Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/12/2015

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich darf Sie alle bitten, von den Plätzen erhoben zu bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag, unser Land trauert um Helmut Schmidt, der am vergangenen Dienstag in Hamburg im Alter von 96 Jahren verstorben ist. Wer diese außergewöhnliche Persönlichkeit begreifen und würdigen will, muss die Perspektive weiten, auch zeitlich. Gestern haben viele unserer Nachbarn an das Ende des Ersten Weltkrieges 1918 erinnert. Um zu erfassen, welche Jahrhundertgestalt mit Helmut Schmidt von uns gegangen ist, reicht es fast aus, daran zu erinnern, dass er nur wenige Wochen später noch im gleichen Jahr: 1918 - geboren wurde. Helmut Schmidt war ein Kind der Weimarer Republik. Er erlebte seine Jugend unterm Hakenkreuz, und ihm selbst wurde der Zweite Weltkrieg zum Schicksal. Die Bedeutung dieser prägenden Erfahrungen in einem - wie er in der ihm eigenen, befreienden Deutlichkeit zu sagen pflegte „Scheißkrieg“ hat er immer wieder betont. Schmidt kämpfte als Soldat in der Sowjetunion, später an der Westfront und geriet kurzzeitig in britische Kriegsgefangenschaft. Wir alle wollten damals nicht Altes einreißen - da gab es gar nichts mehr einzureißen! -, - erinnerte er sich an den Gestaltungswillen seiner Generation nach Kriegsende sondern wir wollten etwas Neues aufbauen ... Bereits 1953 saß Helmut Schmidt erstmals im Deutschen Bundestag, dem er über drei Jahrzehnte angehörte. Schon bald nach seiner ersten Wahl zählte er zu den profiliertesten Vertretern der jüngeren Generation im Parlament. Die Militär- und Sicherheitspolitik wurde zu seinem eigentlichen Metier. Es ist deshalb nicht ohne Symbolik, dass heute genau vor 60 Jahren die Bundeswehr gegründet wurde; wir haben gestern Abend vor dem Reichstagsgebäude daran erinnert. Helmut Schmidt war der Armee und den Soldaten in besonderer Weise verbunden. Als Verteidigungsminister - der erste Sozialdemokrat in diesem Amt - reformierte er 1969 im Kabinett von Willy Brandt die Streitkräfte. Die Universität der Bundeswehr trägt auch deshalb heute seinen Namen. Aufbau und Ausrichtung der Bundeswehr waren auch nach der Entscheidung zur Wiederbewaffnung weiter hochumstritten. Schmidt selbst profilierte sich in dieser Zeit als entschiedener Gegner einer atomaren Bewaffnung. Damals entstand das Bild, das die Öffentlichkeit lange vorrangig mit ihm verband und das erst in seiner Amtszeit als Minister und Regierungschef und später als Elder Statesman in den Hintergrund trat: das des scharfzüngigen Debattenredners. Er war nicht nur ein großer Redner, sondern vor allem ein leidenschaftlicher und ansteckender, gelegentlich provozierender Debattierer, wie aus dem Lehrbuch des Parlamentarismus. Pathos war seine Sache nicht; er suchte lieber die bissige Pointe, die er meisterlich zu setzen wusste. Seine Rededuelle mit Ludwig Erhard, Franz Josef Strauß und später Helmut Kohl, in denen er teils schneidende Attacken ritt, sind unvergessen. Zitat: Ich bilde mir ein, durch viele Reden - auch im Bundestag - eine ganze Menge moralischer und auch geistiger Pflöcke eingeschlagen zu haben. So wusste er sich und sein Rednertalent richtig einzuschätzen. „Einige von denen haben auch Wirkung erzielt“, ergänzte er - und das bestätigen nicht nur die, die ihn im Hohen Hause noch leibhaftig erlebt haben. Verbindendes Element zwischen dem leidenschaftlichen Streitredner und dem kühlen Analytiker in der Regierungsverantwortung war die Lust daran, argumentativ zu überzeugen - durch Rede und Widerrede. Schmidt war, so hat Sigmar Gabriel das anlässlich seines 95. Geburtstages treffend ausgedrückt, eine Autorität, die sich auf das Argument stützte. In seiner Amtszeit als Bundeskanzler hatte Helmut Schmidt große Herausforderungen zu bewältigen: von der Wirtschaftsrezession der 1970er-Jahre bis zu Deutschlands Rolle im Kalten Krieg. Klarsichtig und entschlossen hat er sie gemeistert. Früher als andere hatte er die Bedrohung durch neue atomare Mittelstreckenwaffen der Sowjetunion erkannt und voller Überzeugung für den NATO-Doppelbeschluss gestritten - wider den Zeitgeist, der damals seinen Ausdruck in einer der größten Demonstrationen im Deutschland der Nachkriegszeit fand. Populär war diese Politik nicht - weder in der eigenen Partei noch in der Öffentlichkeit. Unvergessen ist seine Standfestigkeit im sogenannten Deutschen Herbst. Schmidt sah sich damals vor unausweichliche Entscheidungen gestellt, die er nicht treffen konnte, ohne Schuld auf sich zu laden, wie er das selber später bekannt hat. Aber er hat sich nicht weggeduckt. Wer ihn auf zeitgenössischen Aufnahmen sieht, wer ihn über diese Wochen und Monate reden hörte, spürt förmlich die Bürde seines Amtes, kann erahnen, welche Spuren sie auch bei ihm, dem vermeintlich so kühlen Pragmatiker, hinterlassen hat. Dank seiner Entschlossenheit bestand unsere Republik ihre schwerste Belastungsprobe, ohne selbst die Freiheit zu gefährden, gegen die der Terror gerichtet war. Helmut Schmidt erwarb sich damals hohes Vertrauen und Ansehen - und das nicht allein in Deutschland, das ihn als Inbegriff des nüchternen, disziplinierten Hanseaten verehrte. In der ganzen Welt genoss Helmut Schmidt höchste Reputation als Staatsmann, der deutsche Politik berechenbar gemacht hat, weil sie auf Nüchternheit und Rationalität, Toleranz und Weltoffenheit beruhte. Die spontane Würdigung durch den französischen Ministerpräsidenten und die Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung nach Bekanntwerden des Todes von Helmut Schmidt am vergangenen Dienstag sind ein eindrucksvoller Beleg dieser persönlichen Wertschätzung wie der besonderen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, und ich möchte die Gelegenheit gerne nutzen, mich bei unseren französischen Kolleginnen und Kollegen dafür ausdrücklich zu bedanken. Als sich Helmut Schmidt 1986 aus dem Bundestag verabschiedete, verband er das mit einem eindringlichen Appell an die Parlamentarier zur „Besinnung auf das Ethos eines politischen Pragmatismus in moralischer Absicht“. - Das kann man durchaus auch für eine passende Orientierung für die aktuelle Flüchtlingskrise halten. - Das, was wir erreichen, was wir tun wollen, solle moralisch begründet sein. Der Weg dahin müsse aber realistisch, er dürfe nicht illusionär sein. Und er fügte für ihn fast untypisch emphatisch hinzu: Es sollte keiner glauben, dass solch Ethos die politischen Ziele ihres Glanzes beraube oder den politischen Alltag seines Feuers. Die Erreichung des moralischen Ziels verlangt pragmatisches, vernunftgemäßes politisches Handeln, Schritt für Schritt. Und die Vernunft erlaubt uns zugleich doch auf diesem Weg ein unvergleichliches Pathos. Denn keine Begeisterung sollte größer sein als die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft. Dass der Bundestag früher als andere die überragende Bedeutung dieses Parlamentariers erkannt hatte, kommt auch in der Souveränität zum Ausdruck, ihm für seine Abschiedsrede eine alle Proportionen, auch von Regierungserklärungen, sprengende Redezeit von knapp zwei Stunden zuzubilligen. ({0}) Die Protokolle des Deutschen Bundestages benötigen für die Aufzeichnung dieser Rede 16 Seiten. Nach zeitgenössischen Berichten soll er mit einem Manuskript von 100 Seiten ans Podium gegangen sein. Hoher moralischer Ernst prägte das Selbstverständnis dieses herausragenden Politikers. Es ist sein bleibendes Vermächtnis. Noch in diesem Jahr sagte er von sich in demonstrativer hanseatischer Bescheidenheit: Ich bin kein Vorbild. Das ist eine Rolle, die mir nicht gefällt. Allerdings mochten ihm allenfalls militante Nichtraucher in dieser Einschätzung folgen. ({1}) Die meisten Menschen faszinierte seine immense Lebenserfahrung, sie bewunderten seinen scharfen Verstand, nicht zuletzt liebten sie seinen trockenen Humor. Für viele war er, der in Vorträgen als Autor und Mitherausgeber der Zeit bis zuletzt die politische Debatte und Kontroverse suchte, mit seiner Meinung ein unverzichtbarer Kompass. Helmut Schmidt war Politiker, Publizist und Patriot. Als Parlamentarier, als Bundesminister und vor allem als Bundeskanzler hat er sich auf herausragende Weise um Deutschland verdient gemacht. Wir verneigen uns vor einem der bedeutendsten politischen und intellektuellen Köpfe unseres Landes. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, seinen Freunden und Weggefährten. Vielen Dank. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie auf die interfraktionelle Vereinbarung aufmerksam machen, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Statusfrage syrischer Flüchtlinge und zur Einschränkung des Familiennachzuges ({3}) ZP 2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({4}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris Wagner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Radargeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA zügig entschädigen Drucksache 18/6649 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente auf Grundsicherung im Alter Drucksachen 18/3170, 18/5278 Darüber hinaus mache ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam: Der am 16. Oktober 2015 ({6}) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) zur Mitberatung überwiesen werden: Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts ({8}) Drucksache 18/6281 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({9}) Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4: Vereinbarte Debatte 60 Jahre Bundeswehr Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen. - Auch dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion. ({10})

Henning Otte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003821, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir gedenken heute des ehemaligen Bundeskanzlers und früheren Verteidigungsministers Helmut Schmidt - gerade am 60. Jahrestag der Bundeswehr, ein besonderes Ereignis. Mit dem gestrigen Großen Zapfenstreich vor dem Reichstag, zwei beeindruckenden Reden des Herrn Bundestagspräsidenten und der Frau Verteidigungsministerin sowie der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag feiern wir dieses Jubiläum. 60 Jahre Bundeswehr sind eine Erfolgsgeschichte für Deutschland. Die Bundeswehr ist der Garant für Sicherheit unseres Landes und Ausdruck von Stabilität und Souveränität. Dass die Bundeswehr 1955 gegründet worden ist, war keine Selbstverständlichkeit. Die Aufstellung einer neuen Armee, nur zehn Jahre nach Ende der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus: Wie viel Überzeugungsarbeit war für diese neue wehrhafte Streitkraft wohl notwendig? Welch eine Weitsicht der damaligen Entscheidungsträger, wie es Konrad Adenauer war. Welch ein Vertrauensbeweis der alliierten Kräfte, die Bundeswehr als vollwertiges Mitglied der NATO aufzunehmen. Vertrauen und Verantwortung waren die zwei Pfeiler einer neuen Sicherheitsstruktur. Das Vertrauen war gerechtfertigt. Die Verantwortung wurde angenommen. Mit der Ergänzung des Grundgesetzes um den Artikel 87 a hieß es ab sofort: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Das war nur ein kurzer Satz im Grundgesetz, aber mit einer großen Wirkung für Deutschland. Mit der Festlegung auf eine allgemeine Wehrpflicht und der Konzeption der Inneren Führung wurde ein Selbstverständnis geschaffen, wonach jeder Soldat seinem Gewissen verpflichtet und für sein Handeln selbst verantwortlich ist. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen des Widerstandes gegen ein Unrechtsregime und der daraus erwachsenden Verantwortung war der innere Geist der Bundeswehr gesetzt: das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Welch eine Bereicherung für unser Land! ({0}) Die Bundeswehr entwickelte sich zu einer Armee der Landesverteidigung. Mit einer Stärke von 495 000 Soldaten sowie 1,2 Millionen Reservisten galt die Bundeswehr im Rahmen der Bündnisverteidigung als ein unverzichtbarer NATO-Partner. Sie sicherte uns allen somit Frieden und Freiheit in der spannungsreichen Zeit des Kalten Krieges. Meine Damen und Herren, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und dem Fall der Mauer übernahm die Bundeswehr eine wichtige Rolle im Einigungsprozess, als sie mit der Aufnahme von 90 000 Soldaten der ehemaligen Nationalen Volksarmee dem Einigungsprozess wahrnehmbar ein Gesicht gab. Welch eine Leistung aller Beteiligten, aus zwei verschiedenen Vergangenheiten eine gemeinsame Zukunft zu schaffen, eine Armee der Einheit in einem vereinten Deutschland. Für diese friedliche Revolution und für diese Integrationsleistung unserer Bundeswehr können wir alle nur dankbar sein. ({1}) Das wiedervereinigte Deutschland wurde in der Welt als machtvoller wahrgenommen und von Nachbarn durchaus auch mit Skepsis betrachtet. Hier galt es Präsident Dr. Norbert Lammert einmal mehr, Vertrauen zu stiften. Deutschland hielt in seiner Außen- und Sicherheitspolitik an den Werten des Grundgesetzes fest, zeigte sich den Bündnispartnern eng verpflichtet und schuf somit das notwendige Vertrauen. Nicht nur, dass man uns traute: Man traute uns auch mehr zu und forderte uns mehr ab. Seit 1992 beteiligt sich die Bundeswehr regelmäßig an Einsätzen zur Friedenssicherung und Konfliktbewältigung. Deutschland nimmt diese internationale Verantwortung durch die Wahrnehmung mandatierter Auslandseinsätze wahr: mandatiert durch den Deutschen Bundestag, nie alleine, sondern immer im Verbund mit Partnern, nie im Interesse einer expansiven Machtpolitik, sondern für mehr Stabilität und Frieden in der Welt. Dabei geht es auch immer um die Sicherheit unseres Landes. Deswegen hatte mein zu früh verstorbener Wahlkreiskollege, der frühere Verteidigungsminister Dr. Struck, recht, als er einst sagte: Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt. Militärisch allein wird kein Konflikt im 21. Jahrhundert - in einer globalisierten Welt, in der Finanz- und Warenströme eng miteinander verwoben sind - zu lösen sein. Nur im vernetzten Ansatz von Diplomatie, wirtschaftlicher Entwicklung und auch militärischer Absicherung, so wie es der damalige Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung im Weißbuch 2006 entwickelt hat, können wir heutzutage Konflikte eindämmen und befrieden. ({2}) Und doch kommt das Unvorhergesehene immer unvorhergesehener. Die sicherheitspolitische Entwicklung im Rahmen eines wachsenden internationalen Terrorismus, asymmetrischer Bedrohungslagen, einer hybriden Kriegsführung, zerfallender Staaten und weltweiter Armut und Umweltkatastrophen lässt heutzutage Konfliktsituationen entstehen, die sich nicht mehr mit der Logik der Abschreckung lösen lassen. Die Konfliktursachen sind komplexer und Frontverläufe oft weniger klar, aber dafür dynamischer. Diese Erkenntnis erforderte eine komplette Neuausrichtung der Bundeswehr unter der Leitung des damaligen Verteidigungsministers Dr. Thomas de Maizière. ({3}) Unsere Bundeswehr sollte flexibel, verlegbar, kampffähig und durchhaltefähig ihren Auftrag erfüllen können. Denn, meine Damen und Herren, es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit, und für diese Sicherheit brauchen wir unsere Bundeswehr. ({4}) Soldaten und zivile Mitarbeiter leisten einen unverzichtbaren Dienst für unser Land. „Wir. Dienen. Deutschland.“: Diese Maxime ist ihr Bekenntnis. Ob Vogelgrippe, ICE-Unglück, Schnee- oder Hochwassereinsatz oder wie jetzt der Einsatz der Bundeswehr zur Bewältigung der Flüchtlingssituation: Es sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, denen wir jedes Mal zutrauen, schwierigste Aufgaben auch im Inland zu lösen. Vor allem sind sie es, die bereit sind, unter Einsatz ihres Lebens in Krisen- und Kriegsgebieten fernab der Heimat für die Sicherheit unseres Landes einzustehen. Dafür sage ich ihnen als Abgeordneter des Deutschen Bundestages aus fester Verbundenheit mit ihnen und ihren Familien meinen herzlichen Dank. Stellvertretend geht dieser Dank an den Generalinspekteur der Bundeswehr, Herrn General Volker Wieker. ({5}) Sie dürfen für ihren Einsatz aber auch - ganz im Sinne einer Parlamentsarmee - die volle Rückendeckung des Parlamentes erwarten. Das Parlament hat ihnen hierfür die notwendige Fürsorge und die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Viele gesetzliche Maßnahmen tragen zur Absicherung von Risiken bei. Vor allem denken wir heute an diejenigen, die im Dienst für unser Land ihr Leben ließen oder an Leib und Seele verwundet wurden. Meine Damen und Herren, die Verbesserung der Bundeswehr ist ein dauerhafter Prozess. Die Bereitstellung von modernem Material zu Lande, zu Wasser und zur See muss weiter verbessert werden. Die finanziellen Mittel müssen an den Aufträgen orientiert und dynamisch an die jeweilige Sicherheitslage angepasst werden. Die Cyberabwehr muss weiter forciert werden. Sicherheitspolitik 4.0 muss vorangebracht werden. Die Sicherheit unseres Landes hat einen Preis. Den müssen wir zu zahlen bereit sein. Ich danke daher Ihnen, Frau Bundesverteidigungsministerin, dass Sie mit dem Attraktivitätssteigerungsgesetz, der Prozessverbesserung, der konsequenten Modernisierung der Ausrüstung und nicht zuletzt der Erstellung eines neuen Weißbuches die notwendigen Entscheidungen engagiert getroffen haben, auch um immer wieder junge Menschen, Frauen wie Männer, für den Dienst in der Bundeswehr zu begeistern. Denn genau diese Bürgerinnen und Bürger unserer Gesellschaft brauchen wir als mutige Fürsprecher für und tapfere Verteidiger von Frieden und Freiheit. 60 Jahre Bundeswehr - eine Erfolgsgeschichte. Herzlichen Glückwunsch, Deutschland! ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wolfgang Gehrcke erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch die Fraktion Die Linke gedenkt Helmut Schmidt. Ich kenne ihn seit 1961 und habe ihn in Hamburg kennengelernt. Wir waren selten einer gemeinsamen AuffasHenning Otte sung. In seinen letzten Jahren waren wir allerdings zunehmend mehr einer Meinung, ({0}) gerade in der Russland-Politik. Ich finde, gerade wenn man Helmut Schmidt gedenkt, sollte man die Art und Weise, sich kritisch auseinanderzusetzen, kultivieren. Das konnte Schmidt, und das hat er immer durchgehalten. Deswegen möchte ich Ihnen das Gegenprogramm in meiner Rede zu 60 Jahren Bundeswehr vorstellen. Von den 60 Jahren, die die Bundeswehr existiert, habe ich 55 Jahre gegen sie gekämpft, zunächst in der „Ohne mich“-Bewegung zusammen mit einer ganzen Reihe Sozialdemokraten, in der Bewegung „Kampf dem Atomtod“, auf den Ostermärschen, mit Blockaden von Militärstandorten, mit antimilitaristischer Arbeit unter Wehrpflichtigen und Soldaten sowie Kriegsdienstverweigerern sowie auch im Widerstand gegen die Kriege in Vietnam, Jugoslawien, im Irak oder in Afghanistan. Ich finde es fast symptomatisch, dass genau zu der heutigen Debatte das Versprechen, dass die Bundeswehr aus Afgha nistan abgezogen wird, aufgekündigt wurde. Lug und Trug gehörten immer zur Politik der Rechtfertigung der Bundeswehr. Bis heute sage ich laut und deutlich Nein zu Militarismus und Krieg. Für die Sicherheit des Landes brauchen wir keine Bundeswehr. Ich bin davon überzeugt, dass der Zeitpunkt kommen wird, wo dieses Land keine Armee mehr hat und keine Bundeswehr mehr braucht. Dieser Zeitpunkt wird kommen, und er wird das Land positiv verändern. ({1}) Von Franz Josef Strauß ist aus dem Bundestagswahlkampf 1949 ({2}) - ich zitiere Strauß; das müssen Sie doch ertragen können - das geflügelte Wort überliefert: „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen.“ Er hat später seine Aussage so interpretiert, dass „jedem Staatsmann, der zum Gewehr greift, um damit seine politischen Ziele durchzusetzen“, die Hand abfallen soll. Strauß hat verstanden, dass das Gewehr des Staatsmannes die Armee ist. Ich mache Strauß nicht zum Pazifisten. ({3}) - Das geht auch gar nicht; das weiß ich. ({4}) Ich will Sie nur daran erinnern, dass es auch in Deutschland einmal einen anderen Zeitgeist gegeben hat. ({5}) Ich will Ihnen begründen, mit welchen Fragen man sich heutzutage im Zusammenhang mit der Bundeswehr auseinandersetzen muss. Als Erstes stellt sich für mich die Frage: Wollen wir mit der NATO so weitermachen? Ich bin überzeugt: Ebenso überflüssig wie die Bundeswehr ist die deutsche Mitgliedschaft in der NATO. ({6}) Ich suche nach einem Weg, wie Deutschland aus der NATO herauskommt. Wie wir hineingekommen sind, wissen wir ja. Die Chance, die NATO aufzulösen und nicht mehr auf Militärbündnisse zu setzen, gab es, als der Warschauer Pakt aufgelöst wurde. Wir haben sie nicht ergriffen - ein großer Fehler! ({7}) Meine zweite Überlegung ist: Jede Waffe findet ihren Krieg. Diese Erfahrung haben wir doch gemacht. Armeen streben nach immer perfekteren Waffen. In Büchel lagern US-amerikanische Atombomben. Ministerin von der Leyen will die Drohnenrüstung. Doch ein Blick auf die Konflikte dieser Welt zeigt: Waffen bringen keine Sicherheit. Wir müssen raus aus der Spirale der Gewalt und der Spirale der Waffen. Das ist eigentlich die große kulturelle Aufgabe, die wir haben. ({8}) Ich bin drittens überzeugt davon: Wer sich eine Armee leistet, bekommt den militärisch-industriellen Komplex. Die modernen Waffenschmieden sind nicht mehr einzelne Fabriken, sie bilden vielmehr zusammen den militärisch-industriellen Komplex, der sich nicht nur die Forschung unterordnet, sondern der zunehmend auch seinen Einfluss in der Politik ausübt. Auch das müssen wir beenden. Ich bin viertens überzeugt davon, dass Rüstung Unsummen kostet, an der Rüstung aber auch Unsummen verdient werden. Auch das muss gestoppt werden. Wäre es nicht ein Zeichen dieses Bundestages, wenn wir in den Haushaltsberatungen den Wehretat gründlich zusammenstreichen würden und das Geld, das wir dort einsparen, für die Flüchtlinge einsetzten? Ja zur Hilfe für Flüchtlinge, aber Nein zur Rüstung - das wäre doch ein Signal, das von diesem Land ausgehen kann. ({9}) Vor 60 Jahren hieß es von meiner Seite: Ohne mich! Heute sagen immer mehr Menschen in unserem Land: Ohne uns! - Die Bundeswehr erlebt wieder so viel Widerspruch, dass man sehr hoffnungsvoll sein kann, dass wir ein Land ohne Armee erreichen werden. Das ist, worüber wir heute debattieren sollten. Lassen Sie sich auf den Meinungsstreit ein. Immer nur Ja zu sagen, bringt doch nichts. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Rainer Arnold das Wort. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine wichtige staatliche Institution hat gestern und heute ihren 60. Geburtstag gefeiert. Die Bilder vom gestrigen Abend hatten und haben eine hohe Symbolkraft: der Große Zapfenstreich vor dem deutschen Parlament. Ich denke, auch Demokratien brauchen Zeichen und Symbole. Ich kann das so gelassen sagen, weil wir wissen: Sowohl die Bundeswehr als auch die deutsche Gesellschaft bergen nirgendwo das Risiko in sich, dass wir zu einer Überhöhung und zu einer Heroisierung der Streitkräfte kommen. Zu diesen Symbolen gehören auch dieses Gedenken und das Erinnern. Wir denken in dieser Stunde auch an die Soldaten, die im Einsatz ihr Leben verloren haben, und deren Familien, deren Leid und Schicksal. Es ist gut, dass es Erinnerungsstätten gibt, in Potsdam und beim Bendlerblock. Ich wünsche mir allerdings auch, Herr Präsident, dass es gelingt, dass auch hier, wo die Entscheidungen getroffen werden, eine Stätte der Erinnerung eingerichtet wird. Der Beginn der Bundeswehr war ein schwieriger, insbesondere für Sozialdemokraten. Es waren kontroverse, turbulente Debatten über die Wiederbewaffnung. Das hatte auch etwas damit zu tun, dass viele der ersten Offiziere und Unteroffiziere eben aus der Wehrmacht rekrutiert wurden und die NS-Zeit, Angriffskriege, eine furchtbare Niederlage und der Neubeginn natürlich diese Debatten mit geprägt haben. Deshalb wurde die Bundeswehr vom ersten Tag an als Parlamentsarmee konzipiert. Die Erfahrung der Kriege war: Es gilt das Primat der Politik, Regierung und Deutscher Bundestag, und nicht der Generalstab trifft politische Entscheidungen. Dazu gibt es ein nettes Zitat des Abgeordneten Bausch, der im Verteidigungsausschuss 1954 sagte: Wir sind uns einig, dass die Kontrolle des Parlaments und der Regierung über das Militär einwandfrei sichergestellt werden soll. Frage ist: Wie kriegen wir das hin? Sehr verehrte Zuhörer, ich denke, nach 60 Jahren können wir heute mit Fug und Recht sagen: Wir haben das auf vorbildliche Art und Weise hingekriegt, auch innerhalb des Bündnisses der NATO. ({0}) Es gab immer wieder Menschen, die geglaubt haben, eine Parlamentsarmee passe nur zu Friedenszeiten und zu einer Übungsarmee. Nein, gerade bei der Armee im Einsatz hat sich in den letzten Jahren besonders gezeigt, wie wertvoll diese parlamentarischen Entscheidungen und Debatten sind. Wir sind sehr froh, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 diesen Parlamentsvorbehalt im Grunde genommen zementiert hat. Dies heißt auch: Die Bundeswehr als Parlamentsarmee ist im Alltag der Soldaten auch für sie selbst identitätsstiftend. Das merken wir bei jedem Besuch und bei jedem Gespräch mit unseren Soldaten. Das heißt auch für uns: Unsere parlamentarische Verantwortung endet eben nicht am Kasernentor. Wir haben auch einen wichtigen Sensor, nämlich den Wehrbeauftragten. Es waren übrigens Sozialdemokraten, die dessen Einsetzung damals erzwungen haben. Das ist ein unverzichtbares Instrument für uns. ({1}) 60 Jahre Bundeswehr sind aber auch 60 Jahre Reformen, innerer Wandel, auch kultureller Wandel bei den Streitkräften. Ich sage ganz offen: Mein eigenes Bild von den Streitkräften hat sich - ich bin ein Kind der 68er-Generation - auch gewandelt. Vielleicht war ich damals nicht immer ganz gerecht, aber richtig ist schon: Auch über die Bundeswehr hatte sich viele Jahre lang gewissermaßen der Mehltau der Adenauer-Ära gelegt. Es war notwendig, dass eine neue Generation von Soldaten, eine Nachkriegsgeneration, die Prinzipien der Streitkräfte nicht nur theoretisch verinnerlicht hat, sondern im Alltag die Begriffe „Staatsbürger in Uniform“ und „Prinzipien der Inneren Führung“ durch eigenes Vorleben in die Truppe gebracht hat. Dies sind wichtige Veränderungen, und wir sind heute sehr froh darüber. Es gab Zeiten, in denen erfolgten unglaublich viele Eingaben an den Wehrbeauftragten wegen Verstößen gegen die Menschenwürde. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an das Stichwort „Die Schleifer von Nagold“. Seither begleitet die Öffentlichkeit - wir und die Medien - die Bundeswehr in solchen Situationen durchaus kritisch. Dies ist notwendig, und dies hat auch dazu geführt, dass dies heute kein Thema mehr ist. Wir können heute im Grunde genommen sagen: Die Bundeswehr ist in der Gesellschaft als demokratische Institution angekommen, bei der Soldaten nicht nur Befehl und Gehorsam kennen, sondern bei der eigenes Mitdenken und eigenes Infragestellen gefördert werden. Es gab - heute wurde über ihn gesprochen - einen Verteidigungsminister in der Riege der fünf sozialdemokratischen Verteidigungsminister, der die Bundeswehr entscheidend auf diesem Weg in die tiefe gesellschaftliche Verankerung mitgeprägt hat. Das war Helmut Schmidt. Er hat mit einer Reform an Haupt und Gliedern begonnen. Vieles ist lange geblieben, zum Beispiel die Einbindung des Generalinspekteurs mit dem Blankeneser Erlass oder der Umgang mit der Wirtschaft. Bis heute ist das Projekt Beschaffungswesen noch nicht ganz fertig. Helmut Schmidt hatte es damals schon zu Recht als Riesenaufgabe erkannt. Er hat von Theo Sommer ein Weißbuch schreiben lassen, das insofern neuartig war, als es eine kritische Bestandsaufnahme der Bundeswehr und der deutschen Sicherheitspolitik beinhaltete. Manches Erbe von Helmut Schmidt wird auf Dauer bleiben, insbesondere die Bildungsreform bei den Streitkräften. In den 70er-Jahren hatten wir ein größeres Pro blem bei der Personalgewinnung als heute. Das vergessen wir manchmal. Auf eine offene Stelle kamen nur zwei Bewerber. Die Gründung der Bundeswehruniversitäten war eine Antwort darauf. Dies hat den Soldatenberuf attraktiv gemacht und hat dazu geführt, dass Offiziere selbst anders lernen, anders denken, anders gestalten, als es zuvor der Fall war. Es ist ein Erfolgsmodell; denn wir können heute sagen: Viele Absolventen der Bundeswehruniversitäten sind heute in Führungspositionen in der deutschen Gesellschaft, statistisch übrigens mehr als Absolventen der regulären Hochschulen. Für mich persönlich - und vielleicht auch für Sie gibt es einen ganz besonderen Nachlass, den Helmut Schmidt hinterlassen hat. Carlo Schmid hat einmal im Verteidigungsausschuss gesagt: Ich bin dagegen, dass wir Leute zum Musikmachen einziehen und womöglich die Beförderung davon abhängig machen, ob einer Waldhorn spielen kann. - Heute lächeln wir zu Recht darüber. Was hat Helmut Schmidt getan? Er hat die „Big Band der Bundeswehr“ gegründet. Sie stiftet auch Identität. Sie ist ein Werbeträger. Dies war eine tolle und kulturell wichtige Entscheidung. ({2}) Diese Facette gehört zu einer Bundeswehr, die insgesamt ein anderes Gesicht hat. Heute hat die Bundeswehr das Gesicht einer modernen Armee, wo Einsatzfähigkeit und Leistung in den Krisengebieten kein Gegensatz zur Debatte um Kitas und Dienstzeitregelungen sind. ({3}) Das ist auch genau richtig so. Wir haben auch gesehen, dass der Soldatenberuf in einer Welt, die schwieriger und komplexer geworden ist, anspruchsvoller geworden ist. Deshalb wissen wir bis zum heutigen Tag, so ärgerlich es ist, wenn Hubschrauber nicht fliegen und viele Flugzeuge zu spät geliefert werden: Die Bundeswehr der Zukunft hängt in erster Linie davon ab, ob es uns auch in Zukunft gelingt, die klugen jungen Menschen zu gewinnen, die die Komplexität des Soldatenberufes beherrschen und der damit verbundenen Herausforderung nicht nur intellektuell, sondern auch physisch und psychisch gewachsen sind. ({4}) Die Menschen in Deutschland erleben ja im Augenblick jeden Tag, was dies bedeutet. Die Arbeit der Soldatinnen und Soldaten im Bereich der Amtshilfe bei der Bewältigung der Aufgaben, die die vielen flüchtenden Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, mit sich bringen, ist beeindruckend. 435 genehmigte Einsätze in Form von Unterstützungsleistungen, das ist wirklich herausragend. Wir sagen allerdings auch: Dies geht zwar eine bestimmte Zeit; aber es gilt zu bedenken: Es sind Soldatinnen und Soldaten und Zivilbeschäftigte, die ihren eigentlichen Dienstauftrag nicht mehr erfüllen können. Eine Flut geht irgendwann einmal zurück; so etwas ist überschaubar. Die Bewältigung der Flüchtlingsmenge wird uns noch längere Zeit beschäftigen. Die Bundeswehr ist die Institution, die in den letzten Jahren am meisten Soldaten und Zivilbeschäftigte vorzeitig in den Ruhestand geschickt hat. Deshalb würden wir es sehr begrüßen, wenn man das damit verbundene Potenzial zur Bewältigung dieser Aufgabe jetzt reaktiviert. Die Zukunft der Bundeswehr ist ein Thema, bei dem wir merken: Der Wandel hört nicht auf. Wir reden heute über den in der NATO seit langem vorhandenen Gedanken: Wir müssen so stark bleiben, damit wir unsere Stärke nie brauchen. Hier muss die Bundeswehr ihre Fähigkeiten auch durch wirklich vorhandenes Gerät und Personal in den nächsten Jahren unterlegen. Es reicht nicht, wenn wir diese Fähigkeiten nur auf dem Papier haben. Die neuartigen Konflikte, insbesondere hybride Kriege, verlangen eben nicht nur militärische Antworten; vielmehr brauchen wir eine breite Debatte darüber, was es heißt, mit hybriden Konflikten umzugehen. Im Mittelpunkt wird die Feststellung stehen: Die beste Sicherheit vor hybriden Kriegen sind Gesellschaften, die im Inneren stabil und sozial gerecht sind. Deshalb gehören Außenund Sicherheitspolitik, wirtschaftliche Zusammenarbeit, humanitäre Hilfe unmittelbar zusammen. Dies müssen wir stärker in den Fokus rücken. ({5}) Lassen Sie mich noch sagen und den Soldatinnen und Soldaten auch raten: Ihr habt Grund zum Selbstbewusstsein. Der Soldatenberuf hat in der deutschen Gesellschaft zusammen mit dem Polizistenberuf das höchste Ansehen, was die Erfüllung der Aufgaben eines Verfassungsorgans angeht. Wir sagen voll Respekt vor all denjenigen, die in den letzten 60 Jahren die Bundeswehr mit geprägt und weiterentwickelt haben ein Dankeschön für dieses Engagement, insbesondere den Soldaten, die zusammen mit ihren Familien durch Einsätze auch persönliche Entbehrungen auf sich genommen haben und dies gerne taten und nicht darüber lamentierten. ({6}) Ich habe abschließend noch einen Wunsch: Mein Wunsch ist, dass dies heute die letzte Feier zu einem runden Geburtstag der Bundeswehr ist. Mein Wunsch ist, dass 75 Jahre Bundeswehr anders gefeiert werden, nämlich in der Form, dass wir darüber reden, dass die deutschen Streitkräfte ein - wichtiger - Teil einer europäischen Verteidigungsunion sind. Zum 100-jährigen Jubiläum - ich werde es nicht mehr erleben - wünsche ich mir, dass überhaupt nicht mehr die Bundeswehr gefeiert wird, sondern dass die Vision einer europäischen Streitkraft endlich wahr geworden ist. Man sieht also: Politik und Soldaten haben auch in den nächsten 40 Jahren noch viele Aufgaben zu bewältigen. Wir möchten als Parlament gerne dabei mithelfen. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Agnieszka Brugger hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wofür braucht Deutschland bewaffnete Streitkräfte? Diese Frage wurde nicht nur bei der Gründung der Bundeswehr kontrovers, ernsthaft und emotional diskutiert, sondern sie muss auch heute immer wieder neu gestellt und neu beantwortet werden. Als die Bundeswehr vor 60 Jahren gegründet wurde, herrschte Kalter Krieg: Es standen sich zwei Blöcke, bis an die Zähne bewaffnet, feindlich gesinnt gegenüber. Diese düsteren Zeiten sind heute zum Glück vorbei, und Deutschland ist direkt, unmittelbar nur von Freunden umgeben, und das ist gut. Heute sind es nicht so sehr zwei Machtblöcke, die sich gegenüberstehen. Wir sehen häufig auf der Welt nicht nur zwei Staaten, die auf klassische Art und Weise Krieg gegeneinander führen; vielmehr werden vor allem Bürgerkriege geführt, in denen verschiedene Gruppen, auch unter Anwendung von großer Gewalt, von Menschenrechtsverletzungen, um Macht und Einfluss kämpfen. Wir sehen zerfallende Staaten, hybride Kriegsführung, Terrorismus. Die Konflikte auf den anderen Kontinenten dieser Welt sind uns heute aus vielen Gründen viel näher als noch vor 60 Jahren. Diese Veränderungen auf der Welt und diese veränderten Fragen von Frieden und Sicherheit spiegeln sich auch in den Aufgaben und Strukturen der Bundeswehr wider. Aus einer fast 500 000 Mann starken Wehrpflichtarmee ist eine Freiwilligenarmee im Einsatz geworden. In den letzten Jahren gab es die Einsätze auf dem Balkan und den Krieg in Afghanistan. Und aktuell gibt es die Schlepperjagd im Mittelmeer. Es wird gefordert, dass sich die Bundeswehr im Cyberraum engagiert oder dass sie jetzt - das ist, wie ich finde, eine sehr abstruse Forderung von der Union - bei der Grenzsicherung in Deutschland eine Aufgabe übernimmt. ({0}) Ebenso aber - auch das haben Sie hier unerwähnt gelassen, Herr Kollege Gehrcke, als Sie von Militarismus und Krieg gesprochen haben - ist die Bundeswehr heute in den Friedensmissionen der Vereinten Nationen engagiert, um die Zivilbevölkerung zu schützen, Waffenstillstände abzusichern, Streitkräfte auszubilden, wenn Menschen keinen Schutz haben, Seenotrettung im Mittelmeer zu betreiben oder - ich finde sehr beeindruckend, was da derzeit geleistet wird - bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge hier im Land mitzuhelfen. ({1}) Meine Damen und Herren, die Frage nach dem Wofür muss auch immer die Frage nach den Lehren aus der Vergangenheit beinhalten. Und dann muss man sehen: Der Krieg in Afghanistan, aber auch die großen Militäreinsätze im Irak und in Libyen, an denen die Bundeswehr nicht beteiligt war, konnten ihre Ziele nicht erreichen. Sie sind im Kern gescheitert. Man hat gelernt, dass ein Einsatz, vielleicht mit der besten Absicht begonnen, am Ende des Tages zu mehr Gewalt und zu mehr Chaos führen kann. Die Konflikte dieser Welt lassen sich nicht militärisch lösen, aber das Militärische kann unter bestimmten, eng begrenzten Bedingungen einen wichtigen Beitrag zur kurzzeitigen Stabilisierung oder zum Schutz der Zivilbevölkerung leisten. ({2}) Deshalb ist es so wichtig und auch entscheidend, dass wir mehr für zivile, diplomatische und entwicklungspolitische Antworten tun, um die Ursachen, die den Konflikten und Krisen zugrunde liegen, zu bekämpfen. ({3}) Meine Damen und Herren, wer dies - und das ist in den letzten Jahren leider immer wieder geschehen - vernachlässigt, der schickt die Soldatinnen und Soldaten in gefährliche Einsätze mit wenig Aussicht auf Erfolg. Das muss uns eine Lehre sein und sollte in Zukunft nie wieder passieren. ({4}) Wir Grüne sind der Auffassung, dass sich die Bundeswehr viel stärker im Rahmen dieser breit aufgestellten zivil-militärischen Friedensmissionen der Vereinten Nationen - nicht nur mit einem kleinen symbolischen Beitrag - beteiligen sollte. Diese Missionen erreichen durchaus sehr oft ihre Ziele. Sie tragen dazu bei, dass Gewalt eingedämmt wird und die Zivilbevölkerung geschützt werden kann. Es ist klar: Die Frage nach den zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr beinhaltet auch die Frage der Landesund Bündnisverteidigung, gerade in einem Europa, wo natürlich die Ängste der osteuropäischen Partner spürbar werden. Natürlich stehen wir auch an ihrer Seite, beispielsweise wenn die Luftraumüberwachung im Baltikum von der Bundeswehr übernommen wird. Es ist aber doch sicherheits- und finanzpolitisch irrsinnig und eine absolute Kurzschlussreaktion, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Union, wenn Sie jetzt hier auf einmal wegen der Ukraine-Krise mehr Panzer fordern. ({5}) Auch ist es verheerend, sich vor der Frage nach den zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr zu drücken. Klar, es geht nicht um ein simples Entweder-oder; aber es geht schon um den Schwerpunkt des deutschen sicherheitspolitischen Engagements. Ein Beleg dafür, dass etwas auch scheitern kann, wenn man sich mit dieser Frage nicht auseinandersetzt, ist die Bundeswehrreform. Das bedeutet in der Konsequenz, dass es zum Beispiel auf der einen Seite zu wenig benötigtes Gerät gibt, während auf der anderen Seite für mehrere Milliarden Euro Waffensysteme beschafft werden, die sicherheitspolitisch nicht wirklich notwendig sind und auch nur mit geringer Wahrscheinlichkeit eingesetzt werden. Wer die Frage beantworten will, ob die Bundeswehr nigelnagelneu entwickelte Leopard-Panzer oder ein milliardenschweres Raketenabwehrsystem MEADS braucht oder ob es nicht doch vielmehr funktionsfähige Hubschrauber, geschützte Fahrzeuge auf höchstem Niveau und Aufklärungsmittel sein sollen, der muss eben die Frage nach dem sicherheitspolitischen Fundament und nach den Kernaufgaben bzw. den zentralen Aufgaben der Bundeswehr beantworten. ({6}) Frau von der Leyen, Sie haben diese Debatte mit dem Weißbuchprozess angestoßen und wollten das Versäumnis der Bundeswehrreform an dieser Stelle sozusagen wieder rückgängig machen. Gleichzeitig aber treffen Sie wichtige Beschaffungs- und Strukturentscheidungen, mit denen Sie den von Ihnen selbst angestoßenen wichtigen Prozess konterkarieren. Das verschärft am Ende des Tages die Probleme bei der Bundeswehr - und löst sie nicht. ({7}) Meine Damen und Herren, die Frage nach dem Wofür ist immer auch eine zutiefst ethische Frage, die sich selten nur mit Ja oder Nein beantworten lässt; das ist auch nicht immer schwarz-weiß. Sowohl das Handeln als auch das Nichthandeln bergen immer eine Verantwortung. Ich finde, es ist immer wieder spürbar, wenn wir im Parlament über die Auslandseinsätze der Bundeswehr diskutieren, dass es für viele Kolleginnen und Kollegen hier eine Gewissensentscheidung ist, dass man sich dessen bewusst ist, dass das Dagegenstimmen und Nichteingreifen genauso schwierig sein kann und genauso verheerende Folgen haben kann wie der Militäreinsatz, den man auf den Weg bringt. ({8}) Die Bundeswehr als Parlamentsarmee ist ein hohes Gut und ein großer Wert, weil das für diese umstrittenen Fragen eine breite demokratische Legitimation ermöglicht. Wir werden deshalb immer allen Versuchen entgegentreten, die Parlamentsbeteiligung auszuhöhlen. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende meiner Rede würde ich gern sagen, warum ich seit Jahren sehr gern im Verteidigungsausschuss sitze. Wir haben sehr unterschiedliche Meinungen; das haben Sie in dieser Debatte gesehen. Von der Linkspartei bis zur CSU - wir können uns herrlich streiten. Aber in einem sind wir uns einig, und das hat mich immer sehr beeindruckt. Uns ist klar, unabhängig davon, wie wir selber zu einem Auslandseinsatz stehen: Wir haben gemeinsam eine Verantwortung für die Menschen, die das Parlament, der Bundestag, mit seiner Mehrheit in gefährliche Auslandseinsätze schickt. In diesem Konsens haben wir in den letzten Jahren immer wieder gemeinsam gehandelt, auch gegen Widerstände aus der Regierung. Ich erinnere an die Fragen der Betreuungskommunikation oder auch an die Frage: Wie gehen wir mit den Ortskräften aus Afghanistan um? Gewähren wir ihnen großzügig Schutz, oder folgen wir dem restriktiven Kurs des Innenministeriums? - Ganz besonders möchte ich an dieser Stelle aber eines erwähnen: Dass in den letzten Jahren bei der Betreuung, Anerkennung und Behandlung von an Körper und Seele Verwundeten so viel getan wurde, das war etwas, was wir alle zusammen auf den Weg gebracht haben. ({10}) Im Sinne dieses Konsenses möchte ich meinen Dank, meine Anerkennung und meinen Respekt für diejenigen Menschen zum Ausdruck bringen, die im Auftrag des Parlaments für Frieden und Sicherheit ihren Dienst tun. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Karl Lamers für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Helmut Schmidt war ein großer Politiker und Staatsmann. Wir verneigen uns vor ihm. Heute vor 60 Jahren, am 12. November 1955, wurde die Bundeswehr gegründet. Die Gründer wählten einen Tag mit hoher Symbolwirkung im Hinblick auf die Militärgeschichte: den 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers General Gerhard von Scharnhorst. Damals war die Bundeswehr alles andere als unumstritten. Das ist durchaus verständlich. Nur etwa zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollten viele damals ein neutrales Deutschland, ohne eine eigene Armee. Aber schon Wilhelm von Humboldt wusste: Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Konrad Adenauer war sich dieser Tatsache bewusst und setzte sich mit seiner Vision der Westbindung schließlich durch. Diese Entscheidung wurde zu einem Glücksfall der Geschichte. Es war der Weg zu Freiheit, Solidarität und Demokratie. ({0}) Andere Staaten, vor allem in Europa, begegneten der Idee neuer deutscher Streitkräfte zunächst mit Misstrauen. Trotz aller Vorbehalte: Es gelang. Die Bundeswehr erwarb nach und nach das Vertrauen der Partner. Heute ist sie in der ganzen Welt hochgeachtet und ein Beispiel für viele junge Demokratien. Die Grundsätze der Inneren Führung und das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform wurden zu echten Markenzeichen unserer Streitkräfte, um die uns unsere Partner beneiden. Auch im Innern zählt die Bundeswehr heute zu den angesehensten Institutionen - und das zu Recht. Das haben sich unsere Soldatinnen und Soldaten im wahrsten Sinne des Wortes erdient. ({1}) 60 Jahre Bundeswehr, das sind 60 Jahre erfolgreiche Sicherung des Friedens in Freiheit. Unsere Väter und Großväter hätten sich das sicher nicht vorstellen können. 60 Jahre Bundeswehr heißt auch 60 Jahre Integration in die westliche Verteidigungsallianz, in die NATO. Der ehemalige NATO-Generalsekretär und Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner sagte einst: Die Stärke der NATO lag und liegt nach wie vor in ihrer Wirksamkeit als einer Schicksalsgemeinschaft der Werte und Interessen. Daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Das Bündnis stand immer für Werte wie Demokratie, Recht und Freiheit. Unser Land und die Bundeswehr sind stolz darauf, Teil dieser Wertegemeinschaft zu sein. Jahrzehnte lag Deutschland an der Nahtstelle des OstWest-Konflikts. Von 1955 bis 1990 hat die Bundeswehr im sogenannten Kalten Krieg an der Seite ihrer Partner einen heißen Krieg in Europa verhindert. Zugleich hat sie zu dem Erfolg beigetragen, den Frieden in Europa zu sichern - trotz der Konfrontation der Militärblöcke, trotz der nuklearen Bedrohung. Die transatlantische Bindung Deutschlands, unsere Verankerung in der NATO, hat in unseren Partnerstaaten Vertrauen gebildet - in unser Land, in unsere Demokratie, vor allem auch in unsere Verlässlichkeit -, letztlich sicherlich auch eine wichtige Voraussetzung für ihre Zustimmung zur deutschen Einheit. Zu den größten Leistungen der Bundeswehr - Herr Otte hat darauf angespielt - zählt ihre Rolle bei der Vereinigung unseres Landes nach 1990. Der Aufbau der gesamtdeutschen Streitkräfte wurde zu einer wahren Erfolgsgeschichte: Die Bundeswehr, eine Armee der Einheit. Auch in Europa spielt die Bundeswehr eine wichtige Rolle. Sie beteiligt sich an EU-geführten Missionen auf unserem Kontinent und in Afrika. Darüber hinaus sind unsere Soldatinnen und Soldaten auch bei internationalen Friedensmissionen der Vereinten Nationen aktiv. Von der Präsenzarmee zu Zeiten des Kalten Krieges hat sich die Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz gewandelt. Vor 1990 waren Out-of-Area-Einsätze aufgrund der politischen Gesamtlage undenkbar. Heute leistet die Bundeswehr ganz selbstverständlich in internationalen Missionen einen aktiven Beitrag zu Sicherheit und Frieden. Dazu hat sie bemerkenswerte Fähigkeiten entwickelt, die in unterschiedlichsten Einsätzen gefordert sind. Denken Sie an unseren Einsatz in Afghanistan, zunächst im Rahmen von ISAF, jetzt im Rahmen der Mission Resolute Support, die wir verlängern werden. Denken Sie an unseren Beitrag zur Friedenssicherung im Kosovo, an die Bekämpfung von Schleusern im Mittelmeer und die Sicherung der Meeresroute am Horn von Afrika. Ich denke an unseren Einsatz in Mali und an die Ausbildung kurdischer und irakischer Kräfte für den Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Überall leistet die Bundeswehr einen wichtigen und bedeutsamen Beitrag. Dafür danke ich ihr. ({2}) Gleichzeitig beschäftigen wir uns mit den Herausforderungen eines sogenannten hybriden Krieges. Die Bundeswehr ist darüber hinaus im Bündnis auf neuen Feldern der Sicherheitspolitik aktiv. Ich nenne hier den Bereich Cybersecurity. Das Internet verbindet zwar, schafft aber auch Gefahren. Die Bundeswehr hat viele Facetten. Ich denke an die Hilfeleistung bei Unglücken, Naturereignissen, Waldbränden, Flutkatastrophen und - gerade jetzt, in diesen Wochen und Monaten - an den Beitrag der Bundeswehr bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation. Ich danke Ihnen, Frau Bundesministerin der Verteidigung, Frau Dr. von der Leyen, dass die Bundeswehr ein breites Spektrum an Unterstützungsmaßnahmen in diesem Bereich zur Verfügung stellt. Das hilft den Menschen bei der Bewältigung dieser großen Herausforderungen. Ich danke Ihnen. ({3}) Meine Damen und Herren, viele Menschen haben bis vor nicht allzu langer Zeit - Herr Gehrcke, Sie gehören offensichtlich dazu - tatsächlich geglaubt, die Bundeswehr weiter abrüsten oder abschaffen zu können. ({4}) Das können wir nicht. Die Bundeswehr ist heute wichtiger denn je. Wenn Sie davon träumen, dass Deutschland aus der NATO aussteigen könnte, dann sage ich Ihnen - ich spreche hier sicherlich nicht nur für die meisten Mitglieder dieses Hauses, sondern auch für über 300 Parlamentarier der Parlamentarischen Versammlung der NATO -: Wir brauchen heute - gerade heute - die NATO. Sie ist der Garant für Sicherheit und Freiheit in bedrohlicher Zeit, meine Damen und Herren. ({5}) Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putins Russland hat die euroatlantische Sicherheitsarchitektur von einem auf den anderen Tag fundamental geändert. Eine längst überwunden geglaubte Konfrontation mitten in Europa gefährdet unsere Zukunft und unseren Frieden. Entschlossenheit und glaubwürdige Bündnisverteidigung sind jetzt wieder das Gebot der Stunde. Jahrzehntelang konnten wir uns auf unsere Bündnispartner verlassen. Jetzt ist unsere Solidarität gegenüber den Mitgliedern gefordert, die sich heute bedroht fühlen. Mit den auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 vereinbarten Maßnahmen zur Rückversicherung stärken wir die Kernfunktion des Bündnisses, die kollektive Verteidigung unseres Bündnisgebietes. Mit einer Schnellen Eingreiftruppe werden die Einsatzbereitschaft und Flexibilität des Bündnisses deutlich erhöht. Deutschland, meine Damen und Herren, leistet bei alldem substanzielle Unterstützung und übernimmt als Rahmennation eine fühDr. Karl A. Lamers rende Rolle. Das stärkt das Bündnis und festigt zugleich unser Ansehen in der Allianz. Meine Damen und Herren, General von Scharnhorst formulierte vor mehr als 200 Jahren den Anspruch: Tradition in der Armee hat es zu sein, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. An dieser Maxime orientieren wir uns, orientieren Sie sich, Frau Bundesministerin. Für die Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten ist es steter Anspruch, nach vorne zu blicken und die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen. In dieser Stunde denken wir ganz besonders an die im Kampf Gefallenen und die vielen an Körper und Seele verwundeten Soldatinnen und Soldaten sowie an ihre Angehörigen. Im Namen meiner Fraktion danke ich ihnen von Herzen für ihren Dienst und spreche den Familien meine tiefempfundene Anteilnahme aus. Unseren Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in den letzten 60 Jahren Dienst in der Bundeswehr geleistet haben und aktuell leisten, insbesondere denen, die im Auslandseinsatz sind, gelten mein Respekt und meine Hochachtung.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie leisten Großartiges. Wir wünschen ihnen Erfolg und vor allem Gottes Segen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Ich danke Ihnen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Christine Buchholz ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Christine Buchholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004022, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vor 60 Jahren die ersten Rekruten ihre Ernennungsurkunden erhielten, sagte man ihnen, es ginge nur um Verteidigung, es ginge um die Bedrohung aus der Sowjetunion und dem Ostblock - sonst nichts. Deshalb war auch die Hoffnung auf Frieden und Abrüstung so groß, als 1989 die Mauer viel. Doch nur zehn Jahre später waren deutsche Kampfflugzeuge wieder an einem Krieg in Europa beteiligt, dem Angriff auf Jugoslawien. Weitere zehn Jahre später, 2009, hat ein deutscher Oberst im afghanischen Kunduz einen Bombenangriff auf zwei liegengebliebene Tanklaster befohlen. Über 100 Zivilisten, darunter viele Kinder, verbrannten in dem Inferno. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Deutschland nicht friedlicher geworden. Stattdessen haben alle Bundesregierungen seitdem die Bundeswehr in internationale Kriegs- und Kriseneinsätze hineingetrieben. Die Linke hält das für grundfalsch. ({0}) Wenn heute Stimmen laut werden, man solle den Einsatz in Afghanistan ausweiten, das Mandat erweitern und es näher an die tatsächlichen Kriegshandlungen heranführen, dann sagen wir Nein. ({1}) In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 wurde die Weichenstellung der Neuausrichtung der Bundeswehr so begründet: Deutschland sei eine „kontinentale Mittelmacht“ mit „weltweiten Interessen“. Sie reichten von der „Aufrechterhaltung des freien Welthandels“ bis zum „ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen“. Zwei Jahre später, 1994, hat das Bundesverfassungsgericht das dann für verfassungsgemäß erklärt, obwohl die Bundeswehr laut Grundgesetz eine Verteidigungsarmee ist. So sind die Machtverhältnisse in diesem Land: Zunächst werden geostrategische und wirtschaftliche Interessen definiert, dann wird die Armee umgebaut, und am Ende ist es Recht. Das ist nicht akzeptabel. ({2}) Glücklicherweise haben die Bundesregierungen seit jeher ein Problem: Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. 1991 rief die geplante Unterstützung des zweiten Golfkriegs Widerstand hervor - in der Bevölkerung, aber auch bei Soldaten. Der damalige Generalinspekteur, Dieter Wellershoff, fragte - Zitat -, ob wir nicht den Gedanken an Krieg, Tod und Verwundung zu weit in den Hintergrund geschoben haben. Der damalige Verteidigungsminister Rühe räumte 1992 ein, dass die Bürger nicht auf Auslandseinsätze vorbereitet seien. „Deswegen“, so Rühe damals wörtlich, „müssen wir Schritt für Schritt vorgehen.“ ({3}) So ist es gekommen. Deutsche Streitkräfte wurden seitdem in rund 40 Auslandseinsätze geschickt, erst in kleine, dann in immer größere. Aber die allermeisten Menschen in Deutschland wollen sich nicht wieder an Krieg, Tod und Verwundung gewöhnen, und ich werde es auch nicht. ({4}) Die Bundeswehr hat nichts im Ausland zu suchen, nicht im ehemaligen Jugoslawien, nicht in Afghanistan, nicht in Mali, auch nicht im Irak. Diese Auslandseinsätze sind so unbeliebt, dass es der Bundeswehr an Personal fehlt. Deshalb hat Frau von der Leyen gerade 10 Millionen Euro für eine neue PR-Kampagne, mit der bei jungen Leuten für eine Karriere bei der Bundeswehr geworben wird, ausgegeben. „Krisenherde löschst du nicht mit Abwarten und Teetrinken“, heißt es da. Meine Damen und Herren, Deutschland schafft die Krisenherde selbst mit. Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure der Welt. Die Bundesregierung ist eine der treibenden Kräfte hinter einer weltweiten Freihandels politik, die Millionen Menschen den Boden unter den Füßen wegzieht und ins Elend treibt. Und Sie erwecken hier den Eindruck, man könnte die selbst mitverursachten Krisen der Welt mit Militär lösen. Das ist zynisch. ({5}) An die Grünen, aber auch an Herrn Lamers gerichtet, sage ich: Wir glauben nicht, dass die Seenotrettung und letztlich auch die Flüchtlingshilfe oder die Bekämpfung von Waldbränden Aufgaben der Bundeswehr sind. ({6}) Wir brauchen den Aufbau von zivilen Hilfsstrukturen, eines zivilen Katastrophenschutzes. ({7}) Frau von der Leyen hat im Februar mit Blick auf das Weißbuch 2016 gesagt - ich zitiere -: Unsere Interessen haben keine unverrückbare Grenze, weder geografisch noch qualitativ. Deswegen kennt auch die Aufrüstung keine Grenzen bei teuren Großprojekten wie Panzern, dem A400M oder einer europäischen Kampfdrohne. Wir wollen nicht, dass Steuermilliarden in die Rüstung gesteckt werden. Abrüstung ist das Gebot der Stunde! ({8}) Wir wollen auch nicht, dass junge Menschen für Interessen, die nicht ihre eigenen sind, in internationale Bundeswehreinsätze geschickt werden; denn sie sind es, die Soldatinnen und Soldaten, die den Preis bezahlen, wenn sie verwundet, traumatisiert oder tot aus den Einsätzen zurückkommen. 60 Jahre Bundeswehr sind 60 Jahre Widerstand gegen Militarisierung und Krieg: gegen die Wiederbewaffnung, den NATO-Doppelbeschluss, gegen die Auslandseinsätze, aber auch gegen die Rekrutierungsversuche der Bundeswehr an Schulen und vor Arbeitsämtern. ({9}) Daran knüpft die Linke an. Sie können sich darauf verlassen: Der Widerstand wird weitergehen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Hellmich für die SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Hellmich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe, verehrte Soldatinnen und Soldaten und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr, die Sie heute bei dieser Sitzung des Bundestages dabei sein können! Gestern Abend durften wir den Großen Zapfenstreich anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Bundeswehr vor dem Reichstag erleben. Das war ein besonderes Ereignis, das bewegt hat. Vor und in dem Haus des deutschen Volkes ist das Selbstverständnis der Bundeswehr „Wir. Dienen. Deutschland.“ besonders lebendig geworden; das war überzeugend. Vielen Dank für dieses Erlebnis, das gezeigt hat, dass die Bundeswehr als fester und verlässlicher Teil zu unserer demokratischen Gesellschaft gehört und dieses Parlament verlässlich zu seiner Bundeswehr steht. ({0}) Ich möchte dies zum Anlass nehmen, um im Namen aller Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages allen aktiven und ehemaligen Soldatinnen und Soldaten sowie allen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren Dienst in den Streitkräften ganz herzlich zu danken. ({1}) Ich möchte auch denen danken, ohne deren Rückhalt und Unterstützung unsere Soldatinnen und Soldaten ebenso wie die zivilen Beschäftigten diesen so besonderen und einmaligen Beruf nicht ausüben könnten: den Partnerinnen und Partnern, ihren Eltern, ihren Kindern, ihren Familien. ({2}) Ich möchte noch zwei weitere Adressaten in den Dank mit einschließen, die sich in vielen Jahren kritisch und auch konstruktiv mit der Bundeswehr auseinandergesetzt haben. Vielen Dank an unsere Kirchen, deren Militärpfarrer in den Einsätzen viel gute und wertvolle Arbeit für die Soldatinnen und Soldaten geleistet haben. Mit ihren kritischen Beiträgen zu dem, was die Bundeswehr in unserer Gesellschaft leisten soll, haben sie immer wieder Denkanstöße gegeben, die uns eine konstruktive, nach vorne gerichtete Diskussion gebracht haben, die an dem Friedensgebot unserer Verfassung orientiert ist. Das Thema „Frieden schaffen“ stand und steht über diesen Debattenbeiträgen. ({3}) Ich möchte denjenigen danken, die in besonderer Weise unsere demokratische Bundeswehr verkörpern: dem BundeswehrVerband, den Gewerkschaften, den Beamten, die in der Bundeswehr ihren demokratischen Dienst leisten. Sie alle haben sich unter Beteiligung der Soldaten intensiv zum Wohle und im Interesse der Bundeswehr kritisch mit ihr auseinandergesetzt. Seit ihrer Gründung vor nunmehr 60 Jahren hat die Bundeswehr einen einmaligen Transformationsprozess vollzogen. Die deutschen Streitkräfte dienten lange Zeit ausschließlich zur Verteidigung. Jahrzehntelang galt der Einsatz der Bundeswehr als schwer denkbarer Ernstfall, nur im Kalten Krieg vorstellbar. Mit dessen Ende und dem Erringen der deutschen Einheit haben sich die Aufgabe und Rolle Deutschlands und die seiner Bundeswehr grundlegend verändert. War es gerade noch die Befürchtung, die uns alle bewegt hat, zum atomaren Schlachtfeld zu werden, so schien nun die Konfrontation in Europa überwunden. Das Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle spielt eine ganz wesentliche Rolle, auch bei der Bundeswehr. Wenn wir in diesem Jahr entscheiden, einen neuen Flieger im Zuge von Open Skies einzusetzen, dann sehen wir, welche wichtigen Beiträge die Bundeswehr im Betrieb eines solchen Systems, aber auch in Bezug auf die Verifikation der Abrüstungspolitik in Europa und darüber hinaus geleistet hat, dann sehen wir das ganze breite Spektrum dessen, was die Bundeswehr bis heute erreicht hat; und erreicht haben wir dieses nur im Bündnis mit anderen Partnern innerhalb der NATO, im transatlantischen Bündnis. Die erst vor einem Vierteljahrhundert gewonnene volle Souveränität hat einen Veränderungsprozess in unseren Streitkräften in Gang gesetzt, der mit dem Bekenntnis Deutschlands zu mehr Verantwortung einen Höhepunkt, sicher aber keinen Abschluss gefunden hat. Wäre es vorher denkbar gewesen, dass in Afghanistan amerikanische Truppen unter deutschem Befehl stehen? Ich möchte an dieser Stelle hinzufügen: Ich bin froh, dass wir in Afghanistan bleiben und das afghanische Volk nicht alleine lassen. Wir müssen mit unseren Partnern weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation vor Ort leisten. ({4}) Wäre es denkbar gewesen, dass Deutschland mit einem Framework Nations Concept anderen Nationen als verlässliche Anlehnungsnation zur Verfügung steht? Wäre es vorstellbar gewesen, dass ein niederländisches und ein deutsches Heer Schritt für Schritt miteinander verschmelzen? Sicher nicht. Wir haben in den Jahren der Ausfüllung der vollen Souveränität viel erreicht, und wir sind bereit, mehr Verantwortung in dieser Welt, vor allem in Europa, zu übernehmen. Diese neu gewonnene Souveränität auszufüllen mit dem verfassungsmäßigen Rahmen des Grundgesetzes, mit der demokratischen Verfasstheit der Bundeswehr, mit der Parlamentsarmee, mit dem Parlamentsvorbehalt und mit der Bündnisorientierung, das war eine große Herausforderung, die uns, so bin ich überzeugt, gelungen ist. Die Erfahrung im Einsatz, zivil und militärisch, ist Ausdruck davon, welchen Fortschritt wir in der Politik und in der Bundeswehr gemacht haben. In den Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten kommt immer wieder zum Ausdruck, dass sie die besondere Verantwortung des Parlamentes schätzen und die verlässliche Ausfüllung dieser Verantwortung auch einfordern. Sie sind es, die uns mit ihrer Erfahrung im Einsatz immer wieder zeigen, in welche Richtung die Entwicklung gehen muss. Heute ist unser Land von Freunden und Partnern umgeben. Die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sowie die Beistandsfähigkeit im Bündnis zu erhalten, das sind weiterhin die zentralen Aufgaben der Bundeswehr. Dafür benötigen wir nicht nur motivierte und gut ausgebildete Soldatinnen und Soldaten, sondern auch das nötige Gerät. Wir müssen das Versprechen, das wir den Soldatinnen und Soldaten gegeben haben, sie entsprechend auszurüsten und zu qualifizieren, einhalten. Wir müssen uns um sie kümmern. Als Teil der Exekutive untersteht die Bundeswehr dem Kommando der Bundesregierung, wird aber zugleich durch das Parlament kontrolliert und legitimiert. Wie Sie, verehrter Herr Bundestagspräsident, betonen, gibt es weltweit kein zweites Beispiel für eine derartige parlamentarische Verankerung einer Armee in einem demokratischen Staat. Der Verteidigungsausschuss mit Verfassungsrang, das Budgetrecht und die starke und fast alleinige Rolle des Parlamentes bei der Entscheidung über die Entsendung bewaffneter Streitkräfte ins Ausland machen die starke Stellung des Parlamentes bei der Gestaltung und der Rahmensetzung für die Bundeswehr sehr deutlich. Laut einer 2013 vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr durchgeführten Umfrage sind 77 Prozent der Bevölkerung der Auffassung, dass die Bundeswehr wichtig für Deutschland ist. Neun von zehn Befragten halten es für selbstverständlich, dass Deutschland eigene Streitkräfte hat, und betrachten die Bundeswehr als einen festen Bestandteil unserer Gesellschaft und unseres demokratischen Staates. Das sind genau die Prozentzahlen, die Ihre Position nicht teilen, und ich bin froh darüber. ({5}) So gilt es, unsere Streitkräfte als eine Bundeswehr zu verstehen, die sich aus Soldatinnen und Soldaten, Beamtinnen und Beamten, Tarifbeschäftigten und Auszubildenden zusammensetzt. Sie alle dienen dem Schutz unseres Landes und seiner Menschen. Auch ich möchte hier an all diejenigen erinnern, die in Ausübung ihres Auftrages für unser Land ums Leben gekommen, gefallen sind. Ihnen und ihren Angehörigen gehören unser besonderer Dank, unsere Anerkennung und unsere stete Erinnerung. Die Gedenkstätte bei Potsdam ist ein schöner und guter Ort, an dem wir dieses auch leben können. ({6}) Der Dienstherr Bundeswehr sowie wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen für unsere Soldatinnen und Soldaten sorgen, sei es im Grundbetrieb, sei es bei der Ausbildung, im Einsatz oder danach. Ohne eine verlässliche und funktionierende Betreuung wird es nicht gehen. Es ist vielleicht der besonderen Verantwortung des Parlamentes geschuldet, dass der Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und ihre schnelle Versorgung im Einsatz einen besonders hohen Stellenwert haben. Auch unsere Partnernationen und ihre Soldatinnen und Soldaten profitieren von dieser besonderen Fähigkeit der Bundeswehr; oftmals verlassen sie sich darauf. Das ist ein Ausweis für das, was wir im und als Parlament in der Bundeswehr und mit der Bundeswehr entwickelt haben. Dass wir erst mit der Zeit mit Entschädigungsregeln und mit Einsatzregeln die nötigen Maßnahmen für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz geschaffen haben, ist Bestandteil des verantwortungsvollen Ausfüllens unWolfgang Hellmich serer neuen Souveränität. Truppenärzte, Sozialarbeiter, Psychologen, Betreuungspersonen und viele andere leisten da unschätzbare Dienste. Mit der Verabschiedung des Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetzes wie mit dem 7. Besoldungsänderungsgesetz setzen wir den Kurs des Ausbaus des Systems Bundeswehr in die Zukunft konsequent fort und leisten an der Stelle, glaube ich, vieles, was unsere Soldatinnen und Soldaten auch so sehen. Sie entscheiden sich für den Dienst bei der Bundeswehr dann, wenn wir ihnen klar sagen, auf welchen Dienst sie sich bewerben, wenn wir ihnen klar sagen, was sie im Berufsleben erwartet, und wenn wir sicherstellen können, dass sie dort eine Perspektive haben. In den drei Säulen der Landesverteidigung, im Einsatz im Bündnis und jetzt auch in der Flüchtlingshilfe muss die Bundeswehr mit gutem Material, mit guter Ausbildung und einer beruflichen und sozialen Perspektive in die Zukunft weiterentwickelt werden. Die Bundeswehr, inzwischen ein selbstverständliches Mittel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, genießt international einen hervorragenden Ruf. Bei vielen Besuchen von Parlamentarierinnen und Parlamentariern anderer Parlamente in Europa und auch von Australien, Tunesien und anderen Ländern werden wir immer wieder gefragt: Wie organisiert ihr das? Wie macht ihr das? Wie geht ihr als Parlament damit um? Wie habt ihr das verankert? Wir können ihnen immer nur eines sagen: Die starke Stellung des Parlamentes bei den Entscheidungen für Einsätze der Bundeswehr - Stichwort „Verfassungsrang“ - ist der Ausgangspunkt dafür, dass wir vieles miteinander gestalten können, dass wir mit der Regierung einen konstruktiven Dialog führen. Dabei steht immer im Mittelpunkt, die Bundeswehr weiterzuentwickeln und sich um die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Mitarbeiter zu kümmern. Ein neues Weißbuch zur Lage, ein neues Lagebild, das wir dort aufschreiben werden, wird, denke ich, dieses zum Ausdruck bringen. Es wäre gut, wenn dieser Weißbuchprozess nicht nur einmal geschehen würde, sondern permanent. Wenn wir über eine europäische Armee als Perspektive reden - ich glaube, gebaut wird diese Armee von unten -, denke ich immer an die Militärmusiker. Sie alle spielen dieselben Noten und dieselbe Musik, haben aber sehr unterschiedliche Uniformen an. So stelle ich mir auch eine europäische Armee in der Zukunft vor, die dasselbe tut, die dieselben Grundlagen hat und sich in dieselbe Richtung entwickelt. Ich glaube, das ist die Perspektive, die wir haben. Wer weiß, was er will, der weiß, was er tun muss. Ich gehe davon aus, dass wir uns klar in diese Richtung bewegen. Ich möchte gerade zum heutigen Tage daran erinnern, dass die Bundeswehr zu den 70 Jahren der Erfahrung von Frieden einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet hat. So soll es auch weiterhin sein. Vielen Dank und Glück auf! ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Doris Wagner das Wort.

Doris Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004436, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werte Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Soldatinnen und Soldaten auf den Rängen, Ihnen möchte ich heute stellvertretend für die Bundeswehr zum Geburtstag gratulieren und Ihnen sehr herzlich für Ihren Einsatz und Ihr Engagement danken. ({0}) Es gibt eines, das unsere Streitkräfte in ganz besonderer Weise auszeichnet: die Innere Führung. Im Zentrum der Inneren Führung steht der einzelne Soldat, die einzelne Soldatin. Sie sollen sich im eigenen Handeln nie allein an militärischen Befehlen orientieren, sondern auch am eigenen Gewissen und an den Werten des Grundgesetzes: an Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. Die Bundeswehr muss deshalb ihren Angehörigen diese Werte, für die sie einstehen sollen, auch vermitteln. Eine besondere Rolle spielt dabei die Schulung am Zentrum Innere Führung. Aber mindestens genauso wichtig ist es für die Soldatinnen und Soldaten, dieses Prinzip im täglichen Geschehen mit Leben zu füllen: im persönlichen Gespräch, in Diskussionen am Standort. Warum soll die Bundeswehr in Bürgerkriege in Afrika eingreifen? Was ist von Guantánamo und Abu Ghuraib zu halten? Ein Austausch über solche Fragen ist ganz im Sinne der Inneren Führung. Allerdings habe ich Sorgen, dass diese Form der politischen und ethischen Bildung künftig zu kurz kommen wird. Denn damit Vorgesetzte und Soldatinnen und Soldaten darüber diskutieren können, was in der Welt passiert und welche Antworten wir darauf haben, braucht es Zeit. Genau die ist aber an vielen Standorten Mangelware, ganz besonders nach der jüngsten Bundeswehrreform. Denn der Plan, die Bundeswehr drastisch zu verkleinern, gleichzeitig aber das Fähigkeitsspektrum und die geografische Verteilung in der Fläche beizubehalten, kann nur aufgehen, weil die Bundesregierung eine dauerhafte Überlastung der Bundewehrangehörigen in Kauf nimmt. Die Lage, meine Damen und Herren, wird sich in absehbarer Zeit nicht verbessern, ganz im Gegenteil. Die Verteidigungsministerin hat in jüngster Zeit einiges unternommen, um die Arbeitsbedingungen in der Bundeswehr attraktiver zu machen. Soldatinnen und Soldaten sollen weniger arbeiten und ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Diese Neuerungen begrüßen wir Grüne ganz ausdrücklich. ({1}) Aber gerade weil wir die Attraktivitätsagenda der Ministerin unterstützen, wollen wir die Augen auch vor möglichen Folgen nicht verschließen: Durch die europäische Arbeitszeitrichtlinie, durch Teilzeit- und Telearbeit wird der Personal- und Zeitmangel an vielen Standorten zusätzlich verschärft. Ich fürchte, der ständigen Zeitnot wird zuallererst die Zeit für Reflexion zum Opfer fallen. Werte Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht hinWolfgang Hellmich nehmen, dass die Attraktivitätssteigerung auf Kosten der Inneren Führung geht. Wir sollten auch die problematischen Folgen der Attraktivitätsagenda offen ansprechen. Deshalb frage ich Sie, Frau Ministerin: Wie wollen Sie die Konsequenzen abfedern, die die neuen Arbeitszeitmodelle in der Praxis nach sich ziehen? Wie wollen Sie verhindern, dass Personal- und Zeitmangel die bewährte interne Selbstreflexion der Bundeswehr unmöglich machen? Die Antworten auf diese Fragen können meiner Ansicht nach nur darin liegen, endlich die logische Konsequenz aus der erfolgten Verkleinerung der Bundeswehr zu ziehen. Wir brauchen eine stärkere Konzentration, eine bessere Fokussierung bei den Fähigkeiten und Strukturen. Die Innere Führung ist im internationalen Vergleich der Armeen einzigartig. Für uns Grüne ist und bleibt sie Grundvoraussetzung für die Existenz und den Einsatz unserer Streitkräfte. Wir sollten deshalb alles dafür tun, dass unsere Soldatinnen und Soldaten dieses Prinzip täglich mit Leben füllen können. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ingo Gädechens ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ingo Gädechens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004036, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geburtstage sind immer schön, besonders runde. ({0}) Bei den Menschen geht damit einher, dass wir älter werden, der eine oder die andere erfahrener, und hoffentlich werden wir mit jedem Lebensjahr auch ein gut Stück schlauer. Wir begehen heute den 60. Geburtstag unserer Bundeswehr und können sagen: Unsere Streitkräfte sind erwachsen geworden; der heutige Tag gilt als die offizielle Geburtsstunde. Seit ihrer Gründung garantiert sie die Sicherheit Deutschlands und hat sich gleichzeitig zu einer international respektierten Armee entwickelt. Die Bundeswehr musste sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten immer wieder auf neue Sicherheitslagen einstellen und vielfältige Aufgaben bewältigen. Sie hat den Wandel - wir hörten es - von einer reinen Verteidigungsarmee über die Armee der Einheit zur Armee im Einsatz vollzogen und sich dabei international bewährt. Auch bei nationalen Katastrophen konnten und können wir uns auf die helfenden Hände der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verlassen. Bei dem Thema Katastrophenhilfe erinnere ich mich an meinen eigenen Einsatz als sehr junger Soldat bei der Schneekatastrophe 1978/79, von der meine Heimatinsel Fehmarn und ganz Norddeutschland in besonderer Weise betroffen waren. Meine Damen und Herren, wir begehen heute den 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr. Dies ist für mich auch Teil einer sehr persönlich erlebten Geschichte. Über 30 Jahre, also mehr als die Hälfte dieser Zeit, diente ich in dieser unserer Bundeswehr. Meine Zeit als Berufssoldat hat mich nicht nur erfüllt, sondern mir persönlich auch viel gegeben. Sie hat mich geprägt und auch ein Stück weit zu dem Menschen werden lassen, der ich heute bin. Der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Er ist viel weniger Beruf als vielmehr Berufung. Meine Dienstzeit war prägend, weil ich mit meinen Kameraden in vielen Bereichen an Leistungsgrenzen herangeführt wurde, und dabei habe ich schnell erkannt, dass es in der Bundeswehr zwar durchaus Einzelkämpfer gibt, Teamgeist und Teamarbeit aber grundsätzlich schneller und besser zum Erfolg führen. In meiner Dienstzeit habe ich Kameradschaft erleben dürfen, die so in unserer Gesellschaft nur noch sehr selten erlebbar ist. Dafür bin ich heute noch überaus dankbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht nur sehr komfortabel, in einer Demokratie wie unserer leben zu dürfen, es ist auch wichtig, zu erkennen, dass man zur Sicherung unserer Werte und unserer freiheitlichen Grundordnung etwas leisten muss. Viele Soldatengenerationen folgten und folgen dem Ruf: „Tu was für dein Land“. Alle haben einen aktiven Beitrag zur Sicherung unserer Demokratie geleistet. Mit ihrem Eid haben sie sich verpflichtet, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Der Soldatenberuf ist somit kein Beruf wie jeder andere. 180 000 Kameradinnen und Kameraden haben sich derzeit an diesen Eid gebunden und dienen heute gemeinsam mit weit über 70 000 Zivilangestellten, um Deutschlands Sicherheit zu gewährleisten. Jede Soldatin und jeder Soldat ist bereit, im schlimmsten Fall sein Leben für unser Land und unsere Sicherheit zu riskieren. Deshalb haben unsere Soldatinnen und Soldaten auch nicht nur die Anerkennung der deutschen Bevölkerung, sondern auch die uneingeschränkte Hochachtung unserer ganzen Gesellschaft mehr als verdient. ({1}) Eine erfolgreiche Sicherheitspolitik mit der Bundeswehr kann nur gelingen, wenn das Volk hinter den Bundeswehrsoldaten steht. Es geht gerade auch um die positive geistige Haltung des Volkes zu seinen Streitkräften. Tatsächlich verfolgt ein Teil der Gesellschaft in Deutschland die Einsätze der Bundeswehr leider nur mit freundlichem Desinteresse. Deshalb werbe ich als Abgeordneter unermüdlich dafür, dass sich der Geist, mit dem wir als Bürger der Bundeswehr gegenübertreten, ein gut Stück ändert. Die Bundeswehr gehört - das ist die feste Meinung meiner Fraktion, der CDU/CSU - in die Mitte unserer Gesellschaft. Sie gehört an die Schulen, an die Hochschulen, in die Universitäten und auf öffentliche Plätze, wie gestern hier vor dem Reichstagsgebäude. ({2}) „Unsere Soldaten“: Das sagt sich leicht. Das heißt aber auch, wir müssen Anteil an ihren Leistungen, an ihren Ängsten und an ihren Sorgen und Nöten nehmen. Wir müssen viel mehr öffentliche Debatten über Einsätze der Bundeswehr führen. Und wir sind aufgefordert, uns noch mehr um unsere Soldaten, aber auch um die Familienangehörigen zu kümmern, die diesen besonderen Dienst an unserem Land auf ihre Weise mittragen. Meine Damen und Herren, als ich vor mehr als 30 Jahren meinen Dienst in der damaligen Bundesmarine antrat, die sich heute „Deutsche Marine“ nennt, war die Bundeswehr noch eine reine Verteidigungsarmee. Die Entwicklung der Bundeswehr zu einer weltweit operierenden Einsatzarmee war und ist unausweichliche Folge der derzeitigen Konflikte und Kriege, welche teils direkt an Europas Grenzen stattfinden. Wir sehen an der aktuellen Flüchtlingskrise, wie die Folgen dieser Konflikte auch dramatische Auswirkungen in Europa und gerade hier in Deutschland haben. Die internationale Staatengemeinschaft erwartet, dass sich Deutschland auch militärisch einbringt. Die hohe Motivation unserer Soldatinnen und Soldaten ist auch dem Selbstverständnis der Bundeswehr geschuldet: „Wir. Dienen. Deutschland.“ Dieses Selbstverständnis galt schon zu meiner Dienstzeit. Nach wie vor gilt das zentrale Leitbild des Staatsbürgers in Uniform: Bürger dienen in der Bundeswehr Bürgern. Die Bundeswehr gründet ebenfalls auf dem Prinzip der Inneren Führung. Diese Art der Führung, die unsere Soldaten von Beginn an verinnerlichen, beantwortet Fragen nach Sicherung der Grundrechte des Soldaten und setzt notwendige militärische Erfordernisse in ein vernünftiges Verhältnis dazu. Beide Prinzipien hat die Bundeswehr verinnerlicht, und beide haben ihr Selbstverständnis geprägt. Meine Damen und Herren, als ehemaliger Berufssoldat ist es mir jetzt als Abgeordneten besonders wichtig, immer wieder mit jungen Kameradinnen und Kameraden ins Gespräch zu kommen. Ich bin stets tief beeindruckt von ihrer Ernsthaftigkeit, von ihrem Selbstbewusstsein, von ihrem Pflichtgefühl und von ihrer Verbundenheit mit unserem Land und seinen Werten, aber auch von ihrer Gelassenheit in Kenntnis aller Risiken. Sie sind sich der Gefahren bewusst, dabei voller Mut und Zuversicht. All das gibt uns die Gewissheit: Wir können uns auf unsere Soldatinnen und Soldaten, wir können uns auf unsere Bundeswehr verlassen. Herzlichen Glückwunsch deutsche Bundeswehr! ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Florian Hahn von der CDU/CSU-Fraktion ist der letzte Redner in dieser Debatte. ({0})

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 30. Oktober 1995 sprach der damalige bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber anlässlich des feierlichen Gelöbnisses von Rekruten aus ganz Bayern, das gleichzeitig die bayerische Feier zum 40-jährigen Bestehen der Bundeswehr in Bayern darstellte: Ohne die Bundeswehr, ohne eigenen Verteidigungsbeitrag wäre die Bundesrepublik Deutschland nicht zu dem geworden, was sie heute ist: ein wiedervereinigtes, freies und im Verhältnis zu den übrigen Staaten der Erde wohlhabendes Land, ein geachtetes Mitglied der Völkergemeinschaft. Ich will gerade im Jahr 1995 darauf aufmerksam machen, dass vor 50 Jahren Deutschland ein geächtetes Land war. Dass wir in fünf Jahrzehnten miteinander so viel erarbeiten konnten, verdanken wir unseren Verbündeten, der Einsatzbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land und vor allem auch der Bundeswehr. Ich war an diesem Abend selbst Rekrut und von der Rede tief bewegt, allerdings auch irgendwie froh, als die ganzen Reden vorbei waren und wir endlich zum Gelöbnis kamen. Schließlich ist es durchaus anstrengend gewesen, über eine Stunde in Reih und Glied angetreten zu sein. Ministerpräsident Stoiber sagte weiter: Ihr Gelöbnis findet in einem historisch denkwürdigen Moment statt. Es ist der Geburtstag der Bundeswehr, der ersten freiheitlich-demokratischen Armee Deutschlands, eingebettet in die demokratische Gemeinschaft unserer Partner im transatlantischen Bündnis. Ohne diese Einbettung hätte Deutschland, das Land in der Mitte Europas mit den meisten Nachbarn überhaupt, fünf Jahrzehnte nach der größten Katastrophe, die es für Deutschland und Europa je gegeben hat, nicht den Zustand erreicht, dass wir heute mit all unseren Nachbarn in Frieden und Freundschaft leben. Dafür haben Generationen von Deutschen gekämpft, gebetet, gehofft. Das ist nicht selbstverständlich, auch wenn wir es leider heute als selbstverständlich empfinden. Ich finde, diese Worte Stoibers haben auch heute noch ihre Berechtigung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion über die deutsche Wiederbewaffnung fiel in eine Zeit, in der die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges noch greifbar waren. Im Deutschen Bundestag diskutierten Abgeordnete über die Aufstellung deutscher Streitkräfte, die keine Abstraktionsfähigkeit benötigten, um sich die ganzen möglichen Konsequenzen, nicht nur den Aufbau von Fähigkeiten, sondern vor allem auch die Bereitschaft, als Ultima Ratio im Bündnis wieder militärisch handlungsfähig zu sein, vorzustellen. So war die Wiederbewaffnung keineswegs unumstritten. Die CSU war von Beginn an ein überzeugter Befürworter eigener deutscher Streitkräfte. Ein zentrales Argument sprach aus ihrer Sicht dafür: Deutschland sollte seine volle Souveränität wiedererlangen. Der Staat, so jung er auch noch war, brauchte ein Instrument, um seine Bürger vor der sehr realen sowjetischen Aggression zu schützen. Die Integration in ein Verteidigungsbündnis, ohne selbst einen substanziellen Beitrag zur kollektiven Sicherheit zu leisten, wäre nicht tragbar gewesen. Auch die USA forderten mehr Verantwortung von Deutschland. Weiter war die CSU davon überzeugt, dass Deutschland nur in enger Kooperation mit den europäischen Nachbarn zur Wiederbewaffnung fähig ist. Dem Argwohn der SPD, dass die Wiederbewaffnung Deutschlands die Einheit gefährdet, setzte Franz Josef Strauß in der historischen Debatte von 1952 eine überzeugende Richtungsvorgabe entgegen: über die Einheit Europas zur Wiedervereinigung Deutschlands - ein Weg, der bekanntermaßen 1989 zur deutschen Einheit führte. Der spätere Verteidigungsminister Strauß, lieber Herr Gehrcke, der mit Fug und Recht als einer der Väter der Bundeswehr bezeichnet wird, fasste die Problematik der Wiederbewaffnung damals treffend zusammen: Wer ja sagt, muß sich die Verantwortung für die Folgen überlegen. Wer nein sagt, nein um jeden Preis, muß für die Konsequenzen einstehen, die aus dieser Verantwortung erwachsen. ({0}) Damit nahm er die Abgeordneten, die dem pazifistischen Leitmotiv ein plakatives „Ohne mich“ voranstellten, in die Verantwortung. Er selbst nannte sich später einmal einen „Verantwortungspazifisten“. Um den Frieden zu sichern, so Strauß, müssen notfalls auch militärische Instrumente in Erwägung gezogen werden. Er als Historiker hat dabei vor allem auf die Untätigkeit der europäischen Demokratien in der Sudetenkrise und beim Überfall auf Polen in den 30er-Jahren hingewiesen. Der linke Gesinnungspazifist könne vielleicht besser schlafen; aber durch sein rigoroses Nein zu militärischen Mitteln könne er auch zur Verschärfung der Lage beitragen ({1}) eine Schlussfolgerung, die auch 60 Jahre nach Gründung der Bundeswehr weiterhin ihren Wahrheitsgehalt hat; gerade die Kollegen der Fraktion Die Linke sollten hier aufhorchen. ({2}) Die permanente Gefahr aus Moskau beeinflusste das politische Arbeiten in einer Art und Weise, wie wir uns das heute nicht mehr vorstellen können. So musste die Bundeswehr in kürzester Zeit Fähigkeiten aufbauen, um in der Blockkonfrontation handlungsfähig zu sein. Auch umstrittene Entscheidungen fielen unter diese Prämisse, so zum Beispiel die Beschaffung des Starfighters. Für ehemalige Marineflieger wie Harm Zander war der Starfighter ein gutes Flugzeug. Mit ihm konnten deutsche Piloten den Fliegern des Ostblocks waffentechnisch endlich auf Augenhöhe begegnen. Der Supersonic-Jet stellte an die Piloten allerdings auch höchste Anforderungen. Der Erfolg der Wehrhaftigkeit ist heute offenkundig, aber er forderte auch viele Opfer: 116 Piloten verunglückten tödlich bei Flügen mit dem Starfighter. Wir gedenken heute daher auch derer, die für einen Frieden in Freiheit während der Ausübung ihres Dienstes bis heute ihr Leben verloren. Von Beginn an war klar, dass die Streitkräfte eine neue Führungsphilosophie brauchten, die sich an den Prinzipien des Grundgesetzes orientierte. Das von General Baudissin eingeführte Konzept der Inneren Führung garantierte eine militärische Führung, die soziale und individuelle Aspekte des Menschen berücksichtigte. Soldaten sollten nicht einfach nur funktionieren oder etwa einen Sonderstatus genießen, sondern sich als Staatsbürger in Uniform verstehen. Weltweit beachtet, ist das unter dem Eindruck der Erfahrung aus Krieg und Diktatur entstandene Leitbild noch immer die tragende Säule des militärischen Selbstverständnisses. Die Bundeswehr bildete aber nicht nur die Brücke nach Westen. Wenige wissen, dass von der noch jungen Armee ein Samen für die besondere deutsch-israelische Freundschaft gesetzt wurde. Schon 1958, drei Jahre nach der Gründung der Bundeswehr, nahmen die Armeen beider Länder die ersten Kontakte auf - 13 Jahre nach dem Holocaust, bei dem sich deutsche Wehrmachtssoldaten mitschuldig gemacht haben. Obwohl es diplomatische Beziehungen zwischen Israel und Deutschland noch nicht gab, begannen Vertreter der Marine beider Armeen mit der Zusammenarbeit. Die Deutschen halfen Israel beim Aufbau seiner U-Boot-Flotte. Damit stellten sich die Soldaten aktiv unserer aus der Geschichte entstandenen Verantwortung, die Sicherheit und die Existenz Israels zu schützen. Dieses besondere Verhältnis wurde einmal mehr 1990 deutlich, als der Zerstörer „Bayern“ als erstes deutsches Kriegsschiff den israelischen Hafen Haifa besuchte. Mein Bruder, der damals als Obergefreiter Philip Hahn auf der „Bayern“ seinen Wehrdienst absolvierte, erzählte mir damals von dem bewegenden Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem, bei der die Marinesoldaten in Uniform einen Kranz niederlegten. Auch heute ist der Ruf nach mehr Verantwortung Deutschlands stärker denn je. Nicht nur bei Themen wie der Finanzkrise muss Deutschland als Orientierungsmacht auftreten; auch in der Außenpolitik bedarf es eines Zeichens Deutschlands, um beispielsweise den europäischen Stillstand zu überwinden. Die aktuellen Herausforderungen zwingen uns, die Rolle des Militärs neu zu bestimmen. Mit der Entscheidung unserer Bundesministerin von der Leyen, ein neues Weißbuch zu verfassen, gehen wir diese Aufgabe entschlossen an. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der Soldatenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Ich möchte daher unseren Soldatinnen und Soldaten, die im In- und Ausland aktuell im Einsatz sind oder es waren, meinen persönlichen Respekt, hohe Anerkennung und ein herzliches „Vergelt‘s Gott!“ aussprechen. Ebenso möchte ich den 55 000 zivilen Mitarbeitern und Fachkräften von Herzen danken, ohne die unsere Truppe nicht funktionieren würde. Die Bundeswehr ist und bleibt ein tragender StützFlorian Hahn pfeiler unserer freien demokratischen Grundordnung. Wir können auf unsere Bundeswehr zu Recht stolz sein. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen damit zu unserem folgenden Tagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Zimmermann ({0}), Ulla Jelpke, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern und Lohndumping bekämpfen Drucksache 18/6644 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Auch für diese Aussprache sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung 77 Minuten vorgesehen. - Das wird offenkundig allgemein so akzeptiert. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile der Kollegin Sabine Zimmermann für die antragstellende Fraktion Die Linke das Wort. ({2})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für den Verbandspräsidenten des BDI hat die Bundesregierung eigentlich immer ein offenes Ohr. Es sollte Ihnen deshalb nicht schwerfallen, jetzt einmal genau zuzuhören,

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Augenblick bitte. - Es wäre schön, wenn etwas mehr Ruhe einkehrt. - Okay, schon in Ordnung. Bitte schön.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- was Herr Grillo anlässlich des Tages der Deutschen Industrie gesagt hat. Als größte Herausforderung hat Grillo die Eingliederung der Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt bezeichnet. Man habe ein demografisches Problem und viele offene Stellen, sagte Grillo. Eine rasche Integration bringe mehr für die Sozialkassen, und Integration durch Qualifikation sei zu schaffen. Nun aber müsse die Koalition für das Wirtschaftswachstum und in Sprachkurse investieren. ({0}) Man könnte fast glauben, dass Herr Grillo den Antrag der Linken gelesen hat. ({1}) Aber zumindest hat er einige Punkte übernommen. Wir sind zwar selten einer Meinung mit ihm, Kollege Zimmer, aber in diesem Punkt hat er doch recht, oder nicht? ({2}) Wir müssen Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, statt sie zu behindern oder ihnen sogar die Arbeit zu verbieten. Wir müssen aber auch zugleich unsere strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt anpacken. Es stimmt eben nicht, wie Frau Merkel behauptet, dass es Deutschland gut geht. Vielen geht es nicht gut. Trotz Aufschwung nimmt die Zahl der von Armut betroffenen Personen ({3}) - Sie von der Union müssen das schon zur Kenntnis nehmen - auf insgesamt 13 Millionen Menschen zu. Die Zahl der Langzeiterwerbslosen liegt seit Jahren bei über 1 Million. Das war schon so, bevor die Flüchtlinge zu uns gekommen sind. Also sind diese bestimmt nicht daran schuld. ({4}) Schuld ist diese Bundesregierung. Sie weigert sich seit Jahren, die sozialen Missstände in Deutschland anzugehen. Bei der Beseitigung dieser Missstände müssen Sie selbstverständlich die Vermögenden und die Konzerne in Haftung nehmen. Aber das wollen Sie auch nicht. ({5}) Sie haben in den letzten Jahren nichts gegen die zunehmende Armut getan, insbesondere nichts gegen die Altersarmut. ({6}) 2 Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut. Sie haben nichts getan gegen prekäre Beschäftigung sowie gegen die massive Ausweitung der Leiharbeit und des Niedriglohnsektors. ({7}) Viele können ihre Familien nicht mehr ernähren. 1,2 Millionen Menschen müssen in Deutschland aufstocken. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! Das ist so. ({8}) Auch ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro hat daran nichts ändern können; das wissen Sie ganz genau. ({9}) Deshalb fordert die Linke einen Neustart in der Arbeitsmarktpolitik für alle. ({10}) Für die Flüchtlinge ist die bisherige Bilanz ernüchternd. Nur 8 Prozent von ihnen kommen im ersten Jahr in Arbeit. Nach fünf Jahren ist es die Hälfte. Sie müssen oft auf Dauer im Niedriglohnsektor bleiben. Die Ursachen dafür sind zahlreich: lange Asylverfahren, Wohnsitzauflagen, Einschränkungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt und eine mangelhafte Unterstützung insbesondere beim Spracherwerb. Es ist doch ein absolutes Unding, dass Sie jetzt auch noch vorhaben, dass Flüchtlinge von ihrem bisschen Geld den Deutschkurs mitbezahlen sollen. Welch ein Irrsinn! Das bedeutet: Essen oder Sprache lernen. Verrückt! ({11}) Auch die schleppende Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ist äußerst hinderlich. Besonders gut kennen sich die Bleiberechtsnetzwerke aus, denen ich an dieser Stelle für ihre hervorragende Arbeit danken möchte. ({12}) Zu ihnen kam Frau Tairova; sie ist geduldeter Flüchtling. Sie ist Roma, hat Deutsch gelernt und ihre Schulabschlüsse gemacht. Nach vielen Praktika hat sie endlich einen Ausbildungsplatz erhalten. Ihre Aufenthaltserlaubnis ist nun jedoch daran geknüpft, dass sie ihren Ausbildungsvertrag dauerhaft erfüllt. ({13}) - Schön wär’s. - Aber sie darf den Wohnsitz nicht wechseln und darf nicht umziehen. ({14}) - Doch. - Genau das ist das Problem; denn sie wohnt über 20 Kilometer von ihrer Ausbildungsstätte entfernt und hat gar nicht die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten. Solche Auflagen und Arbeitsverbote gibt es zu Tausenden. Das ist ein Armutszeugnis für dieses Land. ({15}) Diese Bundesregierung ist der größte Integrationsverweigerer, und niemand anderes. ({16}) Deshalb fordern wir erstens zügige Asylverfahren, Abschaffung jeglicher Arbeitseinschränkungen und -verbote sowie zweitens ausreichend Personal für die Jobcenter. Seit Jahren fehlt ausreichendes Personal für die individuelle Vermittlung und Unterstützung. Die Bundesländer fordern 1,1 Milliarden Euro mehr dafür. Die Regierung hat weniger als ein Drittel davon in Aussicht gestellt. Statt bei den Fördermaßnahmen weiter zu kürzen, brauchen wir mehr Geld für Qualifizierung. Qualifizierung ist das A und O, wenn jemand auf dem Arbeitsmarkt bestehen will. Begreifen Sie das doch endlich! ({17}) Drittens dürfen Flüchtlinge nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. Für sie muss der Mindestlohn genauso gelten, ohne Wenn und Aber. ({18}) Auch die Ausnahmen müssen endlich abgeschafft werden. Frau Merkel sagt: Wir schaffen das. - Ich sage Ihnen: So nicht! Danke schön für die Aufmerksamkeit. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, wir stehen in Deutschland vor einer der größten Herausforderungen. Die vielen Flüchtlinge in unserem Land lösen bei vielen Menschen Ängste und deutliche Abwehrreaktionen aus. In der Tat ist es etwas anderes, ob ich in der Finanzkrise 2007/2008 gegen virtuelle Blasen einen Etat setzen kann und internationales Finanzmanagement betreibe oder ob ich es, wie in der jetzigen Situation, mit Menschen zu tun habe, die mit Haut und Haaren, mit Seele und mit Erwartungen vor unseren Türen stehen. Die Entwicklung trifft in Deutschland auf eine Situation, in der Deutschland der Wachstumsmotor in Europa ist, die niedrigste Arbeitslosenquote und eine hohe Beschäftigung hat, sie trifft in Deutschland auf eine Situation, in der die Hauptsorge der Menschen die demografische Entwicklung und eine immer älter werdende Gesellschaft ist, in deren Folge Fachkräftemangel eines der beherrschenden Wirtschaftsthemen ist. In dieser Zeit kommen unangemeldet und für den einen oder anderen plötzlich in diesem Jahr mehr als 800 000 Flüchtlinge aus anderen Ländern, aus anderen Kulturkreisen zu uns, um Schutz vor Verfolgung und ein besseren Leben zu suchen. Sehen Sie, Frau Kollegin Zimmermann, das unterscheidet uns: Wenn in Deutschland ein so blankes Elend herrscht, wie Sie es beschreiben, dann frage ich mich, warum die Menschen eigentlich in dieses Elend kommen. ({0}) Sabine Zimmermann ({1}) Ich kann mich nur wundern über Ihre Amnesie, wenn es um die Frage geht, was bei uns Wirklichkeit ist. Sie kennen genau die Arbeitsmarktzahlen, und Sie kennen genau die Entwicklung. Die Menschen wollen in ein Land kommen, in dem Recht und Ordnung herrscht und in dem sie eine Lebensperspektive haben. Die Lebensperspektive sind Auszeichnungen für unser Land, weil wir offensichtlich international, auch in der Frage der Gerechtigkeit, wesentlich besser dastehen als viele andere Länder. Warum kommen sie zu uns? ({2}) Meine lieben Kollegen von der Linken, ich hätte wenigstens von Ihnen erwartet, sosehr Ihr Antrag einige durchaus richtige Impulse gibt, die wir in der Regierung aber schon längst aufgreifen, ({3}) dass Sie endlich einmal, auch in dieser schwierigen Situation, in der sich unser Land befindet, nicht mit Ihren alten Klamotten aus der Kiste kommen. ({4}) Wir sprechen von einem Land, in dem 600 000 freie Stellen gemeldet sind, in dem Auszubildende in Handel, Handwerk und Gastronomie gesucht werden und in dem die Menschen langsam spüren, dass wir, wenn jüngere Menschen fehlen, vor großen Herausforderungen stehen, die wir nicht mit Computern werden beantworten können. Wir sprechen von einem Land, in dem 2,6 Millionen Menschen arbeitslos sind, darunter 1 Million Langzeitarbeitslose. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, Ordnung in diese Situation zu bringen. Gegen Panikattacken auch in unserem Land - das sage ich in verschiedene Richtungen helfen nur ein klarer Kopf und eine ordnende Hand. Ich sage Ihnen, dass wir dabei sind, diese Ordnung hineinzubringen. Mein Vertrauen gilt hier voll und ganz der Bundeskanzlerin und dem Handeln der Bundesregierung. ({5}) Denn das Konzept ist eindeutig: Der Zustrom muss durch internationale Rahmenabkommen gestoppt werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in ihren Ländern bleiben können. Wir brauchen eine europäische Regelung, was die Aufnahme angeht, und wir brauchen eindeutig auch eine Begrenzung des Zuzugs, damit wir denen, die hier sind, entsprechend helfen können. Wir können nur denen helfen, die tatsächlich eine Bleibeperspektive haben. Denjenigen, die keine Bleibeperspektive haben, müssen wir sagen, dass wir Platz für die brauchen, deren Leib und Leben wirklich existenziell bedroht sind. ({6}) Für die allerdings müssen wir alles tun. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Ich sage Ihnen: Die Zusammenlegung der Leitung der Bundesagentur für Arbeit und des BAMF in die Hand von Herrn Weise war eine der wichtigsten und klügsten Entscheidungen, ({7}) und zwar nicht nur, was die Person angeht, sondern auch deshalb, weil es einen sachlichen Zusammenhang zwischen der Aufgabe des Amts für Migration und den sich danach, wenn alle Rechtsentscheidungen getroffen sind, ergebenden Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit gibt. ({8}) Es gilt, all denjenigen ein herzliches Dankeschön zu sagen, die in diesem Bereich tätig sind und jetzt mit anpacken, dass wir die Verfahren beschleunigen und nach vorne bringen. Das geht eben nicht, wie die Bundeskanzlerin zu Recht sagte, indem irgendein Hebel umgelegt wird: Und sofort ändert sich alles schlagartig und gleichzeitig. Wir müssen jetzt sehen, dass wir die Aufgaben der Reihe nach lösen und mit Konsequenz bei den Beschlüssen bleiben, die wir miteinander getroffen haben. ({9}) Meine Damen und Herren, es geht, was die Perspektive betrifft, natürlich um die Integration in den Arbeitsmarkt. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Wir haben zurzeit über 31 Millionen Menschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Wir haben 7,4 Millionen Menschen mit geringfügiger Entlohnung. Wir haben 2,6 Millionen Menschen, die arbeitslos sind, ja. Aber wir haben auch über 600 000 freie und offene Stellen. An dieser Stelle soll und muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, weil es anders immer wieder in den Medien kolportiert wird: Niemand, der hier wohnt, muss um seine Rente, um seinen Gesundheitsschutz, um die Hilfe der deutschen Sozialsysteme fürchten. Sie werden weiterhin alle Unterstützung bekommen. ({10}) Alle Befürchtungen, die an die Wand gemalt werden, sind irreal. Meine Damen und Herren, natürlich ist das eine große Herausforderung. Die große Herausforderung für den Arbeitsmarkt wird sich in den kommenden Monaten erstmals mit aller Wucht stellen. Damit wir diesen Herausforderungen gerecht werden, ist es wichtig, den Blick darauf zu richten, wie die Situation ist: Zu uns kommen Menschen, von denen 80 Prozent kein Deutsch können und nicht die nötige Qualifikation mitbringen. Das weiß auch die deutsche Wirtschaft. Ich nehme die deutsche Wirtschaft ernst, wenn sie sagt: Wir wollen alles tun, um diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. - Das ist natürlich bei jungen Menschen, die zuwandern, leichter als bei denjenigen, die vielleicht schon etwas älter sind. Die Jungen können wir durch Vermittlung der deutschen Sprache in Ausbildung bringen. Dem 25-Jährigen, 26-Jährigen, der zu uns kommt, der nie eine Berufsausbildung nach deutschem Verständnis gemacht hat, aber vielleicht schon seit mehr als zehn Jahren als Schweißer erfolgreich in seinem Heimatland tätig ist, müssen wir die Perspektive geben, in Beschäftigung zu kommen, aber gleichzeitig berufsbegleitend die deutschen QuaKarl Schiewerling lifikationen nachzuholen. Vorab muss er etwas Deutsch lernen, aber das wichtige Lernen erfolgt im Beruf. Der Meister im Betrieb ist oft der beste Deutschlehrer. ({11}) Meine Damen und Herren, die Arbeitslosigkeit wird nach allen derzeitigen Prognosen um 0,1 Prozent steigen. Das sind Perspektiven, die keinen Anlass zu Panikattacken geben, sondern die uns vor Herausforderungen stellen, unsere Aufgaben im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zu lösen. Wir werden sie lösen, indem wir zunächst einmal denjenigen, die Deutsch brauchen, auch die notwendigen Deutschkenntnisse vermitteln. Hier werden die entsprechenden Mittel in Höhe von 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das werden wir in der nächsten Sitzungswoche, wenn der Haushalt verabschiedet wird, beraten. Nach derzeitigem Plan wird der Haushalt der Bundesarbeitsministerin 1,9 Milliarden Euro mehr erhalten, um denjenigen, die arbeitslos werden, entsprechende Unterstützung zu geben und denjenigen durch Sprachkurse und berufliche Integration zu helfen, Fuß auf dem deutschen Ausbildungsmarkt zu fassen. Ich sage auch sehr deutlich: Das verlangt ein Umdenken in den Köpfen mancher Leute. Wir werden auch manche Teilqualifikation brauchen. Wir werden auch - das ist überhaupt keine Frage - manche jungen Menschen haben, die wir über eine Einstiegsqualifikation ins Praktikum stecken, damit sie sich an die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt gewöhnen und so ihre Per spektiven langsam entwickeln können. Aber was wir nicht brauchen, ist eine Absenkung des Mindestlohns, ({12}) weil dies nicht zu einer leichteren Integration führen würde, sondern zur Wettbewerbsverzerrung. Meine Damen und Herren, wir müssen die Perspektiven, die Chancen, die sich uns stellen, nutzen. Wir müssen mit ruhiger Hand handeln. Ich bin sicher, dass wir die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt meistern werden, wenn wir nicht den Himmel voller Geigen malen, sondern uns der Realität stellen, und zwar gemeinsam mit den Akteuren, den Sozialpartnern und allen, die Verantwortung tragen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich erlebe ganz viel guten Willen, hier etwas zu tun, und Gott gebe, dass dieser gute Wille möglichst lange anhält. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ob die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt gelingt, hängt auch und nicht zuletzt vom gesellschaftlichen Klima ab. Dieses Klima ist gerade im Begriff zu kippen. Das liegt nicht nur an der großen Zahl von Flüchtlingen, die jetzt zu uns gekommen sind. Das hat vor allen Dingen und in erster Linie damit zu tun, dass die Menschen das Gefühl haben, dass der Politik dieses Problem vollständig entglitten ist. Dafür trägt diese Bundesregierung die Verantwortung. ({0}) Herr Schiewerling, wenn Sie hier angesichts des Chaos, das Sie in den letzten Wochen produziert haben, von einer „ordnenden Hand“ sprechen, dann kann das doch nur Selbstironie sein. ({1}) Sie produzieren hier Chaos, und dieses Chaos zahlt sich für die AfD aus. Bei einer Aufgabe dieser Dimension braucht es eine Regierung, die eine klare Haltung hat, ({2}) die Zuversicht ausstrahlt, die die Chancen betont, und, meine Damen und Herren, die Flüchtlinge sind eine riesige Chance für dieses Land. ({3}) Ich will aber betonen: Das ist natürlich kein Selbstläufer. Wenn wir die Fehler der Gastarbeiterpolitik aus den 60er-Jahren wiederholen und versuchen, die Menschen so schnell wie möglich wieder loszuwerden, wie es Herr de Maizière gerade tut, dann kann Integration nicht gelingen. ({4}) Wir müssen die Chancen nutzen; aber dafür müssen wir in die Talente und in die Potenziale der Menschen investieren. Wir müssen rechtliche und bürokratische Hürden abbauen. Herr Schiewerling, Sie haben darauf hingewiesen: Die Hälfte aller Flüchtlinge ist unter 25 Jahre. Sie sind hoch motiviert. Sie wollen dringend eine Ausbildung abschließen, und viele von ihnen haben bereits einen Ausbildungsplatz. Was sie nicht haben, ist eine sichere Bleibeperspektive. Betriebe und Flüchtlinge müssen jedes Jahr eine Abschiebung befürchten. Was glauben Sie, welche Betriebe das mitmachen sollen? ({5}) Was glauben Sie, welche Belastung Sie diesen jungen Menschen aufbürden? Erklären Sie mir bitte einmal eines: Wieso gilt diese geringe Duldung nur für Flüchtlinge bis 21 Jahre? Nur einmal zum Vergleich: Von den deutschen AuszubildenKarl Schiewerling den beginnen fast 30 Prozent ihre Ausbildung im Alter von über 21 Jahren. Wieso darf das nicht für Flüchtlinge gelten? ({6}) Haben wir jetzt einen Fachkräftemangel? Müssen wir mehr junge Menschen ausbilden oder nicht? Von einer offensiven Integrationspolitik sind Sie wirklich weit entfernt. ({7}) Ich will eine weitere bürokratische Hürde ansprechen, die Vorrangprüfung, die wir, wie ich höre, Herrn Gabriel zu verdanken haben. Sie wird damit begründet, dass Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose nicht das Gefühl bekommen sollen, dass sie wegen der Flüchtlinge abgehängt werden. Glauben Sie mir: Diese Sorge nehme ich wirklich sehr ernst. Eines ist doch klar: Chancen eröffnen Sie Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen, indem Sie in diese Menschen investieren, in ihre Qualifikationen, aber nicht durch eine Vorrangprüfung. Durch eine Vorrangprüfung schaffen Sie einfach eine weitere Gruppe, die Sie abhängen. Das bringt gar nichts. ({8}) Meine Damen und Herren, ungerechtfertigterweise läuft meine Zeit am Pult schon wieder ab. ({9}) Diese Welt ist nicht gerecht. Lassen Sie mich deswegen zum Schluss kommen und Marcel Fratzscher vom DIW zitieren: Die Offenheit für andere Menschen, andere Kulturen und andere Ideen war und ist ein wirtschaftlicher Erfolg unseres Landes. Es sind gerade die Regionen mit dem höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, die das höchste Einkommen und den höchsten Wohlstand haben. Wissen Sie, was das größte Problem in diesem Lande ist? Dass diese Bundesregierung genau diese Offenheit für neue Kulturen, neue Ideen und andere Menschen eben nicht hat! ({10}) Damit verspielen Sie eine riesige, eine historische Chance für unser Land. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Katja Mast. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Brigitte Pothmer, ich schätze Sie ja sehr wegen Ihres scharfen Verstandes und auch wegen ({0}) Ihrer prägnanten Worte. Ich finde aber, dass eine Sache überhaupt nicht geht. Es geht nicht, dass Sie hier vorne sagen, der Regierung sei die Situation vollkommen entglitten und es herrsche Chaos. Das weise ich an dieser Stelle eindeutig zurück. ({1}) Sie sind den Leuten auf den Leim gegangen, die jeden Tag mit neuen Vorschlägen versuchen zu vertuschen, woran gearbeitet wird. Deshalb weise ich das hier auch so eindeutig zurück, Frau Kollegin Pothmer. ({2}) Ich bin der Fraktion Die Linke dankbar, weil sie uns die Möglichkeit gibt, heute nicht nur über innenpolitische und aufenthaltsrechtliche Fragen zu diskutieren, sondern auch über die große Frage der Integration von Flüchtlingen in Deutschland. Dafür herzlichen Dank an dieser Stelle. Ich bin auch der Meinung, dass wir alle gemeinsam alle Demokratinnen und Demokraten - einen Fehler nicht wiederholen dürfen, nämlich den, den wir bei der Gastarbeitergeneration gemacht haben, ({3}) als wir geglaubt haben, dass Arbeiter kommen und wir nichts für ihre Integration tun müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass Kinder und ihre Eltern bzw. diejenigen, die hier arbeiten, nicht nur durch Arbeit integriert werden, sondern auch darüber hinaus. ({4}) Was braucht man dazu? Man braucht dazu Sprache, Bildung, Arbeit und soziales Miteinander; davon bin ich fest überzeugt. Die Debatte - ich sage einmal „die Pseudodebatte“ über die Frage, ob alle Syrer, die zu uns kommen, nun subsidiären Schutz bekommen sollten oder nicht, halte ich für falsch, nicht nur, weil damit Frauen und Kinder aufs Mittelmeer geschickt würden, sondern auch, weil sie integrationsfeindlich ist. ({5}) Warum ist sie integrationsfeindlich? Wenn Sprache, Bildung, Arbeit und soziales Miteinander der Schlüssel zur Integration sind, stellt sich doch die Frage: Kommen die Syrerinnen und Syrer, die zu uns kommen, auch irgendwie in Arbeit? Wenn sie aber einen Aufenthaltsstatus von nur einem Jahr haben - nichts anderes heißt „subsidiärer Schutz“; sie müssen jedes Jahr bangen, ob der Aufenthaltsstatus verlängert wird -, dann gibt es - so zumindest in meinem Wahlkreis, Pforzheim und Enzkreis - kein Unternehmen, das auch nur einen von ihnen einstellen würde; denn die wollen eine Bleibeperspektive auf längere Zeit. Deshalb braucht es zur Arbeitsmarktintegration auch sichere Bleibeperspektiven. ({6}) Was braucht man noch zur Integration? Ich finde, dass im Matthäus-Evangelium - Kapitel 25, Vers 35 - Richtiges dazu steht. Dort steht nämlich: Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen. Das sind jetzt nicht die vier Punkte der Integration, über die ich gerade gesprochen habe; und ich habe als fünften Punkt das Aufenthaltsrecht hinzugefügt. Jetzt kommt der sechste Punkt: Natürlich müssen zuerst die Grundbedürfnisse befriedigt werden. Man muss zu essen haben, man braucht ein Dach über dem Kopf, und man muss aufgenommen und angenommen werden. Aber heute geht es hauptsächlich darum, wie wir Integration in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gewährleisten. Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir uns in Deutschland darüber unterhalten, wie wir einen Masterplan Integration gestalten. Wie setzen wir es denn um, dass Sprache, Bildung, Arbeit und soziales Miteinander für die Menschen Realität werden, die neu zu uns kommen und für unsere Gesellschaft viele Chancen eröffnen? Wie gehen wir eigentlich mit den 50 Prozent der Flüchtlinge um - um nur eine Zahl zu nennen -, die unter 25 sind und bei uns eine Perspektive für ihr Leben haben wollen und nicht nur einen Aufenthaltsstatus für ein Jahr oder ein halbes Jahr? Das sind die wichtigen Fragen, wenn es um Integration geht. ({7}) Ich bin nicht bekannt dafür, dass ich zu viel aus der Bibel zitiere; aber ich will ein weiteres Zitat bringen. ({8}) Im 3. Buch Mose steht: Für den Fremden gilt das gleiche Recht wie für den Einheimischen. - Deshalb muss von hier heute ein klares Nein ausgehen, wenn es darum geht, Arbeitsmarktstandards für Flüchtlinge nach unten zu schrauben und für Einheimische nicht. Heute muss von hier das Zeichen ausgehen: Arbeitsmarktstandards gelten für alle Menschen in Deutschland. ({9}) Deshalb: Keine Absenkung des Mindestlohns und eine Erhöhung des Mindestlohns dann, wenn es ansteht und im Gesetz steht! Da bin ich anderer Meinung als der Sachverständigenrat der Bundesregierung. Wir brauchen keine neue Armee von Geringqualifizierten. Wir brauchen einen schnelleren Arbeitsmarktzugang. Wir brauchen Ausbildungsinstrumente für die jungen Flüchtlinge, die bei uns sind, damit sie eine Perspektive haben. Wir brauchen auch einen Aufenthaltsstatus, der da heißt: Wenn du bei uns eine Ausbildung machst, dann darfst du nicht nur drei Jahre bei uns bleiben. - Ich fände es gut, wenn wir über „drei plus x Jahre“ diskutierten. Warum nicht „drei plus drei Jahre“? Für die Unternehmen bei mir in Pforzheim und im Enzkreis gilt: Die bilden lieber aus, wenn die Leute auch eine Perspektive nach der Ausbildung haben. Nur so, nur durch eine Debatte über Bildung, Sprache, Arbeit, soziales Miteinander, Aufenthaltsstatus, „Perspektive geben“ werden wir die Chancen für unsere Gesellschaft nutzen und Fachkräfte der Zukunft ausbilden. Wir alle werden dadurch bereichert. ({10})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Der Kollege Professor Dr. Matthias Zimmer spricht jetzt für die CDU/CSU. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Probleme, vor denen wir stehen, werden nicht über die kollektiven Erregungskulturen von Twitter und Facebook gelöst. Sie werden nicht gelöst, wenn Flüchtlinge instrumentalisiert werden, beispielsweise als Argument gegen den Mindestlohn oder aber für die Rente mit 70. Unsere Probleme werden nicht gelöst durch die Nörgler, Wutbürger, Kulturkritiker, Überfremdungspropheten. Sie werden nicht gelöst durch Angst und Ablehnung, nicht durch Hass und radikale Parolen. Sie werden aber sehr wohl gelöst, wenn wir schrittweise die Fluchtursachen reduzieren und die richtigen politischen Weichen für die Integration stellen. ({0}) Zur Wahrheit gehört aber auch: Es wird nicht die eine Lösung geben, die von heute auf morgen greift, und alle Probleme sind vom Tisch. Nein, es bedarf einer Reihe von Maßnahmen, die mit der Zeit greifen werden, und darüber sprechen wir heute. Ich will dies aber nicht tun, ohne zumindest eines zu sagen: Ohne das zivilgesellschaftliche Engagement ginge das alles nicht. Für mich sind die vielen Freiwilligen die stillen Helden dieser Tage. Sie zeigen, dass Solidarität gelebt wird. ({1}) Als Arbeitsmarktpolitiker müssen wir fragen: Wie können wir die Menschen, die zu uns kommen, in den Arbeitsmarkt bringen? Dazu müssen wir uns zunächst einmal vergewissern: Über welche Gruppen sprechen wir, und über welche Größenordnungen sprechen wir? Wir wollen Menschen mit einer dauerhaften Bleibeperspektive in den Arbeitsmarkt integrieren. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Diejenigen, die keine dauerhafte Perspektive haben, können nicht bleiben. Sie müssen auf andere Wege verwiesen werden. Das haben wir mit den Ländern des Westbalkans gemacht. Gleichzeitig haben wir einen anderen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt eröffnet, der wesentlich von unseren Interessen bestimmt wird. In der Diskussion geht das häufig durcheinander. Mein Eindruck ist: Auch im Antrag der Linken ist das der Fall. Da wird unter dem Oberbegriff „Flüchtling“ jeder erfasst, der zu uns kommt, egal aus welchem Beweggrund. Ich bin sehr dafür, genau zu trennen zwischen den Schutzbedürftigen und denjenigen, die vornehmlich aus ökonomischen Gründen kommen. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber denjenigen, die an Leib und Leben bedroht sind aufgrund von Krieg oder Verfolgung. Aber wir können die ökonomischen Probleme europäischer Anrainerstaaten nicht in der Bundesrepublik Deutschland lösen. ({2}) Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir sämtliche Beschränkungen, Arbeitsverbote und Nachrangigkeitsregelungen für Flüchtlinge generell abschaffen, wie es die Linken in ihrem Antrag fordern, produzieren wir Chaos. Das kann man wollen, ({3}) weil man Klassenkampf für eine schicke Idee hält oder weil man der Meinung ist, die Aufnahmekapazität des Arbeitsmarktes einmal austesten zu können. Wir jedenfalls wollen dies aus guten Gründen nicht. Der erste und wichtigste Schritt der Integration ist: Sprachkenntnisse vermitteln und Qualifizierungsbedarfe feststellen. Deshalb war es gut, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Integrationskurse für Asylbewerber und Geduldete mit einer guten Bleibeperspektive geöffnet hat und hierfür auch die Mittel aufgestockt worden sind. ({4}) Das schnelle Erlernen der deutschen Sprache ist der Königsweg in den Arbeitsmarkt. Der zweite wichtige Schritt ist, sich die Frage zu stellen: Mit welchen Qualifikationen kommen die Menschen? Nun sind wir ein Land, in dem formale Qualifikationen wichtig genommen werden, manchmal wichtiger als die berufliche Erfahrung. Deswegen ist es aus meiner Sicht wichtig, Berufserfahrungen, Teilqualifikationen und Zertifikate abzufragen, um sich dann ein genaues Bild davon zu machen, was getan werden muss. Ich bin im Übrigen froh, dass die Bundesministerin für Bildung und Forschung in den nächsten Tagen ein ressortübergreifendes Programm dazu vorstellen will. Die spannende Frage aber ist: Über wie viele Menschen reden wir, was die Integration in den Arbeitsmarkt angeht? Wenn ich von einer augenblicklichen Zahl von 850 000 Flüchtlingen ausgehe und unterstelle, dass die Schutzquote bei etwa 50 Prozent liegt und 70 Prozent davon erwerbsfähig sind, komme ich auf eine Zahl von etwa 300 000 Neuzugängen in den Arbeitsmarkt. Nun muss in Rechnung gestellt werden: Nicht alle werden tatsächlich bleiben, zumal dann nicht, wenn sich die Verhältnisse in ihren Heimatländern bessern. Das hat uns die Erfahrung mit den Bosniern in den 1990er-Jahren gelehrt. Die Erfahrung aus den 90er-Jahren hat auch gezeigt: Die Quote derer, die eine Arbeit aufnahmen, lag nach einem Jahr bei 10 Prozent, nach fünf Jahren bei über 50 Prozent. Hier können wir durch schnellere Verfahren und frühzeitige Sprachangebote sicherlich noch viel besser werden; denn eines ist auch richtig: Viele der Menschen sind hochmotiviert und wollen arbeiten. Um dies zu ermöglichen, haben wir die Mittel im Eingliederungstitel erhöht, und zwar um insgesamt 900 Millionen Euro. Die Linke fordert in ihrem Antrag eine Erhöhung um 1,7 Milliarden Euro. Das liegt an dem alten Irrglauben, dass mehr auch immer gleich besser ist. Nun sagen einige nicht unbedeutende Stimmen, Deutschland könne mit den Flüchtlingen zum Teil auch sein demografisches Problem lösen. Richtig ist: Ein Großteil der Flüchtlinge ist unter 25 und kann damit dem Arbeitsmarkt noch lange erhalten bleiben. Forscher haben errechnet: Wir brauchen pro Jahr eine Zuwanderung in einer Größenordnung von 270 000 qualifizierten Menschen, damit wir die Sozialsysteme stabilisieren und die Voraussetzungen für ein stetiges Wachstum schaffen können. Freilich wissen wir nicht, wie viele der Menschen, die wir fördern und in den Arbeitsmarkt integrieren, sich dazu entscheiden, dauerhaft bei uns zu bleiben. Ich meine aber, selbst wenn Flüchtlinge nach einiger Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren, ist ihre vorübergehende Integration in unseren Arbeitsmarkt gut investiertes Geld. Wenn ein Flüchtling als gut ausgebildete Fachkraft zurückkehrt, ist das vielleicht kein schlechter Beitrag zum Aufbau eines zerstörten Landes, und wenn er zurückkehrt und erleben konnte, wie Demokratie, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit funktionieren, ist das vielleicht ein Beitrag zu einer friedlicheren politischen Kultur, die aus sich heraus keine Fluchtursachen mehr produziert. ({5}) Doch zurück zum Antrag der Linken. Er enthält einiges, aber nicht sehr viel Vernünftiges. Geärgert hat mich, dass beinahe ohne Zusammenhang die Forderung nach Erhöhung des Mindestlohns auf 10 Euro auftaucht. ({6}) Ich habe langsam den Verdacht, das schreiben Sie auch bei Anträgen zum Schutz der Freizeitaquaristik oder der Förderung des Schachspiels. ({7}) Sie fordern Zwangsabgaben für Arbeitgeber - ja, auch das kommt mir bekannt vor - und natürlich die höhere Besteuerung von Unternehmen und Vermögenden. All das sind eher Beiträge dazu, die Gesellschaft zu spalten, obwohl es doch jetzt darauf ankäme, bei der Bewältigung dieser Herausforderung alle mitzunehmen. ({8}) Wir haben mit Blick auf die Bewältigung des Flüchtlingsproblems einen langen Weg vor uns. Es gibt keine Abkürzung, auch wenn uns die schrecklichen Vereinfacher dies glauben machen wollen. Jeder lange Weg beginnt mit den ersten Schritten. Wir gehen diese Schritte mit den vielen Freiwilligen, wir gehen sie mit den MitarDr. Matthias Zimmer beitern und Mitarbeiterinnen der kommunalen, Landesund Bundesbehörden, denen in diesen Wochen sehr viel abverlangt wird. Wir gehen diese Schritte mit den Flüchtlingen, die unsere Hilfe brauchen, und mit allen, die mit uns davon überzeugt sind: Ja, wir schaffen das. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Sevim Dağdelen. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut dem Bundestag gut, auch einmal einen Gefolgsmann der Bundeskanzlerin aus der CDU/CSU-Fraktion hier reden zu hören ({0}) im Gegensatz zur gestrigen Aktuellen Stunde im Bundestag, in der man sich offenbar darum bemühte, die Kanzlerin zu demontieren. So tat es beispielsweise Bundesinnenminister de Maizière, der in der Aktuellen Stunde seine Ablehnung des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge wie folgt begründete: Einen Nachzug in die Arbeitslosigkeit und damit in die Perspektivlosigkeit sollte es nicht geben. Ich finde, das ist eine wirklich bemerkenswerte Argumentation, und frage mich, wieso Sie den Menschen eigentlich nicht reinen Wein einschenken. Erst durch das Arbeitsverbot, das diese Bundesregierung schafft, die Nachrangregelungen, verweigerte Sprachkurse und auch die überlangen Asylverfahren werden die Flüchtlinge zwangsweise zu Empfängern staatlicher Transferleistungen. Erst verhindern Sie die schnelle Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen, und dann kolportieren Sie das Vorurteil, Flüchtlinge würden das Sozialhilfesystem in Deutschland ausnutzen. Ich finde, statt rechtspopulistischer Stimmungsmache sollten Sie endlich handeln - für soziale Integration in diesem Land. Heben Sie die Arbeitsverbote auf, meine Damen und Herren. ({1}) Wir sollten die aktuelle Situation zum Anlass nehmen, den Sozialstaat in Deutschland insgesamt zu erneuern. ({2}) Dafür brauchen wir eine Millionärsteuer, meine Damen und Herren; denn wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für alle in Deutschland, ({3}) eine Gesundheitsversorgung für alle in diesem Land und Bildung und existenzsichernde Arbeit für alle Menschen. Wer sich auf der einen Seite hierhinstellt und ständig das Mantra „Wir schaffen das“ vorträgt, aber auf der anderen Seite dieses Staatsversagen selbst organisiert, der muss sich schon fragen lassen, welches Ziel er verfolgt. Wer jetzt fordert, wie beispielsweise die Wirtschaftsweisen, den Mindestlohn für Flüchtlinge zu senken, die Mietpreisbremse aufzuheben, Sozialleistungen zu senken und die Regelungen hinsichtlich des Renteneintrittsalters zurückzunehmen, der befördert nicht nur Ungleichheit und Rassismus in diesem Land, sondern versucht auch noch, aus dem Elend der Flüchtlinge Kapital zu schlagen. ({4}) Sie müssen dieser Politik der Bundesregierung klar und deutlich eine Absage erteilen, anstatt alles nachzureden. ({5}) Fast jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag der Bundesregierung, der sich gegen die soziale Integration von Flüchtlingen richtet. Das neue Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist für viele Flüchtlinge schlicht ein Integrationsverhinderungsgesetz. ({6}) Die verlängerten Lageraufenthalte, ausgeweiteten und dauerhaften Arbeitsverbote, die von drei auf sechs Monate verlängerte Residenzpflicht bezogen auf den Ort der Erstaufnahmeeinrichtung, die Umstellung auf Sachleistungen und die verfassungswidrigen Leistungskürzungen werden nicht zur Integration führen, sondern bedeuten eine Desintegration mit Methode. ({7}) Jeder Schritt, der das Warten der Flüchtlinge in den Lagern, in den Turnhallen und in den Unterkünften verlängert, ist Gift für die Integration. ({8}) An dieser Stelle möchte ich gerne aus einem Brief eines Flüchtlings an die WDR-Journalistin Isabel Schayani, die ihn veröffentlicht hat, zitieren. Sie schreibt: Ein höflicher Mensch, der aber am Ende seines Briefes schrieb: „Über lange Zeit nur zu essen und zu schlafen, ohne arbeiten und lernen zu können, führt dazu, dass die Menschen sich schlecht benehmen und psychische Probleme haben. Sie können so eine Gefahr für die Gesellschaft werden. Wenn die Regierung ihnen das Arbeiten ermöglichen würde, dann könnten sie gesund und produktiv sein, während ihr Asylverfahren geklärt wird. Aber wenn jemand überhaupt nichts zu tun hat, dann versucht er, etwas zu tun. Es könnte gut und es könnte schlecht sein.“ ({9}) Ich finde, alle Ihre Vorschläge zielen in dieselbe Richtung: Abwehr und Abschottung und vor allen Dingen Desintegration. Hören Sie damit auf; denn Sie organisieren die Perspektivlosigkeit der Flüchtlinge. Vor allen Dingen bringen Sie den sozialen Frieden in Deutschland in Gefahr, weil Sie das Land mit dieser Politik spalten. ({10}) Sie sollten mit dieser selektiven Integrationspolitik aufhören. Selbst Asylsuchenden aus Afghanistan und Somalia wird ein Sprachkurs während des Verfahrens verweigert. Das ist doch schlicht das Gegenteil von Integration. ({11}) Deshalb sagen wir: Hören Sie auf mit den Arbeitsverboten! Hören Sie auf mit der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge; ({12}) denn Sie selbst sind dafür verantwortlich, dass sie nicht arbeiten dürfen und keine Perspektive haben. Vielen Dank. ({13})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Kerstin Griese. ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Dağdelen, ich habe mich bei Ihrer Rede und auch bei der Rede von Frau Zimmermann gefragt: Wo leben Sie eigentlich? ({0}) Wer schürt denn hier Rassismus? Ihr Herr Lafontaine hat gerade wieder Obergrenzen für Flüchtlinge gefordert, weil sonst nichts mehr geht. Das ist die falsche Forderung. Uns geht es darum: Wir schaffen das. Wir machen das. Wir tun echt etwas für die Integration von Flüchtlingen. ({1}) Jetzt benutzen Sie auch noch die Flüchtlinge, um, wie immer, Ihren Textbaustein zur Millionärsteuer und zum höheren Mindestlohn unterzubringen. Das geht so wirklich nicht. ({2}) Ich will Ihnen einmal sagen, was wir tun, damit wir das schaffen, und Ihnen das an fünf Beispielen klarmachen: ({3}) Erstens will ich Ihnen erzählen von einem sehr interessanten Besuch beim Integration Point in Düsseldorf. Das ist ein neuer Ansatz. Dort arbeiten die Arbeitsagentur, das Jobcenter und die Kommunale Ausländerbehörde zusammen. Ein schönes, buntes Symbol macht klar: Hierhin können alle Flüchtlinge kommen. Hier wird vernetzt beraten. Hier muss man nicht von Amt zu Amt laufen. - Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen sogar in die Flüchtlingsunterkünfte, ({4}) bieten dort Beratungsstunden an und gucken, welche Qualifikationen die Leute haben. Ich will an dieser Stelle allen danken, die jetzt vor Ort solche Konzepte entwickeln. Das ist der richtige Weg. ({5}) Mit diesem Ansatz des Integration Points startet man in Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Dortmund und Herford. Dies wird dann flächendeckend im ganzen Land angeboten. Das ist genau richtig. Selbst für uns ist es ja schwierig, herauszufinden, welche Behörde für die Anerkennung der einzelnen Berufsabschlüsse zuständig ist. In diesen Integration Points wird das Angebot zusammengefasst. Ganz besonders wichtig ist der kurze Draht zwischen der Arbeitsagentur und dem Jobcenter auf der einen Seite und der Kommunalen Ausländerbehörde auf der anderen Seite; denn wir haben Unternehmen, die Flüchtlinge beschäftigen wollen, und Betriebe, die Flüchtlinge ausbilden wollen. Wir haben auch Menschen, die sich darum kümmern wollen, dass Flüchtlinge durch Praktika unsere Sprache lernen, damit sie sich besser integrieren können. Wir tun jetzt alles, was geht, um sie zu unterstützen. ({6}) Deshalb sage ich: Es geht um Perspektiven. Es geht darum, dass entsprechende Strukturen geschaffen werden. Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen, das Programm „Early Intervention“, das jetzt ebenfalls zu einem flächendeckenden Angebot ausgebaut wird: Die Mitarbeiter der Jobcenter sprechen Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive an, suchen sie auf, schauen, welche Qualifikationen sie haben, und fragen: Wie können wir weiterhelfen? Bedarf es weiterer Qualifizierungen? Wie können sie in Arbeit kommen? Mein dritter Punkt ist der Spracherwerb. Meine Kollegin Katja Mast hat es schon gesagt: Sprache, Bildung, Arbeit und soziale Integration, das sind die zentralen Punkte, um die es geht. Deshalb investieren wir jetzt mit Absicht so viel mehr in den Spracherwerb. Die Menschen sollen früh und schnell die deutsche Sprache lernen. Das ist der richtige Weg, das ist der praktische Weg zu Integration. ({7}) Wir haben die Integrationskurse und die berufsbezogenen Sprachkurse geöffnet. Es wird ein Gesamtprogramm Sprache geben. Es ist gut, dass demnächst nicht nur wie bisher die anerkannten Asylbewerber die Sprachkurse besuchen können, sondern dass wir den Kreis der Berechtigten erweitert haben. Auch geduldete Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive können an diesen Sprachkursen teilnehmen. ({8}) Das ist der richtige Schritt, damit sie schneller in Arbeit kommen. Lassen Sie mich einen vierten Punkt nennen. Die Bundesagentur für Arbeit hat Geld zur Verfügung gestellt, um auch in diesem Jahr vermehrt Sprachkurse anbieten zu können; denn wir haben gemerkt, dass der Schritt vom ersten Integrationskurs zum berufsbezogenen Sprachkurs verbessert werden muss. Deshalb gilt mein herzlicher Dank der Bundesagentur für Arbeit dafür, dass sie dies so intensiv unterstützt. ({9})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Griese, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Griese, Sie haben gerade angesprochen, dass jetzt auch Flüchtlinge, die noch nicht anerkannt sind, aber eine gute Bleibeperspektive in Deutschland haben, Zugang zu Sprachkursen und zu Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik haben. Sie wissen, dass ich das begrüße. Aber finden Sie es eigentlich angemessen und richtig, dass Sie eine 50-Prozent-Quote eingeführt haben? Sie wissen vielleicht, dass afghanische Flüchtlinge eine Anerkennungsquote von 46,7 Prozent haben, also knapp unter den 50 Prozent liegen. Die Anerkennung afghanischer Flüchtlinge dauert derzeit länger als 14 Monate. Das wird sich so schnell leider auch nicht ändern. Halten Sie es für richtig, dass also knapp 50 Prozent dieser Menschen keinen Zugang zu Sprachkursen und zu Fördermaßnahmen haben, mit all den negativen Folgen, die wir hier schon so oft beschrieben haben?

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin Pothmer, Sie sprechen einen wichtigen Punkt an; denn in der Tat sind unsere gesetzlichen Entwicklungen so ausgerichtet, dass wir den Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive sehr viel schneller als bisher die Teilnahme an Sprachkursen und die Integration in arbeitsmarktfördernde Maßnahmen ermöglichen. Bei Flüchtlingen mit schlechter Bleibeperspektive wollen wir die Verfahren beschleunigen, sodass sie schneller Rechtssicherheit haben. Das finde ich auch richtig. Im Moment wird so gerechnet, dass zu jenen mit guter Bleibeperspektive - Sie haben es gesagt - diejenigen gehören, deren Anerkennungsquote über 50 Prozent liegt. Das sind mit um die 90 Prozent Anerkennung Flüchtlinge aus Eritrea, aus Syrien und aus dem Irak. Dann gibt es eine Gruppe jener, die als solche mit schlechter Bleibeperspektive gelten. Hier liegt die Anerkennungsquote unter einem halben Prozent. Sie sprechen eine Gruppe an, über die meines Erachtens noch zu sprechen sein wird. Die Anerkennungsquote afghanischer Flüchtlinge liegt nahe an den 50 Prozent. Ich fände es daher gut, wenn wir die Maßnahmen auch für diese Gruppe öffnen würden. Darüber wird in der Koalition zu sprechen sein. Denn in der Tat: Das sind Menschen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger hier bleiben werden. Wir wollen, dass sie dann hier auch arbeiten können und eben nicht nur ohne Beschäftigung in ihren Unterkünften sitzen. ({0}) - Das freut mich. Ich werbe auch um Unterstützung durch den Rest des Hauses. Ich sehe überall zuckende Hände, das ist gut. Ich möchte weiter auf die Maßnahmen eingehen, die wir konkret ergreifen. Ein ganz wichtiger fünfter Punkt: Wir werden den Eingliederungstitel für die Jobcenter erhöhen, damit Flüchtlinge gut beraten werden. Wir werden auch - das ist mir ganz wichtig - die Mittel für die Bundesagentur für Arbeit und für die Jobcenter aufstocken, sodass wir 2 800 zusätzliche Stellen in den Jobcentern und etwa 1 000 Stellen in den zugelassenen kommunalen Trägern aufbauen werden. Das ist deshalb so wichtig, weil wir bei der Beratung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen nicht kürzen werden. Wir werden diese genauso wie bisher durchführen und sogar ausbauen. Wir sorgen für zusätzliche Mitarbeiter, die Flüchtlinge beraten. Es ist mir wichtig, dass die beiden Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Keiner in Deutschland muss Angst haben, dass wir uns weniger um ihn kümmern, weil wir uns jetzt besonders intensiv um die Flüchtlinge kümmern. ({1})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Griese, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Hänsel?

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Herr Präsident. - Sie sprachen von Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive; wobei man sich grundsätzlich fragen muss, nach welchem Raster Flüchtlinge eingeordnet werden. Ich muss sagen, das jetzige Verfahren finde ich sehr bedenklich. Das sind Menschen, die hier sind. Die Einteilung in Bleibeperspektiven ist in meinen Augen abzulehnen. Zu meiner konkreten Frage. Wenn Dublin III für syrische Flüchtlinge wieder eingeführt wird, dann wird vor das Asylverfahren erst einmal eine entsprechende Prüfung vorgeschaltet. In dieser Zeit ist es nicht möglich, Spracherwerb zu machen oder zu arbeiten. Es dauert dann wieder Monate. Da frage ich mich: Ist das eine schnelle Integration auch für die Gruppe von Flüchtlingen, bei der es im Grunde eine Anerkennungsquote von 100 Prozent gibt? Was ist das schon wieder für eine bürokratische Verzögerung? Das führt im Grunde dazu, dass die Menschen wieder zum Nichtstun verdammt werden, nur weil es aus dem Geiste der Abschottung und Abschreckung heraus neue Überlegungen des Innenministers gibt, diese Menschen hier jetzt untätig zu halten. Wenn Sie sagen, dass es für die mit guter Bleibeperspektive jetzt eine schnelle Integration gibt, stimmt das überhaupt nicht; denn jetzt wird wieder die Dublin-Prüfung vorgeschaltet.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Hänsel, der Geist, in dem wir in der Arbeitsmarktpolitik und in der Sozialpolitik über dieses Thema diskutieren, ist der Geist, dass wir die Menschen gut integrieren wollen, dass wir sie schnell integrieren wollen, dass wir ihnen Sprachkurse, Arbeitsmarktintegration und soziale Teilhabe ermöglichen. Dafür tun wir alles. Ich habe Ihnen eine Menge Beispiele gezeigt, wo das auch schon gut läuft. Das werden wir weiter ausbauen. ({0}) Deshalb möchte ich erwähnen - auch das ist ein wichtiger Punkt -, dass wir für die Menschen aus den Westbalkanländern eine Möglichkeit der legalen Arbeitsmigration geschaffen haben. Auch das erleichtert das Bearbeiten der vielen, vielen unerledigten Anträge, die es beim BAMF gibt; denn es ist besser, wenn die Leute auf dem Westbalkan wissen, dass sie, wenn sie einen Arbeitsplatz in Deutschland haben, einen Antrag auf legale Zuwanderung durch Arbeit stellen können. Das ist der richtige Weg gerade für die Menschen, die aus diesen Ländern zu uns kommen wollen. Das ist ein guter und wichtiger Schritt, übrigens auch ein erster Schritt in Richtung eines Einwanderungsgesetzes. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Wochen viele gesetzliche Regelungen geschaffen, die für Asylbewerber und Geduldete - ich betone das noch einmal - leichter und schneller den Zugang zu Spracherwerb, zur deutschen Sprache schaffen und die dafür sorgen, dass ihre Qualifikationen frühzeitig festgestellt werden. Viele bringen ja auf ihren Smartphones Fotos ihrer Zeugnisse aus dem Heimatland mit und legen sie hier vor, damit man sehen kann, welche Ausbildung sie haben. Wir haben beschlossen, dass sie auf ihrem Weg in Arbeit gefördert werden. Wir sehen da auch viel Kooperation vonseiten der Wirtschaft. Ich sage ganz klar: Egal ob jemand bei uns aufgewachsen ist oder zu uns gekommen ist, der Mindestlohn gilt für alle. Diese Regeln auf dem Arbeitsmarkt gelten für alle. Diese Ordnung auf dem Arbeitsmarkt werden wir selbstverständlich beibehalten. ({2}) Deshalb sage ich: Es geht um praktische Maßnahmen. Es geht darum, dass jetzt alle zusammenhalten, die Zivilgesellschaft, die schon zu Recht so gelobt worden ist, unsere kommunalen Behörden, unsere Arbeitsämter und Jobcenter. Sie alle müssen jetzt zusammen an dieser wichtigen Aufgabe arbeiten. Wir investieren viel in neue Stellen und stellen zusätzliche Mittel bereit. Wir wollen das schaffen, und deshalb machen wir das. Vielen Dank. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Luise Amtsberg.

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man mit Flüchtlingen in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften über ihr Leben in Deutschland und das, was sie von der Zukunft erwarten, spricht, ist das Erste, was man feststellt: Flüchtlinge wollen arbeiten. Ein Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz ist die beste Integration in unsere Gesellschaft. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich den besseren Zugang zu Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung und zu Integrationskursen für viele Flüchtlinge. Das Hereinkommen in den Arbeitsmarkt bedeutet für viele - deshalb ist die Motivation da sehr hoch - den Herausfall aus den Abhängigkeiten von sozialen Leistungen: raus aus den Erstaufnahmeeinrichtungen, rein in ein selbstbestimmtes Leben. Deshalb ist es schön, festzustellen, dass die Motivation da ist und wir nur noch den richtigen Weg brauchen, um diese umzusetzen. ({0}) Trotzdem muss man, wenn man diese Debatte hier verfolgt, sagen: Bei aller Einigkeit im Ton ist es doch so, dass man nicht von Obergrenzen, Belastungsgrenzen oder irgendwelchen anderen Grenzen sprechen kann, wenn man nicht alle Maßnahmen, die möglich sind, ausgeschöpft hat, um diese Herausforderung, der wir jetzt gegenüberstehen, zu bewältigen. Ich würde mir einfach wünschen, dass Sie mehr auf die Bundesagentur für Arbeit, auf die Unternehmen und die Verbände und Betriebe hören, die sagen: Die Vorrangprüfung ist ein unnötiges bürokratisches Hindernis. ({1}) Passend dazu hat es das Bleiberecht für junge Auszubildende, für junge Flüchtlinge bedauerlicherweise nicht in das letzte Gesetzespaket geschafft. Eine Duldung - das muss man hier ganz deutlich sagen - ist für die BetrieHeike Hänsel be - da kann man jeden einzelnen fragen - keine sichere Bleibeperspektive. ({2}) Unternehmen und ihre Verbände, ganz besonders auch die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkerschaft, weisen zu Recht auf die Chancen hin, die sich aus der Altersstruktur von Flüchtlingen in Deutschland für den Arbeitsmarkt ergeben. Die Kammern verfügen zusammen mit den bei ihnen organisierten Unternehmen über hervorragende Strukturen, Flüchtlingen den Eintritt in das Arbeitsleben zu erleichtern. Deshalb sollten Wirtschaft und Kammern ihren Teil der Verantwortung tragen, gemeinsam mit dem Bund. Wir Grünen haben deshalb vorgeschlagen um nicht nur zu meckern -, dass man einen Deutschland-Fonds für Integration auflegt, getragen von Unternehmen und vom Bund, der - gerade weil hier ja auch immer wieder angesprochen wurde, dass die Sprache ein zentraler Schlüssel ist - Kommunen und Initiativen offenstehen soll, um zum Beispiel die Sprachförderung und die berufliche Aus- und Weiterbildung für die Menschen zu finanzieren, ({3}) die keine oder nur geringe Sprachkenntnisse vorweisen können. Da gebe ich dem Kollegen Schiewerling ja recht: Die Sprache ist das zentrale Moment, und ihr Erlernen wird natürlich hauptsächlich in der praktischen Arbeit selbst erfolgen. Bloß, man muss auch einmal mit der Praxis sprechen: Die Handwerkerschaft sagt, dass es für sie ein Problem ist, Ausbildungs- oder Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen, denn Menschen, die die Grundlagen der deutschen Sprache nicht beherrschen, können auch nicht mit Kunden kommunizieren. Da haben Betriebe einfach eine Riesenbarriere. Das heißt, irgendeine Grundvoraussetzung müssen wir auf den Weg bringen. Da hakt es an allen Ecken und Enden. Wenn in der Vereinbarung der Parteichefs geschrieben wird, dass es eine Beteiligung an den Kosten von Integrationskursen geben soll, dann ist das doch genau das Gegenteil von dem, was wir hier eigentlich erreichen wollen. ({4}) Laut Bundesagentur für Arbeit verfügt rund die Hälfte der Flüchtlinge über eine akademische oder berufliche Ausbildung. Das Modellprojekt „Early Intervention“ wurde angesprochen. Dort haben 40 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Hochschulabschluss, ein weiteres Viertel eine Berufsausbildung. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Menschen mit der richtigen Unterstützung schnell die Chance haben, selbstständig in Deutschland zu leben. ({5}) - Ich habe mich ja auch auf Sie bezogen, Frau Griese. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme aus der Innenpolitik. ({6}) Deshalb finde ich es schön, dass, wenn das stimmt, der Geist in der Sozialpolitik ein anderer ist als in der Innenpolitik; dort ist das ein bisschen anders. Innenpolitik und asylrechtliche Fragen müssen mit dieser Frage zusammengedacht werden. ({7}) Wenn ich sehe, dass wir bisher die Gruppe der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge besonders in den Fokus gerückt haben - das war ja auch Konsens hier im Haus und gesagt haben: „Da müssen wir besonders in Integration investieren, die berufliche Qualifikation dieser Menschen muss schnell festgestellt werden, und diese Menschen sollten so schnell wie möglich Deutsch lernen und in den Arbeitsmarkt integriert werden“, dann ist das ein Widerspruch zu dem, was jetzt vom Innenminister bezüglich syrischer Asylsuchender geplant ist. ({8}) Die Asylverfahren werden deutlich länger dauern; wir reden hier nicht von ein paar Wochen, wir reden hier von Monaten der verschenkten Zeit. Es bleibt die Ungewissheit zurück, ob man nach Ungarn oder Bulgarien zurückgeführt wird und ob man seine Familie in absehbarer Zeit wiedersieht - denkbar schlechte Voraussetzungen für die Konzentration auf Integration in Deutschland. ({9}) Um es wieder konstruktiv zu machen: Wir Grünen fordern verschiedene Punkte: Das Erlernen der deutschen Sprache muss ab dem ersten Tag ermöglicht werden. Denn die Realität zeigt: Auch wenn Menschen hier in Duldung leben, leben sie Jahre hier. Das ist eine verschenkte Zeit. Das hilft ihnen auch nicht dabei, an ihrer Bleibeperspektive in Deutschland zu arbeiten. Potenziale müssen so früh wie möglich erfasst werden. Wenn wir mit der Handwerkerschaft sprechen, erleben wir, dass gesagt wird - es gibt übrigens etwa 1 000 unbesetzte Ausbildungsstellen in Schleswig-Holstein -: Wir wollen ausbilden. Aber wir wissen überhaupt nicht: Wo sind die Leute, und was bringen sie mit? Gibt es überhaupt jemanden für meinen Betrieb? - Diese Fragen müssen so schnell wie möglich geklärt werden. Da muss auch eine Verbindung hergestellt werden. ({10}) Qualifikationen müssen schnell und unbürokratisch anerkannt werden; da sind wir uns, denke ich, alle einig. Wenn bestimmte Teilqualifikationen fehlen, dann müssen diese unkompliziert nachgeholt werden können. Die Finanzierung der Weiterbildung überfordert viele Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete und zwingt sie in der Folge - auch das muss man anerkennen -, unterhalb ihres Qualifikationsniveaus für entsprechend geringe Einkommen zu arbeiten. Zur Beratung und Förderung in den Arbeitsagenturen und Jobcentern und zur Sicherheit junger Auszubildender haben wir viel gesagt; darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. Aber ein Punkt, der die Debatte vielleicht konstruktiv anfeuert, ist: Wir Grünen haben gesagt, dass es ein denkbarer Schritt wäre, einen aufenthaltsrechtlichen Statuswechsel zu ermöglichen. Man könnte Flüchtlingen die Möglichkeit geben, ihren Aufenthaltsstatus zu wechseln und ihn gegen eine dauerhafte Bleibeperspektive einzutauschen, etwa als Fachkraft in einem Mangelberuf. ({11}) Das klingt erst einmal sehr technisch, ist aber in einer Zeit, in der Menschen in sehr großer Unsicherheit leben und in der wir vor allen Dingen auf dem Arbeitsmarkt die Chance sehen, die Herausforderung, der wir gegenüberstehen, zu bewältigen, eigentlich der richtige Schritt und Ansatzpunkt. Warum sollen die Menschen ewig lang in einem Asylverfahren verharren, wenn sie ihre Perspektive von einem auf den nächsten Tag mit einem Arbeitsplatz verbessern können? Besonders nach dem Beitrag der Kollegin Griese glaube ich, dass wir uns hinsichtlich der Zielrichtung an vielen Stellen einig sind. Trotzdem: Bevor diese Dinge passieren können, müssen wir alle bürokratischen Hürden abbauen. Das fängt mit der Abschaffung der Vorrangprüfung und dem Schutz von jungen Auszubildenden an. Ich denke, hier gibt es noch sehr viel zu tun. Herzlichen Dank. ({12})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Die Kollegin Jutta Eckenbach spricht als Nächste für die CDU/CSU. ({0})

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mir zunächst einmal - das ist mir ganz wichtig - den vielen Menschen danken, die vor Ort tätig sind und jeden Tag in die Flüchtlingseinrichtungen gehen, um zu helfen. Sie bemühen sich darum, dass in den Einrichtungen Ruhe bewahrt wird, und kümmern sich auch um die Kinder. Ich danke aber auch den runden Tischen und den Menschen in den Bundesbehörden, die dort jeden Tag ihren Dienst leisten. Das ist schon angesprochen worden, und ich denke, auch das gehört sich an so einem Tag bei so einer Diskussion. ({0}) All das passiert. Wenn man mit Ehrenamtlichen in den Einrichtungen spricht, dann erfährt man, dass sie große Sorge davor haben, wie es weitergeht. Das ist auch in der Bevölkerung so. Ich möchte diese Ängste hier heute Morgen gerne auch ansprechen, weil es ganz wichtig ist, das ernst zu nehmen. Deswegen gehört es sich auch, heute Morgen hier zu sagen, wo unsere Unterschiede liegen, wenn es darum geht, für alle Sprachkurse und Integrationsmaßnahmen anzubieten. Wir sind der Meinung, dass all diejenigen, die hierbleiben dürfen, die also zumindest ein Bleiberecht haben, einen Sprachkurs benötigen. Frau Pothmer, an dieser Stelle sind wir unterschiedlicher Meinung, und wir haben auch unterschiedliche Meinungen zu den Anträgen der Linken, die hier heute gestellt worden sind. ({1}) Ich denke, es gehört sich auch, das hier klarzustellen und klare Worte zu sprechen. Wir wollen den Menschen helfen, die hier in Deutschland ein Bleiberecht und eine Bleibeperspektive haben. ({2}) Auch das gehört zur Ehrlichkeit und zur heutigen Diskussion. An diesen Punkten sind wir meilenweit voneinander entfernt. ({3}) Das deutsche Recht eröffnet die Möglichkeit der Arbeitsmigration, wodurch sich Menschen aus dem Ausland heraus in Deutschland einen Arbeitsplatz besorgen können. Auf der anderen Seite haben wir unser Asylrecht. Das wollen wir auch nicht verändern, und dazu stehen wir auch. Wir müssen es in Deutschland aber umsetzen. Ich glaube, es ist wichtig, das der Bevölkerung noch einmal deutlich zu machen, um den Menschen ihre Ängste zu nehmen. Ich möchte noch auf etwas hinweisen, was mir in dieser Diskussion wichtig ist. Es ist schon vieles zu dem gesagt worden, was wir alles tun. Ich möchte aber auch noch einmal ganz deutlich zum Ausdruck bringen, dass wir, wenn es um das Erlernen der deutschen Sprache geht, auch gut prüfen müssen, wie die Integrationskurse letztendlich ausgestaltet und mit welcher Maßgabe sie versehen werden. Wir müssen bei den Integrationskursen Wert darauf legen, dass unsere Werte mit vermittelt werden. Es geht also nicht nur um das Erlernen der deutschen Sprache, sondern auch darum, dass den Menschen unsere Werte und unsere Kultur als wichtige Grundpfeiler unseres Landes vermittelt werden müssen. Das befähigt sie dann nachher auch, sich in der Arbeitswelt wesentlich besser zurechtzufinden und dort klarzukommen. Ich war in dieser Woche bei einer Podiumsdiskussion des Bundesverbandes der Dienstleistungswirtschaft und habe dort eine große Bereitschaft der unterschiedlichen Branchen gefunden, jungen Menschen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, und auch Arbeitskräfte werden gesucht. Diese Podiumsdiskussion hat nicht nur unter Sozialpolitikern stattgefunden, sondern es waren Sozialpolitiker und Wirtschaftspolitiker gleichermaßen auf dem Podium. Auch diese Verbindung brauchen wir momentan. Wir brauchen die Arbeitgeber mit im Boot, ansonsten können wir seitens des Bundes noch so viele Programme und noch so viele Perspektiven entwickeln. Wenn wir die Arbeitgeber mit ins Boot bekommen, die bereit sind, für die jungen Menschen etwas zu tun, etwas auf sich zu nehmen und sich selbst mit einzubringen - auch das müssen wir von Arbeitgebern fordern -, dann wird uns Integration gelingen. Deswegen ist Integration nicht nur eine Aufgabe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, sondern auch eine Aufgabe des Bundeswirtschaftsministeriums, denn auch dort werden Weichen gestellt. Wir müssen die Arbeitgeber mit im Boot haben. Auf dieser Podiumsdiskussion ist noch einmal sehr deutlich geworden, dass es um viele Bereiche geht. ({4})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Eckenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pothmer?

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Von Frau Pothmer immer. ({0}) - Ja, ich weiß.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Eckenbach, Sie haben gerade zu Recht die Notwendigkeit angesprochen, auch die Arbeitgeber mit ins Boot zu holen. Sind Sie denn auch bereit, die Arbeitgeber bei ihren Bemühungen, Flüchtlinge einzustellen, in Arbeit und Ausbildung zu bringen, zu unterstützen? Und sind Sie auch bereit, die Forderungen der Arbeitgeber, nämlich erstens Abschaffung der Vorrangregelung und zweitens eine sichere Bleibeperspektive für Flüchtlinge in Ausbildung, zu erfüllen?

Jutta Eckenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Beide Punkte, kann ich Ihnen sagen, waren am Mittwoch bei der Dienstleistungsbranche überhaupt kein Thema. ({0}) - Ich kann ja nur das wiedergeben, was vor Ort war. ({1}) Ich sage ausdrücklich: Die Vorrangprüfung werden wir als CDU/CSU-Fraktion nicht abschaffen. Wir halten sie für dringend notwendig und werden sie weiter verfolgen. ({2}) Zu Ihrer Frage, wie es mit Ausbildungsverträgen während der Duldung aussieht: Frau Pothmer, ich verstehe die Aufregung nicht. Ein Ausbildungsvertrag läuft über drei Jahre. ({3}) Ist es denn zu viel verlangt, nach einem Jahr wieder bei der Ausländerbehörde vorzusprechen und dort zu sagen, ({4}) dass man bereit ist, auch im nächsten Jahr seine Ausbildung fortzuführen? Ich halte das für möglich und durchführbar. ({5}) Insofern werden wir bei dieser Regelung bleiben. ({6}) Ich glaube, dass auch die Arbeitgeber sich daran gewöhnen können; denn es wird keine neue Bürokratie aufgebaut, sondern es ist gerade zur Sicherheit der Arbeitgeber, wenn die Ausbildung bis zum Abschluss durchgehalten wird. Auch das können wir von jemandem erwarten, der zu uns kommt. ({7}) Lassen Sie mich nun auf etwas eingehen, was heute Morgen noch nicht angesprochen worden ist: die christlichen Werte und unsere Wertekultur. Gestern hat es in der Presse einen Aufruf der jüdischen Gemeinden gegeben. Diese haben große Sorgen, dass sie, wenn wir nicht bei unseren Werten bleiben, wenn wir sie nicht unterstützen, in einen Bereich hineinkommen, den sie nicht haben wollen, ({8}) nämlich dass wir auf deutschem Boden eine Auseinandersetzung führen, die wir nicht führen wollen, weil wir nicht die Probleme der Heimatländer in Deutschland austragen wollen, sondern weil wir alle Religionen gleichberechtigt nebeneinander dulden und auch friedliches Leben gewähren wollen. Diese Sorgen der jüdischen Community müssen wir ernst nehmen. Wir alle müssen gerade diesen Personenkreis vehement unterstützen, damit es hier nicht zu erneuten Auseinandersetzungen auf eine ganz andere Art und Weise kommt, die wir hier in Deutschland nicht haben wollen. Deswegen bitte ich in diesem Hause darum, offen darüber zu diskutieren, dass wir die Werte und die Kultur in Deutschland als Grundlage setzen. Denn das tun Sie nicht, meine lieben Freunde der Linken. Was Sie machen, ist mit Blick auf alle Maßgaben, die Sie hier in Deutschland einführen wollen, ein Missbrauch der Flüchtlingspolitik zum jetzigen Zeitpunkt. ({9}) Wir sind für eine Flüchtlingspolitik. Wir sind für eine Bleibeperspektive. Wir sind für Eingliederung. Wir sind für Menschen, die sich hier in Deutschland unter unserer Kultur und unter unseren Werten einleben und sich wohlJutta Eckenbach fühlen wollen und für das stehen, wofür wir alle stehen, nämlich für Wohlstand und Frieden in Deutschland. ({10}) Mit der Bundeskanzlerin kann ich Ihnen sagen: Wir schaffen das in Deutschland. Wir werden alles tun, dass wir dies wirklich so umsetzen können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Jetzt spricht der Kollege Josip Juratovic für die SPD. ({0})

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003782, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die öffentliche Debatte ist derzeit stark vom Thema Flüchtlinge geprägt. Der Fokus liegt im ersten Schritt ganz auf der Debatte darüber, welche und wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen können und wie und wo wir sie unterbringen. Doch der zweite Schritt, nämlich die Integration, insbesondere in den Arbeitsmarkt, ist genauso wichtig; denn der Arbeitsort ist der beste Ort für die Integration. Das kann ich aufgrund meiner persönlichen Geschichte bestätigen. ({0}) Wenn wir von den derzeit circa 850 000 erfassten Flüchtlingen ausgehen und eine Schutzquote von circa 50 Prozent annehmen sowie davon eine Erwerbsfähigkeit von etwa 70 Prozent, dann sprechen wir über 300 000 Menschen, die wir schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt integrieren wollen. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns bewusst sind. Deshalb handeln wir bereits. Es ist kein Zufall, dass unsere Regierung Bundesagenturchef Weise zum Chef des BAMF berufen hat. Wir sind uns bewusst: Wir müssen die Effizienz der Prozesse steigern. ({1}) Deswegen verzahnen wir die notwendigen Prozesse, mit denen auf der einen Seite der Aufenthalt geregelt und auf der anderen Seite die Arbeitsmarktintegration ermöglicht wird. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass wie bisher die Daten von Geflüchteten mehrfach erfasst werden müssen. Hier müssen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Bundesagentur Hand in Hand arbeiten. Diese Zusammenarbeit hilft vor Ort vor allem den vielen Beschäftigten von Ämtern, die die größte Last dieser Herausforderung tragen. Ihnen möchte ich von dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank für ihren unermüdlichen Einsatz aussprechen. ({2}) Kolleginnen und Kollegen, viele Beschlüsse dieser Wahlperiode weisen darauf hin, dass wir viel aus der Vergangenheit gelernt haben. Menschen, die zu uns kommen und anerkannt werden, wollen und werden bei uns bleiben. In Anbetracht des demografischen Wandels in Deutschland brauchen wir diese Menschen in allen Bereichen unserer Gesellschaft. ({3}) Deshalb gilt: Je eher die Integrationsmaßnahmen greifen, desto höher ist die Aussicht auf Erfolg. Diese Wahrheit hat zum Glück Einzug in die Gesetzgebung gefunden, sei es bei der Öffnung der Integrationskurse für Asylsuchende, sei es bei der Ermöglichung eines früheren Arbeitsmarktzugangs. Wir haben richtige Schritte für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt auf den Weg gebracht. Das haben wir richtig gemacht. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesetzgebung schafft die richtigen Rahmenbedingungen, damit eine Arbeitsmarktintegration bereits während des Asylverfahrens möglich ist. Entscheidend ist dabei ein Dreiklang, bestehend aus einer passenden Sprachförderung, Anerkennung der beruflichen Abschlüsse und der notwendigen Nachqualifizierung. Bei jeder dieser Maßnahmen haben wir bereits wichtige Schritte in die Wege geleitet. Ich gebe zu: Wir sind noch keineswegs am Ende. Wir haben die Integrationskurse für Asylsuchende geöffnet und werden noch für eine ausreichende Finanzierung sorgen. Wir haben auf der Bundesebene die Anerkennung der Berufsabschlüsse erleichtert und müssen noch Wege finden, damit sich die Asylsuchenden die Anerkennung überhaupt leisten können. ({5}) Ja, es ist wichtig, eine objektive und gründliche Erfassung der weniger formalen Qualifikationen voranzubringen. Die derzeit kursierenden Zahlen, 80 Prozent der Flüchtlinge seien ohne formale Qualifizierung, entsprechen nicht ganz der Wahrheit. Wenn die Bundesagentur einen Flüchtling fragt: „Haben Sie eine duale Ausbildung abgeschlossen?“, ist es doch nicht verwunderlich, dass die Antwort nein lautet. ({6}) Denn die duale Ausbildung gibt es nur in Deutschland und in Österreich. Stattdessen erfassen wir jetzt ganz früh den Qualifikationsstand durch das sogenannte Profiling. Nur wenn wir sehr früh wissen, wo ein Flüchtling steht, können wir ihm mit den richtigen Schritten helfen: mit Sprachförderung, Anerkennung von Abschlüssen und notwendiger Nachqualifizierung. Dieser Dreiklang ist übrigens nicht nur gut für Flüchtlinge; diese Maßnahmen sind gut für alle Migranten, die nach Deutschland kommen. Ich komme zum Schluss. Für mich als Integrationsbeauftragten der SPD-Fraktion ist es besonders wichtig, dass einzelne Gruppen - sowohl Migranten als auch Deutschstämmige - nicht gegeneinander ausgespielt werden. ({7}) Denn nur gemeinsam können wir für ein erfolgreiches Europa der Vielfalt als Beispiel dienen, statt für ein Europa der Zäune und Mauern. Jene, die uns mit Zäunen und Mauern in Europa vor den „Barbaren“, wie die Armen und Erschöpften vor unseren Haustüren teilweise genannt werden, schützen wollen, möchte ich mit auf den Weg geben: Menschen, die wir heute erfolgreich integrieren, stehen möglicherweise schon morgen nicht mehr wie solche „Barbaren“ vor unseren Türen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein. ({0})

Dr. Astrid Freudenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004277, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, wissen Sie, was ich an Ihrem Antrag wirklich beklemmend finde? Ich finde es beklemmend, dass Sie sich mit Ihren Vorschlägen offenbar jeder Verantwortung für die Menschen, die hier im Land leben, entledigen. ({0}) Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie in dieser schwierigen Situation in blanken Linkspopulismus verfallen. ({1}) Sie haben offenbar nicht das geringste Interesse an der Lösung der Probleme, die wir haben. ({2}) Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus Ihren politischen Visionen nennen. ({3}) Jeder Asylsuchende, der einen Job gefunden hat, soll ein Bleiberecht bekommen - so steht es in Ihrem Antrag -, und zwar unabhängig davon, wie sein Verfahren ausgeht. Damit hebeln Sie ganz nebenbei unser Asylrecht aus, weil man keinen Asylantrag mehr stellen muss, wenn es ganz egal ist, ob er anerkannt wird oder nicht. ({4}) Alle Migranten, also auch abgelehnte Asylbewerber, sollen vom ersten Tag an vollen Zugang zur gesamten Ausbildungs- und Arbeitsförderung bekommen. ({5}) Und dann kommen Ihre Klassiker: Sie wollen, dass der Mindestlohn auf 10 Euro erhöht wird, und fordern wie immer höhere Steuern für Unternehmen. Meine Güte, ist das wirklich Ihr Ernst, meine Damen und Herren? ({6}) Was treibt Sie an? Ich zitiere aus Ihrem Antrag: Zuwanderung birgt die Chance, unser Land kulturell und wirtschaftlich zu bereichern. Diese Chance wollen … wir ergreifen … ({7}) Vielleicht müssen wir klarstellen, worüber wir eigentlich sprechen. Es handelt sich nämlich nicht um herkömmliche Zuwanderung. Es kommen Menschen zu uns, die vor Krieg und Gewalt fliehen. Das hat sich keiner von uns gewünscht. ({8}) Diese Menschen mögen Analphabeten sein oder Akademiker; sie mögen jung sein oder alt; sie mögen etwas beitragen können oder nicht - es ist völlig egal: Ihnen gewähren wir Schutz. ({9}) Dabei geht es natürlich nicht darum, ob diese Menschen unser Land kulturell und wirtschaftlich bereichern können und wir deren Elend als unsere Chance begreifen. Das steht auch in keinem Asylparagrafen. ({10}) Außerdem kommen Menschen zu uns, und zwar viele Menschen, die sich hier auf das Asylrecht berufen, die aber eben nicht vor Krieg und Verfolgung fliehen, die kein Recht auf Schutz in unserem Land haben und keine Bürgerkriegsflüchtlinge sind. Diese Menschen müssen und werden wir zurückschicken, und zwar wieder ganz unabhängig davon, ob sie Analphabeten oder Akademiker sind. Denn es muss doch klar sein, dass die Zuwanderungswelle, wie wir sie zurzeit erleben, nicht dazu geeignet ist, die Probleme hier im Land zu lösen. Nehmen wir das Schlagwort „Fachkräftemangel“, das in diesen Wochen Konjunktur hat. Es ist im Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen, die momentan zu uns kommen, gleich doppelt unangebracht. Wir haben zum einen keinen generellen Fachkräftemangel. ({11}) Es gibt Fachkräfteengpässe in einigen Branchen und in einige Regionen. Das Problem entsteht im Wesentlichen dadurch, dass die Bewerber nicht bereit sind, dort hinzuziehen, wo es die freien Stellen gibt. ({12}) Wir haben es auch sicher nicht mit einem Zustrom von Fachkräften zu tun oder mit solchen, die es in absehbarer Zeit werden können. Ich greife als Beispiel Syrien heraus. Syrien ist ein Agrarland, das vor dem Krieg mit Erdöl, Oliven und Textilien gehandelt hat. Der Tourismus brachte Devisen ins Land. Die meisten Syrer kamen, wenn überhaupt, bei einem viel zu großen Staatsapparat unter, und der war korrupt. Viele Syrer haben die vergangenen Jahre in Flüchtlingslagern verbracht. Der Krieg hat ihnen die Jahre der Ausbildung und Bildung schlichtweg genommen. Es sind jedenfalls nicht die Fachkräfte, die mancherorts bei uns fehlen. ({13}) Weil Sie zu wenig interkulturelle Kompetenz bei den Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit beklagen: Selbst wenn alle BA-Mitarbeiter fließend Arabisch, Dari oder Paschtu sprechen würden und wenn sie alle ein Studium der Ethnologie absolviert hätten, würde das nichts an der Tatsache ändern, dass für die allermeisten derer, die nun kommen, unser Arbeitsmarkt kurz- und mittelfristig unerreichbar ist. Warum schildere ich das alles? Ich tue das, um darzulegen, wie schwierig die Situation ist und dass es nicht damit getan ist, ein paar Sprach- und Integrationskurse anzubieten ({14}) sowie Kompetenzen und Qualifikationen zu suchen. In dieser schwierigen Situation müssen wir uns auf die konzentrieren, die hier Schutz brauchen. Sie, meine Damen und Herren von der Linken, kommen mit Ihren Vorschlägen daher und wollen das allen geben, und zwar unabhängig davon, ob sie Schutz brauchen oder nicht. Das ist der große Fehler Ihres Antrags. ({15}) Ich halte das auch für völlig unverantwortlich gegenüber den Menschen in unserem Land. In einem Ziel sollten wir uns einig sein: Das Allerbeste, was wir erreichen können, wäre, wenn die, die jetzt Tag für Tag zu Tausenden kommen, so früh wie möglich in ihre Heimat zurückkehren könnten, um ihr Land wiederaufzubauen, und zwar gerne mit den Kenntnissen und den Erfahrungen, die sie hier bei uns in der Schutzzeit gesammelt haben. Herzlichen Dank. ({16})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Bevor ich nun dem Kollegen Bartke das Wort erteile, möchte ich eine Delegation aus Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments unter ihrem Vorsitzenden, Elmar Brok, herzlich begrüßen, die auf der Ehrentribüne Platz genommen haben. ({0}) Ich begrüße außerdem den Generalsekretär der OSZE, Herrn Lamberto Zannier, und seine Delegation herzlich. ({1}) Ich wünsche Ihnen nicht nur bei diesem Besuch hier in Berlin viel Erfolg, sondern auch für Ihre wichtige politische Arbeit. Ich denke, gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, dass Europa beisammenbleibt. Jetzt hat der Kollege Matthias Bartke für die SPD das Wort. ({2})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Europaparlamentarier und OSZE-Parlamentarier! Zu Beginn möchte ich Ihnen von Emma Louise Meyer aus meiner Heimatstadt Hamburg berichten. Emma arbeitet als freiwillige Helferin am Hamburger Hauptbahnhof. Die freiwilligen Helfer sind dort aber weniger geworden, die ankommenden Flüchtlinge leider nicht. Emma hat daher ein Video online gestellt. „Kommt alle“, heißt es in dem Video, „Broteschmierer, Ärzte, Dolmetscher, und helft.“ Das Video war ein unglaublicher Erfolg. Es wurde 100 000-mal angeklickt, und es hat mehr als 150 Helfer akquiriert. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Ausländerfeinde haben danach in den sozialen Netzwerken eine massive Hetze gegen Emma gestartet. Ich danke Sigmar Gabriel dafür, dass er solche Ausländerfeinde als das bezeichnet hat, was sie sind: als Pack. ({0}) Ich war am Sonntag am Hamburger Hauptbahnhof. Ich habe dort ehrenamtliche Helfer angetroffen, die motiviert und professionell arbeiten. Diesen ehrenamtlichen Helfern und den Zigtausenden anderen in Deutschland möchte ich sagen: Danke! ({1}) Danke für die selbstlose Hilfe für die in Not geratenen Menschen. Sie sind das gute Deutschland. Unser Land liegt im Herzen Europas. Wir waren schon immer Fluchtort. Ich selbst stamme von verfolgten Hugenotten ab, die aus Frankreich flohen und hier eine neue Heimat gefunden haben. Direkt nach dem Krieg haben wir 12 Millionen Vertriebene aufgenommen. Danach kamen 5 Millionen Gastarbeiter, und danach kamen 4 Millionen Aussiedler. Wenn wir Deutsche mit einer Sache Erfahrung haben, dann ist das die Integration von Migranten. Die Erfahrung lehrt uns aber auch, dass wir beim Umgang mit Gastarbeitern schwere Fehler gemacht haben. Wir haben damals eben nicht auf Nachhaltigkeit gesetzt, und aus diesen Fehlern haben wir gelernt. Wir werden es jetzt besser machen. ({2}) Im vergangenen Jahr hat die Bertelsmann-Stiftung eine viel beachtete Studie zur demografischen Entwicklung veröffentlicht. Sie hat darin festgestellt, dass Deutschland ohne Zuwanderung bis zum Jahr 2050 eine Arbeitskräftelücke von insgesamt 16 Millionen Arbeitnehmern hätte. Notwendig ist danach eine Zuwanderung von etwa 500 000 Menschen jährlich. Bislang waren es in der Regel immer nur 200 000, womit eine Lücke von 300 000 bleibt. Mit anderen Worten: Deutschland benötigt in den nächsten 35 Jahren jährlich zusätzlich 300 000 Zuwanderer, um das Gesellschaftswesen in seiner jetzigen Form zu erhalten. Das Problem ist daher nicht die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Das Problem ist die Geschwindigkeit, mit der sie kommen. Die Parteispitzen der Koalition haben daher am vergangenen Donnerstag klare Beschlüsse gefasst. Dazu gehören auch, so bitter es ist, deutlich verbesserte Möglichkeiten der Abschiebung. Aber es gilt ein klarer Zusammenhang: Wer Ja zu einem Asylrecht sagt, der muss auch zu Abschiebungen Ja sagen, wenn kein Asylgrund vorliegt. ({3}) Der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland kann ein unschätzbarer Beitrag zur Entschärfung der demografischen Bombe sein, die sonst zu explodieren droht. Es muss aber auch klar sein: Wir brauchen keine kurzfristige, wir brauchen eine nachhaltige Eingliederung von Flüchtlingen. Das ist eine Aufgabe, die zweifellos einen sehr langen Zeitraum in Anspruch nehmen wird. ({4}) Für die Eingliederung ist die Teilhabe am Arbeitsleben ganz wesentlich. 70 Prozent der ankommenden Flüchtlinge haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Allerdings ist mehr als die Hälfte von ihnen jünger als 25 Jahre. Das ist Schul- und Ausbildungsalter. Richtiger ist es daher, zu sagen: Sie haben noch keine Ausbildung. ({5}) Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass das nicht so bleibt. Wir haben dafür die Duldung für eine Ausbildung und deren Verlängerung um jeweils ein Jahr bis zum Ausbildungsabschluss ermöglicht. Wir wissen, dass das noch nicht genug ist. Der erfolgreiche Abschluss muss zum dauerhaften Aufenthalt berechtigen. Der Ausbildungsantrag muss außerdem auch nach dem 21. Lebensjahr möglich sein. Dafür setzen wir uns ein. ({6}) Geduldete Auszubildende sollen nun auch mit ausbildungsbegleitenden Hilfen unterstützt werden. Geduldete sollen deutlich schneller als bisher mit Berufsausbildungsbeihilfe gefördert werden oder eine assistierte Ausbildung erhalten. Den Zugang zu Praktika für Asylbewerber und Geduldete haben wir ebenfalls erleichtert. Schließlich und ganz wichtig - es wurde hier bereits erwähnt -: Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt ist die Sprache. Die Integrationskurse haben wir daher für Asylbewerber und Geduldete mit guter Bleibeperspektive geöffnet. Wir investieren derzeit größte Kraftanstrengungen, um die Zahl der Plätze in Sprachkursen drastisch zu steigern. Wir erleben seit drei Monaten einen Flüchtlingszustrom von nicht gekanntem Ausmaß. Dass wir in diesen kurzen drei Monaten noch nicht alle Probleme gelöst und nicht alles im Griff haben, ist doch klar. Klar ist aber auch: Wir sind auf einem guten Weg. Ich bitte Sie daher am Schluss: Begreifen Sie die Flüchtlinge nicht in erster Linie als Problem, begreifen Sie sie als Chance. Ich danke Ihnen. ({7})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU. ({0})

Andrea Lindholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Gäste! Täglich kommen bis zu 10 000 neue Migranten nach Deutschland. Die Lage in Deutschland und Europa wird immer ernster. Selbst das liberale Schweden führt in diesen Stunden wieder Grenzkontrollen ein. Auch Deutschlands Integrationskraft ist begrenzt. Wir können nicht jedes Jahr 1 Million Menschen aufnehmen, versorgen, ausbilden und integrieren. Deswegen steht aktuell die Eindämmung des Zustroms im Fokus der Debatte. Das bloße Einfordern der Einhaltung europäischen und deutschen Rechtes ist im Übrigen keine Chaospolitik, sondern es ist zwingend erforderlich, um zu ordnen, zu strukturieren und zu begrenzen. ({0}) Es geht, sehr geehrte Frau Kollegin Mast, gerade nicht darum, jedem syrischen Flüchtling, so wie Sie es heute suggeriert haben, nur subsidiären Schutz zu gewähren. ({1}) Es geht darum, zur Einzelfallprüfung, die unser Gesetz vorsieht, zurückzukehren und jeden Flüchtling anzuhören, aus welchem Land er kommt, ob er tatsächlich aus Syrien stammt und ob man ihm Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt, ({2}) ob er einen Asylanspruch nach dem Grundgesetz hat oder ob er nur subsidiären Schutz erhält. Das ist auch richtig so. ({3}) Diese Entscheidung steht im Übrigen nicht im Ermessen der Abgeordneten, sondern der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Dessen Sprecher hat im Übrigen gestern erklärt, dass das Dublin-Verfahren die nationalen Asylverfahren sogar entlastet und nicht belastet. ({4}) - Lesen Sie bitte heute die Zeitung. Dort können Sie das Zitat nachlesen. ({5}) Neben diesen wichtigen Fragen ist natürlich auch die Integration der anerkannten Flüchtlinge für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland essenziell. Wir brauchen dazu keinen Antrag der Linken; denn schon heute gründen Schulen, IHKs, Handwerk, Arbeitsagenturen, Verbände und vor allem die Kommunen lokale Netzwerke und runde Tische und versuchen, das Problem anzugehen, anstatt nur pauschale und polemische Reden zu halten. ({6}) Auch der Bundesinnenminister hat letzte Woche eine - ich nehme an, dass einige von Ihnen dort waren hochinteressante Fachtagung zum Thema „Fachkräftezuwanderung und Flüchtlinge - Geht das zusammen?“ in seinem Hause abgehalten. Es arbeiten also schon viele engagierte und kluge Menschen an diesem Thema. Man sollte heute auch einmal eines klarstellen: Anerkannte Flüchtlinge haben vollen und uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Wir reden also darüber, wie wir mit den Asylbewerbern verfahren, die bei uns noch nicht anerkannt sind. Hier müssen wir zwischen bleibeberechtigten und nichtbleibeberechtigten Asylbewerbern unterscheiden. Voraussichtlich werden 400 000 bleibeberechtigte Asylbewerber aus dem Jahr 2015 verbleiben. Diese Integrationsleistung wird eine zentrale Zukunftsaufgabe für unser Land werden. Daher sollten für uns einige Grundprinzipien gelten. Die Integration muss auf die Menschen mit guter Bleibeperspektive konzentriert werden. Bei den anderen brauchen wir keine Integration; denn dort steht die Ausreisepflicht im Vordergrund. Asyl und Arbeitsmigration müssen klar getrennt werden. Ich habe heute hier gehört, dass man gerne beides in einen Topf schmeißt. Das ist aber nicht richtig. Flüchtlingsschutz gibt es aus humanitären Gründen. Wenn Sie in Ihrem Antrag den Spurwechsel von der Asylbewerberpolitik in die Arbeitsmigration vornehmen, dann ist das ein glatter Fehlanreiz. ({7}) Wer nicht aus der EU kommt und bei uns arbeiten will, kann dies. Wir haben über 70 - ich habe vorhin gehört, wir gehen auf die 90 zu - Mangelberufe, bei denen man relativ problemlos eine Arbeit aufnehmen kann. Es gibt auch noch die Bluecard. Wir müssen nach wie vor Asylrecht und Arbeitsmigration ganz klar voneinander trennen. Wir sind uns einig, dass die Integration früh anfangen muss. Deswegen haben wir auch für Menschen mit guter Bleibeperspektive, unabhängig von der Dauer des Asylverfahrens jetzt schon die Residenzpflicht eingeschränkt, den Arbeitsmarktzugang erleichtert und die Teilnahme an Integrationskursen von Anfang an beschlossen. Das sind die richtigen Weichenstellungen. Integration braucht Zeit. Die Bundesagentur für Arbeit schätzt, dass von allen Asylbewerbern, die zu uns kommen und die bei uns einen Anspruch auf einen Arbeitsplatz haben, nur 10 Prozent im ersten Jahr eingegliedert werden können, 50 Prozent nach fünf Jahren und 70 Prozent nach zehn Jahren. Es reicht also nicht aus, nur Arbeitsverbote abzuschaffen. Die Vorsitzende des Sachverständigenrates Deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Frau Professor Langenfeld, hält solche Forderungen sogar für kontraproduktiv. Sie fordert ganz klar, den Fokus zunächst einmal auf Sprache, auf Qualifikation und Weiterbildung zu legen; denn ohne Sprache und ohne Qualifikation findet bei uns niemand Arbeit. Wir müssen unsere hohen Bildungsstandards aufrechterhalten, aber sicherlich bei der Anerkennung der Fähigkeiten flexibler werden. Nicht ein Zertifikat darf entscheiden, sondern es muss die tatsächliche berufliche Erfahrung unter die Lupe genommen werden. Ein afghanischer Elektriker wird nicht nur die Sprache lernen müssen, sondern auch, was ein europäischer Schaltkasten ist. Wir müssen sicherlich vor Ort durch Fachgespräche, durch Arbeitsproben und durch Praktika ermitteln, welche Leistungen der einzelne Asylbewerber erbringen kann. Das ist viel aussagekräftiger als ein Zertifikat. Zuletzt wird die Integration nicht nur Geld erfordern, sondern die gesamte Gesellschaft. Ihr Antrag suggeriert, die Integration ließe sich quasi rein staatlich organisieren. Der Staat wird seinen finanziellen Beitrag leisten. Die Wirtschaftsweisen schätzen für 2016 die Bruttoausgaben der öffentlichen Haushalte im Zuge der Flüchtlingskrise auf einen Wert zwischen 9 Milliarden und 14,3 Milliarden Euro. Damit schaffen wir allerdings nur Rahmenbedingungen. Integration funktioniert nur, wenn wir sie als gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe begreifen. Deswegen ist entscheidend, dass wir als Politik gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort, die hier schon hervorragende Leistungen erbringen, auch die richtigen Lösungen suchen, die richtigen Antworten finden. Ihr Antrag greift in vielen Punkten wie so oft zu kurz, und deshalb lehnen wir ihn ab. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6644 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Widerspruch sehe ich nicht. Dann ist das so beschlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD 40 Jahre nach Helsinki, 25 Jahre nach Paris - Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 für neue Impulse hin zu einer auf Dialog, Vertrauen und Sicherheit ruhenden Friedensordnung in Europa nutzen Drucksache 18/6641 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Inge Höger, Andrej Hunko, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE Den deutschen Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 2016 für Frieden und Abrüstung nutzen Drucksachen 18/5108, 18/6377 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck ({2}), Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 zur Stärkung der OSZE nutzen Drucksachen 18/6199, 18/6375 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Widerspruch sehe ich nicht. Dann ist auch dieses somit beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier das Wort. ({3})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss gleich mit einer Zumutung beginnen, weil ich aus aktuellem Anlass aus sehr alten Akten des Auswärtigen Amtes zitieren werde, ohne dabei hoffentlich schon am Anfang meiner Rede dazu beizutragen, meine Redezeit zu überschreiten. Wir haben einen 40 Jahre alten Gesprächsvermerk gefunden, aus dem ich wenigstens ganz kurz zitieren will: Nach einleitenden Bemerkungen erklärte H., es komme darauf an, in den gegenseitigen Beziehungen den Geist von Helsinki stärker wirksam werden zu lassen ... trotz aller noch bestehenden Schwierigkeiten, das Erreichte zu konsolidieren und Störendes auszuschalten. Danach heißt es: Das Gegenüber von H. erwidert nur ganz knapp: Richtig. „Man darf jetzt nicht alles in die Elbe werfen ...“ ({0}) Damit ahnen Sie vielleicht, um wen es bei diesem Gegenüber geht: um den Sohn der Elbestadt, um jenen großen Staatsmann, um den wir in diesen Tagen trauern. Damals, vor 40 Jahren, im Sommer 1975 in Helsinki, traf Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht nur zum ersten Mal auf den oben zitierten Gesprächspartner H. - das war Erich Honecker -; darüber hinaus unterzeichnete Schmidt nach langen Verhandlungen mit allen Seiten, auch mit der Sowjetunion, am 1. August 1975 für die Bundesrepublik die Schlussakte von Helsinki. Die Schlussakte legte den Grundstein für Dialog und Zusammenarbeit über die Gräben des Kalten Krieges hinweg. Sie schuf eine Brücke, auf der diese Gräben schließlich überwunden wurden und die dann mit der Charta von Paris vor 25 Jahren auf eine neue institutionelle Ebene gelangte: die OSZE. Diese OSZE, um deren Vorsitz es heute geht, ist bis heute das Fundament unserer Sicherheitsarchitektur in Europa. Ich will sagen: In Erinnerung und in Respekt vor diesem großen Erbe, auch vor Schmidts Erbe, das mit Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher und Egon Bahr auf den Weg gebracht worden ist, übernimmt Deutschland den Vorsitz der OSZE 2016. Ich bin mir ganz sicher: Nicht nur der Außenminister und nicht nur die Bundesregierung, sondern das ganze Hohe Haus sind sich - und nicht nur in diesem Vorsitzjahr - der Verantwortung für Frieden und Europa bewusst, meine Damen und Herren. ({1}) Am Vorabend der Unterzeichnung erklärte Helmut Schmidt vor den Kameras: Hier in Helsinki dokumentiert Europa … einen neuen Schritt auf dem Wege zur Stabilisierung des Friedens. Dies ist ein Weg, auf dem wir mit Geduld und Beharrlichkeit - und jetzt hören Sie zu und ohne uns durch Rückschläge entmutigen zu lassen, Schritt für Schritt weitergehen müssen. Das ist 40 Jahre her, aber es klingt wie eine Ermutigung an die Verantwortlichen von heute. Ich sage das deshalb, weil wir natürlich wissen - auch wussten, als wir uns entschieden haben, ihn zu übernehmen -, dass wir den Vorsitz in stürmischen Zeiten übernehmen. 25 Jahre nach der Charta von Paris ist Europas Sicherheitsarchitektur - darüber haben wir hier in den letzten Monaten häufig genug gesprochen - mehr als nur auf die Probe gestellt. Das ist auch deshalb so, weil einer der Gründer- bzw. Unterzeichnerstaaten der OSZE einen der wichtigsten Grundsätze, nämlich die Unverletzlichkeit von Grenzen, nicht nur infrage gestellt, sondern verletzt hat. Noch vor wenigen Monaten tobten in der Ostukraine schwere Kämpfe. Es gab immer wieder neue Meldungen über Tote und Verletzte. Mit jeder Verletzung der Waffenruhe, jeder neuen Provokation und jedem Toten verhärteten sich die Fronten weiter. Da gab es die einen, die dann nach Waffenlieferungen an die Ukraine gerufen haben, um der Aggression zu begegnen. Es gab die anderen, die gerufen und geschrieben haben: Was sollen eigentlich eure ganzen diplomatischen Bemühungen? Das führt zu nichts. Belasst es bei den Sanktionen. Wir sind, wie Sie wissen, beiden Vorschlägen nicht gefolgt. In Erinnerung an das Erbe von Helsinki haben wir einen anderen Weg eingeschlagen. Wir haben einen politischen Prozess versucht und treiben ihn trotz aller Rückschläge - von diesen Rückschlägen gab es genug; über viele dieser Rückschläge haben wir hier gesprochen - weiter voran. Und heute? Wir sind weit davon entfernt, zu sagen: Es gibt Anlass, zufrieden zu sein. Das überhaupt nicht. Schon deshalb nicht, weil wir mit der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen weit hinter dem Zeitplan zurück sind. Aber immerhin hält der Waffenstillstand seit jetzt gut zwei Monaten. Es sterben nicht mehr täglich Menschen in der Ostukraine. Und wir - mein französischer Kollege und ich - haben zuletzt den ukrainischen und den russischen Außenministerkollegen am Wochenende hier in Berlin gehabt. Natürlich haben wir darüber verhandelt, wie wir diesen jetzt seit zwei Monaten bestehenden Waffenstillstand weiter absichern können, wie wir die weiteren Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen aus der Minsker Vereinbarung umsetzen. Wir haben verhandelt, wie wir besseren Zugang für humanitäre Hilfe hinkriegen, weil immer noch nur wenige Hilfsorganisationen in der Ostukraine tätig sein dürfen. Wir haben darüber gesprochen, wie wir jetzt den nächsten Schritt bei der Konsolidierung des Waffenstillstandes - Räumung von Minen und Kampfmitteln - einleiten. Wir haben darüber gesprochen, wie wir beschädigte Infrastruktur wiederherstellen können, um die Verbindungen zwischen dem Osten der Ukraine und der Zentralukraine weiter zu verbessern. Zentral und im Vordergrund dieses Treffens stand die Frage, wie wir die Voraussetzungen dafür schaffen können, die Lokalwahlen, welche die Separatisten einseitig angesetzt hatten wir haben sie Gott sei Dank verschieben dürfen -, vorzubereiten, und welche rechtliche Grundlage wir dafür gemeinsam schaffen können. Natürlich ist der Erfolg dieser Bemühungen nicht garantiert. Ich sage aber: Immerhin sind wir so weit gekommen. Dass wir so weit gekommen sind, ist nicht das Verdienst von einigen wenigen Außenministern. Ich sage das hier, weil ich jedenfalls weiß, dass wir nie so weit gekommen wären, dass wir nicht einen dieser Gräben ohne die OSZE und die mutigen Frauen und Männer in der Beobachtermission bzw. der Trilateralen Kontaktgruppe hätten überspringen können. Ohne die hätten wir nichts hinbekommen. Und dafür, lieber Herr Generalsekretär, lieber Lamberto Zannier, wollen wir gerade an diesem Tage der OSZE, wollen wir Ihnen und den Mitarbeitern der OSZE ganz herzlich danken. ({2}) Beobachtermission, Verifikation, Kontaktgruppe - ich finde, das Beispiel Ukraine, so unbefriedigend der Stand auch immer noch ist, zeigt, dass es bei der OSZE konkrete Instrumente und Foren gibt, mit denen wir den Geist von Helsinki nicht nur wachhalten können, sondern, ergänzt um die Vorschläge, die Botschafter Ischinger mit seiner Expertengruppe gemacht hat, vielleicht sogar erneuern können - erneuern unter gänzlich anderen Voraussetzungen: nach dem Ende des Kalten Krieges, nach veränderten Konfliktsituationen, die wir nicht nur in Europa, sondern auch im Mittleren Osten haben, und dennoch darauf setzen, dass Kooperation statt Konfrontation unsere Außenpolitik beherrscht, dass immer wieder Dialog statt Sprachlosigkeit hergestellt wird und dass Diskurs immer noch besser ist als Abschottung, wenn ich drei der zentralen Themen aus der Philosophie der OSZE in Erinnerung rufen darf. Darauf müssen wir setzen, und deshalb wollen wir die Instrumente und die Gesprächsforen der OSZE unter unserem Vorsitz, soweit das möglich ist und soweit das von anderen mitgetragen wird, stärken. Wir werden als OSZE-Vorsitz Angebote zum Dialog machen für alle Mitgliedstaaten - auf der Grundlage der Vielfalt von Themen, die in der Organisation verankert sind, und das sind nicht nur die eingefrorenen Konflikte. Ein Kernbereich der OSZE spielt dabei natürlich eine besondere Rolle: Das sind die konventionelle Rüstungskontrolle - nicht zu vergessen! - und, immer wieder wichtig, gerade jetzt, vertrauensbildende Maßnahmen. Vertrauensbildung - das Wissen darum scheint zwischendurch etwas verlorengegangen zu sein - fällt nicht vom Himmel, sondern entsteht nur durch Zusammenarbeit an ganz konkreten Themen. Nur dadurch kann man verlorengegangenes gemeinsames Bewusstsein wieder schaffen. Das gilt auch für die Vorstellung, dass es nicht nur gemeinsame Bedrohungen gibt, sondern daneben - hoffentlich - immer auch gemeinsame Interessen, die sich verfolgen lassen. So würden wir das sagen, aber aus dem gemeinsamen Bewusstsein für Interessen und Bedrohungen kann vielleicht sogar noch mehr entstehen, kann ein neuer Geist von Helsinki in ganz anderen Regionen dieser Welt erwachen. Der eine oder andere von Ihnen war mit dabei auf der Reise in den Iran und nach Saudi-Arabien, zu den, wenn man so will, schärfsten Konkurrenten in all den Konflikten im Mittleren Osten. Wir haben den Abschluss nach Teheran, nach Riad bewusst in Amman mit dem Besuch der OSZE-Konferenz in Jordanien gesetzt. Warum? Weil wir gerade nach dem Besuch dieser beiden Länder und nach dem Versuch, sie beim Thema Syrien zusammenzubringen, sagen wollten: Unsere Erfahrung in Europa ist eben, dass selbst über abgrundtiefe Gräben hinweg Brücken der Zusammenarbeit möglich sind. - Das war die Botschaft, die wir mit zur OSZE-Konferenz in Jordanien, mitten im Zentrum der Konflikte im Mittleren Osten, gebracht haben. Wir müssen uns auch eingestehen: Das ist eine Einsicht, die in Europa - man sehe sich nur einmal die letzten zwei, drei Jahrhunderte an - nicht immer vorhanden war. Sie ist gewachsen; sie war am Ende das Ergebnis von zwei Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert. Ich hoffe - wir werden dafür arbeiten -, dass sich ähnliche Einsichten auch in anderen Konfliktregionen, gerade im Mittleren Osten, durchsetzen. Meine Damen und Herren, auch das wird Aufgabe unseres OSZE-Vorsitzes sein. ({3}) Ich will Ihnen, bevor ich zum Schluss komme, ganz herzlich danken, dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages dem Inhalt ihrer Anträge nach den deutschen Vorsitz in der OSZE im nächsten Jahr unterstützen. Ich werde auch auf Sie angewiesen sein werden, gerade auf die Mitarbeit der Parlamentarier in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Ich weiß als Außenminister nur zu gut, dass unsere Möglichkeiten, gerade in Konfliktsituationen, beschränkt sind, wenn wir nicht in gleicher Weise Austausch auf der parlamentarischen und auf der zivilgesellschaftlichen Ebene haben. Deshalb zum Schluss: Ich weiß, dass die Erwartungen an den deutschen OSZE-Vorsitz groß sind. Aber in stürmischen Zeiten kann eben niemand sagen, was und wie viel davon sich erfüllen lässt. Ich kann nur sagen, dass jedenfalls wir uns in Erinnerung an das Erbe von Helsinki dieser Aufgabe verpflichtet fühlen. Wir wissen und erinnern uns, dass schon damals, mitten im Kalten Krieg, die Annäherung mit vielen kleinen, ganz konkreten Schritten, von denen auch damals niemand wissen konnte, wohin sie führen würden, begonnen hat. Ganz am Ende noch einmal zurück zu den alten Gesprächsakten, aus denen ich schon zitiert habe. Da beschwert sich im Verlaufe des erwähnten Gespräches Honecker gegenüber Schmidt, dass in der Bundesrepublik viel zu viele von der, wie er sagte, sogenannten Wiedervereinigung redeten, wobei sie doch beide als „nüchterne Leute“ wüssten, dass zwei souveräne Staaten existierten. Helmut Schmidt sagt daraufhin - und man ahnt das Schmunzeln in seinem Gesicht -: Genau. Was sollen wir beide schon davon reden; denn „niemand weiß, wie das 20. Jahrhundert enden wird“. ({4}) Uns geht es im 21. Jahrhundert wahrscheinlich ganz genauso. Wir kennen die Zukunft nicht, aber wir wissen: Sie ist offen. Lassen Sie uns mit und in der OSZE für diese friedlichere Zukunft arbeiten. Herzlichen Dank. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Kunert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz vor Toresschluss kommen die Koalitionsfraktionen gerade noch auf der Zielgeraden an mit einem Antrag zum deutschen Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Linke hat dazu bereits vor der Sommerpause einen Antrag vorgelegt. Manches von dem, was Sie nun vorschlagen, findet sich in unserem Antrag wieder. Bis zum Ukraine-Konflikt hat die OSZE im Bundestag kaum eine Rolle gespielt. Es ist gut, dass wir heute darüber diskutieren; denn aus den Anträgen geht hervor, dass wir uns zumindest in einem Punkt wirklich einig sind: Die OSZE soll künftig wieder eine größere Rolle für Frieden und Sicherheit in Europa spielen. ({0}) Die Vorgängerin der OSZE war die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki vor 40 Jahren war ein Meilenstein für den Frieden. Ich möchte an dieser Stelle an Egon Bahr erinnern. Er hat sich unermüdlich dafür eingesetzt, dass aus einstigen Gegnern Partner werden. Er wollte auch, dass in der aktuellen Ukraine-Krise der Gesprächsfaden nach Russland niemals abreißt. Dafür gilt ihm unser Dank. ({1}) Zu einer ehrlichen Bilanz gehört: Viele der Erwartungen, die in die Gründung der OSZE und in die Charta von Paris gesetzt waren, sind enttäuscht worden. Die Hoffnung, dass es mit dem Ende des Warschauer Paktes auch die NATO nicht mehr geben würde, hat sich nicht erfüllt. Die OSZE hätte als ein System kollektiver Sicherheit die NATO ersetzen können. Diese Chance ist vertan worden. ({2}) Heute stellen wir fest: Die NATO ist bis an die Staatsgrenzen Russlands vorgerückt. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 erleben wir eine verschärfte Aufrüstung im Namen des „Kriegs gegen den Terror“. Und das Vertragswerk zur Abrüstung der konventionellen Waffensysteme ist ein Trümmerhaufen. Daran haben alle ihren Anteil. Die USA und andere NATO-Staaten haben sich jahrelang geweigert, den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa anzupassen. Daraufhin hat Russland Anfang dieses Jahres den Vertrag aufgekündigt. Der Vergleichs- und Schiedsgerichtshof der OSZE konnte bis heute seine Arbeit nicht aufnehmen, weil er nicht von allen Mitgliedstaaten anerkannt ist. Trotzdem leistet die OSZE eine wichtige Arbeit: Langzeitmissionen zur Verhütung und zivilen Lösung von Konflikten, Wahlbeobachtungen, Einsatz für Menschenrechte und Dialogforum zwischen den Parlamentariern. Das sind alles wichtige Dinge, die geleistet werden. Tatsache ist, dass seit Anfang September der Waffenstillstand in der Ukraine weitgehend hält. Dazu wäre es nicht gekommen, wenn sich die trilaterale Kontaktgruppe nicht um Vermittlung bemüht hätte. ({3}) Wie sehen die Herausforderungen der Zukunft aus? Die OSZE muss sich wieder stärker den großen Fragen zuwenden. Wir brauchen dringend einen Sicherheitsvertrag von Vancouver bis Wladiwostok, so wie ihn der damalige russische Präsident Medwedew vorgeschlagen hat. Verhandlungen für einen neuen KSE-Vertrag müssen oberste Priorität haben. Die Linke schlägt weiter vor, die Kompetenzen des OSZE-Konfliktverhütungszentrums zu erweitern und das OSZE-Forum für Sicherheitskooperation zu einer Abrüstungsbehörde weiterzuentwickeln. ({4}) Damit soll der Bereich der politisch-militärischen Sicherheit gestärkt werden, ohne die anderen Sicherheitsbereiche zu vernachlässigen. Dafür fehlt allerdings der Koalition bisher der Mut. Wir fordern von der Bundesregierung einseitige Abrüstungsschritte, notfalls gegen den Widerstand der USA. Alle US-Atomwaffen sind unverzüglich von deutschem Boden abzuziehen. ({5}) Die OSZE muss sich auch den wirtschaftlichen und ökologischen Fragen stärker widmen und sich auch gerade den aktuellen Herausforderungen stellen. Das gilt für die Sicherheit von Atomkraftwerken, die sichere Endlagerung von Atommüll, neue Risikotechnologien wie Fracking sowie die Konversion der wehrtechnischen Produktion. Es erstaunt schon, dass die Grünen als ökologische Partei dazu nicht wirklich etwas vorbringen. Die humanitäre Sicherheit und der Schutz der Menschenrechte gehören weiter auf die Agenda. Dabei muss allerdings genauer und auch selbstkritischer hingeschaut werden. Menschenrechtsprobleme gibt es nicht nur in Russland oder in Aserbaidschan; Menschenrechtsprobleme gibt es auch in Armenien, in den USA, in der EU und selbst bei uns. Was ist mit Ungarn unter Orban, oder was ist mit der Türkei unter Erdogan? ({6}) Und brennende Flüchtlingsheime, Rassismus, Obdachlosigkeit und Kinderarmut sind in Deutschland leider Realität. Die Linke fordert: Nutzen Sie den deutschen OSZE-Vorsitz für eine Initiative, um die Todesstrafe in den USA und Belarus abzuschaffen, ({7}) Folter und andere unmenschliche Behandlung zu ächten sowie alle unrechtmäßig inhaftierten Personen in den OSZE-Staaten freizulassen. Es gibt für den deutschen OSZE-Vorsitz viel zu tun. Unsere Vorschläge, die wir in unserem Antrag formuliert haben, sind konsequenter und weitreichender. Wir bitten Sie um Ihre Unterstützung und Zustimmung. Bei den anderen Anträgen werden wir uns enthalten. Schönen Dank. ({8})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jürgen Hardt. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu der Rede meiner Vorrednerin, Frau Kunert, nur Folgendes anmerken: Wer verfolgt hat, was am 9. Mai dieses Jahres anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag des Kriegsendes auf dem Roten Platz in Moskau an Panzern unterwegs war, auch an Prototypen neuer Panzer, und wer zur Kenntnis genommen hat, wie viele Tausende neue Panzer Russland in Auftrag gegeben hat und bauen will, der wird sofort erkennen, dass die Behauptung, hier würde eine Rüstungsspirale von der NATO angetrieben, doch eine sehr kühne ist. ({0}) Auch die Beschlüsse der NATO in Wales sind nicht eine Aktion, sondern eine Reaktion auf die Aggressionen, ({1}) die wir nun leider sowohl im Rüstungsbereich als auch gegen das OSZE-Mitglied Ukraine erleben. Von daher sollten wir nicht in die Rhetorik der 70er-Jahre zurückfallen, ({2}) sondern die Probleme so ansehen und annehmen, wie sie sich leider vor uns auftun. ({3}) 40 Jahre Schlussakte von Helsinki - der Vertrag war im positiven Sinne vielleicht der wirkmächtigste völkerrechtliche Vertrag des 20. Jahrhunderts. Ich stehe auch nicht an, zu sagen: Es war ein großes Werkstück des Bundeskanzlers Helmut Schmidt, daran mitgewirkt zu haben. Denn diese Schlussakte hat in ganz vielen Bereichen Europa und die Welt verändert. Ich freue mich, dass der Generalsekretär der OSZE heute hier ist, mit dem wir, die Mitglieder der deutschen Delegation der Parlamentarischen Versammlung, eben schon einen guten Dialog führen konnten. Auch von meiner Adresse: Herzlich willkommen! Wir haben erlebt, dass die Diskussion in der DDR über die Veröffentlichung des Textes der Schlussakte, die die DDR-Regierung ja mit unterschrieben hat - der Text wurde in der DDR geheim gehalten -, im Grunde ganz viele Menschen mobilisiert hat; denn das hat ihnen vor Augen geführt, wie groß der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der DDR war. Als dann das Dokument im Neuen Deutschland veröffentlicht werden musste, war es im Grunde eine Niederlage der Staatsführung der DDR. Das hat einen starken humanitären Impuls gegeben, der letztendlich auch zur Überwindung der Teilung geführt hat. Als dann vor 25 Jahren die Charta von Paris für ein neues Europa beschlossen wurde, da gab es die ganz große Erwartung, dass sich damit die pluralistische Demokratie in ganz Europa und in der ganzen Welt Bahn bricht. Es war ja die Forderung und das Versprechen der Unterzeichnerstaaten, dass sich die pluralistische Demokratie als Staatsform durchsetzt. Heute, 25 Jahre später, müssen wir leider feststellen, dass wir auf ganz vielen Feldern arbeiten müssen, obwohl wir dachten, dass die Geschichte das bereits erledigt hat. Ich glaube, bei diesen Themen ist jetzt die OSZE gefragt. Sie muss da beharrlich weiterbohren. Das gilt für den Prozess der Demokratisierung. Wir müssen auch dort scharf hingucken, wo es demokratische Verfassungen gibt, wo demokratische Wahlen stattfinden, wo demokratisch gewählte Regierungen am Ruder sind; denn trotzdem kann Korruption Demokratie behindern, kann die Beschränkung der Pressefreiheit Demokratie behindern, kann die Einschüchterung von Andersdenkenden und Oppositionellen Demokratie behindern. Dies muss von uns natürlich offen angesprochen werden, nicht nur in Russland, aber natürlich auch in Russland. Die OSZE leistet im 40. Jahr ihres Bestehens, wenn man das so sagen kann, eine enorme Arbeit bei der Überwachung der Umsetzung des Minsker Abkommens für die Ukraine. Damit stellt sie ihre Schlagkraft als Instrument unter Beweis. Wir müssen somit dafür sorgen, dass sie personell und materiell so ausgestattet ist, dass sie dazu in der Lage ist. Es gibt nach wie vor einen großen Bedarf an Personen, die bereit sind, sich zum Beispiel als Wahlbeobachter zur Verfügung zu stellen und somit OSZE-Aufgaben mit wahrzunehmen. Wenn wir in die Zukunft blicken - darüber haben wir mit dem Generalsekretär gerade diskutiert; der Minister hat es auch angesprochen -, müssen wir über Vertrauensbildung sprechen. Vertrauensbildung - enthalten im ersten Korb der Schlussakte von Helsinki - war im Grunde der Schlüssel zur Überwindung der Konfrontation, zur Lösung der Probleme. Vertrauensbildung ist auch und gerade, wenn es um die Lösung des Ukraine-Konflikts geht, eine ganz zentrale Aufgabe. Diesbezüglich kommt auf die Parlamentarier eine große Aufgabe zu, weil die parlamentarischen Delegationen in der Parlamentarischen Versammlung den Boden für neue Gesprächsangebote bereiten können. Bei allen Vorbehalten, die wir haben, und trotz der Sanktionen, die wir gegen einzelne Personen in Form der Einschränkung ihrer Freizügigkeit in Europa ausgesprochen haben - zum Beispiel gegen russische Politiker wegen der Besetzung der Krim -, sollten wir dafür sorgen, dass wir, sowohl wenn Europarats- als auch OSZE-Konferenzen durchgeführt werden, zusammentreffen können. ({4}) Ich finde, dass wir die Schlagkraft der OSZE auch dadurch unter Beweis stellen können, dass wir im Rahmen des Outreach der OSZE, wie der Generalsekretär es genannt hatte, unsere Hilfe anbieten, also bei Missionen über das eigentliche Gebiet der OSZE hinaus. Er hat angekündigt, dass sich die OSZE auch dem Thema Mittelmeer und Mittelmeeranrainerstaaten stärker zuwenden wird. Daran sind natürlich insbesondere die OSZE-Mitgliedstaaten am Mittelmeer interessiert. Die Expertise und die Erfahrung, die die OSZE als Manager von Dialogen und als Überwacher bzw. Gewährleister der Einhaltung von Verträgen hat, kann vielleicht auch im nördlichen Afrika eine wichtige Rolle spielen. Ich wünsche mir, dass die deutsche Bundesregierung den Prozess der Erneuerung und weiteren Stärkung der OSZE unterstützt, vielleicht auch hinsichtlich der Erhöhung ihrer operativen Schlagkraft. Ich habe den Bundesminister so verstanden, dass dies genau das Ziel ist. Ich habe den Generalsekretär vorhin so verstanden, dass es hinsichtlich der Ziele ein großes Einvernehmen zwischen dem deutschen Vorsitz und dem Generalsekretär gibt. Wir könnten uns vorstellen, die Rolle des Generalsekretärs gerade im operativen Bereich der OSZE zu stärken. Das finden Sie auch in unserem Antrag. Ich hoffe, dass 2016 ein gutes Jahr wird, dass es nicht nur ein gutes Jahr für die OSZE ist, sondern auch insgesamt für den Frieden in Europa. Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung des Antrags der Regierungskoalition zum Jubiläum „40 Jahre Schlussakte von Helsinki“. Danke schön. ({5})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Marieluise Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Generalsekretär! Lieber Frank-Walter Steinmeier! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist Helsinki immer verbunden mit dem Gesicht von Ludmilla Alexejewa. Die große Dame der russischen Menschenrechtspolitik ist jetzt 88 Jahre alt, die davon erzählen kann, wie sie aufgrund der in Helsinki getroffenen Vereinbarungen anfangen konnte, in Moskau zu arbeiten, und dass es damals einen ganzen Tag dauerte, um sieben Unterschriften zusammenzubekommen, weil das Telefonieren zu gefährlich war und man deshalb mit der U-Bahn durch die große Stadt fahren musste. Dass das möglich wurde, ist tatsächlich dem Geist von Helsinki und der Sprengkraft, die Helsinki entfaltet hat - womit vermutlich auch ein Herr Honecker nicht gerechnet hatte -, zu verdanken. Dass daraus dann tatsächlich die Überwindung von Polizeistaat und Repression in den Ländern werden konnte, die auch Europa sind, aber durch Jalta von dem freien Teil Europas abgetrennt worden waren, das ist wirklich eine großartige Geschichte, die eng mit der OSZE verbunden ist. ({0}) Nachdem mit der Überwindung der Folgen von Jalta sich Freiheit und Demokratie auch in Osteuropa ausdehnen konnten, wurde ein weiterer Schritt möglich, und die Charta von Paris folgte den Helsinki-Verträgen. Da gab es noch einmal die Hoffnung, dass wir nun ganz und vollständig zusammenwachsen würden. Das ist schon 2008 durch den Krieg in Georgien und die faktische Abtrennung zweier Gebiete sehr stark erschüttert worden. Aber noch viel größer war der Schock dann in der Ukraine durch die gewalttätige Abtrennung und später sogar Annexion der Krim und die Aggression im Donbass. Das heißt, dass wir uns in der OSZE trotz aller Feierlichkeiten grundsätzlichen Fragen stellen müssen: Warum haben die Regeln nicht gegriffen? Wie können wir es schaffen, dass solche Regelverletzungen in Zukunft vermieden werden? Wie gehen wir mit Teilnehmerstaaten um, die diese Regeln verletzen? Für mich folgt daraus, dass wir auf der Einhaltung von Recht und Regeln beharren müssen; denn allein die Einhaltung von Regeln und Recht garantiert Sicherheit, Schutz und Vertrauen. Ein großer Abrüstungsschritt, den es hier in Europa gegeben hat - er ist vielleicht zu wenig beachtet worden -, war, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion sowohl Kasachstan als auch Belarus als auch die Ukraine unter der Assistenz des Westens und bei Zusicherung der Integrität ihrer Grenzen bereit waren, ihre Atomwaffen abzugeben und zu akzeptieren, dass die Russische Föderation ihre behielt. Dass dieses Vertrauen nun gebrochen worden ist, ist ein großer Schlag, auch gegen das Regelwerk. Das aber ist die einzige innere Kraft der OSZE-Politik; denn wir haben keine Soldaten, sondern wir haben Ideen und ein geistiges Fundament, auf dem wir stehen. ({1}) Gerade für uns beide, für das wiedervereinigte Deutschland, das nun größer geworden ist, aber auch für die Russische Föderation, die zu verarbeiten hat, dass sie nicht mehr die Sowjetunion ist, ist es als große Länder sehr wichtig, zu verstehen, dass OSZE bedeutet, eingebunden zu sein. Es kann nicht um eine Achse Berlin-Moskau gehen in dem Sinne - das wäre ja gleichsam eine Rückkehr zu Bismarck -, dass wir uns schon wieder einigen werden. Vielmehr geht es um die kleineren Staaten, die zwischen diesen beiden großen Ländern liegen und immer wieder mit Argwohn auf Berlin, Moskau und diese mögliche Achse schauen. Es geht vor allen Dingen auch um die kleineren Staaten, die auf ihrem Weg zu Demokratie und innerer Freiheit durchaus mit der Bedrohung einer Rückkehr zu autoritären Systemen zu kämpfen haben. Dabei brauchen diese Staaten und ihre Bürgerinnen und Bürger die OSZE und den Schutz durch andere Teilnehmer. Ein Wort sei mir noch erlaubt zum Kernstück der OSZE, und das ist ODIHR.

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Frau Kollegin Beck, darf ich Sie trotzdem an die Redezeit erinnern?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - ODIHR ist massiv unter Druck, manchmal auch aus Deutschland. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen ODIHR als Kernstück der OSZE mit Haut und Haaren verteidigen. Schönen Dank. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Vielen Dank. - Nächster Redner ist der Kollege Franz Thönnes für die SPD. ({0})

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag zum deutschen OSZE-Vorsitz versteht sich als Unterstützung für die Bundesregierung und für den Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ist zugleich aber auch Selbstverpflichtung für uns und auch ein Dank an alle Aktiven in der OSZE. Es ist der Gedanke des Geistes von Helsinki, sich zusammenzufinden, sich auf Augenhöhe zu respektieren, sich im Dialog auf Grundlage einer pragmatischen friedlichen Zusammenarbeit zu verabreden, ohne gleich alles Bestehende als gut und richtig anzuerkennen. Die dabei vereinbarten Prinzipien schienen jahrzehntelang eine stabile Basis für eine Sicherheitsordnung in Europa zu sein. Doch Sicherheit und Vertrauen sind letzten Endes beschädigt worden. Beschädigt worden ist das Fundament des europäischen Hauses durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Doch an den zentralen Prinzipien der souveränen Gleichheit der Staaten, der Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt, der Unverletzlichkeit der Grenzen und der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten und der Achtung der Menschenrechte gibt es deswegen nichts zu rütteln. ({0}) Ich will kurz fünf nicht alles abdeckende Aspekte für das europäische Haus benennen. Erstens: Hausfrieden wieder herstellen durch Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Alle Unterzeichner bleiben gefordert. Die schleppenden Fortschritte geben leichte Hoffnung. Nach dem letzten Pariser Gipfel lässt sich zunehmend auch eine Verlässlichkeit Russlands erkennen. Dieser Weg ist gleichzeitig auch der Weg zum Abbau von Sanktionen. ({1}) Zweitens: Hausordnung einhalten und gestalten. Die Gültigkeit der Hausordnung kann durch die Unterschrift der Minsker Signaturmächte unter die Gipfelerklärung in Absatz 5 als gegeben angesehen werden. Hier heißt es: Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich unverändert zur Vision eines gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien der OSZE. Dieses Bekenntnis gilt es nun zu nutzen, um innerhalb der OSZE die aktuellen Herausforderungen anzugehen und gleichzeitig auch einen zügigen Dialog der Europäischen Union mit der Eurasischen Wirtschaftsunion zu initiieren. Aus meiner Sicht gehört dazu ebenso ein EU-Russland-Dialog über die jeweilige Nachbarschaftspolitik, und zwar unter Einbeziehung der Nachbarn, nicht über die Köpfe der Nachbarn hinweg. ({2}) Drittens gehört dazu: Hausversammlungen im Dialog abhalten. Beratungsforen für kooperative Sicherheit, konventionelle Rüstungskontrolle sowie vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen waren stets zentrale Themen des KSZE-Prozesses und der OSZE. Das heißt, Rüstungskontrollregime stärken, regelmäßige Dialoge von Militär und Politik, Erörterung jeweiliger Sicherheitsinteressen und die Weiterentwicklung des KSE-Regimes. Viertens gilt für die parlamentarische Versammlung der OSZE wie für die Regierungen: Gemeinsame Hausaufgaben machen, um Vertrauen zu schaffen. Wir haben das Diskussionsformat „Wiener Prozess“ entwickelt, in dem Abgeordnete der russischen und ukrainischen Delegationen mit anderen im Rahmen einer parlamentarischen Diplomatie zusammenkommen, um die Umsetzung von Minsk zu begleiten. Mit einem gemeinsamen Seminar in der deutsch-französischen Grenzregion haben wir angefangen. Wir werden Ende dieses Monats mit einem Seminar in der deutsch-dänischen Grenzregion weitermachen. Es geht darum, über das Thema Minderheiten zu diskutieren. Auch das ist ein Schwerpunkt der deutschen Präsidentschaft. Kooperativ gemeinsame Bedrohungen anzugehen wie den internationalen Terrorismus, Drogenhandel und Cyberattacken und irreguläre Migration abzuwehren, kann Zusammenarbeit und Vertrauen fördern. Fünftens geht es darum, die Hausgemeinschaft mit guter Nachbarschaft zu bilden. Zu einer friedlichen Gemeinschaft auf der Basis der Hausordnung im europäischen Haus gehört, die Begegnung der Menschen zu ermöglichen, insbesondere zwischen den verschiedenen Organisationen in den Zivilgesellschaften. Die Bundesregierung hat unsere volle Unterstützung, wenn es um solch einen Austausch geht, ganz besonders, wenn es um die Jugend geht. Vielleicht sollte man hier anfangen, den stillgelegten Prozess der Visaliberalisierung erneut zu beginnen und für zusätzliche Erleichterungen für junge Menschen zu sorgen. ({3}) Abschließend: Weil insbesondere Abgeordneten die Aufgabe des Dialoges und der Verantwortung für die öffentliche Diskussion sowie der Unterstützung des Helsinki +40 Prozesses zukommt, halten wir Einreiseverbote für Parlamentarier in diesem Zusammenhang für völlig kontraproduktiv. ({4}) Ich will mit einem Satz aus der Regierungserklärung von

Not found (Kanzler:in)

Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden, im Innern und nach außen. Das könnte ein gutes Motto für alle OSZE-Mitgliedstaaten sein. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002800

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Alexander Neu für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Alexander S. Neu (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004361, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Hardt, ein bisschen zu Ihrer Märchenstunde: Der russische Militärhaushalt beträgt 9 Prozent des NATO-Haushalts. Oder umgekehrt: Der NATO-Haushalt ist elfmal so groß wie der russische Militärhaushalt. Welches Schreckgespenst wollen Sie hier aufbauen? Hören Sie mit Ihrer Märchenstunde auf! ({0}) Aber kommen wir zum eigentlichen Thema. Die Übernahme des OSZE-Vorsitzes durch die Bundesrepublik Deutschland Anfang 2016 könnte die Chance für einen Neustart für die OSZE und für die europäische Sicherheit eröffnen. Könnte! ({1}) Der Antrag der Regierungsfraktionen hätte eine Grundlage dafür sein können. Hätte! Er ist es aber nicht. Im Forderungsteil heißt es zum Beispiel - ich zitiere -: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf ... weiterhin - ich unterstreiche: „weiterhin“ für einen gemeinsamen Sicherheitsraum zwischen Vancouver und Wladiwostok einzutreten ... Diese Aussage ist doppelt realitätsverdrehend: Wieso denn „weiterhin“? Dies unterstellt eine falsche Vergangenheit. Weder die NATO noch - erst recht nicht - die NATO-Osterweiterung oder die EU-Osterweiterung haben in irgendeiner Weise einen gemeinsamen Sicherheitsraum in Europa geschaffen. Wieso „weiterhin“? Das unterstellt ein konstruktives Vorhaben für die Zukunft. Das wird aus dem Antrag der Regierungsfraktionen aber nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Im Feststellungsteil heißt es: Die grundlegenden Elemente der europäischen Sicherheitsarchitektur, wie sie sich nach dem Ende des Kalten Krieges entwickelt haben, stehen hier in keiner Weise zur Disposition. Das heißt im Klartext: Weiter so wie bisher! NATO- und EU-Osterweiterung, sprich: weiter die Teilung Europas, wir gegen Russland. ({2}) Dieses Weiter-so sieht man auch an der völkerrechtlichen Argumentation in Ihrem Antrag; Herr Steinmeier hat sie ja gerade mit Blick auf die Ukraine und Russland noch einmal unterstrichen. Es ist schon amüsant, wie blind man in der Bundesregierung doch gegenüber den eigenen völkerrechtlichen Verbrechen ist, die man in den 90er-Jahren - bis heute - gegenüber Jugoslawien und dem Nachfolgestaat Serbien begangen hat. Bis heute! Übrigens: Auch Jugoslawien war ein Gründerstaat der KSZE. Aber das hat die anderen Gründerstaaten im Westen nicht daran gehindert, diesen Staat zu zerschlagen. Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt, grob gesagt, drei sicherheitspolitische Konzeptionen: Die erste und leider auch vorherrschende ist: europäische Sicherheit ohne oder gegen Russland. Sie wird vor allem von den USA und einigen osteuropäischen Staaten - nicht allen, aber einigen osteuropäischen Staaten favorisiert. Die zweite Konzeption lautet: europäische Sicherheit nicht gegen Russland, sondern besser mit Russland. Hier gibt es eine diskursive Annährung, auch in Deutschland. Jedoch hat das bislang noch keine praktische politische Relevanz. Deutschland, Frankreich, Ungarn und die Slowakei sind da zu nennen. Aber der Antrag, den Sie uns vorgelegt haben, fällt weit dahinter zurück. Es gibt auch einen dritten Ansatz - den sollten vor allem die Damen und Herren von der CDU/CSU und der SPD nicht übersehen -, nämlich europäische Sicherheit mit Russland, aber ohne die USA, ({3}) falls die USA weiterhin einen gesamteuropäischen Sicherheitsprozess mit Russland torpedieren. Es gibt eine wachsende Zustimmung in der deutschen Bevölkerung für genau diesen Ansatz. Kurzum: Was bisher als Sicherheit und Frieden von Vancouver bis Wladiwostok formuliert ist, könnte in Zukunft auch heißen: Sicherheit und Frieden von Lissabon bis Wladiwostok. Die Linke fordert vielmehr: Deutschland kann und muss der Motor einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur sein - mit Russland, mit oder ohne die USA. Ich danke Ihnen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jürgen Klimke ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Klimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003565, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Generalsekretär der OSZE! Als ich vor fünf, sechs Jahren hier im Deutschen Bundestag vor einer Besuchergruppe über Frieden in Europa diskutierte, fiel natürlich auch der Begriff „OSZE“. Ich musste ihn zunächst einmal erklären und die Aufgaben der OSZE darstellen. Die OSZE erschien vielen, sofern sie überhaupt eine Vorstellung von ihr hatten, als ein Relikt des Kalten Krieges und zumindest in sicherheitspolitischer Dimension als überflüssig. Wenn man die Frage nach der OSZE heute stellt, dann kommt man zu dem Ergebnis: Die OSZE ist den Menschen bekannt. Sie kennen die OSZE-Mission zur Überwachung des Waffenstillstands in der Ukraine, oder sie haben von den Wahlbeobachtungen gehört, zum Beispiel in der Ukraine, in Weißrussland oder, wie kürzlich, in der Türkei. Die OSZE wird dabei ganz selbstverständlich als notwendig angesehen. Allerdings fragen interessierte Bürger inzwischen auch ganz gezielt nach Defiziten und sehen Reformbedarf. Die OSZE ist heute also wieder gefragt. Die Erwartungen sind hoch - manchmal vielleicht zu hoch. Die Etablierung einer dauerhaften Sicherheitspartnerschaft im OSZE-Raum unter Einbeziehung Russlands, die uns in der Vergangenheit schon als Realität erschien, ist heute mehr denn je infrage gestellt. Der Ukraine-Konflikt und die Angst vor einer Eskalation bestimmen das außen- und sicherheitspolitische Handeln. Es besteht somit mehr denn je die Notwendigkeit, multilaterale Gesprächsformate zu etablieren, Waffenstillstände umzusetzen und zu überwachen und vertrauensbildende Maßnahmen zu etablieren. Auf all diesen Gebieten kann die OSZE das Miteinander fördern, weil nur hier unter Einbeziehung aller Beteiligten über die regionale Sicherheitslage diskutiert werden kann. Wir sind froh, dass die OSZE auch durch ihre Parlamentarische Versammlung unter Einbeziehung der russischen Abgeordneten ein Forum für die Diskussion bilden kann, ein Forum, in dem sich eben auch die russischen Delegierten den Beschlüssen unterordnen. Deshalb bin ich im Übrigen auch eindeutig gegen jede Form von Ausschluss der russischen Delegierten; denn das stellt die OSZE infrage. ({0}) Die Parlamentarische Versammlung der OSZE hat weiterhin einige Beauftragte für regionale und thematische Schwerpunkte ernannt. Ich selbst habe die Ehre, als Beauftragter für die Ostseeregion mit allen Akteuren dort an der Förderung der Kooperation und der Stärkung des Vertrauens mitzuwirken. Gerade dieser regionale integrative Ansatz ist die Stärke der OSZE und ermöglicht ihre Akzeptanz in den Mitgliedstaaten. Wir müssen diese Stärke immer mehr zu einem echten Kapital machen, indem wir die OSZE in die Lage versetzen, ihre Aufgaben effizienter wahrzunehmen. Dies ist ein wichtiges Ziel, das wir auch in unseren Antrag aufgenommen haben. Die Struktur der OSZE ist auf staatliche Akteure und nicht auf Bürgerkriege oder hybride Kriege ausgerichtet, in denen Separatisten, Freischärler oder Terroristen agieren. Wie können wir Verbrechen einzelnen Gruppen zuordnen? Wie können wir deeskalieren? Wie können wir solche Konflikte dauerhaft befrieden? Das sind Fragen, auf die wir im Rahmen der OSZE Antworten finden müssen. Wir treten deshalb dafür ein, dass die Empfehlungen der Hochrangigen Expertengruppe zur Reform der OSZE sorgfältig geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden, dass die mit dem Helsinki +40 Prozess verbundenen Reformen vorangebracht werden, und natürlich, dass die OSZE besser finanziert wird. Hier sind die Mitgliedstaaten in einer Pflicht, und es gehört auch zu den Aufgaben des deutschen Vorsitzes, bei den Mitgliedstaaten für eine bessere finanzielle Ausstattung zu werben. Meine Damen und Herren, trotz aller Erwartungen sollten wir auf dem Boden bleiben. Wir dürfen die OSZE nicht mit überzogenen Wünschen überfrachten - auch nicht den deutschen Vorsitz der OSZE im Jahre 2016. Ich weiß, dass wir - das wurde auch in der Öffentlichkeit immer wieder deutlich - einen großen Erwartungsdruck haben. Das gilt noch viel stärker hinsichtlich der Lösung des Ukraine-Konflikts als in Bezug auf die notwendigen Reformen der OSZE selbst. Dabei wissen wir, dass die OSZE diesen Konflikt nicht aus sich heraus beenden kann. Sie kann ein Gesprächsforum anbieten, Missverständnisse ausräumen und die Akzeptanz bei Kompromissen fördern; ihre eigentliche Stärke besteht aber in der Umsetzung von Vereinbarungen und in der Überwachung von Absprachen. Gleichwohl kann Deutschland im Rahmen seines Vorsitzes für die Bewältigung der Ukraine-Krise sein politisches Kapital einbringen, nämlich das Vertrauen, das wir auf beiden Seiten genießen. Die OSZE hat sich über 40 Jahre lang entwickelt und neue Aufgabenfelder besetzt. Sie verfügt auch heute über eine Dimension, die sich der demokratischen Entwicklung und der Stärkung der Menschenrechte verschreibt. Diese sogenannte menschliche Dimension der OSZE muss erhalten bleiben und gestärkt werden. ({1}) Gerade Meinungs- und Medienfreiheit sowie Minderheitenschutz gehören weiterhin zum essenziellen Aufgabenspektrum der OSZE. Die Betonung der menschlichen Dimension der OSZE fordern wir deshalb auch in unserem Antrag, trotz der aktuellen sicherheitspolitischen Krisen. Hier gibt es zudem einen Zusammenhang, gehören doch gerade die Wahlbeobachtungen zu den sicherheitsrelevanten Maßnahmen. Durch den durch die OSZE legitimierten demokratischen Ablauf von Wahlen ist zum Beispiel in der Ukraine die Situation vor Ort sichtbar stabilisiert worden. Die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages arbeiten sehr engagiert in der Parlamentarischen Versammlung. Wir nehmen Anteil an den Tagungen der OSZE, sind als Wahlbeobachter tätig. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dass wir als Parlamentarier die OSZE in ihrer Arbeit unterstützen. Eine derartige Diskussion und Anträge, wie sie heute vorliegen, gehören einfach dazu. Lassen Sie uns gemeinsam, Koalition und Opposition, den deutschen OSZE-Vorsitz im Jahr 2016 begleiten. Lassen Sie uns an einer Stärkung der OSZE mitwirken. Denn wir brauchen die OSZE heute dringender denn je. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Katja Keul erhält das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Generalsekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juli waren wir mit der deutschen Delegation der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Helsinki, 40 Jahre nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte. Nach einer Geburtstagsfeier war die Stimmung dort allerdings nicht. Der Geist von Helsinki, den wir alle so gerne beschworen hätten, war der Veranstaltung ferngeblieben. Das finnische Außenministerium war leider der irrigen Auffassung gewesen, die EU-Sanktionen fänden auch auf die russischen Delegationsmitglieder in der Parlamentarischen Versammlung Anwendung, und verweigerte ihnen die Einreise. Das war, um es mit den Worten der Kollegen der Koalition zu sagen, kontraproduktiv. Der Vorfall verdeutlicht aber nur zu gut, vor welcher Herausforderung die deutsche Präsidentschaft im nächsten Jahr steht. Das gemeinsame Gespräch zwischen den 57 Mitgliedstaaten ist in vielen Bereichen das Einzige, was uns noch geblieben ist. Die 1990 in Paris vereinbarten vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen müssen daher dringend wiederbelebt werden. Darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Da ist zunächst der KSE-Vertrag über die konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa. Nach einem ersten erfolgreichen Jahrzehnt wurde der Vertrag gemeinsam überarbeitet und der veränderten Realität in Europa angepasst. Leider haben die NATO-Staaten 1999 die Ratifizierung des angepassten Vertrages verweigert in der fälschlichen Hoffnung, Russland damit zum Abzug seiner Truppen aus Abchasien und Transnistrien zwingen zu können. 2007 hat dann seinerseits Russland den Vertrag insgesamt suspendiert. Seitdem finden keine gegenseitigen Inspektionen mehr statt, und Russland arbeitet nicht einmal mehr in der Gemeinsamen Beratungsgruppe mit. Der gegenseitige Austausch von Informationen und Verifikationsinspektionen fehlt uns heute mehr denn je. ({0}) Mangelnde Informationen über militärische Bestände schaffen zusätzliches Misstrauen auf beiden Seiten und führen zu gegenseitigen Drohgebärden und Provokationen, wie wir sie seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt haben. Die zu geringen Notifikationspflichten des Wiener Dokuments können den KSE-Vertrag nicht ersetzen. Die deutsche Präsidentschaft muss daher alles tun, um die Rückkehr zum KSE-Vertrag zu ebnen. ({1}) Mindestens aber, sozusagen als Plan B, müssen das Wiener Dokument überarbeitet und die Quoten erhöht werden. Ein Hoffnungsschimmer in dieser Eiszeit sind die weiterhin stattfindenden Beobachtungsflüge gemäß dem Vertrag über den Offenen Himmel. Auf diesem Wege findet noch eine regelmäßige Beobachtung militärischer Aktivitäten statt, sogar über der Ostukraine. Und ausgerechnet hier mangelt es Deutschland seit Jahren an geeignetem Flugmaterial. Jedenfalls seit ich im Bundestag bin - das sind sechs Jahre -, reden wir darüber, wie dringend dieses Flugzeug gebraucht wird, für das immer irgendwie kein Geld da war. ({2}) Wenn ich daran denke, wie viele Milliarden wir schon für mangelhaftes oder flugunfähiges Gerät an EADS aus dem Verteidigungshaushalt ausgegeben haben, dann tut mir das richtig weh. Wie ich höre, soll es jetzt das OpenSky-Flugzeug tatsächlich geben - endlich. Es wäre aber auch wirklich lamentabel, wenn ausgerechnet diese letzte funktionierende vertrauensbildende Maßnahme während der deutschen Präsidentschaft mangels Flugzeug hätte eingestellt werden müssen. ({3}) Vielleicht gelingt es der Bundesregierung ja sogar, die von diesem Vertrag abgedeckten Gebiete auszudehnen, an dem bislang 34 von 57 OSZE-Mitgliedstaaten teilnehmen. Um in diesen schwierigen Zeiten wieder Vertrauen aufzubauen, dürfte die Stärkung der noch existierenden Instrumente realistischer sein als der Abschluss neuer Verträge. Dennoch darf die Ratifizierung des KSE-Vertrages bei allen Schwierigkeiten nicht aus den Augen verloren werden. Als Grüne plädieren wir eindringlich dafür, die allseits stattfindende Aufrüstungsspirale einzudämmen, und unterstützen den Außenminister in seinem erkennbaren Bemühen um verbale Abrüstung zwischen Ost und West. ({4}) Was die Rüstungskontrolle angeht, sehen wir aber bei der Kontrolle der eigenen Exporte durchaus noch Luft nach oben. Unsere Vorschläge für ein Rüstungsexportkontrollgesetz liegen Ihnen vor. Anlässlich der Ergebnisse der letzten Sitzung des Bundessicherheitsrates erinnere ich an dieser Stelle an das Dokument über Kleinwaffen und leichte Waffen, das die OSZE im Jahr 2000 verabschiedet hat. ({5}) Nutzen Sie die Präsidentschaft also nicht nur dafür, zwischen den anderen zu vermitteln, sondern auch dazu, selbst mit gutem Beispiel in Sachen Rüstungskontrolle voranzugehen. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Fabritius für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Dr. h. c. Bernd Fabritius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Generalsekretär! Meine Damen und Herren! 40 Jahre nach Helsinki und 25 Jahre nach Paris beschwört der Antrag, sich des freiheitlichen und zukunftsweisenden Geistes dieser beiden Ereignisse zu erinnern. Sie, Herr Außenminister, haben diesen Geist mit einem Zitat aus den Archiven untermauert und auch verdiente Politiker genannt, die diesen Geist befördert haben. Ich ergänze die Aufzählung um Namen wie Helmut Kohl und Franz Josef Strauß und viele andere. Leider gesellen sich zu diesem Geist von Helsinki inzwischen auch die Geister von Simferopol, von Do nezk und Luhansk. Lieber Herr Dr. Neu, außer der Linken findet das hier niemand amüsant. 25 Jahre nach der Unterzeichnung der Charta von Paris, welche die Spaltung Europas für beendet erklärte, müssen wir feststellen, dass die Bruchstellen in unserer Friedensordnung und unserer Sicherheitsarchitektur sich wieder deutlicher zeigen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa erneut dringend gebraucht wird. In dieser schwierigen Lage übernimmt Deutschland 2016 den Vorsitz in der OSZE. Damit sind zu Recht große Hoffnungen verbunden. Angesichts der alles überlagernden Flüchtlingsproblematik ist der Konflikt in der Ostukraine vielleicht nicht ganz in Vergessenheit geraten. In der öffentlichen Wahrnehmung ist er jedoch deutlich gesunken. Der OSZE kommt bei der Beilegung dieses Konfliktes eine entscheidende Rolle zu. Ich empfehle jedem, die fast täglich aktualisierten Berichte der OSZE-Beobachtermission zu lesen. Man kann so die Fieberkurve des Konflikts in den verschiedenen Regionen detailliert nachverfolgen. Die Mission verzeichnete zum Beispiel vergangenen Donnerstag 52 Explosionen und schweres Maschinengewehrfeuer am Hauptbahnhof von Donezk. Von einem effektiven Waffenstillstand kann keine Rede sein. Ja, meine Damen und Herren, die Ukraine ist nicht die einzige Sorge, die uns momentan umtreibt. Die derzeitige Gewichtung des Konflikts wird dessen Bedeutung für die Sicherheit in Europa jedoch nicht gerecht. Unter schwierigen Umständen dauert die Kontrolle des in Minsk vereinbarten Abzugs schwerer Waffen an, wobei die OSZE-Beobachter auf die Mitwirkung der Konfliktparteien essenziell angewiesen sind. Das Fehlen einer angemessenen technischen Ausstattung sowie mangelnde Durchsetzungsmöglichkeiten stellen die OSZE vor erhebliche Probleme. ({0}) Besonders der Zugang zu den Stellungen der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk wird den Beobachtern verwehrt. Auch wenn es sich hier um nichtstaatliche, irreguläre Kampftruppen handelt, darf doch erwartet werden, dass diese sich an die in Minsk getroffenen Vereinbarungen halten. ({1}) Die Einschätzung, die OSZE habe seit der Jahrhundertwende an Bedeutung verloren, teile ich nicht. Sie hat sich in einer Zeit relativen Friedens lediglich neue Schwerpunkte gesucht. Wichtig war, dass im entscheidenden Moment die wesentlichen Strukturen der politisch-militärischen Komponente reaktiviert werden konnten. Die daraus resultierenden, in der Ukraine gemachten Erfahrungen müssen jedoch ausgewertet werden und in ein neues Krisenreaktionskonzept der OSZE einfließen. Sollten sich derartige Krisen wiederholen - das Potenzial dafür ist leider vorhanden -, darf es nicht wie im aktuellen Fall zu einer Reaktivierung alter Mechanismen kommen, sondern zu einer schnellen, effektiven Reaktion auf Basis eines neuen Krisenmanagements, das der veränderten Sicherheitslage angepasst ist. Im Antrag ist von einer 15-köpfigen Expertengruppe die Rede, welche hierzu Empfehlungen erarbeiten soll, die unter dem deutschen Vorsitz dann auch umgesetzt werden könnten. Ich greife beispielhaft zwei Punkte im Antrag heraus, die mir besonders zielführend erscheinen. Das ist zum einen die Aufforderung, einen Schwerpunkt des Vorsitzes auf den Bereich des Krisenmanagements zu legen und hierfür die Krisenreaktions- und Krisenmanagementfähigkeiten über den gesamten Konfliktzyklus zu verbessern. Auch die Priorisierung der Konfliktprävention und eine entsprechende Stärkung des heute auch anwesenden Generalsekretärs sind eminent wichtig. Ich bin froh, dass der Antrag darüber hinaus „eine starke politische Führung durch einen handlungsfähigen Vorsitz“ fordert. Ich bin jedoch gleichsam der Meinung, dass dies bezogen auf den deutschen Vorsitz und angesichts dieser Bundesregierung selbstverständlich ist. Ein Beispiel zu meinem zweiten Punkt, einer Stärkung der Konfliktprävention, sind die Minderheitenrechte: Viele der aktuellen Konflikte sind ethnisch und religiös begründet. In anderen Fällen, zum Beispiel auf der Krim oder in der Ostukraine, werden Mehrheiten und ethnische Minderheiten gegeneinander ausgespielt. Aus diesem Grund ist die Arbeit der Hohen Kommissarin für nationale Minderheiten der OSZE für die Konfliktprävention und Konfliktlösung in ihrem frühestmöglichen Stadium von entscheidender Bedeutung. Sie agiert als eine Art Frühwarnsystem für Konflikte, bevor diese eine nicht mehr kontrollierbare Eigendynamik entwickeln. Für eine verbesserte Konfliktprävention muss ihre Stellung daher weiter gestärkt werden. Lassen Sie mich mit einer ganz persönlichen Erinnerung schließen: Was bereits 1966 in Bukarest im Ansatz angelegt und dann durch die Schlussakte von Helsinki 1975 beschlossen wurde, hat mich und viele Mitmenschen hinter dem Eisernen Vorhang andauernd begleitet: Es gab keinen Eingabebrief, den meine Eltern an die Behörden des Ceausescu-Regimes geschrieben hatten, um für uns Kinder Freiheit zu erstreiten, der nicht in seiner Einleitung auf die Konferenz von Helsinki und die in der Schlussakte zugesagte - ich zitiere - „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten … für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion“ erinnerte. Mir hat dieses Ereignis damals große Hoffnung gemacht. Ich wünsche mir, dass der deutsche OSZE-Vorsitz diese Hoffnung auf eine Festigung des Friedens und der Freiheit in Europa weiter in die Zukunft trägt. Danke. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Christoph Bergner ist der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Herr Generalsekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner einer solchen Debatte steht man in der Pflicht, die eigenen Aussagen in das Licht des schon Gesagten zu rücken. Ich will dies versuchen. Ich stelle fest: Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages begrüßen den Vorsitz Deutschlands in der OSZE im nächsten Jahr. Ich würde aus dieser Begrüßung auch gerne eine Unterstützung der Bundesregierung ableiten. ({0}) Zweiter Punkt. Wir alle wissen - deshalb ist mir diese Unterstützung so wichtig -, dass dieser Vorsitz mit einer ungewöhnlichen Verantwortung verbunden ist ungewöhnlich deshalb, weil wir uns in kritischen Zeiten befinden. Der Bundesaußenminister hat an anderer Stelle von stürmischen Zeiten gesprochen, in denen wir die Kommandobrücke betreten. Die Zeiten sind konfliktbeladen. Zu diesem Schluss kommen wir, wenn wir den Raum außerhalb der OSZE betrachten. So wird die Forderung an die OSZE erhoben, im Rahmen des Outreachings konfliktregulierend über den eigenen Raum hinaus tätig zu werden. Die Konferenz von Jordanien, die der Bundesaußenminister erwähnte, zeigt, dass wir in diesem Zusammenhang aufgrund der Kooperationserfahrungen der OSZE durchaus entsprechende Angebote machen können. Noch kritischer in diesen unruhigen Zeiten ist die Krise innerhalb der OSZE. Frau Keul hat die Parlamentarische Versammlung von Helsinki, die eigentlich eine Jubiläumsveranstaltung war, in Erinnerung gerufen, die tatsächlich symptomatisch für die innere Krise der OSZE gewesen ist. Wer die mehrheitlich beschlossenen Texte liest, der findet Stichworte wie zum Beispiel „tiefe Missbilligung der russischen Aggression gegen die Ukraine einschließlich der Annexion und Besetzung der Krim“ oder „Bedauern über den Austritt Russlands aus dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte“, um nur zwei Beispiele zu nennen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Einen Augenblick, Herr Kollege Bergner. - Alle Kolleginnen und Kollegen, die in der zutreffenden Annahme, dass nachher wieder abzustimmen ist, den Saal betreten, bitte ich dringend, Platz zu nehmen. Es wird ohnehin über die Rede des Kollegen Bergner hinaus - dann eine gewisse Zeit brauchen, weil noch mehrere Abstimmungen durchzuführen sind. Niemand sollte sich zumuten, das im Stehen zu machen. Deswegen bitte ich hier um ein geordnetes Verfahren. Bitte, Herr Bergner.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte dazu auffordern, dass das, was ich als innere Krise der OSZE bezeichne, von uns ernst genommen wird, und zwar in dem Sinne, dass wir uns darüber klar werden, dass es hier um die geistigen Fundamente der OSZE geht. Wir werden in wenigen Tagen, am 21. November, den 25. Jahrestag der Charta von Paris für ein neues Europa als zentrales Grundsatzdokument der jüngeren OSZE-Geschichte begehen können. Wenn wir da lesen, dass die Vision eines Europas aus lauter demokratischen Staaten von Vancouver bis Wladiwostok gepflegt wurde, und das mit der heutigen Wirklichkeit vergleichen, dann haben wir festzustellen, dass sich ganz offensichtlich Risse in den Wertgrundlagen zeigen. Diese dürfen wir nicht ignorieren. ({0}) Viele Mitgliedstaaten sind beim Aufbau nachhaltiger demokratischer Strukturen gescheitert. Die Sicherung der Menschenrechte hat sich als nicht überall durchsetzbar erwiesen. Von prominentester Bedeutung ist die Entwicklung in der Russischen Föderation, wo nach meinem Eindruck Systemerhalt und Systemstärkung eindeutig Priorität vor den persönlichen Rechten der Bürger bekommen haben und wo im Interesse eines starken Staates das Wohl des Einzelnen auf grundsätzliche Weise der Staatsräson untergeordnet ist. Vor diesem Hintergrund brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, dass - ausgehend von einem solchen Bild eines starken Staates - auch die Einhaltung völkerrechtlicher Normen dem Interesse des starken Staates untergeordnet wird. Auf diese Weise würde ich gerne die gegenwärtigen Konflikte innerhalb der OSZE sehen, nicht um die OSZE zu schwächen, sondern um den Stärkungsprozess der OSZE, der mit der deutschen Ratspräsidentschaft verbunden sein soll, auf ein ehrliches Fundament zu stellen. Die Kunst des deutschen OSZE-Vorsitzes wird deshalb darin bestehen, dass wir auf der einen Seite für die Stärkung der OSZE - das bedeutet für mich die Stärkung aller Dimensionen der OSZE - eintreten und auf der anderen Seite die Risse und die Konflikte betreffend die Wertgrundlagen der OSZE nicht bagatellisieren und nicht ignorieren. ({1}) Nur auf ehrlichen Wertgrundlagen werden wir in der Lage sein, eine wirkliche Stärkung der OSZE herbeizuführen. Dies ist keine einfache Aufgabe. Ich wünsche unserer Bundesregierung und unserem Bundesaußenminister dafür viel Erfolg. Danke schön. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/6641 mit dem Titel „40 Jahre nach Helsinki, 25 Jahre nach Paris“. Wer stimmt diesem Antrag zu? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag bei Enthaltung der Opposition angenommen. Unter dem Tagesordnungspunkt 6 b rufe ich die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Den deutschen Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 2016 für Frieden und Abrüstung nutzen“ auf. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6377, diesen Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/5108 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Tagesordnungspunkt 6 c stimmen wir ab über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 zur Stärkung der OSZE nutzen“. Auch hier empfiehlt der Ausschuss auf seiner Drucksache 18/6375, diesen Antrag abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 33. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung ({0}) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems ({1}) für bundesrechtlich geregelte Heilberufe und andere Berufe Drucksache 18/6616 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({2}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Doris Wagner, Agnieszka Brugger, Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Radargeschädigte der Bundeswehr und der ehemaligen NVA zügig entschädigen Drucksache 18/6649 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss Hier geht es um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 34 a bis 34 k. Hier geht es um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 34 a auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittelspezialitätengesetzes Drucksache 18/6164 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft ({3}) Drucksache 18/6670 Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/6670, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/6164 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das scheinen alle zu sein. Ist jemand dagegen, oder möchte sich jemand enthalten? - Das ist nicht der Fall. Großer Triumph für die Bundesregierung. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer will dagegenstimmen oder sich der Stimme enthalten? - Damit ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 34 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. März 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/6449 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4}) Drucksache 18/6666 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6666, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/6449 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist dieser Gesetzentwurf bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 34 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({5}) Nr. 1007/2011 und zur Ablösung des Textilkennzeichnungsgesetzes Drucksache 18/6488 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({6}) Drucksache 18/6662 Hier empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft und Energie in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6662, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6488 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Abstimmungsergebnis, also mit auskömmlicher Mehrheit, angenommen. Tagesordnungspunkt 34 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ({7}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Birgit Menz, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Meeresumweltschutz national und international stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Peter Meiwald, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz der Meere weltweit verankern Drucksachen 18/4809, 18/4814, 18/5243 Hier empfiehlt der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5243 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/4809 mit dem Titel „Meeresumweltschutz national und international stärken“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Opposition mit Mehrheit angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4814 mit dem Titel „Schutz der Meere weltweit verankern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Niemand. Damit ist diese Beschlussempfehlung überraschenderweise mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 34 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Azize Tank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Doppelstandards beenden - Fakultativprotokoll zum UN­Sozialpakt zeichnen und ratifizieren Drucksachen 18/4332, 18/6184 Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6184, diesen gemeinsamen Antrag der beiden Oppositionsfraktionen mit dem Titel „Doppelstandards beenden - Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt zeichnen und ratifizieren“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 34 f bis 34 k. Tagesordnungspunkt 34 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 243 zu Petitionen Drucksache 18/6561 Präsident Dr. Norbert Lammert Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 243 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 34 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 244 zu Petitionen Drucksache 18/6562 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Sammelübersicht ist bei Enthaltung der anwesenden Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. ({11}) - Die Linke legt Wert darauf, dass sie dieser Sammelübersicht nicht zustimmt, was wir hiermit auch im Protokoll vermerken. Tagesordnungspunkt 34 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 245 zu Petitionen Drucksache 18/6563 Zu dieser Sammelübersicht hat der zuständige Berichterstatter Gero Storjohann zu einer kurzen ergänzenden Erläuterung um das Wort gebeten, für die er selbstverständlich die Gelegenheit erhält. Ein Hinweis für die zahlreichen Kollegen am Ende des Plenarsaales: Wäre es nicht eine gute Idee, sich diese erhellenden Erläuterungen im Sitzen anzuhören? ({13}) Bitte, Herr Kollege.

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Petitionsausschuss bearbeitet pro Jahr an die 15 000 Petitionen und hat es Ihnen bisher erspart, jede einzelne Petition hier im Plenum vorzustellen und zu beraten. ({0}) Wenn es aber vorkommt, dass der Petitionsausschuss einstimmig mit großem Votum eine Empfehlung an die Bundesregierung ausspricht, dann halten wir es für angemessen, hier einmal vorzutragen, wie es zu diesem Votum gekommen ist. So haben wir es im Ausschuss beschlossen. Ein Abgeordneter hat dann die schöne Aufgabe, vor großem Publikum zu sprechen. Ich danke recht herzlich. ({1}) Wir haben am 4. November 2015 vier sachgleiche Petitionen zur Beratung vorliegen gehabt, von denen eine öffentlich war. Es ging eigentlich darum, dass man sich über mangelnde Kontrolle auf unseren Autobahnen beschwerte, und zwar im Hinblick auf ausländische Lkw, die auch Kabotage vornehmen. Kabotage bezeichnet das Erbringen von Transportdienstleistungen innerhalb eines Landes. Kabotage durch ausländische Verkehrsunternehmen haben wir zugelassen, damit keine Leerfahrten entstehen: So fahren beispielsweise Lkw, die von Warschau nach Frankfurt fahren, nach Warschau auch mit etwas Ladung zurück. Mangelnde Kontrolle konnten wir nicht nachweisen. Kontrolle findet sehr wohl statt. Wenn irgendwo Fehler passieren, dann eher bei deutschen als bei ausländischen Unternehmen. Was aber auch kritisiert wurde, sind die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern. Hier geht es um die Ruhezeiten. Wir wollen nicht mehr, dass die Lkw-Fahrer immer nur in ihren Lkw übernachten müssen. ({2}) Vielmehr sollen Lkw-Fahrer ihre Ruhezeiten auch woanders abhalten können. Dieses Problem hat die Bundesregierung dankenswerterweise erkannt, und sie ist dabei, im Fahrpersonalgesetz entsprechende Änderungen vorzunehmen. Wir möchten, dass solche Änderungen europaweit vollzogen werden. Deswegen lautet unser Votum, die Petitionen der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen und den Fraktionen, Herr Kauder, zur Kenntnis zu geben. Zudem sollen sie dem Europäischen Parlament zugeleitet werden. Wir hoffen, dass das alles Früchte trägt. Die Arbeit im Petitionsausschuss macht Spaß. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dieser Hoffnung schließt sich das Präsidium an. - Ich rufe damit zur Abstimmung über die gerade noch einmal in einem wichtigen Punkt erläuterte Sammelübersicht 245 auf der Drucksache 18/6563 auf. Wer stimmt dafür? - Alle. Wer stimmt dagegen? - Keiner. Wer enthält sich? - Auch keiner. Wie schön. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis Ihrer Intervention, Herr Kollege Storjohann; ({0}) denn ohne Ihre Erläuterung wäre dieses stolze Ergebnis ganz sicher so nicht zustande gekommen. Tagesordnungspunkt 34 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 246 zu Petitionen Drucksache 18/6564 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 246 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 34 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 247 zu Petitionen Drucksache 18/6565 Präsident Dr. Norbert Lammert Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 247 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 34 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 248 zu Petitionen Drucksache 18/6566 Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen ist die Sammelübersicht 248 mit Mehrheit angenommen. Damit sind wir mit den Abstimmungen zu diesem Ta- gesordnungspunkt fertig. Wir kommen jetzt zu den Wahlgängen. Wir werden gleich nacheinander zwei Wahlen durchführen, für die Sie Ihren grünen und Ihren gelben Wahlausweis benö- tigen. Die meisten von Ihnen werden auch einen blauen Wahlausweis vorgefunden haben. Den können Sie ver- nichten oder als Souvenir an die heutige denkwürdige Plenarsitzung mit nach Hause nehmen. Jedenfalls brau- chen wir den heute nicht. Die Wahlausweise können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Achten Sie unbedingt darauf, dass die Wahlausweise Ihren Namen tragen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf: Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremi- ums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaus- haltsordnung Drucksache 18/6629 Die Fraktion Die Linke schlägt auf Drucksa- che 18/6629 den Abgeordneten Roland Claus vor. Bevor wir zur Wahl kommen, muss ich Ihnen nun die sorgfältig geregelten Prozeduren kurz erläutern. Laut Gesetz ist gewählt, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint - also nicht der Anwesenden, sondern der gesetzlichen Mitglieder des Bundestages -, das heißt, wer mindestens 316 Stim- men erhält. Die Wahl erfolgt mit der Stimmkarte und dem Wahlausweis in der grünen Farbe. Die Stimmkarten wer- den im Saal verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, besteht noch die Möglichkeit, diese bei den Plenar- assistenten abzuholen. Diese Wahl findet offen statt. Sie können Ihre Stimmkarte also an Ihrem Platz ankreuzen. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei „Ja“, „Nein“ oder „Enthalte mich“. Ungültig sind demzufol- ge Stimmkarten, die entweder kein Kreuz, mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen Ihren grünen Wahlaus- weis. Der gilt als Nachweis der Teilnahme an der Wahl. Ohne diesen grünen Wahlausweis ist dieser Nachweis nicht zu führen. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Nein. Die Opposition wird gebraucht. - Ich bitte jetzt Frau Keul stellvertretend für die geballte Op- position, diese Rolle zu spielen. Haben wir ein ähnliches Problem an den anderen Urnen? - Nein. Dann eröffne ich den ersten Abstimmungsvorgang. Ich frage, ob ein anwesendes Mitglied des Hauses sei- ne Stimmkarte noch nicht abgegeben hat. - Das ist nicht erkennbar. Damit schließe ich diesen ersten Wahlgang.1) Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 8 auf: Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes Drucksache 18/6630 Bevor ich auch hier zur Erläuterung des Verfahrens komme, bitte ich um Aufmerksamkeit für folgenden Hinweis: Die Wahl, die wir jetzt durchführen, ist geheim. Warum? Weil wir das so festgelegt haben! ({4}) Die Wahl vorher war nicht geheim. Warum? Weil wir das auch so festgelegt haben! Wenn ich die Relevanz der beiden Vorgänge betrachte, fällt es mir außerordentlich schwer, eine offenkundig schlüssige Logik in den unterschiedlichen Wahlverfahren zu erkennen. ({5}) Warum die Mitglieder des Vertrauensgremiums nach unserer Haushaltsordnung offen gewählt werden können, dagegen die Mitglieder des Sondergremiums nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz nicht, erschließt sich nicht wirklich. (Marieluise Beck ({6}) [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Warum fällt das dem Herrn Präsidenten erst jetzt ein? - Thomas Strobl ({7}) [CDU/CSU]: Das ist ein Witz!) Ich trage es übrigens nur deswegen vor, weil ich schon einen vergeblichen Anlauf im Ältestenrat hinter mir habe, eine Reihe ähnlich unplausibel unterschiedlicher Wahlverfahren in einer vernünftigen Weise zu harmonisieren. Deswegen würde ich mir für den fälligen zweiten Anlauf gern die Zustimmung des Hauses dazu einholen, dass wir das endlich bereinigen. ({8}) Ist jemand anderer Meinung? - Das ist nicht der Fall. Dann nehmen wir das als einmütige Willensbekundung zu Protokoll. ({9}) Die Fraktion Die Linke schlägt auf der Drucksa- che 18/6630 das bisherige stellvertretende Mitglied Ro- land Claus als ordentliches Mitglied und das bisherige 1) Ergebnis Seite 13285 C Präsident Dr. Norbert Lammert ordentliche Mitglied Dietmar Bartsch als Stellvertreter vor; die Funktionen sollen also getauscht werden; geheim getauscht, versteht sich. Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich erneut um Ihre Aufmerksamkeit für die Hinweise zum Wahlverfahren: Zur Wahl sind die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, also wiederum mindestens 316 Stimmen, erforderlich. Für diese Wahl benötigen Sie Ihren gelben Wahlausweis, der, soweit noch nicht geschehen, den Stimmkartenfächern in der Lobby zu entnehmen ist. Die Wahlunterlagen erhalten Sie von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen vor den Wahlkabinen. Dort zeigen Sie bitte Ihren Wahlausweis vor. Sie erhalten dann die gelbe Stimmkarte für die Wahl des ordentlichen Mitglieds und eine blaue Stimmkarte für die Wahl des stellvertretenden Mitglieds sowie einen Wahlumschlag. Auf jeder der beiden Stimmkarten können Sie jeweils ein Kreuz machen, also mit „Ja“ oder „Enthalte mich“ votieren. Ungültig sind Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten. Die Wahl ist geheim. Das heißt, Sie dürfen Ihre beiden Stimmkarten nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen beide Stimmkarten noch in der Wahlkabine in den Wahlumschlag legen - anderenfalls wäre die Stimmabgabe ungültig; die Wahl könnte in diesem Fall vorschriftsmäßig wiederholt werden -; darauf werden die Schriftführerinnen und Schriftführer achten. Bevor Sie den Wahlumschlag in die Wahlurne werfen, müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer an der Wahlurne Ihren gelben Wahlausweis übergeben, der auch hier als Nachweis für die Beteiligung an der Wahl gilt. Kontrollieren Sie bitte noch einmal, ob der gelbe Wahlausweis Ihren Namen trägt. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die Plätze einzunehmen. Bevor ich diesen Wahlgang eröffne, weise ich nochmals darauf hin - was sich eigentlich von selbst versteht -, dass, wie vorhin erläutert, dieser blaue Wahlausweis zwar nicht zusätzlich gebraucht wird, aber hoffentlich niemand auf die Idee kommt, seine blaue Stimmkarte zu vernichten, es sei denn, er wolle sich an diesem Wahlgang nicht beteiligen. - Damit eröffne ich jetzt diesen Wahlgang. Ist jemand im Saal, der seine Stimmzettel noch nicht abgegeben hat? ({10}) - Ach! Ich habe die Prozession da oben übersehen.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das ist jetzt die letzte Chance, die Stimmkarte abzugeben. Wir haben noch eine lange Tagesordnung vor uns. Nach meinem Überblick ist es jetzt so, dass alle ihre Stimmkarten abgegeben haben. Gibt es hier oben links noch jemanden? - Nein, das ist nicht der Fall. Hier auf der rechten Seite gibt es auch niemanden mehr. Dann schließe ich jetzt die Wahl und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- ginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich darf Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Ab- satz 2 der Bundeshaushaltsordnung bekannt geben: ab- gegebene Stimmen 582, ungültige Stimmen 3, gültige Stimmen 579. Mit Ja haben gestimmt 464, mit Nein 72, Enthaltungen 43. Damit wurde die erforderliche Mehr- heit erreicht, und der Abgeordnete Roland Claus ist ge- wählt.2) ({0}) Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: 9. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Anja Weisgerber, Marie-Luise Dött, Andreas Jung, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Frank Schwabe, Dr. Matthias Miersch, Marco Bülow, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD Klimakonferenz in Paris muss ehrgeizi- ges Abkommen beschließen Drucksache 18/6642 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Claudia Roth ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Auf der Klimakonferenz in Paris die Weichen für mehr Klimaschutz und glo- bale Gerechtigkeit stellen Drucksache 18/6648 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaverhandlungen - Kohlendioxid als Umweltschadstoff definieren, Betriebszeiten von Kohlekraftwerken begrenzen Drucksache 18/3313 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({2}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre hier keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. 1) Ergebnisse Seite 13293 A 2) Anlage 2 Präsident Dr. Norbert Lammert Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks für die Bundesregierung. - Bitte schön, Frau Bundesministerin. ({3})

Dr. Barbara Hendricks (Minister:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme gerade von umweltpolitischen Gesprächen in China zurück. Ich war bis gestern Nacht in Peking. Die Signale, die ich von dort mitgenommen habe, machen mich für die anstehenden Verhandlungen in Paris sehr zuversichtlich. Auch China will ein ehrgeiziges und bindendes Klimaabkommen. Auch China will die Erderwärmung auf maximal 2 Grad begrenzen. Ähnliche Signale kommen auch aus Brasilien und aus den Vereinigten Staaten. In Kanada hat sich die neue Regierung zu einer engagierten Klimaschutzpolitik bekannt. Insgesamt haben bereits 162 Länder ihre beabsichtigten nationalen Minderungsziele bei der UNO eingereicht. Damit sind über 90 Prozent aller Treibhausgasemissionen schon umfasst. Natürlich: In Paris liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Wir brauchen einen Vertrag, den alle 195 Länder dieser Erde mittragen können. Das wird nicht einfach werden. Aber wir waren einem neuen Klimaschutzabkommen noch nie so nah wie heute. Ich werde in Paris alles daransetzen, damit die Konferenz ein Erfolg wird. Klar ist: Paris wird nicht der Endpunkt der internationalen Klimaschutzpolitik sein. Wir werden nicht am 14. Dezember aufwachen, und alle Probleme sind gelöst. Gleichwohl bin ich zuversichtlich, dass Paris ein Meilenstein sein wird, ein Meilenstein, der nach den vielen Rückschlägen der Vergangenheit deutlich machen wird, dass sich die Weltgemeinschaft dieser Aufgabe stellt. ({0}) Ich danke den Koalitionsfraktionen für ihren Antrag und die damit verbundene Unterstützung für unsere gemeinsame Arbeit. Ich danke auch den Grünen und der Linken. ({1}) Ich weiß, es ist natürlich nicht Ihre Aufgabe, die Regierung zu loben - das werden wir gleich auch wieder hören -, aber klar ist: Wir haben in dieser Sache das gleiche Ziel. Ich freue mich deshalb sehr, dass zehn Abgeordnete dieses Hauses an der Konferenz teilnehmen werden. Das zeigt: Regierung und Parlament ziehen beim internationalen Klimaschutz an einem Strang und arbeiten zusammen, und zwar über alle Fraktionsgrenzen hinweg. ({2}) Ich möchte auf zwei Punkte aufmerksam machen, die mir in diesem Zusammenhang wichtig sind. Erstens müssen wir uns auf ein Langfristziel verständigen. Wir brauchen eine grüne Null, also null CO2 aus fossilen Energieträgern im Laufe dieses Jahrhunderts; wir haben das auch als „Dekarbonisierung“ bezeichnet. Wir brauchen ein klares Signal an Wirtschaft und Gesellschaft: Unsere Art, zu wirtschaften, muss sich grundlegend verändern. Wir müssen lernen, die ökologischen Grenzen unseres Planeten zu akzeptieren und zu respektieren; ich sage ganz bewusst „lernen“. Wir sind auf diesem Weg eher noch am Anfang. Wir haben noch nicht für alle Probleme Lösungen gefunden, selbstverständlich nicht. Zweitens wollen wir ein Abkommen mit robusten Regeln, mit Regeln, die Transparenz sicherstellen und damit auch Fairness gewährleisten. Das Abkommen wird sich nur bewähren können, wenn klar ist, dass sich alle an die vereinbarten Ziele halten. Deshalb ist es entscheidend, dass der globale Zielpfad nach Paris regelmäßig und in einem transparenten Verfahren überprüft wird. Ich habe mich gefreut, dass sich in der vergangenen Woche der chinesische Staatspräsident und auch der französische Staatspräsident für diesen Überprüfungsmechanismus ausgesprochen haben. Das ist ein wichtiger Punkt, auch auf dem Weg nach Paris. ({3}) Wir wissen, dass die vorgesehenen Minderungsbeiträge der Länder bislang noch nicht ausreichen. Aktuelle Berechnungen zeigen: Wenn wir die Minderungsbeiträge zusammenzählen und hochrechnen, dann könnten wir bei einer Klimaerwärmung von 2,7 Grad ankommen. Das ist natürlich zu viel. Das ist selbstverständlich und klar, und das wissen wir auch; denn bis zum Ende des Jahrhunderts dürfen wir maximal 2 Grad erreichen. Aber das ist gleichwohl eine Momentaufnahme. Es wird ja jetzt das mitgeteilt, von dem die Länder annehmen, dass sie es bis zum Jahr 2030 leisten können. Selbstverständlich müssen wir das alles auch mit allem Ehrgeiz umsetzen. Gleichzeitig müssen wir in den Jahren, die vor uns liegen, noch ehrgeiziger werden. Wir können aber auch ehrgeiziger werden, weil wir natürlich auch technologische Fortschritte machen werden. Wir haben übrigens zum ersten Mal eine 2 vor dem Komma. Bisher war bei allen Modulationen, bei allen Schätzungen, bei allen Annahmen und Berechnungen immer eine 3 bis 4 vor dem Komma. ({4}) - Ja, 3 bis 4; klar. - Wenn wir in den Annahmen bzw. in der Aufsummierung der sogenannten INDCs, also der nationalen Minderungsbeiträge, jetzt eine 2,7 haben, dann halte ich das für ein ermutigendes Zeichen. Wir dürfen dabei natürlich nicht stehenbleiben. Wir brauchen alle fünf Jahre diesen Überprüfungsmechanismus, um - in der Konferenzsprache sagt man: „to raise the ambition“ - noch ehrgeiziger zu werden, alle fünf Jahre noch etwas besser zu werden und der Weltgemeinschaft zu sagen: Jetzt wissen wir, wie es noch besser geht, Vizepräsidentin Ulla Schmidt das machen wir, und dann kommen wir voran. - So muss es laufen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun alles, damit Paris ein Erfolg wird. Dazu gehört auch, dass wir unsere eigenen Hausaufgaben erledigen. Diese Bundesregierung hat sich - Sie wissen das - ehrlich gemacht. Wir haben klar gesagt, dass wir unser Ziel für das Jahr 2020 - mindestens 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß - nur erreichen können, wenn wir tatsächlich noch etwas besser werden, als wir bisher waren. Das haben wir mit dem Aktionsprogramm Klimaschutz auch gemacht und 100 zusätzliche Maßnahmen auf den Weg gebracht. „Sich ehrlich machen“ bedeutet für mich aber auch, Transparenz darüber herzustellen, ob diese Maßnahmen denn auch wirken. In einer der nächsten Kabinettssitzungen werde ich dem Kabinett den ersten Klimaschutzbericht vorstellen. Wir haben ja im Rahmen des Klimaaktionsplans beschlossen, dass wir regelmäßig berichten. Das wird also in einer der nächsten Wochen geschehen. Wir sind in diesem Jahr gut vorangekommen. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben von der Notwendigkeit eines Langfristziels, der grünen Null, im Laufe dieses Jahrhunderts gesprochen. In Europa wollen wir vorangehen. Bis 2050 wollen wir 80 bis 95 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen. Für Deutschland heißt das, wir müssen am oberen Ende dieser „range“ liegen. Bis dahin ist es natürlich noch ein langer Weg. Aber wir müssen jetzt anfangen, ihn zu gehen. Ich werde deshalb im Frühjahr des kommenden Jahres den Klimaschutzplan 2050 vorstellen. Der Plan wird unsere bekannten Zwischenziele bis zum Jahr 2050 fest verankern. Die Zwischenziele kennen wir - wir haben sie alle schon beschlossen -, nämlich bis 2030 eine CO2-Minderung um mindestens 55 Prozent und bis 2040 um mindestens 70 Prozent; sonst würden wir unser Ziel für 2050 nicht erreichen können. Wir zeigen auch Strategien auf, mit denen wir diese Ziele erreichen können. Es geht darum, national wie international die klare Botschaft zu senden: Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe, das Zeitalter der grenzenlosen Ausbeutung unseres Planeten, unserer Erde, ist vorbei. Wir müssen eine andere, eine bessere Zukunft gestalten. Herzlichen Dank. ({6})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Nächste Rednerin ist Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir den Antrag der Regierungskoalition angeschaut. Er liest sich erst einmal ganz ordentlich: In das neue Klimaabkommen von Paris sollen weltweit verbindliche Klimaziele - ich sage: das ist sehr richtig -, unterlegt mit nationalen Verpflichtungen; das gefällt mir auch. Im Antrag steht: „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe des Jahrhunderts“. Das ist gut. Bis 2050 soll der Umbau der Energiewirtschaft angestrebt, also raus aus der Kohle gegangen werden - auch in Deutschland. Das alles ist sehr lobenswert. Das sind die Versprechen des G-7-Gipfels in Elmau, und diese Forderungen sind gar nicht so weit weg von denen in unserem Antrag. Auch die Linke will den Ausstieg aus Kohle und Öl. ({0}) Wir wollen das letzte Kohlekraftwerk aber 2040 abschalten. Es ist ganz wie beim Atomausstieg: In ökologischen Fragen sind wir Ihnen mal wieder zehn Jahre voraus. ({1}) Je mehr es in Ihrem Antrag aber um die konkrete Verantwortung der Bundesregierung auf nationaler Ebene geht, desto schwammiger wird Ihr Klimafahrplan für Paris; denn es ist eine Sache, etwas festzustellen, etwas ganz anderes ist es, zu handeln, und das müssen wir. Handeln sollten gerade Sie. Sie stellen nämlich die Regierung und nicht wir. Ich muss Ihnen aber sagen: Sie machen Ihre Hausaufgaben einfach nicht. Der Antrag bedeutet nur heiße Luft, und darum lehnen wir den Antrag auch ab. ({2}) Wir sagen: Das ist für Paris zu wenig und eigentlich auch peinlich. Der Antrag enthält nicht einen Deut an Verbindlichkeit. Es werden Aktionsprogramme, Aktionspläne und Evaluierungen gefordert, und das war es. Wo ist denn die alte SPD-Forderung nach einem Klimaschutzgesetz? Das hätten wir unterstützt, und zwar sofort; das wisst ihr. ({3}) Wo ist die Forderung nach einem unabhängigen Expertengremium, das Klimaschutzziele kontrolliert und Vorschläge für neue Maßnahmen vorlegt? Auch das hätten wir unterstützt. Wo ist die Forderung, dass die internationale Klimaschutzfinanzierung neu, zusätzlich und aufwachsend sein muss, anstatt sie mit der knappen Entwicklungshilfe zu verrechnen? Stattdessen liest sich der Forderungsteil wie eine Broschüre des BDI oder von VW, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. ({4}) Dabei wissen Sie doch genauso gut wie ich, dass hier der Gesetzgeber gefragt ist und nicht zahnlose Aktionsprogramme, die dann von der Kohlelobby gerupft werden. Solange Strom aus Kohle und Wärme aus Öl ein gutes Geschäft sind, kann Dekarbonisierung nur ein leeres Versprechen bleiben, und solange die Entwicklungsländer Verlierer des Klimawandels sind, werden die Regierungen erst die Armut bekämpfen und dann in erneuerbare Energien investieren. Ohne intelligente öffentliche Regelungsmechanismen wird die Wirtschaft keinen KlimaBundesministerin Dr. Barbara Hendricks schutz betreiben und werden sich die Finanzminister vor einer allzu verbindlichen Klimaschutzfinanzierung drücken, wie jetzt Schäubles Ministerium. Die Linke hat für Paris konkrete Vorschläge im Gepäck. Schauen Sie einfach mal in unseren Antrag, damit Sie verstehen, wie Klimaschutzpolitik aussehen kann, die ihren Namen auch verdient. ({5}) Jetzt kommt es: Über das Bundes-Immissionsschutzgesetz wollen wir erstens das Verschmutzungsprivileg von Kohle bei der Stromerzeugung aufheben und CO2 als Umweltschadstoff definieren. Die USA sind diesen Schritt schon gegangen. In den USA gibt es längst höhere Quecksilberobergrenzen für Kohlekraftwerke als in Deutschland. Ihren Spezis könnten Sie es doch einmal nachmachen. Mit einem Kohleausstiegsgesetz wollen wir zweitens nicht nur ein Verbot neuer Kohlekraftwerke, wir wollen auch die Betriebszeiten alter Kohlekraftwerke beschränken. ({6}) 2040 würde dann das letzte Stück Kohle für unsere Energieversorgung verfeuert. Eines möchte ich Ihnen abschließend sagen: Mit einem Klimaschutzgesetz oder Kohleausstiegsgesetz hätten RWE und Co. für ihre alten Kraftwerke keine Milliardenablöse bekommen. Hier hat die Bundesregierung eine Scheckbuchpolitik betrieben, aber mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger, die jetzt für die deutsche Klimaschutzlücke blechen müssen. Es müssen also wieder die Bürger zahlen. Da kann man noch so viele Onlinekampagnen für Klimaschutz starten: Diese Politik sorgt dafür, dass die Menschen Klimaschutz als Belastung statt als Chance sehen. Und das darf auf keinen Fall passieren. Wir müssen die Akzeptanz steigern und dürfen die Bürger nicht immer mehr belasten. Danke schön. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Dr. Anja Weisgerber. ({0})

Dr. Anja Weisgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004440, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Uhr tickt. Es sind nur noch 18 Tage bis zum Beginn der Klimakonferenz in Paris. Jedes Jahr kurz vor den entscheidenden Klimaverhandlungen haben wir hier im Bundestag eine Debatte dazu. Wir haben einen Antrag erarbeitet, in dem wir unsere Forderungen formulieren an die internationale, europäische und nationale Ebene. National und europäisch haben wir uns ambitionierte Klimaziele gesetzt. Nun müssen auch die anderen Staaten der Welt nachziehen, damit es in Paris gelingt, ein ambitioniertes verbindliches Abkommen zu verabschieden. Allein können wir das Weltklima nicht retten. Wir brauchen auch die anderen Staaten dieser Welt. ({0}) In Medienberichten wird teilweise pessimistisch auf den Istzustand geblickt. Aber meiner Meinung nach stehen die Zeichen gar nicht so schlecht. Warum? Gerade in diesem Jahr haben wir einige sehr gute und sehr wichtige Schritte voran gemacht. Es ging ein Ruck durch die Staaten der Welt. Erstens. Wir haben auf dem G-7-Gipfel in Elmau unter deutscher Ratspräsidentschaft erreicht, dass die Industrienationen sich zu dem 2-Grad-Ziel bekennen und auch betonen, dass tiefe Einschnitte erforderlich sind. Dafür streben die wichtigsten Industrienationen der Welt den Umbau der Energiewirtschaft bis 2050 und die Dekarbonisierung im Laufe des Jahrhunderts an. Zweitens. Dieser Schwung hat sich positiv ausgewirkt. Denn momentan sind es schon rund 160 Staaten, die ihre nationalen Klimaziele vorgelegt haben. Und darunter sind auch große Staaten, die bislang bei Kioto II noch nicht dabei waren, wie Amerika, Russland, Japan, Kanada, und auch viele kleine Staaten wie Haiti, die Malediven oder viele kleine afrikanische Länder. Wir haben jetzt viermal so viele Staaten, wie bei Kioto II dabei waren. Damals waren es 37, jetzt sind es bereits rund 160. Das ist ein zweiter wichtiger Zwischenerfolg. Aber es ist kein Geheimnis - die Ministerin hat es schon gesagt -: Die bislang vorgelegten nationalen Klimaziele reichen in Bezug auf die 2-Grad-Obergrenze noch nicht aus. Aber an dieser Stelle will ich eines ganz klar sagen: Paris ist nicht der Endpunkt. Paris ist ein Zwischenziel, ein Zwischenschritt, ein wichtiger Zwischenschritt. Das Abkommen muss jetzt den Weg aufzeigen, das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Deswegen brauchen wir Überprüfungsmechanismen, wie es auch die europäischen Umweltminister gefordert haben. Diese Überprüfungsmechanismen müssen zum einen garantieren, dass die Vertragsstaaten ihre Minderungsverpflichtungen erfüllen. Zum anderen muss aber auch das Ambitionsniveau alle fünf Jahre überprüft werden mit dem Ziel, dass die Vertragsstaaten regelmäßig aktualisierte Klimaziele vorlegen. Die Grünen fordern jetzt ebenso wie die Linken, dass wir noch eine Schippe drauflegen ({1}) und das EU-Klimaziel nachbessern. ({2}) Aber an dieser Stelle muss ich sagen: Es kann doch nicht sein, dass wir jetzt unser Ziel nachschärfen, wenn die Beiträge aller Staaten nicht ausreichen, um das 2-GradZiel zu erreichen. ({3}) Dadurch nehmen wir den Druck von den anderen Vertragsstaaten. Das kann nicht unser Weg sein. Das wäre jetzt vor der Konferenz in Paris genau das falsche Signal. Wir brauchen die anderen Staaten dieser Welt. Wir haben unseren Beitrag geleistet ({4}) und kämpfen jetzt dafür, dass diese Ziele umgesetzt werden. ({5}) Europa hat sich ambitionierte Ziele gegeben. Es ist kein Geheimnis, dass Deutschland über diese europäischen Ziele hinausgegangen wäre, was zum Beispiel die nationalen Beiträge im Bereich der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien angeht. ({6}) Da hätten wir von deutscher Seite aus durchaus noch mehr gewollt. Aber eines ist klar: Wenn jetzt gefordert wird, dass Europa seine Ziele nachschärfen muss, dann müsste Deutschland wieder die Hauptlast tragen. Das wiederum wäre schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf dem europäischen und auf dem weltweiten Markt. Die Überprüfbarkeit ist jetzt insofern der richtige Weg, dass alle liefern müssen, dass alle kontrollieren und dann nachbessern müssen. Aber alle Staaten sind gefordert. Das soll an dieser Stelle meine klare Botschaft sein. ({7}) In Paris müssen wir es übrigens auch schaffen, dass nicht nur die Industrienationen mitmachen, sondern auch die Entwicklungs- und Schwellenländer. Gerade die Entwicklungs- und Schwellenländer sind vom Klimawandel oft am stärksten betroffen. Erst vergangene Woche hatten wir einen Austausch mit Klimazeugen aus Zentralafrika und von den Philippinen. Genau diese Staaten brauchen unsere Unterstützung. ({8}) Auf dem Gipfel in Kopenhagen wurde dazu Wichtiges beschlossen. Die Industrienationen haben sich dazu verpflichtet, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die internationale Klimafinanzierung zu mobilisieren, und zwar aus öffentlichen und privaten Quellen. Auch hier übernimmt Deutschland die Verantwortung. Wir waren die Ersten, die rund 1 Milliarde US-Dollar für die Erstauffüllung des internationalen Grünen Klimafonds zur Verfügung gestellt haben. Die Bundeskanzlerin hat im Mai dieses Jahres angekündigt, die Klimafinanzierung bis 2020 auf gut 4 Milliarden Euro zu verdoppeln. Auch hier übernehmen wir als Deutschland und übernimmt die Bundeskanzlerin höchstpersönlich Verantwortung. ({9}) Zur europäischen Klimapolitik. Herzstück ist der europäische Emissionshandel. Er funktioniert: Er spart CO2 ein. Aber wir haben einen Überschuss von rund 2 Milliarden Zertifikaten. Das schwächt den Emissionshandel das sage ich an dieser Stelle als Klimapolitikerin ganz klar - und macht ihn ein Stück weit zum zahnlosen Tiger. Deshalb müssen wir den Emissionshandel stärken. Hier sind auch wichtige Schritte gemacht worden, etwa mit der Marktstabilitätsreserve. Jetzt folgt die zweite Reform: Überschüssige Zertifikate müssen abgebaut werden. Das ist ganz klar; das sage ich hier als Klimapolitikerin. Dabei müssen wir aber auch die Situation der energieintensiven Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht, berücksichtigen, sonst kommt es in diesem Bereich zu Standortverlagerungen. Das ist schlecht für die Wirtschaft, aber auch schlecht für unser Klima, da sonst außerhalb der Europäischen Union verstärkt CO2 emittiert wird. ({10}) Wir streben jetzt auch an, den Emissionshandel weltweit zu exportieren. Am besten wäre es, wenn wir die bestehenden Emissionshandelssysteme nach und nach zu einem globalen Kohlenstoffmarkt ausbauen würden. Da gibt es eine gute Neuigkeit: China führt ab 2017 das Emissionshandelssystem in der gesamten Republik ein. Derzeit gibt es erst sieben Pilotprojekte in einzelnen Provinzen. Jetzt aber will China den Emissionshandel ab 2017 in der gesamten Republik einführen. All das sind positive Signale, die uns für die Konferenz in Paris hoffnungsfroh stimmen. Lassen Sie mich zum Ende auf die nationale Ebene zurückkommen. Fakt ist: Die Bundesregierung hat Aktionsprogramme zum Thema Klimaschutz und Energieeffizienz formuliert und verabschiedet. Diese arbeiten wir jetzt konsequent ab und setzen sie um. Viele Bundesländer in Deutschland haben sich eigene Klimaziele gegeben. Aber eins ist auch klar: Diese eigenen Klimaziele können wir nur dann erreichen, wenn wir erhebliche Fortschritte im Bereich der Energieeffizienz und da insbesondere im Gebäudebereich machen. ({11}) Deswegen sage ich an der Stelle ganz klar: Jetzt dürfen wir doch nicht das Instrument ungenutzt lassen, das erhebliche Einsparpotenziale birgt. ({12}) Jeder Deutsche spart gerne Steuern. Deswegen haben wir trotz unseres Wissens um die Vorbehalte der Finanzminister aller Bundesländer - darunter sind auch viele rot-grün geführte Länder - in unserem Antrag ganz klar formuliert, dass wir weiterhin das Ziel verfolgen müssen, die energetische Gebäudesanierung steuerlich zu fördern. Denn Schwarzer-Peter-Spiel hin oder her: Als Klimapolitikerin bin ich nicht bereit, dieses Instrument in der Zukunft einfach fallenzulassen. Vielen Dank. ({13})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Jetzt hat die Kollegin Annalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin! Ja, es gibt positive Signale. Nur das hat auch die Rede wieder gezeigt -, leider kommen diese nicht aus Deutschland. ({0}) Es ist doch sehr erstaunlich, dass das Wohl und Wehe in allen Bereichen nun von China abhängen soll. Dafür gibt es verschiedene Beispiele. In der großen Konferenz im Auswärtigen Amt heute Morgen ging es unter der Überschrift „Klimaabkommen in Paris“ darum, die globale Transformation in Paris voranzubringen. Nur hat die Staatssekretärin dann in ihrer Rede allein davon gesprochen, dass Deutschland für ein modernes, dynamisches und faires Abkommen kämpft. Ich habe mich wirklich gefragt: Wo ist da die Verbindlichkeit, die Sie angeblich so hochhalten? ({1}) Ihr Antrag ist ein weiterer Offenbarungseid. Denn was Sie in Ihrem Antrag auf internationaler Ebene einfordern, steht in gigatonnenschwerer Diskrepanz zu dem, was Sie auf nationaler Ebene liefern.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin, darf ich Sie kurz unterbrechen? Die Kollegin Schwarzelühr-Sutter würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Bitte schön, Frau Schwarzelühr-Sutter.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Baerbock, stehen Sie nicht hinter einem modernen Klimaschutzabkommen, das mit einem Ambitionsmechanismus verbunden ist? Wollen Sie keine Anpassung und keinen Überprüfungsmechanismus? Stehen Sie nicht hinter einem fairen Abkommen, mit dem die Trennung zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern überwunden wird? Wenn Sie nur einen Satz herausgreifen, dann erklären Sie mir doch, warum Sie ein faires, modernes und dynamisches Abkommen nicht gut finden.

Annalena Baerbock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004245, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich finde es nicht gut, dass Sie mit der einzigen Botschaft antreten, dass Deutschland für ein faires, modernes und dynamisches Abkommen steht. Wir wollen, dass es völkerrechtlich verbindlich ist. Wir wollen ein langfristiges Ziel verankern. Wir wollen die Dekarbonisierung schaffen und das 2-Grad-Ziel erreichen. Alle kämpfen dafür, dass es völkerrechtlich verbindlich gemacht wird und dass wir auch China und die USA mit an Bord holen. Aber davon sprachen Sie in Ihrer Rede kein einziges Mal. Auf Nachfrage der Journalisten, ob das Ganze verbindlich sei, wird gesagt: Das ist alles schwierig; wir müssen gucken, wie wir zueinanderkommen. Ich erwarte von einer Bundesregierung, dass sie nicht nur mitschwimmt, sondern vorangeht und dafür eintritt, dass wir zu einem verbindlichen Vertrag kommen, durch den alle anderen Elemente mit erfasst sind. Das kam in Ihrer Rede nicht vor. ({0}) Auf Twitter haben Sie dann hinterhergeschickt, dass der völkerrechtliche Aspekt auch wichtig sei. Aber wenn man vorangeht, dann muss man diese Botschaft klar setzen. ({1}) Die Botschaft klar setzen: Wie das aussieht, zeigt Ihr Antrag. Darin fordern Sie - ich zitiere -: So soll sichergestellt werden, dass die Staaten ihren Minderungsverpflichtungen nachkommen. Ist dies nicht der Fall, müssen die Ambitionsniveaus in denjenigen Staaten nachgeschärft werden, die ihren Klimabeiträgen nicht gerecht werden. Schöne Worte. Aber wir werden als Europäische Union mit unseren eigenen Klimabeiträgen dem 2-Grad-Pfad nicht gerecht, und deswegen müssen wir nachschärfen. Das schreiben Sie selber in Ihrem Antrag. ({2}) Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, sollten wir lieber vor der eigenen Haustür kehren. ({3}) Denn - das wurde erwähnt - es wurde ausgerechnet, dass wir uns nicht auf einem 2-Grad-Pfad bewegen, sondern auf einem 2,7- oder 3,5-Grad-Pfad. Ich glaube, der Korridor ist wichtig und sollte hier auch erwähnt werden. Wir haben uns auf dem Gipfel in Lima in einem Vertrag verpflichtet, dass die INDCs eingereicht werden und dass nachgebessert wird, wenn klar wird, dass das 2-GradZiel nicht erreicht wird. Leider sind wir etwas hinter dem Zeitplan; denn das sollte schon im Sommer passieren. Dann sollte rund um das Treffen mit Ban Ki-moon nachgebessert werden. Wir sind nun im November. Aber das befreit uns nicht davon, jetzt nachzubessern. Das haben Sie als Bundesregierung selber in Lima mit vereinbart: Wenn wir nicht auf dem 2-Grad-Pfad sind, dann müssen wir nachbessern. Deswegen fordern wir von Ihnen: Setzen Sie sich als Bundesregierung dafür ein, dass die Europäische Union das Ambitionsniveau anhebt! Sonst werden wir die Welt nicht retten können. ({4}) Ähnlich sieht es beim Emissionshandel aus. Frau Weisgerber, in dem von Ihnen erwähnten Antrag der Koalitionsfraktionen wird gefordert, „sich dafür einzusetzen, dass die Revision des europäischen Emissionshandelssystems den Emissionshandel in der vierten Handelsperiode ... als marktwirtschaftliches Klimaschutz instrument stärkt und die bereits beschlossene Reform ... nicht schwächt“. Wenn wir uns schon in einem solchen Korridor bewegen und lediglich wollen, dass es nicht abgeschwächt wird, dann werden wir keine tiefgreifenden Maßnahmen bewirken, die das Erreichen des Dekarbonisierungsziels gewährleisten. Der dritte Punkt ist Ihr Klima-Aktionsprogramm 2020. Es ist zu lesen, dass Sie sich dafür einsetzen, dass das Programm in allen Bereichen umgesetzt wird. Dann frage ich mich nur: Wie passt dazu der Kabinettsbeschluss, dass die rund 22 Millionen Tonnen im Bereich der Energiewirtschaft - das war auch zu niedrig angesetzt - nicht mehr eingespart werden sollen und der „Ruhestand“ von alten Kraftwerken auch noch vergoldet werden soll? Das hat nichts mit Klimaschutz zu tun. ({5}) Es gäbe noch einen Punkt, wo Sie vorangehen und nicht nur mitschwimmen könnten. Wir erleben momentan einen der größten Industrieskandale in unserer Geschichte. Es schafft nicht gerade Vertrauen vor einer internationalen Konferenz, dass ein deutsches Unternehmen jahrelang mit gefälschten CO2-Grenzwerten gewirtschaftet hat. Wäre es daher nicht ein sinnvolles Signal, wenn die Bundesregierung sagte: Ja, wir haben daraus gelernt. Ja, wir wollen Vertrauen schaffen - genauso wie Sie das in Ihrer Rede gesagt haben -, und deswegen treten wir für eine radikale Umkehr im Verkehrsbereich sowie nicht nur für strengere Grenzwerte, sondern auch dafür ein, dass die E-Mobilität endlich Realität wird. Dazu reicht es nicht aus, einen Prüfauftrag im Antrag zu formulieren, wie Sie es getan haben. ({6}) Wir appellieren daher in unserem Antrag deutlich: Wir brauchen erstens eine Offensive für den Ausbau der erneuerbaren Energien statt Bestandsschutz für die Kohle in Deutschland. Wir brauchen zweitens einen globalen Technologietransfer zugunsten der erneuerbaren Energien statt Subventionen und Bürgschaften für die klimaschädliche Kohle. Wir müssen in der deutschen Außenwirtschaftspolitik klarmachen: Das Zeitalter „Raus aus den Fossilen, rein in die Erneuerbaren“ hat jetzt begonnen. Ich sage Ihnen - das machen die positiven Signale aus China mehr als deutlich -: Wenn wir es nicht tun, dann machen es andere; denn weltweit wird bisher mehr in erneuerbare Energien investiert als in fossile. Wenn wir jetzt nicht bereit sind, hier das Ruder herumzuwerfen, dann ist das nicht nur eine ökologische Schandtat, sondern auch ökonomischer Irrsinn. Deswegen fordern wir Sie heute dazu auf: Stimmen Sie für unseren Antrag, für eine Politik von morgen anstatt für eine Politik von gestern, wie Sie es formuliert haben! Herzlichen Dank. ({7})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion erhält jetzt Frank Schwabe das Wort, dem ich von dieser Stelle aus noch einmal herzlich zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren möchte. ({0}) 45 ist eine Zahl, die man noch nennen darf. Er wird heute also 45 Jahre jung. Herzlichen Glückwunsch!

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß nicht, um wie viele Minuten sich meine Redezeit verlängert. ({0}) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Baerbock, es ist die Aufgabe der Opposition, Kritik zu üben und die Regierung voranzutreiben; das ist richtig und wichtig. Aber darüber darf nicht der von Ihnen erweckte Eindruck entstehen - er ist nach meiner Meinung falsch -, dass wir nicht gemeinsam für ein ambitioniertes, rechtsverbindliches Klimaabkommen eintreten; dafür tritt das ganze Haus - genauso wie die Ministerin und die Staatssekretärin - ein. Das ist das Ziel, das wir erreichen wollen. Ich bin sicher, dass wir es auch in Paris erreichen werden. ({1}) Wir könnten über all das reden, was auf der Welt schwierig ist. Wir könnten darüber reden, dass wir mittlerweile schon bei einer Temperaturerhöhung von 1 Grad Celsius angekommen sind. Wir könnten darüber reden, dass wir vor kurzem auf Initiative von Frau Höhn KliAnnalena Baerbock mazeugen aus dem Tschad und von den Philippinen in den Ausschuss eingeladen haben. Ich habe vor kurzem Bangladesch und Myanmar besucht und habe mich davon überzeugen müssen, wie schwierig die Lage für viele Menschen auf der Welt ist, wie viele Klimaflüchtlinge es gibt. Wir könnten darüber reden, welche Auswirkungen der Klimaschutz auf die Flüchtlingspolitik hat. Dazu gab es ein bemerkenswertes Interview von Frau Ministerin Hendricks. Wir bekommen dieses Thema in der Tat in einer ganz neuen Dimension auf die Tagesordnung; denn im Rahmen der Flüchtlingsdebatte wird klar - das war bei der Klimadebatte für diejenigen, die eingeweiht sind, schon immer klar -, dass das, was wir hier tun, wie wir hier leben, wie wir hier wirtschaften und wie wir hier miteinander umgehen, Auswirkungen auf andere Teile der Welt hat. Am Ende ist es nicht nur eine moralische Verpflichtung das wäre schon wichtig genug -, sondern auch eine Frage von Eigennutz, alles zu tun, damit Menschen in anderen Teilen der Welt ordentlich leben können, damit auch wir hier ordentlich leben können. ({2}) Wir stehen jetzt kurz vor der Konferenz von Paris. Ich, der ich mit meinen 45 Jahren mittlerweile ein Klimaveteran bin - ich nehme jetzt an der neunten Klimakonferenz teil -, ({3}) muss sagen: Eigentlich war die Analyse immer, dass die Konferenzen zu wenig gebracht haben. Es gab solche Minister und solche. Je nachdem, ob man in einer Regierungskoalition war oder in der Opposition, hat man das als Politiker etwas anders dargestellt. Aber am Ende waren wir immer der Meinung, dass es nicht genug gebracht hat. Es gab manchmal radikale Vorstellungen. Ich erinnere mich an den Minister Gabriel, der auch einmal gewisse Vorstellungen hatte. Man kann sich jetzt denken, wie er manchmal auf solchen Konferenzen auftritt. Das können wir alles lassen, das macht keinen Sinn. Es stimmt, es war eigentlich immer zu wenig vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die wir haben. Trotzdem - das will ich heute sagen - kann man sich das Ganze auch einmal optimistisch anschauen und fragen: Was hat sich eigentlich in den letzten Jahren wirklich bewegt? Es hat sich eben ganz viel bewegt. Man muss keine optimistische Sichtweise haben, sondern schlichtweg eine realistische. Dann stellt man fest, dass es wirklich eine Revolution gegeben hat, die sich vielleicht evolutionär dargestellt hat; aber eine Revolution war bei der Frage des Klimaschutzes und der Frage, wie wir zukünftig Energie erzeugen und wirtschaften. Barbara Hendricks hat die politische Lage angesprochen. Auch da muss ich sagen, Frau Baerbock: Dass China sich bewegt hat, liegt nicht nur an Deutschland, aber einen kleinen Anteil daran haben wir schon. ({4}) Ich erinnere an die Kooperationen, zum Beispiel im Rahmen des Emissionshandels. Es gibt dort wichtige Veränderungen. Auch die USA sind ganz wichtig und in der Tat - auch das hat die Ministerin gesagt - Kanada. Endlich haben wir eine andere Regierung in Kanada, die sich sicherlich ganz anders und progressiver verhalten wird. ({5}) Ich finde im Übrigen, dass wir auch die Frage der Ölsande noch einmal auf die internationale und europäische Tagesordnung bringen müssen. ({6}) Was sich aber vor allem verändert hat, ist die ökonomische Lage. Wir haben eine drastische Trendwende weltweit in der Frage der erneuerbaren Energien. Wir haben eine Verfünfzigfachung der Solarstrommenge zwischen 2004 und 2014. Wir haben alleine im Bereich der Windkraft einen Zubau in China von 23 Gigawatt im letzten Jahr. Damit könnten wir alle Atomanlagen in Deutschland von heute auf morgen ersetzen. Mittlerweile wird weltweit wesentlich mehr in erneuerbare Energien investiert als in fossile Energieträger und Atomenergie zusammen. Wir haben die sogenannte Divestmentdebatte, also den Abzug von Investments aus fossilen Energieträgern. Der norwegische Pensionsfonds ist mehrfach genannt worden, aber es ist auch die Rockefeller-Stiftung zu nennen. Wir haben jetzt ganz aktuell den Beschluss des Stadtrats von Münster, dass die beiden städtischen Fonds ab 2016 kein Geld mehr in Kohle, Gas und Öl investieren sollen. ({7}) Es ist die zentrale Veränderung in den letzten Jahren und vielleicht im letzten Jahrzehnt, dass wir ganz andere ökonomische Rahmenbedingungen haben und es deswegen den Staaten viel leichter fällt, zu Verabredungen zu kommen. Deswegen: Die Wegrichtung stimmt - das ist zweifellos so -, und trotzdem müssen wir einige Dinge in Paris diskutieren, zum Beispiel die Frage, wie der Ambitionssteigerungsmechanismus konkret aussehen soll. Das muss konkret und verbindlich sein und muss Auswirkungen auf die Europäische Union haben. Ich finde auch, dass wir darüber, wie man mit Entwicklungsländern in der Frage von „loss and damage“, also den Schäden, die es schon gibt, umgehen kann, diskutieren müssen. Da müssen wir einen Schritt weiterkommen. Dann geht es in der Tat darum, in Deutschland und in Europa die Dinge umzusetzen. Ich bitte noch einmal - ich habe es mehrfach hier schon getan - darum, dass das ganze Haus Umweltministerin Hendricks unterstützt. Sie hat uns ehrlich gemacht in der Frage, wo wir bei der Zielerreichung stehen. Alle müssen mithelfen, alle Kabinettsmitglieder, aber auch alle Mitglieder des deutschen Parlaments, damit wir unsere Klimaschutzziele in Deutschland erreichen. Vielen Dank und ein herzliches Glückauf! ({8})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Bevor ich den nächsten Redner auf- rufe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der Wahlen bekanntgeben. Zuerst: Wahl eines Mitglieds des Son- dergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungs- mechanismusgesetzes: abgegebene Stimmen 583, ungül- tige Stimmen keine, gültige Stimmen damit 583. Mit Ja haben gestimmt 430, mit Nein haben gestimmt 109, Ent- haltungen 44. Damit ist der Abgeordnete Roland Claus gewählt.1) ({0}) Dann kommen wir zum Ergebnis der Wahl eines stell- vertretenden Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes: ab- gegebene Stimmen 579, ungültige Stimmen 3, gültige Stimmen 576. Mit Ja haben gestimmt 476, mit Nein 79, Enthaltungen 21. Der Abgeordnete Dr. Dietmar Bartsch hat damit 476 Stimmen erhalten, und die erforderliche Mehrheit wurde auch hierbei erreicht.2) ({1}) Jetzt hat der Kollege Matern von Marschall, CDU/ CSU-Fraktion, als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt das Wort. - Bitte schön. ({2})

Matern Marschall von Bieberstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004349, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolle- ginnen und Kollegen! Vergangene Woche waren wir - Kollegin Baerbock und Kollegin Bulling-Schröter waren auch dabei - in der Französischen Botschaft zu Gast; Frankreich ist ja Gastgeber der Klimakonferenz. Es ging darum: Was leisten die Parlamentarier in diesem Zusam- menhang; was leisten sie im Verhältnis zu den verhand- lungsführenden Regierungen? Sind sie also Sprachrohr dieser Klimapolitik, oder sind sie eher passive Begleiter? Ich fand sehr bemerkenswert, dass in diesem Zusam- menhang die Moderatorin eine ziemlich provokative Bemerkung gemacht hat. Sie sagte: Ja, wenn man sich auf internationalen Konferenzen herumtreibt, dann ist es möglicherweise die beste Art und Weise, wie man in sei- nem Wahlkreis verlieren kann. - Der Hinweis galt natür- lich der Frage: Kommt das, was international vereinbart werden soll, bei den Menschen an? Interessieren sich die Menschen überhaupt dafür? Ich sagte: Ja, das ist richtig. Ich als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Freiburg muss versuchen, das zu erklären. Ich habe si- 1) Anlage 3 2) Anlage 3 cher Mühe, das einem Winzer am Kaiserstuhl zu erklären. - Wenige Tage später trafen wir uns in der Parlamentarischen Gesellschaft mit Vertretern der Uni Freiburg. ({0}) Es kam, Frau Künast, ein vormaliger Kollege des Europäischen Parlaments der Grünenfraktion und sagte: Herr von Marschall, Sie haben, glaube ich, nicht recht. Gerade dem Winzer können Sie das wahrscheinlich ganz gut erklären. ({1}) Ich gebe zu: Er hat recht. Wir erleben natürlich die Veränderungen des Klimas auch in Deutschland, wir erleben sie dadurch, dass zunehmend Schädlinge aus südlichen, aus wärmeren Regionen zu uns kommen. Wir erleben sie in der Forstwirtschaft, bei der Planung für die sehr langfristigen waldbaulichen Ziele, die wir in Deutschland erreichen wollen. In Freiburg haben wir ein Weinbauinstitut und ein forstwissenschaftliches Institut, die sich diesen Fragen widmen: Wie gehen wir mit den Veränderungen des Klimas in Zukunft um? Wir haben eine große Universität, die mit fünf Fraunhofer-Instituten ein nationales Leistungszentrum für Nachhaltigkeit in Freiburg aufgebaut hat. In diesem Zusammenhang habe ich erlebt, dass wir in Deutschland in der Forschung stark sind, sowohl was neue Technologien mit Blick auf die Erreichung der Minderungsziele, als auch was die Frage der Anpassung betrifft. Wir sind in Deutschland stark, aber natürlich sind keineswegs alle Staaten der Erde diesbezüglich stark. Deswegen ist es von so großer Bedeutung, dass, um die Vereinbarungen zum Klima zum Erfolg zu führen, wir insbesondere den Green Climate Fund mit den notwendigen 100 Milliarden Euro aufstocken müssen. Wenn ich weiter darüber nachdenke, was ich den Menschen im Wahlkreis dazu sagen kann, was die internationalen Vereinbarungen bedeuten, fällt mir ein Artikel ein, den ich heute früh in den Proceedings of the National Academy of Sciences aus Washington gelesen habe. Dieser Artikel, der im Januar erschienen ist, zeigt auf, dass dem Bürgerkrieg in Syrien eine ausgesprochen intensive Dürreperiode von mehreren Jahren Dauer vorausgegangen ist. Nun hat man im Bereich des sogenannten fruchtbaren Halbmondes durchaus häufig solche Dürreperioden, aber nie in so drastischer Form. Es mussten eineinhalb Millionen Menschen ihre Ländereien verlassen. Sie kamen in Städte, in denen auch die Lebensgrundlagen schwierig waren. Sicher hat das - das ist natürlich eine komplexe Angelegenheit - zur Beförderung dieser Konflikte beigetragen. Natürlich war dafür auch eine Grundlage - das richte ich jetzt an das BMZ - eine in Syrien über lange Jahrzehnte betriebene, verfehlte Landwirtschaftspolitik mit wenig Nachhaltigkeit, mit einer viel zu hohen Anbauquote bei Baumwolle, die natürlich die Grundwasserreserven sehr stark beansprucht. In einer Planwirtschaft, die nicht auf nachhaltiges Wirtschaften aufgebaut ist und keine Good Governance kennt, kann sich leichter etwas entwickeln, was zu einer schwierigen und dramatischen Klimakatastrophe führt. Dann hat man eine Katastrophe, die sich in der ganzen Komplexität verschlimmert und zu dem führt, was wir heute erleben. Insofern müssen wir - ich glaube, das ist die Aufgabe der Zukunft - unsere Klimapolitik als Teil einer globalen Nachhaltigkeitsstrategie begreifen, einer Nachhaltigkeitsstrategie, die die Vereinten Nationen vor wenigen Wochen in New York verabschiedet haben und in der der Klimaschutz eines der wichtigen Elemente ist. Eine wirtschaftliche Entwicklung ist wichtig; eine gesellschaftliche und eine gute soziale Entwicklung sind genauso wichtig. Wir in Deutschland sind stark; andere Länder sind eben nicht so stark. Deswegen ist der Green Climate Fund so wichtig. Er trägt dazu bei, dass wir den schwachen Ländern der Erde helfen, sowohl die Anpassung an die dramatischen Folgen des Klimawandels besser bewältigen zu können als auch die Minderungsziele zu erreichen. Wir in Deutschland können und sollten noch mehr dazu beitragen - ich habe die hiesige starke Forschung erwähnt -, Technologien zu entwickeln, die diesen Ländern dann einigermaßen preiswert zur Verfügung gestellt werden können; denn das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sie die Ziele erfüllen können. ({2}) Wie ich sagte, ist die Zusammenschau der verschiedenen Ursachen für Konflikte ganz besonders wichtig. Ich denke, darüber werden wir in Zukunft noch sehr viel stärker nachdenken müssen. Das sollte ein Bereich sein, der nicht nur Klima-, Umwelt- und Entwicklungspolitik, sondern auch Sicherheitspolitik umfasst. Es gibt eine ganze Summe von Bausteinen, die zur Bewältigung der Konfliktlage auf der Welt gehören. Ich habe heute - damit, Frau Präsidentin, möchte ich zum Schluss kommen - das Glück, hier zu reden. Auf Lateinisch bedeutet glücklich „felix“, und Felix heißt der Sohn von Andreas Jung, der gestern zur Welt gekommen ist. Wegen Felixʼ Geburt stehe ich heute hier. Ich glaube, wir können Andreas Jung von dieser Stelle aus „Herzlichen Glückwunsch!“ sagen. ({3}) Ich finde, dass der Vorsitzende des Nachhaltigkeitsbeirates des Bundestages eine ausgesprochen engagierte Arbeit macht zu dem Thema, das wir heute hier debattieren. ({4})

Ulla Schmidt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Auch vom Präsidium dürfen Sie die besten Glückwünsche ausrichten. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/6642 mit dem Titel „Klimakonferenz in Paris muss ehrgeiziges Abkommen beschließen“. - Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Die weiteren Abstimmungen übernimmt die Kollegin Bulmahn.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6648 mit dem Titel „Auf der Klimakonferenz in Paris die Weichen für mehr Klimaschutz und globale Gerechtigkeit stellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Das ist die Opposition. Wer stimmt dagegen? - Die Koalition. Enthaltungen? - Keine. Dann ist der Antrag abgelehnt worden. Tagesordnungspunkt 9 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3313 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dörner, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Besonders gefährdete Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften besser schützen Drucksache 18/6646 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Innenausschuss Finanzausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zu wechseln. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in der Aussprache hat Dr. Franziska Brantner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Franziska Brantner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004255, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern sprach hier Innenminister de Maizière und begründete den Schwenk zurück zu Dublin III bei den syrischen Flüchtlingen damit, dass es so wichtig sei, EU-Recht eins zu eins umzusetzen. Wenn Ihnen das EU-Recht so am Herzen liegt, dann fangen Sie endlich mit der Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie und der Schutzvorgaben für Kinder und Frauen bzw. besonders Gefährdeter, die darin enthalten sind, an. ({0}) Statt mit Härte gegen die Schwächsten, die syrischen Kinder, vorzugehen, sollte Herr de Maizière mit Härte den Schutz von Flüchtlingskindern in unseren Unterkünften durchsetzen. Das würde unsere Werte klarstellen, über die sich der Innenminister ja sonst immer nur auslässt, wenn es darum geht, dass Flüchtlinge sie einzuhalten haben. ({1}) Das, Herr de Maizière, würde sicherlich einen ersten richtigen Schritt zur Integration dieser Flüchtlinge bei uns leisten. Wir alle fordern zu Recht, dass sich die Menschen, die zu uns kommen und bei uns Zuflucht suchen, an das Grundgesetz sowie an die Kinder- und Frauenrechte halten, die wir errungen haben. Das gilt dann aber eben auch für uns. Warum gilt das Bundeskinderschutzgesetz nicht für Flüchtlingskinder? Mir muss einer irgendwann einmal erklären, warum es für diese Kinder einen weniger großen Schutz gibt als für jene, die bei uns geboren sind. Wenn wir die Einhaltung der Rechte fordern - und das zu Recht -, dann müssen wir diese aber auch garantieren. Es ist unsere Aufgabe, diese Rechte von Kindern und Frauen bzw. besonders Schutzbedürftiger überall zu garantieren. ({2}) Vor Ort wird Enormes geleistet, und trotzdem ist es oft schwierig. Es gibt viele Orte, an denen sich Tausende von Menschen auf engem Raum befinden - Wöchnerinnen, allein reisende Mütter mit Kindern, alleinstehende Frauen, Schwule und Lesben, ganz viele, die besonderen Schutz brauchen -, und es gibt keinen sicheren Ort für sie. Häufig gibt es keinen Ort, wo Kinder spielen können, wo sie einmal Ruhe haben, sich sicher fühlen und gut aufgehoben sind. Das geht vielleicht im Sommer, wenn die Kinder draußen spielen können; aber im Winter wird das nicht mehr gehen. Studien zeigen, dass sich der Gesundheitszustand der Kinder bei uns ohne solche Möglichkeiten verschlechtert. Es ist in jeder UN-Unterkunft weltweit absoluter Standard und kein Luxus, dass es Children‘s Zones gibt. ({3}) Die EU-Aufnahmerichtlinie formuliert es so: Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Minderjährige Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigungen einschließlich altersgerechter Spiel- und Erholungsmöglichkeiten in den Räumlichkeiten und Unterbringungszentren … sowie zu Aktivitäten im Freien erhalten. Fangen Sie an, die Richtlinie endlich umzusetzen! ({4}) Und was ist mit den allein reisenden Frauen, mit jenen, die vielleicht traumatisiert zu uns kommen und Gewalt erfahren haben? Für sie gibt es nicht einmal getrennte Frauentoiletten geschweige denn abschließbare Räume, wo sie sich nachts sicher fühlen können. Auch da ist die EU-Richtlinie sehr genau. Sie gibt vor, „bei der Unterbringung Asylsuchender geschlechts- und altersspezifische Aspekte sowie die Situation von schutzbedürftigen Personen zu berücksichtigen und geeignete Maßnahmen zu treffen, damit Übergriffe und geschlechtsbezogene Gewalt einschließlich sexueller Übergriffe und Belästigung verhindert werden“. Auch das ist sehr deutlich. ({5}) Ich kann uns alle nur auffordern, das endlich in deutsches Recht umzusetzen. Hier, Herr de Maizière, könnten Sie zeigen, was Ihnen das europäische Recht wirklich wert ist. Wir wollen in einem ersten Schritt, dass Gewaltschutzkonzepte etabliert werden - in Zusammenarbeit mit den Ländern. Das bedeutet nicht, dass wir eins zu eins vorgeben, wie es vor Ort auszusehen hat. Das wird vor Ort erarbeitet. Aber eine Orientierung dafür sollten die Empfehlungen von Herrn Rörig bieten, unserem unabhängigen Beauftragten gegen sexuellen Missbrauch; Sie alle kennen diese Empfehlungen. Er hat sehr gut ausgearbeitet, was notwendig wäre. Das soll die Orientierung sein. Das soll vor Ort umgesetzt werden. Das ist der erste Schritt. ({6}) Zweitens brauchen wir Möglichkeiten zur Schulung und Fortbildung von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, damit sie wissen, wie man mit traumatisierten Kindern umgeht, damit sie sensibilisiert werden für Anzeichen von Gewalt und für schwierige Situationen. Dazu gehört auch die Stärkung von bestehenden Einrichtungen, in denen man sich seit Jahren sehr gut um Frauen und Kinder kümmert, die in solchen Situationen sind. Diesen Einrichtungen ist es egal, woher die Menschen kommen; sie nehmen sie auf. Aber sie brauchen dafür unsere Unterstützung. Auch das fordern wir in diesem Antrag. ({7}) Drittens wollen wir in Anlehnung an die Standards der Kinder- und Jugendhilfe eine Betriebserlaubnis für Gemeinschaftsunterkünfte. Ich wiederhole: Gemeinschaftsunterkünfte. Das sind die Orte, wo Menschen länger bleiben, wo Kinder erwachsen werden, wo sie teilweise über Jahre sind. Es ist wichtig, dass dort die gleichen Standards gelten, dass es bei Übergriffen für Kinder und Jugendliche, die dort leben, Beschwerdemöglichkeiten gibt. Natürlich braucht es dafür Übergangszeiten vor Ort. Es ist klar, dass das nicht von heute auf morgen geschehen kann. Aber das Ziel, dass dieser Standard für alle Kinder bei uns gilt, muss uns doch gemeinsam viel wert sein. Wir wissen: Das ist vor Ort schwierig. Aber der Standard, der Anspruch muss da sein. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wir werden Sie wirklich daran messen, wie Sie die EU-Aufnahmerichtlinie und die darin enthaltenen Schutzvorgaben umsetzen. Ich hoffe, dass wir nicht nur Abschreckung betreiben, sondern ernst nehmen, worum es geht, nämlich Kinder bei uns zu schützen, ihre Integration zu ermöglichen, ihnen vorzuleben, was es bedeutet, Rechte zu haben, und zu zeigen, dass diese ihre Rechte geschützt werden. Ich zähle auf Sie und hoffe, dass wir uns bei diesen Werten einig sind. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Nina Warken von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Nina Warken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen und Kinder sind die verletzlichste Gruppe unter den Flüchtlingen und brauchen unseren besonderen Schutz. ({0}) - Genau. Da sind wir uns alle einig. - Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks sind 34 Prozent der Flüchtlinge, die seit Jahresbeginn in Europa angekommen sind, Frauen und Kinder. Aus meinen zahlreichen Besuchen in Erstaufnahmeeinrichtungen und in Gemeinschaftsunterkünften weiß ich, dass man dort bereits alles versucht, um den Bedürfnissen von besonders gefährdeten Flüchtlingen gerecht zu werden. Hilfsorganisationen schulen ihre Mitarbeiter und geben ihnen Leitfäden an die Hand, wie man Kinder und Frauen vor allem in der Erstaufnahme am besten betreut. THW und Bundeswehr leisten rund um die Uhr Amtshilfe, um die Unterkünfte bestmöglich herzurichten. Wo es geht, werden Spiel- und Leseecken für Kinder eingerichtet. Es gibt Unterkünfte nur für alleinstehende Frauen. Auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist man bemüht, eigene Bereiche für sie zu schaffen. Darüber hinaus werden Gesprächskreise und andere Angebote organisiert, um die Frauen, die sich häufig aufgrund traumatischer Erfahrungen ganz in sich zurückgezogen haben, aus ihrer Isolation herauszuholen. Gleichzeitig geht es darum, Frauen darüber aufzuklären, welche Rechte sie haben und an wen sie sich wenden können, wenn sie Hilfe brauchen. Mein herzlicher Dank dafür - ich glaube, auch da sind wir uns einig - geht an die vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfer. ({1}) Deutschland kann stolz sein auf das Mitgefühl und das Engagement, das hier trotz des massiven Zustroms nach wie vor gezeigt wird. Das dürfen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht kleinreden. Wie Sie in Ihrem Antrag selbst einräumen, sind die Kommunen und Träger von Flüchtlingsunterkünften bereits dabei, Kriterienkataloge und Konzepte zum Schutz von Frauen und Kindern zu entwickeln. Das sollten wir unterstützen. Zum jetzigen Zeitpunkt mit verpflichtenden Vorgaben zu kommen, wie Sie das in Ihrem Antrag vorschlagen, halte ich für den falschen Weg. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich noch einmal auf den Punkt bringen: Es ist völlig unumstritten, dass Frauen und Kinder besonderen Schutz brauchen. Wir müssen aber angesichts der aktuellen Flüchtlingszahlen bei allen Forderungen immer auch die Machbarkeit im Blick haben, und diese blenden Sie in Ihrem Antrag leider aus. So fordern Sie die dezentrale Unterbringung in Wohnungen, nach Geschlechtern getrennte und abschließbare sanitäre Anlagen und Gemeinschaftsräume, und Sie fordern, Gemeinschaftsunterkünfte unter die Betriebserlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII zu stellen. Vieles davon ist sicher grundsätzlich wünschenswert und wird auch schon versucht umzusetzen. Aber die Kommunen haben doch vielerorts nicht einmal mehr genügend Gebäude, um den ankommenden Flüchtlingen ein winterfestes Dach über dem Kopf zu geben. Da kann man doch nicht mit neuen Verpflichtungen kommen. ({3}) Wenn Sie fordern, dass für jede Flüchtlingsunterkunft künftig ein Konzept vorgelegt werden muss mit Maßnahmen zur Qualitätssicherung und mit aufgabenspezifischen Ausbildungsnachweisen von allen Helfern, werden wir es nicht schaffen, in kürzester Zeit genügend Unterkünfte bereitzustellen und entsprechende Helfer zu akquirieren. ({4}) Das kann man doch vor Ort keinem erklären. ({5}) Statt solche unpraktikablen Forderungen aufzustellen, sollten Sie endlich einsehen, dass wir den Zustrom nach Deutschland begrenzen müssen, weil wir sonst die Flüchtlinge nicht mehr menschenwürdig versorgen können. ({6}) Am härtesten trifft es dann diejenigen, die wir am meisten schützen wollen, nämlich Frauen und Kinder. Sie kommen im Gros der überwiegend männlichen Flüchtlinge zu kurz. Angesichts der enormen Flüchtlingszahlen wird diese Tendenz noch weiter verstärkt werden. Ihrem Antrag entnehme ich viele Wünsche. Zu der Frage, wie wir das umsetzen wollen, habe ich aber nichts gelesen. Genauso gekonnt wie die Machbarkeit Ihrer Forderungen blenden Sie aus, was für Frauen und Kinder bereits getan wird und mit welchen Maßnahmen wir den Betroffenen am meisten helfen. In Deutschland genießen unbegleitete Minderjährige nämlich besonderen Schutz. Diese Kinder und Jugendlichen werden bei uns vom Jugendamt in Obhut genommen und in altersgerechten Einrichtungen mit allem Notwendigen versorgt. Diesen besonderen Schutzanspruch haben wir mit dem Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher bekräftigt. Wir haben ein bundesweites Verteilungsverfahren eingeführt, das sich an den Bedürfnissen der Jüngsten orientiert. ({7}) Die Kinder und Jugendlichen, um die es hier geht, wurden oft in Krieg und Elend hineingeboren und kennen nur Leid und Verzweiflung. Wir wollen ihnen hier in Deutschland ein Stück Geborgenheit zurückgeben. Das wird mit vielen kleinen, aber wichtigen Maßnahmen getan. So hat zum Beispiel die Bundesregierung bundesweit sechs regionale Servicebüros geschaffen, die den Städten und Landkreisen dabei helfen, junge Flüchtlinge in Kita und Schule zu integrieren und beim Übergang in das Berufsleben zu begleiten. Vielerorts richtet sich das ehrenamtliche Engagement gerade an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen aus. Es werden Feste, Ausflüge und gemeinsame Aktionen mit gleichaltrigen Einheimischen organisiert. ({8}) Wir können, denke ich, wirklich stolz sein auf das, was in diesem Bereich geleistet wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns aber auch darüber reden, wie wir am meisten zum Schutz von Frauen und Kindern in den Einrichtungen beitragen können. Dazu gehört meiner Meinung nach in erster Linie eine konsequente Verfolgung von Straftaten und Übergriffen. ({9}) Dabei steht völlig außer Frage - was Sie, liebe Kollegen von den Grünen, in Ihrem Antrag schreiben -, dass Anschläge und Hetze gegen Asylbewerber nicht hingenommen werden dürfen. Bund und Länder arbeiten diesbezüglich eng zusammen. Die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden gehen konsequent gegen diese Taten vor. Bei Straftaten in Flüchtlingsunterkünften muss allerdings noch mehr getan werden. Gerade was sexuelle Übergriffe angeht, ist dort von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Wir müssen den Opfern zeigen, dass wir auf ihrer Seite stehen. Straftaten in Flüchtlingsunterkünften dürfen deshalb nicht mit Begleitumständen der Flucht, der Religionszugehörigkeit oder der Unterbringung in Sammelunterkünften entschuldigt werden. Sie müssen zur Anzeige gebracht werden. ({10}) Die Bundesregierung hat sich zusammen mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs an die Länder gewandt, um gemeinsam für den Schutz der Flüchtlingskinder vor Gewalt, insbesondere vor sexueller Gewalt, in Flüchtlingsunterkünften zu sorgen. Ich glaube, wir brauchen hier eine ganz klare Linie, die da lautet: Wer Straftaten begeht, hat keinen Anspruch mehr auf Asyl in Deutschland. Es entspricht in keiner Weise dem Gedanken des Asylrechts, wenn jemand, der selbst Schutz sucht, einem anderen Menschen Leid zufügt. Das gilt erst recht, wenn es um Frauen und Kinder geht. ({11}) Ebenfalls unerträglich ist der Umstand, dass Frauen und Kinder auf der Flucht nach Europa von Schleusern sexuell missbraucht werden, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk berichtet. Das sollte uns in unserem Kampf gegen diese menschenverachtenden und skrupellosen Verbrecher bestärken. ({12}) Wir müssen angesichts solcher Berichte noch entschiedener alles daransetzen, Schleuserbanden das Handwerk zu legen und sie hinter Schloss und Riegel zu bringen. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich in dieser Debatte, in der wir überlegen, wie wir den besonders Schutzbedürftigen am meisten helfen können, Folgendes betonen: Seit Beginn der Flüchtlingskrise ist es das Kernanliegen unserer Asylpolitik, über Aufnahmeprogramme in erster Linie den besonders Schutzbedürftigen zu helfen und sie nach Deutschland zu holen. Ich finde, wir sollten uns künftig viel stärker auf diesen Ansatz konzentrieren. Statt unbegrenzt alleinstehende junge Männer bei uns aufzunehmen, die auch anderswo gute Chancen auf ein besseres Leben haben, ({14}) sollten wir uns um diejenigen kümmern, die unsere Hilfe am meisten brauchen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass Frauen und Kinder bei uns den Schutz bekommen, den sie brauchen. ({15}) Ich finde, wir sind, was die Konzepte zum Schutz in den Unterkünften und auch die zahlreichen Maßnahmen für Flüchtlinge angeht, bereits auf einem guten Weg. ({16}) Lassen Sie uns deshalb im Interesse der Menschen, die unsere Hilfe am meisten brauchen, bei allen Maßnahmen immer fest im Blick behalten, was umsetzbar ist, was unser Land leisten kann und was nicht. Übersteigerte Forderungen wie die in Ihrem Antrag gehören nicht dazu. ({17}) Wir erbringen den zu schützenden Frauen und Kindern die größte Hilfe, wenn wir das Machbare im Blick behalten und das dann auch umsetzen. Auf Ihre Vorschläge, die auch machbar sind, bin ich sehr gespannt. Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Norbert Müller von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Norbert Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004613, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Eigentlich wollte ich sagen, dass es beschämend ist, dass es überhaupt dieses Antrages bedarf, um heute über dieses Thema zu reden, und fragen, warum die Bundesregierung nicht längst gehandelt hat. Inzwischen muss ich sagen: Beschämend ist Ihre Rede, Frau Warken. ({0}) Ich will zwei Dinge vorwegschicken, die grundsätzlich geklärt werden müssen, damit klar wird, worüber wir hier eigentlich reden, über Täterinnen und Täter oder über Opfer. Es ist eine Stärke des Antrags der Grünen ich sage vorweg, warum ich ihn gut finde -, dass er sich mit der Frage befasst, wie wir Opfer von sexuellem Missbrauch, von Ausbeutung und Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften und in Erstaufnahmeeinrichtungen - ich finde, man müsste das weiter fassen - schützen können. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt, Frau Warken. ({1}) Sie haben vielmehr gesagt, das sei überflüssig, und davon gesprochen, wie man die Straftäter am besten bestraft. Hier geht es aber darum, Prävention zu betreiben. Es geht nicht nur darum, wie man die Täter am Ende dingfest macht - was das angeht, wird Ihnen keiner widersprechen -, sondern auch darum, wie man die Opfer bestmöglich schützt. Dazu gibt es Vorschläge, unter anderem von Herrn Rörig, dem auch von Ihnen eingesetzten unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt. ({2}) Die Koalition scheint derart damit beschäftigt zu sein, eine Asylrechtsverschärfung nach der nächsten auf die Tagesordnung zu setzen und so eine Sau nach der nächsten durchs Dorf zu treiben und das gesellschaftliche Klima zu vergiften, dass sie die EU-Aufnahmerichtlinie, zu der Frau Dr. Brantner gesprochen hat, ganz vergessen hat; denn dazu haben Sie ebenfalls nichts gesagt. Wenn der CSU-Parteitag in einigen Tagen beschließen sollte, dass wieder europäische Regeln gelten, dann meinen Sie doch ganz offensichtlich nicht wirklich, dass wieder europäische Regeln gelten sollen. Sie wollen vielmehr den Durchmarsch der CSU nach rechts zur Maxime machen. Es geht Ihnen überhaupt nicht um europäische Regeln. Wenn es Ihnen um europäische Regeln gehen würde, dann würden Sie die EU-Aufnahmerichtlinie vollumfänglich umsetzen. ({3}) Das ist auch das Anliegen des vorliegenden Antrages. Dazu gehören Schutzräume für besonders gefährdete Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften. ({4}) Die Zustände vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin und die Tatsache, dass da ein vierjähriger bosnischer Junge einfach verschwinden konnte, mögen die Spitze des Eisberges sein. Das hat zu Recht alle empört. Viele Menschen haben Mitgefühl gezeigt. Aber was alltäglich ist, ist die Situation - darauf zielt der Antrag ab -, die wir in Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen haben. Die häufig sehr großen und sehr vollen Gemeinschaftsunterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen sind natürlich besonders anfällig für Missbrauchsstrukturen, für individuellen Missbrauch, aber auch für systematischen Missbrauch. Deswegen brauchen wir hier Präventionskonzepte. Ja, der Antrag bietet eine gute Grundlage. Wir brauchen flächendeckende Gewaltschutzkonzepte in den Flüchtlingseinrichtungen. Wir brauchen nicht nur Konzepte, um zu gewährleisten, dass die Menschen in den Einrichtungen sicher sind, dass sie nicht überfallen werden und die Einrichtungen nicht angezündet werden. Wir brauchen nicht nur Brandschutzkonzepte, sondern eben auch Gewaltschutzkonzepte und -räume in diesen Einrichtungen. Das finde ich völlig selbstverständlich. Dass es das noch nicht gibt und Sie Ihre eigene Bundesministerin in diesem Zusammenhang bereits zweimal im Kabinett ausgebremst haben, ist eine völlige Katastrophe. Da fehlen mir fast die Worte. ({5}) Wir brauchen Schutz von Frauen und Kindern, von Homosexuellen und religiösen Minderheiten. Ja, ich finde die Forderung des Antrags richtig. - Frau Warken, da haben Sie meine Antwort auf Ihre Frage, was wir praktisch fordern. Der Forderung der Grünen können wir uns anschließen. Die Grünen fordern in ihrem Antrag ein Bundesprogramm. Im Antrag werden die Punkte detailliert dargestellt. Dort können Sie das nachlesen; wir haben leider nicht so viel Zeit, dass ich Ihnen das alles vortragen könnte. Mit einem solchen Bundesprogramm kann der Bund ganz unmittelbar wirken und Standards setzen. Ja, auch ich will nicht, dass wir langfristig Sondersysteme in Form von Gemeinschaftsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen schaffen. Ich möchte, dass diese Einrichtungen in unsere Sozialräume integriert werden, damit die Menschen, die besonders schutzbedürftig sind, auf die vielfältigen Strukturen, die wir in Deutschland haben, zurückgreifen können. Das möchte ich als langfristiges Ziel formulieren. Kurz- und mittelfristig brauchen wir aber besondere Schutzstandards und Schutzkonzepte für die bestehenden und noch zu eröffnenden Einrichtungen. ({6}) Der Antrag hat aber zwei Schwächen, zu denen ich etwas sagen möchte. Erstens. In diesem Antrag werden zwei Flüchtlingsgruppen ausgeblendet, zum einen jene Flüchtlinge, die aus meiner Sicht, die aus Sicht der Linken ungerechtfertigterweise nicht hierbleiben dürfen, und zum anderen die Gruppe der Flüchtlinge, die noch unterwegs sind. Ich sage deutlich: Fluchtsituationen sind besonders belastend und insbesondere für Kinder und Frauen gefährlich. Warum kommen so viele junge Männer? Weil verantwortungsvolle Familienväter ihre Kinder nicht in Schlauchboote setzen und sie Gefahr laufen lassen, im Mittelmeer zu ertrinken. ({7}) Das ist doch die Situation. Und Sie wollen auch noch den Familiennachzug verhindern! Flucht heißt häufig Chaos, den Schleppern ausgeliefert sein, Missbrauchsstrukturen - diesen Strukturen wird Tür und Tor geöffnet. Schaffen wir doch endlich sichere, legale Fluchtrouten, explizit, um Kinder zu schützen, um Frauen zu schützen, um Homosexuelle zu schützen, weil Flucht für sie ganz besonders gefährlich ist. Zur zweiten Schwäche des Antrags. Es gibt jene - ich komme zum Schluss -, die nicht bleiben dürfen, weil, mit Zutun der Grünen, zusätzlich eine ganze Reihe angeblich sicherer Herkunftsländer erfunden wurde, in die wir auch Frauen, Kinder, Homosexuelle und ethnisch Verfolgte wie die Roma zurückschicken. Diese besonders Schutzbedürftigen hätten wir in unseren Einrichtungen belassen sollen. Die dürfen wir nicht in Erstaufnahmeeinrichtungen kasernieren und dann zurückschicken. Deswegen hätte zum Antrag auch eine Ablehnung des Konzepts der sicheren Herkunftsstaaten gehört. An diesen Punkten ist der Antrag inkonsequent. Trotzdem steht in dem Antrag nichts, was falsch ist. Deswegen werden wir ihm zustimmen. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und hoffe auf Lerneffekte bei der Koalition. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Gülistan Yüksel von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was wir die letzten Monate tagtäglich lesen, sehen und vor Ort miterleben, ist schwer in Worte zu fassen. Menschen legen mit dem Mut der Verzweiflung Tausende Kilometer unter schwierigsten Umständen zurück, um Schutz zu finden. Unter ihnen sind unbegleitete Kinder, junge Männer, Frauen und Familien mit Kindern - Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und dafür sogar ihr Leben riskieren. Trotz der großartigen Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger vor Ort müssen wir aber feststellen, dass wir am Rande des Machbaren arbeiten und dass eigentlich selbstverständliche Standards momentan nicht überall eingehalten werden können. Unsere Ansprüche, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen, dürfen wir aber nicht senken. Ein wichtiger Anspruch muss es sein, trotz der Ausnahmesituation und der überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsheime die besonders Schutzbedürftigen nicht aus den Augen zu verlieren; das sind Frauen, Kinder - das ist heute mehrfach gesagt worden -, aber auch Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle und andere Gruppen. Sicherheit - darauf müssen alle Menschen in unserem Land vertrauen können. Wir haben eine menschenrechtliche Verpflichtung zum Schutz vor Gewalt, auch in Flüchtlingsunterkünften. Ich begrüße deshalb die Forderungen im Antrag; denn die Schaffung eines gewaltfreien und sicheren Umfelds, gerade für die Schutzbedürftigen, hat hohe Priorität. ({0}) Kulturelle Hemmnisse, mangelndes Wissen über Rechte und fehlende Informationen in verständlicher Sprache sind ein großes Problem. Unkenntnis und Unsicherheit führen dazu, dass sich viele nicht trauen, Hilfe zu suchen. Die Sorge, das Asylverfahren eventuell negativ zu beeinflussen, ist sehr groß. Deutschland ist durch die EU-Aufnahmerichtlinie dazu verpflichtet, in den Flüchtlingsunterkünften geschlechts- und altersspezifische Aspekte zu berücksichtigen und geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen. Eine Umsetzung der Richtlinie ist längst überfällig. Ich begrüße, dass die Richtlinie im Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems enthalten ist und dieser sich unter Federführung des BMI aktuell in der Ressortabstimmung befindet. Nach meiner Kenntnis soll es noch in diesem Jahr in Angriff genommen werden. Der Gesetzentwurf sieht weiterhin Norbert Müller ({1}) vor, Erstaufnahmeeinrichtungen der Heimaufsicht zu unterstellen. Damit gelten die Schutzstandards der Kinderund Jugendhilfe, welche bisher durch das Asylverfahrensgesetz ausgeschlossen sind; eine wichtige Änderung, die wir sehr begrüßen. ({2}) Die Länder sind schon jetzt aufgefordert, geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen, damit Übergriffe und Gewalt, einschließlich sexueller Übergriffe, verhindert werden. Die Bundesfamilienministerin hat deutlich gemacht, dass jeder Fall von Gewalt, Kindesmissbrauch und Vergewaltigung einer zu viel ist. ({3}) Sie appelliert an die Länder, sich dem Thema entschlossen anzunehmen. Die Checkliste mit Mindeststandards des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs enthält hierzu viele wichtige Forderungen. Sie sind heute schon mehrmals erwähnt worden, aber einige möchte ich doch erwähnen: eine separate Unterbringung von alleinerziehenden Müttern mit ihren Kindern, nach Geschlechtern getrennte Duschen und eine höhere Sensibilisierung der haupt- und ehrenamtlichen Helfer. Diese präventiven Maßnahmen gilt es zügig in den Unterkünften umzusetzen und nicht erst, wenn Verdachtsfälle auftreten. Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung zu dem, was wir am vergangenen Wochenende zum Thema Familiennachzug erleben mussten. Ja, die Debattenkultur gehört untrennbar zur Demokratie, und man muss sich auch einmal streiten, um dann eine gemeinsam vertretbare Position zu finden. Aber man sollte zuerst untereinander darüber reden, welche Haltung man vertritt. Was wir erleben mussten, war unprofessionell und unwürdig. ({4}) Wir haben nicht das Recht, Familien auseinanderzureißen. Sie werden durch diese Beschränkung die Familien auch nicht davon abhalten, zueinanderzukommen. Dieser Vorschlag zwingt gerade die Schutzbedürftigsten in die Boote, und das sind - auch das ist heute mehrmals erwähnt worden - die Frauen und Kinder. ({5}) Klar ist: Asyl ist ein Menschenrecht, an dem wir nicht rütteln dürfen. Die syrischen Flüchtlinge, die zu uns kommen, haben ein Recht auf Asyl, sie haben das Recht, ihre Familien zu holen und damit in Sicherheit zu bringen. Was würde man selbst in einer solch verzweifelten Situation tun? Diese Frage muss sich jede und jeder immer wieder selber stellen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Wochen habe ich oft gedacht: Was geht es uns doch gut! Wir sollten uns jeden Tag glücklich schätzen, in Frieden und Freiheit leben zu dürfen. - Deutschland hat große Verantwortung auf sich genommen. Der Aufgabe, die vor uns liegt, müssen wir uns als Gesellschaft gemeinsam stellen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das trotz aller Schwierigkeiten am Ende hinbekommen, Schritt für Schritt. Ein Schritt ist: die Verbesserung der Lebensbedingungen. Diese müssen stimmen, sowohl für die, die noch zu uns kommen, als auch für die, die schon hier sind. Die Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie darf nicht weiter auf Kosten der Schutzlosesten verzögert werden, sondern muss zügig erfolgen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Gudrun Zollner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Gudrun Zollner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf den Tribünen! Ich komme aus Bayern, meine Heimat ist Niederbayern. In diesem Regierungsbezirk gibt es zwei Städte, die Ihnen sicherlich nicht erst seit der Flüchtlingskrise bekannt sind: Deggendorf und Passau. Diese beiden Städte kämpften im Juni 2013 gegen ein unglaubliches Jahrhunderthochwasser. Es war, kurz gesagt, Land unter. Die Bilder von Menschen, die um ihr Leben, ihre Familie und ihre Existenz kämpften, gingen wochenlang durch die Medien. Auch diese beiden Städte kämpfen heute wieder, nicht mehr gegen brechende Wasserdämme, sondern für Menschen, die zu uns kommen und Schutz suchen. Wieder sind es die Landräte Bernreiter und Meyer, die die Hilfskräfte koordinieren. Wieder sind es Bundeswehr, Bundes- und Landespolizei, Technisches Hilfswerk, Bayerisches Rotes Kreuz und die freiwilligen Feuerwehren, die an ihre Grenzen kommen. Wieder sind es die Kommunalpolitiker vor Ort, die zu Krisenmanagern werden müssen. Wieder sind es Tausende von ehrenamtlichen Helfern, die rund um die Uhr nur eines kennen: helfen. Sie stemmen sich mit aller Kraft gegen eine menschliche Katastrophe, sammeln Kleidungsstücke und Lebensmittel - wieder. ({0}) Alle, egal ob haupt- oder ehrenamtlich, leisten Unglaubliches. ({1}) Sie sind das freundliche Gesicht von Deutschland. Für diesen selbstlosen Einsatz möchte ich allen ein herzliches „Vergelts Gott!“ sagen. Danke. ({2}) Doch diesmal kommt eine Flut von Menschen, die vor Krieg und Gewalt flüchten, bis zu 10 000 am Tag - und der Strom reißt nicht ab. Auch in Niederbayern wird bald der Winter einbrechen. Deshalb baut man Traglufthallen, besetzt Sporthallen und räumt Lagerhallen, die man beheizen kann. Sicher, das ist nicht die perfekte Lösung, aber eine Lösung, damit die Männer und die Frauen mit ihren Kindern und Babys nicht Kälte und Schnee ausgeliefert sind. Ja, es gibt keine Privatsphäre, und Alltagskonflikte nehmen zu. Die Flüchtlinge kommen aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Sprachen, verschiedenen Bräuchen und verschiedenen Religionen. In der Enge der Unterkünfte sind Streitigkeiten vorprogrammiert. Die Frauen und Kinder können sich am wenigsten wehren. Sie leiden besonders und brauchen deshalb unseren besonderen Schutz. ({3}) Die Frauen-Union Niederbayern, deren Vorsitzende ich bin, hat bereits im Juli dieses Jahres ihren Standpunkt deutlich gemacht. Wir haben auf die besondere Schutzbedürftigkeit von alleinreisenden, alleinerziehenden und traumatisierten Flüchtlingsfrauen bei allen Schritten des Asylverfahrens hingewiesen. Genau deshalb habe ich separate Unterbringungsmöglichkeiten, abschließbare Zimmer und Sanitäreinrichtungen auch für ethnische Minderheiten gefordert. ({4}) Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt dürfen nicht tabuisiert werden. Sie müssen verhindert werden. Hier sind wir uns alle einig. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, seit Anfang September 2015 sind in Bayern mehr als 400 000 Asylsuchende angekommen. Wenn man aktuellen Schätzungen glauben darf, werden am Ende des Jahres genauso viele Unterbringungsmöglichkeiten fehlen. Deshalb wird geplant und gebaut. Die EU-Richtlinie 2013/33 wird bei allen Planungen und Neubauten umgesetzt. Es entstehen größere und kleinere Wohneinheiten, um dem besonderen Schutz von Familien sowie verletzlichen Personen gerecht zu werden. Wir können nicht alles sofort umsetzen. Dafür sind die Flüchtlingszahlen einfach zu hoch. ({5}) Auch ich würde mir wünschen, dass jede Frau von Anfang an ein eigenes Zimmer bekommt; keine Frage. Aber wenn die Asylsuchenden in der Nacht an der österreichisch-bayerischen Grenze stehen, müssen sie schnellstmöglich untergebracht, bestmöglich versorgt und bundesweit verteilt werden. Leider gibt es immer noch Bundesländer, die Bayern bei dieser immensen Aufgabe zu wenig unterstützen und nicht nach dem Königsteiner Schlüssel Flüchtlinge aufnehmen. Und: Europa muss sich endlich einigen. ({6}) Alle 28 Mitgliedstaaten müssen zeigen, dass Europa nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine Wertegemeinschaft ist. ({7}) Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, damit diese Menschen ihre Heimat nicht verlassen und den gefährlichen Weg zu uns nach Europa gehen müssen. Und: Wir müssen die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns nach Deutschland kommen will, begrenzen. Ansonsten werden wir uns nicht ausreichend um alle kümmern können. Vielleicht sollte sich Kollege Müller einmal mit seinem Parteikollegen Lafontaine unterhalten, ({8}) bevor er versucht, die CSU in die rechte Ecke zu drängen; ({9}) denn auch Kollege Lafontaine spricht von Obergrenzen. Die Schutzbedürftigen vertrauen darauf, dass wir ihnen den notwendigen Schutz und Sicherheit bieten. Eine erfolgreiche Integration kann nur gelingen, wenn wir die Menschen, die bei uns bleiben wollen, und die Menschen, die hier geboren wurden, nicht überfordern. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerinnen und Bürger von Deggendorf und Passau haben die Wassermassen damals besiegt, weil sie zusammengerückt sind und sich gegenseitig geholfen haben. Die Welle der Flüchtlinge können wir nur meistern, wenn wir alle zusammen helfen: in den Kommunen, in den Ländern, in Deutschland, in Europa und in den Parteien. Vielen herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als letzter Redner in dieser Debatte hat Sebastian Hartmann von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Sebastian Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004291, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen machen sich auf den Weg nach Europa. Sie sind auf der Flucht. Sie erreichen Deutschland, und sie erreichen damit nicht nur einen Raum des Rechts und der Freiheit, sondern auch einen Raum der Sicherheit. Sie erreichen Deutschland. Deswegen möchte ich an den Anfang meiner Ausführungen stellen, dass sich natürlich nicht aus dem Umfang der Zuwanderung oder des Einreisens ergeben kann, dass sich eine Grenze des Rechtsstaates oder der Geltung des Rechts ergibt. Dieser eine Gedanke wird sich mit dem anderen nicht vereinbaren lassen. Es muss genauso klar sein, wie wir das von allen, die zu uns kommen, einfordern, dass wir in Deutschland auch in den Gemeinschaftsunterkünften, in den Erstaufnahmeeinrichtungen keine rechtsfreien Räume schaffen, meine Damen und Herren, und zwar für niemanden. ({0}) Als Staat und Gemeinschaft müssen wir uns der Verantwortung bewusst sein, die wir für diejenigen tragen, die zu uns geflohen sind und nun in Gemeinschaftsunterkünften leben. Ich bin den Grünen für ihren Antrag dankbar, da sie darin ein paar Punkte aufgreifen, die wir teilen, auch partei- und fraktionsübergreifend. Noch interessanter als der Antrag der Grünen ist jedoch die zugrundeliegende Studie, die zitiert worden ist, die es allerdings sehr bezeichnend auf den Punkt bringt. Darin heißt es: Die Ergebnisse bieten keine abschließende Bearbeitung des Themas Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften, sondern werfen auf der Grundlage des explorativen Charakters der Untersuchung erste Schlaglichter auf ein relativ unbearbeitetes Feld. Das ist genau die Spannkurve, in der wir uns befinden: Auf der einen Seite erleben wir enormes ehrenamtliches Engagement von freiwilligen Helferinnen und Helfern, die in der Prävention arbeiten, die Sicherheit bieten, die betroffenen Menschen helfen, egal ob Männern oder Frauen bzw., anders ausgedrückt, all denjenigen, die in den Einrichtungen von Gewalt betroffen sind. Das ist ehrenamtliches Engagement. Auf der anderen Seite gibt es einen unteilbaren Bereich, der die Sicherheit betrifft, und dieser Bereich ist nicht privat, sondern hier hat der Staat seine Aufgabe zu erfüllen. Das müssen wir als Gemeinschaft organisieren. ({1}) Zu unserer vornehmsten Verpflichtung gehört auch die Umsetzung des gemeinsamen europäischen Asylsystems, dass Schutzsuchende - ich zitiere - „eine gleichwertige Behandlung bei Verfahrensgarantien und Aufnahmebedingungen sowie einheitlichen Schutzstatus“ erhalten sollen, so weit das Zitat des ehemaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich. Das muss doch die Maßgabe sein, wenn wir uns an die Umsetzung dieser Richtlinie machen. Es ist auch nicht so, dass es zu dieser Richtlinie ohne tatkräftiges Mittun Deutschlands gekommen ist. Genauso werden wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - hier schließe ich mich ausdrücklich den Worten der Kollegin Gülistan Yüksel an - darauf achten, dass es zu dieser Umsetzung kommt. ({2}) Ein weiterer Punkt ist wichtig: Es ist sehr schwierig, einerseits Verfahren vereinfachen und es ermöglichen zu wollen, dass vor Ort Hilfe geleistet wird, und gleichzeitig sofort wieder die nächste Rahmenbedingung und die nächste verbindliche Regelung vorzugeben. Hier hilft auch die Übergangsfrist nicht; denn wir müssen vor Ort dafür sorgen, dass die Helfenden auch helfen können. An dieser Stelle möchte ich sehr ausdrücklich auch denjenigen danken, die vor Ort in vielen Freizeitstunden ehrenamtliche Hilfe leisten. Sie begleiten die von Gewalt Betroffenen, die traumatisiert und hierher geflohen sind. Danke schön an all diejenigen für die geleistete Arbeit. ({3}) Ein großes Bundesland wurde angesprochen. Es gibt ein weiteres großes Bundesland, nämlich meine Heimat Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen ist genau an diesem Punkt vorangegangen. Wir haben schon im Dezember 2014 konkrete Vereinbarungen getroffen und für das Haushaltsjahr 2015 einen Fonds in Höhe von 900 000 Euro aufgelegt, mit dem genau an diesen Stellen vor Ort Schulungsprogramme und Hilfeleistungen finanziert werden, sodass diejenigen, die in den Einrichtungen ehrenamtliche Hilfe leisten, die die Betreuung übernehmen und die mit den betroffenen Frauen zusammenarbeiten, diese Hilfe auch konkret leisten können. Darum gilt der Dank auch den Ländern, die willig sind, daran zu arbeiten und das umzusetzen, was wir als Nationalstaat im europäischen Rechtsrahmen gemeinsam vereinbart haben; denn ohne die Länder und ohne die Kommunen wird es genauso wenig gehen wie ohne die zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. Ein Dankeschön an Nordrhein-Westfalen und ein Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, die hier mitwirken. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6646 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung liegt beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze Drucksachen 18/5920, 18/6290 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten Drucksachen 18/5919, 18/6291 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) Drucksache 18/6667 - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6682 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Abgeltungsteuer abschaffen - Kapitalerträge wie Löhne besteuern - zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abgeltungsteuer abschaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz von Kapitaleinkommen stärken - Automatischen Austausch von Informationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen Drucksachen 18/2014, 18/6064, 18/6065, 18/6667 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich kann die Aussprache eröffnen, sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben. Wenn Sie das tun würden, würde das das ganze Verfahren beschleunigen und uns helfen, unsere lange Tagesordnung zu bewältigen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat Dr. Mathias Middelberg von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({3})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Obwohl wir hier in diesen Tagen auch viele andere wichtige Themen zu besprechen haben, sollten wir dieses Feld der Steuerpolitik und der Finanzpolitik nicht aus den Augen verlieren; denn wir gehen hier heute einen ganz grundlegenden Schritt in Sachen Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Bekämpfung der illegalen Steuervermeidung. Den gehen wir höchstwahrscheinlich - da setze ich die Zustimmung aller einmal voraus, die wir gestern in der Ausschussberatung hatten - gemeinsam und in wesentlicher Übereinstimmung. Ich finde, das ist heute ein Tag, den man feiern kann. Den Auftakt hat das im Oktober letzten Jahres genommen, als 51 Staaten die Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten in Berlin - in unserem Bundesfinanzministerium - unterschrieben haben, wesentlich initiiert durch unser Finanzministerium, durch Wolfgang Schäuble an der Spitze. Aber auch weitere Länder waren maßgeblich daran beteiligt: Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, aber eben auch wir Deutsche. Wenn man verfolgt hat, wie lange es gedauert hat und wie mühsam es war, sich über die EU-Zinsrichtlinie zu verständigen, dann ist es bemerkenswert, wie schnell wir es geschafft haben, uns über diesen internationalen und automatisierten Austausch von Daten über Finanzkonten in Europa auch weit über Europa hinaus zu verständigen. Ich finde, das ist ein höchst bemerkenswertes Ergebnis. ({0}) Ab 2017 werden die Steuerbehörden in den Unterzeichnerstaaten - es waren zuerst 51, jetzt sind es schon 74, und 96 Staaten haben sich politisch schon fest dazu bekannt, dass sie dieses Abkommen unterstützen - in einem automatisierten Verfahren Kontoinformationen von den in ihrem Staat ansässigen Banken erhalten und untereinander austauschen. Das ist - ich habe es eben gesagt - ein maßgeblicher und grundlegender Schritt zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Länder, die dieses Abkommen unterzeichnet haben und dieses Abkommen dann exekutieren, stehen in Zukunft als Fluchtort, als Ort, wo man Kapitalvermögen verstecken kann, nicht mehr zur Verfügung. ({1}) Ab 2018 gilt das auch für die Schweiz. Die Schweiz wird dieses Abkommen ein Jahr später exekutieren. Wir können uns an viele Debatten erinnern, in denen wir uns hier über Steuerhinterziehung und Steuerbetrüger - ich will jetzt keine Namen mehr nennen, aber es waren prominenteste Namen dabei - unterhalten haben. Das wird in Zukunft nicht mehr der Fall sein. In Zukunft werden wir solche Fälle nicht mehr haben. Fälle dieser Art können sich bei dieser neuen Rechtslage nicht wiederholen. Das ist ein ganz großer Erfolg für Deutschland, für Europa und weit darüber hinaus, und es ist ein ganz grundlegender Beitrag für mehr Steuergerechtigkeit. ({2}) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Zu den Anträgen der Opposition nur so viel: Wir können bei aller Einigkeit heute im Kern diesen freundlichen Anträgen leider die Zustimmung nicht erteilen. Es bedarf keiner schrankenlosen Transparenz über alle Kapitaleinkünfte und auch keiner vollständigen Auflösung unseres Bankgeheimnisses. Die Finanzbehörden - das ist entscheidend - werden in Zukunft die Informationen über Kapitaleinkünfte im Ausland durch den Informationsaustausch umfassend erhalten. Im Inland werden Kapitaleinkünfte bereits heute durch die flächendeckende Kapitalertragsteuer erfasst. Schlupflöcher bestehen da nicht; ({3}) denn die Kapitalertragsteuer wird automatisch durch die Banken erhoben und in anonymisierter Form an die Finanzverwaltung abgeführt. Darüber hinaus haben Sie die Abschaffung der Abgeltungsteuer beantragt. ({4}) Hierüber kann man durchaus einmal grundsätzlich diskutieren; das ist gar keine Frage. Allerdings sollte man darüber erst dann diskutieren, wenn wir den Informationsaustausch auch wirklich haben, und nicht schon dann, wenn wir ihn beschließen. Wenn wir feststellen, dass er von sämtlichen Unterzeichnerstaaten wirklich exekutiert wird, dann macht es Sinn, in diesem Kontext auch über die Abgeltungsteuer zu diskutieren. Dann haben wir eine tatsächliche Handlungsalternative. Unter dieser Prämisse stehen im Übrigen auch alle rechtlichen Betrachtungen, die Sie uns wahrscheinlich gleich vorhalten werden. Wenn es nämlich diese Alternative in der Tat noch nicht gibt, machen diese rechtlichen Bewertungen wenig Sinn. Es gilt, was Wolfgang Schäuble - im Übrigen unter Bezugnahme auf seinen Vorgänger Steinbrück - gesagt hat: Die Abgeltungsteuer ist mit dem Argument eingeführt worden ...: 25 Prozent von X ist mehr als 45 Prozent von nix. Wolfgang Schäuble hat hinzugefügt: Solange man die Informationen nicht hat, ist eine Abgeltungsteuer in der Abwägung der Argumente pro und kontra - zumindest eine mit guten Argumenten versehene Lösung. Diese Einschätzung war und ist richtig. ({5}) An dieser halten wir so lange fest, bis wir den Informationsaustausch wirklich exekutieren. Wir sollten deshalb nicht den zweiten vor dem ersten Schritt tun und deshalb in diesem Punkt noch zuwarten. Im Übrigen - das sei an dieser Stelle schon angemerkt -: Wenn wir darüber diskutieren, zu einer normalen Besteuerung überzugehen, dann müssen wir natürlich auch über die Kompensationstatbestände reden, die damals zusammen mit der Abgeltungsteuer eingeführt wurden. ({6}) Dann müssen wir nämlich über den vollständigen Werbungskostenabzug reden. Auch müssen wir über das Teileinkünfteverfahren bei der Körperschaftsteuer reden. Wenn, dann ist das ein Paket, aber keine getrennte Veranstaltung. ({7}) Abschließend möchte ich gern eine Bemerkung zu dem Änderungsantrag machen, den Bußgeldrahmen, den das BMF auf 5 000 Euro gesetzt hat, zu verhundertfachen. Also, es lag der Antrag vor, den Bußgeldrahmen zu verhundertfachen. Wir in der Koalition haben uns darauf verständigt, dass wir den vorgesehenen Bußgeldrahmen verzehnfachen. Das halten wir für absolut angemessen und zureichend. Sie müssen sich vor Augen halten, meine Damen und Herren: Dieser Bußgeldrahmen betrifft gerade auch kleine Fälle. Betroffen ist der normale Sachbearbeiter in einem Finanzinstitut, der Fehler macht. Ihn wollen wir nicht mit einem Bußgeld von 500 000 Euro praktisch kriminalisieren. Auch da muss man eine Grenze setzen. ({8}) - Genau, das ist richtig. Vielen Dank an Lothar Binding für den freundlichen Hinweis. Das wäre mein nächster Punkt gewesen. - Auch das muss man sehen: Jeder Fall, bei dem ein Fehler gemacht wird, wird demnächst mit 50 000 Euro bebußt. Wenn es also Fälle fehlerhafter Angaben gibt, dann gibt es in der Regel noch mehr solcher Fälle. Das summiert sich. Dadurch kommt es zu ganz anderen Bußgeldsummen. Wenn es hier um systematisch falsche Angaben geht, so wie das in der Ausschussberatung von einigen, - ich sage einmal, - beispielhaft vorgetragen wurde, dann wird in aller Regel strafbares Verhalten vorliegen. Dann gibt es Betrugssachverhalte oder auch Untreue. Das führt zu einem ganz anderen Strafrahmen, zum Beispiel zu Freiheitsstrafen. Ich glaube, wir haben den vorliegenden Gesetzentwurf insgesamt sehr gut gestaltet. Wir gehen einen Riesenschritt in Sachen mehr Steuergerechtigkeit. Ich sage an dieser Stelle ganz persönlich, dass ich mich für die tolle Vorarbeit meines Kollegen Uwe Feiler, der in den letzten Monaten an der Arbeit gehindert wurde, sehr herzlich bedanke. ({9}) Ich stehe nur deshalb an dieser Stelle, weil du leider verhindert warst. Ich wünsche dir weiterhin allerbeste Besserung und danke dir für deine Arbeit. Ich bedanke mich auch bei allen anderen, auch beim Bundesfinanzministerium, für die hervorragende Zusammenarbeit. Danke. ({10})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Richard Pitterle von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Jahrzehntelang war es den Wohlhabendsten in unserer Gesellschaft möglich, ihre Millionen und Abermillionen vor dem Zugriff des Finanzamtes im Ausland zu verstecken. Wer ohnehin im Reichtum schwelgte, konnte fröhlich Steuern hinterziehen und sich an seinen prallgefüllten Konten in der Schweiz oder Luxemburg erfreuen - auf Kosten der vielen ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aus den unteren und mittleren Einkommensschichten. Der jetzt im Gesetzentwurf vorgesehene automatische Informationsaustausch zwischen den Staaten über Finanzkonten macht es den Vermögenden nun deutlich schwerer, ihr Geld im Ausland zu verstecken. Die Finanzinstitute melden an die jeweiligen Behörden ihres Landes, wer bei ihnen wie viel Geld auf dem Konto hat. Das können die Finanzbehörden der anderen Länder abrufen. Die Linke hat das seit langem gefordert. Ich freue mich, dass die Bundesregierung nun endlich ein Einsehen hatte und unsere Forderung jetzt umsetzt. ({0}) Wir werden dem Gesetzentwurf daher zustimmen, auch wenn wir nicht mit allen Regelungen einverstanden sind. Dabei ist ein Punkt von herausragender Bedeutung: das Bußgeld der Finanzinstitute bei Nichteinhaltung der Meldepflichten. Im ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung war dafür ein Betrag von maximal 5 000 Euro vorgesehen. Ich bitte Sie, welche Bank hätte sich denn von solchen Peanuts beeindrucken lassen, wenn millionenschwere Kundinnen und Kunden um die Geheimhaltung ihrer Daten gebeten hätten? Nach der Anhörung haben Sie den Bußgeldrahmen jetzt wenigstens auf 50 000 Euro erhöht. Diese Summe dürfte zwar schon etwas mehr wehtun, zeugt aber leider immer noch davon, dass die Steuerhinterzieher bei der Großen Koalition weiterhin eine starke Lobby haben. ({1}) Meine Damen und Herren, zum Vergleich: Derselbe Bußgeldrahmen, also bis zu 50 000 Euro, erwartet Sie, wenn Sie an einem Sonn- oder Feiertag Rasen mähen oder wenn Sie einen strenggeschützten Käfer wie das Wachsblumenböckchen verletzen oder gar töten. ({2}) Bei aller Liebe zur Feiertagsruhe oder zu seltenen Käfern: Es geht hier um die Bekämpfung der Straftat Steuerhinterziehung. ({3}) Wir haben deswegen zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen in den Ausschussberatungen einen noch deutlich höheren Rahmen für die Geldbuße gefordert. Danach hätten Banken eine Geldbuße von bis zu 5 Millionen Euro riskiert, wenn sie die Daten weiter verheimlichen und so der Steuerflucht weiter Vorschub leisten. Union und SPD haben das leider abgelehnt. Abgelehnt haben sie im Finanzausschuss auch unseren Antrag zur Abgeltungsteuer. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns endlich die unsägliche Abgeltungsteuer abschaffen und Kapitalerträge wieder dem Einkommensteuersatz unterwerfen. ({4}) Wer sein Geld für sich arbeiten lässt, zahlt momentan lediglich den pauschalen Abgeltungsteuersatz von 25 Prozent. Wer hingegen sein Einkommen aus der eigenen Hände Arbeit erzielt, zahlt darauf Einkommensteuer bis zu 42 oder sogar 45 Prozent. Das ist schlichtweg nicht gerecht. ({5}) Die Linke fordert deshalb seit jeher die Abschaffung dieses Reichenprivilegs. Die Abgeltungsteuer wurde mit der Begründung eingeführt, dass man nur so der Steuerflucht ins Ausland Herr werden könne. Spätestens mit dem heutigen Gesetzentwurf ist diese Begründung hinfällig. Denn wenn die Reichen und Superreichen ihr Geld aufgrund des Informationsaustausches nicht mehr im Ausland verstecken können, fehlt der niedrigen Abgeltungsteuer die von Ihnen behauptete Existenzberechtigung. Dass der Bundesfinanzminister nun eine Abschaffung der Abgeltungsteuer erst in der nächsten Wahlperiode erwägt, ist wieder einmal ein Beispiel für die Verschleppungstaktik der Bundesregierung. Wenn die Damen und Herren von der CDU/CSU sich zieren, die Privilegien der Wohlhabenden zu beschneiden, überrascht das nicht weiter. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, geben doch wenigstens Sie sich einen Ruck, und sorgen Sie gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und Linken noch hier und jetzt für ein Ende der Abgeltungsteuer und somit für mehr Gerechtigkeit für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Andreas Schwarz von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute von uns zu beschließende Gesetzentwurf zum automatischen Informationsaustausch ist ein Meilenstein in der Bekämpfung der Steuerkriminalität. Seit vielen Jahrzehnten diskutiert man darüber, wie man Steuerhinterziehung wirksam eindämmen bzw. vielleicht sogar verhindern kann. Ich denke, im letzten Jahr sind wir mit der Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige einen großen Schritt vorangekommen. Trotz allen Erfolges des Gesetzes vom letzten Jahr gilt: Steuerhinterziehung ist nicht nur mit nationalstaatlicher Gesetzgebung beizukommen; wir müssen international tätig werden. Dazu brauchen wir eine internationale Zusammenarbeit. Bereits am 13. Oktober 1931 hatte der damalige sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Dr. Rudolf Breitscheid in einem Antrag die Reichsregierung Brüning aufgefordert - ich zitiere -, „der frevelhaften Kapital- und Steuerflucht deutscher Staatsangehöriger“ zu begegnen. Breitscheid forderte die damalige Reichsregierung auf, „über eigene gesetzgeberische Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuer- und Kapitalflucht hinaus in Verhandlungen mit den Regierungen anderer Staaten einzutreten mit dem Ziele, eine internationale Rechtshilfe gegen Kapitalund Steuerfluchthandlungen zu vereinbaren“. ({0}) Dieses über 80 Jahre alte Zitat drückt sehr gut aus, worum es geht. Steuerkriminalität bekämpft man national und international. Es fehlte viel zu lange an dieser unerlässlichen internationalen Zusammenarbeit. Aber was alles wurde in den letzten Jahrzehnten tatsächlich unternommen? Untätig waren Europa und die Welt nicht. 1962 erarbeitete Fritz Neumark im Auftrag der EG-Kommission ein Konzept, das die EG-weite Einführung einer einheitlichen, anrechenbaren Quellensteuer sowie einen gemeinschaftlichen Auskunftsdienst für eine wirksame Steuerkontrolle vorsah. Realisiert wurde es nie. Noch 1989 war der Vorschlag, in Europa eine Quellensteuer auf die Zinserträge ausländischer Anleger einzuführen, von den Mitgliedstaaten mehrheitlich abgelehnt worden. Es dauerte viele weitere Jahre, bis dann im Juni 2003 die EU-Zinsrichtlinie verabschiedet wurde. Nach einigen Verzögerungen trat sie dann im Juli 2005 in Kraft. Lediglich Belgien, Österreich und Luxemburg wollten keine Zinsdaten austauschen. Sie erhoben zur Wahrung ihres Bankgeheimnisses eine Quellensteuer. Es hat also über 40 Jahre gedauert, bis endlich ein Instrument für eine effektive Besteuerung grenzüberschreitender Zinszahlungen zur Verfügung stand. Über 40 Jahre! Im Jahre 2011 wurde von Schwarz-Gelb mit dem sogenannten deutsch-schweizerischen Steuerabkommen der Versuch unternommen, die Besteuerung des grenzübergreifenden Kapitalverkehrs zwischen unseren beiden Ländern zu regeln. Bei Inkrafttreten dieses Abkommens wären sämtliche Steuerhinterzieher anonym und straffrei geblieben. Dies war der Hauptgrund, warum wir es im Jahr 2012 verhindert haben. ({1}) Erst durch diese Ablehnung und die daraus folgende Aufdeckung all der prominenten Fälle mit nichtversteuerten Zinsgewinnen auf Schweizer Konten kam dann Tempo in die Verschärfung der Gesetzgebung gegen Steuerbetrug. Für mich persönlich ist die Ablehnung dieses Abkommens die Geburtsstunde des heute zu beschließenden Gesetzes. ({2}) Bereits ein knappes Jahr nach der Unterzeichnung der mehrseitigen Erklärung Ende Oktober 2014 gießen wir heute den OECD-Standard in Gesetzesform; das ist wirklich rekordverdächtig. Das zeigt aber auch, dass wir es ernst meinen mit der Bekämpfung von Steuerbetrug. ({3}) Für diese tolle Leistung möchte ich allen Beteiligten meinen herzlichen Dank aussprechen. Die im Jahre 2014 überarbeitete Zinsrichtlinie stellte somit einen guten Zwischenschritt hin zum automatischen Informationsaustausch nach OECD-Standard dar. Es handelt sich deshalb um einen Zwischenschritt, weil der OECD-Standard weiter geht als die EU-Zinsrichtlinie; denn künftig werden zum Beispiel Beteiligungs- und Veräußerungserträge erfasst. Das ist ein großer Fortschritt. Beim automatischen Informationsaustausch geht es um den länderübergreifenden Austausch von persönlichen Daten. Genau deshalb ist uns hier der Datenschutz besonders wichtig. An ihm wird nicht gerüttelt. ({4}) Der Datenaustausch nach OECD-Standard bedeutet faktisch auch das Ende des Bankgeheimnisses. Das war unausweichlich; denn das Bankgeheimnis diente in der Regel in den vergangenen Jahrzehnten dazu, als Deckmantel für Steuerhinterziehungen herangezogen zu werden. Wir konnten nun im Gesetzgebungsverfahren das Prüfungsrecht des Bundeszentralamtes für Steuern ausweiten. Die Sanktionen bei einer Verletzung der Meldepflichten durch die Finanzinstitute wurden ebenfalls deutlich verschärft. Statt 5 000 Euro werden zukünftig 50 000 Euro pro Fall fällig. Nicht zuletzt haben wir durch eine Präzisierung der Meldepflichten der Finanzinstitute die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Informationsaustausch im Fall eines Beitritts weiterer Staaten einfach und schnell erweitert werden kann. Wir begrüßen ausdrücklich, dass Steuerflüchtigen durch den Ankauf weiterer Steuer-CDs - wie jüngst durch Nordrhein-Westfalen - zusätzlich Druck gemacht wird. ({5}) Steuerhinterziehung darf sich nicht lohnen. Es lohnt sich auch deshalb nicht, weil die Gefahr, erwischt zu werden, immer größer wird. Die Bekämpfung von Steuerbetrug ist für uns, die SPD-Bundestagsfraktion, immer auch eng verknüpft mit dem Thema Gerechtigkeit. Mit der heutigen Verabschiedung kommen wir auch hier einen großen Schritt weiter. Recht herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ganz herzlichen Dank. - Als nächste Rednerin hat Lisa Paus von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir Grünen begrüßen die Einführung eines internationalen automatischen Informationsaustauschs. Wie sollten wir anders? Wir haben das seit Jahren gefordert. ({0}) Bei all der Feierstimmung sollte aber eines dann doch nicht unter den Tisch fallen: Die Wandlung von Schäuble vom Saulus zum Paulus in dieser Frage ist nicht einer visionären Erleuchtung geschuldet, sondern diese Wandlung musste wirklich sehr hart erstritten werden. Ohne die Ablehnung des deutsch-schweizerischen Steuerabkommens durch Rot-Grün im Bundesrat - das wurde gerade schon erwähnt - könnten wir dieses Gesetz heute gar nicht verabschieden. Dann hätte sich nämlich nicht der automatische Informationsaustausch durchgesetzt, dann hätten wir von einem Fall Hoeneß oder einem Fall Alice Schwarzer nichts erfahren, sondern es gäbe weiter viele Fälle von unentdeckter Steuerhinterziehung. Dann hätten wir stattdessen eine Art modernen Ablasshandel bekommen, also eine Vereinbarung mit ehemaligen Steueroasen, dass sie uns jährlich eine - ansonsten anonyme - Mindestsumme Geld überweisen. Gut, dass das Geschichte ist: weil wir das verhindert haben. ({1}) Nicht gut ist dagegen, dass die Große Koalition an der Abgeltungsteuer in Deutschland trotzdem immer noch festhalten möchte. Wenn massenhafte Steuerhinterziehung durch Parken von Geld auf Auslandskonten nicht mehr möglich ist, weil die nationalen Finanzbehörden die Information über Kapitalerträge automatisch austauschen, dann löst sich eben die Steinbrück’sche Mathematik von einst endgültig auf, die da lautet: 25 Prozent von x sind besser als 42 Prozent von nix. ({2}) Sie von der GroKo wissen auch ganz genau, dass das damit zu Ende ist. Deshalb hat sich auch die SPD-Bundestagsfraktion inzwischen in einem Positionspapier für die Abschaffung der Abgeltungsteuer ausgesprochen. ({3}) Selbst Finanzminister Schäuble hat gesagt, auch gestern noch, er wäre im Prinzip dafür, nur jetzt noch nicht. ({4}) Jetzt könnte man sagen: Das ist immerhin schon ein Schritt. Aber, meine Damen und Herren, das reicht nicht; denn die Beibehaltung der Abgeltungsteuer ist heute keine Petitesse. Wenn dieses Gesetz über den automatischen Informationsaustausch heute verabschiedet wird, dann ist die Abgeltungsteuer endgültig verfassungswidrig. ({5}) Das ist nicht nur unsere Meinung, sondern das bestätigt inzwischen auch ein umfassendes Rechtsgutachten des Steuerrechtlers Professor Joachim Englisch von der Universität Münster, der nun wahrlich nicht verdächtig ist, ein Grüner zu sein. Herr Professor Englisch stellt in seinem Gutachten fest: Erstens. Die Abgeltungsteuer hat schon immer gegen die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung aller Einkunftsarten verstoßen, weil Kapital niedriger besteuert wird als Löhne oder Gehälter. Zweitens. Die Abgeltungsteuer hat schon immer gegen das in Deutschland geltende Leistungsfähigkeitsprinzip verstoßen, wonach finanziell starke Einkommensgruppen einen höheren Beitrag zur Finanzierung des Staates leisten sollen als Einkommensschwache. Drittens. Die Abgeltungsteuer konnte nur deshalb gerade noch als verfassungsgemäß durchgehen, weil man die Privilegierung des Einkommens aus Kapital mit der Konzession an den internationalen Steuerwettbewerb begründete, wie es auch hier heute noch einmal gemacht wurde. Aber es gab seit der Einführung der Abgeltungsteuer nicht einen einzigen empirischen Hinweis darauf, der diese Begründung stützen würde. Deswegen ist sie nicht erst in zwei Jahren, Herr Middelberg, sondern spätestens heute mit der Verabschiedung des Gesetzes über den automatischen Informationsaustausch, so jedenfalls das Fazit von Professor Englisch, nicht mehr ausreichend. Es gibt keine ausreichende Rechtfertigung mehr für den Verstoß gegen Gleichbehandlung und das Leistungsfähigkeitsprinzip, wie es die Verfassung vorsieht. ({6}) Deswegen ist die Abgeltungsteuer endgültig verfassungswidrig. ({7}) Seien Sie ehrlich: Tatsächlich gibt es für Sie doch nur einen einzigen Grund, die Abgeltungsteuer nicht gleichzeitig mit der Einführung des automatischen Informationsaustauschs abzuschaffen, und der lautet: Koalitionsvertrag. Oder genauer: keine Steuererhöhung. Das ist vereinbart in der GroKo. Aber, meine werten Damen und Herren, werte Kollegen von der Koalition, der Koalitionsvertrag steht nicht über dem Grundgesetz. Deswegen müssen wir die Regelung ändern. ({8}) Aber für die wachsende Schar unter Ihnen, denen auch Verfassungsverstöße mittlerweile ziemlich egal sind, die Sie eigentlich kaltlassen, liefere ich doch noch ein Argument für den Koalitionsvertrag. Die Abschaffung der Abgeltungsteuer würde gerade nicht - ({9}) - Mein lieber Herr Kollege, wir können uns gerne über die Ergebnisse der Anhörung zur Erbschaftsteuer unterhalten, ({10}) bei der alle Experten unisono festgestellt haben, dass sich keiner traut, Verfassungsgemäßheit tatsächlich festzustellen. Wir reden darüber, wie Sie mit dem Thema Grundsteuer umgehen. In all diesen Fragen haben wir erlebt, dass Ihnen die Verfassung ziemlich egal ist. Deswegen finde ich diese Aussage völlig gerechtfertigt und Ihre Einlassung völlig daneben. ({11}) Aber kommen wir zurück zu Ihrem Koalitionsvertrag. ({12}) - Das haben Sie getan, und ich musste leider darauf reagieren, werter Kollege. ({13}) - Ja, das merke ich, dass Sie ganz schön getroffen sind. ({14}) - Ich hoffe, Sie können trotzdem noch einen Satz aushalten, werter Kollege. Ich wollte einfach darauf hinweisen, ({15}) dass auch Sie mit Ihrem Koalitionsvertrag eigentlich überhaupt kein Problem haben, weil das Bundesfinanzministerium bisher der Auffassung war, dass eine Abschaffung der Abgeltungsteuer nicht zu Mehreinnahmen führt. Auf die Antwort der Kleinen Anfrage der Linkspartei hat das Bundesfinanzministerium festgestellt: Eine Abschaffung würde zu Mindereinnahmen führen, auch wenn Herr Schäuble heute behauptet, es käme zu Mehreinnahmen. Ich glaube, wir alle miteinander wissen, die Abgeltungsteuer würde in dieser Niedrigzinsphase zu keinen Steueraufkommensveränderungen führen, aber sie würde zu mehr Gerechtigkeit führen.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Lisa Paus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004127, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Auf niedrige Einkommen würden weniger und auf höhere Einkommen würden mehr Steuern zu zahlen sein. Deshalb fordere ich Sie ein letztes Mal auf: Sorgen Sie für mehr Gerechtigkeit! Schaffen Sie die ungerechte und verfassungswidrige Abgeltungsteuer heute ab! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Ich möchte die Kollegen darauf hinweisen: Wir haben bewährte Instrumente, um einen solchen Diskurs zu führen. Das ist die Zwischenfrage, und das ist die Kurzintervention. Ich bitte, davon Gebrauch zu machen, damit wir im Rahmen der Redezeiten bleiben. ({0}) Jetzt hat der Kollege Graf Lerchenfeld von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({1})

Philipp Lerchenfeld (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004340, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Lieber Kollege Pitterle, eigentlich war das, was Sie uns unterstellt haben, schon bodenlos. Sie sagen, wir würden Steuerhinterziehung begünstigen. ({0}) Ich finde es unfassbar, dass Sie uns unterstellen, wir würden den Lobbyisten der Steuerhinterziehung hier auch noch nachkommen. Ich habe Sie bisher immer für einen umgänglichen Menschen gehalten. Es hat mich schwer enttäuscht. Das, was Sie, Frau Paus, gemacht haben, ist eine Unterstellung. Ich finde kaum Worte dafür. ({1}) Es ist eine unfassbare Unverschämtheit. Die Gutachten, die man bestellt, bekommt man so wieder zurück. ({2}) Ich möchte Ihnen sagen: Ich habe mich mit diesem Gutachten sehr stark auseinandergesetzt. Wenn Sie es genau lesen würden, dann würden Sie sehen, dass viele Argumente weiterhin für eine Abgeltungsteuer sprechen. Im Übrigen: Wo ist eine Klage bis zum Verfassungsgericht gegangen? Wo ist vom Verfassungsgericht festgestellt worden, dass es sich hier um eine nicht verfassungsgemäße Besteuerung handelt? Man kann sehr viele Gutachten finden, die dafür sprechen, und auch andere, die dagegen sprechen. Deswegen bitte ich Sie, uns nicht zu unterstellen, wie Sie es getan haben, dass uns das Grundgesetz egal ist. Wir stehen auf dem Boden des Grundgesetzes. Dazu sind wir Parlamentarier in diesem Bundestag. Sie sollten sich für diese unglaubliche Frechheit entschuldigen. ({3}) Es tut mir leid, dass man in die Diskussion jetzt eine Schärfe über Gesetzentwürfe hereingebracht hat, die wirklich nicht notwendig ist, da wir eigentlich alle darin übereinstimmen, dass wir dieses Gesetz begrüßen. Es ist erfreulich, dass wir im internationalen Informationsaustausch eine Möglichkeit finden, Steuerhinterziehung, Steuervermeidung stärker einzuschränken. Ich möchte mich für das großartige Verhandlungsergebnis ganz besonders herzlich bei allen Verhandlungsführern bedanken, an der Spitze bei unserem Bundesfinanzminister Dr. Schäuble. Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär, ihm das auszurichten. ({4}) Es ist schon gesagt worden, dass wir ab September 2017 mit vielen Staaten ganz hervorragende Austauschmöglichkeiten haben. Diese Möglichkeiten müssen nur noch entsprechend eingeführt werden und sich in der Praxis bewähren. Es ist ein Meilenstein bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung auf internationaler Basis erreicht worden. Wir haben damit auch eine Transparenz auf internationaler Basis erreicht, von der man vor Jahren noch nicht einmal geträumt hatte. Was mir in diesem Zusammenhang ganz besonders wichtig ist, ist aber auch, dass tatsächlich gewährleistet bleibt, dass die automatische Übermittlung der Daten nur an Staaten erfolgen soll, die erklärt haben, die Unterlagen nur aus steuerlichen Gründen zu benötigen. Das muss streng beachtet werden; denn es wäre fatal, wenn mit den übermittelten Daten auch andere Ziele in diesen Staaten verfolgt werden könnten. Ich möchte nur an die intensiven Verhandlungen zum DBA mit China erinnern, wo wir insbesondere in Bezug auf die Todesstrafe erhebliche Probleme hatten. Lassen Sie mich auf die Anträge der Opposition zu sprechen kommen. Sie von Bündnis 90/Die Grünen haben ein Gutachten bestellt. Darin ist zusammengefasst dargestellt, dass die Besteuerung der Kapitaleinkünfte nach § 32 d Absatz 1 EStG in Verbindung mit § 43 Absatz 5 EStG gegen gleichheitsrechtlich verankerte Vorgaben der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und der gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verstoße. Gleichzeitig führt Ihr Gutachter aus, dass die Vorschriften auch einer besonderen Rechtfertigungsanforderung genügen müssen, wenn sie weiter angewendet werden können. Nun gebe es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, da die Besteuerung aufgrund der vorliegenden Erfahrungen und der Entwicklung bei der internationalen Bekämpfung der Steuerhinterziehung inzwischen als unverhältnismäßig zu beurteilen wäre. Ich denke, dass der Gutachter, aber auch Sie mit Ihren Anträgen, eine Reihe von Sachverhalten, die durchaus immer noch für die Beibehaltung dieser Besteuerungsart sprechen, vermissen lassen. Zunächst einmal ist es doch in unser aller Interesse, dass durch die Abgeltungsteuer tatsächlich alle - ich betone: alle - inländischen Kapitalerträge aller Steuerpflichtigen erfasst werden. Bei diesem Verfahren werden Kapitalerträge von Millionen Konten in Deutschland in einem einfachen, administrativ leicht handhabbaren Verfahren erfasst, und neben der Steuer werden auch noch der Solidarbeitrag und sogar die entsprechende Kirchensteuer, wenn notwendig, abgeführt. Es gibt nachvollziehbare Berechnungen, dass das bei einem 25-prozentigen Steuersatz zu einer Besteuerung bis zu 61,5 Prozent der Nettoerträge führt, da dabei, wie es der Kollege Middelberg schon richtig dargestellt hat, keine Werbungskosten geltend gemacht werden können. Das liegt deutlich über dem, was Arbeitseinkommen heute zu versteuern haben. Wie gesagt, ist durch das Besteuerungsverfahren ein vernünftiges, leicht administrierbares und transparentes System gebildet worden, durch das gewährleistet wird, alle Kapitalerträge entsprechend zu besteuern. Aus diesem Grund sollten wir warten, bis erste Erfahrungen aus den heute zu verabschiedenden Gesetzen vorliegen, Erfahrungen darüber, wie sich der internationale Informationsaustausch in der Praxis bewährt, bevor wir ein einfach handhabbares Verfahren letztendlich abschaffen. Liebe Kollegen, Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass die Daten durch das strikte deutsche Steuergeheimnis geschützt bleiben müssten und sichergestellt werden müsse, dass sie nicht für andere Zwecke oder an anderer Stelle genutzt werden. Nun will ich niemandem unterstellen, dass er mutwillig das Steuergeheimnis in Deutschland verletzt. Aber die Erfahrungen mit Steuerhinterziehungsdaten prominenter Mitbürger haben doch gezeigt, dass das Steuergeheimnis so strikt auch nicht immer eingehalten wird. Deswegen, meine ich, sollte man sich in dieser Sache etwas zurückhalten. Man sollte auch bedenken, dass wir strenge Datenschutzvorschriften haben. Auch dies sollte Berücksichtigung finden. Ich freue mich, wenn wir heute diese beiden Gesetzesvorhaben annehmen. Ich denke, damit werden Instru mente geschaffen, die uns im Kampf gegen Steuerhinterziehung wirklich helfen werden. Wir werden Ihre Anträge ablehnen. Liebe Frau Paus, ich möchte Sie noch einmal bitten, über das nachzudenken, was Sie heute gesagt haben. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Sarah Ryglewski von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Sarah Ryglewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen nicht, dass Steuerhinterzieher ihr Geld weiter in Steueroasen verstecken können - sei es in der sonnigen Karibik, auf den Kanalinseln oder bei Schweizer Banken. Im Moment ist es - seien wir einmal ganz ehrlich - doch so, dass sich die deutschen Steuerzahler im Wesentlichen in zwei Gruppen teilen. Es gibt die einen, die hier mit ihrer Arbeit ihr Geld verdienen und auch hier ihre Steuern bezahlen. Und es gibt die zweite Gruppe, die aus denen besteht, die mit Kapitaleinkünften noch mehr Geld verdienen und Geld dafür ausgeben, dieses Geld vor dem deutschen Fiskus im Ausland zu verstecken. Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten schaffen wir daher ein Stück mehr Steuergerechtigkeit. ({0}) Wie lang dieser Weg gewesen ist, hat ja der Kollege Schwarz sehr eindrucksvoll beschrieben. Wir schaffen hier gemeinsam die Voraussetzung, internationale Steuerhinterziehung erfolgreich zu bekämpfen und Steueroasen den Garaus zu machen. Am Datenaustausch werden sich nach derzeitigem Stand 95 Länder beteiligen. Dass so viele mitmachen, zeigt einerseits den großen internationalen Erfolg des OECD-Vorhabens. Andererseits stärkt es die Schlagkraft des Vorhabens; denn je mehr mitmachen, desto besser. Schließlich gewinnen die Staaten dank ihrer Kooperation Souveränität zurück. Wegen des Zugewinns an Transparenz sind sie nicht länger Getriebene, sondern erhalten Spielräume in der Besteuerung privater Kapitalerträge. Gleichwohl können wir uns noch lange nicht zufrieden zurücklehnen. Mit der gesetzlichen Grundlage heute machen wir nur den ersten Schritt; denn mit der Unterzeichnung von Erklärungen und dem Verabschieden von Gesetzen ist es noch lange nicht getan. Jetzt geht es an die Umsetzung. Wir wissen doch alle: Das beste Gesetz ist nur dann wirklich gut, wenn es auch gut umgesetzt wird. ({1}) Dafür werden verlässliche Systeme, und zwar sowohl für die Informationsgewinnung als auch für den Informationsaustausch, in Deutschland und auch in allen anderen beteiligten Staaten benötigt. Denn nur wenn die ausgetauschten Daten möglichst vollständig und von hoher Qualität sind, kann wirklich von Transparenz die Rede sein. Nur wenn wir uns darauf verlassen können, dass die Daten über Finanzkonten von Bundesbürgern in der ganzen Welt korrekt sind, können wir zufrieden sein. Das ist die beste Voraussetzung für eine effektive Besteuerung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts der Herausforderung, die die Umsetzung auch für unser Land bedeutet, wird deutlich, dass wir noch eine gute Wegstrecke vor uns haben. Genau deshalb sollten wir den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen. ({2}) Damit sind wir bei der Abgeltungsteuer. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken und vom Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben ja bei allen Reden gehört, dass eine grundsätzliche Offenheit dafür da ist, das Thema Abgeltungsteuer anzufassen, und dass wir in dem Ansinnen geeint sind, sie perspektivisch abzuschaffen. Uns allen ist klar: Die Abgeltungsteuer ist nicht mehr als ein Second Best. Sie wurde in einem globalen Finanzsystem nötig, das von Steuerwettbewerb, Intransparenz und mangelnder Zusammenarbeit geprägt war. Aus sozialdemokratischer Sicht ist diese steuerliche Ungleichbehandlung eine klare Ungerechtigkeit. Wir müssen aber doch zunächst einmal schauen, dass wir das System, das wir heute beschließen, auch vernünftig in die Umsetzung bekommen. Wir wissen: Es ist unfair, dass jemand, der jeden Tag arbeiten geht, unter Umständen mehr Steuern bezahlen muss als jemand, der, salopp gesprochen, nur einmal am Tag den Aktienkurs checkt. Deshalb ist es der richtige Zeitpunkt, sich von der Abgeltungsteuer zu verabschieden, wenn das System des automatischen Informationsaustausches den Praxistest bestanden hat, aber auch erst dann. ({3}) Ich versichere Ihnen, dass Sie zu diesem Zeitpunkt die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sicher an Ihrer Seite haben werden. Und wenn ich die Zeitungsberichte richtig gelesen habe, dann werden Sie an dieser Stelle auch den Bundesfinanzminister an Ihrer Seite haben. Von daher glaube ich, dass wir da vielleicht schneller zu einer Einigung kommen werden, als wir uns das heute vorstellen können. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag beschließt heute ein wichtiges Gesetz im Kampf gegen internationale Steuerflucht. Dies ist ein großer ErPhilipp Graf Lerchenfeld folg in Richtung globale Steuergerechtigkeit. Nun gilt es sicherzustellen, dass alle beteiligten Länder den nächsten Schritt gehen und verlässliche Systeme zur Erfassung und Verteilung von Daten entwickeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Karibik, die Schweiz und vielleicht ja auch die britischen Kanalinseln mögen attraktive Orte zum Urlauben sein. Ich glaube, wir sind uns aber einig, dass das Geld in Zukunft weniger auf Reisen gehen sollte und lieber zu Hause bleiben und dort ordentlich besteuert werden sollte. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Gratulation zu Ihrer ersten Rede! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung weiterer Gesetze. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6667, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5920 und 18/6290 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. ({1}) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu der Mehrseitigen Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6667, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5919 und 18/6291 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist auch dieser Gesetzentwurf in der dritten Lesung einstimmig angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11 b. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 18/6667 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2014 mit dem Titel „Die Abgeltungsteuer abschaffen - Kapitalerträge wie Löhne besteuern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es eine Enthaltung? - Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/6064 mit dem Titel „Abgeltungsteuer abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/6065 mit dem Titel „Transparenz von Kapitaleinkommen stärken - Automatischen Austausch von Informationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthält sich jemand? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommen wir zum nächsten Tagesordnungspunkt, zum Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann ({2}), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für ein menschenwürdiges Existenz- und Teilhabeminimum Drucksache 18/6589 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ich möchte auch hier wieder die Kolleginnen und Kollegen bitten, die Gespräche in den vorderen Reihen nicht fortzusetzen, sondern die Plätze einzunehmen, damit wir in unserer Beratung fortfahren können. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte hat Katja Kipping von der Fraktion Die Linke das Wort. ({4})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Hartz-IV-Regelsatz und alle Sozialleistungen, die davon abgeleitet werden, decken nicht die Mindestbedarfe. Viele Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, leiden nicht nur an Armut, sondern auch an materieller Unterversorgung. Das äußert sich zum Beispiel wie folgt: Die Hälfte aller Menschen, die auf Hartz IV angewiesen ist, hat Schulden, das heißt, sie haben keinerlei finanzielle Polster. Wenn also die Waschmaschine oder der Kühlschrank den Geist aufgibt, ist das für diese Familien eine mittlere Katastrophe, weil sie nicht wissen, woher sie das Geld nehmen sollen, um beispielsweise eine neue Waschmaschine anzuschaffen. Sie haben ein Problem, nämlich das Problem, dass am Ende des Geldes immer noch so viel vom Monat übrig ist. Die Hälfte der Menschen, die auf Hartz IV angewiesen ist, hat kein Geld für medizinische Zusatzleistungen. Wir reden hier nicht über luxuriöse Sonderbehandlungen, sondern wir reden hier beispielsweise über elementare Bedarfe wie eine Brille. Wer eine Brille braucht, muss dafür zusätzlich bezahlen, und das ist für Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, ein Riesenproblem. 80 Prozent sagen, sie haben nicht einmal Geld für eine Woche Urlaub. Nun mögen einige von Ihnen sagen: Das steht halt Erwerbslosen nicht zu. - Aber rufen wir uns einmal in Erinnerung, dass davon auch Familien mit Kindern betroffen sind, und versetzen wir uns doch wenigstens eine Minute lang in die Situation von Kindern, die nach den Ferien wieder in die Schule kommen. Alle erzählen von den Urlauben, davon, wo sie waren, von ihren Ferienreisen, und sie selber können nur von dem Spielplatz vor der eigenen Haustür berichten. Das ist natürlich ein Problem. ({0}) Sie haben bei der Berechnung des Arbeitslosengeld-II-Satzes sehr deutlich gemacht, dass für Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, ein Essen im Restaurant oder in einem Café unterwegs nicht vorgesehen ist gemäß dem Motto „Na ja, die haben ja Zeit, tagsüber selber zu Hause zu kochen“. Aber Sie haben dabei eine Sache außer Acht gelassen: Sich in einem Café auch einmal auf ein Getränk zu treffen, gehört einfach zur gesellschaftlichen Teilhabe dazu. Es ist doch nicht nur so, dass Abgeordnete sich abends zu Absprachen in einem Restaurant oder Lokal treffen. Auch Bürgerinitiativen oder ganz durchschnittliche Vereine treffen sich in Lokalen, wo ein Verzehrzwang besteht und wo am Anfang gefragt wird: Was wollen Sie bestellen? Für jemanden, der vom Hartz-IV-Regelsatz leben muss, heißt das dann: Wenn er beispielsweise an der Sitzung einer Bürgerinitiative teilnehmen will, muss er sich das Geld an anderer Stelle absparen. Das ist verdammt noch mal ein richtiges Problem. Deswegen sage ich: Der Hartz-IV-Regelsatz bzw. das Existenzminimum, so wie es hier bestimmt wird, ist auch ein Angriff auf die demokratische Teilhabe von Erwerbslosen. ({1}) Ganz offenkundig ist die Unterdeckung bei den Energiekosten. Die Paritätische Forschungsstelle hat errechnet, dass in den Jahren 2008 bis 2014 die Energiekosten um 37 Prozent gestiegen sind. Die Regelleistungen sind aber eben nicht entsprechend angepasst worden. „Die im Dunkeln sieht man nicht“, so heißt es bei Brecht. Für so manchen Haushalt ist das eben nicht nur ein Sprachbild, nicht nur eine Metapher, sondern bittere Realität. Es kam im Jahr 2013 immerhin in rund 350 000 Fällen zu Stromsperrungen. Menschen saßen also wirklich im Dunkeln. Halten wir also fest: Die Hartz-IV-Regelsätze sichern nicht die Bedarfe. Wir als Linke meinen aber: Die Grundsicherung muss alle Menschen sicher vor Armut schützen, muss ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe gewährleisten. Das muss drin sein. ({2}) Die jetzige Art, das Existenzminimum zu berechnen, wird diesem Anspruch nicht gerecht. Es gibt theoretisch drei Methoden: den Warenkorb, bei dem man schaut: „Was braucht man im Monat zum Leben?“, die Armutsrisikogrenze, bei der alle Einkommen wie Orgelpfeifen nebeneinandergestellt werden und man 60 Prozent vom mittleren Einkommen nimmt, oder die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Sie von der schwarz-roten Koalition setzen bei der Ermittlung des Regelsatzes - wie auch die Bundesregierungen davor - auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Um es denjenigen zu erläutern, die sich nicht jeden Tag damit beschäftigen: Die EVS basiert darauf, dass die Ausgaben von Haushalten über drei Monate hinweg festgehalten werden. Um den Regelsatz zu ermitteln, wird der Mittelwert der Ausgaben der ärmeren Haushalte genommen, und davon werden - Pi mal Daumen - 30 Prozent abgezogen. Dann heißt es: Das ist, was die Menschen für ihren Lebensunterhalt brauchen. Diese Methode hat ein grundlegendes Problem: Wenn die ärmeren Haushalte immer ärmer werden, können sie sich lebensnotwendige Dinge nicht mehr leisten. Wenn man einfach stur schaut, was diese Haushalte ausgeben, dann gibt es keinerlei Sicherheit hinsichtlich des tatsächlichen Bedarfs, da es ja keine Art Bedarfs-TÜV gibt. Dann weiß man nicht, ob das Geld überhaupt noch für ein Mindestmaß an Mobilität ausreicht, ob man sich für das Geld, das die ärmeren Leute für Fahrkarten ausgeben, überhaupt noch eine Monatsfahrkarte kaufen kann oder ob sie vielleicht sowieso schon einplanen, nicht mehr irgendwohin zu fahren, oder möglicherweise gar in die Schwarzfahrerei getrieben worden sind. Wir als Linke sagen deswegen: Die jetzige Form der Berechnung Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn kann nicht weitergeführt werden. Es müssen hier andere Methoden eingeführt werden. Es braucht beispielsweise eine Art Bedarfs-TÜV, damit sichergestellt ist, dass Mobilität, Zugang zu Gesundheitsleistungen usw. auch wirklich garantiert sind. In der Vergangenheit wurde das Existenzminimum am Ende immer wieder im Hinterzimmer berechnet. Es ist natürlich politisch gezielt kleingerechnet worden; da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Als Sie von der SPD noch in der Opposition waren, haben Sie das auch kritisiert. Wir als Linke meinen: Damit muss Schluss sein. Sie müssen die Art und Weise, wie Sie das Existenzminimum berechnen wollen, vorher transparent machen. Wir wollen, dass eine Kommission eingesetzt wird, die sicherstellt, dass kein Mensch in Armut fällt. Wenn es um das Existenzminimum geht, braucht es mehr Transparenz und einen sicheren Schutz vor Armut. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Christel Voßbeck-Kayser von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Christel Voßbeck-Kayser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004434, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von den Linken, als ich Ihren Antrag gelesen habe, da wurde mir wieder eines bewusst: Ihre Denke und Ihr politischer Ansatz sind vollkommen anders als unsere Denke und unser Ansatz. ({0}) Für uns von der CDU/CSU-Fraktion steht der Sozialstaat in einer Solidargemeinschaft auf zwei Pfeilern: Es ist für uns selbstverständlich, Menschen, die der Hilfe bedürfen, zu unterstützen; aber es gehört ebenso zu unserem Verständnis, dass alle, die einen Beitrag zum Sozialstaat leisten können, ihren Beitrag auch leisten. ({1}) Chancengerechtigkeit fördern wir nicht, indem wir die Hartz-IV-Regelsätze erhöhen. Chancengerechtigkeit können wir unter anderem erreichen, indem wir Menschen eine Perspektive eröffnen, ({2}) nämlich die Perspektive, am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Und wie erreichen wir dies? ({3}) - Hören Sie doch mal zu, Frau Kipping. Ich habe Ihnen auch zugehört. - Wie erreichen wir dies? Wir haben 6,1 Millionen Hartz-IV-Bezieher. Für sie stehen im Bundeshaushalt zurzeit 20,1 Milliarden Euro zur Verfügung; das sind 900 Millionen Euro mehr als im vergangenen Jahr. Davon entfallen auf Arbeitsfördermaßnahmen 3,9 Milliarden Euro; das ist, obwohl sich die Arbeitslosenzahl verringert hat, der gleiche Betrag wie 2014. Ich sagte schon: Wir stehen für eine Solidarität mit Menschen, die unserer Unterstützung bedürfen oder die in Not geraten sind. Es wurde uns zuletzt im Juli 2014 bestätigt, dass die Sozialgesetzgebung und die sozialrechtlichen Regelbedarfsleistungen in unserem Land verfassungsgemäß ausgestaltet sind. ({4}) Das ist doch eine klare Rechtsprechung, ein klares Urteil. ({5}) - Ja. Wie ist ansonsten die Situation in unserem Land? Wir haben 43 Millionen Menschen in Beschäftigung, davon 31 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. ({6}) Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote und auch die niedrigste Jugendarbeitslosigkeitsquote. Diese Zahlen sprechen für wirtschaftliches Wachstum. Das sind Tatsachen, die ermutigen und die nicht betrüben. ({7}) Von daher kann ich Ihren Pessimismus wahrlich nicht verstehen. ({8}) Nehmen Sie doch einfach mal einen anderen Blickwinkel ein! Diese vielen Menschen in Beschäftigung sprechen doch für sich, und Menschen in Beschäftigung wird doch auch eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. ({9}) Und dank der guten Finanz- und Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren haben doch auch viele Menschen den Sprung in Beschäftigung geschafft, auch Langzeitarbeitslose. ({10}) Denen haben wir mit arbeitsmarktpolitischen Programmen eine Perspektive eröffnet. Sie können ihren LebensKatja Kipping unterhalt jetzt aus eigenen Kräften und mit eigenen Mitteln finanzieren. ({11}) Kollegen von den Linken, in Ihrem Antrag verwässern Sie erneut Argumente, Begründungen und Sichtweisen von höchstrichterlichen Instanzen. Ich gehe einmal auf die Berechnung des Regelbedarfs, auf das Statistikmodell ein. Ich zitiere aus Ihrem Antrag: Der Ermittlung der Regelbedarfe liegt kein objektives Verfahren zu Grunde. ({12}) Fakt ist aber, dass es sich aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts folgendermaßen verhält: Die Festsetzung der Gesamtsumme für den Regelbedarf lässt nicht erkennen, dass der existenzsichernde Bedarf … nicht gedeckt wäre. Vielmehr wird festgestellt ({13}) - zuhören! -, dass sich der ermittelte Regelbedarf „mithilfe verlässlicher Daten tragfähig begründen lässt“. ({14}) Da ist doch ganz klar, dass die Zahlen nicht in einem luftleeren Raum entstanden sind. Es spricht vielmehr dafür: Das Statistikmodell ist ein transparentes und nachvollziehbares Modell, welches das Bundesverfassungsgericht sowohl im Februar 2010 als auch im Juli 2014 bestätigt hat. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Sollten wir uns dieser Frage nach der Höhe der Regelsätze, über die wir ja jetzt sprechen, nicht mit einer anderen Betrachtungsweise nähern? Wir leben in Deutschland in einer Solidargemeinschaft. Die Fragen sollten deshalb lauten: Wie kann jeder Einzelne seinen Beitrag zu dieser Solidargemeinschaft leisten? Wie können wir die Menschen, die der Unterstützung bedürfen, hierbei auch unterstützen? Denn Solidarität, also das Einstehen für andere, ist ein wichtiger Wert in unserer Gesellschaft und in unserem Zusammenleben, aber auch für unsere sozialen Sicherungssysteme.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Voßbeck-Kayser, Frau Kipping hat eine Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?

Christel Voßbeck-Kayser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004434, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte weiterreden. Ich habe ihr auch zugehört. - Solidarität ist auch keine Einbahnstraße; denn Fakt ist doch auch - das müssen wir sagen, wenn wir über soziale Sicherheit reden -: Es gibt keine soziale Sicherheit, die aus himmlischen Quellen finanziert wird. ({0}) Es gibt sie nur durch Arbeit, durch unsere Schaffenskraft, durch unserer Hände Arbeit. ({1}) Deshalb ist es wichtig, dass wir das Verantwortungsgefühl in unserer Gesellschaft fördern und jedem Betroffenen einen Weg in die Eigenständigkeit bieten. ({2}) Ich möchte auf einen weiteren Punkt in Ihrem Antrag eingehen, auf die Gestaltung des Bildungs- und Teilhabepaketes für Kinder und Jugendliche. Fakt ist - das zeigt der Zwischenbericht, der im Juli 2015 vorgelegt wurde -, dass im Vergleich zum Vorjahr 11 Prozent mehr Kenntnis von diesem Teilhabepaket hatten ({3}) und auch 11 Prozent mehr es angenommen haben. ({4}) - Das sind 45 Prozent. ({5}) Sicherlich kann man immer noch besser werden. Die Zahlen sind faktisch ausbaufähig. Da gebe ich Ihnen recht. Aber hieran wird - das wissen Sie - gearbeitet. Wenn der Bericht aufzeigt, dass in der Praxis bürokratische Hürden bestehen, ({6}) dann ist es für uns selbstverständlich, dass wir daran arbeiten und uns konstruktive Gedanken machen, wie man diese Hürden abbauen kann. Wir wollen sie abbauen, indem wir für die Institutionen vor Ort Rahmenbedingungen setzen, dass sie flexibler und unbürokratischer im Sinne der Anspruchsberechtigten handeln können. ({7}) Insgesamt, Kollegen der Linken, empfinde ich es als unredlich, wenn Sie mit Ihrem Antrag wieder einmal den Eindruck vermitteln, als würde in Deutschland zu wenig für Menschen, die der Hilfe bedürfen, getan. ({8}) Die guten arbeitsmarktpolitischen Programme und Maßnahmen, die wir in den letzten Jahren hier auf den Weg gebracht haben, ({9}) waren eine gute Hilfe. Unser Ansatz ist es, Menschen für den Arbeitsmarkt fit zu machen und nicht für das Verweilen als Leistungsempfänger im SGB II; denn eines ist klar: Wir Menschen sind nicht geboren zum Nichtstun. ({10}) Dass die Jobcenter und die Arbeitsagenturen heute ihren Blick auf die Potenziale der Menschen und nicht auf ihre Defizite richten, ist doch der richtige Ansatz bei der Arbeitsvermittlung; ({11}) und den gilt es weiter zu stärken. ({12}) Zusammenfassend, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, ist zu sagen: Wenn auf eines Verlass ist, dann auf die wiederholten Formulierungen Ihrer Anträge und Anfragen. ({13}) Das nehmen wir gerne zur Kenntnis. Aber da Sie aus den Zahlen, wie ich gezeigt und ausgeführt habe, die falschen Schlüsse ziehen und Ihrer Denke eine Sichtweise zugrunde liegt, die wir absolut nicht teilen können, ({14}) wird es Sie nicht verwundern, dass wir Ihrem Antrag heute nicht folgen werden. ({15})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, dass wir in unserer Geschäftsordnung Instrumente haben, die es jedem Kollegen Abgeordneten ermöglichen, in eine Debatte einzugreifen, etwa durch Zwischenfragen, aber auch durch Kurzinterventionen. - Das als erster Hinweis. Als zweiter Hinweis: Zwischenrufe sind erlaubt, aber nicht Begleitreden oder Begleitsätze. Ich bitte darum, das ein bisschen zu berücksichtigen. Ich halte es für richtig und notwendig und unterstütze es, dass eine Debatte lebhaft verläuft; das ist wichtig für das Parlament, damit man unterschiedliche Positionen kennenlernt. Natürlich kann man Zwischenrufe machen, aber der kollegiale Umgang untereinander gebietet es, dass das Instrument als Zwischenruf zu verstehen ist und nicht als Zwischenrede. ({0}) Ich darf jetzt den nächsten Redner bitten: Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat das Wort.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Voßbeck-Kayser, ich rate Ihnen: Schauen Sie sich die Armutsstatistiken, unter anderem die des Statistischen Bundesamtes, gerade neu erschienen, an. Armut ist in Deutschland ein Problem, und davor dürfen wir nicht die Augen verschließen. ({0}) Für uns Grüne ist die Grundsicherung kein Almosen, sondern ein Grundrecht. Mittlerweile haben wir da auch das Bundesverfassungsgericht auf unserer Seite, das in den letzten Jahren in mehreren Urteilen betont hat, dass ein Grundrecht und Menschenrecht auf Existenzsicherung aus dem Grundgesetz folgt. Es ist jetzt an der Politik, dieses Grundrecht auch umzusetzen. So müssen wir erstens dafür sorgen, dass die Grundsicherung für alle gleich hoch ist. Unter anderem deswegen wollen wir das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen. ({1}) Ein kleiner Nebeneffekt davon wäre, dass die Länder und Kommunen dadurch deutlich entlastet werden. Zweitens. Es ist notwendig, die immer noch bestehenden Lücken im Grundsicherungsnetz zu schließen. Es geht nicht an, dass Menschen vom Recht auf Grundsicherung ausgeschlossen werden. Drittens müssen die Sanktionen so reformiert werden, dass der Grundbedarf immer gesichert ist. Und viertens muss in der Tat das Grundsicherungsniveau angehoben werden. Dass der Regelsatz der Grundsicherung zu niedrig ist, das sieht man schon allein daran, dass es in Deutschland zahlreiche Tafeln gibt, die Lebensmittel an Bedürftige verteilen. Das ist ein Armutszeugnis! Ziel muss es sein, dass die Tafeln überflüssig werden und alle Menschen ein Recht auf eine Grundsicherung erhalten, die existenzsichernd ist. ({2}) Wie sollen wir nun das Existenzminimum bestimmen? Die Linken schlagen vor, eine Kommission einzurichten nach dem Motto „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“, und diese Kommission soll einen Warenkorb vorschlagen. Das ist äußerst problematisch. Ein Warenkorb ist enorm kompliziert und manipulationsanfällig, ({3}) und Verhandlungen darüber, ob es zur sozialen Teilhabe gehört, dass ein Mensch alle vier Wochen oder nur einmal im Jahr ins Kino gehen kann, bringen uns nicht weiter. Das Warenkorbverfahren wurde Anfang der 90er-Jahre abgeschafft - und das war gut so -, und wurde durch ein Statistikmodell ersetzt. Ziel des Statistikmodells war es, ein transparentes Berechnungsverfahren zu erhalten, das nicht manipuliert werden kann. Aber wenn wir ehrlich sind: Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Denn auch beim bestehenden Statistikmodell wurde im Ministerium so lange herumgerechnet, bis eine vorher festgelegte Zahl herauskam. Das Hauptziel des Statistikmodells, nämlich dass die Berechnung des Existenzminimums nicht politisch manipuliert werden sollte, ist nach wie vor nicht erreicht. Das müssen wir ändern. ({4}) Dafür gibt es mehrere Alternativen. Eine Möglichkeit wäre - das wird in dem vorliegenden Antrag der Linken auch angedeutet -, einfach die Armutsdefinition zu nehmen, auf die wir uns auf EU-Ebene geeinigt haben. Es spricht einiges dafür, aber es gibt auch einige Nachteile. Unter anderem würde sich dadurch die Leistung für Kinder reduzieren, und das ist durchaus problematisch. Wenn wir bei der Berechnung anhand des Ausgabeverhaltens von Vergleichsgruppen bleiben, müssten einige Punkte geändert werden: Erstens. Die Referenzgruppe muss eine sein, in der keine Menschen enthalten sind, die selbst Leistungen beziehen oder einen Anspruch auf Leistungen haben könnten, so wie das jetzt der Fall ist, weil es sonst zu Zirkelschlüssen kommt. Alles andere macht methodisch keinen Sinn. ({5}) Zweitens. Bisher ist es so, dass bei den einzelnen Ausgabeposten jeweils unterschiedliche Abschläge gemacht werden, die teils völlig willkürlich sind. Dadurch wird der Manipulation Tür und Tor geöffnet und dafür gesorgt, dass kaum jemand durchschaut, was da warum und wie berechnet wurde. Sinnvoll wäre es, einen einheitlichen Abschlag auf die Ausgaben zu machen, der vorher festgelegt wird; denn damit könnten nachträgliche Manipulationen verhindert werden. All das sind normative Entscheidungen, die uns Abgeordnete niemand abnehmen kann. Eine objektive Bestimmung des Existenzminimums gibt es nicht; das kann ich Ihnen als Armutsforscher sagen. Da hilft auch nicht die Gründung einer Kommission weiter, wie es die Linke vorschlägt. Das müssen wir als Bundestag schon selber machen. Das verlangt auch das Bundesverfassungsgericht. ({6}) Wichtig ist, dass wir dabei ein Verfahren finden, das so einfach und transparent ist, dass es auch jeder und jede normale Abgeordnete versteht, damit wir hier eine politische Debatte darüber führen können. Und es ist wichtig, dass wir als Bundestag im Vorhinein die Methode festlegen ({7}) und dann das Statistische Bundesamt den Regelsatz ausrechnet. Was es nicht mehr geben darf, ist, dass das Existenzminimum im Nachhinein durch diverse Rechentricks kleingerechnet wird, wie das bei allen bisherigen Berechnungen passiert ist. Das müssen wir in Zukunft ausschließen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Dagmar Schmidt von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem wichtigen Thema, das den Bundestag alle fünf Jahre erneut fordert; denn alle fünf Jahre werden die Regelsätze für Leistungen des SGB II und des SGB XII neu festgelegt. Und das ist deswegen ein wichtiges Thema, weil davon fast 10 Prozent der Menschen in Deutschland direkt betroffen sind. Aber eigentlich sind es noch mehr; denn mit den Regelsätzen im SGB II, der Grundsicherung für Arbeitsuchende, und im SGB XII, der Sozialhilfe, wird auch die Höhe des steuerfreien Existenzminimums festgelegt, was wiederum alle steuerpflichtigen Menschen in Deutschland betrifft. Wo stehen wir gerade? Das Statistische Bundesamt hat im September dieses Jahres die Datenaufbereitung zum privaten Verbrauch der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 2013 abgeschlossen. Auf dieser Basis können nun die Sonderauswertungen vorgenommen werden, die die Grundlage für eine Überprüfung und Neuermittlung der Regelbedarfe bilden. All das läuft im Rahmen des sogenannten Statistikmodells, das - das wurde bereits gesagt - das Warenkorbmodell abgelöst hat, zu dem Sie gerne zurück wollen - wir allerdings nicht. Ich sage Ihnen auch, warum. ({0}) Eine rein normative Festlegung des Inhalts eines Warenkorbs, das heißt aller notwendigen Güter und Dienstleistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums sowie ihrer Menge im täglichen und im monatlichen Gebrauch sowie ihr jeweiliger Preis, führt zu einer unglaublichen Bandbreite dessen, was als notwendig angesehen wird bzw. angesehen werden kann. Die Überlegungen der Expertinnen und Experten reichen je nachdem von 132 bis 685 Euro. Das zeigt, dass keine wirkliche Objektivierung des Bedarfs durch das Warenkorbmodell gegeben ist. ({1}) Im Gegenteil: Das Modell lädt dazu ein, als Gesetzgeber darüber entscheiden zu wollen, wofür Leistungsberechtigte ihr Geld ausgeben dürfen und wofür nicht. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, in einer freien Gesellschaft erzieherisch oder moralisch ein Konsumverhalten oder eine Lebensweise zu bewerten, sondern es ist unsere Aufgabe, soziale Teilhabe auch derer zu ermöglichen, die nicht auf der Sonnenseite stehen. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Frau Schmidt, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping zu?

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Klar.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Schmidt, ich freue mich über Ihre Aussage, dass es nicht unsere Aufgabe ist, da erzieherisch einzuwirken. Aber ich frage mich, wie diese Aussage von Ihnen mit der Praxis bei der Berechnung zusammenpasst. Denn es wurde, wie Sie wissen, von dem reinen Statistikmodell Abstand genommen, weil man nicht einfach nur gesagt hat: „Wir legen einmal zugrunde, was die ärmsten Haushalte ausgeben“, sondern man auch noch auf die Idee kam, festzulegen, dass Verzehr im Restaurant nicht unterstützt wird, dass das Halten von Haustieren nicht regelsatzrelevant ist, dass ein Weihnachtsbaum nicht regelsatzrelevant ist und dass Übernachtungen, und sei es auf einem Campingplatz, nicht regelsatzrelevant sind. Das heißt, Sie haben auf das Statistikmodell sehr wohl das Warenkorbmodell angewandt, nur negativ, indem Sie gesagt haben: Das und das streichen wir. - Das ist natürlich, rein über den finanziellen Zwang, eine sehr schwarze Pädagogik, die Sie angewendet haben. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in unserem Antrag sagen: „Wir wollen den Warenkorb als ein Prüfinstrument nehmen, um sicherzustellen, dass das, was ausgegeben wird, wenigstens ein Mindestmaß der entsprechenden Bedarfe garantiert“? ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kipping, danke für die Zwischenfrage. - Sie wissen offensichtlich mehr als ich. Sie haben über die Vergangenheit geredet und gesagt, wie das Ergebnis beim letzten Mal zustande gekommen ist. Ich hoffe, dass wir hier und heute darüber reden, welche Festlegung wir beim nächsten Mal wollen. Wir sind gerade dabei, darzustellen - auch ich werde das im Verlauf meiner Rede noch tun -, welche Grundlage wir sehen, um einen gerechten Regelbedarf zu ermitteln. Insofern wissen Sie, wie gesagt, entweder schon mehr als ich, oder das war ein zusätzlicher Beitrag zu der Debatte, die wir in Zukunft, wenn es um die nächste Festlegung geht, führen werden. Wie war Ihre zweite Frage? Ich habe sie vergessen. ({0}) - Ja, das gibt mir aber noch ein bisschen Zeit.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich nutze diese Gelegenheit jetzt natürlich gnadenlos, um noch einmal Werbung für unseren Antrag zu machen, ({0}) der vorsieht, dass man den Warenkorb auch als eine Art Bedarfs-TÜV einzieht, um sicherzustellen, dass die Mindestbedarfe garantiert werden. Ist das nicht ein großartiger Punkt, dem man eigentlich zustimmen könnte?

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das ist er leider nicht; dazu hat Herr Strengmann-Kuhn eigentlich schon alles gesagt. Dann wird nämlich ausgiebig über jeden Bestandteil des Warenkorbs diskutiert. Egal ob Prüfinstrument oder Grundlage, die Debatte ist am Ende dieselbe. Über den Sinn oder Unsinn jedes einzelnen Bestandteils eines Warenkorbes zu debattieren, ist, glaube ich, nicht das richtige Verfahren. ({0}) Am Statistikmodell wird häufig kritisiert, dass ein an einem begrenzten Budget orientiertes Ausgabeverhalten nicht den eigentlichen Bedarf widerspiegelt. Das ist ein wichtiger Hinweis. Wenn mein Kind neue Fußballschuhe braucht, um weiter im Verein mitspielen zu können, dafür aber kein Geld da ist, dann taucht dieser Bedarf in der Statistik nicht auf. Er taucht auch nicht auf, wenn die Oma ihm dann die Fußballschuhe schenkt und dies nachweislich ein Bedarf ist, der zur sozialen Teilhabe des Kindes beigetragen werden muss, weil diese soziale Teilhabe eben nichts Abstraktes, sondern etwas Konkretes ist. Deshalb muss man, wenn man das Statistikmodell anwendet, aufpassen, dass es nicht solche Auswirkungen hat. Es ist also Sorgfalt bei der Umsetzung geboten. Das gilt vor allem bei der Auswahl der Referenzgruppe; dazu ist schon einiges gesagt worden. So müssen zum Beispiel alle Transferleistungsbezieherinnen und -bezieher aus der Stichprobe herausgenommen werden - das sind Aufstocker, Arbeitslosengeldbezieher, Wohngeldbezieher und -bezieherinnen usw. -, da sonst die Gefahr von Zirkelschlüssen - sie ist genannt worden - gegeben ist und man sich dann der Gefahr aussetzt, dass durch Budgetres triktion der Bedarf nicht mehr widergespiegelt wird; das Problem habe ich benannt. Dazu gehört auch die Herausrechnung sogenannter verdeckter Armut, also der Menschen, die ein Recht auf Leistungen des Staates hätten, diese aber - meist aus Scham - nicht in Anspruch nehmen. Eine in der RefeDagmar Schmidt ({1}) renzgruppe übliche Teilhabe und ein übliches Ausgabeverhalten müssen möglich sein. Manche Menschen sind der Auffassung: Je niedriger das Existenzminimum, desto größer die Motivation, sich allein oder mithilfe des Jobcenters aus dieser Lage zu befreien. Das setzt voraus, dass das für jeden Menschen möglich wäre. Aber das ist es eben nicht. Die allermeisten Menschen sind unverschuldet arbeitslos oder haben Hemmnisse, die ihr Leben ohnehin negativ beeinflussen; wir reden darüber an vielen anderen Stellen. Das gilt erst recht für diejenigen, die aufgrund von Alter, Krankheit und Behinderung keine Möglichkeit haben, an ihrer Situation durch eigenes Handeln etwas zu ändern. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem diesen Menschen die Teilhabe am sozialen Leben unmöglich gemacht wird, in dem Menschen kein Ehrenamt ausüben können, weil sie die Fahrtkosten nicht aufbringen oder sich das Getränk in der Vorstandssitzung oder beim Gesangsverein nicht leisten können. ({2}) Der ehemalige Vizepräsident der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, hat zu den Regelsätzen 2011 Folgendes gesagt - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -: Nur Lebenskünstler können auf Dauer von 364 Euro im Monat leben. Als Überbrückung ist das vertretbar, aber auf lange Sicht ist Transferbezug menschenunwürdig. Das lehrt auch meine Erfahrung. Ein Jahr lang - das sagen auch viele der Betroffenen - kann man damit zurechtkommen. Wenn dann aber verschiedene Gebrauchsgegenstände, die man zu Zeiten des Erwerbseinkommens gekauft hat, anfangen kaputtzugehen, wird es eng oder unmöglich. Deswegen glaube ich, dass wir auch darüber nachdenken müssen, ob verschiedene langlebige Gebrauchsgegenstände wirklich über Ansparungen oder Darlehen finanziert werden können. ({3}) Die Höhe der Regelsätze betrifft insbesondere aber die Kinder. Noch immer ist in unserem Land Realität, dass nicht Fleiß und Klugheit, sondern die soziale und regionale Herkunft über die Bildungs- und Berufschancen eines Kindes und Jugendlichen entscheiden. Es darf nicht sein, dass Kinder beschämt werden, weil ihre Eltern sich bestimmte Dinge nicht leisten können. Stigmatisierende und bürokratische Hilfesysteme sind kein Beitrag zur Chancengleichheit. Hier ist ein besonders großer Handlungsbedarf. Das betrifft sowohl die Kinderregelsätze als auch das Bildungs- und Teilhabepaket. ({4}) Es wird gerne das Stereotyp eines Leistungsberechtigten bemüht, der, wenn man ihm Geld in die Hand drückt, das für seine Kinder gedacht ist, loszieht und Zigaretten kauft oder auf Pferde wettet. Damit begründet man dann Sachleistungen und bürokratische Ungetüme. Das Gegenteil ist aber nachweislich der Fall: Untersuchungen haben gezeigt, dass Eltern von ihrem Teil des Regelsatzes Geld abzweigen, um es ihren Kindern zur Verfügung zu stellen. ({5}) Hier besteht also dringendster Handlungsbedarf. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, Sie haben in Ihrem Antrag wieder einmal die Forderung nach einer Kommission aufgestellt. Wir kennen das bereits vom Armuts- und Reichtumsbericht. Die Antwort, die ich Ihnen gebe, ist ähnlich: Dass Sie nicht regieren und keine Verantwortung übernehmen wollen, nehmen wir zur Kenntnis. ({7}) Dass Sie aber auch nicht wollen, dass wir Verantwortung übernehmen, wundert mich schon. Sie wollen lieber Kommissionen und Experten als einer gewählten Regierung und demokratisch legitimierten Volksvertreterinnen und Volksvertretern die Verantwortung für solche zentralen Entscheidungen in die Hand geben. ({8}) Ich persönlich setze auf verantwortliches Regierungshandeln und freue mich auf eine muntere, kontroverse und erhellende Parlamentsdebatte, die wir im kommenden Jahr zu diesem Thema sicher führen werden. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Linken fällt aus der Zeit. Wir erleben heutzutage den größten Flüchtlingsstrom seit dem Zweiten Weltkrieg. Jeden Tag kommen Tausende Flüchtlinge zu uns nach Deutschland, und sie kommen nicht deshalb in unser Land, weil es ihnen schlecht geht, sondern weil sie gute Lebensperspektiven für sich erwarten. ({0}) Deswegen kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass Sie ernsthaft darüber diskutieren wollen, dass in unserem Land Menschen „nicht in Würde leben können“, wie Sie Dagmar Schmidt ({1}) dies schreiben, „da ihre Existenz nicht ausreichend gesichert ist“. ({2}) Es ist bemerkenswert: Die Linken mausern sich nahezu zu einer Drucksachenfabrik. Sie stellen Anträge und Anfragen bei der Bundesregierung - das ist ja auch in Ordnung - und erhalten umfassende Antworten darauf. Sie haben eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und am 2. November - sehr schnell - eine Antwort darauf bekommen, und schon am 5. November lag dann Ihr Antrag auf dem Tisch. Herr Kollege Birkwald, Sie sind tatsächlich schnell. ({3}) Aber Schnelligkeit ist ja kein Wert an sich, sondern auf die Inhalte kommt es natürlich auch immer an. Hier muss Masse nach Klasse stehen. Ich denke, Sie sollten durchaus auch einmal Ihre Mitarbeiter wertschätzen, die ja wohl meistens die Anträge schreiben müssen. ({4}) Aus Wertschätzung entwickelt sich dann auch Wertschöpfung. Insofern wäre es sicherlich ganz gut, wenn Sie hier auch Ihre Mitarbeiter stärker in den Blick nehmen würden. Da lobe ich mir die Anträge der Grünen - zwar nicht immer, aber in den Schattierungen sind sie jedenfalls oftmals durchaus besser. ({5}) Ihr Antrag enthält einen paternalistischen Gestus. Sie wollen ein Kümmern von oben herab: Seien Sie unbesorgt. Ich sorge für dich. Es gibt auch ein paar Euro mehr, ({6}) und wir treten beispielsweise für eine unbedingte Grundsicherung im Alter und Änderungen beim Existenzminimum ein. Diese Form des Kümmerns hat ja durchaus etwas Sympathisches, allerdings nur auf den ersten Blick; ({7}) denn dahinter steht ein defizitärer Ansatz. Sie begreifen den Menschen eher als Fürsorgeempfänger. Dies teile ich eben nicht. Es gibt auch ein Kümmern, das auf die Kräfte des Einzelnen abzielt, das insbesondere darauf gerichtet ist, verborgene oder verschüttete Kräfte zu wecken und die Potenziale des Einzelnen in den Blick zu nehmen. Das ist oftmals viel nachhaltiger als alle finanziellen Zuwendungen und Gesten von oben herab. Ein Mensch, der für sich entdeckt, was in ihm steckt, der hat Freude am Leben, am Gestalten, an der Leistung; er ist leistungsfähig und leistungsbereit. Die Kräfte des Einzelnen zu wecken, ohne ihn gleichzeitig zu überfordern, ({8}) das ist unser Blick auf den Menschen. Und das ist aus unserer Sicht auch die Aufgabe des Sozialstaats. ({9}) Deshalb ist auch Ihre Grundthese im Antrag falsch. Zitat: Das strategische Ziel der Einführung von Hartz IV war die Ausweitung des Niedriglohnsektors. ({10}) Unser Ziel ist die Entwicklung von Eigenständigkeit und Eigenverantwortung, die Schaffung von Arbeit und die Erhöhung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt gerade für die Menschen, die es schwer haben, die vielleicht auch geringere Qualifikationen vorzuweisen haben. Die Erfolge geben uns ja durchaus recht: Die Arbeitslosigkeit hat sich seit Rot-Grün von deutlich über 5 Millionen im Jahre 2005 auf aktuell 2,65 Millionen halbiert. ({11}) Diese Erfolge sind gut, weil sie den Menschen guttun, sehr verehrte Damen und Herren. ({12}) Die Schlacht um die richtige Methodik zur Ermittlung des Existenzminimums ist geschlagen. Wir haben uns für das Statistikmodell entschieden. Das Modell ist bewährt und auch verfassungskonform. Die Kritik der Linken ist alt und bekannt. Wir haben in den letzten Jahren häufig und sehr intensiv diese Debatte geführt. Deshalb ist es müßig, mit Ihnen hier und heute über die richtige Methodik zu diskutieren. Außerdem ist Ihre Kritik auch scheinheilig. Im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013 hat Ihre Partei ein Programm angekündigt, in dem keine Mindestsicherung unter 1 500 Euro liegen soll. ({13}) - Ja, das haben Sie. ({14}) Kurzfristig müssten die Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro erhöht werden. Herr Kollege Birkwald, bitte schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Moment, das Wort erteile immer noch ich. - Zunächst frage ich, ob Sie bereit sind, eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald zuzulassen. Das scheint ja der Fall zu sein.

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, in aller Demut, ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, dann haben Sie das Wort.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie die Frage zulassen. ({0}) Herr Kollege Stracke, wir müssen einmal deutlich sagen: Das, was Sie hier gerade gemacht haben, ist unbillig, wie das so schön im Rechtsdeutsch heißt.

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Man könnte auch sagen: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. In unserem Wahlprogramm stand natürlich nichts von 1 500 Euro, sondern dort stand, dass wir anstreben, dass keine Mindestsicherung unter 1 050 Euro liegt. Gestehen Sie mir zu, dass das eine Differenz von 450 Euro ist, dass man mit 1 050 Euro gerade so über die Runden kommt und von 1 500 Euro nicht die Rede war? ({0})

Stephan Stracke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004169, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Birkwald, zunächst zolle ich Ihnen Respekt, dass Sie das Wahlprogramm zum einen auswendig können und zum anderen auch noch richtig wiedergeben. ({0}) Es ist tatsächlich richtig, was Sie sagen. Zitat: Wir wollen ein Konzept einbringen, in dem keine Mindestsicherung mehr unter 1 050 Euro liegt. Allerdings sagen Sie zum gleichen Zeitpunkt, dass der Hartz-IV-Satz auf 500 Euro erhöht werden soll. Wie Sie allerdings auf 500 Euro kommen, darüber schweigen Sie sich natürlich aus. Uns werfen Sie immer Methodikfehler vor, aber tatsächlich halten Sie sich an keine eigene Methodik, sondern setzen diese politisch. Darum geht es mir. ({1}) - Wahrscheinlich können wir es dann wieder als Drucksache haben. Letztlich diskreditieren Sie Ihren eigenen Antrag, indem Sie uns Methodikfehler vorwerfen, während Sie selber welche machen. Warum wir jetzt wieder eine Kommission brauchen die Kollegin hatte darauf hingewiesen -, weiß ich nicht. Sämtliche Verbände wurden hier richtigerweise eingefügt. Auch ein Blick ins Wahlprogramm zeigt, dass - Zitat - „Teile der LINKEN ... das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens“ vertreten: Dieses Konzept wird in der Partei kontrovers diskutiert. Diese Diskussion wollen wir weiterführen. Wir befürworten auch die Einsetzung einer Enquetekommission zum Grundeinkommen im Deutschen Bundestag. Es ist schon erstaunlich, dass man in einem Wahlprogramm schreibt, dass man sich noch auf gar nichts geeinigt hat und dass man die Diskussion noch weiterführen muss. Substanzloser geht es kaum. ({2}) Ich empfehle, sich zunächst einmal parteiintern zu verständigen. Aber vielleicht haben Sie ja als Fraktion Ihre Partei schon überholt. Dadurch, dass in Ihrem Antrag von einem Mindesteinkommen gar nicht mehr die Rede ist, habe ich eher den Eindruck, dass Sie dieses Ziel aufgegeben haben, während sich Ihre Partei noch entscheiden muss, ob sie dafür oder dagegen ist. Auch die Ausgestaltung des Bildungs- und Teilhabepakets ist verfassungskonform und hat sich im Übrigen bewährt. Ihre Kritik geht auch hier ins Leere. Die Ausgestaltung von ergänzenden Bedarfen für Bildung und Teilhabe wird die Bundesregierung im Rahmen der anstehenden Neuermittlung der Regelbedarfe auf der Grundlage von Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 prüfen. Warten wir einfach die Ergebnisse ab. Für diskussionswürdig halte ich aus gegebenem Anlass eher eine finanzielle Obergrenze des Betrags für mehrtägige Klassenfahrten. Wenn eine Fahrt nach New York im Umfang von 38 000 Euro für 15 Schüler gezahlt werden muss, dann zahlt hierfür der Steuerzahler die Zeche. Das ist in keinem Fall gerechtfertigt. Ich halte es auch für unfair denen gegenüber, deren Einkommen beispielsweise knapp oberhalb der Hartz-IV-Sätze liegt und die eine solche Fahrt aus eigener Tasche zahlen müssten. Die einen haben eine große Sause, und die anderen machen lange Gesichter. Das halte ich in der Tat für unfair. ({3}) Wir führen heute einmal mehr eine Debatte, die uns keinen Millimeter weiterbringt; das gilt insbesondere für Debatten, die von den Linken angestoßen werden. Die Drucksachenfabrik der Linken arbeitet weiter. Gönnen Sie sich und Ihren Mitarbeitern eine Denkpause, am besten zum Denken. Aber wahrscheinlich ist es einfach so, dass Ober Unter schlägt. In diesem Fall hat wahrscheinlich Frau Kipping gesagt: Ich möchte gerne wieder mein Lieblingsthema diskutieren. - Deswegen glaube ich, dass wir in diesem Bereich auch in Zukunft noch erhebliche Diskussionen zu führen haben werden. ({4}) Ein herzliches Dankeschön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Markus Paschke für die SPD-Fraktion. ({0})

Markus Paschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004371, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal scheint es ziemlich subjektiv zu sein, ob man ein Verfahren als objektiv betrachtet. ({0}) Ich finde, das Verfahren zur Ermittlung der Regelbedarfe ist durchaus objektiv. Es ist nämlich nachvollziehbar, und ihm liegt eine berechenbare Basis zugrunde. Damit ist das Verfahren objektiv. Nun kann man allerdings trefflich darüber streiten, ob die statistischen Grundlagen und die Inhalte für die Berechnung der Regelbedarfe richtig sind. Reden wir also über die Grundlagen und darüber, ob die bisherigen Regeln zur Deckung des Bedarfs ausreichen. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2014 hat uns auf Leistungslücken und Unterdeckungen hingewiesen. ({1}) Die Richter haben allerdings den Gesamtbedarf als gerade noch ausreichend gedeckt gesehen. ({2}) Erfahrungen aus der Praxis zeigen aber auch, dass wir den Zugang zum Bildungs- und Teilhabepaket verbessern müssen. Immer noch werden damit viele Kinder und Jugendliche nicht erreicht. Ich finde, wir müssen den Zugang zum Paket vereinfachen und von unnötigem Ballast befreien. ({3}) Der bürokratische Aufwand schreckt nämlich immer noch viel zu viele Eltern ab, die Anträge überhaupt zu stellen. Außerdem werden wichtige Ressourcen der Jobcenter mit Anträgen und Bescheiden blockiert. Für jede Leistung für jedes Kind ist ein Antrag zu stellen, sei es nun der Sportverein, die Nachhilfe oder das tägliche Mittagessen in der Schule. Weniger bürokratischer Aufwand wäre eine effektive Zugangserleichterung. ({4}) Hier halte ich Bürokratieabbau für sinnvoll. Der aktuelle Regelsatz von 399 Euro beinhaltet 25,14 Euro für Mobilität. In Berlin kostet eine Monatskarte für Empfänger von SGB-II-Leistungen 36 Euro. In meinem Wahlkreis zum Beispiel gibt es aber keinen Sozialtarif für eine Monatskarte. Dort kostet sie zwischen 37,30 und 66,80 Euro, je nach Strecke. Mobilität ist aber gerade im ländlichen Raum sehr wichtig. Viele Bezieher von SGB-II-Leistungen können sich auch kein Auto leisten. Mobilität ist jedoch eine Grundvoraussetzung, um Bewerbungsgespräche führen zu können, zum Arzt zu fahren, oder auch, um sich mit Freunden zu treffen, kurz: um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Jedem von uns ist klar, dass die Regelbedarfe sehr eng gerechnet sind. Da bleibt am Ende des Monats kaum etwas bis gar nichts übrig, um Rücklagen für Unvorhergesehenes zu bilden. Grundlegendes wie eine neue Brille, weil sich die Sehstärke verändert hat, ein neuer Kühlschrank oder eine Waschmaschine können zum Problem werden. Die Kosten dafür übernimmt das Jobcenter nämlich nicht. Da sehe ich bei der Berechnung der Regelsätze durchaus Handlungsbedarf. ({5}) Die SPD hat ein transparentes und sachgerechtes Verfahren als Ziel, realitätsnah und nachvollziehbar. Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung entsprechende Hausaufgaben aufgegeben. Ich denke, diese arbeiten wir in gewohnter Weise gemeinsam mit unserem Koalitionspartner ab. ({6}) Sie von der Opposition - auch die Grünen - sind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6589 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines GesetStephan Stracke zes zur Änderung des Aktiengesetzes ({0}) Drucksache 18/4349 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz ({1}) Drucksache 18/6681 Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. - Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen nun zügig vorzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. ({2})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Schon im Jahr 2012 hat sich der Bundestag mit der Aktienrechtsnovelle beschäftigt. Der damals beschlossene Gesetzentwurf ist der Diskontinuität anheimgefallen. Grund war, dass zwei Tage vor der Bundestagswahl der Vermittlungsausschuss angerufen wurde, und das wird auch dem allerbesten Gesetzentwurf zum Verhängnis. Wir packen dieses Thema jetzt nochmals an. Nachdem wir zum Thema Delisting schon eine wichtige Neuregelung für Aktionäre beschlossen haben, nehmen wir nun einige wichtige Änderungen im Aktienrecht vor. Zum einen geht es uns darum, die Finanzierung der Aktiengesellschaften, vor allem der Banken, zu verbessern. Die Kreditinstitute müssen in bestimmtem Umfang Eigenkapital nachweisen. Vorzugsaktien können heute nicht als kalkulatorisches Eigenkapital anerkannt werden, weil nach heutiger Rechtslage bei ausbleibenden Dividendenzahlungen diese Gewinnausschüttungen nachzuholen sind. Wird also der Vorzug in einem Jahr nicht gezahlt, muss dies im Folgejahr nachgeholt werden. Nur Vorzugsaktien, bei denen der Vorzug nicht nachzahlbar ist, können als sogenanntes regulatorisches Eigenkapital anerkannt werden. Deshalb ermöglichen wir nun Vorzugsaktien, bei denen diese Nachzahlung nicht stattfinden muss. So kann die Vorzugsaktie als Kernkapital anerkannt werden mit der Folge, dass den Aktiengesellschaften mehr Kapital zur Verfügung steht. Wir sprechen in der Tat über aktienrechtliche Feinschmeckerei; das will ich bei diesem Thema ausdrücklich einräumen. Zudem schaffen wir die Möglichkeit für Aktiengesellschaften, durch sogenannte umgekehrte Wandelschuldverschreibungen vorab Kapitalerhöhungen zu genehmigen. Bei Wandelschuldverschreibungen kann der Gläubiger einer Aktiengesellschaft bestimmen, ob die Aktiengesellschaft eine Anleihe in Geld oder in Aktien zurückzahlen muss. Bei umgekehrten Wandelschuldverschreibungen kann die Aktiengesellschaft nun bestimmen, ob sie auf die Wandelanleihe das geliehene Geld oder in Aktien zurückzahlen möchte. Mit dieser Neuregelung kann das betreffende Unternehmen etwa in Krisenzeiten statt der Rückzahlung von Geldbeträgen was die Liquiditätskrise verschärfen würde - Aktien zur Schuldentilgung ausgeben und gleichzeitig das Grundkapital, also das gezeichnete Kapital, erhöhen. Das ist richtig; denn es ist sinnvoll, dass bei Finanzproblemen einer Aktiengesellschaft zunächst die Gläubiger und die Aktionäre der Bank dazu beitragen müssen, die Krise zu entschärfen, und nicht der Staat und damit die Allgemeinheit und der Steuerzahler. ({0}) Den Gesetzentwurf haben wir auch zum Anlass genommen, eine ziemlich missglückte Definition des gezeichneten Kapitals in den Bilanzierungsvorschriften des Handelsgesetzbuches zu korrigieren. Nach dieser sachlich falschen Definition haftet der Aktionär angeblich für Verbindlichkeiten der Aktiengesellschaft, was aber bei Kapitalgesellschaften gerade nicht der Fall ist. Ein Dank für diesen Hinweis auf den Reformbedarf geht in meinen Wahlkreis, an Professor Feist, dem dies aufgefallen ist und der zu Recht die Korrektur dieser Gesetzesdefinition anregte. ({1}) Vor allem aber - dies ist der wichtigste Teil dieses Gesetzentwurfes - schaffen wir mehr Transparenz bei den Inhaberaktien. Die internationale Organisation zur Bekämpfung von Geldwäsche, aber auch die G 8 2013 und das Bundeskriminalamt haben vermehrt darauf hingewiesen, dass die Aktienrechtslage in Deutschland nicht börsennotierte Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien für Geldwäsche attraktiv macht. Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland nach einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds etwa 50 Milliarden bis 60 Milliarden Euro kriminell erlangte Gelder jedes Jahr gewaschen werden, müssen wir auf allen Ebenen handeln, um jede Möglichkeit der Geldwäsche zu verhindern. ({2}) - Danke, Herr Ullrich. ({3}) Denn nach heutiger Rechtslage können bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien die Aktien auf neue Eigentümer übertragen werden, ohne dass dies nach außen erkennbar ist. Wir schaffen deshalb mehr Transparenz, indem wir regeln, dass eine Aktiengesellschaft Inhaberaktien zukünftig nur dann ausstellen darf, wenn sie entweder börsennotiert ist - denn in diesem Fall unterliegen die Gesellschafter den kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungspflichten, das heißt, die Aktionäre müssen mitteilen und sich offenbaren, wenn sie 3 Prozent der Stimmanteile besitzen - oder, falls sie nicht börsennotiert ist, wenn die Aktiengesellschaft Anspruch auf Einzelverbriefung ausschließt. Denn dann gibt es nur eine Sammelurkunde, die bei einer Wertpapiersammelbank oder einem Zentralverwahrer verwahrt wird; die Vizepräsidentin Petra Pau Identität des Aktionärs kann dann über den Verwahrvertrag ermittelt werden. Damit ist sichergestellt, dass es keine nennenswerten Aktienpakete von anonymen Aktionären mehr gibt. Dadurch bekämpfen wir Geldwäsche. Auch deswegen ist dieses Gesetz eine ganz wichtige Maßnahme. ({4}) Diskutiert haben wir schließlich auch, einen Tag festzulegen, an dem im Vorfeld der Hauptversammlung festzustellen ist, wer Aktionär der Aktiengesellschaft ist. Das ist der sogenannte Record Date. Problematisch ist nämlich, dass viele ausländische Aktionäre sich erst in das Aktienregister ihrer Aktiengesellschaft eintragen lassen müssen, bevor sie die Hauptversammlung besuchen können. Wir möchten nun möglichst vielen Aktionären den Besuch der Hauptversammlung erleichtern und ermöglichen und meinen, dass ein einheitlicher Record Date möglich ist. Wir wollen eine einheitliche europäische Regelung; denn die Bandbreite in Europa ist groß: In Malta sind es 30 Tage, in Irland 2 Tage. Deshalb brauchen wir einen europaweit einheitlichen Stichtag, damit mehr ausländische Aktionäre zu den Hauptversammlungen kommen. Wir fordern deshalb in unserem Entschließungsantrag genau zu diesem Thema die EU-Kommission auf, einen Gesetzgebungsvorschlag für einen einheitlichen Record Date zu unterbreiten; das ist sinnvoll. Wir wollen gut besuchte Hauptversammlungen; denn ansonsten besteht die Gefahr, dass nur Großaktionäre und Hedgefonds über die Unternehmensgeschicke bestimmen. Das können wir alle nicht wollen. ({5}) Noch ein Wort zu den Änderungsanträgen, die vorliegen. Auch wir von der SPD-Fraktion wollen, dass unverhältnismäßig hohe Managergehälter und Gehaltsexzesse verhindert werden. Auch wir meinen, dass es sinnvoll ist, dass ein Aufsichtsrat bei der Vorstandsvergütung ein Verhältnis zwischen der Vergütung der Belegschaft und der Vergütung des Vorstands festsetzt. ({6}) Allerdings sollten wir uns bei solch detaillierten Regelungen auf die wirklich großen Aktiengesellschaften beschränken, weil erfahrungsgemäß auch nur dort die Exzesse stattfinden. Wir freuen uns sehr, dass die Europäische Kommission in ihrem aktuellen Vorschlag zur Überarbeitung der Aktionärsrichtlinie genau diesen Ansatz verfolgt. Große Aktiengesellschaften müssen danach grundsätzlich das Verhältnis der Durchschnittsvergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung zur Durchschnittsvergütung der Vollzeitbeschäftigten angeben. Damit haben wir eine transparente und gerechte Lösung. Sie sehen: Dieses Gesetz und auch unser Entschließungsantrag enthalten viele für die Aktionäre wichtige und für die Unternehmen sinnvolle Regelungen, sodass ich Sie um Zustimmung bitte. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke. ({0})

Richard Pitterle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004129, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute mit der Aktienrechtsnovelle 2014 Änderungen am Aktienrecht. Die interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer werden aber vermutlich über die Debatte enttäuscht sein. Der Begriff „Novelle“ lässt im allgemeinen Sprachgebrauch eher eine umfassende Reform erwarten. Das ist die Aktienrechtsnovelle nicht. Sie präsentiert sich in der klassischen Wortbedeutung als eine einfache Gesetzesänderung. Daran lässt der Entwurf, fast wie als Entschuldigung für den markigen Arbeitstitel, keine Zweifel aufkommen. Bereits im ersten Satz heißt es: „Das geltende Aktienrecht bedarf einer punktuellen Weiterentwicklung.“ Genau das liefert der Entwurf: feine Drehungen an Stellschrauben. Auch die Ergänzung des Titels um die Jahreszahl 2014 erweckt einen falschen Eindruck. Das Aktienrecht ist keine dynamische Materie, die jährlich angepasst werden müsste. Ganz im Gegenteil: Beständigkeit und Rechtssicherheit sind im Gesellschaftsrecht essenziell. Leider hat gesetzgeberischer Aktionismus dieses Haus fest im Griff. Der vorliegende Entwurf ist davon eine erfrischende Ausnahme: Bereits 2010 erblickte er das Licht der Welt. Fachleute adelten diese - ich zitiere - „ungewöhnlich lange Reifezeit“ daher auch unisono mit den Prädikaten „sachgerecht“, „überzeugend“ und „begrüßenswert“. Gut Ding braucht eben Weile. Das gilt ganz besonders für das sträflich vernachlässigte Handwerk guter Rechtsetzung. Was bleibt aber zu sagen, wenn sich Fachleute einig sind, dass ein Gesetz gut ist? Dann wird es schwer, mehr als nur einzelne Änderungen in einer langweiligen Litanei vorzubeten. Nun ist es aber Aufgabe der Opposition, das Haar in der Suppe und den Kork im Wein zu finden. ({0}) Sie werden es ahnen: Das haben wir. Doch zunächst möchte ich eine gute Änderung vorstellen. Diese betrifft die Ausgabeform der Aktien. Aktien können bisher entweder auf eine konkrete, namentlich benannte Person ausgestellt werden, oder sie gewähren denen, die eine Aktie vorweisen können, das Anteilsrecht am Unternehmen. Diese letztgenannten Inhaberpapiere haben jedoch einen schlechten Ruf. Erst kürzlich veröffentlichte die gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche kämpfende Nichtregierungsorganisation Netzwerk Steuergerechtigkeit den Schattenfinanzindex für das Jahr 2015. Der Index gibt an, wie attraktiv ein Staat für Steuerhinterziehung und Geldwäsche im internationalen Vergleich ist. Und siehe da: Deutschland ist auf der Liste der attraktivsten Standorte wiederholt auf den ersten Plätzen, neben den Cayman-Inseln oder Luxemburg. Verdient haben wir uns diesen unrühmlichen Platz auch mit der Intransparenz bei Unternehmensbeteiligungen. Zwar werden auch bei uns nur noch in Filmen Koffer mit Geld gegen Aktien auf schlecht beleuchteten Parkplätzen ausgetauscht. Ausgeschlossen ist es aber nicht, dass Inhaberpapiere für Steuerhinterziehung und Geldwäsche genutzt werden. Wer sich anonym an Unternehmen beteiligen kann, muss nicht fürchten, dass sich Finanz- und Strafbehörden für die Herkunft und die Anlage des Geldes interessieren könnten. In Zukunft sollen daher Namenspapiere die Regel und Inhaberpapiere nur noch unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein. Damit erfüllt Deutschland endlich auch eine Forderung der Arbeitsgruppe für finanzielle Maßnahmen gegen Geldwäsche bei der OECD. ({1}) Ein Grund, sich im Kampf gegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche entspannt zurückzulehnen, ist diese Regelung allerdings noch nicht. Echte Transparenz wäre erst hergestellt, wenn alle Anteilseigner unabhängig von der Rechtsform in einem öffentlich einsehbaren Register verzeichnet wären, ({2}) nicht anders also, als es jetzt schon für Einzelkaufleute oder Gesellschafter einer GmbH, OGH oder KG im Handelsregister der Fall ist. Warum können wir dem Gesetzentwurf dennoch nicht zustimmen? In dem Entwurf findet sich keine Regelung zu den Managergehältern. In der letzten Legislaturperiode scheiterte die Aktienrechtsnovelle am Widerstand der SPD im Bundesrat wegen unzureichender Regelungen zu Managergehältern. Vor einem Jahr schimpfte der Vizekanzler noch öffentlich über - ich zitiere - „obszöne“ Managergehälter und kündigte ein Eingreifen der Politik an. Von einem SPD-geführten Justizministerium, das den Gesetzentwurf zu verantworten hat, wäre ein solches Eingreifen mit tatkräftiger Unterstützung des Vizekanzlers zu erwarten gewesen, oder? Aber es findet sich kein Wort zu diesem wichtigen Thema. Glaubwürdige Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bedeutet, in der Regierung das umzusetzen, was zuvor als Opposition gefordert wurde. ({3}) Daran fehlt es hier erneut. Deshalb können wir uns heute nur enthalten. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Stephan Harbarth das Wort. ({0})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Pitterle, als ich Ihrer Rede lauschte, habe ich mich schon auf ein Novum eingestellt. In der ersten Hälfte Ihrer Rede haben Sie darauf hingewiesen, dass das, was hier vorliegt, gut gemacht ist, ({0}) dass man sich das in Ruhe überlegt hat, dass man im Einzelnen abgewogen hat und zu einem handwerklich und inhaltlich richtig guten Gesetzentwurf gekommen sei. Ich dachte schon, dass sich Ihre Rede auch als Blaupause für Rednerinnen und Redner Ihrer Fraktion zu ganz anderen Themen eignen würde. ({1}) Sie haben zu meinem Bedauern doch noch die Kurve genommen und gemeint, das berühmte Haar in der Suppe suchen zu müssen. Unsere Wirtschaftspolitik ist von der Überzeugung geprägt, dass es nicht die Aufgabe des Staates ist, in der Wirtschaft mitzuspielen, sondern dass es Aufgabe des Staates ist, gleichsam einem Schiedsrichter die Spielregeln zu setzen, nach denen das Wirtschaftsleben stattfindet. Die Setzung des Ordnungsrahmens ist die große Bedeutung des Wirtschaftsrechts. Das, was wir heute debattieren und beschließen werden, trägt genau diesen Maßstäben Rechnung. Es geht darum, dass der äußere Rahmen der Rechtsordnung fortentwickelt wird. Wir haben das vor wenigen Wochen - Kollege Fechner hat es angesprochen - im Bereich des Aktienrechts bereits hinsichtlich des Delisting getan, weil wir im Bereich des Delisting der Auffassung waren, dass durch die veränderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Kleinaktionäre schutzlos gestellt wurden und dass es Aufgabe des Gesetzgebers war, den Kleinaktionären angemessenen Schutz zu gewähren. Die Große Koalition hat gehandelt, und die Große Koalition handelt hier im Bereich des Aktienrechts erneut. Es geht in der Tat um punktuelle Fortentwicklungen. Es geht nicht darum, das Aktienrecht insgesamt neu zu schreiben. Aber eine Rechtsordnung punktuell fortzuentwickeln, ist nichts Illegitimes. Das ist dann das richtige Vorgehen, wenn die Rechtsordnung im Übrigen gut funktioniert. Ich möchte stichwortartig einige Bereiche nennen. Wir erhöhen zum Beispiel die Rechtssicherheit bei den Veröffentlichungen im Bundesanzeiger. Wir regeln, um die Praktikabilität der Dividendenausschüttungen zu verbessern, dass künftig Dividendenzahlungen am dritten Tag nach der Hauptversammlung fällig werden. Wir regeln, dass die Pflicht zur Führung eines Aktienregisters auch bei fehlender Verbriefung der Anteile gilt. Wir klären Zweifelsfragen hinsichtlich der Vorbesitzzeit und der Haltefrist. Das sind zugegebenermaßen technische Materien, aber es sind wichtige Materien. Immerhin haben wir in Deutschland 16 000 Aktiengesellschaften mit Millionen Beschäftigten. Ich möchte drei Punkte etwas stärker herausgreifen: Der eine ist die Frage des sogenannten Record Date, des maßgeblichen Nachweisstichtags vor der Hauptversammlung bezüglich des Aktienbesitzes. Der Regierungsentwurf sah noch vor, hier zu einer Harmonisierung zwischen Namens- und Inhaberaktien zu kommen. Wir haben das im parlamentarischen Verfahren auch auf Basis der Sachverständigenanhörung eingehend debattiert. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir diese gesetzliche Veränderung nicht vornehmen, sondern dass wir den europäischen Gesetzgeber bitten, aktiv zu werden. Wir bitten deshalb den europäischen Gesetzgeber, aktiv zu werden - auch das hat Kollege Fechner kurz skizziert -, weil wir in Europa, veranlasst durch eine Richtlinie aus dem Jahr 2007, im Augenblick 26 verschiedene Rechtssysteme in 28 Mitgliedstaaten haben und weil wir vermeiden wollten, dass für internationale Investoren viele Aktien deutscher Aktiengesellschaften liegen in den Händen internationaler Investoren - ein höheres Maß an Verwirrung geschaffen wird. Wir wünschen, dass der Record Date europaweit vereinheitlicht wird und dass dadurch die Ausübung der Aktienrechte in der Hauptversammlung im Sinne einer verbesserten Hauptversammlungspräsenz und damit auch im Interesse eines besseren und erfolgreicheren Kapitalmarkts erleichtert wird. ({2}) Insofern werden wir heute über einen entsprechenden Entschließungsantrag abstimmen, der sich nach Europa richtet. Wir werden nacharbeiten, damit aus Europa die entsprechenden Vorgaben kommen. Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen, der uns wichtig ist: Das ist das Thema des Beschlussmängelrechts. Im Regierungsentwurf war vorgesehen, dass die Nichtigkeitsklagen in bestimmten Fällen einer sogenannten relativen Befristung unterstellt werden. Wir haben diese Regelung deshalb aus dem Gesetzentwurf herausgenommen, weil wir der Auffassung sind, dass es im Beschlussmängelrecht nicht um punktuelle Fortentwicklung geht, sondern dass wir auf diesem Gebiet eher noch einmal eine grundsätzliche, eine breiter angelegte Diskussion führen müssen. Wir haben es etwa mit der Situation zu tun, dass in Fällen, in denen ein Beschluss unter einem besonders schweren Mangel leidet, die Eintragung im Handelsregister nur auf Klage eines Aktionärs verhindert werden kann, der den anteiligen Betrag von mindestens 1 000 Euro hält. Es erscheint durchaus zweifelhaft, ob es wirklich so sein sollte, dass die Eintragung von Beschlüssen mit besonders schweren Mängeln nur von Aktionären mit einem gewissen Beteiligungsbesitz verhindert werden kann. Wir sehen auch, dass etwa die Eintragung eines Beschlusses, der unter einem ganz offensichtlichen Mangel leidet, der aber nicht besonders schwer ist, im Handelsregister zum Teil gar nicht verhindert werden kann. Deshalb wollen wir jetzt - dementsprechend ist unsere Bitte an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz - eine breiter angelegte Reform des Beschlussmängelrechts anstoßen. Eine solche Reform lässt sich nicht übers Knie brechen; sie braucht Vorarbeiten. Wir denken, diese Vorarbeiten sollten rasch in die Wege geleitet werden. Wir haben im parlamentarischen Verfahren gerade für die kleineren und mittleren Aktiengesellschaften, die nicht mitbestimmt sind, eine weitere Erleichterung vorgesehen. Diese Gesellschaften benötigten bisher einen Aufsichtsrat, bei dem die Zahl der Mitglieder durch drei teilbar war. Eine sachliche Rechtfertigung dafür gibt es nicht. Deshalb streichen wir dieses Erfordernis. Der Aufsichtsrat muss sich zwar aus mindestens drei Personen zusammensetzen, wir überlassen es aber den Aktionären selbst, ob sie einen Dreier-, Vierer- oder Fünfer-Aufsichtsrat haben möchten. Das ist unser Verständnis von Wirtschaftspolitik. Wir geben einen Rahmen vor. Wir sind aber überzeugt davon, dass die Unternehmer in aller Regel selbst am besten wissen, wie dieser Rahmen zu füllen ist. Dies alles vorausgeschickt, denke ich, dass wir das Aktienrecht jetzt mit der Aktienrechtsnovelle in einer sachgerechten Weise weiterentwickeln. Es gibt noch einige weitere Aufgaben, die ungelöst bleiben. Deren Bewältigung werden wir in Behutsamkeit vorantreiben. Ich darf Sie um Zustimmung zu dem nun vorliegenden Gesetzentwurf bitten. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Publikum ist etwas zu bedauern; aber auch diese rechtstechnischen Themen müssen eben manchmal sein. ({0}) Schon der erste Anlauf zur Novellierung des Aktienrechts vor fünf Jahren war nicht der große Wurf. Inzwischen ist aus dem ursprünglichen Referentenentwurf von 2010 die Aktienrechtsnovelle 2016 geworden. Und diese ist nun wirklich ein schlankes Gesetz, um nicht zu sagen: ein Gerippe. Der Entwurf besteht nur noch aus drei sehr technischen Punkten: Erstens sollen Aktiengesellschaften künftig Kernkapital auch durch Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien bilden können. - Okay. Zweitens sollen bestimmte Schuldverschreibungen künftig nicht nur von den Gläubigern, sondern auch von der Schuldnerin, also der Aktiengesellschaft selbst, in Aktien umgewandelt werden können. Das soll in Krisenzeiten helfen, eine Insolvenz zu vermeiden. - Auch okay. Drittens sollen die Beteiligungsverhältnisse bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften transparenter werden. Insbesondere bei Inhaberaktien dieser Gesellschaften gibt es keine hinreichende Transparenz hinsichtlich der Gesellschafter. Das soll jetzt verbessert werden. - So weit, so gut. Und jetzt zu dem, was mal drinstehen sollte: Einen einheitlichen Stichtag, zu dem der Eigentümer einer Namens- bzw. Inhaberaktie feststehen muss, um dann bei der Aktionärsversammlung stimmberechtigt zu sein, wird es nicht geben. Hierzu hat die Koalition einen Entschließungsantrag mit dem Ziel eingebracht, zu einem europäisch einheitlichen Stichtag zu kommen. Und das macht auch Sinn. - Also auch hier haben Sie unsere Zustimmung. ({1}) - Danke sehr. Ein weiterer Punkt, der ursprünglich vorgesehen war, nämlich eine Änderung des Beschlussmängelrechtes in § 249 Aktiengesetz, wurde ebenfalls im letzten Moment zurückgenommen. Zur Verhinderung angeblich missbräuchlicher Nichtigkeitsklagen sollte eine Befristung eingeführt werden. - Auch hier teile ich Ihre Bedenken. Bevor man eine Kürzung der Klagebefugnis Einzelner in Kauf nimmt, um einen Missbrauch von Klagerechten zu verhindern, sollte man überlegen, ob es nicht andere Wege gibt. Nun aber zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens, die Sie leider ausgespart haben. Dabei geht es einmal um die Vorstandsvergütung. Hier besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf. ({2}) Es soll zwar eigentlich schon jetzt darauf geachtet werden, dass die Vergütungsstaffelung beim Vorstand nicht Maß und Bezug zu den Vergütungsgepflogenheiten im Unternehmen verliert. Dennoch zahlen viele Unternehmen ihren Vorstandsmitgliedern das über 100-Fache des durchschnittlichen Lohnes eines Facharbeiters. Deshalb braucht es eine gesetzliche Verpflichtung zur Beachtung dieses Verhältnisses und mehr Transparenz durch Veröffentlichungen im Jahresbericht. ({3}) Genau das beantragen wir mit unserem grünen Änderungsantrag. Interessanterweise war es ja so, dass das Gesetz in der letzten Legislaturperiode noch „Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften“ heißen sollte. Jetzt heißt es nur noch „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes“. Es ist aber höchste Zeit, Regelungen einzuführen, die den Aufsichtsrat dazu verpflichten, auch überhöhte Vorstandsgehälter und maßlose Abfindungen zu begrenzen und diese auch stärker am langfristigen Erfolg des Unternehmens auszurichten. Das geht nur, wenn man die steuerliche Abzugsfähigkeit beschränkt. ({4}) Denn letztlich werden Managergehälter und -abfindungen über die steuerliche Anrechenbarkeit von der Allgemeinheit - also von uns allen - mitfinanziert. Darum beantragen wir mit unserem zweiten Änderungsantrag, Gehaltszahlungen von mehr als 500 000 Euro jährlich und Abfindungen von über 1 Million Euro zu nicht abziehbaren Betriebsausgaben zu machen. ({5}) - Ja. So eine begrenzte Abzugsfähigkeit gibt es auch bei anderen Betriebsausgaben. Sie sind daher, wie manche behaupten, keine Verletzung des Nettoprinzips. Nutzen Sie die Gelegenheit, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen und Ihr Gesetz zu vervollständigen! Ein weiteres Problem, das Ihr Gesetz nicht löst, betrifft die Berichtspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern bei Gesellschaften mit staatlicher Beteiligung. Um was geht es? Die Sitzungen des Aufsichtsrates sind nicht öffentlich, und es besteht eine Verschwiegenheitspflicht. Eine Ausnahme gilt für Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft, also einer Kommune, in den Aufsichtsrat gesandt werden, also bei Gesellschaften mit öffentlicher Beteiligung. Die Frage, die sich bei diesen Aufsichtsräten stellt, ist die nach der Grenze zwischen Berichtspflicht und Verschwiegenheitspflicht; denn die öffentliche Hand, die sich an einem Unternehmen beteiligt, muss auch kontrollieren können, ob diesem öffentlichen Interesse Rechnung getragen wird. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt nun zwar klar, wie die Berichtspflicht dieser Aufsichtsräte formell-rechtlich begründet werden kann, doch das eigentliche Problem, nämlich das Spannungsverhältnis zwischen Berichtspflicht und Verschwiegenheitspflicht, wird nicht gelöst. Hier warten wir jetzt mal wieder auf höchstrichterliche Rechtsprechung. Fazit: Ihr Gesetz spart alle Antworten auf die wesentlichen Fragen aus und verdient nicht wirklich den Namen „Novelle“. ({6}) Die technischen Details sind aus unserer Sicht zwar unproblematisch und sinnvoll, aber für die fehlende Begrenzung von Managervergütungen können wir Ihnen nicht allen Ernstes noch unsere Zustimmung geben. ({7}) Sollten Sie also unseren Änderungsanträgen nicht zustimmen, werden Sie mit unserer Enthaltung leben müssen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Dr. Volker Ullrich hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Volker Ullrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004427, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir feiern in diesem Jahr „50 Jahre Aktiengesetz“. Das sollte in dieser Debatte auch Anlass sein, zu formulieren, dass sich dieses Gesetz bewährt hat, nicht allein wegen der mehreren Hundert börsennotierten Aktiengesellschaften, sondern auch vor dem Hintergrund von insgesamt über 14 000 Aktiengesellschaften in Deutschland. Die Aktiengesellschaft ist eine Rechtsform des Mittelstands, und deswegen steht sie im Vordergrund unserer Wirtschaftsrechtspolitik. Man muss auch formulieren, dass die Aktiengesellschaft durch ihre Formstrenge, durch die Leitung durch Aufsichtsrat und Vorstand einen deutlichen Vorteil gegenüber dem monistischen System in der anglo-amerikanischen Welt hat; sie hat sich damit bewährt. Deswegen sagen wir mit Fug und Recht: Eine Aktienrechtsreform muss nicht das ganze Haus auf den Kopf stellen. Es handelt sich hier um ein Gesetz, das sich in der Praxis bewährt hat. Deswegen sind punktuelle Reformen die richtige Ansage. ({0}) Wir werden die Beteiligungsverhältnisse transparenter gestalten. Es wird zukünftig nicht mehr möglich sein, dass eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft ohne Weiteres Inhaberaktien ausgibt; die Namensaktie wird zum Regelfall werden. Damit kommen wir auch einer Empfehlung der OECD nach, die im Jahr 2010 gesagt hat: Ihr seid nicht gut genug bei der Bekämpfung der Geldwäsche. Ihr müsst etwas tun im Bereich der Selbstgeldwäsche. Aber auch bei den Beteiligungsverhältnissen von Aktiengesellschaften ist noch viel Luft nach oben. Wir haben hier vor einigen Wochen die Selbstgeldwäsche unter Strafe gestellt. Deswegen ist es konsequent, dass wir heute auch sagen: Wir schaffen mehr Transparenz bei den Beteiligungsverhältnissen. Das ist ein wertvoller Schritt zur Bekämpfung der Geldwäsche, und damit stellen wir uns an die Spitze der Länder, die sagen: Wir setzen Vereinbarungen mit der OECD nahtlos um. - Ich glaube, das sind wir auch dem Kampf gegen Kriminalität und Geldwäsche schuldig. ({1}) Ich möchte noch mit einem Satz oder zwei Sätzen auf die Frage von Vorstandsvergütungen eingehen. Ja, es gibt in der Tat Exzesse bei den Vorstandsvergütungen. Es sind in Deutschland Fälle augenscheinlich, bei denen sich Arbeitnehmer zu Recht fragen, weshalb Vorstandsmitglieder sehr hohe Summen bekommen, Summen, die möglicherweise wenig mit dem Unternehmenserfolg selbst zu tun haben ({2}) und die vielleicht auch nicht mehr anständig sind; das ist gar keine Frage. „Marktwirtschaft“ und „soziale Marktwirtschaft“ heißt, dass sich alles in einem angemessenen Rahmen abspielen soll und dass die Balance zu wahren ist. Ich möchte aber daran erinnern, dass vor einigen Jahren schon der § 87 des Aktiengesetzes, der die Grundzüge der Vorstandsvergütung regelt, so reformiert worden ist, dass die Aufsichtsräte bei der Festlegung der Vorstandsvergütung nicht nur eine nachhaltige Unternehmensentwicklung zu berücksichtigen haben; es verbietet sich, auf kurzfristigen Erfolg zu setzen. Vielmehr sind mehrjährige und langjährige Ziele zu berücksichtigen. Deswegen sollte die Botschaft des Bundestages an die Aufsichtsratsmitglieder sein: Berücksichtigen Sie das geltende Recht! Dann werden Sie eine Vorstandsvergütung bekommen, die auch mit dem im Einklang steht, was die Menschen erwarten. Im Übrigen halte ich nichts davon, einem Aktionismus das Wort zu reden. Der Änderungsantrag der Grünen, der formuliert, die Vorstandsvergütung müsse in einem gewissen Verhältnis zur Vergütung der oberen Managementkreise und der Belegschaft stehen, schafft neue Probleme. Was ist das obere Management? Welchen Durchschnittswert setzen Sie bei der Belegschaft an? Deswegen ist es der wesentlich bessere Schritt, wenn wir jetzt gemeinsam darauf drängen, dass in der europäischen Aktionärsrechte-Richtlinie hierzu klare Vorgaben gemacht werden und europaweit verankert wird, dass die Hauptversammlungen mehr Kompetenzen bekommen bei der Beantwortung der Frage: Wie viel verdient das Management? Ich glaube, das ist die klarere Position. ({3}) Insgesamt haben wir es mit einer sorgsamen und punktuellen Verbesserung eines Gesetzes zu tun, das sich bewährt hat. Deswegen darf ich Ihnen dieses Gesetz zur Zustimmung empfehlen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion. ({0})

Metin Hakverdi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004289, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenstand der heutigen Debatte ist die Novelle des Aktienrechts. Mit der Novelle wollen wir das geltende Aktienrecht in einigen Punkten weiterentwickeln; viele davon sind schon angesprochen worden. Dazu gehört erstens die Flexibilisierung der Finanzierung von Aktiengesellschaften. Zweitens sollen die Beteiligungsverhältnisse bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften transparenter gemacht werden. Drittens soll das Aktienrecht im Bereich der Aktionärsklagen weiterentwickelt werden, und natürlich müssen wir uns mit der Stichtagsregelung für Namensaktien beschäftigen. In der Debatte ist bereits zu vielen Punkten Stellung genommen worden. Ich will mich deshalb auf zwei Punkte konzentrieren: zum einen auf den Aspekt der Transparenz bei den Beteiligungsverhältnissen nicht börsennotierter Aktiengesellschaften und zum anderen auf die Stichtagsregelung bei Namensaktien. Hinsichtlich der Transparenz bei den Beteiligungsverhältnissen nicht börsennotierter Aktiengesellschaften gilt bisher: Eigentümer ausgegebener Inhaberaktien dieser AGs, bei denen sich die Anzahl der Aktien unterhalb der Schwelle für Mitteilungspflichten gemäß den §§ 20 und 21 Aktiengesetz bewegt, müssen nicht mitgeteilt werden. Personen, die Inhaberaktien unter dem Schwellenwert erwerben, müssen daher nicht bekannt sein. Damit muss bei diesen Gesellschaften die Information über den Gesellschafterbestand nicht vollständig sein. Dieser Umstand macht diese Gesellschaften übrigens zu besonders attraktiven Anlageobjekten für Menschen, die gerne im Verborgenen arbeiten. Das bestätigen auch die Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes. Diesen zufolge sind solche Aktiengesellschaften für kriminelle Handlungen im Bereich der Geldwäsche besonders anfällig. Die Ermittlungstätigkeit ist in solchen Aktiengesellschaften erschwert. Die Vorstände solcher Aktiengesellschaften können sich heute auf den Standpunkt stellen, dass die Aktionäre der Aktiengesellschaft gar nicht bekannt seien. Aus rechtlicher Sicht müssen die Vorstände dies auch nicht wissen. Dieser Zustand hat Deutschland bereits im Jahr 2010 eine Rüge der Financial Action Task Force on Money Laundering eingebracht: Diesen Unternehmen fehle die Transparenz bezüglich ihrer Gesellschafterstruktur. Es sei nicht gewährleistet, dass die zuständigen Behörden rechtzeitig an aktuelle Informationen über die Aktionäre einer solchen Gesellschaft kämen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist bemerkenswert, dass trotz der Rüge der Financial Action Task Force on Money Laundering aus dem Jahr 2010 und der Hinweise des Bundeskriminalamtes diese Gesetzesnovelle unter der schwarz-gelben Koalition in der letzten Wahlperiode liegen geblieben ist. Ich bin froh, dass wir diesem Zustand mit diesem Gesetz heute ein Ende setzen. Wir begrenzen die Möglichkeit, Inhaberaktien auszustellen. Wir wollen keine intransparenten Eigentümerstrukturen. ({0}) Der zweite Aspekt, den ich ansprechen will, betrifft die Stichtagsregelung, den sogenannten Record Date. Der Record Date ist der Stichtag, an dem festgestellt wird, wer Aktionär und damit in der Hauptversammlung stimmberechtigt ist. Bisher gilt, dass jede Aktiengesellschaft den Record Date selber in ihrer Satzung festlegt. Wir hatten uns vorgenommen, dies zu ändern. Wir wollten einen einheitlichen Stichtag für alle börsennotierten Unternehmen mit Namensaktien. Das sollte der 21. Tag vor der Hauptversammlung sein. Zwei Ziele hatten wir damit verfolgt: Erstens. Wir wollten eine Vereinfachung bei der Feststellung der Aktionärseigenschaft für Namensaktien. Zweitens. Wir wollten damit mehr Beteiligung der Kleinaktionäre auf den Hauptversammlungen erreichen. Die Bestimmung von Unternehmensgeschicken darf nicht allein die Angelegenheit von Großaktionären und Hedgefonds sein. Wir müssen daran arbeiten, dass Kleinaktionäre einen einfacheren Zugang zu den Hauptversammlungen haben. Die öffentliche Anhörung war diesbezüglich aber leider ernüchternd. Welcher einheitliche Stichtag der richtige ist, konnten wir nicht klären. Einige haben die Drei-Wochen-Frist favorisiert, andere wollten eine kürzere. Ferner wurde in der Anhörung deutlich, dass eine Lösung auf EU-Ebene vorzugswürdiger sei. Daher sollte der Deutsche Bundestag eine europäische Lösung anstreben. Wir sollten die Europäische Kommission auffordern, einen einheitlichen Record Date für Aktiengesellschaften festzulegen. Das scheint mir momentan der bessere Weg zu sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Professor Dr. Heribert Hirte das Wort. ({0})

Prof. Dr. Heribert Hirte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004302, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe verbliebene Zuhörer! ({0}) Was lange währt, wird endlich gut. Es wurde schon ein paarmal angesprochen: Hier geht es um die Wiedereinbringung eines Gesetzentwurfs, der als Aktienrechtsnovelle 2011 schon einmal dieses Haus erblickt hatte und dann liegen geblieben ist. Er ist lange gereift; aber das, was übrig geblieben ist, Frau Keul, ist kein „Gerippe“. Das, was hier vorliegt, enthält eine ganze Reihe wichtiger und wesentlicher Änderungen des Aktienrechtes. Diese wesentlichen Änderungen fokussieren zu einem ganz erheblichen Teil auf Fragen der Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der deutschen Aktiengesellschaften. Dass es hiermit am Ende nicht ganz so eilig war, wie es am Anfang schien, hängt damit zusammen, dass die Finanz- und Bankenkrise überwunden wurde und wir es mit vielen anderen Maßnahmen geschafft haben, die damit verbundenen Probleme erst einmal in den Griff zu bekommen. Wir fügen jetzt in diesem Bereich ein weiteres Puzzleteil ein. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt. Es geht um die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen. Dabei muss man in Erinnerung rufen: Eigenkapital ist, was die Finanzierung von Unternehmen angeht, der Puffer, der die Verluste auffängt, wenn es zu einer Krise kommt. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier zur Stärkung des Eigenkapitals beitragen. ({1}) Wir tun das insbesondere bei Kreditinstituten, bei Banken, und zwar in zwei Bereichen. Zum einen geht es - Kollege Fechner hat es eingangs schon angesprochen - um die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Solche Aktien kann man ausgeben. Jemand, der ein bisschen mehr Dividende bekommen oder sie ein bisschen schneller bekommen will als andere - wir stellen klar, dass beides möglich ist -, darf nicht abstimmen, wenn die entsprechenden Vorzüge gezahlt wurden. Im Augenblick ist es so: Um ein Aufheben des Stimmrechts zu vermeiden, muss der Vorzug nachgezahlt werden. Die Vorzugsaktien werden dann im Bankenaufsichtsrecht nicht als sogenanntes regulatorisches Eigenkapital angesehen, wie es der Kollege Fechner eben zu Recht bezeichnet hat. Das heißt, hier haben wir - nach unserer Vorstellung - Eigenkapitaltitel, die trotzdem nicht als Bankeigenkapital angesehen werden. Wir ändern das und sagen: Der Vorzug muss nicht mehr nachgezahlt werden. Das ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Bankenbilanzen. ({2}) Wir machen in diesem Zusammenhang einen zweiten Schritt, nämlich im Bereich der sogenannten Wandel- und Optionsanleihen. Was ist das? Unternehmen, insbesondere Banken, können Anleihen ausgeben; das ist Fremdkapital. Bisher ist es jedenfalls nach dem Gesetzestext so, dass es die Gläubiger in der Hand haben, zu irgendeinem Zeitpunkt zu sagen: Wir switchen rüber, wir wandeln um und werden dann zu Aktionären. - Aber im Hinblick auf die Stärkung der Solvenz der Gesellschaften wäre es wichtig, das dann zu machen, wenn die Banken es brauchen. Deshalb drehen wir das Wahlrecht jetzt um: Wir schaffen die Möglichkeit, dass auch die Gesellschaften, vor allen Dingen die Kreditinstitute, dafür sorgen können, dass die Gläubiger dann, wenn es nötig ist, wenn die Aufsichtsbehörden es erzwingen oder verlangen, auf die Seite des Eigenkapitals geholt werden. Auch das ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Solvenz unserer Banken. ({3}) Damit komme ich zu einigen kleineren Punkten. Einer der Detailpunkte - Frau Keul hat es angesprochen - ist die Frage, wie Aufsichtsratsmitglieder, die von öffentlich-rechtlichen Körperschaften entsandt sind, ihrerseits Bericht erstatten können. Wir machen auch hier einen wichtigen Schritt nach vorne, indem wir klarstellen, wann sie solche Berichte weitergeben können und dürfen. In einem Punkt bin ich völlig anderer Meinung als Sie: Die Verschwiegenheitspflicht bleibt bestehen, und da bedarf es auch keiner Klarstellung; denn es ist selbstverständlich, dass Angelegenheiten des Aufsichtsrates anschließend nicht öffentlich in irgendeinem Gemeinderat diskutiert werden können. Das stünde aktienrechtlichen Prinzipien entgegen. Ein letzter Punkt: Vorstandsvergütungen. Sie sagen, wir hätten diesbezüglich noch einiges tun müssen. Wir haben das in der letzten Legislaturperiode getan. Sie haben dadurch, dass Sie den Vermittlungsausschuss angerufen haben, blockiert und damit verhindert, dass die Änderung, die wir am Ende der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen haben, Gesetz werden konnte. Deshalb können Sie jetzt guten Gewissens zustimmen. Ich hoffe auch auf die Zustimmung aller anderen zu dem Gesetzentwurf. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Aktiengesetzes. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6681, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4349 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/6690? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 18/6691? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6681 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Keul, Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Panzerlieferung nach Katar sofort stoppen Drucksache 18/6647 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Agnieszka Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Waffenexporte seien ein „Geschäft mit dem Tod“. Es ist „eine Schande“, dass Deutschland der drittgrößte Waffenlieferant dieser Welt ist. Das waren nicht etwa die Aussagen der Opposition, sondern das waren die Worte des in der Bundesregierung dafür zuständigen Ministers, des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel. ({0}) Herr Gabriel hat damit die Hoffnung geweckt, dass sich in der Rüstungsexportpolitik endlich wirklich etwas ändern würde. Nach zwei Jahren muss man bei einer nüchternen Betrachtung seiner Bilanz sagen: Sigmar Gabriel hat da versagt. ({1}) Es gibt eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass eine große Lücke klafft zwischen den schönen, markigen Ankündigungen und der hässlichen Realität. Nehmen wir heute das Beispiel „Panzerlieferungen nach Katar“. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Brugger, ich bitte Sie einen kleinen Moment um Geduld. Frau Kollegin Haßelmann, Sie müssen den Antrag zur Geschäftsordnung gar nicht stellen. Ich habe vor, die Sitzung zu unterbrechen. Zur Klarstellung für alle Kolleginnen und Kollegen: Uns erreichte vor wenigen Minuten die Nachricht, dass der Minister auf dem Weg aus dem Haushaltsausschuss hierher ist. Deshalb habe ich im Vertrauen darauf, dass er es schafft und ihm sich keiner in den Weg stellt, die Debatte eröffnet. Ich ging davon aus, dass der Minister nach der Grußformel der Kollegin Brugger hereineilt. Das ist ihm offensichtlich nicht gelungen. Ich bitte Sie, Kollegin Brugger, um Entschuldigung dafür, dass das jetzt so ist, wie es ist. Ich unterbreche die Sitzung, bis der Herr Bundesminister hier im Saal ist, ({0}) und eröffne die Debatte dann neu. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Es wird eine Umbesetzung in der Redeliste geben. Das heißt, die SPD-Fraktion wird in dieser Debatte als Redner den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Beckmeyer benennen, er wird als Zweiter sprechen. ({0}) Es ist eine ungewöhnliche Praxis, dass das jetzt von hier vorne verkündet wird, aber wir wollen jetzt nicht noch mehr Zeitverzug durch eine Übermittlung all der technischen Daten. ({1}) Die Debatte ist eröffnet. Das Wort hat die Kollegin Agnieszka Brugger. ({2})

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Waffenexporte seien ein Geschäft mit dem Tod; es sei eine Schande, dass Deutschland der drittgrößte Waffenlieferant der Welt ist. ({0}) Das ist keine Aussage, die aus einer Rede der Linken oder der Grünen hier im Bundestag stammt, sondern das hat der für Rüstungsexporte federführende Minister Sigmar Gabriel nach Amtsantritt gesagt. ({1}) Er hat damit die Hoffnung geweckt, dass sich bei der Rüstungsexportpolitik endlich wirklich etwas ändern könnte und würde. Nach zwei Jahren muss man, wenn man nüchtern seine Bilanz betrachtet, feststellen: Sigmar Gabriel hat da eindeutig versagt. ({2}) Vizepräsidentin Petra Pau Es gibt eine Reihe von Beispielen dafür, dass eine sehr große Lücke klafft zwischen dem, was er schön und markig ankündigt, und dem, was die hässliche Realität ist. Heute beschäftigen wir uns mit den Panzerlieferungen nach Katar. Sigmar Gabriel hat 2014 bei seiner großen Rüstungsexportrede vor der DGAP - das war, wohlgemerkt, vor dem Jemen-Krieg - gesagt, Panzerlieferungen in den arabischen Raum seien nicht zu rechtfertigen. Nun hätte er die Chance gehabt, seine Worte wahrzumachen und diesen Panzerdeal zu stoppen, den Schwarz-Gelb 2013 auf den Weg gebracht hat. Das hat er aber nicht gemacht. Da fragt man sich schon: Gilt sein Wort noch, oder hat er seine Meinung geändert? Meine Damen und Herren, statt die Genehmigung zu versagen, kam es dann zu einem sehr ungewöhnlichen Vorgang. Wir Abgeordnete haben aus der Süddeutschen Zeitung erfahren, dass uns in den nächsten Tagen ein Brief aus dem Wirtschaftsministerium zugeht. Ich überspitze das jetzt ein bisschen, aber sinngemäß stand da drin, man hätte die Genehmigung zur Auslieferung versagen können, aber das Auswärtige Amt, geführt von Herrn Steinmeier, und das Bundeskanzleramt seien dagegen gewesen, Sigmar Gabriel schon irgendwie dafür. Dann wird in dem Brief noch darauf hingewiesen, dass es in diesem Zusammenhang auch sehr hohe Schadensersatzforderungen gegeben hätte. Ich finde, so einfach kann Herr Gabriel sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. ({3}) Meine Damen und Herren, die deutschen Gesetze sehen vor, dass die Exportgenehmigung für Kriegswaffen jederzeit widerrufen werden kann. Sie ist sogar zu widerrufen, wenn die Gefahr besteht, dass diese Waffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere einem Angriffskrieg verwendet werden. Da fragt man sich schon - diese Frage würde ich gerne Herrn Gabriel stellen, aber auch den anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Kabinett, die im Bundessicherheitsrat sind -: Was kann denn mehr darunterfallen, als wenn ein Land Teil einer von Saudi-Arabien geführten Kriegsallianz wird, die den Jemen in die Steinzeit zurückbombt? ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, was hat es mit Sicherheitspolitik zu tun, wenn Deutschland Panzer an einen Staat liefert, der für die grausame Gewalt im Jemen mitverantwortlich ist und gerade angekündigt hat, mit noch mehr Bodentruppen hineingehen zu wollen? Was hat es mit Sicherheitspolitik zu tun, einem Staat deutsche Waffen zu liefern, der billigend dabei zuschaut, wenn einflussreiche Personen aus dem Land heraus den ISIS-Terror finanziell unterstützen? Was hat es mit Menschenrechtspolitik zu tun, wenn man mit Katar ein Land beliefert, das eine verheerende Menschenrechtsbilanz hat? Ich finde, das sind drei sehr gravierende Gründe, dieses schmutzige Geschäft zu verhindern; denn es ist sicherheitspolitisch wahnwitzig und verantwortungslos. ({5}) Der Stopp der Rüstungsexporte nach Russland im letzten Jahr hat ja gezeigt, dass es möglich ist, wenn der politische Wille dazu da ist. Aber offensichtlich hatte die Bundesregierung nicht den politischen Willen dazu, und offensichtlich konnte sich auch Vizekanzler Sigmar Gabriel hier nicht durchsetzen. Meine Damen und Herren, es ist schlimm genug, dass der Panzerhersteller bei Rücknahme der Genehmigung für diesen Waffendeal mit deutschem Steuergeld entschädigt werden müsste. Aber das ist immer noch besser, als sich durch die Lieferung von deutschen Waffen an der Aufrüstungsspirale und der Gewalt im Nahen und Mittleren Osten mitschuldig zu machen. Sigmar Gabriel sollte vielleicht weniger Reden schwingen und weniger schöne Worte machen, er sollte vielmehr in den zwei Jahren dafür sorgen, dass endlich Schluss ist mit einer Rüstungsexportpolitik, die Frieden, Sicherheit und Menschenrechte immer wieder den Gewinninteressen einzelner deutscher Waffenkonzerne opfert. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe Beckmeyer. ({0})

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kaum ein Thema bewegt die beunruhigten Bürgerinnen und Bürger zurzeit stärker als die Flucht von Millionen von Menschen aus einigen Kriegs- und Krisenregionen. In dieser Situation ist es unverantwortlich, mit falschen Behauptungen Stimmung zu machen. Dazu gehört auch der Vorwurf an die Bundesregierung, sie trage mit Waffenlieferungen zur Verstärkung von Krisen und zur Flucht von vielen Menschen bei. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich habe jetzt erst einmal die Uhr angehalten, Herr Beckmeyer. Ihnen geht jetzt also keine wertvolle Redezeit verloren. Selten ist ein Bundesminister mit so viel Freude und durch ein so zahlreich herbeigeeiltes Auditorium fraktionsübergreifend begrüßt worden. ({0})

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Herr Minister, bitte übernehmen Sie!

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie bleiben jetzt bitte am Redepult, Kollege Beckmeyer. Wir üben hier jetzt sicherlich ein ungewöhnliches Format, aber es ist ja nicht ausgeschlossen, dass wir uns mit diesem Thema auch im Weiteren wieder im Plenum beschäftigen. Ich appelliere an die natürlich sehr wichtigen Mitglieder des Haushaltsausschusses, bei der Neuauflage dieser Debatte Rücksicht auf die Interessen des Plenums zu nehmen, dieses Thema hier entsprechend zu behandeln ({0}) und es dem Herrn Bundesminister zu ermöglichen, hier beim nächsten Mal darüber zu sprechen, wozu er natürlich das Recht hat. ({1}) Ich denke, es ist für alle ein großer Gewinn, wenn wir jetzt dem Kollegen Beckmeyer nicht nur zu Ende lauschen, sondern wenn auch der Herr Bundesminister das zur Vertiefung dieser Debatte und dieses Themas mitnimmt, was hier zu diesem Tagesordnungspunkt gesagt wird. ({2}) Bitte.

Uwe Beckmeyer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003498

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir finden es böswillig, den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung bewerte den Profit von Waffenherstellern höher als die politische Stabilität in den Krisenregionen dieser Welt. ({0}) Wir, diese Bundesregierung und ich - das will ich an dieser Stelle auch sagen -, ärgern uns schon darüber, dass aktuell immer noch Ausfuhrgenehmigungen von Vorgängerregierungen mitzutragen sind, die erst jetzt zur Abwicklung kommen. Das betrifft unter anderem auch die Panzerlieferungen nach Katar. Die Vorgängerregierung hat bereits im Jahr 2012 politisch über die Lieferung nach Katar entschieden und im Jahr 2013 auch die Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz für die Ausfuhr von 62 Leopard-2-Kampfpanzern und 24 Panzerhaubitzen sowie entsprechender Munition erteilt. Über diesen Fall wurde also von der Vorgängerregierung politisch, aber auch rechtlich entschieden. Die aktuelle Bundesregierung soll nun dafür in Misskredit gebracht werden, weil ihr der Vollzug und die Berichterstattung darüber obliegen. Der Bundesminister für Wirtschaft selbst, denke ich, hätte die Genehmigung für die Lieferung nach Katar aktuell nicht erteilt. Er hat innerhalb der Bundesregierung erneut eine Abstimmung zu diesem Fall angestoßen, um zu klären, ob die Entscheidung der Vorgängerregierung aufrechterhalten werden soll. Dabei wurden im Rahmen der maßgeblichen außen- und auch sicherheitspolitischen Bewertung die Gründe abgewogen, die für und gegen einen Export der Waffen sprechen. Ebenso wurde berücksichtigt, dass sich das exportierende Unternehmen im Vertrauen auf die Genehmigung vertraglich gebunden und auch entsprechende Investitionen für die Produktion getätigt hat. ({1}) - Dann nehmen Sie ein Taschentuch. ({2}) Nach intensiver Erörterung ist die Bundesregierung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Lieferungen weiterhin außen- und auch sicherheitspolitisch zu rechtfertigen sind. ({3}) Hier geht es nicht zuletzt auch um die Verlässlichkeit Deutschlands im Hinblick auf einmal getroffene Entscheidungen, gerade wenn andere Nationen darin besonderes Vertrauen gesetzt haben. ({4}) Allerdings war für das Bundesministerium dabei entscheidend, dass wir eine Zusicherung der katarischen Regierung erhalten, dass gelieferte Panzer nicht in den aktuellen Krisenherden der Region, besonders im Jemen, eingesetzt werden. ({5}) Diese Zusicherung haben wir auch erhalten. ({6}) Dieser Fall zeigt deutlich, wie die Genehmigungspraxis der alten Bundesregierung heute noch fortwirkt und rechtliche Bindungen für die Zukunft erzeugt. Deshalb hat sich der Bundesminister für Wirtschaft in seiner Amtszeit immer dafür starkgemacht, dass die aktuelle Bundesregierung eine restriktive Rüstungsexportpolitik auch in der Praxis lebt. ({7}) Lassen Sie mich exemplarisch auf die Verabschiedung der Kleinwaffengrundsätze und die geplante Einführung von Post-Shipment-Kontrollen hinweisen, womit das Bundesministerium für Wirtschaft ein Zeichen in diesem Sinne gesetzt hat. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jan van Aken für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gabriel, die Rede war super vorgetragen, aber inhaltlich echt schwach. ({0}) Sie haben sagen lassen, Sie hätten diese Genehmigung für Panzerlieferungen nach Katar nicht erteilt. Ich sage Ihnen: Sie haben sie aber erteilt, egal mit welcher Entschuldigung Sie uns jetzt hier plattreden wollen. ({1}) Es bleibt dabei: Sie haben eine Panzerlieferung nach Katar genehmigt. ({2}) Das ist genau der gleiche Sigmar Gabriel, der noch vor einem Jahr wörtlich hier in Berlin vor der gesamten Hauptstadtpresse gesagt hat, dass sich die Lieferung von Leopard-Panzern in den arabischen Raum - ich zitiere - „nicht rechtfertigen ließe“. Da haben Sie recht, Herr Gabriel. ({3}) Diese Lieferung ist durch nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen. Sie war vor einem Jahr schon falsch, und Sie wissen, dass sie heute noch viel falscher ist; denn Katar ist das Land, das jetzt auch mit deutschen Waffen den Jemen zurück in die Steinzeit bomben will, das im Jemen jetzt möglicherweise auch mit deutschen Waffen die Menschen, die Zivilisten angreift, vernichtet, vertreibt und verletzt. Das haben Sie mit zu verantworten, wenn Sie das jetzt genehmigen. Deutlicher kann man doch gar nicht zeigen, dass, wenn ein Minister sagt, er finde es falsch, und es trotzdem genehmigt, das gesamte System der Waffenexportkontrolle in Deutschland überhaupt nicht funktioniert. Sonst hätten Sie es jetzt nicht genehmigt. ({4}) Ihr zentrales Argument ist: Ich habe es gar nicht genehmigt, es war die Vorgängerregierung, und es hätte sonst Schadensersatz gezahlt werden müssen. Das ist der entscheidende Punkt. Es geht hier um Geld und nur um Geld. Ihr Argument ist: Es gibt für jeden Export von Kriegswaffen zwei Genehmigungen. Die eine hat die Vorgängerregierung - noch mit der FDP - erteilt; das ist richtig. Aber die zweite Genehmigung haben Sie jetzt erteilt. Und Ihre lauwarme Entschuldigung ist: Wenn ich sie nicht erteilt hätte, hätte es eine Schadensersatzforderung der Firma gegeben. - Dazu möchte ich Ihnen jetzt zwei Dinge sagen: Erstens. Na und? Herr Gabriel, wo ist das Problem? Wenn es eine Schadensersatzforderung der Panzerbauer gibt, dann sollen die Panzerbauer doch klagen. ({5}) Und wenn am Ende wirklich Schadensersatz gezahlt werden muss, dann ist es eben so. Denn eines ist doch klar: Irgendwer wird hier verlieren. Entweder verlieren wir eine Stange Geld, oder die Menschen im Jemen verlieren ihr Leben. Und ich fasse es nicht, dass Sie sich für das Geld entschieden haben. Das, Herr Gabriel, ist unmoralisch! ({6}) Zweitens. Was ist das für ein System, in dem Sie eine Waffenexportgenehmigung, die ja noch nicht einmal abschließend war - vielmehr war ja nur der erste Teil genehmigt -, nicht mehr widerrufen können? Das ist doch ein schlechter Witz. Die Panzerfirma hat sich ihre Kunden selbst ausgesucht. Es ist doch die Schuld der Panzerfirma, sich eine Diktatur als Kunden auszusuchen. Wenn dann der Diktator einen Krieg anfängt, dann muss es doch möglich sein, dass eine deutsche Bundesregierung eine Genehmigung zurückzieht. ({7}) Wenn es heute tatsächlich so ist - ich weiß es nicht; ich bin Biologe, kein Anwalt -, dass eine deutsche Bundesregierung in diesem Fall Schadensersatz zahlen müsste, dann ändern Sie die Kriegswaffenexportgesetze. ({8}) Es kann doch nicht wahr sein, dass es ein Recht darauf gibt, Waffen in einen Krieg zu liefern, dass man eine Entscheidung nicht rückgängig machen kann, auch wenn sich Jahre später die politische Situation ändert. Die Bundesregierung muss immer das Recht und die Möglichkeit haben, eine Waffenexportgenehmigung zu widerrufen: zu jedem Zeitpunkt - Punkt, aus, Ende - und ohne jede Zahlung. ({9}) Im Übrigen bin ich der Meinung - das wissen Sie mittlerweile -, dass Deutschland überhaupt keine Waffen exportieren sollte. Aber eines ist an diesem Fall völlig klar geworden: dass Ihr System der Waffenexportkontrolle nicht funktioniert. Sie müssen endlich einsehen, so wie das mittlerweile auch die Grünen erkannt haben, ({10}) dass dieses Exportkontrollsystem der rot-grünen Koalition so nicht funktioniert. Wenn Sie die Zahl der Waffenexporte wirklich reduzieren wollen - ich glaube, Sie wollen das -, dann müssen Sie punktuelle Exportverbote erlassen. Daran führt kein Weg vorbei. Danke. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sigmar Gabriel hat für eine Kurzintervention das Wort.

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Herr Kollege van Aken, ich will nur die Behauptung zurückweisen, dass diese Entscheidung etwas mit Schadensersatzklagen zu tun hatte. ({0}) Richtig ist, dass es eine nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz geltende Ausfuhrgenehmigung gibt, die von der alten Bundesregierung erteilt wurde. Diese Genehmigung gilt fort. ({1}) - Nein, diese kann man eben nicht einfach zurückziehen. Dazu müssen Sie erst einen Beschluss fassen, den wir nicht gefasst haben. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zurzeit hat überwiegend Sigmar Gabriel das Wort. ({0}) Danach hat der Kollege Jan van Aken die Möglichkeit, auf diese Kurzintervention zu reagieren. Dann geht es in der Debatte weiter. Ich bitte, das so zu respektieren.

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also, die gesamte Argumentation, Herr van Aken, es stehe die Androhung einer Schadensersatzklage ins Haus und deswegen hätten wir nicht entschieden, ist sachlich falsch. Wir haben entschieden, weil wir eine rechtliche Beurteilung vorgenommen haben, nämlich dass die Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz nachwirkt und dass wir deshalb die AWG-Genehmigung zu erteilen hatten. Dies haben wir im Bundessicherheitsrat besprochen. Ich weise ausdrücklich zurück, dass dabei Geldfragen eine Rolle gespielt haben. Die Möglichkeit, eine Entscheidung nach dem KWKG zurückzunehmen, ist durchaus vorgesehen. Wir handeln auch nicht auf der Grundlage von rot-grünen Erlassen oder Verordnungen, sondern es gibt zwei Gesetze, nach denen wir handeln. Diese Möglichkeit hätte sich dann ergeben, wenn sich zwischen dem Genehmigungszeitpunkt, also 2013, und heute die Lage grundsätzlich geändert hätte. ({0}) Das hat sie trotz der Situation im Jemen nicht, weil Ihre Behauptungen über die Aktivitäten Katars im Jemen nicht der Realität entsprechen. Wir haben das geprüft. Hätte es hier eine Möglichkeit gegeben, dann hätten wir versucht, diese KWKG-Genehmigung rückgängig zu machen. Sie mögen eine andere rechtliche Beurteilung haben; das steht Ihnen frei. Aber dann müssen wir uns über rechtliche Beurteilungen unterhalten. Die Unterstellung, die Bundesregierung oder wir hätten aus finanziellen Erwägungen die Genehmigung nicht rückgängig gemacht, ist sachlich falsch. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zur Erwiderung hat der Kollege Jan van Aken das Wort.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Tja, Herr Gabriel, was soll ich jetzt glauben? Ich höre Ihnen zu und bin sogar versucht, Ihnen zu glauben. Ich habe hier in der Hand aber einen Brief, den Ihr Staatssekretär, Herr Machnig, uns allen am 22. Oktober 2015 geschrieben hat. ({0}) Da steht auf Seite 2, zweiter Absatz - ich zitiere -: Im Rahmen dieses Prozesses waren allerdings einige Ressorts trotz der veränderten politischen Rahmenbedingungen nicht bereit, vor allem aus rechtlichen Gründen und - hören Sie zu den damit verbundenen Schadenersatzansprüchen, die KWKG-Genehmigung zu widerrufen. Wenn jetzt Herr Gabriel hier behauptet, das hat mit Geld nichts zu tun, dann lügt entweder er jetzt, oder Herr Machnig hat mich vor zwei Wochen angelogen. Entscheiden Sie sich! ({1}) Es gab in Ihrem Beitrag gerade auch einen zweiten sachlichen Fehler. Denn - Sie haben völlig recht - es gibt zwei Genehmigungen. Das eine ist die Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Sie war erteilt. Mit einer KWKG-Genehmigung alleine darf niemand eine Kriegswaffe ausführen. Das reicht nicht für eine Ausfuhr, Herr Gabriel. Man braucht immer noch eine zweite Genehmigung. Das ist die Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz. Diese Genehmigung lag nicht vor. Das heißt, wenn Sie keine KWKG-Genehmigung erteilt hätten, hätte die Panzerfirma gar nichts machen können. Insofern hätte auch nichts widerrufen werden müssen. Sie hätten einfach gar nichts zu tun brauchen, aber dazu waren Sie nicht in der Lage, weil es auch um Schadensersatzansprüche ging. Damit haben Sie eine ganz schwache Leistung hingelegt, Herr Gabriel. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir machen anders weiter als bisher geplant, aber ganz streng nach unserer Geschäftsordnung und nach Recht und Gesetz. Nach unserer Geschäftsordnung haben Mitglieder der Bundesregierung jederzeit die Möglichkeit und das Recht, sich zu Wort zu melden. ({0}) - Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich will nur für alle Beteiligten ganz klar erklären, was jetzt hier geschieht. Das liegt nicht im Ermessen, sondern ist ganz klar geregelt. Danach wird es nicht nur für den noch vorgesehenen Redner der CDU/CSU-Fraktion, sondern für alle Fraktionen die Möglichkeit geben, sich auch dazu entsprechend zu verhalten. Wir werden dann mit den Parlamentarischen Geschäftsführern klären, wie die zweite Runde abläuft. Das Wort hat der Bundesminister Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Kollege van Aken, ich werde jetzt notfalls von dem Recht, aber ich glaube, auch der Pflicht der Bundesregierung Gebrauch machen, jeweils dann zu intervenieren und mich in dieser Debatte zu Wort zu melden, wenn Sie aus meiner Sicht die Tatsachen verdrehen. Sie haben den Brief korrekt vorgelesen. Darin steht: Die Bundesregierung war der Überzeugung, dass es rechtswidrig gewesen wäre, die KWKG-Genehmigung zu widerrufen. Es ging um Schadensersatzforderungen wegen eines rechtswidrigen Verhaltens. Das ist etwas völlig anderes, als zu sagen: Ihr habt Angst vor Schadensersatzansprüchen gehabt; deswegen habt ihr das nicht gemacht. Eine Regierung wird doch wohl noch über die Frage reden müssen, Herr van Aken, ob sich eine Entscheidung rechtmäßig vollziehen lässt oder nicht. Wenn man als Regierungsmitglied oder als Bundesregierung weiß, dass man eine rechtswidrige Entscheidung trifft und daraus ein Schadensersatzanspruch erwächst, dann allerdings verstößt man gegen seinen Amtseid. Denn man soll Schaden vom deutschen Volk abwenden. Das ist der Hintergrund. ({0}) Sie unterstellen eine moralische Illegitimität des Verfahrens wegen einer Angst vor Schadensersatzforderungen. Ich wiederhole - Sie mögen eine andere Auffassung haben -: Wir waren an die alte KWKG-Genehmigung gebunden. Übrigens ist auch Ihre Darstellung falsch, eine AWG-Genehmigung könne sozusagen völlig frei entzogen werden. Wir hätten vielmehr die KWKG-Genehmigung zurückziehen müssen, um die AWG-Genehmigung neu verweigern zu können. Dazu sahen wir uns rechtlich nicht in der Lage. ({1}) Deswegen haben wir das so gemacht. Ich finde, das muss man sauber erklären und darf nicht den Eindruck erwecken, wir würden sozusagen aus Angst vor der Rüstungsindustrie den Schwanz einziehen. Darum ging es nicht, ({2}) sondern es ging darum: Im Kern hat die alte Regierung eine Entscheidung getroffen, die aus meiner Sicht falsch war. Aber so ist das nun einmal: Man ist dann rechtlich gebunden. Übrigens bin ich auch in der Lage, noch ein paar andere Entscheidungen früherer Regierungen zum Beispiel zum Thema Kleinwaffen zu erläutern, bei denen wir bis heute versuchen, uns zu weigern, sie zu vollziehen. Daran waren Sie nicht beteiligt, aber der Antragsteller beispielsweise bei einer Viertelmillion G36 nach Saudi-Arabien. Auch da versuchen wir, das zu verhindern, was Vorgängerregierungen - im Jahr 2003 leider auch mit Beteiligung meiner Partei - auf den Weg gebracht haben. Aber rechtlich sauber muss sich jede Regierung verhalten, ob es einem politisch passt oder nicht. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit für alle durchsichtig ist, wie wir weiter verfahren: Ganz planmäßig hat jetzt gleich der Kollege Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Danach werden die anderen Fraktionen die Möglichkeit haben, auf den Minister zu reagieren, und zwar mit jeweils maximal vier Minuten Redezeit. Das Wort hat der Kollege Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich freue mich, dass der Minister das noch einmal klarstellen konnte. Damit sind diesbezüglich alle Punkte aus der Welt. ({0}) Ich will vor allen Dingen für die Zuschauer, die uns hier und vor dem Fernseher zuhören, deutlich machen, dass die Welt eben nicht nur schwarz-weiß ist und dass es entgegen dem Eindruck, den Sie von den Grünen und der Linken zu erwecken versuchen, keinesfalls so einfach ist, als ob man mit Plastikeimerchen oder Speisekartoffeln handelte. Vielmehr ist alles bei uns hochgradig reguliert. Rüstungsexportpolitik ist bei uns rechtlich einwandfrei geregelt. Wie ist das geregelt? Dem Ganzen liegen die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in der aktuellen Fassung vom 19. Januar 2000 zugrunde. Kanzler war zu diesem Zeitpunkt Gerhard Schröder; der Außenminister war Joseph Fischer. Jede Rüstungsexportgenehmigung ist eine Einzelfallentscheidung. Gemäß Außenwirtschaftsgesetz und Außenwirtschaftsverordnung ist die Ausfuhr aller Rüstungsgüter genehmigungspflichtig. Rüstungsexporte werden grundsätzlich nicht genehmigt, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass mit den Rüstungsgütern interne Repressionen oder sonstige Menschenrechtsverletzungen verübt werden; das zeigt auch der Prozess, der gerade geschildert wurde. Die Prüfung und die Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern obliegen dem Bundessicherheitsrat, der geheim tagt. Den Vorsitz hat die Bundeskanzlerin inne. Weiterhin gehören dem Sicherheitsrat der Vizekanzler, die Minister der Verteidigung, des Auswärtigen, des Innern, der Justiz, der Finanzen, für Wirtschaft und Energie, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Chef des Bundeskanzleramts an. Der Regierungssprecher und der Generalinspekteur der Bundeswehr nehmen ebenfalls an den Sitzungen dieses Rates teil. Weitere Mitglieder der Bundesregierung oder andere Personen können hinzugezogen werden. Das alles zeigt - genauso wie dieser erneute Abwägungsprozess -, dass der Sachverhalt von allen Seiten beleuchtet und nicht nur eindimensional betrachtet wird. Vielmehr wird die Angelegenheit als Ganzes in ihrer sicherheitspolitischen, außenpolitischen und technologiepolitischen Dimension beleuchtet. Daraufhin wird eine verantwortliche Entscheidung gefällt. Die Ausfuhrgenehmigung ist kein formeller Akt. Es besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung bei Kriegswaffen. Vielmehr sind zahlreiche Gesetze und Vereinbarungen zu beachten; diese wurden schon genannt. Es handelt sich dabei im Einzelnen um das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, das Außenwirtschaftsgesetz über Exporte von Kriegswaffen und sonstige Wirtschaftsgüter, den Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren und die Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen der OSZE. Gerade der Export an Nicht-EU- und Nicht-NATO-Staaten wird, wenn sie nicht zu den befreundeten Staaten gehören, äußerst restriktiv gehandhabt. Eine Genehmigung wird nur in Ausnahmefällen erteilt. Im Rahmen dieser restriktiven Genehmigungspraxis für Drittländer können legitime Sicherheitsinteressen solcher Länder im Einzelfall für die Genehmigung einer Ausfuhr sprechen. Ich erinnere an die Diskussion, die wir über die Küstensicherung geführt haben. Es ist das legitime Recht eines jeden Staates, seine Küste zu sichern und damit einen Beitrag gegen Piraterie zu leisten, um einmal ein sehr fassbares Beispiel zu nennen. Weitere Beispiele sind die Bekämpfung des internationalen Drogenhandels, die Abwehr von Terrorismus sowie das Interesse der Staatengemeinschaft an der Freihaltung von Seewegen. Zum konkreten Fall: Im März 2013 - das wurde schon angesprochen - hat die Bundesregierung unter Beachtung der erwähnten Grundsätze eine Ausfuhrgenehmigung für 62 Leopard-2-Panzer und 24 Panzerhaubitzen nach Katar erteilt, Auftragswert 2 Milliarden Euro. Die erste Tranche wurde jüngst ausgeliefert. Rüstungsexporte sind dabei kein Mittel der Wirtschaftspolitik, sondern eher ein außenpolitisches Instrument. Vermeintliche Schadensersatzansprüche - das hat der Minister deutlich gemacht - treten hier gegenüber den sicherheitspolitischen Erwägungen zurück. Das zeigt doch der Fall Russland. Die Auslieferung des Gefechtsübungszentrums für Russland ist gestoppt worden, unbeschadet der Möglichkeit von Schadensersatzforderungen, weil die erneute Beurteilung der sicherheitspolitischen Lage dazu Anlass gegeben hat. Die erneute Überprüfung, die seitens des Wirtschaftsministeriums angestoßen wurde, führte dazu, dass im Ergebnis die Genehmigung erteilt wird. Es handelt sich bei Katar natürlich nicht um eine Demokratie rechtsstaatlicher Prägung; das wissen wir nun alle. Aber es handelt sich nicht um einen Schurkenstaat. Die deutsch-katarischen Beziehungen auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene sind traditionell gut. Es gab hochrangige Staatsbesuche in beide Richtungen in den zurückliegenden Jahren. Die Bundeskanzlerin war in Katar, umgekehrt sind wir hier vom Emir im April 2013 besucht worden. Zuletzt besuchte der katarische Außenminister Khalid bin Mohammed Al-Attiyah im August 2013 und im März 2014 Berlin. Bundeswirtschaftsminister Gabriel war im März dieses Jahres zu Besuch in Katar. Erst im September war das katarische Staatsoberhaupt Emir Scheich Tamim in Deutschland und führte Gespräche mit dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin. Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes - das ist Teil dieser Gesamtabwägung, die hier vorgenommen worden ist - heißt es nicht umsonst: Aufgrund seiner engagierten Außenpolitik ist Katar auch in vielen regionalpolitischen Fragen für Deutschland ein wichtiger Partner. ({1}) So ist Katar Teil der internationalen Koalition gegen den IS. Wir beobachten natürlich mit Sorge die Entwicklungen auf der arabischen Halbinsel. Wir müssen sehen, dass al-Qaida dort einen ihrer Hauptschwerpunkte etabliert hat und sich der IS ebenfalls zu etablieren beginnt. Die Spuren der Attentäter auf die Redaktion von Charlie Hebdo führen bezeichnenderweise in den Jemen. Katar ist Teil einer Koalition von arabischen Staaten und Golfmonarchien, die sich militärisch an dem Konflikt im Jemen beteiligen; auch unsere NATO-Partner USA, Frankreich und Großbritannien unterstützen den Golfkooperationsrat. Katar hat - das ist eben dargestellt worden - nicht aktiv an den Kampfhandlungen teilgenommen. Es beschränkt sich auf Grenzsicherung, logistische Dienstleistungen und Ähnliches. Es liefert keine Kampfausrüstung ins Krisengebiet. In Bezug auf den Leopard 2 ist ausdrücklich erklärt worden, dass es weder beabsichtigt noch militärisch sinnvoll oder gar technisch möglich wäre, diese Panzer jetzt im Jemen einzusetzen. Diese Erklärung ist abgegeben worden. Ich weiß nicht, wie sich der eine oder andere einen Panzer vorstellt. Ich selbst bin Kommandant des Flakpanzers Gepard gewesen. Das ist kein Roller, auf den man sich einfach setzen und mit dem man dann losfahren kann. Das ist ein Hochtechnologieprodukt, wozu man etwas mehr braucht. Es ist aus meiner Sicht völlig legitim, dass Katar eine Armee, ein Heer nach unserem westlichen Vorbild aufbauen möchte, um das eigene Territorium zu verteidigen. ({2}) Wir haben Katar sogar empfohlen, eine geordnete Streitmacht und keine Milizverbände aufzubauen. Es gab mehrfach Konsultationen zwischen dem Verteidigungsministerium und den Kataris in den vergangenen Jahren dazu. Wir können feststellen, dass unsere Rüstungsprodukte für den Aufbau eines solchen Heeres gesucht sind. Wir waren nicht die Einzigen, die sich beworben haben. Wir wissen natürlich auch, dass wir mit Katar weiter reichende Beziehungen haben: Die Kataris sind Investoren in wichtigen Industrieunternehmen. Sie sind dort gern gesehen. Es ist schon ein bisschen bigott, auf der einen Seite die Investitionen für richtig zu halten, auf der anderen Seite aber andere Entscheidungen nahezulegen. Im Jahr 2022 wird in Katar die Fußballweltmeisterschaft ausgerichtet. Ich glaube, dass wir, wenn wir in der Welt mit einer sinnvollen Außenpolitik unterwegs sein wollen, nicht mit all unseren Vorstellungen, wie Rechtsstaat und Demokratie aussehen sollten, in allen Ländern dieser Welt erfolgreich sein können. ({3}) Katar bekommt die Panzer auf den Hof gestellt. Wir wahren unseren Einfluss, weil die logistische Kette natürlich weiterhin zu uns reicht. Munition für die Panzer gibt es in Katar nicht. Wir haben insofern durch die Zusammenarbeit in dieser Frage der Ausrüstung die Möglichkeit, weiter in dieser Region einen stabilisierenden Einfluss auszuüben. Wir sind auch nicht alleine: Großbritannien, Frankreich, Italien, Holland, Österreich, Schweden, Finnland und Griechenland sind beteiligt. Die Ausbildung der Panzerfahrer wird in Griechenland stattfinden. Sie alle wissen, dass wir als Deutsche unsere Rüstungsexportpolitik immer mit großer Selbstbeschränkung ausgeübt haben. Im Vergleich zu anderen Staaten wie den USA, Russland, Frankreich oder Großbritannien gibt es bei uns keine institutionalisierte staatliche Rüstungsexportagentur. Wir betreiben kein aktives Marketing. ({4}) Wir wissen, dass sich unsere Produkte gegen die Konkurrenzprodukte durchgesetzt haben. Das ist auch ein Punkt, weshalb man auf unsere Spitzentechnologie stolz sein kann. Die Franzosen liefern - der Vertrag ist in Anwesenheit des französischen Präsidenten unterschrieben worden 24 Rafale-Kampfflugzeuge. Unsere britischen Verbündeten haben eine enge militärische Zusammenarbeit. Die USA, unser wichtigster NATO-Verbündeter, unterhalten in Katar einen ihrer weltweit größten Luftwaffenstützpunkte. Insofern müssen wir Entscheidungen in ihrer Mehrdimensionalität sehen. Dazu ist das Instrumentarium, das wir eingerichtet haben - mit dem Bundessicherheitsrat, mit der Einbindung der verschiedenen Ressorts -, der richtige Weg. Insofern halte ich für unsere Fraktion noch einmal fest, dass dieses Projekt vertretbar ist, dass es richtig ist, auch vor dem Hintergrund unserer Überlegungen, wo wir zukünftig unsere Schwerpunkte in den Technologiefeldern, was Verteidigung anbelangt, setzen wollen. Dazu gehören ausdrücklich gepanzerte Plattformen. Mit den paar Panzern, die wir in Deutschland abnehmen, kann man natürlich keine Innovation erzielen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sind geradezu auf den Export angewiesen, wenn wir unseren eigenen Soldaten, die wir in den Einsatz schicken, das richtige Material und modernes Gerät geben wollen. Ich sehe, dass die Präsidentin nachhaltig klingelt, um mich zum Ende zu ermahnen. Dem will ich nachkommen. Vielen Dank für die Geduld. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Außenminister Gabriel! ({0}) - Da sehen Sie einmal, wie es mit der Zuständigkeit ist. Wir Grüne fordern, die Zuständigkeit für die Rüstungsexporte an das Auswärtige Amt zu übertragen. Das war wohl ein Freud‘scher Lapsus. ({1}) Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass wir hier die Gelegenheit haben, noch einmal ein paar Dinge klarzustellen. Jeder Kriegswaffenexport muss drei Hürden nehmen; das sind: der Vorbescheid - das läuft im Bundessicherheitsrat -, die Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und die Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz. In diesem Fall war es so, dass im Juli 2012 der Bundessicherheitsrat sich damit befasst hat und einen Vorbescheid erteilt hat. Das alles läuft geheim; darüber erfahren wir nichts. Dann waren die Kataris im März/April 2013 bereit, den Kaufvertrag zu unterschreiben. Das Unternehmen meldet sich beim Wirtschaftsministerium und sagt: Jetzt gilt es. Es muss ganz schnell gehen. - Innerhalb von zwei Wochen wird die Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz erteilt. Das war im Mai 2013, und der Kaufvertrag wird unterschrieben. Das ist der entscheidende Punkt für das Unternehmen. Deswegen ist Krauss-Maffei Wegmann mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gegangen und hat es bekannt gegeben. Die Einzigen, denen das in keinem Exportbericht bekannt gegeben worden ist, ist das Parlament, bis heute nicht. Das ist ein Skandal. ({2}) Zu Katar muss man sagen: Es ist eine Insel mit 1,2 Millionen Einwohnern, von denen gerade einmal 200 000 Kataris sind. Der Rest sind Dienstboten und Bauarbeiter. Diese 200 000 Kataris teilen sich jetzt 62 moderne Leopard-Kampfpanzer. Wenn sie die hintereinander parken, ist die Insel quasi dicht. ({3}) Was passiert dann? Es passiert eine ganze Weile nichts. Es kommt eine neue Bundesregierung, es finden Bundestagswahlen statt, und jetzt kommt das, was kommen muss, nämlich jetzt soll ausgeliefert werden. Es kommt der Antrag, die Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz zu erteilen. Herr Minister Gabriel, wenn ein Antrag vorliegt, dann entscheidet man. Was soll denn ein Antrag, bei dem die Bundesregierung - angeblich - überhaupt keinen Entscheidungsspielraum mehr hat? Einen solchen Antrag könnte man sich doch komplett schenken. Natürlich ist es so, dass, wenn Sie den Antrag ablehnen, die KWKG-Genehmigung fortbesteht, und das ist natürlich das Problem; denn dann stehen Schadensersatzansprüche im Raum. Das steht sogar so im KWKG-Gesetz. Deswegen geht es hier um 1,8 Milliarden Euro; das finde ich schon schlimm genug. Aber Sie haben es heute noch schlimmer gemacht; denn Sie haben uns gesagt, es gehe Ihnen nicht um diese 1,8 Milliarden Euro, sondern Sie fänden schlichtweg, die außenpolitische Lage habe sich nicht geändert. Das finde ich noch viel abstruser. ({4}) Wenn es denn so ist, dass die KWKG-Genehmigung verbindlich ist, weswegen Sie überhaupt keinen Ermessensspielraum mehr haben, dann kann man daraus nur zwei Forderungen ableiten: Erstens. Wir brauchen in Zukunft in den Rüstungsexportberichten an die Parlamente, vor allen Dingen an uns, Angaben über die Genehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz; denn diese Angaben sind die entscheidenden. ({5}) Wir wollen, dass sich in Zukunft die Bundesregierung, die eine solche Genehmigung erteilt hat, vor dem Bundestag rechtfertigt. Wir wollen nicht, dass die Stellungnahme durch die nachfolgende Bundesregierung erfolgt, die dann sagt: Wir können nichts dafür; das war die vorherige Regierung. - Dieses System kann so nicht fortbestehen. ({6}) Darüber hinaus ist das auch aus außen- und sicherheitspolitischen Gesichtspunkten unverantwortlich. Das heißt, wir müssen das Gesetz so ändern, dass die KWKG-Genehmigungen in Zukunft vorbehaltlich erteilt werden, nämlich vorbehaltlich einer Änderung der außen- und sicherheitspolitischen Lage, damit eine Bundesregierung, wenn ein Antrag nach dem AWG gestellt wird, noch einen Spielraum hat. Das steht jetzt an. Sie haben gesehen, was für ein Problem Sie haben. Ändern Sie das Gesetz, damit das zukünftig anders wird. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Hubertus Heil von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immerhin, Frau Keul, gibt es einen Unterschied zwischen Ihnen und der Linkspartei. In Ihrer letzten Bemerkung haben Sie im Gegensatz zu Herrn van Aken eingeräumt, dass es eine Rechtsbindung gegeben hat. Sie wollen daher das Gesetz ändern; das ist eine legitime Position. Aber, Herr van Aken, dann hören Sie der Kollegin von den Grünen einmal zu: Es gibt eine Rechtsbindung. Nur weil Sie nicht glauben, dass sich Regierungen an Recht und Gesetz halten müssen, dürfen wir dem nicht folgen. Wir halten uns an Recht und Gesetz. ({0}) Was ist denn das für ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit? ({1}) Wir Sozialdemokraten befinden uns tatsächlich in der Situation, dass wir diese Entscheidung - Sigmar Gabriel hat das deutlich gemacht - kritisch sehen. Die Vorgängerregierung hat die Exportgenehmigung erteilt. Ich glaube, dass Sigmar Gabriel deutlich gemacht hat, dass er dieses Problem bei der Befassung des Bundessicherheitsrats aufgerufen hat, zumal, wie gesagt, die Frage zu klären war, ob man zu einer anderen Beurteilung kommt. Dazu ist man nicht gekommen. Ich will das gar nicht kommentieren; denn diese Sitzungen sind geheim. Ich kenne die Argumente im Einzelnen nicht. Aber ich will eines deutlich sagen: Für uns ist ganz klar, dass wir die Wende zu einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik in dieser Legislaturperiode eingeleitet haben. Das ist unbestreitbar, Herr van Aken. ({2}) Wir haben für mehr Transparenz gesorgt. Die Berichte werden schneller vorgelegt. Die Öffentlichkeit kann darüber diskutieren. Es ist auch so - schauen Sie sich den Rüstungsexportbericht an -, ({3}) dass die Zahl der Rüstungsexportgenehmigungen massiv zurückgegangen ist, ({4}) vor allen Dingen im Bereich der Kleinwaffen; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es gab eine Halbierung im letzten Jahr. ({5}) Zudem geht ein großer Teil der Kleinwaffenexporte in Länder, die nun wirklich nicht problematisch sind: in NATO-Länder, in der NATO gleichgestellte Länder, in die Schweiz. Es ist unverantwortlich, wenn Sie versuchen, das zu bestreiten. Sigmar Gabriel hat dafür gesorgt, dass wir eine restriktivere Rüstungsexportpolitik betreiben. Für uns stehen bei den Rüstungsexportgenehmigungen Sicherheitsaspekte im Vordergrund und nicht ökonomische Aspekte. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Heil, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Brugger zu?

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege. - Weil Sie in Ihrer Rede auf die Kleinwaffenexporte und die großen Veränderungen abgestellt haben, möchte ich fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass wir in der letzten Woche eine Unterrichtung über die letzten Entscheidungen des Bundessicherheitsrates bekommen haben, die vor allem darin bestand, dass in Drittstaaten, in Staaten außerhalb von NATO und EU, vor allem in den arabischen Raum, Kleinwaffen geliefert worden sind. Deshalb frage ich Sie: Wissen Sie, ob das aufgrund der strengeren neuen Grundsätze für den Export von Kleinwaffen geschehen ist, wonach Endverbleibskontrollen vorgesehen sind und „Neu für Alt“-Regelungen eingeführt werden sollen? Meines Wissens ist dies rechtlich ja noch gar nicht umgesetzt. Das heißt, Sie haben hier entgegen der gewollten Verschärfung eine große Lieferung an Kleinwaffen in Drittstaaten genehmigt. Das ist doch sicherheitspolitisch unverantwortlich und nichts anderes als das, was wir in den letzten Jahren gesehen haben. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihnen dazu sagen: Meiner Kenntnis nach handelt es sich um ungefähr 500 Waffen für den Oman. Das halten wir sicherheitspolitisch für nicht bedenklich. Ich habe auf die Dimension hingewiesen. Frau Brugger, wir müssen uns leider beide - Rot und Grün, aber vor allen Dingen auch Schwarz und Gelb - eingestehen: In keiner Legislaturperiode in den letzten 15 Jahren sind die Exportgenehmigungen im Bereich der Kleinwaffen so restriktiv gehandhabt worden wie in der Amtszeit von Sigmar Gabriel. ({0}) Ich will Ihnen das anhand von Zahlen erklären, auch weil das ein Stück Vergangenheitsbewältigung ist: Mit rot-grüner - vor allen Dingen auch mit grüner Zustimmung - sind im Jahre 2003 Sturmgewehre nach Saudi-Arabien geliefert worden. Das hat diese Regierung nicht getan. Bei der Frage, wer hier eine höhere Moral für sich beansprucht, gilt immer: Wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, dann zeigen immer mindestens drei Finger zurück. ({1}) Jetzt reden wir aber über diese Legislaturperiode; das sage ich auch in Richtung Bündnis 90/Die Grünen. Sie wollten die Zahlen hören. Ich will sie Ihnen gerne vortragen. Wir haben im ersten Halbjahr 2015 bei den KleinHubertus Heil ({2}) waffen einen Rückgang um 12,5 Millionen. Das ist der geringste Halbjahreswert für Kleinwaffen seit 15 Jahren. Und um die Relation deutlich zu machen: 50 Prozent der Kleinwaffenexporte gingen in Länder wie die Schweiz, Frankreich und Großbritannien. Das ist moralisch nicht zu kritisieren; denn das sind unsere Bündnispartner. Noch einmal: Es wird immer Grenzentscheidungen geben. Da geht es nicht um Schwarz oder Weiß, sondern um Abwägungsentscheidungen. Ich will nur für uns und für Sigmar Gabriel in Anspruch nehmen, dass wir nicht aufgrund ökonomischer Interessen in Krisenländer exportieren. Das ist nicht unsere Haltung. Wenn wir Genehmigungen für Exporte in Drittländer erteilen, dann geschieht das aus einem einfachen Grund, nämlich aus sicherheitspolitischen Erwägungen. ({3}) Wir sorgen für eine restriktivere Politik, weil uns nicht egal ist, was mit deutschen Waffen auf der Welt passiert, meine Damen und Herren. Ich finde, es wäre fair gewesen, zumindest das anzuerkennen. ({4}) Dass wir uns aus rechtsförmigen Gründen an Vorgängerregierungsentscheidungen halten müssen, ärgert uns; das ist gar keine Frage. Wir werden aber nicht Rechts- und Gesetzesbrecher, nur weil Herr van Aken sich das so vorstellt. ({5}) Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Jan van Aken von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Heil, Sie kennen die Zahlen nicht. ({0}) Tatsächlich hat Sigmar Gabriel in der ersten Hälfte dieses Jahres Rüstungsexporte im Wert von 6,5 Milliarden Euro genehmigt - 6,5 Milliarden Euro in einem halben Jahr, genauso viel wie im gesamten Jahr 2014! Und Sie sagen, das sei restriktiv. Ich lache mich tot. ({1}) Dann kommt immer Ihre Entschuldigung: Na ja, bei den 6,5 Milliarden Euro war ein U-Boot für Israel mit dabei. - Das U-Boot für Israel hat 300 Millionen Euro gekostet. Ich ziehe das ab, wie Sie wollen. Dann bleiben immer noch 6,2 Milliarden Euro übrig. Wenn sich das fortsetzt, schaffen Sie es in diesem Jahr auf über 10 Milliarden Euro. Das hat vor Ihnen noch nie eine Regierung geschafft. Das ist nicht restriktive Rüstungsexportpolitik, das ist der Rüstungsexporteur Nummer eins. ({2}) Das zu dem, was Sie gesagt haben. Herr Heil, ich glaube, Sie haben mir vorhin nicht zugehört. Ich habe gesagt: Ja, es kann gut sein, dass am Ende jemand zahlen muss. - Aber es geht doch um die Abwägung: Wollen wir hier Geld verlieren, oder sollen die Menschen im Jemen ihr Leben verlieren? ({3}) Ich finde, bei dieser Abwägung sollte es um die Menschenleben im Jemen gehen und nicht um eine Schadensersatzklage. Da haben sie eine falsche moralische Entscheidung getroffen. ({4}) Noch einmal zu Ihnen, Herr Gabriel: Herr Gabriel, ich glaube Ihnen, dass Sie die Zahl der Rüstungsexporte verringern möchten. ({5}) Aber dann trauen Sie sich doch endlich einmal. Sie stellen sich hier hin und sagen, Ihre Aufgabe sei es, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Ja, das ist so. Ich garantiere Ihnen aber: In dem Moment, in dem Sie die Rüstungsexporte wirklich herunterfahren, wird Ihnen das deutsche Volk zujubeln; denn die große Mehrheit möchte keine Waffenexporte. Das wissen Sie genauso gut wie ich. ({6}) Also trauen Sie sich einmal: Lassen Sie es einmal auf eine Schadenersatzklage ankommen. Warum kneifen Sie denn den Schwanz ein? Nur weil jemand mit dem Gesetz wedelt? Versuchen Sie es doch einmal! Sie haben in Bezug auf den Jemen wunderbare Argumente. Dort hat sich die politische Situation total verändert. Es gibt dort Krieg, und Katar ist daran beteiligt; das wissen wir. Wir können das belegen. Ich finde, einmal können Sie es versuchen. Die Briten haben das gemacht. Die Briten haben vor einigen Jahren, nachdem die Saudis ihre Außenpolitik geändert haben, tatsächlich einmal schon genehmigte Waffenexporte noch im Hafen gestoppt. Trauen Sie sich einmal! Beim Gefechtsübungszentrum haben Sie sich getraut, als alles schon geliefert war. Lassen Sie es doch einmal auf einen Prozess ankommen! Wenn dann in einem solchen Fall, in dem nur eine von zwei Genehmigungen erteilt ist, am Ende wirklich das Urteil kommt, Hubertus Heil ({7}) dass Schadensersatz zu zahlen ist, dann machen wir es eben so, wie Frau Keul gesagt hat: Dann ändern wir das Kriegswaffenkontrollgesetz. Sie bekommen es gerichtlich und verfassungsrechtlich wasserdicht hin, dass solche Waffenexportgenehmigungen immer nur vorbehaltlich einer Änderung der politischen Situation erteilt werden. Das können Sie machen. Sie müssen es nur wollen. ({8}) Da ich Ihnen glaube, dass Sie die Zahl der Rüstungsexporte reduzieren wollen, sage ich Ihnen: Wir werden hoffentlich in einem halben Jahr einmal zusammensitzen und gemeinsam, vielleicht auch mit einigen Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, daran arbeiten, wie Sie es wasserdicht und gerichtsfest hinbekommen, dass Sie eine Genehmigung auch einmal widerrufen können und eben keine Waffen direkt in den Krieg liefern. Das ist das Entscheidende. Ansonsten bleibe ich dabei: Das System, so wie es im Moment ist, funktioniert nicht. Das Zweite, was ich gern mit Ihnen im Kriegswaffenkontrollgesetz ändern würde - da muss ich aber auch die Grünen noch überzeugen -, ist, dass Sie wenigstens ein generelles Exportverbot für Kleinwaffen erlassen. ({9}) Bleiben wir doch einmal auf dem Teppich! Wertmäßig sind Kleinwaffen total irrelevant; das sind zwischen 50 und 100 Millionen Euro. Das ist ganz wenig Geld, bedeutet aber ganz viel Tod. Da würde die Wirtschaftsmacht Deutschland kaum Geld verlieren, aber ganz viel Leben retten. ({10}) Ringen Sie sich endlich dazu durch, Herr Gabriel! Ich finde die Argumente, die Sie seit Jahren dazu vortragen, immer noch schwach. Machen wir es gemeinsam! Ich danke Ihnen. ({11}).

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Herr Kollege van Aken, einmal abgesehen davon, dass die Bemerkung, man solle sich nicht davon irritieren lassen, wenn einer mit dem Gesetz wedelt, schon für einen Abgeordneten ein schwieriges Argument ist, für ein Regierungsmitglied erst recht, ({0}) finde ich, dass Sie bei den Kleinwaffen völlig recht haben. Deswegen sind wir so stolz darauf, erstens dass diese Bundesregierung beschlossen hat, Lizenzproduktionen für Kleinwaffen in Drittländern zu verbieten - das gab es noch nie -, zweitens dass wir eine so drastische Reduktion der Zahl der Kleinwaffenexporte erreicht haben, wie es Herr Heil vorgetragen hat. Aber ich will trotzdem sagen, dass Sie aufpassen müssen, dass Sie, wenn Sie anderen Leuten vorwerfen, sie kennten die Zahlen nicht, sich selber nicht als Zahlenverdreher betätigen. Sie haben völlig recht: Wir haben im ersten Halbjahr ein hohes Maß an Umsätzen beim Rüstungsexport. Das zeigt übrigens, dass wir recht haben, wenn wir sagen: Die Zahlen selber sagen wenig aus. - Es ist natürlich nicht das U-Boot für Israel, das auch dabei ist - dazu stehe ich ausdrücklich -, sondern es sind vor allen Dingen fünf Tankflugzeuge für Großbritannien, die diese Zahl ausmachen. Dass Sie das bei der Summe verschweigen ({1}) und nur sagen: „Guckt mal, das ist eine ganz hohe Summe“, obwohl fünf Tankflugzeuge mit einem großen Volumen dabei sind - für die Sicherheitslage in der Welt vermutlich völlig unproblematisch, wohingegen ein kleines Volumen für Kleinwaffen viel größere Probleme auslöst -, zeigt, dass Sie in Wahrheit versuchen, die Tatsachen zu verdrehen. Das ist das Problem, das ich mit Ihrer Bemerkung habe. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr van Aken, Sie haben das Wort für eine Erwiderung.

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Herr Gabriel, zu dem Verdrehen. Nehmen wir einmal, was Sie gerade gesagt haben, nämlich Sie hätten jetzt das Verbot der Lizenzproduktion von Kleinwaffen beschlossen. Nein, das haben Sie nicht beschlossen. Sie haben beschlossen, dass grundsätzlich keine Lizenzen mehr für Kleinwaffenproduktionen vergeben werden. Das „grundsätzlich“ hat es auch vorher schon gegeben; das steht in ganz vielen Rüstungsexportberichten. Nur für die unter uns, die keine Juristinnen und Juristen sind: „Grundsätzlich“ heißt, dass es davon Ausnahmen geben kann. Zum Beispiel sagen Sie auch: Grundsätzlich werden keine Waffen an private Sicherheitsdienste geliefert. - Wir haben nachgefragt und eine lange Liste bekommen. Natürlich gibt es das! Das heißt, „grundsätzlich“ heißt überhaupt keine Veränderung. Sie haben sich nicht getraut, das generell zu verbieten, sonJan van Aken dern eben nur grundsätzlich. Das heißt, es gibt überhaupt keine Veränderung. ({0}) Das sind Wortspielereien und Verdrehereien. Deswegen haben die Menschen auf der Tribüne überhaupt keine Lust mehr auf diese Politik. Sie haben keine Lust mehr darauf, weil sie immer nur angeschmiert werden. ({1}) - Seien Sie einmal ehrlich bei diesem „grundsätzlich“! Das Zweite: die Tankflugzeuge. Das letzte Mal war das Argument das U-Boot für Israel. Deshalb habe ich es ja ehrlicherweise erwähnt. Ich kann auch die Tankflugzeuge erwähnen. Ziehen Sie die Tankflugzeuge ab! Sie sind dann immer noch bei 5 Milliarden Euro in einem halben Jahr. ({2}) Damit knacken Sie die 10 Milliarden Euro im ganzen Jahr auch. ({3}) Ich muss Ihnen sagen: Auch unter der FDP - Gott hab sie selig - waren es in einem Jahr die vielen Flugzeuge, im nächsten Jahr die vielen Schiffe. Jedes Mal war das Argument: In diesem Jahr ist die Zahl eigentlich ganz gering; aber es gab das eine große Projekt. - Das haben Sie im letzten Jahr übrigens auch gesagt, in diesem Jahr wieder, und im nächsten Jahr sind es wahrscheinlich drei Fregatten für Algerien, die die Zahlen nach oben treiben. Unterm Strich - vergleiche ich die Gesamtjahreszahlen - muss ich sagen: Da haben Sie einfach versagt, Herr Gabriel. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/6647 mit dem Titel „Panzerlieferung nach Katar sofort stoppen“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über ihren Antrag in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung. ({0}) Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht wird. Frau Haßelmann hat als Erste das Wort. ({1})

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Zeit haben alle noch. Außerdem ist es ja ganz interessant, wenn das Parlament mal wieder debattiert. ({0}) Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich komme wieder auf den Kern der Debatte zurück. Der Ausgangspunkt für die heutige Debatte in der Sache ist der Antrag zum Thema „Panzerlieferung nach Katar sofort stoppen“, über den wir jetzt abstimmen. Dieser Antrag beinhaltet nur einen einzigen Satz: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die Lieferung von Panzern und anderen Kriegswaffen nach Katar unverzüglich zu stoppen und die bereits erteilte Genehmigung an die Firma Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG zurückzunehmen. Wir haben zu diesem Antrag eine Sofortabstimmung beantragt. Wir gehen davon aus, dass das Parlament in der Lage ist, heute über diesen einen Satz zu entscheiden. Deshalb beantragen wir Sofortabstimmung. ({1}) Um Ihnen zu erläutern, warum wir jetzt überhaupt das Wort suchen - wir haben ja öfter mal Streit darüber, ob es eine Sofortabstimmung oder eine Überweisung geben soll -, möchte ich Sie auf zwei Punkte hinweisen. Erster Punkt. Der Wirtschaftsminister und auch sein Staatssekretär haben in ihren Redebeiträgen deutlich gemacht, dass diese Entscheidung längst getroffen ist und dass diese Entscheidung nicht revidiert wird. Die Tatsache, dass nichts revidiert wird und darüber schon abschließend entschieden ist, haben auch alle Rednerinnen und Redner der Großen Koalition in ihren Redebeiträgen mehr als deutlich gesagt. Deshalb gibt es aus grüner Sicht keine Begründung dafür, heute keine Sofortabstimmung durchzuführen und stattdessen der Öffentlichkeit und dem Parlament vorzumachen, man habe noch Beratungsbedarf zu diesem einen Satz und müsse deshalb den Antrag an die Ausschüsse überweisen. ({2}) Ein wirklich schwacher Auftritt; denn Sie haben so was von deutlich gemacht, und zwar für alle im Protokoll nachlesbar, dass Sie als Parlamentarier in der Sache den Vorschlägen und Festlegungen, auch den erneuten Festlegungen dieser Bundesregierung folgen. Deshalb ist es doch eigentlich nur ein Täuschungs- und Ablenkungsmanöver, jetzt eine Überweisung an die Ausschüsse bzw. eine Versenkung dieses Antrags in den Ausschüssen vorzunehmen. Aus diesem Grund haben wir heute eine GO-Debatte gefordert. ({3}) Zweiter Punkt. Meine Damen und Herren, zuerst waren Sie als Koalition mit der Sofortabstimmung einverstanden. Am Dienstag haben Sie mir erklärt, Sie wollten prüfen, ob Sie für eine Überweisung sind oder Ihr Einverständnis zur Sofortabstimmung erklären. Dann haben Sie sich bereiterklärt - was wir sehr gut fanden und begrüßt haben -, der Sofortabstimmung im Bundestag zuzustimmen. Als Sie dann gehört haben, dass wir eine namentliche Abstimmung beantragen wollen, ({4}) haben Sie gesagt: Nein, jetzt ziehen wir unsere Zustimmung zurück. Das wird ja unbequem für die Abgeordneten von SPD und Union. ({5}) Dann wollen wir doch lieber die Überweisung. - Das ist doch durchschaubar, meine Damen und Herren. ({6}) Dann kam auch noch das billige Argument, der Wirtschaftsausschuss sei federführend und leider seien die Abgeordneten des Ausschusses heute in Brüssel; dadurch sei ihnen verwehrt, an der namentlichen Abstimmung teilzunehmen. Meine Damen und Herren, ist das Ihr Ernst? Ich hoffe, Sie wiederholen das nicht hier am Pult. Ihre Leute aus dem Wirtschaftsausschuss, die heute nicht da sind, fehlen bei zwei Wahlen und zwei namentlichen Abstimmungen, die heute hier im Bundestag stattfinden. Was sagen Sie denn dazu? ({7}) Ich finde, es gibt keinen Grund, heute keine Sofortabstimmung durchzuführen. Das ist ein reines Ablenkungsmanöver, weil es Ihnen unbequem ist, sich als Parlamentarier zu der Sache zu verhalten. Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Deshalb haben wir diese GO-Debatte beantragt. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Zur Erwiderung erhält Petra Ernstberger das Wort. ({0})

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das, was hier gemacht wird, erinnert mich schon sehr viel an Theaterdonner. ({0}) Wir wollen doch einmal auf die sachliche Ebene zurückkehren, auf die Ebene der Geschäftsordnung. Es ist richtig: Die Grünen haben das Recht, eine Beschlussfassung zu ihrem Antrag einzufordern. Darüber gibt es gar keine Diskussion. (Claudia Roth ({1}) ({2}) Es ist aber auch das Recht der Koalition, die Überweisung an einen federführenden Ausschuss zu fordern. ({3}) Ich glaube, es ist berechtigt, zu fordern, dass ein Antrag in Ruhe besprochen werden kann. ({4}) Das muss im Wirtschaftsausschuss geschehen. Übrigens war auch einer von den Grünen in Brüssel. Inzwischen sind alle wieder da. ({5}) Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir an dem Wunsch festhalten, den Antrag in den Wirtschaftsausschuss zu überweisen, ({6}) und zwar aus einem einfachen Grund: Das Thema soll noch einmal in Ruhe in dem Ausschuss diskutiert werden, in den es gehört, ({7}) und zwar im Wirtschaftsausschuss. Wenn Sie vorher mit dem Gedanken gespielt haben, eine namentliche Abstimmung zu beantragen, dann frage ich mich schon, warum Sie sich jetzt weigern, das noch einmal sauber zu diskutieren und den Antrag dann zur Abstimmung zu stellen. Insofern werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen und für die Überweisung in den federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Energie einstehen. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung der Vorlage auf DrucksaBritta Haßelmann che 18/6647 an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie, an den Auswärtigen Ausschuss, an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, an den Verteidigungsausschuss, an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? Enthält sich jemand? - Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 18/6647 nicht in der Sache ab. Wir müssen nun den federführenden Ausschuss bestimmen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag, also für die Federführung beim Auswärtigen Ausschuss? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist dieser Überweisungsvorschlag abgelehnt worden mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser Überweisungsvorschlag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan ({1}) auf Grundlage der Resolution 1996 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2241 ({3}) vom 9. Oktober 2015 Drucksachen 18/6504, 18/6638 - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6683 Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen worden. Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben, werde ich der ersten Rednerin das Wort erteilen. - Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht Dagmar Freitag von der SPD-Fraktion. ({5})

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Gründung im Jahr 2011 ist die Republik Südsudan der jüngste Staat der Welt. Gleichzeitig ist es ein weiterer Staat auf dem afrikanischen Kontinent mit unendlichen Problemen, mit einer wirklich dramatischen politischen und humanitären Lage. Korruption, kaum oder fast nicht vorhandene staatliche Strukturen, ein verheerender Bürgerkrieg - all das hat zu der aktuellen, beklagenswerten Situation geführt. Ich füge hinzu: Das Ausmaß der Kriegsverbrechen ist wirklich unvorstellbar. Immerhin, ein erster Lichtblick: Am 17. August 2015 unterzeichneten die Konfliktparteien aufgrund massiven internationalen Drucks ein 77-seitiges Friedensabkommen. Ich denke, Herr Minister Steinmeier, an dieser Stelle ist Ihnen für Ihren Einsatz für dieses Friedensabkommen ausdrücklich zu danken. ({0}) Aber man muss leider auch feststellen, dass es erkennbar an der Bereitschaft zur Unterstützung der Vertragsinhalte mangelt. Vereinbarte Waffenstillstände werden gebrochen, zuletzt vor zweieinhalb Wochen. Zudem bedeutet die jetzt vorgenommene Zersplitterung der ursprünglich nur 10 Bundesstaaten in jetzt 28 einen erneuten Rückschritt. Im Übrigen verstößt auch das gegen den Geist des Friedensvertrages. Es ist klar: Jahrelange kriegerische Auseinandersetzungen haben die Bevölkerung zutiefst traumatisiert und sie natürlich auch - wen wundert es? - zu einem gewissen Grade ihrer Friedensfähigkeit beraubt. Ein stabiler Friedensaufbau ist daher ohne die weitere Unterstützung der internationalen Gemeinschaft weder möglich noch vorstellbar. Ich räume ein: UNMISS konnte den Bürgerkrieg nicht verhindern. Aber UNMISS bietet humanitären und militärischen Schutz für die vertriebene Zivilbevölkerung. Die Friedensmission UNMISS läuft - das wissen wir - seit 2011. Die Neuausrichtung des Mandates im Jahr 2014 machte den Schutz der südsudanesischen Zivilbevölkerung zum Kernelement der Mission. Erst vor wenigen Wochen, im Oktober 2015, wurde die Mission erweitert, und zwar, um die Implementierung des Friedensabkommens zu unterstützen. Rund 4,5 Millionen der rund 12 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes sind in diesem Jahr auf Nahrungsmittelhilfen der Vereinten Nationen angewiesen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich betonen, wie wichtig die Sicherstellung der Finanzierung der humanitären Nothilfe ist. Doch es bedarf natürlich nicht nur einer vernünftigen finanziellen Basis. Nein, auch ohne eine ausreichende Sicherheit im Land sind zum Beispiel viele Hilfsmaßnahmen des World Food Programme überhaupt nicht möglich. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn Wir wissen: Die Kindersterblichkeit im Südsudan ist extrem hoch. Hauptursache dafür ist Mangelernährung. Wir wissen auch um einen katastrophalen Bildungsstand im Land. Rund zwei Drittel der Erwachsenen im Land können nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben. Das heißt: Neben Sicherheit und Verteidigung müssen wir uns dafür einsetzen und Unterstützung leisten, dass der Staat auch in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Bildung massiv investieren wird. Denn eines ist klar: Die vielen jungen Menschen im Land brauchen eine Perspektive, und ich füge ausdrücklich hinzu: im eigenen Land. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Es muss im Interesse der Weltgemeinschaft sein, dass dieses Land nicht noch stärker ins Chaos abgleitet, ({1}) im Übrigen auch wegen der fragilen Stabilität in der gesamten ostafrikanischen Region. Das heißt auch: Das Engagement der Regionalorganisationen muss beachtet werden. IGAD zum Beispiel hat im Rahmen der Friedensverhandlungen durchaus dazu beigetragen, dass erste Schritte unternommen worden sind. Man muss allerdings hinzufügen: Zählbare Erfolge sind im Moment leider noch nicht zu verzeichnen. Das bedeutet natürlich, dass die Bemühungen nicht nachlassen dürfen, und auch im Land selber muss für Frieden und Stabilität gesorgt und geworben werden. Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht zurückziehen. Vertrauen muss wieder aufgebaut werden, und die Umsetzung des Friedensabkommens muss überwacht und begleitet werden. ({2}) Eines ist klar - ich denke, da sind wir uns alle einig -: Der Schutz der Zivilbevölkerung muss oberste Priorität haben. Das ist die richtige Stelle, um sich bei unseren Soldatinnen und Soldaten und Polizistinnen und Polizisten im Südsudan zu bedanken. Das ist ein Einsatz, der wichtig und unverzichtbar ist. ({3}) Denn gerade das deutsche Personal besetzt wichtige Schlüsselpositionen. Wir müssen nicht nur gemeinsam dafür werben, sondern auch unseren Beitrag dazu leisten, dass der Konflikt im Südsudan nachhaltig beigelegt werden kann. Dazu das ist jedenfalls unsere Überzeugung - brauchen wir die Fortsetzung der internationalen Unterstützung im Rahmen der UNMISS-Friedensmission. Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesem Grunde bitte ich um Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Jan van Aken von der Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Jan Aken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004001, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie alle hier haben in der letzten Woche - ich finde, vollkommen zu Recht - auf die Flüchtlingskatastrophe im Südsudan hingewiesen. Zwei Millionen Menschen sind dort auf der Flucht. Ich finde auch: Diese Menschen müssen unbedingt Unterstützung bekommen. Aber ein Punkt ist mir aufgefallen: Niemand hat erwähnt, dass es auch diese Bundesregierung ist, die im Moment alles daransetzt, den Menschen im Südsudan die Flucht zu verwehren. Schon vor einem Jahr hat die Europäische Union mit einer ganzen Reihe afrikanischer Staaten vereinbart, die sogenannte irreguläre Migration zu bekämpfen. Im Klartext geht es doch darum, Flüchtlinge gar nicht erst bis an die Mittelmeerküste herankommen zu lassen, damit sie von dort nicht weiter nach Europa fliehen können. Diese Initiative gegen Flüchtlinge wird Khartoum-Prozess genannt. Ein leitendes Mitglied dieses Khartoum-Prozesses ist der Südsudan. Das müssen wir uns jetzt einmal im Detail vorstellen: Der südsudanesische Präsident Salva Kiir führt gerade einen grausamen Krieg gegen die eigene Zivilbevölkerung und wird jetzt von Ihnen und von der EU gemeinsam darin unterstützt, seine Grenzen noch besser dichtzumachen, damit seine Bevölkerung nicht vor seinen eigenen grausamen Mörderbanden fliehen kann. Ich finde das widerlich. ({0}) Wer hier im Saal wirklich Sorge um die Zivilbevölkerung im Südsudan hat, der muss sich auch darum bemühen, den Khartoum-Prozess zu stoppen und endlich dafür zu sorgen, Fluchtmöglichkeiten für die Menschen im Südsudan zu organisieren. - Das erst einmal nur vorweg. Jetzt sagen Sie alle - das haben Sie auch letzte Woche alle gesagt -, dass UNMISS für den Schutz der Zivilbevölkerung im Südsudan unverzichtbar ist. Fakt ist aber, dass UNMISS den Schutz der Zivilbevölkerung von Anfang an nicht sicherstellen konnte und bis heute nicht kann. Dann kommt von Ihnen immer das Argument: Es gibt 200 000 Flüchtlinge, die UNMISS an den eigenen Standorten schützt. - Ja, aber zur Ehrlichkeit gehört auch, dass 10 Millionen weitere Menschen im Südsudan vollkommen schutzlos sind, dass 2 Millionen von ihnen auf der Flucht sind und dass 4 Millionen von ihnen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Das ist die ganz erschütternde Bilanz. Dann sagen Sie: Na ja, ohne UNMISS wäre alles noch viel schlimmer. ({1}) Ich sage Ihnen: Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer und schlimmer. Das liegt auch daran, dass Sie völlig falsche Prioritäten gesetzt haben, dass Sie eben auf das Militärische gesetzt haben und nicht auf andere Möglichkeiten. ({2}) Die Frage, die wir uns stellen und die Sie sich, wie ich finde, auch stellen müssten, ist doch: Was haben wir alles nicht getan, um den Menschen im Südsudan zu helfen? Was haben wir nicht getan und somit dazu beigetragen, dass die Situation im Südsudan immer schlimmer geworden ist? Unsere Antwort ist relativ klar: Sie haben immer einseitig auf das Militärische gesetzt, und wir haben von Anfang an viele, viele andere Vorschläge gemacht; das können Sie alles nachlesen. Im Jahr 2011 direkt zur Gründung des neuen Staates Südsudan haben wir eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, wie man die Entstehung des Bürgerkrieges hätte verhindern können und wie man später die Zivilbevölkerung hätte schützen können. Kaum etwas davon ist gemacht worden. Ich will nur ein Beispiel nennen, damit Sie wissen, worum es geht. Wir haben es genau ausformuliert. Ein Punkt, der 2011 völlig deutlich war, als wir dort vor Ort waren, war: Es muss darum gehen, den Ausbruch von lokalen Gewaltkonflikten zu verhindern. Deswegen haben wir gefordert, lokale Friedensfachkräfte auszubilden, und zwar zu Hunderten, wenn nicht gar zu Tausenden, damit in allen Teilen des Landes Trauma- und Versöhnungsarbeit geleistet werden kann, damit in allen Regionen des Landes entstehende Konflikte gewaltfrei gelöst werden können. Wir haben, wie gesagt, gefordert, Hunderte auszubilden. Was hat die Bundesregierung gemacht? Sie hat die letzten fünf Friedensfachkräfte aus dem Sudan auch noch abgezogen. Das war Ihr Beitrag zu einer friedlichen Konfliktlösung. ({3}) Eines ist doch ganz klar: Ein Ende der Gewalt können Sie mit UNMISS im Südsudan niemals erreichen, und ganz sicher können Sie das nicht, wenn Sie auch noch mit Despoten wie Salva Kiir bei der Flüchtlingsabwehr zusammenarbeiten. Aus unserer Sicht heißt es deswegen: Nein zu UNMISS und endlich ein Umdenken hin zu zivilen Interventionen. ({4}) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. ({5}) Eines würde mich wirklich einmal interessieren: Kann mir irgendjemand hier im Raum erklären, zum Beispiel Sie, warum es heute immer noch legal ist, Waffen in den Südsudan zu liefern? Das Mindeste, wozu wir uns endlich durchringen müssten, wäre doch ein Waffenembargo durch die Vereinten Nationen. Auch daran scheitern Sie. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Roderich Kiesewetter von der CDU/CSU das Wort. ({0})

Roderich Kiesewetter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004068, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute früh bei der Debatte über die OSZE über Valletta gesprochen. Zwischenzeitlich ist der gemeinsame Gipfel von Europäischer und Afrikanischer Union zu Ende gegangen. Neben dem Thema Fluchtursachenbewältigung war ein ganz entscheidendes Thema - dies wurde auf Bitten der Afrikanischen Union nach vorne getragen - die Forderung nach einem verstärkten Engagement für Frieden, Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung. Genau darum geht es im Südsudan, nämlich darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wirtschaftliche Entwicklung überhaupt stattfinden kann. Wenn internationale Einrichtungen und Staaten zivile Hilfskräfte abziehen, weil es dort nicht sicher ist, ist doch der erste Punkt, Sicherheit im Südsudan zu schaffen. ({0}) Das geschieht, indem sich 53 Staaten in dieser Mission engagieren, davon 15 Staaten aus Afrika. Das ist genau das, was wir anstreben müssen: dass die Staaten aus Afrika Verantwortung übernehmen. Wir erleben das in vielen Bereichen, auch in der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Unterorganisation der Afrikanischen Union, die Intergouvernementale Autorität für Entwicklung, die IGAD, wird von drei Staaten unterstützt: von Kenia, vom Sudan und von Äthiopien. Wir erleben in der unmittelbaren Nachbarschaft, dass Uganda das Bestreben dieser drei Staaten gefährdet, indem es unmittelbar Waffen an die südsudanesische Regierung liefert. Wir sehen: Es ist dort eine Gemengelage, die geradezu nach einem internationalen Engagement ruft. Deshalb ist es im Übrigen richtig, dass die Bundesrepublik Deutschland dort mehr Polizisten als Soldaten einsetzt. Wir haben unseren Polizeiansatz dort verdoppelt. Gerade der Einsatz im Südsudan zeigt, dass wir Deutschen unsere drei Prinzipien der Außenpolitik hier auch praktisch anwenden: erstens ein Vorgehen mit VN-Mandat, zweitens nicht allein, sondern in einem vernetzten Ansatz, und drittens - das halte ich für ganz wichtig - ist das Militär eingebunden in einen übergreifenden Ansatz und nicht isoliert, wie wir es in Libyen oder im Irak erlebt haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, worauf kommt es jetzt an? Wir haben im Südsudan eine Entwicklung, die dazu führt, dass die Bevölkerung überhaupt kein Vertrauen in die eigene Regierung hat. Es ist der jüngste Staat der Erde, es gibt ihn erst seit vier Jahren. Ich erinnere mich, mit welcher Euphorie dies im Jahr 2011 im Unterausschuss für Zivile Krisenprävention als eine gelungene Staatenbildung betrachtet wurde. Ja, das war es am Anfang auch. Aber in der Zwischenzeit haben wir gesehen: Wenn Sicherheit der Entwicklung nicht folgt bzw. wenn Sicherheit mit entwicklungspolitischem Engagement nicht fest einhergeht, dann scheitert jeglicher entwicklungspolitische Ansatz. Deshalb wird sich die Bundesrepublik Deutschland dort intensiv beteiligen, mit den Fähigkeiten, die die Arbeiten dort weiterbringen, nämlich vernünftiger Stabsarbeit und vor allen Dingen entsprechender Beratung in der Überwachung des Waffenstillstandsabkommens und, was aus meiner Sicht auch sehr wichtig ist, in der Überwachung der humanitären Hilfe. Hier liegt das meiste im Argen. Wir müssen uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf einen jahrelangen Einsatz im Südsudan einstellen. 15 000 Helferinnen und Helfer mit und ohne Uniform werden die nächsten Jahre intensiv gefordert sein. Unser Ziel muss in allererster Linie sein, dass afrikanische Staaten aus der Nachbarschaft selbst Verantwortung übernehmen, dass die Afrikanische Union dort mit aller Kraft zeigt, dass sie fähig ist, und das mit westlicher Hilfe. Das sehen wir, glaube ich, recht gut in dem Ansatz, den die Afrikanische Union mit der Europäischen Union jetzt in Valletta verhandelt hat. Lassen Sie mich abschließend auf einen weiteren Aspekt hinweisen. Die Entwicklungen, die wir in Afrika, in Mali, in der Zentralafrikanischen Republik und auch in Libyen erleben, erfordern, dass wir uns über einen stärker vernetzten Ansatz Gedanken machen. Die Europäische Union wird viel mehr zur Ertüchtigung dieser Staaten beitragen müssen als in der Vergangenheit. Wir Deutschen werden großen Wert darauf legen müssen, dass bei der Fluchtursachenbekämpfung die Fragen der guten entwicklungspolitischen Begleitung und der guten Regierungsführung und die gesamte Unterstützungsleiste der Grenzsicherung und der Flüchtlingsbetreuung viel stärker in den Mittelpunkt geraten. Ich habe großes Verständnis, Herr van Aken, dass Sie sich heute schon mehrfach warmgeredet haben, aber da reicht brühwarme Rhetorik nicht. Dort geht es heiß zur Sache. Deshalb müssen wir uns auf einen langfristigen Einsatz einstellen. Ich unterstütze den UNMISS-Einsatz, der uns die nächsten Jahre sicherlich fordern wird, deshalb sehr und werbe um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Agnieszka Brugger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellvertretend für viele Frauen im Südsudan, die großes Leid ertragen müssen, möchte ich Rosa Koang zu Wort kommen lassen, die ein wirklich schreckliches Schicksal hinter sich hat. Von ihren fünf Töchtern sind zwei ermordet worden. Mit dreien konnten sie sich selbst in den Stützpunkt der Friedensmission UNMISS retten. Sie sagt: Wir Frauen im Camp leiden sehr. Um Wasser und Feuerholz zu holen, müssen wir das Lager verlassen, aber da draußen lauern alle möglichen Gefahren. Es gibt wilde Tiere, aber noch schlimmer ist, dass wir vergewaltigt werden. Zwei Mal musste ich schon zusehen, wie sie meinen Töchtern Gewalt antaten. Trotzdem müssen wir immer wieder in den Busch. Wir haben keine andere Wahl, wir brauchen Holz und Wasser zum Leben. Wir können nur zu Gott beten. Meine Damen und Herren, ich finde, diese schrecklichen Schilderungen zeigen noch viel dramatischer und persönlicher als die extrem hohen abstrakten erschreckenden Zahlen, die wir immer wieder nennen, wenn wir über den Konflikt im Südsudan sprechen, wie wichtig es ist, dass die internationale Gemeinschaft hier präsent ist und handelt. Über 2 Millionen Menschen sind dort auf der Flucht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gibt es 13 000 Kindersoldaten im Südsudan. In manchen Dörfern gibt es keine Jungen mehr, die älter als 14 Jahre sind. In großen Teilen des Landes herrscht eine Hungerkatastrophe. 30 000 Menschen sind unmittelbar vom Hungertod bedroht. Ich habe wie viele Kolleginnen und Kollegen hier in den letzten Monaten bei verschiedenen Konflikten dieser Welt gefragt: Wie kann es eigentlich sein, dass die reichen Staaten dieser Welt und die internationale Gemeinschaft es nicht schaffen, im Südsudan und in den Nachbarländern von Syrien wenigstens sicherzustellen, dass die Menschen genug zu essen haben? ({0}) Ich habe darauf keine gute Antwort bekommen, und ich finde, die EU - oder wer auch immer - sollte einfach Geld in die Hand nehmen und wirklich dafür sorgen, dass die Menschen, die vor Krieg fliehen mussten, jetzt nicht auch noch den Hungertod fürchten müssen. Kindersoldaten, Hungerkatastrophe, Massenvergewaltigungen, mehrere Zehntausend Tote: Das sind die Folgen des grauenvollen Machtkampfes zwischen Präsident Kiir und seinem Kontrahenten Machar. IGAD, die Regionalorganisation der Staaten in Nordostafrika, hat unermüdlich versucht, zwischen diesen Gruppen zu vermitteln. Es sind zahlreiche Vereinbarungen geschlossen worden, und zahlreich sind sie auch gebrochen worden. Auf das neue Friedensabkommen blicken wir daher natürlich einerseits mit großer Hoffnung und andererseits mit einer gewissen Skepsis. Meine Damen und Herren, die Friedensmission der Vereinten Nationen UNMISS hat nicht nur den Auftrag, bei der Umsetzung des Friedensabkommens zu unterstützen, sondern sie ist mit vielen Hilfsorganisationen die Kraft im Land, die trotz aller Gefahren versucht, die Menschen zu schützen. Es war eine mutige und außergewöhnliche Entscheidung, dass nach dem Gewaltausbruch 2013 die damalige Leiterin der UN-Mission beschlossen hat, einfach die Türen für die Flüchtlinge zu öffnen. Heute, zwei Jahre später, befinden sich noch immer 184 000 Menschen in den Camps der Vereinten Nationen. Denken wir an die Schilderungen von Frau Koang am Anfang der Rede zurück. Sie zeigen nicht nur das unermessliche Leid, sondern auch die Grenzen von UNMISS, die auch der Kollege van Aken hier angesprochen hat. Aber ist die Schlussfolgerung dann, hier zu sagen: „Weil UNMISS nicht auch noch im Land präsent sein und jede Gewalt verhindern kann, wollen wir, dass diese 184 000 Menschen nicht geschützt sind“? Herr Kollege van Aken, ich kann Ihre zynische Argumentation an dieser Stelle nicht nachvollziehen. ({1}) Ja, die Frauen und Männer haben Angst, das Camp zu verlassen, weil die Mission auch nicht wirklich außerhalb wirken kann. Ihr fehlen Fahrzeuge, Hubschrauber und Aufklärungsmittel. Ja, auch die Lage in den Camps selbst ist extrem angespannt. Die Versorgung ist schwierig, aber natürlich gibt es auch Übergriffe und hohe Kriminalitätsraten. Deshalb fehlt es auch ganz viel an Polizei. Herr Kollege Kiesewetter, Sie haben recht: Es ist eine gute Entscheidung, wenn das deutsche Polizeiengagement erhöht wird. Allerdings wird es von 10 auf 20 Polizeikräfte erhöht, und ich denke, wir brauchen hier viel mehr. Erst wenn wir bei einer Zahl von 100 sind, macht es einen Unterschied. ({2}) Meine Damen und Herren, derzeit sind 16 Bundeswehrangehörige und 15 Polizisten Teil dieser wichtigen Friedensmission. Das ist ein sehr bescheidener Beitrag. Großbritannien hat aktuell 300 zusätzliche Kräfte in den Raum gestellt. Wir führen hier große Debatten über die neue deutsche Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik, und auch Herr Steinmeier als Außenminister und Frau von der Leyen als Verteidigungsministerin fordern das immer wieder ein. Hier können wir einen unmittelbaren Beitrag dazu leisten, dass Menschen vor Gewalt geschützt werden - zivil, polizeilich, aber auch militärisch. Ich finde, wir könnten und wir sollten viel mehr für die Menschen im Südsudan tun. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Julia Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Julia Bartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004249, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mädchen im Südsudan an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt verstirbt, ist dreimal größer, als dass es eine Grundschulausbildung abschließt. Der Bürgerkrieg, der im Südsudan seit Dezember 2013 wütet, trifft vor allem die Schwächsten. Jedes dritte Kind im Südsudan ist unterernährt, und eine Viertelmillion Kinder ist vom Hungertod bedroht. Zudem berichtet UNICEF von einer immer schlimmer werdenden Gewalt gegen Kinder. Es gehört zur grausamen Kriegstaktik beider Parteien, gezielt Kinder zu vergewaltigen, zu verstümmeln und zu töten. Unter den 80 Zivilisten, die im Oktober bei Kämpfen im Südsudan getötet wurden, waren mindestens 57 Kinder. Damit nicht genug: Etwa 13 000 Minderjährige werden als Kindersoldaten zum Kämpfen gezwungen. Die Gewalt in einem der ärmsten Länder Afrikas hat unvorstellbare Ausmaße angenommen. Als der Südsudan vor vier Jahren gegründet wurde, war die Hoffnung der internationalen Gemeinschaft groß, dass dort Frieden eintreten könnte. Mittlerweile ist diese Hoffnung verflogen. Präsident Kiir und sein ehemaliger Stellvertreter Machar tragen ihren brutalen Machtkampf auf dem Rücken der Bevölkerung aus. Sie treiben einen blutigen Bürgerkrieg zwischen den beiden Volksgruppen, der Dinka und der Nuer, an. Bisher forderte dieser Konflikt Zehntausende Todesopfer. Auch wenn UNMISS diese grausamen Auswüchse des Bürgerkriegs nicht verhindern konnte, durch die Mission wurde und wird zumindest eine noch größere humanitäre Katastrophe abgewendet. Die Mission ist also wichtig. Sie schützt unschuldige Menschen und rettet Leben. ({0}) Viereinhalb Millionen Menschen im Südsudan überleben dank der Nahrungsmittelhilfe der UN. 200 000 Menschen haben Schutz vor Krieg und Gewalt in den Camps von UNMISS gefunden. Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag zur Versorgung und zum Schutz der Menschen im Südsudan. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges hat Deutschland über 80 Millionen Euro an humanitärer Hilfe geleistet. Diese Hilfe kann nur dank UNMISS bei den Bedürftigen ankommen. Daher beteiligt sich die Bundeswehr seit Beginn an der Mission. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten leisten insbesondere im Stab des Missionshauptquartiers einen wichtigen Dienst. Sie sorgen dafür, dass die über 10 000 Blauhelme gut koordiniert eingesetzt werden. Zuletzt haben sich bis zu 16 deutsche Soldatinnen und Soldaten ihrer Aufgabe gewidmet. Künftig können es bis zu 50 sein. Wir waren auch jetzt schon bereit, mehr als 16, bis zu 50 dorthin zu senden. Dieser höhere Bedarf wurde aber bisher noch nicht abgefragt. Auch unterstützen deutsche Polizeikräfte die UN-Mission. Bisher sind es zehn, und künftig werden es doppelt so viele sein. Ein Spezialteam widmet sich insbesondere der Problematik sexueller Gewalt und Gewalt gegen Frauen. An dieser Stelle danke ich ganz herzlich all unseren deutschen Einsatzkräften, die im Südsudan tätig sind. ({1}) Durch sie und ihre Mitstreiter der UN-Mission kommen die überlebensnotwendigen Hilfslieferungen an. Unsere Soldaten tun ihr Möglichstes, um die Zivilbevölkerung zu schützen und für Frieden im Südsudan einzutreten. Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für den Antrag der Bundesregierung, insbesondere um den Kindern im Südsudan eine Hoffnung auf Frieden zu geben. Danke. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan ({0}). Der Aus- schluss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6638, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/6504 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- nen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Dann eröffne ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- me noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe- rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Auszählung wird Ihnen später be- kannt gegeben.1) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 16 a und 16 b: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichten- dienstlicher Tätigkeit des Bundes Drucksache 18/6640 1) Ergebnis Seite 13355 D Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. André Hahn, Frank Tempel, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parlamentarische Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes verbessern Drucksache 18/6645 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, die Plätze einzunehmen und die Gespräche zu beenden, damit wir in der Debatte fortfahren können. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in dieser Debatte hat Dr. André Hahn von der Fraktion Die Linke das Wort. ({3})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines möchte ich gleich zu Beginn klarstellen: An unserer programmatischen Zielsetzung zur Überwindung bzw. zur mittelfristigen Abschaffung der Geheimdienste halten wir als Linke nach wie vor fest. ({0}) Ein wichtiger Schritt dahin ist der komplette Verzicht auf den Einsatz von V-Leuten, wie wir es in unserem Antrag fordern und wie es Thüringen bereits heute praktiziert. Solange wir die Geheimdienste nicht auflösen können - Mehrheiten dafür sind leider nicht in Sicht -, muss alles getan werden, um wenigstens die derzeit völlig unzureichenden parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten zu verbessern. ({1}) Im Gesetzentwurf sowie im Antrag schlägt die Linke daher knapp 20 konkrete Änderungen vor. Aus Zeitgründen kann ich nur einige ausgewählte Punkte nennen. So gibt es gegenwärtig für das Parlamentarische Kontrollgremium keinerlei Stellvertreterregelung. ({2}) Das Kontrollgremium besteht aus neun Mitgliedern. Die beiden kleinen Fraktionen haben jeweils ein Mitglied im PKGr. Im Falle einer Erkrankung oder eines anderweitigen Ausfalls sind insbesondere diese Fraktionen womöglich über einen langen Zeitraum überhaupt nicht im Kontrollgremium vertreten. Dies soll mit der vorgeschlagenen Neuregelung verändert werden. Nach der bisherigen Rechtslage können sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nachrichtendienste bei Problemen, Missständen oder der Feststellung von Rechtsverstößen zwar an das PKGr oder eines seiner Mitglieder wenden; sie sind jedoch zugleich verpflichtet, die Leitung des jeweiligen Dienstes darüber zu unterrichten. Das hat in der Praxis dazu geführt, dass es kaum derartige Informationen an das Kontrollgremium gab, weil Mitarbeiter der Dienste berufliche Nachteile befürchten mussten. Deshalb soll dieser Passus nunmehr gestrichen werden. Die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste sollen nach unserem Vorschlag nicht länger im geheim tagenden Vertrauensgremium, sondern im regulären Haushaltsausschuss beraten werden. Wir wollen hier vollständige Transparenz. ({3}) Nach unserem Gesetzentwurf soll es künftig nach Zustimmung eines Drittels der Mitglieder des PKGr möglich sein, dass zu bestimmten brisanten Vorgängen entgegen der grundsätzlichen Pflicht zur Geheimhaltung eine öffentliche Bewertung abgegeben werden kann. Bislang ist dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Durch die vorgeschlagene Neuregelung werden die Minderheitenrechte gestärkt. Zudem wollen wir eine Rechtsgrundlage dafür schaffen, dass die Mitglieder des Kontrollgremiums ihre Fraktionsvorsitzenden über wichtige Vorgänge informieren können. Denn sie sind nicht als Privatpersonen in den Gremien, sondern als Vertreter ihrer Fraktionen. ({4}) Weiterhin soll im Gesetz festgeschrieben werden, dass von den Sitzungen des Kontrollgremiums ein kompletter Tonbandmitschnitt anzufertigen ist, um später bei Bedarf prüfen zu können, ob Aussagen der Bundesregierung oder der Vertreter der Nachrichtendienste wahrheitsgemäß und vollständig erfolgt sind. So waren zum Beispiel die brisanten BND-Selektoren der Bundesregierung seit 2013 bekannt. Eine Unterrichtung des Kontrollgremiums erfolgte erst im September 2015, und auch das nur unter dem Druck absehbarer Medienveröffentlichungen. Und schließlich: Nach der geltenden Rechtslage kann das Bundesverfassungsgericht bei Streitigkeiten mit der Bundesregierung nur dann eingeschaltet werden, wenn dies von einer Zweidrittelmehrheit des Kontrollgremiums beschlossen wird. Das bedeutet im Klartext, dass eine Anrufung des höchsten deutschen Gerichts nur dann möglich ist, wenn die jeweilige Koalition die eigene Regierung verklagt. Das ist nicht nur theoretisch abwegig, sondern in der Praxis auch noch nie vorgekommen. Deshalb sollte es künftig einer Fraktion ermöglicht werden, eine Klage einzureichen, sofern sie sich in ihren Rechten verletzt sieht. ({5}) Abschließend noch ein letztes Wort zu den jüngsten Vorwürfen gegen den BND. Wenn es denn stimmen sollte, dass reihenweise befreundete Regierungen, deren Botschaften oder sogar deutsche Diplomaten ausgespäht wurden, dann gibt es dafür keinerlei Rechtfertigung, nicht juristisch und schon gar nicht politisch. ({6}) Umso wichtiger ist eine wirksame parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste. Dem dienen unser Gesetzentwurf und unser Antrag. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Clemens Binninger von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal bin ich positiv überrascht, dass dieses Thema heute Abend auf so viel Interesse im Plenum stößt. ({0}) Das hat sicherlich nichts mit der anschließenden namentlichen Abstimmung zu tun. Vielmehr sind Sie alle nur hier, weil Sie Interesse an der parlamentarischen Kontrolle haben. ({1}) Insofern vielen Dank für Ihr Interesse. ({2}) - Es liegt nicht an mir? Das ist ein harter Zwischenruf. Ich hoffe, dass es mir gelingt, ein paar Dinge klarzustellen. Ich bin Ihnen dankbar, Kollege Hahn, dass Sie mit einem Satz begonnen haben, der die ganze Debatte eigentlich fast überflüssig macht. ({3}) - Doch. - Wer zu Beginn seiner Rede zum Tagesordnungspunkt betreffend die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste sagt: „Unsere programmatische Grundaussage, dass wir die Nachrichtendienste abschaffen wollen, bleibt bestehen“, vergibt sich nach meiner Auffassung das Recht auf die Kontrolle und die Reform der Kontrolle. ({4}) Wenn man eine faire, objektive und nachhaltige parlamentarische Kontrolle ausüben will, kann man nicht gleichzeitig sagen: Eigentlich hat die Kontrolle nur das Ziel, die von mir zu Kontrollierenden abzuschaffen. Dann bekommen Sie auf Dauer ein Glaubwürdigkeitsproblem. Nun muss man wissen, dass das Parlamentarische Kontrollgremium durchaus eine besondere Stellung hat. In Artikel 45 d unserer Verfassung sind wir, die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, ausdrücklich genannt, weil wir etwas machen, was die anderen Ausschüsse nicht machen können. Wir sind stellvertretend für das ganze Plenum mit dieser Aufgabe betraut. Wir werden - auch die Vertreter der Opposition - in geheimer Wahl mit Kanzlermehrheit gewählt - das ist nichts Triviales -, weil wir hier die Interessen des ganzen Hauses vertreten. Wenn wir über parlamentarische Kontrolle reden und hier Reformbedarf sehen - auch wir tun das; ich komme gleich darauf zurück -, dann sollten wir uns bewusst sein, dass es eine Kontrolle sein muss, die unserem Anspruch genügt und nicht zum Ziel haben kann, Nachrichtendienste sturmreif zu schießen, weil es im Parteiprogramm steht. ({5}) Nebenbei glaube ich, dass wir der Sicherheit unseres Landes keinen Gefallen tun würden, wenn wir auf Ihrem Weg, Herr Hahn, voranschreiten würden. Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass die Herausforderungen, vor denen wir stehen - auch die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus -, Nachrichtendienste notwendig machen. Wie sollen wir sonst an Erkenntnisse herankommen? Wie sonst sollen wir zu Beurteilungen gelangen, die für unsere Sicherheit von Bedeutung sind? Deshalb kann es zumindest für meine Fraktion - das gilt mit Sicherheit auch für die Kollegen von der SPD und wahrscheinlich ebenfalls für die Kollegen von den Grünen - an der Grundaussage, dass unsere wehrhafte parlamentarische Demokratie Nachrichtendienste braucht über die Kontrolle können wir ja reden -, keinen Zweifel geben. ({6}) Ich versuche nun, mich mit Ihrem Antrag konkret auseinanderzusetzen, auch wenn er das Ziel hat, die Dienste abzuschaffen. Ich habe die darin enthaltenen Forderungen genau gelesen. Ich will gleich vorausschicken: Bei zwei oder drei Forderungen können wir uns durchaus annähern. ({7}) - Das kommt vor. Wir versuchen, es objektiv zu machen. ({8}) Eigentlich geht es Ihnen aber nur um eines - das zieht sich wie ein roter Faden durch -: den Mitwisserkreis vergrößern, mehr Teilnehmer, weniger Geheimhaltung und am liebsten gleich alles an das schwarze Brett hängen. ({9}) So funktioniert die Kontrolle von Nachrichtendiensten aber wirklich nicht. Deshalb kann man Ihren Vorlagen überhaupt nicht nahetreten. Wir Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind gewählt. Aus diesem gutem Grund gibt es keine Stellvertreterregelung. Wenn Sie sagen, wenn jemand länger ausfalle, dann sei eine kleine Fraktion nicht mehr in dem Gremium vertreten, dann antworte ich: Für solche längeren Phasen, die ich niemandem wünsche, gäbe es auch die Möglichkeit, ein anderes Mitglied der Fraktion für diese Dauer zu wählen. Das wird Ihnen niemand verwehren. Es gibt Möglichkeiten, für Ersatz zu sorgen. Aber einfach nur mehr Öffentlichkeit herstellen und den Kreis der Personen, die Brisantes erfahren, einfach erweitern zu wollen, bringt keinen Mehrwert für die Kontrolle. Wo ist da wirklich der Mehrwert? Sie haben mehr Mitwisser, aber keine bessere Kontrolle. Deshalb kann man alle diese Punkte rundherum ablehnen. Wo ich etwas näher bei Ihnen bin - bei aller Vorsicht, weil ich weiß, dass auch die Kollegen der SPD und, wie ich glaube, auch die Kollegen der Grünen es so sehen -, ist, dass wir als Gremiumsmitglieder zukünftig die Erlaubnis haben sollten, die Fraktionsvorsitzenden über besondere Sachverhalte zu informieren. Das halte ich für notwendig angesichts der Bedeutung, die wir hier im Hause haben, und auch angesichts der Bedeutung der Aufgabe. Das sind Punkte, die wir, wie ich glaube, schon verändern müssen. ({10}) - Volker, auch du wirst manches erfahren müssen. So ist es halt. ({11}) Kommen wir zum Punkt Öffentlichkeit. Wir tagen grundsätzlich geheim. Jeder, der das seriös bewertet, muss das einräumen. Das Dilemma wird sich nicht auflösen lassen, weil die Sachverhalte, die wir erfahren, zu brisant sind und weil eine Veröffentlichung die Arbeitsfähigkeit unserer Dienste gefährden würde. Aber dass man - die USA machen es auch - einmal im Jahr eine öffentliche Befragung der Präsidenten der Nachrichtendienste durchaus anberaumen kann, unter Berücksichtigung des Geheimschutzes, könnte am Ende nicht nur der Kontrolle, sondern auch der Akzeptanz der Dienste in unserer Gesellschaft dienen. Über solche Dinge kann man mit uns reden. Aber einfach den Mitarbeiterkreis zu erweitern, die Zahl der Wissenden zu erhöhen und das Ganze mit dem Ziel zu machen, die Nachrichtendienste am Ende abzuschaffen, darüber kann man mit uns nicht reden und auch nicht verhandeln. Das ist eine klare Aussage. ({12}) Herr Kollege Hahn, Sie sind derzeit der Vorsitzende des Gremiums, und ich bin Stellvertreter. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit zwei Sätzen den Kollegen, die heute Abend hier sind, weil sie das Thema interessiert, sagen, dass sich bei der parlamentarischen Kontrolle doch schon einiges verbessert hat. Wir haben in dieser Legislatur, zum ersten Mal übrigens, sieben konkrete Kontrollaufträge benannt. Das war alles öffentlich, und ich verrate hier keine Geheimnisse. Die reichen von der Thematik der V-Leute bis hin zur Zusammenarbeit des BND in anderen Bereichen. Wir haben eine Task Force gebildet. Auch das hatten wir noch nie. Das sind Mitarbeiter, die in unserem Auftrag die Nachrichtendienste aufsuchen dürfen, sich dort Akten zeigen lassen dürfen und dort Mitarbeiter befragen dürfen. Dieses Mittel setzen wir ein. Wir setzen es auch bei dem aktuellen Thema ein, das Sie angesprochen haben, nämlich bei der Frage, ob die Suchbegriffe des BND möglicherweise gegen das Gesetz oder gegen das Auftragsprofil verstoßen. Auch da haben wir unsere Task Force eingesetzt. Wir werden unserer Kontrollaufgabe gerecht. Deshalb müssen wir, wenn wir über Reformen sprechen, über die größte Schwachstelle der parlamentarischen Kontrolle sprechen. Das ist die Selbstkritik, Herr Kollege Hahn. Alle, die in diesem Gremium einmal waren, werden zugeben müssen, dass man als Abgeordneter, der noch andere Aufgaben hat, überhaupt nicht die notwendige Zeit hat, um die Kontrollinstrumente, die das Gesetz vorsieht, anzuwenden. Uns fehlt schlicht und einfach die Zeit. Man brauchte viele Tage und Wochen im Jahr, um Behörden aufzusuchen und Mitarbeiter zu befragen. Wir machen das, aber alles nur sehr punktuell.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Binninger, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? ({0}) - Okay. Dann machen wir anschließend eine Kurzintervention.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde auch die Frage zulassen. Dann sind wir durch. Deshalb sind wir zurzeit dabei, die größten Schwachpunkte mit einer Reform zu beseitigen. Wir sagen gemeinsam mit den Kollegen der SPD: Es wäre hilfreich, wenn wir im Gremium eine hochrangige Person - Sie können sie Geheimdienstbeauftragter nennen oder Ständiger Bevollmächtigter - hätten, die mit einem Arbeitsstab das ganze Jahr in unserem Auftrag diese Kontrollfunktion ausübt, sich also ganzjährig dieser Aufgabe widmet. Dann hätten wir ein Kontrollniveau, das sehr viel höher wäre als das, das wir erreichen können. Man hätte am Ende Ergebnisse, und das würde zur Versachlichung manch aufgeregter Debatte beitragen. Wir als vom Parlament Gewählte hätten trotzdem das Sagen, wir würden die Aufträge erteilen. Dabei kämen selbstverständlich alle Kollegen gleichermaßen zum Zuge. Wir verfahren nicht nach Opposition und Regierung. Ich glaube, das ist der zentrale Ansatz. Die Instrumente, die wir zwar anwenden dürfen, aber so gut wie nie anwenden - das ist der ehrliche Befund -, können wir an einen Stab geben, der uns zugeordnet ist und diese Aufgabe machen kann. Dann sind wir auch auf einem Weg, dass die parlamentarische Kontrolle so ausgeführt wird, dass sie der Dimension der Aufgabe gerecht wird, dass sie unserem Anspruch gerecht wird, dass sie aber auch den Diensten nutzt. Ich sage immer: Ich stelle mich vor die Dienste. Das kann ich aber nur, wenn ich sie vorher konsequent kontrolliert habe. Dann kann ich mich davorstellen. Fehler benennen und sagen: „Das ist kein Fehler“, beides muss man können. Dazu brauchen wir diesen Stab. Wir werden wahrscheinlich im nächsten Jahr einen konkreten Gesetzentwurf vorlegen. Ich bitte Sie herzlich, uns dabei zu unterstützen. Das wäre eine wirkliche Reform der parlamentarischen Kontrolle. Ihr Papierchen ist getragen von dem ersten Satz: Eigentlich wollen wir die Nachrichtendienste abschaffen. Dafür sind wir, aber auch die Mehrheit in diesem Hause, nicht zu haben. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Jetzt erhält der Kollege Dr. Hahn das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Kollege Binninger, da Sie mich mehrfach direkt angesprochen haben, möchte ich auf drei Punkte kurz reagieren. ({0}) Sie haben sinngemäß gesagt: Wer für die Abschaffung der Geheimdienste sei, der hätte nicht das Recht, Verbesserungs- und Veränderungsvorschläge zu machen. Ich halte das für ein sehr fragwürdiges Demokratieverständnis - um das klar zu sagen. ({1}) Wir haben eine politische Programmatik, und wir arbeiten hier im Parlament konstruktiv mit. Sie haben zu Recht gesagt, es gibt dafür keine Mehrheiten. Dann behalten wir uns aber auch das Recht vor, konkrete Vorschläge zu machen, was an der jetzigen Situation verbessert werden kann. ({2}) Zweiter Punkt. Sie haben gesagt, Sie hätten sich gewünscht, dass ich einräume, dass sich bei der parlamentarischen Kontrolle das eine oder andere verbessert hat. Ich habe gestern eine Pressekonferenz gegeben, in der ich unsere Entwürfe vorgestellt habe. Ich habe zehn Minuten damit verbracht, zu sagen, was sich positiv entwickelt hat. ({3}) - Herr Kollege Binninger, ich habe die Punkte dort benannt. Ich habe hier, anders als Sie, nur vier Minuten Redezeit. Da muss ich mich leider darauf beschränken, unsere Vorschläge vorzustellen. ({4}) Dritter Punkt. Herr Kollege Binninger, Sie haben gesagt, man kann die Nachrichtendienste nicht einfach sturmreif schießen, weil man die Auflösung in seinem Parteiprogramm vorgesehen hat. Hier muss ich ganz klar sagen: Die deutschen Nachrichtendienste haben in den letzten Monaten und Jahren durch Pannen und Skandale selbst alles dafür getan, ihre eigene Existenzberechtigung infrage zu stellen. Darüber müssen wir hier reden. ({5})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Herr Kollege Binninger, wünschen Sie das Wort zur Erwiderung? ({0})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich mache es kurz. Erster Punkt. Ich habe gesagt, Sie haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Natürlich können Sie hier Anträge einbringen, wie Sie es für richtig halten. Aber wie soll man dem, der sagt, er will die Dienste abschaffen, ernsthaft abnehmen, dass er in der Lage ist, objektiv und fair zu kontrollieren? Das ist ein Glaubwürdigkeitsproblem. ({0}) Zweiter Punkt. Dafür, dass Sie nur vier Minuten Redezeit haben, kann ich nichts. Es ist letztendlich Ausdruck des Wählerwillens, dass Sie vier Minuten haben und ich zehn Minuten. Das müssen Sie einfach so akzeptieren. ({1}) - Es ist halt so. Ich kann nichts dafür. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Also, jetzt muss ich einmal unterbrechen. Der Kollege Binninger hat das Wort.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin auch gleich fertig. Dritter Punkt. Natürlich gab es in den letzten Jahren Versäumnisse und schwere Fehler bei den Nachrichtendiensten, Beispiel NSU. Aktuell gehen wir den Fragen nach. Das ist richtig und auch unsere Aufgabe. Ich möchte aber nicht dieses Pauschalurteil, das besagt, dass die Dienste per se alle auf dem falschen Dampfer sind, wir müssen sie abschaffen. ({0}) Differenzierung und faire Kritik gehören auch zur parlamentarischen Kontrolle. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Freundinnen und Freunde der Geheimdienste und liebe Freundinnen und Freunde der Kontrolle der Geheimdienste! ({0}) Jeder kann überlegen, wo er sich da einordnet. Der Vorschlag, den die Linke relativ überraschend gemacht hat - ich habe die Vorlagen trotzdem gelesen enthält viel Richtiges, vieles von dem, was wir schon seit Jahren fordern, wozu wir Gesetzesvorschläge gemacht haben, die leider noch keine Mehrheit im Deutschen Bundestag gefunden haben. Dazu gehören das stellvertretende Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium - das muss einfach sein; aus unbekannten Gründen wird das verweigert -, die Unterrichtung des Fraktionsvorstandes - es ist völlig absurd, dass man das nicht darf; das war früher schon einmal anders - und natürlich auch die Anwesenheit von Mitarbeitern bei Sitzungen. Auch sie sollten dabei sein dürfen. Aber ich sage Ihnen: Das eigentliche Problem ist ein anderes. Lieber Kollege Binninger, ich schließe mich gern an, wenn wir einmal einen Abend lang Selbstkritik üben. ({1}) Bei einigem haben Sie ja recht. Viele Abgeordnete haben einfach nicht die Zeit, sich ausreichend zu kümmern. Wir können gerne einen solchen Abend veranstalten; ich mache mit. Heute will ich einmal sagen, woran die Kontrolle der Nachrichtendienste in den letzten Jahren, vor allen DinDr. André Hahn gen seit der Snowden-Enthüllung, gescheitert ist, nämlich an den Mitgliedern der Bundesregierung, der Geheimdienste, die mich und Sie und andere, die in dem Parlamentarischen Kontrollgremium sitzen, belogen haben, die die Unwahrheit gesagt haben, ({2}) die verschwiegen haben, die da saßen wie Engel und den Eindruck erweckten: Wir wissen von nichts; keine Ahnung, was der Snowden da will; keine Ahnung, was die USA machen. Wir kümmern uns doch nicht um Freunde. - Sogar hatte die Kanzlerin gesagt, das Abhören von Freunden gehe gar nicht. Was wir jetzt alles an Informationen, an Meldungen bekommen, das zeigt, dass das überwiegend gelogen war, und das darf doch nicht wahr sein. ({3}) Da müssen Sie etwas verbessern. Deshalb fordere ich drei Punkte: Erstens. In solchen parlamentarischen Gremien muss die Opposition die Möglichkeit haben, allein Sachen durchzusetzen. ({4}) Das heißt, wir brauchen Oppositionsrechte, auch wenn die Opposition noch so klein ist. Denn die Regierungskoalition sieht ihre Hauptaufgabe darin - das ist auch eine Kritik an Ihnen -, sich vor die Geheimdienste zu stellen, sie zu schützen und zu rechtfertigen, was sie tut. So ist die Realität. Nur die Opposition kann das durchbrechen. Zweitens. Wir brauchen - das fordere ich jetzt seit zehn Jahren - eine wörtliche Protokollierung von dem, was in den Sitzungen dieses Gremiums gesagt wird. ({5}) Es ist doch ein Unding, dass wir uns jetzt nicht über die, glaube ich, acht oder zehn Sondersitzungen im Jahr 2013 unterhalten können, um der Frage nachzugehen: Was hat da Herr Schindler gesagt? Was hat da Herr Pofalla gesagt? Was hat der Minister gesagt? Wenn wir das nicht nachhalten können, können wir sie nicht überführen, dass sie uns belogen haben; vielmehr sind wir auf unser eigenes Gedächtnis angewiesen. Das, was in anderen Ausschüssen möglich ist, beispielsweise im Auswärtigen Ausschuss - da werden auch geheime Sitzungen mitgeschnitten -, muss eingeführt werden. ({6}) Jeder, der das Kontrollgremium arbeitsfähig machen will, der muss das wollen. Warum wollen Sie das nicht? Haben Sie Angst vor Ihrer eigenen Rede, die dann protokolliert worden ist? Das darf nicht sein. Drittens. Wir brauchen Sanktionen gegen Mitglieder der Bundesregierung, gegen Mitglieder der Geheimdienste, die uns im Parlamentarischen Kontrollgremium belogen haben. ({7}) Es reicht nicht, im Gesetz zu verankern, wie es die Linke jetzt will, dass die Mitglieder von Bundesregierung und Geheimdiensten vollständig und wahrheitsgemäß informieren müssen; vielmehr muss es Folgen haben, wenn sie lügen. Wir müssen gesetzlich verankern, dass es mindestens ein Disziplinarvergehen ist, wenn dort falsch ausgesagt wird. Es kann doch nicht angehen, dass zwar Falschaussagen im Untersuchungsausschuss strafrechtliche Konsequenzen haben, während wir Abgeordnete im Parlamentarischen Kontrollgremium nach Strich und Faden belogen werden können, ohne dass das irgendeine Konsequenz hat. ({8}) Der letzte Punkt, den ich anfügen will - das ist mein Lieblingspunkt -: Das sind die Whistleblower. Wir brauchen in unseren Gesetzen - wir haben das mehrfach beantragt - Möglichkeiten, dass, wenn unter dem Deckmantel der Geheimhaltung Grundrechte verletzt werden, wenn die Verfassung von Bund oder Ländern gebrochen wird, man das als Abgeordneter frei hier von diesem Podium aus oder auch in den Ausschüssen sagen darf, ohne dass der Staatsanwalt anschließend anklopft. ({9}) Eine solche Regelung haben wir schon einmal im Strafgesetzbuch gehabt. ({10}) Die muss man wieder einführen. Wenn Sie eine wirkliche Kontrolle haben wollen, dann schließen Sie sich mir an. ({11})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Gabriele Fograscher von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Enthüllungen - Einzelheiten aus geheimen Unterlagen, Skandalträchtiges - über die Dienste in den Medien berichtet wird. Und so fällt es einem in diesen Tagen nicht gerade leicht, sich für die Nachrichtendienste in Deutschland und ihre Notwendigkeit für die Sicherheit in Deutschland und Deutscher im Ausland auszusprechen. Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst haben viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit verspielt. Die Unfähigkeit des Verfassungsschutzes von Bund und Ländern und anderer Sicherheitsbehörden, die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds aufzudecken und Straftaten zu verhindern, beschäftigt bis heute den Bundestag und die Länderparlamente. Weil es viele Zweifel und ungelöste Fragen gibt, haben wir gestern den 2. Untersuchungsausschuss zum NSU eingesetzt. Als Konsequenz aus dem 1. NSU-Untersuchungsausschuss haben wir mit Reformen des Verfassungsschutzes begonnen. Zufrieden können wir damit aber noch nicht sein. ({0}) Die Veröffentlichungen von Edward Snowden im Sommer 2013, der Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre, Medien und Kontrollgremien des Bundestages decken immer neue Sachverhalte auf. Sie legen das teilweise problematische Agieren des BND und befreundeter Dienste offen. Schwere technische und organisatorische Defizite sind beim Bundesnachrichtendienst zutage getreten. Unsere Antwort auf die Vorwürfe und Affären besteht in der Aufklärung der Defizite in den Strukturen und der Ursachen für die Fehlentwicklungen. Daraus müssen und werden wir Konsequenzen für die Reform und Neuausrichtung der Dienste ziehen und diese zügig umsetzen. ({1}) Erste Schritte haben wir bereits unternommen. Wir haben die Geschäftsordnung des Parlamentarischen Kontrollgremiums verbessert, es personell aufgestockt und eine Task Force geschaffen, die Sachverhalte untersuchen kann, und die Einsetzung eines Sonderermittlers ermöglicht. Die Task Force arbeitet. Der Sonderermittler hat einen Bericht zum Komplex „Corelli“ vorgelegt. Mit diesen erweiterten Handlungsoptionen kann das Parlamentarische Kontrollgremium aktiver agieren, und die Qualität der Kontrolle hat sich verbessert. Das reicht uns aber noch nicht. Deshalb wollen wir den Ständigen Beauftragten mit eigenem Arbeitsstab. Dieser soll sowohl für das Parlamentarische Kontrollgremium als auch für das Vertrauensgremium und die G10-Kommission arbeiten und diese unterstützen. Wir erwarten auch noch mehr selbstständige Information durch die Bundesregierung und die Nachrichtendienste über Vorkommnisse, die politisch brisant sind oder sein könnten. Klar ist für uns: Der Bundesnachrichtendienst braucht eine neue gesetzliche Grundlage. Dafür haben wir bereits vor der Sommerpause Eckpunkte vorgelegt. Wir fordern: Bei Erstbeauftragung einer Maßnahme muss der BND-Präsident zustimmen. Weiter fordern wir: ausdrückliches Verbot der Wirtschaftsspionage; besonderen Schutz von EU-Bürgern, EU-Mitgliedstaaten und EU-Institutionen; ausdrückliches Verbot eines systematischen Ringtauschs zur Umgehung nationaler Restriktionen und deutliche organisatorische Maßnahmen, was heißt, dass einzelne Abteilungen kein Eigenleben mehr führen dürfen. Die Linke macht in ihrem Antrag und in ihrem Gesetzentwurf zahlreiche Vorschläge, die mal mehr, mal weniger geeignet sind, die parlamentarische Kontrolle der Dienste zu stärken. Ich frage mich aber: Wozu der ganze Aufwand, wenn es - ich zitiere aus dem Antrag nur als Übergangslösung auf dem Weg zur Abschaffung der Geheimdienste gedacht ist? ({2}) Wir als Koalition wollen mit unseren Vorschlägen die Dienste stärken, sie leistungsfähiger und zielgerichteter aufstellen und befähigen, die Herausforderungen der heutigen Zeit und der Zukunft bewältigen zu können. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/6640 und 18/6645 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan ({0}) auf Grundlage der Resolution 1996 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2241 vom 9. Oktober 2015 bekannt geben: abgegebene Stimmen 578. Mit Ja haben gestimmt 518, mit Nein haben gestimmt 58, Enthaltungen gab es 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 517 nein: 58 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({1}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Peter Bleser Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Iris Eberl Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({2}) Axel E. Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({5}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({6}) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({7}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({8}) Stefan Müller ({9}) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({10}) Andreas Scheuer Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({11}) Gabriele Schmidt ({12}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({13}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({14}) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Volkmar Vogel ({15}) Sven Volmering Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({16}) Peter Weiß ({17}) Sabine Weiss ({18}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({19}) Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding ({20}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Fritz Felgentreu Christian Flisek Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Ulrich Hampel Michael Hartmann ({21}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({22}) Gabriela Heinrich Marcus Held Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange ({23}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller ({24}) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({25}) Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post ({26}) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({27}) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({28}) Matthias Schmidt ({29}) Dagmar Schmidt ({30}) Carsten Schneider ({31}) Ursula Schulte Swen Schulz ({32}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annalena Baerbock Marieluise Beck ({33}) Volker Beck ({34}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({35}) Christian Kühn ({36}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({37}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein SPD Christian Petry DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Annette Groth Dr. Andre Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({38}) Thomas Nord Harald Petzold ({39}) Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Hubertus Zdebel ({40}) Pia Zimmermann Enthalten SPD Dr. Ute Finckh-Krämer Petra Hinz ({41}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 17: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({42}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({43}) auf Grundlage der Resolution 1769 ({44}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2228 ({45}) vom 29. Juni 2015 Drucksachen 18/6503, 18/6639 Bericht des Haushaltsausschusses ({46}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6684 Über die Beschlussempfehlung werden wir später ebenfalls namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das auch so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der Debatte hat Lars Klingbeil von der SPD-Fraktion das Wort. ({47})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die Zeit schon fortgeschritten ist, halte ich die Diskussion hier im Deutschen Bundestag über eine weitere Beteiligung der Bundeswehr am Mandat in Darfur für sehr wichtig. Ich möchte mich auch gleich zu Beginn dieser Diskussion bei all denen bedanken, die in den letzten Jahren für die Bundesrepublik Deutschland in Darfur waren, egal ob als Helfer in den NGOs, ob als Polizisten oder als Soldatinnen und Soldaten. Wir haben viele Menschen dorthin entsandt. Ich denke, wir alle können dankbar sein für den Einsatz, den sie dort geleistet haben. ({0}) Die Vereinten Nationen haben die Situation in Darfur vor wenigen Jahren als eine der schrecklichsten humanitären Katastrophen bezeichnet. Wenn wir uns die Zahl der Opfer anschauen, dann sehen wir, dass es seit 2003 in diesen Auseinandersetzungen über 300 000 Tote gegeben hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gestern Abend mit einem Zapfenstreich und heute Morgen mit einer großen parlamentarischen Debatte „60 Jahre Bundeswehr“ gefeiert. Ich finde, bei einer Mission wie UNAMID sollten wir uns immer wieder bewusst machen: Wir haben eine Parlamentsarmee. Wir als Parlamentarier sind es, die die Soldatinnen und Soldaten in den Auslandseinsatz schicken. - Selbst wenn es im aktuellen Mandat nur sieben Soldatinnen und Soldaten sind: Trotzdem gehört eine solche Diskussion in das Parlament, hier in den Deutschen Bundestag. Wir müssen uns unsere Verantwortung bewusst machen. Es ist richtig, dass wir über jeden Einsatz der Bundeswehr hier im Parlament diskutieren und auch namentlich darüber abstimmen. ({1}) Ein Weiteres, was auch eng mit diesem Einsatz zusammenhängt, ist: Es gilt, uns noch einmal bewusst zu machen, wie sehr die Welt im Umbruch ist. Ich erinnere mich daran: Vor sechs Jahren, als ich Mitglied des Deutschen Bundestages wurde, war die außen- und sicherheitspolitische Diskussion eine Nebendebatte. Heute reden wir eigentlich nur noch über die Außen- und Sicherheitspolitik. Wenn wir uns die weltpolitische Lage anschauen - die Ukraine, Syrien, der Nahe Osten, aber auch Afrika -, dann sehen wir, wie brachial die weltpolitische Lage auf einmal auch in unseren Fokus gerückt ist. Es ist unsere Verantwortung als Parlament, die entsprechende sicherheitspolitische Diskussion zu führen. Wir tun das gerade im Rahmen des Weißbuch-Prozesses. Ich finde aber, wir müssten hier im Parlament noch viel stärker sicherheitspolitische Diskussionen führen in der Art, wie es heute Morgen der Fall war. Das gehört auch zu unserer Verantwortung als Parlamentarier. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Situation in Darfur ist seit 2003 fragil. Wir haben dort nicht die Fortschritte, die wir uns wünschen. Nein, viel zu häufig gibt es sogar Rückschritte vor Ort. Wir sehen, dass unterschiedliche ethnische Gruppen, Rebellengruppen und Regierungen sich immer wieder in Kämpfen befinden. Aber es ist richtig, dass wir uns dort engagieren. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann sieht man, dass 4,4 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Allein 2 Millionen Kinder in Darfur sind unterernährt. Und in der Region sind 2,6 Millionen Menschen als Binnenflüchtlinge unterwegs. Ich will nur zwei weitere Zahlen nennen, die verdeutlichen, wie wichtig unser Engagement in Afrika ist. Bis 2050 wird sich die Bevölkerungszahl in Afrika auf 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. Von diesen 2,4 Milliarden Menschen im Jahr 2050 wird 1 Milliarde unter 18 Jahren sein. Wir können doch heute schon absehen, dass viele dieser Menschen versuchen werden, ein besseres Leben zu führen, als das heute in Afrika der Fall ist. Wenn wir in diesen Tagen ausführlich über Fluchtursachen reden, dann müssen wir uns hier im Parlament bewusst machen, wie wichtig Frieden und Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent sind, wenn wir wollen, dass die Menschen dort vernünftig leben können. Wir müssen ihnen eine Perspektive bieten. Deswegen ist unser Engagement auf dem afrikanischen Kontinent so wichtig. ({3}) Eine militärische Stabilisierung der Region kann nicht funktionieren. Eine Gesamtstrategie ist wichtig. Ich will auch hier ein paar Fakten nennen, damit man einfach sieht, wie umfassend das Engagement der Bundesregierung ist. Allein im Jahr 2015 haben wir 7,1 Millionen Euro in humanitäre Hilfe investiert. Am Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre, das vom Auswärtigen Amt gefördert wird, wurden über 300 Polizisten ausgebildet. Das BMZ finanziert über einen Regionalfonds unterschiedlichste NGOs, die an der Sicherung der Wasser- und Gesundheitsversorgung arbeiten. Und 16 Millionen Euro fließen vonseiten der Bundesregierung in Projekte, die die berufliche Bildung und Ausbildung in der Region fördern sollen. Hier sieht man, wie unterschiedlich der Ansatz ist. Ich glaube, nur eine solche gemeinsame Strategie im Sinne einer Gesamtstrategie kann erfolgreich sein. Das Mandat, über das wir heute entscheiden, ist ein gemeinsames Mandat der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union und verfolgt drei Ziele: zum Ersten den Schutz von Zivilpersonal und zivilen Helfern, zum Zweiten die Erleichterung bei der Bereitstellung von humanitärer Hilfe und zum Dritten die Unterstützung bei der Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. Insgesamt sind es 16 000 Soldatinnen und Soldaten und 1 500 Polizistinnen und Polizisten, die dort unterwegs sind. Noch einmal: Das Mandat sieht vor, dass es bis zu 50 deutsche Soldatinnen und Soldaten sein können. Aktuell sind sieben Soldaten und ein Polizist vor Ort, die vor allem die Stäbe unterstützen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich will noch einmal betonen: Ich glaube, dass Militär in dieser Region keinen Frieden bringen kann. Aber Militär und Bundeswehr können eine wichtige Unterstützung bieten, wenn es darum geht, auf dem steinigen Weg politischer Verhandlungen ökonomischen Aufbruch und soziale Stabilität herzustellen. Die Bundeswehr kann helfen, dort einen Rahmen zu setzen. Deswegen halten wir als SPD-FraktiLars Klingbeil on es für richtig, dass wir heute das Mandat um ein weiteres Jahr verlängern. ({4}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich würde mich freuen, wenn wir das mit einem deutlichen Signal hier im Parlament tun ({5}) und damit auch den Soldatinnen und Soldaten, auch wenn es nur wenige sind, ein klares Signal geben, dass wir ihre Mission richtig finden und sie unterstützen. Noch einmal: Wir wünschen ihnen alles Gute für diese Mission. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächste Rednerin hat Kathrin Vogler das Wort. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestern haben ja viele von Ihnen bei Fackelschein und Militärmusik vor dem Reichstagsgebäude den 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr gefeiert. ({0}) - Klatschen Sie ruhig. - Das Volk musste allerdings draußen bleiben. Dafür sorgten Feldjäger in der Bannmeile. Heute schicken Sie die Bundeswehr erneut in zwei bewaffnete Einsätze, von denen Sie genau wissen, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese ablehnt. ({1}) Die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre von RotGrün über Schwarz-Gelb bis zur Großen Koalition haben die Bundeswehr ja ganz gezielt zu einer weltweit einsetzbaren Truppe umgebaut. Gerade der Einsatz in Darfur, über den wir jetzt reden, zeigt, in welches Dilemma Sie diese Politik der weltweiten Militäreinsätze bringt. Seit 2007 ist die Bundeswehr an der UNAMID-Mission in der sudanesischen Provinz Darfur beteiligt. Dieses Mandat wollen Sie heute zum achten Mal verlängern. Und auch dieses Mal sagt die Linke dazu Nein. ({2}) Mehr als genug Gründe für dieses Nein finden sich schon in Ihrer Mandatsbegründung. Ich fasse es kurz zusammen: Sicherheitslage weiter angespannt, Kämpfe sind an der Tagesordnung, Übergriffe auf humanitäre Helfer 131 allein in diesem Jahr -, eine äußerst prekäre humanitäre Lage, 2 Millionen Kinder akut unterernährt, eine desaströse Menschenrechtslage, Vergewaltigungen und, und, und. Der UN-Sicherheitsrat hat aufgrund fehlender Fortschritte beschlossen, diese Mission zu verlängern, und dem schließt sich diese Bundesregierung an. Also, damit ich es noch einmal richtig verstehe: UNAMID ist seit acht Jahren erfolglos und wird genau deshalb verlängert. Das ist doch absurd, Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Dieser Mandatsantrag ist ein einziges Dokument des Scheiterns, aber diese Bundesregierung hat nicht die Kraft oder den Mut, aus diesem Scheitern die einzig richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wissen Sie, was mich richtig sauer macht? Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es der Bevölkerung in Darfur jetzt, nach acht Jahren Mandatsausübung, irgendwie besser ginge. Nun wissen wir natürlich auch, dass Friedensprozesse in Bürgerkriegsgebieten häufig kompliziert sind und lange dauern können. Aber wenn es um den wirksamen Schutz der Zivilbevölkerung geht, dann darf man damit nicht warten, bis alle politischen Konflikte gelöst und alle Waffen eingesammelt sind. ({4}) Ein Blick ins Nachbarland Südsudan könnte einen Weg aus diesem Dilemma aufzeigen. ({5}) Dort zeigt nämlich die internationale Organisation Nonviolent Peaceforce, wie man mit gewaltfreien Mitteln, also ohne Waffen, und mit sehr geringer finanzieller Ausstattung den Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten kann. ({6}) Natürlich kann man das nicht eins zu eins auf Darfur übertragen. Aber man muss sich schon mal die Frage stellen, warum man das, was im Südsudan wirkt, was auf den Philippinen und in Sri Lanka gewirkt hat, nicht auch als Hoffnungsschimmer für Darfur sehen könnte. ({7}) Genau dieser Hoffnungsschimmer wird inzwischen auch bei den Vereinten Nationen zur Kenntnis genommen. Der Bericht des High-level Independent Panel on Peace Operations und die Globale Studie zur Umsetzung der Resolution 1325, in der es ganz speziell um den Schutz von Frauen in bewaffneten Konflikten und um die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen geht, empfehlen explizit den Ausbau von Instrumenten zum unbewaffneten Schutz von Zivilpersonen. Mit der halben Million Euro, die Sie jedes Jahr für den Bundeswehreinsatz in Darfur mit sieben Soldaten und einem Polizeibeamten ausgeben wollen, könnte man diesem wichtigen Engagement einen richtigen Schub geben. Meine Damen und Herren, setzen Sie nicht weiter auf gescheiterte Militäreinsätze! Handeln Sie zivil, im Interesse der Menschen! Dabei würde die Linke Sie unterstützen. Bei diesem Bundeswehreinsatz unterstützen wir Sie aber nicht. ({8})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Als nächster Redner hat Michael Vietz von der CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Michael Vietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004431, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Sudan: Nubien, Kusch, das Königreich von Kerma, 1700 vor Christi Geburt, immerhin der älteste uns bekannte schwarzafrikanische Staat. Aus unserem Geschichtsunterricht ist er uns als wohlhabendes und geheimnisvolles Land südlich Ägyptens bekannt. An diese reichhaltige Geschichte sollten wir uns erinnern, um uns eine Zukunft für diese Region auch vorstellen zu können. Wenn wir heute den Sudan betrachten, zeichnet sich ein düsteres Bild. Sudan und Südsudan gehören weltweit zu den am stärksten belasteten Krisengebieten. Die Region Darfur, im Westen Sudans, versinkt seit 2003 im Chaos. Schätzungen zufolge hat dieser blutige Konflikt bereits etwa 300 000 Menschenleben gekostet, darunter viele Zivilisten. Die brutalen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen, Rebellenorganisationen und regierungsnahen Milizen schaffen den Nährboden für Terror und Kriegsverbrechen. Über 2,5 Millionen Menschen haben ihre Dörfer verlassen und sind auf der Flucht. Fast 2 Millionen von ihnen leben in Flüchtlingslagern. Annähernd die Hälfte der Bevölkerung von Darfur ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. 2 Millionen Kinder sind unterernährt. So sehen Fluchtursachen aus! Was können wir dem entgegensetzen? Im Rahmen von UNAMID leisten wir mit der internationalen Gemeinschaft, gemeinsam mit der Afrikanischen Union, einen substanziellen Beitrag zur Bewältigung des Konflikts. Kernaufgabe ist dabei der Schutz der Zivilbevölkerung. Ein besonderes Augenmerk wird aktuell auf die Vermittlung zwischen den bewaffneten Gruppen gelegt, die noch nicht das Doha-Dokument unterzeichnet haben, sich einem weiteren Friedensprozess verweigern. Hier haben wir alle noch viel zu tun. Die Herausforderungen an die Mission sind nicht kleiner geworden. Der Konflikt flammt in Wellen der Gewalt immer wieder auf und wirft die Friedensbemühungen zurück. Über 200 Peacekeeper haben seit Beginn der Mission im Einsatz ihr Leben verloren. Das zeigt, wie riskant der Einsatz ist, natürlich auch für unsere Kräfte. Daher müssen wir mit der Fortsetzung unserer Beteiligung ein deutliches Zeichen setzen, dass wir unser Engagement weiterverfolgen und die Menschen vor Ort nicht aufgeben. Ich danke an dieser Stelle allen Männern und Frauen, allen Kräften, die seit Beginn der Mission im Dienst ihre Pflicht erfüllen. ({0}) Wir setzen im Rahmen der Mission auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen militärischen, polizeilichen und zivilen Komponenten. Dieser vernetzte Ansatz ist in meinen Augen ein wichtiges Kennzeichen unserer Außenpolitik. Wir sind weiterhin bereit, Verantwortung, wo notwendig, zu tragen. Deshalb ist unsere weitere Beteiligung an UNAMID richtig. Wir sind die einzigen, wir sind die letzten Europäer in Darfur. Wir beteiligen uns mit sieben Soldaten. Hinzu kommt ein Polizist außerhalb dieses Mandats. Dieser Beitrag sendet trotzdem ein wichtiges Signal an unsere Partner in Afrika. Wir könnten dieses Signal noch verstärken. Lassen Sie mich an dieser Stelle deutlich sagen: Wir dürfen Afrika nicht aus den Augen verlieren. Trotz zahlreicher anderer Krisenherde weltweit, die uns beschäftigen, müssen wir auch in Afrika weiterhin aktiv bleiben. Wegschauen ist keine Option. Dies würde die afrikanischen Krisen nur noch weiter verschlimmern und weitere Fluchtursachen schaffen. UNAMID allein - da stimme ich Herrn Kollegen Klingbeil zu - wird die Krise im Sudan nicht lösen können; aber es ist ein wichtiger Baustein für die langfristige Lösung dieses Konflikts. Wir sind bereit, dies weiter anzugehen, damit die Republik Sudan an ihre alte Geschichte als wohlhabende Kultur anschließen und ihrer Bevölkerung eine Perspektive in Sicherheit, Frieden und Freiheit bieten kann. Deshalb stimmt die Koalition dem Antrag der Bundesregierung zu. Ich bitte jeden im Hause darum, die Arbeit an einem dauerhaften Frieden in der Region nicht aufzugeben. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Danke. ({1})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Uwe Kekeritz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Uwe Kekeritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004066, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit 2007 stimmen wir jährlich über die deutsche Beteiligung am UN-Einsatz in Darfur ab. Dies ist notwendig, da eine politische Lösung zurzeit nicht in Sicht ist. Die Auseinandersetzungen zwischen Rebellengruppen, Verbrecherbanden, regulären und irregulären Streitkräften finden weiterhin und verstärkt auf dem Rücken der Bevölkerung statt. Gewaltausbrüche, Massenvergewaltigungen und andere Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Neben den Attacken auf die Zivilbevölkerung - das wurde schon richtigerweise gesagt kommt es aber auch immer wieder zu gewalt samen Übergriffen auf Hilfsorganisationen. Das erschwert die Situation dort natürlich dramatisch. Die Lage ist und bleibt gefährlich. Natürlich kann ein Militäreinsatz eine politische Lösung nicht ersetzen; aber der nationale Dialog kommt eben noch nicht voran. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Problematisch ist auch, dass die Afrikanische Union das al-Baschir-Regime stützt und auch die Arabische Liga zur Legitimierung des steckbrieflich Gesuchten beiträgt. Leider schlägt die EU, und mit ihr auch die Bundesregierung, inzwischen in die gleiche Kerbe. Was die Europäische Union heute auf dem Gipfel in Valletta beschlossen hat, ist ein politischer Paradigmenwechsel und zum Teil auch zynisch. Damit verabschiedet sich die Regierung Merkel von der immer wieder beschworenen werteorientierten europäischen Politik. ({0}) Der Gipfel von Valletta zeigt auch, dass der Begriff der wertebasierten Politik wohl nur in politischen Schönwetterlagen Bedeutung für diese Regierung hat. Wie sonst wäre es trotz des europäischen Wertekanons möglich, dass die EU jetzt plant, mit Folterknechten, Diktatoren und Mördern, die ihr Volk seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten schinden, Verträge abzuschließen, die deren Macht gegenüber ihrem Volk noch verstärken? ({1}) Damit meine ich auch die geplante Unterstützung des Terrorregimes al-Baschir, das möglichst viele Menschen an der Flucht aus tödlicher Bedrohung und Elend hindern soll. Die Verträge sollen auf Basis des Prinzips „More for more“ basieren; ein doch sehr euphemistischer Begriff. Dahinter verbirgt sich auch eine Verlagerung der Außengrenzen Europas in Länder, die bisher durch schwerste Menschenrechtsverletzungen von sich reden machten. Die Bundesregierung und auch ihre europäischen Verbündeten sollten sich klarmachen, dass es sich um einen schmutzigen und auch kurzsichtigen Deal handelt. Warum das so ist, erklärt uns auch Ban Ki-moon. Er sagt: Diese Politik ist kontraproduktiv und schädlich für Gesundheit, Bildung und Chancen auf ein besseres Leben von Millionen von Menschen. Die Regierung spricht doch immer davon, Fluchtursachen zu bekämpfen. Kommt Ihnen denn nicht in den Sinn, dass Sie mit einer solchen Politik die Fluchtursachen langfristig vermehren? In der heutigen Debatte kann es für uns dennoch keine Frage sein, ob die Menschen in den Flüchtlingslagern Darfurs Anspruch auf Schutz haben. Ich sage Ihnen: Sie haben Anspruch, und wir sind moralisch dazu verpflichtet, dazu einen Beitrag zu leisten. ({2}) In diesem Zusammenhang kann ich die Linke nur auffordern, endlich Farbe zu bekennen. Ihre Kritik an unverantwortlichen Waffenlieferungen, an der Klimapolitik und an der falschen Agrar- und Handelspolitik teilen wir ja. Aber die Systemkritik darf nicht dazu missbraucht werden, konkrete Hilfe im Hier und Jetzt zu verweigern. ({3}) - Frau Vogler, nennen Sie doch einmal konkrete Maßnahmen und Alternativen! ({4}) Sie stellen sich hierhin und sagen: Wir wollen zivile Maßnahmen. ({5}) Bitte, schreiben Sie ein Handbuch „Zivile Maßnahmen“ und überzeugen Sie uns damit. Dann werden wir Ihnen auch folgen. Aber allein die Aussage „Wir wollen zivile Maßnahmen“, das ist zu wenig; das ist auch zu billig. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Karl Lamers von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicher ein Zufall, dass wir heute am 60. Gründungstag der Bundeswehr über die Fortsetzung der deutschen Beteiligung am UNAMID-Einsatz beraten. Gerade die Beratung des vorliegenden Antrags zeigt uns aber, welchen Weg die Bundeswehr in den 60 Jahren ihres Bestehens zurückgelegt hat. Seit dem Ende des Kalten Krieges sind Stabilisierungs- und Friedenseinsätze zu einem festen Bestandteil, ja zu einem Markenzeichen der Bundeswehr geworden. Ich bin überzeugt, dass diese Einsätze zum Frieden in der Welt erheblich beitragen. ({0}) Darauf können auch unsere Soldatinnen und Soldaten stolz sein. Deswegen, meine ich, müssen wir ihnen immer wieder und gerade auch öffentlich Dank für ihren Einsatz für Frieden und Stabilität in vielen Teilen der Welt sagen. ({1}) Die Bundesregierung hat gute Gründe, heute die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der gemeinsam von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union geführten Friedensmission in Darfur für ein weiteres Jahr bis zum 31. Dezember 2016 zu beantragen. Bis zu 50 deutsche Soldatinnen und Soldaten können eingesetzt werden für Führungs- und Verbindungsaufgaben und für Beratungs-, Beobachtungs- und Unterstützungsaufgaben. Warum werden wir dort gebraucht? Wir werden dort gebraucht, weil Deutschland zusammen mit anderen eine dauerhafte politische Konfliktlösung anstrebt. Davon sind wir heute aber leider noch weit entfernt. Seit 2003 tobt ein schrecklicher Konflikt zwischen der sudanesischen Zentralregierung und Volksgruppen in den sudanesischen Bundesstaaten Darfur, Südkordofan und Blauer Nil mit bisher 300 000 Toten. Die Umsetzung des Doha-Friedensabkommens von 2011 geht in meinen Augen viel zu langsam. Der angestrebte nationale Dialog zwischen den Kontrahenten hat bisher auch keine zufriedenstellenden Ergebnisse gezeitigt. Die Betroffenen sind die Menschen. Sie leiden unter den Kämpfen. Sie leiden unter den ethnischen Konflikten. Sie leiden unter der zunehmenden Kriminalität. Hinzu kommt, wie Herr Vietz es bereits beschrieben hat, das Flüchtlingselend: 4 Millionen Menschen sind ständig auf humanitäre Hilfe angewiesen, 2,6 Millionen Binnenflüchtlinge, 500 000 in den Nachbarländern. Meine Damen und Herren, was wir wollen, ist klar: eine dauerhafte Bewältigung des Konflikts und eine Verbesserung der humanitären Lage in Darfur. Das ist aber nur möglich, wenn die Unterstützung und Präsenz der internationalen Gemeinschaft auch weiterhin bestehen bleibt. So fordern es die Vereinten Nationen, so fordert es die Afrikanische Union. Deswegen, Frau Vogler, bin ich sehr erstaunt, dass Sie sich diesem Erkenntnisprozess partout penetrant widersetzen. Sie sollten umdenken. ({2}) Art und Umfang des deutschen Engagements stimmen wir wie bisher eng mit unseren internationalen Partnern ab. Unser Leitgedanke ist Solidarität. Unsere Soldaten leisten mit ihrer Präsenz einen dauerhaften Beitrag zu mehr Stabilität in der Region. Der Stärkung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte gilt dabei unsere ganz besondere Aufmerksamkeit. Wir sehen in der deutschen Beteiligung ein wichtiges Zeichen insbesondere an die Vereinten Nationen und an die Afrikanische Union, dass Deutschland die Friedensanstrengungen der internationalen Gemeinschaft in Darfur tatkräftig unterstützt. Über diesen militärischen Beitrag zu UNAMID hinaus soll der Sudan im Sinne der Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung von 2014 weiterhin ein wichtiges Element deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Afrika bleiben. Die humanitäre Hilfe wird wie bisher eine wesentliche Rolle für uns spielen. Der deutsche Beitrag zur Ausgestaltung des sogenannten Khartoum-Prozesses mit Staaten entlang der afrikanischen Migrationsrouten muss gerade angesichts der Flüchtlingssituation in Europa mit besonderem Engagement erfüllt werden. Meine Damen und Herren, der UNAMID-Einsatz bleibt bis auf Weiteres als stabilisierendes Element zur Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur und zur Begleitung der politischen Bemühungen um innere Befriedung unverzichtbar. Meine Fraktion, die CDU/CSU, stimmt diesem Antrag zu. Ich bitte Sie alle, es uns nachzutun. Danke. ({3})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000305

Vielen Dank. - Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hy brid- Operation in Darfur. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6639, den An- trag der Bundesregierung auf Drucksache 18/6503 anzu- nehmen. Wir stimmen über diese Beschlussempfehlung na- mentlich ab. Ich möchte die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze an den Ur- nen einzunehmen. - Sind jetzt die Plätze an den Urnen besetzt? - Alle Plätze sind besetzt. Damit eröffne ich die Abstimmung über die Beschlussempfehlung.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ist jemand im Saal, der seine Stimme noch nicht ab- gegeben hat? - Jetzt frage ich zum letzten Mal: Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schlie- ße die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wie im- mer wird Ihnen das Ergebnis der Abstimmung später mit- geteilt.1) Ich bitte, die interessanten Gespräche in den Gängen, vor allem auf der rechten Seite, aber auch die interessanten Gespräche am Ende des Saals und auf der linken Seite eventuell draußen fortzusetzen. - Ich meine es wirklich ernst. Ich möchte gern mit der Tagesordnung weitermachen, weil wir noch einiges vor uns haben. Schönen guten Abend von mir! Auch den Gästen auf der Tribüne wünsche ich einen schönen guten Abend und eine spannende Debatte. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Netzneutralität als Voraussetzung für eine gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern Drucksachen 18/5382, 18/6402 ({1}) - Ich meine es jetzt echt ernst: Wenn Sie quatschen wol- len, dann gehen Sie raus! Wir wollen hier jetzt eine De- 1) Ergebnis Seite 13366 C batte führen, und die Kollegen warten darauf, dass wir anfangen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Matthias Ilgen für die SPD. ({2})

Matthias Ilgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004310, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass ich der Forderung im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen nach einer dauerhaften Gewährleistung der Netzneutralität durch eine effektive und technologieneutrale gesetzliche Festschreibung auf nationaler und europäischer Ebene vollkommen zustimme, meine Fraktion im Kern auch. ({0}) - Der Forderung! Allerdings müssen wir jetzt auch einmal über das Timing reden. ({1}) Fest steht aber auch, dass im Europäischen Parlament und im Rat leider keine Mehrheit für eine restriktivere Regelung da war, was die SPD-Fraktion - ich besonders - bedauert. Der erreichte Kompromiss ist allerdings das Beste, was wir im Moment haben können. Dieser Kompromiss steht auch im Einklang mit unserem Koalitionsvertrag, in dem vereinbart ist, die Ziele der Netzneutralität im Telekommunikationsgesetz zu verankern. Ich persönlich hätte die Ausnahmen, wie gesagt, jedoch enger gefasst. Darauf werde ich später noch einmal kommen. Was den Kompromiss angeht, liegt es jetzt an uns allen, die Situation zu beobachten, zu evaluieren und gegebenenfalls schnellstmöglich Konsequenzen zu ziehen, wenn wir auf Probleme stoßen. Ich halte es hier wie unser verstorbener Altkanzler Schmidt: „Für mich bleibt das eigene Gewissen die oberste Instanz.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Antrag kommt leider zu einem falschen und unpassenden Zeitpunkt. Wir alle wollen doch, dass schnelles Internet für jeden Nutzer in derselben Geschwindigkeit und ohne Diskriminierung funktioniert, egal ob er E-Mails abruft, einen Film anschaut oder über das Netz telefoniert. Als Berichterstatter für Existenzgründungen, Freie Berufe und die Kreativwirtschaft liegt es mir übrigens besonders am Herzen, in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass wir natürlich auch Internet-Start-up-Unternehmern, App-Entwicklern und kleinen Leuten, die im Internet unterwegs sind, möglichst einen diskriminierungsfreien Wettbewerb ermöglichen sollten. Deswegen geht an dieser Stelle auch ein Appell an Herrn Höttges von der Telekom, der sich schon geäußert hat, als Erstes auf Start-ups losgehen zu wollen - wodurch es zu einer Diskriminierung käme -, ({2}) um sich eine Umsatzbeteiligung zu sichern, was ich, ehrlich gesagt, ungeheuerlich finde. ({3}) Gerade sie brauchen zu Beginn ihrer Wachstumsphase das Kapital und können nicht noch weitere Mitbesitzer oder Unternehmen wie dann die Telekom gebrauchen, welche ihren Umsatz schröpfen. Das wäre eine klare Diskriminierung. Wir alle in der Fraktion haben natürlich bedauert, dass es bei dem Kompromiss in Europa eine gewisse Dehnbarkeit gibt. Allerdings hat Herr Höttges die Dehnbarkeit hier aus meiner Sicht doch arg überstrapaziert, und wir sollten dem mit allen Kräften entgegentreten. ({4}) - Das sagen Sie. Wir werden auch gucken müssen, wie wir insgesamt ein pluralistisches Internet erhalten können, in dem es diskriminierungsfreie Räume und einen funktionierenden Wettbewerb gibt. ({5}) - Ja, das werden wir sehen müssen. Deswegen wollte ich darauf hinweisen, dass wir auch einmal auf Formen wie das ist gerade im Gespräch - Zero-Rating gucken müssen und darauf, was das für den Wettbewerb bedeutet. Zero-Rating könnte die schärfste Form einer Konkurrenzverdrängung werden. Davon profitieren schon heute eigentlich nur Marktmächtige, nämlich diejenigen, die große Volumina haben und sozusagen for free, also umsonst, anbieten können. Das ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr für unsere Medienvielfalt im Internet und letztlich auch für die Kultur. Deshalb wäre es gesellschaftspolitisch eine fatale Entwicklung, wenn wir dem so zuschauen würden. Wir werden also gesetzliche Einschränkungen finden müssen, wenn wir feststellen, dass der Wettbewerb an dieser Stelle nicht mehr funktioniert. Trotz alledem - ich habe es am Anfang gesagt - ist Ihr Timing unpassend. ({6}) Wir sollten jetzt abwarten, wie und ob der Kompromiss trägt, wie dehnbar er von denjenigen gehalten wird, die am Markt agieren, und dann werden wir gegebenenfalls auch zu gesetzlichen Regelungen kommen. Danke schön. ({7}) Vizepräsidentin Claudia Roth

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Ilgen. - Nächste Rednerin in der Debatte: Halina Wawzyniak für die Linke. ({0})

Halina Wawzyniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004185, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir stimmen heute über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Netzneutralität als Voraussetzung für eine gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern“ ab. Die Grünen wollen - und das zu Recht - die Netzneutralität gesetzlich sichern. ({0}) - Wenigstens ein Grüner klatscht; das ist schon mal gut. ({1}) Netzneutralität bedeutet die grundsätzlich diskriminierungsfreie Gleichbehandlung aller Datenpakete und ist, wie der Antrag richtig beschreibt, das konstituierende Prinzip eines offenen und freien Internets. Die Netzneutralität ist damit neben einem Internetanschluss Grundvoraussetzung für die gerechte Teilhabe an der digitalen Gesellschaft. Doch die Netzneutralität beißt sich mit dem Prinzip des Profits. Schon vor der EU-Verordnung wurde die Netzneutralität direkt oder indirekt infrage gestellt. Es ging um „Diensteklassen“ oder „Spezialservices“ und viele andere Bezeichnungen. Am Ende ging es aber immer um eins: Internetanbieter wollten bestimmte Daten schneller transportieren und dafür extra Geld kassieren. Die sogenannten Kapazitätsengpässe, von denen immer die Rede war und die angeblich eine Priorisierung von Daten erforderlich machen, wurden bisher nicht ansatzweise belegt. Aber selbst wenn sie belegt worden wären, wäre die Alternative nicht die Priorisierung von Daten, sondern die Erweiterung der Kapazitäten, und zwar durch einen sinnvollen und schnellen Glasfaserausbau. ({2}) Bei der im Antrag aufgeführten Aufzählung der in den vergangenen Jahren bereits eingereichten Initiativen zur Sicherung der Netzneutralität fehlt zwar der Antrag der Linken; darüber sehen wir aber großzügig hinweg und werden dem Antrag trotzdem zustimmen. ({3}) Und wir sind sogar noch besser: Wir werden dem Bundestag demnächst Gelegenheit geben, erneut über das Thema abzustimmen. ({4}) Denn wir haben schon fast einen Antrag fertig, wie die Netzneutralität trotz EU-Verordnung gesichert werden kann. ({5}) Die EU-Verordnung zum Telekommunikationsbinnenmarkt erlaubt tatsächlich Telekommunikationsunternehmen, bestimmte Angebote vom Prinzip der Netzneutralität auszunehmen und sie als priorisierte Dienste zu behandeln. Der Chef der Telekom - das ist schon gesagt worden - hat auch gleich angekündigt, davon umfassend Gebrauch zu machen. Er hat die Absicht, ein Zweiklasseninternet zu schaffen. Das Ziel von Konzernen wie der Telekom ist nun einmal die Etablierung von zweiseitigen Märkten und Zero-Rating-Angeboten. Bei zweiseitigen Märkten müssen insbesondere die Anbieter von Inhalten zusätzlich zum Anschluss an das Netz auch noch für die Nutzung der Zugangsnetze bezahlen. Bei Zero-Rating-Angeboten würde die Nutzung von spezifischen Diensten vom monatlichen Datentransfervolumen ausgeklammert. Aus Sicht der Linken enthält nun aber die EU-Verordnung trotz der Unbestimmtheit und Auslassung bei einer strengen Auslegung der betroffenen Bestimmungen und strengen Auflagen die Möglichkeit, genau diese zweiseitigen Märkte und Zero-Rating-Angebote auszuschließen. Man muss sie nur richtig und bis zum Ende lesen. ({6}) Nun plant die Bundesregierung, die Bundesnetzagentur mit der genauen Umsetzung der EU-Verordnung zu beauftragen. Das halten wir für falsch. ({7}) Angesichts der überragenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung der Netzneutralität muss in einem demokratischen Rechtsstaat nach dem Wesentlichkeitsprinzip der Gesetzgeber die unbestimmten Bedingungen der EU-Verordnung untersetzen. Wir wollen, und zwar nur, weil die EU-Verordnung das überhaupt ermöglicht, dass bis zur Errichtung einer flächendeckenden Glasfaserinfrastruktur priorisierte Dienste auf 5 Prozent der tatsächlich vorhandenen Übertragungskapazität begrenzt werden. Wir wollen Geschäftsmodelle untersagen, auf deren Basis die Anbieter von Inhalten, Diensten oder Anwendungen zusätzlich zum Anschluss auch für die Nutzung der Zugangsnetze bezahlen. Das geht nach der EU-Verordnung; denn diese besagt, dass auf kommerziellen Interessen beruhende Erwägungen keine angemessenen Maßnahmen des Verkehrsmanagements darstellen. Drittens und letztens - damit komme ich auch zum Ende - wollen wir Zero-Rating-Angebote untersagen, da sie kein spezifisches Qualitätsniveau erfordern und auch auf kommerziellen Erwägungen beruhen. Wir stimmen heute dem Antrag der Grünen zu und hoffen, dass Sie, wenn wir unseren Antrag vorlegen, unserem Antrag zustimmen. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Herr Durz, bevor ich Sie aufrufe, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über das UNAMID-Mandat bekannt: abgegebene Stimmen 575. Mit Ja haben gestimmt 516, mit Nein haben gestimmt 57, Enthaltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 573; davon ja: 514 nein: 57 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens ({0}) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. Andre Berghegger Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Peter Bleser Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Iris Eberl Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({1}) Axel E. Fischer ({2}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Hans-Peter Friedrich ({3}) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Christian Haase Dr. Stephan Harbarth Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich ({4}) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Robert Hochbaum Thorsten Hoffmann ({5}) Alexander Hoffmann Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Uwe Lagosky Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Matthias Lietz Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer ({6}) Reiner Meier Dr. Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr. h.c. Hans Michelbach Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Carsten Müller ({7}) Stefan Müller ({8}) Dr. Gerd Müller Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer ({9}) Andreas Scheuer Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt ({10}) Gabriele Schmidt ({11}) Ronja Schmitt Patrick Schnieder Nadine Schön ({12}) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster ({13}) Christina Schwarzer Detlef Seif Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Erika Steinbach Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Frhr. von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Volkmar Vogel ({14}) Sven Volmering Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg ({15}) Peter Weiß ({16}) Sabine Weiss ({17}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({18}) Elisabeth WinkelmeierBecker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Lothar Binding ({19}) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Fritz Felgentreu Christian Flisek Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Ulrich Hampel Michael Hartmann ({20}) Dirk Heidenblut Hubertus Heil ({21}) Gabriela Heinrich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Christina Jantz Frank Junge Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Marina Kermer Cansel Kiziltepe Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Christine Lambrecht Christian Lange ({22}) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Detlef Müller ({23}) Bettina Müller Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Mahmut Özdemir ({24}) Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Achim Post ({25}) Florian Post Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({26}) Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr. Dorothee Schlegel Ulla Schmidt ({27}) Matthias Schmidt ({28}) Dagmar Schmidt ({29}) Carsten Schneider ({30}) Ursula Schulte Swen Schulz ({31}) Ewald Schurer Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr. Karin Thissen Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Dirk Wiese Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annalena Baerbock Marieluise Beck ({32}) Volker Beck ({33}) Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Katja Keul Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn ({34}) Christian Kühn ({35}) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth ({36}) Corinna Rüffer Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Markus Tressel Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Nein SPD Christian Petry DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Annette Groth Dr. Andre Hahn Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Jan Korte Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller ({37}) Thomas Nord Harald Petzold ({38}) Martina Renner Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Azize Tank Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Halina Wawzyniak Harald Weinberg Birgit Wöllert Hubertus Zdebel ({39}) Pia Zimmermann Enthalten SPD Dr. Ute Finckh-Krämer Petra Hinz ({40}) Der nächste Redner ist Hansjörg Durz für die CDU/ CSU-Fraktion. ({41})

Hansjörg Durz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Antrag der Grünen zur Netzneutralität müssen wir schon deshalb ablehnen - es ist bereits angeklungen; vorhin wurde „Timing“ genannt -, da bereits am selben Tag, als wir diesen Antrag im Wirtschaftsausschuss debattierten, parallel in Brüssel der dort zuständige Ausschuss über Netzneutralität abstimmte. Am 27. Oktober 2015 hat dann das Europäische Parlament der gemeinsamen europäischen Regelung zugestimmt. Dadurch wird Netzneutralität erstmals einheitlich europäisch definiert und festgeschrieben. Bisher war Netzneutralität ein Konzept, jetzt ist sie per Verordnung festgeschrieben. Gerade Netzneutralität kann nur im Sinne eines digitalen Binnenmarktes gemeinsam auf europäischer Ebene festgeschrieben werden. Netzneutralität darf und kann nicht an innereuropäischen Grenzen haltmachen. Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgeschrieben, und das ist jetzt auch so beschlossen und festgelegt. Die Debatte über Netzneutralität wurde und wird teilweise sehr emotional geführt. Das ist auch nachvollziehbar, da neben technischen und wirtschaftlichen Aspekten auch gesellschaftliche Aspekte und Vorstellungen damit verbunden sind. Wie sehen nun in diesem Zusammenhang die wesentlichen Herausforderungen aus? Erstens stellt sich aus technischer Sicht die Frage, wie die stetig ansteigenden Datenmengen im Internet bewältigt werden können. Die dazu bekannten Prognosen sind atemberaubend. Das Volumen der jährlich generierten digitalen Datenmengen weltweit wird in den kommenden fünf Jahren mindestens um den Faktor acht ansteigen. Wir sprechen dann von einem jährlichen Datenvolumen, das sich auf 44 Billionen Gigabyte beläuft. Angesichts dieser Entwicklung steht außer Frage, dass man sich darüber Gedanken machen muss, welche Maßnahmen zur Datenverkehrssteuerung möglich und rechtlich zulässig sein sollen und welche eben nicht. Zweitens müssen wir uns aus wirtschaftspolitischer Sicht damit auseinandersetzen, wie gleichzeitig eine weiterhin offene Infrastruktur aussieht, die durch niedrige Zugangsschwellen Start-ups und den Mittelstand in ihrer Rolle als Innovationstreiber stärkt. Drittens bleibt aus gesellschaftspolitischer Sicht die Herausforderung zu bewältigen: Wie kann der freie und offene Zugang zu Informationen als eine wesentliche Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe erhalten bleiben? Die Sicherung dieser Teilhabe sowie der Schutz von Meinungsvielfalt und -austausch sind nicht nur erklärtes Ziel dieser Koalition und auch der Digitalen Agenda der Bundesregierung, sondern von uns allen, wie wir nun schon gehört haben. ({0}) Die Regelungen der Verordnung über den digitalen Binnenmarkt, wie sie am 27. Oktober dieses Jahres vom Europäischen Parlament verabschiedet wurden, führen die verschiedenen Interessen auf europäischer Ebene zusammen und sind ein guter Kompromiss. Als Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe und auch aus wirtschaftlicher Sicht ist der Erhalt des offenen Internets unabdingbar. Bei beiden Punkten bringt uns die beschlossene Regelung einen großen Schritt voran. Künftig gelten für das Internet klare gesetzliche Regelungen im Sinne der Netzneutralität. Die Internetnutzer erhalten das Recht auf diskriminierungsfreie Datenübertragung. Das offene Internet, in dem sämtliche Verkehrsdaten unter dem Grundsatz der Gleichbehandlung transportiert werden, ist und bleibt als Regelfall erhalten. ({1}) Netzbetreiber dürfen auch in Zukunft Inhalte nicht aus kommerziellen Gründen sperren oder verlangsamen. Die Regulierungsbehörden werden die Einhaltung einer zeitgemäßen Qualität des Internets mithilfe einer starken Ex-post-Kontrolle sicherstellen. Wir müssen streng darauf achten, dass dies auch geschieht. Das liegt in unserem ureigenen Interesse; denn eine ausreichende Qualität ist die wesentliche Voraussetzung für Innovationen. Der gefundene Kompromiss hilft uns auch, die technischen Herausforderungen zu bewältigen, indem Rahmenbedingungen für Investitionen in moderne Breitbandnetze verbessert werden. Bereits heute existiert eine Vielzahl von Mediendiensten. Die Entwicklung wird noch drastisch an Tempo gewinnen. Es geht aber nicht nur um den Content. Automatisiertes Fahren, Telemedizin, sämtliche Anwendungen auf dem Gebiet Industrie 4.0: All das wird sehr hohe Bandbreiten in Anspruch nehmen. Daher brauchen wir neue und verbesserte Infrastrukturen. Diese sind die Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung in allen Wirtschaftszweigen und damit das Rückgrat moderner Volkswirtschaften. Der Staat allein kann diese Herausforderungen allerdings nicht stemmen. ({2}) Wir brauchen notwendige Investitionsanreize für privatwirtschaftliche Netzbetreiber, damit diese den Netzausbau voranbringen und stetig leistungsfähigere Anschlüsse schaffen. Diensteanbieter können künftig an der Finanzierung des zusätzlichen Infrastrukturausbaus beteiligt werden, indem sie für kostenpflichtige qualitätsgesicherte Datenübertragungen im Internet bezahlen. Der für mich entscheidende Punkt und die gleichzeitig wesentliche Neuerung der Regelung ist: Spezialdienste dürfen nur bei ausreichender Netzkapazität und nicht als Ersatz für das offene Internet angeboten werden. Diese Verknüpfung ist der wesentliche Kern der Vereinbarung. ({3}) Künftig gilt: Parallel zum offenen Internet sind qualitätsgesicherte Datenübertragungen, sogenannte Spezialdienste, erlaubt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens. Spezialdienste dürfen nur angeboten werden, wenn ein solches Angebot notwendig ist. Zweitens. Spezialdienste dürfen kein Ersatz für einen offenen Internetzugang sein. Drittens. Spezialdienste dürfen nur bei ausreichender Netzkapazität erbracht werden. Viertens. Spezialdienste dürfen die Qualität des Internets nicht beeinträchtigen. Damit werden qualitätsbasierte Dienste erlaubt, ohne dass gleichzeitig andere Dienste und Anwendungen im offenen Internet diskriminiert werden. Auf diese Weise können neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen im Bereich der Spezialdienste entstehen, die den Zugang zum offenen Internet weder verdrängen noch vereiteln. Um es noch einmal klar zu sagen: Es geht nicht darum, dass die Netzbetreiber in Zukunft entscheiden können, welche Inhalte sie transportieren, sondern darum, dass Diensteanbieter in bestimmten Bereichen zusätzliche entgeltliche Leistungen anbieten können. Damit wird es wichtig, dass der Zugang zu diesen Spezialdiensten diskriminierungsfrei für alle Marktteilnehmer ausgestaltet wird, um Markteintrittsschwellen in den qualitätsgesicherten Bereichen so gering wie möglich zu halten. Eine Diskriminierung von Inhalten muss ausgeschlossen bleiben. Um es noch konkreter zu machen: Es gibt eine Reihe von Anwendungen und Diensten, bei denen eine schnelle Übermittlung von Daten elementar ist. Gerade bei innovativen Entwicklungen wie Internet der Dinge oder Industrie 4.0 werden die mobilen Daten dabei von entscheidender Bedeutung sein. Wir wissen, dass wir immer kürzere Latenzzeiten benötigen. Wir brauchen das taktile Internet, Internet ohne Reaktionszeit, damit ferngesteuerte Operationen oder selbstfahrende Autos Realität werden können. ({4}) Wir brauchen zwingend verlässlich hohe Bandbreiten, um Echtzeitnutzung zu ermöglichen. Die dafür notwendige nächste Mobilfunkgeneration heißt 5G. Sie wird gerade entwickelt. Wir kennen heute bereits die Situation, dass beispielsweise Internettelefonie nur dann genutzt wird, wenn die Sprachübermittlung tatsächlich störungsfrei funktioniert. Noch viel bedeutsamer ist das Thema Spezialdienste im Bereich vernetztes Fahren. Als Kommissar Oettinger das Beispiel als Argument für die Notwendigkeit von Spezialdiensten nannte, gab es vor allem im Netz eine Diskussion darüber, ob dies tatsächlich notwendig sei. Hierzu sagt Professor Fitzek vom Lehrstuhl Kommunikationsnetze der TU Dresden und Koordinator des 5G Lab: Die autonomen Autos … wissen nicht, was um der zweiten Ecke passiert, dafür brauchen wir ein zellulares Netz. Und damit auch ein Internet, in dem einzelne wichtige Anwendungen in einem speziellen Netz Vorrang haben. Ohne diese Möglichkeit der qualitätsgesicherten Datenübermittlung wird es nicht gehen. Professor Fitzek hat vor einigen Tagen im Ausschuss Digitale Agenda auch gesagt: Wichtig bei der Netzneutralität ist, dass man Mission-critical und Content unterscheidet, innerhalb dieser Klassen aber unbedingt Neutralität gewahrt bleiben muss. ({5}) Für uns steht fest: Innerhalb bestimmter Diensteklassen muss gleiches Recht für alle gelten. Es darf zum Beispiel im Bereich automatisiertes Fahren keine Vorrechte für einzelne Anbieter geben, und der Zugang zu Spezialdiensten muss diskriminierungsfrei ausgestaltet werden. Große Player dürfen keine Vorteile gegenüber Mittelstand und Gründern haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die formale Verabschiedung durch das Europäische Parlament erfolgte am 27. Oktober. Eine Umsetzung in nationale Gesetze ist nicht erforderlich, da die vorliegende Verordnung ab dem 30. April 2016 unmittelbar in allen Mitgliedstaaten gilt. Worüber jedoch noch zu sprechen sein wird, sind jene Fragen, die bis dahin von der nationalen Regulierungsbehörde zu klären sind. Die Verankerung der Netzneutralität auf europäischer Ebene ist wichtig und der gefundene Kompromiss ein gutes Ergebnis. Mit ihm wird eine jahrelange Diskussion pragmatisch gelöst und erstmals ein Anspruch verankert. Insgesamt wurde ein guter Kompromiss gefunden, der auch durch die klare Positionierung der Bundesregierung in Europa erreicht wurde. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Durz. - Nächster Redner in der Debatte: Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin Notz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004123, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Durz, Sie haben ganz viel von 5G und allen möglichen Dingen erzählt. Es geht aber in dieser Debatte darum, ob der Zugang zum Netz bzw. zum Wissen vom Portemonnaie der Leute abhängt. Das ist die Kernfrage. Daran haben Sie sauber vorbeigeredet. ({0}) Die Netzneutralität ist eine der wichtigsten Fragen oder vielleicht sogar die wichtigste Frage des Internets, der digitalen Welt von morgen. Wir diskutieren das in diesem Haus schon lange; da haben Sie völlig recht. Früher haben Sie noch zusammen mit der FDP zu unseren Anträgen zur gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität immer gesagt: Macht euch keine Sorgen! Das müssen wir nicht machen. Sobald sie gefährdet ist, machen wir ein Gesetz. Nun ist sie gefährdet. Nachdem Sie am Anfang der Wahlperiode großzügig angekündigt haben, den digitaHansjörg Durz len Verbraucherschutz zum Schwerpunkt Ihrer Politik zu machen, sind die Zeiten, als die Große Koalition, die Regierung Merkel oder auch die SPD die Netzneutralität retten wollten, ein für alle Mal vorbei. Das muss man hier einmal festhalten, meine Damen und Herren. ({1}) Herr Ilgen, mit Ihrer Aussage „Da muss man mal gucken“ kommt man nicht weiter. Wenn man nur guckt, dann geschieht das, was jetzt passiert, und das ist schlecht: Sie verramschen die Netzneutralität über den Umweg Europa. Das verbrämen Sie hier heute Abend mit der Aussage, unser Antrag komme Ihnen unpassend. Das glaube ich gern. Aber um die Netzneutralität zu retten, versuchen wir einfach alles. Was Sie hier versuchen, ist peinlich. Sie reden das Problem nämlich klein. ({2}) Mit einer Sache hatten Sie recht, Herr Durz: Die Netzneutralität wurde am 27. Oktober in einem durchsichtigen Deal auf EU-Ebene verramscht. Was machen Sie hier heute allen Ernstes? Sie erzählen, dass es sich hier um den ersten Gesetzentwurf handelt, der die Netzneutralität sichert. Allen Ernstes ein guter Kompromiss, Herr Durz? Ich sage Ihnen: Die Menschen sind nicht dumm. Sie verstehen, dass ein Gesetz, das es den großen TK-Anbietern explizit ermöglicht, Überholspuren im Internet, Diensteklassen und Special Services einzuführen, eben kein Gesetz zur Sicherung der Netzneutralität ist, sondern das Gegenteil, ein Freibrief, der das Tor zu einem Zweiklasseninternet öffnet. Das braucht kein Mensch. ({3}) Was wir brauchen, sind starke Verbraucherrechte und ein Internet, das Informationszugang sichert und Innovationen ermöglicht, statt ohnehin marktmächtige Player weiter zu stärken, wie Sie das tun. Es ist doch offensichtlich: Gerade angesichts immer vorgeschobener Kapazitätsengpässe - als Beispiel nenne ich die Onlineoperation; Herr Durz, sobald Sie sich online im normalen Internet operieren lassen, mache ich das auch - kann eine Priorisierung bestimmter Daten rein sinnlogisch eben nicht ohne die gleichzeitig Diskriminierung anderer Daten einhergehen. Wie sollte es auch anders sein? Immer wenn man bestimmte Daten priorisiert, diskriminiert man andere Daten. Es hat nur einen Tag gebraucht, da hat die Telekom gezeigt, was man plant, nämlich all diejenigen zur Kasse zu bitten, bei denen man es kann. Nun stellen Sie sich hier hin, tun ganz entsetzt und überrascht und ermahnen die Telekom. Das ist bigott. ({4}) Die SPD-Expertin im Europäischen Parlament Petra Kammerevert hat das erkannt. Sie attestiert dem jetzigen Kompromiss Rechtsunklarheit gleich an mehreren Stellen - zu Recht! Sie sagt, der verabschiedete Text ermögliche ein Blockieren des Datenverkehrs. Auch Spezialdienste sind nach dem vorliegenden Text explizit zulässig. Schließlich wird auch das Zero-Rating ermöglicht, das absehbar zu einer weiteren ganz erheblichen Marktkonzentration führt. Das bedeutet die völlige Aufweichung der Netzneutralität. Deswegen haben 22 von 23 deutschen SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament gegen den Entwurf gestimmt, den Sie hier verteidigen; das war konsequent. Dieser Kompromiss, der den großen US-Unternehmen durch Zero-Rating-Verträge in die Hände spielt, hilft uns nicht weiter. Wir haben immer gewarnt, nicht so lange abzuwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Nun liegt es im Brunnen. Uns bleibt allerdings eine allerletzte Chance das klang eben an -: In den nächsten Monaten können Sie gemeinsam mit den nationalen Regulierungsbehörden, die die Einhaltung der Netzneutralität und der Regeln für Verkehrsmanagement überwachen sollen, technische Qualitätskriterien festlegen. Zeigen Sie wenigstens hier, dass Ihnen eines der grundlegendsten Prinzipien eines offenen, demokratischen und innovationsfreundlichen Netzes nicht völlig egal ist. Hierzu fordert Sie unser Antrag noch einmal auf. Ganz herzlichen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Konstantin von Notz. - Der letzte Redner nicht nur in dieser Debatte, sondern auch des heutigen Abends: Lars Klingbeil für die SPD. ({0})

Lars Klingbeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003715, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Möglichkeit, ein weiteres Mal über das wichtige Thema Netzneutralität hier im Parlament zu diskutieren. Konstantin von Notz, vielen Dank für das engagierte Streiten zu später Stunde. Aber ich will dir schon noch ein paar Sachen sagen. Wenn du hier behauptest, die Regierung verramsche die Netzneutralität über den Umweg Europa, dann frage ich mich: Was ist aus den Grünen geworden, die eigentlich für Verhandlungsprozesse in Europa stehen? Das kann man doch nicht aberkennen. Dass das nicht bedeutet, nationale Interessen rigoros durchzusetzen, sondern dass wir mit 28 Staaten in Europa verhandeln und nicht immer zu 100 Prozent das bekommen, was wir wollen, das müsstest du als Grüner doch anerkennen. Das ist in Europa manchmal schwieriger, als es auf nationalstaatlicher Ebene der Fall wäre. ({0}) Das Zweite, was ich sagen will, ist: Schau einmal in den Koalitionsvertrag der Großen Koalition. Darin steht die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität, so wie wir das jetzt in Europa durchgesetzt haben. ({1}) Du weißt, wenn ich alleine hätte entscheiden können, hätte ich das anders gemacht, ({2}) aber es ist im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir in engen Grenzen Spezialdienste zulassen wollen. Man kann der Politik vieles vorwerfen, aber dass man das umsetzt, was im Koalitionsvertrag steht, sollte man der Politik nicht vorwerfen. ({3}) Das hat, glaube ich, auch etwas mit Konsequenz zu tun. ({4}) Wir haben jetzt in Europa die Einigung erzielt. Ohne die deutsche Bundesregierung hätte es keine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität gegeben. Wenn man sich die Gemengelage in Europa anschaut, dann sieht man: Wir hatten genug Staaten in Europa, die keine gesetzliche Verankerung, sondern weiterhin das freie Spiel des Marktes wollten. Es ist gut, dass die Bundesregierung am Ende einen Kompromissvorschlag vorgelegt hat. Herr Oettinger als zuständiger Kommissar hat gesagt, es dürfe Abweichungen von der gesetzlich vorgeschriebenen Netzneutralität geben. Er hat einige Kriterien dafür genannt. Ich will aus einigen Interviews zusammenstellen, was er gesagt hat. ({5}) Er hat gesagt, es müsse eine technische Notwendigkeit dafür geben, er hat gesagt, es müsse ein öffentliches Interesse geben, und er hat gesagt, es müssten vor allem ausreichend Bandbreite und Kapazität vorhanden sein, und das bedeutet wesentlich mehr als 50 Mbit. Jetzt bin ich einmal gespannt, welche Leistung das am Ende überhaupt betreffen wird. Ich rate zu etwas mehr Gelassenheit. Wir haben jetzt die Regelung, und wir werden sehen, wie das Ganze von den nationalen Regulierungsbehörden umgesetzt wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es am Ende sehr wenig Abweichungen von der Netzneutralität geben wird. ({6}) Ich glaube übrigens auch - ein Argument, das wir immer hören -, dass das automatisierte Fahren die Netzneutralität nicht aufbricht. Am Ende will ich eines sagen: Ich glaube, dass der Telekom-Chef der ganzen Debatte einen Bärendienst erwiesen hat. ({7}) Wir alle werden aufmerksam schauen, was da passiert. Herr von Notz, ich will zum Schluss noch sagen: Ich habe gelesen, dass der Kollege Jarzombek sich kritisch geäußert hat. Auch ich habe mich kritisch geäußert. Von den Grünen habe ich zu der Telekom-Debatte nichts gelesen. ({8}) Vielen Dank fürs Zuhören. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, lieber Kollege Lars Klingbeil. - Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Netzneutralität als Voraussetzung für eine gerechte und innovative digitale Gesellschaft effektiv gesetzlich sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6402, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5382 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Zustimmung der CDU/CSU und der SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und den Linken angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes und anderer Gesetze Drucksache 18/5326 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Drucksache 18/6632 Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ist jemand nicht damit einverstanden? - Alle sind einver- standen.1) Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes und anderer Gesetze. Der Ausschuss für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- 1) Anlage 4 che 18/6632, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5326 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben die Grünen, Enthaltung von den Linken. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit Zustimmung der CDU/ CSU und der SPD bei Gegenstimmen von Grünen und Enthaltung von den Linken. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6632 empfiehlt der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. CDU/CSU und SPD waren dafür, Grüne dagegen, Enthaltung von den Linken. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6668. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt: Zustimmung von den Grünen, Gegenstimmen von CDU/CSU und SPD, Enthaltung von der Linken. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Anerkennung von Kriegsdienstverweigerungen erleichtern Drucksache 18/6363 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({1}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. Ist jemand dagegen? - Nein.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6363 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobili- täts-Richtlinie 1) Anlage 5 Drucksache 18/6283 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2}) Drucksache 18/6673 - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6685 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. - Ich sehe, Sie sind einverstanden. Dann machen wir es so.2) Wir kommen damit zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6673, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6283 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/ CSU, SPD und Grüne, keine Gegenstimmen, Enthaltung von den Linken. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit Zustimmung von CDU/ CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung von den Linken. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie Zusatzpunkt 3 auf: 22. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften Drucksache 18/6284 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4}) Drucksache 18/6674 ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({5}) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente auf Grundsicherung im Alter Drucksachen 18/3170, 18/5278 Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden. - Alle sind einverstanden.3) 2) Anlage 6 3) Anlage 7 Vizepräsidentin Claudia Roth Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Vorschriften. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6674, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6284 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linken. Niemand hat dagegengestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. CDU/CSU, SPD waren dafür, niemand war dagegen, enthalten haben sich die Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Zusatzpunkt 3. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5278, den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine Anrechnung von NVA-Verletztenrente auf Grundsicherung im Alter“ auf Drucksache 18/3170 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD. Dagegengestimmt haben die Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Niemand hat sich enthalten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Seearbeitsgesetzes Drucksache 18/6162 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({6}) Drucksache 18/6675 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Alle sind einverstanden. 1) Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlus- sempfehlung auf Drucksache 18/6675, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6162 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - 1) Anlage 8 Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich ({7}) Drucksachen 18/6615, 18/6671 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie ({8}) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Auch hier sind alle einverstanden.2) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 18/6615 und 18/6671 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Damit ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulstatistikgesetzes Drucksache 18/6560 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9}) Innenausschuss Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Auch damit sind Sie einverstanden.3) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6560 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es keine anderen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes Drucksache 18/6487 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur ({10}) Drucksache 18/6669 Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. - Niemand hat etwas dagegen. 4) 2) Anlage 9 3) Anlage 10 4) Anlage 11 Vizepräsidentin Claudia Roth Dann kommen wir zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6669, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/6487 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt hat die Linke. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/ CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dagegengestimmt hat die Linke. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich hoffe, Sie sind jetzt nicht völlig verzweifelt, weil die Sitzung viel früher als geplant aus ist. Sie können sich noch etwas Schönes vornehmen. Es ist ja erst ungefähr Viertel vor zehn. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Genießen Sie den Abend; genießen Sie die freien Stunden. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 13. November 2015, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.