist und man für eine Überziehung der Redezeit sicherlich Verständnis hat .
Frau Kollegin Dr . Ute Finckh-Krämer für die
SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Ich
als Mathematikerin werde mein Bestes tun, um die Redezeit von fünf Minuten einzuhalten .
Ich möchte über das reden, was in Bezug auf Menschenrechte und humanitäre Hilfe in der Region Naher und Mittlerer Osten notwendig ist . Ich möchte auf
diejenigen hinweisen, die heute noch gar nicht genannt
wurden, nämlich die vielen Organisationen, die sich im
Bereich der Menschenrechte oder im Bereich der humanitären Hilfe als Kritiker in unserer Region, aber eben
auch in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen in
den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens engagieren .
Dazu gehören im Bereich der humanitären Hilfe der
Koordinierungsausschuss und die darin zusammengeschlossenen Organisationen, unterstützt vom Auswärtigen Amt . Im Menschenrechtsbereich haben wir Organisationen wie Amnesty International und Human Rights
Watch . Amnesty International stand das letzte Mal am
vergangenen Freitag vor der saudischen Botschaft und
hat mit 100 Demonstrantinnen und Demonstranten gegen
die Todesurteile und gegen die schweren Strafen für Regimegegner oder kritische Blogger wie Raif Badawi und
Walid Abu al-Chair demonstriert . Das ist gut und wichtig . Das ist auch Teil unserer Kultur, die wir gegenüber
Saudi-Arabien oder auch gegenüber dem Iran darstellen .
Ich möchte an dieser Stelle auch unserem Beauftragten für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Christoph
Strässer, danken, der in seiner Doppelfunktion als Abgeordneter und als Menschenrechtsbeauftragter im Auswärtigen Amt die schwierige Aufgabe hat, Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des humanitären
Völkerrechts zu kritisieren, wohl wissend, dass er damit
manchmal andere Schwerpunkte setzen muss als der Außenminister .
Wir haben in beiden Bereichen das Gefühl, dass wir
statt einer Best Practice, die von Land zu Land weitergegeben wird, eher eine Worst Practice haben . Das gilt
in Bezug auf die Todesstrafe für politische Gegner unter
dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung . Das gilt auch
da, wo die Verletzung religiöser Vorschriften mit drakonischen Strafen bis hin zur Todesstrafe geahndet wird .
Wir haben eine Weitergabe von Worst Practice zwischen
Ländern wie dem Iran, Pakistan und Saudi-Arabien auch
da, wo es um Hinrichtungen von zur Tatzeit Minderjährigen geht . Es ist manchmal eine schwere Aufgabe, dann
Menschenrechtspolitik zu machen .
Heike Hänsel, die Frage, ob man an die Türkei 3 Milliarden Euro für die dort lebenden 2 Millionen Flüchtlinge gibt, sollten wir von der Frage des türkischen Regimes trennen . Solange wir sicherstellen können, dass
die humanitäre Hilfe dort nach den Prinzipien der Unabhängigkeit, der Unparteilichkeit, der Menschlichkeit und
der Neutralität vergeben wird, so lange kann und muss es
egal sein, was im Augenblick mit dem Regime passiert .
Das müssen wir in der Tat prüfen und kontrollieren . Ich
glaube, das können wir auch .
({0})
- Die Frage, was in welche Regionen geht, ist eine der
Fragen, die man dann wieder in diplomatischen Gesprächen klären muss . Wir wissen zum Beispiel, dass in Syrien - auch hier kam von Ihrer Fraktion immer wieder
der Vorwurf, dass nicht alle Regionen gleichermaßen bedacht werden - über verschiedene Partnerorganisationen
tatsächlich verschiedene Regionen erreicht wurden . Ich
denke, das kann die EU auch in Bezug auf die Türkei
schaffen .
Ich möchte noch auf den Jemen hinweisen . Herr
Röttgen sprach gerade - ich habe es nicht mehr genau in
Erinnerung - von einem Krieg, der nicht gewonnen werden kann . Im Jemen gibt es eine noch größere humanitäre
Katastrophe als in Syrien . Wir nehmen sie aber nicht so
sehr wahr, weil kaum Nachrichten nach außen dringen .
({1})
Aber auch das ist etwas, was wir in Gesprächen anführen
müssen . Denn diese humanitäre Katastrophe - das ist das
Absurde - trifft nicht nur die Minderheit, die diesen Bürgerkrieg mit in Gang gesetzt hat, sondern auch die Bevölkerungsmehrheit, die angeblich von dem Präsidenten,
der Saudi-Arabien zu Hilfe gerufen hat, vertreten werden
soll . Das ist ein weiterer Punkt, bei dem wir uns einsetzen
müssen .
Danke .
({2})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Elisabeth
Motschmann, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Gestern Istanbul, vorgestern Bagdad, Homs, Aleppo,
Tikrit, die Hungerstadt Madaja - es gibt viele Orte, die
wir inzwischen verbinden mit islamistischem Terror, mit
Tod und Schrecken, mit Menschenrechtsverletzungen,
mit Flucht und Vertreibung, mit Köpfung, mit Vergewaltigung, mit unendlichem Leid . Diese Orte haben sich
in unsere Erinnerung fast eingebrannt . Aber was ist mit
den Menschen? Es sind zu viele; wir kennen ihre Namen
nicht . Aber wir denken an sie, heute natürlich ganz besonders an die Opfer gestern in Istanbul .
Wenn wir von dramatischen Menschenrechtsverletzungen im Nahen und Mittleren Osten sprechen, gehört
Saudi-Arabien selbstverständlich dazu; das will ich hier
ausdrücklich sagen . Die Vorgänge, zu denen es dort kürzlich gekommen ist, nämlich die Hinrichtung von 47 Menschen, unter ihnen ein schiitischer Geistlicher, und - ganz
aktuell - die gestrige Festnahme von Samar Badawi, der
Schwester des Bloggers, der schon eine Strafe bekommen hat, die überdimensional und durch nichts zu rechtfertigen ist, sind mit Blick auf die Stabilisierung und den
Friedensprozess in dieser Region herbe Rückschläge; das
wissen wir .
Darüber hinaus wird die Region durch die unterschiedlichsten Interessenlagen destabilisiert . Es geht
um territoriale Interessen, geostrategische Interessen der
Großmächte, religiöse Interessen der verschiedenen islamischen Strömungen, wirtschaftliche Interessen oder
auch nur um den Machterhalt eines Königshauses . Wenn
wir zur Stabilisierung und Befriedung der Region beitragen wollen - und das muss ja das Ziel aller Politik sein -,
dann müssen wir selbstverständlich alle Maßnahmen und
Antworten, die wir geben, immer wieder von Neuem
überprüfen und uns fragen, ob sie richtig und angemessen sind .
Die Bundesrepublik agiert im Rahmen der Völkergemeinschaft auf drei Ebenen: erstens mit politischen Verhandlungen, zweitens mit militärischen Interventionen
und drittens mit humanitärer Hilfe . Alle drei Ebenen gehören zusammen .
Die politischen Verhandlungen sind notwendig . Wir
setzen unsere Hoffnungen auf den Wiener Prozess, weil
dort alle, die an diesem schrecklichen Krieg beteiligt
sind, an einem Tisch sitzen . Auch die Gespräche der
Bundeskanzlerin mit der Türkei und in der Türkei sind
natürlich wichtig und richtig, weil es um die Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in den Lagern geht .
Ohne die Türkei können wir nichts machen . Allerdings
wissen wir alle, mit wem wir es da zu tun haben .
Schließlich ist hier auch die Reise des Außenministers zu einem Kulturfestival anzusprechen . Ich sage ganz
ausdrücklich: Natürlich ist diese Reise richtig . Ich war
in Bremen viele Jahre Staatsrätin für Kultur, habe Austauschprojekte und Festivals in unterschiedlichen Ländern mitorganisiert und mitgestaltet und weiß, dass Kultur Türen öffnet und auch Brücken baut . Insofern muss
man eine solche Gelegenheit natürlich nutzen .
Herr Gehrcke, all dies zusammen ist vernünftige Außenpolitik, und es ist eben auch ernsthafte Außenpolitik,
Frau Hänsel; Sie haben das ja angemahnt .
({0})
Ich sage aber auch ausdrücklich: Die militärischen
Maßnahmen sind leider auch notwendig . Wir unterstützen diesen Prozess, indem wir die Peschmerga ausbilden,
aufklären, die Luftbetankung in Syrien durchführen Herr Gehrcke, das ist wichtig, auch wenn Sie es nicht
verstehen ({1})
und Schutz durch die Entsendung unserer Fregatte gewährleisten . Das sind wichtige Punkte .
Frau Wagenknecht ist jetzt nicht mehr hier . Sie hat in
einem dpa-Interview etwas Schlimmes gesagt, und ich
will das hier noch einmal wiederholen, damit uns das allen deutlich wird . Sie hat gesagt:
Natürlich ist es kein geringeres Verbrechen, unschuldige Zivilisten in Syrien mit Bomben zu ermorden, als in Pariser Restaurants und Konzerthäusern um sich zu schießen . Das eine ist individueller,
das andere staatlich verantworteter Terror .
({2})
Das ist eine unglaubliche Äußerung von Frau
Wagenknecht . Das, was unsere Soldaten tun, ist kein
staatlich verordneter Terror .
({3})
Wir schicken unsere Soldaten doch nicht in Terroreinsätze .
({4})
Wir setzen daher auf den angesprochenen Dreiklang und
diese unterschiedlichen Maßnahmen .
Ich kann hier nur auch noch einmal die humanitäre
Hilfe als dritten Pfeiler unserer Politik benennen . Sie ist
natürlich auch wichtig. Die Menschen fliehen, weil sie
keine Existenzgrundlage mehr haben und weil es in den
Flüchtlingslagern keine Überlebenschance und Perspektive gibt . Deshalb macht man sich auf die Flucht . Ich
würde es genauso tun .
Frau Kollegin .
Ich weiß, ich muss aufhören . Ich tue das aber sehr ungern, weil alle Männer sechs Minuten geredet haben .
Die haben Sie jetzt schon überschritten, Frau Kollegin .
({0})
Okay . - Dann sage ich am Ende nur Folgendes:
Sie können aber nicht noch weit ausholen . Kommen
Sie jetzt bitte zum letzten Satz .
- Wir werden nicht nur an dem gemessen, was wir tun,
sondern auch an dem, was wir versäumen . Darüber sollten Sie, die Linken, bitte einmal nachdenken .
({0})
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
({1})
Zur Ehrenrettung der Männer muss ich einmal sagen,
dass die meisten Männer heute ihre Redezeit sogar unterschritten haben .
Der letzte Redner, der das jetzt vorbildlich machen
kann, ist der Kollege Alexander Radwan für die CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Ich werde versuchen, dem nachzukommen . - Wir führen jetzt eine Debatte unter der Überschrift „Aktuelle Lage im Nahen und Mittleren Osten“,
und zumindest teilweise debattieren wir schwerpunktmäßig darüber, ob unser Außenminister zu einem Kulturfestival fahren soll oder nicht . Ich würde der Erste sein, der
ihn dazu auffordert, das nicht zu tun, wenn ich der festen
Überzeugung wäre, dass die Situation in dieser Region
dadurch besser würde .
Meine Damen und Herren, indem wir Außenpolitik
unter innenpolitischen Aspekten betreiben, tun wir hier
teilweise das, was wir in diesen Ländern zutiefst verurteilen und schlimm finden. Wir sollten Außenpolitik in
diesem Hohen Hause so betreiben, dass wir versuchen,
diese Region zu verstehen .
Mit großer Euphorie sind wir dem Arabischen Frühling begegnet, Frau Brantner . Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sollten kommen .
({0})
Jetzt haben wir aber die Konflikte in der Türkei, in Syrien, im Irak, im Iran, in Libyen, im Jemen und in Saudi-Arabien . In dieser Zeit ist die Region instabiler geworden, nicht stabiler .
Heute hatten wir im Auswärtigen Ausschuss - diejenigen, die dabei waren, können sich sicher daran erinnern - eine Diskussion über die Frage, ob Saudi-Arabien
ein Stabilitätsfaktor bzw . Stabilitätsanker ist . Es gab viele Wortmeldungen zur Frage: Ist Saudi-Arabien in dieser
Region ein strategischer Partner oder nicht?
({1})
Ich habe gerade Libyen, den Irak, den Iran und die Türkei erwähnt und frage mich, was denn passiert - Herr
Nouripour hat die innenpolitische Situation Saudi-Arabiens und die fragile Situation des Königshauses eindrucksvoll dargestellt -, wenn Saudi-Arabien jetzt wegbricht . Glaubt denn irgendeiner in diesem Hohen Hause,
dass dann die Welt dort unten besser bzw. stabiler wird?
Oder werden dann die Probleme nicht noch größer?
({2})
Jetzt müssen wir schauen, dass wir mit dem dort Möglichen entsprechend Politik machen . Man kann immer
wunderbar auf den anderen zeigen . Die Situation ist aber
schwieriger geworden, was auch Folgen für Deutschland
und Europa haben wird .
Es wurde erwähnt, dass der ägyptische Außenminister
hier zu Gast ist . Ich habe ihn gestern Abend gefragt, wie
er denn die Situation in Bezug auf Saudi-Arabien einschätzt . Ich habe vor einiger Zeit mit dem Botschafter
der Vereinigten Arabischen Emirate gesprochen . Das ist
keine bilaterale Angelegenheit zwischen Saudi-Arabien
und Deutschland . Hier geht es um arabische Solidarität
in dieser Region .
Wenn wir darüber nachdenken, was passiert ist oder
nicht passiert ist, komme ich nach allen Diskussionen zu
dem Ergebnis, dass das Atomabkommen mit dem Iran
natürlich eine Herausforderung ist . Wir sollten es dennoch machen, weil es Chancen bietet . Mich überraschen
aber diejenigen, die über das überrascht sind, was jetzt in
den Golfstaaten passiert . Denn das hatte sich angekündigt . Wir sind dabei, die arabischen Länder in diesem
Prozess zu verlieren .
Wir brauchen aber die Türkei, Saudi-Arabien und den
Iran, um überhaupt Lösungen zu finden. Es kann nichts
Schlimmeres passieren, als diese Länder in diesem Prozess zu verlieren . Jedem hier fällt etwas ein, was dort zu
kritisieren wäre . Wir sollten aber nicht argumentieren
nach dem Motto: Die einen sind für Menschenrechte und
die anderen nicht . Vielmehr stellt sich die Frage, wie wir
die Beteiligten erreichen und ein wenig mehr Stabilität in
diese Region bringen können .
({3})
Frau Brantner, damit bin ich bei dem Thema, das Sie
angesprochen haben . Richtig, der ägyptische Außenminister ist hier in Berlin . Und ich bin froh, dass er hier
ist . Das ist wichtig, weil Ägypten noch ein Faktor werden könnte . Wenn wir über Saudi-Arabien nachdenken,
müssen wir auch berücksichtigen, dass dieses Land zurzeit den Libanon, Jordanien, Palästina und Ägypten finanziert . Das alles wissen Sie . Wenn sich Saudi-Arabien
zurückzieht, dann wird die Welt da unten nicht besser .
Wir müssen alles unternehmen, damit die Menschen
in dieser Region eine Perspektive bekommen und wieder ein Stück weit hoffen können . Deshalb spreche ich
mit dem ägyptischen Außenminister . Darum werde ich
auch wieder nach Ägypten reisen und versuchen, den
Menschen mit Hilfe aus Deutschland ein Stück weit eine
Perspektive zu geben .
Wenn wir dort einen Schritt weiterkommen wollen,
dann geht das nur mit Reiseaktivitäten und im Dialog miteinander . Danach können wir über die nächsten
Schritte reden . Es geht aber nicht durch Abbruch von Beziehungen, wie hier durch den „Außenminister der Linken“ argumentiert wird . Und wenn Fischer so gehandelt
hätte, wie hier angemahnt wird, hätte er höchstens innerhalb Deutschlands reisen dürfen .
Besten Dank für die Aufmerksamkeit .
({4})
Vielen Dank . - Damit sind wir nicht nur am Ende der
Aktuellen Stunde angekommen, sondern auch unserer
heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14 . Januar 2016,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen