Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/17/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich und gratuliere vor Eintritt in die Tagesordnung nachträglich der Kollegin Birgit Wöllert zu ihrem 65 . Geburtstag und der Kollegin Renate Künast zu ihrem 60 . Geburtstag . ({0}) Alle in den letzten Tagen schriftlich und mündlich mehrfach vorgetragenen guten Wünsche werden hiermit noch einmal ausdrücklich bekräftigt und im Protokoll des Bundestages festgehalten . Das begründet beinahe einen Rechtsanspruch auf die Einlösung der Wünsche, die Ihnen bereits vorgetragen worden sind . Als heimlichen Höhepunkt des auslaufenden parlamentarischen Jahres müssen wir jetzt zunächst noch drei neue Schriftführer wählen . Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, die Kollegin Bettina Kudla anstelle der Kollegin Maria Michalk, die Kollegin Gudrun Zollner für den Kollegen Alexander Hoffmann und den Kollegen Tobias Zech für den Kollegen Dr. Wolfgang Stefinger als Schriftführer zu wählen . Könnten Sie sich ohne Vorstellung und Befragung mit diesen gerade Vorgeschlagenen einverstanden erklären? ({1}) - Zögernd, aber am Ende doch . ({2}) Ich bedanke mich für die einmütige Zustimmung zu diesen Vorschlägen und beglückwünsche die Kolleginnen Bettina Kudla und Gudrun Zollner sowie den Kollegen Tobias Zech zu ihren neuen Aufgaben als Schriftführer . Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae, Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt sicherstellen Drucksache 18/6884 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({4}) Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Ressourcenverschwendung stoppen - Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfähig ausgestalten Drucksache 18/7047 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({6}) a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 267 zu Petitionen Drucksache 18/7063 b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 268 zu Petitionen Drucksache 18/7064 c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 269 zu Petitionen Drucksache 18/7065 d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 270 zu Petitionen Drucksache 18/7066 e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 271 zu Petitionen Drucksache 18/7067 ZP 3 Wahl der Mitglieder des Beirates der Stiftung Datenschutz Drucksache 18/7060 ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Ergebnisse der UN-Klimakonferenz in Paris ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Dietmar Bartsch, Dr . Sahra Wagenknecht, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Antrag auf NPD-Verbot jetzt unterstützen Drucksache 18/7040 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({12}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- weit erforderlich, abgewichen werden . Der Tagesordnungspunkt 14 - hier geht es um den Antrag zur Ausgestaltung der Patientenberatung - wird heute abgesetzt . Auch hier würde ich gerne Ihr Einvernehmen feststel- len . - Das ist der Fall . Dann haben wir die veränderte Tagesordnung so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2015 Drucksache 18/4310 hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/6830 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({13}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2015 Drucksache 18/4310 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({14}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss Digitale Agenda Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Auch das stößt erkennbar nicht auf Widerspruch . Also können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr . Stefan Kaufmann für die CDU/ CSU-Fraktion . ({15})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In einer Woche ist Weihnachten, und deshalb könnte man schon einmal fragen, was Weihnachten mit dem Thema unserer heutigen Debatte zu Forschung und Innovation verbindet . Beides lebt von der Neugier . Denn was wäre Weihnachten ohne die kindliche Neugier, und was wäre Forschung ohne Neugier? ({0}) „Forschung aus Neugier ist am produktivsten“, heißt es . Ohne Neugier keine Entdeckung Amerikas, kein wahrgewordener Menschheitstraum vom Fliegen und kein Mann auf dem Mond . „Neugier ist der Anfang von allem“, stellte schon Platon fest, und Albert Einstein sagte: Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig . Deshalb muss auch die Politik alles dafür tun, Neugier zu fördern und zu beflügeln - beginnend in der Kita und in der Schule und später an unseren Hochschulen und bei der Setzung von Rahmenbedingungen für Forschung und Innovation . Wodurch wird Neugier gespeist? Durch drei Faktoren: Neues, Komplexität und Überraschung . Wir müssen also Neuartiges zulassen, indem wir zum Beispiel die Grundlagenforschung starkmachen und Technologieoffenheit fördern . Wir müssen Komplexität schaffen und ordnen, beispielsweise durch fächerübergreifendes Lernen, ClusPräsident Dr. Norbert Lammert terbildung und Forschungsverbünde . Wir müssen Überraschungen im Lern- und Forschungsprozess als Chance betrachten . Man könnte auch von disruptiver Innovation sprechen . In der Hoffnung, Sie etwas neugierig gemacht zu haben, komme ich nun zum Kern dieser Debatte, zur Frage, was die Politik getan hat und was sie tun kann . Klar ist, dass wir noch mehr als bisher für unsere Innovationsfähigkeit, Forschungsförderung und Wettbewerbsfähigkeit tun müssen . Zwar sieht es so schlecht in Deutschland natürlich nicht aus . Wir als Koalition haben viel getan; das bestätigt auch das EFI-Gutachten, über das wir heute hier zur Primetime diskutieren, so wie es sich für dieses wichtige Thema gehört . ({1}) Das Gutachten liest sich in seiner Bewertung der deutschen Forschungs- und Innovationslandschaft fast wie eine vorweihnachtliche Bescherung . ({2}) Zu verdanken ist das aber nicht dem Weihnachtsmann, sondern vor allem dem BMBF und uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Bundestag als Haushaltsgesetzgeber . Allein im zu Ende gehenden Jahr hat die Politik folgende zentrale Weichenstellungen vorgenommen, die im Gutachten ausdrücklich gelobt werden: erstens die Aufhebung des Kooperationsverbots im Hochschulbereich, ({3}) zweitens die Übernahme der Finanzierung des BAföG durch den Bund, drittens die Weiterführung des Hochschulpaktes und der DFG-Programmpauschale und viertens die Fortführung des Paktes für Forschung und Innovation . ({4}) Allein die drei zuletzt genannten Bund-Länder-Programme, meine Damen und Herren, umfassen bis 2020 ein zusätzliches Finanzvolumen von sage und schreibe 25,3 Milliarden Euro . Weiterhin begrüßen die Experten im EFI-Gutachten die Aufsetzung der neuen Hightech-Strategie und die Einführung der Digitalen Agenda . Im Haushalt setzen wir zudem eine klare Priorität für Bildung und Forschung . Der Aufwuchs in 2016 beträgt 7 Prozent oder 1,1 Milliarden Euro . Damit beläuft sich der Etat dann auf 16,4 Milliarden Euro . Sie wissen: Das ist eine Verdopplung in den letzten zehn Jahren . Doch wie wirken sich unsere Bemühungen auf die Innovationsindikatoren aus? Die Forschungs- und Entwicklungsintensität in Deutschland, also das Verhältnis von FuE-Ausgaben zum Bruttoinlandsprodukt, lag 2013 bei 2,85 Prozent und damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von 2,02 Prozent . Möchte Deutschland allerdings langfristig zu den führenden Innovationsnationen aufschließen, müssen wir für das Jahr 2020 etwa 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung anpeilen . Fakt ist: Wir müssen hart daran arbeiten, nicht den Anschluss zu den Innovationssupermächten Israel, USA und Südkorea zu verlieren . Dabei ist das Potenzial in unserem Land vorhanden . Ein Beispiel: Nur in Japan und in den USA werden mehr Patente angemeldet als hier . Aber wir müssen dieses Potenzial auch nutzen . Hans-Jörg Bullinger, der ehemalige Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, hat einmal treffend gesagt: Erfinden allein nützt nichts. Wir haben in Deutschland viel erfunden, aber nichts daraus gemacht . Der MP3-Player ist dafür nur eines von vielen Beispielen . Zwar verdient die Fraunhofer-Gesellschaft heute gut an den Lizenzen. Produktion und Wertschöpfung finden jedoch anderswo statt . Was also sollen und was können wir tun, meine Damen und Herren? Die EFI-Gutachter haben die zentralen Herausforderungen benannt . Beispiel Wagniskapital: Wagniskapital ist eine wichtige Finanzierungsquelle für junge, innovative Unternehmen, insbesondere wenn die Start-up-Phase vorbei ist und es darum geht, zu wachsen, also die sogenannte Seed-Finanzierung bis hin zum Prototyp . Natürlich ist es nicht damit getan, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern, und auf einmal wird aus einem kleinen Berliner Start-up Facebook oder Google . Aber um Ihnen eine Größenordnung zu geben: Die fünf mit Wagniskapital finanzierten IT-Unternehmen Amazon, Facebook, Google, Apple und Microsoft haben zusammen eine größere Marktkapitalisierung als alle 30 DAX-Unternehmen zusammen . Während bei uns rund 0,02 Prozent des BIP als Wagniskapital zur Verfügung stehen, ist es in den USA mit 0,17 Prozent fast das Zehnfache und in Israel sogar fast das 20-Fache unseres Wertes . Das heißt, meine Damen und Herren: Wir vergeben wichtige Wachstums- und Produktivitätspotenziale . Die diversen Maßnahmen der Bundesregierung, um neue Potenziale zu heben, sind daher aus meiner Sicht ausdrücklich zu begrüßen, beispielsweise die Steuerfreistellung des INVEST-Zuschusses für Wagniskapital oder die Verbesserung der EXIST-Förderung für Gründerteams aus Hochschulen . Ähnlich erfolgreiche Instrumente wie das EXIST-Programm sollten wir übrigens auch für Existenzgründer aus der Wirtschaft entwickeln . Ausdrücklich begrüßen will ich auch das aktuelle Vorhaben der Bundesregierung, über den Europäischen Investitionsfonds einen Fonds für die Wachstumsfinanzierung deutscher Start-ups in Höhe von 500 Millionen Euro aufzulegen . Dieser Fonds soll nächste Woche endgültig beschlossen werden . Weitere denkbare Instrumente sind die Möglichkeit, Verluste bei gescheiterten Investitionen steuerlich abzuschreiben, Mezzanine-Finanzierungen über Geschäftsanteile auszuweiten oder die Erleichterung der Start-up-Finanzierung über Versicherungen und Pensionsfonds . Auch die Berücksichtigung von Start-up-Firmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe könnte das Gründen attraktiver machen und den Anfang erleichtern . Dazu müssen wir aber unser striktes Vergaberecht angehen . Das sind übrigens alles Punkte, die ich gestern bei einem Besuch im sehr beeindruckenden Charlottenburg Innovation Centre am Ernst-Reuter-Platz mit Start-up-Unternehmen diskutiert habe . Ich will aber auch eines deutlich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Unser Weg in Deutschland kann keine Kopie des Silicon Valley sein . Dort geht es den vielen Risikokapitalgebern in einer riesigen Investorenlandschaft vor allem darum, Start-ups zu fördern, die nach möglichst kurzer Zeit Gewinn machen und dann verkauft werden können . Unsere Stärke in Deutschland ist der innovative Mittelstand, der Start-ups als langfristige Partner im B2B-Bereich sieht und nicht auf einen schnellen Verkauf der Start-up-Unternehmen aus ist . ({5}) Deshalb ist unsere wichtigste und vornehmste Aufgabe auch in der Politik, diese Partner zusammenzubringen, um Start-up-Center, Hubs und Acceleratoren zu unterstützen . Und noch eines: Wir sollten uns bei der Start-up-Förderung auf regionale Stärken fokussieren . Es macht keinen Sinn, an jedem Ort in Deutschland jedes Start-upThema zu finanzieren. Was ist noch zu tun? Der im Rahmen der Digitalen Agenda geplante Ausbau der digitalen Infrastruktur wird für Wirtschaft und Forschung dringend benötigt, Stichwort „Big Data“. Deshalb muss die flächendeckende Versorgung mit Bandbreiten von mindestens 50 Megabit realisiert und zeitnah sichergestellt werden . Ich hoffe, dass wir damit zeitnah ein ganzes Stück vorankommen . Dabei sollte vor allem die Digitalisierung der Leitindustrien im Vordergrund stehen . Ich hatte ganz zu Beginn von der Technologieoffenheit gesprochen . Erinnern Sie sich an die folgenden Worte? Innovationsfähigkeit fängt im Kopf an, bei unserer Einstellung zu neuen Techniken, zu neuen Arbeits- und Ausbildungsformen, bei unserer Haltung zur Veränderung schlechthin . Ich meine sogar: Die mentale und die intellektuelle Verfassung des Standorts Deutschland ist heute schon wichtiger als der Rang des Finanzstandorts oder die Höhe der Lohnnebenkosten . Die Fähigkeit zur Innovation entscheidet über unser Schicksal . Dies sind nicht meine Worte; es ist ein Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog aus seiner berühmten Ruck-Rede 1997 . Genau dies trifft einen besonderen Punkt: Wie können wir Mut zum Risiko, Mut zur Veränderung, Mut zum neuen Ausprobieren fördern? Wie können wir noch mehr Begeisterung für Forschung auslösen? Warum wird Forschung nicht öfter im Fernsehen debattiert? Dass Forschung heute hier um 9 Uhr als Tagesordnungspunkt 1 debattiert wird, ist vor diesem Hintergrund außerordentlich zu begrüßen . Ich werte es als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk der Fraktionsführungen an uns Forschungspolitiker . ({6}) Aber ein solches Geschenk würde ich mir noch öfter wünschen .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Kaufmann, über die Tagesordnung entscheiden der Ältestenrat und das Plenum . Insofern sind Dank und Adressen an die Fraktionsführungen zwar immer zulässig, aber ein bisschen übertrieben . ({0})

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein solches Geschenk des Präsidiums würde ich mir natürlich öfter wünschen; denn die Forschung - das wiederhole ich gerne - ist zentral für unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit auch für unseren künftigen Wohlstand . Das müssen wir auch in der politischen und medialen Kommunikation noch deutlicher machen . Auch die Exzellenzinitiative ist für mich ein ganz wichtiger Baustein für den Innovationsstandort Deutschland . Nur mit internationaler Ausstrahlungskraft werden wir dauerhaft erfolgreich die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Welt anlocken können . Neben einer soliden Grundfinanzierung unserer Hochschulen gehört für mich dazu insbesondere die internationale Strahlkraft unseres Standorts . Wir brauchen Aushängeschilder . Lassen Sie mich auch das noch sagen: Internationale Sichtbarkeit bekommen wir nicht, wenn wir 300 Fächer oder Cluster mit Bundesgeldern fördern, und auch nicht, wenn wir 98 ganze Universitäten mit je 500 000 Euro fördern . Exzellenz bedeutet in der Spitzengruppe vier bis fünf Standorte, die von Weltrang sind und damit sozusagen Leuchttürme der deutschen Forschungs- und Wissenschaftslandschaft . Als Fazit möchte ich drei zentrale Maßnahmen vorschlagen: Erstens: bessere Rahmenbedingungen für Wagniskapital, Forschungsförderung und exzellente Universitäten und vor allem schnellere Entscheidungen, um ein günstiges Umfeld für Innovationen zu schaffen . Wir müssen schneller werden; das war auch das zentrale Ergebnis eines CDU/CSU-Fraktionskongresses zur Innovation vorletzten Monat .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zweitens: ein Bekenntnis zum Innovationsstandort . Technikbegeisterung fängt in der Politik an . Deshalb TOP 1 für Forschung: So kann es weitergehen . Drittens: mehr Geld . Angesichts von 4 Prozent FuE-Investitionen in Südkorea und sogar über 5 Prozent in Baden-Württemberg sollten wir der EFI-Kommission folgen und 3,5 Prozent als FuE-Ziel anpeilen . ({0}) Auf meiner Wunschliste für einen nächsten Koalitionsvertrag steht es auf jeden Fall . Das wäre etwas für die internationale Strahlkraft des Hightech- und Innovationssuperstandortes Deutschland: 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Innovation .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine gesegnete Weihnachtszeit und weiterhin viel Neugier . ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es wäre schön, wenn die Begeisterung der Forschungspolitiker jetzt nicht regelmäßig mit einer besonders großzügig selbst bemessenen Redezeit zum Ausdruck gebracht werden müsste . Nächster Redner ist der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke . ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr . Kaufmann, es ist schön, dass Sie so loben, dass wir darüber zur Primetime diskutieren . Forschung ist wichtig . Deswegen hat die Bundesregierung wohl zehn Monate gebraucht, um sich eine Meinung über das Expertengutachten zu bilden . Das traf nämlich schon im Februar ein . Im Ausschuss wurde es am 25 . Februar dieses Jahres vorgestellt, und schon nach zehn Monaten debattieren wir im Bundestag . ({0}) Im Schneckentempo ging es vorwärts . Plötzlich, holterdiepolter, setzen Sie dieses Thema zur besten Debattenzeit kurz vor Weihnachten auf die Tagesordnung . Warum wohl? ({1}) Seit Jahren steht das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in der Kritik . 80 Prozent der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten mit befristeten Verträgen . Die Hälfte der Verträge ist kürzer als ein Jahr . Das Wichtigste für Forschung und Innovation sind aber unsere Nachwuchswissenschaftler . ({2}) Geringe Verdienste in Teilzeit und unsichere Zukunftsaussichten wegen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes machten aus dem Traumjob Wissenschaft oft einen Alptraum . Im Frühjahr, zur GEW-Konferenz, versprachen alle im Bundestag vertretenen Parteien, dieses Gesetz zu verbessern . Betroffene, GEW, Verdi und die Linke fordern drei Jahre Mindestvertragslaufzeit für Doktoranden, ({3}) zwei Jahre Mindestlaufzeit für sonstige Befristungen, mehr Familienfreundlichkeit und vor allem garantierte Arbeitszeitanteile für die Qualifikation. Diese Forderungen sind gut und richtig . ({4}) Hunderttausende Betroffene warten sehnsüchtig auf die Korrektur des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes . ({5}) SPD und Union versprachen Besserung . Versprochen, gebrochen! Heute Abend gegen 20 Uhr werden Sie in 25 Minuten Ihre peinliche Änderung durchpeitschen, die im besten Fall den Missbrauch erschwert . Sie sind zu feige, sich in einer echten Debatte und zu diesem Zeitpunkt unseren Argumenten und Ihrem Versagen beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu stellen . ({6}) Deshalb haben Sie den Tagesordnungspunkt zum Expertengutachten aufgesetzt . Wie erbärmlich! ({7}) Nun zum Bericht der Bundesregierung . Forschung und Innovation sind unbestritten wichtig . Das Expertengutachten beschreibt Erfolge und Defizite. Letzteres fehlt rein zufällig im Bericht der Bundesregierung . Der Anteil der Forschungsausgaben am Umsatz kleiner und mittlerer Unternehmen sinkt seit Jahren . Wenn wir über den Mittelstand sprechen, dann reden Sie davon, dass er das Rückgrat unserer Wirtschaft ist . Aber an dieser Stelle haben Sie versagt . Das muss sich wieder ändern . Deswegen muss das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand deutlich mehr Geld erhalten . Die Forschungskooperationen mit Fachhochschulen müssen deutlich ausgebaut werden . Man darf sich nicht wie Sie nur auf die Spitzenforschung konzentrieren . ({8}) Die Regierung schwärmt von Industrie 4 .0 und der digitalen Vernetzung der Gesellschaft . Cyberkriminelle verursachen unserer heimischen Wirtschaft jährlich Schäden von mehr als 50 Milliarden Euro . Die Verluste der Firmen kosten gleichzeitig Millionen an Steuergeldern . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich zitiere ohne Namensnennung aus einer von vielen Mails der letzten Monate: Sollten Sie heute von der E-Mail-Adresse . . . @gmail . com eine Mail erhalten, bitten wir Sie, diese zu löschen . Es handelt sich um einen Spamaccount . Mit freundlichen Grüßen Mitarbeiter im Abgeordnetenbüro Platz der Republik 1 Der Bundestag war im Frühsommer Ziel eines Cyberangriffs . Ein Trojaner killt Daten öffentlicher Behörden in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern . Im Expertenbericht wird dieses Problem benannt . Und die Reaktion der Bundesregierung? Ganze 36 Millionen von 15 Milliarden Euro Forschungsmitteln geben Sie für IT-Sicherheitsforschung aus . Folgen Sie den Empfehlungen Ihrer Experten: Mehr Geld für zivile Datensicherheit! ({9}) Das hilft den Unternehmen und bringt auch mehr Steuermittel . Gleich im ersten Punkt fordert das Expertengutachten eine bessere und gleichmäßigere Forschungsförderung . Recht haben die Experten . Die Vergabe von Forschungsmitteln nach Exzellenzinitiativen ist ungerecht . Als Techniker rechne ich gern nach: Baden-Württemberg erhält pro Jahr 120 Millionen Euro Exzellenzmittel; das macht 11 Euro je Einwohner . Rheinland-Pfalz erhält 4 Millionen Euro; das macht 1 Euro je Einwohner . Meine Heimat Thüringen erhält 1,9 Millionen Euro; das macht 0,8 Euro je Einwohner . Ihre Heimat, Frau Ministerin Wanka, Sachsen-Anhalt bekommt gar nichts . Ihre Exzellenzinitiative stärkt die Starken und schwächt den Rest . Das geht schief, wie es schiefgeht in einem Ruderboot mit zwei Ruderern, in dem der eine doppelte Ration bekommt und der andere hungert: Irgendwann rudert einer allein . ({10}) Zusammen zu rudern, wäre für beide besser . Deshalb fordert die Linke ein Ende der Exzellenzinitiativen und eine höhere Grundfinanzierung für Forschungseinrichtungen und Hochschulen in allen Bundesländern . ({11}) Sollten Sie jetzt die Vorschläge Ihrer eigenen Kommission und die meiner Fraktion aufnehmen, ({12}) dann wäre diese Debatte doch nicht umsonst gewesen . Frohe Weihnachten . ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

René Röspel ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion . ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen! - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Weihnachtswunsch, lieber Kollege von den Linken, nehme ich gerne an . Nächste Woche um diese Zeit ist Heiligabend . Ich wünsche den Linken, dass sie Kinder haben, die sich nicht so benehmen wie Sie, wenn Sie hier Oppositionsarbeit machen; denn sonst geht der Heiligabend so aus, dass sich die Kinder beschweren, dass erst um 8 Uhr abends Bescherung ist, die Geschenke viel zu wenige sind, der Tannenbaum zu klein ist und überhaupt alles schlecht ist . ({0}) Ich habe selten einen so verfehlten Beitrag erlebt . Ich will ausdrücklich sagen: Heute Abend ist Bescherung, nämlich dann, wenn es um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geht . ({1}) Es waren diese und die vorherige Große Koalition, die tatsächlich Verbesserungen zustande gebracht haben . In der Bilanz der Linken wird am Ende der Legislaturperiode stehen: Auch in diesem Feld nichts geschafft, nur immer genörgelt . ({2}) Von daher: Schon heute fröhliche Weihnachten! Ich hoffe, es geht für Sie persönlich nächste Woche besser aus . Dass das EFI-Gutachten um diese Zeit debattiert wird, also zur Kernzeit, ist eigentlich ein gutes Zeichen . Das haben wir in den letzten Jahren übrigens häufiger gemacht . Es ist ganz anders, als Sie, Herr Kollege Lenkert, berichten: Ein solches Gutachten ist ein Ansatzpunkt für Kritik, für Selbstreflexion und auch für das, was die Politik, insbesondere die Bundesregierung, gemacht hat . Man hat für die letzten Jahre den Spiegel vorgehalten bekommen . Einerseits hat man Handlungsempfehlungen erhalten, andererseits wurde Kritik an dem geübt, wo Forschungspolitik nicht so gelaufen ist, wie es sich die unabhängige Expertenkommission Forschung und Innovation vorgestellt hat . Es ist doch gut, dass wir zur Kernzeit auch einmal selbstkritisch einen Bericht diskutieren . ({3}) Sie hätten zehn Monate Zeit gehabt, dieses Gutachten zu lesen und etwas dazu zu sagen . Das wäre auch im Hinblick auf diesen Tagesordnungspunkt spannend gewesen . ({4}) Ich will versuchen, mit ein paar Punkten darauf einzugehen: Wenn man sich dieses Gutachten anschaut - das hätten Sie durchaus machen können -, dann wird man gleich am Anfang einen Satz lesen, der uns zu denken geben muss . Dort steht nämlich, dass die Innovationsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland langfristig abgenommen hat . Man wird sehen müssen, was dafür wirklich die Ursache ist . Die Kommission hat angekündigt, sich zum nächsten Bericht - den lesen Sie dann hoffentlich auch ({5}) dieses Themas anzunehmen und sich wirklich einmal anzuschauen, welche Empfehlungen der Bundesregierung gegeben werden können, damit die Innovationsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen verbessert werden kann . Eines der Themen, die das EFI-Gutachten aufgreift, sind die sogenannten Spitzencluster . Wir haben 2007 den Spitzencluster-Wettbewerb auf den Weg gebracht . Zur Teilnahme daran können sich Regionen bewerben . Zur Teilnahme daran können sich Wissenschaft und Wirtschaft, etwa Großunternehmen, außeruniversitäre Einrichtungen und Hochschulen, zu Kooperationen zusammenschließen - übrigens mit kleinen und mittleren Unternehmen -, um themenorientiert leistungsfähig zu arbeiten . So gibt es zum Beispiel ein Spitzencluster Elektromobilität . Es gibt in meiner Region den Spitzencluster LogistikRuhr zu unterschiedlichen Themen . Ich finde diese Spitzencluster sehr wohl gelungen; das muss ich sagen . Ich halte die Ergebnisse eigentlich für ganz gut . Interessanterweise schlägt die Expertenkommission Forschung und Entwicklung vor, dass sie keine dritte Förderlinie im Spitzencluster-Bereich auflegen würde . ({6}) Sie begründet das damit, dass die Ergebnisse des Spitzenclusters nicht klar abschätzbar sind . Das fand ich durchaus erstaunlich. Ich finde, das muss einmal hinterfragt werden . Das Ganze setzt an einem Punkt an, der sich durch das gesamte EFI-Gutachten zieht: Es geht um die Frage, wie Fördermaßnahmen und Forschungsprogramme evaluiert werden. Da findet sich in vielen Handlungsfeldern die Aufforderung der Expertenkommission, bei Fördermaßnahmen oder Forschungsprogrammen von Beginn an zu implementieren, wie die Evaluation, also die Bewertung eines solchen Programms, am Ende aussehen kann; denn da gibt es offenbar Schwächen . Ich hätte das so nicht gesehen, aber vielleicht ist das ein Handlungsauftrag an die Bundesregierung, sich des Themas Evaluation tatsächlich anzunehmen; denn man braucht am Ende eine Bewertung, um sagen zu können, ob man ein Förderprogramm weiterführt oder es eben nicht tut . ({7}) Sehr beiläufig und oberflächlich ist ein Thema von EFI erwähnt worden, was die Kommission als Innovation im Bildungsbereich darstellt . Das sind die sogenannten Massiv Open Online Courses, also Onlinevorlesungen an Hochschulen . Das fand ich sehr spannend . Ich würde mir wünschen, das weiter zu vertiefen . Es wird als einer der Vorteile angesehen, dass die MOOCs, also die Onlinevorlesungen, Freiräume für inhaltsnahe Forschungsdiskussionen in kleinen diskursiven Präsenzveranstaltungen schaffen . Ich fand es spannend, dass eine Onlinevorlesung gehalten wird und die Hochschule dadurch einen Freiraum gewinnt, um doch eine Präsenzveranstaltung in Form eines Seminars in Kontakt mit den Studierenden zu machen. Dazu findet sich zu wenig im Gutachten. Ich hätte mir eher gewünscht, dass dargestellt wird, was der pädagogische Wert solcher Onlinevorlesungen ist und wie man sie anders gestalten kann . Aber die Schlussfolgerung des Gutachtens halte ich doch für zu kurz gegriffen . Zu Recht positiv bewertet wird, wie ich finde, die Hightech-Strategie in ihrer Gesamtheit und in ihrem Verlauf . Als sie 2007 durch die letzte Große Koalition auf den Weg gebracht worden ist, haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer kritisiert, dass dieser ursprüngliche Ansatz, technikorientierte Leitmärkte und Schlüsseltechnologien zu fördern, für uns zu kurz gegriffen ist und man diese Strategie an großen Herausforderungen messen muss. Das ist in der zweiten Auflage der Hightech-Strategie unter Schwarz-Gelb auch passiert . Wir haben es als richtig empfunden, dass die großen gesellschaftlichen Herausforderungen Gesundheit, Energie, Umwelt und Klima stärker in den Mittelpunkt gerückt werden . Jetzt begrüßt EFI auch, dass es richtig ist, den Innovationsbegriff um die sozialen Innovationen zu erweitern . Auch das ist etwas, was wir seit langem gefordert haben . Es kann bei der gesellschaftlichen Veränderung nicht nur um Technik gehen, sondern es müssen auch soziale Innovationen und soziale Veränderungen aufgenommen werden, und das ist gut so . Wir freuen uns, dass von EFI auch ausdrücklich begrüßt wird, dass im Zusammenhang mit der Hightech-Strategie die Partizipation und die Transparenz erhöht werden sollen . Das heißt, die Beteiligung von Bürgern an Prozessen, wie Forschung gestaltet wird, ist für uns ein wichtiger Schritt. Wir finden es richtig, dass EFI die Haltung der Bundesregierung unterstützt, da mehr zu tun . Abschließend will ich noch ein Kernthema, das ich ganz spannend finde, beleuchten, weil es ein industriepolitisches Thema ist . Es handelt sich um die sogenannte Additive Fertigung, auch 3-D-Druck genannt . Jeder von uns weiß, dass man mit Computern schreiben und ausdrucken kann, was man am Computer geschrieben hat . 3-D-Druck bedeutet, dass man Produkte dreidimensional ausdrucken kann . Das ist nicht nur künftig der Fall, sondern das wird heute schon gemacht . Wenn Sie ein Hörgerät brauchen, dann wird dieses individuell vermessen und im 3-D-Drucker ausgedruckt, damit es wirklich passgenau ist . Dieses Verfahren hat große ökonomische und ökologische Zukunftschancen . Es bietet die Möglichkeit, wieder eine Einzelproduktion zu fertigen . Das nennt man im Mittelstand Losgröße 1 . Das Verfahren bietet die Möglichkeit, wieder Arbeitsplätze zurückzuholen, weil die Nähe zum Kunden eine größere Bedeutung gewinnt . Die EFI formuliert aber auch offene Fragen, wem beispielsweise die Designdaten gehören, die CAD-Daten, wie die Produktsicherheit gewährleistet ist, also wenn jemand zum Beispiel eine Tasse ausdruckt und daraus ein Problem oder gar ein Unfall entsteht, oder welche Haftungsfragen sich stellen . Das sind Fragen, die 2013 von einer lebhaften Opposition - nicht von Ihnen, sondern von der SPD - in einer Kleinen Anfrage zum Thema 3-D-Druck gestellt wurden . ({8}) Ich finde, dass diese Fragen nun endlich beantwortet werden müssen . Die damalige Aufforderung der SPD, nämlich dass eine gezielte Forschungsförderung im Bereich der Additiven Fertigung im Sinne einer Industrieentwicklung wichtig ist, sei ein Appell an uns alle bzw . ein Appell, der an die Bundesregierung gerichtet ist . Das ist ein großer Zukunftsbereich . Vielen Dank der EFI für ein spannendes Gutachten . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange jetzt nicht mit Weihnachtsvergleichen an, vielmehr möchte ich mit der Weltklimakonferenz anfangen . Die Weltklimakonferenz in Paris hat uns einmal mehr vor Augen geführt: Wenn wir unseren Planeten retten und allen Menschen eine lebenswerte Zukunft sichern wollen, dann müssen wir auch unser Wissenschafts- und Innovationssystem dringend weiterentwickeln . ({0}) Es ist allerhöchste Zeit, es gezielt auf die Bewältigung der großen Herausforderungen und die Schaffung einer Green Economy auszurichten; denn ein anderes Wirtschaften setzt ein anderes Forschen voraus . Wir brauchen vielfältigere Formen der Wissensproduktion und mehr transformatives Wissen für eine soziale, eine ökologische, eine digitale Modernisierung unserer Wirtschaftsweise . Kurzum: Unser Ziel ist, Deutschland zu einem Pionierland für grüne Innovationen zu machen . ({1}) Für diesen Modernisierungsschub brauchen wir die vielen Pioniere des Wandels in Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und in der Zivilgesellschaft . Sie alle müssen von der Forschungsförderung über den Wissenstransfer bis zur Gründungskultur endlich besser unterstützt werden . ({2}) Doch gerade auf diesen Gebieten belegt das EFI-Gutachten gravierende Defizite. Die Forschungs- und Entwicklungsleistungen von kleinen und mittleren Unternehmen sind seit Jahren rückläufig. Deswegen fordern alle Experten unbürokratischere Rahmenbedingungen; und deswegen wollen wir bei KMU mehr Kreativität und Erfindergeist entfachen, unter anderem durch eine steuerliche Forschungsförderung . ({3}) Denn von den bestehenden Programmen werden die Kleinsten kaum erreicht, obwohl sie das Rückgrat unserer Wirtschaft sind . Wir können es uns nicht länger erlauben, Potenziale der anwendungsorientierten Forschung des Mittelstands brachliegen zu lassen . So sind Techniken zur Ressourceneinsparung, die gerade im mittelständisch geprägten Handwerk Anwendung finden, ein Exportschlager, von dem Wirtschaft und Umwelt gleichermaßen profitieren. Diese grünen Wettbewerbsvorteile müssen wir ausbauen . ({4}) Wir brauchen mehr Forschung für nachhaltige Lösungen und eine höhere Lebensqualität . Forscherinnen und Forscher müssen sich daher noch stärker an Wissensfeldern und Problemen statt an Disziplinen ausrichten . Große Herausforderungen wie Klimakrise, Ressourcenknappheit, Demografie und Terrorismus machen nicht an Fachgrenzen halt . Daher brauchen wir mehr Anreize zur Zusammenarbeit und für interdisziplinäre Brückenschläge, vor allem zwischen MINT und Geisteswissenschaften . ({5}) Nur mit einer Pluralität im Denken, mit einer Vielfalt der Akteure und auch mit Ansätzen jenseits des forschungspolitischen Mainstreams kommen wir auf neue Ideen und damit weiter voran . Wir wollen fairen Zugang sowie mehr Offenheit und Flexibilität bei Bundesforschungsprogrammen . Wir wollen mehr Forschung für den Wandel . Hier haben sich nicht zuletzt unabhängige ökologische Forschungsinstitute als erfolgreiche Pioniere des Wandels entpuppt . Deswegen ist es so wichtig, der Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung bundesweit zum Durchbruch zu verhelfen . Die EFI-Experten halten es für dringend geboten, den Innovationsbegriff der Hightech-Strategie zu präzisieren . Da haben sie recht . Doch dazu schweigt sich die Stellungnahme der Regierung, die heute auch Gegenstand der Debatte ist, leider völlig aus . Ich bin davon überzeugt, dass wir ein neues, ein breiteres Innovationsverständnis brauchen; denn Technikgläubigkeit und das bloße Durchzählen von Patenten reichen nicht, um eine lebenswerte Zukunft bauen zu können . ({6}) Wir müssen viel mehr auf soziale Innovationen setzen und sie mit technischen Ansätzen zusammenbringen . Eine reine Industriefixierung hilft nicht, um Gemeinwohlorientierung, Ethik und Nachhaltigkeit sicherzustellen . Deswegen ist ein Wandel notwendig . ({7}) Weil soziale Innovationen so wichtig sind, muss Forschung die Gesellschaft stärker mit ins Boot holen . Das geht mit mehr Transparenz, mit einer verlässlichen Technikfolgenabschätzung und mit Bürgerbeteiligung . Bundesforschungsprogramme brauchen keine Showveranstaltung und keine Scheinbeteiligung an ihrem Ende, sondern von Anfang an verbindliche Formate der Partizipation von Wissenschaft und Zivilgesellschaft, Projekte der Bürgerwissenschaften und so erfolgreiche Modelle wie die Reallabore in Baden-Württemberg - diese sind beispielgebend . ({8}) Die Freiheit und Innovationskraft der Wissenschaft fußt auf ihrer verlässlichen Finanzierung . Daher, liebe Koalition: Sorgen Sie endlich für eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen! Das Grundgesetz ermöglicht mehr, als immer wieder kurzzeitige Pakte aneinanderzureihen . Sorgen Sie für ambitioniertere Ziele! Nehmen Sie endlich, wie EFI Ihnen seit Jahren ins Stammbuch schreibt, Kurs auf das Ziel, 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung zu investieren . ({9}) Sie sollen sich nicht selbst beweihräuchern, sondern Deutschland endlich in die Spitzengruppe der Innovationsländer führen! Forschung und Entwicklung brauchen kreative Köpfe und Forscherinnen und Forscher gute Arbeitsbedingungen . Das lässt sich gar nicht voneinander trennen . Deshalb ist der Brückenschlag zur Debatte heute Abend richtig . Denn planbare Karrieren und verlässliche Verträge für Talente sind hierzulande Mangelware . Das muss sich endlich ändern . ({10}) Um Wissenschaft als Beruf fairer und attraktiver zu gestalten, reicht Ihre Novellierung zu Wissenschaftszeitverträgen nicht aus . Wir brauchen jetzt ein bundesweites Programm für mindestens 10 000 feste Nachwuchsstellen an Hochschulen . Denn Neugier und Kreativität brauchen Sicherheit . ({11}) Wenn Sie von der Koalition unser Land innovativer machen wollen, dann hören Sie auf die Ratschläge von EFI und auf die der Opposition . Sie, Frau Wanka, wollen offensichtlich so weitermachen wie bisher . ({12}) Wir wollen klare Ziele setzen: anders forschen für den Wandel und raus aus dem finanziellen Mittelmaß. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Bundesministerin Frau Professor Wanka . ({0})

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005307

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemals zuvor in der langen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde so viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben wie in den letzten Jahren und wie in diesem Jahr . Das ist ein absoluter Höchststand . ({0}) Mit Ausgaben in Höhe von etwa 80 Milliarden Euro liegen wir ganz nah am 3-Prozent-Ziel . Dieses Ziel ist wichtig . Man kann sich nun die Situation schönreden und sagen, dass es eine ganze Reihe von Nationen gibt, die weniger als 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung und Entwicklung ausgeben . Dazu gehören zum Beispiel die großen USA, die zwar nicht schlecht dastehen, aber weniger ausgeben . Auch China mit seinen Innovationssprüngen gibt ebenfalls viel weniger Geld aus . Vom EU-Durchschnitt will ich erst gar nicht reden . Ich denke, es ist richtig, sich an denen zu orientieren, die mehr machen . Aber man muss da genau hinschauen . Der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist ein Indikator . Er ist einfach zu berechnen . Damit wird aber nicht alles erfasst; dieses komplexe Geschehen wird damit nicht vollständig abgebildet . Schauen wir uns mal die Länder an, die mehr machen, zum Beispiel Japan . Da ist der Anteil höher als 3 Prozent, aber Japan hat eine Staatsverschuldung von über 200 Prozent. Das heißt, es wird über Schulden finanziert. Die langfristigen Folgen kann man nicht einfach wegreden . Ein weiteres Beispiel ist Israel . Dort schwankt der Anteil um 4 Prozent, mal ist er höher, mal niedriger . Aber zwei Drittel der Investitionen in Israel werden mit ausländischem Geld getätigt . Das ist keine Situation, die mit unserer vergleichbar ist . Ein anderes Beispiel ist Korea . Dort wird das Bruttoinlandsprodukt zu einem hohen Anteil - mehr als die Hälfte - von zwei, drei Firmen getragen . Wenn Samsung einmal nicht mehr so gut dasteht, dann kracht es aber . Daher sage ich, dass der Anteil von 3 Prozent nur ein Indikator ist . Wenn man aber noch Kriterien wie verlässliche Haushaltsführung und das Vermeiden von neuen Schulden hinzunimmt, dann sind wir langfristig richtig gut und solide aufgestellt . ({1}) Nun spricht das EFI-Gutachten von 3,5 Prozent in 2020 . Ich bin entschieden der Meinung, dass wir jedes Jahr diesen Anteil steigern müssen . Wir müssen uns wirklich ehrgeizige Ziele setzen . Alle haben von 3,5 Prozent gesprochen, auch Stefan Kaufmann . Hat sich aber mal einer gefragt, was das bedeuten würde und ob das eigentlich realistisch ist? ({2}) Ich will die Situation beschreiben: Jetzt geben wir 80 Milliarden Euro aus, im Jahr 2020 müssten wir 125 Milliarden Euro ausgeben . Bund und Länder müssten mindestens 5 Milliarden Euro mehr ausgeben - das ist vielleicht noch zu stemmen; wir müssten allerdings unsere gesamte Planung ändern -, aber die Wirtschaft, die jetzt 60 Milliarden Euro ausgibt, müsste dann 25 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben . Es ist also im Moment nicht vorstellbar, wie das realisierbar ist . Wir gehen davon aus, dass der Gradient nach oben gehen muss . Die BAföG-Mittel wurden erwähnt . Vonseiten der EFI wurde gefordert - darüber habe ich mich sehr gefreut -, die BAföG-Mittel in diesem Bereich einzusetzen . Da Sie, Herr Gehring, forderten, das 3,5-Prozent-Ziel anzustreben - die Länder müssten dann mindestens 5 Milliarden Euro drauflegen -, wäre es ganz gut, wenn Sie zum Beispiel mal individuell Ihrer grünen Ministerin ({3}) oder Ihrer rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen ({4}) vorschlagen würden, wenigstens einen Euro von den 110 Millionen Euro, die wir zur Verfügung gestellt haben, in diesen Bereich zu geben . ({5}) Außerdem: Die 1,2 Milliarden Euro reichen für mehr als 10 000 Stellen . Dass sie nicht dafür eingesetzt werden, finde ich auch schade; aber das Geld ist da. Das haben wir jetzt schon auf den Tisch gelegt . Meine Damen und Herren, wenn wir diese Zahlen steigern wollen, dann halte ich Politikerreden, die ich in letzter Zeit gehört habe und in denen gesagt wird: „Wir wollen die 3,5 Prozent bis 2017 erreichen“, für töricht . Ich denke, wir zeichnen uns dadurch aus, dass wir realistisch sind, dass wir Pläne haben, aber dass wir auch ein Stückchen Bodenhaftung haben, um die Pläne umzusetzen . ({6}) Im Bericht der EFI wurde die Hightech-Strategie der Bundesregierung diesmal genauer angeschaut und analysiert . Zum Beispiel wurden die Spitzencluster - Herr Röspel hat es erwähnt - gelobt und diesbezüglich der Vorschlag gemacht, stärker auf Impulse nach außen zu setzen . Genau das haben wir gemacht . Ich habe schon in den Koalitionsverhandlungen dafür gekämpft, dass wir nicht sagen: Das ist ein klasse Instrument, und das machen wir jetzt noch mal und noch mal und noch mal . Dann wäre die Wirkung weg . Es geht um Weltmarktführer, um wirkliche Spitzenleistung . Die kann man nicht einfach multiplikativ, additiv immer wieder neu dazuerfinden. Industrie 4 .0 . Forderung der EFI: Wir brauchen eine Referenzarchitektur . Das läuft . Wir haben ein Programm für eine Referenzarchitektur im IT-Bereich, im Bereich Industrie 4 .0 und werden das im nächsten Jahr vorstellen . Aber was ich bei der EFI an dieser Stelle vermisse, ist das zentrale Thema für Industrie 4 .0 . Das zentrale Thema ist Sicherheit, Datensicherheit und IT-Sicherheit . Sie müssen richtig lesen . Es geht nicht nur um die Kompetenzzentren für IT-Sicherheit, für die wir nicht 16 Millionen, sondern fast 40 Millionen Euro ausgeben . ({7}) - Ja, ja, aber IT-Sicherheit ist nur ein Punkt . Es geht um das große Programm . Für uns ist das ein Schwerpunkt . Worauf ich ganz besonders stolz bin - die Fraunhofer-Gesellschaft hat das angeregt, wir haben auch politisch dafür gekämpft und sind jetzt praktisch auf der Zielgeraden -, ist die „Initiative Industrial Data Space“, weil das der Wettbewerbsvorteil sein wird - nicht nur für Deutschland . Oettinger will sie nach Europa holen . Das wird der Wettbewerbsvorteil sein, und dann können wir aus Industrie 4 .0 richtig was machen, was diesem Standort nutzt . ({8}) EFI sagt: Wir brauchen eine Wissenschaftsschranke . Ich sage: Wir brauchen nicht nur eine Wissenschaftsschranke, sondern wir brauchen auch eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke sowie eine totale Veränderung des Urheberrechts . Ich habe gerade vorgestern einen Brief der Allianz bekommen . Das muss jetzt erfolgen . Das muss schnell erfolgen . Da muss ich wirklich sagen: Ich bin nicht federführend, aber die Bundesregierung muss jetzt endlich diesen Punkt bearbeiten . Der ist zentral . ({9}) - Wir haben etwas gemacht, auf jeden Fall . Die MOOCs, Herr Röspel: Da fand ich das EFI-Gutachten ein bisschen hinter der Zeit . Das war der erste Hype in den USA . Das ist schon längst wieder abgeklungen, das ist kein Geschäftsmodell . ({10}) Aber die Grundidee „Wie macht man interaktiv Lehre? Wie erreicht man Menschen auf der ganzen Welt?“ ist wichtig . Wir versuchen mit unserer Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“, diese Idee umzusetzen, und wir haben einzelne Hochschulen in der Bundesrepublik, ({11}) die richtig gut sind in diesem Bereich, aber wir brauchen dieses Medium in sehr viel stärkerem Maße, also nicht über MOOCs, sondern in modernen Formen, in denen dann auch die Studierenden untereinander kommunizieren . Das ist ein großer Vorteil, den wir so vor 10 oder 15 Jahren noch nicht hatten . ({12}) Zum Thema KMU muss ich sagen: Stimmt, wir haben in der Bundesregierung Jahr für Jahr mehr Geld ausgegeben - aktuell über 1,4 Milliarden Euro pro Jahr - für Innovation im KMU-Bereich . Die Ergebnisse waren nicht zufriedenstellend: Es gab keine Steigerung, sondern eine Stagnation . Die Ausgaben sinken zum Teil sogar . Deswegen ist es zum Beispiel falsch - was immer wieder gemacht wird -, dass die Wirksamkeit eines Programms einfach evaluiert wird nach dem Motto „Da ist eine große Nachfrage . Das Programm ist toll, das müssen wir aufstocken“ . Das ist überhaupt kein Kriterium . Ein Programm kann gerade auch deshalb nachgefragt werden, weil man auf diesem Wege einfach an Geld kommt . Die Kriterien für Evaluationen sind wirklich wichtig . Das ist ein Prozess, mit dem wir uns im Hause intensiv beschäftigen, und wir glauben auch, dass wir da noch Verbesserungsbedarf haben . ({13}) Die EFI hat gesagt: Hinsichtlich der KMU muss man analysieren, was man besser machen kann . Wir sind dabei, und wir müssen es wirklich neu sortieren . Das ist aber der feste Anspruch . Ich denke auch, dass soziale Innovationen ganz klar in den Blick genommen werden müssen . Ich habe das schon oft angesprochen, aber man ist hier unbelehrbar. Das fing nicht vor ein oder zwei Jahren an, gucken Sie sich unsere Projekte von vor fünf Jahren in der Hightech-Strategie im Gesundheitsbereich an . Das sind soziale Innovationen . Dort geht es um diese Themenbereiche, nicht um harte Technik oder irgendein neues Gerät oder ein neues Produkt . Das ist einfach Unfug . Deswegen bin ich auch nicht dafür, dort den Innovationsbegriff einzuschränken; denn es ist ein breitgefächerter Begriff, der noch in drei, vier Jahren aktuell sein wird . ({14}) Jetzt mein letzter Punkt: Nachhaltigkeit . Wir haben gerade über den Weltklimagipfel in Paris gesprochen . Es ist doch klar, dass wir hier etwas machen müssen . Sie erwähnen dieses Thema gern öfter . ({15}) Was haben Sie in der Zeit, als Sie an der Regierung waren, für Nachhaltigkeit getan? Ich habe mir einmal die Zahlen in meinem Ministerium angesehen . ({16}) - Ja, das ist schon ein bisschen länger her, aber es zeigt trotzdem etwas . Da haben Sie im Schnitt ungefähr 230 Millionen Euro für den Bereich Nachhaltigkeit ausgegeben . Wir sind jetzt bei etwa 400 Millionen Euro . Wir wollen allein bei meinem Etat auf 570 Millionen kommen, nicht von der gesamten Bundesregierung . ({17}) - Ja, völlig klar . Herr Schulz vom Haushaltsausschuss ist begeistert: aus unserem gemeinsamen Etat 570 Millionen Euro . ({18}) Heute macht auch die SPD mit, wenn die CDU/CSU für Nachhaltigkeit ist . ({19}) Das war damals nicht der Fall . ({20}) Wenn Sie sich anschauen, was wir im Bereich Nachhaltigkeit machen, dann stellen Sie fest, dass das breitgefächert ist . Dabei geht es auch um Technologie . Wir haben einen Weltmarktanteil von 14 Prozent bezüglich der Umwelttechnologie . Wir sind also ganz weit vorne . Aber dort geht es auch um Stadtentwicklung . Es geht um Themen wie Integration und Migration, auch da gibt es Forschungsaufträge . Es geht nicht nur darum, dass wir hier in Deutschland Geld für Forschung ausgeben, sondern es geht auch darum, was wir zum Beispiel mit unseren Zentren in Afrika, in Südafrika und in Westafrika, machen, wenn es um Klimaschutz geht . In diesem Jahr fand hier in Deutschland die Konferenz des WASCAL statt . Wir haben es zum ersten Mal geschafft, dass die westafrikanischen Staaten eine gemeinsame Strategie hatten und dass sie selber Geld einsetzen - nicht nur unseres -, weil wir auf Augenhöhe kooperieren . Das heißt, das Thema Nachhaltigkeit ist bei uns bestens aufgestellt . Die Energiewende wird nicht funktionieren, wenn nicht entsprechende Forschungsergebnisse erzielt werden . Deshalb glaube ich: Beim Thema Nachhaltigkeit ist es ganz entscheidend, dass wir Prioritäten gesetzt haben in den Bereichen der Energieforschung: Kopernikus-Projekte, vier große Projekte über zehn Jahre . Wenn die nicht zur Lösung führen, dann sieht es schwarz aus, also dunkel . ({21}) - „Schwarz“ war nicht so gut . Die Kopernikus-Projekte sind eine große Leistung, die es so nirgendwo auf der Welt gibt . Wir haben gemeinsam mit den Naturschützern, mit den Umweltverbänden, mit den Wirtschaftsunternehmen und mit der Wissenschaft diskutiert . Ich kann Ihnen sagen: Es war mühevoll . Wir haben anderthalb Jahre diskutiert, bis wir ein Ergebnis erreicht haben, das uns richtig voranbringen wird . Wir setzen für dieses Thema strategisch Geld ein, nicht nur für heute und morgen, sondern für die nächsten zehn Jahre . ({22}) Meine Damen und Herren, ich denke, dass Bildung und Forschung Schlüsselbegriffe für Wettbewerbsfähigkeit sind, ist uns allen klar . Wir sind gut aufgestellt . Wir müssen aber am Ball bleiben, wenn wir wirtschaftlich stark bleiben wollen . Als Herr Kaufmann von Weihnachten sprach, dachte ich, er wünscht sich Geschenke wie Innovationen und Geld, um in diesem Land gute Lebensbedingungen zu haben . Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass nur ein starkes Land, ein wirtschaftlich starkes Land, ein Land mit einem guten Zusammenhalt genug Selbstvertrauen und Offenheit hat, um die riesengroßen Herausforderungen, die vor uns liegen - zum Beispiel Globalisierung, Digitalisierung, Integration -, anzugehen . Dazu wünsche ich mir von Ihnen Unterstützung und Gemeinsamkeit . Danke . ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Die Linke erhält nun die Kollegin Rosemarie Hein das Wort . ({0})

Dr. Rosemarie Hein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004053, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu, ich war vom diesjährigen Gutachten zu Forschung und Innovation enttäuscht . ({0}) Noch im Gutachten des Jahres 2011 war zu lesen, dass Innovation nicht nur eine angemessene Forschungsförderung braucht, sondern auch Menschen, die gut gebildet sind und ihre Potenziale entfalten können . Nach Ansicht der Expertenkommission - ich zitiere - „hat der Wegfall der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung Folgen, die dem Aufbau eines leistungsfähigen Bildungssystems abträglich sind .“ Darum empfahl man damals - ich zitiere wieder - „die Rücknahme des Kooperationsverbots“ zwischen Bund und Ländern . ({1}) Nun ist seit Anfang des Jahres Artikel 91 b des Grundgesetzes bezüglich der Zusammenarbeit im Hochschulbereich - aber auch nur dort - gelockert . Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist in diesem Bereich wieder möglich . Das wertet die Kommission als großen Erfolg der Wissenschaftspolitik . In der übrigen Bildungspolitik ist eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern aber nach wie vor nicht möglich . Darum kann ich ehrlich gesagt die Zufriedenheit der Kommission nicht verstehen . ({2}) Wie sollen denn die Berufsschulen ausgerüstet werden, die Fachkräfte für die Fertigung in der Industrie 4 .0 ausbilden? Die technische Ausstattung solcher Schulen ist immens aufwendig und kostet unglaublich viel Geld . Für die Ausstattung der berufsbildenden Schulen sind die Kommunen zuständig . Diese Aufgabe werden sie nicht stemmen können, auch die Länder nicht . Baden-Württemberg fördert jetzt acht solcher Schulen . Wir haben aber knapp 300 berufsbildende Teilzeitschulen . Das ist ein Maßstab, den man den Ländern nicht mehr alleine zumuten kann, zumal das nicht die einzige Aufgabe ist, die im Bildungsbereich zu stemmen ist . Es geht vielmehr auch um Digitalisierung, um Inklusion, um Integration, um Schulsozialarbeit, nur um über soziale Innovation zu sprechen . ({3}) Doch da darf der Bund nicht mitfinanzieren, auch bei den Berufsschulen nicht . Selbst hinsichtlich der Realisierung der Eliteschulen IT/Digital von der Wunschliste des Koalitionsvertrages können Sie nur Appelle an die Länder richten, tätig zu werden. Ich finde, das ist einfach nicht mehr zeitgemäß . ({4}) Doch bleiben wir bei der erreichten Grundgesetzänderung, die sich auf die Hochschulen bezieht . Die Expertenkommission erhofft sich davon neue Gestaltungsmöglichkeiten . Was wir bisher allerdings erleben, ist vor allem die Anwendung der alten Instrumente . Dafür hätte man die Grundgesetzänderung nicht gebraucht . ({5}) Vor allem scheint es Ihnen um die Exzellenzinitiative zu gehen; da sind Sie sich ja mit den Ländern auch schon einig geworden . ({6}) Doch damit verlässlich Spitzenleistungen entstehen, bedarf es einer breiten soliden Basis . ({7}) Darum die Frage: Was ist denn mit der Verstetigung des Hochschulpaktes? Was ist mit dem Hochschulbau? Was ist mit dem Bau von Wohnheimen für Studierende? Was ist mit der Grundfinanzierung der Hochschulen, was mit der Lehrerbildung, was mit der Stärkung der Fachhochschulen, was mit der geforderten Aufstockung der Programmpauschalen? Dort setzen Sie entweder weiterhin auf befristete Programme, oder Sie gehen das Problem überhaupt nicht an . Aber da gäbe es Gestaltungsmöglichkeiten . ({8}) Ich denke, es ist falsch, wenn man sich vonseiten des Bundes vor allem auf die Sahnehäubchen konzentriert und die Kärrnerarbeit den Ländern überlässt . Da reicht auch nicht der ständige Verweis auf die Erhöhung der BAföG-Mittel . Da reicht es auch nicht aus, dass man ständig nur die guten Zahlen vor sich herträgt . Sicher, der Hochschulpakt ist kein Sahnehäubchen; das will ich nicht behaupten . Aber er soll eben nicht verstetigt werden, und aufgestockt werden soll er auch nicht, ansonsten hätten Sie unseren Anträgen zugestimmt . ({9}) Ich finde, es ist an der Zeit, die Wirkungen von Artikel 91 b des Grundgesetzes in einem Fachgespräch mit den Hochschulen im Ausschuss zu überprüfen, aber da möchte die Koalition bislang nicht ran . Vielleicht ändert sich das ja, wenn wir im Januar einen Antrag vorlegen, in dem wir wieder die Aufhebung des Kooperationsverbotes fordern, und die Debatte kommt neu in Gang . Vielleicht sind Sie dann bereit, darüber zu reden, was hier bewirkt wurde . Ich glaube, dass die Hochschulen etwas anderes erwartet haben und dass sie inzwischen langsam enttäuscht sind . Wenn nicht, gut, dann müssen wir uns belehren lassen, wenn aber doch, dann sollten Sie überlegen, wie es besser geht . Herr Röspel, ich muss Ihnen schon sagen: Es ist erstaunlich, wie man, wenn man in Regierungsfunktion ist, bei der Äußerung von Kritik, die Sie früher immer hatten, plötzlich so abgeschliffen wird . Ich kenne das schon . Ich glaube, Ihre Schimpftirade vorhin war lediglich ein Ausdruck Ihres eigenen Unbehagens . ({10}) Vielen Dank . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Simone Raatz hat nun das Wort für die SPD-Fraktion . ({0})

Dr. Simone Raatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004380, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich in meinen Beitrag einsteige: Herr Lenkert, Sie dürfen heute Abend wohl nicht mehr sprechen, da Sie Ihren Redebeitrag schon vorweggenommen haben . Oder haben Sie die Rede verwechselt? Ich war mir zwischenzeitlich nicht sicher . ({0}) Auch die Redebausteine - es gibt bei den Linken ja solche Redebausteine - passen nicht immer . Das wollte ich nur sagen . ({1}) Ab und zu wäre es schön, wenn Sie zum Thema sprechen würden . Ich möchte das tun . Mein Kollege René Röspel hat einen Satz aus dem EFI-Bericht erwähnt, den ich zitieren möchte: Die langfristige Entwicklung der Innovationsaktivitäten in deutschen KMU gibt Anlass zur Sorge . … Zudem sind die Innovationsaufwendungen … deutlich gesunken . Die Innovationsfähigkeit nimmt ab . Das ist ein Alarmsignal für uns alle . Die Bewertung der Innovationsintensität der KMU im vorliegenden EFI-Bericht zeigt, dass sich der Anteil an Innovationsausgaben am Unternehmensumsatz von 1995 bis 2012 von 2,7 Prozent auf 1,6 Prozent nahezu halbiert hat . Frau Hein, Sie haben eben etwas zum Thema Kritikfähigkeit gesagt . Auch wir sehen die kritischen Punkte . Auch wir sehen, dass die Schere zwischen kontinuierlich forschenden Unternehmen und nur sporadisch bzw . anlassbezogen innovierenden Unternehmen immer weiter auseinandergeht, und das insbesondere in strukturschwachen Regionen . Ich glaube schon, dass wir unseren Fokus darauf richten müssen . Wie ich schon sagte: Die Zahlen sind ein Alarmsignal, auf das wir reagieren müssen; denn Innovationen sind die Basis für unseren individuellen und gesellschaftlichen Wohlstand und damit auch für den sozialen Fortschritt . ({2}) Politisches Handeln muss sich daher sowohl an den Stärken - meine Vorredner haben schon einige benannt - als auch an den Schwächen unseres deutschen Innovationssystems orientieren . Vorausgehen muss dem eine kritische Sicht auf die seit Jahren eingeübten Muster innovationspolitischer Fördermaßnahmen . Geld alleine tut es hier eben nicht . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verfügen mit unseren Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen über ein sehr gutes Bildungs- und Wissenschaftssystem, das jedes Jahr eine Vielzahl an exzellenten Forschungsergebnissen hervorbringt . Das ist eindeutig eine Stärke . Doch es gelingt uns nur unzureichend, diese wissenschaftlichen Ergebnisse in innovative und marktfähige Produkte zu transferieren . Hier existiert eine Lücke zwischen erkenntnisorientierter Forschung und Produktinnovation, und diese Lücke sollte zügig geschlossen werden . ({3}) Genau hier setzt die im September ins Leben gerufene Projektgruppe „Neue Erfolge - Vorsprung durch Innovation“ der SPD-Bundestagsfraktion an . Es geht uns darum, die Rahmenbedingungen für den Technologietransfer und letztlich für die Innovationsfähigkeit von kleinen und mittelständischen Unternehmen deutlich zu verbessern und herauszuarbeiten, wie diese Verbesserung gelingen kann . Ein erstes Dialogpapier dazu liegt bereits auf dem Tisch . Herr Lenkert, wir brauchen keine zehn Monate, um über den vorliegenden Bericht zu debattieren . Wir haben bereits entsprechende Papiere auf den Tisch gelegt, die auf der Grundlage des EFI-Berichts erstellt wurden . ({4}) Wir führen Expertenrunden durch, wir führen Gespräche . Von Ihnen habe ich bisher noch kein Ergebnis gesehen . ({5}) Ich möchte kurz einen Punkt aus unserem Dialogpapier herausgreifen . In diesem geht es um die verbesserte Zusammenarbeit von KMU mit Hochschulen für angewandte Wissenschaften und außeruniversitären Forschungseinrichtungen . Fachhochschulen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem wichtigen Element in unserem differenzierten Wissenschaftssystem entwickelt . Sie spielen insbesondere für den Mittelstand eine wichtige Rolle . Fachhochschulförderung ist deshalb für uns auch immer Mittelstandsförderung . Als regional stark verankerte Ausbildungsorte wollen wir sie in ihrer Funktion für das Wissenschafts- und Innovationssystem weiter stärken . Denn Fachhochschulen verfügen über ein bisher noch nicht ausgeschöpftes Potenzial beispielsweise bei der anwendungsorientierten Forschung und bei der Kooperation mit kleinen und mittelständischen Unternehmen . ({6}) Die Frage, die sich uns stellt, ist: Wie kann das Potenzial besser als bisher gehoben werden? Das Potenzial kann zum Beispiel besser gehoben werden, indem wir erstens den bedarfsorientierten Technologietransfer mehr als bisher in den Fokus rücken und indem wir zweitens die Verstetigung des Personalaustauschs bei Berufungen und über langfristige Stiftungsprofessuren ermöglichen . Hierzu gehören, wie schon erwähnt, insgesamt bessere Zukunftsaussichten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; denn nur so gelingen langfristige Beziehungen zu Netzwerkpartnern . Aber ich denke, darüber wird heute noch gesprochen . Deswegen an dieser Stelle nur so viel dazu . Drittens sollten sowohl Fraunhofer-Institute mit ihren Anwendungszentren als auch die AiF als leistungsfähige Forschungsplattform in Kooperationen mit Fachhochschulen zielgerichtet einbezogen werden . Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir nehmen die Ergebnisse des EFI-Berichtes ernst, und wir machen etwas daraus . Mit unserem Dialogpapier eröffnen wir die Möglichkeit, Lösungsansätze mit Interessierten zu diskutieren und das Papier auf dieser Basis weiter zu qualifizieren. Ich freue mich auf die daraus folgenden politischen Initiativen . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Dieter Janecek das Wort .

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich glaube, für Forschung und Entwicklung könnten die Zeiten spannender nicht sein . Schauen wir einmal auf den letzten Samstag, auf die Weltklimakonferenz: 195 Staaten haben gemeinsam beschlossen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter planen und umsetzen . Dafür brauchen wir starke Forschung und Entwicklung . Deswegen, Frau Wanka, ist es wichtig, dass wir uns darum bemühen, mehr für Forschung und Entwicklung auszugeben . Wir müssen die entsprechenden Ziele verfolgen und sagen: Es reicht uns nicht, bei 3 Prozent stehen zu bleiben . 3,5 Prozent ist das richtige Ziel . Lassen Sie uns dafür gemeinsam kämpfen . ({0}) Ein zweiter Megatrend ist die Digitalisierung . 2020 wird es 50 Milliarden Endgeräte geben, die miteinander interagieren . Digitale Vernetzung heißt die neue Strategie, die das BMWi gemeinsam mit Ihrem Haus, Frau Wanka, aufsetzt . Das ist richtig . Die Frage ist nur: Welche Richtung verfolgen Sie mit der Digitalen Agenda bislang? Dabei geht es nicht nur um Forschung und Technik, sondern auch um die Rahmenbedingungen . ({1}) Ich erinnere an das Thema Netzneutralität: Brauchen wir ein Zwei-Klassen-Internet? Das brauchen wir nicht . Wir brauchen eines auf einer Schiene, ein Internet für alle . ({2}) Die Rahmenbedingungen dafür haben Sie aber nicht geschaffen . Übrigens: Die EU-Datenschutz-Grundverordnung, die wir seit zwei Tagen haben, ist etwas Tolles, auch für Wirtschaft, Forschung und Technik . Jetzt haben wir endlich einheitliche Rahmenbedingungen; jetzt haben wir endlich Rechtssicherheit . Also: All das gehört zusammen und muss zusammen gedacht werden . In diesem Zusammenhang ist natürlich auch die Frage zu stellen: Warum sinken die Innovationsaufwendungen der kleinen und mittleren Unternehmen? Sie haben zu Recht gesagt: Das liegt nicht daran, dass wir wenig Geld hineingegeben haben . - Das ist völlig korrekt . Aber wir müssen schon evaluieren, woran das liegt . Als Gegenmaßnahme schlagen wir Ihnen die steuerliche Forschungsförderung vor . ({3}) Dieses Instrument sollte in diesem Bereich endlich eingeführt werden . Ich weiß, dass Herr Riesenhuber, der nach mir redet, ein großer Fan davon ist . Vielleicht kommen wir da ja doch noch mal zusammen . ({4}) Die sogenannten Massive Open Online Courses, MOOCs genannt, sind ein spannendes Thema . Wenn ich dieses Thema unter dem Schlagwort „Diversity“ betrachte oder auch mit Blick auf die vielen Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen, dann frage ich mich - wir sind ja auch hier, um ein paar Ideen zu entwickeln -, warum wir es eigentlich nicht schaffen, den vielen Menschen, die jetzt zu uns kommen, einen Zugang zu diesem Instrument zu ermöglichen . Vielleicht wären ein entsprechendes Hochschulprogramm oder eine Anschubfinanzierung für den Erwerb von Laptops möglich . Dieses Instrument bietet doch die Möglichkeit, dass Flüchtlinge gezielte Bildungsangebote wahrnehmen können . ({5}) Auch bezüglich des Wagniskapitals müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden; das ist klar . Ferner muss die Additive Fertigung, der 3D-Druck, stärker gefördert und genutzt werden . Ich habe einige Unternehmen bei uns in Bayern, die in diesem Bereich Weltmarktführer sind, besucht . Diese Unternehmen werden jetzt übrigens von Airbus und anderen gezielt aufgekauft . Das ist gut . Die Vision ist, am Ende in der Losgruppe 1 zu sein . Das ist eine gute Vision . Die Frage ist aber: Was ist der Forschungsaspekt dahinter? Inwiefern führt uns das zu einer Ökonomie, die stärker auf dezentrale Strukturen setzt? Auch das muss, glaube ich, betont und in so ein Programm hineingeschrieben werden . Wenn man das alles zusammenbringen will, dann muss man auch über die Standards nachdenken: Open Source, Open Data . Das gilt übrigens auch für die öffentliche Verwaltung. Wir haben große Defizite im Bereich E-Government . Der Normenkontrollrat sagt, dass wir in diesem Bereich ein Einsparpotenzial von 45 Prozent haben . Warum kriegen wir das nicht umgesetzt? Warum kommen wir da nicht voran? Warum schaffen wir keine Offenheit über Schnittstellen und entsprechende Programme? ({6}) Ich komme zurück zu meinem ersten Thema, zu den ökologischen Innovationen, was Sie nicht überraschen wird: Wer in die Zukunft investieren will, der darf nicht in fossile Energien investieren, sondern muss in erneuerbare Energien und in Effizienzstrukturen investieren. Dafür brauchen wir auf dem Markt aber Rahmenbedingungen, die das befördern, zum Beispiel ein Top-Runner-Programm, mit dem ökologische Innovationen unterstützt und Anreize für Material- und Rohstoffeffizienz gesetzt werden . Auch hier können wir noch viel mehr tun als bisher . Wir können auch ein Wertstoffgesetz einführen, welches Anreize für eine ökologische Produktverantwortung setzt und entsprechende Innovationen hervorruft . ({7}) Mein letzter Punkt ist die öffentliche Beschaffung: „Green by IT“ und „Green IT“ sind nicht nur Schlagwörter, die man in Sonntagsreden verwenden kann . Diese Prinzipien müssen festgeschrieben und umgesetzt werden, damit sie in Sachen Ökologie ein Innovationsmotor werden . Wenn wir das alles zusammen hinbekommen, dann wird es bald gut; wenn nicht, wird es ein bisschen länger dauern . Vielen Dank . ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Es ist in der Tat so, dass die Diskussion über den EFI-Bericht für die Forschungspolitiker ein Hochfest im Jahr ist . Herr Röspel hat darauf hingewiesen, dass dabei durchaus viele große und wichtige Bereiche mit einem herzlichen Lob bedacht werden . Er hat aber auch darauf hingewiesen, dass der interessantere Teil der Diskussion sich um die Frage dreht: Wo gibt es noch Anregungen, Kritik, Bedenken, Hoffnungen, Meinungen, Beschwerden, Vorwürfe oder ähnliche grundsätzliche Dinge? Das heißt, wir sprechen jetzt nicht mehr über all die glanzvollen Erfolge . Wir sprechen nicht über die gewaltige Steigerung des Forschungshaushalts des Bundes . Seit 2005 sind es über 65 Prozent, und die Wirtschaft hat mitgezogen, und sie war auf den Weltmärkten erfolgreich . Unsere Wirtschaft liefert etwa 12 Prozent - wahrscheinlich inzwischen etwas mehr - der forschungsintensiven Produkte auf den Weltmärkten . Das heißt, die Strategie ist richtig . Wir sprechen jetzt nicht darüber, dass die Grundlagenforschung stetig und solide finanziert wird, dass sie damit die Freiheit hat, ihre Arbeit aus der eigenen Kreativität heraus zu gestalten . Wir sprechen nicht über die Grundgesetzänderungen im Hochschulbereich und die Chancen, die daraus entstanden sind . Wir sprechen nicht darüber, dass wir bei den Forschungsausgaben bei nahezu 3 Prozent des BIP liegen, na, vielleicht sprechen wir ja doch darüber . Aber zwei, drei Punkte sind hier immer wieder angesprochen worden. Ich finde folgende Frage sehr interessant: Warum sind die Innovationsaufwendungen der mittelständischen Unternehmen nicht entsprechend den wachsenden Umsätzen gestiegen? Sie lagen einmal bei 2,7 Prozent der Umsätze . Sie sind jetzt im Durchschnitt gesunken auf 1,6 Prozent . EFI ist bis jetzt noch ratlos . Wenn kluge Leute ratlos sind, soll man nicht entscheiden . Dann soll man erst einmal denken, bevor man tut, was man soll; denn man sollte wissen, was man tut, bevor man beginnt . ({0}) Insofern warten wir voller Neugier auf den nächsten EFI-Bericht; denn EFI hat uns versprochen - das sind ja die Experten, die sich in Freiheit ihre Themen wählen -, dass sie sagt, was die Gründe dafür sind, dass kleine und mittlere Unternehmen - KMU - weniger in Forschung investieren, und vielleicht auch, was die Abhilfen sind . Da mag man jetzt nach unterschiedlichen Zeiten differenzieren, da mag man nach Zahlen differenzieren - gelegentlich forschen 20 000 KMU, regelmäßig forschen über 30 000 KMU -, aber wenn wir sehen, dass unser größtes Programm, das ZIM, mit über 500 Millionen Euro pro Jahr von 1,4 Milliarden Euro für mittelständische Forschung allenfalls 4 000 Unternehmen pro Jahr erreicht, sind das bezogen auf die 30 000 noch keine qualifizierte Mehrheit. ({1}) Wir wollen die Breite haben . Ich freue mich sehr über die leidenschaftliche Unterstützung der Grünen und auch der SPD . Ich erinnere mich an die letzte Diskussion hier im Plenum, in der Frau Wicklein über die steuerliche Forschungsförderung gesprochen hat . Ich freue mich über die leidenschaftliche Unterstützung für ein Instrument, das alle forschenden Unternehmen erreicht, das in die Breite geht und das unbürokratisch ist . Ich weiß schon, dass wir es in dieser Legislaturperiode nicht hinbekommen; ({2}) denn in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode arbeiten alle Parteien an ihrem Wahlprogramm . Da kommen die Erleuchtungen . Ich habe zwar eine Vorstellung, wie in der nächsten Legislaturperiode die Koalition bzw . die Regierung aussehen wird, ({3}) aber vielleicht bekommen wir Koalitionen, auf die wir uns noch nicht eingestellt haben . Wenn Sie alle die steuerliche Forschungsförderung jetzt majestätisch in Ihre Programme schreiben, dann bekommen wir eine Voraussetzung dafür, dass sich die Wirklichkeit ändert, dass wir in die Breite gehen mit einem fröhlichen Unternehmungsgeist, den die Wirtschaft aufnimmt . Etwas anderes kann nicht sein . ({4}) Die Forschungsförderprogramme, die wir haben, sind prima . Sie sind gezielt . Sie sind zum großen Teil technikoffen . Sie sind ordentlich . Aber manche Mittelständler sind bei der Eroberung der Märkte und bei Innovationen halt besser als bei der Stellung von Anträgen . Auch diese Menschen brauchen wir für die Forschung; denn die Hälfte der Hidden Champions auf dem Weltmarkt sind deutsche Mittelständler . ({5}) Da gibt es einen Einwand, den ich wohl kenne . Er lautet: Das kostet zu viel . - Freunde, das EFI-Gutachten sagt: 3,5 Prozent sollten wir von unserem BIP in 2020 für die Forschung ausgeben . - Herr Kaufmann sagt als aufstrebender Forschungspolitiker ebenfalls: 3,5 Prozent . Auch die Fratzscher-Kommission sagt: 3,5 Prozent . ({6}) Herr Gabriel, der immer wieder mit besonderer Dynamik in neue Zukünfte aufbricht, ({7}) hat gesagt, wir sollten in 2025 über 4,5 Prozent haben, also so viel, wie Südkorea schon jetzt hat . Freunde, lassen Sie uns hohe Ziele setzen . Als wir angefangen haben, die Mittel des Forschungshaushalts zu steigern, sagten uns die klugen Leute: Dann wird es mehr Staatsfinanzierung geben, weil die Wirtschaft nicht mitzieht . - Sie ist mitgezogen . Die großen Unternehmen haben ihre Innovationsausgaben ständig gesteigert: von 3 Prozent ihrer Umsätze im Jahr 1985 auf 4,5 Prozent ihrer Umsätze im Jahr 2013 . Wenn wir hier auch bei den Mittelständlern einsteigen und vorangehen, dann bekommen wir das auch hin . Frau Wanka, ich bin mit Ihrer Aussage uneingeschränkt einverstanden: Das gelingt nur, wenn es in eine solide Gesamtstrategie eingebettet ist eine der Stärken dieser vorzüglichen Koalition, die wir alle bewundern . ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten einen CDU-Parteitag, wie vielleicht einige von Ihnen wissen . Wolfgang Schäuble hat gesagt: Es ist wichtig, dass Deutschland bei der Forschung an der Spitze liegt . Freunde, wir folgen unserem Finanzminister mit BegeisDr. Heinz Riesenhuber terung und in dem Vertrauen, dass wir es gemeinsam mit ihm in eine gute Zukunft schaffen . ({9}) Es ist hier angekündigt worden, dass wir in die Weihnachtspause gehen . ({10}) Das ist die Zeit zum Denken . Manchmal ist es wichtig, zu denken; ich habe bescheiden darauf hingewiesen . So wünsche ich ein gedankenreiches Weihnachtsfest, und dass wir mit dem Entschluss zum Handeln in ein neues Jahr aufbrechen . Das ist mein Wunsch für dieses großartige Parlament in seiner Vielfalt, mit seinen führenden Ideen, mit seiner Prägekraft für Wissenschaft und Wirtschaft und vor allem mit seiner Begeisterung für das Neue, das wir zu schaffen helfen . Das wird das sein, was Deutschland in eine gute Zukunft führt . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Riesenhuber, mindestens die beschwörend guten Worte zum Weihnachtsfest dürfen als per Akklamation angenommen gelten . ({0}) Und nun hat die Kollegin Saskia Esken für die SPD-Fraktion das Wort . ({1})

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, vielen Dank für diese Überleitung; es wird nicht ganz einfach sein, nach dieser Rede zu sprechen . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zahlreiche Aspekte des aktuellen EFI-Gutachtens und der Stellungnahme der Bundesregierung wurden schon angesprochen . Ich will mich zum einen auf den freien Zugang zu öffentlich gefördertem Wissen, also auf Open Access, und auf die Modernisierung des Urheberrechts im Sinne von Bildung und Wissenschaft beziehen . Als Mitglied unseres Digital-Ausschusses äußere ich mich außerdem gerne zum Monitoring der Digitalen Agenda, wie es der Bericht vorschlägt . Wie wir arbeiten, wie wir forschen, wie wir lehren und lernen, wie wir leben, meine sehr verehrten Damen und Herren, das alles wird sich durch die Digitalisierung und Vernetzung sehr stark verändern, und zwar nicht nur, aber insbesondere auch durch den freien Zugang zum Wissen dieser Welt und durch Kommunikation und Zusammenarbeit über Grenzen hinweg . Damit sich die Potenziale der Digitalisierung gut, im Sinne einer offenen und freien Gesellschaft, auch im Sinne der Menschen, entfalten können - das gilt natürlich auch für die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung -, sind wir als Politik aufgerufen, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen . Dem Urheberrecht und seiner Weiterentwicklung für das digitale Zeitalter kommt dabei eine besondere Bedeutung zu . Nicht ohne Grund hat sich das EFI-Gutachten damit ausführlich auseinandergesetzt . Die Koalition hat mit der Entfristung der Wissenschaftsschranke im Urheberrecht im vergangenen Jahr einen ersten wichtigen Schritt getan . Die immer wieder verlängerte Befristung des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes - der Erlaubnis, kleine Teile eines urheberrechtlich geschützten Werkes für Lehrveranstaltungen elektronisch zu nutzen - hat Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen verunsichert und bei der Entwicklung einer digitalen Lehr- und Lernkultur gebremst . Die endgültige Entfristung hat den Einrichtungen endlich eine gewisse Planungssicherheit gegeben . Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sind damit aber noch nicht erreicht worden . Deshalb muss bei der Entwicklung eines modernen Urheberrechts nicht nur die Abwägung des gesellschaftlichen Interesses mit den Belangen der Urheber unser Ziel sein . Für seine Akzeptanz, Anwendbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit ist es vor allem wichtig, dass dieses moderne Urheberrecht auch klar und verständlich ist . ({1}) Es ist wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie Unternehmen, aber vor allem auch Lehrende und Lernende urheberrechtsgeschützte digitale Inhalte rechtssicher nutzen können . Für Letztere benötigen wir so auch die Empfehlung des EFI-Gutachtens - eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke . Im Koalitionsvertrag haben wir dazu bereits vereinbart, das Urheberrecht an die Erfordernisse und Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen, und mit der Digitalen Agenda der Bundesregierung wurde dieses Vorhaben nochmals bekräftigt und bestätigt . Wir dürfen jetzt erwarten, dass die Bundesregierung im Jahr 2016 einen Gesetzentwurf vorlegt . Für den freien Zugang zum Wissen dieser Welt, für seine Qualität, für den Informationsfluss und für die Vernetzung von wissenschaftlicher Arbeit spielt es zudem eine wichtige Rolle, in welchem Rahmen und mit welchen Lizenzen vor allem wissenschaftliche Daten und Ergebnisse veröffentlicht werden . Publikationen und Daten, die aus überwiegend öffentlicher Förderung entstanden sind, müssen, so meinen wir, auch der Öffentlichkeit frei zugänglich sein . Wir diskutieren das unter dem Begriff „Open Access“ und arbeiten dazu an einer umfassenden Strategie . Erst vor kurzem hatten wir in der Fraktion ein sehr aufschlussreiches Fachgespräch dazu . Die Bundesregierung nennt in ihrer Stellungnahme zahlreiche weitere Vorhaben und Maßnahmen der Digitalen Agenda, die die Innovation und die Forschung im digitalen Bereich fördern . Das EFI-Gutachten macht aber eines zu Recht deutlich: Die schönsten politischen Vorhaben sind nur dann etwas wert, wenn ihre Umsetzung begleitet und überprüft werden kann . „Monitoring“ nennt man das wohl auf Neudeutsch . Ich kann das nur unterstreichen . Die Information der Öffentlichkeit, der öffentliche Diskurs und auch ein Monitoring für die Digitale Agenda sind zum einen deshalb unentbehrlich, weil nahezu jedes ihrer Handlungsfelder und ihrer Maßnahmen zahlreiche Lebensbereiche und deshalb eine Vielzahl von politischen Ressorts und meist auch mehrere politische Ebenen betrifft . Zudem schreitet die technologische Innovation gerade in den Handlungsfeldern der Digitalisierung stetig und mit riesiger Geschwindigkeit voran . Aber die gesellschaftlichen Implikationen dieser technologischen Entwicklungen stellen sich erst nach und nach heraus . Auch deshalb ist es durchaus sinnvoll, die Maßnahmen der Digitalen Agenda und ihre Fortschritte der Öffentlichkeit bekannt zu machen und zur Diskussion zu stellen . ({2}) Ich muss aber auch sagen: Das Monitoring der Arbeit der Regierung ist die Aufgabe des Parlaments . So oder so ähnlich steht es, glaube ich, in der Verfassung . Insofern ist es ganz richtig, dass der Ausschuss „Digitale Agenda“, dem ich neben dem Bildungsausschuss angehöre, den Prozess der Digitalen Agenda der Bundesregierung begleitet und die Fortschrittsberichte der Regierung auch regelmäßig diskutiert . Diese Fortschrittsberichte liegen der Öffentlichkeit übrigens vor, aber ich muss einräumen: Ihre Lesbarkeit und ihre Eignung für ein professionelles Monitoring sind entwicklungsfähig . Dazu kommt, dass unsere Beratungen dieser Fortschrittsberichte nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, was wir von der SPD-Fraktion sehr bedauern - und das nicht nur, aber auch, weil sich die Fortschritte der Digitalen Agenda der Bundesregierung durchaus nicht zu verstecken brauchen . Vielen Dank . ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Philipp Lengsfeld erhält nun das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Philipp Lengsfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004338, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Teil der Debatte war mir ein bisschen zu negativ; denn insgesamt steht Deutschland als Forschungsland sehr gut da . ({0}) Das bestätigt uns die EFI-Analyse ausdrücklich, und das hat viel mit der Politik der Bundesregierung zu tun, die seit nunmehr zehn Jahren einen klaren Schwerpunkt auf Forschung und Innovation setzt . Dafür mein ausdrücklicher Dank! ({1}) Als Unionspolitiker möchte ich heute hier in dieser Bildungsdebatte - das ist ja nicht immer so - auch Positives über die Bundesländer sagen; denn auch auf Länderebene setzt sich das gute Bild fort. Ich empfinde es jedenfalls so . Nicht nur in den traditionell industriestarken südlichen Bundesländern, sondern zum Beispiel auch in meinem Land, hier in Berlin, haben wir starke Daten . Bei der Hauptkennzahl, dem Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt von 3,5 Prozent, liegt Berlin direkt hinter Baden-Württemberg auf Platz zwei . Damit haben wir das 3-Prozent- oder sogar das 3,5-Prozent-Ziel im Rahmen der Strategie Europa 2020 schon erreicht . Der föderale Wettbewerb stärkt das System; denn exzellente Forschung und Innovation sind nicht nur gute Wirtschaftsförderung, sondern sehr oft auch gute PR . Darauf achten die Länder natürlich ganz besonders stark . Deshalb trage ich heute in dieser Debatte den Schlips des Naturkundemuseums Berlin und des Instituts der Leibniz-Gemeinschaft, ({2}) wo gestern die Präsentation des sensationellen T-Rex „Tristan Otto“, eines Forschungsobjektes, eröffnet wurde . Deutschland steht gut da . Trotzdem müssen wir unser Forschungsportfolio ständig überprüfen; da bin ich ganz bei den Grünen . Ich ziehe aber andere Schlussfolgerungen; denn für mich ist eine exzellente Plasmaphysik natürlich Teil unseres Forschungsportfolios . Wir haben tolle Nachrichten von unserem Großexperiment Wendelstein 7-X bekommen, einem Gemeinschaftsprojekt von Max-Planck-Institut und Helmholtz-Gemeinschaft . ({3}) Liebe grüne Innovationsskeptiker, Plasmaphysik ist ja nicht nur Fusionsenergie . Plasmaphysik ist mehr als Fusionsenergie . Wichtig ist nicht, lieber Herr Gehring, dass man anders forscht; das kann auch gut sein . Wichtig ist, dass man wirklich Weltspitze ist, und das ist der Wendelstein 7-X ohne jede Frage . ({4}) Um arbiträr ein weiteres Beispiel zu nennen: Eine exzellente Astronomie gehört für mich auch dazu, insbesondere wenn sie fachübergreifend das Thema Big Data beinhaltet . ({5}) - Astronomie . ({6}) - Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, von welchem Projekt ich rede . Kümmern Sie sich mal ein bisschen um die Forschungslandschaft in diesem Land; dann wüssten Sie das . ({7}) Stichwort „fächerübergreifend“ und Stichwort „gutes Portfolio“: Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Abgeordnete mit manchen ausgewählten Projekten intensiver beschäftigen . Man kann aber am konkreten Beispiel einiges lernen . Ich habe mich in den letzten zwei Jahren sehr intensiv mit dem Projekt „Virtuelle Rekonstruktion“ des Fraunhofer IPK hier in Berlin beschäftigt, eine echte Weltinnovation; ein Projekt, das seinen Ursprung in der Erinnerungsarbeit, der Rekonstruktion handzerrissener Akten des Ministeriums für Staatssicherheit hat, welches aber in seiner Qualität und Bedeutung mittlerweile weit über den Ursprungsauftrag hinausragt . Das ist übrigens auch ein Zeichen einer echten Innovation . Leider ist nach erfolgreichem Proof of Concept die zweite Projektphase nicht vollständig ausfinanziert; ein Fehler, den wir in Deutschland übrigens häufiger machen. Wir machen den ersten Schritt . Dann gehen wir leider nicht weiter und fahren auch nicht den Erfolg ein . Ich sage aber ganz deutlich, dass wir, die Unterstützer dieses wichtigen und hochinteressanten Projekts, weiterhin für eine Fortführung kämpfen werden . Ich bin optimistisch, dass wir eine Lösung finden. Dies ist letztendlich auch eine übergreifende Forschungserkenntnis: Echte Innovationen kommen nicht von selber oder werden einfach mal so in Auftrag gegeben, sondern müssen oft gegen hartnäckige Widerstände oder Desinteresse durchgesetzt werden . Die Geschichte unseres Nobelpreisträger Stefan Hell ist ja hier sehr eindrücklich . Dies sollten wir in Deutschland - Stichwort „Forschungsfreiheit“ - nie vergessen . ({8}) Lassen Sie mich ein Wort zum internationalen Wettbewerb sagen; denn die Konkurrenz - das klang heute schon an - schläft nicht . Wir dürfen uns nicht auf Erfolgen ausruhen . Schauen wir also auf den für die Forschung überragend wichtigen Indikator, nämlich die Fachpublikationen, die im EFI-Gutachten ausführlich beschrieben sind . Hier ist zunächst festzustellen, dass bei den Fachpublikationen der deutsche Anteil im Zeitraum 2003 bis 2013 weltweit gesunken ist . So bedauerlich dies ist, so nachvollziehbar ist aber dieser Trend angesichts massiver Bemühungen aus China, aber auch Brasilien, Indien und anderen aufstrebenden Ländern, ihre eigene Sichtbarkeit in der Fachwelt zu erhöhen . Aber sehr erfreulich ist ein anderer Wert: Die Qualität der deutschen Publikationen, gemessen am Indikator „internationale Akzeptanz“, hat nämlich im ähnlichen Zeitraum deutlich zugenommen und ist aus dem negativen in den positiven Bereich gerückt. Ein sehr wichtiges Signal; das finde ich sehr gut . ({9}) In dem EFI-Gutachten wird aber bei Fachpublikationen - das gehört zur Ehrlichkeit dazu - trotzdem von einem insgesamt gemischten Bild gesprochen, da sich ein weiterer Qualitätsindex, die zeitschriftenspezifische Beachtung, etwas verschlechtert hat . Wir sehen also, dass wir es mit komplexen Vorgängen zu tun haben, wo es nicht immer die eine einfache Antwort gibt, liebe Grüne . Gerade wegen dieser Vielschichtigkeit der Bewertung langfristiger Trends finde ich solche detaillierten Gutachten wie das EFI-Gutachten so wichtig, damit wir unseren Kurs permanent überprüfen und verbessern können . Zum Abschluss möchte ich mit Blick auf Deutschland eine Zahl wiederholen; denn das ist mir ein bisschen zu locker-flockig erledigt worden: Seit 2005 sind die Investitionen des Bundes in Forschung und Entwicklung um fast 6 Milliarden Euro gestiegen . ({10}) Das ist ein Zuwachs um 65 Prozent, und das ist mehr als beachtlich . Das war richtig und wichtig, und diesen Weg müssen wir weitergehen . Die internationalen Vergleiche zeigen aber auch, dass andere Länder nicht nachstehen . Es geht nicht nur um Geld - das klang heute auch an -, sondern es geht auch um gesellschaftliche Wertschätzung . Die Union als die Forschungspartei Deutschlands hat wichtige und notwendige Weichenstellungen vorgenommen . ({11}) Für den Erhalt und die Stärkung unserer Innovationskraft und unseres Wohlstands müssen wir diesen Trend aber gemeinsam auch in den kommenden Jahren fortsetzen . Dafür werbe ich . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Rainer Spiering ist für die SPD-Fraktion der letzte Redner in der Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt . ({0})

Rainer Spiering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004410, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Herr Riesenhuber, haben Sie Dank, dass ich an Ihrer Rede teilhaben konnte . Das war wirklich ein Erlebnis . Wenn wir den EFI-Bericht nüchtern lesen, dann haben wir vorab festzustellen, dass fast 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden . Angesichts der absoluten Zahlen bedeuten 3 Prozent des BIP der Bundesrepublik Deutschland eine unglaublich große Menge Geld für Forschung und Entwicklung. Ich finde, dieses Land kann sich freuen, dass die Möglichkeiten dafür gegeben sind, und im EFI-Gutachten wird bei aller möglichen Kritik auch deutlich, dass das eine gewaltige Leistung ist . ({0}) Ich möchte eine Stelle aus dem EFI-Gutachten zitieren, in dem es unter dem Stichwort „Additive Fertigung im Bildungssystem verankern“ heißt: Kompetenzen für die Nutzung von AF sollten im gesamten Ausbildungssystem vermittelt werden . AF-Technologien sollten nicht nur an Hochschulen, sondern auch in der beruflichen Ausbildung und an Schulen flächendeckend eingesetzt werden. Bevor jetzt der geneigte Zuhörer oder die geneigte Zuhörerin auf die Idee kommt, das sei Länderangelegenheit, sei gleich gesagt: Das ist falsch . Die Ausstattung und Einrichtung der Schulen ist rein kommunale Angelegenheit . Querverweise auf Länder sind nicht gestattet, weil sachlich falsch . ({1}) Dahin zielt jetzt meine Aufforderung: Wenn wir in Deutschland die Schnittstelle zwischen Forschung und Entwicklung - und das ist die Schnittstelle zwischen beruflicher Anwendung und beruflicher Ausbildung - auf die Anforderungen des Systems einstellen wollen - sie sind Ihnen alle bekannt: Smart Mobilities, Smart Buildings, Smart Products, Smart Factory, Smart Logistics -, müssen wir wissen: Alle diese Schlagworte sind in Deutschland immer elementar mit dem dualen Berufsausbildungssystem verbunden . Daraus ergibt sich auch der weltwirtschaftliche Erfolg, den wir haben . ({2}) Wenn wir diese Schnittstelle erhalten und das System, das nicht nachgelagert zur Hochschule besteht, sondern sozusagen zugelagert, ernst nehmen, dann werden wir auch im beruflichen Ausbildungssystem die Aktivität steigern müssen, eine Aktivität, die wir an den Hochschulen bereits gezeigt haben . ({3}) Noch einmal: Querverweise auf die Länder sind sachlich falsch . Wir werden uns also als Bundesgesetzgeber darüber Gedanken machen müssen, wie wir über Einflussnahme auf das Berufsbildungsgesetz, aber auch über Stärkung der Kommunen dafür Sorge tragen, dass die berufsbildenden Schulen in Zukunft in die Lage versetzt werden, diese unendlich große Aufgabe zu erfüllen . ({4}) Was brauchen wir an den zukünftigen berufsbildenden Schulen, damit wir den Technologieumsatz leisten können? Wir brauchen hochleistungsfähige CAD/CAM-Systeme . Wir brauchen hochleistungsfähige Softwaresysteme, um all das, was wir für die Programmierung von Werkzeugmaschinen direkt an die Schülerinnen und Schüler bringen müssen, leisten zu können . Wir werden die Lehrerinnen und Lehrer an den Hochschulen entsprechend ausbilden müssen, damit sie pädagogisch in die Lage versetzt werden, das zu transferieren . Wir werden also im Bereich der Hochschulausbildung der Lehrer deutlich mehr tun müssen, und ich glaube, wir wollen das auch tun . ({5}) Wir als Deutsche haben eine riesige Chance durch Industrie 4 .0 . Das EFI-Gutachten beschreibt das mithilfe des Begriffs „Additive Fertigung“ exemplarisch . René Röspel hat den Bereich der Einzelteilfertigung sehr gut beschrieben . Aber dann muss man auch entsprechende Leute vor Ort haben, die das unter Nutzung vorhandener Systeme handwerklich umsetzen können . Deswegen kann ich dieses Hohe Haus nur dazu auffordern, der beruflichen Bildung sowohl an den Schulen als auch an den Hochschulen deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken . Dann wird Industrie 4 .0 für Deutschland - darin bin ich mir sicher - eine große Erfolgsgeschichte . Frohe Weihnachten . ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6830 und 18/4310 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich stelle dazu Ihr Einverständnis fest . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 5: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Drucksachen 18/6743, 18/6946 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7079 Hierzu liegt jeweils ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren . Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Niels Annen für die SPD-Fraktion . ({2})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache, dass wir heute den Bundeswehreinsatz Resolute Support verlängern werden, ({0}) ist sicherlich keine gute Nachricht . ({1}) Das ist kein Grund zur Freude, weil sich Afghanistan in den letzten Jahren nicht so entwickelt hat, wie wir uns alle das erhofft haben . Wir alle haben hart für den Erfolg gearbeitet . Dass er nicht wie erwünscht ausgefallen ist, ist vor allem für die Menschen in Afghanistan eine bedrückende Situation . Dennoch ist die Lage nicht nur schwarz-weiß . Deswegen ist es zumindest für die Mehrheit in diesem Hause keine Option, die Fortschritte, die es auch in Afghanistan gegeben hat, einfach zu ignorieren . ({2}) Es ist für uns keine Option, das Land einfach seinem Schicksal zu überlassen . ({3}) Die Verlängerung und die Aufstockung von Resolute Support, die wir heute beschließen werden, sollen aus meiner Sicht zwei deutliche Botschaften transportieren . Die erste Botschaft lautet: Wir stehen zu unserer Verantwortung in Afghanistan . Vor allem lassen wir die Menschen in Afghanistan in dieser schwierigen Situation nicht allein . ({4}) Die zweite Botschaft ist mir genauso wichtig . Wir wissen, dass die gegenwärtige Instabilität nicht nur etwas mit den Aktivitäten der Taliban zu tun hat . Sie hat auch etwas mit der Instabilität der afghanischen Regierung zu tun . Deshalb richtet sich die zweite Botschaft auch an den Präsidenten und den CEO in Afghanistan: Legt endlich eure internen Streitigkeiten bei! Denn auch das hat zur Instabilität beigetragen . ({5}) Der Fall von Kunduz war auch für uns ein Schock; denn die Bundeswehr und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit waren in dieser Region ganz besonders aktiv . Es war vor allem für die Menschen in Afghanistan ein Schock, weil es das erste Mal war, dass eine Großstadt zwischenzeitlich an die Taliban gefallen ist . Ich will versuchen, diese Entwicklung in den Kontext zu stellen . Jedem war doch klar, dass es mit dem Ende des Kampfeinsatzes der internationalen Gemeinschaft, mit dem Ende von ISAF, eine Offensive der Taliban geben würde . Das war quasi eine Einladung zu einem bestimmten Datum und war in gewisser Weise absehbar . Obwohl es Rückschläge gegeben hat, muss man an dieser Stelle sagen: Die afghanischen Sicherheitskräfte, vor allem die afghanische Polizei, die afghanischen Armeeangehörigen, sind in den letzten Jahren und auch in diesem schwierigen Jahr in der Lage gewesen, diese Angriffe abzuwehren und für die Sicherheit in Afghanistan zu sorgen . Ja, es gibt die negativen Bilder - wir haben darüber häufig diskutiert -; aber es gibt eben auch Grund zur Hoffnung, weil sich die afghanischen Sicherheitskräfte bewährt haben, vor allem aber, weil es in Afghanistan selbst Fortschritte gibt . Es geht mir nicht darum, dass wir nach so vielen Jahren, in denen es in diesem Haus - seien wir ganz ehrlich - manchmal ritualisierte Debatten gab, zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns alle einig darüber sind, was in der Vergangenheit richtig und was in der Vergangenheit falsch war . Die Diskussion darüber ist legitim . Aber meine Bitte ist, dass wir auch wegen der Menschen in Afghanistan, die die Diskussion hier über die sozialen Medien verfolgen, dazu kommen, uns ein bisschen ehrlicher auch über die wichtigen Fortschritte zu unterhalten . Das jedenfalls ist mein Appell an die Teile der Opposition, die diesem Einsatz nicht zustimmen werden .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Annen, darf der Kollege Ströbele eine Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbemerkung machen?

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das darf der Kollege Ströbele gerne tun .

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Herr Ströbele .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Annen, ich kann Ihnen nicht folgen, wenn Sie behaupten, dass die Rückeroberung von Kunduz ein Beweis dafür ist, wie stark und funktionsbereit die afghanischen Kräfte sind . Können Sie mir bestätigen, dass diese Rückeroberung überhaupt nur gelungen ist durch einen massiven Einsatz von US-Sondereinheiten und durch massive Bombardierungen, unter anderem des dortigen Krankenhauses von Ärzte ohne Grenzen, mit unendlich vielen zivilen Opfern? Können Sie bestätigen, dass das der Grund für die Rückeroberung von Kunduz war und dass das kein Beweis dafür ist, dass die afghanische Armee und die afghanische Polizei in der Lage sind, zu kämpfen? Nehmen Sie des Weiteren zur Kenntnis, dass sie nicht mehr kämpfen wollen, weil die afghanischen Kräfte kriegsmüde sind, dass jedes Jahr zwischen 20 und 30 Prozent von ihnen, unter anderem auch solche, die von Deutschen ausgebildet worden sind, weglaufen? Sie laufen zu den Taliban über, bleiben einfach zu Hause, fliehen nach Europa oder machen sonst etwas . Wollen Sie das zur Kenntnis nehmen, oder wollen Sie auch die nächsten 14 Jahre die Situation in Afghanistan schönreden? Der Krieg dort ist verloren . Wollen Sie der Bundesregierung nicht endlich den Auftrag geben, sich dort einmal dafür einzusetzen, dass substanzielle Verhandlungen in Gang kommen, statt sich immer nur auf die militärische Lösung zu konzentrieren? Jetzt kündigt die Ministerin auch noch an, dass der verstärkte Einsatz in Afghanistan lange dauern wird . Werden es weitere 14 Jahre sein oder doch weniger?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege .

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie das beantworten? ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Ströbele, ich bin nicht so ganz sicher angesichts der Frage, die Sie an mich richten, ob Sie meiner Rede zugehört haben . ({0}) Von „schönreden“ kann überhaupt nicht die Rede sein . ({1}) Ich habe im ersten Satz meiner Rede gesagt, dass es keinen Grund gibt, zufrieden zu sein . Ich habe darauf hingewiesen, dass es eigentlich ein trauriger Anlass ist, dass wir uns im Moment in der Lage sehen, darüber entscheiden zu müssen, den Einsatz fortzusetzen, statt ihn, wie wir es uns gewünscht haben, zu beenden . Ein zweiter Punkt . Ich frage mich, woher Sie die Festigkeit in Ihrem Urteil nehmen . Ich habe ja nicht über Kunduz gesprochen, sondern darüber, dass es absehbar war, dass es mit dem Ende von ISAF eine große Offensive der Taliban und übrigens auch anderer oppositioneller Kräfte geben werde; sie hat auch stattgefunden . Diese Offensive hat aber nicht nur in Kunduz stattgefunden, sondern in vielen Provinzen Afghanistans . Dort hat es, wie in Kunduz, an der einen oder anderen Stelle Rückschläge gegeben . Das habe ich erwähnt . Insofern ist Ihr Vorwurf des Schönredens nicht aufrechtzuerhalten . Insgesamt sind die Sicherheitskräfte in der Lage gewesen, die Kontrolle über das von der Regierung gehaltene Territorium zu behalten . Das wäre nicht gelungen, wenn die afghanischen Sicherheitskräfte nicht selber gekämpft hätten . Das, was Sie erwähnt haben als weitere Unterstützung, ist nur für absolute Notfälle vorgesehen, und das ist ein absoluter Notfall gewesen . Es gibt keine Kampfoperationen der internationalen Gemeinschaft mehr, weder der Bundeswehr noch der amerikanischen Kräfte . Dass Sie jetzt indirekt unterstellen, die tragische Bombardierung eines Krankenhauses in Kunduz habe dazu beigetragen, die Stadt zurückzugewinnen, dem kann ich, ehrlich gesagt, intellektuell nicht folgen . Das ist ein tragischer Unfall gewesen, ({2}) den wir alle miteinander verurteilt haben . Sie haben die Hoffnung, die ich vorhin ausgedrückt habe, enttäuscht, dass wir ein bisschen realistischer und angemessener und vor allem im Sinne der Menschen über Afghanistan diskutieren . ({3}) Ich möchte in der verbleibenden Zeit noch einen weiteren Aspekt in die Debatte einbringen . Wir haben wegen der Flüchtlingssituation in Deutschland auch eine Afghanistan-Debatte gehabt, die sich wiederum nicht an den Menschen in Afghanistan orientiert hat . Ich habe die Sicherheitslage angesprochen . Es stimmt, es gibt einige Regionen in Afghanistan, in denen die Lage glücklicherweise besser ist . Aber die Vorstellung, die es gegeben hat, man könnte jetzt in großem Rahmen Rückführungen von Flüchtlingen nach Afghanistan vornehmen, halte ich auch nach den Lageberichten unserer eigenen Botschaft für unrealistisch . ({4}) Deswegen unterstützen wir die Botschaft, dass wir Afghanistan nicht alleine lassen - dafür bin ich der Bundesregierung dankbar -, auch durch eine intensive Informationskampagne in Afghanistan selber, indem wir über die Risiken dieser gefährlichen Flucht aufklären und darüber, dass viele der Versprechungen, die von kriminellen Schleuserbanden in Afghanistan verbreitet werden, eben nicht der Wahrheit entsprechen . Das verbinden wir mit dem Versprechen, dieses Land nicht alleine zu lassen . Dafür brauchen wir funktionierende Sicherheitskräfte, nicht nur die Armee, sondern auch die Polizei . Wir brauchen auch das psychologische Element, dass wir nach so vielen Jahren des Einsatzes in Afghanistan gerade dann, wenn es schwierig wird, diese Regierung nicht alleine lassen . Meine sehr verehrten Damen und Herren, leicht fällt mir die Entscheidung nicht - ich glaube, das gilt für jeden von uns -, weil sie ein Stück Eingeständnis ist, dass wir nicht so weit gekommen sind, wie wir kommen wollten . Aber wenn Sie sich alleine anschauen, wie viele junge Mädchen und Jungen heute in Afghanistan zur Schule gehen, oder die erste Generation von Absolventen von Schulen und Hochschulen betrachten, die das Land heute schon verändert haben und die nicht akzeptieren werden, dass dieses Land in das Mittelalter der Taliban-Herrschaft zurückkehrt, dann erkennen Sie, dass es einen guten Grund gibt, diesem verantwortungsvoll formulierten Mandat zuzustimmen . Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte Sie um Zustimmung für dieses Mandat . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Christine Buchholz ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke . ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Niels Annen, das war echt schwach . ({0}) Seit 14 Jahren ist die Bundeswehr nun im Afghanistan-Krieg . Laut der Ärzteorganisation IPPNW sind in Afghanistan seit 2001 über 200 000 Menschen getötet worden, in der Mehrzahl Zivilisten . 55 Bundeswehrsoldaten starben in diesem Einsatz . Allein der deutsche Militäreinsatz verschlang viele Milliarden Euro . Der afghanische Soldat Bakhtullah sagte kürzlich - ich zitiere aus einem Interview im Deutschlandfunk -: Als die Welt vor 14 Jahren nach Afghanistan kam, hieß es, dass sie uns den Frieden bringen . Aber es herrscht Krieg . Meine Damen und Herren, der NATO-geführte Krieg in Afghanistan ist gescheitert . ({1}) Vor einem Jahr versprach die Bundesregierung, dass die Bundeswehr 2016 aus Afghanistan abzieht . Davon ist keine Rede mehr . Nun sagt Frau von der Leyen, es sei ein Fehler gewesen, sich überhaupt auf einen Abzugszeitpunkt festzulegen . Nein, der Fehler war, dass überhaupt jemals Bundeswehrtruppen nach Afghanistan entsandt worden sind . ({2}) Vor einem Jahr hieß es, bei dem neuen Afghanistan-Mandat gehe es nur noch um Ausbildung . Das Mandat sah keine Begleitung von afghanischen Truppen im Einsatz vor . Das sieht nun anders aus . Mit diesem Mandat werden deutsche Soldaten die afghanische Armee im Einsatz begleiten . Plastisch können wir uns vorstellen, wie das aussieht, beispielsweise anhand der Rückeroberung von Kunduz im Oktober . Sie nennen das Beratung; wir nennen das Beteiligung am Krieg . ({3}) - Der Applaus meiner Fraktion ist absolut ausreichend . Schauen wir nach Afghanistan . Im Oktober übernahmen die Taliban kurzzeitig Kunduz . Das war ein Schock, aber kein Einzelfall . Im Laufe der letzten Woche stürmten Aufständische mitten in Kabul die spanische Botschaft . Sie griffen den Flughafen von Kandahar an und brachten einen weiteren Distrikt in Helmand unter ihre Kontrolle . Ich sage Ihnen: Frieden und Demokratie kann man nicht von außen erzwingen . ({4}) Diese Verhältnisse finden ihre Erklärung auch darin, dass die Bundesregierung eine korrupte afghanische Regierung im Amt hält . In einigen Regionen haben Warlords das Sagen, die selbst nicht besser sind als die Taliban . Dementsprechend sind die Methoden, mit denen gekämpft wird . Human Rights Watch berichtete im Juni davon, dass führende afghanische Offiziere den Befehl erteilt haben, Gefangene hinzurichten statt festzuhalten . Der Oberkommandierende der Afghanischen Nationalarmee, General Schahim, hat vor dem im Norden kämpfenden 209 . Armeekorps gesagt, es gebe keine Verbote mehr, was nächtliche Razzien angeht, es gebe keine Verbote mehr, was den Gebrauch der Artillerie angeht . Es kann nicht angehen, dass unter dem neuen Mandat deutsche Truppen zu Mittätern solcher Praktiken gemacht werden . ({5}) Die Rückeroberung von Kunduz hat gezeigt, dass auch die amerikanischen Verbündeten Kriegsverbrechen begehen . US-Streitkräfte haben ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen angegriffen . 30 Patienten und Ärzte starben . Lieber Niels Annen, das war eben kein tragischer Unfall . Wir fordern hier eine unabhängige internationale Untersuchungskommission . Die Bundesregierung sollte sich auch dafür einsetzen und nicht nur glauben, was das Pentagon selbst aufklärt . ({6}) Warum schicken Sie die Bundeswehr nach Afghanistan? Weil Sie Deutschland als militärische Führungsmacht etablieren wollen . Wenn Sie sich das Scheitern in Afghanistan eingestehen würden, würden Sie das, was Sie unter Glaubwürdigkeit verstehen, infrage stellen . ({7}) Außerdem geht es Ihnen um den Einfluss Deutschlands. Reden Sie nicht drum herum; denn so ist es . ({8}) Die Linke sagt: Dafür dürfen das Leben und die Gesundheit weder von Afghaninnen und Afghanen noch von deutschen Soldatinnen und Soldaten riskiert werden . ({9}) Derzeit fliehen viele Menschen aus Afghanistan. Sie haben die Hoffnung auf Frieden und eine sichere Zukunft verloren . Ich habe in den letzten Wochen viel mit afghanischen Flüchtlingen hier in Deutschland gesprochen . Alle sind in Sorge, dass sie von der Regierung trotz der unsicheren Situation in Afghanistan zurückgeschoben werden . Und was sagt Innenminister de Maizière? Deutsche Soldaten würden das Land sicherer machen . DesNiels Annen halb könne man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben . - Das ist zynisch, meine Damen und Herren . ({10}) Die Linke sagt Nein zu einer Beteiligung am Endloskrieg in Afghanistan . Ziehen Sie endlich die Konsequenzen aus dem Scheitern der Bundeswehr in Afghanistan, und holen Sie die Soldatinnen und Soldaten zurück! Vielen Dank . ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Bundesverteidigungsministerin . ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war vergangene Woche im Camp Marmal bei Masar-i-Scharif und habe dort auch mit afghanischen Studentinnen und Studenten gesprochen . Liebe Frau Buchholz, ich hätte gewünscht, Sie hätten als Linke die Einladung nicht ausgeschlagen, mit nach Afghanistan zu fliegen. ({0}) Wenn Sie mit diesen jungen Studentinnen und Studenten gesprochen hätten und Sie gehört hätten, mit welchem Enthusiasmus, mit welcher Energie sie ihr Land aufbauen wollen, dann hätten Sie nicht so eine hoffnungslose Rede gehalten, sondern würden mir zustimmen, dass es sich lohnt, in dieses Land und die dort lebenden jungen Menschen zu investieren . ({1}) Es ist richtig: Wir dürfen nichts schönreden . Das tun wir auch nicht . Das Jahr 2015 ist ein hartes Jahr für Afghanistan gewesen . Die Streitkräfte haben zum ersten Mal alleine die Verantwortung für die Sicherheit im Land gehabt . Wir, die NATO und unsere Partner, haben uns Anfang 2015 bewusst aus dem Kampfeinsatz zurückgezogen und nur noch im Hintergrund beraten und unterstützt . Man muss deutlich sagen, dass die ursprüngliche Ankündigung der internationalen Partner, dass wir uns im nächsten Jahr aus der Fläche zurückziehen und uns ausschließlich auf Kabul konzentrieren würden, nicht ohne Wirkung geblieben ist . Das hat nämlich - das muss man sagen - die afghanischen Regierungstruppen teilweise entmutigt und die Taliban ermutigt . Deshalb halte ich es für richtig, dass wir jetzt die reine Orientierung auf Zeitlinien korrigieren und stattdessen zu dem Kriterium zurückkehren, dass wir allein anhand des Fortschrittes im Land unsere Präsenz bemessen . ({2}) Was sind die Lektionen, die wir gelernt haben aus diesem ersten Jahr Ausbildungs- und Beratungsmission? Erstens . Wir brauchen eine ungeschminkte Lagebeurteilung . Der ursprüngliche Plan war zu ehrgeizig; das war zu schnell . Im vergangenen Jahr hat es viele, zu viele Anschläge der Taliban mit einer hohen Zahl von Opfern gegeben, gerade erst wieder in der vergangenen Woche in Kandahar . Aber es zeigt sich: Obwohl die Taliban überall im Land punktuell zuschlagen können - das haben wir ja in den vergangenen Monaten erlebt -, bedeutet dies nicht - das hat Herr Annen schon zu Recht gesagt -, dass es keine stabileren Regionen in Afghanistan gibt, in denen die Menschen nach afghanischen Verhältnissen einen weitgehend normalen Alltag leben können . Das heißt, den Taliban ist es nicht gelungen, ihre Ziele durchzusetzen . Sie haben es nicht geschafft, das Terrain, das sie erobert haben, auf Dauer zu halten . Vielmehr ist es den afghanischen Streitkräften gelungen, ihre Stellungen zurückzuerobern . Das hat sich letzte Woche in Kandahar gezeigt, wo sie es alleine geschafft haben . Da haben die afghanischen Streitkräfte ihr Ziel erreicht . Dafür ist ihnen Respekt zu zollen . Zweitens. Aus der ungeschminkten Analyse der Defizite müssen Konsequenzen gezogen werden; das ist richtig . Das heißt konkret für den Norden: Das dort ansässige 209 . Korps war überdehnt, weil es an zu vielen verschiedenen Punkten gleichzeitig eingesetzt wurde . Insofern ist es richtig, dass die afghanische Regierung plant, dort eine Division aufzubauen . Die afghanischen Sicherheitskräfte brauchen mehr Flexibilität, sie brauchen mehr Professionalität . Genau darauf werden wir unsere Ausbildung und Beratung im kommenden Jahr auch zuspitzen: Wir brauchen eine bessere Aufklärung . Wenn man Erkenntnisse hat, müssen wir die Fähigkeit haben, diese zu einem Bild zusammenzusetzen und danach zu handeln . Wir müssen das Führungsverhalten verbessern . Die Ereignisse von Kunduz sind vor allem aufgrund eines mangelhaften Führungsverhaltens geschehen . Außerdem muss es ein besseres Zusammenwirken von Polizei und afghanischen Streitkräften geben . Dafür werden wir unser Kontingent erhöhen, wie es in diesem Mandat vorgesehen ist . Drittens . Unsere Botschaft „Wir bleiben länger“ ist kein Blankoscheck für Afghanistan, sondern ist mit einer klaren Erwartung an die Regierung verbunden . Die Regierung in Kabul muss die besprochenen und versprochenen Reformen in der Politik, zum Beispiel die Wahlreform, aber auch in der Wirtschaft endlich konsequent umsetzen . Ich habe diese Erwartung in meinen Gesprächen in der letzten Woche mit Präsident Ghani und dem CEO Abdullah Abdullah sehr deutlich formuliert . Es kann in der Tat nicht sein, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten über Jahre nach Afghanistan schicken, um zu stabilisieren und Schritt für Schritt die Eigenständigkeit Afghanistans wiederherzustellen, und gleichzeitig die ausgebildeten und wohlhabenden Afghanen das Land verlassen, weil sie keine Perspektive sehen . Nein, die Stabilisierung in Afghanistan muss aus der Mitte des Landes von den Afghanen selber geleistet werden . Das ist unsere Erwartung an das Land . ({3}) Viertens . Wir dürfen in der wirtschaftlichen Aufbauarbeit und in der Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan nicht nachlassen, gerade weil wir uns militärisch weiter zurückziehen und nur noch im Hintergrund agieren . Jeder dritte Flüchtling aus Afghanistan, der nach Europa kommt, war vorher Binnenflüchtling in Afghanistan. Das zeigt, dass die Menschen weiter nach Europa ziehen werden, wenn ihnen die Perspektive im Land fehlt . Für uns heißt das: Wir müssen die Hilfsorganisationen in Afghanistan finanziell besser ausstatten und dort ansetzen. Deshalb ist es gut, dass es im Februar des kommenden Jahres eine Geberkonferenz geben wird . Es ist allemal klüger, die Hilfsorganisationen und die Entwicklungszusammenarbeit finanziell so auszustatten, dass die Menschen in Afghanistan tatsächlich eine Perspektive sehen, als dass sie ihr letztes Hab und Gut den Schleppern und Schleusern anvertrauen und wir steigende Flüchtlingszahlen hier in Europa haben . Die Arbeit in Afghanistan muss finanziell so ausgestattet sein, dass die Menschen dort tatsächlich eine Perspektive haben . ({4}) Fünftens . Die Nachbarn Afghanistans müssen sich mit Nachdruck und konstruktiv einbringen, vor allem Pakistan . Hier gibt es erste Schritte, die hoffnungsvoll stimmen . In der vergangenen Woche hat sich der afghanische Präsident mit dem pakistanischen Premier getroffen - Präsident Ghani ist nach Pakistan, nach Islamabad, gefahren -, und sie haben beide versichert, dass sie den Kampf gegen den Terror gemeinsam intensivieren wollen . Auch Pakistan weiß um seine Schlüsselrolle bei der Versöhnung . Sowohl Premier Sharif als auch der Armeechef haben mir gegenüber betont, dass sie wissen, dass jetzt der geeignete Moment gekommen ist, mehr zusammenzuarbeiten und mit den Taliban, die gesprächsbereit sind - das sind nicht alle; aber es gibt gesprächsbereite Taliban -, die Versöhnungsarbeit zu beginnen . Wir sollten Afghanistan und Pakistan an diesem Punkt mit aller Kraft unterstützen; denn, meine Damen und Herren, wenn es etwas gibt, was uns Afghanistan in den vergangenen 14 Jahren gelehrt hat, dann ist es die Tatsache, dass Sicherheit, der wirtschaftliche Aufbauprozess und vor allem die Versöhnungsarbeit untrennbar miteinander verbunden sind . Deshalb ist es richtig, dass wir dieses Mandat verlängern . Ich bitte um Ihre Zustimmung . Danke schön . ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält die Kollegin Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns alle hier verbindet trotz großer Kontroversen der Gedanke, dass wir für die Menschen in Afghanistan eine besondere Verantwortung tragen und sie nicht alleine lassen dürfen . Daher plädiert hier auch niemand dafür, den zivilen und politischen Wiederaufbau oder die Entwicklungszusammenarbeit einzuschränken oder gar zu beenden, und das ist gut und richtig so . ({0}) Trotz der zahlreichen schlechten Nachrichten aus dem vergangenen Jahr gibt es auch positive Entwicklungen in Afghanistan . Beispielsweise wäre ohne die jahrelange internationale Unterstützung für viele junge Menschen in Afghanistan, insbesondere für Mädchen, der Zugang zu Bildung nicht möglich . Immer wieder erreichen mich Geschichten, dass auch in Regionen, wo die Taliban wieder stärker werden, die Schulen wegen des Engagements mutiger Menschen vor Ort geöffnet bleiben . Diesen Fortschritt können auch rückwärtsgewandte Taliban nicht mehr zerstören . ({1}) So gibt es mittlerweile eine ziemlich große Gruppe von jungen, gut ausgebildeten Menschen, die trotz aller Rückschläge daran glauben und vor allem dafür arbeiten, dass ihr Land eine bessere Zukunft haben soll . Sie sind nicht nur die Hoffnung Afghanistans, sondern auch unsere wichtigsten Partner . Meine Damen und Herren, die Sicherheitslage hat sich im letzten Jahr nicht zum Besseren entwickelt . Die Taliban und andere aufständische Gruppen verüben weiter ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung grausame Attentate und Attacken . Sie schlagen gezielt zu in Kunduz, in Kabul, in Kandahar . Es ist in den letzten 14 Jahren nicht gelungen, die Taliban militärisch zu besiegen, auch nicht mit immer mehr NATO-Soldaten und immer offensiveren Strategien . Im Gegenteil: Dieses Ziel konnte durch den Kampfeinsatz in Afghanistan nicht erreicht werden . Er war sogar in einigen Punkten kontraproduktiv . Da denke ich vor allem an die zahlreichen Luftangriffe, Drohnenschläge und Night-Raids der US-Streitkräfte, denen auch Zivilistinnen und Zivilisten zum Opfer gefallen sind . Daher war es richtig, dass die NATO beschlossen hat, den ISAF-Einsatz in Afghanistan zu beenden . Während die Bundesregierung beteuert, dass die Nachfolgemission Resolute Support doch nur eine Ausbildungsmission ist, gibt es für die USA diesen Unterschied nicht . Ursprünglich sollte diese Mission im kommenden Jahr nur noch in Kabul stattfinden und danach beendet werden . Diese Pläne sind nun mit dem neuen Mandat hinfällig . Die Bundeswehr soll auch im nächsten Jahr im Norden bleiben; es sollen wieder mehr deutsche Soldatinnen und Soldaten sein . Der vollständige Abzug ist nicht mehr in Sicht und wird auf eine ferne Zukunft vertagt . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie empört Sie vor einem Jahr waren, als wir Grüne gesagt haben, dass Sie länger in Afghanistan bleiben wollen . Nun verteidigen Sie im Brustton der Überzeugung, dass es richtig ist, diesen Militäreinsatz auf unbestimmte Zeit zu verlängern . Auf die Frage aber, wie lange denn insgesamt die Mission dauern soll und anhand welcher Ziele und KriBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen terien Sie sie zum Ende und zum Erfolg bringen wollen, hat niemand von Ihnen eine Antwort . Diese Unklarheit birgt Gefahren für die Zukunft . ({2}) Die öffentliche Debatte, dass es wieder zurück zum aktiven Kampf gehen müsse, hat schon längst begonnen . Zwar beteuert die Bundesregierung, dass sie das nicht machen will und wird . Aber Sie verändern schon jetzt das Mandat in diese Richtung, indem die Bundeswehr die afghanische Armee bei Operationen stärker begleiten soll . Wahrscheinlich sind Sie jetzt wieder empört, wenn wir Grünen sagen, dass hier ein gefährlicher Rutschbahneffekt droht . Aber woher soll ich den Glauben nehmen, dass es auch hier nicht wieder anders kommt, als Sie es uns heute versichern? ({3}) Sie versuchen auch, uns und der Öffentlichkeit weiszumachen, dass die etwas intensivere und längere Ausbildung der Sicherheitskräfte sich unmittelbar positiv auf die Sicherheitslage auswirken würde . Das ist aber eine Illusion; denn die Wirkung - hier unterstelle ich den bestmöglichen Fall - ist doch höchstens langfristig und begrenzt . Meine Damen und Herren, groß war die Hoffnung nach den erfolgreichen Wahlen im letzten Jahr . Umso schwerer wiegt nun die Enttäuschung bei den Menschen in Afghanistan über ihre Regierung . Statt den Afghaninnen und Afghanen wirtschaftliche Perspektiven zu geben, statt für mehr Sicherheit zu sorgen, statt den Verhandlungsprozess mit den bewaffneten Gruppen voranzutreiben, statt endlich einen besseren Staat aufzubauen, treiben die Akteure das alte Spiel der Machtkämpfe, der Klientelpolitik und der Korruption weiter . Diese Art der schlechten Regierungsführung ist seit Jahrzehnten eines der zentralen Probleme und auch ein Grund, warum die Situation heute so düster ist . ({4}) Es ist doch höchste Zeit, dass sich diese Regierung endlich zum Wohle der Menschen in Afghanistan zusammenrauft, anstatt immer nur ihre eigenen Interessen zu verfolgen . Auch hier, meine Damen und Herren, muss man sich die Frage stellen: Wie kann unter solchen Bedingungen Ihr militärisches Engagement zum Erfolg führen? Das alles sind einige der Gründe, weshalb wir Grüne dem vorgelegten Mandat mehrheitlich nicht zustimmen werden . Sie wissen aber, es ist für meine Fraktion immer eine schwierige und emotionale Frage in den letzten Jahren gewesen . Dieses Mal hat sich eine größere Gruppe in unserer Fraktion entschieden, in der Sache Ja zu sagen . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, auf der einen Seite wollen Sie diesen Einsatz auf unbestimmte Zeit verlängern mit der Begründung, dass die Sicherheitslage in Afghanistan so schlecht ist . Auf der anderen Seite allerdings schwadroniert - man kann das nicht anders nennen - Ihr Kanzleramtsminister Altmaier von angeblich sicheren Zonen in Afghanistan, in die Sie dann Flüchtlinge aus Deutschland so schnell wie möglich abschieben wollen . Wo diese Zonen sind und wer sie sichern soll, bleibt dabei sein persönliches Geheimnis . Das passt nicht nur vorne und hinten nicht zusammen, sondern das ist höchst zynisch . ({6}) Vielleicht ist die Wahrheit am Ende so bitter wie traurig: Wir können keinen absoluten Frieden in Afghanistan schaffen. Wir können die Konflikte dort mit einem Militäreinsatz nicht lösen . Vielleicht ist doch der wertvollste Beitrag neben der Wiederaufbauhilfe, dass wir in Deutschland den Menschen, die in Afghanistan wegen Gewalt und Perspektivlosigkeit keine Zukunft mehr haben, hier ein neues Zuhause schenken können . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Jürgen Hardt . ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute zum 15 . Mal seit dem 22 . September 2001 im Deutschen Bundestag über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan abstimmen . ({0}) Die Bundesregierung bittet um die Verlängerung des RSM-Mandats . Die CDU/CSU-Fraktion wird dem zustimmen . Das Mandat hat im Wesentlichen den gleichen Auftrag wie das Mandat für 2015 . Eigentlich war vorgesehen, dass wir uns Ende 2015 aus der Fläche in Afghanistan zurückziehen, aus Masar-i-Scharif weggehen und uns auf die sogenannte Nabe konzentrieren, auf die Hauptstadt Kabul . Es ist klug und richtig, dass wir nun von diesem Zeitplan abweichen . Ich möchte auch an die Adresse von Frau Brugger sagen: Wir haben im letzten Jahr in allen Reden gesagt, dass wir das so planen, dass wir das aber nur dann machen, wenn es die Lage erlaubt . Wir haben diesen Vorbehalt immer gemacht . Wir haben damals gehofft, dass es möglich sein könnte . Aber Sie wissen alle, was dazu geführt hat, dass wir der Meinung sind, dass das Mandat in der Fläche in Masar-i-Scharif bleiben sollte und dass es um einige Soldaten aufgestockt wird, insbesondere weil wir uns im Bereich der Fernmeldetätigkeit entsprechend besser aufstellen . Nach 14 Jahren Afghanistan liegt die Frage auf dem Tisch: Was hat uns der Einsatz gebracht? ({1}) Einig sind wir uns alle, dass die hochgesteckten Ziele und Erwartungen, die mit dem Afghanistan-Einsatz 2001 verbunden waren, nicht erfüllt sind; ({2}) denn niemand hätte gedacht, dass wir dort 14 Jahre im Einsatz bleiben müssen . ({3}) Andererseits war der Einsatz in vielen Punkten auch ein Erfolg . Die Kollegin Brugger von den Grünen hat einige dieser Erfolge schon erwähnt, deswegen möchte ich das nicht wiederholen . Ich möchte einen Punkt herausgreifen . Viele Hunderttausend Afghanen haben in der Hochzeit des Terrorismus in Afghanistan das Land verlassen, sind in Nachbarländer geflohen. Viele Hunderttausend Afghanen sind in den letzten Jahren angesichts der Verbesserung der Sicherheitslage in ihr Land zurückgekehrt . Es ist ein großer Erfolg auch des Engagements zunächst im Rahmen des ISAF-Einsatzes und jetzt des RSM-Einsatzes, dass es gelungen ist, zu verhindern, dass die Menschen dauerhaft im Ausland leben müssen, und dass sie in ihre Heimat zurückkommen können . Ich glaube, das ist auch das große Ziel dessen, was wir jetzt machen . Mit Blick auf die Herausforderungen hat das Jahr 2015 gezeigt, dass die Taliban, möglicherweise auch mit dem kommunikativen Rückenwind, dass andere terroristische Gruppen wie der IS in der Welt erfolgreicher sind, als es die Taliban heutzutage sind, symbolische Angriffe auf Kunduz, aber auch in Kabul unternehmen . Es hat sich gezeigt, dass die afghanischen Streitkräfte und die afghanische Polizei noch nicht in der Lage waren, angemessen auf diese Dinge zu reagieren, dass es dort Schwächen in der Führung und Schwächen in der Umsetzung der Operationen gibt, dass es Leichtfertigkeiten und Fehleinschätzungen gibt . Hier muss die afghanische Regierung dringend für Abhilfe sorgen . Insbesondere glaube ich, dass die Bürger Afghanistans nach ihrem großen, starken Votum für den neuen Präsidenten, für die neue Regierung erwartet haben, dass die politischen Kräfte, die dort an die Macht gewählt worden sind, schneller zueinandergefunden hätten, schneller zu einer guten und arbeitsfähigen Regierung gefunden hätten . Dies alles haben wir im Übrigen beim Besuch des afghanischen Präsidenten vorletzte Woche hier in Deutschland und beim Besuch des Außenministers angesprochen; die Obleute des Auswärtigen Ausschusses haben die Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen . Die Situation in Afghanistan ist nach wie vor nicht so, dass wir auf den Einsatz verzichten können . Allerdings muss man auch feststellen, dass in Afghanistan an vielen Orten Lebensmöglichkeiten und Lebensperspektiven vorhanden sind, die es erlauben, dass Afghanen, die keine individuellen Gründe für Asyl in Deutschland und Europa haben, in ihre Heimat zurückkehren können . Ich begrüße, dass die Innenminister der Länder von wenigen Tagen entschieden haben, dass die Entscheidung, generell niemanden nach Afghanistan zurückzuführen, zugunsten einer individuellen Prüfung aufgehoben wird . Ich erwarte von der afghanischen Regierung, dass sie ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung, afghanische Staatsbürger aufzunehmen, auch nachkommt . Die deutsche Bundesregierung hat bei der afghanischen Regierung entsprechend interveniert . Jetzt kommt es darauf an, dass ganz konkret einzelne Bundesländer diesen Weg gehen . Das halte ich für eine logische Konsequenz unserer Anstrengungen in Afghanistan und ein gewünschtes Ergebnis unseres Einsatzes dort . Zum Schluss meiner Rede möchte ich es nicht versäumen, im Namen der CDU/CSU-Fraktion den 3 200 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die den Weihnachtsabend nicht zu Hause verbringen können, sondern im Einsatzgebiet verbringen müssen, für ihren Einsatz herzlich zu danken, ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest zu wünschen und eine glückliche Heimkehr zu ihren Familien in Deutschland . Herzlichen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . Nächster Redner ist Lars Klingbeil, SPD-Fraktion . ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Annen hatte es vorhin gesagt: Das ist keine Diskussion und keine Entscheidung, die wir uns heute hier im Parlament gewünscht haben . Wir alle hatten gehofft, dass der Weg in Afghanistan ein anderer ist und dass wir heute im Deutschen Bundestag nicht erneut über eine Verlängerung des Mandates entscheiden müssen . Wenn wir uns die afghanische Geschichte anschauen, dann sehen wir, dass sie von Höhen und von Tiefen geprägt ist . Wenn wir uns an die Anschläge von 9/11 zurückerinnern - manche waren damals schon im Parlament -, dann ist festzustellen: Wir alle hätten damals nicht gedacht, dass der Einsatz, dass das Engagement in Afghanistan so viel Kraft und auch Kopfzerbrechen kosten wird . Ich glaube, wir alle haben auf dieser Strecke viel gelernt, auch für zukünftige Einsätze der Bundeswehr und für die Fragen internationaler Politik . Ich sage Ihnen aber: Bei aller Kritik und bei allem, was wir verbessern wollen, bleibt es richtig, dass wir diejenigen in Afghanistan, die an einem friedlichen Aufbau des Landes interessiert sind, nicht im Stich lassen . Deswegen ist es richtig, dass wir heute hier im Parlament der Mandatsverlängerung mit großer Mehrheit zustimmen werden . ({0}) Es ist richtig, dass wir über die Verlängerung des Mandats nicht glücklich sind, aber wir sehen aufgrund der Prozesse in Afghanistan eine Notwendigkeit darin . Es ist auch richtig, dass wir flexibel reagieren. Wir stellen heute fest, dass es in Afghanistan noch viel zu tun gibt . Am 1 . Januar 2015 haben die Afghanen selbst die Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land übernommen . Angesichts der Zahl der afghanischen Sicherheitskräfte - es sind knapp 350 000, davon 150 000 Polizistinnen und Polizisten und 200 000 Soldaten - können wir heute feststellen, dass sie in der Lage sind, selbst an vielen Stellen in Afghanistan für Sicherheit zu sorgen . Wir sehen, dass Wahlen stattgefunden haben, dass Großveranstaltungen stattfinden können. Es gibt viele Regionen in Afghanistan, in denen es Stabilität gibt . Aber gerade in den letzten Monaten sehen wir eben auch, dass es Rückschläge hinsichtlich der Stabilität und der Sicherheit im Land gibt . Der Anschlag auf den Flughafen in Kandahar und der Fall von Kunduz seien als aktuelle Beispiele genannt . Wir dürfen das an dieser Stelle nicht schönreden . Aber was ist die Konsequenz, die wir daraus ziehen, wenn wir sehen, dass in Afghanistan nicht alles so läuft, wie wir uns das erhofft haben? Die Linken sagen: „Raus aus Afghanistan“, aber ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der falsche Weg . Wir müssen uns fragen: Wie können wir das Mandat anpassen? Wie können wir unseren Freunden in Afghanistan helfen? Deswegen ist es richtig, dass wir das Mandat heute um ein Jahr verlängern . ({1}) Wir müssen die afghanischen Sicherheitskräfte in ihrer Ausbildung stärken . Wir sehen an vielen Stellen, dass es gut funktioniert . Aber die Präsenz in der Fläche und auch viele taktische und strategische Fähigkeiten sind bei den afghanischen Sicherheitskräften nicht vorhanden . Deswegen muss es dort zu einem Mehr an Ausbildung kommen . Wir werden das Mandat heute um ein Jahr bis zum Ende des Jahres 2016 verlängern . Die Mandatsobergrenze wird moderat auf 980 Soldatinnen und Soldaten erhöht . Der Schwerpunkt dieses Mandates liegt - ich will es noch einmal wiederholen, damit nichts Falsches im Raum steht - in der Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte . Zudem werden wir auch NATO-Personal und zivile Helfer sichern . Auch der Verwundetenlufttransport ist im Mandat enthalten . Niemand hier im Raum kann, glaube ich, etwas dagegen haben, wenn wir in Afghanistan Verwundeten und Menschen, die bedroht werden, helfen . Der NATO-Einsatz insgesamt umfasst 12 000 Soldatinnen und Soldaten . Wir sind mit 14 Partnernationen vor Ort . Es ist also kein nationaler Alleingang . Das Ganze - auch das will ich noch einmal betonen - erfolgt auf Wunsch der afghanischen Regierung . Es ist mir wichtig, zu betonen: Wir verfolgen dort keine militärische Strategie . In der Diskussion entsteht manchmal der Eindruck, wir würden uns auf dem Militärischen ausruhen . Nein, wir sehen, dass hier eine Gesamtstrategie verfolgt wird . Allein im kommenden Jahr werden 400 Millionen Euro in den Wiederaufbau, in die Stabilisierung und in die Entwicklungshilfe fließen. Wir sehen, dass der Außenminister und das Auswärtige Amt viel Energie in politische Prozesse, in Prozesse der Regierungsführung steckt . Hier ein großer Dank an die Bundesregierung dafür, dass sie sagt: Wir verfolgen eine Gesamtstrategie in Afghanistan und wollen das Land so zum Erfolg führen . ({2}) Am Ende will ich noch sagen: Es gibt auch deutliche Erwartungen an die afghanische Regierung . Die Verteidigungsministerin hat es angesprochen: Wir wollen dort mehr Reformprozess, wir wollen dort mehr Bekämpfung der Korruption . Das sind unsere Erwartungen an die afghanische Regierung . Ganz am Ende möchte ich meine Rede nutzen, um denjenigen, die in Afghanistan, aber auch in anderen Auslandseinsätzen sind - egal ob als Entwicklungshelfer, als Zivilbeschäftigte bei der Bundeswehr oder als Soldatinnen und Soldaten -, im Namen der SPD-Fraktion und, ich hoffe, auch im Namen des ganzen Parlamentes Danke zu sagen, ihnen alles Gute zu wünschen . Es ist schwierig, in der Weihnachtszeit nicht bei der Familie zu sein . Unsere Gedanken sind bei denen, die ihren Dienst für Deutschland im Ausland leisten . Ihnen alles Gute . Wir hoffen auf eine gesunde und glückliche Rückkehr nach Deutschland . Herzlichen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich jetzt dem letzten Redner in der Debatte das Wort gebe, bitte ich Sie alle noch einmal, das Abholen der Stimmkarten so geräuscharm wie möglich zu gestalten, damit auch der letzte Redner genügend Aufmerksamkeit hat, und das ist jetzt der Kollege Florian Hahn, CDU/ CSU-Fraktion . - Bitte schön . ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank . Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung der NATO-Außenminister vom 2 . Dezember 2015, die Phase 1 der Mission Resolute Support aufrechtzuerhalten, stellt eine notwendige Kurskorrektur dar . Wir haben erkannt, dass die öffentliche Abzugsdebatte von 2011 ein gravierender Fehler war . Sie hat den Taliban ein wichtiges strategisches Gut in die Hände gespielt, den Faktor Zeit . Mit der Verlängerung setzen wir eine klare Botschaft: Die NATO-Ausbildungsmission wird nicht mehr strikt an starren Zeitspannen oder Personalobergrenzen ausgerichtet; wir passen unseren Einsatz in Zukunft an die Sicherheitsrealitäten im Land an . Zeit ist kein strategischer Vorteil der Taliban mehr . ({0}) Für uns heißt das: Deutsche Soldatinnen und Soldaten werden die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Kabul und in der Speiche Nord auch 2016 ausbilden, beraten und unterstützen . Zusätzlich ermöglicht die vorgesehene Anhebung der Personalobergrenze mehr Flexibilität hinsichtlich unserer Auftragserfüllung . Mit einer Verlängerung der Phase 1 nehmen wir auch die afghanische Regierung stärker in die Pflicht. Der Reformprozess, beispielsweise die Wahlrechtsreform, muss weiter angekurbelt werden und die Korruption noch stärker bekämpft werden . Noch immer fehlt es an einem designierten Verteidigungsminister . Das ist ein fatales Zeichen angesichts der volatilen Sicherheitslage in Afghanistan . Die Rechnung ist ganz einfach: Die Taliban sind so stark, wie die Regierung schwach ist . Im Rückblick muss man sagen, dass 2015 kein leichtes Jahr für Afghanistan war . Trotzdem dürfen wir nicht dazu neigen, zu schnell zu urteilen . Wir dürfen das Land nicht an den Kategorien unseres europäischen Sicherheitsverständnisses messen . Wir haben in Afghanistan viel erreicht: Heute ist Afghanistan kein Hinterhof mehr für islamistische Terroristen, die das Land als Ausgangsbasis für Anschläge gegen die freie westliche Welt nutzten; zudem hat ein kultureller Wandel in Afghanistan eingesetzt; es gab freie Wahlen; ein Großteil der Bevölkerung hat Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung und zu Strom; 7 Millionen junge Afghaninnen und Afghanen gehen in Schulen . Die Kontinuität des NATO-Engagements ist daher auch ein Appell an die Afghanen, die heute ihr Land verlassen: Wir werden Afghanistan nicht im Stich lassen, aber das Land braucht gerade jetzt die zahlreichen jungen Afghaninnen und Afghanen, die in der Posttalibanzeit eine erste Bildung genießen konnten . Sie sind diejenigen, die das Land mit aufbauen müssen . Ich hatte neulich erst eine Begegnung, ein Gespräch, das mich sehr nachdenklich gemacht hat . Ich war in der sogenannten Wartezone Erding . An diesem alten Luftwaffenstandort, wo früher Tornados gestartet sind, hat die Bundeswehr zusammen mit dem Technischen Hilfswerk innerhalb kürzester Zeit die Hangars der Tornados zu Flüchtlingsunterkünften umgebaut . 5 000 Betten stehen dort . ({1}) Mich hat ein junger Hauptmann angesprochen . Er hat gesagt: Herr Abgeordneter, ich war dreimal im ISAF-Einsatz . Ich bin Patrouille gefahren . Ich habe über 50 Kameraden in Afghanistan verloren . Heute verteile ich Handtücher und gebe Essen aus an junge, gesunde Afghanen . War dieser Einsatz umsonst? Haben wir unsere Arbeit nicht richtig gemacht? - Ein Soldat, der frustriert ist . Die Situation ist ganz offensichtlich nicht in Ordnung . Allein im Oktober sind 31 000 Afghanen nach Deutschland gekommen . Die ganz überwiegende Zahl sind junge, gesunde Männer . Präsident Ghani sprach während seines Besuchs in Deutschland Anfang Dezember von „Push- und Pullfaktoren“ und warnte vor einem Massenexodus . Mögliche Migrationswillige würden aktiv rekrutiert, Fehlinformationen würden gezielt gestreut, und die Schleuserkriminalität verfestige sich . Wir können nicht alle aufnehmen . Die Voraussetzung für Asyl als Grundrecht ist eine Einzelfallprüfung . Asyl bleibt ein Individualrecht . Es ist kein Recht, auf das sich ganze Völker berufen können . Sonst müssten wir uns fragen, ob wir auch ein pauschales Bleiberecht beispielsweise für Asylbewerber aus Mali oder Nigeria einrichten . Insgesamt leben weltweit rund 1 Milliarde Menschen in Konfliktgebieten wie diesen. Es kann daher kein pauschales Bleiberecht für alle geben . Abschließend: Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können aus Fehlentscheidungen lernen . So richtig die Kurskorrektur jetzt ist, so kritisch müssen wir auch ihre Umsetzung evaluieren . Wir dürfen nicht noch einmal aufgrund einer zu früh versiegenden strategischen Geduld oder aufgrund innenpolitischen Drucks zu halben Lösungen tendieren . ({2}) Unser Engagement beispielsweise im Kosovo zeigt, wie wichtig es ist, einen langen Atem zu haben . Präsident Ashraf Ghani brachte in einem Zeitungsinterview den zu gehenden Weg sehr prägnant auf den Punkt: „Die Afghanen wollen Frieden, das bedarf Hartnäckigkeit .“ Die Verlängerung des Mandats ist daher richtig, und ich bitte Sie alle um Ihre Zustimmung . Herzlichen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Bevor wir jetzt zur Abstimmung schreiten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass zu diesem Punkt mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung schriftlich vorliegen . Die Kollegin Marieluise Beck hat um das Wort gebeten .

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, dass Sie gerne schnell nach Hause möchten . ({0}) - Oh, Entschuldigung . Ich weiß, dass Sie gerne schnell an Ihre Schreibtische oder zu anderen Verpflichtungen zurückkehren möchten . ({1}) Dennoch möchte ich gerne, weil ich anders als die Mehrheit meiner Fraktion mit Ja stimmen möchte, das hier im Haus begründen . Viele von Ihnen kennen noch den Kollegen Winni Nachtwei, der sich wie kaum ein anderer von uns in Afghanistan umgetan hat und auch mit sich gerungen hat, weil für ihn der Einsatz des Militärs tatsächlich die letzte Option war . Aber er hat gesehen, dass es immer wieder eine Gemeinsamkeit von zivilem Aufbau und militärischem Engagement geben muss . Denn das Militär muss manchmal die Voraussetzungen für ziviles Arbeiten schaffen . ({2}) Er hat uns gestern einen Brief geschrieben, in dem steht: „Nicht nur nach meiner Einschätzung ist die Art des lageunabhängigen terminfixierten ISAF-Abzugs mitverantwortlich für die extremen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung .“ Er hat auch geschrieben: „Es war ein Abzug ohne Rücksicht auf die Afghanen .“ ({3}) Es ist mir wichtig, festzuhalten, dass der Eindruck, der hier entstanden ist, die 200 000 zivilen Opfer in Afghanistan seien die Opfer der westlichen Intervention gewesen, falsch ist . ({4}) Man kann die Zeit nicht zurückdrehen . Wir wissen aber, dass die große Zahl der Opfer Opfer der Taliban gewesen sind . ({5}) Niemand kann sagen, wie viele Hunderttausende Opfer es gegeben hätte, wenn wir dem Treiben der Taliban nicht Einhalt geboten hätten . Das sehen wir in der Tat jetzt in Syrien an dem Treiben des brutalen IS . ({6}) Ich möchte einen zweiten Gedanken aufnehmen, der immer wieder hier im Raum geäußert wird: Ein Land könne sich nur von innen heraus befreien. Ich finde, dass das, in Deutschland gesprochen, ein sehr problematischer Blick auf unsere eigene Geschichte ist . ({7}) Dass der radikale Pazifismus die einzig ethische und moralische Antwort auf den deutschen Nationalsozialismus sein muss, kann eine individuelle Entscheidung sein . Aber die Befreiung vom Nationalsozialismus hat durch den militärischen und legitimen Widerstand der Polen, der Franzosen, der Belgier und auch der Roten Armee stattgefunden . ({8}) Daran sollten wir uns erinnern . Insofern gibt uns unsere Geschichte auf, diese Verantwortung anzunehmen . Wir haben diese Lektion gelernt . Wir lassen keine aggressiven militärischen Akte von diesem Boden ausgehen, sondern wir reihen uns ein, wenn es darum geht, brutalen, menschenverachtenden Genozid oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübenden Kräften in der Welt in den Arm zu fallen . Deswegen stimme ich mit Ja . Schönen Dank . ({9})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank, Frau Kollegin Beck . - Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswär- tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Sup- port für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheits- kräfte in Afghanistan. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6946, den An- trag der Bundesregierung auf Drucksache 18/6743 anzu- nehmen . Wir stimmen über die Beschlussempfehlung nament- lich ab .1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist jetzt der Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschluss- empfehlung . Haben alle Mitglieder des Hauses jetzt die Stimmkar- ten abgegeben? - Ich sehe, das ist der Fall . Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Er- gebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben .2) Ich bitte Sie alle, jetzt wieder Platz zu nehmen . Wir haben nämlich eine Reihe von Abstimmungen vorzunehmen . Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7083 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt . Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7084 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt . Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung 1) Anlagen 2 bis 5 2) Ergebnis Seite 14367 C Marieluise Beck ({1}) Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ACTIVE ENDEAVOUR im Mittelmeer Drucksachen 18/6742, 18/6945 - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7080 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre hier keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat der Kollege Matthias Ilgen, SPD-Fraktion . ({3})

Matthias Ilgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004310, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute über die Verlängerung des Mandates für die Operation Active Endeavour zu entscheiden, eines Einsatzes, der unter Rot-Grün vor nunmehr 13 Jahren unter dem Eindruck der Anschläge des 11 . September seinen Ursprung genommen hat . Entgegen der gewohnten Praxis geht es heute jedoch nicht um ein Mandat für ein volles Jahr . Konkret beschließen wir heute eine Mandatsverlängerung für lediglich sechs Monate . Die berechtigte Frage lautet: Weshalb nur für ein halbes Jahr? Als es im letzten Dezember darum ging, dem Einsatz für ein weiteres Jahr das Mandat zu erteilen, hat es mein Kollege Herr Brunner bereits angesprochen: Die Anschläge vom 11 . September waren seinerzeit Anlass, diesen Einsatz zu beginnen, doch können sie nicht auf ewig als Begründung für diese Operation gelten, zumal die Situation, die zu der ursprünglichen Ausrichtung des Einsatzes führte, mit der heutigen Situation nicht mehr viel gemein hat . Die Bedrohung durch den im Mittelmeer vorhandenen maritimen Terrorismus wird als abstrakt bewertet, nicht zuletzt gerade deshalb, weil die Mission einen präventiven Charakter hat . Mittlerweile beschränkt sich die Operation Active Endeavour größtenteils auf das Element Luftraumüberwachung . Deshalb sollte aber niemand den Fehler begehen, zu denken, man könne diese Mission einfach mir nichts, dir nichts beenden . Es wäre ein gefährlicher Trugschluss, sich nur deshalb in Sicherheit zu wiegen, weil von einer abstrakten Bedrohungslage die Rede ist . Dafür, wie schnell aus einer solchen Lage dennoch sehr schnell eine konkrete Situation entstehen kann, gibt es in der jüngsten Vergangenheit allzu viele traurige Beispiele . Nach wie vor liefert die Operation Active Endeavour in vielerlei Hinsicht einen vielseitigen Beitrag zur maritimen Sicherheit im Mittelmeerraum . Zum einen besteht durch die dortige Überwachung ein präventives Element, welches durch Abschreckung mögliche Aktionen unterbindet, zum anderen haben wir in dieser Operation ein Forum für Kooperation mit den anderen Mittelmeeranrainerstaaten, und das trägt zur gegenseitigen Vertrauensbildung erheblich bei . Was wir Sozialdemokraten schon seit längerem gesagt haben, konnte dieses Jahr nicht zuletzt dank der Bemühungen des Außenministers Frank-Walter Steinmeier erreicht werden . Anfang Juli dieses Jahres hat man sich auf NATO-Ebene darauf verständigt, die Operation Active Endeavour von Artikel 5 des NATO-Vertrages loszulösen, auf dem NATO-Gipfel in Warschau im kommenden Juli weiterzuentwickeln und auf neue Füße zu stellen . Auch damit betritt die NATO ein Stück Neuland . Erstmals wird damit eine Mission von Artikel 5 wieder abgekoppelt und der Bündnisfall somit in Teilen aufgehoben . ({0}) Verzichten können wir auf dieses sicherheits- und ordnungsschaffende Element jedoch nicht - insbesondere nicht in Zeiten, in denen die Bedrohungsszenarien im Mittelmeer durch die organisierte Kriminalität vielschichtiger geworden sind und werden . ({1}) Fest steht: Der Wert dieses Einsatzes ist ungebrochen, auch wenn sich die Rahmenbedingungen, unter denen er einst ins Leben gerufen wurde, geändert haben . Diesem Umstand wird auf dem NATO-Gipfel im kommenden Juli in Warschau Rechnung getragen werden . Wie und in welcher Form dann zu gegebenem Zeitpunkt hier im Parlament wieder entschieden werden muss, werden wir dann besprechen . Die maritime Strategie der NATO von 2011 zeichnet einen guten Weg vor . Bis dahin gilt, dass wir in Verantwortung gegenüber unseren Partnern diesen Einsatz um ebendieses halbe Jahr verlängern müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Man beginnt nicht gemeinsam einen Einsatz und steigt dann einseitig aus . ({2}) Das würde unsere Isolation in der Außenpolitik bedeuten . ({3}) Den Einsatz jetzt einseitig zu beenden und dann in einem halben Jahr einfach wieder neu aufzunehmen, ist weder sinnvoll noch zielführend . Es ist zudem für die maritime Sicherheit wichtig, diesen Einsatz fortzusetzen . Es geht um eines der auch für den Seehandel wichtigsten Gewässer, nämlich das Mittelmeer . Deshalb plädieren wir, die SPD-Bundestagsfraktion, für die in dieser Form letztmalige Verlängerung des Einsatzes . ({4}) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, auch ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Soldatinnen und Soldaten zu danken, insbesondere denen, die in diesen Tagen im Auslandseinsatz sind . Letztlich geschieht dies immer auf Geheiß dieses Parlamentes . Die Opfer, die die Angehörigen und Familien der Soldatinnen und SoldaVizepräsidentin Ulla Schmidt ten gerade in diesen Tagen durch unsere Entscheidung erbringen, verdienen unseren tiefsten Respekt und unsere Anerkennung . ({5}) Ich wünsche ihnen allen im Namen meiner Fraktion frohe Weihnachten . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke Stefan Liebich . ({0})

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Apropos Weihnachten - in der Vorweihnachtszeit kann man es ja sagen -: Alle Jahre wieder diskutieren wir über diesen Einsatz . Alle Jahre wieder stimmen wir über eine Verlängerung dieses Einsatzes ab . Sie haben es eben gesagt: Der Einsatz hat seine Begründung eigentlich verloren . ({0}) Die SPD hat ihre Position zu diesem Einsatz so oft gewechselt und sich so oft um sich selbst gedreht, dass Ihnen schon ganz schwindlig sein müsste . Schauen wir einmal zurück: Es war Außenminister Steinmeier, der 2008 gesagt hat: Dieser Einsatz ist ohne jede Alternative . Er ist ein Signal der Solidarität mit den Alliierten . Die „politische Rückendeckung“ für unsere Soldaten sollten wir damals hier durch einen Beschluss des Bundestages gewährleisten . Dann kam die schwarz-gelbe Regierung . Die Fraktion der SPD hat gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und unserer Fraktion diesen Einsatz abgelehnt . Auch FrankWalter Steinmeier hat damals in namentlicher Abstimmung am 13 . Dezember 2012 - ich habe extra im Protokoll nachgeschaut - mit Nein gestimmt . ({1}) Der Kollege Bartels, unser heutiger Wehrbeauftragter, der wie immer ganz ordentlich unseren Debatten zu diesem Thema lauscht, hat argumentiert, warum es richtig war, diesen Einsatz zu beenden, Herr Ilgen . Ich will Ihnen das in Erinnerung rufen . Der Kollege Bartels sagte: Ansonsten ist Terrorismus überall auf der Welt durch die Polizei zu bekämpfen, insbesondere durch die internationale Zusammenarbeit der Polizei . Er ist dort zu bekämpfen, wo er droht, aber nicht in erster, zweiter oder dritter Linie durch ein NATO-Geschwader im Mittelmeer . Da hat er recht . ({2}) Dann kam die Große Koalition zurück, und die SPD musste eine Begründung finden, warum sie zu diesem Einsatz jetzt wieder Ja sagt . Am 16 . Januar 2014 sagte Frank-Walter Steinmeier, nun wieder Außenminister: Wir haben die Laufzeit auf elf Monate gekürzt, um auf diese Weise deutlich zu machen, dass das so etwas wie ein Übergangsmandat sein soll . Dann waren die elf Monate um . Der Kollege Brunner Sie haben eben darauf hingewiesen - sagte: Hoffentlich ist es das letzte Mal . - Jetzt sitzen wir wieder hier, und Sie lassen den Bundestag erneut abstimmen . Wieder sagen Sie: Hoffentlich letztmalig . - Wenn Sie dann noch erklären, es gehe Ihnen gar nicht mehr darum, den Einsatz zu beenden, sondern vom Bündnisfall zu entkoppeln, dann sind Sie auf ganzer Linie gescheitert . ({3}) Es geht einfach darum, dieses überflüssige Mandat auch im kommenden Jahr wieder zu verlängern, dann allerdings unter neuem Namen . Das ist der komplett falsche Weg . Eines wird an diesen Vorgängen deutlich - das haben wir hier schon in der ersten Lesung diskutiert; mein Kollege Dr . Neu kam darauf zu sprechen -: Wir geraten relativ schnell in Bundeswehreinsätze hinein . Heute erleben Sie, wie schwer es ist, aus Bundeswehreinsätzen herauszukommen . Denken Sie an die Debatte, die wir eben zu Afghanistan hatten . Eigentlich wollten Sie diesen Einsatz beenden . Jetzt wird er verlängert, und die Zahl der Soldaten wird wieder aufgestockt . Denken Sie auch an den Einsatz der Bundeswehr in Syrien, den Sie in der letzten Sitzungswoche beschlossen haben . Sie ziehen ohne Plan, ohne Ziel in Einsätze . Sie wissen nicht, wie Sie die Soldatinnen und Soldaten wieder nach Hause bringen . Sie ignorieren sogar - das war bei dem Syrien-Einsatz der Fall -, dass es kein korrektes Mandat der Vereinten Nationen gibt . Sie nehmen sich nicht ausreichend Zeit, um in diesem Hause die Pläne zu diskutieren, sondern Sie verkürzen die Verfahren . Schnell, schnell, schnell muss es gehen . Wahrscheinlich ist das der einzige Weg, wie Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Regierungsfraktionen überhaupt noch zu einem Ja zu solchen Himmelfahrtskommandos bewegen können . ({4}) Wie man dem internationalen Terrorismus begegnet, ist in der Tat eine schwierige Frage . Das wird auch bei uns intensiv und manchmal auch kontrovers diskutiert . ({5}) Dabei geht es um Ursachen, den Nährboden, die Finanzierung und den Zustrom von Kämpfern . Ich persönlich und auch einige andere bei uns schließen den Einsatz militärischer Gewalt gegenüber Terroristen nicht aus. Ich finde es gut, dass die Kämpferinnen und Kämpfer der Kurden die letzte Verteidigungslinie gegenüber dem „Islamischen Staat“ bilden . Ich sehe eine Verantwortung der UNO für den internationalen Frieden . Aber das, was Sie in der letzten Woche beschlossen haben, unterstützt bei uns niemand, weil es mehr schadet, als es nützt . ({6}) Sie gefährden das Leben von Zivilisten und Soldaten, und am Ende wird der IS stärker statt schwächer . Diese Leute danken für jede Bombe des Westens . Der Einsatz von Fregatten im Mittelmeer wird dagegen ebenso wenig helfen wie die Bombardierung von Rakka . Lernen Sie endlich aus Afghanistan, Irak und Libyen! Machen Sie heute einen ersten Schritt, und beenden Sie zumindest diesen sinnlosen Einsatz . Danke schön . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support bekannt: abgegebene Stimmen 602 . Mit Ja haben gestimmt 480, mit Nein haben gestimmt 112, enthalten haben sich 10 Kollegen . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 602; davon ja: 480 nein: 112 enthalten: 10 Ja CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Sybille Benning Dr . Andre Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E . Fischer ({2}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({3}) Michael Frieser Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Dr . Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Peter Hintze Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann ({5}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({6}) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h .c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Dr . Gerd Müller Carsten Müller ({7}) Stefan Müller ({8}) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Dr . Peter Ramsauer Lothar Riebsamen Josef Rief Dr . Heinz Riesenhuber Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({9}) Dr . Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Tankred Schipanski Gabriele Schmidt ({10}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({11}) Dr . Ole Schröder Dr . Kristina Schröder ({12}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({13}) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr . von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Strobl ({14}) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel ({15}) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({16}) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß ({17}) Sabine Weiss ({18}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({19}) Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding ({20}) Burkhard Blienert Willi Brase Martin Burkert Dr . Lars Castellucci Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Michaela Engelmeier Dr . h .c . Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann ({21}) Hubertus Heil ({22}) Gabriela Heinrich Wolfgang Hellmich Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Gabriele Katzmarek Marina Kermer Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Birgit Kömpel Anette Kramme Dr . Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange ({23}) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr . Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({24}) Aydan Özoğuz Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post ({25}) Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({26}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({27}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({28}) Matthias Schmidt ({29}) Dagmar Schmidt ({30}) Carsten Schneider ({31}) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz ({32}) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Svenja Stadler Peer Steinbrück Christoph Strässer Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({33}) Dr . Franziska Brantner Ekin Deligöz Dr . Thomas Gambke Anja Hajduk Tom Koenigs Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Manuel Sarrazin Markus Tressel Doris Wagner Dr . Valerie Wilms Nein CDU/CSU Norbert Schindler SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr . Ute Finckh-Krämer Michael Groß Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({34}) Ralf Kapschack Cansel Kiziltepe Daniela Kolbe Hilde Mattheis Markus Paschke Christian Petry Dr . Wilhelm Priesmeier Kerstin Tack Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({35}) DIE LINKE Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr . Gregor Gysi Dr . Andre Hahn Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Dr . Gesine Lötzsch Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({36}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({37}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Azize Tank Dr . Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({38}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck ({39}) Katja Dörner Harald Ebner Matthias Gastel Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Stephan Kühn ({40}) Christian Kühn ({41}) Markus Kurth Steffi Lemke Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Lisa Paus Claudia Roth ({42}) Corinna Rüffer Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Dr . Harald Terpe Dr . Julia Verlinden Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Burkhard Lischka BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Oliver Krischer Dr . Konstantin von Notz Elisabeth Scharfenberg Nächster Redner ist jetzt für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr . Andreas Nick . ({43})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Liebich, dass Ihre Fraktion außen- und sicherheitspolitisch in der Regel auf Irrwegen unterwegs ist, ist nichts Neues . Aber mittlerweile haben Sie sich offensichtlich auch schon beim Tagesordnungspunkt verirrt, könnte man meinen, wenn man Ihrer Rede zugehört hat . Denn zu Active Endeavour haben Sie recht wenig gesagt . ({0}) Als Reaktion auf die Terroranschläge in den USA am 11 . September 2001 war die Mission Active Endeavour, die wir im Rahmen des Artikel 5 Nordatlantikvertrag gemeinsam mit unseren Verbündeten in der NATO beschlossen haben, eine angemessene Maßnahme . Als Frühwarnsystem war und ist es ihre Aufgabe, im Mittelmeerraum einen Beitrag zur maritimen Terrorismusabwehr zu leisten . Dieser vorbeugende Sicherheitsbeitrag war erfolgreich . Es ist weder zu einem terroristischen Angriff im Mittelmeer gekommen, noch hat sich bisher aus der weiterhin bestehenden abstrakten Bedrohungslage eine konkrete oder akute Bedrohung durch maritimen Terrorismus entwickelt . Unser besonderer Dank gilt daher zunächst einmal unseren Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, insbesondere der Bundesmarine, für ihren engagierten Einsatz . ({1}) Es ist richtig: Die Lage im Mittelmeerraum hat sich seit 2001 verändert . Zurzeit beschränkt sich die Operation daher vorrangig auf die Seeraumüberwachung und den Lagebildaustausch auf und über See . Es ist angesprochen worden: Bereits seit 2012 setzt sich Deutschland in der NATO deshalb für eine Weiterentwicklung des Einsatzprofils der Mission ein, das nicht mehr an Artikel 5 des Nordatlantikvertrages gekoppelt ist, sondern die Operation Active Endeavour soll eine umfassende maritime Sicherheitsoperation unter Erfüllung aller sieben Aufgaben der maritimen Strategie der NATO werden . Dazu gehören insbesondere die Seeraumüberwachung und Bekämpfung des Terrorismus und die Aufrechterhaltung der Freiheit der Meere und der Schutz kritischer maritimer Infrastruktur .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Nick, ich muss Sie kurz unterbrechen . Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Neu der Fraktion Die Linke?

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön .

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Atlantikrat hat die deutschen Empfehlungen als einen konstruktiven Vorschlag aufgenommen . Im Juli 2016 werden die NATO-Mitgliedstaaten beim Gipfel in Warschau über die neuen Einsatzgrundlagen entscheiden . Sollte der Operationsplan bereits im Laufe des Mandatszeitraumes bis zum 15 . Juli 2016 verändert werden, wird natürlich eine umgehende Überprüfung der rechtlichen und politischen Einsatzgrundlagen einer deutschen Beteiligung an der Mission erforderlich werden . Schaut man auf das Erreichte, wird deutlich: Bereits heute ist die Operation Active Endeavour weit mehr als ein Beitrag zur maritimen Terrorismusabwehr im Mittelmeer . Sie ist vielmehr ein gelungenes Beispiel für erfolgreiche internationale Zusammenarbeit, die maßgeblich zur Aufrechterhaltung der Freiheit der Meere beiträgt . Die Präsenz der Einsatzverbände hat sich zu einem präventiven Ordnungsfaktor im gesamten Mittelmeer entwickelt, gerade auch für die zivile Schifffahrt . Zu den konkreten Aufgaben zählen die Erfassung und Dokumentation des zivilen Seeverkehrs und der daran teilnehmenden Handelsschiffe . Die erfassten Daten bilden die Grundlage für präventive Sicherungs- und Schutzmaßnahmen gegen terroristische Aktivitäten . Sie werden zugleich aber auch für andere Marineeinsätze im Mittelmeer, zum Beispiel für den multinationalen Einsatz UNIFIL vor der Küste des Libanon, genutzt . Insgesamt wurden bisher mehr als 122 000 Handelsschiffe überprüft und 166 Schiffe an Bord durchsucht . Seit 2003 wurden über 450 Handelsschiffe durch die Straße von Gibraltar eskortiert, um die stark befahrene Meeresenge vor möglichen terroristischen Anschlägen zu schützen . Abgesehen von der unmittelbaren operativen Leistung kommt Active Endeavour als Kooperationsplattform und bedeutendem Konsultationsforum zudem eine wichtige vertrauensbildende Frühwarnfunktion zu . ({0}) Gemeinsam haben sich die NATO-Staaten mit verschiedenen Partnern über Jahre hinweg für die Sicherung des Mittelmeerraumes eingesetzt . Neben Russland und der Ukraine haben sieben Mittelmeeranrainer, darunter Marokko, Israel, Tunesien, Algerien und Ägypten, Informationen über verdächtigen Schiffsverkehr in ihren Küstengewässern an die Operation geliefert . Im 19 . Jahrhundert galt noch, dass Britannien die Wellen beherrscht . Das britische Empire knüpfte eine Perlenkette der Stützpunkte von Gibraltar über Malta und Zypern, Suez und Aden bis nach Singapur und Hongkong . Eine Seemacht wurde dadurch zur Weltmacht, die auch den globalen Handel beherrschte . Durch die Globalisierung sind heute alle Staaten weltweit über Handels- und Datenströme miteinander vernetzt . Keine Weltmacht, kein Imperium kann und wird im 21 . Jahrhundert unilateral die maritime Sicherheit globaler Handelswege sicherstellen können . Aber internationale Seehandelswege sind neben dem Luft- und Weltraum und zunehmend auch dem Cyberspace eines der zentralen globalen Gemeinschaftsgüter, eine der Lebensadern der Globalisierung . Als weltweit führende Exportnation ist Deutschland in besonderer Weise darauf angewiesen, dass diese Gemeinschaftsgüter effektiv geschützt werden . Ich habe deshalb mit der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Studiengruppe etabliert, die sich konkret mit der Aufgabenstellung zur Sicherung dieser globalen Gemeinschaftsgüter, der Global Commons, befasst . Die Gruppe wird ihre Arbeit im nächsten Jahr abschließen . Durch seine Offenheit und Verflechtung in weltweiten Handels-, Transport- und Kommunikationsnetzwerken ist unser Land besonders abhängig vom globalen Austausch . Damit ist Deutschland auch anfällig und verwundbar für alles, was diese Netzwerke stört . Umgekehrt gilt: Abschottung wäre hier keine realistische Option; denn das hieße, unseren eigenen Lebensnerv zu kappen . Der Anteil von Im- und Exporten am Bruttoinlandsprodukt unseres Landes liegt bei knapp 70 Prozent . ({1}) Fast jeder vierte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik ist abhängig vom Export . 80 Prozent der Güter werden über die hohe See ein- und ausgeführt . Die Verwundbarkeit der Lieferketten auf den Ozeanen wird im Mittelmeer besonders deutlich . Das Mittelmeer ist eines der weltweiten Nadelöhre des Warenaustauschs . Die Region zählt weltweit zu den wichtigsten maritimen Transportkorridoren . Ein Drittel aller über See transportierten Güter und ein Viertel aller Öltransporte werden durch das Mittelmeer geleitet . Jährlich passieren circa 220 000 Handelsschiffe dieses Gebiet . Natürlich geht die Bedeutung des Mittelmeerraums weit über den reinen Transportkorridor hinaus . Nicht zuletzt beteiligen wir uns seit Juni 2015 zusammen mit 21 anderen Nationen an der EUNAVFOR MED Operation Sophia, bei der deutsche Marinesoldaten über 9 500 Flüchtlinge aus Seenot gerettet haben und darüber hinaus das Ziel verfolgen, zwischen der italienischen und libyschen Küste vor allem gegen Schlepperbanden vorzugehen . Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land von der Globalisierung und der friedlichen, offenen und freien Weltordnung, die sie ermöglicht . Gleichzeitig ist Deutschland aber auch in besonderer Weise abhängig vom Funktionieren dieser Ordnung . Es ist damit in besonderer Weise verwundbar und anfällig für die Folgen von Störungen in diesem System . Mit einem fortgesetzten Beitrag zu Active Endeavour tragen wir im NATO-Rahmen zur Sicherung eines wichtigen Global Common bei . Eine Weiterführung und zukünftige Fortentwicklung der Operation Active Endeavour liegen im deutschen Interesse . Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Antrag der Bundesregierung zu . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Kollege Neu . Die Betonung liegt auf „kurz“ .

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Dr . Nick, wir sind ja beide promovierte Politologen . ({0}) Ich habe zwei Fragen, die ich als Politologe für mich noch nicht beantworten konnte; die Bundesregierung konnte es auch nicht . Vielleicht können Sie sie als promovierter Politologe beantworten . Erste Frage . Wenn das Mandat nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags demnächst ausläuft, wird es dann weiter Anträge der Bundesregierung zur OAE geben oder nicht? Zweite Frage . Im Verteidigungsausschuss erklärte uns der Vertreter der Bundesregierung, das Mandat nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ende zwar höchstwahrscheinlich im Sommer nächsten Jahres, es werde aber auch weiterlaufen . Ich habe einmal nachgefragt, wie ich das verstehen müsse . Der Vertreter des Auswärtigen Amtes hat seine Aussage wiederholt und war nicht in der Lage, das zu explizieren . Da Sie ja ein promovierter Politologe sind, gehe ich davon aus, dass Sie in der Lage sind, zu erklären, wie das funktionieren soll . Danke . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Nick, bitte schön . Sie haben das Wort zur Erwiderung . ({0})

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr . Neu ist offensichtlich genauso verwirrt wie seine ganze Fraktion . ({0}) Auch das verwundert mich nicht . Er kann nicht einmal im Kürschner richtig nachlesen: Ich bin promovierter Ökonom . ({1}) Vielleicht lösen Sie Ihre Verwirrung unter dem Weihnachtsbaum besinnlich auf . Ich habe zwar wenig Hoffnung, aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist Dr . Frithjof Schmidt .

Dr. Frithjof Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004145, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon fast ein Ritual: Seit vielen Jahren diskutieren wir regelmäßig einmal im Jahr über die Operation Active Endeavour im Mittelmeer . Aber seit wenigstens zwei Jahren sind wir uns alle in diesem Parlament in einer Hinsicht einig: Die Begründung dieses Einsatzes mit dem Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ist völkerrechtlich hoch problematisch, zumindest jedoch schon lange überholt . ({0}) 14 Jahre nach dem schrecklichen Anschlag auf das World Trade Center in New York einen Einsatz im Mittelmeer mit der amerikanischen Verteidigung gegen den Terror zu begründen, das ist nicht nur anachronistisch, das ist absurd . ({1}) Aber das wissen Sie ja auch: Die Bundesregierung strebt zu Recht eine Entkopplung dieses Einsatzes von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags an und beschreibt die konkrete Bedrohungslage, auf die reagiert werden soll, in der Begründung des Mandates als „abstrakt“ . Das ist wohl ein anderes Wort für „nicht konkret vorhanden“ . ({2}) Sie drängt entsprechend auch auf eine Veränderung des Operationsplanes . Das ist alles richtig . Aber die NATO-Partner haben Ihnen jetzt mehrere Jahre hintereinander eine Abfuhr erteilt . Mit all diesen Forderungen konnten Sie sich in der NATO bisher nicht durchsetzen . Was ist jetzt Ihre Lösung? Sie wollen erneut eine Verlängerung dieses Mandates beschließen, das Sie selbst so schlecht finden. Dafür wollen Sie weiter bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten abkommandieren . Das ist nicht nur anachronistisch, sondern auch politisch unsinnig . ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Sie die völkerrechtliche Grundlage für überholt halten, wenn Sie die Bedrohungslage nicht konkret erkennen können und wenn Sie den Operationsplan in wichtigen Punkten für falsch halten, dann dürfen Sie die Bundeswehr nicht in einen solchen Einsatz schicken, auch nicht für ein halbes Jahr . ({4}) Damit diskreditieren Sie nämlich alles, was wir sonst gemeinsam über Mandatsklarheit sagen . Auch ganz praktisch macht das alles überhaupt keinen Sinn; denn das, was da im Rahmen dieses Mandates wirklich gemacht wird, das sind die Seeraumüberwachung und die Erstellung eines Lagebildes . Das sind alles Routineaufgaben, die die NATO im Mittelmeerraum im Normalfall sowieso durchführt . Dazu bedarf es keiner Sondermission . Sie versprechen sich und uns jetzt, dass dies in einem halben Jahr anders wird . Ich kann nur sagen: Dann sollten Sie die Beteiligung an dieser Sondermission aussetzen - das haben Sie übrigens 2013 schon einmal einen Monat lang gemacht -, bis die NATO in einem halben Jahr auf ihrem Gipfel endlich die von Ihnen und auch von uns geforderten Korrekturen beschließt . Sie sollten sich selbst und Ihre Kritik an diesem Mandat ernst nehmen . ({5}) Vermutlich würden Sie damit mehr politischen Druck entfalten als mit allem anderen, was Sie bisher versucht haben und was ja nichts genützt hat . Wir fordern Sie auf, endlich praktische Konsequenzen aus Ihren Einsichten zu ziehen . Es ist falsch, einem Mandat, das man selbst schlecht findet und das praktisch überflüssig ist, zuzustimmen. Meine Fraktion wird das Mandat deshalb auch diesmal ablehnen . Danke für die Aufmerksamkeit . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr . Fritz Felgentreu . ({0})

Dr. Fritz Felgentreu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute wieder einmal viel darüber gehört, dass die SPD als Regierungspartei mit dem NATO-Einsatz im Mittelmeer angeblich so ganz anders umgeht als in der letzten Legislaturperiode, als wir noch in der Opposition waren . ({0}) Der oberflächliche Eindruck scheint zu stimmen. ({1}) In der Opposition haben wir gegen die Verlängerung von Active Endeavour gestimmt, jetzt stimmen wir dafür . Trotzdem darf ich hier mit großem Selbstvertrauen feststellen: Erstens hat die SPD-Fraktion, haben wir unsere Haltung zu Active Endeavour nicht verändert . ({2}) Das hat der Kollege eben auch deutlich gesagt . Zweitens ist die Politik der SPD von Erfolg gekrönt . Verändert hat sich allerdings unser Abstimmungsverhalten, und zwar deswegen, weil eine Oppositionsfraktion manchmal andere Mittel anwenden muss, um ihre Ziele zu erreichen, als eine Regierungsfraktion . ({3}) Da brauchen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, gar nicht unruhig zu werden . Sie können sich so einen Methodenwechsel bisher nicht vorstellen . Sie stecken so tief in Ihren ideologischen Gräben, dass Sie deswegen die Verweigerung von Verantwortung auf Bundesebene betreiben . Lassen Sie sich das doch einmal vom Kollegen Liebich erklären . Er weiß, was es bedeutet, auf Regierungsebene Verantwortung zu übernehmen und dass man als Regierungspartei andere Mittel zur Erreichung der gleichen Ziele anwendet als vorher in der Opposition . ({4}) In der Opposition ging es für uns darum, unseren Argumenten möglichst wirkungsvoll Gehör zu verschaffen . Active Endeavour hat vor 14 Jahren begonnen, um Terrorismus zur See abzuwehren . Der Einsatz war eine von vielen Reaktionen der NATO auf 9/11 . Der Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrags lieferte und liefert noch immer die Begründung . Die SPD sagt jetzt seit Jahren völlig unverändert - Sie haben es eben noch einmal bestätigt -: Mit dem Bündnisfall können wir Active Endeavour nicht mehr vernünftig begründen . Der Ansatz an sich ist gut und sinnvoll . ({5}) Wir halten weiterhin viel von dem Einsatz, aber er ist Routine geworden . Luftüberwachung und Aufklärung ist etwas, was die NATO auch ohne Bündnisfall im Mittelmeer tun kann und muss . Wir wollen wissen, was da los ist . ({6}) Der Bündnisfall ist zur Begründung allerdings nicht nur entbehrlich, er ist in gewisser Weise sogar eine Belastung geworden, genau wegen der Debatte, die wir heute führen . Active Endeavour muss aus Sicht der SPD zu einem Beispiel dafür werden, mit welchem Entscheidungsprozess die NATO den einmal festgestellten Bündnisfall irgendwann auch wieder beendet . Als Oppositionsfraktion wollten wir die Regierung treiben; diplomatisch aktiv sollte sie werden, damit die NATO Active Endeavour entsprechend umgestaltet . Das ging am besten durch entschiedene Zuspitzung und eben die Ablehnung des Mandats . ({7}) Deswegen machen Sie es heute auch noch so . Genau das, was die Grünen heute machen, haben wir damals getan, und zwar mit der gleichen Zielsetzung . Seit die SPD selbst den Außenminister stellt, setzt sich diese Bundesregierung aktiv für dieses Ziel ein . Wir stehen jetzt kurz vor dem Erfolg . ({8}) Nur deshalb kann es sich die Bundesregierung überhaupt leisten, die wahrscheinlich letzte Verlängerung des Mandats nur noch für ein halbes Jahr, eben bis zum 15 . Juli, zu beantragen . Die Zeit bis zum NATO-Gipfel in Warschau Anfang Juli müssen wir jetzt nutzen, um für den NATO-Einsatz im Mittelmeer eine neue Grundlage zu definieren. Auftrag und Operationsplan werden aus der maritimen Strategie der NATO abzuleiten sein und in jedem Fall weiterhin Aufklärung und die Erstellung von Lagebildern sowie die internationale Zusammenarbeit, insbesondere mit den südlichen Mittelmeeranrainern, umfassen . Das ist die Politik, die die SPD-Fraktion seit Jahren anstrebt . Dass wir als Koalitionsfraktion die Diplomatie dieser Bundesregierung unterstützen, ist doch eine Selbstverständlichkeit . ({9}) Dazu gehört, dass Deutschland den NATO-Konsens nicht einseitig aufkündigt - deutsche Sonderwege gehen wir nicht -, sondern dass Deutschland auf eine Änderung dieses Konsenses hinwirkt . Das dauert dann in der Regel ein bisschen länger; aber die Geduld lohnt sich . Vertrauen und Solidarität sind die Früchte dieser Geduld . Genau diese Früchte ernten wir gerade, dank der klaren Haltung der SPD, ({10}) die seit zwei Jahren auch im tätigen Handeln der Bundesregierung und in der erfolgreichen Arbeit unseres Außenministers ihren Niederschlag findet. In diesem Bewusstsein stimmen wir dem Antrag der Bundesregierung zu . Wir danken den Soldatinnen und Soldaten, die wir erneut in den Einsatz schicken, für ihren Beitrag, und wir wünschen ihnen eine glückliche Heimkehr . Danke schön . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt die Kollegin Elisabeth Motschmann, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten Wochen und Monate haben uns gezeigt, wie fragil die Sicherheitslage nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch bei uns in Europa ist und wie schnell sich ein Lagebild verändern kann . Zum Abschluss eines so ereignisreichen Jahres beschäftigen wir uns daher noch einmal mit unserer Sicherheit, mit dem internationalen Terrorismus und mit den Gefahren, die von ihm ausgehen . Denn eines steht fest: Die Bedrohung ist in den letzten Jahren immer näher an uns herangerückt . Davor kann niemand die Augen verschließen . Die Einzigen, die davor die Augen verschließen, sind die Linken . Lieber Herr Dr . Neu, ich will Ihnen einmal vortragen, was Sie zu diesem Mandat gesagt haben . Da frage ich mich, was Sie in Ihrem Studium - Sie sind ja so stolz auf Ihre Promotion - eigentlich gelernt haben . ({0}) In einer Ihrer Reden hieß es: Der Terroranschlag 2001 hat nicht im Mittelmeer stattgefunden . . . er hat in New York stattgefunden . Die räumliche Verteidigung viele Tausend Kilometer vom Anschlagsort entfernt ist mehr als fragwürdig . Vielleicht hat sich auch bis zu Ihnen herumgesprochen, dass der Terror nicht zu lokalisieren ist, sondern dass er überall ist, dass er sehr nah an uns herangerückt ist . Sie müssten deshalb dem vorliegenden Antrag eigentlich zustimmen, wenn Ihre Logik stimmt; aber das ist eben ein bisschen fraglich . ({1}) Ich könnte noch einen dummen - Entschuldigung Spruch von Ihnen wiederholen . Sie haben nämlich auch gesagt, dieser Einsatz diene dem Schutz des Kapitals . ({2}) Sind Sie noch ein Alt-68er, oder haben Sie gar nichts dazugelernt? Solche Äußerungen sind mehr als fragwürdig, zumal für einen promovierten Politologen . Da erwartet man eigentlich mehr . ({3}) Wie es in der Flüchtlingskrise keinen Schalter gibt, den man umlegen und dadurch alle Probleme auf einmal lösen kann, so gibt es auch für die Gefahren, die der internationalen Gemeinschaft durch den Terrorismus drohen, keine einfache Lösung . Es kann nur viele verschiedene Einsätze geben, die dem Ziel dienen, den Terrorismus zurückzudrängen bzw . zu verhindern . Die Mission Active Endeavour im Mittelmeer spielt gerade auch angesichts der Flüchtlingsströme der letzten Monate und angesichts der Ursachen dieser Flüchtlingsströme in diesem Zusammenhang eben doch eine wichtige Rolle, eine Rolle, die allerdings ursprünglich nicht vorgesehen war . Wir haben schon mehrfach gehört, dass diese Mission eine Reaktion auf die Terroranschläge in New York im September 2001 war . Ursprünglich ging es darum, Handelsschiffen im Mittelmeer Begleitschutz zu leisten, verdächtige Schiffe zu kontrollieren und das Mittelmeer zu überwachen . Die Ziele waren Abschreckung und aktive Terrorabwehr . Weil sich die Bedrohung verändert hat - auch das ist in den Beiträgen meiner Vorrednerinnen und Vorredner schon angeklungen -, hat sich Active Endeavour immer mehr zu einer reinen Aufklärungsmission gewandelt . Sie soll in einem halben Jahr auch eine neue Grundlage bekommen und von Artikel 5 Nordatlantikvertrag abgekoppelt werden . Die Einsätze beschränken sich auf die Seeraumüberwachung und den sogenannten Lagebildaustausch . Die Präsenz der NATO in der Region wird derzeit vor allem als präventive Ordnungsmaßnahme angesehen - auch das halte ich für wichtig -, oder anders gesagt als ein Garant, also nicht ausschließlich gemeint, der maritimen Sicherheit im Mittelmeerraum . Die Anforderungen, die sich an die Operation stellen, haben sich aber grundlegend geändert . Unser langfristiges Ziel ist es deshalb, diese Operation mit einem neuen Auftrag auszustatten, einem Auftrag, der die neuen Herausforderungen in den Blick nimmt und ihnen gerecht wird . Über die veränderte Ausgestaltung dieses so wichtigen Auftrages wird die NATO aber erst im Sommer kommenden Jahres entscheiden . Deshalb entscheiden wir heute darüber, ob wir diese Operation im Rahmen eines Übergangsmandats bis dahin fortführen . Ich halte das für völlig berechtigt und richtig . Ein Mandat, Herr Schmidt, erst auslaufen und dann wieder aufleben zu lasDr. Fritz Felgentreu sen, ist viel mühsamer . Das Mandat ist richtig, es hat sich bewährt, und es bekommt eine neue Begründung . Deshalb setzen wir das Mandat fort . ({4}) Active Endeavour ist also ein Stützpfeiler unserer gemeinsamen Sicherheit . Die Operation dient aber nicht nur unseren eigenen Interessen und unserer eigenen Sicherheit, sie schützt nicht nur unsere westliche Wertegemeinschaft und unsere Freiheit insgesamt: Die aktuellen Herausforderungen zeigen uns sehr deutlich, wie wichtig und wie stabilisierend allein die Anwesenheit der NATO im Mittelmeer ist . Die neuen Herausforderungen zeigen aber auch, wie wichtig es ist, dass wir die Operation Active Endeavour weiterentwickeln . So sinnvoll es im Jahr 2001 zunächst war, den Schwerpunkt auf die Terrorabwehr zu legen, so sinnvoll ist es heute, dieses Mandat neu zu begründen . Nur wenn dies gelingt, wird die NATO ihre Operation weiterhin effektiv und erfolgreich durchführen können . Es ist sinnvoll, Active Endeavour zu einer langfristigen Sicherheitsoperation mit verschiedenen Aufgaben zu erweitern . Es ist sinnvoll, dass Active Endeavour Aufgaben der Aufklärung und der Lagebilderstellung wahrnimmt . Es ist auch sinnvoll, Active Endeavour für Nichtmitglieder der NATO zu öffnen und dadurch engere Kooperationen anzustreben und möglich zu machen . Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Das Mandat ist richtig . Wir setzen es fort . Ich bitte um Ihre Zustimmung . Ich wünsche Ihnen und auch allen Soldaten, die für uns im Einsatz sind, frohe Weihnachten . Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Wir sind damit am Ende der Ausspra- che und kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-ge- führten Operation Active Endeavour im Mittelmeer . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6945, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/6742 anzunehmen . Wir stimmen über die Beschlussempfehlung nament- lich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall . Ich eröffne die Abstimmung . Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben? - Ich sehe, das ist der Fall . Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben .1) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Roth ({0}), Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen Drucksache 18/7046 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Niema Movassat, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Fluchtursachen bekämpfen Drucksache 18/7039 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich bitte jetzt die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache beginnen können . ({3}) Auch die Kolleginnen und Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bitte ich: Wer unbedingt noch Gespräche führen muss, macht das bitte außerhalb des Plenarsaals, der Kollege Wiese auch . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen .

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir im Bundestag über das Thema Flucht und ge- flüchtete Menschen debattieren, dann befällt einige von uns eine sonderbare Schicksalsergebenheit, gerade so, als würden uns die Menschen, die hier bei uns in Euro- pa und in Deutschland Schutz suchen, von einer höheren Macht geschickt . Aber diese Menschen kommen nicht 1) Ergebnis Seite 14377 C einfach so . Sie kommen nicht ohne Grund . Sie kommen auch nicht aus böser Absicht oder wegen der Aussicht auf ein bisschen Taschengeld . Sie kommen, weil ihnen das Überleben in ihrem Heimatland unmöglich ist oder weil das Leben dort unerträglich geworden ist . ({0}) Dennoch diskutieren einige über Flucht, also über das erzwungene Verlassen der Heimat, so, als ob das mit uns in Europa gar nichts zu tun habe, und tun so, als ob wir als Europäer dafür keinerlei Verantwortung trügen . Stattdessen werden in der Debatte vor allem Maßnahmen ins Spiel gebracht, die nicht die Ursachen der Flucht in den Vordergrund rücken, weil wir vermeintlich da nichts tun könnten, und hagelt es täglich Vorschläge, die rein auf Abschreckung, Abschottung und Grenzschließung setzen . Schauen wir uns nur einmal an, wie lange sich die Debatten um die Themen Obergrenze, Aussetzung des Familiennachzuges oder Transitzonen schon ziehen . Oder denken wir an den Kotau vor einer Regierung in Ankara, die tagtäglich die Menschenrechte mit Füßen tritt, die die Pressefreiheit hinter Gitter sperrt, die de facto einen Bürgerkrieg in kurdischen Städten führt . Oder denken wir an die militärische Abschottung im Mittelmeer, vielleicht bald auch auf libyschem Boden . Oder denken wir an Valletta, wo eine Kooperation mit Unrechtsregimen wie Eritrea diskutiert und sogar auf den Weg gebracht worden ist . Einmal mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird deutlich: Wenn aus innenpolitischen Erwägungen außenpolitische Entscheidungen getroffen werden, bei denen Abschottung das Richtmaß ist, dann ist es auch nur logisch, wenn mit dem Etikett „sicherer Herkunftsstaat“ Realität politisch umdefiniert wird, sogar im Hinblick auf Länder wie Afghanistan, der Türkei oder dem Kosovo . ({1}) Es steht zu befürchten, dass auch heute beim Europäischen Rat diese Logik nicht durchbrochen wird . Doch ein Europa der Zäune, ein Europa der Mauern ist kein Europa, das ich mir vorstellen mag . Es ist ein Europa, das wir vor 25 Jahren hinter uns gelassen haben und zu dem wir niemals wieder zurückkehren wollen . ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Abschottungspolitik ist im Kern nichts anderes als das Gegenteil eines - ich zitiere - humanitären Imperativs, der uns in Europa doch leiten sollte . Nein, die Flüchtlinge sind doch nicht aus der Welt, nur weil wir sie abfangen lassen . Ihr Leid wird doch nicht erträglicher, nur weil wir sie durch einen Zaun betrachten . Egal wie viele Patrouillenboote wir ins Mittelmeer verlegen, egal wie hoch wir die Mauern der Festung Europa noch ziehen - diese Maßnahmen werden uns nicht vor unserer eigenen Verantwortung schützen . ({3}) Diese Verantwortung bedeutet, die Fluchtursachen und nicht die Flüchtlinge zu bekämpfen . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann darf es auch nicht bei Sonntagsreden bleiben, dann müssen wir an die Wurzeln gehen, anstatt weiter nur an den Symptomen herumzudoktern . Genau da setzen wir mit unserem Antrag zu den Fluchtursachen an . Wir legen einen umfassenden Text vor, der in allen relevanten Politikbereichen aufzeigt, was sich tatsächlich ändern muss, wie sich die europäische Politik ändern muss und wie auch wir selbst uns ändern müssen, wenn wir verhindern wollen, dass immer mehr Menschen aus ihrer bisherigen Heimat fliehen müssen - in einer Welt, in der es keine Inseln der Glückseligkeit mehr gibt, weil die Krisen global sind und weil die Auswirkungen dieser Krisen inzwischen auch bei uns ankommen . Wir definieren mit diesem Antrag unsere eigene Verantwortung für das globale Flüchtlingsdrama und liefern damit den aufrichtigen Versuch einer wirksamen Bekämpfung von Fluchtursachen: im Bereich Krieg und Unterdrückung, bei Diskriminierung, Repressionen und Ausgrenzung, gegen Armut und Zukunftslosigkeit, im Bereich Umwelt und Klima, im Bereich der humanitären Hilfe und, indem wir einen Weg hin zur legalen Einwanderung aufzeigen . Das heißt dann sehr konkret: Schluss mit der derzeitigen Rüstungsexportpolitik, ({4}) die weltweit gerade auch die Länder mit Waffen versorgt, die mit die Hauptverursacher von Flucht sind, wie zum Beispiel Saudi-Arabien, diesen Exporteur der Wahhabismus-Ideologie, aus der sich der islamistische Fundamentalismus speist, oder wie Katar, das Daesh aufpäppelt, dem wir aber immer noch den roten Teppich ausrollen . ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Fluchtursachen bekämpfen heißt für uns aber auch, keinen unfairen Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA zuzustimmen, ({6}) die die Menschen in Afrika ausgrenzen, die sie noch weiter abhängen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten hemmen, ({7}) es heißt, keine europäischen Billighähnchenschlegel auf die Märkte von Ghana, keine Fischtrawler vor den Küsten Senegals, es heißt, gegen das Land Grabbing internationaler Konzerne endlich wirkungsvoll vorzugehen, ({8}) Vizepräsidentin Claudia Roth weil es im wahrsten Sinne des Wortes Lebensraum zerstört und den Menschen ihre Heimat raubt, es heißt, die Finanzierungsversprechen im Bereich globale Gerechtigkeit endlich einzuhalten, es heißt, die systematische Diskriminierung von Minderheiten wie den Roma zu beenden, und es heißt vor allem auch, Ernst zu machen mit echtem Klimaschutz statt eine Rolle rückwärts in die Kohlegrube . ({9}) Die Beschlüsse von Paris machen Mut . Doch wenn es uns nicht gelingt, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Anstieg der Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten, dann werden global in einem Ausmaß Lebensräume zerstört, und die Folgen werden mit den heutigen Ursachen für Fluchtbewegungen überhaupt nicht vergleichbar sein. Das Thema Klimaflucht macht wie unter einem Brennglas sichtbar, was unser Lebenswandel in der industrialisierten Welt global anrichten kann oder bereits anrichtet . Diese Gefahr bedroht uns nicht erst in fernen Zeiten . Wir können es doch schon heute sehen, wenn wir nach Bangladesch blicken oder auf die pazifischen Inseln schauen . Eines noch, liebe Kolleginnen und Kollegen . Es darf doch nicht sein, dass offenbar Milliarden dafür ausgegeben werden, um die Regierungen Afrikas für Rückführungen zu ködern und Schiffe im Mittelmeer zu versenken, während dem Welternährungsprogramm und dem UNHCR die Gelder fehlen . Deshalb müssen die Aufnahme- und Transitländer bei der Unterbringung und bei der Versorgung der Geflüchteten viel stärker unterstützt werden . ({10}) Neben der Beantwortung der humanitären Fragen und neben der Schaffung sicherer Fluchtwege über humanitäre Visa und großzügigere Resettlement-Kontingente ist schließlich auch längst überfällig, legale Migration über ein Einwanderungsgesetz zu ermöglichen . Doch dafür muss man dem Bundestag ein entsprechendes Gesetz vorlegen, liebe Kollegen von CDU und SPD, anstatt sie nur in Parteitagsbeschlüsse zu schreiben . ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Antrag wollen wir die Fluchtursachen nicht nur bereden, sondern wirklich beheben, und wir wollen sofort damit anfangen; denn die Menschen in Not können nicht länger warten . Ich danke Ihnen . ({12})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation Active Endeavour bekannt: abgegebene Stimmen 601 . Mit Ja haben gestimmt 467, mit Nein haben gestimmt 133, Enthaltungen 1 . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen . Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 601; davon ja: 467 nein: 133 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Stephan Albani Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . Andre Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E . Fischer ({2}) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich ({3}) Michael Frieser Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Vizepräsidentin Claudia Roth Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Dr . Heribert Hirte Christian Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann ({5}) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr . 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Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr . Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Dr . Matthias Miersch Susanne Mittag Bettina Müller Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir ({24}) Aydan Özoğuz Markus Paschke Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Joachim Poß Florian Post Achim Post ({25}) Dr . Wilhelm Priesmeier Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({26}) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer ({27}) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({28}) Matthias Schmidt ({29}) Dagmar Schmidt ({30}) Carsten Schneider ({31}) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Svenja Stadler Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Ute Vogt Dirk Vöpel Bernd Westphal Dirk Wiese Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr . Ute Finckh-Krämer Gabriele Hiller-Ohm Ralf Kapschack Cansel Kiziltepe Hilde Mattheis Christian Petry Swen Schulz ({32}) Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({33}) DIE LINKE Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Annette Groth Dr . Gregor Gysi Dr . Andre Hahn Dr . Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Sabine Leidig Michael Leutert Dr . Gesine Lötzsch Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({34}) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold ({35}) Richard Pitterle Martina Renner Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Dr . Kirsten Tackmann Azize Tank Dr . Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann ({36}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Marieluise Beck ({37}) Volker Beck ({38}) Dr . Franziska Brantner Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({39}) Christian Kühn ({40}) Markus Kurth Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({41}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Dr . Wolfgang StrengmannKuhn Dr . Harald Terpe Markus Tressel Dr . Julia Verlinden Doris Wagner Dr . Valerie Wilms Enthalten SPD Petra Hinz ({42}) Das Wort hat jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion . ({43})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten beiden Jahren hat die Gleichzeitigkeit von Krisen zu beispiellosen Schicksalen und millionenfacher Flucht geführt . Wir werden kurz- und mittelfristig die eine oder andere Herausforderung in der Ukraine oder - das ist jetzt ganz frisch - auch in Libyen sicherlich mit diplomatischen Mitteln lösen können . Aber angesichts der millionenfachen Flucht weltweit müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es sich hierbei um eine Generationenaufgabe handelt, die von den beiden Anträgen, die wir heute hier beraten, nur teilweise behandelt wird . Ich möchte das anhand von vier Trends aufzeigen, die eine erhebliche Rolle bei den Fluchtursachen spielen: Erstens der demografische Wandel. Ich nenne hier nur das Stichwort „Afrika“ . Wir erwarten eine Verdoppelung der afrikanischen Bevölkerung bis zum Jahr 2050, also binnen einer Generation . Zurzeit sind dort bereits rund 17 Millionen Menschen auf der Flucht . Zweitens nenne ich die zunehmende Intensivierung von Religionskriegen, beispielhaft hier der Streit zwischen Schiiten und Sunniten, der blutig ausgetragen wird, auch in Stellvertreterkriegen . Das ist etwas, was unbedingt in den Regionen vor Ort gelöst werden muss; trotzdem sind wir unmittelbar davon betroffen . Drittens erleben wir den Klimawandel . Darüber hat die Kollegin Roth eben gesprochen . Viertens . Die Kluft zwischen reichen und armen Staaten nimmt nicht ab . ({0}) Gleichwohl hat die Weltbank in der vergangenen Woche sehr deutlich gemacht, was sich in den letzten 25 Jahren dank Globalisierung und Entwicklungszusammenarbeit getan hat: Der Anteil der ärmsten Menschen auf der Welt ist von etwa 30 Prozent im Jahr 1990 auf jetzt etwa 10 Prozent gesunken . Das darf aber nicht unseren Blick verstellen; denn immer noch zählen 800 Millionen Menschen zu den Ärmsten dieser Weltgemeinschaft . Hier haben wir viel zu tun . Vielfach habe ich den Eindruck - der Wissenschaftler Herfried Münkler hat das in den letzten Wochen immer wieder deutlich gemacht -, dass wir an den sozialen Folgen dieser Entwicklungen arbeiten, aber wenig tun, um die Entwicklungen selbst zu gestalten . Ich glaube, unsere Aufgabe als Bundesrepublik Deutschland und als Europäische Union ist es, hier mitzuwirken . Wir müssen selber aktiv werden, damit wir nicht gestaltet werden . Wir dürfen nicht immer nur an den Folgen arbeiten . ({1}) Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung - das gilt insbesondere für das Auswärtige Amt - an der Bekämpfung der Fluchtursachen arbeitet, auch durch Präventionsmaßnahmen. Diesbezüglich findet im Auswärtigen Amt eine Umorientierung statt . Auch deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Außen- und Sicherheitspolitik einen verzahnten Ansatz verfolgt . Wir merken ja sehr deutlich, wie eng Außen- und Innenpolitik zusammenhängen . Ich möchte vor diesem Hintergrund gerne vier Bereiche der Fluchtursachenbekämpfung aufzeigen, um die wir uns intensiver kümmern müssen . Erstens geht es aus meiner Sicht darum, die illegale Migration nach Europa zu begrenzen . Der Historiker Heinrich August Winkler hat unlängst, im Sommer, deutlich gemacht, dass es ein legitimes deutsches Interesse ist, die illegale Migration zu begrenzen . Ich möchte sagen: Es ist im Interesse Europas, die illegale Migration zu bekämpfen, um uns stärker um diejenigen kümmern zu können, die Asylgründe haben, um uns stärker um diejenigen kümmern zu können, die schutzbedürftig sind . ({2}) Wir müssen die illegale Migration auch bekämpfen, um den Schleppern das Handwerk zu legen . ({3}) Deshalb bin ich sehr froh, dass in Valletta nicht nur die Fluchtursachenbekämpfung angesprochen worden ist, sondern auch sehr deutlich Möglichkeiten der legalen Migration nach Europa . ({4}) Mein zweiter Punkt: Wenn wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber vermeiden wollen, dass Europa zur Festung wird - Frau Roth hat ja den Begriff „Festung Europa“ gebraucht -, dann brauchen wir innerhalb unserer europäischen Gesellschaften die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen . Dann brauchen wir die Bereitschaft, Ursachen zu bekämpfen, die Bereitschaft, humanitäre Hilfe zu leisten, die Bereitschaft, darüber nachzudenken, wie eine gemeinsame Lösung angestrebt werden kann . Drittens . Wir müssen die Renationalisierungsbestrebungen in unseren Nachbarländern, die wir mit Sorge beobachten, ({5}) massiv angehen, ganz klar ansprechen und konstruktive Vorschläge unterbreiten . Das Ziel ist sicherlich, die Aufnahmebereitschaft in Europa zu verbessern . Das ist ein schwieriger Weg . Das muss aber innerhalb des nächsten Jahres gelingen; denn die Flüchtlinge werden nicht warten, bis wir Europäer uns geeinigt haben . Viertens . Parallel sollten wir alles dafür tun - das wird die einen oder anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union an der Peripherie Europas sicherlich überzeugen -, dass die Flüchtlinge in den Ländern, die unmittelbar an die Krisenzonen angrenzen, bessere Lebensbedingungen haben. Das bedarf hoher finanzieller und hoher fachlicher Unterstützung . Wir werden uns darauf einstellen müssen, in der Entwicklungszusammenarbeit, in der Gesundheitsversorgung, in der Betreuung und auch in der psychosozialen Beratung viel stärker in diesen Regionen aktiv zu sein . Deshalb finde ich es sehr gut, wenn ich das sagen darf, dass auf dem Bundesparteitag der CDU in dieser Woche nicht nur über die Begrenzung der Flüchtlingszahlen gesprochen wurde, sondern auch ein Aufruf an die Gesellschaft zu mehr Bereitschaft zum Freiwilligendienst einstimmig entschieden wurde . ({6}) 400 000 junge Menschen sollen sich im Freiwilligendienst für Betreuung, für Unterstützung und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft einbringen . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Kiesewetter, darf ich Sie kurz unterbrechen? Die Kollegin Hänsel hat darum gebeten, Ihnen eine Zwischenfrage stellen zu dürfen .

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es wäre ja eine Überraschung, wenn es keine Zwischenfrage gegeben hätte . - Ja .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Frau Kollegin Hänsel .

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin . - Herr Kiesewetter, ich möchte jetzt wirklich noch einmal bei Ihnen nachfragen . Denn Sie betreiben jetzt wieder genau das üble Spiel, das wir hier die ganze Zeit von Ihrer Fraktion erleben . Wir sprechen hier über Fluchtursachen, und wir sprechen über Menschen, die auf der Flucht sind . Sie sprechen jetzt von illegaler Migration . Jetzt sagen Sie mir einmal bitte: Welche legalen Einreisewege in die Europäische Union haben diese Menschen, die auf der Flucht sind? ({0}) Wenn ich auf der Flucht bin, fliehe ich und muss mich in ein anderes Land retten und stelle dort einen Antrag auf Asyl . Das steht in unserem Grundgesetz . ({1}) Sie führen hier ständig dieses Wort der illegalen Migration, der irregulären Migration an, anstatt sich mit Fluchtursachen zu beschäftigen . Sie bekämpfen damit eigentlich wie immer Flüchtlinge und Fluchtoptionen . ({2}) Deswegen lautet meine Frage: Was haben Sie für Menschen auf der Flucht anzubieten? ({3}) Wir erleben, dass Tausende im Mittelmeer ertrinken, weil es keine legalen Einreisewege gibt . ({4})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist genau der Punkt . Genau deshalb müssen wir der illegalen Migration das Handwerk legen, insbesondere den Schleppern . ({0}) Erstens wollen wir große Aufnahmezentren - ich mag den Begriff „Hotspots“ nicht so sehr -, in denen die Flüchtlinge legal aufgenommen werden können . Zweitens wollen wir den Schleppern schlichtweg das Handwerk legen, indem wir ihre Netzwerke aufklären . Drittens wollen wir - das ist in La Valletta sehr deutlich geworden; im Übrigen hat sich die Bundesregierung dort sehr stark dafür eingesetzt -, dass wir legale Einwanderung für Menschen mit entsprechendem Hintergrund nach Europa ermöglichen . Wir wollen doch gerade verhindern, dass die Menschen nur über den Weg Asyl nach Europa kommen . Vielmehr sollen sie qualifiziert und auf sicheren Wegen kommen, damit es eben nicht auf Dauer dieses Milliardenhandwerk gibt, das zusätzlich noch den Terror von IS und anderen gewaltbereiten Terrororganisationen unterstützt . Darum geht es . ({1}) Das führt mich zu einem weiteren Punkt . Wenn es uns also gelingt, die Aufnahmebereitschaft innerhalb der Europäischen Union auszugleichen, wenn es uns gelingt, ein Klima der Hilfsbereitschaft zu schaffen, wenn es uns gelingt, das, was in Deutschland beispielhaft im Ehrenamt geleistet wird, zu verstetigen und den Freiwilligendienst in dieser Richtung auszubauen, dann sind wir in diesem Bereich nicht nur Vorbild für andere Staaten in der Europäischen Union, sondern wir zeigen damit auch die Solidarität, die notwendig ist . Auf der anderen Seite zeigen wir Staaten, die mit Flüchtlingen innerhalb der EU weniger aufgeschlossen umgehen, wie man es anders machen kann . Deshalb sage ich: Wir brauchen eine gemeinsame Anstrengung . Dann haben wir - das führt mich jetzt zu den eigentlichen Aspekten der Fluchtursachenbekämpfung - auch die Chance, dass die Europäische Union stärker mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet und dass wir bei der Gestaltung der Außengrenzen aktiv mitwirken können . Denn wo wären wir in Afghanistan, wenn wir dem Antrag der Linken folgen würden? Dann würden dort noch die Taliban regieren . Wo wären wir in Serbien? Dann würde Milosevic dort noch regieren . ({2}) Wo wären wir mit Blick auf die Peschmerga? Dann wären die Jesiden längst schon im Völkermord untergegangen . Wir müssen also auch aktiv eingreifen . ({3}) Eine Kollegin hat heute in einer besonderen Stellungnahme sehr gut dargestellt, dass es notwendig ist, einzugreifen . Deshalb brauchen wir in der Europäischen Union etwas mehr Mut, nicht nur an den sozialen Folgen von Entwicklungen zu wirken, sondern auch mitzugestalten . Das geht - das spreche ich ganz offen an - bis hin zu Fragen eines notwendigen Regimewechsels, wenn Regime Völkermord unterstützen, Minderheiten unterdrücken und mit Gewalt ihre eigene Bevölkerung unterjochen, wie wir es beispielsweise in Syrien bitter erleben, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Kiesewetter, ich möchte Ihnen noch eine Chance zu einer Pause geben . Die Kollegin Renate Künast hat um eine Zwischenfrage gebeten . Gestatten Sie sie?

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir wollen ja eine lebhafte Debatte; gerne . ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kiesewetter, da wir gerade über Fluchtursachen reden, will ich sagen, dass meiner Meinung nach so etwas wie der Bundesfreiwilligendienst keine Fluchtursache ist . Deshalb würde ich Sie gerne fragen, ob Sie auch noch zu einem anderen Thema kommen, und Sie bitten, inhaltlich etwas dazu zu sagen . Ich persönlich halte zum Beispiel die europäische und internationale Fischerei- und Agrarpolitik für eine Fluchtursache, also den Raubbau und das Land Grabbing . ({0}) Das Ackerland gehört nicht mehr den Menschen, die dort leben . Es werden Futtermittel und Gemüse angebaut, damit sie in Europa ganzjährig zur Verfügung stehen, ({1}) sodass das gute Ackerland nicht für die Sicherstellung der Ernährung der Menschen vor Ort genutzt werden kann . Ein anderes Beispiel ist, dass die großen Fischtrawler an den Küsten Westafrikas die Meere leerfischen, sodass die Fischer ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie gar nicht mehr durch Fischerei sichern können . Ich dachte eigentlich, dass das Fluchtursachen sind . Sind Sie bereit, neben dem Bundesfreiwilligendienst und ähnlichen Dingen auch darüber zu diskutieren bzw . die Frage zu stellen, ob wir vielleicht auch unsere Art, uns zu ernähren und Fischerei- und Agrarpolitik zu betreiben, verändern müssen, um im Hinblick auf die zentralen Ursachen der Flucht, nämlich Hunger und fehlende Lebensperspektiven, etwas zu tun? Ich glaube, dass das der Ausgangspunkt ist . ({2})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, Frau Kollegin Künast, Sie haben mich sehr wohl verstanden . Ich habe klargestellt, dass auch gesellschaftliche Voraussetzungen für eine größere Aufnahme- und Hilfsbereitschaft erfüllt sein müssen . Deswegen gehe ich auf Ihre Frage nicht weiter ein . Wir wollen unserer Bevölkerung nicht vorschreiben, wie man leben soll - damit sind Sie ja im letzten Bundestagswahlkampf gescheitert -, ({0}) sondern wir wollen erreichen, dass das aus Einsicht geschieht . ({1}) - Wirklich . Sie haben mir da eine Brücke gebaut, Frau Künast insofern danke ich Ihnen; denn das führt mich zu einem weiteren Punkt -: Uns muss es darum gehen, dass wir um Europa herum einen Ring stabiler Staaten haben, die in der Lage sind, die Flüchtlinge in den unterschiedlichen Regionen aufzunehmen . ({2}) Wir müssen uns dort engagieren, um Wertschöpfungsketten zu schaffen . ({3}) Wir müssen unsere Agrarmärkte öffnen, um die Entwicklung der Agrarwirtschaft im nördlichen Afrika zu beflügeln - da bin ich mit Ihnen völlig d’accord -, und unsere Fördermittel so gestalten, dass landwirtschaftliche Entwicklungen im nördlichen Afrika nicht im Keim erstickt werden . Da sind wir uns, wie gesagt, völlig einig . Das bedeutet auch eine Änderung unserer Agrarpolitik im nördlichen Afrika - eindeutig . ({4}) Letztlich - Sie hatten eben die Gelegenheit - geht es um drei Dinge: Erstens . Die Europäische Union muss stärker mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten . Die Europäische Union muss in ihrem Umfeld für Stabilität sorgen . Das ist insbesondere an guten Beispielen der Entwicklungszusammenarbeit deutlich geworden . Gerade das BMZ unterstützt Bildungsprojekte im Libanon, in Jordanien, in Syrien und in der Türkei . Zweitens müssen wir uns ganz stark in den Ländern um Syrien herum engagieren, insbesondere im Libanon und in Jordanien . Drittens sollten wir das Engagement der Bundesregierung gerade bei den Verhandlungen in Wien und Rom - dabei geht es um den Vorschlag einer libyschen Einheitsregierung und um eine Entwicklung, die alle Konfliktparteien in Syrien und im Irak an einen Tisch bringt - massiv unterstützen . Ein richtiger Beitrag zur Fluchtursachenbekämpfung wäre in jedem Falle die Schaffung eines stabilen Umfelds um Europa herum und die Bereitschaft, dort, wo die Europäische Union mehr leisten kann als andere, im Auftrag der Vereinten Nationen zu helfen . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Katja Kipping . ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kiesewetter, wenn Sie dem sogenannten Schlepperwesen wirklich die Geschäftsgrundlage entziehen wollen, gibt es ein ganz einfaches Mittel: Schaffen Sie einfach legale Flucht- und Einreisemöglichkeiten! Ich sage: Fähren statt Frontex . ({0}) Zum Thema Fluchtursachen . Wer Waffen in alle Welt verkauft, braucht sich nicht zu wundern, wenn diese Waffen anderswo Menschen in die Flucht treiben . Ja, Waffenexporte sind Fluchtursachen made in Germany, und damit müssen wir aufhören . ({1}) Sie werden nun womöglich einwenden, dass Deutschland gar keine Waffen direkt in die Länder verkauft hat, aus denen gerade besonders viele Menschen fliehen. Ja, die Wege der Waffengeschäfte sind oft verschlungen . Es gibt weltweit einen Schwarzmarkt für Waffen, und der größte Teil der Waffen, die dort gehandelt werden, besteht aus einst legalen Waffen . Im Laufe der Jahre wurden sie aber - sei es durch Korruption, durch Diebstahl, durch politische Umbrüche oder anderes - illegale Waffen, und sie kamen auf den Schwarzmarkt . So fanden sie ihren Weg in die verschiedenen Kriegsgebiete . Die einzige Möglichkeit, diesen Schwarzmarkt für Waffen auszutrocknen, besteht darin, die ursprüngliche Quelle trockenzulegen, nämlich den legalen Waffenhandel, und deswegen sagen wir als Linke ganz klar: Fluchtursachen bekämpfen heißt auch, alle Rüstungsexporte sofort zu stoppen . ({2}) Wir reden über Fluchtursachen und wissen, dass es Bereiche gibt, in denen wir mehr Geld in die Hand nehmen müssen, zum Beispiel für die Flüchtlingscamps der UN . Fluchtursachen bekämpfen heißt aber auch, das Falsche, das für die Entwicklungsländer Schädliche, zu unterlassen, zum Beispiel Land Grabbing . Der Begriff „Land Grabbing“ beschreibt eine sehr fragwürdige Praxis der Landaneignung . Lokale Machthaber verkaufen Land an internationale Konzerne, Banken und Fonds - allerdings ohne Rücksicht auf die Familien zu nehmen, die auf diesem Land seit Jahren leben und es bewirtschaften . Und wir reden hier nicht über eine kleine Dimension, sondern Schätzungen zufolge hat Land Grabbing eine Größenordnung von 50 bis 220 Millionen Hektar . Nur einmal zum Vergleich: Die gesamte EU verfügt über Ackerland in einer Größenordnung von 180 Millionen Hektar . Wir reden hier also über eine große Dimension . Infolge von Land Grabbing, von Landraub, verlieren Familien ihre Lebensgrundlage, und sie haben oft nur die Wahl zwischen einem Leben in Slums oder der lebensgefährlichen Flucht . Wenn wir uns also dafür einsetzen, deutschen und europäischen Unternehmen und Banken die Beteiligung an dieser Form von Landraub zu verbieten, dann tun wir etwas Richtiges, um die Not in anderen Ländern abzubauen . ({3}) Der Flüchtling Jan aus dem Kongo, dessen Familie selbst Opfer von Landraub wurde, hat die Situation in seiner Heimat für einen Dokumentarfilm, wie ich finde, sehr treffend auf den Punkt gebracht . Er sagt - ich zitiere -: Ihr nehmt uns unsere Lebensgrundlage, weil ihr unsere Rohstoffe ausbeutet, und unsere Regierungen nehmen uns unsere Zukunft, weil sie nicht auf Bildung setzen, sondern Raffgier vorleben. - Ich finde, das ist eine sehr treffende Beschreibung für die Komplizenschaft von westlichen Konzernen mit Machthabern vor Ort . Nun gibt es ganz konkrete Schritte, die wir gehen können, um Fluchtursachen abzubauen . Wir schreiben darüber in unserem Antrag. Ich finde aber auch, dass wir die Augen vor einer Tatsache grundsätzlich nicht verschließen können: Unser Wohlstand hier basiert auf einer Ausbeutung dort. - Wer flüchtet denn schon freiwillig?

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Kipping, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Huber?

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Mit Vergnügen .

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Kipping, ich fühle mich geehrt . - Sie haben von Landraub und im Zusammenhang damit unter anderem über das Engagement von Rohstoffkonzernen in Afrika gesprochen . Daneben haben Sie auch in Bezug auf den Kongo von Rohstoffausbeutung gesprochen .

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für die Zusammenfassung .

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Kontext haben Sie einen Antrag für die verbindliche Zertifizierung von Rohstoffen in den Ausschuss eingebracht .

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Bis dahin ist alles richtig .

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin jüngst im Kongo gewesen und habe mich dort mit Bergbauarbeitern unterhalten . Es gibt ein Äquivalent zu dem Antrag, den Sie eingereicht haben; das ist der Dodd-Frank Act, Artikel 1502 . Es ist folgendermaßen: Wenn Sie nach dem Prinzip Lessons Learned gehandelt hätten, dann hätten Sie feststellen müssen, dass allein in der Region Katanga 400 000 Minenarbeiter - also kleine Bergbauarbeiter ihren Arbeitsplatz zugunsten von multinationalen Konzernen verloren haben . Mir erschließt sich hier die Logik nicht . Auf der einen Seite wollen Sie das Kleinbergbauerntum unterstützen, die Fluchtursachen bekämpfen und dafür sorgen, dass die Leute ihre Arbeitsplätze behalten, und auf der anderen Seite unterstützen Sie - gewollt oder nicht - eine Strategie der multinationalen Konzerne, damit die Leute ihr Land und ihre Arbeitsplätze verlieren . Jetzt frage ich mich, wie diese Logik zustande kommt . Dasselbe lässt sich natürlich auch übertragen . Ich denke hier daran, dass Sie immer eine Diskussion über die Kleinbauern anregen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Huber . Eine kurze Frage, bitte .

Charles M. Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004308, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Frage, genau formuliert: Welches ist die Logik, die Sie uns versuchen zu offenbaren, wenn Sie sagen, Sie unterstützen im Prinzip den kleinen Mann, ({0}) obwohl Sie in der praktischen Auswirkung indirekt die multinationalen Konzerne unterstützen? Haben Sie das genau evaluiert?

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Huber, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Frage, weil ich in meinen vier Minuten Redezeit das Handeln der Bundesregierung nicht so kritisch im Detail würdigen konnte, wie Sie das getan haben . Sie sind ja Mitglied der Regierungsfraktionen . Sie wissen, dass in der Außenpolitik der Einsatz für entsprechende bilaterale und internationale Abkommen, zum Beispiel um die Beteiligung an Land Grabbing zu verbieten, in den Händen der Bundesregierung liegt, auf die Sie womöglich sogar Einfluss haben. Bisher hat die Regierung hier nichts gemacht . Ich will auch darauf hinweisen, dass sich beispielsweise meine Fraktion im Entwicklungsausschuss dafür eingesetzt hat, dass die Praxis der DEG, der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, einer kritischen Würdigung unterzogen wird, weil sie im Kongo multinationale Konzerne beim Land Grabbing unterstützt hat, was dazu geführt hat, dass Familien ihre Lebensgrundlage verloren haben . Ich sehe also Ihre Frage eher als eine Kritik an der bisherigen Politik der Bundesregierung . Vielen Dank . ({0}) Noch einmal: Unser Wohlstand hier basiert auf einer Ausbeutung dort . Ich fand, dass die Losung der Refugee-Bewegung dies gut auf den Punkt gebracht hat: „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört .“ Die vielen Menschen, die Grenzen unter Lebensgefahr überwinden, führen uns damit die Begrenztheit unserer Sichtweise auf unsere Art, zu wirtschaften, und unsere Art, Handel zu treiben, vor Augen . Insofern trägt die Fluchtbewegung eine Botschaft nach Europa: So, wie wir wirtschaften, wie wir konsumieren und wie wir Handel betreiben, so kann es nicht weitergehen . Vielen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr . Ute Finckh-Krämer das Wort . ({0})

Dr. Ute Finckh-Krämer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004273, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen! Als ich die beiden Anträge, über die wir jetzt hier diskutieren, gelesen habe, hatte ich das Gefühl, ich habe es kurz vor Weihnachten mit Wunschzetteln ohne Priorisierung und ohne Überlegungen dazu zu tun, ({0}) wie sich die verschiedenen Forderungen eigentlich zueinander verhalten und wie sie in endlicher Zeit umsetzbar sind . Aus meiner Sicht wäre weniger mehr gewesen . Ich möchte mit einer Situation beginnen, die uns allen vertraut klingt: eine gescheiterte Revolution in mehreren nebeneinander liegenden Ländern . Die Regierungen setzen Militär gegen die Revolutionäre ein . Viele von ihnen fliehen in Nachbarländer, um einer politischen Verfolgung zu entgehen, und dann, als die Repression in ihren Heimatländern anhält, weiter in ein Land, das seine Grenzen für diese Menschen weit öffnet . Viele von ihnen sind akademisch gebildet, stammen aus wohlhabenden Familien und integrieren sich schnell in die aufnehmende Gesellschaft . „Wo Freiheit ist, ist Heimat“ ist ihr Grundsatz . Wer die Staatsbürgerschaft des neuen Heimatlandes erhält, mischt sich als Demokrat kräftig in die Politik ein . Einer von ihnen wird Innenminister . Spätestens hier ist klar, dass es nicht um den Arabischen Frühling geht, sondern um ein historisches Beispiel . Die Rede ist von der gescheiterten Revolution 1848 in Deutschland . Das Zielland waren die USA . Der bekannteste 48er, wie sie bis heute genannt werden, der Innenminister wurde, war Carl Schurz . Wenn man Texte über ihn liest, wird er nicht als Flüchtling, sondern aus deutscher Perspektive als „Auswanderer“ oder aus US-amerikanischer Perspektive als „Einwanderer“ bezeichnet . Nach heutigen Kriterien wären die 48er eindeutig politische Flüchtlinge . Einen Teil des demokratischen Denkens, das sie mit in die USA genommen haben, haben wir im 20 . Jahrhundert im Dialog mit den USA zurückbekommen . Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik hat gerade eine kompakte Stellungnahme dazu vorgelegt, was Entwicklungspolitik zur Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen kann . Dabei wird - das ist für unsere Diskussion wichtig - folgende Definition von Flucht zugrunde gelegt . Danach ist Flucht eine Reaktion auf eine Bedrohung der physischen oder psychischen Integrität, die durch Krieg und Bürgerkrieg, Terror, Gewalt, Repression, Nahrungsmangel oder Naturkatastrophen verursacht werden kann . Der Begriff wird gegen den Begriff der Migration oder der Aus- und Einwanderung, wie es früher hieß, abgegrenzt: Auch wenn die Abgrenzung zu Flucht nicht immer eindeutig ist, sollte man von Migration sprechen, wenn Menschen gezielt außerhalb ihrer Heimat nach Möglichkeiten suchen, um ihre sozioökonomischen Lebensbedingungen zu verbessern . Ich bin dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik außerordentlich dankbar dafür, dass es eine klare Definition von Flucht in die aktuelle Debatte um Fluchtursachen einbringt . Denn leider vermischen die vorliegenden Anträge Flucht und Migration und damit auch die Frage nach Flucht- und Migrationsgründen . ({1}) Unsere Debatte darüber, wie wir kurz-, mittel- und langfristig die Zahl der Flüchtlinge, aber nicht unbedingt die Zahl der Migranten weltweit verringern können, gewinnt an Schärfe und wird erschwert, wenn wir die Begriffe nicht klar definieren. Die meisten Flüchtlinge und intern vertriebenen Menschen kommen aus Regionen, in denen Krieg und Bürgerkrieg herrschen . Sie hoffen auf ein Ende der Gewalt und eine Rückkehr in ihre Heimat . Daher bleiben die meisten im eigenen Land oder in der Region . Um ihnen kurzfristig zu helfen, gibt es drei wichtige Ansätze, und dabei spielt Außenpolitik eine große Rolle . Ein Ansatz ist die Unterstützung von Waffenstillstands- und Friedensprozessen . In der Ukraine und in Libyen ist Deutschland sehr aktiv dabei, solche Waffenstillstandsprozesse als Voraussetzung für Friedensprozesse zu unterstützen . Auch in Syrien und im Irak spielt Deutschland zumindest auch eine wichtige diplomatische Rolle, unabhängig davon, wie der einzelne oder die einzelne von uns über die Militäreinsätze und die Unterstützung durch Waffenlieferungen in den Irak denkt . Der zweite wichtige Punkt - das ist schon angesprochen worden und kommt auch in beiden Anträgen vor - ist die humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge . Da hat Deutschland nicht nur die eigenen Mittel im Bundeshaushalt 2016 deutlich erhöht, sondern Deutschland ist auch immer wieder Gastgeber für Geberkonferenzen und bemüht sich darum, dass andere Staaten oder die EU unserem Beispiel folgen . ({2}) Die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung der Aufnahmeregionen in einer Form, die den Flüchtlingen und den Aufnahmegemeinden gleichermaßen zugutekommt, wird wiederum nicht nur von der Bundesregierung, also überwiegend vom BMZ, betrieben, sondern auch Kulturinstitutionen, Nichtregierungsorganisationen oder Landesregierungen sind dort aktiv, ganz aktuell die baden-württembergische Landesregierung mit einem Projekt für die Region Dohuk im Nordirak oder das Deutsche Archäologische Institut, das in Zusammenarbeit mit jordanischen Einrichtungen Qualifizierungsmaßnahmen für syrische Flüchtlinge in den Bereichen Restaurierung und Konservierung anbietet, und zwar in Zusammenarbeit mit jordanischen Handwerkern . Dieses Projekt wird aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert. Mittelfristig brauchen wir keine Liste von Einzelmaßnahmen, sondern einen umfassenden Neuansatz für die Regionen, aus denen Flüchtlinge stammen . Dazu bedarf es eines internationalen Ansatzes, in dem alle, die irgendetwas dazu beitragen können - von internationalen Organisationen bis zur Zivilgesellschaft in den entsprechenden Ländern -, beteiligt werden . Es werden aber nicht nur demokratische und aus unserer Sicht vollakzeptable Gesprächspartner dabei sein können, sondern wir werden auch mit Regimen wie dem von Saudi-Arabien und des Iran verhandeln müssen - im Interesse der Menschen, die von Krieg und Bürgerkrieg betroffen sind . Danke . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für die CDU/ CSU-Fraktion ist der Kollege Dr . Bernd Fabritius . ({0})

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Humanität und Menschenrechte sind Herzstücke unseres Wertekanons . Von diesen Werten haben wir uns in den vergangenen Monaten bei der Aufnahme einer großen Anzahl von Kriegsflüchtlingen leiten lassen, und das bleibt selbstverständlich auch in Zukunft so . Bereits der Titel des Grünenantrags und die vorherige linke Zwischenfrage insinuieren allerdings allen Ernstes, die Bundesregierung würde „Flüchtlinge bekämpfen“ . ({0}) Meine Damen und Herren, das ist infam, eine Unterstellung, populistisch und unseriös . ({1}) Mich besorgt zudem die auch in diesen Anträgen erneut offenkundige Vermengung der Themen „Flucht“ und „Vertreibung“ mit Fragen der einfachen, schlichten Migration . Es sollte aber gerade die Aufgabe verantwortlicher Politiker sein, hier zu differenzieren und deutlich zu trennen . Unser Asylrecht beschränkt sich nicht ohne Grund auf eine klar definierte Personengruppe, nämlich diejenige, die tatsächlich unseren Schutz benötigt, weil sie verfolgt wird . Wann wollen Sie diese Ziele unserer menschenrechtlichen Schutzregularien endlich verinnerlichen? Viele Menschen entscheiden sich aus rein wirtschaftlichen Gründen für eine Migration . ({2}) Grüne und Linke erkennen das sogar und sprechen es in ihren Anträgen mehrfach an . Die Gründe dieser Menschen, ihre Heimat zu verlassen, sind oft nachvollziehbar; das bestreitet doch keiner . Niemand verlässt ohne Grund seine Heimat oder seine Familie . Dennoch ist es unerlässlich, dass diejenigen Menschen, die eine freiwillige Migrationsentscheidung treffen, sich nicht auf unsere Schutzmechanismen für Verfolgte berufen, sondern einen der vielen legalen Einwanderungswege nach Deutschland beschreiten, wenn diese für sie zutreffend sind . ({3}) Davon gibt es im Aufenthaltsrecht ganze 41 offene Tore; diese kann man gerne nutzen . Ich stimme Ihnen ja zu, wenn Sie in Ihrem Antrag sagen, dass Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung bekämpft werden müssen . Darin sind wir uns alle doch einig . Wenn Sie jedoch einen Mangel in diesem Bereich innerhalb der Europäischen Union als Grund für die Flüchtlingsströme nach Europa ausmachen, dann hat das wirklich nichts mehr mit seriöser Politik oder Analysefähigkeit zu tun . ({4}) Kommen denn die Menschen aus Syrien oder aus Eritrea vielleicht zu uns, weil bei uns die Menschenrechtslage so schlecht ist? Hierüber würde ich doch noch einmal nachdenken . ({5}) Die Grünen fordern in ihrem Antrag eine Solidarität aller europäischen Mitgliedstaaten . Das hört sich gut an . Wir fordern die Solidarität unserer Nachbarn schon lange, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied . Wir tun dies in dem Wissen, dass wir nicht alle Menschen aufnehmen können, die zu uns kommen wollen . Mit dieser realistischen Einschätzung lässt sich die europäische Solidarität viel eher gewinnen als mit Utopien . Solche verstärken nur die bedauerliche Abwehrhaltung einiger europäischer Nachbarn . Das ist schade und trägt nicht zur Problemlösung bei . Wir müssen Vernunft walten lassen und akzeptieren, dass auch unsere Möglichkeiten nicht unendlich sind . Ein weiterer Punkt in Ihrem Gebaren ist immer wieder verwunderlich . Sie scheinen, von bedauerlichen Individualschicksalen beeindruckt, die Herkunftsregionen und deren notwendigen Wiederaufbau in Zukunft völlig auszublenden . ({6}) Man könnte Ihnen schon fast egoistische Interessen zulasten dieser Regionen unterstellen . Geradezu dramatisch ist es, dass der Exodus ganzer Generationen eine künftige Entwicklung in den Herkunftsregionen unmöglich macht . Diese und im Übrigen auch die Heimatverbliebenen verlieren am Ende noch die letzte Perspektive, wenn dort gerade junge und leistungsfähige Menschen fehlen, weil Sie diese partout auf Dauer in Deutschland haben wollen . ({7}) Ihre thematische Verbindung des Fluchtelends mit unseren demografischen Problemen ist unredlich. Das gilt für Kriegsgebiete genauso wie für wirtschaftsschwache Länder . Daher muss, soweit es die Sicherheitslage ermöglicht, der Bleibe- und Wiederaufbauwille der Menschen in den betroffenen Gebieten gestärkt und eine spätere Rückkehrbereitschaft der bereits Geflüchteten erhöht werden . ({8}) Das gilt gerade auch für den großen Teil der syrischen Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien oder in der Türkei . Hier müssen wir vernünftige Bedingungen schaffen . 1000 Kalorien pro Tag und 14 Dollar pro Monat für einen Flüchtling sind absolut unzureichend; darin sind wir uns doch einig . Das Problem muss aber von der Staatengemeinschaft menschenrechtskonform vor Ort und nicht durch Sekundärmigration nach Deutschland gelöst werden . ({9}) Humanitäre Hilfe in ihrer traditionellen Definition reicht für die Bekämpfung von Fluchtursachen nicht aus . Neben der klassischen humanitären Hilfe brauchen wir Hilfe für Humanität durch Bildung und Kultur . Über 80 Prozent der hier ankommenden Flüchtlinge kommen nicht direkt aus den Krisengebieten, sondern aus primären Zufluchtsregionen, aus den Flüchtlingslagern der umgebenden Länder . Es entstehen sekundäre Wanderbewegungen, wenn die Menschen ihre Lebenssituation vor Ort als nicht mehr tragbar empfinden. Es muss die allererste Pflicht der gesamten Staatengemeinschaft sein, die notwendigsten Bedürfnisse der Menschen in den Flüchtlingslagern, etwa in Jordanien, in der Türkei oder im Libanon, zu stillen, also für ausreichend Nahrung, Schlafplätze und ärztliche Versorgung zu sorgen . Gleich danach sind es aber doch Bildungsangebote, die für die oftmals traumatisierten Menschen eine Hilfe sind . Sie schaffen Zukunftsperspektiven und bessere Ausgangsvoraussetzungen für einen Neustart in den Heimatregionen . Kulturelle Angebote können daneben die Auswirkungen von Flucht und Vertreibung lindern und eine große Hilfe sein . Fluchtursachen und Sekundärmigration bekämpfen heißt Perspektiven vor Ort schaffen . Der Zugang zu Bildung legt hierbei den Grundstein für den Erfolg dieser Strategie . In herkömmlichen Schulen und in temporären Schuleinrichtungen in der Türkei werden derzeit rund 265 000 syrische Flüchtlingskinder beschult . ({10}) Bis zum Ende des laufenden Schuljahres strebt die Türkei sogar eine Erhöhung dieser Kapazität auf insgesamt 450 000 Schüler an . Das ist eine starke Leistung, und dafür gebührt der Türkei eine große Anerkennung . Klar ist aber auch, dass die Türkei wie auch Jordanien oder der Libanon diese Aufgabe nicht allein stemmen können . In sehr kurzer Zeit wird eine viel größere Anzahl neuer Schulen und neuer Lehrer gebraucht . Bei 450 000 zu beschulenden Kinder komme ich schnell auf einen geschätzten Bedarf von 20 000 weiteren Stellen . Im Zuge des Migrationsdialoges mit der Türkei wurde deshalb zu Recht der kurz- und mittelfristigen Hilfe bei Schul-, Ausund Weiterbildung eine hohe Priorität eingeräumt . Bereits jetzt sorgt die Bundesregierung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, unter anderem im Libanon, für die Weiterbildung von 500 Mitarbeitern staatlicher Schulbehörden . Im Irak werden Schulen für 2 900 Schüler neu errichtet . Kapazitäten für weitere 2 500 werden derzeit geschaffen . In Jordanien geben wir Millionen Euro für Projekte der beruflichen Bildung aus . Insgesamt stellt das BMZ im Libanon, in Jordanien, in den palästinensischen Gebieten, in der Türkei und im Irak Bildungsangebote für weit über eine halbe Millionen Kinder bereit . Hier gebührt Bundesminister Gerd Müller ganz besonderer Dank . ({11}) Es mag zwischen den politischen Parteien unterschiedliche Ansätze und Strategien zur Fluchtursachenbekämpfung geben . Doch ohne außen- und entwicklungspolitische Bildungsarbeit geht es nicht . Bei einigen ist diese Erkenntnis offenbar noch nicht angekommen . Das Wort „Bildung“ kommt weder im Antrag der Linken noch im Antrag der Grünen auch nur ein einziges Mal vor . ({12}) Wie wollen Sie denn Fluchtursachen bekämpfen, ohne den Grundstein für ein einigermaßen erfolgreiches selbstbestimmtes Leben ganzer Generationen in oder nahe der Heimat zu legen? Wie wollen Sie verhindern, dass Islamisten das Bildungsvakuum nutzen, um ihre menschenverachtende Ideologie in die Köpfe der Jugend zu pflanzen und so immer wieder von neuem Flucht und Vertreibung durch Terror und Gewalt auszulösen? Nicht nur Kindern, auch Jugendlichen und Erwachsenen wird durch Krieg und Terror ein großer Teil ihrer Chancen im Leben verbaut . Wir müssen durch die eben beschriebenen Maßnahmen neue Chancen und Bleibeperspektiven in den heimatnahen Regionen schaffen . Nur so können Fluchtursachen tatsächlich bekämpft werden . Danke . ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Die Bundesregierung redet viel davon, die Fluchtursachen zu bekämpfen . Wenn wir uns aber anschauen, was sie wirklich tut, muss man feststellen: Es geht der Union - leider aber eben auch der SPD - allein um die Einschränkung von Fluchtmöglichkeiten . ({0}) Wo es eine Landgrenze gibt, wie zwischen Griechenland und der Türkei, werden auch auf Wunsch der Bundesregierung regelrechte Sperranlagen gebaut ({1}) oder die bestehenden erhöht . Mit militärischen Maßnahmen auf See werden Flüchtlinge gezwungen, immer gefährlichere und damit auch lebensgefährliche Wege in Kauf zu nehmen . Insofern ist die Aussage in der gestrigen Rede der Bundeskanzlerin, dass Abschottungspolitik keinen Platz im 21 . Jahrhundert habe, schlicht die Unwahrheit . ({2}) Diese Aussage von ihr ist unehrlich . ({3}) Deshalb sagen wir Linke auch: Bekämpfen Sie tatsächlich die Fluchtursachen, nicht die Flüchtlinge und auch nicht die Fluchtmöglichkeiten . Hören Sie auf mit Ihrem Festungsbau . Versuchen Sie auch nicht, den Leuten einzureden, dass sich mit Abschiebungen von Roma in das Kosovo oder von Kriegsflüchtlingen nach Afghanistan mitten im Winter das Problem lösen würde . ({4}) Das ist eine menschenverachtende Abschiebepolitik . Sie soll suggerieren, dass dadurch weniger Flüchtlinge nach Deutschland oder Europa kommen würden . Aber auch das stimmt eben nicht . Das wissen Sie . Deshalb ist es auch eine menschenrechtliche Bankrotterklärung . ({5}) Die Bundesregierung redet viel von der Bekämpfung von Fluchtursachen und schafft allein durch ihre militärische Außenpolitik jeden Tag neue . Sie liefern weiter Waffen an das saudische Königreich, das im Jemen mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung bombardiert . Sie haben damit Deutschland indirekt zur Kriegspartei im Jemen gemacht . ({6}) Ich sage Ihnen: Sie tragen auch Mitverantwortung dafür, wenn die 5 Millionen Binnenflüchtlinge im Jemen, die es jetzt schon gibt, sich aufgrund dieses Krieges auf den Weg nach Europa machen . Deshalb müssen Sie endlich aufhören, die Diktaturen am Golf wie Saudi-Arabien, die Emirate oder auch Katar mit Waffen zu beliefern, die mit eben diesen Waffen in der Region Kriege führen . ({7}) Beenden Sie auch Ihre Politik des Sturzes von unliebsamen Regierungen an der Seite der USA . ({8}) Das schafft jeden Tag wieder Fluchtgründe, ebenso wie Ihre Rüstungsexporte in die Region. Ich finde, wer Fluchtursachen ernsthaft und seriös bekämpfen möchte - also das Gegenteil von dem, was Sie machen -, der muss sich für eine friedliche Wende in der Außenpolitik einsetzen . ({9}) Sonst ist alles nur Gerede, um die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen . ({10}) Dazu passt auch: Während wir hier debattieren, lässt der türkische Präsident Erdogan, Ihr Partner, im Osten der Türkei Panzer auffahren . ({11}) Ganze Regionen werden dort belagert, es gibt Ausgangssperren . Ich habe mit der von der Zentralregierung abgesetzten Oberbürgermeisterin Leyla Imret, die eigentlich aus Deutschland kommt, in Cizre telefoniert . ({12}) Sie sagt: Wir haben Angst, dort lebend herauszukommen . - Das macht Präsident Erdogan, der Präsident, der seit Jahren den IS und andere islamistische Terrormilizen wie Ahrar al-Scham in Syrien mit Waffen beliefert . Das wissen Sie . Was macht die Bundesregierung? Erdogan führt einen Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung, und Sie schließen mit diesem Mann einen Pakt zur Flüchtlingsabwehr, mit einem Mann, der jeden Tag aufs Neue Menschen dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen . ({13}) Sie schließen einen Pakt mit dem Mann, der Flüchtlinge wieder nach Syrien und in den Irak abschiebt oder in Haftlager sperrt. Ich finde, das zeigt nur, dass Sie gar keinen moralischen Kompass mehr haben . Diese Politik ist einfach nur beschämend und schändlich . ({14}) Jeder vernünftige Mensch muss gegen diese Politik aufstehen . Ich bitte Sie nur um eines am Schluss: Wenn am Ende infolge Ihrer Politik Tausende vor dem Krieg in der Türkei fliehen, dann vergießen Sie keine Krokodilstränen darüber, dass die Flüchtlinge nach Deutschland kommen; denn mit Ihrer Unterstützung für Erdogan haben Sie selbst mit auf die Kurden angelegt, meine Damen und Herren . Das müssen Sie mitnehmen . ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Dr . Karamba Diaby . ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dağdelen, wenn man Ihnen zuhört, hat man den Eindruck: In diesem Land haben alle geschlafen, nur Sie waren wach . ({0}) Es hat sich so viel in diesem Bereich bewegt . Die Außenpolitik der Bundesregierung hätten Sie zumindest mit einem Satz erwähnen sollen, aber Sie tun so, als ob alles schlimm wäre. Das ist nicht fair. Ich finde, das gehört wirklich nicht zu einer anständigen Politik . ({1}) Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht . Die Zahl hat sich in unsere Köpfe regelrecht eingebrannt . Denn kein anderes Thema hat unsere Arbeit in den letzten Monaten mehr bestimmt als das Thema Flucht . Allein in unserem Land wurden in diesem Jahr über 1 Million Geflüchtete registriert. Das zeigt: Die globalen Krisen klopfen an unsere Haustür . Es ist deshalb richtig, dass wir uns stärker mit dem Thema „Bekämpfung von Fluchtursachen“ befassen . Die Gründe für die Flucht sind bekanntlich vielfältig: Bürgerkriege, Terror, Menschenrechtsverletzungen, Vertreibungen von Menschen und viele andere . Ebenso sind extreme Armut und Knappheit von Ressourcen Ursachen von Flucht . ({2}) Relativ neu hinzugekommen ist das Thema Klimawandel mit seinen Auswirkungen: extreme Trockenheit, Überschwemmungen und nicht zuletzt Anstieg des Meeresspiegels . Wir müssen uns der Tatsache bewusst sein: Solange es ein starkes wirtschaftliches Gefälle zwischen den Ländern des globalen Nordens und des Südens gibt, wird es auch immer Menschen geben, die sich auf den Weg in eine bessere Zukunft machen . Mit anderen Worten: Auch die besten Maßnahmen zur Bekämpfung von Fluchtursachen werden nur wenig bewirken, wenn es uns nicht gelingt, die extreme Ungleichheit zwischen den Regionen der Welt abzubauen . ({3}) Das heißt im Klartext Folgendes, meine Damen und Herren: Ob in Freihandelsabkommen, in bilateralen Handelsverträgen oder in Fischereiabkommen - ein solches Abkommen gibt es zum Beispiel mit dem Senegal, dem Land, in dem ich aufgewachsen bin -: Wir haben die Verantwortung, darauf zu achten, dass die Bedingungen für alle fair sind . ({4}) Sonst wird es auch künftig viele Menschen geben, die ihrem Land den Rücken kehren . Unsere Aufmerksamkeit richtet sich momentan zu Recht besonders auf Syrien und den Nahen Osten . Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Krisen in einigen Staaten Subsahara-Afrikas nach wie vor viele Menschen zur Flucht zwingen . In Mali, der Demokratischen Republik Kongo, Sudan, Südsudan, Somalia und in der Zentralafrikanischen Republik sind aktuell 12 Millionen Binnenflüchtlinge unterwegs. Verschlechtert sich die Lage vor Ort weiter, wird es auch mehr Menschen geben, die aus diesen Regionen fliehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der Linken, Ihre Anträge sind ein guter Anlass, dass wir uns mit dem Thema auseinandersetzen und darüber diskutieren . Aber mehr auch nicht . ({5}) Sie verkennen, dass die Bundesregierung bereits intensiv dabei ist, auf die schwierigen Fragen Antworten zu finden . Ich habe bereits die Aktivitäten unseres Außenministers erwähnt . Liebe Claudia Roth, ich bin enttäuscht, dass nicht einmal Sie sie erwähnt haben; denn man muss erst einmal die Erfolge festhalten . Das ist nicht geschehen . In Ihrem Antrag sehen wir davon keine Spur . Das finde ich schade; denn nur, wenn wir auch die Erfolge erwähnen, können wir in diesem Prozess fortfahren . ({6}) Auch eine Zusammenarbeit mit den Ländern auf Augenhöhe ist wichtig; denn die von den Fluchtbewegungen betroffenen Herkunfts- und Transitländer müssen in einem gleichberechtigten Dialog eingebunden sein . Die diplomatischen Bemühungen unseres Außenministers Frank-Walter Steinmeier und der Valletta-Gipfel zeigen deutlich: ({7}) Wir brauchen den Dreiklang von kluger Diplomatie, gemeinsamer Sicherheitspolitik und zielgerichteter Entwicklungspolitik . Nur so können wir die Ursachen von Flucht nachhaltig bekämpfen . Wir sind bei der Bewertung der Ergebnisse des Valletta-Gipfels sicherlich unterschiedlicher Meinung; aber das ist okay . Valletta gibt uns erste Antworten . Es wurden ein Aktionsplan und ein Treuhandfonds für Afrika beschlossen . 1,8 Milliarden Euro stehen zur Verfügung . Der Fonds soll helfen, den Menschen vor Ort eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten. Sie sollen in ihrer beruflichen und unternehmerischen Entwicklung unterstützt werden . Dazu gehört unter anderem die Unterstützung von Projekten zur Sicherung von Nahrung, Gesundheit und Bildung . Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, um grundlegende Menschenrechte zu wahren . Dazu gehört auch eine stärkere Förderung des Studierenden- und Wissenschaftleraustausches . Dieser Punkt ist mir als Bildungspolitiker sehr wichtig . ({8}) Nicht zuletzt muss es eine Förderung des Aufbaus von Staats- und Verwaltungsstrukturen geben . Sie sind die Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder . Frau Präsidentin, ich komme langsam zum Ende . Nun ist die EU gefordert . Geld und Taten müssen folgen; denn das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen alles Menschenmögliche tun, um die Krisenregionen zu stabilisieren und die wirtschaftliche Ungleichheit abzumildern . Der Valletta-Gipfel fand erstmals in dieser Form statt . Das verdeutlicht erstens, wie angespannt die Lage ist, und zweitens, dass Europa und Afrika aufeinander angewiesen sind . ({9}) Lassen Sie uns gemeinsam den Perspektivwechsel fördern und für eine faire Zusammenarbeit mit den Ländern auf Augenhöhe eintreten . Danke schön . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Dr . Claudia Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Claudia Lücking-Michel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004345, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von Ihnen kennen bestimmt den BBC-Spielfilm Der Marsch von 1990 . Er zeigt ein beklemmendes Szenario . Er erzählt von einer Gruppe hungernder Afrikaner, die sich auf die Flucht nach Europa begeben . Die Verantwortlichen in Brüssel sind hilflos, während der Anführer des Marsches seine Botschaft in Richtung Europa verkündet . Er sagt: Wir werden sowieso sterben; aber wir wollen, dass ihr uns dabei zuseht . - Als die Afrikaner schließlich mit ihren Booten die spanische Küste erreichen, treffen sie auf schwerbewaffnete Soldaten . Sie sind angekommen in der Festung Europa . - So weit der Film . Heute ist „Flüchtling“ Wort des Jahres . Der Film von 1990 könnte ein Beitrag in den Tagesschauen von 2015 sein . Das Anliegen, man wolle und man müsse Fluchtursachen bekämpfen, ist zu Recht in aller Munde . Wenn Sie allerdings einen Antrag mit dem Titel „Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen“ einbringen, dann ist das - bei aller Liebe - ziemlich unverfroren . ({0}) Sie tun so, als ob das die Wirklichkeit in unserem Land widerspiegeln würde . ({1}) Was sagt die Kanzlerin, was bestimmt ihre Politik, und was ist Richtschnur für das Handeln dieser Bundesregierung? Es kommen keine Menschenmassen, sondern es kommen einzelne Menschen zu uns . Wie verhalten sich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land? Jeden Tag treffen die Flüchtlinge auf großes Mitgefühl und Hilfsbereitschaft . Die Kommunen, die Kirchen und die vielen Ehrenamtlichen leisten unter schwierigsten Bedingungen Herausragendes . Aber Sie sprechen im Antragstitel davon, dass man hier Flüchtlinge bekämpft . ({2}) Da habe ich mich gefragt: Wo leben Sie eigentlich? ({3}) Lassen Sie uns über die Gründe für die Flucht reden . Wir haben heute Mittag schon vieles dazu gehört . Wir haben erfahren, dass es ganz unterschiedliche Gruppen von Gründen gibt: Kriege, militärische Konflikte und Verfolgung, das ist die erste Gruppe von Gründen . Die zweite Gruppe bilden Folgen des Klimawandels, Überschwemmungen und Dürren . Die dritte Gruppe umfasst die strukturellen Ursachen wie schlechtes Regierungshandeln, Armut, Ressourcenknappheit und das Versagen der verantwortlichen Eliten vor Ort . Eine weitere Gruppe von Ursachen - ja, da haben Sie recht - ist begründet in den Folgen der globalen Handelspolitik . Und da tragen wir Mitverantwortung . Wenn wir jetzt darüber reden, wie man die Ursachen bekämpfen soll, dann gehört es eigentlich dazu, dass man auf die unterschiedlichen Ursachen mit unterschiedlichen Antworten und Strategien reagiert . Aber eines gilt aus meiner Sicht immer: Wer nachhaltig und sinnvoll Fluchtursachen bekämpfen will, der muss gute Entwicklungspolitik machen, und zwar immer und nicht nur in Krisenjahren . Und auch das ist zum Glück Richtschnur der Bundesregierung . ({4}) Wir haben heute Mittag viel darüber gehört, was nicht gut läuft . Aber lassen Sie mich auch einmal anhand einiger Zahlen zeigen, was tatsächlich läuft . Wir haben den höchsten Etat in der Geschichte des BMZ, die stärkste Steigerung der ODA-Quote . Wir setzen damit Prioritäten . Damit wird deutlich: Es geht darum, in wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung vor Ort zu investieren, um Perspektiven für die Menschen in den Krisengebieten möglich zu machen . Die gesamte Entwicklungszusammenarbeit mit einem Etat von jetzt 7,4 Milliarden Euro für 2016 arbeitet in diesem Sinne am Erhalt von Lebensperspektiven und an der Schaffung von Zukunftsperspektiven . Mehr als 1 Milliarde Euro stellt das BMZ allein für direkte Flüchtlingshilfe zur Verfügung . Der Großteil geht in die Nachbarländer Syriens und nach Afrika . Insgesamt mehr als 12 Milliarden Euro werden voraussichtlich in dieser Legislaturperiode in Maßnahmen zur strukturellen Fluchtursachenbekämpfung angelegt worden sein . Geld allein ist zwar nicht alles, aber ohne Geld geht es auch nicht . Wir brauchen zusätzlich auch gute Konzepte . Es war sehr vorausschauend von unserem Bundesentwicklungshilfeminister, schon sehr früh drei Sonderinitiativen aufzulegen und darin einen Titel mit Fluchtursachenbekämpfung prominent zu benennen . ({5}) Aber - wir haben es gehört - es kommt auch darauf an, langfristig zu handeln . Dazu dienen zum Beispiel ein Infrastrukturprogramm in Nahost, Nordafrika, Westafrika und der Ukraine mit weiteren 1,7 Milliarden Euro, ein Sonderprogramm „Gesundheit in Afrika“ mit 55 Millionen Euro und insgesamt weitere 600 Millionen Euro bis 2019 für die Entwicklung des Gesundheitssystems in Afrika . Wir haben schon mehrfach gehört: Klima- und Entwicklungspolitik hängen zusammen, natürlich . Das brauche ich hier nicht weiter zu entwickeln; das kennen wir alle. Deshalb finanziert das BMZ den Großteil der in Paris vereinbarten Verdopplung von Klimaschutzmaßnahmen auf 4 Milliarden Euro jährlich bis 2020 . Außer diesem finanziellen Einsatz - ich habe es deutlich gemacht - bedarf es dann auch guter entwicklungspolitischer Konzepte, und auch da hat das BMZ, haben wir aktuell vieles zu bieten . Wer unterschiedliche Ursachengruppen benennt und auf unterschiedlichen Ebenen reagieren will, der kommt dann auch zu internationaler Verantwortung, zu Handelsfragen und Weiterem . Wenn ich mir dann aber angesichts all dieser Anstrengungen den Antrag der Linken ansehe und feststelle, dass Sie eigentlich nichts Besseres zu tun haben, als die Abscheu gegenüber den USA und die grundsätzliche Ablehnung gegenüber TTIP relativ undifferenziert in einem großen Textblock zu verrühren, dann muss ich sagen: Das ist mir doch zu sehr ideologisch und weltanschaulich geprägter Mischmasch . ({6}) Meine Damen und Herren, die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge sucht Schutz in Nachbarländern . 90 Prozent von ihnen landen in Staaten, die ihrerseits instabil sind, und einen weiteren großen Block der Maßnahmen könnte man eigentlich am besten unter die Überschrift „Fluchtfolgenbekämpfung“ stellen . Denn es kommt darauf an, die Situation in den Flüchtlingslagern der direkten Nachbarstaaten von Syrien und dem Irak zu verbessern und - ganz wichtig - auch die Lage in den Staaten insgesamt zu stabilisieren . Auch hier ist das BMZ nicht untätig . Es entstehen Ausbildungs- und Arbeitsplätze . Wir haben über die Bedeutung von Bildung insgesamt gerade schon einiges gehört . Wir können verweisen auf die Versorgung mit Trinkwasser, Abwasserinfrastrukturmaßnahmen, Beschulungsmöglichkeiten für Kinder oder auch auf die Tatsache, dass mindestens 15 000 Menschen im Irak wieder nachhaltig in Beschäftigungsstrukturen gekommen sind und eine Chance haben, für sich selber zu sorgen . Hier entstehen neue Lebensperspektiven . Aber: Während wir über Infrastrukturmaßnahmen und Bildung für Flüchtlinge in den Lagern reden - da stimme ich den Anträgen vollkommen zu -, herrscht dort Hunger, weil das World Food Programme nicht ausreichend finanziert ist. Das ist zugegebenermaßen ein echter Skandal . ({7}) Es ist gut, dass die Bundesregierung ihren Anteil übernommen hat, und es ist auch gut, dass sich die BunDr. Claudia Lücking-Michel deskanzlerin jetzt mit dem britischen Premier David Cameron in Brüssel dafür einsetzen will, ({8}) die finanziellen Mittel für die Flüchtlingshilfe insgesamt wieder aufzustocken . ({9}) Meine Damen und Herren, im Film Der Marsch bleibt das weitere Schicksal der Afrikaner am Ende offen . Die letzte Szene: Die Gewehre der europäischen Soldaten sind auf die Ankömmlinge gerichtet . - Und in der Realität? Der Bundesentwicklungsminister hat uns zugesagt, die so wichtigen Sonderinitiativen gegen Fluchtursachen zu verstetigen . Er hat deutlich gemacht, dass es eine Politik der Abschottung nicht geben darf und sie auch nicht sinnvoll und effektiv sein kann . ({10}) Es ist noch einmal zu betonen: Die Basis für die Bekämpfung von Fluchtursachen ist, dass wir uns insgesamt global für mehr Gerechtigkeit einsetzen . Auch wenn jetzt Weihnachten vor der Tür steht, die Zeiten, als Wünschen noch geholfen hat, sind vorbei . Aber weil Weihnachten vor der Tür steht, soll am Schluss der Hinweis erlaubt sein, dass es zwar nicht in unserer Macht steht, alle Probleme zu lösen, aber wir verantwortlich dafür sind, alles zu tun, was in unserer Macht steht . Vielen Dank . ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Dr . Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute schon oft angesprochen worden, dass neben Krieg und Bürgerkrieg vor allem Hunger und Armut die Menschen dazu zwingen, ihre Familien zu verlassen und meistens in benachbarten Entwicklungsländern unterzukommen . Aber sie riskieren zum Teil auch ihr Leben, um nach Europa zu reisen . „Zu reisen“ ist zu schön ausgedrückt; denn sie riskieren in elenden Schlauchbooten von kriminellen Schleppern ihr Leben . Wir Entwicklungspolitiker haben schon vor vielen Jahren gefordert, mehr Mittel zu investieren, um den Menschen Zukunftsperspektiven in ihren eigenen Ländern zu bieten . Ein afrikanisches Sprichwort besagt: „Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren . Die nächstbeste Zeit ist jetzt .“ Deswegen sage ich: Es wäre sicher gut und richtig gewesen, wir hätten das 0,7-Prozent-Ziel für Entwicklungszusammenarbeit schon längst erreicht . Hätte man auf uns gehört, wäre den Flüchtlingen viel Elend erspart geblieben . Das können wir Entwicklungspolitiker auch einmal selbstbewusst hier sagen . ({0}) Aber ein Blick zurück hilft natürlich nicht . Deswegen ist es gut, dass jetzt endlich Konsequenzen gezogen worden sind und wir mit einem Aufwuchs von 1,6 Milliarden Euro im nächsten Jahr für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit den nächsten Baum pflanzen. Das alles braucht Zeit . Entwicklungszusammenarbeit ist keine Feuerwehr, die schnell einen Brand löscht; denn wir legen langfristig Grundlagen für Perspektiven . Ich glaube, es ist gut, wenn sich jetzt alle einig sind, dass hier mehr getan werden muss . Es ist aber nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage von gerechtem und fairem Handel . Der Kollege von der Union - er hat seinen Fernsehauftritt von zwei Minuten gehabt, er ist jetzt nicht mehr hier hat vorhin gesagt, dass die Konfliktmineralien im Kongo nicht das Problem seien, dass man dort keine Zertifizierungen bräuchte. Das erzählt er im Ausschuss auch immer . Ich glaube, er hat vieles falsch verstanden . 125 Bischöfe weltweit und Misereor beklagen eindringlich, dass im Kongo Kinder in den Minen schuften müssen, Kinder als Soldaten versklavt werden, damit die Mineralien in unsere Smartphones und Handys kommen . Ich sage: Es kann nicht sein, dass an unseren Handys Blut klebt . Wir müssen dafür sorgen, dass das aufhört . ({1}) Wir haben in diesem Hause schon oft über die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie gesprochen, zum Beispiel über die Näherinnen in Bangladesch, die bei Fabrikeinstürzen zu Tode gekommen sind . Unsere Handelsvereinbarung spielt dabei natürlich eine große Rolle . Die Frage, wie man gute Regierungsführung gegenüber Entwicklungsländern durchsetzen kann, ist nicht ganz einfach zu beantworten . Ich bin froh, dass das Thema im Antrag der Grünen auftaucht . Bei den Linken wird das ganz ausgeblendet . Gute Regierungsführung ist ein wesentlicher Aspekt, damit vor Ort gerechte und gute Lebensbedingungen und Zukunftsperspektiven herrschen . Wenn, wie in Bangladesch, ein Großteil der Regierung und des Parlaments mit der Textilindustrie im wahrsten Sinne des Wortes verwoben ist, dann hat es nur geholfen, dass die EU und die USA angedroht haben, die Zollfreiheit für die Produkte aufzuheben . Auf einmal sind die Behörden dort in die Gänge gekommen und haben die Gebäudesicherheit kontrolliert und weitere Maßnahmen unternommen . Deswegen ist es so wichtig, dass wir in den Verhandlungen über die Handelsabkommen, die wir jetzt abschließen - von TTIP angefangen über CETA bis hin zu den Abkommen mit Indien -, deutlich machen: Die Einhaltung menschenrechtlicher, ökologischer und sozialer Standards, zum Beispiel aller acht ILO-Kernarbeitsnormen, der Arbeitnehmerrechte, sind für uns Voraussetzung dafür, dass Produkte nach Europa geliefert werden dürfen . Es kann doch nicht sein, dass wir das immer nur von technischen Standards abhängig machen, davon, ob etwa die Blinkerfarbe die richtige ist, die Schraube oder die Banane die richtige Größe haben . Genauso wichtig ist es doch, darauf zu achten, wie die Produkte hergestellt worden sind, und zwar ohne Kinderarbeit, mit fairer Bezahlung und nicht durch Ausbeutung von Arbeitern und Umwelt . ({2}) Wenn wir etwas ändern wollen - und wir wissen, dass der Handel, wie er jetzt ist, nun einmal nicht fair ist, liebe Kollegen von den Linken -, dann müssen wir die Chancen nutzen, die sich jetzt mit diesen Handelsabkommen bieten, um Globalisierung gerecht zu gestalten . ({3}) Wir ziehen rote Linien; wir haben das auf dem Parteitag gemacht . Wir haben nicht gesagt: „Wir stimmen TTIP oder CETA zu“, sondern wir haben gesagt: Wir stimmen nur dann zu, wenn es dabei hilft, dass überall auf der Welt die Menschenrechte, die Arbeitnehmerrechte und die Umweltstandards eingehalten werden . Wir ziehen rote Linien, Sie hingegen ziehen Gräben, die keinen Spielraum für einen erfolgreichen Abschluss lassen . ({4}) - Da Sie mir schon wieder widersprechen, ({5}) versuche ich, es so zu erklären, dass Sie es verstehen, liebe Kollegen von den Linken: Die Globalisierung in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf . ({6}) Wer jetzt die Chance nicht nutzt, die Globalisierung gerecht zu gestalten, den bestraft die Zukunft . Das ist genau der Punkt, über den Sie mal nachdenken müssten . ({7}) Es reicht nicht, alle Handelsabkommen von vornherein abzulehnen . Als Politiker muss ich doch den Anspruch haben, die Globalisierung zu gestalten, und zwar gerecht zu gestalten . ({8}) Wenn man das mit fairem Handel schaffen kann, dann sage ich: Wir brauchen Fairhandel statt Freihandel . Wir können nicht immer vor allem die Augen verschließen und sagen: Wenn alles so bleibt, wie es ist, dann lege ich mich mit gutem Gewissen ins Bett . - Damit mache ich mir die Arbeit zu leicht . Zum Abschluss möchte ich auf ein Beispiel hinweisen . Wenn Sie zu Weihnachten Schokolade und Süßigkeiten verschenken, denken Sie daran: 2,3 Millionen Kinder arbeiten auf Kakaoplantagen in Ghana und an der Elfenbeinküste . Die Schokoladenpreise sind in den letzten 20, 30 Jahren gleich geblieben . Auch das ist ein Skandal . Durch die Abkommen müssen wir auch dafür sorgen, dass keine durch Kinderarbeit erzeugte Schokolade aus Afrika zu uns kommt und dass die Arbeitsbedingungen dort endlich gerecht gestaltet werden; denn Weihnachten soll das Fest der Kinder sein und nicht der Kinderarbeit . In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen schon heute faire Weihnachten und ein gutes, neues und friedliches Jahr . Danke . ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/7046 und 18/7039 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Vorlagen sollen federführend beim Auswärtigen Ausschuss beraten werden . Sind Sie damit einverstan- den? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b sowie die Zusatzpunkte 1 a und 1 b auf: 27 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. November 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusam- menarbeit im Bereich des Eisenbahnver- kehrs über die deutsch-polnische Staats- grenze Drucksache 18/6931 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Einführung von Grundsätzen für die Kosten von Wasserdienstleistungen und Wassernutzungen sowie zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes Drucksache 18/6986 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ZP 1 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Gastel, Kerstin Andreae, Dr . Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung eines bürgerfreundlichen und umweltgerechten Ausbaus der Rheintalbahn jetzt sicherstellen Drucksache 18/6884 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({0}) Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ressourcenverschwendung stoppen - Nationales Ressourceneffizienzprogramm zukunftsfähig ausgestalten Drucksache 18/7047 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 i sowie Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf . Es handelt sich hier ebenfalls um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . Tagesordnungspunkt 28 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Den Lebensstart von Kindern in Entwicklungs- und Schwellenländern verbessern Grundlagen für stabile Gesellschaften schaffen Drucksachen 18/6329, 18/6849 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6849, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6329 anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Tagesordnungspunkt 28 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({3}) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Änderung der Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten Drucksachen 18/6867, 18/6933 Nr. 2, 18/7088 Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7088, der Verordnung auf Drucksache 18/6867 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen . Tagesordnungspunkte 28 c bis 28 i sowie Zusatzpunkte 2 a bis 2 e; das sind Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses . Tagesordnungspunkt 28 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 260 zu Petitionen Drucksache 18/6891 Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist diese Sammelübersicht von allen Fraktionen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 28 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 261 zu Petitionen Drucksache 18/6892 Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist auch die Sammelübersicht 261 einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 28 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 262 zu Petitionen Drucksache 18/6893 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 262 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 28 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 263 zu Petitionen Drucksache 18/6894 Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 263 einstimmig angenommen worden . Tagesordnungspunkt 28 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 264 zu Petitionen Drucksache 18/6895 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 264 mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden . Tagesordnungspunkt 28 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 265 zu Petitionen Drucksache 18/6896 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Sammelübersicht 265 auf Drucksache 18/6896 mit den Stimmen der Koalition und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden . Tagesordnungspunkt 28 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 266 zu Petitionen Drucksache 18/6897 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall . Dann ist die Sammelübersicht 266 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Zusatzpunkt 2 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 267 zu Petitionen Drucksache 18/7063 Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 267 einstimmig angenommen worden . Zusatzpunkt 2 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 268 zu Petitionen Drucksache 18/7064 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Damit ist die Sammelübersicht 268 mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Zusatzpunkt 2 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 269 zu Petitionen Drucksache 18/7065 Wer stimmt dafür? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Das ist nicht der Fall . Damit ist die Sammelübersicht 269 einstimmig angenommen worden . Zusatzpunkt 2 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 270 zu Petitionen Drucksache 18/7066 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 270 mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen worden . Zusatzpunkt 2 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 271 zu Petitionen Drucksache 18/7067 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Sammelübersicht 271 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden . Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Wahl der Mitglieder des Beirates der Stiftung Datenschutz Drucksache 18/7060 Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/7060? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Wahlvorschlag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen worden . Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Ergebnisse der UN-Klimakonferenz in Paris Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen . Das ist ein wichtiges Thema, auch gerade vor dem Hintergrund der Debatte, die wir gerade hatten . Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat für die Bundesregierung Dr . Barbara Hendricks, die Ministerin, das Wort . ({16})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es auch an anderer Stelle schon gesagt: Ich neige nicht zu großen Worten, aber dieser 12 . Dezember des Jahres 2015 wird uns in Erinnerung bleiben . Es ist ein historisches Datum, an dem wir erreicht haben, dass sich alle Länder der Welt dazu verpflichtet haben, dem Klimawandel zu begegnen . Dies ist so über mehr als 20 Jahre bisher nicht gelungen . Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Daran haben viele mitgewirkt, auch aus diesem Haus und über verschiedene Bundesregierungen und über verschiedene parteipolitische Färbungen hinweg . Wir waren jetzt in der glücklichen Lage, mit all der Anstrengung, die nicht zuletzt auch aus meinem Ministerium über viele Jahre geleistet worden ist, die Ernte einer langen Vorbereitungszeit einzufahren und dieses Abkommen jetzt nach Hause zu bringen . ({0}) Das gibt der Welt ein Hoffnungszeichen . Wir haben es in der Tat mit sehr vielen durchaus großen Herausforderungen in der Welt zu tun . Beim Tagesordnungspunkt zuvor haben wir über die Bekämpfung von Fluchtursachen gesprochen . Auch die Bekämpfung des Klimawandels ist eine Bekämpfung von Fluchtursachen; das möchte ich in diesem Zusammenhang deutlich sagen . Es ist jetzt trotz dieser großen und zahlreichen Herausforderungen und der vielen Unsicherheiten, mit denen wir es in der Welt zu tun haben, gelungen, dass sich die Weltgemeinschaft auf ein großes Vorhaben geeinigt hat, nämlich dafür zu sorgen, dass es uns gelingt, bis spätestens zum Ende des Jahrhunderts keinesfalls mehr, sondern deutlich weniger als 2 Grad Erderwärmung zu haben . Außerdem gibt es das Bestreben, es sogar besser zu machen und es noch nicht einmal mehr als 1,5 Grad werden zu lassen . Das war in der Tat eine neue Herausforderung, die wir auch angenommen haben . Ich weiß, es ist schwer . Unter 2 Grad zu bleiben, ist eine völkerrechtlich verbindliche Zusage, die alle Länder der Welt eingegangen sind, auch wir . Wir alle haben auch - aber ohne völkerrechtliche Bindung - gesagt: Wir wollen uns gleichwohl noch mehr anstrengen und dafür sorgen, dass es sogar bei nur - in Anführungszeichen - 1,5 Grad Erderwärmung bleibt . ({1}) Wir haben - das sieht man an diesem Beispiel, aber auch an den anderen Beispielen, die ich noch nennen werde - tatsächlich alle Ziele erreicht, die wir in den Verhandlungen erreichen wollten . Wir haben, wie ich gerade ausgeführt habe, dieses Langfristziel völkerrechtlich verbindlich festgelegt . Es war nicht selbstverständlich, dass sich alle 195 Staaten der Erde, die ja höchst unterschiedliche Interessen vertreten, diesem Ziel würden verpflichten wollen und können . Dies ist geschehen . Wir haben festgelegt, dass wir alle fünf Jahre überprüfen, wie wir denn noch besser werden können, wie wir noch ehrgeiziger werden können . Wir haben im Zusammenhang mit dem vereinbarten Ambitionsmechanismus versprochen, dass wir - auch vor dem Hintergrund von technologischer Entwicklung - auf jeden Fall besser werden können . Wir wollen einander alle fünf Jahre gegenseitig dartun, wie es denn gelingt, noch besser zu werden . Wir werden übrigens auch die Jahre bis 2020 - dann wird dieses Abkommen formal in Kraft treten - nicht einfach verstreichen lassen, sondern wir haben uns gegenseitig zugesagt, dass wir auch in den Jahren bis dahin besser, ehrgeiziger werden . Wir haben dies hier auf der deutschen Ebene durch den Aktionsplan Klimaschutz in die Wege geleitet . Wir als Deutschland sind da nicht säumig, sondern - im Gegenteil - wir sind gut aufgestellt und können das, was wir jetzt in Paris zugesagt haben, mit den Maßnahmen, die wir schon eingeleitet haben, auch tatsächlich voranbringen . Wir können immer noch besser werden, aber wir sind auf dem richtigen Weg . ({2}) Wir haben klare Transparenzregeln eingezogen . Es war uns ganz besonders wichtig, dass gegenseitig überprüfbar ist, was die einzelnen Länder tun . Das, was die Länder vorgelegt haben, sind ja im Prinzip nationale Klimaschutzpläne . Diese nationalen Klimaschutzpläne werden wir, wiederum alle fünf Jahre, transparent und aggregiert überprüfen und feststellen: Haben wir das eingehalten, was wir zugesagt haben? Es ist zugleich auch bestimmt worden, dass man keinesfalls schlechter werden darf, sondern immer nur besser werden muss . Wenn es einem nicht gelingt, besser zu werden, dann muss man mindestens genauso gut sein, wie man es versprochen hatte . Schlechter werden darf man also nicht . Auch das ist völkerrechtlich verbindlich festgelegt worden . Insgesamt ist es ein faires Abkommen, das auch die Verantwortung der Industrieländer in besonderer Weise hervorhebt . Es war uns klar, dass wir aufgrund der historischen Emissionen, die wir als Industrieländer haben seit Beginn der Industrialisierung haben wir dem Klimawandel ja sozusagen Vorschub geleistet -, natürlich weiterhin eine besondere Verpflichtung haben. Das gilt zum einen für den Technologietransfer, den wir für die Länder des Südens leisten wollen und müssen, und das gilt zum anderen natürlich auch für unsere finanziellen Verpflichtungen, die dazu dienen, dem Klimawandel zu begegnen, auch in den Ländern des Südens, und insbesondere den Ländern des Südens dabei zu helfen, sich an den ja stattfindenden Klimawandel anzupassen. Das war eine der wichtigen Voraussetzungen dafür, dass wir Vertrauen gewinnen konnten, sodass es möglich war, dass wirklich alle Länder dem Abkommen zugestimmt haben . ({3}) Zugleich ist es uns gelungen, den jahrzehntelangen Antagonismus zu überwinden, bei dem auf der einen Seite die Verantwortung der Industrieländer dargetan wurde und sich auf der anderen Seite alle anderen Länder - so war es ja auch noch im Kioto-Protokoll, das wir 2020 ablösen werden - gleichsam selber als Entwicklungsländer bezeichnet haben, die mit nichts etwas zu tun haben, um es einmal etwas salopp auszudrücken . Diese anderen Länder unterscheiden sich natürlich sehr . So ist zum Beispiel ein armes afrikanisches Land nicht mit, sagen wir einmal, Singapur gleichzusetzen . Selbstverständlich kann auch Saudi-Arabien mehr leisten als zum Beispiel Chile. Rein finanziell betrachtet gibt es da große Unterschiede . Es ist jetzt tatsächlich zum ersten Mal gelungen, diesen alten Antagonismus aufzubrechen und dafür zu sorgen, dass sich die anderen Länder nicht mehr hinter den allerärmsten verstecken können und deswegen keinerlei Ehrgeiz entwickeln müssen . Im Gegenteil: Alle sind verpflichtet, dem Klimawandel nach ihren Möglichkeiten zu begegnen . Es ist auch zum ersten Mal eine Differenzierung der Finanzverantwortung in den Vertrag aufgenommen worden . Ja, ich weiß: Das ist noch nicht verpflichtend. Aber die Länder werden aufgefordert, nach ihren Möglichkeiten auch einen finanziellen Beitrag zu leisten, zum Beispiel, wie es heißt, im Rahmen der Süd-Süd-Kooperation . Hier wird beispielsweise von China schon ein Beitrag geleistet, wenngleich auf freiwilliger Basis und nicht auf der Basis eines bindenden Vertrages . Es war bis jetzt noch nicht möglich, dies im Rahmen eines bindenden Vertrages zu regeln . Aber die Finanzverantwortung als solche wird von den wohlhabenderen Schwellenländern nicht mehr prinzipiell zurückgewiesen . Es ist zwar noch keine völkerrechtlich bindende Verantwortung, aber sie wird nicht mehr prinzipiell zurückgewiesen; auch das ist ein Schritt nach vorne . Wir haben in diesem Zusammenhang sehr zu danken: insbesondere meinem Kollegen Gerd Müller und dem ganzen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ({4}) meinem Kollegen Frank-Walter Steinmeier und dem Auswärtigen Amt ({5}) und auch Ihnen allen . Dieses Hohe Haus hat uns bei der Arbeit, die wir hier geleistet haben, ja durchaus unterstützt, ({6}) und ich war auch sehr dankbar für die Anwesenheit von einigen Kolleginnen und Kollegen in Paris . Das Abkommen gibt uns Rückenwind für die Arbeit, die wir vor uns haben . Für uns ist das eigentlich keine neue Verpflichtung. Wir haben nämlich schon im Jahr 2007 gesagt, dass wir bis zum Jahr 2050 eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes von mindestens 80 Prozent, eher aber 95 Prozent im Vergleich zu 1990 erreichen wollen . Dies ist auch schon bindendes europäisches Recht für uns in Deutschland . Die Zusage, die wir jetzt gegeben haben, nämlich für die Treibhausgasneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts zu sorgen, ist damit umfasst . Für uns ist das also keine neue Verpflichtung. In den 35 Jahren, die jetzt vor uns liegen, haben wir eine spannende Aufgabe . Ich sage Ihnen: Es wird eine Jahrhundertaufgabe sein - unsere Jahrhundertaufgabe -, die Wirtschaft und die Gesellschaft hin zu Klimaneutralität zu transformieren . Herzlichen Dank . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Eva Bulling-Schröter für die Linke . ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Abkommen von Paris kann historisch werden - und ich betone: kann -; denn die Arbeit fängt ja jetzt erst richtig an . Wir haben nun einen globalen Rahmen, der den Wandel unterstützen kann, auch wenn sich viele von uns ein wesentlich weitreichenderes Abkommen gewünscht hätten . Trotzdem ist das Abkommen bedeutungsvoll, weil sich die Staatenwelt zum ersten Mal im Konsens darauf geeinigt hat, die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad zu halten . Zum ersten Mal werden im Vertrag konkrete Zahlen dazu genannt, wie viel Treibhausgas die Menschheit noch ausstoßen darf . Ich denke, es ist eine allgemeine Deklaration der Klimarechte des Planeten und nicht zu unterschätzen . Zu unterschätzen ist aber auf der anderen Seite auch nicht, dass die derzeitige Summe der Selbstverpflichtungen der Staaten zu gering ist; sie würde zu einer Erwärmung von über 3 Grad führen . Und es wird sich erst zeigen, ob der Mechanismus, der mit seinen Überprüfungen und Zielanschärfungen für immer mehr Ehrgeiz sorgen soll, tatsächlich etwas taugt . Das Rad dreht sich eben nicht automatisch in Richtung deutlich mehr Klimaschutz . Aber genau dafür sind die gemeinsame Einigung auf ein Ziel von unter 2 Grad und die Einbindung aller Staaten wichtig . ({0}) Ähnlich wie wir von den Linken werden künftig Menschen überall auf der Welt den Mächtigen bei jeder Gelegenheit diese Deklaration um die Ohren schlagen, und ich kann Ihnen sagen: Darauf können Sie sich verlassen . Die Industrieländer erkennen ihre Hauptschuld am Klimawandel an und untersetzen dies mit Zahlungen an den globalen Süden . Auch hier werden wir Linken immer wieder den Finger in die Wunde legen, zum Beispiel, wenn der Finanzminister wieder keine neuen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und Klimafinanzierung freigeben will oder wenn sich profitable private Investments plötzlich in Klimafinanzierung verwandeln. Das Abkommen von Paris setzt auch eine Zäsur, weil sich zum ersten Mal das 1,5-Grad-Limit in einem Abkommen findet - leider aber nur in abgeschwächter Form -, und das darf nicht nur symbolisch gemeint sein, sondern es muss gehandelt werden, um ein Überschreiten dieser roten Linie zu verhindern . Wer mit Klimazeugen aus Afrika oder Asien spricht, der weiß: Das sind nicht nur abstrakte Zahlenspiele, sondern es geht hier in der Tat um Leben und Tod . Klimaschutz wird nicht einfach von oben verordnet, sondern von unten erkämpft und gelebt . ({1}) Ich denke unter anderem an symbolische Baggerbesetzungen, an Millionen von Bürgerenergieanlagen und an den jahrzehntelangen Kampf von vielfältigsten NGOs und Forschungseinrichtungen gegen die Interessen von Großkonzernen . Das sind aber auch kluge Gesetze wie das EEG, die einen Technologiewandel in eine erneuerbare Welt erst möglich machen . Ohne diesen Wandel von unten, der sich noch verstärken muss, ist Klimaschutz zweifellos undenkbar . Ich sage Ihnen: Ein globales Problem braucht globale Antworten . Deshalb brauchen wir staatenübergreifend verbindliche Übereinkünfte über Ziele, Finanzströme und Überprüfungssysteme . Ansonsten können wir eine weltweite Dekarbonisierung wirklich gleich vergessen . Wir wissen, wie schwer das alles ist . Völkerrecht kann dabei immer nur einen Minimalkonsens zustande bringen, auch wenn mich das sehr schmerzt . Darum haben wir jetzt kein Bilderbuchabkommen, sondern einen Rahmen, der gefüllt werden kann und muss . Auf keinen Fall dürfen dabei aber CCS, neue Atomkraftwerke und andere falsche Lösungen eine Rolle spielen . Gerade weil auf internationaler Ebene echte Verbindlichkeiten nicht zu machen sind, brauchen wir in Deutschland ein Klimaschutzgesetz . Klimaschutzziele müssen verbindlich sein . ({2}) Da reicht ein wackeliger Klimaschutzplan, liebe Frau Ministerin Hendricks, eben nicht aus . Darum fordert die Linke ein Kohleausstiegsgesetz, damit bis 2035 der letzte Meiler vom Netz geht . ({3}) Schon für die Zeit davor fordern wir: Ende Gelände für KfW-Kredite für neue Kohlekraftwerke im Ausland . Der Export von Kohlekraft muss endlich aufhören . Danke . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute diese Aktuelle Stunde zu Paris stattfindet. Diese Aktuelle Stunde knüpft in der Tat an eine historische Stunde an . Was haben wir hier im Deutschen Bundestag nach den Klimakonferenzen in Nairobi, Bali, Kopenhagen und Cancún debattiert! Immer wieder wurden diese Konferenzen kritisiert und manchmal auch belächelt . Zuweilen wurde dieser ganze Prozess unter dem Dach der Vereinten Nationen infrage gestellt . Heute können wir sagen: Dieser Prozess hat doch Erfolg gehabt. Am Ende haben nicht die Zweifler recht behalten, sondern die Optimisten . Deshalb freuen wir uns gemeinsam über diesen Abschluss in Paris . ({0}) Die Ministerin hat dargestellt, was in diesem Vertrag steht; das will ich nicht wiederholen . Aber klar ist: In diesem Vertrag werden wichtige Leitplanken festgehalten, etwa die Erreichung des 2-Grad-Ziels, verbunden mit dem Ansporn, 1,5 Grad zu erzielen . Es wurde auch die besondere Verantwortung der Industriestaaten unterstrichen . Aber gleichzeitig wurde zum ersten Mal die Aufspaltung der Welt in Industrienationen, Schwellenländer und Entwicklungsländer überwunden . Mit Paris knüpfen wir an die Nachhaltigkeitskonferenz in New York im September dieses Jahres an, auf der sich die Weltgemeinschaft auf globale Nachhaltigkeitsziele geeinigt hat, auf einen Weltzukunftsvertrag . Damit, denke ich, können wir sagen: Das Jahr 2015 ist ein bedeutendes Jahr . Wir lösen mit diesem Vertrag das Versprechen, das 1992 in Rio de Janeiro gegeben wurde, ein Stück weit ein . Wir konkretisieren es durch diese Verträge . Es ist unsere Aufgabe, diese jetzt mit Leben zu erfüllen . Klar ist: Nach Paris kann es nicht genauso weitergehen wie vor Paris . Auf die Freude über dieses Abkommen müssen jetzt ganz konkrete Taten folgen . Da ist jeder an seinem Platz und auf seiner Ebene gefragt . Das gilt für alle Staaten weltweit . Es müssen jetzt alle draufsatteln, sonst verfehlen wir das 2-Grad-Ziel . Diese Forderung richtet sich auch an die Europäische Union . Wir als Bundesregierung haben mit dafür gesorgt, dass bei der Formulierung des Klimaziels für 2030 das Wort „mindestens“ eingefügt wurde . Um mindestens 40 Prozent will die Europäische Union die Treibhausgasemissionen senken . Wir haben gesagt: Wenn es ein solches Abkommen gibt, dann heißt „mindestens“, dass wir draufsatteln und verschärfen . Die Voraussetzung ist jetzt erfüllt . Deshalb muss die EU verschärfen . Die Bundesregierung muss und wird sich dafür einsetzen . Das ist jetzt das Gebot der Stunde . ({1}) Das gilt auch für die Dinge, die wir in Berlin tun . Die Bundesregierung war in Paris Mitglied von HAC, der „High Ambition Coalition“ . Das ist die Koalition der Staaten, die besonders ambitioniert vorangehen wollten und auch besonders ehrgeizig vorangegangen sind . „HAC“ ist auch das Motto der Koalition in Berlin . ({2}) Wir übersetzen das auf Deutsch mit einer hohen Ambition für den Klimaschutz, und wir übersetzen das vor allem in Taten . Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass die Umweltministerin angekündigt hat, vor der SomEva Bulling-Schröter merpause im nächsten Jahr einen Klimaschutzplan 2050 vorzulegen, mit dem konkretisiert werden soll, wie der Pfad zur Dekarbonisierung - das heißt, der Pfad weg von Kohle, Öl und Gas - beschritten wird . Das ist notwendig; denn das ist ein Ergebnis der Konferenz in Paris . Das geht nicht von heute auf morgen . Die Umsetzung muss ambitioniert sein und stufenweise erfolgen . Für die Wirtschaft ist Planbarkeit wichtig . Es geht um einen Strukturwandel und die Beantwortung der sozialen Fragen . Aber, wie gesagt, HAC heißt: hohe Ambition für den Klimaschutz . ({3}) Das gilt auch für ein weiteres Feld, für die nachhaltige Mobilität . Wir kämpfen für den Fortschritt der Elektromobilität . Ich meine, wir müssen die Ergebnisse der Konferenz zum Anlass nehmen, in diesem Bereich mit einer ganz konkreten Förderung noch eine Schippe draufzulegen . Damit zeigen wir, dass wir die Elektromobilität nicht nur durch Forschung und Entwicklung, Modellregionen und andere Anreize unterstützen, sondern dass wir diesen Bereich auch ganz konkret mit zusätzlichen Mitteln fördern . Ich würde mir wünschen, dass wir die Diskussion sehr schnell zum Abschluss bringen und auch in diesem Bereich ein klares Signal setzen können . Ich setze auf die Zusammenarbeit in der Großen Koalition . Erfolg hat immer viele Mütter und Väter . Ich schließe mich der Aufzählung der Bundesumweltministerin an . Wir wollen uns bei Ihnen wie auch beim Entwicklungshilfeminister Gerd Müller und beim Außenminister herzlich bedanken . Ich will noch ergänzen: Dieser Prozess ist nicht über Wochen und Monate, sondern über Jahre vorangetrieben worden, und dies in besonderer Weise auch von unserer Kanzlerin . Es gibt eine direkte Linie vom Strandkorb in Heiligendamm über die Alm in Elmau zu dem Erfolg in Paris . Deshalb sagen wir auch: Danke, Angela Merkel . Ambition erwarten wir jetzt auch von den Ländern . Wenn die USA, China und Saudi-Arabien einem Klimaabkommen zustimmen, dann erwarten wir auch von Kretschmann, Kraft und Co ., dass sie ihren Widerstand gegen die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung aufgeben und ihr zustimmen . ({4}) Energieeffizienz wird ein entscheidender Schlüssel sein. Der Bund hat ein Angebot vorgelegt; wir haben es hier beschlossen .

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt müssen alle Länder und alle Ministerpräsidenten mit ins Boot . Das heißt: gemeinsame Verantwortung für den Klimaschutz . Herzlichen Dank . ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Dr . Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, was in Paris zustande gebracht worden ist, war ein großer Erfolg . Die Weltgemeinschaft hat gezeigt, dass 195 Staaten in der Lage sind, sich auf einen Vertrag mit starken Zielen zu einigen; bei den Maßnahmen ist er eher schwach . Wir brauchen auch einen Vertrag mit starken Zielen; denn alles andere als eine Reduktion der Klimaerwärmung deutlich unter 2 Grad bedeutet für die kleinen Inselstaaten, dass sie untergehen . Dann müssten wir für 2,4 Millionen Menschen eine neue Heimat suchen . Sie wären aber keine Flüchtlinge . Vielmehr bräuchten wir einen neuen Standort für eine ganze Reihe von Staaten . Das wäre schwierig durchzusetzen . Aber auch auf dem übrigen Planeten wird es zu starken Verwerfungen kommen, wenn es uns nicht gelingt, die Klimaerwärmung zu begrenzen . Die Weltbank rechnet in diesem Fall mit über 100 Millionen zusätzlichen Klimaflüchtlingen. Frau Hendricks, ich bin froh, dass Sie und nicht jemand anderes aus der Bundesregierung verhandelt haben . Was die Ministerien angeht, die für die Umsetzung verantwortlich sind, von der Sie eben gesprochen haben, Herr Jung, sieht es nämlich ziemlich traurig aus . Schauen wir uns zum Beispiel das Energieministerium, das Ministerium von Herrn Gabriel, an . Herr Gabriel ist in relevanter Weise verantwortlich für die Umsetzung der Energiewende . ({0}) Was findet in diesem Ministerium statt? Wir erleben ein völliges Abwürgen der Photovoltaik . Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist vom Pfad abgekommen und findet nicht mehr in ausreichendem Maße statt. Wir erleben, dass aus einer Kohleabgabe, die dazu beitragen sollte, den Boom der Kohlekraft in Deutschland zu beenden, eine Subvention für die Kohlekraftwerke geworden ist . Damit ist also im ersten Umsetzungsministerium das glatte Gegenteil erreicht worden . ({1}) Schauen wir uns das nächste Umsetzungsministerium an . Das ist das Verkehrsministerium . Der Verkehr ist für einen erheblichen Teil der Klimaabgase in Deutschland verantwortlich . Was stellen wir da fest, wenn wir einfach nüchtern auf die Zahlen schauen? Wir stellen fest, dass in den letzten Jahren der CO2-Ausstoß gestiegen ist . Das bedeutet, dass wir hier eine Änderung der Politik brauchen; denn es genügt nicht - wenn die Klimaschützer und die Mitglieder des Umweltausschusses unter sich sind -, zu fordern: Wir brauchen jetzt Taten . - Ja, natürlich brauchen wir Taten . Aber die Bundesregierung muss hier auch konkrete Taten folgen lassen . Das muss sich im konkreten Handeln der Ministerien zeigen . Was sehen wir beispielhaft beim Verkehrsministerium? Steigende CO2-Werte! Es gibt keine einzige Handlung gegen diesen Trend . Stattdessen sehen wir ein Ministerium, das zu feige ist, den Unternehmen, insbesondere den Autokonzernen, die beim Schummeln extrem innovativ sind, Einhalt zu gebieten . Inzwischen geht es nicht nur um VW . Zahlen belegen, dass auch BMW- und Mercedes-Fahrzeuge unerklärlich hohe Abgaswerte aufweisen . Was macht das Ministerium? Das Ministerium ist noch nicht einmal in der Lage, zu sagen, wer in seiner Untersuchungskommission sitzt . Machen Sie doch einmal diesem Minister Dampf! Sie sind doch Regierungspartei . ({2}) Schauen wir uns ein anderes Ministerium an, das für die Umsetzung verantwortlich ist . Das ist das Landwirtschaftsministerium . Ich war vor kurzem in Brasilien und habe mir dort insbesondere die Regionen angeschaut, von denen wir einen Großteil unserer Futtermittel beziehen . In diesen riesigen Regionen sieht man bis zum Horizont nur gerodeten Regenwald . Nicht nur, dass die Kleinbauern und die indigene Bevölkerung entweder ermordet oder vertrieben worden sind, um dieses Land zu gewinnen . Vielmehr ist der ganze Regenwald zerstört worden . Das trägt erheblich zum Klimawandel bei . Und was sehen wir beim zuständigen Landwirtschaftsminister? Absolute Untätigkeit! Wenn Sie Ihre eigenen Worte ernst meinen, Frau Ministerin und Sie, die Vertreter der Großen Koalition, dann sorgen Sie endlich dafür, dass in den relevanten Ministerien, also im Energieministerium, im Verkehrsministerium und im Landwirtschaftsministerium, nicht weiter blockiert, verzögert sowie auf die Lobbyisten und die Innovationsbremser von IG BCE und BDI gehört wird, sondern dass endlich Taten folgen . ({3}) Frau Ministerin, wenn ich von Ihnen höre, dass es nun insbesondere um das Jahr 2050 geht, dann mache ich mir, ehrlich gesagt, Sorgen . Sie haben absolut recht: Bis zum Jahr 2050 müssen wir im Idealfall den CO2-Ausstoß um 90 Prozent reduziert haben . Aber bis dahin ist es noch sehr lange hin . Ich glaube, niemand, der hier sitzt, wird im Jahr 2050 noch politische Verantwortung tragen . Es kann also eine sehr billige Ausrede sein, ständig auf das Jahr 2050 zu verweisen . Es kommt nun entscheidend darauf an, wie der Pfad in den nächsten 35 Jahren gestaltet wird, um im Jahr 2050 auf minus 90 Prozent zu kommen . Um das zu schaffen, müssen wir jetzt mit den Taten beginnen . Deshalb ist es ganz entscheidend, ob es uns gelingt, als erste Zwischenetappe das 2020-Ziel zu erreichen . Ihre eigenen Regierungsexperten haben festgestellt, dass wir die Anstrengungen verdreifachen müssen, um dieses Ziel zu erreichen . Sorgen Sie als Erstes dafür, dass dieses Ziel erreicht wird . Dann haben wir auch eine Chance, das 2050-Ziel zu erreichen und den nun ausgehandelten guten Weltklimavertrag mit Leben zu erfüllen . Danke . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Matthias Miersch für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt fast kein größeres Lob als das von Toni Hofreiter . Aber ich will darauf noch einmal hinweisen, weil die Bundesumweltministerin hier vornehm zurückhaltend war . Liebe Barbara Hendricks, das, was in den letzten Stunden in Paris geleistet wurde, ist vor allen Dingen dir und deinem Team zu verdanken . Deswegen an dieser Stelle: Vielen Dank dafür! ({0}) Es ist berechtigt, dass die Opposition schaut, wie es weitergehen soll, und mit dem einen oder anderen hadert . Wir können die Redeversatzstücke immer wieder aneinanderreihen, lieber Toni Hofreiter; aber das Entscheidende ist - das hat Paris sehr deutlich gezeigt -, ({1}) dass nach wie vor die Bundesrepublik Deutschland als eines der Vorbilder im internationalen Vergleich gilt . Deswegen lohnt es sich nicht, aufeinander herumzutrampeln . Vielmehr sollte man stolz sein auf das, was wir hier machen . ({2}) Du hast vom Abwürgen der Erneuerbaren gesprochen . Wir sind im Diskurs, was den Wert der Photovoltaik angeht, unter Umständen durchaus ganz nah beieinander . Aber wir dürfen nicht verschweigen, dass wir zum Beispiel im Bereich Windkraft Rekordzuwächse haben . Auch das muss in einer solchen Debatte gesagt werden . ({3}) In diese Debatte gehört außerdem, darauf hinzuweisen, dass du noch vor wenigen Monaten hier gesagt hast: Kein einziges Kohlekraftwerk wird abgeschaltet . - Ja, wir können uns darüber unterhalten, ob es richtig ist, Prämien zu zahlen . Aber wir werden erleben, dass bis 2020 Kohlemeiler vom Netz gehen . Auch das ist ein Verdienst dieser Bundesregierung . ({4}) Es ist richtig und wichtig, darauf hinzuweisen auch das ist, wie ich finde, ein Verdienst von Barbara Hendricks und anderen -, dass wir als Parlament erstmals in die Lage versetzt werden, zu schauen, ob die Ziele erreicht werden . Natürlich ist nicht nur das Ziel für 2050 entscheidend . Die Umweltministerin hat darauf hingewiesen, dass das erste Mal ein Aktionsplan Klimaschutz 2020 aufgelegt worden ist . Es ist richtig, dass sich Sachverständige damit augenblicklich kritisch auseinandersetzen . Aber es ist ein großes Verdienst von Barbara Hendricks und dieser Bundesregierung, dass wir in den nächsten Monaten und Jahren in der Lage sind, zu sagen: Wir müssen da nachjustieren; sonst erreichen wir unsere Ziele nicht . ({5}) Daran mitzuwirken, sind in der Tat alle, auch alle Ressorts, aufgerufen . Reflexartig sind nicht nur die Reaktionen der Grünen, sondern auch die des BDI . In einer Presseerklärung nach der Pariser Konferenz wurde mehr oder weniger der Untergang des Abendlandes prophezeit . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das Neue und Beflügelnde der Ergebnisse dieser Konferenz ist: Wer heute noch meint, dass sich Klimaschutz und Wirtschaft ausschließen, der gerät ganz schnell aufs Abstellgleis . ({6}) Deswegen sage ich herzlichen Glückwunsch an die Allianz von großen Unternehmen, die sich zur Initiative „2 Grad“ - diese Bezeichnung müssten sie wahrscheinlich ändern; denn in der Pariser Vereinbarung sind 1,5 Grad festgeschrieben - zusammengeschlossen haben und sagen: Es ist ein Mehrwert für uns Großunternehmen, wenn wir auf Klimaschutz, wenn wir auf Effizienz, wenn wir auf Energieeinsparung setzen; denn wir werden diejenigen sein, die Technologien entwickeln, die morgen gefragt sind und nicht von gestern sind . ({7}) Lieber Peter Bleser, ich glaube, das Landwirtschaftsministerium könnte sich vom Entwicklungshilfeministerium noch das eine oder andere abschauen; ({8}) denn wenn es um die Landwirtschaft der Zukunft, um elementare Gerechtigkeitsfragen, um Klimaschutz geht, dann müssen wir in Deutschland im Bereich der Landwirtschaft noch unsere Hausaufgaben machen . Deswegen bitte ich euch, diesen Schwung mitzunehmen und ebenfalls einen Beitrag zu leisten . Ebenso bitte ich im Übrigen auch das Verkehrsministerium, sich die Pläne sehr genau anzuschauen . Ich sage ganz bewusst, Toni Hofreiter: Hier sitzen nicht nur die Umweltpolitiker, sondern auch die Verkehrspolitiker der SPD-Fraktion, da es uns wichtig ist, Klimaschutz ganzheitlich zu denken und nicht nur ressortbezogen . ({9}) Wenn wir das erreichen, im Parlament, aber auch in dieser Bundesregierung, dann ist Paris - da bin ich mir sehr sicher - ein wichtiger Schritt auf einem Weg, der soziale Gerechtigkeit, ökologische Vernunft und ökonomische Weitsicht verbindet . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin spricht Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke . ({0})

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Miersch, es wäre toll, wenn dieser Klimavertrag wirklich soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zusammenbringen würde, wie Sie es gerade ein bisschen euphorisch dargestellt haben . Aber die weltweite Klimagerechtigkeitsbewegung - sie besteht aus vielen sozialen Bewegungen aus aller Welt - schätzt das Ergebnis dieser Verhandlungen ganz anders ein . Sie sagt mit Recht: Es gibt überhaupt keinen Grund, zu feiern; denn das, was hier als Erfolg gepriesen wird, ({0}) ist in Wirklichkeit sehr fragil . Es gibt keine verbindlichen Regelungen, es gibt überhaupt keine Verabredung über Sanktionen, wenn die Klimaschutzziele nicht eingehalten werden . Die von den Ländern angemeldeten Ziele liegen ohnehin weit unter dem, was man brauchte, um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen . Zudem besteht die große Gefahr, dass man mit dem Setzen auf marktwirtschaftliche Instrumente und Technologien neue Ungerechtigkeiten erzeugt . Ich will das an einer Passage aus den Klimaverträgen deutlich machen . Es wird davon gesprochen, dass in der zweiten Jahrhunderthälfte - das ist sehr vage; das kann auch 2099 sein - ein Gleichgewicht zwischen Emissionsausstoß und Emissionsbindung erreicht werden soll . Es bleibt völlig offen und unkonkret, ob das den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bedeutet . ({1}) Im Gegenteil: Es ist durchaus denkbar und wahrscheinlich, dass an einem Ende der Welt weiterhin Öl und Kohle verbrannt werden, während am anderen Ende der Welt CO2 in Wäldern, in Böden, in gentechnisch manipulierten Pflanzen oder mit anderen riskanten Technologien, an denen eifrig geforscht wird, gespeichert wird . Das heißt, dass die Länder, die solche Technologien einsetzen können und in der Lage sind, ihre Interessen durchzusetzen, weiterhin Öl und Kohle verbrennen, während Länder im globalen Süden - so ist es normalerweise -, in denen die Wälder von transnationalen Konsortien zertifiziert werden, ihre Bevölkerung unter Druck setzen oder sie vertreiben . Dort werden große Staudämme gebaut, um regenerative Energien zu gewinnen, Dörfer und ganze Landstriche unbewohnbar gemacht, und die armen LeuDr. Matthias Miersch te, die heute dort leben, werden vertrieben . Das ist der Mechanismus, der in diesem Klimavertrag steckt und den viele soziale Bewegungen dieser Welt mit großer Sorge sehen . Das Zweite ist, dass, um dieses 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, über 80 Prozent der fossilen Energieträger, Öl- und Kohlereserven, in der Erde bleiben müssten . ({2}) Dieses gigantische Volumen entspricht einem Kapitalwert von 35 000 Milliarden Dollar . Natürlich - da braucht man sich doch nichts vorzumachen - gibt es gigantische Verwertungsinteressen . Die Konzerne dieser Welt lassen sich doch ein solches Geschäft nicht entgehen . ({3}) Umso notwendiger ist es, dass die Regierungen dafür sorgen, dass die Politik nicht den Verwertungsinteressen entsprechend organisiert wird . ({4}) - Nein, das haben Sie nicht erreicht; das ist alles völlig offen . - Es gibt überhaupt keine konkrete Festlegung zu den fossilen Rohstoffen . Es gibt überhaupt keine Festlegung zur Verringerung von transnationalen Handelsströmen, obwohl der transnationale Handel ein Viertel aller CO2-Emissionen ausmacht . Die Europäische Union organisiert über das Bestehende hinaus im Moment an verschiedenen Stellen mit TTIP und CETA Handelsabkommen, die dafür sorgen, dass es noch mehr internationale Handelsströme und damit verbunden einen noch höheren CO2-Ausstoß gibt, anstatt konkrete politische Konzepte zu entwickeln, wie man regionale Wirtschaftskreisläufe fördert, wie man dafür sorgen kann, dass nicht irrsinnig viel um den halben Globus transportiert wird, wie man dafür sorgen kann, dass nicht weiter Öl verbrannt wird und nicht durch Ersatzrohstoffe dem globalen Süden die Lebensmittel und der Lebensraum streitig gemacht werden . Kurz: Dieses Abkommen gibt keine Antwort darauf, wie unsere sozialen Verhältnisse verändert werden müssen, um die globalen ökologischen Ziele zu erreichen . Das ist die große Schwäche . Ich glaube, das wird die Herausforderung sein, die uns in den nächsten Jahren, in wenigen Jahren beschäftigen muss . Es geht darum, wie wir mit weniger Ressourcenverbrauch, mit weniger Wachstum und mit weniger Kapitalverwertung trotzdem ein gutes Leben für alle Menschen organisieren können . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächste Rednerin hat Dr . Anja Weisgerber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen und Monaten haben wir hier im Deutschen Bundestag viele Debatten über unsere Erwartungshaltung bezüglich der Klimaverhandlungen in Paris geführt . Wir haben auch Anträge formuliert . Wir alle haben unsere Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass ein umfassendes, ambitioniertes, völkerrechtlich verbindliches Abkommen zustande kommt . Heute sind wir hier wieder zusammengekommen und können sagen: Wir haben das geschafft . - Am Samstag um circa 19.30 Uhr fiel der Hammer, und - man kann es wirklich so formulieren - es wurde Klimageschichte geschrieben, meine Damen und Herren . ({0}) Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders und ganz herzlich bei Ministerin Barbara Hendricks und ihrem sehr engagierten Team bedanken . Das ist eine Leistung, auf die Sie zu Recht stolz sein können . Vielen Dank! ({1}) Viele Kommentatoren bezeichnen dieses Abkommen als historisch . Ich möchte anhand von drei Punkten darlegen, warum dieses Abkommen aus meiner Sicht historisch ist . Zum Ersten . Erstmals haben sich knapp 200 Staaten der Welt auf ein ambitioniertes Klimaabkommen geeinigt . Am Ende der Verhandlungen über die zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls waren nur noch 37 Staaten mit an Bord . Jetzt sind wieder alle Staaten der Welt dabei . Das allein ist schon ein Riesenerfolg . ({2}) Alle Staaten haben an einem Strang gezogen, ob große oder kleine Staaten, ob arme oder reiche Staaten . Alle haben sich dazu verpflichtet, die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen . Darüber hinaus hat man eine starke Formulierung zum 1,5-Grad-Ziel in den Text hineinverhandelt . Demnach müssen sich die Vertragsstaaten anstrengen, die globale Erderwärmung auf nur 1,5 Grad zu begrenzen . Das war ein wichtiges Signal an die Inselstaaten, die vom Untergehen bedroht sind und darauf gewartet haben, dass ein solches Signal von Paris ausgeht . ({3}) Dass es gelungen ist, das 1,5-Grad-Ziel im Text zu verankern, ist zum einen auch ein Verdienst von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf Empfehlung von Frau Hendricks zu Beginn der Klimaverhandlungen in Paris als eine der wenigen, wenn nicht sogar als einzige der Staats- und Regierungschefs das 1,5-Grad-Ziel deutlich erwähnt hat . Dieses Signal hat aufhorchen lassen . Zum anderen war die Aufnahme des 1,5-Grad-Ziels auch dadurch möglich geworden, dass die Umweltministerin es geschafft hat, dass sich die Koalition der Ambitionierten gebildet hat . Deutschland war hier an vorderster Front dabei . Mit dieser Koalition wurden das althergebrachte Denken und die Trennung zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern aufgebrochen . Die EU, die USA, Brasilien und Mexiko waren mit an Bord, aber zum Beispiel auch die Marshallinseln . Ich kann mir vorstellen, dass es ein emotionaler Moment war, als sie Seit‘ an Seit‘ vereint in den Saal gegangen sind und das Signal ausgesandt haben: Wir wollen, dass die Ambition im Text deutlich verankert wird . - Das war der erste Grund, warum dieses Abkommen historisch ist . Der zweite Grund hierfür besteht darin, dass der völkerrechtliche Überprüfungsmechanismus, den wir hier in sehr vielen Plenarreden eingefordert haben, jetzt im Abkommen steht - ich weiß nicht, wie viele dessen Aufnahme in den Text wirklich für möglich gehalten haben und seine Einhaltung regelmäßig, alle fünf Jahre, überprüft wird . Überprüft wird zum Ersten, ob die einzelnen Vertragsstaaten ihre nationalen Verpflichtungen einhalten . Zum Zweiten wird regelmäßig Bilanz gezogen, wie weit man vom globalen Ziel entfernt ist und inwieweit man noch nachschärfen muss . Der dritte Grund, weshalb das Abkommen aus meiner Sicht historisch ist, besteht darin, dass die Klimafinanzierung zustande gekommen ist . Wir haben immer gesagt: Wir können den Klimawandel nicht alleine bekämpfen . Wir brauchen dafür alle Staaten der Welt, auch die Entwicklungs- und Schwellenländer; aber diese brauchen unsere Unterstützung . - Die Industrieländer haben sich verpflichtet, von 2020 an 100 Milliarden US-Dollar für sie zur Verfügung zu stellen . Auch bei dieser Vereinbarung hat Deutschland Signale ausgesandt . Entwicklungsminister Müller, dem ich hier ausdrücklich danken möchte, hat während der Konferenz zum Ausdruck gebracht, dass zusätzlich 3 Milliarden Euro für die Nutzung erneuerbarer Energien in Afrika zur Verfügung gestellt werden . ({4}) All das hat dazu geführt, dass wir Klimageschichte geschrieben haben . Eine letzte Bemerkung, wenn die Präsidentin mir das erlaubt: Ich möchte, dass dieses Abkommen von der Wirtschaft als Chance begriffen wird . Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze . Wenn wir Deutsche uns jetzt an die Spitze der Entwicklung von Umweltinnovationen und von CO2-armen Technologien stellen, dann kann die Eindämmung des Klimawandels gleichzeitig ein wichtiger Baustein für Wachstum und Arbeitsplätze sein . Vielen Dank . ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächste Rednerin hat Annalena Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Hendricks, auch von unserer Seite einen ganz herzlichen Dank an Sie persönlich, an die Staatssekretäre und an Ihr Team, das zum Teil hier anwesend ist . Das ist wirklich ein historischer Vertrag, der in Paris geschlossen wurde . ({0}) Diesem Dank kann man aus unserer Sicht am besten gerecht werden, indem man den Vertrag jetzt mit Leben erfüllt . Wer in Paris gesagt hat „Raus aus den Fossilen“, der muss das auch im Deutschen Bundestag sagen . ({1}) Daher gilt jetzt: Butter bei die Fische . Wenn wir die Vereinbarungen umsetzen und mit Leben erfüllen wollen Andreas Jung, Sie sprechen von der High Ambition Coalition; HAC hört sich für mich eher wie eine Droge an, aber sei’s drum -, ({2}) dann brauchen wir einen Klimaschutzplan, ein Klimaschutzgesetz . ({3}) Der erste Punkt . Frau Hendricks, mich hat schon sehr verwundert, dass Sie sagen, dass sich aus dem Vertrag eigentlich keine neuen Verpflichtungen für uns ergeben. ({4}) Natürlich ergeben sich daraus für uns Verpflichtungen. Sie haben es doch selber erwähnt: Dieser Klimavertrag wird alle fünf Jahre daraufhin überprüft, ob die nationalen Beiträge umgesetzt werden . Diese Frage muss sich auch die Europäische Union stellen . Unser nationaler Beitrag, mit dem wir nach Paris gefahren sind, liegt deutlich über dem 2-Grad-Pfad . Das heißt, die erste Hausaufgabe hier in Deutschland und in Europa ist, das europäische Ziel nachzuschärfen . ({5}) Der zweite Punkt . Es muss ein Klimaschutzplan, am besten ein Klimaschutzgesetz, vorgelegt werden, damit wir diese Aufgabe in Deutschland meistern können . Es reicht nicht, von einer Jahrhundertaufgabe mit Blick auf das Jahr 2050 zu sprechen . Die dringlichste Aufgabe ist vielmehr, dafür zu sorgen, dass das deutsche Klimaschutzziel für das Jahr 2020 erreicht wird . Das bedeutet eine Reduktion um 40 Prozent . ({6}) Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Kohleausstieg in Deutschland einfach unerlässlich . Diesen Fakt haben Sie als Ministerin immer wieder angesprochen . Aber hier, lieber Matthias Miersch, kommen wir zum entscheidenden Punkt . Da reicht es eben nicht, liebe Frau Hendricks, dass man sagt - ich habe gestern im Ausschuss genau hingehört -, es sei in den nächsten 20 bis 25 Jahren möglich, ohne Strukturbrüche aus der Kohle auszusteigen, aber nötig sei es nur bis 2050 . Nein, Sie sind die MiDr. Anja Weisgerber nisterin, und die Bundesregierung trägt hier die Verantwortung . Es reicht nicht, zu sagen, was man für möglich hält, sondern Sie müssen mit entsprechenden Gesetzen dieses Ziel verfolgen . Das ist Ihre Aufgabe als Bundesregierung . ({7}) Es kann aber nicht nur um den Kohleausstieg in Deutschland gehen; es geht auch um den Ausstieg aus der internationalen Kohlefinanzierung. Ja, liebe Frau Weisgerber, wir haben darüber oftmals gesprochen . Ja, Matthias Miersch, es sind lediglich 3 Milliarden Euro, die an Finanzhilfen fließen. In Paris haben Sie sich für eine Initiative in Afrika für erneuerbare Energien stark engagiert . Aber diese Initiative wird konterkariert, wenn es zeitgleich nicht nur KfW IPEX, sondern auch Hermesbürgschaften für Kohleprojekte gibt . Es gibt Zusagen an Australien, Russland, die Ukraine und Südafrika . Man kann nicht aus den Fossilen rausgehen, wenn man weiterhin in diesen Bereich investiert . So ist das nun einmal . ({8}) Der dritte Punkt umfasst das Divestment . Frau Hendricks, Sie haben in Paris völlig zu Recht gesagt - da stimmen wir Ihnen zu -, wir sähen das Ende des Zeitalters von Kohle und Öl, und das sei ein sehr klares Signal an die Investoren . Etliche Investoren haben sich auch schon aufgemacht, ihre Strategie zu ändern . Das ist gut und richtig . Aber es ist auch ein Signal an die Bundesrepublik Deutschland, weil wir ebenfalls Geld in diesen Bereich investieren . Der Bund legt 100 Millionen Euro in fossile Anlagen an als Rücklagen für die Beamtenpensionen . Wenn Sie also von Divestment für Investoren reden, dann reden Sie auch von Divestment im Bundeshaushalt, dann geben Sie diese Anlagen in fossile Energien auf, meine Damen und Herren! ({9}) Hier hat die Bundesregierung auch wirklich die Möglichkeit - es wurde ja über Vorreiter gesprochen; wir sind ganz bei Ihnen: wir wollen wieder Vorreiter werden -, zum Vorreiter zu werden . Sie müssen sich nur schleunigst beeilen . Die Kommunen haben sich hier schon auf den Weg gemacht . Münster ist die erste Stadt, die nicht mehr in fossile Energien investiert . Andere Kommunen werden folgen . Machen Sie sich also auf die Socken, damit Sie hier hinterherkommen! ({10}) Der fünfte Punkt ist der Verkehr . Es ist einfach so: Wenn wir sagen: „Wir steigen aus den fossilen Energien aus“, dann müssen wir das auch im Verkehrsbereich tun . Deswegen ist die Ansage von Paris: Die Tage des Verbrennungsmotors sind gezählt . ({11}) Wenn wir nicht aufpassen, dann werden wir auch hier kein Vorreiter sein; denn China macht sich auf den Weg . Es wird nur noch ein paar Jahre dauern, bis man in China sagen wird: Keine Verbrennungsmotoren mehr in den großen Städten wegen der Luftreinheit . - Beispiel Norwegen: Dort liegt der Anteil der Elektroautos bei den Erstzulassungen bei 17 Prozent . So sehen Vorbilder aus . ({12}) Zum Abschluss, meine Damen und Herren, möchte ich sagen: Wir haben in Paris wahrlich Geschichte geschrieben . Wir sollten das zum Anlass nehmen, auch in Deutschland Geschichte zu schreiben . Lassen Sie der Energiewende eine Klimawende folgen . Um es mit den Worten von François Hollande zu sagen: „Vive la planète, vive l‘humanité et vive la vie!“ In diesem Sinne: Eine schöne Weihnachtszeit und vielen Dank . ({13})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Klaus Mindrup für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Klaus Mindrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004354, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt Momente im Leben, die vergisst man nicht . Für mich gehören die Tage in Paris dazu . Das waren die Gespräche mit den Klimazeugen, mit den Bewohnern der pazifischen Inseln, die Sorge haben, dass sie ihre Heimat verlieren und dass sie umgesiedelt werden müssen, aber auch mit den Bauern aus Afrika, die nicht mehr wissen, wann sie säen sollen, weil sie nicht mehr wissen, wann der Regen kommt . Das hat deutlich gemacht, dass das Thema des Klimaschutzes ein Thema ist, das wirklich an die Existenz der Menschen geht . Im Gedächtnis werden bei mir aber auch die letzten Minuten dieser Konferenz bleiben, in denen wir nicht wussten, ob es am Ende ein Abkommen geben würde oder nicht, und in denen Laurent Fabius noch nicht im Saal war . Als er am Ende dann doch kam und mit dem grünen Hammer die Einigung vollzogen hat, gab es einen beispiellosen Jubel, dass dieser Vertrag zustande gekommen ist . ({0}) Es ist daher auch für mich an dieser Stelle Zeit, Dank zu sagen, Dank an die deutsche Delegation, Dank vor allen Dingen auch an Barbara Hendricks für ihre Arbeit . Ohne diese deutsche Delegation wäre das nicht zustande gekommen. Ich hoffe, dass Sie bald Ihr Schlafdefizit ausgleichen können . Die Rolle Deutschlands - da muss ich der Kollegin Annalena Baerbock widersprechen - ist ja nicht nur die, dass wir dort verhandelt haben, sondern wir werden international auch als glaubwürdiger Partner gesehen mit der internationalen Klimafinanzierung. Es ist eben so, dass 95 Prozent unserer Gelder nicht in fossile Energien geAnnalena Baerbock hen, sondern in die Wende zu den erneuerbaren Energien, dass die Internationale Klimaschutzinitiative vorbildlich ist für die ganze Welt und dass wir dort Vorreiter sind . ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch eine andere Botschaft, die von dieser Konferenz ausgeht: 195 Staaten haben sich auf ein verbindliches Ziel geeinigt . Das heißt für uns: Die Vereinten Nationen sind wieder da . Die Vereinten Nationen sind wieder ein handelnder Akteur, und das ist etwas ganz Wichtiges für alle die, die erklärt haben, der Multilateralismus sei tot . Wir müssen diese Vereinten Nationen stärken und weiter auf sie bauen . ({2}) Das Abkommen hat eine Tür zu einer besseren Welt geöffnet . Jetzt müssen wir durch diese Tür gehen . Das ist der Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken: Wenn Sie nicht verstehen, dass diese Tür eine Chance ist, und sagen, dass man da nicht durchgehen kann, dann ist das wirklich eine Form von Blindheit, die man kaum noch ertragen kann . ({3}) Wir sind hier an zwei Stellen gefordert - da hoffe ich auch auf einen Konsens -: Das Erste ist, dass wir natürlich zur Ratifizierung unsere Zustimmung geben müssen. Das Zweite ist, dass ich natürlich davon ausgehe, dass wir hier in diesem Haus dafür sorgen, dass diese Ziele eingehalten werden . Das gilt in erster Linie für die 2020-Ziele, und das werden wir mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 auch schaffen . Es ist doch nur gut, dass wir uns hier ehrlich machen und dass wir sagen, was zu tun ist . Das haben wir auch schon vor einigen Wochen getan . Wir wissen doch alle, dass die Minderungsbeiträge, die die Staaten eingereicht haben, nicht ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, noch nicht einmal, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen . Deswegen gilt auch für uns: Klimaschutz muss Vorrang haben . Das gilt für alle Politikfelder, insbesondere für die Landwirtschaft und den Verkehr . Wenn wir allerdings hören, dass die Kollegin Annalena Baerbock das Ende des Verbrennungsmotors ausruft, gebe ich ihr, wenn er fossil betrieben ist, recht . Aber einen Verbrennungsmotor kann man auch mit Wasserstoff betreiben, und am Ende kommt Wasser heraus . Es kommt doch darauf an, dass es erneuerbar ist, dass es klimaverträglich ist . An dieser Stelle sollten wir die Technologien öffnen . ({4}) Es geht aber im Kern - das ist vereinbart worden - um eine grundsätzlich andere Form der Wirtschaftsweise . Wir müssen mit der Natur anders umgehen . Wir müssen im Einklang mit der Natur leben; denn sonst wird dieser Planet nicht überleben . Wir müssen in erster Linie die natürlichen Kohlenstoffsenken, wie Wälder und Moore, erhalten, auch in Deutschland . Es ist schwierig, wenn man in Deutschland Moore abbaut und dann erklärt, man muss tropische Regenwälder erhalten . Hier sind wir nicht glaubwürdig . Das muss anders werden . Aber das ist eben angeklungen - die fossilen Rohstoffe, das fossile Kohlendioxid, was wir in der Erde haben, wird überwiegend in der Erde bleiben müssen . Das ist ein dramatischer Paradigmenwechsel . Das wird unsere gesamte Rechtskultur verändern müssen . Nicht mehr der Abbau von Rohstoffen ist wichtig für den Erhalt der Erde, sondern dass sie in der Erde bleiben . Dafür müssen wir gemeinsam streiten . ({5}) Für Deutschland gilt, dass wir im Jahr 2050 eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien brauchen . Das ist vollkommen klar; denn sonst können wir die Klimaziele nicht einhalten . Wir brauchen einen Stufenplan . Dieser Stufenplan muss so gemacht werden, dass wir die Menschen in den betroffenen Regionen mitnehmen . Es ist eine Chance für den Strukturwandel, auch für neue Industrien . Wenn ich die Stellungnahme des BDI höre, dann kann ich nur sagen: Sorry, das ist strukturkonservativ, das wird uns allen nicht helfen . ({6}) Meine Damen und Herren, die Steinzeit ist nicht aus einem Mangel an Steinen zu Ende gegangen . Das fossile Zeitalter wird auch nicht an einem Mangel an Öl, Gas und Kohle zu Ende gehen . Insofern ist das eine optimistische Botschaft . Ich wünsche Ihnen allen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr . Wir werden dann gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Klimaabkommen hier in Deutschland dazu führt, dass wir uns weiter verbessern und dass wir unseren Beitrag leisten, diese Erde zu schützen . Danke schön . ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner spricht Dr . Thomas Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Thomas Gebhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004038, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Einigung in Paris war historisch . Nach 20 Jahren Verhandlungen haben sich 195 Länder auf ein verbindliches, weltweites Abkommen verständigt . Erstmals bekennen sich alle zum Klimaschutz, und erstmals übernehmen alle Länder konkrete Verpflichtungen. Ich war in den letzten Jahren bei den Konferenzen dabei . Wer beispielsweise Kopenhagen, Lima oder Durban erlebt hat, weiß, wie unglaublich schwierig es ist, auf dieser Ebene zu einer Einigung zu kommen: 195 Länder, unterschiedliche Interessen, und es gilt das EinstimmigKlaus Mindrup keitsprinzip . Das macht diesen ganzen Prozess unglaublich zäh . Das erklärt auch, warum in den vergangenen Jahren der internationale Klimaschutz leider nur in einem Schneckentempo vorangekommen ist . Auf der Konferenz in Paris konnten wir nun spüren, dass die Zeit für einen Durchbruch reif war . Wir konnten spüren, dass es einen weitverbreiteten Willen gab, sich endlich zu einigen - übrigens: auch der Handlungsdruck ist in der Zwischenzeit gestiegen; der Klimawandel schreitet voran -, und wir konnten erleben, dass viele Akteure, insbesondere Staaten, vorangegangen sind, dass sie den Druck erhöht haben . Dazu gehört auch Deutschland . Deutschland hat eine sehr ambitionierte, aktive und vor allem glaubwürdige Rolle gespielt . Auch bei den vielen Gesprächen, die wir mit anderen Delegationen in Paris wieder führen konnten, wurde uns bestätigt: Deutschland hat ein hohes Ansehen im Bereich der internationalen Klimaschutzpolitik . ({0}) Paris ist ein großer Fortschritt im Kampf gegen den Klimawandel . Alle bekennen sich dazu, die Erderwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen . Staaten machen Minderungszusagen . Es gibt eine regelmäßige Überprüfung, und Hilfen für die Entwicklungsländer sind zugesagt . Jetzt könnte man einwenden: Vieles von dem, was in den 29 Artikeln aufgeschrieben ist, ist vielleicht vage oder weich formuliert . In der Tat, das ist so . Das zeigt einmal mehr das, was wir hier schon oft gesagt haben: Es gibt natürlich Grenzen dessen, was dieser einstimmige Verhandlungsprozess leisten kann . Ja, dieser Vertrag alleine - so notwendig und wichtig er auch ist - löst die Probleme selbstverständlich nicht . Aber - das ist der entscheidende Fortschritt, das ist der Kern des Mehrwerts des Abkommens von Paris - dieser Vertrag macht die Richtung für die kommenden Jahre klar . Das ist der eigentliche Gewinn . ({1}) Wir haben hier im Deutschen Bundestag vor zwei Wochen gesagt: Paris ist nicht der Endpunkt, sondern ein wichtiger Zwischenschritt . Heute stellt sich die Frage: Was kommt nach Paris? Zunächst steht dieser Vertrag nur auf dem Papier. Er muss jetzt zügig ratifiziert und umgesetzt werden . Die Staaten müssen Maßnahmen ergreifen, um die vereinbarten Ziele zu erreichen . Das wird kein Selbstläufer . Ich bin überzeugt, das wird am ehesten und umso besser gelingen, desto mehr wir es schaffen, Klimaschutz und wirtschaftliche Prosperität in Einklang zu bringen . Ambitionierter Klimaschutz und eine starke Wirtschaft dürfen eben keine Gegensätze sein . Der Schlüssel dazu liegt in neuen Technologien: erneuerbare Energien, Effizienztechnologien, eine moderne und nachhaltige Landwirtschaft - hier ist Deutschland übrigens beispielgebend -, ({2}) neue Technologien, die es ermöglichen, aus Abfällen wieder Rohstoffe zu machen, und mehr Recycling . Das spart CO2 und schafft Arbeitsplätze . ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns also bitte nicht rückwärtsgewandt diskutierten im Sinne von Verzichten, Einschränken oder gar Deindustrialisieren . Nein, meine Damen und Herren, lassen Sie uns nach vorne gerichtet diskutieren im Sinne von Fortschritt und Entwicklung . Setzen wir auf Innovation, Forschung und Entwicklung . Das ist doch gerade für Deutschland mit all den Ingenieuren und Entwicklern, mit den Forschungseinrichtungen, mit den vielen kleinen, mittleren und großen Unternehmen, mit all der Innovationskraft, die wir in unserem Land haben, die ganz große Chance . Nutzen wir die Chancen, die in dem Abkommen von Paris liegen . Setzen wir genau dafür einen klugen politischen Rahmen . Herzlichen Dank . ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Arno Klare von der SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, dass Wissenschaftler, zumal Naturwissenschaftler, nicht zu verbaler Pathetik und großem emotionalem Enthusiasmus neigen . Wenn dann aber Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung auf ihrer Internetseite schreiben: „Das“ - sie meinen den Vertrag von Paris - „ist ein Wendepunkt, an dem die große Transformation zur Nachhaltigkeit beginnt“, dann ist das immer noch nicht die große Pathetik, zu der ein Pfarrer zum Beispiel in der Lage wäre, ({0}) aber das macht deutlich, welch ein Riesenerfolg Paris war . ({1}) Ich erinnere mich: Als die Umweltdebatte Ende der 70er-Jahre wirklich Fahrt aufnahm, haben uns einige Leute, zum Beispiel Frederic Vester und andere, gelehrt, dass wir systemisch zu denken haben . Das war den meisten von uns damals völlig fremd . Ich fand es immer sehr faszinierend, über Wirkungsketten, über Rückkopplungsschleifen und Regelkreise nachzudenken, also sozusagen kybernetisch zu denken . Dass dieses Paradigma im Vertrag von Paris völkerrechtlich verbindlich geworden ist, das ist ein unglaublicher Erfolg . ({2}) Matthias Miersch hat es eben angesprochen: Der Sektor Verkehrspolitik, für den ich spreche, ist in der Tat ein bisschen das Sorgenkind der Klimapolitik . ({3}) - Ja, das war jetzt ein bisschen untertrieben; ich weiß ja, wovon ich spreche . ({4}) Die Anzahl der Personenkilometer nimmt weltweit dramatisch zu . Gleichwohl ist es uns technisch gelungen, den CO2-Ausstoß, den Treibhausgasausstoß pro Personenkilometer deutlich zu senken . Wenn die absolute Zahl aber steigt - und die steigt; das ist so -, dann werden natürlich keine substanziellen Werte eingespart . Das ist ein riesiges Problem . Deshalb ist das, was Barbara Hendricks hier eben gesagt hat, richtig: Nach diesem Vertrag dürfen wir nicht aufhören . Ab heute müssen wir richtig hart dafür arbeiten, dass die Werte sinken . Wir müssen weltweit eine Mobilität organisieren, die CO2-neutral und THG-neutral funktioniert . Das ist das große Ziel . ({5}) Mir fallen ein paar kleine Beispiele ein, die ich aufgrund der Kürze meiner Redezeit nur anreißen kann . In den nächsten Jahren wird im Rahmen der internationalen Luftfahrtorganisation, ICAO, zu überlegen sein, wie ein Offsettingsystem aussehen kann, wie man ein karbonneutrales Wachstum hinbekommen kann . Ich bin guter Hoffnung, dass das vor dem Hintergrund des Pariser Abkommens - das ist die richtige Basis - gelingen kann . Die Bundesregierung ist aufgefordert, dabei massiv aufzutreten und genau das zu fordern . ({6}) Auf der Seite der Seeschifffahrt brauchen wir ein ganz ähnliches Verfahren . IMO heißt die zuständige Organisation . Das, was bei der Seeschifffahrt verfeuert wird, sozusagen der Rest, den keiner mehr haben will, nämlich Schweröl, ist mit das Schlimmste, was man überhaupt verfeuern kann . Es wäre gut, wenn es gelingen würde, auf dieser Ebene ein ähnliches Verfahren wie auf der ICAO-Ebene anzustoßen . Das wäre eine ganz wichtige Initiative . ({7}) Hier vor Ort müssen wir es schaffen, dass die eingefleischten Automenschen in den Umweltverbund einsteigen und davon begeistert sind . Dafür muss der Umweltverbund natürlich komfortabler werden . Ich nenne Ihnen ein paar etwas exotische Beispiele . Es muss so etwas geben wie ein E-Ticket von Garmisch-Partenkirchen bis Herne-Baukau . Jetzt weiß keiner, wo Herne-Baukau liegt . Ich weiß das, und einige andere werden das auch wissen . Es gibt andere Orte, wo es auch schön ist . ({8}) Wir brauchen wirkliche Tür-zu-Tür-Verbindungen im öffentlichen Personennahverkehr . Die müssen wir organisieren . In diesem Zusammenhang ist Carsharing ein ganz wichtiges Stichwort . Wir müssen in der Stadtplanung die Raumplanung, die Verkehrsplanung und die Mobilitätsplanung zusammen denken . ({9}) Wir müssen in der Stadt der Zukunft Arbeiten und Wohnen wieder zusammenbringen . ({10}) Wir brauchen eine Stadt der kurzen Wege, damit Ziele fußläufig erreichbar sind. ({11}) Das alles sind Aufgaben, die weit über das hinausweisen, was in dem Pariser Vertrag steht . Das sind neue Ziele . Ich bin relativ sicher, dass wir all diese Ziele verfolgen werden und dafür Sorge tragen werden, dass irgendwann nach mir irgendwelche Menschen hier stehen werden und sagen können: Genau das ist erreicht worden . Danke schön . ({12})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als nächster Redner hat Peter Stein für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Peter Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 150 Jahre Industrialisierung haben ihre Spuren hinterlassen . 150 Jahre Industrialisierung haben in die Erde Narben geschlagen und Löcher in die Atmosphäre . Wir haben nicht weitere 150 Jahre Zeit, daran etwas zu ändern . Seit etwa 20 Jahren haben wir Erkenntnisse, die wir vorher nicht hatten . Vor 20 Jahren, im Jahr 1995, fand hier in Berlin die erste Weltklimakonferenz statt . Die damalige Umweltministerin der deutschen Bundesregierung hieß Angela Merkel . Sie war eine der treibenden Kräfte . Sie hat schon damals, vor 20 Jahren, darum gekämpft, dass verbindliche Ziele, verbindliche Zahlen in diese Verträge aufgenommen werden . Das wirkt zum Glück bis heute, bis zu dem Ergebnis von Paris, nach . Heute ist Angela Merkel unsere Bundeskanzlerin . 20 Jahre danach können wir sagen, dass der Klimaschutz für sie zu einer politischen Lebensaufgabe geworden ist . Ich glaube, wir können uns an dieser Stelle bei ihr dafür bedanken . Wir können uns aber auch bei allen anderen Umweltministern der deutschen Bundesregierungen danach, bis hin zu Barbara Hendricks, dafür bedanken, dass sie in dieser Tradition stehend immer unsere Position, unsere Technologieführerschaft, aber auch unsere Ideale stark eingebracht haben . Das waren maßgebliche Beiträge, die dazu geführt haben, dass wir diese guten Ergebnisse in Paris erreichen konnten . ({0}) Eingangs der Konferenz hat Barack Obama zwei Sätze gesagt, die ich sehr einprägsam fand . Er hat gesagt: Wir sind die erste Generation, die jetzt erleben muss, wie mit den Folgen klargekommen werden muss . Aber wir sind auch die letzte Generation, die daran noch etwas ändern kann . - Ich glaube, das gilt nicht nur für die Klimafragen, die jetzt zur Debatte standen und verhandelt wurden, sondern das gilt für vieles, was wir derzeit auf unserem Globus erleben . Das Jahr 2050 ist in diesem Zusammenhang schon genannt worden . Es ist das Ziel, bis zu dem eine bestimmte Grenze von CO2-Ausstoß nicht überschritten werden darf . 2050 ist nicht mehr lange hin . Das werde ich hoffentlich noch erleben; dann werde ich 82 sein . Viele von Ihnen werden es auch erleben . Ich wünsche auch vielen, gerade den Jüngeren, dass sie es auch politisch noch erleben werden, diese Rendite einzufahren . Wenn ich von Rendite spreche, möchte ich darauf hinweisen, dass die deutsche Bundesregierung gerade den Klimafinanzierungsbeitrag von 2 Milliarden auf 4 Milliarden Euro verdoppelt . Die deutsche Bundesregierung hat zugesagt, bis zum Jahre 2020 10 Milliarden Dollar bereitzustellen . Das sind im Rahmen der internationalen Zusagen 10 Prozent allein aus Deutschland . Ich glaube, das ist es allemal wert, hervorgehoben zu werden . ({1}) Die Botschaft, die von Paris ausgeht, ist vielleicht ganz platt gesagt: Wir müssen da jetzt durch . Das ist vereinbart . Wir wissen, wohin die Reise gehen muss und wohin sie gehen wird, wenn wir den verabredeten Weg nicht gehen . - Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass es eine Querschnittsaufgabe ist . Es ist nicht nur die Aufgabe eines einzelnen Ministeriums, einer einzelnen Regierung oder eines einzelnen Staates, sondern es ist, so wie es vereinbart worden ist, Aufgabe von allen 196 Staaten dieser Erde . Unser Beitrag dazu kann nicht nur das Zahlenwerk sein, das wir liefern, sondern, ich glaube, auch das, was wir beispielsweise im Bereich des Technologietransfers liefern können, ist deutlich hervorzuheben . Es wurde heute schon mehrfach angesprochen: Der Mehrwert, der entsteht, ist nicht nur auf der ökologischen und der Klimaschutzseite zu suchen, sondern durchaus auch auf der ökonomischen Seite . Es ist ja nicht verwunderlich, dass wir sehen, dass erste Versicherungen und erste Pensionsfonds aus Finanzierungsprogrammen aussteigen, die sich ausschließlich mit fossilen Rohstoffen beschäftigen, und in Finanzierungsprogramme einsteigen, die sich mit nachhaltiger und erneuerbarer Energie befassen . Ich glaube, der Einstieg und auch die Mitnahme unserer Wirtschaft sind wichtig . Das ist vielleicht etwas anderes als das, was sich die Linke vorstellt . Wir müssen unsere Wirtschaft mitnehmen, die übrigens schon in Teilen auf einem besonderen Weg ist . Diesen Schwung, diese Dynamik mitzunehmen, das ist unser aller Anliegen . Das müssen wir unterstützen, und das unterstützen wir . Die Bundesregierung hat viele Programme gefahren, auch querschnittsorientiert und in vielen Häusern . Auch das ist nicht nur in einem Haus angesiedelt . Ich glaube, das ist der Weg, den wir als Parlament begleiten wollen und werden . Wir werden auch in vielen Ausschüssen darüber debattieren . ({2}) Noch ganz kurz - ich komme an das Ende meiner Redezeit -: Als Obergrenze der weiteren Erwärmung sind 1,5 Grad vereinbart . Draußen haben wir im Moment 17 Grad, 15 Grad, und das am 17 . Dezember . Ich glaube, all denjenigen, die heute noch über Verschwörungstheorien sprechen, wenn es um den Klimawandel geht, muss gesagt sein: Es gehört eigentlich verboten, über den Klimawandel noch so zu reden, als würde er nicht stattfinden. Er findet statt. Ich muss nur in meinen Garten schauen, um das zu sehen . Es ist der dritte Winter in Folge, in dem im Dezember die Apfelbäume ihre Knospen tragen . Ich glaube, das sagt alles . Ich wünsche uns eine hoffentlich nicht nur grüne Weihnachtszeit - vielleicht gibt es doch noch eine weiße Weihnacht, wie wir alle es uns wünschen - und ein gesegnetes Fest . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Als letzter Redner in dieser Debatte hat Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .

Matern Marschall von Bieberstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004349, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin, vielen herzlichen Dank! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss dieser Debatte habe ich natürlich jetzt auch die Gelegenheit, auf einige Punkte einzugehen, die mir nicht so gut gefallen . Verehrte Kollegin Leidig, Ihre geradezu apokalyptische Bewertung dieses Vertrages teile ich natürlich nicht, und zwar insbesondere deswegen nicht, weil schon in Artikel 2 „eradicate poverty“ als ein Grundsatz genannt ist, dem dieser ganze Vertrag dienen soll . Die Einbettung dieses Vertrages in die globale Nachhaltigkeitsstrategie, die erst wenige Wochen zuvor in New York von den Vereinten Nationen angenommen worden ist, zeigt doch das Wesen dieses Vertrages . Er steht nicht außerhalb und schaut etwa nur operativ auf Reduktionsziele, sondern bindet sich insgesamt in die globale Nachhaltigkeitsstrategie, die sogenannten Sustainable Developement Goals, ein . Da danke ich gerade dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sehr herzlich, weil es, zusammen mit Ministerin Hendricks, auch und gerade diesen Aspekt in die Verhandlungen eingebracht hat und weil im Aufwuchs der Mittel des BMZ auch nennenswerte Aufwuchsmittel für den Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel enthalten sind . Insofern ist dieses Konzept schlüssig und sozial, wirtschaftlich und ökologisch sehr gut ausbalanciert . ({0}) Ich denke, wir sollten außerdem - ganz wichtig - die Rolle der Europäischen Kommission in diesem Zusammenhang betrachten . Vielleicht waren nicht alle von uns von Anfang an überzeugt, dass Kommissar Cañete hier eine beherzte Verhandlung führen würde . Aber ich glaube, die Kolleginnen und Kollegen, die beim Briefing der Kommission dabei waren, haben den Kommissar dort als außerordentlich energisch und durchsetzungsstark erlebt . Das ist ja ganz beachtlich . Wir werden die diesbezügliche Arbeit der Kommission natürlich auch und gerade jetzt mit Blick auf die Zukunft sehr genau im Auge behalten . Auf dem Europäischen Rat, zu dem die Bundeskanzlerin heute gereist ist, wird morgen unter, ich glaube, Punkt 7 die Zukunft der Energieunion - wörtlich - mit einer „zukunftsorientierten Klimapolitik“ verknüpft . ({1}) Die Kommission soll bis März des kommenden Jahres Pläne vorlegen, wie dies miteinander verbunden werden kann . Ich bin ziemlich sicher, dass in diesem Zusammenhang die Wirtschaftspolitik eine maßgebliche Rolle spielen wird, das heißt eine Wirtschaftspolitik, die saubere Technologien befördert, die forschungsbasiert ist, die technologieoffen ist und die in Zukunft nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit anderer europäischer Länder wird stärken können . ({2}) Insofern ist auch das ein nicht unbeachtlicher Beitrag zur Nachhaltigkeit, auch bei uns . Ich möchte zum Schluss noch auf einen Punkt eingehen . Der BDI ist hier für Äußerungen im Zusammenhang mit dem Klimavertrag kritisiert worden . Wir waren auf Einladung des deutschen Botschafters im wunderbaren Palais Beauharnais in Paris; der Empfang dort ist ja zusammen mit dem BDI ausgerichtet worden . Ich habe mit einem Manager von Siemens gesprochen . Wenn Sie sich einmal die Geschäftsfelder und die Strategie von Siemens ansehen, stellen Sie fest: Das ist ein fast nur auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Portfolio, also eine im Wesentlichen auf die Zukunft der sauberen Technologien und eines CO2-armen und schließlich -freien Zeitalters, in das wir mit diesem Vertrag eintreten, ausgerichtete Strategie . Ich glaube, die Versöhnung zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und dem ethischen Ansatz, dem ja auch die SDGs folgen - ich erinnere an die diesbezüglich sehr lesenswerte Enzyklika „Laudato si…“ des Papstes -, ist sehr gut gelungen . Insofern gibt es keine Gräben zwischen der Wirtschaft und sozialen Aspekten, auch wenn sie von der linken Seite des Parlaments gelegentlich aufgerissen bzw . zumindest nicht zugeschüttet werden . Wenn ich an die Adventszeit denke, sehe ich, dass hier in der Tat nicht ein Türchen, sondern ein Tor in eine gute, CO2-freie Zukunft geöffnet wird . Danke sehr . ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet . Da wir über ein wirklich historisches Abkommen diskutiert haben, war die Präsidentin bei der Redezeit etwas großzügig . So großzügig werden wir bei den folgenden Debatten nicht mehr sein können . Ich sage das gleich von Anfang an . Aber ich denke, das wurde dem Thema gerecht .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast alle Plätze sind getauscht . Ich bitte die Klimaschützerinnen und -schützer, sich entweder hinzusetzen und zuzuhören oder ihre Gespräche woanders fortzusetzen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte Drucksache 18/5201 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte Drucksache 18/5563 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Drucksache 18/6915 Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auch Änderungen der Finanzgerichtsordnung . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Niemand widerspricht . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und gebe zuerst Christian Flisek für die SPD-Fraktion das Wort . ({1})

Christian Flisek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004274, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die über 40 000 Syndikusanwälte in Deutschland; denn heute regeln wir nicht nur erstmals das Berufsbild dieser Personengruppe, sondern heute stellen wir auch die Altersversorgung dieser Unternehmens- und Verbandsanwälte auf eine sichere und planbare Grundlage . Anlass für das heutige Gesetzgebungsverfahren waren Urteile des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 2014 . Diese Urteile waren ein gewaltiger Paukenschlag, wurde doch die über Jahre bewährte Befreiungspraxis der gesetzlichen Rentenversicherung von einem Tag auf den nächsten für unzulässig erklärt . Diese Große Koalition hat hieraufhin in einer intensiven, aber zügigen Debatte eine Lösung erarbeitet, die diese Unsicherheiten beseitigt . Meine Damen und Herren, ich möchte es hier auch in aller Deutlichkeit sagen: Es war der Bundesminister der Justiz, Heiko Maas, der mit seinem vor knapp einem Jahr vorgelegten Eckpunktepapier von Anfang an die Weichen richtig gestellt hat . Die von einigen Seiten geforderte große sozialrechtliche Lösung wäre weit über das Ziel hinausgeschossen, und sie hätte damit auch ein Fass ohne Boden aufgemacht . Ich traue mich auch, zu sagen: Wir würden hier heute einen solchen Gesetzentwurf mit Sicherheit nicht in zweiter und dritter Lesung beraten können, wären wir diesen Weg gegangen . Nein, es war gut, dass wir uns auf das beschränkt haben, was die Urteile unbedingt erforderten, nämlich eine Regelung im Berufsrecht der Rechtsanwälte selbst . Nur so konnte sichergestellt werden, dass dieses Gesetz auch zum nächstmöglichen Termin, nämlich am 1 . Januar 2016, in Kraft treten kann, vorausgesetzt, der Bundesrat stimmt ihm in seiner morgigen Sitzung unverändert zu . Als Berichterstatter der SPD möchte ich daher die Gelegenheit nutzen, mich beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz für die hervorragende Zusammenarbeit von Anfang an zu bedanken . Nur so konnten wir in kurzer Zeit zu einer Lösung kommen, die auf die Zustimmung der Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltvereins und der Deutschen Rentenversicherung trifft . Mein ausdrücklicher Dank gilt auch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales . Sie haben mit Ihrer konstruktiven Haltung einen großen Anteil daran, dass wir nun zu einer so guten Lösung gekommen sind, und ich möchte in meinen Dank ausdrücklich auch die Parlamentarischen Staatssekretäre der beiden Häuser, Herrn Staatssekretär Lange und Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller, einbeziehen . ({0}) Drei Dinge aus dem Gesetzentwurf möchte ich hervorheben: Erstens . Mit einer großzügigen Übergangsregelung von 36 Monaten haben wir den über 45-jährigen Syndikusanwälten eine Brücke gebaut, um sich gegebenenfalls rückwirkend von der Pflicht zur Versicherung in der Rentenversicherung befreien zu lassen . Das ist keine Selbstverständlichkeit; denn grundsätzlich ist das kein Problem des Bundesgesetzgebers, sondern diese Art der Altersdiskriminierung - man muss es so nennen - muss in den Statuten der Versorgungswerke angegangen werden . Gleichwohl haben wir darauf gedrängt, die über 45-Jährigen nicht ins kalte Wasser fallen zu lassen, und ich glaube, das ist auch sehr gut gelungen . Zweitens . Damit verbunden ist auch, dass wir vorausschauend eine Evaluierung drei Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eingefordert haben . Wir werden das Zusammenspiel der Kammern, der Versorgungswerke und der Rentenversicherung mit Augenmaß beobachten und hier nach Ablauf von drei Jahren notfalls weitere Schlüsse ziehen . Drittens. Auf das Erfordernis einer Berufshaftpflichtversicherung für die Tätigkeit der Syndikusanwälte wird verzichtet . Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass Syndikusanwälte in Unternehmen im Gegensatz zu sonstigen Anwälten in der Regel nur ihre Arbeitgeber beraten . Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss . Wir beschließen heute ein in jeder Hinsicht gelungenes Gesetz . Ein positiver Nebeneffekt dieser Debatte ist, dass durch die Reihen der Syndikusanwälte ein Ruck gegangen ist und sie jetzt endlich erkannt haben, dass sie sich in den Kammern der anwaltlichen Selbstverwaltung verstärkt engagieren müssen . Ich glaube, auch dieser Effekt ist zu begrüßen . Herzlichen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Christian Flisek . - Der nächste Redner: Harald Petzold für die Linke . ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum zweiten Mal in diesem Jahr diskutieren wir heute die Neuregelung des Rechts für Syndikusanwälte . Syndikusanwälte, meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen, sind Rechtsanwälte, die bei Unternehmen abhängig beschäftigt sind, ({0}) sich rechtlich also in einem ganz normalen Arbeitsverhältnis befinden. Viele von ihnen haben in der Vergangenheit in die sogenannten Rechtsanwaltsversorgungswerke eingezahlt, wenn sie Rentenansprüche erwerben wollten . Die Deutsche Rentenversicherung, also die gesetzliche Rentenversicherung, hat von ihnen dann verlangt, dass sie als ganz normale Arbeitnehmer in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen haben, so wie das wahrscheinlich die Mehrzahl von Ihnen tut . Das hat natürlich zu Streit geführt, und es gab Gerichtsverfahren . Das Bundessozialgericht hat geurteilt, dass ganz normale Arbeitnehmer in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen haben. Ich finde, das ist ein normaler Vorgang, und er findet auch die Unterstützung der Linken . ({1}) Die Rechtsanwaltsversorgungswerke waren damit natürlich nicht einverstanden, weil ihnen dadurch eine ganze Menge an Beitragszahlern verloren gegangen sind . Sie hätten erleben müssen, was dann an Lobbytätigkeit passiert ist! Auf fast jedem Fachkongress, bei dem es um Rechtsfragen ging, sind dort Vertreter dieser Versorgungswerke aufgetaucht und haben auf dort anwesende Bundestagsabgeordnete Einfluss genommen, unter anChristian Flisek derem auch auf anwesende Anwaltsvertreter, und haben gesagt: Das muss dringend geändert werden . Mit ihrem Anliegen sind sie bei der Großen Koalition auf offene Ohren gestoßen . Die Große Koalition hat also einen Gesetzentwurf vorgelegt, parallel dazu hat auch die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt . Dreimal dürfen Sie raten, was in diesen Gesetzentwürfen vorgeschlagen worden ist - der Kollege Flisek hat es uns gerade referiert -: Richtig, Bingo! Ab sofort - es gibt natürlich Übergangslösungen - wird wieder in die Rechtsanwaltsversorgungswerke eingezahlt . Der Vertreter der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion spricht vom kalten Wasser und meint damit offensichtlich die gesetzliche Rentenversicherung . - Wir können uns sicher sein: Damit werden der gesetzlichen Rentenversicherung eine ganze Reihe gutverdienender Beitragszahler entzogen . ({2}) Das nennt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion einen guten Tag . Ich kann nur sagen: Das ist ein schlechter Tag für die gesetzliche Rentenversicherung . Die Linke sagt: Wir lehnen diese Privilegierung einzelner Berufsgruppen ganz konsequent ab . Wir fordern eine solidarische Erwerbstätigenversicherung für alle, ({3}) auch für Selbstständige, für Anwälte, für Ärzte, für Bundestagsabgeordnete, für Politiker . Wir wollen, dass es eine starke solidarische Gemeinschaft gibt und die solidarische Beitragsgemeinschaft eine breite Basis hat .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Flisek?

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Jederzeit, natürlich .

Christian Flisek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004274, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Petzold . - Weil Sie hier immer von einer Privilegierung sprechen, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen bewusst, dass der historische Hintergrund dieser Versorgungswerke für die freien Berufe nicht der ist, dass man irgendwelche Privilegien schaffen wollte, sondern dass das eine Art Nothilfe der freien Berufe war? Man hat ihnen nämlich über Jahre verwehrt, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen . ({0})

Harald Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004374, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie haben das in Ihrer Frage schon richtig angelegt: Das ist ein Vorgang aus der Vergangenheit . Wir sagen: Wir haben eine neue Zeit, und wir haben eine Entwicklung, die es erfordert und auch möglich macht, dass wir eine gemeinsame Rentenversicherung für alle haben . Das ist unser Anspruch, und dabei bleiben wir . ({0}) Ich kann Ihnen wiederum nur sagen: Ich bin befremdet davon, dass das ausgerechnet von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und ihrem Berichterstatter zu diesem Gesetzentwurf als guter Tag für die Syndikusanwälte bezeichnet wird . Dem kann ich nicht folgen . ({1}) Der zweite Grund, warum wir gegen den Gesetzentwurf sind, ist, dass die geplante Vertretungsverbotsregelung, die früher eine konsequente Verbotsregelung war, dies in Zukunft nicht mehr wirklich sein wird . Jetzt werden sich die Besucherinnen und Besucher wahrscheinlich wieder fragen, was das ist . Es ist gesetzlich geregelt, dass ein Syndikusanwalt, also ein Anwalt, der in einem Unternehmen angestellt ist, nicht auch noch die Rechtsvertretung vor einem Gericht übernehmen darf . Nun wird die Koalition sicherlich sagen, dass sie das geregelt hat, weil sie in den Gesetzentwurf aufgenommen hat, dass nicht beides durch die gleiche Person wahrgenommen werden darf . Das wird auch möglicherweise so sein . Aber für viele sind die Arbeitsrechtsverhältnisse so geregelt, dass sie zum Beispiel 30 Stunden als Syndikusanwalt in einem Unternehmen beschäftigt sind und dort tagsüber einen Schriftsatz für das Unternehmen erstellen, und dann gehen sie in ihre eigene Anwaltskanzlei und setzen unter den Schriftsatz, der vor Gericht sozusagen die Grundlage für die Rechtsposition des Unternehmens bildet, den Stempel ihrer Anwaltskanzlei, und dann wird doch wieder alles von der gleichen Person gemacht . Insofern sagen wir: Das, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen haben, wird keine Vertretungsverbotsregelung mehr sein . Sie werden den Stempelanwalt wieder einführen . Deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf ab und sagen: Das Vertretungsverbot muss nach der bisherigen Regelung dringend fortgeführt werden . Ich komme zum Schluss . Wie gesagt, wir haben im Juni die erste Beratung des Gesetzentwurfs durchgeführt . Sie haben sehr viel Energie in die Umsetzung dieser gesetzlichen Regelungen gesteckt . Ich hätte mir zumindest von der SPD-Fraktion gewünscht, dass wenigstens der gleiche Eifer, die gleiche Energie und die gleiche Kraft angewendet würden, um beispielsweise das in der 17 . Wahlperiode verschärfte Prozesskostenhilfeund Rechtsberatungsrecht wieder zu entschärfen, damit normale Bürgerinnen und Bürger, um die es eigentlich auch gehen sollte - wenigstens auch -, zu ihrem Recht kommen, statt sie mit bürokratischen Hürden zu konfrontieren, die sie davon abhalten, ihr Recht wahrnehmen zu können . Damit würden wir tatsächlich eine Leistung vollbringen . In diesem Sinne werden wir den Gesetzentwurf ablehnen . Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . ({2}) Harald Petzold ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Petzold . - Nächste Rednerin: Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Petzold, Sie haben eben einiges in einen Topf geworfen, was wirklich nicht zusammengehört . Ich kenne kein Land - das muss ich ausdrücklich sagen -, in dem der Zugang zum Gericht und zum Recht für jeden Bürger so einfach gestaltet und so offen ist wie bei uns . Davon ist vor allem dann die Rede, wenn wir über andere Länder reden und Kollege Ströbele immer die Zustände in Deutschland lobt . Dass es da irgendeinen Nachholbedarf für Deutschland gäbe, können Sie wirklich nicht behaupten . ({0}) Das hat mit dem Gesetzentwurf gar nichts zu tun . ({1}) Wir verabschieden heute eine Regelung zur Altersversorgung von Syndikusanwälten und zu ihrer Stellung insgesamt . Das betrifft nicht nur die 40 000 Anwälte, die zum Beispiel in Unternehmen, Verbänden, kommunalen Organisationen oder Gesellschaften oder auch in Gewerkschaften tätig sind, sondern es geht darüber hinaus um den Wirtschaftsstandort Deutschland . Es geht darum, dass diese Syndizi eine ganz wesentliche Funktion für das Gelingen bzw . für ein gutes Wirtschaften und vor allem dafür haben, dass das Recht in die Unternehmen getragen wird . Sie sind ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Es ist gerade der Unterschied zu einem normalen Arbeitnehmer, Herr Petzold, dass sie nicht allein in der Hierarchie ihres Unternehmens ihren Platz haben, sondern dass sie darüber hinaus bei ihrer Rechtsanwaltskammer einen Eid geschworen haben, dass sie für die Durchsetzung des Rechtes sorgen . Sie sind also nicht nur einem Arbeitgeber zur Treue verpflichtet, sondern darüber hinaus auch selbstständig und in einem besonderen Maße unabhängig . Gerade das macht auch ihren Wert aus, gerade jetzt, in einer Zeit, in der wir immer höhere Anforderungen an die Unternehmen stellen, etwa was Selbstkontrolle, Good Governance oder Compliance betrifft . Wir verschärfen die Regeln betreffend Korruption, Vergaberecht und Datenschutz . All das muss nachvollzogen werden . Dafür braucht man dann den Sachverstand der Syndikusanwälte in den Unternehmen . Ein weiterer Vorteil der Syndizi ist, dass sie typischerweise in ihrem beruflichen Werdegang wechseln, von der Arbeit in einer Kanzlei zu einer Tätigkeit in der Wirtschaft; dass sie auch in der Wirtschaft wechselnde Positionen einnehmen und dann wieder rein anwaltliche Tätigkeiten ausüben . Das hat einen Mehrwert, der darin besteht, dass die Betreffenden besondere Erfahrungen haben . Sie kennen die Materie nicht nur aus einer Richtung, sondern wissen auch um die Zusammenhänge . Das ist ein besonderer Vorteil gerade dieses Berufsstands . Wesentlich für den Berufsverlauf eines Syndikusanwaltes ist ebenfalls, dass es zu einer bruchlosen Altersversorgung kommen kann . Die Syndizi sind genauso wie andere Arbeitnehmer darauf angewiesen, in ihrer aktiven Berufsphase die Grundlage für eine gute Altersversorgung zu legen . In der Vergangenheit wurde dies dadurch gewährleistet, dass die Syndizi, die in ihren Versorgungswerken versichert sind, dann, wenn sie in eine abhängige Beschäftigung wechselten, von der Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen befreit wurden, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllten . Rechtsberatung, Rechtsgestaltung, Rechtsentscheidung und Rechtsvermittlung waren die sogenannten vier Kriterien, die die Tätigkeit kennzeichneten . Wenn diese erfüllt wurden, konnten die Rechtsanwälte weiterhin in ihrem Versorgungswerk versichert sein und so ihre Altersversorgung ohne Bruch fortsetzen, eine bewährte und anerkannte Praxis . Deshalb war es in der Tat sehr überraschend und traf diesen Berufsstand geradezu ins Mark, als das Bundessozialgericht das anders entschieden hat . Das hatte erhebliche Nachteile für die Betroffenen . Für diese war der zwangsweise Wechsel in die Rentenversicherung verbunden mit einem Wegfall der Berufsunfähigkeitsversicherung und neuen Wartefristen . Es ist nicht so einfach, mitten in der beruflichen Karriere und im besten Alter neu anzufangen und Altersversorgungsansprüche aufzubauen . Das ist ein Nachteil . Ich wundere mich, dass Sie das hätten in Kauf nehmen wollen . ({2}) - Bestandsschutz gibt es nur dann, wenn man nicht wechselt, wenn man in seiner Funktion bleibt . Wechselt man aber - das ist typisch für das Berufsbild -, dann muss neu entschieden werden . Wir erleben zurzeit, dass es niemand mehr wagt, zu wechseln . Viele Stellen bleiben unbesetzt . Optionen werden nicht genutzt . Genau das, was positiv ist, kommt zum Stillstand . Ich bin vor diesem Hintergrund sehr froh, dass wir nun die zur Abstimmung stehende Regelung in Kraft setzen . Sie schafft Rechtssicherheit für 40 000 Syndikusanwälte, die Versorgungswerke und insbesondere für diejenigen, die schon Ansprüche erworben haben . Man darf nicht vergessen, dass die bestehenden Ansprüche durch das gedeckt werden müssen, was andere einzahlen . Zugleich wird die Stellung des Syndikus im Unternehmen gestärkt . Es wird klargestellt, dass er auch in seiner Tätigkeit als Syndikus Rechtsanwalt ist und nicht nur dann, wenn er nach Feierabend sonstige rechtsanwaltliche Tätigkeiten ausübt . Auch die Arbeit in einem Unternehmen entspricht der eines Rechtsanwalts . Uns, der Union, waren einige Punkte besonders wichtig . ({3}) Das hat zu erheblichen Abweichungen vom Regierungsentwurf geführt, ({4}) mit dem wir nicht in allen Punkten einverstanden waren . Insofern muss ich das Lob, das Kollege Flisek ausgesprochen hat, ein bisschen relativieren . Aber das, was wir heute verabschieden, ist jedenfalls gut . Damit können wir zufrieden sein . Uns ist wichtig, dass die Rechtsanwaltskammern entscheiden, ob die Voraussetzungen einer anwaltlichen Tätigkeit vorhanden sind, und nicht die Rentenversicherung, die dazu weniger berufen ist . Die Rentenversicherung kann aber im internen Verfahren ihre Bedenken geltend machen . Dass die Rechtsanwaltskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts hier allzu großzügig sind, möchte ich nach den Erfahrungen in diesem Gesetzgebungsverfahren ausschließen . Hier brauchen wir uns keine Sorgen zu machen . Das wird objektiv und nach Recht und Gesetz entschieden werden . Für uns ist des Weiteren wichtig, dass es keine Änderungen im Vergleich zum Status quo ante bei Haftung und Pflichtversicherung der Syndizi geben wird. Genau diesen Punkt haben wir gegenüber dem Regierungsentwurf geändert . Wir haben lange überlegt, wo hier ungedeckte Haftungsrisiken sind: Wir haben keine gefunden . Wir gehen davon aus, dass die bewährte Praxis fortgesetzt werden kann . Wer fordert, dass hier Haftung und Versicherung zusätzlich angeordnet werden müssen, der übersieht einige Dinge: Es geht ja nur darum, dass der eigene Arbeitgeber vertreten werden muss . Anders als bei den Gebühren eines unabhängigen Rechtsanwalts sind hier die Kosten einer Versicherung gar nicht eingepreist . Wir hätten hier also zwei Möglichkeiten: Entweder wir machen mit einer zusätzlichen Belastung für Versicherungen den Berufsstand wieder unattraktiv - dann hätten wir uns das Ganze ja auch sparen können -, oder aber der Arbeitgeber müsste diesen Zusatzaufwand selber bezahlen, das heißt, er müsste die Versicherung seiner Schäden eins zu eins selber bezahlen . Auch das macht keinen Sinn . ({5}) Daher ist es doch konsequent, es gleich bei seiner eigenen Versicherung zu belassen . ({6}) Einige hatten das Bedenken, dass hier die Syndikusanwälte gegenüber den niedergelassenen Anwälten im Wettbewerb bevorzugt werden . Ich glaube, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Gerade dann, wenn der Arbeitgeber in einem riskanten Verfahren eine zusätzliche Sicherheit haben will, wird das ein Wettbewerbsvorteil für den unabhängigen niedergelassenen Rechtsanwalt sein, der neben einer zweiten Meinung eben auch die unabhängige zusätzliche Versicherung einbringt . Wir haben deshalb den Gesetzentwurf der Bundesregierung entsprechend geändert . Ein weiteres wichtiges Thema war die Frage, wie wir mit dem Erfordernis des § 6 SGB VI umgehen, der das Vorliegen einer Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk voraussetzt . Das war ein bisschen kompliziert; denn diese Pflichtmitgliedschaft endet in vielen Ländern bei der Altersgrenze von 45 Jahren; die Versorgungswerke sind nach Ländern organisiert . Hier haben wir den Ball jetzt an die Versorgungswerke der Länder zurückgespielt . Ihnen obliegt jetzt die Aufgabe, diese Grenze abzubauen . Wir halten diese Grenze in diesem Zusammenhang für eine Altersdiskriminierung, die auch europarechtswidrig ist . Auch das haben wir in die Begründung ausdrücklich hineingeschrieben . Die Versorgungswerke und die Landesgesetzgeber haben jetzt drei Jahre Zeit, um das zu korrigieren .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Sie haben keine Zeit mehr .

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe keine Zeit mehr . - Ich habe aber noch die Zeit, mir zu wünschen, dass wir uns diesen Ansatz zum Vorbild für die anderen freien Berufe nehmen, ({0}) bei denen sich die gleichen Probleme abzeichnen . Für sie sollten im Berufsrecht der jeweiligen Branchen gute Lösungen gefunden werden . Ich denke, unsere Lösung bietet sich hier als gutes Beispiel an . Herzlichen Dank . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker . Nächste Rednerin in der Debatte: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen . ({0})

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Gesetzgebungsverfahren ist wieder einmal symptomatisch für diese Große Koalition: ({0}) Im Sommer sind sich alle einig . Das Justizministerium sagt: Daran wird nichts mehr geändert . Dann passiert lange gar nichts mehr, und am Ende wurde irgendein Deal gemacht, weswegen ich meine Rede - ich hatte sie schon vorbereitet - neu schreiben musste . ({1}) - Sie hätten die Zustimmung haben können; aber Sie haben die Chance verpasst . ({2}) Worum geht es? Wir wollten den Unternehmensjuristen trotz des Urteils des Bundessozialgerichts den Weg in die Versorgungswerke erhalten, soweit sie in ihrem Unternehmen wirklich anwaltlich tätig sind . Bislang galt nach der sogenannten Doppelberufstheorie - wir haben es eben schon gehört -: Syndikusanwälte sind tagsüber Angestellte und nur am Feierabend Anwälte, wenn sie dafür bei der Kammer zugelassen sind . Deswegen hat das Bundessozialgericht im April letzten Jahres entschieden, dass für alle Syndikusanwälte künftig Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden müssen, auch für diejenigen, die lange Jahre in ihrem Versorgungswerk versichert waren . ({3}) Dieser abrupte Rausschmiss war dann selbst aus grüner Sicht kein angemessener Einstieg in das, was wir uns unter einer Bürgerversicherung vorstellen . ({4}) Die Lösung war aber keineswegs trivial: Die Befreiung sämtlicher verkammerten Anwälte im Sozialgesetzbuch hätte keine Mehrheit bei den Sozialpolitikern gefunden, und der Weg über das Berufsrecht war von Anfang an nie völlig konsistent . Künftig soll es also so laufen, dass sich die Kammern den Arbeitsvertrag bei der Zulassung vorlegen lassen und prüfen, ob die Tätigkeit als Syndikus eine anwaltliche ist oder nicht . Wo das nicht der Fall ist, gibt es auch künftig keine Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht. Klar ist auch: Nicht jede Sachbearbeitung in einem Versicherungsunternehmen ist gleich eine anwaltliche Tätigkeit . Entscheidend ist vielmehr, ob jemand rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig ist . Unschön bleibt dabei jetzt allerdings, dass es künftig zwei getrennte Zulassungen geben soll . Entweder man ist als Syndikusanwältin oder als freiberufliche Anwältin zugelassen . Wer beides machen möchte, braucht zwei gesonderte Zulassungen . Das hätte ich mir anders gewünscht . ({5}) Dann ist da noch die Sache mit dem Vertretungsverbot . Die Syndikusanwältin darf ihren Arbeitgeber nicht im Anwaltsprozess vertreten, damit der Prozessgegner nicht benachteiligt wird, der sich nämlich erst eine Anwältin auf dem freien Markt suchen und diese beauftragen muss . Wenn sie aber eine zweite Zulassung als freiberufliche Anwältin hat, dann kann sie ihren Arbeitgeber nach Feierabend und an freien Tagen vertreten . Ein einheitliches und ausdrückliches Vertretungsverbot hätte für mehr Klarheit gesorgt . ({6}) Trotz dieser Bedenken hätten wir Ihrem Gesetzentwurf vom Sommer noch unsere Zustimmung erteilt, damit endlich Frieden und Rechtssicherheit hinsichtlich der Altersversorgung einkehren können . Aber dann kommen Sie nach vier Monaten, kurz vor der letzten Ausschusssitzung, mit einem 27-seitigen Änderungsantrag um die Ecke und regen sich auch noch auf, dass wir, die Opposition, nicht sofort Fristverzicht erklären und das Gesetz verabschieden . Wenn Sie uns schon nicht in Ihre Verhandlungen einbeziehen, dann müssen Sie damit leben, dass wir Ihre Gesetzentwürfe wenigstens einmal lesen, bevor wir darüber abstimmen . Was finden wir in den Änderungen? Einen Verzicht auf die Berufshaftpflichtversicherung. Da muss man sich schon die Augen reiben . Auf Wunsch der Syndikusanwälte soll deren Tätigkeit im Unternehmen künftig als anwaltliche Tätigkeit eingestuft werden, damit der Weg in die Versorgungswerke offen bleibt . Aber das Kernelement anwaltlicher Tätigkeit, nämlich das anwaltliche Haftungsrisiko, das will man dann jetzt doch lieber nicht haben . Da wird plötzlich argumentiert, es sollten doch die Privilegien der Arbeitnehmerhaftung gelten . Schließlich sei man doch Arbeitnehmer, und bisher habe man doch auch keine Versicherungspflicht getragen. - Ja, genau . Bislang war auch die Tätigkeit der Syndikusanwälte gerade keine anwaltliche Tätigkeit, und genau das soll geändert werden . Alle Kolleginnen und Kollegen, die sich draußen auf dem rauen Rechtsberatungsmarkt behaupten, wissen, was diese Kehrseite der Unabhängigkeit der anwaltlichen Beratung bedeutet . Für jede Auskunft, die sie geben, und für jeden Satz, den sie unterschreiben, stehen und haften sie mit ihrem persönlichen Vermögen und mit ihrer beruflichen Existenz. Das gilt im Übrigen auch für angestellte Rechtsanwältinnen in Anwaltskanzleien . Das ist das Qualitätsmerkmal und gleichzeitig auch die unabdingbare Kehrseite der Unabhängigkeit der Anwaltschaft . Das soll jetzt für Syndikusanwälte unzumutbar sein? Diese Einstellung kann man nur noch als Rosinenpicken bezeichnen . ({7}) Dass die Haftungssummen angeblich so viel höher lägen, ist auch schlichter Humbug . Ob ein Konzern bei einem Milliardendeal von einer unabhängigen Kanzlei oder von seinem eigenen Syndikusanwalt beraten wird, ändert überhaupt nichts an der Haftungssumme . Die Beiträge müssen eben aus der Vergütung heraus getragen werden . Das gilt für den Mandanten als Auftraggeber genauso wie für den Arbeitgeber . Für mich sind das alles keine überzeugenden Argumente . Wer kein Haftungsrisiko tragen will, braucht sich auch nicht als Anwältin zuzulassen . Es wird doch niemand dazu gezwungen . ({8}) Wer aber unabhängiges Organ der Rechtspflege sein will, muss auch mit den Konsequenzen leben können . Ihren Gesetzentwurf lehnen wir deshalb ab . Vielen Dank . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Katja Keul . - Nächster Redner in der Debatte: der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange für die Bundesregierung . ({0})

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der für die Anwaltschaft insgesamt und für viele Anwältinnen und Anwälte von großer Bedeutung ist . Syndikusanwälte kennen wir seit langem . Ihr rechtlicher Status - wir haben es hier in der Debatte gemerkt - wurde seit jeher kontrovers diskutiert . Nach geltendem Recht haben Syndizi im Unternehmen nicht die Stellung eines Rechtsanwalts . Das soll sich nun ändern . Die sogenannte Doppelberufstheorie geben wir mit dem neuen Recht auf . Künftig haben Syndikusanwälte auch im Unternehmen die Stellung eines Rechtsanwalts und anwaltliche Rechte und Pflichten. Das ist ein großer Schritt für das Berufsrecht . Doch das Verhältnis zwischen dem Syndikus und seinem Dienstherrn, bei dem er angestellt ist, von dem er bezahlt wird und den er rechtlich berät, unterscheidet sich tatsächlich, wenn überhaupt, nicht so wesentlich von dem klassischen Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant, dass eine grundsätzlich unterschiedliche berufsrechtliche Ausgestaltung erforderlich oder angezeigt wäre . Syndikustätigkeit soll deshalb künftig Anwaltstätigkeit sein . Die erforderliche Unabhängigkeit, die auch hier schon erwähnt wurde und an deren ungeschmälerter Bedeutung kein Zweifel entstehen darf, sichert das neue Recht ausdrücklich . Die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung des Syndikusrechtsanwalts muss vertraglich und tatsächlich gewährleistet werden . ({0}) Meine Damen und Herren, die Neuordnung des Rechts der Syndizi hat unmittelbare Bedeutung für die Altersversorgung besagter 40 000 Berufsangehöriger . Denn mit dem Gesetzgebungsvorhaben lösen wir das Problem, das in der Anwaltschaft - der Kollege Flisek hat zu Recht darauf hingewiesen - für große Unruhe gesorgt hat . Mit den besagten Urteilen hat das Bundessozialgericht im April vergangenen Jahres entschieden, dass Syndikusanwälte nicht mehr von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden können . Dies hat zu den schon genannten Brüchen in den Versorgungsbiografien geführt. Deshalb wurde fraktionsübergreifend Handlungsbedarf erkannt . Mein Haus, das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, hat deshalb sehr zügig einen Gesetzentwurf auf der Basis der sogenannten kleinen berufsrechtlichen Lösung erarbeitet . Der beim nichtanwaltlichen Arbeitgeber angestellte Syndikus wird, wenn er anwaltlich und nicht etwa als bloßer juristischer Sachbearbeiter im Unternehmen tätig ist und dabei - ich habe darauf schon hingewiesen - seine Unabhängigkeit gewährleistet ist, statusrechtlich als Rechtsanwalt anerkannt . Der Syndikusanwalt erhält also grundsätzlich die anwaltlichen Rechte und Pflichten. ({1}) Die Neuregelung ermöglicht, dass Syndikusanwälte wie bisher, unter bestimmten Voraussetzungen auch rückwirkend, von der Rentenversicherungspflicht befreit und in den anwaltlichen Versorgungswerken verbleiben dürfen . Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist in den Fachkreisen und auch bei der Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz grundsätzlich begrüßt worden . Auf zwei Änderungen möchte ich hier freilich doch eingehen . Die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Pflichthaftpflichtversicherung für Syndikusanwälte soll, wie es von einigen Sachverständigen gefordert worden ist, entfallen . Das kann ich angesichts des Umstands, dass die Rechtsberatungsbefugnis des Syndikusanwalts im Regelfall auf die Beratung seines Arbeitgebers beschränkt ist, als eine vertretbare Lösung mittragen, zumal der Gesetzentwurf nicht die Haftung als solche regelt und im Verhältnis zum Arbeitgeber die Anwendbarkeit der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung unberührt bleibt . ({2}) Im Gesetz wurde zudem ein Anreiz geschaffen, die noch bestehende Altersgrenze von 45 Jahren in den Versorgungswerken abzuschaffen . Das Argument der Europarechtswidrigkeit ist schon erwähnt worden . Wir stellen jetzt sicher, dass es nicht mehr aufgegriffen werden kann . Meine Damen und Herren, am Schluss noch drei Worte des Dankes . Mein erster Dank gilt den Koalitionsfraktionen, die sich auf die kleine berufsrechtliche Lösung eingelassen haben . Ich weiß, dass das den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU besonders schwer gefallen ist . Mein zweiter Dank gilt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, insbesondere Ihnen, Frau Kollegin Lösekrug-Möller . Ohne unser gemeinsames Vorgehen hätten wir diese Lösung heute sicher nicht . Mein dritter Dank gilt schließlich dem Bundesrat, der sicherstellt, dass am 1 . Januar 2016 dieses Gesetz in Kraft tritt . Herzlichen Dank . ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Mein Dank gilt Christian Lange . - Der nächste Redner ist Dr . Jan-Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Jan Marco Luczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004100, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Petzold, dass Sie an dieser Stelle von einem schlechten Tag sprechen, die Sozialkeule hervorholen und fordern: Nein, wir müssen wieder alles gleichmachen und brauchen am besten eine Einheitsversicherung - das wundert mich nicht . Sie verkennen dabei vollkommen, dass die berufsständische Altersversorgung gerade kein Privileg war, sondern dass sie sich aus der Historie entwickelt hat, mit allen Chancen, aber eben auch mit allen Risiken . Sie werden dem überhaupt nicht gerecht, indem Sie alles gleichmachen wollen . Ich kann hier nur feststellen: Es ist gut, dass die Union hier regiert ({0}) und nicht Sie hier auf der Regierungsbank sitzen . Heute wäre dann nämlich ein schlechter Tag für Deutschland gewesen . ({1}) Wir haben jetzt den Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, das in der Tat für die 40 000 Syndikusanwälte in unserem Land gut ist . Es ist aber nicht nur für die Syndikusanwälte gut, sondern es ist für die gesamte Anwaltschaft gut . Es ist auch für die Unternehmen in unserem Land gut und damit auch für den gesamten Rechtsstandort Deutschland . Warum ist das gut? Es kommt ganz entscheidend darauf an, dass wir eine hohe Qualität der Inhouse-Rechtsberatung in den Unternehmen gewährleisten . In den Rechtsabteilungen sollen gute Leute arbeiten, die qualifizierten Rechtsrat erteilen können. Das ist in diesen Zeiten unglaublich schwer und kompliziert . Das liegt an den Anforderungen an Compliance und Corporate Governance, die der Gesetzgeber den Unternehmen auferlegt - wir haben das vorhin schon gehört -; hinzu kommen neue Korruptionstatbestände . Deswegen brauchen die Unternehmen gute Leute . Gute Leute bekommen die Unternehmen in aller Regel von den Anwaltskanzleien . Die Anwälte erwerben dort über viele Jahre anwaltliche Expertise und sagen irgendwann: Jetzt möchte ich ganz gerne in die Rechtsabteilung eines Unternehmens . Wenn Sie diesen Anwälten nun sagen müssen: „Das kannst du zwar machen, aber dann verlierst du deine Ansprüche bzw . kannst dich nicht weiter im Versorgungswerk versichern“, ({2}) dann wird es natürlich unattraktiv, diesen Weg einzuschlagen . Dadurch kommt der personelle Austausch zwischen Kanzlei und Unternehmen zum Erliegen . ({3}) Damit gibt es eben auch keinen fachlichen Austausch der Expertise mehr, die in einer Kanzlei bzw . in einem Unternehmen erworben worden ist . Das wäre nicht nur für die Individuen, sondern auch für die Unternehmen und damit für den Rechtsstandort Deutschland schlecht gewesen . Deswegen korrigieren wir diese Urteile des Bundessozialgerichts . Das ist gut so . ({4}) Wir als Union haben von Anfang an gesagt, dass wir diese Urteile dringend korrigieren müssen, weil es eben Handlungsbedarf gibt . ({5}) Ich bin sehr froh, dass wir das heute tatsächlich machen können . Das war gar nicht selbstverständlich . Es sah nämlich am Anfang gar nicht so aus, dass wir das in dieser Weise korrigieren könnten . Es waren, wie hier zum Teil schon angesprochen wurde, sehr lange und sehr zähe Verhandlungen, die wir geführt haben . Ich bin daher sehr froh, dass wir den gordischen Knoten am Ende zerschlagen konnten . Der gordische Knoten bestand nicht allein darin, dass es hier komplexe berufsrechtliche und sozialrechtliche Fragestellungen gab . Es war durchaus auch so, dass am Anfang nicht von allen Seiten Handlungsbedarf gesehen wurde . Auch die Verbände waren sich zum Teil uneins, in welche Richtung man hier gehen sollte . Es gab auch - so will ich einmal sagen - gewisse unterschiedliche Nuancierungen innerhalb der Bundesregierung zwischen dem Bundesministerium der Justiz und dem BMAS hinsichtlich der Frage, in welche Richtung man da gehen sollte . So gab es anfänglich einen Referentenentwurf, mit dem man das Ziel, nämlich den Status quo vor den Urteilen des Bundessozialgerichts wiederherzustellen, nicht erreicht hätte . Ich bin sehr froh - da darf ich mich dem Dank an die Kollegen der SPD-Fraktion und an die Ministerien anschließen -, dass im parlamentarischen Verfahren die wesentlichen Forderungen, die wir von der Union erhoben haben, umgesetzt werden konnten . Unter dem Strich haben wir jetzt ein Gesetz, mit dem tatsächlich das Ziel erreicht wird, den Status quo ante wiederherzustellen . Es ist gut, dass wir das hingekriegt haben . Für uns war in der Tat ganz entscheidend, dass die Entscheidung über die Zulassung als Syndikusanwalt bei den Kammern und nicht bei der Deutschen Rentenversicherung liegt; denn die Kammern sind natürlich diejenigen, die das anwaltliche Berufsbild kennen und die die Änderungen beim Berufsbild nachverfolgen . Deswegen war es für uns ganz wichtig, dass die Entscheidungshoheit bei den Kammern liegt und nicht hinterher infrage gestellt werden kann . Wir haben im parlamentarischen Verfahren auch dafür gesorgt - das ist ein ganz wichtiger Punkt -, dass es bei den Zulassungskriterien keinen bundesweiten Flickenteppich gibt, dass also nicht die eine Kammer so und die andere Kammer so entscheidet, dass man in Stuttgart als Syndikusanwalt vielleicht zugelassen werden kann, aber in Berlin nicht . Wir haben daher klargestellt, dass die Vier-Kriterien-Theorie, die in der Vergangenheit zwischen allen Beteiligten entwickelt worden ist, im Übrigen unter Einschluss der Deutschen Rentenversicherung, fortbesteht . Es gibt also keine inhaltlichen Änderungen, sondern sie wird eins zu eins mit diesem Gesetz umgesetzt . Das haben wir auch noch einmal sprachlich klargestellt . Es gab da ja einige Irritationen bei dem Kriterium Vertretungsbefugnis nach außen . Das haben einzelne Kammern schon so ausgelegt, dass es hier einer Handlungsvollmacht, einer Prokura, bedürfe . Das ist ausdrücklich nicht der Fall . Das haben wir klargestellt, indem wir gesagt haben: Es reicht die Befugnis, nach außen verantwortlich auftreten zu dürfen, um als Syndikusanwalt zugelassen zu werden . Für uns war immer ganz entscheidend, dass die Attraktivität des Berufsbildes Syndikusanwalt wegen des Erfordernisses des Wechsels von Kanzleien in entsprechende Abteilungen der Unternehmen erhalten bleibt . Daher war auch das Erfordernis der Berufshaftpflichtversicherung so ein entscheidendes Momentum . Was wäre denn passiert? Wenn ein Syndikusanwalt sich pflichtversichern müsste, dann würde sich die Prämie, die er zahlen müsste, an dem Risiko bemessen, das mit seiner Tätigkeit verbunden ist . ({6}) Man muss sich einmal anschauen, was die Rechtsabteilungen von Unternehmen machen . Wenn es um große Transaktionen geht, reden wir häufig von Millionen- und zum Teil von Milliardenbeträgen . Man kann sich also ganz schnell ausrechnen, dass die Versicherungsprämie so hoch gewesen wäre, dass es unter keinen Umständen wirtschaftlich mehr tragbar gewesen wäre . ({7}) Wir haben deswegen gesagt: Das wollen wir nicht; denn sonst wäre sozusagen hintenherum die Attraktivität eingeschränkt worden, und es hätte sich tatsächlich niemand mehr um eine Zulassung bemüht . Es war gut, dass wir die Streichung dieses Erfordernisses im parlamentarischen Verfahren erreicht haben . Dies ist auch deswegen in Ordnung, weil es ansonsten eine Schlechterstellung der Syndikusanwälte gegenüber den angestellten Anwälten in den Kanzleien gegeben hätte . Diese haben nämlich auch keine Berufshaftpflichtversicherung im Innenverhältnis zu ihrem Arbeitgeber . Nach außen zu Dritten ist es etwas anderes . Aber im Innenverhältnis zu ihrem Arbeitgeber sind sie eben Arbeitnehmer . Auch da gelten die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung - glasklar an dieser Stelle -, und deswegen brauchen sie auch keine Berufshaftpflichtversicherung. Es ist gut, dass wir als Union das im parlamentarischen Verfahren haben durchsetzen können . ({8}) Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, das ist die Frage der Unabhängigkeit . Es ist ja hier schon gesagt worden: Natürlich sind Syndikusanwälte Organe der Rechtspflege, und deswegen müssen sie unabhängig sein. ({9}) Wir haben aber jetzt noch einmal gesagt, dass diese Unabhängigkeit selbstverständlich auch keinen strengeren Anforderungen unterliegt als beispielweise die der niedergelassenen Anwälte gegenüber ihren Mandanten . Deswegen ist es so, dass eine Weisung, die etwa ein Arbeitgeber seinem Syndikusanwalt erteilt, natürlich nicht dessen fachliche Unabhängigkeit infrage stellt . Natürlich ist an der Stelle auch klar: Der berufsrechtliche Rahmen muss eingehalten werden . Ein Arbeitgeber kann also nicht berufsrechtswidrige Weisungen erteilen, aber normale Weisungen, ({10}) wie man ein Mandat zu führen hat, wie man beispielsweise einen Vergleich abschließt . Das ist in einem normalen Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant völlig üblich, ganz normal . Das stellt auch nicht die Unabhängigkeit infrage, und nichts anderes wollen wir jetzt auch bei den Syndikusanwälten . ({11}) Klar ist: Es dürfen natürlich auch keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen daraus folgen . Es ist ganz wichtig, dass wir das tatsächlich so umgesetzt haben . Zur 45-Jahre-Regelung kann ich jetzt aus Zeitgründen nicht mehr viel sagen . Die ist europarechtswidrig . Wir haben die Landesgesetzgeber jetzt noch einmal klar aufgefordert, diese abzuschaffen . Das ist gut so . ({12}) Ich kann mich nur anschließen: Wir wollen hoffen, dass das Gesetz zum 1 . Januar 2016 in Kraft treten kann . Das liegt am Bundesrat, aber ein Stück weit auch am Bundespräsidenten . Ich hoffe, er hat ein paar erholsame Feiertage und geht dann mit Kraft in die letzten Tage vor Silvester und kann dann noch unterschreiben . Wir nehmen dieses Gesetz zum Anlass, auch die anderen freien Berufe noch einmal in den Blick zu nehmen . Wir haben jetzt ein Gesetz, das den Syndikusanwälten hilft . Aber auch die anderen freien Berufe - die Ärzte, die Apotheker, die Architekten - haben Probleme mit ihrer Befreiung . Das vorliegende Gesetz, denke ich, nehmen wir jetzt als Grundlage, um hier ein neues gesetzgeberisches Ziel in Angriff zu nehmen, damit wir auch an dieser Stelle eine vernünftige sozialrechtliche Lösung bekommen und die anderen freien Berufe nicht im Regen stehen lassen . Vielen Dank . ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Durchatmen! Danke schön, lieber Kollege . - Der letzte Redner in der sehr lebendigen Debatte: Dr . Johannes Fechner für die SPD . ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! 40 000 Syndikusanwältinnen und -anwälte standen nach den Urteilen des Bundessozialgerichtes in der Tat vor der Frage, wie es mit ihrer Altersversorgung weitergeht . Deshalb haben auch wir uns als SPD dafür eingesetzt, diesen betroffenen Anwälten Rechtssicherheit für ihre bewährte Altersvorsorge in den Versorgungswerken zu geben, und haben zugleich die Urteile zum Anlass genommen, den Status der Syndikusanwälte grundlegend zu regeln . Für diese - zugegeben - Sonderbehandlung der Juristen im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern gibt es aus unserer Sicht Gründe . ({0}) Die Syndikusanwälte hatten auf ihre Altersvorsorge bei den Versorgungswerken vertraut und sich darauf eingestellt . Die Versorgungswerke haben auf diese Versichertengruppe gesetzt, die ihnen ja Einnahmen sichert . Und schließlich gibt es viele sinnvolle Berufswechsel bei Juristen aus Anwaltskanzleien in Unternehmen und Verbände, und diese Wechsel hätten wir behindert, wenn wir es so geregelt hätten, dass damit immer ein Wechsel des Altersvorsorgesystems verbunden gewesen wäre . Aus diesen Gründen wollen wir für die Syndikusanwälte Rechtssicherheit schaffen, und genau das tun wir mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen . ({1}) Und wir regeln den Status des Syndikusanwaltes gesetzlich, zum Beispiel, dass ein Syndikusanwalt in bestimmten Verfahren seinen Arbeitgeber nicht vertreten darf, etwa in Verfahren vor dem Landgericht . Das ist ein Gebot der Fairness, um ein Ungleichgewicht zwischen den Prozessparteien zu verhindern . Denn große Unternehmen, die eine Rechtsabteilung haben und sich dort durch ihren eigenen Syndikusanwalt vertreten lassen können, haben ein geringeres Prozessrisiko und damit ein geringeres Kostenrisiko als eine Einzelperson oder kleinere Unternehmen, die einen externen Rechtsanwalt bezahlen müssen . Eine verpflichtende Berufshaftpflichtversicherung haben wir in der Tat intensiv diskutiert, aber letztlich davon abgesehen, obwohl es sicherlich Gründe dafür gegeben hätte im Sinne des Grundsatzes „Gleichheit für alle“ . Aber wir haben in vielen Gesprächen den Eindruck gewonnen, dass es gar nicht so viele Konstellationen gibt, in denen für einen Syndikusanwalt eine Haftungsgefahr besteht, und insbesondere weil die Verbände und die Betroffenen selber diese Haftpflichtversicherung gar nicht wollten, haben wir gesagt: Wir können hierauf verzichten . - Dass die Union uns in einem für uns sehr wichtigen Punkt bei dem Gesetzgebungsvorhaben entgegengekommen ist, war dann auch ein wichtiger Grund für uns, hier diesen Verzicht zu erklären . Und schließlich - das war uns als Sozialdemokraten ganz wichtig -: Die Syndikusanwälte bekommen keine strafprozessualen Privilegien, haben also kein Zeugnisverweigerungsrecht im Hinblick auf das, was ihnen im Unternehmen anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist . Beschlagnahmen und Telefonüberwachungen sind möglich . Das ist auch gut so; denn alle Beschäftigten in einem Unternehmen sind bei strafrechtlichen Ermittlungen als Zeugen zu Aussagen verpflichtet. Das muss auch für die Mitarbeiter in den Rechtsabteilungen dieser Unternehmen gelten . Wir wollen, dass Wirtschaftskriminalität effektiv verfolgt werden kann . Deshalb müssen Staatsanwaltschaften auch in Rechtsabteilungen in Unternehmen ermitteln können, meine sehr geehrten Damen und Herren . Kurzum: Mit diesem Gesetz schaffen wir Rechtssicherheit für die Syndikusanwälte, die nun gesichert in den Versorgungswerken bleiben können, und wir schaffen klare gesetzliche Regelungen für deren Status und deren Befugnisse . Deshalb ist es ein gutes Gesetz, dem wir heute hier im Bundestag zustimmen sollten und dem morgen auch der Bundesrat zustimmen sollte, damit dieses Gesetz zum 1 . Januar 2016 in Kraft treten kann . Vielen Dank . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Fechner . - Ich schließe die Aus- sprache . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung des Rechts der Syndi- kusanwälte . Es liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung zu der Abstimmung über den Gesetz- entwurf vor .1) Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6915, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5201 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte . Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6915, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5563 für erledigt zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Stimmt irgendjemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Niemand . Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen . Ich hoffe, Herr Luczak, Sie bleiben bei der weiteren Debatte hier, und so lebendig, wie Sie eben waren, müssten Sie eigentlich klatschen . Aber gut . ({0}) Es ist interessant, wie viel ein Berliner in acht Minuten sagen kann . Ich habe gerade umgerechnet, wie lange wir Schwaben dazu bräuchten - aber egal . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts ({1}) Drucksache 18/6281 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({2}) Drucksache 18/7086 1) Anlage 6 - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/7087 Hierzu liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Kein Widerspruch dazu . Dann ist das so beschlossen . Ich warte noch, bis die SPD Platz genommen hat . ({4}) Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Marcus Held für die SPD-Fraktion . ({5})

Marcus Held (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004297, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute setzen wir nach langen und intensiven Beratungen die EU-Verordnung um und modernisieren das Vergaberecht . Ein guter Tag für alle öffentlichen Auftraggeber und Gesellschaften, wenn sie Aufträge im Wert von mehr als 207 000 Euro, in Bausachen von mehr als 5 Millionen Euro vergeben wollen . Zum Verständnis muss deshalb an dieser Stelle klar betont werden, dass bei allen anderen Vergaben weiterhin die Landesvergabegesetze gelten . Somit haben wir in Deutschland nach wie vor insgesamt 17 Vergaberechte . ({0}) Das sollte vielleicht ein Ansporn für die Zukunft sein, diese zu vereinheitlichen . ({1}) Wir hoffen, dass mit der Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch die Länder animiert werden, in einem ersten Schritt wenigstens ihre Gesetze anzupassen, das heißt, benutzerfreundlicher zu machen und für mehr Flexibilität zu sorgen . Mit einer entsprechenden Anpassung würde dafür gesorgt werden, dass Unternehmen, die Angebote abgeben, sich nicht ständig umstellen müssen, je nachdem in welchem Bundesland die ausschreibende Stelle ihren Sitz hat . Konkret bedeuten die im heute vorliegenden Gesetz verankerten Änderungen, dass Auftraggeber künftig wählen können, welches Verfahren sie bei der Ausschreibung nutzen . Denn neben dem sogenannten offenen Verfahren stehen das nichtoffene Verfahren, das Verhandlungsverfahren und der sogenannte wettbewerbliche Dialog zur Verfügung - Verfahrensarten, meine Damen und Herren, die das Vergaberecht bisher nur unter sehr engen Voraussetzungen zuließ und die daher leider viel zu selten zur Anwendung kamen . Das alles schafft insgesamt mehr Flexibilität; denn der Auftraggeber ist in der Lage, zu entscheiden, wie er ausschreibt, um das für ihn beste Ergebnis zu bekommen . Aber auch qualitative Merkmale können künftig besondere Bedeutung erlangen, nämlich dann, wenn der Auftraggeber definiert, welche Kriterien zu welchen Anteilen bei der Vergabeentscheidung Berücksichtigung finden sollen. Soziale Kriterien und Umweltkriterien können dabei besondere Berücksichtigung finden, was ein absolutes Novum im Vergaberecht ist . ({2}) Wir haben darüber hinaus im Ausschuss in entsprechenden Protokollnotizen und im Entwurf der Verordnung zu diesem Gesetz konkretisiert, dass wir diese und weitere Kriterien in der Praxis künftig gestärkt sehen wollen, nämlich eine nachhaltige und verantwortungsvolle Beschaffung sowie die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, beispielsweise zur Beseitigung der Zwangsarbeit, aber auch zur Bekämpfung der Kinderarbeit . Um in Erfahrung zu bringen, ob die vereinbarten Ziele auch erreicht wurden, werden wir spätestens nach drei Jahren prüfen, ob es zu Verbesserungen in der Praxis gekommen ist und ob sich die Änderungen im Vergaberecht tatsächlich positiv ausgewirkt haben . Für Menschen mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen ist es uns als SPD besonders wichtig, qualitativ hochwertige Leistungen der beruflichen und medizinischen Rehabilitation zu haben . Deshalb haben wir klargestellt, dass zahlreiche Vergaben in diesem Bereich auch in Zukunft nicht der Ausschreibungspflicht unterliegen werden. ({3}) Es ist aber dringend erforderlich, meine Damen und Herren, dass unsere großen bundeseigenen Gesellschaften, wie etwa die BA oder auch die Rentenversicherung Bund, mit gutem Beispiel vorangehen und auf entsprechende soziale Kriterien bei der Vergabe pochen . All die von mir genannten Veränderungen im Vergaberecht sind ein großer Fortschritt; denn bisher durfte bei allen Vergaben immer nur der günstige Bieter den Zuschlag erhalten . Das Vergaberecht, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist in Bewegung, und es wird auch in Zukunft in Bewegung bleiben, allein schon, weil sich die Rechtsprechung regelmäßig verändert . Auch deshalb werden wir die weiteren Details in einer Verordnung regeln . Wenn ich „wir“ sage, dann deshalb, weil wir heute beschließen wollen, dass diese Verordnung dem Parlamentsvorbehalt unterliegt . Wir können deshalb im Hause regelmäßig kontrollieren, ob es durch die entsprechenden Vorgaben zu Veränderungen kommt . ({4}) Zum Abschluss möchte ich meiner Freude Ausdruck verleihen, dass künftig nicht mehr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darunter leiden müssen, wenn im Eisenbahnverkehr öffentliche Aufträge an andere Dienstleister vergeben werden . Auf Forderung des Bundesrates und der SPD-Bundestagsfraktion konnte sichergestellte werden, dass mit der Sollregelung das Personal für die jeweilige Strecke tatsächlich auch übernommen wird . ({5}) Meine Damen und Herren, ein ganzes Stück Arbeit in den letzten Monaten liegt hinter uns . Vielen Dank an alle, die zu diesem guten Ergebnis beigetragen haben . Es ist ein gutes Ergebnis für die Auftraggeber, für die Auftragnehmer, für die Qualität, für die sozialen und für die Umweltstandards hier in Deutschland, aber auch überall dort in der Welt, wo wir als Deutsche einkaufen . Herzlichen Dank . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Marcus Held . - Nächster Redner in der Debatte: Michael Schlecht für die Linke . ({0})

Michael Schlecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004144, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die EU-Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe ermöglichen im Grundsatz, soziale, ökologische und vor allem auch beschäftigungspolitische Ziele als vergaberelevant zu behandeln und bei Kostenerwägungen gleichberechtigt heranzuziehen . Leider wird dies in dem vorliegenden Gesetzentwurf vollkommen ungenügend getan . Dies ist ein Gesetzentwurf des „Könnte“, bestenfalls des „Sollte“ . Das „Sollte“ gilt übrigens auch für die von Ihnen vorhin so lobend erwähnte Regelung beim Schienenpersonenverkehr . Dadurch ist in keiner Weise sichergestellt, dass die Arbeitsplätze gesichert sind . Das ist eine kleine, graduelle Verbesserung, aber mehr nicht . Für zwingende Regelungen gilt in diesem Gesetz: Fehlanzeige! Die öffentliche Vergabe in Deutschland hat ein Volumen von circa 400 Milliarden Euro im Jahr . Das sind immerhin 17 Prozent des deutschen Sozialproduktes . Damit kann man Steuerungswirkung entfalten; denn damit lassen sich ganz erhebliche Anreize für die Unternehmen in diesem Land setzen . Welche Anreize müssten mit einem Vergabegesetz vor allem gesetzt werden? Aus meiner und unserer Sicht müsste, um die Durchsetzung sozialer Ziele abzusichern, vor allen Dingen klar geregelt werden, dass öffentliche Aufträge in Zukunft nur noch an Auftragnehmer, die der Tarifbindung unterliegen, vergeben werden dürfen, und zwar zwingend . ({0}) Dies ist deshalb so bedeutsam, weil heute nur noch 50 Prozent der Beschäftigten in unserem Land unter dem Schutz eines Flächentarifvertrages arbeiten . Gerade auch bei Auftragnehmern von öffentlichen Aufträgen ist das nicht der Fall . Weil viel zu viele Beschäftigte wie im Frühkapitalismus ihren Lohn vom Chef diktiert bekommen, liegen die Reallöhne je Beschäftigten im Vergleich zum Jahr 2000 kaum höher als damals . Das ist in einem Land wie Deutschland wirklich ein Skandal . ({1}) Was wir brauchen, ist eine Umkehr . Mit der Neuordnung der Vergabe wäre ein wichtiger Schritt möglich gewesen . Hier hätte eben der Grundsatz festgeschrieben werden müssen: Kein öffentlicher Auftrag an Unternehmen ohne Tarifbindung! ({2}) Es kann doch nicht sein, dass Beschäftigte, die mittels öffentlicher Aufträge zur öffentlichen Daseinsvorsorge beitragen, nicht selten selbst zu einem Fall für die öffentliche Daseinsvorsorge werden . Schauen Sie sich doch einfach einmal die vielen Fälle an, zum Beispiel die desaströsen Löhne der Dozenten von Integrationskursen . Es gibt noch viele andere Fälle; ich kann sie hier gar nicht alle aufzählen . Ich weiß, dass jetzt der Einwand kommt, dass diese Koppelung an die Tarifbindung bei der Vergabe nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei . Jedoch: Der Europäische Gerichtshof wendete sich jüngst selbst von seiner restriktiven Rechtsprechung in dem unseligen Rüffert-Urteil, das vor Jahren ergangen ist, ab . Er tut dies gerade auch im Geist der mittlerweile in Kraft getretenen EU-Richtlinie über die Auftragsvergabe . Im jüngsten Urteil zur Regio Post bestätigt der EuGH, dass der vergabespezifische Mindestlohn von 8,70 Euro im rheinland-pfälzischen Tariftreuegesetz europarechtskonform ist . Das sind minimale Fortschritte, die man zumindest lobend erwähnen muss . ({3}) Das Problem ist natürlich, dass das nicht ausreichen würde, um eine allgemeine Tarifbindung europarechtlich durchzusetzen . Die deutsche Bundesregierung hat in Europa aber sehr viel bewegt . Sie hat eine solche Durchsetzungskraft . Mir ist aber nicht zu Ohren gekommen, dass diese Bundesregierung in den letzten fünf, sechs, sieben Jahren irgendwann einmal versucht habe, auf europäischer Ebene dieses unsoziale Urteil, dieses Rüffert-Urteil, in dem die Tarifbindung sozusagen als europarechtswidrig hingestellt wurde, durch entsprechende politische Prozesse in Europa zu korrigieren . Ich sage Ihnen: Sie hat das nicht getan, weil sie das nicht will; sie will eher, dass europarechtspolitische Regelungen dazu führen, dass wir in Deutschland einen Niedriglohnsektor haben; und das finde ich wirklich verwerflich. ({4}) Ob in Zukunft tatsächlich mehr beschäftigungspolitische, soziale und ökologische Kriterien in die Auftragsbedingungen aufgenommen werden, wird dem Willen oder Unwillen der jeweiligen Entscheidungsträger vor Ort überlassen . Wenn es dann doch einmal diese schönen Kriterien in einem Auftragstext geben sollte, bleibt offen, ob ihre Einhaltung am Ende überhaupt kontrolliert wird . Es gäbe viele Details, die man jetzt erwähnen könnte, zum Beispiel die Frage der Kontrolle bei Auftragsweitergabe . Es müsste zum Beispiel sichergestellt sein, dass, wenn Subunternehmer eingeschaltet werden, von denen auch die Kriterien für die Auftragsvergabe eingehalten werden . Diesbezüglich sind in diesem Gesetzentwurf keine hinreichenden Kontrollen vorgesehen. Ich finde es auch merkwürdig, dass, obwohl hier zum Teil das Hohelied der Gleichstellung von Frauen gesungen wird, zum Beispiel, wenn es um Aufsichtsräte geht, dieser Gesetzentwurf zum Vergaberecht keinerlei Impulse zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern enthält . Danke schön . ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Schlecht . - Nächste Rednerin in der Debatte: Dr . Herlind Gundelach für die CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Herlind Gundelach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der ersten Lesung habe ich in meiner Rede festgehalten, dass ich den Regierungsentwurf insgesamt als sehr gelungen empfinde. Komplimente liegen einem gebürtigen Schwaben ja eigentlich nicht, aber ich möchte es hier trotzdem noch einmal ausdrücklich wiederholen . So war es uns als Abgeordneten des Deutschen Bundestages möglich, sehr präzise und sorgfältig an Detailfragen zu arbeiten . In dem Zusammenhang möchte ich mich auch ganz ausdrücklich beim Koalitionspartner bedanken . Ich denke, wir haben bei diesem Gesetzentwurf sehr gut, sehr nüchtern und sachlich zusammengearbeitet . ({0}) Einige der wichtigsten Punkte waren und sind für mich auch die Inhalte dessen, was wir unter interkommunaler Zusammenarbeit verstehen; denn der eigentliche Zweck des Vergaberechts ist es ja, sicherzustellen, dass öffentliche Aufträge möglichst wettbewerblich und damit transparent vergeben werden . Die Kooperation von zwei oder mehreren Kommunen zur gemeinsamen Erbringung einer öffentlichen Leistung fällt wie bisher nicht unter das Vergaberecht . § 108 des Gesetzentwurfes definiert auf Grundlage von Artikel 12 der Europäischen Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe hier eine Anwendungsausnahme . Daraus folgt, dass Kommunen, die nach einem kooperativen Konzept zusammenarbeiten, die öffentliche Leistung, die erbracht werden soll, nicht nur nicht ausschreiben müssen, sondern dass dies der Öffentlichkeit in der Regel auch gar nicht bekannt wird . Weil es sich dabei aber oftmals um Aufträge mit teilweise erheblichem Volumen handelt, an denen selbstverständlich auch Private ein Interesse hätten, steht diese Form der Zusammenarbeit zwischen Kommunen immer wieder in der Kritik und wird auch von der privaten Wirtschaft zu Recht hinterfragt . So beschäftigte sich auch bereits das OLG Koblenz noch vor unserer nationalen Umsetzung mit der Definition von Zusammenarbeit bei interkommunalen Kooperationen . Auch wir haben uns deswegen in unseren Beratungen intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt . Denn in der Begründung zu § 108 Absatz 6 Nummer 1 wird darauf verwiesen, dass sich die Anforderungen an die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Auftraggebern aus Artikel 12 sowie Erwägungsgrund 33 der Richtlinie ergeben und dass diese Zusammenarbeit grundsätzlich auf einem kooperativen Konzept beruhen muss . Leider enthalten weder Artikel 12 noch der Erwägungsgrund 33 weitergehende Definitionen des Begriffs „Zusammenarbeit“ . Deshalb haben wir uns in der Koalition nach einem intensiven Beratungsprozess auf eine Protokollnotiz verständigt, die auch Grundlage der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses ist . Ich möchte daraus zitieren: So weist der Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU darauf hin, dass die von den verschiedenen teilnehmenden Stellen erbrachten Dienstleistungen nicht notwendigerweise identisch sein müssen, sondern sich auch ergänzen können . Allerdings sollte die Zusammenarbeit auf einem kooperativen Konzept beruhen, in dem sich die Teilnehmer verpflichtet haben, einen Beitrag zur gemeinsamen Ausführung der öffentlichen Dienstleistung zu leisten; dazu kann als Teil auch ein etwaiger Finanztransfer zwischen den teilnehmenden öffentlichen Auftraggebern gehören . Ich denke, diese Protokollnotiz kann einen wichtigen Beitrag zur sachgerechten Ausführung des § 108 leisten . Im Übrigen erwarten wir im kommenden Jahr auch noch ein Urteil des EuGH, das hoffentlich weiteren Aufschluss geben wird . Diese Ausführungen zur interkommunalen Zusammenarbeit machen klar, dass der Teufel wie so oft im Detail steckt . Hinzu kommt, dass wir bei der Novellierung des Vergaberechts eine Strukturreform vollziehen . Denn viele Details des Vergabeverfahrens im Oberschwellenbereich - und nur dafür ist ja der Bund zuständig - werden ihren Niederschlag in der Vergabeverordnung, der Sektorenverordnung, der Verordnung über die Vergabe in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit sowie in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen finden. VOL und VOF wurden aufgegeben . Sie wurden zum Teil in das Gesetz integriert bzw . sollen in die erst im Entwurf vorliegende Verordnung integriert werden . Dabei handelt es sich keineswegs nur um Verfahrensfragen, sondern durchaus auch um materielle Inhalte, wie unsere Diskussionen ergeben haben; denn, wie gesagt, wir betreten mit der jetzigen Struktur Neuland . Deshalb haben wir uns auch dazu entschieden - der Kollege Held hat schon darauf hingewiesen -, einen sogenannten Zustimmungsvorbehalt für die Verordnung im Gesetz zu verankern . Konkret haben wir es so geregelt, dass die Verordnung dem Bundestag nach der Verabschiedung im Kabinett zugeleitet werden muss und dass der Bundestag dann drei Sitzungswochen Zeit hat, darüber zu entscheiden, ob die vorgesehenen Änderungen eine Beschäftigung des Bundestages erforderlich machen . Wenn nicht, läuft das Verfahren wie üblich weiter . Auch haben wir die Bundesregierung gebeten, uns nach drei Jahren einen aussagefähigen Bericht zuzuleiten, ob sich die neue Struktur bewährt hat und ob gegebenenfalls Änderungen vorgenommen werden müssen . Unser Änderungsantrag enthält neben diesem Parlamentsvorbehalt eine weitere, entscheidende Änderung, mit der der Deutsche Bundestag einer Anregung des Bundesrats nachkommt - auch darauf hat der Kollege Held schon hingewiesen -: Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr ändern wir die Kannbestimmung des Regierungsentwurfs zur Übernahme von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die beim bisherigen Betreiber beschäftigt waren, in eine Sollbestimmung . Dadurch werden den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausdrücklich die Rechte gewährt, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang des Betreibers gemäß § 613 a BGB erfolgen würde . Wir erreichen durch die von uns gefundene Regelung, dass in verantwortungsvoller Weise ein Gleichgewicht zwischen den Belangen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dem Erhalt von Wettbewerb sowie effizienten Verkehrsdienstleistungen erhalten bleibt . Um dies gewährleisten zu können, haben wir festgehalten, dass die Übernahme auf diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschränkt sein soll, die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsdienstleistungen unmittelbar erforderlich sind . Außerdem - auch das möchte ich betonen - bleibt es grundsätzlich möglich, dass ein öffentlicher Auftraggeber von der Anordnung zum Personalübergang abweicht . Dafür müssen allerdings nachvollziehbare und vor allen Dingen justiziable Gründe vorliegen . Ein solcher Fall kann zum Beispiel darin liegen, dass der Zuschnitt des Personenverkehrsnetzes in Bezug auf Bedarf und Qualifikation ganz erheblich vom Status quo des Bestandsnetzes abweicht . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novellierung des Vergaberechts ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz, weniger Bürokratie und mehr Anwenderfreundlichkeit . Wir geben den öffentlichen Auftraggebern in vielen Bereichen Rechtssicherheit, beispielsweise wenn sie im Sinne der Nachhaltigkeit mit Vorbildcharakter vorangehen wollen . Das Gesetz geht, wie ich bereits sagte, in die richtige Richtung . Aber vor allem in Bezug auf Transparenz, eine größere Anwenderfreundlichkeit und weniger Bürokratie geht sicherlich noch etwas mehr . Wir vollziehen eine Strukturreform, aber keinen Systemwechsel; denn das Kaskadensystem bleibt bestehen . Teile der Verordnungen sind ins Gesetz gezogen worden . Aber bei Bauleistungen werden wesentliche Details weiDr. Herlind Gundelach ter in der VOB, der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, geregelt . Ich hoffe, dass die nächste Novellierung des Vergaberechts den Systemwechsel dann vielleicht in Gänze vollziehen wird . Liebe Kolleginnen und Kollegen, enden möchte ich mit einem Punkt, den ich ebenfalls in der ersten Lesung angesprochen habe und auf den Kollege Held auch schon eingegangen ist . Wir haben in Deutschland 15 Länder-Vergabegesetze mit durchaus unterschiedlichen Regelungen . Bayern ist das einzige Bundesland, das kein eigenes Gesetz dazu hat; das glaubt man kaum . ({1}) Im Hinblick auf mehr Anwenderfreundlichkeit und weniger Bürokratie wäre es schön, irgendwann nur noch ein Vergabegesetz zu haben, an dem sich Bund und Länder gemeinsam orientieren, und zwar für die Vergabe im Oberschwellenbereich wie für die Vergabe im Unterschwellenbereich, die ja den Löwenanteil der öffentlichen Vergaben darstellt . Die zunehmende und vom EU-Recht auch geforderte elektronische Vergabe könnte hierfür einen Anreiz bieten . Dann hätte man statt 16 verschiedener Masken und Softwarelösungen nur noch eine einzige . Für die Anbieter gibt es nämlich keine Bundesländergrenzen . Ich bedanke mich herzlich . ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Dr . Gundelach . - Nächste Rednerin in der Debatte: Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen .

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und der SPD! Bei der Reform des Vergaberechts, die Sie hier heute beschließen wollen, hätten Sie eine wirklich große Chance gehabt . Bei der Vergabepolitik hätten Sie die Chance gehabt, ein Stück mehr zu gestalten, wie die Wirtschaft in Deutschland funktioniert . Sie hätten die Chance gehabt, mit der Vergabepolitik eine Wirtschaft zu fördern, die auf Umweltschutz, auf Nachhaltigkeit und auf faire und soziale Arbeitsbedingungen setzt . Diese Chance hat Ihnen die Europäische Union mit ihren Richtlinien explizit eingeräumt . Sie hat an vielen Stellen Möglichkeiten geschaffen, dass die Mitgliedstaaten in ihren Vergabegesetzen ökologische, soziale oder menschenrechtliche Kriterien stärken . ({0}) Sie hätten die Chance gehabt, Unternehmen stärker zu fördern, die auf Qualität und nicht einfach auf den niedrigsten Preis setzen . Doch ich muss heute feststellen das finde ich wirklich traurig -: Sie haben diese Chance nicht genutzt . ({1}) Noch schlimmer: Sie haben diese Chance wider besseres Wissen nicht genutzt . Denn wenn Sie den Experten zugehört hätten, die wir hier im Deutschen Bundestag im Rahmen einer Anhörung befragt haben - spätestens dann -, hätte Ihnen klar werden müssen, wie viel Nachbesserungsbedarf es in Bezug auf Ihren Gesetzentwurf noch gegeben hätte . ({2}) Ich möchte Ihnen nur einige Beispiele aus der Anhörung nennen: Sie hätten zum Beispiel bei den sozialen Dienstleistungen nachbessern müssen . Hier geht um ein sensibles Beziehungsverhältnis zwischen den Mitarbeitern bei den sozialen Dienstleistern auf der einen Seite und ihren Klienten auf der anderen Seite . Es kommt hier elementar auf die Qualität der Betreuung und auf die Kompetenz sowie die Erfahrungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an . Sie hätten die Chance gehabt, mit Ihrer Vergabepolitik stärker auf die Qualität und weniger auf Preiswettbewerb und damit auf Lohndumping zu setzen . ({3}) Ich frage mich ganz ehrlich: Wie stark muss die Rückmeldung der Expertinnen und Experten in der Breite eigentlich sein, damit Sie sich endlich bewegen? Vom DGB über die Caritas, die Diakonie und die AWO bis zu den kommunalen Vertretern: Sie alle haben Ihnen zu diesem Gesetzentwurf einen Nachbesserungsbedarf aufgeschrieben, doch von Ihnen kommt nichts . ({4}) Sie hätten bei den ökologischen und sozialen Kriterien, bei den zwingenden Ausschlussgründen, bei der interkommunalen Zusammenarbeit und bei den Wehrdienstleistungen nachbessern müssen . ({5}) Doch überall kommt von Ihnen nichts . Zwei meiner Vorredner haben hier noch einmal das Thema Landesvergabepolitik erwähnt . Es ging um die Möglichkeit, eigene Landesvergabegesetze zu entwickeln . Auch hier schränken Sie den Spielraum der Landesgesetzgeber ein, obwohl die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einen eigenen Antrag im Bundesrat eingebracht hat und einer der Vorreiter war . ({6}) Ihre Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat das noch gefeiert, Ihr Arbeitsminister Guntram Schneider hat ein eigenes Tariftreue- und Vergabegesetz in NRW zu seinem Projekt gemacht, und Sie als SPD schränken hier in diesem Entwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes den Spielraum der Länder wieder ein . ({7}) Dass ich mit dieser Kritik recht habe, bestätigen Sie doch eigentlich selbst . Sie haben nämlich im Ausschuss mit großem Brimborium eine Protokollnotiz vorgelesen, mit der Sie versuchen, klarzustellen, was Sie mit diesem Gesetzentwurf eigentlich gemeint haben . ({8}) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Sie selbst schon Zweifel haben, wie der Gesetzentwurf zu verstehen ist, dann ändern Sie ihn und dann lesen Sie nicht irgendeine Protokollnotiz im Wirtschaftsausschuss vor, die mit ins Plenum überwiesen, aber mit Sicherheit keine Rechtsverbindlichkeit haben wird . Das ist nur eine Beruhigungspille für die Zweiflerinnen und Zweifler aus den eigenen Fraktionen - mehr nicht . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, ich kann Ihnen nur sagen: Angesichts der Tragweite dieses Gesetzentwurfs, angesichts der Milliardensummen, um die es bei der öffentlichen Vergabe geht, und angesichts der Chancen, die die Europäische Union Ihnen explizit eröffnet hat, muss ich feststellen: Ihr Gesetzentwurf ist unzureichend und lückenhaft . Er ist mutlos, ({10}) und Sie haben die Chance verpasst, auf ökologische, soziale und faire Vergabekriterien zu setzen . Das ist nicht die Politik, die Sie hier machen sollten . Vielleicht nutzen Sie in ein paar Jahren die Chance, sich selbst zu korrigieren . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Katharina Dröge . - Jetzt hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer das Wort . ({0})

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der eine redet von Frühkapitalismus, und die andere versucht, diesen Gesetzentwurf, der für Deutschland wirklich wesentlich ist, durch eine besondere und ({0}) - lassen Sie mich doch bitte ausreden - vielleicht etwas schiefe Wahrnehmung der Situation in einen Schrank zu stellen, in den er nicht gehört . Dieser Gesetzentwurf ist ausgewogen und nachhaltig, und er ordnet in Deutschland etwas, was dringend geordnet werden muss . ({1}) Er ordnet eine gute Vergaberechtspolitik, bei der es immerhin um etwa 12 Prozent unseres Bruttoinlandproduktes geht . In Deutschland werden jährlich öffentliche Aufträge im Umfang von circa 300 Milliarden Euro vergeben . Dafür brauchen wir klare und eindeutige Regeln . Frau Dröge, diese Regeln haben wir mit diesem Gesetzentwurf . ({2}) Wir wollen, dass das Vergaberecht in Deutschland einfacher und anwenderfreundlich wird und dass vergleichbare Sachverhalte, die bisher mehrfach unterschiedlich geregelt worden sind, einheitlich geregelt werden . Insofern ist die Modernisierung dieses Vergaberechts für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen ein richtiger Weg, um mehr Flexibilität bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu erreichen . Natürlich sind die Struktur und der Inhalt des deutschen Vergaberechts in der Vergangenheit schon immer sehr komplex gewesen . Wer sagt das nicht! Aber diese Reform - das sage ich noch einmal - ist ausgewogen . Dieser Gesetzentwurf findet überwiegend sehr positive Resonanz . ({3}) Dies ist umso bemerkenswerter, als die Beteiligten in diesen Prozess zum Teil sehr unterschiedliche Positionen eingebracht haben . ({4}) Auch die Vertreter des Bundesrates, liebe Frau Dröge, haben die wesentlichen Inhalte dieses Regierungsentwurfes bestätigt und werden über den Entwurf morgen abschließend beraten . Wir werden sehen, mit welchem Erfolg . Zu diesem neuen Vergaberecht ist aber auch zu erwähnen, dass die Reform wegweisend ist . Sie ist besonders im Hinblick auf die neue Struktur des Vergaberechtes wegweisend . Alle wesentlichen Regelungen der neuen EU-Vergaberichtlinie werden künftig in einem Gesetz, dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, verankert . Damit wird erstmals der Ablauf des gesamten Vergabeverfahrens im Gesetz klar und deutlich vorgezeichnet . Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Bund den Ländern mit diesem Gesamtpaket aus Gesetz und Verordnung ein Vorbild sein wird . Diese Reform ist nachhaltig . Im Vergabeverfahren finden sich soziale, ökologische und innovative Aspekte, die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge künftig stärker Berücksichtigung finden werden. Welche Nachhaltigkeitskriterien verlangt werden, darüber entscheidet, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Auftraggeber; denn je strenger die Vorgaben im Hinblick auf eine nachhaltige Beschaffung ausfallen, desto bürokratischer werden natürlich in der Tendenz die Regelungen und desto schwieriger die Kontrolle . ({5}) Ich komme zum Schluss . Diese Reform ist auch sozial - das, was der Kollege Held, vorgetragen hat, ist richtig -: Wir haben erreicht, dass es bei einem Betreiberwechsel im Schienenpersonenverkehr keine Probleme gibt, und wir haben das Ganze auf einen guten Weg gebracht . Auch da gibt es endlich Klarheit . Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Beckmeyer . - Die nächste Rednerin: Barbara Lanzinger für die CSU/CDU-Fraktion . ({0}) - Aber Frau Lanzinger kommt aus Bayern .

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, auch wenn nicht mehr sehr viele da sind! Wie wichtig das Vergaberecht für die Wirtschaft und die öffentlichen Auftraggeber ist, haben die sehr intensiven Beratungen mit Vertretern der Verbände gezeigt . Auch innerhalb der Koalition waren sehr viele Gespräche notwendig . Ich denke, sie waren sehr konstruktiv . Noch einmal zum Hintergrund . Wir mussten das Vergaberecht im Oberschwellenbereich überarbeiten . Grundlage hierfür ist das EU-Richtlinienpaket zur Modernisierung des Vergaberechts, das im April letzten Jahres in Kraft getreten ist und innerhalb von zwei Jahren umgesetzt werden muss . Die EU-Reform und dementsprechend auch die deutsche Umsetzung zielen darauf ab, das Vergaberecht innerhalb der EU stärker zu vereinheitlichen. Die Vergabeverfahren sollen insgesamt effizienter, anwenderfreundlicher und flexibler werden. Ich denke, wir haben es in den intensiven Beratungen der letzten Monate geschafft, gute und ausgewogene Ergebnisse zu erzielen . Wichtig war uns vor allem, dass wir so weit wie möglich eine Eins-zu-eins-Umsetzung vornehmen, damit wir eine größtmögliche Vereinheitlichung haben . Viele Punkte wurden schon genannt . Deshalb gehe ich jetzt nur noch kurz auf die Aspekte ein, die von besonderer Bedeutung für den Mittelstand, das Architektenwesen und die Bauwirtschaft sind . § 97 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, sprich: GWB, regelt die Grundsätze der Vergabe . Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im Wettbewerb und transparent vergeben . Aspekte der Qualität, Innovation sowie soziale und umweltbezogene Kriterien - das wurde schon erwähnt, aber ich erwähne es noch einmal, Frau Dröge und auch Herr Schlecht - können bei der Vergabe berücksichtigt werden . Das steht alles in § 128 GWB: Auftragsausführung . Ich kann es Ihnen gerne vorlesen, wenn Sie das möchten; ich habe es dabei . ({0}) Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass man den Aspekt der Qualität vielleicht noch stärker betont . Das ist leider nicht möglich gewesen . Dabei kommt es letztendlich - auch das wurde schon ausgeführt - auf die Ausschreibung an, also wie genau die Ausschreibung formuliert wird . Das heißt, der öffentliche Auftraggeber hat es in der Hand, die Kriterien so zu gestalten, dass letztendlich die Qualitätskriterien ausschlaggebend für den Zuschlag sein können und sogar sollten . ({1}) - Natürlich . Die Leistungsbeschreibung gibt die Wertungsmaßstäbe vor, auf deren Grundlage der Zuschlag erteilt wird . Man muss dazusagen: Bisher war im GWB die Leistungsbeschreibung nicht explizit enthalten . Sie ist jetzt neu darin aufgenommen worden . Bisher war sie nur in der VOB enthalten . Zurück zum § 97 GWB: „Mittelständische Interessen sind … vornehmlich zu berücksichtigen“, heißt es darin . „Leistungen sind in der Menge aufgeteilt“ und in Form von Fachlosen zu vergeben . Eine Zusammenfassung der Lose kann und darf erfolgen, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern, zum Beispiel bei einer offensichtlich nicht sinnvoll reduzierbaren Komplexität des Gesamtauftrags, einem nachweisbar deutlich erhöhten Mängelrisiko bei einer Teil- oder Fachlosvergabe sowie einer nachweislich erhöhten Gefahr, dass der Gesamtauftrag bei einer Teil- oder Fachlosvergabe insgesamt nicht sachgerecht ausgeführt werden kann .

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Lanzinger, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung vom Kollegen Klaus Ernst?

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, wenn er will . ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Lanzinger . Er will . Frau Lanzinger, ich habe noch einmal nachgeschaut: Ihr habt 25 Minuten Redezeit in dieser Debatte .

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe jetzt nur 4 Minuten .

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich meine insgesamt . Meine Bitte wäre: Ist es Ihnen möglich, in Ihrer verbleibenden Redezeit auf die Argumente einzugehen, die zum Beispiel von Frau Dröge oder auch von meinem Kollegen Schlecht in diese Debatte eingebracht wurden? ({0}) Denn das, was Sie jetzt sagen, ist bekannt . Weil offensichtlich die Kollegen von der SPD die Fragen nicht mehr im Kopf haben, was ich verstehen kann es ist schließlich der vorletzte Tag dieser Sitzungswoche -, möchte ich sie wiederholen . Ich hätte erstens gerne von Ihnen gewusst, warum es in dieser Koalition nicht möglich war, zum Beispiel die Frage der Frauenquote als einem wichtigen sozialen Fortschritt in diesem Lande in das Vergaberecht mit einzubauen . Man hätte zum Beispiel regeln können - das wäre möglich gewesen -: Wenn öffentliche Aufträge vergeben werden, dann wird darauf geachtet, ob das Unternehmen die Richtlinien, die wir im Bundestag beschlossen haben, einhält . Und wenn es sie nicht einhält, dann bekommt es den Auftrag nicht . Zweitens frage ich Sie noch einmal ganz bewusst weil Ihnen diese Frage auch nicht mehr geläufig ist und weil ich einen Gewerkschafter sehe, der den Kopf schüttelt -, warum es nicht möglich war, zum Beispiel die Tarifbindung zwingend in den Gesetzentwurf aufzunehmen . Dann würde bei der Vergabe eines Auftrages darauf geachtet, ob die Tarifbindung eingehalten wird . Wir diskutieren im Bundestag die Stärkung der Tarifautonomie hoch und runter . Das wäre wirklich einmal ein Akt der Stärkung der Tarifautonomie gewesen, die fast 17 Prozent Auftragsvolumen in dieser Republik dazu zu nutzen, die Tarifautonomie, wenn wir sie politisch wollen, zu stärken . Das alles machen Sie nicht . Jetzt hätte ich gerne die Antworten auf diese Fragen; denn Sie haben noch genug Redezeit . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Lanzinger, bitte .

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für Ihre Fragen, Herr Ernst . Wenn Sie genau zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich vorhin auf § 128 - Auftragsausführung - eingegangen bin . Dabei geht es um die sozialen und umweltbezogenen Kriterien bei der Vergabe sowie um die Qualität . Das habe ich beantwortet . ({0}) - Warum denn zwingend? Wenn Sie alles zwingend vorschreiben, glauben Sie, dass es dann noch Wettbewerb und freie Auswahl gibt? ({1}) Ich will weder Dirigismus noch Sozialismus, sondern ich will freie Marktwirtschaft . Das ist der Punkt . ({2}) Zweitens . Sie haben nach der Frauenquote gefragt . Dazu sage ich Ihnen deutlich - ich habe das schon in meiner letzten Rede deutlich gemacht -: Eine Frauenquote hat nichts mit Leistungserbringung zu tun . Man kann doch nicht die Firmen mit einer Frauenquote unter dem Siegel der Leistungserbringung gängeln . Das hat damit überhaupt nichts zu tun . Ich bin nicht dafür . Es ist nicht richtig, so etwas einzuführen . Sie haben drittens nach den Protokollnotizen und nach vielen anderen Dingen gefragt . Ich habe die ganzen Unterlagen dabei und kann Ihnen das vorlesen . ({3}) Viertens und abschließend zu Ihrer Frage: Dass Sie immer auf alle Forderungen eingehen würden, die wir stellen, und alle Fragen beantworten, würde ich mir auch wünschen . Danke schön . ({4}) - Ich bin auch eine Nette - solange Sie mich nicht ärgern . ({5}) Mittelständische Interessen sind, wie gesagt, vornehmlich zu berücksichtigen . Wir haben das Ganze in Protokollnotizen festgehalten, die sehr wohl verbindlich sind . Wir haben das gestern beschlossen . Sie dürfen mich auch dazu gerne fragen; denn ich habe alle Protokollnotizen dabei und kann sie Ihnen vorlesen, wenn Sie das wünschen . ({6}) - Fragen Sie mich ruhig . Dann habe ich mehr Redezeit . Das können wir machen . Die vorrangige Berücksichtigung mittelständischer Interessen bei der Losvergabe ist ein wichtiger Punkt . Dazu kamen sehr viele Schreiben unterschiedlicher Verbände . Wir können festhalten, dass wir beides gleich gewichtet haben . So werden die kleinen und mittelständischen Unternehmen bei der Losvergabe vornehmlich berücksichtigt, ohne dass wir die Komplexität des Gesamtauftrags für größere Unternehmen aus den Augen verlieren . Das bedeutet ausgewogene Flexibilität für die Auftraggeber und dient gleichzeitig der Wahrung der Interessen des Mittelstandes . Wir verschlanken die Struktur des Vergaberechts, indem wir handhabbarere, flexible Regeln schaffen. Auch die Wahlfreiheit wurde schon erwähnt . Ich sage es noch einmal, weil Sie es vielleicht nicht verstanden haben: Offenes und nicht offenes Verfahren stehen nun gleichrangig nebeneinander . Damit können Ausschreibungen noch besser an die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Auftrags angepasst werden . Diese Wahlfreiheit hat auch Vorteile für die Bieter . Die Angebotserstellung beim nicht offenen Verfahren ist einfacher . Die Unternehmen können ihre Ressourcen schonen und entscheiden, ob sie teilnehmen oder nicht . Gleichwohl sind Transparenz und Chancengleichheit gegeben; denn jedem nicht offenen Verfahren ist ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb vorgeschaltet; das ist ein wichtiger Punkt . Daneben gibt es eine neue Verfahrensart - das wurde noch nicht erwähnt -, die sogenannte Innovationspartnerschaft . Hierbei handelt es sich um ein besonderes Vergabeverfahren zur Entwicklung und zum anschließenden Erwerb innovativer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, wenn der bestehende Bedarf nicht durch bereits auf dem Markt verfügbare Lösungen gedeckt werden kann . Öffentliche Auftraggeber können so langfristige Innovationspartnerschaften eingehen . Eines möchte ich dabei betonen: Die EU-Vergaberichtlinie wird hinsichtlich wesentlicher Regelungen in diesem Gesetzentwurf nur in Grundzügen geregelt . Der Teufel steckt im Detail, wie Kollegin Gundelach bereits gesagt hat . Wir werden in der Vergabeverordnung einiges regeln . Ich danke hier unserem Koalitionspartner, dass er beim Parlamentsvorbehalt mitgegangen ist . So haben wir im Parlament noch die Möglichkeit, darüber zu reden, wie künftig die Vergabeverordnung ausgestaltet werden soll . Das Wirtschaftsministerium wird sicherlich noch einen Vorschlag bezüglich des Schwellenwertes bei der Auftragsvergabe im Zusammenhang mit Architekten- und Ingenieursleistungen unterbreiten . Hier müssen wir den funktionalen Zusammenhang klären . Geht es hier nur um Leistungen, die zur Herstellung eines Gebäudes dienen, oder sollen alle Architekten- und Ingenieursleistungen einbezogen werden? Hier müssen wir ganz genau hinschauen; denn wenn wir das zusammenfassen würden, käme das einer Absenkung des Schwellenwertes gleich . Das wollen wir auf gar keinen Fall . Ich denke, darin sind wir uns einig; denn dies wäre ein im Vergleich zur jetzigen Gesetzeslage negativer Paradigmenwechsel . Es ist wichtig, dass wir all diese Zusammenhänge aufgenommen haben . Ich fasse zusammen: Wir stärken mit dem vorliegenden Gesetz Qualität und Wettbewerb bei der öffentlichen Auftragsvergabe . Eine Frauenquote hat nichts mit der Leistungserbringung zu tun . Herr Ernst, Sie wollen Zwang ausüben . Ich sage dagegen ganz deutlich: Kannund Sollbestimmungen lassen der Wirtschaft Luft zum Atmen . ({7}) - Herr Ernst, da können Sie ruhig lachen . Das ist aber im Wirtschaftsbereich sehr wichtig . Ich möchte - genauso wie beim letzten Mal - mit einem Zitat des kürzlich verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt enden: „Märkte sind wie Fallschirme, sie funktionieren nur, wenn sie sich öffnen .“ ({8}) Ich bedanke mich noch einmal für die gute Zusammenarbeit und das gute Miteinander . Ich wünsche Ihnen alles Gute . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Lanzinger . - Letzter Redner in der Debatte: Dr . Matthias Bartke für die SPD . ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir uns den vorliegenden Gesetzentwurf ansehen, so stellen wir fest, dass wir einen ziemlich dicken Stapel Papier vor uns haben. In all den Seiten findet sich aber nur ein einziger Paragraf zu Arbeitsmarkt- und Sozialdienstleistungen, nämlich § 130 . Dieser Paragraf hat es jedoch in sich, und deshalb haben wir Arbeits- und Sozialpolitiker von Anfang an bei diesem Gesetzentwurf mitgeredet . Ich freue mich, dass ich als Mitglied des Arbeits- und Sozialausschusses zu diesem für uns wichtigen Gesetzentwurf hier sprechen darf . Die wichtige Funktion von Arbeitsmarktdienstleistungen und die Monopolstellung der Bundesagentur für Arbeit machen die große Bedeutung des Vergaberechts für den Arbeitsmarkt unmittelbar deutlich . Daher habe ich kürzlich ein Regionales Einkaufszentrum der Bundesagentur für Arbeit besucht, ein sogenanntes REZ . Die Regionalen Einkaufszentren führen im Auftrag der Arbeitsagenturen und Jobcenter Vergabeverfahren durch . Wir kamen dabei schnell auf das Thema Qualität zu sprechen . Es wurde deutlich, dass auch die Bundesagentur für Arbeit den ausdrücklichen Wunsch hat, an qualitativ erfolgreiche Träger zu vergeben . Sie hat daher mit großer Zufriedenheit aufgenommen, dass die Gewichtung der Qualität künftig nicht mehr auf 25 Prozent beschränkt sein wird . Dazu gehört auch, dass künftig Erfolg und Qualität bereits erbrachter Leistungen berücksichtigt werden; Frau Lanzinger hat bereits zum Thema Qualität gesprochen . Das Ergebnis von Arbeitsmarktdienstleistungen ist eben nicht materieller Natur . Stattdessen ist die Mitwirkung aller Beteiligten ganz wichtig . Wir haben es dabei mit einem hohen Maß an Individualität zu tun . Es wäre daher schlicht dumm, das Angebot eines Trägers allein am Preis zu messen . Wer billig zahlt, zahlt doppelt . Liebe Frau Dröge, liebe Grüne, in Ihrem Entschließungsantrag beziehen Sie sich weitgehend auf die Forderung des Vergabebündnisses . Ich sage Ihnen: Wir haben uns mehrfach mit dem Bündnis getroffen, und wir haBarbara Lanzinger ben seine Forderungen verstanden . Das aktuellste Papier des Vergabebündnisses fordert die Aufnahme von sechs Qualitätskriterien in die Vergabeverordnung . Sie haben richtig gehört: in die Verordnung, nicht ins Gesetz . In die Verordnung werden wir sie auch einbringen . Das stellt insbesondere wegen des vereinbarten Parlamentsvorbehalts, über den bereits gesprochen wurde, eine klare Verbesserung dar . Wir werden in die Verordnung konkrete Qualitätskriterien einbauen . Dazu gehören Integrationsquoten, Abbruchquoten, Bildungsabschlüsse und die Zufriedenheit des Auftraggebers . Damit greifen wir die Forderungen des Bündnisses unmittelbar auf . Die Bundesagentur für Arbeit begrüßt diese Ergänzung . Endlich kann sie rechtssicher Qualität berücksichtigen . ({0}) Meine Damen und Herren, lieber Herr Schlecht, lieber Klaus Ernst, lassen Sie mich eins einmal ganz deutlich sagen: Das Vergaberecht regelt das Vergaberecht . Mit dem Vergaberecht lassen sich tarif- und sozialpolitische Missstände nicht beseitigen und lässt sich auch die Frauenquote nicht einführen . Aber die Botschaft ist klar: Die Modernisierung des Vergaberechts bietet die Chance, die Qualität der Arbeitsmarktdienstleistungen zu verbessern . Das heute von uns zu beschließende Vergaberechtsmodernisierungsgesetz ist ein ausgezeichnetes Gesetz . Nun muss es durch die Bundesagentur für Arbeit gelebt und ausgefüllt werden . Meine Damen und Herren, das ist meine letzte Rede in diesem Jahr, ich wünsche Ihnen frohe Feiertage und einen guten Rutsch . Danke . ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank . Das wünschen wir Ihnen natürlich auch . - Ich schließe damit die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts . Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7086, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6281 in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7089 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke . Abgelehnt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen . Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linken angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegengestimmt haben die Linken und Bündnis 90/Die Grünen . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7090 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke, dagegengestimmt haben alle anderen . Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7091 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, abgelehnt haben ihn CDU/CSU und SPD . Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7092 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat Bündnis 90/Die Grünen . Dagegengestimmt haben CDU/CSU und SPD . Enthalten hat sich die Linke . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Stromsperren gesetzlich verbieten Drucksachen 18/3408, 18/3751 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache wieder mit Marcus Held für die SPD . ({1})

Marcus Held (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004297, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2014 wurde in Deutschland bei 352 000 Haushalten eine sogenannte Stromunterbrechung vorgenommen . Das ist ein trauriger Rekord . Wir beschäftigen uns seit vielen Monaten hier im Plenum des Deutschen Bundestags und in den Fachausschüssen mit diesem Problem . ({0}) Leider ist Ihr Antrag heute zu diesem Thema aber sehr kontraproduktiv . ({1}) Wir müssen vielmehr das Ziel definieren, solche Versorgungsunterbrechungen infolge der Nichtzahlung der Stromrechnung im Interesse der Betroffenen zu vermeiden . Wie dies geschehen könnte, prüft das BMWi in einer Arbeitsgruppe mit den Ländern seit mehreren Monaten . ({2}) Dabei stellt sich insbesondere die Frage: Können Prepaidstromzähler dazu beitragen, das Problem ein Stück weit einzudämmen? Wir als SPD-Fraktion möchten die Arbeitsgruppe höflich bitten, die Ergebnisse so schnell wie möglich vorzulegen . ({3}) Sie als Linke-Fraktion fordern allerdings in Ihrem Antrag, Stromsperren grundsätzlich gesetzlich zu verbieten . ({4}) Dass das nicht geht, wissen Sie natürlich selbst; denn eine solche Regelung könnte jeden dazu einladen, seine Stromrechnung gar nicht erst zu bezahlen . Aber auch die Frage, wer den Stromkonzernen bzw . den Anbietern den Schaden ersetzt, wurde leider in Ihrem Antrag bisher nicht beantwortet . Vielleicht tun Sie es heute; denn ein Geschäft zulasten Dritter ohne entsprechenden Ausgleich infolge eines Gesetzes wäre wohl kaum verfassungskonform . ({5}) Zumindest ist mir das bisher nicht bekannt . Wir brauchen vielmehr Verbesserungen in dieser Frage, aber mit Maß und Ziel; denn schon heute muss nach § 19 Absatz 2 Stromgrundversorgungsverordnung die Unterbrechung der Elektro- oder Gasversorgung verhältnismäßig sein . Eine Sperre ist nicht möglich, wenn der Betroffene das Versorgungsunternehmen und seinen Sozialleistungsträger über das Zahlungsproblem informiert hat . Eine denkbare Möglichkeit ist es deshalb, eine gesetzliche Mitteilungspflicht für den Energiedienstleister einzuführen, sodass dieser eine Information an die zuständige Sozialbehörde weitergeben muss, wenn sich entsprechende Zahlungsrückstände abzeichnen . Es wäre aber auch denkbar, dass die Abschläge für die Stromrechnung direkt vom Sozialleistungsträger an die Energieversorger überwiesen werden . Das ist heute schon möglich . Allerdings ist dies für den Betroffenen, der Leistungen vom Jobcenter oder auch vom Sozialamt bezieht, nur fakultativ . Die Verbraucherzentralen empfehlen deshalb das Vorgehen der Abtretung schon seit langer Zeit gerade sozial schwachen Stromkunden, damit dieses Problem erst gar nicht entsteht . Warum machen wir diese Abtretung nicht einfach zur Pflicht, was eine Lösung wäre? Wenn wir argumentieren, dass die Versorgung mit Strom und Gas „Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Wohnen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ ist, wie es in Ihrem Antrag wörtlich heißt ({6}) - das teilen auch wir -, dann müssen doch die Sozialhilfeträger diese Kosten zuerst tragen . Meine Damen und Herren, flankierend brauchen wir aber auch weitere Hilfe und Unterstützung für Menschen, die von sich aus das Thema Energiesparen nicht so sehr im Fokus haben, vielleicht weil sie es als Luxusproblem sehen und Luxus in ihrem Leben aufgrund der Rahmenbedingungen leider keine große Rolle spielen kann . Deshalb sollten wir den Austausch alter Kühlschränke gegen neue weiterhin fördern . Wir sollten Energieberatungen auch und gerade für einkommensschwache Haushalte zur Pflicht machen, und zwar in Zusammenarbeit mit den Sozialhilfebehörden . ({7}) Hier gibt es schon sehr positive Beispiele, etwa in Jena, wo die Caritas einen Stromspar-Check anbietet, der von den Stadtwerken unterstützt wird . Haushalten, die von Arbeitslosengeld oder Grundsicherung leben, wird eine Energieberatung angeboten, und die Stromfresser im jeweiligen Haushalt werden gemeinsam ermittelt . Als Soforthilfen gibt es in Jena Zeitschaltuhren oder Energielampen im Wert von 70 Euro pro Beratung und einen Zuschuss von 150 Euro für die Anschaffung eines stromsparenden Kühlschranks . Das knappe Gut Wohnraum in Deutschland, meine Damen und Herren, wird durch die Stromsperren zusätzlich vor Probleme gestellt . Denn eine Stromabschaltung ist nicht nur für den Mieter ein Problem . Auch der Eigentümer der Wohnung muss bei einer Stromabschaltung Schäden an seinem Eigentum befürchten, besonders wenn eine Stromheizung in der Wohnung vorhanden ist und die Wohnung bei einer Sperre dauerhaft auskühlt, sodass Schäden an der Substanz die Folge sein könnten . Wir können die hohe Anzahl an Stromsperren in Deutschland dauerhaft nicht hinnehmen . Zu den etwa 350 000 Haushalten, die 2014 von Stromsperren betroffen waren, kommen rund 7 Millionen Haushalte in Deutschland hinzu, die 2014 angemahnt wurden bzw . denen eine Stromsperre angedroht wurde . Deshalb sollten wir gemeinsam als nächste Schritte anstreben, dass die Schwelle zur Abschaltung von jetzt 100 Euro erhöht wird . Die Kilowattstunde ist in den letzten Jahren nämlich bedeutend teurer geworden . ({8}) Auch müssen wir bereits jetzt berücksichtigen, dass für das neue Jahr 2016 weitere Preiserhöhungen der Stromversorger angekündigt sind und dies zu einer Zuspitzung des Problems führen kann . Die weiteren Kriterien für eine Stromsperre sind bekanntermaßen glücklicherweise recht eng . Die Stromsperre muss schon heute vier Wochen vorher angedroht werden . Der Vollzug der Sperre ist drei Werktage vorher anzukündigen und nur in dem Fall möglich und rechtlich umsetzbar, wenn der Verbraucher dem Versorger nicht in Aussicht stellen konnte, dass er seinen Zahlungspflichten mittel- und langfristig nachkommt. Außerdem muss die Sperre verhältnismäßig sein . Das lässt sich in der Rechtsprechung weit auslegen . Glauben Sie mir, als Vorsitzender einer ehrenamtlichen Tafel, die mehrere Tausend Bedürftige versorgt, und als aktiver Kommunalpolitiker habe ich regelmäßig mit diesem Problem zu tun . Sehr selten geht die Maßnahme darauf zurück, dass das Geld vom Sozialhilfeträger nicht hätte fließen können. Vielmehr haben sich die Betroffenen leider selten der Sache frühzeitig angenommen, und die Petenten kommen mit einem Haufen ungeöffneter Briefe in die Sprechstunde . Deshalb: Wir müssen gemeinsam etwas tun, damit Strom und Gas fließen können und alle Menschen menschenwürdig leben können . Ihr Antrag befasst sich allerdings leider nicht sachlich mit dem Thema, sondern so, wie wir es von Ihnen allzu sehr gewohnt sind: Er versucht, dieses Thema unsachlich zu behandeln und populistisch zu nutzen . Daher müssen wir den Antrag heute leider ablehnen . ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Held . - Die nächste Rednerin in der Debatte: Caren Lay für die Linke . ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Richtig ist, dass wir zum wiederholten Male in diesem Hohen Hause über das Thema Stromsperren sprechen . Aber leider haben Sie unterschlagen, dass wir zum wiederholten Male auf Antrag der Linken über dieses Thema sprechen . ({0}) Alle Jahre wieder argumentieren Sie: Das ist ein populistischer Antrag . Was die Linken da vorschlagen, das geht ja gar nicht . - Da frage ich Sie: Wo ist denn Ihr Antrag? Legen Sie doch endlich einmal eigene Vorschläge auf den Tisch! Die sind bis jetzt ausgeblieben . ({1}) Alle Jahre wieder erscheint auch der Monitoringbericht der Bundesregierung . Er enthält aber alles andere als eine frohe Botschaft . Die Zahl der Stromsperren ist nämlich auch in diesem Jahr wieder erheblich gestiegen . Vor drei Jahren waren noch 40 000 Haushalte weniger betroffen . Jetzt sind wir bei sage und schreibe 352 000 Haushalten in Deutschland, denen der Strom abgestellt wurde, sodass die Menschen buchstäblich im Dunkeln saßen . Man muss sich einmal vorstellen, was das für diese Menschen ganz konkret bedeutet . ({2}) Das bedeutet nämlich, dass man sich keinen Tee und keine Suppe kochen kann, dass es in der Wohnung dunkel ist, wenn man um diese Uhrzeit nach Hause kommt . All das, was wir für normal halten, nämlich fernsehen, den Rechner anstellen und das Handy aufladen, geht nicht. ({3}) Wir als Linke sagen: Das ist eine soziale Katastrophe . Hier können wir nicht länger tatenlos zusehen . ({4}) - Auch Sie sollten dieses Thema einmal ernst nehmen und sich Ihre zynischen Kommentare an dieser Stelle sparen . Wir können gerne darüber sprechen, wer das Geld geben soll und welche energiepolitischen Entscheidungen wir an anderer Stelle hier getroffen haben . Ich lade Sie sehr gerne dazu ein, mit mir darüber zu diskutieren . Wir haben in der Tat steigende Strompreise . Das ist für arme Leute ein Problem, weil die Löhne nicht im gleichen Umfang gestiegen sind . Zwischen 2000 und 2013 hat sich der Strompreis für Privatkunden verdoppelt . Aber die Löhne sind nicht im gleichen Maße gestiegen . Deswegen gibt es hier objektiv ein Problem . Das sollten Sie einmal anerkennen . ({5}) Dies gilt wohlgemerkt für Privathaushalte . Für die Industrie sieht das völlig anders aus . Die Regierung und auch die Große Koalition waren sehr großzügig und haben kreative Lösungen gefunden, um den Anstieg der Strompreise für die energieintensive Industrie zu minimieren . Sie haben die tolle Lösung gefunden, dass wir, die anderen Stromkunden, und wir, die Steuerzahler, diese Rabatte für die energieintensive Industrie mitbezahlen . Aber wenn es um arme Leute geht, dann sagen Sie, es sei kein Geld da. Entschuldigung, das finde ich völlig absurd . ({6}) Stromsperren sind ein Zeichen dafür, dass wir es mit Energiearmut zu tun haben . Wenn man die gängige Definition anlegt, sind fast 7 Millionen Haushalte in Deutschland betroffen . Wenn man davon ausgeht, dass einem Haushalt im Durchschnitt zwei bis drei Personen angehören, dann liegen wir schon bei 14 bis 21 Millionen betroffenen Menschen in Deutschland . Das ist eine hohe Zahl . Ich würde sie selbst kaum glauben, wenn es nicht die Zahl der Bundesregierung wäre . Auch die Schuldnerberatungsstellen bestätigen diesen Trend . 2006 kam nur jeder Zehnte in die Schuldnerberatungsstellen, um sich wegen Energieschulden beraten zu lassen . Heute ist es schon jeder Dritte . Die Energieschulden, die Menschen zu tragen haben, sind deutlich angestiegen . Ministerin Hendricks hatte hier beispielsweise angekündigt, dass der Heizkostenzuschuss im ALG II wieder vollständig eingeführt werden sollte . Die Union hat ihr leider einen Strich durch die Rechnung gemacht . Das wäre mal ein guter Vorschlag gewesen . ({7}) Stromsperren sind eine soziale Katastrophe . Wir als Linke fordern deswegen ganz konsequent: Stromsperren müssen verboten werden . ({8}) Obwohl es in anderen europäischen Ländern geht, behaupten Sie, das sei nicht umsetzbar . Warum ist es in Belgien und in Frankreich zumindest im Winter verboten, den Strom abzustellen? Die Bundesregierung hat noch nicht einmal die Richtlinie der Europäischen Union richtig umgesetzt, die nämlich bestimmte Personengruppen vor einer Abklemmung schützt . Auch auf diese Umsetzung warten wir in Deutschland seit vielen Jahren . Dafür fehlt mir, ehrlich gesagt, jedes Verständnis . ({9}) Meine Damen und Herren, die Versorgung mit Energie ist für uns als Linke ein Grundrecht, das wir besser schützen müssen . ({10}) Viele von uns werden in den nächsten Tagen, am Heiligen Abend in erleuchteten Stuben sitzen, andere nicht . Sie sitzen im Dunkeln . Machen Sie doch diesen armen Menschen wenigstens ein Weihnachtsgeschenk, und stimmen Sie heute unserem Antrag zu . Vielen Dank . ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke, Frau Kollegin Lay . - Der nächste Redner in der Debatte ist Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist Weihnachtszeit, und alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch dieser Antrag . ({0}) Ich glaube, wir haben diesen Antrag schon fünfmal hier im Plenum behandelt - in der vergangenen Legislaturperiode zweimal, dieses Jahr schon einmal -, wir haben in den Ausschüssen darüber gesprochen . ({1}) Man sieht doch Ihre Hilflosigkeit, ({2}) Ihre Einfallslosigkeit, ({3}) dass Sie diese olle Kamelle immer wieder bringen . ({4}) Ich bin es leid und verstehe es auch, ehrlich gesagt, gar nicht . Sie haben so wenig Redezeit - das beklagen Sie immer -, und dann kommen Sie immer mit dieser ollen Kamelle und bringen diesen Antrag immer wieder ein . ({5}) Das ist für mich unverständlich . ({6}) Dann muss ich sagen: Dass das eine kommunistische oder eine sozialistische Partei macht, kann ich ja noch verstehen . Aber dafür, dass die Grünen bei so einem Unfug als selbsternannte Bürgerrechtspartei mit aufspringen, fehlt mir jedes Verständnis . ({7}) Ich muss auch sagen: Den Antrag „Stromsperren gesetzlich verbieten“ ({8}) müsste man verbieten . Aber das können wir ja leider nicht machen, sonst hätten wir das schon gemacht . ({9}) Meine Damen und Herren, wer ist denn eigentlich von solchen Stromsperren betroffen? Betroffen sind MenCaren Lay schen, die aus verschiedenen Gründen nicht bezahlen können . ({10}) - Es sind auch manche darunter, die nicht bezahlen wollen . - Es sind einige darunter, die mit der Situation überfordert sind . Es gibt laut Studien auch einige psychisch Kranke, die nicht mit der Situation umzugehen wissen . Aber warum zähle ich das auf? Für diese Menschen gibt es ganz viele - ich komme nachher noch im Einzelnen dazu - Sozialleistungen in unserem Sozialstaat . Da geht es nicht darum, irgendetwas gesetzlich zu verbieten . Was Sie wollen, ist nichts anderes, als unter dem Verweis auf die Daseinsvorsorge in das Eigentum einzugreifen . ({11}) Meine Damen und Herren, jeder, der eine Dienstleistung erbringt, jeder, der ein Produkt herstellt und einen Vertrag mit einem Kunden eingeht, hat das Recht auf Bezahlung und den Schutz des Rechtsstaates . Das wollen Sie angreifen . Das ist mit uns überhaupt nicht zu machen . ({12}) Sie müssen das Ganze auch zu Ende denken . ({13}) Das fällt Ihnen ja schwer, ich weiß . Aber wenn Sie das wirklich durchsetzen würden, würde das ja nicht nur die vier bösen großen Energieversorger betreffen, sondern auch Stadtwerke . Wenn man noch weiter denkt, würde eine solche gesetzliche Festlegung zum Beispiel auch dazu führen, dass jemand, der bei einem Dienstleister im Internet eine Leistung bestellt, nicht dazu verpflichtet ist, diese zu bezahlen, oder dass jemand, der in einen Laden geht, sich Mantel, Mütze, Schal und Hose nimmt und sagt: „Es ist kalt draußen . Das ist Daseinsvorsorge“, rausgehen könnte, ohne zu bezahlen, ({14}) und der Inhaber des Ladens überhaupt nicht die Möglichkeit hätte, das zu verhindern . Ich meine, das ist völlig ({15}) unlogisch, abwegig, absurd . ({16}) Das ist doch auch ein Anreiz für andere, sich unmoralisch zu verhalten . Denn überlegen Sie mal, was passieren würde, wenn jeder rational denkende Mensch sagen würde: Wenn das unter dem Deckmantel der Daseinsvorsorge geht, dann brauche ich ja nicht mehr zu bezahlen, dann ist alles gut . - Das wäre doch völlig absurd . Ich will Ihnen noch etwas sagen . Sie haben gerade von sozialer Katastrophe in Deutschland gesprochen . Ich darf Ihnen mal die soziale Katastrophe deklinieren . Wir haben 42 Prozent der Mittel im Bundeshaushalt 2014 für Sozialleistungen ausgegeben . ({17}) - Keine Zwischenfragen; ich will das nicht noch verlängern . - Das sind 122 Milliarden Euro . Wir sehen die Grundsicherung im SGB II vor . Da gibt es einen Regelsatz von rund 400 Euro . ({18}) Darin sind 30 Euro Stromkosten eingerechnet . ({19}) Dann - das muss ich dazusagen - gibt es die Kosten der Unterkunft obendrauf . Darin sind Heizkosten, Warmwasser eingerechnet . ({20}) Irgendjemand hatte gesagt: Man kann Kühlschränke, Waschmaschinen und Fernsehapparate bestellen, wenn man sozial schwach ist . ({21}) Die Krankenversicherung ist darin enthalten . Bildung und Teilhabe sind mit drin . ({22}) - Das ist kein Schwachsinn . Das sind Realitäten in Deutschland: 122 Milliarden Euro . Dazu kommen noch die Eingliederungsleistungen . Da reden Sie von Armut per Gesetz . ({23}) Sie müssen in der Weihnachtszeit einmal gucken, ob Sie noch alle Nadeln an der Weihnachtstanne haben . Es ist völlig absurd, was Sie sagen . ({24}) Niemand muss in Deutschland im Dunkeln sitzen . Jeder hat das Recht auf Sozialleistungen . ({25}) - Sie brauchen gar nicht so zu krähen, Sie sind doch noch dran . ({26}) Meine Damen und Herren, es ist natürlich klar, dass Sozialleistungen eine Holpflicht sind. Es muss also wirklich jemand aktiv werden, um diese Leistungen des Sozialstaates zu beantragen. Ich finde das völlig gerechtfertigt . ({27}) Jetzt komme ich zu den Stromsperren . Sie schreiben in Ihrem Antrag, Stromsperren seien gesetzlich überhaupt nicht geregelt . Das ist natürlich völlig absurd; denn die Rechtsgrundlage - das wurde schon gesagt - ist § 19 der Stromgrundversorgungsverordnung . ({28}) Dort gibt es vier wesentliche Voraussetzungen . Erstens . Man muss einen Zahlungsverzug von mindestens 100 Euro haben, damit eine Stromsperre überhaupt verhängt werden kann . Ansonsten darf das Energieversorgungsunternehmen gar nicht aktiv werden . Zweitens . Die Verhältnismäßigkeit muss gegeben sein . Jeder Kranke, jede Familie mit Kindern, jede schwache Familie ist erst einmal per se ausgenommen, wenn beim Sozialamt entsprechende Nachweise vorgelegt wurden . Drittens . Wenn eine absehbare Einigung oder eine Zahlungsabsicht vorhanden ist, dann wird auch nicht abgesperrt . Auch die Sperrandrohung - darüber wurde schon gesprochen - muss mindestens vier Wochen vorher schriftlich beim Kunden, also dem Vertragspartner, eingehen . Viertens . Eine weitere Ankündigung der Sperrung mit dem konkreten Datum muss beim Kunden schriftlich eingehen . Das sind ganz konkrete rechtliche Regelungen . Was ist weiterhin noch möglich? Es wird immer mehr draufgesattelt . Irgendwann muss es auch einmal gut sein; denn die Menschen, die Strom abnehmen, müssen den Strom selbstverständlich bezahlen . ({29}) Was wollen Sie denn den Menschen, den Steuerzahlern, erklären, die arbeiten, ihre Leistungen erbringen und ihre Steuern zahlen? Es ist doch völlig absurd, wenn andere den Strom nicht mehr zu bezahlen bräuchten . ({30}) Was gibt es für eine weitere Unterstützung? Es gibt Unterstützung vom Jobcenter, indem Darlehen gegeben werden . Kein Energieversorger hat irgendein Interesse daran, den Strom zu sperren . Auf ihren Internetseiten haben die Energieversorger Beratungsangebote aufgeführt, die dabei helfen, aus der Situation herauszukommen, beispielsweise kann man eine Teilzahlung vereinbaren . Es gibt auch zwischen dem Energieversorger und dem Jobcenter ein Frühwarnsystem . Wenn man weiß, dass Familien in kritischen Situationen sind, gibt es ein Frühwarnsystem, damit der Energieversorger den Strom nicht abschaltet . Sowohl das Jobcenter als auch die Energieversorger sind daran interessiert, Stromsperren abzuwehren . Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es möglich ist, einen Prepaidzähler einzubauen . Das ist eine gute Maßnahme, damit kann man versuchen, Planbarkeit zu schaffen . Man kann lernen, mit einem Budget umzugehen . Man kann die Kontrolle über den Stromverbrauch wiedergewinnen . Die Leute lernen, mit dem Geld, das zur Verfügung steht - ich habe aufgezählt, was sie alles haben, auch wenn sie selbst nichts verdienen -, zu haushalten . Also, es muss keine Stromsperren geben, auch heute nicht . Es gibt Hilfe zur Selbsthilfe . Das, was Sie machen, ist völlige Effekthascherei . Es gibt in Deutschland eine große starke Solidarität mit den Schwachen . Das, was Sie machen, ist purer Populismus . ({31}) Da es um Strom geht, muss ich Ihnen sagen, Frau Künast, dass Ihr Antrag und der von den Linken reine Energieverschwendung sind . ({32})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Jens Koeppen . - Das Wort zu einer Kurzintervention hat Sabine Leidig .

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Koeppen, ich hätte Ihnen gerne die Frage gestellt - Sie haben gesagt, irgendwann müsse es genug sein und die Leute sollten lernen, mit ihrem Geld umzugehen -, wie Sie zu der Tatsache stehen, dass diejenigen, die nicht zu wenig haben, sondern eher zu viel, durch die geltenden Strompreistarife enorm bevorzugt werden . ({0}) Das gilt für die energieintensiven Industrien - das ist besonders schlimm, weil sie zugleich klimaschädlich sind -, aber es gilt auch für private Haushalte . ({1}) Ein Bekannter von mir lebt in einer Villa mit Swimmingpool und Sauna im Keller . ({2}) Er zahlt die Hälfte von dem, was ich für meine kleine Wohnung pro Kilowattstunde zahle, weil es Mengenrabatt für Stromverschwender gibt . ({3}) Das ist amoralisch . Das können wir uns in unserer Gesellschaft nicht leisten . ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Koeppen möchte nicht antworten . Dann hat jetzt das Wort Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen .

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Koeppen, lassen Sie sich von der Diakonie, von der Caritas und von den Menschen, die hier in Deutschland mit Armut zu tun haben, ein bisschen Nachhilfe beim Thema Armut geben . ({0}) Ihre Argumentation war wirklich unterirdisch und hat mit christlichen Werten überhaupt nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun . Wenn es nach Ihnen ginge, dann dürfte es Stromsperren in Deutschland eigentlich gar nicht geben, weil nicht sein kann, was nicht sein darf . Es gibt aber über 350 000 Stromsperren, und es gibt zusätzlich - das darf man nicht vergessen - auch noch fast 50 000 Gassperren . Das ist für dieses reiche Land ein Armutszeugnis . Das müssen wir ändern . ({1}) Man muss vor allen Dingen an die Ursachen rangehen . Eine wesentliche Ursache ist, dass die Hartz-IV-Regelsätze zu niedrig sind . Die Hartz-IV-Regelsätze müssen angehoben werden, damit sie existenzsichernd sind ({2}) und damit die Menschen Preisschwankungen in einzelnen Gütergruppen durch Einsparungen an anderer Stelle ausgleichen können . So, wie Sie die Regelsätze berechnet haben, ist das nicht möglich . Das müssen wir bei der nächsten Regelsatzberechnung korrigieren . ({3}) Just heute gab es eine Pressemeldung - wir Sozialpolitiker wurden schon letzte Woche darüber informiert -, dass die Caritas eine Studie zu Stromkosten von Menschen mit geringem Einkommen beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Auftrag gegeben hat . In der Studie wurde nachgewiesen, dass die Stromkosten von Menschen mit geringem Einkommen deutlich höher sind als die im Regelsatz vorgesehenen Stromkosten . Das heißt, an dieser Stelle brauchen wir eine Änderung . Die Ursache dafür, dass die Menschen mit geringerem Einkommen höhere Kosten haben als jene mit höherem Einkommen, die sogenannte Referenzgruppe bei der Regelsatzberechnung, ist, dass sie sich eben nicht die stromsparenden Geräte leisten können . Es gibt auch noch viele andere Gründe . Das heißt, wir müssen die Stromkosten für die Hartz-IV-Bezieher anders berechnen als bisher . Wir müssen bei der nächsten Regelsatzberechnung die notwendige Korrektur durchführen, die uns übrigens auch das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben hat . Das sollten wir dann auch tun . ({4}) Die Thematik beinhaltet zwei Aspekte, die man zusammendenken muss . Es gibt den ökologischen Aspekt auf der einen Seite - wir müssen nämlich auch dafür sorgen, dass die Menschen weniger Strom und Energie verbrauchen -, und es gibt auf der anderen Seite den sozialen Aspekt; das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen die Stromkosten bzw . die Energiekosten auch bezahlen können . Dazu möchte ich zwei Vorschläge zur Diskussion stellen . Mein erster Vorschlag ist, die Stromkosten bei der Regelsatzberechnung herauszunehmen, getrennt zu berechnen - ich habe eben schon begründet, warum das sinnvoll sein kann - und dann die Pauschale für die Stromkosten jährlich anzupassen . Das würde zu mehr Transparenz für die Betroffenen und auch für die Jobcenter führen . Man könnte für diejenigen Menschen, die höhere Stromkosten haben, zielgenaue Beratungen durchführen, damit sie ihre Kosten senken . Für diejenigen, die tatsächlich Stromkosten einsparen, ergäbe sich ein positiver Effekt . Das wäre tatsächlich ein Anreiz zum Stromsparen . Das wäre eine zielgenaue Möglichkeit, die Stromkosten für Menschen im SGB-II-Bezug zu reduzieren . ({5}) Mein zweiter Vorschlag - weil es nicht nur um Menschen im Hartz-IV-Bezug geht, sondern um Menschen, die vielleicht keine Sozialleistungen beziehen, aber deren Einkommen gering ist -: Vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Klimagipfels von Paris müssen wir den CO2-Ausstoß reduzieren . Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Energiepreise endlich die Wahrheit sagen . Deswegen müssen wir den CO2-Ausstoß verteuern, zum Beispiel durch Verbesserungen beim Emissionshandel oder durch eine CO2-Steuer . Das wird die Preise für fossile Energien erhöhen, was insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen ein Problem sein kann, weil sie möglicherweise nicht so schnell wie wir, die wir ein etwas höheres Einkommen haben, auf energiesparende Möglichkeiten zurückgreifen können . Es wäre eine Idee, dass man die Einnahmen, die man durch solche Maßnahmen zusätzlich erzielt, der Bevölkerung zurückgibt, dass man umverteilt . Das wäre eine Möglichkeit, um dafür zu sorgen, dass Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen die kurzfristig höheren Preise für Energie stemmen können . Wenn wir auf erneuerbare Energien umsteuern, werden die Preise langfristig wieder sinken; kurzfristig müsste es aber eine finanzielle Unterstützung geben. Das wäre eine Möglichkeit, um ökologische und soziale Probleme gleichzeitig zu lösen . Das wäre eine Antwort auf die ökologische und die soziale Frage . ({6}) Da meine Redezeit jetzt tatsächlich abgelaufen ist, sage ich nur noch kurz: Wir brauchen viel mehr Ideen, wie wir diese Fragen beantworten können . Aus unserer Sicht reicht es nicht aus, nur an den Symptomen zu kratzen, was die Linke mit ihrem Antrag tut . Weswegen wir dem Antrag nicht zustimmen, sondern uns enthalten . Das Problem ist relevant, aber wir müssen an die Ursachen ran, gleichzeitig an die ökologischen und die sozialen Probleme . Vielen Dank . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Sabine Poschmann . ({0})

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Linken, zugegeben, Ihr Antrag fühlt sich sozialpolitisch verlockend an . Man könnte ihn aber auch - und dabei bleibe ich populistisch nennen: Keine Stromsperren für bedürftige Haushalte, stattdessen eine Grundversorgung für alle, die nicht gekappt werden darf . - Gut gebrüllt, Löwe! Leider lässt Ihr Papier offen, wer die Zeche zahlen soll . Im Zweifel - das wissen Sie sehr genau - sind das die zahlenden Kunden; denn die Kosten werden von den Energieversorgern auf die Strompreise umgelegt . ({0}) Sie wollen also säumige Kunden aus der Pflicht entlassen und Verbraucher, die ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen, zusätzlich in die Pflicht nehmen. Halten Sie das für sozial gerecht? Ich nicht . In Ihrem Antrag sprechen Sie von einer „stillen sozialen Katastrophe“ . Es ist doch keine Frage: Eine Stromsperre ist ein erheblicher Eingriff für jeden Haushalt, und jeder einzelne Fall ist einer zu viel . Dennoch sollten wir die Kirche im Dorf lassen . Sie erwecken den Eindruck, als würden die vielen kleinen und mittleren örtlichen Energieversorger mutwillig jeden Kunden vom Stromnetz nehmen, der seine Rechnung nicht bezahlt hat . Das ist natürlich Quatsch . Dagegen sprechen sogar die Zahlen, die Sie in Ihrem Antrag selbst verwendet haben . Sie verweisen darauf, dass 2013 fast 7 Millionen Haushalten eine Stromsperre angedroht wurde, und schreiben, dass die Sperrung bei knapp 344 000 Haushalten tatsächlich vollzogen wurde, also bei einem Bruchteil . ({1}) Das zeigt: Es gibt offenbar andere Lösungen . Wir alle wissen, dass eine Stromsperre immer eine Vorgeschichte hat . Hinzu kommt, dass zwischen der ersten Mahnung und einer Sperre rund 30 Tage liegen . Zudem erhalten die Betroffenen mindestens drei Tage vorher einen letzten Hinweis auf die bevorstehende Maßnahme . Mancherorts kommt die Info sogar eine Woche vorher . Bis zuletzt bleibt eine Einigung möglich . Mir persönlich ist kein Fall bekannt, in dem sich ein Versorger einer tragfähigen Lösung mutwillig widersetzt hat . In Ihrem Antrag heben Sie darauf ab, dass insbesondere Menschen betroffen seien, die Hartz-IV-Leistungen beziehen . Sie tun so, als gäbe es einen Automatismus, der quasi nicht abzuwenden ist . Dem ist nicht so . In meiner Heimatstadt Dortmund liegt die Arbeitslosenquote leider bei mehr als 12 Prozent; rund 85 Prozent der Menschen beziehen Sozialleistungen . Die Zahl der Stromsperren beträgt aber weniger als 1 Prozent . In vielen Städten gibt es, wie in Dortmund, heute schon eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen Energieversorgern und örtlichen Sozialleistungsträgern, um Energiesperren zu vermeiden . Wenn Sie allerdings der Meinung sein sollten, dass vielmehr die Regelsätze des ALG II angehoben werden müssten, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, müssen Sie eine sozialpolitische Diskussion führen, und zwar in den zuständigen Fachausschüssen . Ihrem Antrag hier und heute wird die SPD-Fraktion aus den vorgenannten Gründen nicht zustimmen . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Fraktion, ist jetzt die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt .

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihre Anträge wiederholen sich regelmäßig . ({0}) Aber solange Sie immer wieder das Falsche wiederholen, sagen wir Ihnen ganz deutlich: Ihr Antrag ist weiterhin inhaltlich falsch, und daher werden wir ihn ablehnen . ({1}) Ich erläutere Ihnen gerne noch einmal, warum . Sie sprechen in Ihrem Antrag wieder von einer „stillen sozialen Katastrophe stromloser Haushalte“ . Das hört sich fürchterlich an, ({2}) so, als ob mehr als der Hälfte der Haushalte in Deutschland ständig der Strom abgestellt werden würde . ({3}) Lassen wir doch die Kirche im Dorf . Sie kennen die Zahlen; auch von meinen Vorrednern wurden sie schon erwähnt . Laut Monitoringbericht der Bundesnetzagentur aus 2014 gibt es einen leichten Anstieg von 23 000 Haushalten auf circa 345 000, denen der Strom gesperrt wurde . Das klingt zunächst nach viel . ({4}) Aber ins richtige Verhältnis gesetzt zeigen die Zahlen, dass bei 40 Millionen Haushalten, die wir in Deutschland haben, gerade mal 0,8 Prozent der Haushalte von Stromsperren betroffen sind . Ich denke, das muss man festhalten . ({5}) Warum Sie da von einer stillen Katastrophe stromloser Haushalte sprechen, ist mir schleierhaft . Es sollte immer um das richtige Maß gehen, auch bei der Wortwahl . Fakt ist: Wir alle wissen nicht, warum der Strom gesperrt wird . Fakt ist auch, dass selbst bei rund 4 Millionen Leistungsempfängern die Stromsperren lediglich 9 Prozent ausmachen . Ich gebe Ihnen in einem recht: Jeder ist immer einer zu viel . ({6}) - Endlich mal ein Beifall von den Grünen . ({7}) Aber daraus zu schließen, dass wir in Deutschland eine Energiearmut haben, halte ich für sehr überzogen . ({8}) Stromlieferverträge sind ganz normale schuldrechtliche Vertragsverhältnisse; das alles wurde schon ausgeführt . Es ist im BGB geregelt . Dazu gehören mehrere Mahnungen und eine Androhungsfrist von mindestens vier Wochen . Ich wiederhole das jetzt nicht alles noch einmal . Es ist wirklich sichergestellt, dass jedem Bürger ausreichend Zeit bleibt, um die Sozialhilfeträger um eine Kostenübernahme zu bitten und damit die Liefersperre abzuwenden . Um soziale Härten zu vermeiden, besteht für sozial schwache Kunden sogar die Möglichkeit, die Kosten der Stromlieferung im Rahmen der Grundsicherung abzudecken . Ich gebe Ihnen in einem recht: Sie haben vorhin den Vorschlag gemacht, darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll wäre, die Stromkosten bei den Leistungen herauszurechnen und direkt zu überweisen . ({9}) Aber darüber müssen wir nicht hier diskutieren, sondern im Ausschuss . ({10}) Der Vorschlag ist sicherlich richtig; denn die Menschen können mit ihrem Geld manchmal nicht wirklich richtig haushalten und umgehen . Stromsperren sind die Ultima Ratio der möglichen Maßnahmen bei zahlungsunwilligen Kunden - auch diese gibt es - oder bei Kunden, die nicht zahlen können . Aber jeder Bürger, der sich in einer sozialen Notlage befindet, hat die Möglichkeit, eine Liefersperre zu verhindern . Ich möchte Ihnen aus meiner Praxis berichten ich habe einen richtigen Beruf gelernt: ich bin von Beruf Sozialpädagogin -: Ich habe früher im Rahmen der offenen Arbeit viel mit solchen Menschen zu tun gehabt . Ich kann mich gut erinnern, wie mich meistens am Freitagnachmittag Mütter mit kleinen Kindern angerufen haben: Frau Lanzinger, mir wird der Strom gesperrt, ich habe die Rechnung nicht bezahlt . Helfen Sie mir bitte, dass der Strom weiter geliefert wird . - Meistens ist mir das auch gelungen, eigentlich immer . Es ist sehr wichtig, mit den Menschen zu reden: Wie kann man das verhindern? Wie kann man Vorsorge betreiben? ({11}) Wie kann ich die davon überzeugen, zu sparen? Natürlich geht es auch darum . Ich denke, es ist wichtig, dass es eine soziale Unterstützung gibt, um die Menschen entsprechend zu begleiten . Ein völliges Verbot von Stromsperren würde einseitig zulasten der meist kommunalen Energieversorger und der anderen Kunden gehen . Wenn Stromsperren gesetzlich verboten würden, wo läge dann überhaupt noch der Anreiz, die Rechnungen zu bezahlen? Grundsätzlich zu sagen: „Strom gibt es bis zu einem bestimmten Maß für alle; dafür braucht man nicht zu bezahlen“, das kann man nicht machen . Das geht nicht . ({12}) Wer würde dann noch seine Rechnungen bezahlen? Wo wäre dann überhaupt der Anreiz, die Rechnungen zu bezahlen? Man kann nicht einfach sagen: „Ich zahle irgendwann, wenn es mir passt“, und man kann nicht einfach sagen: Stromsperren werden gesetzlich verboten . - Das geht nicht . Ich sage auch ganz bewusst: Wir können unsere Rechtsstaatlichkeit nicht einfach so mal außer Kraft setzen, weil 0,8 Prozent der Haushalte ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können . Es ist nicht gemeinwirtschaftlich, wie Sie schreiben, die Kosten einer Minderheit auf die Mehrheit der Bevölkerung abzuwälzen . Mit Ihren Klassenkampfparolen - das sage ich ganz bewusst - helfen Sie den Menschen definitiv nicht weiter. ({13}) Zahlende Bürger können die nichtzahlenden Bürger nicht mitfinanzieren. Das geht nicht, auf jeden Fall nicht mit uns . ({14}) Im Übrigen gibt es eine interessante Antwort der Bundesregierung vom 4 . Dezember 2015 auf eine Anfrage der Grünen zu diesem Thema . Darin steht - ich zitiere jetzt daraus, allerdings nicht alles -: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass der pauschalierte Regelbedarf insgesamt so ausreichend bemessen ist, dass . . . aus ihm auch die als regelbedarfsrelevant anerkannten Bedarfe für Energie gedeckt werden können . Anhaltspunkte dafür, dass . . . insgesamt die Gefahr von Bedarfsunterdeckungen bestand, liegen nicht vor . Weiter heißt es, dass es bei Strom zuletzt keine deutlichen Preissteigerungen gegeben habe . Die Strompreise für Haushaltskunden lägen 2015 etwa auf dem Niveau des Jahres 2013 . Daher bestehe kein aktueller Handlungsbedarf, so die Bundesregierung . ({15}) Das zeigt wieder einmal, dass alle Ihre energiewirtschaftlichen Forderungen einer Verstaatlichung der Energieversorgung durch die Hintertür gleichkommen . Das wollen wir nicht, und das werden wir nicht unterstützen . ({16}) Ich halte es durchaus für richtig - auch das wurde schon angeregt -, dass wir über Prepaid-Tarife, Smart Grids und Smart Meter Überprüfungen durchführen und eine gewisse Vorsorge betreiben können . Aber ich möchte zum Schluss ganz deutlich sagen: Wir müssen bei allen Diskussionen auch unsere Einstellung insgesamt zu Strom, Energie und Energieverbrauch konsequent in den Blick nehmen und sie überdenken, auch was die Stromeinsparung betrifft . Wir müssen uns das Gut Strom und das Gut Energie bewusst machen und lernen, es richtig zu gebrauchen . Wir werden Ihren Antrag ablehnen . Danke schön fürs Zuhören . ({17})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Stromsperren gesetzlich verbieten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3751, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/3408 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts Drucksache 18/4631 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({0}) Drucksache 18/6916 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre hierzu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kelber das Wort . ({1})

Ulrich Kelber (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003450

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist ein Meilenstein für mehr Verbraucherschutz im Internet . Endlich bekommen Verbraucherverbände das notwendige Instrument, um die Rechte der Verbraucher zum Schutz ihrer persönlichen Daten effektiv durchzusetzen . Datenschutzverstöße werden sich für Unternehmen künftig nicht mehr lohnen . Das ist nicht etwa das Eigenlob der Bundesregierung oder der Koalitionsfraktionen, sondern so bilanziert der oberste unabhängige Verbraucherschützer der Bundesrepublik, der Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller, den Gesetzentwurf, den wir heute hoffentlich zum Gesetz machen . ({0}) - Frau Künast, weil Sie einen Zwischenruf gemacht haben: Ich glaube, Herr Müller ist ein Parteifreund von Ihnen . ({1}) Er war grüner Minister und ist nicht verdächtig, etwas schönzureden, was wir tun . In Zeiten des Internets und der digitalen Welt hat der Umgang mit Daten explosionsartig zugenommen . Viele Geschäftsmodelle basieren auf der Verarbeitung von Verbraucherdaten . Verbraucherinnen und Verbraucher könBarbara Lanzinger nen aber nicht jedes Mal überblicken, was mit ihren Daten passiert, und sie können erst recht nicht einschätzen, ob diese Datennutzungen rechtmäßig sind oder nicht . Suchmaschinenanbieter, Betreiber sozialer Netzwerke und Anbieter mobiler Apps sammeln verschiedenste Daten . Wenn sie sie verknüpfen, entstehen regelmäßig umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile. Dadurch werden die Persönlichkeitsrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern in besonderer Weise gefährdet . Von gleicher Augenhöhe zwischen Anbietern und Verbraucherinnen und Verbrauchern kann heute auf keinen Fall die Rede sein . ({2}) Das Datenschutzrecht enthält gute Schutzvorschriften für die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber, ja, wir haben in der digitalen Welt Defizite bei der Rechtsdurchsetzung . Die Datenschutzbehörden leisten wichtige und gute Arbeit . Mit der Zahl der Fälle, die sie eigentlich verfolgen müssten, sind sie aber natürlich überfordert . Auch einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher sind oft nicht in der Lage, ihre Rechte gegenüber großen Anbietern, wie Amazon, Google oder Facebook, durchzusetzen, also zivilrechtlich geltend zu machen . Gründe dafür sind ein Kostenrisiko, ein großer Zeitaufwand und - zum Beispiel bei Hintergrundprozessen, um die es oft bei der Nutzung von Daten geht - ein Mangel an Expertenwissen . Wir wollen es daher Verbraucherverbänden, Wirtschaftsverbänden und Kammern ermöglichen, in Zukunft bei einem Verstoß gegen die Datenschutzrechte der Verbraucher mit Abmahnungen und Unterlassungsklagen für Abhilfe zu sorgen . Wir ergänzen damit die bestehenden Rechtsinstrumente . Der Gesetzentwurf stellt eine ausgewogene Lösung dar, um die Rechtsdurchsetzung zu stärken . Insbesondere der Missbrauch von Abmahnungen - das hat der eine oder andere vielleicht auch schon selbst erfahren - ist ausgeschlossen . Wir ermöglichen es eben nicht, einfach Abmahnkosten einzustreichen und das eigentliche Ziel gar nicht zu verfolgen . Der Gesetzentwurf bürdet den Unternehmen auch keine neuen, zusätzlichen datenschutzrechtlichen Pflichten auf, aber er setzt durch, dass die bestehenden Pflichten auch eingehalten werden, und zwar von allen gleichermaßen. Das ist heute ja das große Defizit. Wir sorgen also für einen fairen Wettbewerb, damit die unseriösen Anbieter - die, die sich nicht an den Datenschutz halten - keinen Wettbewerbsvorteil vor den anderen Anbieterinnen und Anbietern haben . ({3}) Neben der Einführung dieser Verbandsklage verbessert der Gesetzentwurf auch an einer anderen Stelle die Rechtslage für Verbraucherinnen und Verbraucher . Anbieter haben in der Vergangenheit versucht, die Verbraucherinnen und Verbraucher glauben zu lassen, dass Kündigungen - das gilt auch für andere Erklärungen nur durch einen unterschriebenen Brief an eine sorgfältig ausgewählte postalische Adresse und nicht, wie oft der Vertragsabschluss, per E-Mail erfolgen konnten . Diese sogenannten Schriftformklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen werden in Zukunft ungültig und unwirksam sein, wenn sie etwas anderes als die reine Textform vorschreiben . Eine Ausnahme wird es nur noch für die Verträge geben, für die im Gesetz eine notarielle Beurkundung vorgeschrieben ist . Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Gesetzentwurf - und wenn Sie zustimmen: das Gesetz - die Durchsetzung des Datenschutzes wesentlich verbessern wird . Die Einschätzung derjenigen, die es anwenden sollen, habe ich am Anfang vorgetragen . Daher bitte ich Sie um die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf . Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben diese Verbesserung bei der Durchsetzung ihrer Rechte verdient . Vielen Dank . ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Caren Lay das Wort . ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, was haben wir eigentlich gemacht, bevor es Internet, bevor es Handys gab? Wir können uns heute manchmal gar nicht mehr vorstellen, wie das Leben damals, also vor ein paar Jahren, funktioniert hat . Der Klassiker in diesen Tagen ist natürlich der Onlineeinkauf für Weihnachten im Internet . Der Anteil an Waren, die im Internet, also online, geshoppt werden, steigt von Jahr zu Jahr . So schön und praktisch das natürlich alles ist: Wir hinterlassen überall unsere Daten, ob bewusst, ob halb bewusst, ob über Cookies, die unser Suchverhalten auf den jeweiligen Seiten ausspähen . Man bekommt ungebetene Post, ungebetene Mails . Man bekommt beim nächsten Besuch auf einer Internetseite plötzlich Werbung, die scheinbar zufällig unseren Interessen entsprechen könnte . Das ist für viele Verbraucherinnen und Verbraucher inzwischen zu einem Ärgernis geworden . Nicht nur Onlineshopping ist eine Datenkrake . Man lädt sich beispielsweise eine Taschenlampen-App herunter . Diese spendet dann nicht nur Licht . Vielmehr hat der Entwickler diese App so programmiert, dass sie unbemerkt viele interessante Einblicke in unser Smartphoneverhalten, in unser Surfverhalten weitergibt . Oder ein anderes Beispiel, das in der Anhörung eine Rolle gespielt hat und unser Sachverständiger padeluun eingebracht hat: Facebook . Ja, Facebook rühmt sich damit, kostenlos zu sein . Aber auf der anderen Seite zahlen wir gewissermaßen mit unseren Daten; denn Daten sind für Unternehmen sehr viel wert . Deswegen gehen viele Unternehmen nicht nur legale, sondern auch halblegale, zum Teil auch illegale Wege, um an unsere Daten zu kommen . Hier brauchen wir tatsächlich einen besseren Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher . ({0}) Natürlich: Man kann jetzt auch schon klagen . Aber wir müssen feststellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher mit den Unternehmen nicht auf Augenhöhe sind . Sie fühlen sich machtlos und verstehen die AGBs nicht etc . pp . Auch die Hürden für Einzelklagen sind viel zu hoch, oder die Einzelfälle erscheinen zu banal . Deswegen sagen auch wir als Linke: Wir müssen dieser Datenabzocke Einhalt gebieten und die Klagerechte für die Verbände an dieser Stelle deutlich verbessern . ({1}) Deswegen begrüßen wir den Gesetzentwurf prinzipiell, weil auch wir finden, dass die kollektiven Klagerechte nicht nur im Verbraucherschutz im Allgemeinen, sondern ganz konkret im Verbraucherdatenschutz verbessert werden müssen . ({2}) Wir müssen hier im Interesse der Internetnutzer tatsächlich ein Stück weit in der digitalen Realität ankommen . Was wir allerdings nicht verstehen und bedauerlich finden, ist, dass die Bundesregierung den Unternehmen doch noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten offenlässt, damit sie die Daten von Verbraucherinnen und Verbrauchern weiter munter nutzen können . Was wir überhaupt nicht nachvollziehen können, ist, warum das Klagerecht der Verbände inkonsequenterweise nur an Daten mit kommerzieller Zweckbindung gebunden ist . Keine Anwendung findet der Gesetzentwurf bei sogenannten vertraglichen Zwecken . Das betrifft nach unserer Befürchtung einen nicht unerheblichen Teil der Daten . Vor allen Dingen wird es die Verbände in die Situation bringen, dass sie immer wieder nachweisen müssen, dass es sich an der Stelle nicht um kommerzielle Zwecke handelt . Das macht die Regelung unklar . Das wird zu langen Rechtsstreitigkeiten führen . Wir haben für diese Einschränkung gar kein Verständnis . ({3}) Es wurde von der Union geltend gemacht, dass vor allen Dingen kleine Firmen mit Klagen überzogen werden könnten . Da frage ich mich ein bisschen, welches Bild die Union von kleinen Firmen hat . Ich gehe davon aus, dass seriöse Unternehmen auf Datenklau verzichten . Aber ich finde auch: Wenn Datenmissbrauch vorliegt, dann muss er beklagbar sein, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen Riesenkonzern oder um ein Zwei-Mann-Start-up handelt . Verbraucherdaten müssen geschützt werden . Da können wir keine Rücksicht auf die Unternehmensgröße nehmen . ({4}) Auch an anderer Stelle - das will ich in diesem Zusammenhang zumindest kurz erwähnen - hat sich die Bundesregierung mehr damit hervorgetan, die Interessen der Unternehmen zu schützen, als damit, die Daten der Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen, nämlich bei der seit langem diskutierten EU-Datenschutz-Grundverordnung . Auf diese warten wir schon lange . Es war ausgerechnet Deutschland, das dieses Verfahren sehr lange blockiert hat . Es war auch Deutschland, das die meisten Änderungsanträge aller Mitgliedstaaten vorgelegt hat, aber nicht etwa im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und ihrer Daten, sondern im Interesse der Unternehmen . Mit diesem Vorgehen hat es die Bundesregierung sogar in die heute-show geschafft . Auch ich finde, das war wirklich keine Meisterleistung der Koalition . Meine Damen und Herren, es hätte so schön sein können . Schade, dass die Koalition auf halber Strecke stehen geblieben ist und den Unternehmen immer noch zu viele Schlupflöcher lässt, statt die Verbraucherdaten zu schützen . Deswegen können wir uns an dieser Stelle nur enthalten . Vielen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Dr . Stefan Heck, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Stefan Heck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz, das hier im Entwurf vorliegt, setzt die Große Koalition ein wichtiges Anliegen aus dem Koalitionsvertrag im Bereich des Datenschutzes um . Wir wollen Verbrauchern eine effektive Möglichkeit geben, gegen datenschutzrechtliche Verstöße von Unternehmen gerichtlich vorzugehen . Wir haben in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs im April dieses Jahres schon sehr intensiv darüber gesprochen, und wir haben Ihnen damals gesagt, dass der Entwurf, der damals vorlag, aus unserer Sicht noch nicht zustimmungsfähig ist . Deswegen bin ich sehr dankbar, dass es uns in den letzten Wochen und Monaten gelungen ist, in den Verhandlungen ein ganzes Stück voranzukommen . Für uns waren vor allem zwei Punkte sehr wichtig . Erstens wollten wir vermeiden, dass die Möglichkeit bloßer Verdachtsklagen ins Blaue hinein geschaffen wird . Zweitens wollten wir vermeiden, dass es zu einem unkontrollierten Nebeneinander von zivilrechtlichen Instrumenten auf der einen Seite und den datenschutzrechtlichen Vorschriften im öffentlichen Recht auf der anderen Seite kommt . Ich glaube, dass wir in den Berichterstattergesprächen und im Ausschuss in den letzten Wochen insgesamt zu zufriedenstellenden Ergebnissen gekommen sind . Zur Vermeidung von Verdachtsklagen: Wir haben in der Koalition Einigkeit darüber erzielt, dass wir mit diesem Gesetz einem Missbrauch des Verbandsklagerechts vorbeugen wollen und auch müssen . Frau Lay, ich glaube, dass wir kleine Unternehmen und Start-ups besonders davor schützen müssen . Es war viel von gleicher Augenhöhe zwischen Verbrauchern und Unternehmen die Rede . Wir müssen aber auch vermeiden, dass ein neues Ungleichgewicht zwischen den großen Verbraucherverbänden mit großen Rechtsabteilungen auf der einen Seite und den kleinen Start-ups, die in der Regel gar keinen eigenen Juristen im Hause haben, auf der anderen Seite entsteht . Unser Ziel ist die Schaffung von Waffengleichheit statt einer neuen Waffenungleichheit zuungunsten vor allem kleiner Unternehmer . ({0}) Wir haben deshalb in § 2 Unterlassungsklagengesetz eine Einschränkung des Verbandsklagerechts vorgesehen . Wir haben klargestellt, dass eine Datenverarbeitung zu einem vergleichbaren kommerziellen Zweck gerade dann nicht vorliegt, wenn - Sie haben es angesprochen personenbezogene Verbraucherdaten ausschließlich zur Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Vertrags mit dem Verbraucher erhoben und genutzt werden . Es wäre völlig unangemessen, wenn sich Unternehmen im Verbandsklageverfahren dafür rechtfertigen müssten, dass sie diejenigen Daten speichern, die notwendig sind, um das Schuldverhältnis abzuwickeln . Dem Verbraucher wäre nicht geholfen, wenn er demnächst keine Ware mehr bekommt, weil ein übereifriger Verbraucherverband schon das Speichern der Lieferadresse für einen Datenschutzverstoß hält . Wir sollten uns deshalb auch davor hüten, die Datenspeicherung durch Unternehmen generell zu verteufeln . Dass man sich beispielsweise die Adresse und Telefonnummer eines Kunden notiert, um bei Problemen Rücksprache halten zu können, ist eher Kundenservice als ein Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen . Außerdem halten wir es für eine gute Regelung im Gesetzentwurf, dass die qualifizierten Einrichtungen dem Bundesamt für Justiz einen Bericht über die Anzahl von Abmahnungen und Klagen bei Verstößen gegen das Datenschutzrecht vorlegen müssen . So können wir als Gesetzgeber überprüfen, ob das, was wir hier auf den Weg gebracht haben, in die richtige Richtung geht, und gegebenenfalls frühzeitig gegensteuern . Ich komme zum zweiten Aspekt, der uns wichtig ist . Wir wollten auf jeden Fall vermeiden, dass mit dem, was wir hier auf den Weg bringen, ein Nebeneinander öffentlich-rechtlicher Vorschriften auf der einen und zivilrechtlicher Vorschriften auf der anderen Seite geschaffen wird . Man kann gar nicht oft genug betonen, dass sich an der materiellen Gesetzeslage durch das, was wir heute beschließen, überhaupt nichts ändert . Sie bleibt so wie bislang . Was künftig vor den Zivilgerichten verhandelt wird, ist in der Sache nichts anderes, als was schon bisher der Aufsicht durch die Landesdatenschutzbeauftragten unterlag . Die Botschaft an die Unternehmen lautet daher: Wer sich bisher rechtmäßig verhalten hat, hat auch in Zukunft nichts zu befürchten . Am Ende wird es zu einem Nebeneinander der Tätigkeit der Landesdatenschutzbeauftragten und dem Verbandsklagerecht, das wir heute einführen, kommen . Ich bin sehr dafür, dass wir als Gesetzgeber dieses Verfahren heute beschließen, aber in den nächsten Monaten auch sehr genau beobachten, wie sich das, was wir hier beschließen, in der Praxis auswirkt . Aus Sicht meiner Fraktion müssen wir im Auge behalten, dass nicht einzelne Verbraucherverbände mit im Ergebnis überzogenen und unbegründeten Klagen eine ganze Branche verunsichern . Wir alle haben, glaube ich, das Anliegen, dass die großen Internetriesen sorgfältiger mit den Daten umgehen, als das bislang der Fall ist . Es gibt aber auch kleine und mittelgroße Unternehmen, für die solche juristischen Störfeuer am Ende existenzbedrohend sein können . Es liegt jetzt an den Verbraucherverbänden . Diesen möchte ich von dieser Stelle aus zurufen: Zeigen Sie durch eine Handhabung mit Augenmaß, dass das Verbandsklagerecht bei Ihnen in die richtigen Hände gelegt wird . Vielen Dank . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen .

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle reden von den Chancen durch Big Data und davon, welche wirtschaftlichen Beteiligungsmöglichkeiten dadurch eröffnet werden . Wir wissen, dass die Chancen bei Big Data durch die Verknüpfung und die Auswertung von Daten wirklich enorm sind . Aber gleichzeitig steigt auch das Missbrauchspotenzial . Wer Informationen und persönliche Daten hat, hat Macht und weiß zum Beispiel, was jemand möchte, bevor der Betreffende es selber weiß . Man bekommt aufgrund der Analyse eines alten Surfverhaltens Angebote . Das gilt insbesondere für junge Leute, um deren Schutz wir uns in verstärktem Maße kümmern müssen . Wer einmal nach bestimmten Kleidungsstücken gesucht hat, bekommt sie oder Ähnliches immer wieder angeboten . Wer einmal nach einer bestimmten Band gesurft hat, bekommt die Kleidung, die die Band trägt, immer wieder angeboten . Alle sind dabei und spielen mit dem neuen Goldbarren „Information und Daten“ . Alle sind dabei, die NSA sowieso, aber auch Facebook und Amazon . Wir Verbraucher zahlen immer, entweder mit Geld oder mit Informationen . Ich meine, dass daraus etwas anderes erwächst, als mancher Redner glauben machen will . Herr Heck, nachdem das Gesetz schon so ausgehöhlt wurde, enden Sie noch mit dem Satz, die Verbraucherverbände sollten mit Augenmaß und Zurückhaltung von der neuen Klagemöglichkeit Gebrauch machen. Das finde ich irgendwie putzig . Gibt es nun ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung oder nicht? ({0}) Sie bitten gleich bei der Einführung eines kleinen, begrenzten Verbandsklagerechts darum, es erst gar nicht zu nutzen . ({1}) - Ich habe es etwas übertrieben dargestellt . Sie haben von Augenmaß gesprochen, aber nicht gesagt: Es ist Ihr gutes Recht . Sie leben in einer Demokratie . Also nutzen Sie es, wenn es nötig ist . Es ist auch putzig, den Verbraucherverbänden zu unterstellen, dass sie gegen jeden klagen werden . So viel Geld haben diese auch nicht, um jedes Prozessrisiko einzugehen . Ihnen geht es wie allen anderen: Sie werden sich überlegen, was sie tun . Im Bereich der Datenerhebung gibt es Chancen für Wohlstand und Entwicklung, aber auch ein Einfallstor für die Gier nach immer mehr Daten . Was wir hier sicherstellen müssen, ist nichts anderes, als den Kern des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, genauso wie es das Bundesverfassungsgericht definiert hat, zu erhalten und zu beschützen . Das tut dieses Gesetz meines Erachtens nicht . ({2}) Überlegen Sie einmal, wo überall Daten anfallen . Ich nehme einmal ein Beispiel, das uns betreffen könnte . Im November dieses Jahres gab es vier Sitzungswochen . Womöglich hat jemand von Ihnen nach diesen Wochen eine Diät-App aus dem Internet heruntergeladen, weil er meint, dass nach vier Wochen bewegungsarmer Zeit und allerhand Keksen zwischendurch Diät nottut . Wer von Ihnen wäre eigentlich in der Lage, herauszufinden, ob der Anbieter dieser Diät-App am Ende Ihre Daten wirklich gelöscht hat? Wer von Ihnen wüsste, wie man rechtlich den entsprechenden Weg beschreitet? Fakt ist doch: Wir reden von Datensouveränität; aber die Kontrolle und die Umsetzung sind für den Einzelnen gar nicht möglich, weil man den Missbrauch teilweise gar nicht erkennt . Dahinter stehen ein wirtschaftlicher Missbrauch und zum Teil auch organisierte Datenkriminalität . Wir haben eine totale Schieflage, und zwar bei den ganz großen internationalen Konzernen, die die Weltkonzerne werden wollen und am Ende am liebsten so viele Daten haben wollen, dass sie in jedem Wirtschaftszweig alles anbieten können . Natürlich gibt es auch ein paar kleine Anbieter . Bei allen stellt sich aber die Frage: Wie können die einzelnen Kunden ihr Recht durchsetzen? Es gibt Individualklagerechte gegenüber Unternehmen, zum Beispiel das Recht auf Löschung der Daten, das aber extrem schwierig umzusetzen ist . Es gibt Datenschutzbehörden, die die Aufsicht auszuüben haben . Schauen Sie sich einmal an, wie sich der Hamburgische Datenschutzbeauftragte mit Facebook abmühte . Selbst der Minister hat nicht das geliefert, was er zu liefern angekündigt hat . Angesichts dessen wissen wir, dass die Individualklagerechte und die Datenschutzbehörden allein nicht ausreichen . Wir brauchen, um Waffengleichheit herzustellen, ein Verbandsklagerecht, und zwar ein umfängliches . ({3}) Das beste Recht macht ja keinen Sinn, wenn man es am Ende nicht umsetzen kann . Ich sage Ihnen: Der Ansatz in diesem Gesetzentwurf war gut; aber im Rahmen der Beratungen ist der Entwurf immer schlechter geworden . Das Struck’sche Gesetz hat schon Geltung erlangt, bevor der Gesetzentwurf, lieber Kollege Fechner, überhaupt das Licht des Bundestages erblickt hat, und Sie sind auch nicht zur Fassung des Referentenentwurfs zurückgegangen; die Kollegin Lay hat das vorhin in aller Klarheit dargestellt . Sie sehen bestimmte begrenzte Klagemöglichkeiten bei Erhebung, Verarbeitung und Nutzung vor; aber bezüglich der Benachrichtigungen über das, was überhaupt gespeichert ist, bezüglich Auskunftsrechten und Löschungspflichten haben Sie diese Klagemöglichkeit nicht vorgesehen . Wenn Herr Kelber hier Klaus Müller lobt - den kann man auch loben -, dann frage ich, warum man so viel Misstrauen gegenüber den Verbraucherzentralen hat . Gewähren Sie ihnen doch an dieser Stelle ein umfassendes Klagerecht . Das tun Sie aber nicht . ({4}) Es fehlen weitere Punkte .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Aber dafür ist jetzt keine Zeit mehr, Frau Künast .

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss . - Die Vogel-friss- oder-stirbMentalität, die die Monopole den Kunden gegenüber an den Tag legen, gehen Sie auch nicht an . Das Gegenteil von gut ist: gut gemeint, aber schlecht gemacht . Sie haben bei der Reform des Verbandsklagerechts zwar den Fuß in der Tür; aber damit sind wir noch lange nicht fertig . Das ist lediglich der erste kleine Schritt . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat der Kollege Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion das Wort . ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nachdem die SPD-Fraktion mit der Mietpreisbremse und den Marktwächtern schon zwei Meilensteine für eine bessere Verbraucherpolitik in Deutschland durchgesetzt hat, schaffen wir nun mit der Erweiterung der Verbandsklagerechte bei Datenschutzverstößen eine dritte entscheidende Verbesserung für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland . Die SPD-Fraktion steht damit für einen effektiven Verbraucherschutz . Wir reden nicht nur, sondern wir schaffen mehr Verbraucherschutz in Deutschland . ({0}) Dank an das Ministerium, Herr Staatssekretär Kelber . Ihr sehr guter Referentenentwurf ist hier ja nahezu unverändert zur Abstimmung vorgelegt worden . Damit tragen wir dem Umstand Rechnung, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger Onlineverträge abschließen . Das ist eine positive Entwicklung; aber dabei darf der Verbraucherschutz natürlich nicht zu kurz kommen . Wenn Daten zweckentfremdet werden, etwa zu Werbezwecken, zur Erstellung von Profilen oder für den Datenhandel, dann ist das für den Verbraucher nicht immer erkennbar . Wenn der Datenschutzverstoß dann doch bekannt wird - oft kann ein Datenschutzverstoß ja weitreichende Beeinträchtigungen für das Persönlichkeitsrecht haben -, dann ist es für den einzelnen Verbraucher nicht einfach, seine Rechte gegenüber großen Internetkonzernen durchzusetzen . Deshalb ist es im Interesse eines effektiven Verbraucherschutzes notwendig, dass versierte Verbände wie die Verbraucherzentrale mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen im Bereich des Datenschutzes die Rechte wahrnehmen können und auch bei Datenschutzverstößen Unterlassungsklagen erheben können . Wir brauchen effektive Mechanismen, um den Datenschutz für die Verbraucher zu sichern . Dieses Gesetz war überfällig . ({1}) Ausdrücklich will ich hier klarstellen, dass wir das materielle Datenschutzrecht nicht ändern, weder verschärfen noch verwässern, sondern kompetenten und seriösen Verbänden diese Klagebefugnis zukommen lassen . Es drohen also keine Abmahnwellen von Mitbewerbern oder von zwielichtigen Anwaltskanzleien, wie wir es aus anderen Rechtsbereichen kennen . Schließlich stellen wir mit dem Gesetz klar, dass online abgeschlossene Verträge so gekündigt werden können, wie sie abgeschlossen werden . Oft haben Verbraucher böse Überraschungen erlebt, wenn in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die man in der Regel nicht durchliest, geregelt war, dass online abgeschlossene Verträge nur in Papierform gekündigt werden können . Zukünftig wird es keine bösen Überraschungen geben . Wir haben das Verbot durchgesetzt, dass in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine strengere Form als die Textform für Kündigungen vereinbart werden kann . Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir schaffen nach der Mietpreisbremse und den Marktwächtern mit diesem Gesetz eine weitere große Verbesserung für die Verbraucherinnen und Verbraucher, und wir freuen uns als SPD-Fraktion sehr, dass wir diese wichtigen Ziele durchsetzen konnten . Vielen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt spricht Dr . Volker Ullrich, CDU/ CSU-Fraktion . ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetz wird die Rechtsdurchsetzung im Bereich des Datenschutzes verbessert . Die Gesetzgebung ist notwendig, weil es ein Bedürfnis gibt, Daten besser und umfangreicher zu schützen . Wir verkennen nicht, dass die Teilnahme am sozialen Leben, das Bestellen im Onlinehandel und die Bequemlichkeiten der modernen Welt eine Preisgabe von Daten notwendig machen . Datenaustausch und das Sammeln von Daten sind Teil einer modernen und digitalen Welt . Die Grenze ist jedoch da erreicht, wo die Daten missbräuchlich verwendet werden, wo sie nicht allein für den Zweck, für den sie preisgegeben wurden, benutzt werden, sondern in einem Ausmaß kommerzialisiert werden, dem der Rechteinhaber, nämlich derjenige, der die Daten gegeben hat, nicht zugestimmt hat . Deswegen ist es richtig, dass der Gesetzgeber auf diesen Umstand reagiert . Ich sage ganz offen an die Kollegen unseres Koalitionspartners: Verbraucherschutz auch im Datenschutzbereich ist nicht allein Sache einer Partei . Er ist unser gemeinsam getragenes Interesse . ({0}) Wir reagieren auf den Umstand, dass Daten in einem zunehmenden Maße missbrauchsanfällig sind, dadurch, dass Organisationen und Verbände ein eigenes Recht bekommen, Datenschutzverstöße zu verfolgen . Diese Verfolgung von Datenschutzverstößen ist kein rechtlicher Fremdkörper . Bereits im Wettbewerbsrecht haben wir ähnliche Regelungen . Wenn es darum geht, dass Preisabsprachen stattfinden oder unter dem Einstandspreis verkauft wird, haben Verbände und Verbraucherschutzbehörden bislang schon die Möglichkeit, Abmahnungen und Beseitigungsansprüche durchzusetzen . Wir ergänzen dieses Instrumentarium im Bereich des Datenschutzes . Ich meine, das ist ein guter Schritt . Man muss aber auch deutlich machen, dass diese neue Rechtsdurchsetzung nicht dazu führen darf, dass allein im Interesse eines Aufwendungsersatzes oder wegen der Anwaltsgebühren geklagt wird . Vielmehr muss sich die Klage darauf richten, erhebliche Verstöße, die eine Vielzahl von Verbrauchern betreffen, einzustellen oder zu beseitigen . Es geht nicht um die Klage an sich, sondern um eine effektive Rechtsdurchsetzung . Es ändert sich auch nichts an den Zuständigkeiten der Datenschutzbehörden . Der Schutz unserer Daten durch die Datenschutzbeauftragten wird zukünftig neben die zivilrechtliche Durchsetzung gestellt . Wir haben damit ein Schutzsystem, welches öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Komponenten umfasst . Etwas Ähnliches haben wir bereits beim Wettbewerbsrecht . Weil es nichts an den Befugnissen der Datenschutzbehörden ändert, sei an dieser Stelle auch der Appell erlaubt, dass die DatenDr. Johannes Fechner schutzbehörden nach wie vor ihren Aufgaben nachkommen. Die Länder stehen in der Pflicht, ihre Datenschutzbehörden so mit Personal und Sachmitteln auszustatten, dass sie ihre Aufgaben wahrnehmen können . Auch das gehört zur vollumfänglichen Wahrheit bei dieser Debatte . ({1}) Meine Damen und Herren, ich möchte auch auf den neu geschaffenen § 309 Nummer 13 des Bürgerlichen Gesetzbuches eingehen . Danach können Verträge, die in Textform geschlossen worden sind, zukünftig auch in Textform gekündigt werden . Ein Schriftformerfordernis, wie es oftmals in Allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegt worden ist, ist zukünftig nicht mehr möglich . Was sich so rechtstechnisch anhört, hat für viele Millionen Verbraucher ganz praktische Auswirkungen . Wenn sie sich im Internet zu einem Abo für Musik, Filme oder Software entschlossen haben und dieses Abo allein durch einen Mausklick zustande kam, dann konnten sie dieses Abo bisher nicht selten nur in Schriftform kündigen, das heißt mit einem Brief an das Unternehmen . In nicht wenigen Fällen mussten sie die Adresse erst umständlich suchen, etwa im Impressum . Zukünftig gilt: Ein Vertrag kann so gekündigt werden, wie er geschlossen worden ist . Wenn der Vertrag durch einen Mausklick zustande kommt, können die Verbraucher per Mausklick kündigen . Wenn der Vertrag durch Textform zustande kommt, können sie in Textform kündigen . Das ist gelebter und effektiver Datenschutz für viele Millionen Bürger . ({2}) Meine Damen und Herren, die letzten Wochen und Monate sind gute Wochen und Monate für den Datenschutz . Auf europäischer Ebene sind die Verhandlungen über die EU-Datenschutz-Grundverordnung erfolgreich zum Abschluss gebracht worden . Wir legen hier ein sehr gutes, ausgewogenes und den Datenschutz stärkendes Gesetz vor . Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten die nationale Umsetzung der EU-Datenschutz-Grundverordnung begleiten dürfen . In diesem Sinne appelliere ich an Sie, diesem guten Gesetz heute Ihre Zustimmung zu geben . Vielen Dank . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner ist Metin Hakverdi, SPD-Fraktion . ({0})

Metin Hakverdi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004289, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir noch vor dem Jahreswechsel die Änderung des Unterlassungsklagengesetzes verabschieden können . Das ist eine gute Nachricht für die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land . Das ist aber auch eine gute Nachricht für unseren Rechtsstaat und für unsere Rechtsordnung insgesamt . Für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet die Änderung des Unterlassungsklagengesetzes, dass sie nicht mehr auf sich allein gestellt sind, wenn sich Unternehmen nicht an die Vorschriften des Datenschutzes halten, wenn Unternehmen gegen Datenschutzrechte verstoßen . Künftig haben sie Verbraucherverbände als starke Partner an ihrer Seite . Diese können Unternehmen, die sich nicht an unsere Rechtsordnung im Bereich des Datenschutzes halten, abmahnen und Unterlassungsklage erheben . Für unsere Rechtsordnung, unseren Rechtsstaat bedeutet die Änderung des Unterlassungsklagengesetzes eine bessere Durchsetzung des Datenschutzrechts insgesamt . ({0}) Die Datenerhebung und die Datenverarbeitung durch die vielen verschiedenen Unternehmen sind komplex und unterschiedlich . Deshalb kann es sein, dass die einzelnen Verbraucher ihre subjektiven, individuellen Rechte nicht immer wahrnehmen und durchsetzen . Das mag daran liegen, dass sie sich wegen eines einzelnen Verstoßes nicht auf den Rechtsweg begeben wollen, vielleicht auch, weil sie sich mit den Googles und Facebooks dieser Welt nicht allein anlegen wollen . Das aber führt dazu, dass das objektive Recht insgesamt verzerrt wird . Eine rechtswidrige Praxis kann sich etablieren . Was Unrecht ist, kann zur Gewohnheit werden . Das darf nicht sein, insbesondere nicht im Bereich des Datenschutzrechts . Das Datenschutzrecht ist zu wichtig . Die digitale Durchdringung aller Lebensbereiche führt zur Erhebung von Daten aus allen Lebensbereichen . Wenn wir Auto fahren, wenn wir im Internet surfen, wenn wir heizen, wenn wir einkaufen, sogar wenn wir den Kühlschrank öffnen - Daten werden entweder schon heute oder in naher Zukunft überall erhoben . Deshalb ist es in unser aller Interesse, dass sich Datenschutzverstöße nicht als Kavaliersdelikte etablieren . Es ist wichtig, dass das Datenschutzrecht besser durchgesetzt wird . ({1}) Die Änderung des Unterlassungsklagengesetzes hilft also nicht nur der einzelnen Verbraucherin und dem einzelnen Verbraucher, sondern verschafft unserer Rechtsordnung insgesamt mehr Geltung . Die Unternehmen, die sich bereits heute an die geltenden Vorschriften des Datenschutzrechts halten, können sich darauf verlassen, dass sich zukünftig Verbraucherverbände auch für sie einsetzen werden . Zukünftig werden die Unternehmen, die einen rechtswidrigen Wettbewerbsvorteil haben, weil sie sich nicht an persönliche Datenschutzrechte halten, damit rechnen müssen, von den Verbraucherverbänden abgemahnt zu werden . Das ist gut für einen fairen Wettbewerb . ({2}) Gestatten Sie mir zum Abschluss den Hinweis, dass die SPD-Fraktion den Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern noch um einen weiteren Baustein erweitern will: Wir wollen die Möglichkeit von Musterfeststellungsklagen einführen . Ich freue mich auf das neue Jahr und auf den Entwurf des Justizministeriums diesbezüglich . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6916, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4631 in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7085 vor, über den wir zuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt . Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD bei Enthaltung von der Linken und Bündnis 90/Die Grünen sowie einer Gegenstimme aus den Reihen der CDU/CSU angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Dr . Harald Terpe, Maria KleinSchmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-Trilogverhandlungen für mehr Patientensicherheit bei Medizinprodukten nutzen Drucksache 18/6650 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich bitte alle, die Plätze einzunehmen . - Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht mit dem Thema Verbraucherschutz gleich weiter, diesmal im Gesundheitswesen . Wir mussten in den letzten Jahren immer wieder erleben, dass Skandale die Öffentlichkeit erschütterten . Sicherlich einer der auffälligsten Skandale in diesem Zusammenhang waren die minderwertigen, gesundheitsschädlichen Brustimplantate eines französischen Herstellers . Obwohl diese Produkte vom TÜV Süd geprüft worden waren, wurden sie Frauen eingesetzt . Als die Schäden sichtbar wurden, mussten die Brustimplantate ausgetauscht werden . Die geschädigten Frauen gingen nach den Klageverfahren am Ende leer aus, weil der Hersteller insolvent ging . Immer wieder gibt es Medizinprodukte, die den Patienten eingesetzt werden - zum Beispiel getrübte Linsen; ich könnte die Liste beliebig lang fortführen -, oder Produkte der Hochrisikoklassen, bei denen sich am Ende herausstellt, dass sie von den Stellen, die sie zu prüfen haben, nicht als entsprechend gefährlich erkannt wurden . Aktuell gibt es wieder ein Beispiel: Augentropfen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie in Spanien und Frankreich zu Erblindungen geführt haben . Das Produkt musste vom Markt zurückgezogen werden . Das heißt, meine Damen und Herren, wir haben einiges zu tun . Wir können nicht einfach auf den nächsten Skandal warten, sondern wir müssen die Zulassung von Medizinprodukten endlich so regeln, dass die Qualitätsstandards erfüllt werden . ({0}) Das Thema ist eigentlich nicht neu . Wir hatten bereits in der letzten Legislaturperiode dazu einen Antrag gestellt . Es gab auch eine Initiative von Ärzten im EU-Parlament, um den Verbraucherschutz bei den Medizinprodukten endlich zu verbessern, insbesondere was Implantate und Produkte der Hochrisikoklassen angeht . Wir hätten uns sehr viel mehr vorstellen können; aber derzeit ist es so, dass eine bereits abgeschwächte Forderung des Parlaments sich in Trilogverhandlungen - Europäischer Rat, Europäische Kommission und EU-Parlament - befindet. Deutschland - das muss man hier ganz deutlich sagen -, in dem Fall die Bundesregierung, spielt dabei keine rühmliche Rolle; man kann sogar sagen: eine unrühmliche Rolle . Wirtschaftsinteressen - auch in den Wahlkreisen einiger besonderer Abgeordneter dieses Hauses ({1}) dürfen nicht das alleinige Kriterium bei der Zulassung von Medizinprodukten, bei der Bewertung von Medizinprodukten und vor allem in Zulassungs- und Studienverfahren sein . ({2}) Deswegen sage ich: Hier ist das Verhalten der Bundesregierung bisher wirklich unrühmlich . Alle Versuche, Verbraucherschutzregelungen zu hemmen und zu erschweren, haben die Gefahr erhöht, dass in diesem Trilogverfahren der Verbraucherschutz auf der Strecke bleibt . Wir Grünen hätten uns durchaus schärfere Zulassungsregeln für die Medizinprodukte gewünscht, im Prinzip analog zur Zulassung von Medikamenten . Da haben wir auch gute Vorbilder, zum Beispiel aus den USA . Dort werden Medizinprodukte ähnlich zugelassen, wie es bei Medikamenten der Fall ist . Man fragt sich, warum es in Europa und in Deutschland so schwer ist, entsprechende klinische Prüfungen und Zulassungsverfahren umzusetzen . Das liegt nur daran, dass Wirtschaftsinteressen vor den Verbraucherschutz gestellt werden . ({3}) Uns geht es mit unserem Antrag darum, den Verbraucherschutz im Trilogverfahren zu retten . Ich halte das Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Patientinnen und Patienten in Deutschland, aber auch in Europa für unverantwortlich . ({4}) Deswegen ist die Frage - darauf zielt auch unser Antrag ab -: Was ist jetzt in dem Trilogverfahren im EU-Parlament zu tun? Meiner Meinung nach ist es unbedingt notwendig, dass eine Produkthaftpflichtversicherung der Hersteller eingeführt wird . Denn wir können doch nicht zulassen, meine Damen und Herren, dass, wenn Patienten durch Produkte geschädigt werden, sie am Ende nicht nur Opfer aufgrund der Schädigung durch das Produkt sind, sondern zudem ohne jede Hilfe dastehen, also erneut zu Opfern werden . Das dürfen wir nicht zulassen . ({5}) Wir brauchen zweitens endlich „Besondere Benannte Stellen“, das heißt Zulassungsstellen, Bewertungsstellen, die tatsächlich in der Lage sind, eine qualitative Bewertung vorzunehmen . Es kann doch nicht sein, dass ein TÜV Toaster zulässt und sich gleichzeitig, mit ein bisschen zusätzlicher Expertise, um die Zulassung von Medizinprodukten kümmert . Nein, wir brauchen europaweit „Besondere Benannte Stellen“, die für bestimmte Produktklassen spezialisiert sind, damit die Zulassung tatsächlich qualifiziert erfolgen kann. ({6}) Meine Damen und Herren, wir brauchen drittens mehr Transparenz . Diese brauchen wir übrigens auch im Arzneimittelbereich . Wir brauchen die Erfassung und die Veröffentlichung von allen klinischen Studien .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja . Wenn ich vielleicht gerade noch diesen Punkt abschließen kann . - Wir brauchen die Bewertung der Leistungsfähigkeit eines Produkts, der Sicherheit eines Produkts und der Wirksamkeit eines Produkts, und zwar aller Produkte, die im Körper verbleiben oder von vornherein mit einem besonderen Risiko verbunden sind . ({0})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön .

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Schulz-Asche, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Immer .

Tino Sorge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004409, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mich würde ganz konkret interessieren: Sie haben gerade angesprochen, dass wir eine Produkthaftpflichtversicherung für Hersteller brauchen . Ist Ihnen bekannt, dass Produkthaftpflichtversicherungen in der Regel gerade bei vorsätzlichen kriminellen Handlungen, wie sie in den Beispielen, die Sie hier ansprachen, der Fall waren, nicht gelten? Wie wollen Sie das dann regeln?

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich sehe es auch so, dass diese bei kriminellen Handlungen nicht greifen . Aber beim Problem mit den Augentropfen, über das ich gerade gesprochen habe, hoffe ich, dass es sich nicht um kriminelle Machenschaften handelt, sondern tatsächlich um die Gesundheitsschädigung durch ein ganz normales Produkt . ({0}) In diesem Fall möchte ich schon wissen, wie die Patienten, die jetzt in Frankreich und in Spanien erblindet sind, dann auch tatsächlich abgesichert sind . Sie haben recht: Es gibt die Besonderheit der kriminellen Fälle . Das ist immer schwer . Da muss man über den Opferschutz gehen . Aber in den meisten Fällen, über die ich hier rede, handelt es sich um ganz normale, zugelassene Produkte, und deswegen fordern wir dort die Produkthaftpflichtversicherung . ({1}) Ich komme zum Schluss . Wir verfolgen mit unserem Antrag das Ziel, dass es endlich eine echte frühe Nutzenbewertung und eine Langzeitbewertung von Medizinprodukten gibt . Wir müssen dafür sorgen, dass es einen Rückgang dieser Skandale gibt, und wir brauchen einen wirksamen Schutz für Patienten, und zwar im Interesse der Patienten und nicht der Wirtschaft . Danke schön . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort hat jetzt Heiko Schmelzle, CDU/CSU-Fraktion . ({0})

Heiko Schmelzle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004400, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Kernanliegen der Bundesregierung ist es, die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten sicherzustellen und weiter zu erhöhen . Wenn man allerdings Ihren Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, zu den derzeit laufenden Trilogverhandlungen liest, dann gewinnt man den Eindruck, dass das Patientenwohl durch mangelhafte Medizinprodukte bei uns im höchsten Maße gefährdet ist . ({0}) Das Gegenteil ist der Fall . Das Patientenwohl hat für uns oberste Priorität . Das war so, das ist so, und das Patientenwohl wird auch in Zukunft immer der Dreh- und Angelpunkt unseres Handelns sein . ({1}) Ein Skandal wie bei den Brustimplantaten der französischen Firma PIP darf sich nicht wiederholen . ({2}) Damals wurde mit Vorsatz billiges Industriesilikon anstelle von medizinischem Silikon eingesetzt . Dieser Skandal war für die Politik Anlass zu einer Bestandsaufnahme, ob und inwieweit die Regeln zum Marktzugang und zur Marktüberwachung im Bereich der Medizinprodukte ausreichen, um die Patientensicherheit zu gewährleisten . Um die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten sicherzustellen bzw . zu erhöhen, braucht es aus unserer Sicht erstens eindeutige und hohe Anforderungen an die Organisation, Ausstattung und Expertise sowie die Benennung und Überwachung der Benannten Stellen, zweitens die Schaffung von spezifischen Sicherheits- und Leistungsanforderungen an Produkte sowie produktspezifische Anforderungen an deren klinische Prüfung und Bewertung und drittens koordinierte und einheitliche Marktüberwachung durch die Behörden der Mitgliedstaaten . ({3}) Dieser Dreiklang stellt sicher, dass die Qualität der zugelassenen Medizinprodukte gewährleistet ist und dass die Patientinnen und Patienten möglichst zeitnah die Vorteile innovativer Medizinprodukte nutzen können . ({4}) Denn wir wollen nicht, dass bei allen Anstrengungen für das Optimale bei der Patientensicherheit der Zugang für innovative Medizinprodukte zum Markt durch Überregulierung verstellt wird . ({5}) Vor diesem Hintergrund unterstützt die Bundesregierung die vom Rat beschlossene allgemeine Ausrichtung in wichtigen Fragen . Es ist zu begrüßen, dass konkrete und stark erhöhte Anforderungen an die Benannten Stellen, in Deutschland beispielsweise an den DEKRA, gerichtet werden . Ebenso ist es richtig, die Benennung und Überwachung durch die Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen, um das qualitative Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten gerade mit Blick auf die in der EU geltende Warenverkehrsfreiheit zu beseitigen . ({6}) Dies ist notwendige Voraussetzung für die Sicherstellung einer einheitlichen Marktzulassung nach europaweit einheitlichen Kriterien . Der Behauptung in Ihrem Antrag, dass es für Hochrisiko-Produkte neben den Benannten Stellen zusätzlich besonders ausgestatteter „Besonderer Benannter Stellen“ bedürfe, um eine angemessene Risikobewertung vornehmen zu können, muss ich widersprechen . Ihre Forderung nach der Schaffung einer zusätzlichen Benennungs- und Überwachungsinfrastruktur, meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen, wäre mit erheblichen Kosten verbunden, die nicht automatisch eine Verbesserung bei der Patientensicherheit zur Folge haben . Sinnvoller ist es stattdessen, die vorgesehenen Anforderungsverschärfungen im bestehenden System vorzunehmen, so wie es der Rat vorsieht . Es geht um die Frage, wie wir die Benennung, Überwachung und Arbeitsweise effizienter und einheitlicher gestalten können . Das System der Benannten Stellen braucht keine Parallelstrukturen . Stattdessen gilt es, so wie vom Rat beschlossen und von der Bundesregierung unterstützt, die Anforderungen genauer zu definieren und anzuheben sowie klare Vorgaben zur Ausstattung der Benannten Stellen zu machen . ({7}) Im Übrigen lehnt auch die in Deutschland für die Benennung und Überwachung von Benannten Stellen zuständige ZLG, die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimittel- und Medizinprodukten, die Schaffung von Parallelstrukturen ab . Warum sollten wir sie also haben? Auch bei der Vereinbarung für verbesserte klinische Bewertungen und klinische Prüfungen von Medizinprodukten, insbesondere Implantaten und Hochrisiko-Produkten der Klasse III, geht der Rat aus unserer Sicht den richtigen Weg . ({8}) Auch das IQWiG fordert in Zukunft vor Marktzugang und Erstattung bessere Studien zu Medizinprodukten je nach Gefährdungspotenzial, Innovationsgrad und behauptetem Nutzen bzw . gefordertem Preis . Wir sehen hierin eine wichtige Stellschraube . Ihre Forderung im Antrag, eine ergänzende Bewertung durch eine Expertenkommission für alle Produkte der Risikoklasse III und II b verpflichtend vorzusehen, also das sogenannte Scrutiny-Verfahren quasi flächendeckend einzuführen, bringt kein Mehr an Patientensicherheit . In der Realität bedeuten derartige Maßnahmen zusätzliche Kontrollverfahren, teure und aufwendige Doppelprüfungen und damit unnötige Bürokratie . ({9}) Durch dieses Verfahren der Doppelprüfung verlangsamen Sie lediglich den schnellen Zugang zu innovativen Medizinprodukten, ohne zusätzliche Patientensicherheit zu erreichen . Aus unserer Sicht gibt es in diesem Bereich bessere Möglichkeiten . Ein gutes Beispiel für effektive Maßnahmen zur Sicherung der Qualität von Implantaten ist die Einführung des Implantatepasses . ({10}) Mit der Einführung haben wir die Nachverfolgbarkeit von Implantationen sichergestellt . Heute erhalten alle Patientinnen und Patienten, denen zum Beispiel Herzklappen, Hüft- oder Kniegelenke oder auch Brustimplantate implantiert werden, eine Patienteninformation, die die für die Sicherheit des Patienten notwendigen Verhaltensanweisungen enthält, und einen Implantatepass, der unter anderem die Bezeichnung, Art und Typ sowie die Seriennummer des Implantats enthält . Dadurch ist gewährleistet, dass die Patienten selber, etwa bei entsprechenden öffentlichen Warnungen, leicht kontrollieren können, ob ihr Implantat betroffen ist oder nicht . ({11}) Zusätzlich werden die Gesundheitseinrichtungen, in denen Implantate implantiert werden, verpflichtet, mittels einer Dokumentation die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Patientinnen und Patienten zum Beispiel im Falle von Rückrufen von Produkten binnen dreier Werktage ermittelt werden können . Im Rahmen Ihres Antrages greifen Sie zudem die Forderung des Europäischen Parlaments nach einer verpflichtenden Produkthaftpflichtversicherung auf. Diese soll „mit ausreichender Deckung für alle Hochrisiko-Medizinprodukte und alle Implantate“ gelten . Ich lasse einmal dahingestellt, ob letztlich eine verpflichtende Produkthaftpflichtversicherung kommen wird. Es ist ja schon fraglich, ob es mit Blick auf die aus der Forderung resultierende Verteuerung von Medizinprodukten im Interesse der Patienten ist, diese verpflichtend einzuführen; denn, wie Sie sich vielleicht erinnern können, in der Anhörung des Bundestages im Jahr 2012 konnte kein einziger Fall geschildert werden, in dem eine fehlende Haftpflichtversicherung die Ursache für Probleme bei der Durchsetzung von titulierten Schadensersatzansprüchen von geschädigten Patienten gewesen ist . ({12}) Zudem ist die Versicherung auf freiwilliger Basis bereits heute Marktstandard . Die Forderung des Europäischen Parlaments knüpft übrigens nicht an die Erfordernisse des Produkthaftungsrechts an . Die Versicherungspflicht, so wie das Europäische Parlament sie formuliert hat, würde wegen ihrer Undifferenziertheit höhere Prämien zur Folge haben, also die Medizinprodukte lediglich verteuern . Gut gemeint ist eben noch nicht gut gemacht . ({13}) Ich sage Ihnen: Die beste Versicherung gegen fehlerhafte oder minderwertige Medizinprodukte ist ein effektives Zulassungsverfahren . Meine Damen und Herren, das Zulassungsverfahren für Medizinprodukte braucht keinen Systemwechsel . Es ist ausreichend, im bestehenden System die Stellschrauben nachzujustieren, um die Zulassungs- und Kontrollmechanismen noch effizienter zu machen und die Patientensicherheit auf diese Weise weiter zu stärken . Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({14})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Harald Weinberg, Fraktion Die Linke, das Wort . ({0})

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Realität in Deutschland ist, dass bei den Medizinprodukten ein Skandal den nächsten jagt . Patientinnen und Patienten kommen zu Schaden, weil die Hersteller das löchrige Überwachungssystem ausnutzen . Der bekannte Skandal rund um die minderwertigen Brustimplantate ist nur die Spitze des Eisberges . ({0}) Wir reden auch über Hüftprothesen, künstliche Bandscheiben, Herzschrittmacher und andere lebenswichtige Produkte . Die Schäden können ebenso gravierend sein wie bei Arzneimitteln, und doch ist der Patientenschutz nicht annähernd so ausgeprägt . Es werden nicht nur Gesundheitsschäden in Kauf genommen, Geschädigte bleiben im Zweifelsfall auch noch auf den Kosten sitzen, von Schmerzensgeld gar nicht zu reden . ({1}) Dieser skandalöse Zustand muss beendet werden . ({2}) Der Antrag der Grünen enthält einige sinnvolle Ansätze, und wir werden ihm auch zustimmen . Doch ich befürchte, die Koalition stellt das wirtschaftliche Interesse der Hersteller von Medizinprodukten wieder einmal über das Interesse der kranken Menschen und wird ihn ablehnen . Bereits als es Bestrebungen in der EU gab, endlich eine ordentliche Zulassung für Medizinprodukte vorzuschreiben, hat das die Bundesregierung in der EU verhindert . Um es klar zu sagen: Die Bundesregierung wendet sich etwa dagegen, dass vor dem Marktzugang geprüft wird, ob das neue Medizinprodukt den Menschen auch wirklich hilft . Bei jedem neuen Arzneimittel ist das seit zig Jahren selbstverständlich, bei Medizinprodukten starten wir erst einmal den Freilandversuch am Menschen . Das kann doch nicht so weitergehen . ({3}) An die SPD-Fraktion gerichtet: Im Jahr 2012 haben Sie einen Antrag eingebracht, in dem es eindeutig heißt, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert, eine europaweit einheitliche amtliche Zulassung für Medizinprodukte der Risikoklassen II b und III zu erreichen . Damals haben Sie das gefordert . Jetzt, wo Sie an der Regierung sind, blocken Sie das ab . ({4}) Nach wie vor befürwortet die Bundesregierung eine verpflichtende Produkthaftpflichtversicherung nicht; wir haben es eben gehört . In dem Antrag der SPD aus dem Jahr 2012 wurde noch gefordert, eine Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung für die Hersteller von Medizinprodukten einzuführen . Wenn also ein Patient durch ein fehlerhaftes oder nachlässig geprüftes Medizinprodukt einen Schaden erleidet, dann muss er befürchten, noch nicht einmal Schadenersatz zu bekommen; ein Schlaraffenland für die Hersteller, ein Albtraum für die betroffenen Patientinnen und Patienten . Schauen wir uns die Situation in den USA an, bekanntlich nicht unbedingt das Land, das vor Überregulierung strotzt . Dort gibt es eine behördliche Zulassung statt TÜV-Prüfung, einen Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit, häufig Zulassungsauflagen, eine zentrale Überwachung des Marktes und mehr Transparenz . Hinsichtlich der Sicherheit von Medizinprodukten befürchten dort viele, dass es durch das Freihandelsabkommen TTIP eventuell zu einer Absenkung auf die laxen Standards in Europa kommen könnte . An dieser Stelle haben wir die genau umgekehrte Diskussion . ({5}) Das geht so weit, dass der Leiter der Device Section der amerikanischen Prüfbehörde, Dr . Jeffrey Shuren, mit Blick auf die niedrigschwelligen Marktzugangsvoraussetzungen für Hochrisiko-Medizinprodukte in Europa Folgendes sagte: Wir benutzen US-Bürger nicht als Versuchskaninchen . ({6}) Dazu einige Beispiele aus den vergangenen Jahren . Erstes Beispiel: Selbstexpandierende Stents für Arterien im Gehirn, die Schlaganfälle verhindern sollten, verursachten doppelt so viele Todesfälle und Schlaganfälle, als wenn man gar nicht operiert hätte . Sie wurden alleine in Deutschland 3 500 Mal eingesetzt . In den USA hingegen wurden kleine Studien durchgeführt . Diese Studien wurden abgebrochen, weil die Mortalität, die Sterblichkeit, stieg . Diese Stents wurden in den USA nicht zugelassen . Zweites Beispiel: TAVI-Herzklappen haben nur für Patienten einen Nutzen, die nicht am offenen Herzen operiert werden können . In den USA wurde der Einsatz gleich auf diese Gruppe beschränkt . In Deutschland wurde seit der Zulassung im Jahr 2005 bis zum Eingreifen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss über 50 000 Mal eine solche Herzklappe eingesetzt - mit den entsprechenden Nebenwirkungen, mit den entsprechenden Folgewirkungen, mit dem entsprechenden Leid für die Patientinnen und Patienten . Drittes Beispiel: Es gab Metall-auf-Metall-Endoprothesen, deren Zulassung in den USA sofort gescheitert ist . Weltweit wurden etwa 300 000 davon eingesetzt, Tausende auch in Deutschland . Diese verursachen durch den Abrieb der Metalle eine regelrechte Vergiftung der Patientinnen und Patienten, beispielsweise mit Kobalt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir orientieren uns doch sonst so gerne an den USA . Warum nicht hier, wo es um Gesundheit und Leben geht und wo es wirklich einmal sinnvoll wäre? ({7}) Ich fordere Sie, insbesondere Sie von der SPD-Fraktion, auf: Fallen Sie nicht hinter die Erkenntnisse von 2012 zurück! Stimmen Sie dem Antrag zu! Aus Sicht des Patientenschutzes wäre alles andere verantwortungslos . Vielen Dank . ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Jetzt hat die Kollegin Martina StammFibich, SPD-Fraktion, das Wort . ({0})

Martina Stamm-Fibich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004413, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Medizinprodukte, um die es heute geht, umfassen eine sehr große Bandbreite von medizinisch-technischen Produkten und Verfahren, die im Idealfall Leben retten, heilen helfen und die Lebensqualität der Menschen verbessern . Konkret handelt es sich um die ganze Palette der Medizinprodukte, die weit gefächert ist: vom Pflaster über das Fieberthermometer bis hin zum MRT . Laut Schätzungen des BMG befinden sich momentan rund 400 000 verschiedene Medizinprodukte auf dem Markt . Ohne Zweifel bilden die Medizinprodukte eine sehr heterogene Produktgruppe . Viele der Produkte zeichnen sich durch einen sehr kurzen Lebenszyklus aus . Diese Besonderheiten der Branche müssen bei der Nutzenbewertung berücksichtigt werden . Bereits im Koalitionsvertrag hat sich die Große Koalition darauf verständigt, dass neue Medizinprodukte mit hoher Risikoklasse im Krankenhaus einer Nutzenbewertung unterliegen sollen . Mit § 137 h SGB V - Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse - haben wir uns im Rahmen des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes an die Umsetzung gemacht . Für neuartige Medizinprodukte der beiden höchsten Risikoklassen gibt es ab 2016 eine Nutzenbewertung . In die Nutzenbewertung einbezogen werden Produkte hoher Risikoklassen, die ein neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept aufweisen . ({0}) Das gilt für die Risikoklassen IIb und III, wenn sie einen besonders invasiven Charakter aufweisen . ({1}) Bis zum 31 . Dezember dieses Jahres erarbeitet das BMG im Benehmen mit dem Bundesforschungsministerium eine Rechtsverordnung, in der Begriffe wie „neues theoretisch-wissenschaftliches Konzept“ und „besonders invasiv“ konkretisiert werden . Die Zusammenarbeit bei der Erstellung dieser Rechtsverordnung läuft sehr gut . Dafür möchte ich mich bei der Frau Staatssekretärin bedanken . ({2}) Aus Sicht der deutschen Medizinproduktehersteller ist § 137 h SGB V von großer Bedeutung . Aber noch deutlich wichtiger sind die Ergebnisse der EU-Trilogverhandlungen; denn sie werden einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wie schnell deutsche Hersteller neue Produkte entwickeln können und ob sie in anderen Ländern der EU weiterhin die Möglichkeit des Marktzutritts haben werden . Der Weltmarkt für Medizintechnik ist bereits heute von großer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, und seine Bedeutung wird in Zukunft noch wachsen . Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag die Medizintechnikbranche als wichtigen Leitmarkt in Deutschland hervorgehoben . Die deutschen Medizinproduktehersteller sind die wichtigsten und auch zahlenmäßig die stärksten Unternehmen dieses Sektors in Europa . Knapp 95 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der deutschen Medizintechnikindustrie beschäftigt . In Deutschland produzieren etwa 1 200 Unternehmen, von Großunternehmen bis hin zu KMUs, Waren im Wert von jährlich 22 Milliarden Euro . Davon gehen rund 66 Prozent in den Export . Weltweit liegt Deutschland damit bei Medizinprodukteinnovationen an zweiter Stelle hinter den USA . Medizintechnik made in Germany ist international gefragt . Trotz alledem steht außer Frage: Medizinprodukte müssen sicher sein . Wir müssen mit rechtlichen Rahmenbedingungen Patientensicherheit, Versorgungsqualität und die Leistungsfähigkeit unserer Gesundheitssystems gewährleisten . Wir müssen Risiken bewerten und Patienten schützen .

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Stamm-Fibich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schulz-Asche?

Martina Stamm-Fibich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004413, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich . Gerne

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Frau Schulz-Asche .

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Kollegin Stamm-Fibich, vielen Dank, dass ich Ihnen eine Frage stellen darf . Sie haben gerade gesagt, dass Medizinprodukte made in Germany weltweit gefragt sind . Daher möchte ich Sie hier fragen, ob Sie wissen, dass Medizinprodukte, die zum Beispiel in den USA auf den Markt kommen möchten, vorher von der FDA geprüft werden . Die meisten großen Unternehmen hier in Deutschland nehmen ohnehin FDA-Prüfungen vor, weil sie eben nicht nur auf dem deutschen Markt, sondern auch international auf den Märkten präsent sein wollen, und zwar mit qualitätsgesicherten Produkten .

Martina Stamm-Fibich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004413, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Natürlich weiß ich das . Natürlich ist die FDA-Zulassung etwas, über das man sich unterhalten kann und muss . Sie wissen sicherlich auch, wie viele dieser Hochrisiko-Produkte bereits eine FDA-Zulassung haben . Ob wir die jetzt als Standard in Deutschland setzen, wird sich ergeben; aber ich weiß das sehr wohl . Ich weiß auch, was FDA bedeutet . Aber ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, wenn bewaffnete Beamte in ein Unternehmen gehen . Ich weiß nicht, ob es in Zukunft unser Stil ist, so mit Herstellern umzugehen . ({0}) Mit Blick auf die EU-Trilogverhandlungen sehe ich in Verbesserungen innerhalb des bestehenden Systems die beste Lösung, zum Beispiel durch strengere Anforderungen an die Benannten Stellen, durch engmaschige Kontrollen der Benannten Stellen und durch die Entwicklung spezifischer Produktanforderungen. Auch eine verstärkte Koordinierung der Marktüberwachung halte ich für sehr sinnvoll . Meines Wissens liegen derzeit aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass staatliche Behörden per se für Produktzulassungen besser geeignet sind als die Benannten Stellen . ({1}) Ich unterstütze die Forderung, dass Bewertungen von Medizinprodukten auf klinische Daten gestützt werden müssen . Eine weitgehende Übertragung der bei Arzneimitteln etablierten Bewertungs- und Untersuchungsmethoden auf Medizinprodukte halte ich jedoch für nicht möglich . Als Hauptgrund sehe ich hier die zu große Produktvielfalt . Der Einführung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung für Medizinproduktehersteller stehe ich offen gegenüber . Soweit ich weiß - Kollege Schmelzle hat es ausgeführt -, ist eine Haftpflichtversicherung der Hersteller aber bereits heute Marktstandard . Als Große Koalition haben wir im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz bereits einen ersten wichtigen und richtigen Schritt hin zu einer Nutzenbewertung bei Medizinprodukten gemacht . Wir sollten nun Erfahrungen sammeln . Anhand der gemachten Erfahrungen können wir dann über weitere nationale Schritte nachdenken . Für uns als SPD-Bundestagsfraktion stehen Patientinnen und Patienten an erster Stelle . Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass Medizinprodukte sicher sind, ihnen helfen und keinesfalls ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben gefährden . Deshalb begleiten wir die EU-Trilogverhandlungen sehr intensiv . Nach dem zu urteilen, was Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz gestern berichtet hat, befinden sich die Verhandlungen auf einem guten Weg . Noch sind wir als SPD-Bundestagsfraktion deshalb optimistisch . Aber wir werden uns nicht scheuen, einzugreifen, wenn wir den Eindruck haben, dass auf EU-Ebene nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten, sondern nur im Sinne der Hersteller verhandelt wird . Herzlichen Dank . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dietrich Monstadt das Wort . ({0})

Dietrich Monstadt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004113, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Problem und Ausgangslage des vorliegenden Antrages ist, dass wiederholt Skandale mit zum Teil kriminellem Handeln, zum Beispiel der Brustimplantateskandal um den französischen Hersteller PIP, den Glauben an die Sicherheit von Medizinprodukten belastet haben . Das hier verlorengegangene Vertrauen gilt es wiederherzustellen . Wir müssen durch rechtliche Rahmenbedingungen sicherstellen, dass die Patientensicherheit, die Versorgungsqualität und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems gewährleistet sind und auch bleiben . ({0}) Unser gemeinsames Ziel, auch im Trilogverfahren, muss sein, diesen Fällen vorzubeugen bzw . sie zu verhindern und solche Fälle in Zukunft schneller umfassend aufzudecken . Dazu gehört auch, die betroffenen Personen zu identifizieren und die Produkte rückverfolgbar zu erfassen . Auf diese Problemlage, meine Damen und Herren, hat die CDU/CSU-Fraktion damals sofort reagiert . Bereits im Jahr 2012 ist der Antrag „Revision der europäischen Medizinprodukte-Richtlinien: Vertrauen wieder herstellen - Patientensicherheit bei Medizinprodukten muss erste Priorität sein“ auf den Weg gebracht worden, mit Blick auf die Stärkung von Patientensicherheit, Patientenschutz und Patientenrechten mit folgenden, wie ich finde, richtigen Forderungen: erstens Überwachung der Benennung und Reakkreditierung der Benannten Stellen durch nationale Behörden, zweitens ein EU-einheitliches Verfahren der Marktüberwachung mit unangemeldeten Stichproben durch Benannte Stelle, drittens die Schaffung/Verbesserung eines Systems zur eindeutigen Identifizierung und Rückverfolgbarkeit eines Medizinprodukts, viertens die Gleichbehandlung von Einmalund aufbereiteten Mehrfachprodukten beim Inverkehrbringen; fünftens haben wir die Weiterentwicklung des CE-Kennzeichens als Prüf- und Qualitätssiegel in Form eines CE-Med-Kennzeichens gefordert . Das Europäische Parlament hat dann mit Beschluss im Oktober 2013 strengere Kriterien für die Benennung und Überwachung der Benannten Stellen festgelegt, unter anderem unangekündigte Kontrollen, Probenahmen und eine gemeinsame Bewertung durch Benannte Stellen . Diese Regelungen haben in relativ kurzer Zeit zu einer deutlichen Verbesserung der Kontrolle bei Unternehmen und im Markt geführt . ({1}) Die Einführung des Implantatepasses mit einem EU-einheitlichen Datensatz im vergangenen Jahr hat dann eine weitere Lücke, die Nach- und Rückverfolgbarkeit des implantierten Medizinproduktes, geschlossen . Meine Damen und Herren, wir haben bei den Medizinprodukten kein Regelungsdefizit, aber ein Vollzugsdefizit. Daran müssen wir trotz der bereits ergriffenen Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene weiter arbeiten . ({2}) Es bedarf klarer Vorgaben im europäischen Recht . Nur dann ist die EU-weite Wirkung für alle verkehrsfähigen Produkte sichergestellt . So muss jede Benannte Stelle eine hochqualifizierte und organisierte Struktur vorweisen und fortlaufend überwacht werden . Weiterhin müssen an Medizinprodukte und deren klinische Prüfung hohe und verbindliche Anforderungen gestellt werden . Es ist Aufgabe der verantwortlichen Behörden, dies durch eine kontinuierliche, strukturierte und qualitätsgesicherte Überwachung sicherzustellen . Durch diese gezielten Maßnahmen können weitere Verbesserungen für die Patientensicherheit erreicht werden . Das, meine Damen und Herren, ist genau der richtige Weg . ({3}) Falsch dagegen ist die Forderung der Antragsteller nach einem behördlichen Zulassungsverfahren, womöglich noch in Form einer zentralen europäischen Zulassungsbehörde für Medizinprodukte . Abgesehen davon, dass eine solche Behörde vorsätzliches Verhalten wie beim PIP-Skandal mit Sicherheit nicht verhindert hätte, konnte bis heute auch nicht belegt werden, dass ein staatliches Zulassungssystem wie zum Beispiel in den USA zu einer erhöhten Patientensicherheit gegenüber dem europäischen System geführt hätte . ({4}) Dies hat auch die Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage - jetzt können Sie sich richtig aufregen, Herr Weinberg - zum geplanten Handelsabkommen TTIP im Sommer 2015 ergeben . Meine Damen und Herren, auch Ihre Forderungen, klinische Prüfungen für Medizinprodukte an die Anforderungen für Arzneimittelstudien anzupassen, wird dem Ziel, dass alle Versicherten gleichermaßen und zeitnah vom medizinischen Fortschritt profitieren sollen, nicht gerecht . Zum einen, weil randomisierte Studien bei Medizinprodukten oft nicht funktionieren . Zum anderen wollen wir, dass auch Schrittinnovationen dem Wohl der Patientinnen und Patienten zugutekommen, und zwar schnellstmöglich . ({5}) Meine Damen und Herren, die Forderung nach einer zentralen europäischen Zulassungsbehörde und einer Gleichsetzung mit Pharmaregelungen gefährdet nach meiner Einschätzung auch unsere hervorragend aufgestellte Medizintechnikbranche - eine Gefährdung von über 12 000 Unternehmen und mehr als 195 000 Arbeitsplätzen . Wollen Sie, dass sich der Gesamtumsatz in diesem Bereich von über 25 Milliarden Euro verringert? ({6}) Wollen Sie, dass die Exportquote - die Kollegin StammFibich hat es angesprochen - von über 65 Prozent sinkt? ({7}) Diese Gefährdungen wollen wir, die CDU/CSU-Fraktion, definitiv nicht. ({8}) Ihre Forderungen gefährden daneben die Teilnahme von Patientinnen und Patienten am sich rasant entwickelnden medizintechnischen Fortschritt . Sie gefährden damit insbesondere die Teilnahme an Schrittinnovationen . Auch dies wollen wir nicht . ({9}) Wir wollen dagegen Innovationen; denn gerade Innovationen leisten richtige Beiträge für eine bessere Patientenversorgung, mehr Lebensqualität und Selbstständigkeit bis ins hohe Alter . Meine Damen und Herren, die Forderung der Antragsteller nach einer obligatorischen Produkthaftpflichtversicherung für Hersteller - das ist hier heute Abend mehrfach angesprochen worden - trägt ebenfalls nicht . Sie tritt bekanntermaßen bei vorsätzlich kriminellem Verhalten nicht ein . Auch das hat der Kollege Sorge bereits angesprochen . ({10}) Auch war ihr Fehlen in der Vergangenheit nicht ursächlich für die Nichtdurchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen betroffener Patientinnen und Patienten . Skandale mit Medizinprodukten der Klasse III zeigen, dass die vorhandenen Instrumentarien auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Patientensicherheit und den Patientenschutz nachjustiert werden müssen . Es ist aber richtig, am bestehenden System aus Überwachung und Kontrolle festzuhalten und an den wesentlichen Stellen Korrekturen vorzunehmen: eine weitere Verbesserung bei der Benennung und Überwachung der Benannten Stellen sowie eine verbesserte Kontrolle von Herstellern und im Markt . Meine Damen und Herren von den Grünen, Ihren Antrag werden wir ablehnen . Herzlichen Dank . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dirk Heidenblut, SPD-Fraktion . ({0})

Dirk Heidenblut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004295, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ob Implantate oder andere Hochrisikoprodukte: Für uns stehen die Patientensicherheit und der Patientennutzen ganz unabhängig von laufenden Verhandlungen immer an erster Stelle, ({0}) und ich bin mir sicher, das gilt auch und gerade für das Gesundheitsministerium . Es wird daher genau diese Aspekte, die bei den vielen Dingen, die im Vorfeld schon geregelt wurden, immer mit berücksichtigt wurden - der Kollege Monstadt hat das im Vorfeld schon erklärt -, auch in die Trilogverhandlungen einbringen . Die Trilogverhandlungen, die am Ende eines bereits laufenden Gesetzgebungsverfahrens zu einer Einigung zwischen der EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem EU-Rat führen, bieten zwar einen Ansatz, viel wichtiger ist aber - das ist hier mehrfach ausgeführt worden -, dass die genannten Aspekte Patientensicherheit und Patientennutzen bereits in den unterschiedlichen Gesetzgebungsprozessen - übrigens: einige davon haben Sie im Verhältnis zu den gerade laufenden ja auch angesprochen - berücksichtigt wurden und immer berücksichtigt werden . Im Übrigen: Diese Verhandlungen sind nicht nur auf einem guten Weg, sondern sie sind, wenn ich das richtig verstanden habe, auch nicht weit von einem Abschluss entfernt . In Ihrem Antrag deuten Sie ja selbst an, dass vorgesehen ist, noch bis Ende dieses Jahres zu einem Abschluss zu kommen . ({1}) Deshalb wäre es ja auch zu spät, erst jetzt an dieser Stelle einzugreifen . Zentral für Patientensicherheit und Patientennutzen sind - deswegen finde ich auch das Gegeneinander, das hier zwischen der Wirtschaft und dem aufgebaut wird, was wir unter Patientensicherheit und Patientennutzen verstehen, immer etwas problematisch - natürlich auch die Dinge, die durch Innovation und Fortschritt positiv für den Patienten erreicht werden können . Der Patientennutzen - auch das ist natürlich wichtig - manifestiert sich für uns darin, dass Krankheiten besser bekämpft werden können, dass mit Krankheiten besser umgegangen werden kann und dass die Medizinprodukte letztlich einen echten Nutzen für die Patienten haben . ({2}) Das muss immer mit beachtet werden . Natürlich müssen wir auch darauf achten, dass minderwertige oder fehlerhafte Implantate oder Hochsicherheitsmedizinprodukte möglichst zeitnah und frühzeitig erkannt werden und - damit bin ich auch ein bisschen bei der Produkthaftung - dass diese Produkte möglichst gar nicht erst zum Einsatz kommen . Egal was auch immer wir zur Produkthaftung beschließen wollen und egal ob eine entsprechende Versicherung greift, was wir seinerzeit in unserem Antrag gefordert haben - ich bin nach wie vor der Ansicht: es kann absolut nichts verschlagen, wenn man eine vernünftige Haftpflichtversicherung zwingend vorgibt; ({3}) denn selbst wenn alle schon eine haben, ist das egal, sie erfüllen dann schon die Vorgaben des Gesetzes -, all das sollte möglichst nicht zum Tragen kommen . Wir wollen nach Möglichkeit erreichen, dass niemand unter den Folgen zu leiden hat . Die Versicherung deckt im Zweifel nur die Kosten ab . All das Leid, das damit verbunden ist, wenn Implantate nicht funktionieren, herausgeholt und andere eingesetzt werden müssen, wenn Medizinprodukte Schäden verursachen - Herr Weinberg, Sie haben ein paar Aspekte angesprochen -, kann sowieso keine Versicherung abdecken . Sie sprechen durchaus zu Recht einige Punkte an . Auch wir haben diese Punkte in unserem Antrag von 2012 aufgegriffen . Der richtige Weg ist, Probleme frühzeitig zu erkennen, die Zertifizierung, die Zulassung so zu regeln, dass Medizinprodukte, die Schäden verursachen, gar nicht erst auf den Markt kommen und fehlerhafte Implantate gar nicht erst eingebaut werden und sich dadurch nach Möglichkeit auch nicht die Frage der Haftung stellt . ({4}) Wir aber glauben, dass das in den laufenden Verhandlungen erreicht werden kann . Wir sind uns sicher, dass das Ministerium das im Blick hat . Ich bin für den Bereich Telemedizin zuständig, der von dem Bereich Medizinprodukte, über den wir hier reden, gar nicht so weit weg ist . Auch bei telemedizinischen Produkten ist ganz entscheidend, dass wir wie auch bei den anderen Gesetzen immer die Patientensicherheit und den Patientennutzen im Blick haben und transparent regeln . Insofern bin ich mir ganz sicher, dass das in dem entsprechenden Verfahren geregelt wird . Dennoch werden wir uns schon wegen der sehr schnellen Entwicklung in diesem Bereich kontinuierlich mit der Frage Sicherheit von Medizinprodukten auseinandersetzen und weiter beschäftigen müssen . Da werden wir sicherlich auch die Zulassungsverfahren im Blick halten . Das haben wir mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz an einer Stelle schon sehr deutlich getan . Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 18/6650 mit dem Titel „EU-Trilogverhandlungen für mehr Patientensicherheit bei Medizinprodukten nutzen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes Drucksache 18/6879 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({0}) Drucksache 18/7093 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten, Parteispenden natürlicher Personen begrenzen Drucksachen 18/301, 18/7093 Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion . ({2})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr verehrte Kollegen! Zunächst möchte ich als positiv festhalten: Es ist gut, dass wir uns in der Großen Koalition auf eine Novellierung des Parteiengesetzes verständigt haben und dass diese Novellierung zum 1 . Januar des kommenden Jahres sehr zeitnah in Kraft treten kann . ({0}) Ich glaube, gerade angesichts der derzeitigen Herausforderungen, die sich unserem Land stellen, wird noch deutlicher, welch große Bedeutung Parteien in unserer heutigen Zeit haben . Gerade in unserer sehr pluralistischen Gesellschaft ist es aus meiner Sicht unverzichtbar, dass die Parteien auf staatliche Teilfinanzierung zurückgreifen . Die jetzt vorgesehene Erhöhung ist in vollem Umfang maßvoll und auch verantwortungsvoll . Sie beträgt weniger als 20 Prozent . Was auch erwähnt werden muss: Es ist die erste Erhöhung seit 2002 . Es gab seit 2002 keine Erhöhung der Beträge, die den Parteien pro errungene Wählerstimme bzw . pro 1 Euro Mitgliedsbeitrag oder unter Berücksichtigung sonstiger erzielter Zuwendungen zufließen, sodass diese Erhöhung aus meiner Sicht in jeder Hinsicht als maßvoll zu bezeichnen ist . ({1}) Ich vergieße keine Krokodilstränen, sondern sage es sehr ernsthaft: Ich bedauere es wirklich, dass die Oppositionsfraktionen dieser gesetzlichen Novellierung offenbar nicht zustimmen können, obschon sie gleichermaßen von den erhöhten Beträgen profitieren. Ich gehe davon aus, dass sie diese auch in Anspruch nehmen werden, statt auf diese Zusatzeinnahmen zu verzichten . Dennoch hielte ich es für sehr erfreulich, wenn auch Sie dieser Novellierung zustimmen könnten, weil damit neben der Erhöhung der staatlichen Teilfinanzierung demokratischer Parteien aus meiner Sicht auch weitere wichtige Änderungen am Parteiengesetz vorgenommen werden . Ich halte es für sehr erfreulich, dass es gelungen ist, die Umgehungsgeschäfte, wie beispielsweise von der AfD im Rahmen eines durchaus als ominös zu bezeichnenden Goldhandels vorgenommen, in Zukunft nicht mehr möglich sind . ({2}) Es ist in Zukunft nicht mehr möglich, dass man die relative Obergrenze durch Goldverkäufe umgeht, sondern in Zukunft wird es eine Saldierung der An- und Verkäufe geben, sodass dieses Umgehungsgeschäft, das insbesondere von der AfD betrieben wurde, in Zukunft nicht mehr möglich ist . ({3}) Wenn sich die AfD jetzt lauthals beschwert und behauptet, das sei verfassungswidrig, weil es ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sei, dann möchte ich klar entgegnen - dies ist auch in der Sachverständigenanhörung am vergangenen Montag bestätigt worden -, dass es sich allenfalls um eine unechte Rückwirkung handelt . Es ist also keine echte Rückwirkung im verfassungsrechtlichen Sinne, sodass keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Neuregelung bestehen . Ich halte es auch für einen Fortschritt, dass wir jetzt eine Regelung mit aufnehmen, dass den Parteien, die es über sechs Jahre hinweg ununterbrochen unterlassen, einen Rechenschaftsbericht abzugeben, endlich die Parteieigenschaft entzogen wird . ({4}) Es gebietet aus meiner Sicht der Anstand, dass man, wenn man als Partei schon gewisse Privilegien in Anspruch nimmt, dann zumindest der Verpflichtung nachkommt, einmal jährlich beim Bundestagspräsidenten einen Rechenschaftsbericht abzugeben . Es ist auch so, dass Parteien, die über sechs Jahre hinweg an keiner Wahl teilnehmen, die Parteieigenschaft verlieren . Deshalb halVizepräsidentin Ulla Schmidt te ich es nur für konsequent, dass die Parteieigenschaft auch dann entzogen werden kann, wenn man über sechs Jahre hinweg keinen Rechenschaftsbericht abgibt . ({5}) Wir werden heute noch einen Änderungsantrag zu behandeln haben, der von der Großen Koalition eingebracht wird und sich darauf bezieht, dass in einem Teilpunkt auf die Indexierung, die ursprünglich ab 2017 vorgesehen war, verzichtet wird, um vor allem die Gefahr der sogenannten Doppelindexierung zu vermeiden . Es geht darum, dass man bei den Zuwendungen, die den Parteien zufließen, sowie bei den Mitgliedsbeiträgen und den Mandatsträgerbeiträgen keine Erhöhung der Beträge entsprechend dem Preisindex vornimmt . Ich halte dies für eine sachgerechte Lösung, vor allem vor dem Hintergrund der sonst drohenden Doppelindexierung . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es gibt einen Änderungsantrag der Linken, ({6}) der vorsieht, dass bei natürlichen Personen die Grenze, was die Spendenmöglichkeit anbelangt, bei 25 000 Euro liegen soll . ({7}) Bei juristischen Personen ist die Spendenmöglichkeit sogar ausgeschlossen . ({8}) - Schön, wenn Sie darauf eingehen . Ich möchte Ihnen aber gleich vorhalten, dass Ihr Sachverständiger Ihnen dabei nicht gefolgt ist . ({9}) Vor Ihrem Sachverständigen hat Ihr Änderungsantrag keine Gnade gefunden, sondern er hat ihn, genauso wie alle anderen Sachverständigen auch, als eklatant verfassungswidrig bezeichnet . ({10}) Insoweit ist selbst Ihr eigener Sachverständiger mit Ihrem Änderungsantrag hart ins Gericht gegangen . Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass wir mit dieser Änderung des Parteiengesetzes wirklich eine moderate und notwendige Fortschreibung unseres Parteienrechts vornehmen . Wie gesagt - das meine ich wirklich sehr ernst -, ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn diese Novellierung in diesem Hohen Haus eine größtmögliche Unterstützung erfahren würde . Deshalb noch einmal der dringende, aber auch sehr ernsthafte Appell an die Oppositionsfraktionen, dieser Änderung des Parteiengesetzes zuzustimmen . Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksamkeit . ({11})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Halina Wawzyniak . ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will nicht lange über den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen reden . Denn in wesentlichen Punkten sind sich alle Fraktionen einig . Es ist richtig, dass eine Partei den Parteienstatus verliert, wenn sie sechs Jahre lang keinen Rechenschaftsbericht abgegeben hat . Es ist richtig, dass bei Einnahmen aus Unternehmenstätigkeit eine Saldierung zwischen Einnahmen und Ausgaben stattfindet. Es ist auch richtig, dass zukünftig Strafzahlungen an den Bundeshaushalt zurückgeführt werden . ({0}) Ja, wir können auch nachvollziehen, dass die Beträge pro abgegebene Stimme und pro Zuwendung privater Person erhöht werden . Wenn wir uns dennoch enthalten werden, dann hat das mit der Ablehnung unseres Antrags zu tun . Wir wollen - das hat Herr Mayer dankenswerterweise schon gesagt - ein Verbot von Spenden juristischer Personen . Wir wollen ein Verbot von Sponsoring . Wir wollen die Zuwendungen privater Personen auf 25 000 Euro beschränken . ({1}) Warum wollen wir das alles? Diejenigen, die finanzkräftiger sind, sollen nicht auch noch über die Parteienfinanzierung Einfluss auf Parteien nehmen. Diejenigen, die finanzkräftiger sind, haben schon heute diverse Möglichkeiten, auf Politik Einfluss zu nehmen, und sie nutzen sie auch . Parteien sind nun einmal Vereinigungen von Bürgerinnen und Bürgern, die auf die Willensbildung Einfluss nehmen wollen. In der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur staatlichen Teilfinanzierung 1992 heißt es: Die Parteien müssen nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und organisatorisch auf die Zustimmung und Unterstützung der Bürger angewiesen bleiben . Durch öffentliche Mittel darf den einzelnen Parteien daher das Risiko des Fehlschlagens ihrer Bemühungen um eine hinreichende Unterstützung in der Wählerschaft nicht abgenommen werden . Stephan Mayer ({2}) Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien wird durch die Gewährung finanzieller Zuwendungen mithin dann verletzt, wenn durch sie die Parteien der Notwendigkeit enthoben werden, sich um die finanzielle Unterstützung ihrer Aktivitäten durch ihre Mitglieder und ihnen nahestehende Bürger zu bemühen . Das sagt das Bundesverfassungsgericht . Ja, wir haben derzeit noch nicht den Zustand, dass sich die Parteien nicht um Zuwendungen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wählerinnen und Wähler bemühen müssen . Aber dieser Zustand kann eintreten, nämlich spätestens dann, wenn eine Partei, um die relative Obergrenze zu erreichen, auf Spenden juristischer Personen angewiesen ist . Spenden juristischer Personen, also Unternehmensspenden, sind verfassungsrechtlich zulässig . Das bestreite ich überhaupt nicht . Aber das Verbot von Spenden juristischer Personen, kurz Unternehmensspenden, an Parteien ist auch zulässig . Das hat Professor Morlok in der Anhörung erklärt . Der Sachverständige Koß hat das bestätigt . ({3}) Nun kommt ein Argument, das ich sehr gerne vortrage . Wenn juristische Personen spenden, dann entscheiden nicht diejenigen, die den Mehrwert, der gespendet wird, erwirtschaftet haben, sondern diejenigen, die in den Aufsichtsgremien sitzen. Ich finde, das ist in demokratietheoretischer Hinsicht ein Problem . ({4}) Wenn das Verbot von Spenden juristischer Personen auch verfassungsrechtlich zulässig ist, dann kommt immer ein sehr schlagendes Gegenargument, nämlich das Würstchenargument . Wenn es um die Spenden juristischer Personen geht, kommt immer jemand - das war so in der Anhörung genauso wie im Innenausschuss -, der dann erzählt: Um Gottes willen! Dann gibt es keine Würstchen mehr für die Parteigrillfeste . ({5}) Aber, ehrlich gesagt, gibt es kein Grundrecht auf Spenden von Würstchen juristischer Personen für Parteigrillfeste . Wenn sich eine Partei noch nicht einmal mehr Würstchen leisten kann, dann ist sie ziemlich arm dran . ({6}) Angesichts der vielen guten Punkte im Antrag und der standhaften Weigerung, endlich ein Verbot von Spenden juristischer Personen an Parteien zu unterstützen, werden wir uns enthalten . ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher . ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Politische Parteien leisten einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren unseres Staates . Die Aufgaben, die ihnen durch das Grundgesetz und das Parteiengesetz gegeben sind, können sie nur mit erheblichem finanziellem Aufwand erfüllen . Um diese Mittel aufzubringen, finanzieren sich Parteien aus verschiedenen Quellen: aus Mitglieder- und Mandatsträgerbeiträgen sowie Spenden, also Zuwendungen, und aus Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit sowie aus staatlicher Teilfinanzierung auf Wählerstimmen und Zuwendungen . Bisher erhöhen alle Einnahmen, also der Umsatz aus unternehmerischer Tätigkeit, die relative Obergrenze, die entscheidend ist für staatliche Zuschüsse . Diese Regelungen haben zwei Parteien in Deutschland genutzt . Sie haben Handel betrieben mit Gold bzw . Geld, was zwar Umsatz, aber keinen oder nur einen geringen Gewinn brachte . So wurde die relative Obergrenze aufgebläht, um mehr staatliche Zuschüsse zu generieren . Das entspricht nicht dem Geist des § 19 a Absatz 4 Parteiengesetz . ({0}) Deshalb führen wir die Saldierung wieder ein . In Zukunft ist der Gewinn Teil der Grundlage für die Bemessung der staatlichen Zuschüsse . Wir passen die Beiträge aus der staatlichen Teilfinanzierung an die Preisentwicklung an . Das ist seit 2002 nicht mehr geschehen . Ab 2017 soll der Betrag auf die Wählerstimmen - ebenso wie die absolute Obergrenze - dynamisiert werden . Die im Entwurf geplante Indexierung auch auf den Zuwendungsanteil haben wir in einem Änderungsantrag gestrichen . Das hatte ich bereits in meiner Rede zur ersten Lesung des Gesetzentwurfes angekündigt . Diese Änderungsnotwendigkeit wurde uns auch von den Sachverständigen in der Anhörung am vergangenen Montag bestätigt . Ohne diese Änderung würde der Zuwendungsanteil unverhältnismäßig steigen . Das ist nicht zu rechtfertigen . ({1}) Zudem würde sich das Verhältnis zwischen Zuwendungsanteil und Wählerstimmenanteil zulasten des Wählerstimmenanteils verschieben, und das wollen wir nicht . Die Reform des Parteiengesetzes im Jahr 2002 folgte dem Vorschlag der damaligen Kommission unabhängiger Sachverständiger, ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis zwischen beiden Anteilen zu schaffen . Die weiteren Neuerungen wie der Rückfluss der Strafzahlungen in den Bundeshaushalt, die Sanktionierung von Verstößen gegen die Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung, die Berücksichtigung von Mitgliedsbeiträgen bei den Publikationspflichten und die Erfassung von erbrachten Leistungen von Nichtmitgliedern sind hier bereits ausführlich dargelegt worden . Leider konnte sich die Opposition nicht dazu durchringen, bei diesem Gesetzentwurf mitzumachen . ({2}) Alle Sachverständigen begrüßen die Neuregelung bzw . sehen darin kein Problem, die Opposition ja eigentlich auch nicht . Das kam in den zahlreichen Berichterstatterrunden zum Ausdruck . Doch sie hat ihre Zustimmung letztlich an vermeintlich schärfere Transparenzregeln geknüpft, ({3}) die wir in den vorliegenden Anträgen nachlesen können . Ich möchte festhalten: Mit den jetzt vorgesehenen Änderungen schaffen wir mehr Transparenz . ({4}) So werden die Mitgliedsbeiträge bei der Veröffentlichungspflicht ab 10 000 Euro einbezogen, und es werden die Gewinne und nicht mehr der Umsatz aus unternehmerischer Tätigkeit ausgewiesen . Die Linken fordern in ihrem Antrag das Verbot von Spenden von juristischen Personen ({5}) und des Parteisponsorings sowie die Begrenzung von Spenden von natürlichen Personen auf 25 000 Euro . ({6}) Dazu erklärte der von den Linken für die Anhörung benannte Sachverständige: Die drei Vorschläge der Linken gehen allerdings zu weit . Erstens erscheint ein pauschales Verbot von Spenden juristischer Personen wenig sinnvoll: . . . ({7}) Zweitens scheint es ebenso überzogen, Parteisponsoring per se zu verbieten . Auch die von Ihnen vorgeschlagene Spendenobergrenze hält der Sachverständige Dr . Koß führt zu niedrig . Auch andere Sachverständige kritisierten die Vorschläge . Nun haben die Grünen noch einen Entschließungsantrag vorgelegt, der zur Transparenz beitragen soll . ({8}) Auch hier wird wieder eine Regelung für die separate Ausweisung des Sponsorings in den Rechenschaftsberichten gefordert . Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, sind gerne bereit, da mitzumachen; so steht es ja auch in unserem Wahlprogramm von 2013 . ({9}) Doch bisher liegen keine praktikablen Vorschläge vor . Einigen anderen Punkten, die sie von den Grünen vorschlagen, stehen wir offen gegenüber . Diese Punkte waren allerdings nicht Bestandteil der Gespräche . Wir alle hatten uns von Anfang an darauf geeinigt, dass sich der Gesetzentwurf auf Vorhaben beschränken sollte, die alle Fraktionen befürworten, um eine gemeinsame Einbringung zu ermöglichen . Leider haben Sie von den Grünen dann Ihre Zustimmung von den weiter gehenden Transparenzregelungen abhängig gemacht . ({10}) Aber auch wenn man weiter gehende Forderungen hat, kann das doch kein Grund sein, sich Gesetzesänderungen zu verschließen, die als sinnvoll erachtet werden . ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Tagen konnte man in der Presse so etwas lesen wie „Selbstbedienungsladen“, „Wünsch-dir-was im Bundestag“, „Mehr nehmen, aber wenig geben“ und Ähnliches . Deshalb möchte ich nochmals klarstellen: Wir weiten die staatliche Teilfinanzierung nicht aus; denn die absolute Obergrenze, also die Summe des Geldes, das alle Parteien zusammen bekommen, wird nicht angehoben . Im Gesetzentwurf heißt es dazu: Die Regelungen des Entwurfs haben weder für den Bund noch für die Länder höhere Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand zur Folge . Abschließend möchte ich allen Mitberichterstattern danken, die sich seit mehr als einem Jahr mit diesem Thema immer wieder befasst haben . Dank gilt auch den Schatzmeistern der Parteien, die uns mit ihrem Fachwissen unterstützt haben . Zu guter Letzt auch ein herzlicher Dank an das Bundesinnenministerium, das uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat . Ich bitte um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf . ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Britta Haßelmann .

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie auf unsere Vorschläge nicht eingegangen sind ({0}) und wir dem Entwurf zur Änderung des Parteiengesetzes, der heute vorliegt, nicht zustimmen können . ({1}) Sie sind nämlich unserem Wunsch, bei den Punkten „Transparenz“ und „Offenlegungspflichten“ endlich etGabriele Fograscher was zu tun, und unseren Vorstellungen in keiner Art und Weise nachgekommen . ({2}) Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist, noch einmal zu betonen, damit das auch in der öffentlichen Debatte deutlich wird, dass Parteien eine gute finanzielle Ausstattung benötigen, damit sie ihren Aufgaben nachkommen können, und dass das in einem Parteiengesetz geregelt ist, damit Parteien nicht nur individuell auf Private und auf Spenden Dritter angewiesen sind; denn das würde es manchen Parteien total erschweren, ihrem Auftrag und ihrer Arbeit nachzukommen . Deshalb ist die Forderung, die Finanzierung und die Grundlagen dafür in einem Parteiengesetz zu regeln, ein sehr zentraler und wichtiger Punkt; den teilen und unterstützen wir . ({3}) Wir haben auch manche Ihrer Änderungen befürwortet . Ehrlich gesagt kann ich das Gejammere und Geschrei ({4}) der Partei AfD ({5}) in keiner Art und Weise nachvollziehen, meine Damen und Herren, um auch das einmal ganz deutlich zu sagen . ({6}) Es ist nicht Sinn und Zweck des Parteiengesetzes, dass Parteien durch Umsatzgeschäfte und durch trickreiche Einnahmen - Stichwort: Geld gegen Gold - Unterstützung in der Öffentlichkeit sozusagen kreieren - da entsteht ein falscher Eindruck -, um damit eine höhere staatliche Finanzierung zu erhalten . Dass jetzt eine gesetzliche Lücke geschlossen und einer Fehlinterpretation der Boden entzogen wird, ist absolut richtig . Diese Haltung teilen wir . ({7}) Dem ganzen Gejammere und Gezetere muss man eine deutliche Absage erteilen . In der Sachverständigenanhörung habe ich die Sachverständigen gefragt, ob sie irgendeinen seriösen Schatzmeister einer Partei kennen, der durch solche Umsatzgeschäfte Einnahmen kreiert . Die Antwort war: Nein, wir kennen niemanden . Aber es gibt ganz große Lücken in Ihrem Gesetz . Das Thema „Sponsoring“, das Thema „Absenkung von Veröffentlichungspflichten“, das Thema „Obergrenzen bei Spenden“, die Frage der Beschränkung der Spendenmöglichkeit auf natürliche Personen - all diesen Fragen sind Sie ausgewichen . Ich glaube, dass es richtig und wichtig ist - das zeigen auch die vielen öffentlichen Diskussionen, und das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern, den Verbänden und Institutionen schuldig -, dass hier mehr Transparenz und Offenlegung geschaffen werden . Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie hier jeden Vorschlag abgelehnt haben bis hin zu einer Regelung für das Sponsoring . Da kann ich Sie, meine Damen und Herren, wirklich nicht verstehen; denn nicht nur die Grünen sagen, dass wir endlich eine gesetzliche Regelung für das Sponsoring brauchen . Den Bericht des Bundestagspräsidenten, der offensichtlich nicht unserer Partei angehört, will ich kurz zitieren - es ist die Drucksache 18/100 -: Ich wiederhole daher meine Anregung, das Parteiensponsoring spezifisch parteienrechtlichen Regelungen zu unterwerfen . Und dann macht er einen Vorschlag, und zwar den gleichen Gesetzesvorschlag, den auch wir gemacht haben: Nehmen Sie die Regelung zum Sponsoring in den § 24 auf . Hier ducken Sie sich weg . Sie drücken sich weg . Das ist falsch . Das kann ich nicht verstehen . Dafür gibt es auch keine sachliche Begründung . Eine Regelung für das Sponsoring fordern nicht nur die Grünen, sondern auch Verbände wie LobbyControl und Transparency International, aber auch der Bundestagspräsident . Warum kommen Sie dieser richtigen Forderung nicht einfach einmal nach? ({8}) Lassen Sie mich ganz zum Schluss etwas zu Ihrem Änderungsantrag sagen, meine Damen und Herren von den Linken . Wir haben das Thema „Zuwendungsanteil und Wählerstimmenanteil“ in der Anhörung aufgemacht und darauf hingewiesen, dass es hier aufgrund der doppelten Dynamisierung, die Sie sich ursprünglich überlegt hatten, eine Schieflage gibt. Nicht verstehen kann ich, dass Sie das jetzt nur für die Zukunft festlegen und nicht insgesamt darauf verzichten . Deshalb wird es zu diesem Änderungsantrag nur eine Enthaltung geben . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Helmut Brandt für die CDU/CSU . ({0})

Helmut Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003727, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Die Änderungen im Parteiengesetz, die wir heute - in den wesentlichen Punkten im Einklang mit allen Fraktionen - verabschieden, haben in den vergangenen Tagen einige Aufmerksamkeit in den Medien erfahren . Es ist mir deshalb wichtig, zwei der geplanten Neuregelungen noch einmal besonders in den Fokus zu nehmen . Mit dem vorliegenden Entwurf werden die Einnahmen einer Partei aus ihrer Unternehmenstätigkeit für die Berechnung der relativen Obergrenze künftig nur noch in Höhe des positiven Saldos berücksichtigt . Um größtmögliche Transparenz - davon ist ja hier immer wieder die Rede - über die Einnahmen, aber auch über die Ausgaben der Parteien zu ermöglichen, wurde schon 2002 das Verrechnungsgebot eingeführt . Damit war aber nicht die Absicht verbunden, künstlich hohe Umsätze ohne Gewinnabsicht zu generieren, wie es die AfD mit ihrem Goldhandel macht und die Partei mit dem sinnvollen Namen Die Partei mit dem Tausch von 80 Euro gegen 100 Euro-Scheine . Das ist nach meiner Auffassung die Erschleichung von staatlichen Subventionen . ({0}) Das Prinzip der Kopplung staatlicher Finanzierung an die Einnahmen einer Partei soll im Grunde genommen deren Unabhängigkeit vom Staat sichern . Dass Parteien sich Einnahmen aus unternehmerischer Tätigkeit verschaffen, ist demgemäß durchaus erwünscht . Auch hieran soll staatliche finanzielle Förderung durchaus anknüpfen. Staatliche Gelder sollen aber nur dann fließen, wenn Bürger eine Partei gezielt unterstützen . Die Einnahmen sollen den Rückhalt der Partei in der Bevölkerung widerspiegeln . Gezielt herbeigeführte Verlustgeschäfte erfüllen diesen Zweck erkennbar nicht und führen auch nicht dazu, dass die Partei von staatlicher Förderung unabhängig ist . Vielmehr ist das Gegenteil der Fall . Das wollen wir mit der Gesetzesänderung unterbinden . ({1}) Außerdem haben wir uns entschlossen, die Beträge, die die Parteien jährlich im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung erhalten, zu erhöhen. Eines will ich dabei klarstellen, auch wenn es schon gesagt worden ist: Wir erhöhen nicht das jährliche Gesamtvolumen - das ganze Geschrei darum halte ich für völlig an den Haaren herbeigezogen -, sondern es wird nur das nachvollzogen, was 2011 versäumt wurde, nämlich eine Anpassung der Höhe nach . Diese ist seit 2002 nicht mehr erfolgt, und diese nehmen wir jetzt in moderater Weise vor . ({2}) Wir haben außerdem eine Indizierung vorgenommen und diese im Grunde genommen identisch an die Entwicklung der absoluten Obergrenze angekoppelt, die seit 2011 gilt . Dadurch ist in Zukunft ein kontinuierlicher Inflationsausgleich gewährleistet. Abschließend noch ein paar Worte zu dem Antrag der Fraktion Die Linke und auch zu dem Entschließungsantrag der Grünen: Die Regelungen des Parteienrechts sind ausschließlich Sache dieses Parlamentes . Dass Sie von der Linken in Ihrem Antrag verlangen, dass die Regierung dazu ein Gesetz vorlegt, halte ich nicht für korrekt . Davon unabhängig wären wir auch inhaltlich nicht mit Ihnen einig . Das gilt im Übrigen genauso für Ihren Antrag, Frau Haßelmann, den Sie hier so vehement verteidigt haben . ({3}) Denn ein grundsätzliches Verbot von Unternehmensspenden ist nach unserer Auffassung verfassungsrechtlich mehr als bedenklich . ({4}) Das stellt nicht nur einen Eingriff in die Freiheit der Parteien, sondern auch in die Dispositionsfreiheit der Spender über ihr eigenes Vermögen dar . Nach meiner Auffassung - ich teile Ihre Auslegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ausdrücklich nicht - ist das so nicht zu machen . Der Gefahr der Einflussnahme des Spenders auf eine Partei wird ja durch die Rechenschaftsberichte begegnet . Dort kann man genau nachlesen, wer wie viel welcher Partei gespendet hat . Die notwendige Transparenz ist also absolut gegeben . ({5}) Dies hat auch die Sachverständigenanhörung am 14 . Dezember bestätigt . Keiner der Sachverständigen hat gefordert, dass mehr Transparenz, als wir sie ohnehin schon geschaffen haben, tatsächlich geboten ist . ({6}) - Sie verkennen immer wieder, dass in § 24 Parteiengesetz das Sponsoring im Grunde genommen schon mit erfasst ist und auch Transparenzregelungen unterliegt . ({7}) Deshalb ist es doch auch so - auch wenn Sie, Frau Haßelmann, es nicht wahrhaben wollen -, dass diese Empfehlung im GRECO-Bericht schon seit 2011 nicht mehr aufgeführt wird . ({8}) Trotz des eben zwischen uns ausgetragenen kurzen Disputs möchte ich Ihnen für die gute Zusammenarbeit fast bis zum Schluss danken, die Sie allerdings aufgegeben haben, als Sie eine Forderung gestellt haben, der wir nicht nachkommen konnten . Das bedaure ich; denn anderthalb Jahre lang waren wir einer Meinung; das gilt für die Grünen und für die SPD . Frau Lambrecht ist leider nicht anwesend, sonst hätte ich ihr das gerne auch persönlich gesagt . ({9}) Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir alle diesem Gesetz zustimmen sollten . Besten Dank . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7093, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6879 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7094 . Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und der Fraktion Die Linke . ({0}) Tagesordnungspunkt 13 b . Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7093 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/301 mit dem Titel „Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten, Parteispenden natürlicher Personen begrenzen“ . ({1}) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke . Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 5 unserer Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Sahra Wagenknecht, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Antrag auf NPD-Verbot jetzt unterstützen Drucksache 18/7040 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Frank Tempel für die Linksfraktion . ({3})

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Dezember 2012 beschlossen alle Bundesländer gemeinsam, einen Antrag auf das Verbot der NPD zu stellen . Die damalige Bundesregierung kündigte im März 2013 an, keinen eigenen Antrag zum NPD-Verbot vorzulegen . Sie sah darin damals keine Notwendigkeit . Ebenfalls im März 2013 befürworteten CSU, SPD, Grüne und Linke ein Verbot der NPD . Am 2 . Dezember dieses Jahres, also vor wenigen Tagen, entschied das Bundesverfassungsgericht, das Verbotsverfahren gegen die NPD zu eröffnen . Die Linke unterbreitet Ihnen nun den Vorschlag, zu prüfen, ob die Bunderegierung diesem Verbotsverfahren gegen die NPD unverzüglich beitreten sollte . Uns allen hier ist natürlich klar, dass ein Verbot der NPD nicht das Phänomen Rechtsextremismus löst, nicht das Phänomen Ausländerfeindlichkeit usw . Dazu bedarf es sehr viel mehr Anstrengungen in Politik, Kultur, Bildung und vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft . Doch ein wichtiges Signal ist es auf alle Fälle, ein Signal, dass eine Politik, die dem Nationalsozialismus wesensverwandt ist, die die Menschenwürde, die Freiheits- und Gleichheitsrechte sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip angreift, in unserem Land keinen Platz mehr hat . ({0}) Ganz pragmatisch gesagt, meine Damen und Herren: Einer solchen Partei gehört die staatliche Finanzierung entzogen, gehört die Möglichkeit entzogen, öffentlich Büros zu unterhalten oder offen auf Demonstrationen und Plakaten Ausländerhass und Diskriminierung zu propagieren . Warum unterbreitet Ihnen die Linke zu Beginn des Verfahrens den Vorschlag, doch noch einmal zu prüfen, ob die Bundesregierung dem Antragsverfahren auf das Verbot der NPD beitreten und so ein gemeinsames Handeln der Verfassungsorgane demonstrieren sollte? Für fast alle Menschen steht die NPD unter anderem für Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit . Viele rechtsradikale Strukturen ({1}) - vielleicht kann da auch die Regierungsbank zuhören sind eng mit der NPD verwoben und nutzen deren legale Möglichkeiten zur Vernetzung . Es war doch so: Als sich der Bundestag im März 2013 mehrheitlich dazu entschied, keinen eigenen Antrag zum Verbot der NPD zu stellen, sah das Leben in unserem Land noch ein wenig anders aus als im Dezember 2015 . Aus dem Jahr 2012 lagen deutschlandweit zwölf rechtsorientierte Straftaten im Zusammenhang mit der Unterbringung von Asylsuchenden vor . Zwölf! Im Jahr 2015 waren es bis Mitte November bereits mehr als 1 300 solcher Straftaten . Meine Damen und Herren, Ausländerfeindlichkeit, Gewalt gegen Flüchtlinge, das alles gehört gegenwärtig leider zu den tagesaktuellsten Problemen unseres Landes . Nur ein Beispiel aus der Kreisstadt Altenburg, aus der ich komme: In einem Wohngebäude, in dem 70 Asylsuchende Unterkunft gefunden hatten, legten zwei Täter aus der rechten Szene Feuer . 10 Menschen wurden dadurch verletzt . Das ist momentan der Alltag in unserem Land . Vor nur drei Jahren hätte jeder von Ihnen diesen Vorfall über die Medien mitbekommen . - So darf es nicht bleiben! ({2}) Es sind natürlich in vielen Bereichen Maßnahmen notwendig, um dieser Entwicklung in Teilen unserer Gesellschaft entgegenzuwirken . Menschen aus der ganzen Republik engagieren sich für ein Deutschland, das in erster Linie für Humanität, Hilfsbereitschaft und Verantwortungsübernahme steht . Diese Menschen erwarten selbstverständlich, dass auch die Bundespolitik ihre Verantwortung erkennt und danach handelt . Die Innenminister von Bund und Ländern haben ja ausdrücklich versichert, dass alle Fehler, die zum Scheitern des ersten Verbotsverfahrens geführt haben, beseitigt wurden . Ich hoffe wirklich, dass dem so ist . Wenn dem so ist, liebe Kollegen und Kolleginnen, dann sollten wir gerade mit Blick auf die aktuelle politische Lage bereit sein, wenigstens zu prüfen, ob es nicht doch möglich ist, dem unbestreitbar symbolträchtigen Verbotsverfahren gegen die NPD beizutreten und so ein gemeinsames Agieren von Bund und Ländern vor dem Bundesverfassungsgericht zu erreichen . ({3}) Wir bitten Sie deswegen: Schimpfen Sie nicht reflexartig auf diesen Antrag, sondern schauen Sie wirklich, wie sich unser Land momentan entwickelt . Prüfen Sie, ob Ihnen das gefallen kann und ob es nicht doch Zeit ist, ein solches Signal der Geschlossenheit gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit zu setzen . Danke schön . ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Thorsten Hoffmann . ({0})

Thorsten Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Wochen eröffnete das Bundesverfassungsgericht das Verbotsverfahren gegen die NPD . Das ist eine sehr gute Nachricht . Es zeigt, dass das Gericht dem Antrag der Bundesländer Chancen einräumt . Das bedeutet aber auch: Wir brauchen keinen Beschluss des Bundestages mehr . Das Verfahren läuft . Jetzt wird es endlich eng für die NPD, und darüber freue ich mich sehr . Dass die Kollegen von der Linksfraktion nun trotzdem einen Antrag gestellt haben, hat nur einen einzigen Grund: Sie wollen mit diesem Thema ein politisches Spiel treiben . ({0}) Aber ich sage Ihnen: Dieses Thema ist zu ernst für Ihre Spielchen . ({1}) Ihnen geht es heute nicht um die NPD . Vielmehr wollen Sie Streit provozieren und die Bundesregierung treffen . Einen größeren Gefallen können Sie den rechten Staatsfeinden nicht tun . ({2}) Die CDU/CSU-Fraktion steht geschlossen gegen jeden Extremismus, ({3}) egal ob er von rechts, von links oder von religiösen Fanatikern ausgeht . ({4}) Wir lassen uns dabei ganz sicher nicht auseinanderdividieren . Wenn Sie hier heute öffentlich den Eindruck erwecken wollen, dass ein Beitritt zum Verbotsantrag des Bundesrates etwas am Verfahren ändern würde, dann haben Sie die Gewaltenteilung nicht verstanden . Unsere Gerichte sind unabhängig . ({5}) Ein solch demonstrativer Beitritt der Bundesregierung, wie von Ihnen gefordert, wäre völlig missverständlich und würde das Anliegen behindern, anstatt ihm zu nutzen . Es ist ein Unding, dass Sie diesen Schaden in der öffentlichen Wahrnehmung für den kurzfristigen Applaus billigend in Kauf nehmen . Wir vertrauen auf unser höchstes Gericht . Unsere Bundesrichter brauchen keine Nachhilfe von der Linkspartei . ({6}) Viel wichtiger als Ihre politischen Spielchen ({7}) ist es, nun entschlossen und nüchtern darüber zu reden, wie wir auf ein nun mögliches Verbot der NPD reagieren; denn ein Verbot allein - das ist uns doch allen klar - lässt die Rechtextremen in unserem Land nicht verschwinden . Die Neonazis in unserem Land treten gerade jetzt so offen wie lange nicht auf . Sie sind hochkriminell und so gut vernetzt wie noch nie . Die NPD ist dabei nur eine der Organisationsformen, derer sie sich bedienen . Wir müssen aber um jeden Preis verhindern, dass sich die NPD nach einem Verbot in einer Nachfolgeorganisation neu sammelt . In meiner Heimat, im Ruhrgebiet, konnte ich selbst erleben, wie leicht dies passiert . Die Mitglieder des verbotenen Nationalen Widerstands Dortmund haben sich beinahe nahtlos unter dem Etikett Die Rechte neu organisiert . Was 2012 zu Recht verboten wurde, gedeiht nun unter Missbrauch des Parteienprivilegs in unserem Stadtrat und unseren Bezirksvertretungen . Das NPD-Verbot, das seit 2001 betrieben wird, darf aber nicht dazu führen, dass wir in einigen Jahren eine neue rechtsextreme Partei verbieten müssen . Wir bei der Polizei sagen immer: Wir müssen vor die Lage kommen und nicht hinterherlaufen . Für mich heißt das in diesem konkreten Fall: Wir müssen vorbereitet sein auf das Verbot . ({8}) - Man ist immer Polizist, wenn man einmal Polizist war . ({9}) Denn was passiert, wenn es so weit ist? Die Neonazis werden versuchen, sich neu zu organisieren . Einen solchen Rückzugsraum dürfen wir den Extremisten aber nicht lassen . Wir dürfen nicht zulassen, dass sie das Parteienprivileg und den Schutz unserer Verfassung weiter missbrauchen . ({10}) Speziell Die Rechte darf nicht schon wieder zu einem Auffangbecken für eine verbotene rechtsradikale Organisation werden . Dafür sollten wir schon jetzt sorgen . Unser Staat hat einen Strauß von Handlungsmöglichkeiten . Wir sollten sie entschlossen zur Anwendung bringen . Der Werkzeugkasten reicht von Prävention über Aussteigerprogramme bis hin zu Verboten . Jedes Handeln unserer Behörden bringt die Extremisten in die Defensive . Die Rechtsextremen halten unseren Staat für schwach . Wir können dafür sorgen, dass dies der größte Irrtum ihres Lebens wird, wenn wir uns bereits jetzt auf die Folgen eines Verbots vorbereiten . Meine sehr verehrten Damen und Herren, was unsere Sicherheitsbehörden leisten, erleben wir besonders in diesem Jahr immer wieder und hautnah . Dafür gebührt ihnen großes Lob, und dafür möchte ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken . ({11}) Die Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbehörden von Bund und Ländern ist eng und wird immer besser . Es freut mich, dass wir diesen Weg mit unserer Verfassungsschutzreform weitergehen . Vom guten Miteinander zeugt auch das Abschalten der V-Leute in der NPD, das die Aufnahme des jetzigen Verfahrens ermöglicht hat . Hier zeigt sich: Die Bundesregierung hat ihre Arbeit gemacht . Auch bei der Erstellung des Antrags durch die Bundesländer hat sie unterstützend mitgewirkt . Ich freue mich, dass sich unsere Regierung auf das Wesentliche konzentriert und auf das von den Linken geforderte wirkungslose Eingreifen verzichtet . Unser Bundesverfassungsgericht entscheidet frei und unabhängig . Wir dürfen vollstes Vertrauen in seine Urteilsfähigkeit haben . Und deshalb lehnen wir Ihren Antrag heute ab . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Frank Tempel .

Frank Tempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003899, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, Debatten dienen ja dazu, dass man nicht nur sein Redeskript vorliest, sondern auch den anderen Rednern zuhört . Ich habe Ihnen sehr genau zugehört und verstehe einige Bezüge nicht . Sie haben aus unserem Antrag parteipolitisches Geplänkel herausgelesen . In meinen vier Minuten Redezeit zu diesem Antrag habe ich mich sehr emsig bemüht, deutlich ein gemeinsames geschlossenes Handeln, wie es schon einmal stattgefunden hat, vorzuschlagen . Wir haben sehr vorsichtig, um Ihnen nicht auf die Füße zu treten, formuliert, dass wir bitten, zu prüfen, ob es möglich ist, sich wie im ersten Verfahren zu verhalten, als Bund und Länder übrigens gemeinsam den Antrag gestellt haben . Dann haben Sie - ich kenne Ihre Ausbildung als Polizeibeamter; denn ich habe die gleiche Ausbildung genossen - einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip gesehen . Das würde aber heißen, dass im ersten Verfahren - neben der ganzen Mauschelei mit den V-Leuten, was zum Scheitern des Verfahrens geführt hat - das Stellen eines gemeinsamen Antrags von Bund und Ländern ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei . Nachdem Sie in Ihrer recht langen Redezeit ausführten, dass unser Vorschlag ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung sei, hätte ich gerne den rechtlichen Hinweis, wo ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung geschehen würde, wenn sich auch Thorsten Hoffmann ({0}) die Bundesregierung daran beteiligen würde . Über diesen Vorschlag wurde übrigens in der letzten Legislatur im März 2013 schon einmal abgestimmt; damals wurde das unter den gegebenen Voraussetzungen abgelehnt . Wo würde also gegen die Gewaltenteilung verstoßen, wenn eine Beteiligung der Bundesregierung erfolgen würde? Dass das so wäre, war ja einer Ihrer Gründe, unseren Antrag abzulehnen . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Hoffmann, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu erwidern .

Thorsten Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für Ihre Intervention . - Ich habe das schon verstanden, was Sie gesagt haben . Ich habe auch nicht alles vorgelesen . Manchmal ist es aber besser, wenn man vorliest, als wenn man irgendetwas sagt . Wir haben ja gar keine Expertise, um die Verfassungsmäßigkeit überhaupt überprüfen zu können . Der Bundesrat hat aus meiner Sicht etwas Wichtiges getan . Viele Kollegen teilen meine Meinung . Ich bin dankbar dafür, dass eine Initiative gestartet worden ist . Wir sollten jetzt abwarten . Dann werden wir uns entscheiden, wie wir uns anschließen . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt hat die Kollegin Monika Lazar für Bündnis 90/ Die Grünen das Wort .

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rassistische und flüchtlingsfeindliche Hetze und Gewalt sind dramatisch gestiegen . Ich glaube, wir sind uns im Hause einig, dass das so ist . Wir sind uns auch einig, was wir gesellschaftlich tun müssen . Die NPD hat durchaus einen Anteil daran, ebenso wie alle anderen, die rassistische Parolen verbreiten und auf populistische Weise Ängste schüren . Dies trifft in diesen Tagen leider auf viele Gruppierungen und Parteien zu, nicht nur auf die NPD . ({0}) Die NPD ist widerlich - keine Frage . Ihre Machenschaften müssen entlarvt und geächtet werden . Allerdings darf man die NPD auch nicht wichtiger machen, als sie ist . Man kann allerdings erkennen, dass sie in letzter Zeit tief zerstritten, geschwächt und bundesweit kaum noch aktionsfähig ist, nicht einmal in meinem Heimatland Sachsen, wo die NPD zum Glück seit einem reichlichen Jahr nicht mehr im Landtag vertreten ist . ({1}) - Dazu sage ich jetzt lieber nichts . Das würde meine Redezeit deutlich überschreiten . ({2}) Deutlich relevanter sind allerdings das gesellschaftliche Klima und rechtspopulistische Bewegungen wie Pegida und Co . oder Parteien wie die AfD . Auch andere Politikerinnen und Politiker und Menschen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft - Kollege Wendt, so manche Äußerungen der CDU aus Sachsen sind nicht gerade sehr förderlich ({3}) unterstützen dieses Klima und bereiten still und heimlich den Boden dafür, dass flüchtlingsfeindliche und rassistische Äußerungen gemacht und Straftaten begangen werden . Man hat manchmal den Eindruck: Das ist ein legales Mittel der politischen Meinungsäußerung geworden . Darauf muss unsere Aufmerksamkeit gerichtet werden . ({4}) Ich verstehe den Antrag der Linksfraktion zu diesem Zeitpunkt nicht . Man will in aktionistischer Manier auf einen Zug aufspringen, der schon längst rollt . Das Verfahren gegen die NPD läuft, und ich kann nicht erkennen, was es an Gewinn bringen sollte, wenn Bundesregierung oder Bundestag dem Verbotsantrag nun nachträglich beitreten würden . Das Gericht wäre damit gewiss nicht zu beeindrucken . ({5}) Davon abgesehen: Es gibt schließlich in allen Parteien und Fraktionen Befürworter und Gegner des Verbots; aber darum geht es heute nicht . In der vergangenen Wahlperiode - Kollege Tempel hat darauf hingewiesen - haben wir im Plenum ausführlich über das Thema diskutiert . Schließlich beschloss der Bundestag mehrheitlich, dem Verbotsantrag des Bundesrates nicht beizutreten . Dafür gab und gibt es gute Gründe . Jetzt bleibt schließlich abzuwarten, inwieweit sich die gesammelten Belege im Verfahren als Beweise eignen . Das Material müsste zweifelsfrei belegen, dass die Partei gezielt anstrebt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen, zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik zu gefährden . Ich persönlich bin skeptisch, ob das Gericht der NPD einen so bedrohlichen Einfluss in Deutschland zubilligt, dass es für ein Verbot reicht . Ein erneutes Scheitern wäre eine Blamage für die gesamte demokratische Politik und würde der NPD, die kaum noch politische Erfolge vorweisen kann, neuen Aufwind und öffentliche Aufmerksamkeit bescheren . ({6}) - Es geht nicht um Bagatellisieren . ({7}) Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht ein NPD-Verbot aussprechen würde, ({8}) könnte die Partei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dagegen klagen, ({9}) und dessen Auflagen - Herr Lischka, das wissen Sie genauso gut wie wir alle - sind besonders hoch . Unabhängig vom juristischen Ausgang bleibt das grundlegende Problem ungelöst: Teile der Bevölkerung unterstützen die rassistischen und antidemokratischen Positionen der NPD und haben sie durch ihr Stimmverhalten in Landesparlamente und Kreistage gebracht . NPD-Wählerinnen und -Wähler sind leider nur die Spitze des Eisbergs . Ziel von Rassistinnen und Rassisten ist es, die Mitte der Gesellschaft zu infiltrieren und nach rechts zu rücken . Deshalb muss es uns allen darum gehen, überall für eine antirassistische, weltoffene und demokratische Gesellschaft einzutreten . Ein NPD-Verbot hilft da leider nur bedingt weiter . Vielen Dank . ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Uli Grötsch für die SPD . ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kampf gegen rechts war für mich vor 20 Jahren der Grund, mich politisch zu engagieren und damit zu beginnen, für ein Land zu kämpfen, in dem rechte Gesinnung keinen Platz hat . ({0}) Ich sehe es deshalb mit einer gewissen Genugtuung, dass nun endlich das NPD-Verbot in greifbare Nähe rückt . ({1}) Ich bin sehr optimistisch, dass wir diesmal die Verfassungswidrigkeit dieser Neonazi-Partei hieb- und stichfest und quellenfrei beweisen können . Ja, ich sehne den Tag der Entscheidung herbei; denn unsere Demokratie verträgt diese Menschenverachter keinen Tag länger . ({2}) Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass alle antragsberechtigten Verfassungsorgane mit an Bord sind und mit einer Stimme sprechen . Sie wissen, dass die SPD in der letzten Wahlperiode dazu einen entsprechenden Antrag eingebracht hatte, der von der schwarz-gelben Koalition aber leider abgelehnt wurde . Auch zwischen den Koalitionspartnern der Großen Koalition gibt es leider keinen Konsens . Zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken: Wenn wir diesen jetzt so beschließen, dann verzögern wir das nun endlich eröffnete Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, und das will ich nicht, und das will auch meine Fraktion nicht . Ich glaube, eine Verzögerung des Verfahrens will niemand hier im Haus . ({3}) Inhaltlich sind wir hier uns doch alle einig: Die NPD ist verfassungsfeindlich, rassistisch und menschenverachtend . Deshalb darf sie keinen einzigen Cent vom Staat mehr erhalten, und das lieber heute als morgen . ({4}) Jetzt gibt es vereinzelt Stimmen, die da sagen: Na ja, die dümpeln bei 1 Prozent oder so; das ist ja nicht wirklich eine Gefahr . Oder man sagt, nach einem Verbot würden sie in anderer Form weiteragieren . - Ja, das mag sein . Auch wenn die NPD als legaler Arm dieser Bewegung ausgeschaltet wird, gibt es in Deutschland natürlich - leider - immer noch Rechtsextreme . Das ist richtig . Aber - und das ist ein ganz wesentlicher Punkt wir nehmen ihnen damit die steuerfinanzierten Privilegien weg, mit denen sie ebendiesen von ihnen verhassten Staat bekämpfen . ({5}) Ich bin erstens überzeugt, dass dieses Verbot ein klares Signal des demokratischen Staates für die Ächtung menschenverachtender Gesinnung ist . Zweitens bin ich davon überzeugt, dass dieses Verbot bei anderen zweifelhaften Parteien in Deutschland seine Wirkung entfalten wird . Das NPD-Verbot ist also ein Signal an alle, die das Klima in diesem Land vergiften, die Stimmung gegen Flüchtlinge schüren und das Nazi-Wording wieder salonfähig machen wollen, in Teilen Deutschlands sogar schon wieder salonfähig gemacht haben . Unser Justizminister Heiko Maas hat recht, wenn er sagt: Erst kommen die Worte - da fällt die Hemmschwelle als Erstes -, und dann kommen die Taten . - Und ich will nicht bis zu den Taten warten . ({6}) Deshalb ist es richtig, dass Heiko Maas verfassungswidrige, weil menschenverachtende Hasskommentare innerhalb von 24 Stunden aus den sozialen Netzwerken löschen lassen will . Wir setzen bei den Worten an, mit denen die Hemmschwelle fällt . Der Kampf gegen rechts ist eine zentrale Aufgabe aller demokratischen Kräfte; denn rechtsextremes GedanMonika Lazar kengut reicht weit bis in die Mitte unserer Gesellschaft . Wir wissen, dass die AfD von Rechtsextremen durchsetzt ist . Für mich ist es deshalb unverständlich, warum beinahe wöchentlich öffentlich artikuliertes rechtsextremes Gedankengut und entsprechendes Gebaren nicht ein Fall für den Verfassungsschutz werden . ({7}) Meine größte Sorge ist, dass wir zulassen, dass die AfD immer mehr zu einer NPD-Nachahmerpartei wird . ({8}) Wenn die NPD verboten wird, dann wird das aber auch ein Signal in Richtung AfD sein, dass eben nicht alle Äußerungen in diesem Land von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind . Ein Wort will ich noch zu den sogenannten Gida-Bewegungen sagen . Auch da sind ohne Zweifel Rechtsextreme am Werk . Wir bekommen das in den Gremien des Deutschen Bundestages beinahe jede Woche von den Sicherheitsbehörden bestätigt . Dennoch weigert sich der Verfassungsschutz, gerade der in Sachsen, diese flächendeckend zu beobachten . Allen „besorgten Bürgern“, die meinen, dass sie ihren Sorgen auf den Gida-Veranstaltungen Ausdruck verleihen können, will ich sagen: Wenn Sie an den Gida-Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik teilnehmen, wenn Sie diese Aufmärsche unterstützen, dann drücken Sie damit nicht Ihre Sorgen aus, sondern unterstützen damit eine menschenverachtende, rassistische Ideologie . Das sollten Sie wissen, liebe Bürgerinnen und Bürger . ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind entsetzt darüber, dass sich die Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte vervielfacht haben; das wurde in dieser Debatte bereits gesagt . Nun handelt es sich bei den Tätern, die Flüchtlingsunterkünfte oder Busse mit Flüchtlingen angreifen, nicht immer um altbekannte Nazis . Eigentlich ist es nur dem Glück zu verdanken, dass es bislang keine Toten gegeben hat . Zum Teil sind es beinahe schon sprichwörtlich „besorgte Bürger“, die aus Angst vor einem Wertverfall ihrer Häuser beispielsweise auf diesem Wege die Errichtung von Unterkünften in ihrer Nachbarschaft verhindern . ({10}) Ich kann Ihnen sagen: In meinem Wahlkreis gab es das auch einmal . Da gab es auch einmal besorgte Bürger, die Angst hatten, dass ihre Häuser nichts mehr wert sind, wenn in der Nachbarschaft syrische Kontingentflüchtlinge einziehen . Das war vor zwei Jahren . Jetzt, zwei Jahre später, sind es genau diese Nachbarn, die erkannt haben, dass das schlichtweg Menschen sind, die in ihre Nachbarschaft eingezogen sind . ({11}) Es sind diese Nachbarn von damals, die sich jetzt jeden Tag um die Integration dieser Menschen kümmern . Deshalb sage ich: Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es muss Schluss sein mit der Verharmlosung der rechten Gefahr . Besorgte Bürger begehen keine Straftaten, bei denen Menschen sterben können . Dahinter steckt immer rechtes menschenverachtendes rassistisches Gedankengut und nichts anderes . ({12}) Damit komme ich zum Schluss . Das NPD-Verbot ist längst überfällig . Sie haben lange genug auf Kosten eines Staates, den sie abschaffen wollen, ihre Propaganda verbreiten können . Es ist auch eine Kampfansage an alle, die versuchen, den Rechtsextremismus in der Mitte unserer Gesellschaft zu etablieren . Vielen Dank . ({13})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Marian Wendt für die CDU/CSU das Wort . ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ist das Bundesverfassungsgericht für ‚Signale‘ zuständig?“, fragte Verfassungsrechtler Ingo von Münch 2001 . ({0}) Ich meine, nein . Es ist durchaus fraglich, ob ein Verbot der NPD mehr als Symbolpolitik sein kann, ein sicher gutgemeintes Symbol jedenfalls; denn Extremismus hat in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nichts zu suchen . Aber reicht dies aus? Die Hürden für ein Parteiverbot sind mit gutem Grund sehr hoch . Ein Haufen Idioten zu sein, reicht nicht aus . ({1}) Freiheit und Demokratie irgendwie abschaffen zu wollen, ist zwar verwerflich, aber auch das reicht nicht aus. Sonst säße die SED-Fortsetzungspartei ja nicht unter uns, bei der ja sogar Mandatsträger, zum Beispiel in Leipzig, Hand in Hand mit der gewalttätigen autonomen Szene agieren . ({2}) Nein, es bedarf auch einer aggressiven, aktiv-kämpferischen Vorgehensweise . Es bedarf eines Plans, mit dem die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erfolgen soll, eines Vorgehens und überhaupt dem Bestehen einer Bedrohung, der begegnet werden müsste . Welche Folgen hätte nun die formelle Feststellung, dass diese hohen Hürden eben nicht übersprungen würden? ({3}) - Da sind wir uns nicht so sicher . Das haben alle Redner in der Debatte bereits angedeutet . - Welche Bedeutung würde der NPD dann neu zugemessen? Die Aufmerksamkeit, die die Partei dadurch erhält, wäre meines Erachtens viel zu viel . Selbst die heutige Debatte ist schon viel zu viel Aufmerksamkeit für diese im Abbau befindliche Partei . ({4}) Unsere Aufmerksamkeit sollte sich deswegen vielmehr auf das viel größere Problem richten, nämlich dass sich Menschen radikalisieren und gewalttätig werden . Welcher Couleur Extremisten sind, ist dabei zunächst gar nicht von Bedeutung . Einen Stein auf Menschen zu werfen, ist verwerflich, es spielt keine Rolle, ob dieser Mensch ein Asylbewerber ist, der Schutz sucht, oder ein Polizist, der unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung schützt . ({5}) Ich möchte uns nur kurz die Bilanz von Leipzig in Erinnerung rufen: 56 verletzte Beamte, mehrere 100 000 Euro Schaden . ({6}) Auch das ist eine Form von Extremismus, gegen die wir gemeinsam vorgehen müssen, wie auch gegen den Rechtsextremismus . ({7}) Parteiverbote lösen das Extremismusproblem nicht . Die Feinde der Freiheit wird ein Verbot der NPD jedenfalls nicht beeindrucken, so sie überhaupt in der NPD organisiert sind; denn sie gehen meist in andere Organisationsformen wie die Freien Kameradschaften und verschwinden im Untergrund . Wäre damit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gedient? Ich meine, nein . Überzeugtes Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist aus meiner Sicht das beste Rezept . Die Probleme an der Wurzel packen und den Menschen dort Perspektiven und Leitbilder bieten, wo diese sonst nicht vorhanden sind, das hilft gegen Extremismus . Ich meine, in der aktuellen Situation müssen wir das mehr denn je tun . Es sind nicht irgendwelche Bürger, die man leicht als Rechtsextremisten abkanzeln kann . Die Leute haben Fragen, und denen müssen wir uns alle stellen . Wir müssen hinausgehen und mit jedem einzelnen dieser Bürger - auch wenn es wie in Dresden 35 000 sind - reden . ({8}) Wir dürfen sie aber nicht pauschal, wie es der Kollege Grötsch von diesem Pult aus gemacht hat, verurteilen . ({9}) Das wäre der richtige Weg, um diese Menschen wieder in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen, aber nicht pauschale Polemik . ({10}) Ein Parteiverbotsverfahren gegen die NPD zu führen, ist für mich deswegen Symbolpolitik, die diesen Bedeutungslosen zu viel Aufmerksamkeit zumisst . ({11}) Statt sich mit den Problemen zu beschäftigen, werden damit im Endeffekt nur die Symptome behandelt . ({12}) Weil ich den Eindruck habe, dass wir der NPD heute viel zu viel Bedeutung beimessen, möchte ich in diesen Gedanken auch die europäische Ebene einbinden . Der ehemalige Präsident und Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Dean Spielmann hat bereits seine Zweifel anklingen lassen . Ich denke, es wäre für die Bundesrepublik Deutschland ein Desaster, wenn das Bundesverfassungsgericht einem NPD-Verbot zustimmt, Europa es aber zurückweist . Auch das sollten wir hier bedenken . ({13}) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zum Schluss alle gemeinsam feststellen: Ja, wir haben ein Problem mit rechter Gewalt; die Zahl der Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte hat das bewiesen . Ja, wir haben ein Problem mit islamistischer Gewalt; auch das haben die letzten Wochen leider bewiesen . ({14}) Und: Ja, wir haben auch ein Problem mit linksextremer Gewalt . ({15}) Deshalb wäre es am besten, wenn wir alle gemeinsam gegen Extremismus vorgehen und für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung werben . ({16}) Der Antrag, die NPD pauschal zu verbieten, greift zu kurz . Deswegen sagen wir Nein; das ist das klare Signal . Danke . ({17})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/7040 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- verstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes Drucksache 18/6489 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Kai Gehring, Özcan Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft ({0}) Drucksache 18/1463 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Drucksache 18/7038 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit in der Wissenschaft - Stabile Ausfinanzierung statt Unsicherheiten auf Kosten der Beschäftigten und Wissenschaftszeitvertragsgesetz grunderneuern Drucksachen 18/4804, 18/7038 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen fünf Änderungsanträge der Fraktion Die Linke sowie ebenfalls fünf Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen . Dann kann ich sofort die Aussprache eröffnen . Es haben auch schon alle Kolleginnen und Kollegen, die sich besonders intensiv an diesem Tagesordnungspunkt beteiligen möchten, Platz genommen bzw . tun dies gerade . Ich darf als erster Rednerin für die Bundesregierung Frau Professor Dr . Johanna Wanka das Wort erteilen . ({4})

Johanna Wanka (Minister:in)

Politiker ID: 11005307

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute fast auf den Tag genau vor elf Monaten, am 19 . Januar dieses Jahres, habe ich in der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben . In diesem Interview wurde auch gefragt: Wie ist es denn mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz? Ich habe dort gesagt: Im Wissenschaftsbereich besteht immer die Notwendigkeit, in großem Umfang befristete Arbeitsverträge abzuschließen . Wir haben ein besonderes Gesetz, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das den Sonderkonditionen der Wissenschaft Rechnung trägt . Es macht Befristungen in einer Art und Weise möglich, wie es in anderen Bereichen nicht möglich ist . Dieses Gesetz wurde aber ausgenutzt . Deshalb ist es zwingend notwendig, es zu novellieren . Ich habe drei für mich wichtige Eckpunkte für diese Gesetzesnovelle angesprochen: Erstens: Orientierung der Befristungsdauer an dem für die angestrebte Qualifikation - zum Beispiel die Promotion - benötigten Zeitraum oder an der Dauer des Drittmittelprojekts . Zweitens: Sicherheit, Planungssicherheit und Verlässlichkeit für die Mitarbeiter, die Daueraufgaben an den Hochschulen wahrnehmen . Das heißt, das nichtwissenschaftliche Personal, das Daueraufgaben leistet, wird nicht über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz beschäftigt . Drittens: keine Mindestvertragslaufzeiten . Das waren die damals genannten drei wesentlichen Punkte, durch die der Rahmen abgesteckt wurde, und ich freue mich sehr, dass wir heute hier ein Gesetz beschließen werden, das genau diese drei Punkte enthält, dem also genau Rechnung trägt . ({0}) Ich hätte mir gewünscht, dass wir den Gesetzentwurf eher verabschieden . Unser Referentenentwurf war schon lange fertig . Ich glaube aber, es war sehr wichtig, dass in den Fraktionen darüber diskutiert wurde, um dort einen Konsens herbeizuführen, und ich möchte mich auch an dieser Stelle bei den Koalitionsfraktionen bedanken . Einer der heute vorliegenden Änderungsanträge enthält einen Punkt - insgesamt sind es drei kleine Punkte -, den wir bereits in den Referentenentwurf geschrieben hatten . Wir wollten nämlich gerne, dass bei einer studentischen Tätigkeit sechs Jahre nicht auf die maximal mögliche Zeitdauer von zwölf Jahren angerechnet werden . Leider haben wir das innerhalb der Regierung nicht durchsetzen können, sodass wir bei vier Jahren gelandet sind . Dass Sie jetzt an dieser Stelle sechs Jahre realisiert haben, freut mich sehr, weil das die ursprüngliche Intention war . ({1}) Meine Damen und Herren, im Januar - ich habe daran erinnert - wurde noch ganz intensiv gesagt, dass Mindestvertragslaufzeiten notwendig sind . Von diesem Standpunkt sind die Linken und Bündnis 90/Die Grünen immer noch nicht abgerückt; sie vertreten ihn immer noch . ({2}) Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass man die Tarifsperre aufheben will . Das heißt, das, was wir gerade im Wissenschaftsbereich unbedingt wollen, nämlich Flexibilität und Mobilität ohne Schranken, würde damit wieder konterkariert werden . ({3}) Deswegen ist es sehr wichtig, dass die Tarifsperre im Gesetzentwurf steht und Mindestvertragslaufzeiten eben nicht . Ich lese mir immer gerne die Anträge der Opposition durch ({4}) - ja, genau, Herr Mutlu, weil ich etwas lernen möchte -, weil ich nicht der Meinung bin, dass immer nur eine Partei die Wahrheit gepachtet hat, wenn es um Sachfragen geht, sondern ich glaube, auch von anderen können interessante Anregungen kommen, die man vielleicht aufgreifen kann . ({5}) Das, was uns hier als Antrag der Linksfraktion zugemutet wird, ist aber von solch einer Qualität, die ich bisher wirklich kaum erlebt habe . ({6}) Wenn man sich diesen Antrag anschaut, dann sieht man, dass er nur so von Unwahrheiten, Halbwahrheiten, illusorischen Forderungen und widersprüchlichen Dingen strotzt, und manchmal wird auch genau das gefordert, was wir bereits tun . Der Clou in diesem Antrag ist die Aussage, dass wir 100 000 Mitarbeiterstellen für zehn Jahre finanzieren sollen . Bei 60 000 Euro bis 70 000 Euro pro Mitarbeiter im Jahr sind das jährlich 6 bis 7 Milliarden Euro . Wir haben einen Etat von knapp 16 Milliarden Euro, und Sie wollen einfach noch 6 bis 7 Milliarden Euro drauflegen. Die Finanzminister des Bundes und der Länder verhandeln jetzt über eine Summe von 8 Milliarden Euro, und Sie denken, wir könnten für einen gewissen Teil von Mitarbeitern mit links einfach einmal 6 bis 7 Milliarden Euro drauflegen. - Ich glaube, das muss man sich nicht angucken, und man muss auch gar nicht viel dazu sagen . ({7}) Meine Damen und Herren, ich denke, dass für die Verbesserung der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verschiedene Bausteine notwendig sind: Tenure Track, BAföG-Mittel . Ein Baustein ist auch, wie befristete Verträge ausgestaltet werden . Auch dieser Baustein ist sehr wichtig . Der Gesetzentwurf wird die Situation der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen - die Familiensituation und die Möglichkeiten der Qualifizierung - wesentlich verbessern, und ich freue mich über Ihre Zustimmung . Danke schön . ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Nicole Gohlke spricht jetzt für die Fraktion Die Linke . ({0})

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier wird jetzt gleich die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beschlossen werden, aber leider wird damit die Chance auf einen wirklichen und dringend notwendigen Neustart in der Wissenschaft vergeben . Ein Neustart hieße nämlich, endlich den Gedanken ernst zu nehmen, dass gute Arbeitsbedingungen und gute Wissenschaft zusammengehören und keinen Gegensatz bilden, ({0}) und dass endlich Schluss gemacht wird mit Kettenbefristungen, mit so etwas wie Viertel- und Achtelstellen und mit der Benachteiligung von Menschen mit Kindern . Aber der politische Wille dazu, das wirklich und grundsätzlich zu ändern, ist in der Großen Koalition offenbar noch nicht vorhanden . ({1}) Nach jahrelanger Debatte, nach vielen Anhörungen, Evaluationen und Berichten waren die Erwartungen an die Neuregelung der Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft hoch . Aber das, was die Koalition vorgelegt hat, enttäuscht . Der Gesetzentwurf ist weder rechtssicher noch verbindlich . Damit bleiben die zentralen Missstände einfach bestehen . Auch die Nachjustierungen, die Sie in der letzten Woche vorgenommen haben, machen aus diesem Gesetzentwurf keine wasserfeste gesetzliche Grundlage für gute Arbeit . ({2}) Das hat für die Beschäftigten und für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitunter dramatische Auswirkungen . ({3}) Warum dramatisch? Weil die ganzen Unsicherheiten für die Beschäftigten bleiben . Auch nach dieser Novelle sind an Hochschulen und an außeruniversitären Forschungseinrichtungen extrem kurze Vertragslaufzeiten und Kettenbefristungen weiterhin möglich . So wird die Lebensund Karriereplanung für viele Beschäftigte weiterhin massiv erschwert . Es gibt immer noch keine festen Untergrenzen für Vertragslaufzeiten . Es besteht weiterhin die Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren, wenn man ein Kind bekommt und auf einer drittmittelfinanzierten Stelle arbeitet. Es ist den Gewerkschaften weiterhin gesetzlich untersagt, über Tarifverträge bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten auszuhandeln . ({4}) Diese Aufzählung macht doch wohl deutlich, dass man sich mit dem vorliegenden Ergebnis nicht zufriedengeben kann . ({5}) Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es ist gut, dass ihr es der Union wenigstens abgetrotzt habt, dass endlich das Personal in Technik und Verwaltung von dieser Regelung ausgenommen wurde ({6}) und dass damit hoffentlich der Wahnsinn beendet wird, dass sogar die Beschäftigten der IT-Abteilung oder der Hausmeisterei im Wissenschaftsbetrieb nur befristet beschäftigt werden . Aber das reicht doch bei den Missständen, wie wir sie in der Wissenschaft vorfinden, nicht aus. ({7}) Die Linke will Kettenbefristungen und Prekarität beenden, auch in der Wissenschaft . Ja, es gibt im Wissenschaftsbetrieb Besonderheiten, wie zum Beispiel das Erstellen einer Doktorarbeit . Ja, es macht Sinn, das als Ausnahmefall von ansonsten grundsätzlich unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen zu definieren. Aber das, was mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz gemacht wird, ist doch das glatte Gegenteil . Es hat die Ausnahme, die Befristung, als Regel definiert und damit den Standard insgesamt für alle abgesenkt . Damit muss doch endlich Schluss sein, und zwar wasserfest und für alle! ({8}) Wir bleiben dabei: Ein Sonderarbeitsrecht für die Wissenschaft wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz macht nur dann Sinn, wenn es für die Spezifika im Wissenschaftsbetrieb Mindeststandards für gute Arbeit rechtssicher definiert. Das leistet diese Novelle nicht. Deswegen werden wir ihr nicht zustimmen, sondern wir haben eigene Änderungsanträge vorgelegt . Sie können sich sicher sein, dass wir an diesem Thema dranbleiben und weiter dafür werben, dass gute Arbeit und gute Wissenschaft endlich zusammenkommen . Vielen Dank . ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dr . Simone Raatz . ({0})

Dr. Simone Raatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004380, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Gohlke, Ihnen möchte ich empfehlen, den Gesetzentwurf einmal zu lesen . ({0}) Das wäre eine gute Voraussetzung, um hier mitzureden . Ich finde es erstaunlich, wie Sie alles immer voraussehen. ({1}) Schauen Sie sich einmal die Pressemitteilung von Herrn Dr . Keller von der GEW an, der ganz klar gesagt hat, das sei ein guter Gesetzentwurf und er könne damit gut leben . - Ich denke, wenn Herr Dr . Keller das sagt, dann kann das, was wir hier gemeinsam auf den Tisch gelegt haben, nicht ganz falsch sein . ({2}) Heute vor knapp anderthalb Jahren haben wir in diesem Haus wichtige Entscheidungen für den Bereich Bildung und Forschung getroffen und die Umsetzung gemeinsam auf den Weg gebracht . Ich möchte die Aufhebung des Kooperationsverbotes für den Wissenschaftsbereich erwähnen . Damit haben wir den Weg für die dauerhafte Förderung unserer Hochschulen frei gemacht . Zur gleichen Zeit fiel insbesondere auf Drängen meiner Kollegen René Röspel und Swen Schulz die Entscheidung, die Mittel für die Friedens- und Konfliktforschung zu erhöhen . Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurde vor anderthalb Jahren der Anstoß für die heute zur Abstimmung stehende Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gegeben . Da habe ich naturgemäß vielleicht eine etwas andere Sicht als Frau Wanka; denn ich denke, dass unser SPD-Eckpunktepapier und die darin enthaltenen Vorstellungen für eine Reform des Gesetzes - das haben wir am 30 . Juni 2014 vorgelegt - den Anstoß für diese Gesetzesinitiative gegeben haben . ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne unsere Eckpunkte und die darauffolgende mediale Berichterstattung sowie ohne den unermüdlichen Einsatz der Personalvertretungen der Hochschulen, der außeruniversitären Forschungseinrichtungen, der Gewerkschaften und Wissenschaftsorganisationen, der Länderminister, aber auch ohne die gute Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspartner und dem BMBF würden wir heute nicht diese Novellierung debattieren . Denn es würde gar kein Gesetzentwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorliegen . Ich wüsste gar nicht, worüber Sie dann reden könnten, Frau Gohlke . Deshalb möchte ich mich zunächst bei all denen bedanken, die sich in den vergangenen anderthalb Jahren so intensiv an der Debatte zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz beteiligt ({4}) und damit auch zum Erfolg beigetragen haben, sodass wir heute in zweiter und dritter Lesung die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beschließen werden . ({5}) Für mich steht diese Debatte um den Gesetzentwurf für eine gelungene und funktionierende Demokratie sowie für ein Parlament, das die Sorgen der Betroffenen ernst nimmt und sich den Diskussionen stellt . Ich denke, darauf können wir, insbesondere die Koalitionsfraktionen, stolz sein . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle - ganz gleich, ob Opposition, Union oder SPD - haben in den vergangenen Monaten viel Zeit und Kraft in den Austausch mit den Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus der Wissenschaft investiert und einen regen und konstruktiven Austausch mit den Betroffenen erlebt . Das Ergebnis ist ein Gesetzentwurf, der sich sehen lassen kann . Mit dem Gesetz schieben wir endlich unsachgemäßen Kurzbefristungen einen Riegel vor und rücken die Qualifizierung und die dafür nötige Zeit stärker in den Fokus . ({6}) Das Gesetz stellt einen Meilenstein für viele der circa 200 000 Beschäftigten an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen dar und bedeutet eine deutliche Stärkung der Arbeitnehmerrechte . ({7}) Mit diesem Gesetz werden wir erstens die Laufzeit der Verträge künftig am Qualifizierungsziel orientieren; Frau Wanka ist schon kurz darauf eingegangen . So ist die vereinbarte Befristungsdauer in Zukunft so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung entspricht. Bei einer Promotion geht man davon aus, dass es kaum möglich ist, sie in weniger als drei Jahren abzuschließen . Das heißt, dass auch der Erstvertrag über drei Jahre läuft . ({8}) Zweitens werden künftig die willkürlichen Vertragslaufzeiten bei Drittmittelprojekten unterbunden . Die Drittmittelbefristungen müssen sich also künftig an der Dauer der Projektlaufzeit orientieren und nicht, wie es noch im ersten Gesetzentwurf steht, nach den jährlich bereitgestellten Mitteln . Sprich: Bei einer Projektlaufzeit von drei Jahren muss auch der Vertrag über drei Jahre abgeschlossen werden . ({9}) Ein weiterer wichtiger Punkt für die SPD - auch das wurde schon erwähnt - ist die Herausnahme des nichtwissenschaftlichen Personals aus dem Geltungsbereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes . Denn dieses Gesetz ist ein Qualifizierungsgesetz. Wir denken, dass der Personenkreis der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter überwiegend Daueraufgaben erfüllt, sodass die entsprechenden Stellen auch als Dauerstellen zu besetzen sind . ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie nun denken, dass wir uns mit der heutigen abschließenden Befassung ab sofort auf unseren Lorbeeren ausruhen, dann muss ich Sie leider enttäuschen . Das wäre zwar schön, aber das Ganze ist für uns eben nur ein Baustein innerhalb eines Gesamtkonzepts . Denn allein mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz - ich habe das schon mehrfach gesagt - werden wir nicht die gesamte Wissenschaftswelt retten . Dazu gehört viel mehr . Aber ich denke, nicht erst die Debatte um dieses Gesetz hat uns gezeigt, wie wichtig das Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ ist, und zwar nicht nur für junge Wissenschaftler und ihre Zukunftsperspektiven, sondern auch für den Wissenschaftsstandort und - auch darüber haben wir heute früh schon geredet - die Innovationsfähigkeit Deutschlands . Auch dafür ist dieses Gesetz eine wichtige Grundlage . Die Debatte hat deutlich gemacht, dass beim verantwortungsvollen Umgang mit den Beschäftigten in der Wissenschaft an vielen Einrichtungen noch sehr viel Luft nach oben ist . Genau das ist für mich Ansporn, weiter an dem Thema dranzubleiben und weitere Stellschrauben in den Blick zu nehmen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, welche Stellschrauben könnten das sein? Eine ist zum Beispiel der von den Koalitionsfraktionen ab 2017 auf den Weg zu bringende Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs und akademischen Mittelbau, mit dem wir von Bundesseite zusätzlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen, um für mehr dauerhafte Stellen mit Tenure-Track-Option zu sorgen . Personalstrukturkonzepte werden das Ganze ergänzen . ({11}) Zweitens sollten zukünftig alle Förderprogramme und Pakte, mit denen der Bund Mittel für Wissenschaft und Forschung zur Verfügung stellt, verbindliche und vor allem messbare Kriterien enthalten . Vorstellbar sind hier zum Beispiel Vorgaben zu Befristungsquoten, zur Ausgestaltung von Personalstrukturkonzepten und zur Gleichstellung . Denn - damit komme ich zum dritten Punkt es ist mir und meiner Fraktion ein Herzensanliegen, dass wir wieder mehr engagierte Wissenschaftlerinnen gewinnen und diese dann auch in unserem Wissenschaftssystem halten . ({12}) Wir haben viele hervorragende Frauen . Fast 50 Prozent von ihnen promovieren . Wenn wir aber in den Hochschulen oder den außeruniversitären Forschungseinrichtungen schauen, wie viele wirklich eine Professur haben oder in der Hochschulleitung tätig sind, dann stellen wir fest, dass es nicht einmal 20 Prozent sind . Hier können wir etwas tun . Deutschland kann sich den jetzigen Zustand im 21 . Jahrhundert nicht mehr leisten . ({13}) Mehr Frauen in die Wissenschaft sollten Bund, Länder und die Wissenschaftseinrichtungen als Thema und Chance für sich erkennen . Damit wären wir wieder beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz; denn gerade für Frauen spielt das Thema „Perspektive und Sicherheit“ eine große Rolle . Mit der heutigen Verabschiedung verbessern wir dafür die Rahmenbedingungen und gehen einen wichtigen Schritt hin zu mehr guter Arbeit in der Wissenschaft . Damit können wir zufrieden sein . Danke für die Aufmerksamkeit . ({14})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Als Nächster spricht der Kollege Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist eine bisweilen skurrile Debatte . Frau Ministerin hat ihr altes SZ-Interview referiert, und Frau Raatz hat dann den Gesetzentwurf vorgestellt . ({0}) Aber wenigstens kann man nach vielen Jahren der Debatte sagen: Mittlerweile ist es Konsens im Bundestag, dass wir für den wissenschaftlichen Nachwuchs planbare und verlässliche Karrierewege schaffen müssen . ({1}) Daran messen wir Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD . Auch die vielen Nachwuchskräfte, die sich von Halbjahresvertrag zu Halbjahresvertrag hangeln, messen Sie daran . Sie von der Koalition sind dabei, die Messlatte zu reißen, die Sie sich selbst aufgelegt haben . ({2}) Nach zwei Jahren, mit vielen Koalitionspirouetten, gibt es noch immer kein Bund-Länder-Programm für den wissenschaftlichen Nachwuchs . ({3}) Das braucht es aber, um mehr feste Stellen zu schaffen, vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur . Das Einzige, was Union und SPD auf den Tisch gelegt haben, ist diese halbherzige Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz . Trotz begrüßenswerter kosmetischer Korrekturen ({4}) können wir Ihrer Novelle nicht zustimmen, da viele Lücken und viele Risiken von Kurzzeitverträgen leider bleiben . ({5}) Wenn diese Reform so kommt, riskieren wir weiterhin, dass junge Leute der Wissenschaft Lebewohl sagen und woanders ihr berufliches Glück suchen. Lassen Sie den drohenden Verlust an Talent, Kreativität und Erfindergeist nicht zu . ({6}) Wir wollen faire statt prekäre Wissenschaft, damit mit Sicherheit gut geforscht werden kann . ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Gehring, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmann?

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein danke . Ein wirksames Wissenschaftszeitvertragsgesetz erfordert, dass wir heute die Änderungsanträge der Opposition annehmen . Ich sage Ihnen einmal, welches die großen Mankos sind . Erstens fehlen klare Mindestvertragslaufzeiten . ({0}) In der Zeit der Qualifizierung, also während und nach der Promotion, sollen Verträge mindestens zwei Jahre laufen . Verträge im Rahmen von Projekten, die durch Drittmittel finanziert werden, sollen sich am bewilligten Projektzeitraum orientieren . Von der SPD wissen wir, dass sie schon einmal für klare Mindestvertragslaufzeiten war . Wollen Sie von der Union wirklich noch länger blockieren? ({1}) Diese Änderung wäre zentral, wenn man eine echte Kehrtwende für Fairness und gute Arbeit an Universitäten und Fachhochschulen will . ({2}) Zweitens: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf . Seit jeher ist es möglich, dass sich der maximal zulässige Befristungsrahmen je Kind um zwei Jahre verlängert . Damit von dieser familienpolitischen Komponente mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler profitieren, wollen wir einen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung, wenn Eltern Kinder unter 18 Jahre betreuen . Diese höhere Verbindlichkeit hat auch der Bundesrat gefordert . Das dürfen Sie nicht ignorieren . Wissenschaftliche Karrieren mit Kind müssen endlich besser möglich sein . ({3}) Drittens: Aufhebung der Tarifsperre . Die Tarifsperre verhindert, dass die Tarifpartner vom WissZeitVG abweichende Regelungen vereinbaren können . Den fruchtbaren Wettbewerb der Tarifpartner um die besten wissenschaftsadäquaten und arbeitnehmerfreundlicheren Lösungen wollen wir nicht behindern . Von der SPD wissen wir, dass sie die Tarifsperre auch schon einmal streichen wollte . Wollen Sie von der Union wirklich noch länger blockieren? Geben Sie sich endlich einen Ruck in Richtung mehr Fairness und mehr Mitbestimmung an Unis und Fachhochschulen . ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, zwingend erforderlich ist eine systematische Evaluation Ihres Gesetzes, um zu prüfen, ob und welche Auswirkungen es in der realen Beschäftigungspraxis an Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen hervorbringt . Die Evaluation muss übrigens auch die Frage klären, was die Herausnahme des nichtwissenschaftlichen Personals aus dem Geltungsbereich des WissZeitVG bewirkt: Hat das positive, negative oder schlicht keine Effekte, wenn künftig stattdessen nach Teilzeitbefristungsgesetz befristet wird? Bis zum Evaluationsergebnis bleiben hier Zweifel . Wer für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr erreichen will, muss gleich dem grünen Gesetzentwurf zustimmen ({5}) oder zumindest unseren Änderungsanträgen zu Ihrer Novelle und dem grünen Entschließungsantrag . Es war ja auch auffällig, dass Ministerin Wanka dazu nichts gesagt hat . Also waren die Änderungsanträge offensichtlich gut . Machen Sie aus Ihrer halbherzigen Novelle zum WissZeitVG eine wirksame, damit wir das Befristungsunwesen zügeln, damit mehr Dauerstellen für Daueraufgaben entstehen und damit junge Talente mehr Sicherheit in der Wissenschaft bekommen . ({6})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zu einer Kurzintervention hat das Wort jetzt der Kollege Dr . Rossmann .

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Lieber Kollege Gehring, ich will jetzt nicht dem vorgreifen, was Frau Dinges-Dierig mit gutem Recht als Berichterstatterin noch sagen soll . Ihre Formulierung von den „begrüßenswerten kosmetischen Korrekturen“ gehört, finde ich, ins parlamentarische Kuriositätenstammbuch . Was ist eine „begrüßenswerte kosmetische Korrektur“? Ich möchte Sie im Gegenzug fragen: Ist es begrüßenswert oder kosmetisch, wenn die Anwendbarkeit der Regelung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zur Befristung wegen Drittmittelfinanzierung auf nichtwissenschaftliches Personal entfallen soll? Betroffen wären mehrere Hunderttausend Menschen . Ist es begrüßenswert oder kosmetisch, wenn sich eine Vertragslaufzeit nach der entsprechenden Projektlaufzeit richtet? Ist es begrüßenswert oder kosmetisch, wenn Qualifizierung unser Ziel ist? Herr Gehring, ich empfehle Ihnen die Formulierung: Man kann diesem Gesetzentwurf so gut zustimmen, weil er eine begrüßenswerte Reform ermöglicht, die gerade mehr ist als eine kosmetische Korrektur . Danke schön . ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Herr Kollege Gehring, möchten Sie darauf erwidern? - Bitte .

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zum Thema Kosmetik werde ich jetzt sicherlich keine Ausführungen machen . Ich glaube, dass Sie den zentralen Punkt überhört oder übersehen haben . Wenn wir jetzt bei den Befristungen an den Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen tatsächlich einen großen Schritt vorankommen und die Kurzzeitbefristungen, die unterjährlichen Befristungen, wirklich wirksam zurückdrängen wollen, dann springt diese Novelle an einem ganz entscheidenden Punkt viel zu kurz: Sie trauen sich nicht, bei den Qualifizierungsbefristungen eine Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren in das Gesetz zu schreiben . Die Gewerkschaften wollten sogar drei Jahre; auch viele andere haben das favorisiert . Was Sie planen, das ist wirklich viel zu kurz gesprungen . Es war übrigens auch von der Ministerin als ein Kernproblem identifiziert, dass wir zu viele Kurzzeitbefristungen von unter einem Jahr haben . Deswegen wären Mindestvertragslaufzeiten von mindestens zwei Jahren etwas gewesen, was diesem Gesetz gut zu Gesicht gestanden hätte, was die Koalition, vielleicht auch mit grüner Zustimmung, hier durch den Bundestag hätte bringen können . Aber dass Sie an dem entscheidenden Punkt so kurz springen, das ist wirklich schlecht und das wird vielen, die in Qualifizierungsbefristungen sind, keinerlei Verbesserungen bringen, vielmehr führt es zur Beibehaltung des derzeitigen Zustandes . Das ist schade . Ich weiß, dass die Union das sicherlich stärker verantworten muss als Sie und dass Sie sich mehr gewünscht hätten . Aber es wurde am Ende nicht durchgesetzt, und jetzt schauen wir in zwei, drei Jahren, wie sich das Gesetz wirklich auswirkt . ({0}) Ich fürchte, dass Frau Wanka auch in fünf Jahren solche Interviews geben muss wie vor einem Jahr - aber dann natürlich aus der Opposition heraus . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . ({0})

Alexandra Dinges-Dierig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004260, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Gehring, wir sind mit Sicherheit nicht zu kurz gesprungen, sondern wir sind knapp unter dem Weltrekord gelandet . ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen heute Abend um 20 .15 Uhr nach Monaten - man kann schon sagen Jahren - der Diskussionen hier . Wir haben uns ausgetauscht . Meine Kollegin Simone Raatz hat schon gesagt: Wir haben verschiedene Anhörungen gehabt, wir haben viele Experten aus verschiedensten Bereichen der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu Rate gezogen, um ein Ergebnis zu bekommen, das uns ein richtig großes Stück weiterbringt . Ich bin der Meinung - das ist auch die Meinung meiner Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion -, dass wir hier eine sehr gute Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben . ({1}) Ich gebe offen und ehrlich zu: Eine einfache Lösung gibt es nicht, sonst hätten wir auch nicht so lange gebraucht . Die gibt es schon gar nicht, wenn wir über das Befristungsrecht in der Wissenschaft reden . Jetzt werden einige fragen: Warum ist das eigentlich so schwierig? Dazu ganz kurz: Es ist relativ einfach, sich das vorzustellen . Wir haben ein Spannungsfeld zwischen dem Wunsch der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf eine zuverlässige Perspektive einerseits und der Notwendigkeit der Flexibilität im Bereich der Wissenschaft andererseits . Warum ist die Flexibilität so wichtig? Ohne diese wären wir bei den Innovationen und bei der Spitzenforschung nicht vorne, sondern hinten . Deshalb müssen wir darauf achten, dass wir bei jeder Regelung, die wir neu einführen oder überarbeiten, diese Flexibilität beibehalten . Aber ich gebe auch zu: In den letzten Jahren - die Evaluation stammt aus dem Jahr 2011; die Daten sind also ein bisschen älter - ist die Verlässlichkeit für den Werdegang der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwas kurz gekommen . Deshalb haben wir genau diesen Weg gefunden, lieber Herr Gehring, nämlich dass sich die Vertragslaufzeiten an der benötigten Zeit für die Qualifizierung orientieren müssen. Eine Mindestlaufzeit, lieber Herr Gehring und liebe Frau Gohlke, nützt überhaupt nichts . ({2}) So gibt es auch Promovierende, die ihre Dissertation in einem Jahr schreiben . Was mache ich dann mit einer Mindestlaufzeit von 24 Monaten? Das ist völliger Unsinn . Die Vertragslaufzeiten müssen sich sachgerecht an der Zeit, die jemand für die Qualifizierung braucht, orientieren . Das kann auch bei einer Verlängerung einer Doktorarbeit um beispielsweise sechs Monate geschehen . Die Vertragslaufzeit kann sich auch an der Laufzeit eines Drittmittelprojektes orientieren . Ich glaube, das kann man gar nicht oft genug sagen . Das bedeutet Zuverlässigkeit für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler . ({3}) Gleichzeitig brauchen wir, wie ich schon sagte, die Flexibilität . Wir als Gesetzgeber können nun wirklich nicht wissen, welches die Bedingungen des einzelnen Arbeitsvertrags vor Ort sind . Wie soll das funktionieren? Deshalb brauchen die Vertragspartner Spielraum . Aber ich sage an dieser Stelle auch ganz deutlich: Dieser Spielraum ist nicht beliebig, sondern er muss sich an der Qualifikation orientieren. Man kann das gar nicht oft genug sagen . Das bedeutet aber auch, dass sich die Vertragspartner zusammensetzen und sich darüber einigen müssen, worüber sie eigentlich reden . Das fand bisher nicht statt . Jetzt wird endlich festgehalten, um welche Qualifizierung es sich handelt und wie viel Zeit jemand braucht . Dafür gibt es dann einen Vertrag, und das garantiert die Zuverlässigkeit und Planbarkeit des Weges . ({4}) Lassen Sie mich noch zu einem Punkt kommen, der heute ganz kurz schon einmal angesprochen worden ist . Es geht um die studentischen Hilfskräfte . Auch da gab es viele Diskussionen . Wichtig ist für uns, dass endlich Klarheit besteht, wann ihre Hilfstätigkeiten auf den Höchstbefristungsrahmen angerechnet werden und wann nicht . Deshalb gibt es jetzt in der Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz einen eigenen Befristungstatbestand . In dem entsprechenden Passus wird ganz klar, dass Hilfstätigkeiten nicht auf den Höchstbefristungsrahmen angerechnet werden . Damit dieser Rahmen nicht ausgenutzt wird, müssen wir ihn irgendwie definieren, auch weil das EU-Recht dies vorschreibt . Ursprünglich waren im Gesetzentwurf vier Jahre vorgesehen . Dieser Zeitraum war uns eindeutig zu kurz . Frau Ministerin Wanka hat es schon gesagt: Denken wir nur daran, dass der ganz normale Weg zum Master in der Regelstudienzeit fünf Jahre dauert . - Zudem gibt es verschiedene Arbeitsmöglichkeiten, etwa Teilzeitarbeit und Ähnliches . Wir sind also fest davon überzeugt, dass wir mit der Entscheidung für die sechs Jahre den richtigen Zeitraum getroffen haben . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind davon überzeugt, dass diese Novelle tatsächlich einen Ausgleich zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit gebracht hat . Gleichzeitig sage ich ganz klar: Das Gelingen der Umsetzung liegt jetzt in der gemeinsamen Verantwortung der Wissenschaft und der Länder . Wir werden also sehr achtsam sein . In vier Jahren wird das Gesetz evaluiert . Ich bin fest davon überzeugt: Die Arbeitsbedingungen werden sich verbessern, und der Wissenschaftsstandort Deutschland wird gestärkt werden . Vielen Dank . ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes . Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7038, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6489 in der Ausschussfassung anzunehmen . Die Abstimmung wird in drei Schritten durchgeführt . Wir stimmen zunächst über die insgesamt zehn Änderungsanträge ab . Dann stimmen wir über den Gesetzentwurf ab . In einem dritten Schritt stimmen wir über die Entschließungsanträge ab . Wir beginnen mit den Änderungsanträgen der Fraktion Die Linke . Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/7068? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/7069? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/7070 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/ CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/7071 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/7072 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen jetzt zu fünf Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, zunächst zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/7073 . Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/7074 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/7075 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/7076 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 18/7077 . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/ CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen . Wir kommen jetzt zum dritten Schritt in unserer Abstimmungsserie, nämlich zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7078 . Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft . Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7038, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1463 abzulehnen . Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung . Wir setzen jetzt die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 18/7038 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4804 mit dem Titel „Gute Arbeit in der Wissenschaft - Stabile Ausfinanzierung statt Unsicherheiten auf Kosten der Beschäftigten und Wissenschaftszeitvertragsgesetz grunderneuern“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke . Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt mit einer Reihe von Beschlüssen und Empfehlungen abgeschlossen . Deshalb rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Private Sicherheitsfirmen umfassend regulieren und zertifizieren Drucksachen 18/3555, 18/5275 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt 25 Minuten vorgesehen . - Widerspruch erhebt sich keiner . Dann ist die vereinbarte Redezeit so beschlossen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Marcus Held für die SPD das Wort . ({1})

Marcus Held (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004297, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Bereits im Februar dieses Jahres haben wir uns mit der Frage befasst, wie rechtliche Veränderungen in Bezug auf private Sicherheitsfirmen aussehen könnten. Hintergrund war und ist die Tatsache, dass private Sicherheitsfirmen heute einen wichtigen Bestandteil in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands darstellen und sie an vielen Stellen nicht mehr wegzudenken sind . Daher stellt sich die Frage, ob die derzeitigen Anforderungen, insbesondere an die Zuverlässigkeit und die Qualifikation des Bewachungsunternehmers und des Personals, der gestiegenen Bedeutung in diesem Gewerbe noch entsprechen . Wir freuen uns, dass der Bund-Länder-Ausschuss „Gewerberecht“ eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat und diese nun ein Eckpunktepapier vorgelegt hat . Stein des Anstoßes - das ist uns allen bekannt - ist die Situation in Flüchtlingsunterkünften, in denen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Schicksalen zusammenleben . Hier gab es, wie bekannt, leider Vizepräsident Johannes Singhammer einige Unregelmäßigkeiten und Zwischenfälle, die uns zu Veränderungen animieren sollten . Aktuell werden für die Erteilung einer Bewachererlaubnis benötigt: Zuverlässigkeit, geregelte Vermögensverhältnisse der Person, Nachweis erforderlicher Sachkunde, Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung . Der Ausschuss spricht sich klar dafür aus, kein sektorspezifisches Gesetz zu machen, sondern die Gewerbeordnung für private Sicherheitsunternehmen mit Jedermann-Befugnissen zu belassen und dies klar vom staatlichen Gewaltmonopol zu trennen . Der Ausschuss macht aber auch darauf aufmerksam, dass jede Anhebung der Anforderungen an das Bewachungspersonal voraussichtlich den Anteil derjenigen Bewerber erhöhen wird, die die Sachkundeprüfung nicht bestehen . Deshalb sollen nach Auffassung des Ausschusses weitere Verschärfungen nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden . Dies halte ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, für sehr kritisch . Wir können nicht ernsthaft nur deshalb die Hürde für Zulassungen nicht höher legen, weil zu befürchten ist, dass dann weniger Bewerberinnen und Bewerber die Prüfung schaffen . Ich glaube, wir brauchen auch in Zukunft klare Vorgaben, objektive Kriterien, die sich tatsächlich am Bedarf orientieren und berücksichtigen, dass Beschäftigte im Bewachungsgewerbe mit Menschen zu tun haben und entsprechende Fertigkeiten mitbringen müssen . Wo die Vorschläge des Ausschusses Sinn machen: Künftig soll die Erteilung einer Bewachererlaubnis durch einheitliche Behörden erfolgen, damit das Ausweichen von einer Erlaubnisbehörde auf eine andere nicht mehr funktioniert, wie das bisher der Fall ist . Es muss gesetzlich festgelegt werden, dass die Gewerbeämter durch Staatsanwaltschaften und Gerichte informiert werden, wenn Ermittlungen gegen Bewacher laufen oder Verurteilungen vollzogen werden . Dazu gehört bei Bedarf auch die Abfrage bei der Polizeibehörde und gegebenenfalls dem Verfassungsschutz, gerade wenn Bewacher zum Beispiel in Flüchtlingsheimen eingesetzt werden . Der Ausschuss schlägt des Weiteren vor, die Sachkundeprüfung und das Unterrichtungsverfahren weiterhin parallel anzuwenden, je nachdem, für welche Aufgaben der Mitarbeiter eingesetzt werden soll . Ich glaube, hier müssen wir in der weiteren Diskussion ganz genau hinschauen; denn es kann meiner Meinung nach nicht sein, dass ohne jegliche Ablegung einer Prüfung, egal ob schriftlich oder mündlich, der Einsatz von Sicherheitspersonal möglich bleibt . Insgesamt halte ich das vorgelegte Eckpunktepapier für eine gute Diskussionsgrundlage . Aufgrund der Vorkommnisse müssen wir aber zwingend dafür sorgen, dass mehr Qualität im Bewachungsgewerbe Einzug erhält . ({0}) Dies stärkt alle seriösen Sicherheitsunternehmen mit gut ausgebildetem und anständig bezahltem Personal gegenüber der Dumpingkonkurrenz, die nur durch den günstigeren Preis an ihre Aufträge kommt . Vielen Dank . ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke . ({0})

Thomas Lutze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004103, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Linksfraktion engagieren wir uns für gute und faire Arbeitsbedingungen für lohnabhängig Beschäftigte . Wirft man einen Blick auf den Sektor der privaten Sicherheitsunternehmen, dann ist klar, dass vor allen Dingen die Lohnkosten einen wesentlichen Anteil an den Kosten für das Sicherheitsunternehmen haben . Doch wie erkennt ein privater oder öffentlicher Auftraggeber eines solchen Sicherheitsunternehmens, ob ein Sicherheitsunternehmen zumindest die Grundstandards wie Tarifregelungen, Regelungen zu Arbeitszeiten oder zum Beispiel auch den Mindestlohn tatsächlich einhält? Einige Sicherheitsunternehmen - mein Vorredner hat es gerade gesagt - machten in der letzten Zeit Schlagzeilen, weil dort Leute beschäftigt waren, die mit dem Thema Sicherheit mit Sicherheit wenig am Hut haben . Und auch hier stellt sich die Frage: Wie erkennt ein privater oder vor allen Dingen auch ein öffentlicher Auftraggeber, ob ein solches Sicherheitsunternehmen mit seriösem und qualifiziertem Personal arbeitet? Interessant an dieser Debatte ist, dass gerade der Arbeitgeberverband dieser Branche, der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft, für diese Fragen sehr sensibel ist . Er will unter anderem verhindern, dass schwarze Schafe mit Dumpingpreisen und dubiosem Personal seinen Markt ruinieren . Sicherlich ist in den letzten Jahren auch einiges geschehen; aber das, was geschehen ist, reicht bei weitem noch nicht aus, liebe Kolleginnen und Kollegen, um für Klarheit in diesem Sektor zu sorgen . ({0}) Wir brauchen eine stärkere Regulierung dieses Marktes, auch wenn dies nicht unbedingt Trend der aktuellen Regierungspolitik ist . Aber Sie selbst sagen in Ihrer soeben angesprochenen Arbeitsgruppe, dass genau solche Maßnahmen ergriffen werden müssen . Nun müssen Sie aber auch endlich die Arbeit in dieser Arbeitsgruppe abschließen und dem Parlament etwas Konkretes vorlegen . ({1}) Ich glaube, von den beiden Oppositionsfraktionen werden Sie da Unterstützung bekommen; denn bei vielen Fragen besteht Konsens . Wenig Verständnis habe ich dafür, dass es offensichtlich Abstimmungsprobleme mit den Bundesländern gibt . Keine Frage: Der Föderalismus ist zu Recht und aus gutem Grund im Grundgesetz verankert . Dass man sich lang und breit über den Länderfinanzausgleich streitet, liegt sicher in der Natur der Sache . Auch Fragen wie die Krankenhausfinanzierung oder die Höhe der Regionalisierungsmittel für die Bahn sind alles andere als konfliktfrei, weil es um viel Geld geht. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es muss doch möglich sein, dass eine überschaubare Anzahl an offenen Detailfragen, wie zum Beispiel die verbesserte Zertifizierung von Sicherheitsunternehmen oder die gerade eben auch angesprochene Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, innerhalb von wenigen Monaten abgesprochen wird und endlich ein Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen hier ins Parlament kommt . Die Beschäftigten und die Unternehmen im Sicherheitsgewerbe haben ein Recht darauf, dass alle Beteiligten in die Gänge kommen . Anfang 2016 sollte dem Bundestag und auch dem Bundesrat ein einvernehmlicher Gesetzentwurf vorliegen, und deshalb ist der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen notwendig . Die Linke wird diesen Antrag unterstützen, weil er gute und richtige Vorschläge macht . Um aber nicht falsch verstanden zu werden: Die Linksfraktion war dagegen, dass private Sicherheitsunternehmen deutsche Hochsee- bzw . Handelsschiffe mit quasi paramilitärischen Truppen beschützen . Das ist nun aber geltendes Recht, auch wenn wir damals dagegen waren . Damit ist aber die Forderung der Grünen richtig, dass genau dieser Bereich wesentlich strenger reglementiert werden muss . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass kurz vor Weihnachten und zu so später Stunde Appelle an die Regierungsfraktionen nicht greifen werden . Schade eigentlich! Ein herzliches Glückauf und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . ({2})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Barbara Lanzinger . ({0})

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch die Vertreter des BDSW hören uns heute zu . Herzlich willkommen bei uns! - Die Branche der privaten Sicherheitswirtschaft steht heute im Fokus der Medien und des öffentlichen Interesses wie nie zuvor . Das hat mehrere Gründe: Die private Sicherheitswirtschaft übernimmt immer mehr öffentliche Aufgaben und trägt zum Beispiel auf Großveranstaltungen, an Flughäfen und vor allem in Flüchtlingsunterkünften große Verantwortung . Die Komplexität und die Bedeutung der übernommenen Aufgaben sind kontinuierlich gestiegen . Die Branche ist zu einem maßgeblichen Pfeiler unserer Sicherheitsarchitektur geworden . 300 000 Menschen sind hier beschäftigt . Sicherheit und Stabilität sind angesichts des großen Flüchtlingszustroms und der terroristischen Anschläge in Frankreich Themen von höchster Dringlichkeit für Deutschland und die Europäische Union . Wir stehen hier vor großen Herausforderungen, bei denen es maßgeblich auf ein gutes, funktionierendes Miteinander von Polizei und Verfassungsschutz auf der einen und privater Sicherheitswirtschaft auf der anderen Seite ankommt . Wir sollten daher den rechtlichen Rahmen für dieses Miteinander überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten . Die private Sicherheitswirtschaft leistet überwiegend gute Arbeit . Aber es gibt auch schwarze Schafe unter den Unternehmen sowie den Angestellten . So haben uns alle die Vorfälle im letzten Jahr im nordrhein-westfälischen Burbach schockiert . Ein anderer Fall hat sich im November am LaGeSo in Berlin ereignet . Dort kam es auch zu heftigen Prügeleien und gegenseitigen Anzeigen . Insofern sollten wir die Qualität in der privaten Sicherheitswirtschaft verstärkt in den Blick nehmen . Wir dürfen es außerdem nicht akzeptieren, dass Rechtsextreme Anstellungen in dieser Branche finden oder auch gewaltbereite Rockergangs ihre eigenen Gewerbe gründen und Sicherheitsaufgaben wahrnehmen wollen . Wir sind uns vor diesem Hintergrund unter den Wirtschafts- sowie den Innenpolitikern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einig, dass die aktuelle gesetzliche Regulierung, die in der Gewerbeordnung festgeschrieben ist, insbesondere für sensible Bereiche unzureichend ist . Unsere Standards sind mit am niedrigsten in Europa . Für das Bewachungspersonal reicht zumeist eine 40-stündige Unterrichtung ohne Prüfung, um eingesetzt werden zu dürfen . Dieser Zugang ist deutlich zu niederschwellig . Es unterliegt auch keinen besonders strengen Auflagen, selbst als Unternehmer ein neues Gewerbe anzumelden . Insgesamt brauchen wir hier ein höheres Niveau . Deswegen sehen wir nach der umfassenden Regelung der Bewachung von Seeschiffen in internationalen Gewässern in der letzten Legislaturperiode auch einen eindeutigen zusätzlichen Regulierungsbedarf für die private Sicherheitswirtschaft, die im Inland tätig ist . Das haben wir uns auch in unserem Koalitionsvertrag vorgenommen . Sowohl das Bundeswirtschaftsministerium als auch das Bundesinnenministerium sehen ebenfalls diesen Handlungsbedarf und haben sich deshalb intensiv mit diesem Thema befasst . Die Innenministerkonferenz hat im Dezember 2013 Vorschläge zur Überarbeitung des Bewachungsrechts beschlossen . Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat sich daraufhin mit der Bitte um Unterstützung an Minister Gabriel gewandt, der zuständig ist, weil es eine gewerberechtliche Frage ist . Das ist auch der Grund, weswegen wir heute hier die Federführung haben . Im November 2014 wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich unter Vorsitz des Bundeswirtschaftsministeriums der Überarbeitung des Bewachungsrechts angenommen hat . Mitglieder der Arbeitsgruppe waren Vertreter der Wirtschaftsministerien bzw . des Wirtschaftssenats von Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinThomas Lutze land-Pfalz und Sachsen, des Bundesministeriums des Innern, des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport sowie die Städte Cottbus, Dortmund und München . Die Länder und Kommunen wurden einbezogen, weil die Länder für den Vollzug der Regularien zuständig sind . Die Zulassungen der einzelnen Gewerbe laufen über die Kommunen, und die Sachkundenachweise werden von den jeweiligen IHKs abgenommen . Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe - es ist vorhin vom Kollegen schon aus ihren Ergebnissen zitiert worden hat viermal getagt und das geltende Bewachungsrecht geprüft; das ist § 34 a der Gewerbeordnung . Die Ergebnisse wurden vor kurzem, Ende November, vom Bund-Länder-Ausschuss „Gewerberecht“ verabschiedet und liegen jetzt als Eckpunktepapier vor . Die wichtigsten Punkte des Papiers sind: Erstens . Der einheitliche und konsequente Vollzug des Bewachungsrechts in den Ländern soll verbessert werden, damit zum Beispiel Gewerbetreibende, denen die Erteilung einer Bewachererlaubnis von einer größeren Kommune versagt wurde, nicht auf kleinere Kommunen ausweichen können . Zweitens . Die konsequente Unterrichtung der Gewerbeämter in Strafsachen durch Staatsanwaltschaften und Gerichte soll verbessert werden . In der Praxis unterbleiben diese Mittelungen derzeit häufig mit der Folge, dass die Gewerbebehörden wegen fehlender Informationen gegen unzuverlässige Bewacher nicht tätig werden . Drittens . Der Bund-Länder-Ausschuss hat vorgeschlagen, die Zuverlässigkeit des Bewachungspersonals künftig alle drei Jahre zu überprüfen und nicht nur einmal zu Beginn der Tätigkeit . Viertens . In die Gewerbeordnung sollen gesetzliche Regelbeispiele für die Unzuverlässigkeit aufgenommen werden, um die Arbeit der Vollzugsbehörden bei der Ablehnung von Erlaubnisanträgen zu verbessern . Fünftens . Ein einheitlicher, fälschungssicherer Bewacherausweis soll eingeführt werden . Vor dem Hintergrund zahlreicher noch offener Fragen ist hier noch eine nähere Prüfung erforderlich . Sechstens . Mittelfristig soll ein Bewacherregister aufgebaut werden, das Kontrollen erleichtern und beschleunigen soll . Siebtens . Die Sachkundeprüfung und das Unterrichtungsverfahren sollen moderat verschärft werden . Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den Vorschlag grundsätzlich; ({0}) denn die Anhebung der Mindeststandards kann dazu beitragen, weitere Fälle wie in Burbach zu vermeiden und die Qualitätssicherung in der privaten Sicherheitswirtschaft voranzubringen . Ich sage auch ganz deutlich: Wir können uns durchaus weitere Punkte vorstellen, die entscheidend für die Qualität unserer Sicherheitsstruktur sind und über das vorliegende Eckpunktepapier hinausgehen . Dazu werden wir eigene Vorschläge für die Novelle des Gewerberechts entwickeln . Wir wollen substanziell wirklich etwas verändern . Das unterstützt im Übrigen auch der Branchenverband, der selbst eine strengere gesetzliche Regulierung einfordert, um Missstände zu beheben . Es kann nicht sein, dass unsere Gewerbeordnung derzeit strengere Regelungen für die Bewachung von Diskotheken vorschreibt als für diejenigen, die in Flüchtlingsunterkünften arbeiten . ({1}) Gerade in diesem Bereich, der in den letzten Monaten so stark und schnell gewachsen ist, brauchen wir ordentlich ausgebildetes Personal, welches auch regelmäßig ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss und auch vom Verfassungsschutz überprüft werden muss . Ich habe mich heute noch einmal erkundigt, wie das bei uns in Bayern ist . Das bayerische Sozialministerium fordert regelmäßig die Überprüfung durch den Verfassungsschutz an . Wir müssen schnell handeln und klar definieren, welche unterschiedlichen Aufgaben die Branche wahrnehmen soll, welche Anforderungen oder sogar Ausbildungen dafür jeweils erforderlich sind und wie wir das auch kontrollieren können . Unseriöse Bewacher können wir uns nicht leisten, und wir sind fest entschlossen, diese vom Markt zu verdrängen . Den vorliegenden Antrag der Grünen lehnen wir heute ab, weil im BMWi, im BMI und in den Koalitionsfraktionen die Arbeit an einer Novelle der Gewerbeordnung schon sehr konstruktiv läuft . Wir sind uns aber grundsätzlich darin einig, dass wir es mit einer unterregulierten Branche zu tun haben und dass wir aus Gründen der nationalen Sicherheit dringend nachbessern müssen . Danke schön . ({2})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Irene Mihalic .

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Guten Abend, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich vorhin schon gefragt, was hier eigentlich zur Abstimmung steht: unser Antrag oder das Eckpunktepapier des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht“? Denn eigentlich haben alle, bis auf Herrn Lutze, nur zu diesem Eckpunktepapier geredet . ({0}) Ich habe mir daher schon ernsthaft die Frage gestellt, worüber wir heute eigentlich debattieren . Es sollte ja das Ziel von Initiativen sein, dass bei denjenigen, die davon betroffen sind, ein Höchstmaß an Akzeptanz erreicht wird . Das trifft auf das heute vielbesprochene Eckpunktepapier nicht zu, aber auf unseren Antrag sehr wohl . Die Betroffenen akzeptieren unsere Vorschläge nicht nur, sie fordern sie auch vehement ein . ({1}) Die Sicherheitswirtschaft selbst, um die es hier geht, drängt auf eine strengere Regulierung . Auch die Innenministerkonferenz - Frau Lanzinger, Sie haben es angesprochen - hat das angeregt . Dazu gibt es auch allen Grund . Sie haben auch auf die Ereignisse zum Beispiel in Flüchtlingsunterkünften hingewiesen, Herr Held, Frau Lanzinger . Sie haben das LaGeSo erwähnt und auch die Vorfälle schwerer Misshandlungen in der Notunterkunft in Burbach . Bei solchen Fällen handelt es sich aber mitnichten um Einzelfälle, liebe Kolleginnen und Kollegen; vielmehr sind es die deutlichen Anzeichen einer Fehlentwicklung, die dazu geführt hat, dass im Sicherheitsgewerbe eben keine Qualitäts-, sondern nur noch Preisansprüche gelten . Ursächlich für diese Fehlentwicklung ist auch das Fehlen einer gesetzlichen Regulierung . Es ist doch nicht nachvollziehbar, dass für die Übernahme von solchen sensiblen und sicherheitsrelevanten Aufgaben nicht der Nachweis der erfolgreich abgelegten Sachkundeprüfung vorgesehen ist . Es ist auch nicht vorgesehen, dass das dort eingesetzte Bewachungspersonal regelmäßig überprüft wird . Dabei liegt es doch auf der Hand, dass man mindestens alle zwei Jahre ein erweitertes Führungszeugnis abfragen und nur festangestelltes Personal einsetzen sollte, das entsprechend geschult und regelmäßig weitergebildet wurde . Sonst kommt es eben dazu - das konnten wir in den letzten zwei Jahren ständig beobachten -, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste eingesetzt werden, die ihrer Aufgabe, in kritischen Situationen schützend einzugreifen, einfach nicht gerecht werden, entweder weil sie aus bestimmten Gründen für diese Arbeit gänzlich ungeeignet sind oder weil sie nicht genügend darauf vorbereitet wurden . Dieser Zustand ist nicht länger hinnehmbar . ({2}) Daher sind wir hier gefordert, endlich geeignete Regelungen zu finden, damit Qualität und Zuverlässigkeit im privaten Sicherheitsgewerbe gewährleistet sind . Dabei geht es nicht nur um den Schutz von Menschen in Flüchtlingsunterkünften, sondern um die gesamte Bandbreite in dieser Branche . Die Sicherheitswirtschaft hat schon längst verstanden, dass seriöse Unternehmen profitieren werden, wenn die rechtlichen Anforderungen mit den tatsächlichen Anforderungen endlich in Einklang gebracht werden . Das sind wir den Menschen schuldig, um deren Sicherheit es letztlich geht . ({3}) Dabei geht es auch um die Vergabe von sicherheitsrelevanten Aufgaben durch die öffentliche Hand . Qualität und Zuverlässigkeit müssen Einzug halten . Es ist völlig inakzeptabel, dass der Staat, der als Auftraggeber sensible Aufgaben an private Dienstleister vergibt, fragwürdige Unternehmer ohne Fachkunde einsetzt . Mitarbeiter mit einer eindeutigen, strafrechtlichen Vorgeschichte haben da einfach nichts zu suchen . ({4}) Das Eckpunktepapier des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht“ geht in manchen Bereichen in die richtige Richtung - das will ich hier durchaus anerkennend feststellen -, ein zufriedenstellendes Konzept ist das aber noch lange nicht; denn der Bedarf geht weit über die Eckpunkte hinaus . Mit unserem Antrag unterbreiten wir klare Vorschläge, wie eine Regulierung der privaten Sicherheitswirtschaft aussehen kann . Leider muss ich annehmen, dass die Bundesregierung sich mit unseren Vorschlägen nicht wirklich beschäftigt hat; denn wie Frau Staatssekretärin Zypries am Montag auf dem Podium beim BDSW zugegeben hat, kennt sie wesentliche Inhalte unseres Antrags nicht, und das, obwohl der Wirtschaftsausschuss federführend war . Ich persönlich finde das enttäuschend. Aber ich gehe davon aus, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich mit unserem Antrag auseinandergesetzt haben . Daher bitte ich Sie im Interesse der Menschen, die auf den Schutz privater Sicherheitsdienste angewiesen sind, um Zustimmung . Ganz herzlichen Dank . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Johann Saathoff, SPD-Fraktion . ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung des Sicherheitsgewerbes hat in den letzten Jahren leider enorm zugenommen . Fast nicht mehr wegzudenken, sind Sicherheitsunternehmen bei großen Fußballspielen, bei Großveranstaltungen jeglicher Art, bis hin zu Weihnachtsmärkten, aber vor allem natürlich bei der Absicherung der Flüchtlingsunterkünfte . Ich habe mir letzte Woche eine Flüchtlingsunterkunft in Ostfriesland, in Emden-Barenburg, angeschaut . Das Management der Unterkunft wurde von der Stadt Emden an die AWO als Dienstleister übergeben . Die AWO leistet dort Großartiges mit einer einmaligen Kombination aus Hauptamt und Ehrenamt . Ich fand enormes Engagement der Ehrenamtlichen vor, das uns alle miteinander froh machen kann . Allerdings muss ihr Einsatz für uns auch eine Mahnung sein, eine Mahnung, dass das auf Dauer ohne zusätzliche Unterstützung für die Kommunen und die Hilfsorganisationen nicht zu leisten ist . Schwarze Null hin oder her - da kann man sich einen Wolf reden . ({0}) Dort gab es natürlich auch einen Sicherheitsdienst . Mehrere Personen sorgen im Schichtdienst rund um die Uhr für Sicherheit . Die Ruhe, die Empathie und die Professionalität der Mitarbeiter haben mich besonders beeindruckt . Es ist also nicht alles schlecht im Sicherheitsdienst . Trotzdem und gerade wegen der derzeit außergewöhnlichen Situation müssen die Anforderungen an gewerbliche Bewachungsunternehmen weiterentwickelt werden . Allerdings „mutten wi ok Middelschött in’t Nöös hollen“, also die Weiterentwicklung im Lichte der aktuellen Situation verhältnismäßig vorantreiben . Der vorliegende Antrag schießt meines Erachtens ein wenig über das Ziel hinaus . In die Richtung der Antragsteller gehen allerdings auch die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Leitung des BMWi . Wesentliche Vorschläge daraus sind die Überprüfung der Zuverlässigkeit des Bewachungspersonals alle drei Jahre sowie ein länderübergreifender Informationsaustausch im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung . Darüber hinaus schlägt die Arbeitsgruppe vor, die Kontrollmöglichkeiten des Bewachungspersonals zu verbessern, Stichwort: behördlicher Ausweis . Außerdem soll es künftig eine Sachkundeprüfung der Unternehmer und des Bewachungspersonals geben statt nur eine Teilnahmebescheinigung . Die Sachkundeprüfung und die Unterrichtung soll um praxisbezogene Elemente ergänzt werden. Ein sektorspezifisches Gesetz allerdings für das Bewachungsgewerbe lehnen wir ab . Ich sagte: Verhältnismäßigkeit der Weiterentwicklung . Damit meinte ich, einen angemessenen Mittelweg zu finden zwischen der Notwendigkeit der Kommunen, schnell neues Bewachungspersonal für die Flüchtlingsunterkünfte zu akquirieren, und der Notwendigkeit, die Anforderungen an das Bewachungspersonal zu erhöhen . Diesen Mittelweg wollen wir im kommenden Jahr finden und die notwendigen Änderungen herbeiführen . Wir sind uns, im nautischen Jargon gesprochen, also einig über das Ziel . Nur beim Kurs haben wir Differenzen . Apropos Seefahrt: In der Seefahrt haben wir mit gutem Grund die deutschen Standards verbessert . Das war gut für die Sicherheit auf deutschen Schiffen, aber schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Sicherheitsunternehmen im internationalen Wettbewerb . Damit haben wir uns im maritimen Antrag im Herbst beschäftigt . Wir werden auch hier den erforderlichen Mittelweg finden. Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit und wünsche uns allen frohe und vor allen Dingen friedvolle Weihnachten . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Private Sicherheitsfirmen umfassend regulieren und zertifizieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5275, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/3555 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung ({0}) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems ({1}) für bundesrechtlich geregelte Heilberufe und andere Berufe Drucksachen 18/6616, 18/6987 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({2}) Drucksache 18/7081 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1) Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/7081, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/6616 und 18/6987 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen . Dritte Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Kirsten Tackmann, Karin Binder, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Herdenschutz ist Wolfsschutz - Jetzt ein bun- desweites Kompetenzzentrum aufbauen Drucksachen 18/6327, 8/6940 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . - Ich höre kei- nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . 1) Anlage 7 Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin Rita Stockhofe, CDU/CSU-Fraktion . ({4})

Rita Stockhofe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir debattieren heute über den Antrag der Fraktion Die Linke „Herdenschutz ist Wolfsschutz - Jetzt ein bundesweites Kompetenzzentrum aufbauen“ . Bevor sich der Wolf im Jahr 2000 wieder hier in Deutschland angesiedelt hat, haben wir ihn ungefähr 150 Jahre vermisst . Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn sich Tierarten hier ansiedeln . Auch für den Wolf gilt dieser Grundgedanke . ({0}) Jetzt müssen wir die Voraussetzungen schaffen, damit wir ein vernünftiges Miteinander aufbauen können . Wir haben schon viel gemacht: Es fanden zwei Fachgespräche, im Umweltausschuss und im Landwirtschaftsausschuss, statt . Eine Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf wird zurzeit eingerichtet . Ein Runder Tisch „Wolf“ findet regelmäßig statt. Auch der Habitat-Ausschuss auf europäischer Ebene tagt regelmäßig . Neben dem grundsätzlichen Willkommen dem Wolf gegenüber stehen uns auch große Aufgaben bevor . Dem Wolf geht es gut hier in Deutschland . Er hat ausreichend Nahrung, und er verbreitet sich schneller als erwartet . Was für den Artenschutz ein großer Erfolg ist, bedeutet für viele Nutztierhalter ernstzunehmende Probleme . Wir dürfen aber nicht dahin kommen, dass eine Tierart gegen eine andere Tierart ausgespielt wird . Wir müssen den Wolf nicht fürchten wie bei Rotkäppchen oder bei Der Wolf und die sieben Geißlein, dürfen ihn aber auch nicht romantisieren . Wir müssen sachlich mit den Aufgaben umgehen. Da wir nicht alle Geißlein oder Schäflein in einen Uhrenkasten sperren können, brauchen wir bedarfsgerechte Präventionsmaßnahmen, um die Herden vor den Wölfen zu schützen . Dazu gehören Herdenschutzhunde und geeignete Zäune . Aber auch ungewöhnliche Schutzmaßnahmen wie zum Beispiel den Einsatz von Eseln müssen wir prüfen . ({1}) Bedenken muss man allerdings, dass diese Schutzmaßnahmen nicht überall möglich sind, zum Beispiel nicht auf Dämmen, in der Alpenregion oder in Naturschutzgebieten, wo starker Tourismus vorherrscht . Auf die Tierhalter kommen oft schon präventiv hohe Kosten zu . Diese müssen erstattet werden, und zwar unabhängig davon, ob sie die Tierhaltung berufsmäßig oder hobbymäßig ausüben . Das BMUB hat in seinem Bericht zwischen Habitaten, in denen Wölfe schon vorkommen, und Habitaten, in denen sie nicht zu erwarten sind, unterschieden . An diese Prognose haben sich die Wölfe leider nicht gehalten . ({2}) Das zeigt uns, dass der Wolf sehr lernfähig und nicht immer kalkulierbar ist . Er ist sehr anpassungsfähig und versorgt sich mit Nahrung, die er möglichst leicht beschaffen kann . Nachgewiesen ist mittlerweile auch, dass der Wolf nicht dazu beiträgt, die Höhe der Schwarzwildpopulation zu regeln . Er hat genügend Alternativen, sich anders Nahrung zu beschaffen . Wölfe haben sich schon häufiger in dichtbesiedelten Gebieten, in Städten aufgehalten . Auch die erwartete natürliche Scheu vor den Menschen zeigt er nicht immer . In Niedersachsen läuft er wie selbstverständlich durch einige Ortschaften und bedient sich an Mülltonnen . Eine verhaltensauffällige Wölfin in Niedersachen, die sogenannte Goldstädter Wölfin, schafft es, Zäune zu überspringen, die höher als 1,40 Meter sind . Sie tötet und verschreckt Schafe, ganz abgesehen von den Folgeschäden wie beispielsweise Verlammungen. Alleine dieser Wölfin konnten in diesem Jahr über 80 Nutztierrisse zugeordnet werden, trotz aller Präventionsmaßnahmen . Meine Damen und Herren, dies ist ein artfremdes Verhalten . Da hilft uns auch kein Gesprächskreis mehr . Wir können den Wolf auch nicht umerziehen, wie in einem Fachgespräch gefordert worden ist . Dann kann schnell das Gegenteil der Fall sein; denn andere Wölfe übernehmen dieses artfremde Verhalten . Gott sei Dank gab es bisher noch keinen Angriff auf den Menschen . Auch wenn ein Wolf schon einmal in der Nähe eines Waldkindergartens gesehen worden ist, ist zum Glück nichts passiert . Wir wollen uns auch nicht wirklich vorstellen, was ein Tier, das über 60 Kilo wiegt, anrichten kann . Die Bilder von gemetzelten Schafen sind schon schlimm genug . Zwar liegt die Zuständigkeit für die Schadenserfassung und die Entschädigung bei den Bundesländern . Dennoch ist es wichtig, bundesweit einheitliche Standards für Präventionsmaßnahmen und Entschädigungen für Nutztierrisse einzuführen, für hauptberufliche Halter, aber auch für Hobbytierhalter . Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass den Schäfern nicht nur ein Schaden wegen der getöteten Tiere entsteht, sondern dies auch mittelbare Folgen hat, die durch die Unruhe und den Stress in der Herde auftreten, beispielsweise Fluchtverletzungen oder Nicht-wieder-trächtig-Werden von Muttertieren . In dem Augenblick, in dem die Stimmung in der Bevölkerung kippt, wird die mühsam aufgebaute Akzeptanz dahin sein. Es ist deshalb unsere Pflicht, Problemtiere zu entnehmen . Dort müssen wir aktiv werden, und zwar so schnell wie möglich . Rechtlich ist das nach Artikel 16 FFH-Richtlinie auch so vorgesehen . Eine Entnahme solcher Problemtiere würde die Wolfspopulation, die in Deutschland eine Reproduktionsrate von 30 Prozent pro Jahr hat, auch nicht gefährden . Ganz im Gegenteil: Eine schnelle Entnahme solcher Problemtiere könnte zu einer Steigerung der Akzeptanz für den Wolf in der Bevölkerung führen . Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion Die Linke ist abzulehnen . Die Daten der Länder, die ja dafür zuständig sind, diese zu erfassen, müssen an einer Stelle zusammenfließen, um eine effektive Arbeit leisten zu können . Eine solche Stelle wird zurzeit mit der DoVizepräsidentin Ulla Schmidt kumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf eingerichtet, und mehr brauchen wir nicht . Danke schön . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Dr . Kirsten Tackmann das Wort . ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, auch ich habe ein durchaus ambivalentes Verhältnis zum Wolf . Einerseits faszinieren mich diese Urmütter und Urväter unserer Hunde, andererseits stellen sich auch mir neue Fragen beim Hundespaziergang durch Feld und Flur und mein Brandenburger Heimatdorf: Was wäre eigentlich, wenn dort ein Wolf auftaucht? Wie müsste ich mich verhalten? Wie reagiert mein - natürlich angeleinter - Hund? Deshalb verstehe ich die Sorgen der Weidetierhalterinnen und -halter; denn gerade für sie ist die Rückkehr des Wolfes in sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet durchaus mit ernsthaften Fragen verbunden . Andererseits gibt es aber fast überall historisch hohe Wildbestände . Die Wölfe sind also auf Nutztiere als Nahrungsquelle überhaupt nicht angewiesen, und vermutlich sorgt er sogar zumindest in einigen Fällen für gesunde Wildbestände . Dafür ist er viel geeigneter als die zweibeinigen Jäger . Er ist nämlich Teil des Ökosystems . Seien wir einmal ehrlich: Die Rückkehr des Wolfes ist nun wirklich keine Überraschung . Ich habe mich schon vor Jahren in Sachsen schlaugemacht, wie es sich so lebt mit dem Wolf im Revier . Dort sind sie ja schon seit den 90er-Jahren wieder präsent . Am meisten hat mich, ehrlich gesagt, ein Gespräch mit einem Schäfer überzeugt . Er hielt seine Schafe zwischen mehreren Wolfsrudeln und hatte den Wolf persönlich schon 60-mal gesehen . Ja, er hat Lehrgeld gezahlt; aber am Ende war er eben klüger als die Wölfe . Er hat sich Herdenschutzhunde angeschafft, und seitdem machen die Wölfe einen großen Bogen um seine Herde . Fazit: Ein friedliches Zusammenleben mit dem Wolf ist möglich; aber das ist kein Selbstläufer . ({0}) Deshalb habe ich für die Linke seit Jahren mehr politische Unterstützung für die Lösung der Probleme gefordert . Es hat ein bisschen gedauert; aber inzwischen ist das Thema in der Bundespolitik angekommen . Ich fand die zwei Fachgespräche im Umweltausschuss und im Agrarausschuss sehr lehrreich . Die Hauptbotschaft dort war: Der Schlüssel für die Akzeptanz des Wolfes ist ein sicherer Herdenschutz . Dabei muss aber völlig klar sein: Es geht nicht nur um Geld für gerissene Schafe . Auch als Tierärztin sage ich ganz klar: Weidetiere müssen vor dem Wolf geschützt werden . Ja, das ist auch eine Frage des Tierschutzes, aber eben nicht nur . Wichtiger ist, dass die Wölfe vor allem daran gehindert werden, zu lernen, dass Weidetiere eine leichte Beute sind . ({1}) Deshalb müssen Weidetiere, egal ob sie berufs- oder hobbymäßig gehalten werden und egal ob es sich um Schafe, Ziegen, Mutterkühe, Pferde oder Damwild handelt, überall geschützt werden, auch auf dem Deich und in Naturschutzgebieten . Der Schutz muss funktionieren - das ist wichtig -, bevor der Wolf durch die Region streift . Unterdessen wissen wir auch besser, wie das funktioniert . Zum Beispiel sind Herdenschutzhunde in vielen Fällen ein sehr zuverlässiger Schutz . Die AG Herdenschutzhunde hat hier wirklich Pionierarbeit geleistet; deshalb gilt ihr unser Dank . ({2}) Es ist nämlich leichter gesagt als getan: Herdenschutzhunde müssen ihre Herden bedingungslos vor dem Wolf schützen, gleichzeitig aber Menschen absolut zuverlässig tolerieren . Welche Rassen sind dafür geeignet, welche nicht? Wie müssen die Standards bei Zucht, Aufzucht und Ausbildung aussehen? Wer bezahlt das alles? Wer bezahlt den Unterhalt? Hunde sind auch nicht überall einsetzbar . Welche anderen Tiere sind möglicherweise geeignet? Daneben gibt es noch viel mehr offene Fragen: Welchen Einfluss hat der Wolf auf die Wildbestände? Wie sollen wir das seriös bewerten, wenn wir über die Wildbestände selbst extrem wenig wissen? Was führt eigentlich zu sogenannten Problemwölfen, und wie gehen wir damit um? Es gibt also viele Baustellen und eine klare Botschaft der Fachleute: Wir brauchen bundeseinheitliche Standards; denn was der Wolf in Niedersachsen lernt, wird er auch woanders anwenden . Genau deshalb brauchen wir ein Kompetenzzentrum des Bundes für Herden- und Wolfsschutz . Die Linke hat das seit Jahren gefordert . Union und SPD werden diese Forderung heute wider besseres Wissen leider wieder ablehnen . Ihr Dokumentations- und Beratungszentrum ist nur eine Behördendienstleistung und nicht geeignet, die Probleme wirklich zu lösen . Deshalb wird die Linke weiter kämpfen . Weihnachten ist die Zeit der Besinnung . Ich wünsche der Koalition viel Erfolg dabei . ({3})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Petra Crone, SPD-Fraktion . ({0})

Petra Crone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Heute zu dieser späten Stunde sind nicht mehr so viele da; vielleicht sind sie auch ein bisschen wolfsscheu . Wir sind beim letzten Tagesordnungspunkt angelangt . Man könnte fast sagen: Den Letzten beißen die Wölfe . ({0}) Aber das ist nicht der Fall . Der Wolf ist nämlich menschenscheu und ausgesprochen anpassungsfähig . Er ist ebenso umstritten wie faszinierend . Darum ist der Wolf natürlich in aller Munde und seit Montag auch in den Armen unserer Bundeskanzlerin . Um zwei Dinge gleich vorweg zu sagen: Erstens . Ich wünsche mir einen - ich zitiere Angela Merkel - relativ lockeren Umgang mit dem Wolf . Das gilt erst recht für die Furchtmacher in speziellen Verbänden . Was ich da hin und wieder lese, macht mich richtig wütend . Das ist kein verantwortungsvoller Umgang . Anpassungsfähigkeit ist eben nicht jedem gegeben . Zweitens . Ich erteile im Namen der SPD-Bundestagsfraktion allen Bemühungen, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen, eine deutliche Absage, meine Damen und Herren . ({1}) Auch werden Sie bei uns keine Unterstützung für eine Herausnahme des Wolfs aus Anhang IV der FFH-Richtlinie finden. In sechs Bundesländern ist der Wolf wieder heimisch . Es ist eine freiwillige Rückkehr nach mehr als 100 Jahren . Bis auf die Stadtstaaten und die Ballungsgebiete ist ganz Deutschland also Wolfserwartungsland . Damit meine ich natürlich die Tierart, nicht einzelne Landespolitiker . ({2}) Sehr geehrte Damen und Herren, der Wolf ist weder gut noch böse . Er ist kein Monster, aber eben auch kein Kuscheltier . Zwar ernährt er sich zu 99 Prozent von Wildtieren . Aber natürlich ist klar: Jedes gerissene Nutztier ist eines zu viel. Wer hauptberuflich Schafe und Ziegen hält und diesen Knochenjob bei Wind und Wetter erledigt, für den ist die Frage „Wie lebe ich mit dem Wolf?“ eine wirtschaftlich existenzielle. Der Konflikt zwischen Weidetierhaltern und dem Wolf ist ein alter und auch ein neuer Konflikt. Schaf- und Ziegenhalter stellen hochwertige Lebensmittel her, und Weidetiere können wir nicht einfach in den Stall verfrachten . Deshalb ist es richtig, wenn wir unser Hauptaugenmerk auf die Beseitigung dieses Konfliktes lenken. Zunächst zuständig für die Umsetzung des Herdenund damit auch des Wolfsschutzes sind die Fach- und Vollzugsbehörden der Länder . In den Fachgesprächen, die wir hier im Bundestag mehrfach hatten, wurde klar: Das funktioniert, und zwar mithilfe von Herdenschutzmaßnahmen und Kompensationszahlungen für getötete Nutztiere . Ich kann die Kollegen aus dem Bundesrat nur ermuntern, auch die Hobbyhalter von Schafen und Ziegen in die Förderung einzubeziehen und auch die Anschaffung von Herdenschutzhunden finanziell zu ermöglichen . Ein konfliktarmes Nebeneinander von Mensch und Wolf wird also heute schon in vielen Bundesländern gelebt, liebe Kolleginnen und Kollegen . Deshalb sagt die SPD-Bundestagsfraktion: Die Aufgaben zum Schutz der Herde und des Wolfes sind sachlich und rechtlich zu Recht in den Bundesländern verankert . Darum lehnen wir den Antrag der Linken ab . ({3}) Der Bund war im Übrigen nie untätig . Ganz im Gegenteil: Ab 1 . Januar 2016 wird die neue Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf ihre Arbeit aufnehmen . Wer hier anderes behauptet, liegt falsch . Das Zentrum wird unter anderem erforschen, wie verhaltensauffällige Tiere beobachtet und vergrämt werden können, damit sie ihre Verhaltensmuster nicht an Artgenossen weitergeben . Dass auch eine Tötung von Einzeltieren kein Tabu ist, wenn dies fachlich angebracht ist, sagt die SPD-Bundestagsfraktion seit längerem . Zum Schluss danke ich dem Umweltministerium unter anderem für die frühzeitige Einberufung des Runden Tisches „Wolf“ und dem Landwirtschaftsministerium für die Kooperation . Selten wurde einer Tierart vonseiten des Bundes so viel Aufmerksamkeit zuteil . ({4}) Im gleichen Atemzug danke ich den Ländern für ihre fachlich guten Managementpläne im Umgang mit dem Wolf . Stefan Willeke schrieb im Frühjahr in der Zeit - ich zitiere -: Es muss ein gutes Deutschland sein, gut zu sich und seiner Natur, wenn der Wolf bereit ist, sich hier anzusiedeln . ({5}) Es ist, genauer gesagt, eine Wiederbesiedlung; aber das und den Inhalt des Zitats möchte ich heute, kurz vor den versöhnlichen Feiertagen, einfach so stehen lassen . Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche wunderschöne Feiertage . ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist Harald Ebner .

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Mensch in Baden-Württemberg kennt den Wolf . ({0}) Er ist ein sagenumwobenes Wesen . Der Baron von Münchhausen hat eine wilde Geschichte über eine pferdeverschleißende Schlittenfahrt über ihn im Repertoire; aber der Wahrheitsgehalt der freiherrlichen Schilderungen ist ja bekannt . Trotzdem ist die Rückkehr der Wölfe zu uns ganz klar eine Herausforderung . Die meisten Deutschen freuen sich aber, dass er wieder da ist, und finden, dass er in unsere Landschaft gehört. Das sehen wir genauso . ({1}) Aber wir müssen dem sagenhaften Rückkehrer auch unsere Aufmerksamkeit schenken, uns mit ihm beschäftigen und den Umgang mit ihm ganz neu lernen . Dass da Handlungsbedarf besteht, zeigt die lebhafte Berichterstattung, wenngleich die Berichte die tatsächliche Situation nicht immer treffend beschreiben . Und wie so oft bei Unbekanntem ist die Verunsicherung groß . Wölfe sind - das zeigen die Fakten - eine gewisse Gefahr für Weidetiere, zunächst vor allem für ungeschützte Weidetiere . Zäune oder Hunde können Wölfe aber zuverlässig fernhalten . Hier zeigt sich die große Bedeutung des Vorsorgeprinzips . ({2}) Wenn man rechtzeitig vorsorgt - das hat die Kollegin schon gesagt -, wenn die Wölfe gar nicht erst lernen, wie leicht es ist, ein ungeschütztes Schaf oder eine ungeschützte Ziege zu erbeuten, dann passiert deutlich weniger . Andererseits gibt es bisher keine Hinweise, dass die Nutztierschäden dauerhaft zunehmen, wenn sich mehr Wölfe ansiedeln . Zum Beispiel gab es im Wolfsland Sachsen in diesem Jahr nur fünf Fälle, in denen Gatterwild durch Wölfe zu Schaden kam . Ich frage mich schon, Herr Staatssekretär Bleser, ob das die massenhaften Schadensfälle sind, von denen Sie gestern im Ausschuss sprachen . Es gibt auch keine Zahlen, die auf eine Bedrohung des Wildbestandes hindeuten; denn auch hier gilt - der Wolf ist nun einmal Opportunist -: Wölfe jagen Tiere, die sie am leichtesten erbeuten können, nämlich alte, kranke und schwache . Dabei sind sie vermutlich zielsicherer als die Jäger . Damit werden sie wieder ein funktionaler Teil unserer Ökosysteme, und das ist gut so . Es gibt auch keine Hinweise, dass die Wölfe überhandnehmen . Das ist biologisch logisch, weil sich ein Räuber-Beutetier-Gleichgewicht einpendelt . Konkurrenz macht der Wolf allenfalls der Jägerschaft und ihrem Selbstverständnis als Ökosystemregulierer . Plötzlich tauchen noch Wolfsberater und Wolfsmanager auf . Dass da eine gewisse Verunsicherung entsteht, kann ich verstehen . Es geht in der oft emotional geführten Wolfsdebatte nicht zentral um die überschaubaren Schäden . Wir müssen neu lernen, wie wir mit dem Neubürger umgehen . Es wäre sicherlich bequemer, billiger und sorgenfreier ohne den Wolf, zumindest einzelbetrieblich gesehen . Aber die Probleme sind nicht unlösbar . Der Gesamtnutzen durch die Rückkehr eines der wichtigsten großen Prädatoren im Ökosystem ist die entscheidende Größe . Wir müssen lernen, damit umzugehen . Der Wolf muss das auch tun . Da kann - Föderalismus hin oder her auch ein Dokumentations- und Vernetzungszen trum wie auch immer wir das nennen möchten -, das nun vom BMUB ausgeschrieben wurde, helfen . Gerade dann hilft es aber gar nichts, den notwendigen nächsten Schritt auszulassen und das, was wirklich ansteht, nämlich das Wissen um Herdenschutz und Herdenmanagement, außen vor zu lassen . Ich erwarte, dass die Ministerien hier kooperieren und sich absprechen, anstatt das „Mein Garten, dein Garten“-Spiel zu spielen und Kompetenzen abzudrücken . Hier kann man sich nicht hinausstehlen . Solange Ihnen, Herr Staatssekretär Bleser, zum Wolf nichts Besseres einfällt, als ihn in das Jagdrecht zu verschieben, damit Ihr Haus den Abschuss freigeben kann, ist es gut, dass Sie sich dafür nicht zuständig fühlen . ({3}) Beim Wolfsmanagement muss es ganz klar bei der Länderkompetenz bleiben . Die Wissensbündelung und die Wissensvernetzung auf Bundesebene - auch beim Herdenschutzmanagement - halten wir für sinnvoll . Das wäre ein Beitrag zum Schutz der Landwirtschaft und der Natur gleichermaßen, ein Schritt hin zu stabilen Ökosystemen . Lernen Sie den Wolf kennen, und Sie werden merken: Niemand braucht Angst zu haben vor dem Wolf . ({4}) - Auch in Baden-Württemberg nicht . Danke schön . ({5})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Danke schön . - Jetzt hat für die CDU/CSU der Kollege Dr . Klaus-Peter Schulze das Wort . ({0})

Dr. Klaus Peter Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004406, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Besucher! Ich glaube, ich bin heute der letzte Redner . Hoffentlich . . . - da gibt es ja ein Sprichwort . - Der Wolf hat sich in Deutschland aufgrund der naturschutzrechtlichen Rahmenbedingungen wieder angesiedelt und ist zurück in unserem Alltag . Bis 1990 war es im Osten Deutschlands Pflicht eines jeden Jägers, den schon damals aus Polen eindringenden Wolf sofort zu bejagen . Das wurde konsequent durchgesetzt . Erst die neuen naturschutzrechtlichen Bestimmungen haben dazu geführt, dass das Tier, nachdem es mehr als 100 Jahre in Deutschland verschwunden war, wieder heimisch geworden ist . Unter dem Aspekt des Natur- und Artenschutzes ist das ein gutes Ergebnis . Allerdings - das wurde von den Vorrednern schon angesprochen - geht es nicht konfliktfrei ab. Der vorliegende Antrag der Linken spricht im Kern die Probleme an, die sich mit der Wiederansiedlung des Wolfes ergeben . Aber die damit verbundene Forderung ist dann doch sehr einseitig . Wir brauchen aus meiner Sicht kein Bundesherdenschutzzentrum, sondern ein auf die Erfahrung der Länder aufbauendes bundeseinheitliches Wolfsmanagement, das natürlich auch den Herdenschutz gewährleisten muss . Das ist in den Fachgesprächen im Umwelt- und Landwirtschaftsausschuss sehr deutlich geworden . Die Antragsteller hätten diese Fachgespräche erst abwarten sollen, bevor sie sich mit diesem Thema intensiver befassen . ({0}) Ja, für die Bundesebene besteht Handlungsbedarf in Sachen Wolf . Jedoch sind für uns andere Aspekte von Bedeutung als eine wissenschaftliche Politikberatung, die ohnehin künftig durch die geplante Dokumentationsund Beratungsstelle beim Bundesamt für Naturschutz geleistet wird. Das Gros der Forderungen findet sich übrigens im geplanten Aufgabenspektrum dieser Koordinierungsstelle wieder . Für mich als Naturschutzpolitiker ist die Wiederansiedlung des Wolfs sicherlich ein Erfolgsprojekt, ein Erfolg, der maßgeblich auf den oftmals ehrenamtlichen Einsatz von Umwelt- und Naturschutzverbänden sowie einzelner Naturschützer zurückgeht . Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die verhältnismäßig schnell wachsende Wolfspopulation zunehmend Konflikte verursacht. Diese sind nur durch ein überlegtes, nachhaltiges Management auf ein verträgliches Maß zu minimieren . Die Frage der Akzeptanz in der Bevölkerung, vor allem bei den Nutztierhaltern und in der Jägerschaft, sind unabdingbare Voraussetzungen für die Fortschreibung der bisherigen Geschichte . Liebe Kolleginnen und Kollegen, glauben Sie mir, als Abgeordneter der Lausitz weiß ich nur zu gut, dass dies keine leichte Aufgabe ist . Meine Freunde vom NABU Regionalverband Spremberg schreiben mit einigem Stolz auf ihrer Internetseite: Alle deutschen Wölfe sind Lausitzer . - In der Tat, die Lausitz ist quasi der Ausgangsort der Wiederbesiedlung unseres Landes und Westpolens . Mein Wahlkreis ist vermutlich die wolfsreichste Region in Deutschland . Auf 1 820 Quadratkilometer Fläche befinden sich fünf Wolfsrudel und ein welpenloses Paar. Mir sind also die Konflikte sehr wohl bekannt, die sich mit der Wiederansiedlung des Wolfes in unserem Land ergeben . Ich weiß um die Bedeutung der Akzeptanzfrage . Festzuhalten bleibt: Das Wolfsmanagement ist zunächst eine Aufgabe der Länder . Von daher ist es gut und richtig, dass die Länder für ein erfolgreiches Management die erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen . Begrüßenswert sind ferner die länderübergreifenden und internationalen Maßnahmen von Bund und Ländern zum Monitoring und zum Management . Auch ist der Beschluss der Umweltministerkonferenz vom 21 . Mai 2015, den Bund bei der Einrichtung und beim Betrieb einer Dokumentationsstelle zu unterstützen, ein positives Signal . Bei allen Erfolgen sehen wir aber auch Handlungsbedarf, der jedoch weit über das hinausgeht, was im vorliegenden Antrag formuliert wurde: Ein bundesweit einheitliches Wolfsmanagement in gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern, ein Fachbeirat, bestehend aus allen Interessenvertretern, die an der Dokumentations- und Beratungsstelle beteiligt werden, ein bundesweit agierendes Expertenteam für Empfehlungen zur Vergrämung und gegebenenfalls zur Entnahme von auffälligen Tieren, die Änderung der Tierschutz-Hundeverordnung für den Herdenschutzhund, bundesweit und mit den europäischen Nachbarstaaten abgestimmte Forschungsvorhaben zur Analyse des Genaustausches zwischen der mitteleuropäischen und der baltischen Population, Lebensraumanalysen bezüglich der Populationsobergrenzen und eine bundesweite Harmonisierung von Schutzmaßnahmen für alle - ich betone: für alle - Weidetier- und Gatterwildhalter, Ausgleichszahlungen für Nutztierrisse und finanzielle Unterstützung für Herdenschutzhunde - mit diesen Punkten können wir in der Zukunft das Zusammenleben von Wolf und Mensch in unserem dichtbesiedelten Land auf jeden Fall sichern. All das findet sich im vorliegenden Antrag noch nicht deutlich formuliert, und deswegen werden wir ihm nicht zustimmen . Abschließend wünsche ich Ihnen allen ein frohes Fest und einen guten Rutsch in das Jahr 2016 . Danke . ({1})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank . - Der Kollege Schulze ist zwar der letzte Redner in dieser Debatte; aber wir sind damit noch nicht am Ende der Tagesordnung angelangt . Ich bitte Sie alle, mit mir gemeinsam bis zum Ende hierzubleiben . Wir haben noch eine Abstimmung durchzuführen, und es werden noch drei Tagesordnungspunkte aufgerufen . Wenn alle diszipliniert sind, schaffen wir das ganz schnell . Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Herdenschutz ist Wolfsschutz - Jetzt ein bundesweites Kompetenzzentrum aufbauen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6940, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6327 abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken ({0}) Drucksache 18/7043 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall .1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/7043 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Haben Sie andere Vorschläge? - Ich sehe, das ist nicht der Fall . Damit ist die Überweisung so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Drucksache 18/6985 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ({2}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .2) 1) Anlage 8 2) Anlage 9 Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6985 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe keine weiteren Vorschläge . Dann ist es so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes Drucksache 18/6988 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- sicherheit Ausschuss für Tourismus Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden . - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6988 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Haben Sie dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall . Damit ist die Überweisung beschlossen . Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung . Ich berufe die nächste Sitzung für morgen, Freitag, den 18 . Dezember 2015, 9 Uhr, ein . Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen allen noch einen angenehmen Abend .