Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet . Nehmen Sie bitte Platz .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich . Ich möchte Ihnen, bevor wir mit unserer Tagesordnung beginnen, mitteilen, dass es eine interfraktionelle Vereinbarung gibt, den Antrag der Bundesregierung
auf einen Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur
Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf der Drucksache 18/6866 heute als Zusatzpunkt 1 mit einer Debattendauer von 77 Minuten auf die Tagesordnung zu nehmen .
Die Fragestunde danach soll auf 90 Minuten begrenzt
werden, was auch sicher auskömmlich ist . Auf diesem
Wege können wir sicherstellen, dass die für heute Nachmittag vereinbarte gemeinsame Sitzung der Ausschüsse
für Verteidigung und Auswärtiges zusammen mit unseren Gästen aus der israelischen Knesset termingerecht
stattfinden kann. Darf ich fragen, ob Sie mit diesem
Verfahren einverstanden sind? - Das ist offenkundig der
Fall . Dann können wir so verfahren .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Ich weise darauf hin, dass wir mit Blick auf unser
Zeitmanagement die Vereinbarung unter allen Fraktionen haben, den Befragungszeitraum auf eine halbe Stunde zu begrenzen, damit wir um 13 Uhr mit der Debatte
beginnen können . Das wird inhaltlich mehr oder weniger
ineinander übergehen; denn die Bundesregierung hat als
Thema ihrer Kabinettssitzung mitgeteilt: Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und
Unterbindung terroristischer Handlungen durch die
Terrororganisation IS.
Es besteht die Möglichkeit, nach dem einleitenden Bericht der Bundesministerin der Verteidigung dazu einige
Rückfragen zu stellen . Ich mache aber schon jetzt darauf
aufmerksam, dass es das angemeldete Interesse gibt,
auch nach anderen Punkten zu fragen, sodass wir das
zeitlich ein bisschen sortieren müssen . Ich denke aber,
das kriegen wir bewältigt .
Frau Bundesministerin, Sie haben das Wort .
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne
einige einleitende Bemerkungen zu dem Mandat machen, das gestern im Kabinett verabschiedet worden ist .
Wir haben dieses Mandat zur Bekämpfung des IS in Syrien und Irak nicht als ersten Schritt verabschiedet, sondern wir sind bereits seit über einem Jahr in der Allianz
gegen den Terror im Kampf gegen den IS . Wir haben
im Nordirak Verantwortung für die Ausrüstung und die
Ausbildung der Peschmerga übernommen . Die Terroranschläge von Paris haben uns aber noch einmal vor Augen
geführt, dass wir noch entschlossener gegen den IS vorgehen müssen . Wir haben in diesem Zusammenhang in
enger Abstimmung mit unseren französischen Freunden
und der Koalition gegen den Terror dieses Mandat mit
den Fähigkeiten, auf die ich gleich eingehen werde, beschlossen .
Das Ziel dieses Mandates ist sehr klar umrissen . Es
geht darum, den IS zu bekämpfen, seine Rückzugsräume
zu zerstören und zu unterbinden, dass er weltweit Terror ausüben kann . Dieses Ziel ist auch detailliert in der
VN-Resolution 2249 dargelegt, die wenige Tage nach
den Terroranschlägen von Paris verabschiedet worden
ist .
Wir haben dieses Mandat auf einer völkerrechtlich
und verfassungsrechtlich tragfähigen Basis verabschiedet . Was werden wir durch dieses Mandat beisteuern?
Was umfasst das Mandat? Es sind vor allem fünf Komponenten:
Erstens geht es um Schutz . Es geht um den Schutz des
Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“, den die Franzosen
in die Region schicken werden . Sie haben darum gebeten, dass wir eine Fregatte beisteuern, die in der Lage
ist, dem Trägerverband durch ihre Fähigkeiten Schutz zu
geben .
Zweitens geht es um Aufklärung . Wir können gar
nicht genug Aufklärung in Syrien und im Irak haben . Wir
haben Fähigkeiten, die weltweit kaum jemand anders hat .
Deshalb haben wir angeboten - das ist auch sehr gern
angenommen worden -, die deutsch-französische Satellitenkooperation zur Verfügung zu stellen . Das ist eine
Kombination, die außergewöhnlich ist: Der französische
Satellit ist in der Lage, optisch aufzuklären, und unser
Satellit ist in der Lage, radargestützt aufzuklären . Die
Kombination der beiden bringt technisch exzellente Bilder über einen weiten Raum, bei Tag und Nacht und bei
jeder Wetterlage . Hinzu kommen sechs Recce-Tornados,
die wir für die fliegende Aufklärung angeboten haben.
Durch sie können Bilder in Echtzeit produziert und sehr
stark angepasst werden, je nachdem, was gerade gebraucht wird .
Drittens werden wir Tankflugzeuge zur Verfügung
stellen . Auch das ist eine sehr knappe Ressource; denn
die Tankflugzeuge sind nicht nur in der Lage, unsere eigenen Recce-Tornados in der Luft zu betanken, sondern
sie sind auch zertifiziert für die französischen Kampfjets
Mirage und Rafale .
Viertens werden wir Personal in die Stäbe entsenden .
Bei diesem Thema wird häufig nachgefragt: Wie ist die
Kommandostruktur? In welche Stäbe wird Personal entsandt? - Wir haben, US-geführt aus Tampa, Florida, das
US CENTCOM, das - wie übrigens am Anfang auch
im Irak, als wir das Mandat für die Peschmerga auf die
Beine gestellt haben - sozusagen den Chapeau darüberlegt . Darunter ist, von Kuwait aus, das Hauptquartier der
Allianz gegen den Terror, das multinational besetzt ist .
Dieses gliedert sich noch einmal in zwei verschiedene
Stränge auf . Der eine Strang, der für die Landstreitkräfte
zuständig ist - das betrifft uns hier jetzt nicht -, ist in
Bagdad lokalisiert, der andere Strang ist in al-Udeid angesiedelt, wo wir Stabspersonal haben werden .
Für den französischen Flugzeugträger sei zum Thema
Kommando noch gesagt, dass wir unsere Fregatte dem
französischen Kommando unterstellen, da der Flugzeugträgerverband allein unter französischem Kommando
bleiben wird .
Wir haben in dem Mandat eine Obergrenze von
1 200 Soldatinnen und Soldaten . Sie wissen, dass die
Obergrenze immer einen gewissen Puffer in sich birgt,
den wir für Kontingentwechsel brauchen, wenn sie nötig
sind . Aber grob gesprochen, gliedert es sich folgendermaßen auf: Allein für die Fregatte brauchen wir round
about 300 Männer und Frauen . Die tornadogestützte
und satellitengestützte Aufklärung bewegt sich, wenn
man beides zusammenzählt, in einem Gebinde ungefähr
zwischen 400 und 500 - die Zahl ist so hoch, weil darin die gesamte Infrastruktur der Bodenstationen und das
Auswertpersonal enthalten sind -, Tankflugzeuge round
about 150 Personen, etwa 50 Personen als Stabsoffiziere in den Hauptquartieren und, wie gesagt, ein gewisser
Puffer, der notwendig ist .
Sie denken bitte an die Zeit .
Ja . - Die fünfte Komponente: Wir werden die Daten
der Aufträge ausschließlich dem Kreis zur Verfügung
stellen, der an der Luftoperation innerhalb der Allianz
gegen den Terror beteiligt ist . Genauso wird die Auswertung nur diesem engen Zirkel zur Verfügung gestellt
werden .
Das sind die rein technischen Beschreibungen dieses
Mandates . Ich stehe gerne für Fragen zur Verfügung .
Vielen Dank . - Die erste Frage stellt Tobias Lindner .
Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihre Ausführungen .
Vielen Dank, Herr Präsident . - Frau Ministerin, Sie haben eben ausgeführt, dass die Bundesregierung davon
ausgeht, dass dieses Mandat auf einer, ich glaube, Ihre
Worte waren: tragfähigen verfassungsrechtlichen und
völkerrechtlichen Grundlage fußt . Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht per Urteil festgestellt, dass ein solcher Einsatz nur im Rahmen und vor allem nach den Regeln eines Systems kollektiver Sicherheit erfolgen darf .
Sie haben viele Teilaspekte genannt . Aber meine Frage
an Sie ist: Was ist das System der kollektiven Sicherheit,
in dem wir tätig werden, und was sind vor allem dessen
Regeln? Gibt es überhaupt einen Operationsplan für das
Mandat, das die Bundesregierung beabsichtigt hier zur
Abstimmung zu bringen?
Ich erläutere gerne den groben Rahmen . Kollege
Steinmeier wird weiter ausführen .
Zunächst einmal leitet sich die völkerrechtliche Basis
aus dem Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen
ab: das Recht auf Selbstverteidigung eines jeden Landes,
und zwar nicht nur individuell, sondern auch kollektiv .
Dem sind flankierend die entsprechenden VN-Resolutionen zur Seite gestellt, von denen es mehrere gibt . Die
jüngste habe ich kurz erwähnt: Resolution 2249 . Sie fordert sehr klar dazu auf, alles im Kampf gegen den IS zu
tun . Das ist jetzt kein wörtliches Zitat; aber die drei Ziele, die ich eben skizziert habe, werden dort umfänglicher
beschrieben .
Unabhängig davon gibt es den Artikel 42 ({0}) EUV, auf
den sich Frankreich beruft und der alle Europäer auffordert, einem angegriffenen Mitglied - jetzt zitiere ich „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“
zur Verfügung zu stellen . Das ist der Rahmen .
Die nächste Frage geht an Britta Haßelmann .
({0})
- Ja, das können wir gerne einmal machen . Ich mache
nur darauf aufmerksam: Wenn wir auf jede Frage zwei
Antworten bekommen, dann sind wir nach drei Fragen
mit der Redezeit, die wir vereinbart haben, durch . - Herr
Steinmeier, bitte .
In Ergänzung der Ausführungen, die Frau Bundesministerin eben gemacht hat, will ich Ihnen sagen: Es
ist nicht nur die Bundesregierung, die fest davon überzeugt ist, dass wir auf einer legitimen völkerrechtlichen
Grundlage handeln . Wenn ich es gestern richtig gelesen
habe, dann ist es auch der Wissenschaftliche Dienst des
Deutschen Bundestages, der zu dem gleichen Ergebnis
kommt . Das ist auch nicht erstaunlich .
In der ganzen öffentlichen Debatte, soweit ich sie verfolgt habe, wird allein darauf geschaut, ob ein Mandat
nach Artikel 42 ({0}) des Vertrags über die Europäische
Union vorliegt, als sei das die einzige völkerrechtliche
Legitimation, um die wir uns zu kümmern und zu sorgen hätten . Tatsächlich - das bringt das Mandat ja auch
zum Ausdruck - stützen wir unsere Legitimation auf
Artikel 51 der UN-Charta, die das Recht zur kollektiven
Selbstverteidigung der angegriffenen Staaten enthält .
Wir leisten Unterstützung für diejenigen, die angegriffen
sind und sich angegriffen fühlen .
Das steht nicht für sich alleine . Wir haben mittlerweile in drei UN-Sicherheitsratsresolutionen der letzten anderthalb Jahre jeweils die klare Feststellung, dass IS den
Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefährdet .
Wenn ich nur einen Satz aus der letzten Resolution, 2249,
die ja eine Reaktion
Herr Minister, gucken Sie gelegentlich auch einmal
auf die Uhr?
({0})
- auf die Attentate von Paris war, zitieren darf; dort steht
ausdrücklich:
… in dem unter der Kontrolle von IS stehenden Gebiet in Syrien . . . alle notwendigen Maßnahmen zu
ergreifen, ihre Anstrengungen zu verstärken und zu
koordinieren, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden …
Und so weiter .
Ich glaube, wir können wirklich darauf verweisen,
dass wir eine völkerrechtliche Grundlage haben, so wie
das auch alle anderen Staaten für sich in Anspruch nehmen, die in den letzten Tagen ihre Solidarität mit Frankreich erklärt haben .
Ich erinnere noch einmal an unser Zeitregime, das für
die eine wie für die andere Seite des Hauses in gleicher
Weise gilt .
Im Übrigen nehme ich Ihre freundliche Würdigung
des Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes als Anlass für den Hinweis, dass die Bundesregierung diese
Gutachten sicherlich genauso ernst nimmt, wenn sie zu
anderen Schlussfolgerungen kommen als die Bundesregierung .
({0})
Nun hat Frau Haßelmann das Wort .
Danke, Herr Präsident . - Der bisherige Verlauf der
heutigen Befragung der Bundesregierung macht das Dilemma deutlich, in dem wir uns befinden. Es gibt jede
Menge Fragen und auch Antwortbedarf . Wir haben dafür
eine halbe Stunde . Wenn jedes Mal beide Regierungsmitglieder antworten, können vielleicht drei Leute fragen .
Machen wir ja nicht .
Meine Frage richtet sich an die Bundesregierung . Mir
ist egal, wer antwortet, Hauptsache, eine Person und
konkret . Ich beziehe mich auf Ihre Art der Information
des Parlamentes . Wie erklären Sie dem Parlament, dass
Sie der Presse, sowohl Tagesschau als auch Spiegel Online und dpa, die Kabinettsvorlage bereits am Montag
zugestellt haben - um 10 .01 Uhr berichtete bereits die
Tagesschau, dass ihr die Kabinettsvorlage vorliegt, am
Mittag, um 14 .18 Uhr, berichtete Spiegel Online darüber,
dpa eine Stunde später; ich verzichte hier darauf, alles
wörtlich zu zitieren - und dem Parlament dann erst am
Dienstagmorgen die Kabinettsvorlage zugegangen ist?
Ich finde, das ist ein unverantwortlicher Vorgang, was
das Informationsrecht des Parlaments angeht .
({0})
Und Sie können sich nicht damit herausreden, dass Sie
nicht wissen, woher die Information kommt, bzw . sagen,
dass sie sicherlich aus dem Parlament kommt; denn wir
hatten diese Vorlage nicht .
({1})
Bitte schön . Wer beantwortet diese Frage?
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen darauf eine befriedigende
Antwort geben kann . Ich kann Ihnen nur sagen: Genauso
wenig, wie ich unterstelle, dass das aus den Reihen des
Parlaments zugespielt worden ist,
({0})
genauso wenig sollten Sie unterstellen, dass die Vorlage
vonseiten der Regierung irgendeinem Medienorgan untergeschoben worden ist . Ich kann Ihnen jedenfalls mit
Sicherheit sagen - ({1})
- Möchten Sie meine Antwort hören?
({2})
Jetzt lassen Sie ihm doch auch einmal die Möglichkeit,
zwei Sätze zu sagen . Dann ziehen wir daraus Schlussfolgerungen .
({0})
Ich kann Ihnen jedenfalls sagen, dass wir nichts unternommen haben, um Presseorgane eher als das Parlament
zu informieren .
({0})
Ich kann Ihnen auch versichern: Das ist nicht mein Stil,
wie ich mit dem Parlament, dem Hohen Hause, umgehe .
Ich habe ihn nicht geändert in Bezug auf dieses Mandat
und werde das auch in Zukunft nicht tun .
({1})
Gut . - Ich möchte eine Bemerkung dazu machen . Es
ist ja nicht der erste Vorgang, bei dem wir uns wechselseitig darüber beklagen, dass Dokumente, die jedenfalls
zu dem Zeitpunkt nicht in die Öffentlichkeit gehören,
schon gar nicht zuerst, gleichwohl dort aufschlagen, und
zwar im vollen Wortlaut . Dann gibt es die regelmäßigen
wechselseitigen Vermutungen darüber, wo denn wohl
die undichte Stelle sei . In diesem Fall ist logisch ausgeschlossen, dass es aus dem Bundestag gekommen sein
kann . Das ist logisch ausgeschlossen .
({0})
Deswegen nehme ich das als ausdrücklichen Hinweis an
die Bundesregierung, sicherzustellen, dass Dokumente,
die der Bundestag als Grundlage seiner eigenen Entscheidung benötigt, den Bundestag jedenfalls mindestens
so früh wie die Presse erreichen und nicht in umgekehrter
Reihenfolge .
({1})
Herr Kollege Gehrcke .
Schönen Dank, Herr Präsident, nicht nur für die Gelegenheit, dass ich fragen darf, sondern auch für Ihre
Klarstellungen hier. Ich finde es toll, dass wir einen Präsidenten haben, der die Rechte des Parlamentes auch
gegenüber der Bundesregierung verteidigt und vertritt .
Vielen Dank .
({0})
Zu meiner Frage . Ich rufe mir noch einmal in Erinnerung: Deutschland soll sich, wenn die Bundesregierung
sich durchsetzt, an einem Krieg beteiligen, an dem wohl
schlimmsten und umfassendsten Kriegseinsatz nach Jugoslawien und Afghanistan .
({1})
Eine vorangegangene Bundesregierung hatte die
Frage, ob sie sich am Krieg im Irak beteiligt, mit Nein
beantwortet . Das war vorbildlich . Warum ist diese Bundesregierung nicht bereit, zu sagen: „Wir verhandeln in
Wien und machen alles, um zu einer Lösung zu kommen,
aber wir setzen nicht auf Militär, und wir sagen Nein zu
einem militärischen Einsatz; denn der Krieg im Irak war
der Auslöser für die Macht des IS“? - Ich richte die Frage
an den Außenminister .
Verehrter Herr Kollege, diese Auseinandersetzung haben wir schon das eine oder andere Mal im Ausschuss
miteinander geführt . Ich kann Sie nur bitten, sich die
Antworten nicht zu einfach zu machen . Dieser Fall liegt
anders als der Fall Irak . Wir hatten im Fall Irak 2003 gute
Gründe dafür - und glauben Sie mir: ich war nah genug dran, um das beurteilen zu können -, zu sagen: Der
Grund für eine militärische Intervention liegt nicht vor .
Ich kann Sie und Ihre Fraktion nur bitten, sich genau
zu überlegen - wir werden in der Debatte nachher noch
darauf zu sprechen kommen -, ob die einfachen Antworten, die scheinbar konsequenten Antworten wirklich die
Antworten sind, die denen helfen, denen Sie helfen wollen . Ich sage Ihnen: Niemand von uns ist so naiv, zu glauben, dass wir uns auf eine militärische Logik beschränken
können . Ganz im Gegenteil, Sie hören von mir und auch
von der Verteidigungsministerin in allen öffentlichen Äußerungen: Das Ganze ist nur dann verantwortbar, wenn
es eingebettet ist in einen politischen Prozess .
({0})
Nennen Sie mir einen weltweit, der sich mehr darum bemüht, dass dieser politische Prozess zustande kommt .
({1})
Verehrter Herr Kollege Gehrcke, am Ende müssen Sie
sich eine Frage beantworten: Wenn der politische Prozess Erfolg haben soll am Ende, dann muss in Syrien etwas übrig bleiben, was noch befriedet werden kann und
für das wir eine Zukunft schaffen .
({2})
Deshalb kommt es darauf an, dass wir neben dem politischen Prozess nicht einfach abwarten, sondern die Ausbreitung von ISIS in Syrien beschränken - und das im
Interesse einer Zukunft Syriens .
Vielen Dank .
({3})
Nächste Frage: Frithjof Schmidt .
Frau Bundesministerin, können Sie mir sagen, was
und welche Maßnahmen die Bundesregierung unter dem
folgenden Satz im Mandat versteht:
Das umfasst den Einsatz militärischer Gewalt zum
Schutz eigener Kräfte, anderer Partner im Kampf
gegen IS sowie zur Nothilfe .
Verstehen Sie unter „anderen Partnern“ etwa Milizen
oder vielleicht auch Verbände der syrischen Armee oder
Russland? Oder können Sie das ausschließen?
Unter „anderen Partnern“ verstehen wir die Partner,
die wir in der Koalition gegen den Terror haben . Sie wissen, dass die Koalition gegen den Terror eine weite Koalition ist - über 60 Länder -, dass aber diejenigen, die
Luftoperationen fliegen, einen sehr viel engeren Kreis
bilden . Dieser enge Kreis ist derjenige, der mit uns in den
Luftoperationen ist und damit einerseits in der gesamten Rettungskette und andererseits im Informationsaustausch eingeschlossen ist . Das sind die engen Partner der
Luftoperation innerhalb der Koalition gegen den Terror .
Kollege Movassat .
Danke schön . - Herr Bundesminister, Sie haben in Ihren Ausführungen unter anderem auf Artikel 51 UN-Charta Bezug genommen, auf das Selbstverteidigungsrecht .
Normalerweise wird das Selbstverteidigungsrecht ja so
interpretiert, dass man sich gegen einen staatlichen Angriff wehren darf . Nun sind wir uns in diesem Hause,
glaube ich, alle einig, dass der IS kein Staat ist, sondern
eine Terrorbande . Er nennt sich nur selber „Staat“; aber
ich glaube, diese Interpretation will hier keiner übernehmen . Insofern frage ich mich: Interpretiert die Bundesregierung Artikel 51 UN-Charta so, dass man gegen jedweden terroristischen Akt militärische Mittel ergreifen darf?
Wird das Selbstverteidigungsrecht so weit interpretiert,
dass Terrorismus sozusagen gleichgesetzt wird mit einem
staatlichen Angriff? Sind Sie nicht der Auffassung, dass
Terrorismus eigentlich ein krimineller Akt ist, der entsprechend polizeilich bekämpft werden müsste?
Nächste Frage: Kollegin Keul .
({0})
- Entschuldigung . Ich bitte um Nachsicht, dass mir das
wegen der Parallelverhandlungen über die Debattenstruktur entgangen ist .
Die Frage bezog sich einerseits auf die völkerrechtliche Grundlage und andererseits auf die Instrumente, mit
denen wir gegen Angriffe wie diese vorgehen, die offensichtlich von fundamentalistischen Terroristen durchgeführt wurden . Ganz eindeutig sage ich zunächst zu der
Frage nach Artikel 51 der UN-Charta - Selbstverteidigungsrecht -: Wir sind ja hier nicht in einem Seminar,
({0})
sondern wir sind hier in einem
({1})
Parlament, im Deutschen Bundestag . Ich glaube, nach
insgesamt acht Anschlägen, die in Frankreich stattgefunden haben, ist dies nicht die Stunde, den Franzosen zu
erklären - machen Sie es; ich mache es nicht -, dass sie
sich deshalb nicht angegriffen fühlen müssen,
({2})
nach 130 Toten, die allein die sieben Anschläge am
13 . November dieses Jahres verursacht haben .
({3})
Herr Minister .
Frankreich hat erklärt, dass das Land sich angegriffen
fühlt . Frankreich hat erklärt, dass es das SelbstschutzBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
recht für sich in Anspruch nimmt . Und wir begründen
in dem Mandat, warum wir Frankreich in der Wahrnehmung dieses Rechtes aus Artikel 51 der UN-Charta unterstützen wollen .
({0})
Kollegin Keul .
Herr Außenminister, Sie hatten eben erklärt, Ziel des
Einsatzes sei es, den IS in Syrien zurückzudrängen . Jetzt
frage ich mit Blick darauf, dass uns tunesische Verteidigungspolitiker bei ihrem Besuch erklärt haben, dass sie
sehr gut feststellen können, dass der Rückzugsraum in
Libyen, seit die Russen in Syrien bombardieren, noch
stärker vom IS genutzt wird: Was ist Ihre Strategie, wenn
das Bombardement in Syrien schlichtweg dazu führt,
dass sich der IS verstärkt in Libyen niederlässt? Zumal in
dem Mandat das Territorium, das Sie einbeziehen, sehr
weit formuliert ist . Dort steht:
. . . in Syrien sowie auf dem Territorialgebiet von
Staaten, von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt, sowie im Seegebiet östliches Mittelmeer, Persischer Golf, Rotes Meer und
angrenzende Seegebiete .
Also noch einmal: Was machen Sie, wenn der IS nach
Libyen ausweicht?
Das ist ehrlicherweise kein Prozess, der mit den Luftschlägen entweder der Amerikaner oder der Russen begonnen hat . Vielmehr gibt es diesen Prozess schon seit
einiger Zeit . Er steht aus meiner Sicht, nach meiner Analyse gar nicht so sehr im Zusammenhang mit den Luftschlägen, sondern mit der wachsenden Destabilisierung
Libyens selbst . Deshalb - da haben Sie recht - wäre es
falsch, unsere Außenpolitik nur auf die Stabilisierung
Syriens zu beziehen . Wir tun dasselbe mit großer Intensität auch auf Libyen bezogen . Ich habe in einer meiner
letzten Reden hier im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen, dass wir, seitdem der Sonderbeauftragte der
Vereinten Nationen ein ehemaliger deutscher Botschafter
ist - er hat in vielen UN-Einsätzen Erfahrung gesammelt;
ich und viele andere schätzen ihn aus seiner Tätigkeit im
Kongo, und er kann sich auf Wertschätzung innerhalb der
gesamten Vereinten Nationen stützen -, im Augenblick
sozusagen unter besonderer und herausgehobener Beobachtung hinsichtlich der Unterstützung dieses Prozesses
stehen .
Sie wissen, dass wir dabei sind, den entscheidenden
Stabilisierungsbeitrag in Libyen dadurch zu erreichen,
dass wir die miteinander im Streit befindlichen Zentren
der Macht zusammenbringen . Das ist in der Vergangenheit trotz heftiger Bemühungen von Bernardino León,
dem bisherigen Sondergesandten, nicht gelungen . Martin
Kobler unternimmt gerade eine neue Anstrengung . Wir
haben gerade heute Morgen in Brüssel darüber geredet,
dass wir, wenn es irgendwie geht, noch vor Weihnachten ein ministerielles Zusammentreffen in Rom erreichen
wollen .
Vielen Dank .
Kurz und knapp: Wir erkennen -
Nein, kurz und knapp ist es ja schon nicht . Es tut mir
ja leid .
Bitte?
Wir haben eine Minute verabredet . Sie haben jetzt jedes Mal deutlich mehr gebraucht, was ich verstehe . Aber
wir haben uns hier gemeinsam ein Zeitregime gesetzt,
das wir einhalten müssen .
Gut . Ich habe Interesse vorausgesetzt . - Danke .
({0})
Ja, ich auch. - Frau Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Präsident . - Herr Steinmeier, ich
kann Sie beruhigen: Wir haben sehr großes Interesse, vor
allem deshalb, weil unsere Fragen, die wir aufgrund unseres parlamentarischen Fragerechts stellen, in den Ausschüssen, beispielsweise heute Morgen, überhaupt nicht
beantwortet werden .
({0})
Deshalb haben wir als Parlament ein großes Interesse,
hier Antworten auf unsere Fragen zu bekommen .
Ich würde gerne in diesem Zusammenhang eine Frage
stellen . Sie haben ja gesagt: Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag . Die Bundesregierung laviert seit einer Woche und
sagt: Einerseits ist es eine politische Willenserklärung,
andererseits ergibt sich daraus eine allgemeine Rechtspflicht. Ich möchte gerne wissen: Inwiefern ergibt sich
aus dieser politischen Willenserklärung nach Artikel 42
Absatz 7 EU-Vertrag - die Franzosen haben ja diese
Klausel aktiviert und um militärischen Beistand gebeten - eine allgemeine Rechtspflicht? Und ist es richtig, Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
Frau Dağdelen.
- wie Ihr Staatssekretär Steinlein bei uns in der Fraktion
letzte Woche gesagt hat, dass die Europäische Union damit im Krieg ist, Herr Minister?
Ich glaube nicht, dass Herr Steinlein das bei Ihnen so
gesagt hat . Ich war nicht dabei .
Ansonsten - ganz kurz und eindeutig -: Ich habe die
völkerrechtliche Legitimation hier erläutert . Wir stützen
uns auf Artikel 51 der UN-Charta in Verbindung vor allen Dingen mit Resolution 2249 des UN-Sicherheitsrats .
Ergänzend dazu - so steht es auch im Mandat - stützen
wir uns auf die Anforderung und Bitte der Franzosen,
Unterstützung zu leisten; dem kommen wir nach .
Ich habe noch zwei Wortmeldungen von den Kollegen
Trittin und Ströbele . Sind Sie einverstanden, dass ich die
beiden noch aufrufe? - Das ist der Fall . Dann hat der
Kollege Trittin das Wort .
Herr Bundesminister, es gibt ein Selbstverteidigungsrecht gegen nichtstaatliche Akteure - unbestritten . Die
entscheidende Frage ist: Wie weit reicht es? Wir haben
diese Frage damals, nach 9/11, in unserer gemeinsamen
Bundesregierung so beantwortet: Beschluss des Sicherheitsrates, Bezugnahme auf Kapitel VII der UN-Charta .
Damit sind wir in einen schwierigen Krieg gezogen, dessen Ergebnisse, glaube ich, keinen von uns hier im Hause
zufriedenstellen .
Jetzt haben wir den Fall, dass eine Sicherheitsratsresolution vorliegt - sie ist unmittelbar davor verfasst worden -, die sich auf diese schwierige Situation bezieht . Sie
benennt aber explizit nicht Kapitel VII der UN-Charta .
Daraus kann man ja wohl schließen, dass der Sicherheitsrat gerade nicht ermächtigt hat; denn sonst hätte er das
hineingeschrieben .
({0})
Warum haben Sie jetzt plötzlich, anders als vorher, die
Rechtsauffassung der damaligen US-Präsidentschaft unter Bush übernommen, dass das Recht und die Souveränität der Staaten - das ist ein wichtiges Völkerrechtsprinzip - hinter dem War on Terror zurückzustehen haben?
({1})
Herr Trittin, ich kann Sie ja vermutlich nicht überzeugen, wenn Sie zu der Auffassung gelangt sind, das von
uns vorgelegte Mandat nicht zu unterstützen . Aber ich
glaube, es ist einfach nicht fair und nicht richtig, wenn
Sie behaupten, allein Kapitel-VII-Mandate würden völkerrechtliches Handeln legitimieren .
({0})
Wäre es so, brauchte es Artikel 51 der UN-Charta überhaupt nicht .
({1})
Herr Kollege Ströbele .
Danke, Herr Präsident . - Ich frage die Bundesregierung, Minister Steinmeier und Frau Ministerin von der
Leyen: Haben Sie bei Ihrer Entscheidung, ein solches
Mandat zu beschließen und hier vorzulegen, die Erfahrungen aus Afghanistan und aus dem Irak berücksichtigt?
In Afghanistan wurde der Krieg nach 14 Jahren - nach
14 Jahren - verloren . Im Irak wurde die Erfahrung gemacht, dass dieser Krieg wahrscheinlich eine der zentralen Ursachen für die Entstehung von ISIS bzw . des IS
war . Das ist gerade erst vor wenigen Tagen wieder einmal von einem US-General so formuliert worden, der
nicht nur den Irakkrieg für falsch angesehen, sondern
auch erklärt hat, dass er einer der zentralen Gründe für
die Entstehung von ISIS war .
Warum machen Sie jetzt den gleichen Fehler und
schlagen das gleiche Vorgehen vor,
({0})
das im Wesentlichen in Bombardierungen besteht,
({1})
wobei immer wieder auch zivile Ziele getroffen und Zivilisten verletzt und getötet werden, was dazu führt, dass
der Hass in der Bevölkerung und bei Sympathisanten
zunimmt, wodurch neue Selbstmordattentäter und Ähnliches hervorgebracht werden?
({2})
Herr Ströbele, ich bin teilweise durchaus Ihrer Meinung, wenn Sie sagen, dass die damalige militärische Intervention im Irak falsch war . Wie Sie habe auch ich sie
damals abgelehnt . Ich bin, wie Sie, auch der Meinung,
dass der Mittlere Osten anders aussähe, wäre es damals
nicht dazu gekommen . Das damalige Vorgehen hat Dynamiken in Gang gesetzt, die bis heute wirken .
Nur - noch einmal -: Ich bin kein Historiker . Ich kann
mich nicht hierhinstellen und Vorgänge aus der Vergangenheit bewerten, sondern wir müssen mit der eingetretenen Lage umgehen .
({0})
Da widerspreche ich Ihnen ganz heftig, weil wir uns gerade nicht auf eine militärische Logik beschränken . Vielmehr ist es so, wie ich in vielen Reden, die ich vor diesem
Hohen Haus gehalten habe, immer wieder gesagt habe:
Niemand glaubt daran, dass der Syrien-Konflikt am Ende
militärisch zu lösen ist . Wir setzen auf eine politische
Lösung . Aber wir müssen die Chance dafür in der Hand
behalten .
({1})
Vielen Dank . - Nach der getroffenen Vereinbarung
sind wir damit am Ende der Befragung der Bundesregierung .
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte
zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung
mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über
die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 ({0}), 2199 ({1}), 2249 ({2}) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Drucksache 18/6866
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf der Ehrentribüne eine Delegation des Ausschusses für europäische Angelegenheiten der französischen Nationalversammlung unter Führung der Ausschussvorsitzenden
Madame Auroi begrüßen .
({4})
Ihnen wie auch dem Herrn Botschafter gilt unser besonderer Gruß . Wir freuen uns, dass Sie gerade an diesem
Tag an unseren Beratungen im Deutschen Bundestag Anteil nehmen . - Vielen Dank .
({5})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese jetzt folgende Aussprache 77 Minuten vorgesehen . - Das ist offenkundig einvernehmlich . Dann können
wir so verfahren .
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier .
({6})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Botschafter Etienne! Liebe Kolleginnen und Kollegen der französischen Nationalversammlung! Es gibt
eine Botschaft, die im Internet zirkuliert und schon zigtausend Mal geteilt wurde, nämlich die Worte eines jungen Vaters, der seine Frau bei den Anschlägen von Paris
verloren hat . Er schreibt an die Mörder: „Ihr bekommt
meinen Hass nicht .“ Er schaut dabei auf seinen Sohn, der
gerade 17 Monate alt ist, und schreibt weiter:
. . . sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch
beleidigen, indem er glücklich und frei ist . Denn
nein, auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen .
Das sagt dieser Mann in der Stunde größter Trauer,
und er hat so recht . Hass wird uns auf der Suche nach
den Gründen für die barbarischen Taten der Terroristen
von Paris nicht helfen, und Hass darf für uns natürlich
auch nicht Ratgeber für die politische Antwort auf IS und
islamistischen Terror sein . Darin sind wir uns, ganz unabhängig davon, wie wir zu dem konkreten Mandat und
dem Einsatz stehen, hier in diesem Hohen Haus hoffentlich einig .
({0})
Der IS-Terror richtet sich gegen die offene Gesellschaft und gegen alle, die frei und ohne staatliche, ideologische und religiöse Bedrängnis leben wollen - ob hier
in Europa, im Mittleren Osten, in Paris, in Tunis oder
in Beirut . Er richtet sich gegen Christen und Atheisten,
gegen Juden und Muslime . Er hat fundamentale und fanatische Ausmaße, und so fundamental und umfassend
dieser Terror wirken will, so umfassend und geschlossen
müssen wir ihm begegnen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Paris, der französische Präsident hat Europa um Unterstützung gebeten,
und Europa hat fast ausnahmslos Unterstützung versprochen . Die Europäische Union rückt zusammen . In Frankreich wurde ganz Europa getroffen, und deshalb muss
Europa gemeinsam mit Frankreich eine Antwort geben .
Bei der Suche nach der Antwort bleibt richtig: Am
Ende wird es keine militärische Lösung für den syrischen
Konflikt geben. Natürlich wissen wir alle, dass der Terrorismus am Ende nicht allein militärisch besiegt werden
kann . Deshalb haben alle, die das sagen und vorbringen,
recht . Ich füge hinzu: Das ist aber nicht die ganze Antwort, sondern wir müssen auf mehreren Ebenen Antworten geben . An erster Stelle stehen natürlich politische
Verhandlungen zur Konfliktlösung. Zweitens brauchen
wir eine regionale Stabilisierung, und drittens, ja, sind
zurzeit auch noch militärische Mittel notwendig .
Wenn wir nicht verhindern, dass sich der IS noch
weitere Teile Syriens unter den Nagel reißt, dann wird
in Syrien nichts übrig bleiben, was wir befrieden und
durch einen politischen Prozess in eine andere, hoffentlich bessere, Zukunft überführen können . Das ist nicht
allein meine Erkenntnis oder die der gesamten Bundesregierung, so sehen es auch Amerikaner, Russen und regionale Akteure . Ich füge hinzu: In einem Jahr könnten
wir mit all diesen Überlegungen möglicherweise zu spät
kommen . In einem Jahr gibt es vielleicht auch für eine
Opposition, die in Syrien noch vorhanden und aktiv ist,
möglicherweise nichts mehr zu bestellen und auszurichten . Auch davor dürfen wir die Augen nicht verschließen .
Deshalb ist ein einfaches und kategorisches Nein zu
jeder militärischen Auseinandersetzung mit dem IS trotz
der Priorität der politischen Lösung, für die ich nun wirklich eintrete, eben kein Beitrag zur Sicherung Syriens
und der Zukunft Syriens . Das muss sich jeder klarmachen, der schon jetzt weiß, dass er dieses Mandat ablehnen wird .
({1})
Ich habe letzte Woche an dieser Stelle gesagt: Die
Bundesregierung steht zum Versprechen der Solidarität,
das wir Frankreich gegeben haben . - Wir haben unser
Angebot - Frau von der Leyen hat es eben gesagt - sorgfältig abgewogen . Wir tun das, was militärisch gebraucht
wird . Wir tun das, was wir können, und wir tun das, was
wir verantworten können .
Die Bundesverteidigungsministerin wird dazu unterrichten: Im vorliegenden Mandat fallen darunter Maßnahmen zum Schutz, zur Aufklärung und zur logistischen
Unterstützung der internationalen Koalition gegen IS .
Aber in die Strategie gehört eben auch die Aufstockung
der wichtigen VN-Mission MINUSMA in Mali und ebenso die Fortsetzung dessen, was Deutschland schon seit
dem Sommer 2014 leistet, nämlich Unterstützung durch
Ausbildung und Ausrüstung der Peschmerga im Irak .
Wenn man es einmal genau betrachtet, sind es in den
letzten anderthalb Jahre die Peschmerga im Nordirak gewesen, die den IS am Boden bekämpft und die nicht nur
den Vormarsch des IS im Irak gestoppt haben, sondern in
den letzten Tagen und Wochen mit Blick auf Sindschar
sogar vom IS beherrschtes Territorium befreien und zurückgewinnen konnten . Ich werde mir davon in allernächster Zeit selbst vor Ort ein Bild machen .
Der Einsatz, über den wir in dieser Woche entscheiden, ist nicht nur Erfüllung eines Solidaritätsversprechens gegenüber Frankreich . Er ist aus meiner Sicht notwendig . Er ist völkerrechtlich legitimiert . Deutschland
unterstützt Frankreich, Irak und andere im Kampf gegen
IS auf Grundlage des Rechts der kollektiven Selbstverteidigung, wie es in Artikel 51 der UN-Charta zum Ausdruck gebracht wird .
In mittlerweile drei Resolutionen hat der VN-Sicherheitsrat festgestellt, dass IS weltweit eine Bedrohung für
Frieden und Sicherheit ist . In der Resolution 2249, erst
drei Wochen alt, hat der Sicherheitsrat nach den Anschlägen von Paris die Staatengemeinschaft aufgerufen, alle
notwendigen Maßnahmen gegen diese Bedrohung zu ergreifen . Ebenfalls nach den Anschlägen von Paris hat sich
Frankreich als erster Mitgliedstaat der EU auf die Beistandsklausel in Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages,
also des Lissabon-Vertrages, berufen . Deutschlands militärische Beiträge erfolgen, soweit die kollektive Selbstverteidigung zugunsten von Frankreich geleistet wird,
zusätzlich auch in Erfüllung dieser EU-Beistandsklausel .
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat,
wenn ich es richtig sehe, ebenfalls die verfassungs- und
völkerrechtliche Legitimität des Auslandseinsatzes der
Bundeswehr festgestellt . Das wird hoffentlich zur Klärung der offenen und hier diskutierten Fragen sowie der
rechtlichen Aspekte der Debatte beitragen .
Meine Damen und Herren, jenseits des Politischen,
jenseits der rechtlichen Debatte, gibt es auch diejenigen,
die sagen: Wenn wir jetzt in diesem militärischen Kampf
mitmachen, ziehen wir dann nicht geradezu den Zorn der
Terroristen auf uns in Deutschland? Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Das halte ich am Ende doch für eine perfide Logik. Abschottung,
Lichter aus, Rollläden runter, wenn Terroristen durch die
Straßen ziehen, und hoffen, dass sie beim Nachbarn landen, wo die Fenster noch hell erleuchtet sind, das kann
nicht unsere Logik sein .
({2})
Ich glaube, wenn wir nach dieser Logik handeln würden,
dann würde das weder unsere Umgebung noch die Nachbarschaft sicherer machen, sondern das Gegenteil wäre
der Fall . Wir würden, wenn wir so handelten und uns so
verhielten, freiwillig etwas von dem preisgeben,
({3})
was uns ausmacht und wofür wir eigentlich öffentlich
streiten sollten . Das ist jedenfalls meine Auffassung .
({4})
Damit komme ich zu dem, was ich für wirklich wichtig und entscheidend halte: Für die Bundesregierung bewegt sich dieses militärische Engagement, über das wir
aus Anlass des Mandates, das wir Ihnen vorlegen, reden
und debattieren müssen, in einem ganz festen Rahmen .
Alles, was wir tun, tun wir eben gerade nicht beschränkt
auf eine militärische Logik, sondern eingebettet in einen
politischen Prozess . Dafür, dass dieser überhaupt stattfindet, hat - glaube ich - kaum einer mehr gestritten als
diese deutsche Bundesregierung .
({5})
Ich will sagen: Unser militärisches Engagement, über
das wir hier im Verlauf dieser Woche entscheiden werden, ist Teil unserer Politik gegen den IS, aber es ist ganz
gewiss nicht Ersatz für Politik . So wollen wir jedenfalls
nicht verstanden werden, so will ich nicht verstanden
werden . Deshalb: So notwendig die militärische Auseinandersetzung ist, über die wir heute debattieren und
vielleicht auch streiten, so sehr bleibe ich dabei, dass wir
auf der politischen Ebene weiter beharrlich für eine politische Lösung arbeiten müssen, mit dem Ziel, ein Ende
des syrischen Bürgerkriegs zu erreichen .
Darum werden wir ganz zuvorderst die in Wien begonnenen diplomatischen Anstrengungen für ein Ende
der Kampfhandlungen in Syrien fortsetzen . Es gibt keinen Grund für Optimismus; das wird jeder bestätigen,
der den Nahen und Mittleren Osten kennt . Aber nach fünf
Jahren Bürgerkrieg, nach 300 000 Toten, nach 12 Millionen Menschen, die in Syrien ihre Heimat verloren haben, haben wir mit dem, was in Wien begonnen hat, zum
ersten Mal immerhin so etwas wie einen kleinen Hoffnungsschimmer . Es ist ein Hoffnungsschimmer, der nur
darin besteht, dass zum ersten Mal alle internationalen
Partner an einem Tisch sitzen . Es sind alle diejenigen,
die wir brauchen, um über die Zukunft Syriens zu reden:
Russland, die USA und natürlich die Europäer, der Iran,
Saudi-Arabien, die Türkei . Es sind Kontrahenten, von
denen ich noch vor einigen Wochen nicht geglaubt hätte,
dass sie durch dieselbe Tür in denselben Raum gehen und
dort gemeinsam an einem Tisch bleiben .
Ich sage deshalb: Es gibt zum ersten Mal eine ganz
schmale Basis - ich übertreibe nicht - für Common
Ground, was das weitere Vorgehen der internationalen
Staatengemeinschaft gegenüber Syrien angeht . Alle, die
da sitzen, wollen, dass das Krebsgeschwür IS, das im
Mittleren Osten alle und nicht nur Syrien bedroht, beseitigt wird . Alle haben Angst davor, dass ein Zerfall Syriens auch die Nachbarstaaten wie den Libanon in den
Abgrund reißt . Deshalb gibt es eine wichtige, wenn auch
eine noch ganz vorsichtige Verständigung auf die nächsten Schritte, die innerhalb der nächsten 18 Monate, beginnend in der nächsten Woche mit den Gesprächen mit
der Opposition, die in Riad stattfinden, gegangen werden
sollen .
Dann wird es hoffentlich noch vor Weihnachten, vielleicht in der dritten Dezemberwoche, eine erneute Zusammenkunft im Format der Wiener Runde geben, bei
der der Versuch gemacht werden soll, nach den Gesprächen mit der Opposition zu ernsthaften Gesprächen über
einen Waffenstillstand zwischen den bewaffneten Kräften der Opposition und den bewaffneten Kräften des Regimes - ich betone: nicht nur der Armee - zu kommen .
Wenn dieser Schritt gelänge, dann wäre die Chance gegeben, dass wir im Weiteren tatsächlich in Gespräche über
die Errichtung einer Übergangsregierung eintreten . Das
ist zwar alles noch weit weg, aber umso härter müssen
wir dafür arbeiten, dass wir diesem Ziel näher kommen .
Was bedeutet das für Assad? Diese Frage ist im Augenblick in allen Zeitungen zu lesen . Die Frage, wie man
mit Assad umgeht, hat unterschiedliche Konjunkturen .
Vor drei Wochen haben wir in vielen Zeitungen gelesen,
dass der eigentliche Fehler sei, dass man nicht mit Assad rede . Wenn man die Zeitungen von gestern und heute
aufschlägt, dann hat sich das im Augenblick wieder geändert . Jetzt ist eher der Vorwurf: Ihr macht den Pakt mit
dem Teufel, ihr macht euch mit Assad gemein .
Ich sage für die Bundesregierung: Niemand in der
Bundesregierung vergisst die furchtbaren, die grausamen Verbrechen, für die Assad Verantwortung trägt . Das,
was wir tun, hat mit militärischer Kooperation mit Assad
nichts zu tun . Richtig ist aber auch: Solange sich die syrischen Bürgerkriegsparteien nur untereinander bekriegen
und abnutzen, ist nur einer der Gewinner, und das ist IS .
Daran hat auf Dauer niemand ein Interesse, jedenfalls
niemand derjenigen, die in Wien mit uns an einem Tisch
sitzen .
Das Regime kann jetzt zeigen, ob es wirklich bereit
ist, gegen IS-Terroristen zu kämpfen, oder ob es weiter
Fassbomben oder Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzen will . Die Entscheidung liegt nicht
bei uns . Sie liegt nicht einmal bei der syrischen Opposition . Sie liegt bei Assad selbst .
Das sind Dinge, auf die es ankommt, meine Damen
und Herren . Der politische Prozess steht für uns im Vordergrund . Das militärische Handeln wird in diesen politischen Prozess eingebettet sein und bleiben . Deshalb
werbe ich für die Unterstützung unseres Antrags zu dem
Mandat, den wir Ihnen vorgelegt haben, und ich werbe
mit dem Versprechen, dass wir unsere ganze Kraft der am
Ende notwendigen politischen Lösung widmen werden .
Vielen Dank .
({6})
Das Wort erhält nun der Kollege Dietmar Bartsch für
die Fraktion Die Linke .
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Botschafter! Liebe französischen Kolleginnen und
Kollegen! Die Befragung der Bundesregierung und auch
die Rede des Außenministers haben viel erklärt . Aber
eines bleibt: Deutschland wird Kriegspartei . Wenn am
Freitag im Deutschen Bundestag eine Mehrheit zustande
kommen sollte, werden deutsche Soldaten in ein neues
militärisches Abenteuer geschickt . Die Linke wird diesen
Auslandseinsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den
IS geschlossen ablehnen .
({0})
Lieber Frank-Walter Steinmeier, eines darf ich einfordern: Diejenigen, die Ja sagen, machen sich mit Sicherheit Gedanken . Aber diejenigen, die Nein sagen, mit
Sicherheit auch .
({1})
Es kann doch nicht sein, dass das eine ein einfaches Nein
und das andere ein überlegtes Ja ist . Das ist nicht die Logik .
({2})
Im Übrigen gibt es auch bei den Sozialdemokraten einige, die Nein sagen .
({3})
Diese Position ist keineswegs ausgeschlossen .
Ja, Sie haben recht: Der Terror sollte uns alle treffen .
Das waren Anschläge gegen die Zivilisation, gegen die
offene Gesellschaft, gegen die Werte der Aufklärung
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit . Das ist unbestritten . Die Linke ist solidarisch mit allen Kräften der Zivilisation, und sie ist solidarisch mit dem französischen
Volk . Das ist völlig unbestritten .
Aber Freundschaft kann auch bedeuten, wie wir alle
wissen, dass man Nein sagt, dass man widerspricht,
wenn man glaubt, dass eine falsche Entscheidung getroffen wird . Alle Erfahrungen bestätigen: Terror lässt sich
nicht mit Krieg besiegen . Terror lässt sich nicht mit Bomben besiegen, meine Damen und Herren .
({4})
Es ist eben daran erinnert worden: Der IS selbst ist
ein Produkt des Krieges . Der US-Krieg gegen den Irak
hat zumindest einen Beitrag zum Erstarken des IS geleistet . Ich will auch daran erinnern, dass Bundeskanzler
Gerhard Schröder aus gutem Grund Nein gesagt hat . Das
war eine der vernünftigen Entscheidungen der damaligen
Legislaturperiode . Auch daran kann erinnert werden .
Wir können aber mit dieser Entscheidung, wenn wir
uns jetzt beteiligen, in eine Spirale von Gewalt und Vergeltung kommen . Das ist die Gefahr . Ja, Herr Steinmeier:
Hass ist keine Antwort . Das ist doch völlig klar .
Wir begrüßen es im Übrigen, wenn dieser schmale
Grat, den Sie in Wien gefunden haben, weiter führt . Das
ist richtig . Aber jede Bombe, die auf Rakka fällt, und jede
Bombe, die auf andere Städte fällt, treibt dem „Islamischen Staat“ neue Kämpfer zu . Das ist die Wahrheit . Es
wird auch die Grundlage für neue Attentate gelegt . Das
ist die Wahrheit .
Wir wissen doch alle, dass dort Wahnsinnige am Werk
sind . Das ist unbestritten; darin sind wir uns in diesem
Haus doch einig . Das sind Menschen, die Jesiden und
Christen enthaupten, und sie enthaupten andere, die aus
ihrer Sicht Ungläubige sind . Sie vergewaltigen Frauen
und junge Mädchen, betreiben Sklavenhandel und zerstören jahrtausendealte Kulturgüter . Das alles ist wahr .
Sie terrorisieren und morden inzwischen weltweit .
Ja, denen muss das Handwerk gelegt werden . Aber
Bomben sind die falsche Antwort . Kann es sein, dass wir
deren Logik bedienen? Bedienen wir damit vielleicht die
Logik des IS?
({5})
Die Logik des IS ist doch ganz einfach: Es handelt sich
um einen Kreuzzug des Westens gegen alle Muslime . Dieser Logik dürfen wir nicht folgen . Wir agieren gemeinsam gegen die Barbarei und nicht gegen Muslime .
({6})
Lassen Sie mich zum Mandat selbst etwas sagen . Was
ist eigentlich das Ziel dieses Einsatzes? Ich habe gehört,
dass es die Zerstörung des IS ist . Einverstanden! Aber
nach allen Darlegungen und allem, was ich gehört habe,
gibt es keine Strategie, noch nicht einmal eine militärische . Wer agiert dort wie? Ich kenne nicht einen militärisch Verantwortlichen, der sagt, mit Luftschlägen sei das
Problem zu lösen .
({7})
Aber Sie entscheiden sich für Luftschläge . Das kann
doch nur der falsche Weg sein . Was soll denn damit erreicht werden?
({8})
Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass
aktuell die Kurden die Einzigen sind, die entschlossen
gegen den IS kämpfen und auch Erfolge vorzuweisen
haben . Da müssen Sie mir eines erklären: Der US-Verteidigungsminister Carter hat die Türkei aufgefordert,
gegen den IS zu kämpfen und nicht Bomben auf Kurden
zu werfen . Die Kurden unterstützen wir doch . Es ist doch
völlig absurd, dass wir die Kurden unterstützen, während
die Türkei gegen die Kurden agiert .
Erklären Sie mir noch etwas . Wenn die Tornados dort
Bilder machen, die dann natürlich auch den NATO-Verbündeten zur Verfügung gestellt werden: Können Sie eigentlich garantieren, dass die Türkei diese Bilder nicht
gegen die Kurdinnen und Kurden nutzt?
({9})
Können Sie das eigentlich garantieren? Das können Sie
eben nicht .
({10})
Die Türkei hat über viele Jahre eine extrem problematische Rolle als Transitland des Terrorismus eingenommen . Jetzt, wo es eine Erpressungssituation wegen der
Flüchtlinge gibt, wird die Türkei auf einmal unterstützt .
Das darf so nicht sein . Hier muss Klarheit herrschen .
Hier darf es keine unterschiedlichen Maßstäbe für die
Türkei geben .
({11})
Wenn man in ein solches Kriegsabenteuer geht, muss
zu Beginn die Frage beantwortet werden: Wie kommen
wir da wieder heraus?
({12})
Es ist doch allgemeiner Kenntnisstand, dass zu Beginn
eines solchen Einsatzes über eine Exitstrategie geredet
werden muss . Wie sieht denn das Konzept für danach
aus? Der Deutsche BundeswehrVerband sagt, der Einsatz
dauere mindestens zehn Jahre . Hier im Parlament entscheiden wir darüber innerhalb von zehn Stunden, aber
das sei dahingestellt . Es fehlt jedenfalls eine wirkliche
Perspektive für Syrien . Wie soll diese aussehen? Es fehlt
eine Perspektive für den Irak . Es fehlt eine Perspektive
für die Kurdinnen und Kurden . Wenn der BND nun sogar sagt, dass Saudi-Arabien ein gefährlicher Partner ist,
dann ist das, was dort betrieben wird, völlig absurd .
({13})
Der IS ist heute die stärkste und reichste Terrororganisation . Auch das ist nicht vom Himmel gefallen . Er
finanziert sich weiterhin aus privaten Geldspenden aus
der Golfregion. Der Ölhandel floriert noch immer. Der
Handel mit geraubten und antiken Kulturgütern blüht
weiterhin . Was geschieht denn nun, um Waffen- und Munitionslieferungen in diese Region zu verhindern? Was
passiert denn, damit der Zustrom von Kämpfern, der
gerade wieder größer geworden ist, beendet wird? Jede
Nacht kommen Kämpfer über die türkische Grenze; das
wissen die Dienste . Dieser Zustand muss doch beendet
werden . Wir müssen Druck auf die Türkei ausüben und
dafür sorgen, dass die Grenze geschlossen wird . Da können wir doch nicht einfach zusehen .
({14})
Wer sorgt denn praktisch dafür, dass Konten des IS und
seiner Sponsoren ausfindig gemacht und dann gesperrt
werden? Das wäre eine Aufgabe, die wir erledigen sollten .
Eine Anmerkung sei mir noch gestattet, die mir wirklich wichtig ist . Viele Staaten stellen nun für die Bombardements Millionen zur Verfügung . Aber in den Flüchtlingslagern mangelt es an Nahrungsmitteln . Ich habe
unlängst einen Bericht über ein Lager im Irak gesehen .
Der UNHCR beklagt, dass dieses Lager kurz vor einem
Choleraausbruch steht . Ich glaube, alle hier im Raum
wissen, was das bedeutet . Es wird Tausende Tote geben,
wenn das geschieht . Es ist doch unfassbar, dass die zivilisierte Welt das zulässt . Da muss doch sofort Geld in die
Hand genommen werden .
({15})
Ein solcher Ausbruch führt nicht nur zu Tod und Leid,
sondern verstärkt auch den Zulauf des IS . Hier sind nicht
nur wir, sondern auch viele andere gefragt . Dafür muss
möglichst schnell Geld zur Verfügung gestellt werden .
Zum Rechtlichen wurden schon umfangreiche Ausführungen gemacht . Der Kollege Lindner hat darauf
hingewiesen . Jürgen Trittin hat das sehr vernünftig dargelegt .
Sie wollten doch ein UN-Mandat nach Kapitel VII der
UN-Charta . Das ist doch Ihr Wille gewesen . Wenigstens
dieser Logik muss man doch folgen . Aber es gibt diesen
Beschluss nicht . Dafür muss es doch Gründe geben . Vielleicht gibt es Gründe dafür, dass es ihn nicht gibt . Wenn
das so ist, dann sind mindestens Nachfragen gestattet .
Wir werden das von Fachleuten - auch ich bin kein
Fachmann - prüfen lassen und werden sehen, wie wir zu
diesem Mandat stehen . Es scheint mir zumindest auf sehr
wackligen Füßen zu stehen .
({16})
Eine Frage sei mir noch gestattet: Was haben Sie eigentlich aus den anderen Bundeswehreinsätzen gelernt?
({17})
Ich will an die Debatte von damals - ich war schon
dabei - erinnern, als es um den Afghanistan-Einsatz ging .
Es wurde heftig debattiert . Fakt ist - das müssen wir heute doch gemeinsam konstatieren -: Zehntausende zivile
Opfer, über 50 tote Bundeswehrsoldaten, und der Terror
hat weiterhin in Afghanistan eine Adresse . Die Taliban
sind auf dem Vormarsch . Alle gesteckten Ziele sind nicht
erreicht worden .
({18})
Da sollten wir gemeinsam sehr nachdenklich werden .
({19})
Sie sollten aus diesem Einsatz lernen .
({20})
- Wissen Sie, ich kann die Aufregung ein bisschen verstehen .
({21})
Aber das Thema ist viel zu ernst; denn wir alle gemeinsam gehen nicht dorthin, sondern wir schicken Soldatinnen und Soldaten dorthin . Da ist ein etwas höheres
Maß an Seriosität gefragt .
({22})
Ich will damit schließen, dass die entsetzlichen Attentate von Paris weltweit junge Menschen auf die Straßen
gebracht haben, die mehr Offenheit und mehr Demokratie gefordert haben . Sie wollen eine zivilisierte Antwort
auf den Terror .
({23})
Aber wir beraten heute über den Einsatz der Bundeswehr .
Wir sagen Nein zu diesem Mandat, wir sagen Nein
zum Krieg gegen den Terror .
Herzlichen Dank .
({24})
Vielen Dank, Dietmar Bartsch . - Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Guten Tag, liebe Gäste!
Bienvenue chers collègues!
Nächste Rednerin in der Debatte ist die Bundesministerin Dr . Ursula von der Leyen .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Chers amis français! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Lieber Herr Bartsch, Sie haben das
eben als ein Abenteuer bezeichnet, in das wir die Soldatinnen und Soldaten schicken .
({0})
Ich empfinde das als unmöglich. Das ist bitterer Ernst.
Das ist kein Abenteuer .
({1})
Sie haben zu Recht die grauenvollen Taten geschildert, die der IS anrichtet . Sie haben zu Recht geschildert,
wie die Jesiden abgeschlachtet worden sind, wie Frauen
und Kinder auf den Basaren jeden Freitag in dem vom
IS eroberten Gebiet verkauft werden . Sie haben nicht erwähnt - aber auch das gehört dazu - die Massengräber,
die jetzt in Sindschar gefunden worden sind: 120 Tote
in dem sechsten Massengrab, vorwiegend ältere Frauen, weil der IS sie nicht mehr gebrauchen konnte . Wenn
ich mir diese Gedankenwelt vor Augen führe und Sie
dann sagen - zu Recht -, man müsse diesen Barbaren
das Handwerk legen, dann erwarte ich auch, dass Sie sagen, wie . Dazu haben Sie kein einziges Wort gesagt, kein
einziges Wort . Sie werden mit dem IS nicht einfach nur
verhandeln können .
({2})
Es gibt noch einen weiteren Punkt, der mich wirklich
ärgert . Wenn Sie hier sagen - zu Recht -, dass es eine
perfide Propaganda des IS ist, das als Kreuzzug gegen
alle Muslime zu bezeichnen, und uns dann gleichzeitig
sagen, wir müssten aufpassen, dass wir diese nicht auch
noch nähren, dann gehen Sie doch genau dieser Propaganda auf den Leim . Sie überhöhen sie doch, Sie tragen
sie doch ins Land hinein . Wir kuschen davor nicht .
({3})
Frau Ministerin .
Meine Damen und Herren, dieses Mandat zu erteilen,
fällt uns nicht leicht . Es ist eine schwere Entscheidung .
Wir werden einen langen Atem brauchen, und es ist ein
gefährlicher Einsatz .
Wir tun das auch in Solidarität mit unseren französischen Freunden, weiß Gott, aber nicht nur; es ist auch in
unserem eigenen Interesse . Paris hat uns doch gezeigt,
dass wir längst im Fadenkreuz des IS stehen; machen wir
uns da doch nichts vor . Es sind die Kreuzfahrernationen,
die bei den Anschlägen während des deutsch-französischen Fußballspiels angesprochen gewesen sind . Die
Aussage des IS war doch eindeutig: Ihr sollt euch nirgends mehr sicher fühlen, weder in den Fußballstadien
noch in den Cafés, in den Theatern, den Museen, am
Strand, in Flugzeugen oder Zügen . Aber, meine Damen
und Herren, das ist auch eine klare Ansage und Antwort
darauf: Wir lassen uns nicht einschüchtern! Wir lassen
uns unsere freie Art, zu leben, nicht nehmen!
({0})
Ich erinnere mich noch sehr gut, welche Debatten wir
im vergangenen Jahr an dieser Stelle hier geführt haben
mit Blick auf das Irakmandat: Kann es richtig sein, von
der Regel abzuweichen, Waffen in Konfliktgebiete zu
entsenden? Was für einen Nutzen hat die Ausbildung der
Peschmerga? Sind sie überhaupt in der Lage, den IS zu
bekämpfen? Das waren und sind alles berechtigte Fragen; gar kein Zweifel .
Wir haben uns damals entschlossen, diesen Schritt zu
gehen, den uns viele übrigens nicht zugetraut haben . Ich
höre heute fast niemanden mehr, der noch am Sinn der
Unterstützung der Peschmerga zweifelt . Sie haben ihr
Gebiet zurückerobert . Sie haben den IS gestoppt . Sie haben Millionen Flüchtlingen Zuflucht gegeben: 1,5 Millionen Flüchtlinge leben im Gebiet der Kurden, die selbst
dort nur 5 Millionen sind . Sie haben dem IS - ja, auch
dank der MILAN - empfindliche Verluste zugefügt. Die
Peschmerga haben sich als die wirksamsten Bodentruppen herausgestellt .
Heute ist klar, dass Deutschland zu Recht von Beginn
an die Koalitionen gegen den Terror unterstützt hat, und
zwar nicht nur militärisch, sondern auch politisch . Es war
eine richtige Entscheidung .
({1})
Deshalb gilt es, heute zu handeln . Ich bin dem Außenminister dankbar, dass er den politischen Prozess,
der von vorneherein auch im Irak da war, ausführlich
geschildert hat . Von vorneherein war das Bestreben - es
ist bisher erfolgreich gewesen -, diesen fragilen Irak in
seiner Einheit zusammenzuhalten . Sunniten, Schiiten,
Kurden - von vorneherein hat Deutschland die Stabilisierungsbemühungen, wenn Gebiete zurückerobert worden sind, unterstützt . Tikrit ist wieder erobert worden .
Deutschland ist dort gewesen und hat den Wiederaufbau,
die Versöhnungsarbeit nach dem militärischen Einsatz
unterstützt . Meine Damen und Herren, man kann nicht
behaupten, dass das hier nur eine militärische Aktivität
sei . Diese Aktivität ist eingebettet in einen sinnvollen politischen Prozess, und dafür stehen wir mit ganzer Kraft .
({2})
Auch dieser zusätzliche Beitrag ist sinnvoll . Es eilt .
Wir müssen eine entschlossene Antwort auf das, was
in Paris geschehen ist, geben . Unsere Fähigkeiten werden dringend gebraucht . Man kann gar nicht genügend
Aufklärung in diesem Gebiet leisten . Wir haben ja einen
doppelten Auftrag: Ja, er ist einerseits die Bekämpfung
des IS; das muss man auch so klar aussprechen, mit aller Konsequenz . Aber es gilt genauso, am Boden Zivilisten zu schützen, die, die auf unserer Seite kämpfen,
zu schützen . Das heißt, man muss stündlich, minütlich
eine genaue Kenntnis über das, was am Boden in einem
unübersichtlichen Gebiet geschieht, haben . Deshalb sind
die Fähigkeiten der Satellitentechnik und der Recce-Tornados sinnvoll und richtig . Auch die Fregatte ist ein
starkes Zeichen der Solidarität an unsere französischen
Freundinnen und Freunde .
Die vielen Fragen, die gestellt werden, sind legitim das will ich ganz deutlich in den Raum stellen -; aber ich
glaube, wir sind an einem Punkt, an dem wir uns sagen
müssen: Nicht nur durch Handeln kann man sich schuldig machen, sondern auch durch Nichthandeln kann man
schwere Fehler begehen .
({3})
Legitim ist auch die Frage: Kann die Bundeswehr,
kann Deutschland diesen Kampf aufnehmen? Übernehmen wir uns nicht an einer hochkomplexen, gefährlichen
Aufgabe, an der schon weit größere Länder zu scheitern
drohten? Auch viele andere Länder nehmen dies auf sich .
Sie sind bereits zu Lande, zu Wasser, aus der Luft gegen
den IS vorgegangen, und sie leisten damit einen Beitrag
zum Gelingen des Ganzen . Das ist ein weltweiter Kampf
gegen den IS und dessen Phänomene . Die Niederlande, Belgien, Großbritannien, Italien, Dänemark, Frankreich - keines der genannten Länder hat es sich leicht
gemacht . Ja, es ist schwer, ja, es braucht Courage - von
uns allen hier im Hohen Hause, aber auch von den Soldatinnen und Soldaten, die wir in diesen Einsatz schicken
werden . Meine Damen und Herren, ich glaube, das Hohe
Haus ist gemeinsam der Meinung: Es hat unseren hohen
Respekt und unsere Anerkennung, wie die Soldatinnen
und Soldaten im Einsatz für uns diese Leistung meistern .
({4})
Viele der genannten Länder haben diese Risiken und
Anstrengungen schon seit geraumer Zeit auf sich genommen . Deutschland ist fest verankert in seinen Bündnissen . Es ist ein verlässlicher Partner . Zuverlässig zeigen
wir Solidarität . So wie wir Solidarität einfordern, so müssen wir sie auch leisten, auch in schwierigen Zeiten, auch
militärisch .
Wegen der Behauptung, es gäbe kein Ziel, wiederhole
ich hier, was ich schon in der Befragung der Bundesregierung gesagt habe: Unser Ziel nennt die Resolution 2249
sehr klar, nämlich den IS bekämpfen - mit allen Mitteln .
Dazu gehört das Militärische . Dazu gehört aber vor allem
der politische Prozess . Dazu gehört der wirtschaftliche
Prozess, nämlich die Finanzströme trockenzulegen; das
hat der Gipfel von Antalya mit sich gebracht . Es geht darum, dem IS die Rückzugsräume zu zerstören . Es geht
darum, zu verhindern, dass er von Syrien und Irak aus
weiterhin auch terroristische Operationen weltweit steuern kann .
Aber es geht noch um mehr . Es geht darum, den politischen Einigungsprozess, den Versöhnungsprozess in Syrien und Irak vorzubereiten - für die Zeit nach IS, wenn
wir IS erfolgreich bekämpft haben; denn die Menschen,
die dort vor dem IS gelebt haben, haben in der grauenhaften Zeit der letzten Jahre tiefe Narben erlitten, weil
zwischen Ethnien, die bis dahin friedlich zusammengelebt haben, Verletzung, Enttäuschung, Verrat stattgefunden haben . Wir werden auch die Versöhnungsarbeit
mit begleiten . Nachdem wir den militärischen Kampf
geschlagen haben werden, kommt eigentlich die echte
Bewährungsprobe auf uns zu: wie es in Syrien und Irak
weitergeht .
({5})
Unser Ziel ist, daran zu arbeiten, dass wir - dazu ist
die Welt aufgefordert - den IS bekämpfen: nicht nur
militärisch - aber auch -, sondern dies auch politisch,
humanitär und wirtschaftlich flankieren, indem wir seine
Öleinnahmen und andere Finanzquellen versiegen lassen. Die Gedankenwelt des IS ist teuflisch; ich glaube,
darüber besteht gar kein Zweifel in diesem Hohen Haus .
Wir müssen ihn bekämpfen, und wir wollen ihn bekämpfen . Dazu soll dieses Mandat einen Baustein nur, aber
einen wichtigen Baustein liefern, und dafür bitten wir um
Ihre Zustimmung .
Danke schön .
({6})
Vielen Dank, Frau Dr . von der Leyen . - Das Wort zu
einer Kurzintervention hat Christine Buchholz .
Vielen Dank . - Frau von der Leyen, es gehört zur Demagogie von Kriegsreden,
({0})
denjenigen, die den Krieg ablehnen, zu unterstellen, sie
hätten keine Antworten . Wenn Sie Herrn Bartsch zugehört hätten, wüssten Sie: Natürlich - das ist ganz klar gibt es Antworten im Kampf gegen den IS .
({1})
Schauen wir, was die US-Regierung gesagt hat, ein
Jahr nachdem sie die Bombardierung von IS-Stellungen
in Syrien und Irak begonnen hat . Sie hat gesagt: Es wurden IS-Kämpfer getötet, aber die Gesamtzahl ist gleich
geblieben . - Das heißt, durch die Bombardierung wurde
der IS nicht geschwächt, sondern er wurde letztendlich
politisch gestärkt .
({2})
Zugleich hat das zu massiven Vertreibungen und Flucht
sowie zu zivilen Opfern geführt . Darüber müssen wir
hier auch reden .
Ich frage mich, ob Sie, wenn Sie die Bilder für die
Bomben liefern wollen, die in den nächsten Wochen und
Monaten auf Syrien, auf Rakka, auf andere Städte geworfen werden, nicht tatsächlich einen Beitrag dazu leisten,
dass der IS Unterstützung erhält, sowohl in Syrien und
im Irak als auch von denen, die ihm in Europa zugehören,
oder ob das tatsächlich ein Beitrag zum Frieden ist .
Wir sind der Auffassung: Mit Krieg, mit Bomben kann
man keinen Terror bekämpfen .
({3})
Ich möchte, dass Sie sich hier dazu auch einmal positionieren und uns nicht pauschal unterstellen, wir hätten
keine Antworten . Die haben wir . Sie haben die falschen .
({4})
Frau Ministerin, Sie haben jetzt die Möglichkeit, zu
antworten .
({0})
- Ja, sie bleibt selbstverständlich während der Antwort
stehen .
({1})
Frau Buchholz, habe ich eben meinen Ohren getraut,
dass Sie tatsächlich insinuieren, die Flüchtlingsströme
aus Syrien und dem Irak kämen wegen des Kampfes gegen den IS, den wir gemeinsam leisten? Ich höre wohl
nicht richtig!
({0})
Die Flüchtlinge fliehen vor dem IS. Die Flüchtlinge sind
vor dem Bürgerkrieg geflohen, der in Syrien stattfindet,
nicht davor, dass wir gegen den IS kämpfen .
({1})
Zweiter Punkt . Sie haben uns eben versucht, zu zeigen,
wie man den IS stoppen kann . Ich habe aber nichts dazu
gehört, was dieses Massakrieren der Menschen, das uns
der IS vorführt, stoppen könnte . Würden Sie das, was Sie
eben als Strategie geäußert haben, tatsächlich den Jesiden ins Gesicht sagen: So hätte man den versuchten Massenmord an den Jesiden stoppen können? - Dann wären
die Jesiden aber weiß Gott aufgeschmissen gewesen .
({2})
Ich glaube, es ist richtig, gelegentlich zu handeln,
auch wenn es schwerfällt .
({3})
Die nächste Rednerin in der Debatte ist Katrin GöringEckardt für Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Krieg in Syrien tobt seit fast fünf Jahren . Man könnte viel sagen über versäumte Chancen, über die Breite
und Unschärfe roter Linien, über das Versagen der Staatengemeinschaft, über Nichtwahrnehmen, Nichthandeln,
über Schutzverantwortung und andere Versäumnisse .
Schlicht: Man könnte viel darüber sagen, warum wir genauso lange nicht richtig hingeschaut haben, als kaum
Flüchtlinge aus Syrien bei uns ankamen .
Syrien ist eine Chiffre geworden für eine Vielzahl von
Dilemmata . Es ist eine Chiffre geworden für die Abwesenheit von einfachen Antworten, für die Abwesenheit
von einfachen Wahrheiten .
Ich stehe hier nicht mit der Attitüde derjenigen, die alles besser wissen oder schon immer gewusst haben . Aber
was ich von Ihnen verlange, ist die Wahrheit über die Situation und Klarheit über die Linie, Frau von der Leyen .
Schon der Zickzackkurs in Bezug auf die Beteiligung der
Regierungstruppen von Assad ist doch alles andere als
eine echte Vertrauensgrundlage .
({0})
Wenn man sagt, dass es nicht einfach ist, Antworten
zu geben, Herr Steinmeier, dann ist es wirklich bodenlos,
uns vorzuwerfen, unsere Motivation sei ein möglicher
Anschlag in Deutschland . Nein, wir reden gerade über
Verantwortung, und das wissen Sie ganz genau .
({1})
Mit den Anschlägen in Ankara, in Bagdad, in Beirut,
in Tunis und in Paris haben wir die grauenvolle Gewissheit, dass die mörderische Ideologie des IS, von Da'isch,
ihren Weg über seinen unmittelbaren Herrschaftsbereich hinaus nach Europa gefunden hat . Sie ist nicht mit
Schlauchbooten und überfüllten Zügen zu uns gekommen, wie die Menschen, die vor der grauenvollen Ideologie und den fürchterlichen Auswirkungen geflohen sind.
Nein, sie ist durch Websites, durch Videos in die Köpfe
derer gekommen, die hier mit Maschinengewehren und
Sprengstoffgürteln gegen unsere europäischen Werte
kämpfen wollen .
Radikale Auslegungen des Islam wie der Wahhabismus verbreiten sich weltweit mithilfe von Sponsoren
aus Saudi-Arabien und Katar, die zwar gute Wirtschaftsbeziehungen zu Europa pflegen - das muss sich Herr
Gabriel anhören -, aber mit ihren Gewinnen genau das
ideologische und materielle Fundament für diesen unsinnigen Terror liefern, meine Damen und Herren .
({2})
Syrien ist, genau wie der Irak, zu einem Ort geworden,
in dem das machtpolitische Vakuum von diesem Terrornetzwerk gefüllt worden ist - ein Terrornetzwerk, das
beide Teile seines selbst gewählten Namens in grausamer
Weise pervertiert, nämlich Islam und Staat . Beides ist es
nicht, und beides wird auf diese Art und Weise pervertiert .
Meine Damen und Herren, nach den brutalen Terroranschlägen haben unsere Partner in Paris unsere Solidarität verdient . Der Anschlag galt uns und unseren gemeinsamen Werten . Es ist alles andere als leicht, hier zu stehen
und einem Mandat nicht zustimmen zu können, von dem
behauptet wird, es sei die Ausfüllung dieser Solidarität .
({3})
ISIS muss militärisch bekämpft werden; da sind wir
mit Ihnen einig . Wir sind uns wahrscheinlich auch einig,
wenn wir sagen: Besiegt werden kann er nur politisch
und ökonomisch . Militärisch? Ja . Aber wie und von wem
und mit welcher Strategie? Darauf haben Sie noch immer
keine Antwort gegeben .
({4})
Auf die erste Frage haben Sie eine schlechte Antwort
gegeben . Ihre schlechte Antwort lautete, es gäbe Angriffe
aus der Luft und unsere Verbündeten wären Putin und der
Massenmörder Assad, die wir irgendwie, aber in jedem
Fall einbinden wollten . Das sind aber zwei Verbündete,
deren Feind mitnichten zuerst ISIS, sondern die syrische
Opposition ist . Kommt Ihnen das nicht völlig schräg vor?
({5})
Das Ergebnis wird doch sein, dass Assad gestärkt wird .
Sie meinen, man müsse endlich mit ihm reden . Aber was
passiert denn bitte schön seit vielen Jahren? Was tut denn
Staffan de Mistura? Das Ergebnis dieser Gespräche ist zu
sehen . Stabilität jedenfalls ist es nicht . Wem genau hilft
denn diese Partnerschaft?
Herr Bartsch, dies geht an Ihre Adresse: Davon zu
reden, dass der Westen gegen die Muslime kämpft, und
die Rolle Putins und Russlands dabei vollkommen auszublenden, ist weder ehrlich noch hat das irgendetwas mit
einer echten Strategie zu tun .
({6})
Während andere schon am Wochenende mit einem
einfachen Nein oder einem bedingungslosen Ja entschieden haben, haben wir das vorliegende Mandat sehr
bewusst ausgiebig geprüft und debattiert . Ich kann nur
sagen: Sie haben uns nicht überzeugt .
({7})
Die Zweifel an der völkerrechtlichen Grundlage bleiben . Vor allem aber können Sie die zentralen Fragen über
diesen Einsatz nicht beantworten: Unter welchen Bedingungen wird der Einsatz denn wieder beendet? Wie soll
ISIS wirklich verdrängt werden? Wer schließt das Vakuum am Boden, nachdem ISIS aus diesen Gebieten verjagt
worden ist? Wer genau sind eigentlich unsere Partner am
Boden, und wie stabilisieren und unterstützen wir sie?
Welche Ziele verfolgen Sie konkret mit diesem Einsatz?
Sie sprechen von einer Allianz von 64 Staaten; Sie
haben das bei der Befragung der Bundesregierung eben
noch einmal gesagt . Was Sie nicht sagen, ist, dass diese Akteure völlig unterschiedliche Ziele verfolgen . Herr
Erdogan behauptet, ISIS zu bekämpfen, bekämpft aber
die Kurden, die ihrerseits den IS bekämpfen . Wladimir
Putin bekämpft zuallererst die Freie Syrische Armee
rund um den Stützpunkt Latakia und hält seine schützende Hand über den Schlächter Assad . Russland hat
in diesem Krieg bereits Fakten geschaffen . Es stellt die
Luftwaffenbasis für Assads Bodentruppen und hat an der
Grenze zur Türkei faktisch eine Flugverbotszone errichtet . Wie wollen Sie bitte sicherstellen, dass die von den
deutschen Tornados gewonnenen Informationen nicht
über Putin dann auch bei Assad landen? Darauf gibt es
bis heute keine Antwort .
({8})
Die Frage lautet: Mit wem, für wen und mit welchem
Ziel?
Sie sagen, Sie hätten eine Koalition der Willigen . Nur:
Der Wille in dieser Koalition ist sehr unterschiedlich .
Das Rumeiern in puncto Kooperation mit Assad oder seinen Truppen bedient doch die Rekrutierungspropaganda
von ISIS . Damit werden die Sunniten in die Arme von
ISIS getrieben . Das können wir nicht wollen . Das können
wir alle nicht wollen, meine Damen und Herren .
({9})
Das gilt übrigens auch für die Linken . Frau
Wagenknecht hat am Wochenende erst einmal reflexartig Nein gesagt, dann aber, dass die Zusammenarbeit mit
Russland und Assad begrüßt werden müsse .
({10})
Wer Assad für das kleinere Übel hält, muss die Frage
beantworten, wie er es denn mit den beschlossenen und
nicht umgesetzten UN-Resolutionen hält, die ein Ende
des Abwurfs von Fassbomben und die Einrichtung von
humanitären Zugängen fordern . Diese Frage wird in diesen Tagen überhaupt nicht gestellt .
({11})
Wer von Realpolitik reden will, der muss auch realistisch sein . Glauben Sie denn im Ernst, ein Flüchtling
kehrt in ein Syrien zurück, in dem Assad und seine Schergen eine Rolle spielen? Es bleibt dabei: Wer ISIS und die
Islamisten wirklich demoralisieren will, der muss ihrer
Ideologie den Boden entziehen . Dort, wo sie verbreiten,
wie schrecklich und abgründig das Leben im Westen
ist, dort, wo sie behaupten, dass Menschen, die Muslime sind, hier schlecht behandelt werden, setzen wir hier
eine Kultur von Willkommen und Integration entgegen .
Nein, das ist nicht radikalpazifistisch, das ist auch nicht
die andere Wange, die man hinhält, das ist der härteste
Kurs gegen ISIS, den wir fahren können, meine Damen
und Herren . Wenn Sie sich anschauen, was die im Internet verbreiten, dann sehen Sie, dass genau diese Position
gestützt wird .
({12})
Wir müssen fragen, was dieses aktionistische militärische Eingreifen zu diesem Zeitpunkt für den in Wien
aufgestellten Fahrplan der Friedensgespräche bedeutet .
Wenn Sie schon nicht mehr über türkische und russische
Innenpolitik reden wollen, dann bitte ich Sie, doch wenigstens klarzumachen, wie deutlich wir die Umsetzung
von Minsk II in der Ukraine weiterhin einfordern, meine
Damen und Herren .
({13})
Sehr geehrter Herr Außenminister, zum Schluss: In
unserer Fraktionssitzung am Donnerstag haben Sie uns
über die Pläne der Bundesregierung informiert . Sie haben zwei Fragen genannt, anhand derer wir heute über
dieses uns nun vorliegende Mandat entscheiden sollen .
Sie haben die Fragen gestellt: Können wir das leisten?
Halten wir es für verantwortbar?
Die erste Frage ist vermutlich mit Ja zu beantworten .
Die entsprechenden Fähigkeiten sind vorhanden; hoffentlich auch die Ersatzteile .
Es ist die zweite Frage, die bei unserer Entscheidung
viel schwerer wiegt: Halten wir es für verantwortbar?
Selbst wer die rechtlichen Bedenken beiseiteschieben
wollte - das wollen wir nicht - oder die Rechtsgrundlage
für tragfähig halten mag - das sagen Sie -, kommt nicht
umhin, festzustellen, dass es mehr Fragen als Antworten
gibt . Niemand will den Feinden der Freiheit und den Angriffen auf unsere Werte und unser Leben tatenlos zusehen . Aber Handeln ohne Perspektive, ohne Idee über das
Danach, mit Deals zulasten Dritter und zulasten derer,
die in Syrien unter ISIS leben und leiden, aber vor allem
unter Assad, nein, das ist nicht verantwortlich, das ist zuerst einmal hilflos.
Für die Solidarität mit Frankreich gilt auch: Es braucht
eine langfristige Strategie . In diese können Einsätze eingebunden sein, auch militärische Einsätze, aber mit Partnern, mit denen man es verantworten kann . Sie machen
einen Einsatz, der kopflos ist, der planlos ist. Am Ende
besteht die Gefahr, dass er das Gegenteil dessen bewirkt,
was er bewirken soll . Deswegen bitte ich Sie sehr darum,
sich zu überlegen, ob dieser Einsatz wirklich das Ziel
verfolgt, ISIS zu bekämpfen, oder ob er kontraproduktiv
ist, meine Damen und Herren .
({14})
Vielen Dank, Katrin Göring-Eckardt . - Der nächste Redner: Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Da ich die Hoffnung nicht ganz aufgegeben habe, dass
bei den Grünen der eine oder andere noch mit sich ringt,
möchte ich ganz konkret auf Sie, liebe Frau Kollegin
Göring-Eckardt, antworten .
Die Frage, die Sie zu Anfang und zum Ende Ihrer Rede
gestellt haben, nämlich, mit wem wir mit diesem Mandat
gegen den IS kämpfen, ist ganz klar zu beantworten: mit
unseren Freunden aus Frankreich, mit den französischen
Streitkräften . Der französische Präsident hat uns um Hilfe und Unterstützung gebeten . Deshalb stehen wir Frankreich zur Seite, sowohl im Mittelmeer, wo der Flugzeugträger unterwegs ist, als auch durch Luftbetankung
und durch Zurverfügungstellung von Aufklärungsdaten .
Deswegen ist diese Frage meines Erachtens doch recht
einfach zu beantworten .
({0})
Dann möchte ich noch einen Gedanken mit Ihnen teilen . Die Grünen stellen die völkerrechtliche Grundlage
für diesen Einsatz infrage . Wesentliches Element dieser
völkerrechtlichen Grundlage ist unserer Meinung nach
die UN-Resolution 2249 . Sie ist am 20 . November im
Wesentlichen dadurch zustande gekommen, dass der
französische Staatspräsident mit großem Verhandlungsund Vermittlungsgeschick dafür gesorgt hat, dass diese
Resolution von allen fünf Vetomächten des Sicherheitsrates mitgetragen wird . Wenn Sie sagen, dies ist keine
ausreichende Grundlage für unsere von Frankreich geforderte Unterstützung, sagen Sie auch, dass der französische Staatspräsident es nicht vermocht hat, die notwendige Unterstützung bei den Vereinten Nationen zu
bekommen . Das kann man machen . Das muss man aber
insbesondere dann nicht machen, wenn es eine genügend
solide Rechtsgrundlage gibt . Es gibt Rechtsauffassungen, nicht zuletzt die des Wissenschaftlichen Dienstes
des Bundestages, die besagen, dass diese Rechtsgrundlage eindeutig ist . Ich würde Sie wirklich bitten, auch im
Zeichen der Solidarität, diese filibusterartig vorgetragene, beckmesserische, seminarmäßig differenzierte Betrachtung der Rechtsfrage hintanzustellen .
({1})
Dann möchte ich, liebe Frau Kollegin Göring-Eckardt,
auch die Frage nach den Daten beantworten . Wir haben
das vorhin im Auswärtigen Ausschuss ausführlich diskutiert . Wir entscheiden darüber, was mit unseren Daten
geschieht . Wir geben keine Streams der Daten an das entsprechende Hauptquartier der Streitkräfte weiter, sondern
wir entscheiden über die Nutzung . Deswegen können wir
auch ausschließen, dass diese Daten in russische Hände gelangen . Wir können damit auch ausschließen, dass
sie über russische Kanäle an Assad weitergehen . Diese
Sorge würde ich Ihnen gerne an dieser Stelle nehmen .
({2})
- Auch die Türkei wird verantwortungsvoll mit diesen
Daten umgehen .
({3})
- Selbstverständlich wird unser NATO-Partner Türkei
verantwortungsvoll mit diesen Daten umgehen . Wir werden natürlich keine Daten übermitteln, die im Kampf gegen den IS nicht benötigt werden .
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung von Herrn Gehrcke?
Herr Gehrcke, bitte schön .
Herzlichen Dank, Herr Kollege . Danke, Frau Präsidentin . - Ich will mich nur vergewissern, ob ich das
richtig gehört habe - ob ich es richtig verstanden habe,
ist dann eine andere Frage . Sie haben gesagt, die Türkei
werde mit den Daten verantwortungsvoll umgehen . Das
kann man im Protokoll nachlesen . Das heißt aber, dass
die Türkei die Daten, die von den deutschen Recce-Tornados erhoben werden, erhält .
({0})
Wie sie dann damit umgeht, ist eine ganz andere Frage .
Im Auswärtigen Ausschuss ist betont worden, die Türkei
bekomme diese Daten nicht .
({1})
Ich bitte Sie, mir zu sagen: Habe ich Sie falsch verstanden?
Lieber Herr Kollege Gehrcke, ich habe gerade in den
letzten Sätzen meiner Ausführungen gesagt, dass wir darüber bestimmen, welche Daten weitergegeben werden,
und dass wir nur Daten weitergeben, die im Kampf gegen
den IS notwendig sind . Insofern gibt es nicht das Problem, das Sie vielleicht vermuten, nämlich dass eine andere Nation mit diesen Daten Schindluder treiben könnte .
Das können wir mit hinreichender Sicherheit ausschließen . Diese Frage ist meines Erachtens ausreichend und
befriedigend beantwortet .
({0})
Das Mandat ist angemessen und effektiv . Wir haben
mit unseren Tornados Aufklärungsmöglichkeiten, die so
in der NATO relativ einzigartig sind . Deswegen sind sie
auch erforderlich, damit man den Kampf gegen den IS
sorgfältig führen kann . Wir haben bereits im Afghanistan-Einsatz bewiesen, dass diese Daten ausgesprochen
sinnvoll sind und wir damit entsprechend einen Beitrag
leisten können .
Wir haben mit unseren Luftbetankungskapazitäten Fähigkeiten, die innerhalb der Europäischen Union und der
NATO ebenfalls nicht alle Nationen haben . Wir haben
das Verfahren bereits mit den Franzosen mit Blick auf
den Mali-Einsatz geübt . Auch die Luftbetankung ist also
ein wesentlicher, substanzieller Beitrag .
Der Schutz des französischen Flugzeugträgers
„Charles de Gaulle“ durch eine Fregatte der Deutschen
Marine - vermutlich wird es die Fregatte „Augsburg“
sein - ist angesichts dessen, dass Flugzeugträger immer
im Verbund operieren, zum Schutz der entsprechenden
Einheiten, ebenfalls ein wichtiger Beitrag zur Entlastung
unserer Partner . Die Fregatte „Augsburg“ hat bereits bei
der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt .
Warum machen wir diesen Einsatz jetzt? Weil es drei
konkrete Gründe gibt, die in den letzten Wochen im
Kampf gegen den IS neu hinzugekommen sind: erstens
die Bitte Frankreichs, Frankreich im Kampf gegen den
IS zu unterstützen, zweitens die UN-Resolution 2249,
mit der alle UN-Mitgliedstaaten ganz klar aufgefordert
werden, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen,
um den IS zu bekämpfen und drittens der auf der Wiener
Konferenz vereinbarte Friedensprozess für Syrien .
Durch die Gespräche unter gemeinsamer Leitung der
Vereinigten Staaten von Amerika und der Russischen
Föderation, vertreten durch die beiden Außenminister
Kerry und Lawrow, und unter Einbeziehung des Iran und
Saudi-Arabiens ist ein Prozess in Gang gekommen, den
wir noch vor wenigen Wochen nicht für möglich gehalten hätten . Dieser Prozess mündet nun unter Führung
Saudi-Arabiens in eine ganz konkrete Konferenz mit den
Kräften der syrischen Opposition . Ich erwarte, dass er in
eine Friedenskonferenz münden wird .
Der syrische Friedensprozess darf jedoch nicht dadurch gefährdet werden, dass sich der IS in Syrien immer
weiter ausbreitet und die Kräfte, die sich in Syrien gegenüberstehen, auch von dieser Seite in Bedrängnis geraten .
Die Beteiligung Deutschlands an diesem Einsatz ist eine
ganz wesentliche Voraussetzung dafür, dass der in Wien
angestoßene Friedensprozess für Syrien zu einem guten
Erfolg geführt werden kann . Das ist ein wichtiges Ziel
des Einsatzes .
Ich mache mir keine Illusionen, dass wir durch die
Unterstützung von Luftschlägen den IS zerstören können . Ich glaube aber, dass sie ein wichtiger Beitrag zur
Eindämmung des IS ist, damit sich die beiden Optionen,
die wir haben - Bekämpfung des IS durch die Peschmerga und Befriedung Syriens -, in den nächsten beiden Monaten positiv entfalten können .
Die Bekämpfung des IS durch die Peschmerga erfolgt
in, wie ich finde, sehr beeindruckender Art und Weise
mit deutscher Unterstützung . Die Ministerin hat darauf
hingewiesen, dass es wahrscheinlich eine unserer klügsten Entscheidungen in diesem Bereich war, über unseren
Schatten zu springen und das Mandat für die Unterstützung der Kurden im Norden des Irak einzuleiten . Wir
sollten den eingeschlagenen Weg fortsetzen . Ich erwarte,
dass wir in den nächsten Wochen über eine entsprechenJürgen Hardt
de Verlängerung und Ausweitung des Mandats reden
werden .
Die Eindämmung des IS auf syrischem Boden zu befördern, das ist eine der ganz zentralen Voraussetzungen
für den syrischen Friedensprozess . Wenn es uns nicht
gelingt, Frieden in Syrien herzustellen, dann werden wir
auch keinen erfolgreichen Kampf gegen den IS führen
können . Denn der IS wird dann im Zweifel nach Syrien
ausweichen können .
Meiner Fraktion und mir ist ganz wichtig, dass der militärische Einsatz, sowohl die Unterstützung der Peschmerga im Norden des Irak als auch das neue Anti- ISMandat, nur eine Komponente unseres Bemühens sein
kann . Die zivile Dimension wird umso wichtiger . Die zivile Dimension wird durch den Militäreinsatz allerdings
auch befördert .
Ich habe bereits über den Wiener Prozess und über
die Notwendigkeit, dass der IS niedergehalten wird, gesprochen . Ich möchte auch dafür werben, dass wir weitere Anstrengungen unternehmen, dafür zu sorgen, dass
in Bagdad eine inklusive Regierung ans Ruder kommt,
dass wir in Bagdad eine Stabilisierung des Staates hinbekommen, sodass die unterschiedlichen religiösen Gruppen an der Regierungsmacht und an den Früchten der
politischen Arbeit teilhaben können . Der Außenminister
reist in Kürze nach Bagdad, wenn ich das richtig gesehen
habe . Ich vermute, das wird an oberster Stelle der Tagesordnung stehen .
Wir müssen uns darüber hinaus den anderen Partnern
in der Region zuwenden . Wir sollten noch stärker, als wir
das bisher tun, darauf achten, die Partner um Syrien herum, also Jordanien, Libanon, natürlich auch die Türkei
und den Irak sowie die Staaten im Norden Afrikas, die
durch IS oder IS-ähnliche Bestrebungen bedroht sind, zu
stabilisieren und zu unterstützen .
Ich finde, es ist eine enorme und beachtliche Leistung,
dass Jordanien und Libanon, aber natürlich auch die Türkei derart viele Flüchtlinge bei sich aufnehmen und ihnen
Obdach geben . Wir sollten diese Staaten in ihrem Bemühen unterstützen . Wir sollten sie ermutigen, diesen Weg
weiterzugehen . Wir sollten dafür sorgen, dass insbesondere Jordanien, dem als Freund Israels in der Region eine
besondere Bedeutung zukommt, stabilisiert wird .
Insgesamt sollten wir mit Blick auf das, was wir erreichen wollen, zu einer Politik aufbrechen, die sich stärker
als bisher dem Thema Nachhaltigkeit zuwendet . Ich hoffe, dass es uns in Libyen gelingen wird, eines Tages mit
einer Regierung über den Aufbau des Landes und über
die Weiterentwicklung zu sprechen . Ich hoffe, dass wir
die stabilisierenden Prozesse, die derzeit in den anderen
Staaten Nordafrikas stattfinden, aktiv unterstützen können .
Ich glaube, dass wir über die Anstrengung, die wir im
Bundeshaushalt 2016 unternommen haben, hinaus im
Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und im
Bereich der humanitären Hilfe zusätzliche Finanzmittel einsetzen sollten, wenn wir das als sinnvoll ansehen .
Außerdem glaube ich, dass die Arbeit für uns im Deutschen Bundestag und für alle diejenigen, die an den Friedensprozessen interessiert sind, dann in eine neue Phase
eintritt, wenn wir mit unseren diplomatischen Bemühungen Erfolg haben; denn falls es ein Friedensmandat für
Syrien gibt, falls es einen Friedensschluss gibt, werden
natürlich folgende Fragen gestellt werden: Wer garantiert
diesen Frieden? Wer unterstützt diesen Frieden? Wer hilft
beim Wiederaufbau dieses Landes? Wer hilft der neu geschaffenen Regierung, das Land vernünftig und auf der
Grundlage von Menschenrechten zu regieren? - Da wird
Deutschland nicht an der Seite stehen, sondern sich sicherlich entsprechend seiner wirtschaftlichen und politischen Bedeutung einbringen .
Ich kann nur dafür werben, dieses Mandat zu unterstützen . Ich tue es aus vollem Herzen, weil ich davon
überzeugt bin, dass es ein angemessener und effizienter
Beitrag ist . Ich wünsche den Soldatinnen und Soldaten,
die in diesen Tagen vor Weihnachten damit konfrontiert
sind, sich auf diesen Einsatz vorbereiten zu müssen, dass
sie gut in diesen Einsatz gehen und vor allem gesund und
wohlbehalten aus dem Einsatz zurückkommen . Ich wünsche alles erdenkliche Soldatenglück .
In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit .
({1})
Vielen Dank, Kollege Jürgen Hardt . - Nächster Redner in der Debatte: Niels Annen für die SPD .
({0})
Vielen Dank, liebe Frau Präsidentin . - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gerne etwas zu
der politischen Ausgangslage sagen, in der diese Debatte
hier heute stattfindet, insbesondere weil wir unsere französischen Gäste auf der Tribüne begrüßen dürfen .
Lassen Sie mich, bevor ich zu Syrien komme, feststellen, dass sich die Europäische Union, unser europäisches
Einigungsprojekt, in einer tiefen, in einer schweren, ja,
möglicherweise sogar in einer existenziellen Krise befindet . Schauen wir uns einmal um: Es gibt in unserem eigenen Land, aber auch in Frankreich und anderen wichtigen
europäischen Ländern inzwischen Parteien, die im Kern
antieuropäisch sind; in einigen Ländern sind sie sogar in
der Regierung, in anderen hat sich die Regierung, wie in
Dänemark, von ihnen abhängig gemacht .
({0})
Wir erleben eine neue polnische Regierung, die sich sehr
unsolidarisch, auch zur Flüchtlingsfrage, zu Wort gemeldet hat . Wir erleben in Ungarn eine rechtspopulistische
Regierung und sogar in Skandinavien .
Deswegen möchte ich auf eines hinweisen: Natürlich
sind all die Fragen, die hier formuliert worden sind, vom
Kollegen Bartsch und anderen Rednerinnen und Rednern, legitime Fragen . Sie haben auch in unserer Fraktion
eine Rolle gespielt . Ja, wir haben zwei Stunden darüber
diskutiert, auch über rechtliche Fragen und die Frage der
politischen Einschätzung . Es ist gar kein Geheimnis, dass
es auch in unserer Fraktion vermutlich die eine oder andere Neinstimme geben wird . Das ist Teil der Debatte in
einer lebendigen Demokratie. Ich finde, das ist gut so,
und darauf können wir auch stolz sein .
Nur, meine Damen und Herren, wir müssen doch unsere eigenen Prinzipien ernst nehmen . Wir müssen doch
unsere eigenen Reden, die wir sonntags halten, auf den
Prüfstand stellen, wenn es darauf ankommt . Was sind die
grundlegenden Prinzipien der europäischen Politik, die
von allen Regierungen dieses Landes in den letzten Jahrzehnten beachtet worden sind? Die europäische Integration; dass Deutschland seinen Weg niemals alleine gehen
soll; dass wir uns nicht isolieren dürfen .
Deswegen will ich hier einmal diese Frage stellen:
Wie hätte man denn auf eine Bitte um Unterstützung
unseres wichtigsten Bündnispartners in Europa in einer
solchen Situation reagieren können? Wenn wir da Nein
gesagt hätten, was wäre die Reaktion gewesen? Ich finde
im Übrigen, dass wir schnell entscheiden, ohne parlamentarische Rechte zu beschränken, ist auch eine politische Antwort: Wir stehen zu dieser Solidarität, nicht nur
auf dem Papier, sondern auch in der Praxis .
({1})
Jetzt will ich etwas zu der Diskussion über unsere Syrien-Politik sagen: Ich wundere mich manchmal ein wenig. Wir befinden uns im fünften Jahr dieses Krieges. Der
Außenminister hat es gesagt: Es gibt um die 300 000 Tote
und Millionen von Vertriebenen . Das Land ist zerstört .
Die Infrastruktur dieses Landes, aber auch das, was an
Zivilisation über Jahrtausende in dieser Region entwickelt und aufgebaut worden ist, gerade auch in Syrien,
ist in weiten Teilen zerstört . Das Vertrauen ist zerstört .
Das ist lange nicht mehr nur ein syrischer Bürgerkrieg .
So schlimm der auch wäre, dafür gäbe es möglicherweise eine einfachere Lösung . Es ist ein regionaler Krieg .
Deswegen ist es doch absurd, bei der Debatte über ein
begrenztes Mandat der Bundeswehr für einen Einsatz
in Syrien so zu tun, als hätte hier irgendjemand von der
Großen Koalition oder den Vertreterinnen und Vertretern
der Bundesregierung, die hier gesprochen haben, behauptet, wir würden Ihnen mit diesem Mandat sozusagen
die Blaupause für die Lösung eines Konfliktes, der jetzt
ins fünfte Jahr geht, vorlegen .
Lassen Sie uns offen über die Probleme, die Konfliktlagen, ja, auch die Tragik in diesem Krieg sprechen
und auch über die Begrenztheit der Möglichkeiten, die
uns zur Verfügung stehen . Niemand hat behauptet, dass
es hier ein Gesamtkonzept gibt; denn wir arbeiten an diesem Gesamtkonzept, Frau Göring-Eckardt .
({2})
Deswegen können wir es hier natürlich noch nicht vorlegen .
Was macht denn der Außenminister seit Monaten vor
und hinter den Kulissen?
({3})
Er arbeitet daran, dass die regionalen Akteure, die sich
hier - zum Teil auch unsere eigenen Verbündeten; wir
haben ja auch über die Türkei geredet - in einer Art und
Weise verhalten, wie es sich nicht gehört, wenn man den
UN-Prinzipien nachkommen will, an einen Tisch kommen . Das ist doch die einzige Lösung, die uns für dieses
Problem, für diesen Krieg zur Verfügung steht .
({4})
Ich bitte sehr darum, hier nicht so zu tun, als wäre das
Mandat, das dem Deutschen Bundestag jetzt vorliegt,
quasi der Einstieg Deutschlands in die Diskussion über
die Lösung des Syrien-Problems . Das ist doch absurd .
Unsere Politik basiert auf drei Säulen, und zwar nicht erst
seit den furchtbaren Anschlägen in Paris . Wir haben mit
dem Haushalt, den wir gerade verabschiedet haben, die
humanitäre Hilfe aufgestockt, um den Menschen in der
Region zu helfen, nicht nur aus humanitären Gründen,
sondern auch, weil es eine eminente politische Aufgabe
ist, dafür zu sorgen, dass die Nachbarländer nicht von
dem Krieg in Syrien weiter in Mitleidenschaft gezogen
werden,
({5})
dass sie nicht weiter destabilisiert werden, was ja ein
Kriegsziel des sogenannten „Islamischen Staates“ ist, um
seinen Machtbereich auszuweiten . Das tun wir .
Wir unterstützen ganz konkret die Akteure in der
Region, im Irak, die in der Lage sind - das haben sie
bewiesen -, sich gegen den sogenannten „Islamischen
Staat“ zu stellen, und zwar auch in einer militärischen
Auseinandersetzung . Deswegen hat der Deutsche Bundestag beschlossen und unterstützt, dass wir den Kurden
Waffen liefern . Herr Bartsch, eine Frage, glaube ich,
müssen Sie sich selber stellen: Luftschläge - niemand in
diesem Hause unterstützt militärische Mittel leichtfertig .
Ich kenne niemanden .
({6})
Gerade aus Ihrer Fraktion haben wir hier in der Diskussion über Syrien immer wieder - ich will auch sagen:
durchaus zu Recht - gehört, dass es die syrischen Kurden sind, die sich dem IS entgegenstellen . Wir alle waren
froh darüber, dass Kobane befreit worden ist, dass es jetzt
Fortschritte in Sindschar und in vielen anderen Gebieten
gibt . Glauben Sie denn, dass die YPG-Peschmerga in Syrien diese Erfolge hätten vorweisen können,
({7})
ohne dass sie ihre militärischen Operationen mit den
Amerikanern, mit der Anti-IS-Koalition abgestimmt hätten, die mit Luftschlägen dafür gesorgt hat, dass diese
Erfolge möglich gewesen sind?
({8})
Lassen Sie uns unsere eigenen Möglichkeiten richtig
einschätzen . Dieses Mandat wird nicht den Krieg in Syrien beenden . Wir brauchen die Ausdauer, die Energie
und - ich sage das einmal so - auch die Frustrationsresistenz, die unser Außenminister hier an den Tag gelegt hat .
Deswegen bleibt der Wiener Prozess im Mittelpunkt der
deutschen Politik; denn nur darum kann es gehen . Wer
den Eindruck vermittelt, dass wir uns von diesem Krieg
abwenden könnten, dass wir sagen könnten, dass wir uns
damit nicht beschäftigen, dass wir uns nicht einmischen,
den möchte ich nur einmal daran erinnern, dass wir wahrscheinlich in jedem unserer Wahlkreise im Moment die
Folgen dieses Krieges merken . Dazu müssen wir nur
mit den Menschen reden, die zu uns fliehen vor diesem
Krieg, vor den Fassbomben von Assad und vor den Verwerfungen und Verheerungen dieses Krieges .
Bei allem Verständnis für viele kritische Fragen, die
wir alle miteinander haben und auch formuliert haben:
Lassen Sie uns dieses Mandat unterstützen . Es ist der
richtige Weg in der Solidarität mit Frankreich, aber auch
in der Solidarität mit den Menschen in Syrien . Denn das
sind diejenigen, die am meisten leiden .
Herzlichen Dank .
({9})
Vielen Dank, Niels Annen . - Der letzte Redner in dieser Debatte: Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Bartsch, Sie haben ja versucht,
mit übertriebener Seriosität
({0})
ein Stück weit Ihre dogmatische Ablehnung militärischer
Einsätze und vor allem auch Ihre Ratlosigkeit, wie der IS
ohne Militär zu bekämpfen ist, zu kaschieren .
({1})
Kurz danach rief ein Vertreter Ihrer Fraktion bei der Rede
der Ministerin „Flinten-Uschi!“ ins Plenum, und Frau
Buchholz sprach von Kriegsreden . Ich kann Ihnen nur
sagen: Das zeigt den wahren Charakter Ihrer Fraktion .
Mit Seriosität hat das nichts zu tun .
({2})
Mit viel Brimborium, mit Nebelkerzen will die Opposition von einigen schlichten Wahrheiten, über die es
an sich keinen Streit geben sollte, ablenken . Ich möchte
diese Punkte in Erinnerung rufen:
Erstens . Einer unserer engsten Freunde ist in Not .
Er bittet uns um Beistand . Wir wollen diesen Beistand
leisten . Es müssten schon erhebliche, schwerwiegende
Zweifel da sein, die rechtfertigen, diesen erbetenen Beistand zu verweigern . Ich vermute vielmehr, dass einige
krampfhaft nach Scheinargumenten suchen, um irgendwie aus dieser Verantwortung herauszukommen und vor
allem innerparteilichen Diskussionen aus dem Weg zu
gehen . Das ist so nicht in Ordnung . Morgens färben Sie
noch Ihre Facebook-Profile in den Farben der Trikolore
und schwören den französischen Freunden grenzenlose Solidarität, und abends gehen Sie dann zufrieden ins
Bett, weil Sie gegen den militärischen Einsatz Deutschlands gestimmt haben . Das ist unglaubwürdig, meine Damen und Herren .
({3})
Die Franzosen wissen: Freiheit und Gleichheit sind wichtig . Aber es muss auch die Brüderlichkeit, die Fraternité,
hinzukommen . Man kann Solidarität nicht nur von anderen einfordern, sondern man muss sie auch selbst leisten .
Eine zweite einfache Wahrheit: Der IS ist eine mörderische Terrorbande, die Europa angreift . Wir bekämpfen
ihn in vielfältiger Weise, auch militärisch . Der Sicherheitsrat hat mehrfach einhellig festgestellt, dass der IS
eine Gefahr für den internationalen Frieden ist und bekämpft werden muss . Wir sind schon seit langem Teil
der Allianz gegen den „Islamischen Staat“ . Mit unseren Waffenlieferungen und der Ausbildungshilfe für die
Pesch merga leisten wir einen der effektivsten Beiträge
im Kampf gegen den IS .
Mit unserem Beistand haben wir dem IS bereits
schwer geschadet. Die Kurden haben ihm empfindliche
Schläge beibringen können . Diese Taktik war richtig und
effektiv . Wir geben sie nicht auf, sondern führen sie fort .
Zusätzlich ergänzen wir unser Engagement um einige
Komponenten, um die uns unsere Freunde konkret gebeten haben . Warum sollten wir dadurch mehr zum Ziel des
IS werden, als wir es ohnehin schon sind? Die Terrorgefahr in Deutschland steigt dadurch nicht . Wir sind bereits
im Fadenkreuz; das ist doch die Wahrheit, die ausgesprochen werden muss .
({4})
Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass der IS auch
militärisch bekämpft werden muss . Natürlich müssen wir
gegen den Terror auch hier in Deutschland und in Europa
vorgehen . Natürlich müssen wir unsere Grenzen besser
schützen, die Polizei stärken, den Informationsaustausch
unserer Dienste verbessern, die Propaganda zum Schweigen bringen und in Prävention investieren, um Radikalisierungen zu verhindern; das alles ist völlig unstrittig .
Trotzdem hat ein Kommentator zu Recht gesagt:
Wenn wir einen Kraken bekämpfen wollen, dürfen wir
nicht immer nur auf die Arme zielen . Wir müssen auch
den Kopf des Ganzen ins Visier nehmen . - Dabei helfen
wir mit unseren vernünftigen militärischen Beiträgen .
Wir helfen dort, wo die Ressourcen knapp sind . Natürlich
sind wir durch die Luftbetankung und die Aufklärung an
den Bombenangriffen gegen den IS beteiligt; hier müssen wir uns nichts vormachen . Aber das ist auch richtig
so. Man kann sogar sagen: Die Bombardierungen finden
ohnehin - mit oder ohne uns - statt . Nur, „ohne uns“ bedeutet dann auch: mit unsichererer Zielführung . Unser
Beitrag hilft aber, durch präzise Lagebilder auch zivile
Opfer zu vermeiden .
Die dritte einfache Wahrheit: Das Völkerrecht ermöglicht solche Notwehr und Nothilfe . Sie aber mäkeln am
Mandat herum und sagen, einige Völkerrechtler hätten
Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Einsatzes; Sie wollen das prüfen lassen .
({5})
Ich kann nur sagen: Ja, natürlich haben einige Professoren Zweifel; das ist meistens so im Bereich des Rechts .
Sie werden kaum eine Frage finden, in der sich alle einig
sind .
Das Mandat ruht aber auf einer soliden rechtlichen Grundlage . In Abwandlung eines amerikanischen
Ausspruches kann man sagen: Das Völkerrecht ist
kein Suicide Pact . Es erwartet von uns nicht, dass wir
uns und unsere Freunde sehenden Auges von Terroristen abschlachten lassen, weil uns leider noch nicht die
ideale Kapitel-VII-Resolution vorliegt . Artikel 51 der
UN-Charta sagt vielmehr klar: Wir dürfen uns wehren,
und wir dürfen unseren Freunden auch zur Hilfe eilen .
Schließlich - abschließend - gibt es eine Gesamtstrategie für Syrien und die Region . Sie ist jedem mit ein
wenig gesundem Menschenverstand klar, und sie wird
von uns und allen maßgeblichen Mächten mit Einfluss in
der Region mit Nachdruck verfolgt, zum Beispiel bei den
Wiener Gesprächen .
({6})
Herr Kollege .
Das kann er im Anschluss machen, bitte . - Unser
Hauptziel ist es, das entsetzliche Morden in Syrien so
schnell wie möglich zu beenden . Die Wiener Gespräche
aller wichtigen Akteure sind ein Zeichen der Hoffnung
und verdienen jegliche Unterstützung . Wir müssen dieses
Momentum, das es hier gibt, entsprechend nutzen .
Ein Waffenstillstand und Gespräche mit den nichtterroristischen Oppositionsgruppen über die Bildung einer
Übergangsregierung sind vorrangige Zwischenziele .
Dann können wir die langfristigen Ziele in Angriff nehmen, wie den Wiederaufbau des Landes und den Versöhnungsprozess .
Die Verhandlungen in Wien ersetzen aber doch nicht
den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ . Zu einer Gesamtstrategie gehört, dass wir parallel Anstrengungen
unternehmen . Wir müssen die Verhandlungen in Wien
mit einem energischen Vorgehen gegen den IS begleiten .
Sonst bleibt am Ende nichts, um die Gesamtstrategie umzusetzen .
Wollen Sie warten, bis der IS in Damaskus sitzt und
von den Golanhöhen seinen Traum vom Sturm auf Israel in die Tat umsetzt? Wir setzen uns mit dem Mandat
realistische Ziele . Wir erwarten nicht, den Terrorismus
ein für alle Mal ausrotten zu können, aber wir wollen die
weitere Ausbreitung des IS in Syrien und im Irak verhindern und das Kalifat weiter zurückdrängen . Strukturen
der Terrormiliz sollen zerschlagen und Rückzugsräume
zerstört werden .
Das haben 64 Staaten der Allianz begriffen, und das
haben alle Mitglieder des Weltsicherheitsrats als Ziel formuliert . Nur Sie wollen offensichtlich nicht begreifen .
Letztlich lässt sich Ihre Kritik so zusammenfassen: Das
Mandat ist Ihnen noch nicht schön genug formuliert, und
Sie würden gerne noch ein paar Wochen weiterdiskutieren . - Ich frage mich, ob Sie ernsthaft erwarten, dass der
Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ warten soll, bis die
Grünen ausreichend diskutiert und getagt haben .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen unsere
französischen Freunde bei der Bekämpfung der barbarischen Verbrecher des IS unterstützen . Wir tun das mit
sinnvollen Fähigkeiten . Unsere Soldaten werden keinen
unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt . Das Mandat ist sauber vorbereitet und stützt sich auf eine ausreichende völkerrechtliche Grundlage .
({1})
Allein militärisch lässt sich der IS nicht endgültig bekämpfen . Dazu braucht es auch einen erfolgreichen Friedensprozess in Syrien . Daran arbeiten wir intensiv . Ohne
einen militärischen Einsatz kann sich der IS weiter ausbreiten und manifestieren und sein menschenverachtendes Morden und Versklaven fortsetzen . Das dürfen wir
nicht zulassen . Wir sind ein verlässlicher Bündnispartner
und Freund . Wir wollen keinen deutschen Sonderweg
und keine Isolation .
„Nous sommes Charlie“! „Nous sommes Paris“! Wahre Freunde erkennt man in der Not . Deshalb müssen wir
uns in Syrien mit unserer Bundeswehr engagieren .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank, Kollege Hahn . - Das Wort zu einer
Kurzintervention hat Stefan Liebich .
({0})
- Herr Straubinger, ich habe das Recht, am Ende einer
Rede zu entscheiden,
({1})
ob jemand, der sich zu einer Kurzintervention gemeldet
hat, das Wort bekommt oder nicht, und dieses Recht nehme ich jetzt in Anspruch .
({2})
Deswegen hat der Kollege Liebich jetzt diese Möglichkeit, und selbstverständlich hat der Kollege Hahn das
Recht, darauf zu antworten, wenn er möchte . - Herr
Liebich, Sie haben das Wort .
Ich danke Ihnen recht herzlich, Frau Präsidentin . Herr Hahn, an Ihrer Rede hat mich vieles entsetzt, und
wir sind uns in vielem politisch uneinig. Einen Punkt finde ich aber ganz besonders schlimm, nämlich, wie achtlos Sie hier mit dem Völkerrecht umgegangen sind .
Es kann doch nicht sein, dass Sie sagen: Es ist egal,
ob es einen Kapitel-VII-Beschluss des UN-Sicherheitsrats gibt oder nicht . - Es gibt nach dem Völkerrecht nur
zwei Voraussetzungen für fremde Mächte, unter denen
sie in einem Land militärisch agieren dürfen, nämlich,
wenn sie dazu eingeladen werden - es gibt hier aber keine Zustimmung der syrischen Regierung, egal wie wir
sie finden - oder wenn es einen entsprechenden Kapitel-VII-Beschluss gibt . Den gibt es auch nicht, und zwar
aus gutem Grund; darüber ist diskutiert worden . Wir
finden keinen Verweis auf Kapitel VII der UN-Charta.
Jetzt zu sagen: „Ja, aber das liest sich so ähnlich“, ist
doch Wahnsinn . Wenn Sie jetzt sagen: „Das ist eigentlich
egal“, wissen Sie, was Sie dann tun? Damit schwächen
Sie sich und uns für jeden anderen Fall .
Können Sie sich noch erinnern, was los war, als sich
Russland nicht an das Völkerrecht gehalten hat? Da
wurde plötzlich von Ihrer Seite und von vielen anderen
gesagt: Das geht doch nicht! Das Völkerrecht, das Völkerrecht!
({0})
Sie werden das nächste Mal solche Argumente nicht
mehr vortragen können, wenn Sie heute das Völkerrecht
so achtlos beiseitelegen. Das finde ich eine ganz fatale
Entscheidung .
({1})
Herr Hahn, bitte . - Es macht nichts, wenn Sie während der Beantwortung stehen bleiben .
Herr Kollege Liebich, ich habe nicht gesagt, dass mir
das Völkerrecht egal ist . Ich habe auch nicht gesagt, dass
wir keine völkerrechtlichen Regeln mehr beachten sollen . Ich glaube, der Bundesaußenminister hat die völkerrechtliche Ableitung für dieses Mandat sauber vorgetragen . Ich teile seine Einschätzung, dass dies absolut valide
ist .
Ich habe nur darauf hingewiesen, dass wir nicht warten können, bis wir sozusagen die Eindeutigkeit einer
Resolution bekommen, um gegen den IS vorzugehen,
sondern wir müssen die Regeln, die wir nutzen können,
auch nutzen, um jetzt gegen den „Islamischen Staat“ zu
kämpfen .
({0})
Vielen Dank . - Liebe Kollegen, damit schließe ich die
Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6866 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . - Ich sehe keinen
Widerspruch . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, die nicht
an der Fragestunde teilnehmen wollen, bitten, den Raum
zügig zu verlassen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/6845
Ich möchte daran erinnern, dass für die heutige Fragestunde 90 Minuten vorgesehen sind .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts . Für die Beantwortung ist Staatsminister Michael
Roth anwesend . Ist er so weit? - Er ist so weit . Er steht
sogar schon .
Frage 1 des Kollegen Christian Ströbele soll schriftlich
beantwortet werden . Auch die Fragen 2 und 3 des Kollegen Wolfgang Gehrcke werden schriftlich beantwortet,
ebenso die Fragen 4 und 5 der Kollegin Heike Hänsel
sowie die Fragen 6 und 7 der Kollegin Sevim Dağdelen.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Uwe Kekeritz:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Tod
des indonesischen Umweltaktivisten Indra Pelani, der am
22 . Februar 2015 getötet wurde ({0}), und wie unterstützt die Bundesregierung die
indonesische Regierung bei der Eindämmung der Brände von
Ur- und Torfwäldern?
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ihre Frage, Herr
Kollege Kekeritz, besteht eigentlich aus zwei Fragen .
Deswegen möchte ich sie gerne hintereinander zu beantworten versuchen .
Den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich wie folgt:
Im Prozess zum Tod des indonesischen Umweltaktivisten Indra Pelani wurden am 6 . Oktober dieses Jahres
fünf Angeklagte wegen Totschlags in erster Instanz zu
Freiheitsstrafen zwischen 8 und 14 Jahren verurteilt . Die
Staatsanwaltschaft hatte Freiheitsstrafen zwischen 15
und 18 Jahren gefordert . Das von der Verteidigung angestrengte Berufungsverfahren dauert noch an . Ich kann Ihnen also dazu noch keine weiteren Informationen geben .
Bei den Verurteilten handelt es sich um inzwischen
aus dem Arbeitsverhältnis entlassene SicherheitsangeVizepräsidentin Claudia Roth
stellte des Forstunternehmens PT Wira Karya Sakti, einer Tochtergesellschaft des Unternehmens Asia Pulp &
Paper . Laut indonesischen Presseberichten waren Indra
Pelani und einer seiner Begleiter am 27 . Februar dieses
Jahres in der Nähe einer Plantage des Unternehmens in
einen Streit mit den Sicherheitsangestellten geraten . Anschließend sollen diese Sicherheitsangestellten den Aktivisten zu Tode geprügelt haben .
Nun komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage . Im
Zeitraum 2010 bis 2015 hat die Bundesregierung bislang
80 Millionen Euro als Zuschuss für Waldschutz in Indonesien zur Verfügung gestellt . Wirksames Waldmanagement und eine integrierte Landnutzungsplanung sind
Voraussetzungen für vorausschauende Forstfeuerprävention .
Sie wissen vermutlich genauso gut wie ich, worauf
die deutsche Entwicklungszusammenarbeit besonderen
Wert legt: Zum einen fördern wir die Zertifizierung für
verantwortungsvolle Waldwirtschaft, zum anderen helfen wir bei der Verwaltung von wichtigen Wassereinzugsgebieten, in denen der Wald zur Stabilisierung der
Böden unerlässlich ist . Wir unterstützen die Etablierung
dezentraler Waldbewirtschaftungsstrukturen nach dem
Vorbild der deutschen Forstämter . Wir unterstützen eine
Landnutzungsplanung, die auf die traditionellen Landnutzungsrechte Rücksicht nimmt, und wir fördern im
Übrigen Agroforstwirtschaft, zum Beispiel beim Kakao,
den Ökotourismus und die eigenständige nachhaltige Bewirtschaftung von Gemeindewäldern .
Konkrete Maßnahmen zur Prävention und Brandbekämpfung in Indonesien waren Gegenstand der
deutsch-indonesischen Regierungsverhandlungen in diesem Jahr . Sie fanden ja erst im November statt . Vereinbart wurde, dass die Bundesregierung Indonesien bei der
Einrichtung einer neuen Einheit zur Forstfeuerprävention
und -bekämpfung und der Entwicklung und Umsetzung
eines entsprechenden Maßnahmenplans unterstützen
wird .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie noch
einmal auf die Zeitregeln hinweisen: Für die erste Antwort zwei Minuten, dann eine Minute . - Jetzt hat Herr
Kekeritz die Möglichkeit einer Nachfrage für eine Minute - maximal .
Danke schön, Herr Staatsminister . - Damit die Leute wissen, worum es geht: Es geht ganz speziell um die
Frage der Palmölwirtschaft in Indonesien, aber es geht
natürlich auch weiter darum, inwieweit die Palmölplantagen in Mittel- und Südamerika, aber auch in Afrika
ausgedehnt werden . Diese Palmölwirtschaft wird eine
ökologische Katastrophe, auf die wir zugehen, nur noch
verstärken .
Daher hat es mich sehr gefreut, dass der Herr Landwirtschaftsminister Schmidt gesagt hat, er wird das Thema Palmöl und Palmölproduktion bei der UN-Klimakonferenz in Paris auf die Tagesordnung setzen lassen .
Jetzt läuft die Konferenz . Wissen Sie zufällig, was Herr
Minister Schmidt oder diese Bundesregierung unternommen haben, damit diese Thematik dort auch tatsächlich
breit diskutiert wird?
Michael Roth, bitte .
Herr Abgeordneter Kekeritz, ich freue mich mindestens genauso wie Sie über die Aussagen unseres Bundeslandwirtschaftsministers . Wenn er das so gesagt hat, bin
ich mir ziemlich sicher, dass wir das auch entsprechend
unterstützen .
Ich darf dies in aller Offenheit sagen: Ich habe durch
Ihre Frage eine Menge gelernt . Ich wusste zum Beispiel
nicht, dass Indonesien zu den größten CO2-Emittenten
gehört . Insofern ist es notwendig, dass wir Indonesien
konkret dabei unterstützen, die entsprechenden Emissionen deutlich zu verringern . Entsprechende Forderungen
Indonesiens liegen uns vor .
Herr Kekeritz .
Die Freude ist ganz auf meiner Seite . Jetzt warten wir
aber erst einmal ab, ob Herr Schmidt das Thema tatsächlich auf die Agenda bringt . Wir werden sehen, was darüber gesprochen wird .
Sie haben es angesprochen: Indonesien ist ein enormer CO2-Emittent . In diesem Jahr hat sich herausgestellt,
dass durch die Waldbrände 1,7 Milliarden Tonnen CO2
freigesetzt worden sind . Das hat natürlich auch etwas mit
der Degeneration der Böden und der Wälder usw . zu tun,
die in einem direkten Zusammenhang mit Palmöl steht .
Wir können hier relativ wenig machen, es sei denn,
wir entschließen uns, tatsächlich verbindliche Standards
für Palmölprodukte einzuführen . Ist die Bundesregierung
jetzt bereit, auf europäischer und auf nationaler Ebene
dazu beizutragen, dass verbindliche Standards im Bereich der Palmölwirtschaft eingeführt werden? Denn bisher sind hier nur sehr schwache Siegel vorhanden, mit
denen bei weitem nicht die ökologischen Anforderungen
erfüllt werden können, die man an die Produktion von
Palmöl stellen müsste?
Ich kann Ihnen zumindest versichern, dass die Bundesregierung nicht nur mit Ihnen einig darüber ist, dass
das ein großes Problem ist, sondern auch, dass wir eine
Veränderung zum Positiven unterstützen . Ich bin gerne
bereit, Sie in Abstimmung mit dem Bundeslandwirtschaftsminister darüber zu informieren, wie es beim
Palm öl weitergeht .
Ich kann Ihnen darüber hinaus noch ein paar Informationen zur Verfügung stellen, die etwas mit der Umsetzung des Verbots von Forstfeuern zu tun haben . Wir
brauchen ein entsprechendes Forstmoratorium - das
muss verstetigt werden -, und wir brauchen ein Verbot
der Bewirtschaftung und Trockenlegung von Torfmoorflächen sowie die Fertigstellung und Veröffentlichung
einer einheitlichen Basiskarte als Grundlage für nachhaltige Landnutzungsplanung .
Es war meinem Haus wichtig, Ihnen auch das mitzuteilen . Denn mir wurde erklärt, dass vor allem der Brand
der Torfmoorflächen - die bis zu 6 Metern in die Erde
hineinreichen - maßgeblich zu diesen hohen Emissionen
beiträgt .
Vielen herzlichen Dank, Michael Roth .
Dann kommen wir jetzt zu Frage 9 des Kollegen
Kekeritz:
Inwiefern hält die Bundesregierung die Forderung des
US-amerikanischen Ölkonzerns Occidental Petroleum ({0})
über 1,1 Milliarden Dollar gegenüber Ecuador, die das Unternehmen wegen Verstößen gegen das bilaterale Investitionsabkommen mit den USA vor dem Schiedsgericht der Weltbank
einklagen will, für berechtigt, und welche Schlüsse zieht die
Bundesregierung daraus in Bezug auf die Schiedsgerichtsbarkeit in den bilateralen Investitionsabkommen der Bundesregierung mit sogenannten Entwicklungsländern?
Frau Präsidentin, jetzt bin ich schneller . Das versichere ich Ihnen .
Die Entschädigung eines US-amerikanischen Unternehmens für eine Verstaatlichung durch den ecuadorianischen Staat ist Angelegenheit der bilateralen Beziehungen zwischen Ecuador und den Vereinigten Staaten von
Amerika . Ich kann seitens der Bundesregierung sagen,
dass uns keine eigenen Erkenntnisse über die Höhe und
die Begründung der von Occidental Petroleum erhobenen Forderungen vorliegen . Die Bundesregierung kann
deshalb auch keine Einschätzung darüber geben, ob die
Höhe der von Ihnen genannten Forderung berechtigt ist .
Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im
Jahr 2009 sind neue Investitionsförderungs- und Investitionsschutzverträge nicht mehr Kompetenz der Mitgliedstaaten und damit auch nicht der Bundesregierung,
sondern sie obliegen der Europäischen Union . Das heißt,
dass sich die Frage der Schiedsgerichtsbarkeit in bilateralen Investitionsschutzverträgen derzeit nicht mehr stellt .
Es ist eine EU-Kompetenz .
Herr Kekeritz .
Sie haben recht: Es ist eine EU-Kompetenz . Nichtsdestotrotz ist es diese Bundesregierung, die diese Verträge - TTIP und CETA nur als Beispiele genannt - verteidigt .
Inwieweit sieht die Bundesregierung die Möglichkeit,
die bestehenden bilateralen Verträge - die Bundesrepublik Deutschland hat über 120 solcher Verträge, die meisten davon mit Schiedsgerichtsklauseln - zu kündigen
bzw . in dieser Frage zu verändern?
Die Position der Bundesregierung dazu ist, dass die bereits bestehenden Investitionsschutzabkommen vertragsgetreu behandelt werden, einschließlich der etwa enthaltenen Klauseln bezüglich einer Schiedsgerichtsbarkeit .
Ansonsten haben Sie auf die derzeit laufenden Verhandlungen hingewiesen . Sie wissen auch, dass wir gerade die Schiedsgerichtsklauseln sehr sorgfältig prüfen
und auch unseren Einfluss auf die Verhandlungen der
EU-Kommission geltend machen . Unsere Position dazu
ist Ihnen bekannt .
Herr Kekeritz .
Die Botschaft höre ich wohl, doch fehlt mir das Vertrauen . - Ich habe noch eine andere Frage zum Thema
ISDS-Mechanismus in bilateralen Verträgen . Wahrscheinlich haben Sie die Zahl jetzt nicht parat, aber vielleicht können Sie es mir nachliefern . Mir wäre daran
gelegen, zu erfahren, wie oft in den bilateralen Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
Vertragspartnern, also in Altverträgen, tatsächlich dieses
Verfahren angewendet worden ist .
Herr Kollege Kekeritz, Sie sind geradezu ein Weissager oder Vorherseher . Ich kann Ihnen die konkrete Zahl
nicht nennen . Ich bedaure das . Ich hoffe, dass wir trotzdem gute Kollegen bleiben . Ich hätte Ihnen sonst noch
viele andere Antworten geben können, auf die ich mich
exzellent vorbereitet habe, aber leider nicht auf diese
Frage . Ich kann Ihnen aber versichern: Sie bekommen
alsbald Nachricht .
Vielen herzlichen Dank, Michael Roth . Wir freuen uns
auf die Antworten .
Die Frage 10 der Kollegin Inge Höger wird schriftlich
beantwortet .
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern .
Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Volker Beck, die
Fragen 13 und 14 der Kollegin Ulla Jelpke, die Fragen 15
und 16 des Kollegen Dr . Konstantin von Notz und die
Frage 17 des Kollegen Andrej Hunko werden schriftlich
beantwortet .
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz .
Die Frage 18 des Kollegen Andrej Hunko wird ebenfalls schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Christian Kühn
auf:
Ist das in der 48 . Kalenderwoche des Jahres 2015 beschlossene Eckpunktepapier zur zweiten Mietrechtsnovelle die Position der gesamten Bundesregierung, und wenn nicht, wo liegen die Unterschiede innerhalb der Bundesregierung?
Ich begrüße den Parlamentarischen Staatssekretär
Ulrich Kelber, der zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung steht .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Sehr geehrter Kollege Kühn, ich kann Ihnen Ihre Frage wie folgt beantworten: Das Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz hat in der vergangenen Woche unter
Berücksichtigung der Vorgaben des Koalitionsvertrags
und der Diskussion der Sachverständigengruppen, die
im Ministerium im letzten Jahr getagt haben, einen ersten Vorschlag zur weiteren Reform des Mietrechts in
der 18 . Legislaturperiode vorgelegt . Das dient jetzt als
Grundlage für weitere Diskussionen .
Herr Kühn .
Danke, Herr Staatssekretär . - Wann gedenken Sie, diese Diskussion abzuschließen? Denn viele Mieterinnen und
Mieter in Deutschland warten auf die zweite Mietrechtsnovelle . Es geht insbesondere um die Modernisierungsumlage . Beispiel Berlin: Viele Mieterinnen und Mieter
werden aus ihren Wohnungen heraussaniert und verlieren
bezahlbaren Wohnraum . Gerade in einer Stadt wie Berlin
ist dieses Thema in der Mietrechtsdebatte omnipräsent .
Hier ist Zeit im Verzug . Meine Frage lautet nun: Wann
gedenkt die Bundesregierung, hier zu einem Kabinettsbeschluss zu kommen, damit wir endlich im Parlament in
dieser wichtigen Frage - Sie haben im Koalitionsvertrag
zu Recht eine Vereinbarung dazu aufgenommen - das Gesetzgebungsverfahren beginnen können?
Herr Kollege Kühn, wir haben als Deutscher Bundestag bereits im Jahr 2015 ein erstes Paket verabschiedet,
das insbesondere die Mietpreisbremse und das Bestellerprinzip beinhaltet . Das ist ein großer Fortschritt für
Mieterinnen und Mieter . Wir haben zusammen mit den
Arbeitsgruppen versucht, eine exzellente Fachgrundlage
für den zweiten Teil dieses Pakets zu legen, insbesondere
wenn es um den Mietspiegel und die Modernisierung der
tatsächlichen Wohnfläche geht; auch das ist im Koalitionsvertrag angesprochen worden . Auf Grundlage eines
Erstentwurfs finden weitere Debatten statt, und zwar unter Beteiligung der Fachöffentlichkeit . Wir streben einen
Referentenentwurf im ersten Quartal 2016 an .
Chris Kühn .
Ich habe noch eine Nachfrage . Nach meinem Kenntnisstand ist nun § 5 Wirtschaftsstrafgesetz dort nicht enthalten, obwohl wir über alle Fraktionsgrenzen hinweg es
für sinnvoll erachtet haben, dass dieser Paragraf in das
Mietrecht übernommen werden sollte . Warum enthält
das Eckpunktepapier diesen Paragrafen nicht?
Im Rahmen des ersten Mietrechtspakets, Herr Kollege Kühn, hat Ihre Fraktion, glaube ich, beantragt, diesen
Paragrafen im Vergleich zur bisherigen Rechtsform zu
verschärfen . Das ist damals von einer Mehrheit des Deutschen Bundestages abgelehnt worden . Deswegen haben
wir nun nicht erneut eine Debatte über diesen Beschluss
des Deutschen Bundestages angestrengt .
Vielen Dank, Herr Kollege Kelber . - Damit kommen
wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der
Finanzen . Ich begrüße Dr . Michael Meister dafür .
Es geht weiter mit der Frage 20 des Kollegen Christian
Kühn:
Mit welchen Mehrbelastungen für Bund und Länder rechnet das Bundesministerium der Finanzen in Bezug auf den
Vorschlag des Bundesministers der Finanzen, Dr . Wolfgang
Schäuble, den Wohnungsbau steuerlich fördern zu wollen?
Herr Meister, bitte .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Kühn, der Bundesminister der Finanzen plant begrenzte Steueranreize für die Förderung des
Wohnungsneubaus in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten. Die finanziellen Auswirkungen können
gegenwärtig noch nicht ermittelt werden, weil sich die
konkrete Ausgestaltung der Maßnahme derzeit sowohl
innerhalb der Bundesregierung als auch mit den Ländern
in der Abstimmung befindet.
Chris Kühn, bitte .
Genauso wie bei der zweiten Mietrechtsnovelle streitet
sich die Koalition erneut und ist noch zu keinem Ergebnis gekommen . Wann planen Sie denn, einen Vorschlag
zu machen, hinter dem die ganze Bundesregierung steht,
und dann mit diesem auf die Länder zuzugehen? Denn
die Länder müssen dem auch zustimmen . Wir wollen bei
der steuerlichen Förderung des Wohnungsbaus weiterkommen, den wir dringend brauchen angesichts fehlender Sozialwohnungen in Deutschland, steigender Mieten
in den Städten und angesichts der Tatsache, dass wir den
Menschen endlich Wohnraum auf den Wohnungsmärkten anbieten müssen . Daher lautet meine Frage: Wann
plant die Bundesregierung denn, einen Referentenentwurf vorzulegen und ihn in das Gesetzgebungsverfahren
zu bringen, damit wir auch bei der steuerlichen Förderung weiterkommen? Haben Sie einen Zeitplan?
Vizepräsidentin Claudia Roth
Herr Kollege Kühn, mir ist bisher entgangen, dass sich
die Bundesregierung an dieser Stelle streitet . Ich habe
Ihnen eben vorgetragen, dass die Ressorts einen Vorschlag erarbeiten werden, aus dem hervorgeht, wie wir
das Problem der Wohnraumbereitstellung insbesondere
vor dem Hintergrund der Herausforderungen der Flüchtlingsbewegungen in Deutschland auf angespannten Wohnungsmärkten lösen wollen . Ich kann da keinen Streit erkennen. Wir befinden uns in guten Gesprächen mit den
zuständigen Ressorts der Bundesregierung; wir sind in
Gesprächen mit den Ländern . Sobald diese Gespräche zu
einem Ergebnis geführt haben, legt die Bundesregierung
einen Entwurf vor . Es steht selbstverständlich den Fraktionen des Bundestages frei, hier selbst die Initiative zu
ergreifen .
Vielen Dank, Herr Dr . Meister . - Dann kommen wir
zu den weiteren Fragen .
({0})
- Nein .
({1})
- Das war die zweite .
({2})
- Entschuldigung . - Eine zweite Frage .
({3})
- Du kannst dich bei Herrn Dr . Meister bedanken . - Danke schön .
Der Vorschlag des Finanzministers ist in Teilen sehr
konkret . Ich frage: Gibt es Studien oder Erkenntnisse,
wie Sie zu diesem Vorschlag und zu diesen ersten Eckpunkten - so nenne ich sie jetzt einmal -, die der Finanzminister vorgelegt hat, gelangt sind? Auf der Grundlage
welcher Studien oder Gutachten ist denn diese Einschätzung entstanden? Man hätte auch ganz andere Instrumente ins Feld führen können . Ich nenne als Beispiel
ein Wiederbeleben der Wohnungsgemeinnützigkeit, den
§ 7 k EStG oder anderes .
Wir haben zunächst einmal die Verabredung der Führung der drei Koalitionsparteien, die besagt, dass wir
zur Lösung dieses Problems auch steuerliche Maßnahmen in Erwägung ziehen sollen . Vor diesem Hintergrund
haben wir uns überlegt, dass wir sehr unterschiedliche
Wohnungsmärkte in Deutschland haben . Deshalb ist die
Grundüberlegung bei uns: Wir schauen, wo die Wohnungsmärkte in unserem Land tatsächlich angespannt
sind .
Die zweite Überlegung ist: Wir gehen von einer temporären Herausforderung aus . Deshalb wollen wir versuchen, eine temporäre Antwort im Bereich der Steuer zu
geben . Wie die genaue Ausgestaltung aussieht, an welcher Stelle des Steuerrechts angesetzt wird und wie die
genauen Fördertatbestände aussehen, wird sich im Dialog mit den Ressorts und den Ländern ergeben .
Entschuldigen Sie bitte, dass ich gerade etwas unaufmerksam war . Danke Herr Dr . Meister, dass Sie geholfen
haben .
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung . Die Frage 21 der Abgeordneten Inge Höger wird
schriftlich beantwortet .
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend . Die Frage 22 des
Abgeordneten Hans-Christian Ströbele wird schriftlich
beantwortet .
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur . Die Frage 23 des Abgeordneten Markus Tressel, die Frage 24 der Abgeordneten
Renate Künast, die Fragen 25 und 26 der Abgeordneten Lisa Paus, die Fragen 27 und 28 der Abgeordneten
Sabine Leidig, die Fragen 29 und 30 des Abgeordneten
Stephan Kühn, die Fragen 31 und 32 der Abgeordneten
Dr . Valerie Wilms, die Frage 33 des Abgeordneten Oliver
Krischer und die Fragen 34 und 35 des Abgeordneten
Matthias Gastel werden schriftlich beantwortet .
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit . Die Fragen 36 und 37 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl
und die Frage 38 der Abgeordneten Bärbel Höhn werden
schriftlich beantwortet .
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung . Die Fragen 39 und 40 des Abgeordneten Niema Movassat werden schriftlich beantwortet .
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie . Ich begrüße
recht herzlich Brigitte Zypries, die die Fragen beantworten wird .
Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Kerstin Andreae
auf:
Welche Erkenntnisse bzw . Schätzungen hat die Bundesregierung darüber, wie viele Arbeitsplätze bei der Kaiser‘s
Tengelmann GmbH durch eine Fusion mit der Edeka Zentrale
AG & Co . KG voraussichtlich verloren gehen würden, und
welche Szenarien hat Edeka nach Kenntnis der Bundesregierung für den Stellenabbau entwickelt?
Frau Präsidentin! Wir haben mehrere Fragen zu diesem Komplex . Die Frage stellt sich, ob wir diese nicht
zusammen beantworten, weil die Schwierigkeit darin besteht, dass wir immer dieselbe Antwort geben werden .
Vielleicht kann man das Verfahren etwas vereinfachen .
({0})
- Na gut . Wir fangen an, und dann sehen wir, wie es weitergeht .
Wir liegen gut in der Zeit . Deswegen fangen wir jetzt
mit der Frage 41 an .
Die Frage bezieht sich auf das Erlaubnisverfahren, das
Kartellverfahren, das im Moment läuft . Wir haben heute
Morgen im Ausschuss schon darüber diskutiert . Es geht
um eine Ministererlaubnis im Rahmen dieses Kartellverfahrens; die Ministererlaubnis ist dabei vorgesehen . Das
Bundeskartellrecht schreibt die Entscheidung ausdrücklich dem Bundeswirtschaftsminister zu .
Uns liegt ein Antrag der Unternehmen Edeka und
Kaiser’s Tengelmann vor . Der Bundeswirtschaftsminister als zuständige Instanz prüft im Moment, welche
Entscheidung er treffen will . Dazu gab es eine Anhörung
am 16 . November im Hause . Diese Anhörung wird ausgewertet, und dann wird eine Entscheidung ergehen . Wir
haben das heute Morgen schon ausführlich im Ausschuss
erörtert . Es handelt sich um ein zivilrechtliches Verfahren, und im Rahmen von zivilrechtlichen Verfahren darf
man keine weiteren Auskünfte geben . Deswegen ist das
leider hier nicht zu vertiefen .
Dann hat Frau Andreae jetzt die erste Nachfrage .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . - Ich bin gar nicht
auf die juristischen Einschätzungen, die Sie gerade gegeben haben, aus . Vielmehr möchte ich Sie bitten, auf
meine Frage einzugehen, die ja auf Ihre Abwägungen
abzielte . Sie wissen: Im Kartellverfahren und bei der
jetzigen Prüfung vor einer Ministererlaubnis werden gemeinwohlorientierte Interessen angeführt . Das betrifft
natürlich vor allem die Arbeitsplätze . In diesem Rahmen
haben wir die Frage gestellt: Welche Einschätzung haben
Sie, wie sich diese Fusion, wenn die Ministererlaubnis
erteilt wird, auf die Arbeitsplätze auswirkt? Gefragt habe
ich nicht nach der Entscheidung, sondern nur nach Ihrer
Einschätzung im Hinblick auf die Arbeitsplätze .
Frau Abgeordnete, ich kann verstehen, dass Sie gern
Genaueres über solche Überlegungen von der Bundesregierung erfahren möchten . Aber noch einmal: Es handelt
sich um ein Verfahren, das den zivilprozessualen Vorschriften angenähert ist . Kein Richter eines Gerichts wird
Ihnen vorher sagen, welche Erwägungen er bei seiner
Entscheidung zugrunde legt . Denn dann macht er genau
das, was er nicht darf: Er macht seine Entscheidung vorab öffentlich und legt dar, was Sache ist . Sie kennen den
bekannten Spruch: Das Gericht spricht durch sein Urteil .
Anders ist auch das hier nicht zu sehen . Deswegen kann
ich Ihnen dazu jetzt keine weiteren Auskünfte geben .
Frau Andreae, Ihre zweite Zusatzfrage .
Dann muss ich als Nichtjuristin jetzt einmal nachfragen . Sie haben gesagt, der Minister Gabriel fungiere in
diesem Verfahren analog einem Richter in einem Zivilverfahren und dürfe keine Auskunft geben . Jetzt frage ich
Sie: Auf welcher Grundlage fußt „Der Minister fungiert
wie ein Richter“? Wo ist die Grundlage, die dies belegt?
Wie ist dies eigentlich mit der verfassungsrechtlich geregelten Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive vereinbar? Ich frage das, weil ich an dieser Stelle
wirklich anfange, verärgert zu sein . Sie verweigern jede
Antwort auf die Frage nach Einschätzungen, politischen
Einschätzungen, und berufen sich auf etwas, was Sie uns
auch im Ausschuss nicht erklären konnten, was nämlich
die Grundlage Ihrer Einschätzung ist, dass er gar nichts
sagen dürfte .
Na ja, Frau Andreae, das ist doch bei allen Verfahren
so, die wir haben . Das gilt für Verwaltungsverfahren genauso .
Ich meine, die Rechtsgrundlage ist § 42 des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen; darin ist die Ministererlaubnis geregelt . Das Verfahren ist ja auch ein
justiziables Verfahren . Gegen den Entscheid des Ministers kann dann ein Rechtsmittel eingelegt werden, und
die Verfahrensbeteiligten können sich insofern dagegen
wehren . Also, das ist schon so ausgestaltet . Insofern tut
es mir leid, dass ich Ihnen da nicht mehr sagen kann .
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kekeritz .
Ich melde mich als Entwicklungspolitiker . Ich beschäftige mich schon ganz viele Jahre mit Marktmacht,
Konzentration hier in der Bundesrepublik oder auch in
anderen Ländern und den Auswirkungen der Marktmacht
auf die Produktionsbedingungen in Entwicklungsländern, zum Beispiel auf die Kaffeeplantagen oder auf die
Orangenplantagen . Haben Sie bei Ihren Überlegungen
über die potenzielle Fusion auch diesen Blickwinkel?
Schauen Sie nach Afrika? Schauen Sie nach Süd- und
Mittelamerika, um festzustellen, welche Auswirkungen
die gesteigerte Marktmacht eines Konzerns hier auf die
Arbeitsbedingungen dort hat?
Herr Kekeritz, am 16 . November 2015 hat im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eine große,
mehrstündige Anhörung stattgefunden, zu der alle möglichen Beteiligten eingeladen waren, ihre Stellungnahmen abzugeben . Ich selber war nicht zugegen; aber ich
gehe davon aus, dass solche Erörterungen dort geführt
wurden .
Der Bundesminister wird die Erörterungen, die da
stattgefunden haben, in seine Entscheidung sicherlich
einbeziehen . Er war ja auch fast die ganze Zeit dabei .
Wie das dann aber konkret aussieht, kann ich Ihnen nicht
sagen; denn ich bin nicht er .
Kollegin Katharina Dröge .
Vielen Dank, Frau Zypries . - Ich muss darauf zurückkommen, dass Sie ja argumentieren, Sie könnten unsere
Fragen zur Sache - es geht nicht um die Frage, ob Sie die
Ministererlaubnis erteilen oder nicht - nicht beantworten, weil Herr Gabriel quasi wie ein Richter im Verfahren
fungiert und damit denselben Prozessvorschriften wie ein
Richter unterliegt . Ich habe mir § 42 des GWB für diese
Debatte mitgebracht, weil Sie das schon im Ausschuss so
vorgetragen haben . Da steht an keiner Stelle, dass Herr
Gabriel quasi wie ein Richter fungiert oder dem Parlament, der Opposition auf Fragen zur Sache keine Antwort geben kann . Da steht nur, dass er im Einzelfall die
Ministererlaubnis erteilen kann . Punkt!
Deshalb noch einmal konkret die Frage an Sie: Wo
sind die juristischen Argumente, auf die Sie sich stützen,
wenn Sie sagen, dass Sie der Opposition keine Antworten
auf Fragen zur Sache geben können? Sie sind als Regierung verpflichtet, uns Fragen zur Sache zu beantworten.
Frau Dröge, das ist genau der Unterschied, auf den ich
schon heute Morgen im Ausschuss abgestellt habe . Es
ist ein Unterschied, ob Sie als Parlament die Regierung
fragen
({0})
und die Regierung in ihrer politischen Verantwortung
antwortet oder ob es, wie hier, um die Frage eines Verfahrens im Wege des Kartellrechts geht, in dem der Minister eine Ministererlaubnis gemäß § 42 erteilen kann
und somit in das dem Zivilprozess entsprechende Verfahren des Kartellrechts eingebunden ist . Das ist genau
der Unterschied .
Der Minister ist hier nicht in seiner politischen Verantwortung angesprochen, sondern in seiner Verantwortung
als Entscheider im kartellrechtlichen Verfahren, und da
kann er zum Verfahren keine Auskunft geben . Wenn er
die Entscheidung getroffen hat und diese Entscheidung
veröffentlicht ist, dann ist es sowohl möglich, dass die
Beteiligten dagegen Rechtsmittel einlegen, als auch
möglich, dass Parlamentarier sich dazu äußern und diese
Entscheidung bewerten . Aber vorher - da bitte ich sehr
um Nachsicht - ist es nicht möglich, dass man diese verschiedenen Elemente breit diskutiert .
({1})
Vielen Dank . - Jetzt hat sich der Kollege Janecek zu
einer Frage gemeldet . Bitte schön .
Vielen Dank . - Frau Staatssekretärin, in meinem
Wahlkreis München-West/Mitte läge die Marktkonzentration bei einer Fusion von Edeka und Tengelmann bei
90 bis 95 Prozent . Das hat auch der Chef der Monopolkommission in einem Interview in diesem Jahr bestätigt .
Halten Sie es für zielführend, dass es zu solchen Konzentrationen kommt, und welche Effekte könnte das haben,
was Arbeitsplätze und Standortschließungen angeht?
Herr Janecek, was ich für zielführend halte, ist hier,
ehrlich gesagt, nicht gefragt . Die Bundesregierung ist in
einem förmlichen Verfahren . Dieses förmliche Verfahren
führen wir durch . Im Rahmen dieses förmlichen Verfahrens geben wir Ihnen keine Auskunft über die unterschiedlichen Kriterien . Aus der Entscheidung wird sich
ergeben, was da zugrunde gelegt wurde, was wie bewertet wurde . Dass solche Aussagen natürlich Gegenstand
der Beratungen sind, das versteht sich von selbst .
Vielen Dank . - Jetzt hat sich die Kollegin Nicole
Maisch gemeldet .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Nun können oder
wollen Sie sich nicht zur Sache äußern . Andere Mitglieder der Bundesregierung, namentlich im Agrarausschuss,
haben sich sehr kritisch zu dieser Fusion geäußert . Vonseiten des Agrarministeriums, vonseiten des Parlamentarischen Staatssekretärs Bleser wurden vor einiger Zeit im
Ausschuss durchaus Bedenken hinsichtlich einer weiteren Konzentration auf dem Lebensmitteleinzelhandelsmarkt geäußert . Deshalb frage ich Sie, ob Sie uns sagen
können, wie es jenseits des von Ihnen für nicht sprachfähig erklärten Wirtschaftsministers die Bundesregierung
bewertet, dass eine weitere Konzentration negative Folgen für die Verbraucherinnen und Verbraucher auf dem
Lebensmittelmarkt haben könnte .
Frau Maisch, wir reden hier nicht über die Frage, was
die Bundesregierung zu bestimmten entwicklungspolitischen, verbraucherpolitischen, landwirtschaftlichen oder
auch sozialpolitischen Fragen denkt,
({0})
sondern es geht hier nur um die Frage des Kartellverfahrens .
({1})
Jetzt hat aber erst noch die Frau Staatssekretärin Gelegenheit, zu antworten . - Bitte schön .
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Weder kann ich jetzt
beurteilen, was der Kollege Bleser im Agrarausschuss
gesagt hat, noch spielt das für die Entscheidung des Wirtschaftsministeriums eine Rolle .
Danke . - Jetzt hat sich die Kollegin Müller-Gemmeke
noch gemeldet . - Bitte schön .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Frau Staatssekretärin, ich habe das Gefühl, hier werden überhaupt keine
Antworten gegeben auf unsere Fragen nach Auswirkungen, nach Befürchtungen und nach Überlegungen, die
aus unserer Sicht schon wichtig sind . Ich frage jetzt noch
einmal nach einer politischen Einschätzung .
Sie kennen bestimmt die Kritik von Verdi und auch
vom Betriebsrat Region München, die am 16 . November bei der öffentlichen Anhörung zur Ministererlaubnis
geäußert wurde . Beide haben davor gewarnt, dass Edeka auch die neuen Filialen, falls Edeka die Filialen von
Kaiser’s Tengelmann bekommen würde, an sogenannte
selbstständige Kaufleute übertragen werde. Die selbstständigen Kaufleute bei Edeka haben zu 90 Prozent keine
Tarifbindung und keine Betriebsräte . Von daher hätte ich
schon gerne eine Einschätzung von Ihnen, ob nicht zu
befürchten ist, dass dies nach einer solchen Übernahme
erneut droht . Dass dies dann zulasten der Beschäftigten
ginge, ist wohl klar . Von daher hätte ich gerne eine Einschätzung, wie Sie diese Befürchtung von Verdi und dem
Betriebsrat bewerten .
Frau Staatssekretärin .
Es ist richtig, dass das Spektrum der Beigeladenen für
die Sitzung am 16 . November ausgesprochen groß war .
Gerade die Arbeitnehmerseite war sehr prominent vertreten . Es war der Gesamtbetriebsrat von Kaiser’s Tengelmann da . Es war der Gesamtbetriebsrat von Birkenhof
da, der Gesamtbetriebsrat München und Oberbayern und
von dem Lager Nieder-Olm . Zudem waren, wie Sie eben
sagten, die Gewerkschaften Verdi und NGG vertreten .
Sie haben die Positionen, die sie für richtig halten, deutlich gemacht . Der Minister wird in seiner Eigenschaft als
zu entscheidende Figur in diesem Kartellverfahren alle
diese Punkte abwägen und mit einbeziehen .
({0})
Es gibt keine Nachfrage . - Danke schön .
Jetzt kommen wir zu Frage 42 der Kollegin Kerstin
Andreae:
Welche alternativen Interessenten für die Übernahme von
Kaiser’s Tengelmann in Gänze oder in Teilen - neben Edeka - wurden im Rahmen der Kausalitätsprüfung berücksichtigt ({0}), und mit welchen Zusicherungen für die
Übernahme von Arbeitnehmern von Kaiser’s Tengelmann sind
diese verbunden?
Frau Staatssekretärin .
Frau Präsidentin! Liebe Frau Andreae, es bleibt dabei,
dass die Überlegungen, die im Rahmen der Kartellrechtsentscheidung anzustellen sind, hier nicht verhandelt werden können .
Nachfrage? - Bitte schön .
Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie bitten, zu abstrahieren und nicht über die Fusion von Kaiser’s Tengelmann und Edeka zu sprechen . Ich frage Sie: Was sind
Ihrer Ansicht nach gesamtwirtschaftliche Erwägungen,
die es rechtfertigen, eine Entscheidung des Kartellamts
zu überstimmen?
Das kann man so allgemein und generell gar nicht sagen . Das sind Entscheidungen, die man in jedem Einzelfall zu prüfen und zu bewerten hat . Das muss man dann
auch entsprechend tun .
Dann habe ich noch eine Rückfrage . Ich glaube, man
kann sie allgemein beantworten; ich möchte Sie aber im
Hinblick auf das Thema Machtkonzentration ansprechen .
Glauben Sie - ganz allgemein -, dass wir schon jetzt im
Lebensmittelbereich eine Machtkonzentration haben vier Große teilen sich den Markt - und dass wir gerade
im Hinblick auf einen potenziellen Marktführer darauf
achten sollten, dass es nicht eine weitere Stärkung seiner
Marktführerposition gibt?
Ganz allgemein kann man das, glaube ich, nicht beantworten . Vielmehr muss man immer sehr konkret auf
die Frage eingehen: Wie ist die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Zusammenhang, und
wie ist die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Das ist ein wichtiges Thema, gerade für Sozialdemokraten, wie Sie wissen . Man muss sich das in allen
Einzelheiten angucken und bewerten . Deshalb kann ich
ganz allgemein hier keine Auskünfte dazu geben .
Vielen Dank . - Die Kollegin Dröge hat sich gemeldet .
({0})
Wir haben jetzt zu Fragen in der Sache keine Antwort
bekommen . Meine Kollegen haben Fragen unter anderem an das Landwirtschaftsministerium und an das Arbeitsministerium gestellt, die alle Ihnen zugeordnet worden sind . Nun sitzt aber Herr Gabriel als Person dort und
entscheidet über die Ministererlaubnis . Ich glaube nicht,
dass das ganze Kabinett am Ende gemeinsam beraten
wird, ob Herr Gabriel die Ministererlaubnis erteilt . Das
heißt, die Unfähigkeit, auf unsere Fragen zu antworten,
müsste sich auf Herrn Gabriel und damit dann auch auf
Sie als Vertreterin des Bundeswirtschaftsministeriums
beschränken .
Wir können dann aber doch in der Sache Fragen an das
Landwirtschaftsministerium stellen, da es nicht in dieses
prozessuale Verfahren eingebunden ist, genauso wie wir
an das Arbeitsministerium Fragen stellen können müssten . Es wäre doch ganz gut, wenn wir die Fragen dann
auch stellen könnten . Sie haben sie aber alle Ihnen zugeordnet . Damit erscheint es uns so, als wollten Sie die
Fragen nicht beantworten, weil Sie dazu in der Sache keine Auskunft geben wollen . Deswegen möchte ich fragen:
Warum haben Sie die Fragen alle Ihrem Haus zugeordnet?
Liebe Frau Dröge, wie die Fragen innerhalb der Bundesregierung verteilt werden, geschieht ja nicht willkürlich - danach, ob man Fragen beantworten will oder
nicht -, sondern richtet sich nach der Zuständigkeit .
({0})
Da das Bundeswirtschaftsministerium in Person des
Bundeswirtschaftsministers dafür zuständig ist, dieses
Kartellverfahren durchzuführen, hat uns das Bundeskanzleramt, wenn ich es richtig sehe, all diese Fragen
zugeordnet und gesagt: Das gehört alles zu diesem Komplex . Wir wollen das nicht in irgendeiner Art und Weise
aufspalten und dadurch Gefahr laufen, dass Themen, die
in anderer Rolle durch den Bundeswirtschaftsminister zu
entscheiden sind, hier politisch verhandelt werden . - Das
machte die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers hinterher natürlich sehr leicht angreifbar . Das will
man nicht . Das ist ja der tiefere Sinn dieser Veranstaltung .
Vielen Dank. - Jetzt hat sich die Kollegin Steffi Lemke
zur Geschäftsordnung gemeldet .
({0})
Ob das jetzt überraschend ist oder nicht, Herr Kollege, ist, glaube ich, nicht entscheidend . - Entscheidend ist
die Frage, ob die Bundesregierung aus Unvermögen oder
aus Unwillen heraus nicht in der Lage ist, die Fragen des
Parlamentes zu beantworten . Wir sind jedenfalls nicht
damit einverstanden, dass ein so gravierender Prozess,
der Auswirkungen auf Arbeitsplätze, auf Wirtschaftsbeziehungen und natürlich auch auf Verbraucherinteressen hat, dem öffentlichen Diskurs und dem Diskurs des
Parlaments entzogen wird, indem Sie, wie gesagt, aus
Unwillen oder aus Unvermögen heraus die Fragen unsererseits nicht beantworten . Deshalb beantrage ich hiermit
namens meiner Fraktion nach § 106 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde .
({0})
Das muss ich jetzt zurückweisen . Man hat das Recht,
Geschäftsordnungsanträge zu stellen . - Ich sehe niemanden, der dagegenredet . Dann nehme ich zur Kenntnis,
dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Antwort
der Bundesregierung auf Frage 42 eine Aktuelle Stunde
verlangt hat . Das entspricht Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b unserer Regelungen für die Aktuelle Stunde .
Ich hätte jetzt gerne von Bündnis 90/Die Grünen gewusst: Binden wir die Fragen 43 bis 51, die sich alle auf
dieses Thema beziehen, in die Aktuelle Stunde ein? Gut . Dann können wir darauf verzichten, dass diese Fragen hier noch beantwortet werden .
Ich fahre in der Fragestunde fort . Wir kommen zu Frage 52 . Herr Behrens ist nicht da . Dann entfällt die Beantwortung . Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen .
Die Frage 53 des Kollegen Krischer, die Fragen 54 und
55 der Kollegin Dr . Julia Verlinden, die Fragen 56 und 57
der Kollegin Britta Haßelmann sowie die Frage 58 der
Kollegin Bärbel Höhn werden schriftlich beantwortet .
Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt .
Ich bitte jetzt einmal die Geschäftsführer zu mir . Wir
müssen die Rednerliste erstellen . Dafür unterbreche ich
die Sitzung bis 15 .30 Uhr . Ich bitte Sie aber, hierzubleiben, damit wir möglichst zügig weitermachen können .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung wird fortgesetzt . Ich bitte Sie jetzt alle, Ihre Plätze wieder einzunehmen .
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nummer 1
Buchstabe b GO-BT
zu der Antwort der Bundesregierung auf die
Frage 42 auf Drucksache 18/6845
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wäre schön, wenn die Bundesregierung jetzt da wäre .
({0})
- Da ist die zuständige Staatssekretärin . - Wir haben ja
schon darüber gesprochen, dass unsere Fragen nicht nur
ungenügend, sondern überhaupt nicht beantwortet wurden .
({1})
Es ist doch so: Seit sieben Monaten läuft ein Verfahren . Vor sieben Monaten hat Edeka die Ministererlaubnis
beantragt . Im Ministerium wird über Gemeinwohlgründe
diskutiert . Im Übrigen ist es richtig, dass sehr genau hingeschaut wird . Der Fall ist schwierig . 16 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind betroffen . Deswegen ist
eine sorgfältige Prüfung notwendig .
({2})
Jetzt ist es aber so, dass sich das Bundeskartellamt
klar gegen den Erwerb der rund 450 Kaiser’s-Tengelmann-Filialen durch Edeka ausgesprochen hat . Das ist
der Grund, warum jetzt die Prüfung der Ministererlaubnis im Raum steht . Ende April 2015 wurde sie beantragt .
Nach GWB sollte - das haben wir heute schon einmal
gehört - nach ungefähr vier Monaten eine Entscheidung
fallen . Am 16 . November 2015 fand eine Anhörung im
Ministerium statt . Staatssekretärin Zypries hat heute im
Ausschuss gesagt, dass diese Anhörung eigentlich keine
wesentlichen neuen Erkenntnisse gebracht habe und die
Entscheidung des Ministers weiterhin ausstehe . Der Minister prüft also, ob Gemeinwohlgründe es rechtfertigen,
die Entscheidung des Bundeskartellamts zu überstimmen .
Ich frage Sie, welche Gemeinwohlgründe das sein
können . Wir haben nicht nur eine Entscheidung der Kartellbehörde . Auch die Monopolkommission hat gesagt:
Die Konzentration im deutschen Lebensmitteleinzelhandel ist sehr groß, und sie ist rasant gestiegen . Vier Unternehmen haben Marktanteile von 85 Prozent . Edeka ist
mit rund 27 Prozent der Marktführer und würde bei einer
Zustimmung zu dieser Fusion, bei Erteilung einer Ministererlaubnis weitere Marktmacht bekommen . Ich frage
Sie als Wirtschafts- und Wettbewerbspolitiker, denen
dieses Thema wichtig sein muss: Sind Sie der Meinung,
dass eine weitere Konzentration im Lebensmittelmarkt
richtig wäre? Wir sagen: Nein, das wäre nicht richtig .
({3})
Damit sind wir nicht alleine . Der Bauernverband
spricht sich gegen diese Fusion aus,
({4})
weil er die Sorge hat, dass die Konzentration im Einzelhandel faire Vermarktungsbedingungen untergräbt . Sie
alle kennen die Debatte, die wir diesen Sommer, aber
auch letzten Sommer über die Milchpreise und die Situation der Milcherzeuger geführt haben . Das sind doch
Themen, die wir ernst nehmen und berücksichtigen müssen .
({5})
Auch die mittelständischen Hersteller von Nahrungs- und Genussmitteln und Haushaltswaren sowie
die Privatbrauereien und die Verbraucherschützer sind
dagegen . Warum sind die Verbraucherschützer dagegen?
Sie sagen: Der Wettbewerb würde dadurch untergraben,
und das wiederum würde der Vielfalt und den Standorten schaden . Ein funktionierender, fairer Wettbewerb ist
wichtig für faire Preise und ein vielfältiges Angebot .
Natürlich ist der Erhalt der Arbeitsplätze wichtig, ganz
wichtig sogar . Aber auch Verdi spricht sich gegen diese
Fusion aus . Auch das sollten wir berücksichtigen . Ja, es
ist wichtig, dass wir die Arbeitsplätze schützen und erhalten . Es ist aber auch wichtig, dass wir auf die Stimmen der Zivilgesellschaft hören: Verdi, Bauernverband,
Verbraucherzentrale und wir Grünen sprechen uns gegen
diese Fusion aus .
({6})
Jetzt sagen Sie: Na ja, einmal ganz langsam, es ist ein
Verfahren . Deswegen können wir gar nichts dazu sagen .
Irgendwann fällt die Ministererlaubnis oder nicht, und
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
dann können wir sagen, warum sie so gefallen ist oder
warum nicht .
({7})
Ich frage Sie als Parlamentarier und als Parlamentarierinnen: Finden Sie es richtig, dass wir bei einer derartigen politischen Debatte, die die Bevölkerung bewegt,
die die 16 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bewegt, die uns alle bewegen muss - ich habe die Phalanx
der Leute, der Verbände, die sich hier positionieren, genannt -,
({8})
an keiner Stelle die Möglichkeit haben, die Argumente
auszutauschen und dieses gesamtwirtschaftliche Interesse hier einmal abzuwägen?
({9})
Es ist doch notwendig, dass das Ministerium und der
Minister hört, was wir als gewählte Parlamentarier zu
dieser Frage sagen, wie wir uns hier positionieren . Sie
als Wettbewerbspolitiker haben eine Meinung zur Marktkonzentration . Sie als Landwirtschaftspolitiker wissen,
dass der Druck auf Erzeuger ein großes Problem ist .
Ich sage Ihnen: Wenn wir einen Beweis gebraucht haben, dass die Ministererlaubnis in dieser Form reformiert
werden muss, dann haben wir diesen Beweis heute bekommen .
({10})
Es kann nicht sein, dass Sie sich auf Verfahrensvorgänge
zurückziehen und der politische Diskurs ausbleibt .
({11})
Wir sagen ganz klar: Prüfung alternativer Fortführungskonzepte - ja . Gute Arbeitsplätze - ja . Aber diese
heiß gelaufene Konzentrationsspirale im Handel ist ein
Problem . Hier möchte ich eine Aussage von Ihnen . Daher
haben wir diese Aktuelle Stunde beantragt .
Vielen Dank .
({12})
Vielen Dank . - Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist Dr . Matthias Heider .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! „Warum eine Aktuelle Stunde zum Ministererlaubnisverfahren Edeka und Kaiser’s Tengelmann?“,
das ist hier die Frage . Damit sind wir auch gleich beim
Kern des Problems Ihrer Aktuellen Stunde . Das Thema
ist leider inhaltlich wenig geeignet, zum jetzigen Zeitpunkt hier darüber zu debattieren . Aber ich verstehe:
Alle Marktteilnehmer sitzen da im Moment auf heißen
Kohlen . Das Bundeswirtschaftsministerium ist bei einer
Ministererlaubnis verfahrenstechnisch nicht in der Lage,
Auskunft über das laufende Verfahren zu geben; denn es
ist als Kartellbehörde tätig und muss sich bis zur Entscheidung zurückhalten .
Davon abgesehen, dass diese Aktuelle Stunde natürlich auch keine Brechstange der Opposition ist, um an
Neuigkeiten zu kommen, möchte ich kurz etwas zum Inhalt des Verfahrens sagen .
({0})
Worum geht es eigentlich im Wesentlichen? Bei dem
Übernahmevorhaben von Edeka gibt es aus wettbewerblicher Sicht zwei Blickwinkel . Die einen argumentieren
mit geringen Marktanteilen von Kaiser’s Tengelmann
und halten deswegen eine Übernahme für nicht wettbewerbsgefährdend . Die anderen betrachten die Verteilung
der 451 Kaiser’s-Tengelmann-Filialen in Deutschland als
schwierig und prophezeien erhebliche Wettbewerbsverzerrungen .
Ich tendiere zur zweiten Ansicht . Die Kaiser’s-Tengelmann-Märkte konzentrieren sich auf einige wenige Gebiete in Nordrhein-Westfalen, in Berlin und in Bayern .
Hier wird es nach Ansicht des Bundeskartellamtes zu
einer erheblichen Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen kommen . Die Auswahl- und Ausweichmöglichkeiten für die Verbraucher wären nach einem solchen
Schritt stark eingeschränkt . Es könnte - das ist wahrscheinlich - zu Preiserhöhungen kommen . Auch im Bereich des Einkaufs würde ein bedeutsamer unabhängiger
Abnehmer für die Hersteller von Markenartikeln nicht
mehr zur Verfügung stehen . Ordnungspolitisch halte ich
daher die Untersagung durch das Bundeskartellamt für
völlig richtig .
({1})
Die Voraussetzungen für eine Ministererlaubnis sind
andere . Hier wird geprüft, ob Wettbewerbsbeschränkungen von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen werden oder ob der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der
Allgemeinheit gerechtfertigt ist . Aber auch diese Voraussetzungen sehe ich - jedenfalls nach unserem Kenntnisstand - im Moment nicht als eindeutig erfüllt an . Kaiser’s
Tengelmann behauptet, dass durch die Versagung einer
Ministererlaubnis ein Verlust von 8 000 Arbeitsplätzen
bevorstehe . Ich denke nicht, dass es dazu kommen wird .
Wir haben im Moment nur 2,6 Millionen Arbeitslose .
Das ist der geringste Stand seit 25 Jahren . Genügend
Wettbewerber im Lebensmitteleinzelhandel stehen in
den Startlöchern, um diese Arbeitsplätze zu erhalten .
Auch für den Fall eines Zusammenschlusses ist aus
meiner Sicht eine Arbeitsplatzgarantie nicht gesichert .
Kaiser‘s Tengelmann hat zwar mit den Betriebsräten in
den Regionen Nordrhein und Berlin eine Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung geschlossen, und
Edeka betont in der Öffentlichkeit, dass es eine vertragliche Absicherung für die Mitarbeiter durch eine Ergänzung im Unternehmenskaufvertrag gebe . Doch ob all
diese Vereinbarungen tatsächlich rechtlich bindend sind
und ob irgendwann nicht mehr Arbeitnehmer in einer
Transfergesellschaft landen und in den normalen Arbeitsmarkt integriert werden müssen, das ist fraglich .
Meine Damen und Herren, zum Schluss: Ich glaube,
die Sache ist entscheidungsreif . Der Bundeswirtschaftsminister muss zu einer Entscheidung kommen . Frau Parlamentarische Staatssekretärin, Sie haben heute Morgen
im Wirtschaftsausschuss berichtet, dass in der Anhörung
der Beteiligten am 16 . November dieses Jahres im Wesentlichen nichts Neues zur Sachlage herausgekommen
ist . Der Prozess dauert jetzt schon länger als die allermeisten Ministererlaubnisverfahren . Eine Ministererlaubnis - das wissen wir alle - verschiebt den Rahmen
des geltenden Kartellrechts, erweitert ihn um gemeinwohlbedingte Voraussetzungen. Deshalb, finde ich, ist
der Monopolkommission, die zu diesem aktuellen Verfahren gesagt hat, dass eine Ministererlaubnis in diesem
Fall nicht erteilt werden soll, an dieser Stelle zuzustimmen .
Ich glaube, meine Damen und Herren, die Märkte
brauchen jetzt ein eindeutiges Signal, damit nicht noch
länger auf die Entscheidung gewartet werden muss, und
ich glaube, es muss ein wettbewerbliches Signal sein .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Michael
Schlecht, Fraktion Die Linke, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu
Ihrer letzten Bemerkung kann man nur zynisch sagen:
Die Märkte warten wieder einmal auf ein Schlachtopfer von 16 000 Beschäftigten . - Denn darum geht es im
Kern .
({0})
Noch eine Vorbemerkung . Ich habe in den letzten zehn
Tagen mit relativ vielen Akteuren in diesem Umfeld diskutiert; ich habe mit Betriebsräten geredet, ich habe mit
Hauptamtlichen geredet . Ich will eine Klarstellung treffen: Es ist nicht so, wie eben von Frau Andreae dargestellt, dass sich Verdi eindeutig gegen diese Fusion ausspricht . Die Spitzenfunktionärin, die dafür zuständig ist,
hat eine eher abwägende Haltung . Ich selbst habe heute
Morgen lange mit ihr telefoniert und darüber gesprochen .
({1})
Es gibt auch andere Sekretäre und andere Betriebsräte,
die eine differenzierte Sicht auf dieses Thema haben . Das nur als Vorbemerkung .
Einen Punkt muss man, um das einordnen zu können,
sehen: dass Tengelmann und die 16 000 Beschäftigten
Opfer eines gnadenlosen Konkurrenzkampfes im Einzelhandelsbereich sind .
({2})
- Die anderen kommen noch hinzu; ich rede jetzt aber
erst einmal über die Tengelmänner . - Dieser gnadenlose
Konkurrenzkampf hat zentral etwas damit zu tun, dass
wir im deutschen Einzelhandel seit 15 Jahren eine desaströse Lohnentwicklung und eine desaströse Entwicklung bei den Transfereinkommen haben, kurzum: dass
die Binnennachfrage - politisch gewollt -, ausgehend
von der Agenda 2000, erheblich zusammengeschnürt ist .
Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass Tengelmann
seit zehn Jahren defizitär ist. Nach meinen Informationen
wurden mittlerweile 500 Millionen Euro zugeschossen,
um das Unternehmen zu erhalten, und jedes Jahr werden
weitere 50 Millionen Euro zugeschossen . Wir haben die
Situation, dass sich ein Unternehmen in einem gnadenlosen Konkurrenzkampf befindet und dadurch auch die
Beschäftigten an den Rand gedrängt werden . Das wissen
auch die Betroffenen im Betrieb, und das weiß vor allen
Dingen auch der Betriebsrat .
Jetzt stehen wir im Grunde genommen vor folgender
Situation: Wenn es nicht zur Fusion kommt, dann finden
auch keine - manch einer träumt noch davon - weiter
gehenden Verhandlungen statt . Wenn es nicht zu der
Fusion kommt, dann wird es aller Voraussicht nach zur
Liquidierung dieses Unternehmens kommen . Das würde
bedeuten, dass die 16 000 Beschäftigten oder zumindest
die allermeisten von ihnen schlagartig zur Disposition
stünden oder nur noch ein kleiner Teil verwendet würde .
({3})
Die Mehrheit der Betriebsräte, der betrieblichen Interessenvertretung präferiert deshalb die Fusion mit Edeka,
nicht weil sie sie toll finden, sondern weil sie sagen, dass
sie dann bessere Möglichkeiten und mehr Zeit haben, um
den Abbau- und Umstrukturierungsprozess, um den man
in Anbetracht der sehr dramatischen gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen aus ihrer Sicht überhaupt nicht herumkommt, zu organisieren .
Es gibt natürlich Probleme, zum Beispiel mit der Tarifbindung . Diese gibt es perspektivisch natürlich auch
deshalb, weil die Tarifbindung von gesetzlicher Seite
nicht gerade positiv begleitet wird . Es wäre für den Einzelhandel zum Beispiel von herausragender Bedeutung,
dass die Regelungen zur Allgemeinverbindlichkeit von
Tarifverträgen deutlich verbessert werden . Eine Forderung, die der DGB hat und die wir, die Linke, haben, ist
zum Beispiel, dass die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen auch gegen den Willen eines Unternehmerverbandes erzwungen werden kann . Das wäre ein ganz
wichtiger Punkt,
({4})
weil dadurch auch die tarifvertraglichen Standards für
die Beschäftigten, die dann zu Edeka gehören, deutlich
besser als durch die - Sie haben das ja richtigerweise
referiert - geschlossenen Betriebsvereinbarungen abgesichert werden würden . Diese Betriebsvereinbarungen
bieten aber zumindest über vier Jahre einen Schutz . Ich
finde, das ist ein gewichtiger Punkt.
Deswegen will ich Ihnen deutlich sagen: Aus meinen Diskussionen in den letzten zehn Tagen - vor allen
Dingen aus den Diskussionen mit meiner alten Kollegenschaft; ich komme ja von Verdi und kenne dort viele Kolleginnen und Kollegen, auch Betriebsräte - habe
ich den Eindruck, dass diese Fusion der am wenigstens
schlechte Weg für die 16 000 Beschäftigten ist . Das ist
zwar kein guter Weg, aber der andere Weg, nämlich die
Liquidierung, die Zerschlagung und die Vernichtung von
16 000 Arbeitsplätzen, wäre der weitaus dramatischere .
({5})
Das Ganze kann man nur verhindern, indem man gesellschaftlich wieder zu anderen Bedingungen kommt
und die Binnennachfrage in Deutschland stärkt, um auf
die Krise und die notleidende Situation im Einzelhandel
entsprechend zu reagieren und den absolut brutalen Konkurrenzkampf auszuhebeln . Das ist der entscheidende
Weg . Wenn man das nicht macht, dann muss man in der
Tat solche Notfalldiskussionen darüber führen, was der
am wenigsten schlechte Weg ist . Das ist leider so .
Danke schön .
({6})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Dr . Hans-Joachim Schabedoth .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ein Teil dieser Debatte erinnert an die
Dramatik einer Seifenoper . Sie kennen das: Der reiche
Bräutigam steht mit der geneigten Braut vor dem Altar,
und von hinten ruft es nach vorne: Nein, ihr dürft nicht
heiraten, es gibt noch viel schönere Ehepartner . Außerdem bestehen Zweifel, dass ihr gut zu euren Kindern sein
werdet .
Ich respektiere den Eifer, Wirtschaftsminister Gabriel
anzuhalten, die Übernahme von Kaiser‘s Tengelmann
durch Edeka in ähnlicher Weise last minute zu verbieten . Das Bundeskartellamt und die Monopolkommission
haben das ja schon getan . So weit, so einfach . Ist es aber
wirklich so einfach?
Zunächst sollten wir uns bewusst sein: Die Ministererlaubnis heißt so, weil der Minister und nicht das Parlament der Erlaubnisgeber oder -verweigerer ist . Gleichwohl sind wir Parlamentarier nicht daran gehindert, ihm
unsere eigenen Erwägungen vorzutragen . Das tun wir
heute .
({0})
Wer ihm diesbezüglich einen Rat geben will, kann das
also tun . Dass sich Ratschläge auch widersprechen können, hat schon die Sonderanhörung gezeigt . Am Ende
muss er also doch wieder allein entscheiden, ob und wieso er sich über das Votum des Bundeskartellamtes hinwegsetzen will oder nicht .
Kritiker schwarz-gelber Regierungsarbeit behaupten,
es sei deren Markenzeichen gewesen, unbequemen Entscheidungen auszuweichen, sie zu verzögern und gar das
Fähnlein nach dem Wind wahltaktischer Kalküle zu richten . Das mag viele Jahre klappen, aber nicht auf ewig .
Wer Kanzlerin bleiben will oder Kanzler werden möchte,
muss also auch entscheiden - mit allen Schwierigkeiten,
die das gerade in diesen Tagen mit sich bringt .
Ich habe den Eindruck, dass wir einen Wirtschaftsminister haben, der sich vor Entscheidungen nicht drückt .
Das gilt auch im hier diskutierten Fall . Politik machen
heißt, Entscheidungen zu treffen und sie auch wertbezogen zu begründen .
Was sind die Werte, die dafür maßgeblich sind? Zuallererst stellen sich einige Fragen: Was stiftet den größten gesellschaftlichen Nutzen? Was ist am besten für die
16 000 noch unter relativ guten tariflichen Bedingungen
arbeitenden Beschäftigten bei Kaiser’s Tengelmann?
Und was nützt es den Kunden und den Lieferanten? Solche Fragen waren für den Mann an der Spitze von Tengelmann ganz offensichtlich nicht so spielentscheidend;
wohl sind sie es aber für den Wirtschaftsminister .
In der Seifenoper wird die Braut das letzte Wort haben .
({1})
In unserem Fall geht es aber nicht um die Entscheidung
des Herzens, sondern um soziale und ökonomische Vernunft . Wir alle wollen gute Qualität zu angemessenen
Preisen . Deshalb hat es einen hohen Wert, wenn in allen
Regionen möglichst viele Anbieter im Wettbewerb stehen und Erzeuger und Lieferanten nicht vor Abnehmermonopolisten kapitulieren müssen .
Dem Kaiser’s-Tengelmann-Eigner ist das egal . Er beharrt auf seiner Eigentümerallmacht und will sich nur mit
der Goldmarie verheiraten . Mit der vielleicht doch hübscheren Pechmarie hat er gar nicht ernsthaft verhandelt .
({2})
Auch regional differenzierte Marktstrukturen haben bei
seiner Verkaufsstrategie keine Rolle gespielt . Dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch der Allgemeinheit zu dienen hat, steht bekanntermaßen in Artikel 14
Absatz 2 des Grundgesetzes. Das ist keine fixe Idee aus
Nordkorea .
Gibt der Verkäufer seine bockige Ignoranz gegenüber kartellrechtlichen Bedenken nicht auf, dann wird
er riskieren, dass der Wirtschaftsminister nicht anders
entscheidet als die Kartellwächter . Deshalb empfehle ich
nicht nur dem Wirtschaftsminister, bei seiner Entscheidung unsere Debatte zu berücksichtigen .
({3})
Auch der Verkäufer sollte seine gesellschaftliche Verpflichtung anerkennen. Alle potenziellen Käufer wiederum sollten wissen: Es geht nicht um ein Verdienen durch
Arrondieren, sondern um ein Maximieren des Kundennutzens . Auch damit ließ sich früher gut Geld verdienen .
Um im Bild zu bleiben: Die Braut hat die Wahl . Erstens . Sie muss sich nicht an den einen binden . Sie kann
auch prüfen, ob es nicht doch andere gibt, die besser zu
ihr passen . Zweitens . Sie wird die Verantwortung für
ihre bisherigen Kinder, also alle Tengelmann- und Kaiser‘s-Beschäftigten, nicht so einfach loswerden . Drittens .
Ein Pastor wird die Trauung umso lieber vollziehen,
wenn keine Zweifel bleiben, ob auf der Ehe ein Segen
ruht .
({4})
Danke schön . - Nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion ist der Kollege Dr . Andreas Lenz .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir führen
heute eine Debatte über etwas, was wir hier im Parlament
gar nicht zu entscheiden haben, nach dem Motto: Schön,
dass wir darüber gesprochen haben .
({0})
Im vorliegenden Fall ist der Minister Kartellrechtsbehörde im Sinne des Gesetzes . Er entscheidet über eine
etwaige Ministererlaubnis . Deswegen heißt sie auch so .
Wie sich hier die Grünen als Ordnungspolitiker erfinden, finde ich bemerkenswert, fast etwas rührend. Eigentlich fallen Sie sonst eher als Verbotspartei auf .
({1})
Ich denke, mit Wettbewerb und Marktwirtschaft kann
man Sie eigentlich nicht in Verbindung bringen . Dass Sie
außerdem an der Seite des Bauernverbandes stehen, ist
mir auch neu . Aber in dieser Debatte können wir eben
immer wieder neue Erkenntnisse gewinnen .
({2})
Das Bundeskartellamt hat am 1 . April 2015 den Erwerb der 451 Kaiser‘s-Tengelmann-Filialen durch Edeka
untersagt; aus meiner Sicht aus gutem Grund . Der Lebensmittelmarkt in Deutschland ist hoch konzentriert .
Die großen Vier, Edeka, Rewe, Lidl und Aldi, vereinen
im Lebensmitteleinzelhandel 85 Prozent Marktanteil auf
sich . Edeka hat dabei eine doppelt so hohe Standortdichte wie der nächste Konkurrent . Außerdem hat Edeka mit
rund 27 Prozent den bei weitem höchsten Marktanteil . So
weit nichts Neues .
Eine Übernahme der Kaiser’s Gruppe würde dazu
führen, dass sich zukünftig Preiserhöhungsspielräume
ergeben könnten, auch wenn man das jetzt noch nicht
beobachten kann . Momentan werden niedrige Preise im
Lebensmitteleinzelhandel häufig zulasten der Produzenten umgesetzt . Wenige Nachfrager drücken durch ihre
Marktmacht die Preise der Erzeuger von Lebensmitteln .
Das geht vor allem zulasten der heimischen Landwirtschaft . Diese Tendenz würde durch die Übernahme eines
Wettbewerbers weiter verstärkt werden .
Häufig wird argumentiert, dass nur durch eine Übernahme durch Edeka die Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann zu retten seien . Das sehe ich nicht so . Entscheidend, ob ein Standort weitergeführt wird, ist vor allem
seine Attraktivität . Auch deshalb ist der Fall Kaiser’s
Tengelmann nicht mit dem Fall Schlecker zu vergleichen. Hier waren die Filialen häufig auch in ländlichen
Gegenden verteilt . Die Filialen von Kaiser’s Tengelmann
konzentrieren sich auf attraktive Standorte im Großraum
Berlin, in NRW sowie in München und Oberbayern . In
diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass allein in München durch eine Übernahme von Tengelmann
eine Marktkonzentration teilweise von bis zu 95 Prozent
auftreten würde .
Die Monopolkommission hat am 3 . August in einem
Sondergutachten festgestellt, dass etwaige Gemeinwohlvorteile die Wettbewerbsbeschränkungen nicht aufwiegen würden . Dies würde auch für eine Ministererlaubnis
mit Auflagen gelten. Auch aus diesem Grund ist es nicht
ganz verständlich, warum Kaiser’s Tengelmann dem
Anschein nach andere Angebote nicht oder nur unzureichend geprüft hat .
Walter Eucken stellte einst verärgert fest: Überall
kann man erkennen, dass die Monopolfreunde vordringen . - Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
wurde 1957 von Ludwig Erhard ja genau aus dem Grund
geschaffen, den Wettbewerb zu fördern, letztlich zum
Wohle aller . Man sieht auch aus der Geschichte: Wo kein
Wettbewerb stattfindet, ist letztlich die Vielfalt des Warenangebots sehr eingeschränkt .
Edeka wirbt mit dem Slogan „Wir lieben Lebensmittel“ . Das überzeugt . Wir sollten nach dem Motto handeln:
Wir lieben Ordnungspolitik, wir lieben Marktwirtschaft,
letztlich zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger . Das
überzeugt mich .
({3})
Wie gesagt, es entscheidet der Minister nach
§ 42 GWB . Der Minister war bei der mündlichen Anhörung anwesend und kennt die Faktenlage . Es ist gerade
Advent, die Zeit der Ankunft . Vielleicht ist es auch die
Zeit der Entscheidungsfindung.
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
Jutta Krellmann .
({0})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
verehrte Damen und Herren auf der Tribüne! Wir reden
gerade über 16 000 Beschäftigte hier in Deutschland, die
bei Tengelmann noch arbeiten . Diese Kolleginnen und
Kollegen bangen jetzt schon seit Monaten um ihre Arbeitsplätze und wissen nicht, was in Zukunft mit ihnen
passiert .
Als Gewerkschaftssekretärin habe ich unheimlich
viele solcher Konflikte in den Betrieben erlebt. Ich habe
erlebt, wie viele Tränen da geflossen sind. Ich habe erlebt, was das für die Leute bedeutet hat; denn wenn wir
von 16 000 Menschen reden, dann reden wir auch von
16 000 Existenzen, um die es in diesem Fall gerade geht .
({0})
Es sind in der Regel nicht die Beschäftigten, die solche Situationen verursacht haben und die dafür gesorgt
haben, dass das Kind kurz davor ist, in den Brunnen zu
fallen . Das sind aber diejenigen, die am Ende immer unter den Konsequenzen zu leiden haben . Das passiert mit
den Beschäftigten . Im Grunde kann es den Betroffenen
und auch mir als Gewerkschaftssekretärin scheißegal
sein, wie am Ende dieser Auseinandersetzung der Eigner
des Betriebes heißt und wem er am Ende gehört . Entscheidend ist, was mit den Existenzen passiert, was mit
den Arbeitsplätzen passiert und wo die Menschen arbeiten . Im Grunde ist es egal, wie der Eigner am Ende heißt .
Wichtig ist, was am Ende in der Packung drin ist .
Entscheidend wird sein, unter welchen Bedingungen
es für diese Beschäftigten weitergehen wird . Wenn man
die Branche betrachtet, stellt man fest, dass der Einzelhandel im Grunde eine der größten Branchen ist, die wir
hier in Deutschland haben . Dort arbeiten circa 2,7 Millionen Beschäftigte, und das sind überwiegend Frauen .
Über 50 Prozent der Beschäftigten sind Frauen, und das
gilt natürlich auch für Kaiser’s Tengelmann . Diese Frauen arbeiten überwiegend in Teilzeit, oftmals in Minijobs .
Es gibt einen massiven Verdrängungswettbewerb in den
Einkaufsstraßen und Einkaufszentren . Im Grunde stellt
sich schon lange die Frage, was mit den Arbeitsplätzen
im Einzelhandel passiert .
Die Tarifbedingungen sind unglaublich stark ausgehöhlt worden . Es gibt viele Arbeitgeber - an der Spitze
die Firma Edeka -, die dafür sorgen, dass die Betriebe aus
den Arbeitgeberverbänden ausgegliedert werden . Damit
werden die Tarifverträge ad absurdum geführt . Die Tarifbindung in den Bereichen ist mittlerweile sehr schlecht,
und das ausgerechnet in einer Branche, mit der wir alle
immer wieder zu tun haben, wenn wir einkaufen gehen .
Weil wir wissen, dass die tariflichen Bedingungen in diesem Bereich nicht passen, muss das, finde ich, ganz besonders intensiv diskutiert werden . Denn diese Situation
hat auch etwas damit zu tun, dass Firmen in Schwierigkeiten geraten und am Ende die Arbeitsplätze infrage stehen .
Prozentual gesehen ist die Tarifbindung der Beschäftigten im Westen mittlerweile auf 42 Prozent und im Osten auf 33 Prozent gesunken . Was die Betriebe angeht,
sind im Westen 70 Prozent der Betriebe ohne Tarifbindung . Im Osten sind es 77 Prozent .
({1})
- Edeka ist auch das Beispiel dafür . Edeka selbst ist im
Arbeitgeberverband und zahlt den Flächentarif . Aber alle
ausgegliederten Betriebe sind nicht mehr im Arbeitgeberverband . Das sind Probleme in der Branche .
Von daher bin ich der Auffassung, dass man, wenn
man darüber diskutiert, auf jeden Fall mit diskutieren
muss, welche Anforderungen wir im Falle einer Zusage,
dass Edeka Tengelmann übernehmen kann, stellen . Ich
will den Werbespruch von Edeka aufgreifen: „Wir lieben Lebensmittel“ . Die Arbeitnehmerrechte liebt Edeka
nicht . Da müsste eine ganze Menge passieren, damit
Edeka zu einem guten Betrieb wird .
({2})
- Nennen Sie das ruhig Quatsch . Wir können gerne darüber diskutieren . Das würde ich gerne mit Ihnen machen .
({3})
Die Forderung, die ich als Mitglied der Fraktion Die
Linke habe, ist: Die Entscheidung darf im Interesse der
Beschäftigten nicht an der Gewerkschaft Verdi, den Betriebsräten und den Beschäftigten vorbeigehen .
({4})
Und sie muss unter der Maßgabe erfolgen: Wir reden
über Flächentarifverträge und Mitbestimmung in den
Betrieben .
({5})
Wenn das erledigt ist, dann ist, finde ich, ein wichtiger
Schritt im Interesse der Beschäftigten bei der Firma Tengelmann getan .
Vielen Dank .
({6})
Danke schön . - Als Nächstes hat Marcus Held,
SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich bin sehr überrascht darüber, dass wir uns
heute Nachmittag im Plenum Schlagwörter und Werbestrategien von Mitbewerbern im Einzelhandel um die
Ohren werfen . Wir sind im Deutschen Bundestag, und
ich denke, wir haben nicht zu bewerten, welches Unternehmen mit welchen Schlagwörtern und Marktstrategien
am Markt ist . Wir haben vielmehr ein formelles Verfahren - darauf möchte ich auch Sie, Frau Dröge und Frau
Andreae, noch einmal hinweisen -, das seit fast einem
Jahr läuft . In dieses Verfahren haben wir uns politisch im
Grunde überhaupt nicht einzumischen .
Denn wie hat das Verfahren begonnen, meine Damen und Herren? Am 1 . April hat das Bundeskartellamt
die Übernahme von Filialen von Kaiser’s Tengelmann
durch Edeka untersagt . Das Bundeskartellamt hat dies
damals auch sehr dezidiert begründet, weil dies nach
seiner Einschätzung zu erheblichen Verschlechterungen
der Wettbewerbsbedingungen auf zahlreichen ohnehin
schon stark konzentrierten regionalen Märkten im Großraum Berlin, München und Oberbayern sowie in Nordrhein-Westfalen geführt hätte .
Wir diskutieren in diesem Hause und in den Ausschüssen gegenwärtig auch über das Vergaberecht und das
Wettbewerbsrecht . Insofern ist, glaube ich, zunächst diese Entscheidung des Bundeskartellamtes zu akzeptieren,
insbesondere deshalb, weil das Bundeskartellamt sehr
selten zu solchen Einschätzungen auf dem Markt kommt .
Was ist nach einer solchen Entscheidung zu tun? § 42
des GWB tritt in Kraft . Hier kann der Antragsteller dafür sorgen, dass eine entsprechende Ministererlaubnis
gegeben wird . Der Minister kann sich mit seiner Entscheidung über die Entscheidung des Bundeskartellamts
stellen . In diesem Fall wurde eine entsprechende Erlaubnis beantragt . Dies wurde mit dem Bericht der Monopolkommission am 3 . August veröffentlicht . Die Monopolkommission hat in ihrem Gutachten ganz klar gesagt,
dass die Gemeinwohlvorteile die Wettbewerbsbeschränkungen nicht aufwiegen und dass auch fraglich ist, dass
das Argument der Arbeitsplatzsicherheit - darauf möchte
ich besonders hinweisen - so klar zugunsten von Edeka
spricht . Die Länder und die Betriebsräte der betroffenen
Standorte haben unterschiedliche Stellungnahmen abgegeben . Insofern kann man weder auf Arbeitgeberseite
noch auf Gewerkschaftsseite von einer geschlossenen
Front sprechen . Je nachdem, wie stark jemand betroffen
ist, ist die Stellungnahme ausgefallen .
Herr Schlecht, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass es,
wenn die Ministererlaubnis nicht gegeben wird, zu einer
Zerschlagung von Kaiser’s Tengelmann kommen wird .
Wie Sie zu einer solchen Einschätzung kommen, ist mir
allerdings schleierhaft . Die Monopolkommission spricht
davon, dass es, wenn die Ministererlaubnis nicht gegeben
würde, dezentrale Vergaben in Teilpaketen geben könnte .
Ich persönlich bin mir ganz sicher: Der Eigentümer von
Kaiser’s Tengelmann wird dafür sorgen, dass es nicht
zu einer Liquidierung kommt . Er wird sicherlich einen
guten Preis für sein Unternehmen auf dem Markt erzielen wollen . Wenn das in Teilpaketen möglich ist, warum
nicht?
Wichtig für uns, die SPD, ist, dass die 16 000 Arbeitsplätze bei Kaiser’s Tengelmann erhalten bleiben und dass
sie in Zukunft in einem Verbund sogar stärker ausgebaut
werden . Sie haben in diesem Zusammenhang von einem
brutalen Konkurrenzkampf gesprochen . Dieser Kampf
auf dem Markt bedeutet aber auch, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie insbesondere Menschen
mit geringem Einkommen in Deutschland zu günstigen
Preisen Lebensmittel erwerben können; das sollten Sie
nicht verschweigen . Als Vorsitzender einer regionalen
Tafel weiß ich, dass diese Möglichkeit vielen Menschen
leider nicht eröffnet ist . Aus diesem Grunde muss auch
die Kehrseite angesprochen werden .
Wie geht es weiter? Egal wie der Minister entscheidet - das muss in der Debatte noch einmal gesagt werden -, Frau Staatssekretärin Zypries, er kann es nur
falsch machen . Entweder gibt er die Ministererlaubnis dann werden die Mitbewerber klagen -, oder er gibt sie
nicht - dann geht das Spiel von vorne los .
Noch einmal eine Klarstellung an dieser Stelle: Politisch haben wir keine Entscheidung zu treffen, egal wie
viele Aktuelle Stunden Sie dazu noch beantragen werden .
Das ist zwar hochinteressant für die Kunden und alle anderen, weil es um Arbeitsplätze geht . Wir werden sehen,
wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergeht .
Vielleicht wird uns der entsprechende Erlass unter den
Weihnachtsbaum gelegt . Dann werden wir sehen . Ich bin
jedenfalls sicher, dass wir uns noch einige Monate, wenn
nicht sogar Jahre mit diesem Thema zu befassen haben .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist Katharina Dröge,
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! § 42 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen regelt zwar vieles nicht, was in der Debatte
erwähnt wurde, wohl aber folgende zwei Sachverhalte:
Der Minister darf dann eine Ministererlaubnis für eine
Fusion erteilen, die bereits durch das Bundeskartellamt
versagt wurde, wenn es entweder gesamtwirtschaftliche
Vorteile gibt, die eine solche Fusion begründen, oder
es ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gibt .
Aus diesem überragenden Interesse der Allgemeinheit
lässt sich ableiten, dass es sich um keine Hinterzimmerentscheidung, sondern um eine hochgradige politische
Entscheidung handelt, die der Minister, der kein Richter, sondern ein politischer Beamter ist, treffen muss und
über die wir diskutieren müssen . Das darf die Bundesregierung nicht einfach wegwischen, wie sie es in der Fragestunde getan hat .
({0})
Was haben Sie gemacht, Frau Zypries? Frau Zypries,
wir haben Sie nicht danach gefragt, was Herr Gabriel tun
wird, ob er die Ministererlaubnis erteilen wird oder ob er
sie versagen möchte . Wir haben Sie zur Sache gefragt .
Sie haben jede einzelne Frage dadurch weggewischt,
dass Sie gesagt haben, Herr Gabriel prüfe die Ministererlaubnis .
Sie haben noch nicht einmal auf die Frage antworten
können, was denn grundsätzlich Allgemeinwohlgründe
sein könnten, um eine Ministererlaubnis auszusprechen .
Wenn die Bundesregierung noch nicht einmal über die
Grundsätzlichkeit mit dem Parlament sprechen kann,
obwohl das Gesetz regelt, dass diese Gründe diejenigen
sind, die Herr Gabriel berücksichtigen muss, dann frage
ich mich wirklich, ob Sie uns einfach nur für dumm verkaufen oder ob Sie sich der Debatte nicht stellen wollen .
Ich glaube, Sie wollen sich der Debatte nicht stellen,
({1})
weil Sie ganz genau wissen, dass die Gründe, die dafür
sprächen, eine Ministererlaubnis auszusprechen, äußerst
schlechte Gründe sind . Denn was wäre das Ergebnis,
wenn diese Ministererlaubnis ausgesprochen würde?
Noch mehr Marktmacht für Edeka, noch weniger Wettbewerb im Supermarktbereich, noch weniger Auswahl
für die Verbraucher, noch mehr Druck auf die Erzeuger .
Dann kommt das ganz wichtige Argument der Arbeitsplätze . Durch die Übernahme durch Edeka würde
es im Bereich der Beschäftigten, die vorher bei Tengelmann gearbeitet haben, zu einem Verlust der Tarifbindung kommen. Es kommt zu einer Auflösung von Mitbestimmungsstrukturen . Schauen wir uns einmal an, was
Edeka jetzt schon macht, nämlich das System der selbstständigen Kaufleute und die Löhne, die Edeka zahlt. Es
ist genau das: Edeka umgeht die ordentlichen tariflichen
Strukturen, die Wettbewerber wie beispielsweise Rewe
immer noch haben .
Deswegen haben auch die Vertreterinnen von Verdi in
der Anhörung gesagt, dass sie sich gegen eine Ministererlaubnis aussprechen . Wir waren da . Verdi hat das ganz
klar gesagt . Schauen Sie sich das Verhalten von Herrn
Gabriel in dieser Anhörung an und wie er mit der Vertreterin von Verdi umgegangen ist . Er ist alles andere
als das, was ich mir unter einem neutralen Richter vorstelle . Wenn ich in einem Gerichtsverfahren von einem
Richter so angegangen worden wäre, wie Herr Gabriel
die Verdi-Vertreterin angegangen hat, dann Halleluja . So
stelle ich mir Gerichte in Deutschland nicht vor .
({2})
Wir haben jetzt viel über die Situation der Beschäftigten bei Tengelmann und darüber gesprochen, ob sie zu
Edeka kommen . Wir haben noch nicht über die Beschäftigten der Wettbewerber gesprochen; denn wenn Edeka,
das jetzt schon Marktführer im Bereich der Supermärkte
ist, seine Marktmacht noch weiter ausbaut, dann hat das
natürlich auch Beschäftigungseffekte auf die Wettbewerber und die Zulieferer . Deshalb ist es relevant, dass wir
hier im Bundestag miteinander darüber reden und wir die
Bundesregierung und das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales fragen, welche Beschäftigungseffekte sie
erwarten, wenn man die Konzentration im Lebensmittelbereich erhöht . Diese grundsätzliche Aussage hätten Sie
als Bundesregierung schon treffen können, und die hätten Sie als Bundesregierung treffen müssen .
Wir diskutieren heute darüber, weil wir verhindern
wollen, dass Herr Gabriel am 23 . Dezember eben schnell
einmal eine Entscheidung trifft, die er dann hoffentlich
in der Weihnachtspause versenkt, wenn alle Journalisten
in Urlaub sind und wir vor dem Weihnachtsbaum sitzen
und nicht mitbekommen, dass Herr Gabriel Herrn Haub
ein Weihnachtsgeschenk gemacht hat . Wenn man sich
anschaut, wie Herr Haub agiert, dann stellt man fest, dass
das nicht fürsorglich gegenüber den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern ist .
({3})
Herr Haub versucht mit der Brechstange, einen Verkauf an Edeka durchzusetzen . Er hat die Angebote von
Rewe und anderen Wettbewerbern einfach völlig ignoriert .
({4})
Ich glaube, Herr Haub hat einfach einmal die Probe aufs
Exempel gemacht, ob er die Regeln des Bundeskartellamts und der Monopolkommission außer Kraft setzen
kann. Er möchte die Kraftprobe und zeigen, wie einflussreich er ist .
({5})
Wenn Herr Gabriel diese Fusion genehmigt, dann ist
das eine Lobbyentscheidung und nichts anderes . Das
ist weder gut für den Wettbewerb noch gut für die Beschäftigten, die Verbraucherinnen und Verbraucher oder
die Erzeuger . Deswegen kann ich nur an Sie appellieren:
Versagen Sie diese Genehmigung!
({6})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat die Kollegin
Dr . Kristina Schröder, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass es bei einem Zusammenschluss von Kaiser’s Tengelmann und Edeka zu erheblichen Wettbewerbsbeschränkungen käme, und zwar sowohl aus Sicht der Verbraucher als auch aus Sicht der Lieferanten, darüber sind
sich das Bundeskartellamt und die Monopolkommission
einig .
Aus Sicht der Verbraucher lässt sich das gut am
Beispiel von Berlin illustrieren . In Berlin wie in ganz
Deutschland teilen sich den Markt der Vollsortimenter im
Grunde drei Unternehmen: Rewe, Kaiser’s und Edeka .
In Berlin ist es so, dass Edeka einen Anteil von 25 bis
30 Prozent hat, aber auch Kaiser’s sehr stark ist und in
einigen Bezirken einen Anteil von 20 bis 30 Prozent hat .
Sie müssen diese Prozentzahlen nur zusammenzählen,
damit Ihnen klar wird, was der Zusammenschluss zumindest in einigen Ballungszentren wie Berlin, wie Düsseldorf, wie München bedeuten würde .
Was würde er aus Sicht der Lieferanten bedeuten? Da
stellt die Monopolkommission mit bestechender Logik
fest: Der Wegfall von Kaiser’s Tengelmann als Ausweichalternative wäre zumindest eine Verschlechterung
für diejenigen Lieferanten, für die Kaiser’s Tengelmann
eine Ausweichalternative ist . Hinzu kämen die Lieferanten, die bisher nur an Kaiser’s Tengelmann geliefert haben, bei Edeka aber nicht gelistet sind . Ob die bei Edeka
unterkommen können - wahrscheinlich nur zu erheblich
schlechteren Bedingungen -, das ist fraglich . Deswegen
war auch das Votum des Bundeskartellamtes ganz eindeutig .
Jetzt haben die betroffenen Unternehmen Edeka und
Kaiser’s einen Antrag auf Ministererlaubnis gestellt .
Im Zentrum steht das Argument der Sicherung von Arbeitsplätzen . Aber auch hier ist die Monopolkommission
skeptisch . Sie erwartet zumindest mittel- bis langfristig
eher einen erheblichen Arbeitsplatzabbau, allein schon
deswegen, weil es bei solchen Zusammenschlüssen ja
auch Rationalisierungseffekte geben soll, die dann erfahrungsgemäß eher zu einem Abbau von Arbeitsplätzen
führen .
Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die
Gesamtbetrachtung der Argumente sollte uns skeptisch
machen. Kaiser’s Tengelmann ist hoch defizitär. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst als Sanierungsfall . Der
Zusammenschluss soll ermöglichen, dass alle Arbeitsplätze erhalten bleiben oder zumindest Alternativarbeitsplätze angeboten werden . Und: Die Lieferanten sollen
keine nennenswerten Nachteile haben . Also auch hier
würde es für das neue Unternehmen keine Möglichkeit
geben, Kosten zu senken .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da stellt sich doch
schon die Frage, warum Edeka für so ein Gesamtpaket
250 Millionen Euro auf den Tisch legen soll . Bei der Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium Mitte November gab es erhebliche Zweifel an der Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung; denn die Frage ist, ob
die Dinge, die dort geregelt werden sollen, auch wirklich
dort geregelt werden können, und zwar wirksam . Die
Vertreterin von Verdi hat entsprechend betont, dass das
Übergangsszenario keinerlei Gewähr für den Erhalt bestehender Arbeitsplätze oder auch bestehender Arbeitsbedingungen bietet . Sie bedürfen einer tarifvertraglichen
Absicherung .
Es gibt eine weitere Frage, die ich mir stelle . Der
Erhalt von Arbeitsplätzen ist ein hohes Gut . Aber ist er
wirklich nur durch den beabsichtigten Zusammenschluss
realisierbar? Ich finde, durch die Argumentation von Kaiser’s zieht sich so eine seltsame Alternativlosigkeit .
({0})
Rewe beteuert, man habe ja Interesse, aber man habe nie
eine Chance gehabt . Auch die Gesamtlösung mit mehreren Erwerbern scheint mir nicht wirklich vorbehaltlos
diskutiert worden zu sein . Daher frage ich mich schon,
ob die Voraussetzung für eine Ministererlaubnis - dass
nämlich nur so eine Arbeitsplatzsicherung möglich ist auch wirklich gegeben ist .
({1})
Damit, meine Damen und Herren, sind wir bei der
Ministererlaubnis . 21 Anträge auf eine Ministererlaubnis gab es in der Geschichte der Bundesrepublik . In den
meisten Fällen war das Votum der Monopolkommission
abschlägig . Die Unternehmen haben daraufhin den Antrag zurückgezogen, oder der Minister hat sich an das
Votum der Monopolkommission gehalten und die Erlaubnis nicht erteilt . Es gab nur vier Fälle, in denen sich
die Monopolkommission gegen den Zusammenschluss
ausgesprochen hat und der Minister dennoch die Erlaubnis erteilt hat, dann aber in drei Fällen mit Auflage. In
nur einem einzigen Fall in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich der Minister wirklich komplett gegen das
Votum der Monopolkommission gestellt und die Erlaubnis dennoch erteilt; das war 1974 .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der behutsame Umgang mit der Ministererlaubnis zeigt, dass die bisherigen
Minister das Kartellrecht und auch die Expertise der Monopolkommission sehr ernst genommen, sehr respektiert
haben .
Sie müssten jetzt zum Schluss kommen .
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . - Für eine
Ministererlaubnis, gar eine uneingeschränkte, gegen das
Votum der Monopolkommission müssten daher sehr gewichtige und auch empirisch nachvollziehbare Gründe
vorliegen, die gar nicht erst den Verdacht aufkommen
lassen, Popularitätserwägungen hätten hier eine Rolle
gespielt . Ich bin mir sicher, dass unser Minister sich der
Bedeutung dieser Entscheidung bewusst ist .
Herzlichen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Waltraud Wolff das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
frage mich die ganze Zeit, was die Grünen eigentlich beDr. Kristina Schröder ({0})
wogen hat, heute zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde
zu beantragen .
({1})
Ein Grund ist: Die Zuschauerinnen und Zuschauer erleben das Parlament, was Sie sonst am Mittwoch um diese
Uhrzeit nicht erleben würden .
Aber jetzt zum Ernst der Lage . Wir reden über eine
Marktangelegenheit . Wir reden darüber, dass Bundeskartellamt und Monopolkommission die Aufsicht führen .
Wir reden darüber - das wissen wir; das haben wir schon
beredet -: Alle haben abgelehnt . Wir reden darüber, dass
der Bundesminister für Wirtschaft nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 42, die Möglichkeit
einer Ministererlaubnis hat .
({2})
- Ja, das tun wir doch .
({3})
Sie haben es beantragt .
Das sind die Fakten, und der wichtigste Fakt, meine
Damen und Herren, ist, dass wir als Parlament darüber
philosophieren können, in epischer Breite, aber nichts,
gar nichts zu entscheiden haben .
({4})
Meine Damen und Herren, ich lebe in einer Kleinstadt,
die heißt Wolmirstedt . Wir haben 11 000 Einwohner, und
es gibt acht große Supermärkte . Für den neunten ist eine
Anfrage gestellt . - Das ist bloß ein Beispiel . - Was heißt
das? In ganz Deutschland wächst die Quadratmeterzahl
an Einkaufsfläche pro Kopf stetig, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel . Daneben sinken aber die Mitarbeiterzahlen . Wer zieht den Kürzeren dabei? Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer .
({5})
Wir erleben ungebrochen Lohn- und Preisdumping . Am
Problem der ganzen Branche und am Verdrängungswettbewerb ändert sich nichts . Auch eine Ministererlaubnis
ändert daran nichts .
({6})
Es gab am 16 . November die mündliche Verhandlung .
Der Verkauf von Tengelmann an Edeka zeigt einmal
mehr, dass dieser Preiskampf zu einer weltweit einmaligen Marktkonzentration im deutschen Lebensmitteleinzelhandel geführt hat . Und: Der Preiskampf wird nicht
nur an der Supermarktkasse geführt, sondern er wird
auch bei den Erzeugern geführt - wir haben es gehört:
das geht bis hin zu den Erzeugern auch in den Entwicklungsländern -,
({7})
und er wird auch auf dem Lohnzettel der Beschäftigten
im In- und Ausland geführt .
({8})
Aber, meine Damen und Herren, wie schwierig die
Entscheidung ist, zeigt die Tatsache, dass weder die Gewerkschaften noch die Betriebsräte zu einer einhelligen
Meinung kommen . Was uns allen hier wichtig ist - das
habe ich überall gehört -, ist der Erhalt der Arbeitsplätze . Der hat natürlich auch einen großen gesellschaftlichen Nutzen; wir reden hier von 16 000 Mitarbeitern .
Allesamt haben Angst um ihren Job, und sie erwarten
natürlich die Sicherheit, dass ihre Arbeitsplätze erhalten
werden, wenigstens für einen gewissen Zeitraum . Das ist
auch das Ziel des Gesamtbetriebsrats, wie er in der Anhörung gesagt hat .
Die Sorge um die Arbeitsplätze ist in jedem Fall berechtigt, egal ob es zum Verkauf kommt oder nicht .
({9})
Auch bei einer Gesamtübernahme würden Arbeitsplätze vakant werden, weil Verwaltungen zusammengelegt
würden, weil es in der Zukunft nicht mehr so viele Läger
geben würde usw . Von daher ist das schon eine wichtige
Frage, und es wird nicht dabei bleiben . Nicht alles bleibt
so, wie es ist .
Frau Andreae, Ihre Frage nach der Marktbeherrschung
am Anfang der Debatte, Ihre Frage danach, ob wir eine
weitere Konzentration wollen, stellt sich doch gar nicht
mehr . Der Lebensmitteleinzelhandel ist aufgeteilt, und
ob der Anteil von Edeka um 0,6 Prozent wächst oder
nicht, ist doch völlig egal .
({10})
Wir müssen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an einer ganz anderen Stelle den Stier bei den Hörnern packen . Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 42 Absatz 2, steht, dass die Ministererlaubnis an
Bedingungen geknüpft werden kann . Wenn es zu einem
Ja käme, hätte ich drei Vorschläge:
Erstens . Edeka sollte dazu bewegt werden, sich zu
einem festen Übernahmezeitraum zu verpflichten. Ich
werfe einfach einmal drei Jahre in den Raum . Das gäbe
Sicherheit .
Zweitens . Wir brauchen einen Flächentarifvertrag .
Die Tarifflucht muss ein Ende haben.
({11})
Diese Ministererlaubnis gäbe uns wirklich die Chance,
hier einen vernünftigen Schritt weiterzukommen .
Waltraud Wolff ({12})
Mein dritter Vorschlag ist: Edeka sollte sich verpflichten, eine vernünftige Mitbestimmungsstruktur einzurichten . Wir kennen das von der Telekom und von der Bahn .
Ich habe K+S bei mir . Dort gibt es Mitbestimmung bis
ins Letzte, vom Konzernbetriebsrat bis zum kleinsten
Glied . Auch die Kolleginnen und Kollegen, die bei Einzelhändlern der großen Ketten arbeiten, hätten dann eine
Chance, mitzubestimmen .
Das ist ein wunderbares Schlusswort gewesen, Frau
Wolff .
Ja . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Antwort, was den Beschäftigten hilft, sind Ordnung auf dem
Arbeitsmarkt, der Mindestlohn, den wir eingeführt haben,
und die Bekämpfung des Missbrauchs von Leiharbeit
und Werkverträgen . Ich gehe davon aus, Frau Präsidentin, dass der Bundeswirtschaftsminister die Ratschläge,
die ich ihm mit auf den Weg gebe, sowieso schon selbst
im Kopf hat und bedacht hat .
Vielen herzlichen Dank .
({0})
Sonst nimmt die Frau Staatssekretärin das Mikro in die
Hand . - Jetzt hat erst einmal der Kollege Axel Knoerig,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskartellamt hat Edeka untersagt, 451 Filialen von Kaiser’s
Tengelmann zu übernehmen . Deshalb haben die beiden
Lebensmittelkonzerne einen Antrag auf Ministererlaubnis gestellt . Derzeit prüft das Wirtschaftsministerium die
Möglichkeit einer Fusion . Wir wissen sehr wohl, dass das
ein Spagat juristischer und politischer Art ist . Entscheidend sind die Aspekte des Wettbewerbsrechts und des
Gemeinwohls, und die müssen entsprechend gewichtet
werden .
Edeka ist Marktführer im Einzelhandel . Die Zahlen
sind genannt worden: Edeka hat einen Anteil von 37 Prozent, deutlich vor Rewe . Im vergangenen Jahr erzielte
Edeka einen Umsatz von über 47 Milliarden Euro . Zu
Edeka gehören 11 500 Märkte und über 336 000 Mitarbeiter in Deutschland .
Tengelmann hat lediglich einen Umsatz von knapp
über 2 Milliarden Euro erwirtschaftet - das ist eine große Diskrepanz: 47 zu 2 Milliarden Euro - und hat einen
Marktanteil von 0,5 Prozent .
Von der geplanten Übernahme sind 16 000 Arbeitsplätze betroffen . Edeka hat zugesagt, sehr viele von diesen Arbeitsplätzen zu sichern .
Die Gewerkschaften haben gesagt, dass womöglich
ein Verlust von 4 000 bis 8 000 Stellen zustande kommt,
und haben deswegen keine Übernahmeempfehlung ausgesprochen .
Die Sicherung von Arbeitsplätzen ist ein wichtiges Argument zur Abwägung . Wir sollten dabei auch Beschäftigungseffekte berücksichtigen, die durch einen Verkauf
an andere Interessenten möglich sein könnten . Bei einem
Verkauf an Rewe oder Norma beispielsweise wäre es
kartellrechtlich leichter, dies umzusetzen, weil hier weniger Marktmacht vorhanden ist . Auch das ist eine Entscheidungsvariante .
Es ist sehr wohl auch die regionale Konzentration im
Hintergrund zu sehen, wenn 4 000 Tengelmann-Märkte in den Metropolregionen wie München, Berlin und
Düsseldorf dann einen Marktanteil erreichen, der allein
bei Tengelmann bis zu 30 Prozent in den großen Städten
beträgt . Dann würde eine Fusion mit Edeka sicherlich
Wettbewerbsbedingungen verändern .
Gerade vor dem Hintergrund, dass ich aus dem ländlichen Raum komme, möchte ich betonen, dass wir vor
allen Dingen auch Versorgungsstrukturen im Einzelhandel erhalten möchten . Marktstrukturen, die auf dem Land
wegbrechen, sind kaum wiederherzustellen . Dies hat das
Beispiel Schlecker gezeigt .
Ein wesentliches Kriterium ist, dass die Entscheidungsfindung heute sehr stark durch das Internet bedingt
ist . Im Onlinehandel wird der Warenkorb am Bildschirm
gefüllt und nicht mehr im Geschäft vor Ort .
Ein Beispiel aus meinem ländlich strukturierten
Wahlkreis Diepholz-Nienburg: Dort hat in einem Dorf
ein Feinschmeckerrestaurant eröffnet, das französische
Küche anbietet . Die Lebensmittel werden von dem Jungunternehmer Detert online bestellt und täglich aus Paris
geliefert . Das zeigt: Die Konkurrenz im Einzelhandel ist
nicht länger lokal oder regional, sondern vielmehr international . Wir müssen deshalb unser analoges Kartellrecht
dem digitalen Wandel anpassen . Dazu ist gerade § 18 Absatz 3 und 4 GWB zu ändern .
Vor diesem Hintergrund empfehle ich uns als Vertreter der sozialen Marktwirtschaft: Vertrauen wir auf den
Markt . Im Internetzeitalter ist selbst bei großen Konzernen keine dauerhafte Marktführerschaft sicher . Selbst
eine starke Stellung im Einzelhandel ist bestreitbar und
somit weit weniger gefährlich . Insofern sind beide Varianten möglich: der Verkauf von Anteilen an kleinere
Konzerne wie Rewe oder Norma oder die Fusion mit
Edeka, die der Minister ruhigen Gewissens erteilen kann .
Er dient damit dem Wettbewerb, insbesondere in einem
europäischen Kontext - ich denke hier an E-Commerce,
den Onlinehandel -, sowie dem Sozialen durch Arbeitsplatzsicherung .
Eins, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe
Kolleginnen und Kollegen, darf nicht passieren: dass
Tengelmann pleitegeht und damit alle Arbeits- und Mietverträge verloren gehen . Deswegen ist ein geordneter
Übergang mit anderen Firmen immer besser, was bei
Schlecker, wie vorhin ausgeführt wurde, nicht möglich
gewesen ist .
Waltraud Wolff ({0})
Vielen Dank .
({1})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege
Ingbert Liebing, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Vielen Dank . - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auf mich als letzten Redner in dieser Debatte kommt es nun zu, ein Fazit zu ziehen . Schön, wenn
man das letzte Wort in einer Debatte hat .
Die Debatte hat gezeigt, dass wir über ein komplexes Thema sprechen, aber mit Sicherheit nicht über eine
politische Entscheidung . Der Minister ist mit seiner Ministerentscheidung an Recht und Gesetz gebunden . Wir
können darüber diskutieren, aber es ist keine politische
Entscheidung; es entzieht sich von daher unserer Entscheidung . Insofern ist es leicht, darüber zu reden und zu
diskutieren, weil man am Ende nicht die Verantwortung
für die Entscheidung zu tragen hat . Diese Entscheidung
trägt der Minister, für die er sich öffentlich, auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auch uns
gegenüber, zu rechtfertigen hat .
({0})
Insofern finden darüber auch Debatten statt. Es kann aber
keine politische Entscheidung, erst recht keine politische
Willkürentscheidung in dieser Frage geben,
({1})
weder in die eine Richtung: „Ich tue etwas für meine
Edeka-Märkte und rede für sie“, noch in die andere Richtung: „Ich will das nicht; diese Marktkonzentration passt
mir nicht“ . Vielmehr geht es um klare Kriterien .
Aus meiner Sicht geht es - das hat auch die Debatte gezeigt - um zwei Leitplanken . Die eine Leitplanke
ist die sachliche Erwägung, die die Kartellbehörde und
die Monopolkommission vorgenommen haben . Das ist
schlichtweg eine Tatsache, über die wir gar nicht mehr
streiten müssen . Eine Fusion würde zu einer weiteren
Marktkonzentration führen . Wenn Kartellbehörde und
Monopolkommission zu dem Ergebnis kommen, dass
diese weitere Marktkonzentration nicht verträglich ist,
dann ist auch das ein Faktum, das sich einer politischen
Bewertung entzieht . Das ist die eine feststehende Leitplanke, an der ein Minister nicht vorbeikommt . Die Auswirkungen auf den Wettbewerb - schon heute haben wir
eine hohe Konzentration im Markt -, die Auswirkungen
auf die Einkaufspreise, die Auswirkungen auf die Produzenten - die Landwirtschaft ist in dieser Debatte schon
genannt worden -: Das alles sind Fakten, die die Kartellbehörde und die Monopolkommission in ihre Stellungnahmen bereits einbezogen haben . Insofern ist dies ein
Faktum, das feststeht . Nur weil es dieses Faktum - die
Ablehnung durch die Kartellbehörde und die Stellungnahme der Monopolkommission - gibt, kommt es überhaupt zu diesem Verfahren der Ministerentscheidung .
Der Minister entscheidet ja nicht über alles, sondern nur
dann, wenn wir diese Tatsachen schon vorliegen haben .
Das ist eine wesentliche Grundlage .
Aber es gibt auch eine zweite Leitplanke, und das ist
die Abwägung dieser feststehenden Fakten mit Gründen
des Allgemeinwohls . Kann es andere Gründe des Allgemeinwohls geben - darüber haben wir rauf und runter
trefflich gestritten -, die den Minister zu einer anderen
Entscheidung führen als Kartellbehörde und Monopolkommission? Es ist deutlich geworden - das ist auch
meine persönliche Erwartungshaltung -, dass es schon
sehr schwer wiegende Argumente des Allgemeinwohls
sein müssen, wenn man sich über die Fakten, die die
Kartellbehörde und die Monopolkommission festgestellt
haben, hinwegsetzen will . Im Mittelpunkt steht dabei die
Betrachtung der Arbeitsplätze .
Aber auch das hat die Debatte gezeigt: dass dieses
Thema - Erhalt von Arbeitsplätzen - kein leichtes Thema
ist, dass es keine eindeutige Antwort auf die Frage gibt:
Bei welcher Lösung werden mehr Arbeitsplätze gesichert
oder gefährdet - bei der Fusion oder bei der Verweigerung der Fusion? Um eine Antwort zu finden, müssen wir
eine Gesamtbetrachtung anstellen, also nicht nur auf die
Arbeitsplätze bei Tengelmann schauen, sondern auch die
Folgewirkungen auf den Markt, auf die Wettbewerber,
auf die Produzenten mit einbeziehen . Auch das wird der
Minister in seiner Gesamtabwägung tun müssen . Denn
es geht um eine Störung des Marktgefüges; das ist die
Feststellung der Kartellbehörde und der Monopolkommission .
Insofern ist es keine leichte Abwägung, die der Minister - nicht wir - treffen darf und muss . Wir können trefflich darüber streiten, aber der Minister muss die Abwägung treffen; bei ihm liegt die Verantwortung . Die Hürde
für eine Zustimmung liegt sehr hoch . Kollegin Schröder
hat sehr deutlich herausgearbeitet, wie verantwortungsvoll mit diesem Instrument in der Vergangenheit umgegangen wurde .
Zum Abschluss kann ich jedenfalls für mich persönlich und für meine Fraktion feststellen: Es ist nicht
selbstverständlich, dass wir als Unionsabgeordnete hohes
Zutrauen zu Herrn Gabriel als SPD-Vorsitzenden haben;
({2})
aber wir haben höchstes Zutrauen zu ihm als unserem
Minister für Wirtschaft und Energie,
({3})
dass er in dieser Sachfrage klug abwägen wird und in diesem Rahmen hoffentlich auch eine entsprechend kluge
Entscheidung treffen wird .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Kollege Liebing hat schon darauf
hingewiesen, dass er der letzte Redner in der Aktuellen
Stunde war . Wir sind nicht nur hier am Ende angelangt,
sondern auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen allen
noch einen schönen Resttag .