Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich grüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier
im Plenum, ich grüße die Kolleginnen und Kollegen der
Bundesregierung, und ich begrüße recht herzlich unsere
Gäste auf der Tribüne . Die Sitzung ist damit eröffnet .
Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung eine amtliche Mitteilung: Interfraktionell ist vereinbart worden,
den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes
auf Drucksache 18/6487 zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss zu überweisen . Ich gehe davon aus, dass
Sie damit einverstanden sind . - Ich höre und sehe keinen
Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten
Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Onlinenutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des
Verfahrens betreffend die Geräte- und Speichermedienvergütung. - Das war die Überschrift .
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas . - Sie haben das Wort, Herr Minister .
Vielen Dank . - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Autoren, Künstler,
Urheber leben zum einen davon, dass das, was sie schaffen, also ihre Werke, verbreitet wird und ein möglichst
breites Publikum findet. Zum anderen leben sie vor allen Dingen aber auch davon, dass das, was sie schaffen,
entsprechend vergütet wird . Dafür brauchen wir Verwertungsgesellschaften, und diese sind Gegenstand des Gesetzentwurfes, den das Kabinett heute beschlossen hat .
Diese Verwertungsgesellschaften, die es im Übrigen
seit 150 Jahren gibt - da wurden sie in Frankreich erfunden -, ermöglichen den Rechtenutzern den einfachen,
gebündelten Zugang zu den Rechten . Sie sorgen so für
die Verbreitung und die Vermarktung von kreativen Leistungen . Sie kassieren die Vergütung für die Nutzung der
Werke und verteilen dann diese Einnahmen . Sie sind damit in vielen Bereichen der Kulturwirtschaft eine wichtige Grundlage für das individuelle Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern .
Die EU-Richtlinie, die wir mit dem Gesetzentwurf
umsetzen wollen, schafft erstmals die Grundlage dafür, einen unionsweiten Rechtsrahmen für die Tätigkeit
von Verwertungsgesellschaften zu setzen . Wir haben in
Deutschland 13 Verwertungsgesellschaften, die von diesem Gesetz betroffen sind, mit einem Jahresumsatz von
etwa 1 Milliarde Euro . Die größte ist die sicherlich bekannte GEMA, die allein 850 Millionen Euro erlöst .
Mit dem Gesetzentwurf werden die Grundlagen neu
geordnet . Dabei haben wir es ermöglicht, dass die bewährten nationalen Mechanismen beibehalten werden
können . Zum Beispiel gibt es auch weiterhin eine Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften . Das ist etwas, was in anderen Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie erst jetzt eingeführt wird . Wir halten auch daran
fest, dass Verwertungsgesellschaften in Deutschland eine
behördliche Erlaubnis benötigen und dass sie verpflichtet
sind, jedermann zu angemessenen Bedingungen eine Lizenz für Rechte zu geben, die sie wahrnehmen .
Meine Damen und Herren, im Detail bedurfte es umfangreicher Anpassungen, größtenteils aber technischer
Natur, zum Beispiel um die umfangreichen Informations- und Transparenzpflichten von Verwertungsgesellschaften zu definieren. Wegen der Vorgaben in der Richtlinie wird nun vieles, was bisher in den Satzungen dieser
Gesellschaften festgeschrieben wurde, Gegenstand des
Gesetzes .
Mit dem Gesetz machen wir auch das Verfahren zur
Aufstellung der Tarife für die Vergütung von Privatkopien schneller und auch effizienter. Seit Einführung unseres Urheberrechtsgesetzes vor 50 Jahren haben wir in
Deutschland eine sinnvolle Regelung, an der wir festhalten wollen, nämlich die erlaubte, fair vergütete Privatkopie . Verbraucherinnen und Verbraucher sind danach
berechtigt, auch ohne Erlaubnis der Rechteinhaber private Kopien anzufertigen, aus Büchern, von DVDs und
vielem anderen . Dafür erhalten die Kreativen einen Ausgleich, der über die sogenannte Geräte- und Speichermedienvergütung erhoben wird, also im Preis von PCs,
Druckern, USB-Sticks usw . enthalten ist .
Damit dieses Geld zeitnah bei den Kreativen ankommt - das war in der Vergangenheit oftmals problematisch -, brauchen wir ein effizientes und vor allen
Dingen schnelleres Verfahren, als wir es bisher hatten,
insbesondere zur Ermittlung und auch zur Durchsetzung
der entsprechenden Tarife . Auch diese Vorschriften sind
geändert worden. Wir finden, das hilft auch der Geräteindustrie, die bisher oft über viele Jahre Rückstellungen
bilden musste, weil völlig unklar war, wie hoch die Tarife
waren und was dann später bezahlt werden musste .
Damit die Kreativen und andere Rechteinhaber auch
dann an ihr Geld kommen - das war in der Vergangenheit
nicht immer so -, wenn zum Beispiel die Festsetzung der
Tarife länger dauert, sind künftig Sicherheitsleistungen
zur Gewährleistung der urheberrechtlichen Vergütungsansprüche möglich . Diese Sicherheitsleistung kann auf
Antrag von der Schiedsstelle beim Deutschen Patentund Markenamt in München angeordnet werden und
stellt sicher, dass am Zahltag tatsächlich noch das Geld
vorhanden ist, das den Kreativen zusteht . In der Vergangenheit kam es durchaus vor, dass diejenigen, die zahlen
mussten, wirtschaftlich gar nicht mehr existent waren .
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf sieht,
wie wir finden, insgesamt eine sinnvolle Modernisierung
des Rechtes vor, die vor allen Dingen allen zugutekommt:
der Geräteindustrie, der Kulturwirtschaft, aber auch den
Lesern, Hörern und Zuschauern kreativer Leistungen .
Schönen Dank .
Vielen Dank, Heiko Maas . - Jetzt kommen wir zu den
Fragen zum Themenbereich des Berichts . Da hat sich zuerst Dirk Wiese für die SPD gemeldet . Bitte .
Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank für die Ausführungen zum Gesetz zur Umsetzung der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie . Ich hätte zwei Fragen, die darüber hinausgehen, zum weiteren Vorgehen im Bereich
des Urheberrechts:
Erste Frage: Welche weiteren Gesetzentwürfe plant
das BMJV im Bereich des Urheberrechts?
Zweite Frage: Was sind nach Ihrer Kenntnis die Pläne
der EU-Kommission für eine Reform des Urheberrechts?
Die Pläne der Bundesregierung im Bereich des Urheberrechts belaufen sich auf drei Gesetzgebungsvorhaben,
die wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen
wollen; zwei davon haben wir auf den Weg gebracht .
Der erste Gesetzentwurf ist derjenige, der jetzt Gegenstand der Befragung der Bundesregierung ist, also die
Reform des Rechtes der Verwertungsgesellschaften mit
dem dargestellten Inhalt .
Eine zweite Reform werden wir im Urhebervertragsrecht vornehmen . Auch dieses Gesetz liegt bereits in
Form eines Referentenentwurfes vor, befindet sich zurzeit in der Länder- und Verbändeanhörung . Dort geht es
im Wesentlichen darum, die Rechte von Urhebern bei
der Durchsetzung ihres Anspruchs auf eine angemessene
Vergütung zu verbessern . Es soll eine Verbandsklage zur
Durchsetzung dieser Ansprüche eingeführt werden . Es
sollen auch Rückrufrechte eingeführt werden: Nach fünf
Jahren hat ein Urheber die Möglichkeit, sein Werk mit einem neuen Verwerter weiter zu verwerten, der bisherige
Vertreter kann diesen Vertrag aber übernehmen .
Das dritte Gesetzgebungsvorhaben betrifft die Bildungs- und Wissenschaftsschranke, die wir neu und
transparenter definieren wollen. Das haben wir für die
erste Hälfte des nächsten Jahres vorgesehen .
Vielen Dank, Herr Maas . - Nächste Fragestellerin ist
Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen .
Vielen Dank . - Wir hätten uns natürlich gefreut, wenn
uns jetzt der Gesetzentwurf vorläge . Weil das nicht der
Fall ist, können wir uns nur auf den Referentenentwurf
beziehen . Wenn der Gesetzentwurf vorläge, wäre vielleicht auch die eine oder andere Frage hinfällig .
Ich habe eine grundlegende Frage: Welche Regeln gelten eigentlich für europäische Verwertungsgesellschaften, die in Deutschland tätig werden? Wie haben sie zum
Beispiel die Tarife festzusetzen? Gelten dann die deutschen Regeln oder die Regeln des Sitzlandes, in dem die
EU-Richtlinie womöglich ganz anders umgesetzt wird?
Und wie will die Bundesregierung mit den Wettbewerbsnachteilen, die daraus womöglich entstehen, umgehen?
Grundsätzlich gilt für die Verwertungsgesellschaften
das Recht des Landes, in dem sie ihren Sitz haben . Es
wird eine Aufsicht über alle europäischen Verwertungsgesellschaften im jeweiligen Sitzland geschaffen, die dafür sorgen soll, dass das Recht, soweit jetzt harmonisiert,
möglichst einheitlich umgesetzt wird . Die Überwachung
der ausländischen Verwertungsgesellschaften, die nicht
im europäischen Wirtschaftsraum ansässig sind - die gibt
es ja auch -, wird vom Deutschen Patent- und Markenamt vorgenommen werden .
Wenn es nach Auffassung der Aufsichtsbehörde Verstöße gegen die Richtlinie oder gegen das, was gesetzlich daraus folgt, gibt, soll das so ablaufen: Die nationale
Aufsichtsbehörde informiert die Aufsichtsbehörde des
Sitzlandes darüber, dass es entsprechende Verstöße geBundesminister Heiko Maas
geben hat, und fordert sie auf, gegen die Verwertungsgesellschaft vorzugehen .
Vielen Dank . - Nächster Fragesteller: Dr . Fechner für
die SPD .
Herr Minister, ich hätte zwei Fragen zum Thema Privatkopievergütungen .
Zum einen: Könnten Sie erläutern, welche Neuerungen das Gesetz für die Privatkopievergütungen bringt?
Die zweite Frage: Sie sprachen davon, dass der Entwurf des Gesetzes eine Sicherheitsleistung für Ansprüche
auf Privatkopievergütungen vorsieht . Wie sieht das in der
Praxis aus? Wie wird das in der Praxis funktionieren?
In der Praxis soll die Sicherheitsleistung, die entrichtet werden muss, durch die Schiedsstelle beim Deutschen
Patent- und Markenamt in München angeordnet werden
können, und zwar in einem laufenden Hauptsacheverfahren zwischen den Verwertungsgesellschaften und dem
zahlungspflichtigen Unternehmen der Geräteindustrie.
Wir haben uns entschieden, dass eine solche Sicherungsleistung auch in Form von Bankbürgschaften erbracht werden kann, sodass nicht Geldbeträge hinterlegt
werden müssen . Für die Herstellerindustrie ist das sinnvoll, weil die Sicherheitsleistung dann nicht aus liquiden
Mitteln heraus zur Verfügung gestellt werden muss . Ich
glaube, damit ist eine angemessene Regelung gefunden
worden . So wird auch verhindert, dass das entsprechende Unternehmen, wenn die Vergütungen fällig werden,
womöglich nicht mehr greifbar ist, zum Beispiel wegen
einer Insolvenz, was in der Vergangenheit zum Teil der
Fall war . In einem solchen Fall wird auf die Sicherheitsleistung zurückgegriffen .
Das Ganze kann durch das zuständige Oberlandesgericht, wenn es von der Schiedsstelle angeordnet worden
ist, für vollziehbar erklärt werden . Somit ist auch eine
Kontrolle durch die staatliche Gerichtsbarkeit gegeben .
Danke, Herr Minister . - Nächster: Harald Petzold für
die Linke .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Minister, meine
zwei Fragen lauten:
Erstens . Warum wird die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb einer Verwertungsgesellschaft nicht an die Mitgliedschaft und die Gewährung allgemeiner und gleicher
Wahlen geknüpft?
Damit im Verbund steht meine zweite Frage: Sie reproduzieren mit der Regelung, die Sie jetzt vorsehen, die
aus meiner Sicht vordemokratischen Zustände von 1965 .
In dem ursprünglichen Richtlinienentwurf war keine
Zweiklassenmitgliedschaft - einmal stimmberechtigte
Mitglieder und einmal nichtstimmberechtigte Nichtmitglieder - vorgesehen, wie das jetzt vorgesehen ist . Wie
hat die Bundesregierung sich im Verlauf der Entstehung
dieser Richtlinie verhalten? Haben Sie möglicherweise sogar dazu beigetragen, dass es dieses Zwei- oder
Dreiklassenwahlrecht à la GEMA oder Verwertungsgesellschaft WORT, wie es in Deutschland üblich ist, auch
auf der europäischen Ebene geben kann?
Nein . Vielmehr haben wir in den Verhandlungen, die
es auf der europäischen Ebene dazu gegeben hat, insbesondere darauf hingewirkt, dass die von Ihnen beschriebenen Demokratiedefizite, die es hinsichtlich der Mitbestimmung innerhalb von Verwertungsgesellschaften
gegeben hat, behoben werden können . Das wird nach
unserer Auffassung mit dem Gesetzentwurf gewährleistet; denn er enthält eine differenzierte und abgestufte
Kompetenzregelung, die dazu führt, dass in Zukunft alle
Berechtigten gehört werden sollen und auch mitbestimmen können .
Die Verwertungsgesellschaften müssen zum Beispiel
grundsätzlich alle Berechtigten als reguläre Mitglieder
aufnehmen, natürlich nur, soweit sie die weiteren angemessenen Mitgliedschaftsbedingungen erfüllen .
Die Verwertungsgesellschaft hat darüber hinaus angemessenere und wirksamere Verfahren vorzusehen, durch
die auch Nichtmitglieder an allen Entscheidungen mitwirken können .
Und: Werden Ansprüche verschiedener Gruppen von
Berechtigten, also Urheber, ausübende Künstler, Produzenten oder Verleger, innerhalb einer einzigen Verwertungsgesellschaft wahrgenommen - das war nicht nur in
der Vergangenheit der Fall, sondern wird auch in Zukunft
der Fall sein -, so müssen zukünftig alle Gruppen fair
und ausgewogen vertreten sein . Das ist eigentlich eine
Selbstverständlichkeit, aber in der Vergangenheit war das
nicht immer gewährleistet .
Wir haben also entsprechende Vorschriften im Gesetzentwurf vorgesehen, die nach unserer Auffassung
ausreichend sein werden, um dafür zu sorgen, dass die
Demokratiedefizite, die es unbestrittenermaßen in der
Vergangenheit gegeben hat, in Zukunft nicht mehr weiterbestehen .
Vielen Dank . - Nächster Fragesteller: Dr . Heck für die
CDU/CSU .
Herzlichen Dank . - Ich habe zwei Fragen .
Die erste Frage betrifft die Regelungstechnik . Vielleicht könnten Sie uns kurz darlegen - es handelt sich
ja um einen Gesetzentwurf zur Umsetzung einer europäischen Richtlinie -, in welchem Bereich es möglicherweise Abweichungen gibt von dem, was die Richtlinie
vorsieht . Geht das nationale Gesetz an einigen Stellen
eventuell auch darüber hinaus?
Meine zweite Frage: In der beginnenden rechtspolitischen Debatte über das Thema ist ja vernehmbar, dass
es insbesondere zum Thema Sicherheitsleistung sehr unterschiedliche Auffassungen gibt und dass diesbezüglich
verfassungsrechtliche Zweifel bestehen . Wie bewerten
Sie diese?
Zum ersten Teil der Frage: Wir haben uns zunächst
eins zu eins an das gehalten, was die Richtlinie uns vorgegeben hat . Wir haben in den Diskussionen über den
Richtlinienentwurf besonderen Wert darauf gelegt, dass
die Tatbestände, die ich eingangs geschildert habe, also
etwa, dass es eine staatliche Aufsicht gibt - die gab es
bei uns schon immer, die gab es in einigen anderen Mitgliedstaaten bislang nicht -, auf den gesamten Bereich
der Europäischen Union ausgeweitet werden . Weiterhin
wird es, was die Wahrnehmung und den Abschlusszwang
angeht, weiterhin Regelungen geben, wie wir sie auch
schon in der Vergangenheit hatten .
Was die Sicherheitsleistung und möglicherweise vorgetragene verfassungsrechtliche Bedenken angeht: Wir
sind nicht der Auffassung, dass das verfassungsrechtlich problematisch ist; denn den verfassungsmäßigen
Rechten der zahlungspflichtigen Unternehmen stehen
auf der anderen Seite die genauso verfassungsrechtlich
geschützten Interessen der Urheber und Kreativen entgegen, die natürlich ein Recht darauf haben, dass die
Werke, die sie geschaffen haben, angemessen vergütet
werden . Das ist in der Praxis in der Vergangenheit bei der
Privatkopievergütung aufgrund systematischer Defizite
im Verfahren nicht immer möglich gewesen . Deshalb
glauben wir, dass die Sicherheitsleistung, die über eine
Bankbürgschaft abgegeben wird, ein angemessener und
damit auch verfassungsmäßiger Ausgleich ist zwischen
den Interessen der Gerätehersteller und der Urheber hinsichtlich des Rechts auf angemessene Vergütung .
Vielen Dank, Herr Minister . - Nächster Redner:
Dr . Bartke für die SPD .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Minister, ich
habe zwei Fragen zu praktischen Auswirkungen des Gesetzentwurfs .
Die erste ist: Was ändert sich für die Verwertungsgesellschaften in ihrer alltäglichen Praxis?
Die zweite Frage ist: Was ändert sich für die Kunden
von Verwertungsgesellschaften, also beispielsweise für
Diskotheken, Gaststätten, Hotels, Sendeunternehmen
oder Onlinedienste?
Was sich für die Verwertungsgesellschaften in der
alltäglichen Praxis ändert, ist, wie ich glaube, minimal .
Grundsätzlich würde ich sogar sagen, dass sie ihre Tätigkeit in ähnlicher Form weiterführen können, wie das
bisher der Fall gewesen ist . Verfahrensregelnde Bestimmungen standen früher in der Satzung von Verwertungsgesellschaften, sie sind jetzt Bestandteil des Gesetzes
geworden . Deshalb glaube ich, dass die deutschen Verwertungsgesellschaften nach Inkrafttreten des Gesetzentwurfes und der Anpassungsphase ihre Tätigkeit in
ähnlicher Form fortführen können, ohne dass es zu
grundsätzlichen oder größeren Veränderungen im Vergleich zu früher kommt . Bei Verwertungsgesellschaften
in anderen europäischen Mitgliedstaaten werden die Veränderungen deutlich größer sein .
Zur Frage nach den Kunden von Verwertungsgesellschaften, also Hotels, Diskotheken, Sendeunternehmen
oder Onlinedienste: Auch hier wird es, wie ich glaube,
grundsätzlich bei den bewährten Mechanismen bleiben .
Daneben schaffen allerdings die umfänglichen Informations- und Berichtspflichten, die in diesem Gesetzentwurf verankert sind, künftig mehr Transparenz, auch
zugunsten der Nutzer . Wir greifen zudem eine Forderung
aus der Veranstaltungs- und Gastronomiebranche auf;
denn Verwertungsgesellschaften sind hiernach zukünftig verpflichtet, gemeinsam einen Gesamtvertrag abzuschließen, wenn eine Nutzung die Rechte von mehr als
einer Verwertungsgesellschaft erfordert . Das ist in der
Vergangenheit ein Problem gewesen und hat teilweise
zu unerfreulichen Entwicklungen geführt . Das wird beispielsweise die Lizenzierung bei der Wiedergabe von
Fernsehprogrammen in Gaststätten deutliche vereinfachen . Auch das ist ein Thema gewesen, das ungelöst im
Raum stand .
Darf ich alle Beteiligten bitte an die Eine-MinuteRegelung erinnern? - Renate Künast ist die Nächste .
Danke sehr . - Ich will an den Teil Ihrer Antwort gerade eben anschließen, Herr Minister, in dem Sie gesagt
haben, dass die Verwertungsgesellschaften ihre Arbeit
eigentlich grundsätzlich ohne große Veränderungen im
Vergleich zu früher fortführen können . Wenn das so ist,
verstehe ich aber nicht, warum zumindest im Referentenentwurf - den anderen kennen wir ja nicht; wir befragen Sie ja zu etwas, das wir nicht kennen - noch stand,
dass den Verwertungsgesellschaften ein einmaliger Umstellungsaufwand in Höhe von 1,4 Millionen Euro und
laufende Kosten in Höhe von jährlich 183 600 Euro entstehen . Das passt meines Erachtens nicht dazu, dass Sie
sagen: Es gibt im Vergleich zu früher eigentlich keine
großartige Veränderung . - Das sind ja die Kosten, die
durch Umstellung auf elektronische Kommunikation,
aufgrund des Kontrahierungszwangs usw . entstehen und
die meines Erachtens schon ziemlich niedrig angesetzt
sind .
Zweitens eine Frage zum Punkt „alternative Verwertungsgesellschaften“ . Es ist ja wie im wirklichen Leben: Es gründen sich auch einmal neue . Ich frage Sie:
Haben Sie eigentlich an der Stelle zum Beispiel mit der
GEMA-Alternative Gespräche geführt? Haben Sie geregelt, dass in Zukunft auch Genossenschaften möglich
sein können und dass die zum Beispiel auch an empirische Untersuchungen zur Aufstellung von Tarifen herankommen?
Zu Letzterem: Diese Gespräche mit der GEMA oder
anderen Verwertungsgesellschaften haben wir in der
Form nicht geführt, weil letztlich die Entwicklung und
auch das Marktgeschehen zeigen müssen, welche neuen
Formen von Verwertungsgesellschaften entstehen .
({0})
Das ist letztlich nicht unsere Aufgabe . Wir setzen lediglich den rechtlichen Rahmen, in dem Verwertungsgesellschaften gegründet werden können, und wir sind der
Auffassung, dass mit dem Rahmen, den wir gesetzt haben, durchaus auch alternative Verwertungsgesellschaften möglich sind . Wir können allerdings nicht noch die
Gründung solcher Gesellschaften in irgendeiner Weise
unterstützen . Das muss das Marktgeschehen selber ergeben .
Kosten entstehen natürlich durch mehr Transparenzund Informationspflichten, die in diesem Gesetzentwurf
vorgesehen sind, oder etwa auch dort, wo man neue
Wege einschlagen will, etwa bei der Onlinelizenzierung
von Musik . Das wird im Übrigen auch zu mehr Wettbewerb führen . Nach der Richtlinie sollen zum Beispiel
Lizenz- und Verarbeitungszentren entstehen, die die erforderlichen Urheberrechte für Streamingdienste, also
beispielsweise für Spotify oder Apple Music, europaweit
lizenzieren . Das ist sicherlich neu und wird mehr Aufwand bedeuten . Das wird auch zu Kosten führen, aber zu
vertretbaren, wie wir finden.
Vielen Dank . - Nächster ist Siggi Ehrmann für die
SPD .
Herr Minister, die Verwertungsgesellschaften-Richtlinie fordert mehr Transparenz . Der Gesetzentwurf geht
darauf ein und sorgt für mehr Transparenz . Das Äquivalent zu der Transparenz in den mitgliedschaftlich organisierten Verwertungsgesellschaften ist die Staatsaufsicht .
Gibt es durch den Gesetzentwurf dort auch ein qualitatives Mehr? Denn die Wirksamkeit der Staatsaufsicht,
insbesondere des Deutschen Patent- und Markenamtes,
ist in der Vergangenheit gelegentlich nicht ohne Kritik
geblieben .
Ein zweiter Punkt . Uns ist natürlich wichtig, dass die
Verwertung geistigen Eigentums auch zu entsprechenden
Erträgen führt . Könnten Sie vielleicht noch einmal kurz
zusammenfassen, wo das qualitative Mehr insbesondere
für die Künstlerinnen und Künstler in den unterschiedlichen Genres durch den Gesetzentwurf initiiert wird?
Was die Verbesserung der Aufsicht angeht, ist zu
sagen: Wir haben die Staatsaufsicht, die in Deutschland beim Deutschen Patent- und Markenamt liegt, in
den vergangenen Jahren ohnehin schon personell und
organisatorisch deutlich gestärkt . Das wird nach unserer Auffassung Schritt für Schritt dazu führen, dass die
Behörde der Aufsicht und den Aufsichtspflichten sowie
den Verfahren, die es immer wieder geben wird, besser
Rechnung tragen kann . Der Gesetzentwurf passt nun im
Wesentlichen das Recht der Staatsaufsicht über die Verwertungsgesellschaften an die von der Verwertungsgesellschaften-Richtlinie vorgesehene unionsweite Zusammenarbeit aller europäischen Aufsichtsbehörden in den
Mitgliedstaaten an . Deshalb ist das zwar nicht der letzte
Schritt, um die Aufsicht zu verbessern, aber es wird eine
größere Harmonisierung in Europa erreicht . Und national
haben wir durch personelle und organisatorische Verstärkungen beim DPMA in München bereits Vorkehrungen
getroffen, damit wir dem auch gerecht werden können .
Christian Flisek, bitte .
Danke, Frau Präsidentin . - Herr Bundesminister
Maas, die Verwertungsgesellschaften fördern bislang
auch kulturell bedeutsame Leistungen; sie können sich
auch sozial engagieren . Zu erwähnen ist zum Beispiel
die GEMA-Sozialkasse . Meine erste Frage ist: Wird das
nach der Umsetzung der Richtlinie durch den vorliegenden Gesetzentwurf auch in Zukunft möglich sein?
Dann haben Sie ja bereits den wichtigen Bereich der
Online-Musiklizenzen angesprochen und darauf hingewiesen, dass man laut Richtlinie europaweit einen Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften wünscht .
Wie ist denn sichergestellt, dass die starken deutschen
Verwertungsgesellschaften in diesem Bereich, namentlich die GEMA, auch auf vergleichbare Wettbewerbsverhältnisse - Stichwort „level playing field“ - stoßen?
Die Frage, ob Verwertungsgesellschaften auch künftig kulturell bedeutsame Leistungen erbringen können Sie haben die Sozialkassen angesprochen; es gibt aber
auch darüber hinausgehende soziale Zwecke -, ist bei
der Diskussion über die Verwertungsgesellschaft auf europäischer Ebene sehr umstritten gewesen, weil man ein
solches System in anderen Staaten nicht kennt . Uns ist
das allerdings außerordentlich wichtig gewesen . Deshalb
ist es auch gelungen, diesen Aspekt in der Richtlinie zu
verankern . Wie bisher sollen Verwertungsgesellschaften
also auch künftig kulturelle und soziale Zwecke verfolgen können .
Bei der Förderung kulturell bedeutender Werke verschaffen wir den Verwertungsgesellschaften sogar noch
zusätzliche Freiräume . Das heißt, im Ergebnis unterstreicht der Gesetzentwurf damit die besondere Bedeutung des Umstands - dies ist uns wirklich außerordentlich wichtig -, dass die Verwertungsgesellschaften über
ihren wirtschaftlichen Zweck hinaus auch einen besonderen kulturellen Auftrag haben .
Vielen Dank . - Petra Pau ist die Nächste .
Danke schön . - Herr Minister, ich möchte noch einmal
an die Frage des Kollegen Ehrmann anschließen; es kann
sein, dass ich einen Teil der Antwort eben überhört habe .
Es geht um den Stellenaufwuchs von voraussichtlich
fünf Mitarbeitern, der in der Abteilung „Staatsaufsicht
über die Verwertungsgesellschaften“ vorgesehen ist . Im
Gesetzentwurf wird ja als Zweck ausgewiesen, dass es
darum geht, die neu hinzukommenden Aufgabengebiete
damit abzudecken . Für mich stellt sich noch die Frage,
welche Maßnahmen - wenn nicht Personal - vorgesehen
sind, um auch die langen Bearbeitungs- und Verfahrenszeiten, die ja bekannte Probleme sind, an dieser Stelle zu
beseitigen?
Nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind
wir schon der Auffassung, dass es ohne ein Mehr an Personal nicht gehen wird; das ist im Ergebnis das A und O .
Deshalb sehen wir in dem, was wir dort vorgesehen haben - ich habe eben darauf hingewiesen -, einen ersten
Schritt, um die Staatsaufsicht zu verbessern und die Erfüllung der Aufgaben, die es gibt, besser zu ermöglichen .
Aber auch die Aufgaben, die neu dazukommen, wird
man besser erledigen können .
Wir werden das natürlich weiterhin beobachten . Sollte
sich aufgrund der Umsetzung des Gesetzentwurfes oder
der Anwendung des Gesetzes später weiterer personeller
oder auch organisatorischer Anpassungsbedarf ergeben,
haben wir uns vorbehalten, darauf dann erneut zu reagieren . Wir glauben aber, dass wir mit dem, was wir bisher
vorgesehen haben, auch personell, zunächst einmal in
der Lage sind, den abschätzbaren Aufwand und Mehraufwand, der entsteht, zu bewältigen .
Nächste Fragestellerin: Elisabeth WinkelmeierBecker für die CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Minister, ich hätte noch eine Frage zu dem Schiedsverfahren, in dessen Rahmen über die
Gerätevergütung entschieden werden soll . Welche Voraussetzungen werden an das Verfahren angelegt, einerseits im Hinblick auf den Ablauf, andererseits in Bezug
auf die Kriterien, nach denen die Schiedsstelle dann entscheiden soll?
An den Kriterien wird sich wesentlich nicht so viel
verändern . Es wird letztlich um die Frage gehen, dass
auf der Basis empirisch erstellter Gutachten, die man
braucht, um abschätzen zu können, wie sich die wirtschaftliche Situation entwickelt, die urheberrechtlichen
Vergütungen festgesetzt werden .
Wichtig für uns ist, dass wir mit der Sicherheitsleistung dafür Sorge getragen haben, dass die Beträge auch
zur Verfügung stehen, wenn die Vergütung ansteht . In der
Vergangenheit sind die Verhandlungen nämlich schon
daran gescheitert, dass Bereitschaft bestand, in ernsthafte Verhandlungen zu treten. Häufig haben über viele
Jahre überhaupt keine Verhandlungen stattgefunden . Ich
glaube, das ist jetzt durch den Verzicht auf obligatorische
Verhandlungen besser geregelt . Mit der Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft stehen ergänzend Beträge zur Verfügung, die später auch abgerufen werden
können .
An den Kriterien als solchen wird sich im Vergleich
zum Referentenentwurf nicht viel ändern . Das Verfahren wird beschleunigt werden, und mit der Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft werden die entsprechenden Beträge zur Verfügung stehen, wodurch
verhindert wird, dass durch das Abhandenkommen eines
Geräteherstellers plötzlich kein Schuldner mehr vorhanden ist .
Danke, Heiko Maas . - Zu diesem Bericht aus dem Kabinett haben sich noch drei Fragestellerinnen und -steller
zu Wort gemeldet . Tabea Rößner fängt an .
Vielen Dank . - Herr Maas, Sie haben eben gesagt,
dass der Bundesregierung die Förderung von Kultur
besonders wichtig ist . Deshalb verstehe ich eines nicht:
In der EU-Richtlinie steht, dass es eine Abgabe für kulturelle und soziale Zwecke geben soll . Das ist also eine
Sollvorschrift . Im Referentenentwurf war dies nur eine
Kannvorschrift . Das heißt, Sie haben das nicht eins zu
eins umgesetzt . Meine Frage: Wie ist das jetzt im Gesetzentwurf geregelt, und warum haben Sie keine Sollvorschrift daraus gemacht?
Zudem fordern die Verwaltungsgesellschaften einen
One-Stop-Shop, weil das hinsichtlich der Lizenzierungen einfacher ist . Sie sind dann schneller europaweit
möglich. Auch dies findet sich nicht im Referentenentwurf . Haben Sie das in den Gesetzentwurf aufgenommen
und, wenn nicht, warum nicht?
Weil wir bei all den Veränderungen, die wir in Umsetzung der Richtlinie in dem Gesetzentwurf vorgesehen
haben, insbesondere nicht auf das Bekannte, das wir als
bewährt empfinden, verzichten wollen. Das ist, glaube
ich, ein wesentlicher Teil des Verfahrens . Es geht darum,
wie Verwertungsgesellschaften bei uns arbeiten, welche
Rechte sie wahrnehmen müssen und welche Abschlüsse sie tätigen müssen . Deshalb wollen wir kein komplett
neues System schaffen, sondern uns auf der Basis des
Bisherigen bewegen .
Uns war es bei den Verhandlungen in der EU wichtig, dass die Förderung kulturell bedeutsamer Leistungen
weiterhin möglich ist . Bei den Diskussionen, die es auf
europäischer Ebene darüber gegeben hat, hörte sich das
ganz anders an . Deshalb haben wir uns für die Formulierung entschieden, die jetzt auch im Gesetzentwurf steht .
Vielen Dank, Heiko Maas . - Harald Petzold .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Minister, wenn
ich es richtig verstanden habe, bleibt bei Ihnen die Staatsaufsicht auf das Patent- und Markenamt beschränkt, das
hier eine passive Rolle spielen soll . Warum folgen Sie
in Ihrem Entwurf nicht den Empfehlungen der Enquete-Kommissionen „Kultur in Deutschland“ und „Internet und digitale Gesellschaft“, die ja etwas ganz anderes
empfohlen haben, nämlich, die Kontrolltätigkeit nicht
auf eine passive Evidenzkontrolle zu beschränken?
Zum Zweiten würde ich von Ihnen gerne wissen, warum Sie davon ausgehen, dass es aufgrund der Neuregelung der Geräte- und Speichermedienvergütung zu einem
Rückgang der Anzahl der Streitverfahren kommen wird .
Wir haben uns dafür entschieden, die Aufsicht so zu
belassen, wie sie ist, weil wir der Auffassung sind, dass
sie funktioniert .
({0})
Eine komplette Umstellung auf andere Aufsichtsmechanismen ist nach unserer Auffassung weder geboten noch
notwendig . Die Probleme, die es in der Vergangenheit
gegeben hat, hatten in erster Linie damit zu tun, dass man
an der aufsichtführenden Stelle, beim Deutschen Patentund Markenamt in München, mit dem Personal und der
Organisation, die dafür zur Verfügung standen, nur sehr
bedingt in der Lage gewesen ist, die Verfahren, die es
dort gibt, zu bearbeiten und zu entscheiden .
Wir wollten das System allerdings nicht grundsätzlich
umstellen, weil wir der Auffassung sind, dass die vorhandenen Mechanismen - wie die Verwertungsgesellschaften arbeiten, was sie tun müssen, was sie wahrnehmen,
was sie abschließen müssen - durchaus geeignet sind,
auch für die Zukunft, wenn es darum geht, die Vergütung
für Werke an die Urheber auszuzahlen . Deshalb haben
wir uns bei der Form der Aufsicht, die Sie als passive
Aufsicht bezeichnen, dafür entschieden, dies grundsätzlich beizubehalten .
Ob und in welcher Form es weniger Verfahren gibt,
wird sich sicherlich noch zeigen . Uns ist wichtig gewesen, die Verfahren überhaupt einmal zu vereinfachen, zu
verkürzen, effizienter zu gestalten und mit der Sicherheitsleistung eine im wahrsten Sinne des Wortes vorhandene Sicherung belastbar zu schaffen .
Danke, Heiko Maas . - Letzte Fragestellerin zum Bericht ist Renate Künast .
Danke, Frau Präsidentin . - Ich bin, ehrlich gesagt,
ziemlich verwirrt über die Art und Weise dieser Regierungsbefragung und über die Antworten . Ehrlich gesagt,
verstehe ich kein Wort, Herr Minister . Sie haben gesagt,
die Kultur sei Ihnen außerordentlich wichtig . Auf die
Frage von Frau Rößner sagten Sie jedoch, dass dort ein
„Kann“ steht . Entschuldigen Sie, wenn es Ihnen doch außerordentlich wichtig ist, dann frage ich Sie, warum aus
einem „Soll“ ein „Kann“ wird
({0})
und das zu einem Fördertatbestand für ausländische Verwertungsgesellschaften wird, die das vielleicht nicht machen, weil sie kein Interesse an Kulturförderung haben .
Auf meine Frage, ob Genossenschaften weiterhin zulässig seien, haben Sie gesagt, Sie wollten kein Förderprogramm für Genossenschaften machen . Danach hatte
ich nicht gefragt .
({1})
Ich habe gefragt, ob die Genossenschaften, die in Gründung sind, danach zulässig sind .
Vielleicht versuchen wir es mit einer neuen Frage . Bezüglich § 19 des Gesetzentwurfs - Durchführung der Mitgliederhauptversammlung; Vertretung - sagen Sie, dieser
müsste am Ende so geregelt sein, dass man ohne Anwesenheit der Mitglieder vor Ort eine Mitgliederhauptversammlung durchführen kann . Ich möchte wissen, ob diese Regeln genau den Regeln im Aktienrecht entsprechen,
ob Sie Risiken des Missbrauchs und Ähnliches gesehen
haben und wie Sie die ausgeschlossen haben .
Herr Minister, bitte .
Ob diese Regeln exakt denen im Aktienrecht entsprechen, kann ich Ihnen jetzt nicht abschließend sagen . Ich
bin gerne bereit, die Antwort nachzuliefern .
Ich frage Sie, ob es Fragen zu anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung gibt . - Ich höre, dass sich Herr
Beck zur dritten Fragerunde, nämlich zu Fragen von
sonstigem Interesse an die Bundesregierung, zu Wort gemeldet hat . - Volker Beck, bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ich möchte eine
Frage stellen - vielleicht war es auch Gegenstand der
Kabinettssitzung; ich weiß es nicht - zum Tohuwabohu
in der Flüchtlingspolitik in der letzten Woche, wo der
Troublemaker de Maizière nach der Einigung der Parteivorsitzenden für einige Unruhe gesorgt hat . Wir haben dies auch im Innenausschuss gerade kurz erörtert .
Der zuständige Staatssekretär, Herr Schröder, sagte uns,
dass in der 43 . Kalenderwoche, also zwischen 19 . Oktober und 25 . Oktober, ein Gespräch des zuständigen
Abteilungsleiters des Bundesinnenministeriums mit dem
Vizepräsidenten des BAMF - das ja keinen Präsidenten
mehr hat - stattgefunden hat mit der Zielrichtung, Asylverfahren von syrischen Flüchtlingen in Zukunft anders
zu behandeln als bisher . Nun möchte ich wissen: Wann
wurden welche Stellen in der Bundesregierung über die
Tatsache dieses Gesprächs und das Ziel dieses Gesprächs
informiert, namentlich Stellen im Bundesjustizministerium und Stellen im Bundeskanzleramt?
Vielen Dank, Herr Beck . - Herr Maas, bitte .
Diese Frage kann ich nur bedingt beantworten, weil
ich nicht für alle Ministerien sprechen kann . Ich kann lediglich darauf hinweisen, dass wir zusammen mit dem
Bundesinnenministerium sehr früh der Auffassung gewesen sind, dass die Aussetzung von rechtlichen Grundlagen auf europäischer Ebene stückweise wieder zurückgeführt werden muss, das heißt, dass europäisches Recht
wieder angewandt werden muss . Das gilt auch für die
Dublin-III-Verordnung . Insofern sind wir immer gleicher
Auffassung gewesen, dass der Zeitpunkt kommen wird,
zu dem die Verfahren anders behandelt werden müssen .
Sie sprechen die Anwendung von Dublin III für die syrischen Flüchtlinge an .
({0})
- Das kann ich nicht beurteilen, weil ich weder in der
Sitzung des Innenausschusses gewesen bin noch diese
Gespräche geführt habe .
({1})
Jetzt hat Volker Beck eine Nachfrage .
Es ging ja darum, dass der Bundesinnenminister erklärt hat, er strebe an, dass für syrische Flüchtlinge in Zukunft nur noch subsidiärer Schutz mit den Folgen beim
Familiennachzug, die in dem Papier der Parteivorsitzenden beschrieben sind, erteilt wird und damit die schriftlichen Verfahren für die Zukunft entfallen . Der Bundeskanzleramtschef hat gegenüber der Presse erklärt, ihm
sei dieser Vorstoß nicht bekannt .
Deshalb frage ich Sie noch einmal: Wann wurde welche Stelle im Bundeskanzleramt von diesem beabsichtigten Vorstoß des Bundesinnenministers in Form des
Gespräches zwischen Abteilungsleiter und Vizepräsident
des BAMF unterrichtet? Da das letzte Woche öffentlich
umfangreich erörtert wurde, erwarte ich, dass ein Mitglied der Bundesregierung, vielleicht auch jemand vom
Kanzleramt, sagen kann, wann das Kanzleramt damit befasst war .
Dann würde ich Herrn Braun bitten, die Frage zu beantworten .
Herr Braun, vielleicht können Sie die Frage beantworten .
Lieber Herr Kollege Beck, wie Sie wissen, sind die
Gespräche zwischen den drei Parteivorsitzenden, mit
der Bundeskanzlerin und auch mit dem Chef des Bundeskanzleramts, am Donnerstag in dem Geiste geführt
worden, dass sehr wohl über die Frage diskutiert wurde,
wie man zukünftig verfährt - ganz in dem Sinne, wie es
der Justizminister eben gesagt hat -, dass aber natürlich
Grundlage dieser Vereinbarung war, dass sich zunächst
nichts ändert . Deshalb war es wichtig, dass der Bundesinnenminister am Freitag nach den Irritationen deutlich
gemacht hat, dass sich an der Verfahrensweise im Augenblick noch nichts ändert, sondern dass jetzt in einer
Diskussion der Innenminister untereinander geklärt wird,
wann und in welchem Umfang anders verfahren wird als
bisher .
({0})
Danke schön . - Nächste Fragestellerin: Katja Keul .
Vielen Dank . - Ich habe eine Frage zu einem anderen
Bereich . Ich möchte gerne wissen, wie die Bundesregierung damit umzugehen gedenkt, dass nach neuesten
Erkenntnissen der Bundesnachrichtendienst deutsche
Staatsbürger, namentlich auch deutsche Diplomaten, jenseits dessen, was das Kontrollgremium erlaubt, abgehört
hat . Vor allen Dingen auch an Sie als Justizminister: Was
wird es für rechtliche oder strafrechtliche Konsequenzen
geben? Selbst wenn diese Praxis inzwischen eingestellt
sein sollte, bleibt immer noch die Frage: Soll das konsequenzlos bleiben, oder wie ist das einzuordnen?
Herr Maas, bitte .
Das kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, weil auch ich davon in der Form erst heute Morgen
aus der Presse erfahren habe . Es ist auch nicht meine
Aufgabe, zu klären, inwieweit das strafrechtlich verfolgt
wird . Das werden die zuständigen Behörden zu klären
haben .
Sie wissen, dass es innerhalb der Bundesregierung
und innerhalb der Regierungsfraktionen seit längerem
eine Diskussion darüber gibt, die rechtlichen Grundlagen
für die Arbeit des BND zu reformieren . Ich gehe davon
aus, dass dabei auch solche Vorfälle eine nicht unerhebliche Rolle spielen werden .
Nächste Fragestellerin: Frau Haßelmann, bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ich möchte noch
einmal zum Fragekomplex „Schutzstatus für syrische
Flüchtlinge“ zurückkommen . Mir ist egal, ob Herr Maas
oder das Kanzleramt antwortet; aber da sich meine Frage
an das Kanzleramt richtet, wahrscheinlich am besten das
Kanzleramt .
Ich möchte Bezug auf die Frage von Herrn Beck nehmen . Ich frage Sie, Herr Braun: Wann hat das Kanzleramt von der vorhin genannten Regelung, die in dem Gespräch zwischen Vertretern des Innenministeriums und
des BAMF getroffen wurde, erfahren? Diese Frage ist
ganz einfach und überschaubar . Ich will nur das Datum
wissen .
Das Ergebnis unserer Gespräche am Freitag war, dass
es zum jetzigen Zeitpunkt keine Veränderung der Regelung gibt, sondern dass wir den bisherigen Verfahrensstatus beibehalten
({0})
und über mögliche zukünftige tatsächliche Änderungen
im Kreise der Innenminister gesprochen wird .
({1})
Die Kollegin, wenn ich das erwähnen darf, hat aber
nach einem Datum gefragt, Herr Braun .
({0})
Können Sie das mitteilen?
Ich habe ja gerade deutlich gemacht, dass sozusagen
die Grundlage für das Datum nicht gegeben ist, weil wir
zum jetzigen Zeitpunkt keine Veränderung des Verfahrens haben .
({0})
Dann hat Herr Beck noch eine Frage .
Geschätzter Herr Kollege Braun, ein Mitglied der
Bundesregierung, das auch Mitglied des Hohen Hauses
ist, sagt dann die Unwahrheit . Das Innenministerium hat
gerade im Innenausschuss erklärt, das Bundeskanzleramt
sei über das Gespräch in der 43 . Kalenderwoche zwischen
dem Abteilungsleiter des Innenministeriums und dem Vizepräsidenten des BAMF informiert gewesen, in dem das
Ziel verfolgt wurde, die Regeln für syrische Flüchtlinge
wieder auf den Status quo ante und zusätzlich die entsprechenden Beschränkungen beim Familiennachzug zurückzuführen . Dieses Gespräch ging dem 4 . November
und der Einigung der drei Parteivorsitzenden voraus . Das
Innenministerium behauptet, in verschiedenen Gremiensitzungen sei das Bundeskanzleramt über das Gespräch
und das Gesprächsziel informiert gewesen . Jetzt sagen
Sie mir: Waren Sie als Bundeskanzleramt über das Gespräch und das Gesprächsziel informiert? Dann sagen Sie
bitte, wann . Oder sagen Sie, das Innenministerium lügt?
Herr Braun .
Lieber Herr Beck, ich will es noch einmal sehr deutlich machen: Wir haben am Donnerstag die Gespräche
der Parteivorsitzenden auf der klaren Grundlage geführt,
dass sich am derzeitigen Verfahren nichts ändert, und am
Freitag ist genau das mit dem Innenministerium klargestellt worden .
Waren Sie über dieses Gespräch, das ja eine Realität
ist, informiert oder nicht? Unabhängig davon, was Sie
später vereinbart haben: Waren Sie als BundeskanzlerKatja Keul
amt über das Gespräch in der 43 . Kalenderwoche mit
diesem Gesprächsziel informiert?
({0})
Wir haben hier auch gerade, im Kontext der Bundesregierung jedenfalls, festgestellt, dass die Darstellung, die
Sie hier wie auch im nichtöffentlichen Ausschuss liefern,
dass möglicherweise die Bundesregierung sich eingelassen hätte, nicht zutreffend ist .
Seien Sie sich sicher: Ich kenne die Regeln der Regierungsbefragung . Das ist kein Verhör, sondern eine Regierungsbefragung, und Herr Beck hatte das Wort .
({0})
- Sie müssen mich nicht dazu auffordern, dass ich in die
Geschäftsordnung hineinschaue, Herr Grund . Sie ist mir
bekannt .
({1})
Ich erteile das Wort, und Herr Beck hatte das Wort, sehr
verehrter, liebenswerter Herr Grund . - Und jetzt hat Frau
Haßelmann das Wort .
Wir können gerne noch einmal über die Abläufe der
Regierungsbefragung reden . Für mich zeigt das nur, dass
bei der Union die Nerven blank liegen . Denn es ist doch
vollkommen klar, Herr Geschäftsführer: Wenn wir Kritik
am Präsidium haben, dann äußern wir das im Ältestenrat .
({0})
Wenn Sie irgendetwas zu beanstanden haben, dann melden Sie sich im Ältestenrat .
({1})
Aber es ist nicht Aufgabe des Parlamentes, Belehrungen
an das Präsidium zu richten . Darüber besteht großes Einvernehmen, egal wer präsidiert . - Punkt eins .
Punkt zwei . Meine Frage richtet sich wiederum an
Herrn Braun, weil die Frage bisher nicht beantwortet ist .
Deshalb geht es hier nicht um ein Verhör, sondern um
das Recht von Parlamentarierinnen und Parlamentariern,
Fragen zu stellen . Das müssen Sie schon aushalten können .
({2})
Die Frage war ganz präzise; es wurde nicht nach der
Innenministerkonferenz und auch nicht nach dem Koalitionsgipfel gefragt . Das interessiert weder Herrn Beck
noch mich . Uns interessiert vielmehr, wann die Verabredungen, die zwischen Innenministerium und BAMF
getroffen wurden und im Innenausschuss dargestellt
wurden, dem Bundeskanzleramt mitgeteilt worden sind .
Ob Sie in diese Gespräche einbezogen waren, wäre noch
eine Ergänzungsfrage .
Herr Braun, bitte .
Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir als
Bundeskanzleramt natürlich zu jedem Zeitpunkt im engen Austausch mit dem Bundesinnenministerium gestanden haben, dass wir in all unseren Gesprächen auch
immer darüber gesprochen haben, ob mögliche Veränderungen beim Vorgehen im BAMF sinnvoll sind, dass ich
Ihnen aber nichts, auch kein Datum, zu der Frage einer
konkret stattgefundenen Veränderung nennen kann, weil
der Bundesinnenminister am Freitag auch klargestellt
hat, dass sich am Status nichts verändert hat .
Vielen Dank . - Dann beenden wir an dieser Stelle die
Regierungsbefragung . Vielen Dank, Herr Minister Maas
und auch Herr Braun .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/6602
Die Fragestunde soll bis spätestens 15 Uhr dauern, weil
die Fraktionen vereinbart haben, dass wir um 15 .05 Uhr
mit dem nächsten Tagesordnungspunkt beginnen .
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur .
Herr Barthle ist als Vertreter des Ministeriums anwesend .
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Stephan Kühn
auf:
Welche Mängel sieht die Bundesregierung bei den bisherigen behördlichen Kontrollmechanismen zur Einhaltung der
Schadstoffgrenzwerte für Pkw?
Herr Barthle, bitte .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Lieber Herr Kollege
Kühn, ich möchte Ihre Fragen 1 und 2 wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantworten .
Volker Beck ({0})
Dann rufe ich auch die Frage 2 des Abgeordneten
Stephan Kühn auf:
Wie will die Bundesregierung als Konsequenz aus dem
VW-Skandal die behördlichen Kontrollen der Einhaltung von
Schadstoffgrenzwerten verbessern?
Nach Abschluss der Sachverhaltsaufklärung im VWFall und nach Vorliegen aller Erkenntnisse wird entschieden, ob und welcher Handlungsbedarf bei der Anpassung
der internationalen, der europäischen und der nationalen
Vorschriften besteht .
Herr Kühn, bitte .
Das ist interessant, was Sie da sagen, Herr Staatssekretär . Die EU-Kommission scheint hier weiter zu sein;
denn sie hat festgestellt, dass das bisherige Kontroll- und
Prüfregime offensichtlich mangelhaft war, und will deshalb die nationalen Behörden kontrollieren bzw . überprüfen . Ist das nicht Anlass für die Bundesregierung, nun
entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen? Es ist doch
für die Frage, ob die Prüfungen wirksam oder unwirksam
sind, nicht mehr erheblich, ob weitere Manipulationen an
den Abgas- bzw . CO2-Werten festgestellt werden . Das
Problem besteht doch darin, dass das bisherige Prüfsystem, also die Arbeit des Kraftfahrt-Bundesamtes, nicht
dazu geführt hat, dass diese Manipulationen bekannt
wurden . Also waren die bisherigen Überprüfungen und
das bestehende Genehmigungsverfahren offensichtlich
nicht wirksam . Wie viele manipulierte Fahrzeuge soll es
denn noch geben, bevor Sie endlich anfangen, zu hinterfragen, ob das bisherige System auch in Zukunft so
bleiben kann?
Herr Barthle, bitte .
Herr Kollege Kühn, die Europäische Kommission
hat bereits 2011, also weit vor dem VW-Skandal, eine
Arbeitsgruppe eingerichtet, in der ein zusätzliches Messverfahren mit portabler Messtechnik entwickelt wird,
das zukünftig im Rahmen der Typengenehmigung die
Wirksamkeit von Euro 6 im Realbetrieb kontrollieren
und sicherstellen soll . Mit den zukünftigen RDE-Anforderungen wird zudem eine Verwendung unzulässiger
Abschalteinrichtungen deutlich erschwert werden . Die
Einführung wirksamer Prüfverfahren zur Kontrolle der
Realemissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen,
also RDE, wird seitens der Bundesregierung mit Nachdruck unterstützt . Wir tun alles, um das RDE-Verfahren
weltweit einzuführen und so eine wirksamere Kontrolle
der Realemissionen zu bewirken .
Herr Kühn .
Frau Präsidentin, ich gehe davon aus, dass ich insgesamt vier Nachfragen habe, weil es ja zwei Fragen waren .
Das ist jetzt Ihre zweite Nachfrage .
Genau . - Herr Barthle, ich möchte nachfragen . Bisher
hatte das Kraftfahrt-Bundesamt noch nicht einmal die
technischen Voraussetzungen - es gab keinen Rollenprüfstand -, um zu überprüfen, ob das, was im Rahmen
der Typengenehmigung zugelassen wurde, der Realität
entspricht . Die Nachprüfung seitens des KBA beruhte
bislang auf Vollständigkeit und Plausibilität der Herstellerangaben; das KBA hat diesen vertraut . Dieses System
hat offensichtlich nicht funktioniert . Soll das so bleiben,
oder wollen Sie das ändern?
Wir sind auch auf europäischer Ebene bemüht, ein
wirksameres Nachprüfverfahren zu installieren . Wir
haben hier ein anderes Verfahren als in den Vereinigten
Staaten . Das Verfahren in Europa sieht so aus, dass zunächst einmal die Typengenehmigungsvorschriften eingehalten werden müssen . Diese werden dann in Form von
Nachprüfungen nochmals überprüft . Es gab schon bisher
Nachprüfungen, die die Konformität der Produkte bzw .
der Fahrzeuge, die vom Band kommen, zum Gegenstand
hatten . Es gibt ein zweites Nachprüfverfahren betreffend
die Konformität der Fahrzeuge, die bereits beim Kunden
sind . Wir haben ein Interesse daran, dass das, was bisher in nur vier Mitgliedsländern stattfindet, nämlich die
sogenannten Feldüberwachungen - Deutschland gehört
dazu -, in das regelgerechte Typgenehmigungsverfahren
überführt wird . Aber das Ganze muss auf europäischer
Ebene geregelt werden; denn Typgenehmigungsverfahren sind europaweit gültig . Jeder Hersteller kann sich
selbst aussuchen, wo er seine Fahrzeuge genehmigen
lässt .
Herr Kühn .
Nun haben Sie deutlich gemacht, dass die Hersteller
europaweit zulassen können und es einen Wettbewerb
unter den technischen Dienstleistern gibt, wer die Zulassung übernimmt . Sehen Sie nicht, dass es da einen Interessenkonflikt bei den technischen Dienstleistern gibt? Einerseits werden sie vom KBA mit der Typgenehmigung
beauftragt, andererseits werden sie von den Herstellern
bezahlt, wenn es um die Zulassung im Rahmen des europäischen Wettbewerbs geht, den Sie zutreffend geschildert haben .
Müsste man nicht genauer nachfragen angesichts der
Tatsache, dass VW selber eingestanden hat, bei circa
800 000 Fahrzeugen die CO2-Werte manipuliert zu haben, wobei aber vorher diese Manipulationen bei dem
technischen Dienstleister - in dem Fall war das der
TÜV - überhaupt nicht aufgefallen sind? Wie kann das
sein? Wollen Sie etwas unternehmen, damit dieser wirtschaftliche Interessenkonflikt, der offenkundig ist, künftig ausgeschlossen ist?
Herr Barthle .
Zunächst zu der Zahl, die Sie genannt haben, Kollege
Kühn: Nach unserer aktuellen Information von VW handelt es sich nicht mehr um 800 000 Fahrzeuge, sondern
es handelt sich um 662 000 Fahrzeuge des Konzerns in
Europa, davon knapp 189 000 Fahrzeuge in Deutschland,
die von diesen CO2-Manipulationen betroffen sind .
Zu den Interessenkonflikten: Die Typenzulassung ist,
wie gesagt, europäisch geregelt . Es gibt einen europäischen Markt . Das Kraftfahrt-Bundesamt bedient sich
der dafür bestehenden unabhängigen Einrichtungen . Einen Interessenkonflikt kann ich da nicht erkennen. Auch
die Automobilkonzerne sind weltweit oder europaweit
aufgestellt . Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die Typenzulassung eines Konzerns nicht nur in Deutschland
stattfinden kann, sondern in ganz Europa. Deshalb ist
es schwierig, da einen Interessenkonflikt zwischen dem
KBA, das unabhängig agiert, und irgendwelchen Automobilkonzernen herzustellen .
Herr Kühn, Sie haben jetzt die vierte Nachfrage .
Herr Barthle, es ist doch schon auffällig, wenn die
Institutionen, die prüfen sollen, die Manipulationen selber nicht feststellen, obwohl sie angeblich unabhängig
sind und intensiv geprüft haben, sondern am Ende der
VW-Konzern die konkreten Zahlen der Manipulationen
feststellt .
Mich würde in der Konsequenz Folgendes interessieren: Das Kraftfahrt-Bundesamt - das hat uns der Präsident in der Anhörung gesagt - hat derzeit gar nicht das
Mandat für Feldüberwachungen . Sie haben RDE angesprochen . Welche Rolle sollen welche Behörden künftig
im Kontrollregime spielen? Wer ist künftig für die Feldüberwachungen zuständig? Bleibt das bei der Bundesanstalt für Straßenwesen? Und wer macht künftig das
RDE-Verfahren, wenn es denn jetzt zügig eingeführt
wird?
Die Feldbeobachtungen, die bei uns durchgeführt
wurden, wurden unter Federführung des KBA in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt durchgeführt .
Ausgeführt wurden sie von der BASt, Bundesanstalt für
Straßenwesen . Das war bisher ein Verfahren, das ganz
gut funktioniert hat. Aber es gibt kein verpflichtendes
Felduntersuchungsverfahren . Das ist das, was wir auf
europäischer Ebene erreichen wollen . Deshalb erfüllt
bisher das Kraftfahrt-Bundesamt alle Auflagen, alle Faktoren und alle Notwendigkeiten, die für Typgenehmigungen erforderlich sind .
Wenn Sie nun wiederholt vortragen, dass die Manipulationen nicht bemerkt worden sind, dann wiederhole
ich: Wenn es dem VW-Konzern im Rahmen der Typgenehmigungsverfahren und der dabei anstehenden Prüfungen gelungen ist, Manipulationen zu verbergen, dann ist
es kein Wunder, wenn diese Manipulationen auch bei den
Nachprüfungen nicht entdeckt werden .
Der nächste Fragesteller: Herr Gastel, bitte .
Frau Präsidentin, vielen Dank . - Herr Staatssekretär,
besonders verwundert war ich über Ihren ersten Versuch,
eine Antwort zu geben, als Sie nämlich auf die Frage von
Kollege Kühn gesagt haben, es werde noch entschieden,
ob und, wenn ja, welcher Handlungsbedarf überhaupt bestehe . Vor allem dieses „ob“ irritiert mich doch gewaltig .
Irritiert es Sie nicht, dass ausgerechnet der ADAC
sehr klare Konsequenzen aus dem Abgasskandal ziehen
möchte und auch konkret formuliert, welche Konsequenzen gezogen werden sollen? Er sagt: strenge Grenzwerte,
strenge Kontrollen, auf der Straße müsse geprüft werden,
niedriger Korrekturfaktor . Der ADAC macht das natürlich nicht selbstlos, sondern er macht es aus der Angst
heraus, dass dann, wenn Sie nicht handeln, Fahrverbote
in den Städten drohen, in denen die Grenzwerte seit langer Zeit deutlich und gesundheitsgefährdend überschritten werden . Sehen Sie nicht ebenfalls wie der ADAC die
Gefahr, dass Fahrverbote kommen werden, wenn Sie mit
dem Handeln zu lange warten?
Herr Barthle .
Herr Kollege Gastel, ich kommentiere nicht die Dinge,
die der ADAC betreibt . Ich spreche für die Bundesregierung . Die Bundesregierung muss, bevor sie Entscheidungen trifft, ob und, wenn ja, welche rechtlichen Maßnahmen notwendig sind, zunächst einmal den Sachverhalt
aufgeklärt haben . Wir sind immer noch inmitten der
Sachverhaltsaufklärung . Wir haben noch keine abschließenden Erkenntnisse, wie viele Fahrzeuge betroffen sind,
welche betroffen sind, wie groß die Abweichungen sind
etc . pp . Man braucht genaues Faktenwissen, DatenwisStephan Kühn ({0})
sen, valide, verwertbare Erkenntnisse, um dann sagen
zu können, welche Handlungen daraus erfolgen können
oder müssen .
Oliver Krischer .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Staatssekretär, ich habe in der vergangenen Woche mit Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses an einem Gespräch mit
der EU-Industriekommissarin teilgenommen . Die Industriekommissarin hat dort formuliert - ich gebe das mit
meinen Worten wieder; es hat aber so ähnlich in der Presse gestanden -, dass offensichtlich die nationalen Prüfbehörden, insbesondere die in Deutschland, versagt hätten,
sonst hätte dieser VW-Skandal nicht entstehen können .
Bei ihren Ausführungen ging es nicht um das Testverfahren, sondern um die Art und Weise, um die Intensität, wie
die Behörden kontrollieren .
Wenn ich Ihre Äußerungen richtig verstehe, gibt es
überhaupt kein Problem, sondern es geht nur um die
Frage, dass man irgendwann einmal das RDE einführt .
Sie haben es lange Zeit ausgebremst . 2017 wird es eingeführt .
Meine Frage an Sie: Ist das, was die Industriekommissarin gesagt hat, was sie auch der Presse gesagt hat,
falsch? Weisen Sie es zurück, weil Ihrer Meinung nach in
Deutschland bisher alles super funktioniert hat?
Herr Kollege Krischer, es ist unbestritten, dass die bestehenden Verfahren zur Überprüfung bei der Typenzulassung Lücken aufweisen .
({0})
Anderenfalls wäre es nicht möglich gewesen, dass dieser
Betrug über Jahre hinweg bei verschiedenen Modellen
unentdeckt bleibt . Insofern ist es sicherlich richtig, dass
wir überprüfen müssen, an welchen Stellen Korrekturen
notwendig sind . Das können wir aber erst dann, wenn wir
genau wissen, wie was wo manipuliert und wie wo was
verdeckt wurde . Erst dann kann man genau sagen, welche
Schlüsse daraus zu ziehen sind . Pauschal irgendwelche
Dinge zu beschließen, ohne die Fakten genau zu kennen,
würde sich sicherlich als sträflich falsch erweisen. Deshalb ist es gut und richtig, zunächst genau zu erheben,
worum es überhaupt geht . Wir haben den Eindruck, dass
auch der betroffene VW-Konzern selbst noch gar nicht
in der Lage ist, dies genau zu sagen . Die Kommissarin
hat VW um einen Bericht gebeten und dafür eine Frist
gesetzt; das entnehme ich zumindest der Presse . Wir sind
sehr gespannt, ob der VW-Konzern in der Lage sein wird,
diese Frist einzuhalten .
Danke, Herr Barthle . - Da wir zwei Fragen aufgerufen
haben, darf Oliver Krischer seine zweite Frage stellen .
Danke, Frau Präsidentin . - Ich habe noch eine weitere
Frage an Sie, Herr Barthle . In der Anhörung des Verkehrsausschusses hat der Präsident des KBA ausgeführt, dass
das KBA diese Manipulationen niemals hätte entdecken
können . Ich bin froh, dass Sie selber eingestehen - ich
höre das jetzt nach sieben Wochen zum ersten Mal -,
dass es hier offensichtlich Defizite gibt.
Teilen Sie die Einschätzung des Präsidenten des KBA,
dass die Manipulationen von VW im Rahmen der Verfahren, wie sie in Deutschland gelaufen sind, nie hätten
entdeckt werden können? Was müssen wir Ihrer Einschätzung nach beispielsweise von der US-Umweltbehörde EPA lernen, die bisher als Einzige Manipulationen
nachgewiesen hat?
Herr Kollege Krischer, da täuschen Sie sich . Es ist
nicht so, dass die EPA diese Manipulationen entdeckt
hat, sondern die EPA hat Abweichungen von bestimmten
Werten entdeckt . Erst dann hat VW selbst eingestanden,
worauf dies zurückzuführen ist . Also nicht die EPA hat
die Manipulationssoftware entdeckt, sondern VW hat es
selbst offengelegt .
Das amerikanische Nachprüfungsverfahren funktioniert anders . In Amerika müssen die Fahrzeughersteller
selbst zertifizieren und diese Zertifizierung dokumentieren . Das wird dann nachgeprüft .
Wir haben ein Typengenehmigungsverfahren, bei dem
sofort geprüft wird, und erst dann finden irgendwann
stichprobenartige Nachprüfungen statt . Bei uns wird also
zuerst geprüft und dann zugelassen, und zwar nicht von
den Herstellern selbst, sondern von unabhängigen Einrichtungen wie dem Kraftfahrt-Bundesamt .
Deshalb nochmals: Auch in Amerika sind die Mängel
nicht von der EPA entdeckt worden, sondern sie sind von
VW selbst offengelegt worden . Insofern müsste sich die
Kritik, die Sie äußern, nicht nur auf europäische oder gar
deutsche Einrichtungen ausdehnen, sondern eben auch
auf die EPA .
({0})
- Bitte?
({1})
Danke, Herr Staatssekretär . - Bärbel Höhn hat das
Wort zu einer Nachfrage .
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, dieser ganze Skandal sei von VW selbst in den USA offengelegt
worden - so habe ich Sie jetzt verstanden -; VW in den
USA habe der EPA gesagt: Da sind Abweichungen, und
wir legen diesen Skandal offen . - Alles, was wir wissen,
entspricht dieser Tatsache nicht . Vielmehr hat VW in den
USA erst auf diverse Nachfragen und als es nicht mehr
anders ging - VW hatte immer wieder versucht, das Ganze zu verschleiern -, diesen Betrug zugegeben . Können
Sie das bestätigen, ja oder nein?
Genauso habe ich es gerade eben dargestellt, Frau
Kollegin .
({0})
Frau Kollegin, Sie haben doch gerade meine Aussagen
bestätigt . Sie haben mir bestätigt, dass auf intensive
Nachfrage der amerikanischen Behörde EPA VW diese
Verstöße zugegeben hat . Nichts anderes habe ich behauptet .
({1})
Gut . - Frau Höhn, zweite Nachfrage .
Die EPA hat ja deshalb recherchiert, weil ihr zugetragen worden ist, dass bei den Werten Realität und Theorie auseinanderliegen . Nun wissen aber Sie und wir und
alle in Deutschland, dass zum Beispiel theoretischer und
tatsächlicher CO2-Ausstoß der Autos in Deutschland sowie der Kraftstoffverbrauch immer weiter auseinandergehen . Die Differenz zwischen Theorie und Praxis, was
den Kraftstoffverbrauch angeht, liegt mittlerweile bei
40 Prozent; 2001 waren es nur 8 Prozent . Diese Werte
sind seit langem bekannt . Warum haben nicht genau wie
in den USA hier die entsprechenden Behörden auf dieses
immer größere Auseinanderklaffen reagiert und selber
nachgeprüft?
Bitte, Herr Barthle .
Frau Kollegin Höhn, Sie betreiben dasselbe Spiel, das
die Grünen-Bundestagsfraktion betreibt, indem verschiedene Dinge miteinander vermengt werden, die man voneinander trennen muss .
Dass die Verbrauchsangaben der Fahrzeughersteller
mit denen im realen Betrieb nur wenig übereinstimmen,
das wissen alle schon lange . Aber das hat damit zu tun,
dass die Verbrauchsangaben der Hersteller in Laboren
ermittelt werden, die mit legalen Möglichkeiten so ausgestattet sind, dass relativ niedrige Verbrauchswerte entstehen .
Dass im realen Betrieb weitere Verbrauchserzeuger
hinzukommen, die in der Laborsituation nicht berücksichtigt werden, das wissen auch wir . Ich denke zum Beispiel an Klimaanlagen und sonstige elektrische Einrichtungen am Auto, also an alles Mögliche, was unabhängig
vom Fahrbetrieb ist .
({0})
Deshalb sind wir dabei, auf europäischer Ebene Verfahren voranzubringen, die eine realitätsnähere Verbrauchsangabepraxis ermöglichen und bei der man gesondert ausweisen kann, wie sich der Verbrauch darstellt,
wenn man zum Beispiel zusätzlich eine Klimaanlage oder
Ähnliches betreibt . Das alles gibt es bisher noch nicht .
Wir sind auf europäischer Ebene diejenigen, die Druck
machen, damit dies möglichst schnell vorankommt .
Das aber nun mit den NOX-Werten, um die es in Amerika zunächst einmal ging, in Verbindung zu bringen, das
ist nicht richtig, Frau Kollegin Höhn . Das muss ich mit
aller Deutlichkeit so sagen; denn um einen solchen Zusammenhang ging es zunächst einmal bei den betroffenen Dieselmotoren von VW . Doch das war etwas ganz
anderes .
Herr Kollege Meiwald .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Kollege
Barthle, obwohl Sie gerade gesagt haben, es gehe nur um
die NOX-Werte in Amerika, habe ich eine Nachfrage .
„Es ging“, habe ich gesagt .
In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage auf
Drucksache 18/6398 haben Sie uns mitgeteilt, dass in
Deutschland mindestens 382 213 Menschen von erhöhten Stickoxidbelastungen in unseren Städten betroffen
sind . Wir wissen gleichzeitig, dass Stickoxidüberhöhungen deutlich gesundheitsgefährdend sind . Insofern
stellt sich jetzt - so wie Sie es darstellen - die Frage,
wen die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung anklagen könnte, wer verantwortlich ist . Das KBA, weil
es einen gefährlichen Typ zugelassen hat? Oder ist der
VW-Konzern verantwortlich? Also, die Frage ist ja: Wer
kann denn jetzt für diese Körperverletzung, die nicht nur
fahrlässig begangen wurde, zur Verantwortung gezogen
werden?
Herr Barthle, bitte .
Herr Kollege, damit müssen Sie das Bundesumweltministerium oder das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz konfrontieren . Wir sehen uns da
nicht als zuständige Einrichtung .
({0})
Dann hat das Wort der Kollege Gastel .
Können wir etwas Neues und Konkretes von Ihnen erfahren, Herr Staatssekretär?
Habe ich doch schon .
Wenn Sie gefragt werden, wie denn die Bundesregierung diese Vorgänge um die Manipulationen aufklären möchte, dann verweisen Sie immer wieder auf eine
Kommission, die vom BMVI eingerichtet worden ist .
Jetzt verraten Sie uns doch bitte einmal, wie sich diese
Kommission zusammensetzt, welchen Auftrag und welche Kompetenzen sie hat und wie oft sie bisher schon
getagt hat .
Herr Barthle .
Diese Kommission wurde sofort nach Bekanntwerden
des Skandals von Bundesminister Alexander Dobrindt
eingesetzt . Sie wird von Staatssekretär Odenwald geleitet . Die Kommission besteht aus Experten des Bundesverkehrsministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamts
sowie aus Wissenschaftlern, die über entsprechende Expertise verfügen. Sie tagt sehr häufig. Wenn ich es richtig weiß, hat sie diese Woche auch schon wieder getagt .
Oder sie tagt noch . Diese Kommission steht in engem
Kontakt auch mit VW, um die Vorgänge aufzuklären und
den Aufklärungsprozess zu begleiten .
({0})
Sie haben jetzt keine Frage mehr, Herr Gastel . Sie haben Ihre zwei Fragen gestellt . - Jetzt ist Frau Kollegin
Paus an der Reihe .
Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage von
Frau Höhn anknüpfen . Sie hatten ja bestätigt, dass VW
auf intensives Nachfragen und Insistieren der EPA den
Missbrauch in den USA zugegeben hat . Können Sie mir
auch bestätigen, dass Ausgangspunkt für die intensiven
Nachfragen der EPA überhaupt die Differenz zwischen
den Testwerten auf der einen Seite und den Realwerten
bzw . den auf der Straße gemessenen Werten auf der anderen Seite war? Und war genau das, was Frau Höhn
angesprochen hat, dass nämlich die Differenz zwischen
diesen Werten drastisch - auf inzwischen 40 Prozent gestiegen ist, der Grund, dann vertieft in die Untersuchung einzusteigen? Und können Sie begründen, warum
das in Deutschland nicht auch ein Grund für das Kraftfahrt-Bundesamt hätte sein können und müssen, genauer
zu untersuchen und eigene Untersuchungen anzustellen?
Herr Kollege Barthle .
Frau Kollegin Paus, ich habe schon mehrmals auf ähnliche Fragen geantwortet . Sinngemäß wiederhole ich es
noch einmal . Die genauen Prüfverfahren der amerikanischen Behörde kommentiere ich jetzt nicht . Bei uns war
es so, dass stichprobenartige Nachmessungen immer unter denselben Bedingungen wie die Typengenehmigungsverfahren stattgefunden haben . Und das waren genau die
Bedingungen, unter denen dieser Abschaltmechanismus
funktioniert hat . Dass in Amerika andere Verfahren der
Typzulassung benutzt werden, habe ich eben auch schon
erläutert . Durch die intensiven Nachprüfungen, die in
Amerika Bestandteil der Typengenehmigungen sind,
wurden offensichtlich große Differenzen festgestellt, die
dann einer Erklärung bedurften . Damit hängt das zusammen . So ist unser Kenntnisstand . Daraufhin wurde dieser
Skandal offengelegt . Er entwickelte sich entsprechend
und wurde eingestanden .
Vielen Dank, Herr Kollege Barthle .
Dann kommen wir jetzt - das knüpft ein wenig an das
an, was schon angesprochen worden ist - zur Frage 3 der
Kollegin Dr . Verlinden:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Bekanntwerden falscher Energieverbrauchsangaben beim Verkauf von Neuwagen, und mit welchen Maßnahmen will die
Bundesregierung die notwendige Energieeinsparung im Verkehrssektor angesichts dieser Fälle sicherstellen ({0})?
Herr Barthle, bitte .
Frau Präsidentin, ich würde dann gern auch gleich die
Frage 4 beantworten; denn beides steht in einem Sachzusammenhang .
Dann rufe ich auch die Frage 4 der Kollegin
Dr . Verlinden auf:
Mit welchen konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher
beim Autokauf künftig verlässliche Angaben über den TreibParl. Staatssekretär Norbert Barthle
stoffverbrauch des jeweiligen Fahrzeugs und damit auch über
den tatsächlichen CO2-Ausstoß erhalten?
Herr Barthle, bitte .
Frau Kollegin Verlinden, gesetzliche Grundlage für
die Verbrauchskennzeichnung beim Verkauf von Neuwagen ist die Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung, Pkw-EnVKV, die Angaben zum Kraftstoffverbrauch, zu CO2-Emissionen und zum Stromverbrauch
macht . Die Informationen entstammen der Dokumentation zur Typgenehmigung der Fahrzeuge . Staatliche
Reaktionen auf festgestellte Verstöße gegen die Typgenehmigungsvorschriften ergeben sich aus der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung, EG-FGV .
Des Weiteren wird auf die Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 19 und 23 der Kleinen Anfrage in
Drucksache 18/5656 verwiesen .
Die Zielerreichung im Hinblick auf die Energiewendeziele wird durch den Monitoring-Prozess „Energie der
Zukunft“ überprüft . In dem Monitoring-Bericht werden
auch die wesentlichen Maßnahmen aufgeführt, die zu einer Reduzierung des Energieverbrauchs im Verkehr führen sollen, um das Einsparziel zu erreichen .
Frau Verlinden .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Barthle, Ihre
Antwort finde ich jetzt nicht sehr zufriedenstellend, zumal die Fragen 3 und 4 wirklich in ganz unterschiedliche
Richtungen gehen . Aber gut, ich habe ja vier Fragen, um
das zu klären .
Ist Ihnen bewusst, dass Sie sich von Ihrem Ziel, nämlich bis zum Jahr 2020 im Verkehrssektor 10 Prozent
Energie einzusparen, gerade komplett entfernen, weil
der Energieverbrauch im Verkehrsbereich zunimmt? Das
heißt, die Entwicklung läuft Ihrem eigenen Ziel diametral entgegen, vielleicht auch mit verursacht durch die
falschen Angaben und durch die falschen Messergebnisse . Es wird ja mehr verbraucht als ursprünglich gedacht .
Vielleicht können Sie schon ein bisschen darüber erzählen, was in dem Monitoring-Bericht stehen wird, den
Sie in der nächsten Woche im Kabinett verabschieden
werden, was Sie jetzt konkret an Maßnahmen ergreifen
wollen, um Ihr Ziel, nämlich 10 Prozent Energieeinsparung im Verkehrssektor, doch noch zu erreichen .
Norbert Barthle, bitte .
Danke . - Frau Kollegin, zu dem Monitoring-Bericht
kann ich im Voraus nichts sagen . Ich will zunächst einmal feststellen, dass die Situation, wie Sie sie beschreiben, nicht ganz mit der Realität übereinstimmt . Wenn wir
uns die Situation bei den Stickoxiden angucken - ({0})
Moment! Jetzt hat der Herr Staatssekretär das Wort .
Sie haben die Möglichkeit, noch dreimal nachzufragen .
Er beantwortet, wie er will .
Es geht um die Energieverbrauchswerte unserer Fahrzeuge . Sie werden mir sicherlich darin zustimmen, dass
die Energieverbrauchswerte unserer Fahrzeuge kontinuierlich zurückgegangen sind . Die Autoindustrie hat
über die vergangenen Jahre hinweg erreicht, dass die
Verbrauchswerte deutlich niedriger wurden . Damit hängt
auch zusammen, dass der Ausstoß von Schadstoffen
deutlich zurückging, obwohl die Anzahl der Fahrzeuge
sich erheblich erhöht hat . Wir hatten 1990 noch etwa
35 Millionen Fahrzeuge in Deutschland . Wir haben heute
über 51 Millionen Fahrzeuge . Trotz dieser höheren Anzahl von Fahrzeugen ist die Schadstoffemission deutlich
zurückgegangen .
Frau Verlinden .
Das finde ich jetzt wirklich ein starkes Stück. Sie sagen uns: „Die Energieverbrauchswerte gehen seit Jahren
zurück“, und meinen damit das, was die Verbraucher, die
Kunden im Autohaus an Informationen bekommen, das,
was auf den Plaketten steht . Wir wissen aber seit mehreren Tagen, seit der Debatte in den letzten Wochen, dass
das nicht stimmt .
({0})
Insofern verstehe ich überhaupt nicht, wieso Sie sagen:
Wieso? Es ist doch alles super . Der Energieverbrauch
geht zurück . - Das Gegenteil ist der Fall . Die Verbraucher werden hier veralbert, und Sie sagen noch: Es ist
doch alles in Ordnung . - Das müssen Sie mir wirklich
erklären .
Sie sagen, dass der Energieverbrauch pro Fahrzeug
kontinuierlich zurückgeht . Ich habe gerade gesagt, dass
das de facto nicht stimmt, wenn die Verbrauchsangaben
nicht korrekt sind . Angesichts dessen erklären Sie mir
doch bitte zusätzlich, was das für Ihr eigenes Ziel bedeutet . Sie wollen im Verkehrssektor absolut - nicht pro
Pkw - 10 Prozent Energie einsparen . Das ist Ihr Ziel . Wie
wollen Sie das erreichen?
Herr Barthle .
Vizepräsidentin Claudia Roth
Frau Kollegin, mit einem Bündel von Maßnahmen,
indem wir es schaffen, die Dekarbonisierung des Autoverkehrs sukzessive weiter voranzutreiben, indem wir
alternative Antriebstechniken voranbringen . Das reicht
vom Einsatz von Gas oder Biogas über die Elektrifizierung des Verkehrs bis dahin, dass wir versuchen, den Anteil an Dieselfahrzeugen auf dem Markt noch weiter zu
erhöhen, weil Diesel verbrauchsgünstiger ist, usw . usf .
Es sind also eine Vielzahl von Maßnahmen, die begleitet werden von den Anstrengungen der Automobilindustrie, der es gelungen ist, die gesetzten Grenzwerte
für ihren Flottenverbrauch einzuhalten, also deutlich abzusenken, was die Verbrauchswerte und die Schadstoffemissionswerte anbelangt . Das alles zusammen - da sind
wir zuversichtlich - wird dazu beitragen, dass wir dieses
Einsparziel erreichen können .
Der Verkehr hat einen Anteil am Energieverbrauch
von etwa 20 Prozent . Wir sehen erhebliche Einsparpotenziale im Verkehrsbereich, die es ermöglichen, die Energieeinsparziele, die sich die Bundesregierung gesetzt hat,
auch erreichen zu können . Aber dazu gehört, wie gesagt,
ein ganzes Bündel an Maßnahmen, das wir mit unserer
nationalen Strategie auf den Weg gebracht haben .
Frau Verlinden .
Instrumentenmix, also dass man verschiedene Maßnahmen plant, ist ja immer super . Es ist auch unbestritten,
dass wir darüber seit Jahren diskutieren, auch als Grüne .
Ich verstehe aber nicht, wieso Sie sich hierhinstellen und
sagen: Wir haben ein breites Bündel beschlossen . Wir
machen doch ganz viel . - Die Zahlen und harten Fakten
beweisen nämlich das Gegenteil . Ihre Maßnahmen scheinen also nicht zu wirken . Dann müsste man sich doch
einmal im Kabinett oder im Ministerium hinsetzen und
sagen: Okay, wir sind nicht auf dem richtigen Pfad . Der
Trend geht in die falsche Richtung . Die Maßnahmen, die
Instrumente, die wir auf den Weg gebracht haben, scheinen nicht auszureichen und nicht zu funktionieren . Wir
müssen umsteuern . - Da sehe ich bei Ihnen überhaupt
nichts, was Sie uns als Antwort auf die Frage, wie Sie Ihr
eigenes Ziel bis 2020 doch noch erreichen wollen, anbieten können . Es sind schließlich nur noch fünf Jahre . Insofern müssen Sie da jetzt einmal in die Puschen kommen .
Herr Barthle, in die Puschen kommen .
Wir haben bisher bewiesen, dass wir auf einem guten
Weg sind .
({0})
Wir haben die Einsparziele schon gut zur Hälfte erreicht .
({1})
- Das ist so . Das können Sie anders sehen, aber es ist so .
Wir werden die gesteckten Ziele mit den weiteren noch
anstehenden Maßnahmen auch erreichen .
({2})
Wenn Sie andere Zahlen haben, können Sie mir diese
gern zur Verfügung stellen, und dann werden wir sehen,
welche Zahlen stimmen . - Danke .
Vielen Dank, Herr Staatssekretär . - Frau Verlinden,
jetzt kommt aber die letzte Frage, weil in der vorherigen
Frage zwei zusammengefasst waren . - Bitte schön .
Herr Barthle, es ist sehr überraschend, dass Sie eben
auf den Monitoring-Bericht der Bundesregierung hingewiesen haben, in dem Sie Maßnahmen nennen und die
Ziele evaluieren . Sie sagen uns, Sie sind auf dem richtigen Weg . Ich vermute, Sie haben den Monitoring-Bericht
aus dem Jahr 2014 nicht gelesen . Dieser liegt mir hier
gerade vor . Im Monitoring-Bericht von 2014 steht wortwörtlich, dass Sie beim Endenergieverbrauch im Bereich
Verkehr im Vergleich zu 2005 bisher 1 Prozent mehr
Energie verbraucht haben und nicht weniger . Das heißt,
Sie sind nicht auf dem richtigen Weg . Sie sind nicht auf
dem Weg in Richtung Energieverbrauchssenkung, wie
Sie das gerade behauptet haben . Sie sind weit entfernt
von Ihrem Ziel, 10 Prozent einzusparen . Im Gegenteil:
Der Verbrauch hat sich seit 2005 noch erhöht . Insofern
finde ich es sehr interessant, was Sie hier formulieren.
Welche Zahlen Sie verwenden, weiß ich nicht, aber Sie
selbst haben gesagt, dass das Nachweisdokument der
Monitoring-Bericht der Bundesregierung zur Energiewende ist, und genau den haben Sie gerade falsch zitiert .
Herr Barthle, bitte .
Ich bitte Sie, Frau Kollegin Verlinden, einfach den
nächsten Monitoring-Bericht abzuwarten .
({0})
Was die Erreichung der Ziele anbelangt, sprechen wir
uns dann 2020 wieder .
Vielen Dank, Herr Barthle . - Dann hatte sich der Kollege Kühn gemeldet .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Ist es die richtige
Strategie, in Sachen Klimaschutz immer weiter zu warten? Was ich aber eigentlich fragen wollte: Herr Barthle,
Sie haben angesprochen, dass der Verbrauch bei den
Fahrzeugen kontinuierlich zurückgeht . Bevor es die
CO2-Grenzwerte gab, betrug die jährliche Reduktion
1 Prozent, und seitdem es die CO2-Grenzwerte für Pkw
gibt, waren es 4 Prozent . Nun müssen wir aber leider
feststellen, dass diese Reduktion offensichtlich in Teilen nur auf dem Papier stattgefunden hat . Sie sagten ja
selber, dass mindestens 662 000 Fahrzeuge hinsichtlich
ihrer CO2-Emission manipuliert worden sind .
Europaweit .
Europaweit. - Das heißt, der Ausstoß ist definitiv höher gewesen . Genaueres wissen wir aber noch nicht . Sie
haben selber gesagt, die Untersuchungen sind noch nicht
abgeschlossen . Bisher sprechen wir nur vom Hersteller
VW . Es kann aber noch weitere Enthüllungen geben .
Müsste man jetzt aus Ihrer Sicht nicht einmal überprüfen und evaluieren, ob das, was die Hersteller angegeben
haben, also was sie an CO2-Reduktion erreicht haben und
was wir mit Grenzwerten untersetzt haben, auch tatsächlich stimmt? Müsste man diesen Skandal nicht zum Anlass nehmen, die reale CO2-Reduktion neu zu ermitteln?
Denn das hat natürlich Auswirkungen auf die Frage, ob
wir unsere Klimaschutzziele erreichen oder nicht .
Herr Barthle, bitte .
Herr Kollege Kühn, heute früh im Ausschuss habe ich
Ihnen bereits dargelegt, dass es sich in Deutschland
nach aktuellen Mitteilungen des VW-Konzerns um
189 000 Fahrzeuge handelt . Wir von der Bundesregierung haben allerdings den Eindruck, dass der VW-Konzern selbst nicht genau sagen kann, um wie viele Fahrzeuge es sich handelt und wie groß die Abweichungen
sind . Das alles muss man zunächst einmal eruieren .
Wenn wir die Faktenlage kennen, dann können wir über
Weiteres nachdenken; aber wir kennen sie noch nicht .
Sie stellen Abweichungen in den Raum, Sie unterstellen
Abweichungen, die Sie nicht kennen und die wir nicht
kennen . Ich weiß nicht, wie groß die Abweichungen sind .
Kollege Krischer .
Danke, Frau Präsidentin . - Ich möchte noch mal zum
Thema Stickoxide, NOX, zurückkommen . Sie haben
eben die Kollegin Höhn belehrt . Ich hatte aber bei den
Antworten zeitweise den Eindruck, dass Sie es selber
nicht auseinanderhalten können . Deshalb sage ich, dass
wir jetzt über Stickoxide reden .
Sie haben uns eben erläutert, VW habe von sich aus
die Manipulationen öffentlich gemacht . In der Antwort
auf die nächste Frage haben Sie dann gesagt, auf Druck
der EPA, die Nachprüfungen durchgeführt und Fragen
gestellt habe, sei dann VW irgendwann damit rausgekommen . Sie haben sich also komplett widersprochen .
Das ist ganz anders gelaufen . Wir alle haben von der
EPA selbst gehört, dass ein Bericht des ICCT, der erhebliche Diskrepanzen im Bereich der Stickoxide nachweist,
Anlass für die Ermittlungen, Nachfragen und Nachprüfungen der EPA war . Dieser Bericht ist seit 2014 öffentlich . Er ist auch Ihrem Haus bekannt, er ist dem Kraftfahrt-Bundesamt bekannt, er ist jedem bekannt, der sich
dafür interessiert .
Insofern frage ich Sie: Warum hat die EPA in den USA
nachgefragt, nicht aber das Bundesministerium für Verkehr oder das Kraftfahrt-Bundesamt? Warum wurden
nicht entsprechende Nachprüfungen veranlasst? Hier bitte ich Sie um eine klare Erläuterung .
Herr Barthle .
Herr Kollege Krischer, ich kann Ihnen nochmals
versichern: Informationen über Manipulationen der
NOX-Werte haben wir erst an diesem ominösen Datum
im September - ich müsste nachgucken, wann das war erhalten . Davor haben all unsere Erkenntnisse keine
Hinweise ergeben, dass irgendwelche Werte manipuliert
worden wären . Deshalb bestand keine Veranlassung, zu
handeln .
({0})
- Ich gehe davon aus, dass dieser Bericht dem Ministerium bekannt war .
({1})
Jetzt ist Herr Barthle dran . - Herr Barthle, bitte .
Das war es schon .
Gut . - Dann die Kollegin Höhn .
Herr Kollege Barthle, es gibt ja nicht nur die Berichte aus den USA, wegen derer die EPA tätig geworden
ist . Die DUH hat hier in Deutschland schon in den vergangenen Jahren immer wieder veröffentlicht, dass zum
Beispiel die Werte, die in der Realität auftreten, erheblich
höher sind als die in der Theorie . Ich betrachte jetzt die
CO2-Emissionen - nicht dass Sie wieder sagen, ich redete
über Stickstoffemissionen . Bei der Höhe der CO2-Emissionen tritt eine Spreizung, ein Unterschied zwischen
Theorie und Praxis, von 40 Prozent auf . Da ist VW noch
nicht mal der schlimmste Konzern; die Spreizung bei VW
liegt unter dem Durchschnitt . Was wollen Sie eigentlich
hinsichtlich der Autos der anderen Automobilkonzerne
tun, bei denen der Unterschied zwischen den Werten aus
Theorie und Praxis weit über 40 Prozent liegt? Wollen
Sie da jetzt auch entsprechende Überprüfungen durchführen? Wir müssen ja davon ausgehen, dass da vielleicht
auch nicht alles mit rechten Dingen zugeht .
Frau Kollegin Höhn, ich wiederhole nochmals, dass
wir auf europäischer Ebene mit Nachdruck daran arbeiten, dass wir bei Überprüfungen und in den Genehmigungsverfahren Verbrauchswerte erhalten, die näher am
realen Verbrauch sind . Wir wollen das nicht nur auf europäischer Ebene erreichen, sondern auch mit der sogenannten WLTD - oder wie heißt sie?
({0})
- Richtig,
({1})
mit diesem weltweiten System einer ({2})
Herr Barthle, bitte .
Mit diesem weltweit einheitlichen System, das dann
auch auf europäischer Ebene installiert werden soll . Daran arbeiten wir intensiv; da sind wir diejenigen, die
auf europäischer Ebene das Tempo vorgeben und beschleunigen . Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir es
schaffen können, dieses System im Jahr 2017, spätestens
im Jahr 2018 auf europäischer Ebene einzuführen .
Frau Höhn, Sie dürfen eine weitere Frage stellen, weil
zwei Fragestellungen zugrunde liegen . Danach darf noch
Herr Gastel fragen, aber dann kommen wir zu den nächsten Fragen .
Herr Staatssekretär Barthle, ich war zehn Jahre Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen . Es gibt dort
eine Fernüberwachung der Schornsteine von Industrieanlagen . Die Ergebnisse gehen in der Realität sofort zur
Überwachungsbehörde, sodass man genau weiß, was in
dem Moment aus dem Schornstein herauskommt . Das
betrifft große Industrieanlagen, an denen Tausende von
Arbeitsplätzen hängen . Was soll ich eigentlich den Betreibern dieser Industrieanlagen sagen, wenn sie jetzt
erfahren, dass in der Automobilindustrie, bei den Autos, vollkommen anders reagiert wird, dass da Theorie
und Praxis weit auseinanderklaffen und die Behörden in
Deutschland da offensichtlich jahrelang die Augen verschlossen haben?
Herr Barthle .
Frau Kollegin Höhn, das Typzulassungsverfahren ist
ein europarechtliches Verfahren . Wir bewegen uns im
europarechtlichen Zulassungsverfahren . Wenn wir Änderungen vornehmen wollen, müssen sie auf europäischer Ebene vorgenommen werden, weil die Hersteller
andernfalls auf andere europäische Zulassungsbehörden
zurückgreifen; deshalb machen nationale Alleingänge
keinen Sinn . Es braucht etwas Zeit, um dies auf europäischer Ebene hinzubekommen; aber wir arbeiten intensiv
daran .
Das eine hat mit dem anderen relativ wenig zu tun .
Bezüglich der Schornsteine müssen Sie sich an das Umweltministerium wenden .
Die letzte Frage zu den Fragen von Frau Verlinden:
Kollege Gastel .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . - Herr Barthle, ich
habe an Sie folgende Frage: Auf eine Nachfrage meiner
Kollegin Verlinden nach dem Einsparziel der Bundesregierung in Sachen CO2 haben Sie geantwortet, die Bundesregierung schnüre ein ganzes Bündel an Maßnahmen,
um dieses Ziel zu erreichen . Ein Bündel an Maßnahmen
kann erst dann entstehen, wenn es mehrere Maßnahmen
gibt . Ich kann aber keine Maßnahmen erkennen, aus denen ein Bündel geschnürt werden könnte .
Sie haben ferner gesagt, dass Sie die Dekarbonisierung voranbringen wollen . Tatsächlich sind Sie in Sachen
Elektromobilität aber krachend gescheitert; denn Ihr
Ziel, 1 Million Elektroautos auf die Straße zu bringen,
haben Sie ganz offensichtlich eindeutig verfehlt . Sie sind
weit hinter Ihrem Ziel zurück . Ich glaube, Sie verfolgen
es gar nicht mehr . Wie wollen Sie dieses Ziel der Dekarbonisierung erreichen, und wie soll dieses Bündel an
Maßnahmen, von dem Sie gesprochen haben, aussehen?
Herr Barthle .
Herr Kollege Gastel, das alles in extenso darzustellen,
ist sicherlich nicht Aufgabe der Fragestunde; aber ich
verweise auf die Nationale Plattform Elektromobilität,
auf der verschiedene Maßnahmen abgesprochen und initiiert werden, und auf die intensiven Anstrengungen, die
wir unternehmen, um alternative Antriebstechnologien
voranzubringen . Wir sind überzeugt, dass es uns gelingen
wird, dieses Ziel zu erreichen . Wir sind noch nicht in der
Markthochlaufphase angekommen, aber die Markterprobung ist abgeschlossen . Warten Sie das Jahr 2020 einmal
ab; wir werden sehen, wo wir dann stehen werden . Es
gibt Bereiche, in denen wir sehr gut vorankommen . Denken Sie zum Beispiel an die Elektrifizierung des Radverkehrs: Hier haben wir die Erwartungen weit übertroffen;
bereits eine halbe Million Elektrofahrräder sind auf dem
Markt . Das hat man so nicht erwarten können . Warten
Sie ab, was in den übrigen Verkehrsbereichen noch geschieht .
Vielen Dank . - Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Lisa
Paus auf:
Inwieweit und bei wie vielen Fahrzeugen erwartet die Bundesregierung, dass Softwareänderungen bzw . Anpassungen
des Motors in der vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten
Rückrufaktion aufgrund zu niedrig ausgewiesener Stickoxidwerte in Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns eine Neuberechnung der CO2-Emissionen erforderlich machen?
Herr Barthle, bitte .
Frau Kollegin Paus, Aussagen zu möglichen Änderungen der CO2-Emissionswerte bei den betroffenen Fahrzeugen können erst getroffen werden, wenn Volkswagen
dem Kraftfahrt-Bundesamt vorschriftenkonforme Fahrzeuge für die Nachträge zur Typengenehmigung vorgestellt hat .
Frau Paus .
Ich hatte mich mit meiner Frage ausdrücklich auf
die ersten bekanntgewordenen Fälle bezogen, also auf
das Thema Diesel . Sie sind jetzt nicht nur in intensiven
Prüfungen, sondern auch in intensiven Gesprächen mit
VW . Deswegen würde ich gerne Folgendes wissen: Die
Rückrufaktion ist anberaumt . Sie soll im Januar nächsten
Jahres starten . Wissen Sie etwas darüber, welche veränderten Eigenschaften die Autos danach haben werden?
Es sind ja zwei Varianten denkbar . Die eine Variante ist:
Die Autos werden zwar richtig getestet, aber der Stickoxidausstoß ist sehr hoch . Die andere Variante ist: Die
Autos haben geringere Stickstoffausstöße . Die Testverfahren haben ja gezeigt, dass das grundsätzlich möglich
ist . Inwieweit sind Sie mit VW in Gesprächen darüber?
Können Sie mir sagen, welche Eigenschaften die Autos
haben werden?
Herr Barthle .
Was wir wissen, ist, dass sich die Rückrufaktion zunächst einmal auf die betroffenen Dieselaggregate bezieht . Es ist wohl so: Bei den 2-Liter-Aggregaten kann
und muss die Software verändert werden, und damit ist
das Problem behoben . Für die Fahrzeuge mit 1,6-Liter- und 1,2-Liter-Aggregaten sind andere Verfahren zur
Mängelbehebung notwendig . Was im Detail zu machen
ist und wie das im Detail zu machen ist - da müssen wohl
auch mechanische Teile ausgetauscht werden -, das wissen wir noch nicht . Daran arbeitet VW noch .
Frau Paus .
Ich stelle fest: Sie wissen nichts darüber, und Sie setzen sich auch nicht dafür ein, dass am Ende der Stickstoffausstoß im Realbetrieb tatsächlich niedriger liegen
wird .
Meine zweite Frage ist aber eine andere . Nach allem,
was ich gelesen habe, stelle ich fest: Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Stickstoffausstoß und den
CO2-Emissionen; auch damit wird ein Teil der Manipulation erklärt . Die Aussage der Techniker, mit denen ich
gesprochen habe, ist, dass die leistungsfähigen Abgasfilter zulasten des Verbrauchs gehen. Ich gehe also davon aus: Wenn Änderungen beim Filtern von Stickoxiden vorgenommen werden, dann müssten sich auch die
CO2-Werte ändern, gegebenenfalls steigen diese . Teilt
die Bundesregierung die technische Auskunft, die ich gerade vorgetragen habe?
Herr Barthle, bitte .
Ihre Bewertungen teile ich überhaupt nicht . Ich stelle fest: Wir sind intensiv dabei, die Vorfälle mit dem
VW-Konzern aufzuklären und transparent zu machen .
Der VW-Konzern hat uns gesagt: Der 21 . Oktober ist
der Stichtag für die 2,0-Liter-Aggregate . Darauf bezieht
sich auch die Nachrufaktion, die vom KBA begleitet
wird . Wir haben VW zudem aufgefordert, für die kleineren Motoren ebenfalls einen Zeitplan vorzulegen . Daran
wird aber noch gearbeitet . Wir haben ein hohes Interesse
daran, dass die Vorfälle möglichst schnell aufgeklärt und
die Mängel behoben werden .
Meine Frage war keine wertende, sondern technischer
Natur . Sie lautete: Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen dem Stickoxidausstoß und dem
CO2-Ausstoß?
Die Manipulation des Stickoxidausstoßes bei den betroffenen Motoren wurde durch einen Abschaltmechanismus erreicht, der in einem bestimmten Messzustand den
entsprechenden Faktor korrigiert, sodass die Grenzwerte
für Stickoxide eingehalten werden . Das hat aber nichts
mit der Messung des CO2-Ausstoßes zu tun .
({0})
Herr Krischer, bitte .
Die Beantwortung der letzten Frage hat deutlich gemacht, dass Sie kein Verständnis für das Problem haben .
Sie haben das Problem auch nicht richtig erkannt .
Ich möchte an die Frage des Kollegen Gastel anschließen, der nach den Mitgliedern der Kommission gefragt
hat . Ich frage Sie noch einmal ganz konkret: Wie heißen
die Mitglieder der Kommission, die seit Bekanntwerden
des VW-Skandals die Vorgänge untersuchen? Wenn Sie
uns die Namen hier nicht nennen können oder wollen,
dann bitte ich, zu erklären, warum . Ich bitte um eine Erläuterung . Nach sieben Wochen wäre es an der Zeit, der
Öffentlichkeit zu sagen, wer genau untersucht . Ich rede
gar nicht vom Untersuchungsauftrag oder vom Ziel; das
verraten Sie uns sowieso nicht . Nennen Sie uns wenigstens die Namen der Mitglieder der Kommission und ihre
Funktionsbezeichnung .
Herr Barthle, bitte .
Diese Information liegt mir nicht vor, Herr Krischer,
deshalb kann ich Ihnen die Namen der Mitglieder auch
nicht nennen . Wenn Sie die Regierung vorführen wollen,
dann fragen Sie am besten auch nach der Haarfarbe, dem
Geburtstag und Ähnlichem .
({0})
Kollege Krischer hat nicht nach der Haarfarbe gefragt,
sondern nach den Namen . Dass Sie die Frage nicht beantworten können, weil Ihnen die Namen nicht vorliegen,
haben Sie gesagt .
So ist das .
Dann stellt Frau Höhn jetzt noch eine Frage .
Herr Staatssekretär, dass Sie die Frage nach den Mitgliedern nicht beantworten können, spricht möglicherweise gegen Ihre Kenntnis des Hauses .
Bundestagspräsident Lammert hat eingefordert, dass
Abgeordnete Transparenz bekommen, zum Beispiel in
Bezug auf das Freihandelsabkommen . Daher frage ich
Sie: Wieso verweigert das Ministerium, uns die Frage
nach den Mitgliedern der Kommission zu beantworten?
Wenn Sie diese Frage heute nicht beantworten können,
dann erwarte ich, dass Sie sie schriftlich beantworten .
Ansonsten widersprechen Sie dem, was der Bundestagspräsident von der amerikanischen Regierung und von der
Europäischen Kommission gefordert hat . Das ist eine absolute Frechheit .
({0})
Herr Barthle, bitte .
Frau Kollegin Höhn, das ist keine Frage, sondern eine
Meinungsäußerung, die ich mit Abscheu und Empörung
zurückweise .
Die Bitte war, dass Sie, wenn Sie die Namen kennen,
diese dem Parlament zur Verfügung stellen .
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Oliver Krischer auf:
Mit welchen Vertretern der US-Regierung bzw . nachgeordneter Behörden hat sich das Bundesministerium für Verkehr
und digitale Infrastruktur im Rahmen der USA-Reise von
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt in der 44 . Kalenderwoche 2015 getroffen ({0}), und wann hat die Bundesregierung
erstmalig von den weiteren Ermittlungen der US-Umweltbehörde EPA gegen weitere Dieselmotoren bei Volkswagen erfahren?
Herr Kollege Krischer, im Rahmen der USA-Reise
von Herrn Bundesminister Dobrindt fanden folgende
Gesprächstermine statt: beim Department of Transportation mit Secretary Anthony Foxx und weiteren Gesprächsteilnehmern, Gesprächsinhalt waren NOX, Thematik
VW und weitere verkehrsrelevante Themen; dann ein
Gespräch mit EPA-Administratorin Gina McCarthy und
weiteren Teilnehmern, Gesprächsinhalt NOX und Thematik VW; dann mit dem Department of State, mit Under
Secretary Catherine Novelli, Gesprächsinhalt NOX, Thematik VW und weitere verkehrsrelevante Themen .
Die Bundesregierung wurde über die Botschaft in
Washington erstmals am 2 . November 2015 von den
US-Behörden informiert, dass weitere Vorwürfe gegen
Volkswagen erhoben werden .
Vielen Dank, Herr Barthle . - Herr Krischer, bitte .
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin . - Eine Bemerkung
noch zum Thema „Namen der Mitglieder der Kommission“ . Dass Sie die Namen hier jetzt nicht nennen können,
halte ich für eine Impertinenz . Ich sage das sehr deutlich .
Wir haben dreimal schriftlich bei Ihnen nachgefragt . Daraufhin haben Sie die Namen schriftlich nicht genannt .
Wenn Sie das jetzt hier mündlich wieder nicht können,
kann ich nur daraus schließen: Sie wollen es nicht . Sie
liefern keine Begründung dafür, warum Sie sie nicht nennen . Das ist das Gegenteil von Transparenz gegenüber
dem Parlament und der Öffentlichkeit . Das möchte ich
hier einfach nur einmal klarstellen .
({0})
Meine Nachfrage zum Besuch von Herrn Dobrindt in
den USA . In der Tat hat es unmittelbar nach dem Besuch
von Herrn Dobrindt weitere Vorwürfe der EPA gegenüber weiteren Automobilunternehmen gegeben . Also, da
ist nicht nur VW betroffen, sondern auch Porsche und andere . Es sind auch andere Motorentypen betroffen . Mich
würde interessieren: Welche konkreten Schlussfolgerungen haben Sie aus diesen Vorwürfen gezogen? Was konkret haben Sie veranlasst, um selber zu diesen Vorwürfen
Stellung nehmen zu können?
Herr Barthle, bitte .
Herr Kollege Krischer, Sie haben zunächst einmal
recht . Da ging es um Motoren, die eingebaut sind in den
VW Touareg, Modelljahr 2014, in den Porsche Cayenne, Modelljahr 2015, in die Audi-Modelle A6 quattro, A7
quattro, A8, A8 L und Q5 . Die Untersuchungen wurden
in Amerika auf diese Fahrzeuge ausgeweitet, weil eine
falsche Dokumentation vorgelegt wurde . Dabei handelt
es sich um eine mangelnde Dokumentation innerhalb des
Zertifizierungsverfahrens. Wir haben das Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen, die Überprüfungen auch auf diese
Fahrzeuge auszuweiten . Das geschieht derzeit .
Herr Krischer .
Herzlichen Dank für die Antwort . - Mich würde jetzt
an dieser Stelle interessieren: Haben Sie bei Ihrem Besuch in den USA die EPA konkret nach weiteren Vorwürfen, nach weiteren Motoren gefragt? Ist das zur Sprache
gekommen? Hat die EPA einfach nicht darauf geantwortet? Oder war das gar kein Gegenstand der Gespräche,
sodass die Information Sie - so haben Sie es ja eben erläutert - erst zwei Tage später über die Botschaft erreicht
hat? Es ist ja ein bisschen verwunderlich, wenn der deutsche Verkehrsminister mit Vertretern der Behörde spricht
und das gar nicht erwähnt wird und die Informationen
nicht weitergegeben werden, dann aber zwei Tage später
die Botschaft informiert wird . Deshalb meine Frage: Haben Sie konkret nach weiteren Vorwürfen, nach weiteren
Ermittlungen der EPA gefragt?
Da ich bei dieser Reise nicht dabei war, kann ich auch
nicht persönlich gefragt haben . Ich wiederhole, dass uns
diese Informationen erstmals am 2 . November erreicht
haben .
Wir kommen jetzt zur Frage 7 des Abgeordneten
Oliver Krischer:
Woraus bestanden die Nachprüfungen des Kraftfahrt-Bundesamts an „über tausend“ Fahrzeugen bzw . Fahrzeugtypen
({0}), und welche konkreten Messungen von Abgaswerten ({1}) fanden dabei statt?
Ich habe schon gesehen, dass es einige Rückfragen
gibt . Aber es sind auch noch einige Fragen zu beantworten . Deswegen Oliver Krischer, und ich sehe schon, wer
sich noch gemeldet hat .
Herr Kollege Krischer, zur Frage 7: Im Zeitraum
2010 bis 2015 wurden fast 1 100 Nachprüfungen zu den
vom Kraftfahrt-Bundesamt erteilten Typengenehmigungen vorgenommen . Die Unternehmungen des Kraftfahrt-Bundesamtes finden im Rahmen der entsprechenden Rechtsvorschriften statt . Im Übrigen wird auf die
Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 20 und 21
der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 18/5656, verwiesen .
Herr Krischer .
Herr Staatssekretär, für diese Antwort danke ich Ihnen
leider nicht . Denn es ist genau dieselbe Antwort, die Sie
uns schriftlich gegeben haben . Ich habe konkret gefragt .
Aber Sie verweisen wieder auf eine Nichtantwort auf
eine schriftliche Frage . Das ist Ihre Form von Transparenz .
Ich hätte gerne gewusst, was bei den einzelnen Nachprüfungen überprüft worden ist . Hat man da Stickoxide
nachgemessen? Hat man da CO2 gemessen? Hat man da
überhaupt gemessen? Oder haben diese Nachprüfungen
darin bestanden, dass man sich irgendwelche Unterlagen angeguckt hat? Oder hat die Nachprüfung nur daParl. Staatssekretär Norbert Barthle
rin bestanden, dass da irgendein Stempel draufgemacht
worden ist? Ich bitte Sie um eine konkrete Erläuterung:
Hat es im Rahmen dieser Nachprüfungen Messungen zu
Stickoxiden und CO2 gegeben?
Herr Barthle .
Einen kleinen Augenblick; ich will korrekt antworten . - Das Kraftfahrt-Bundesamt, Herr Kollege Krischer,
wurde ja von uns angewiesen, alle auf dem deutschen
Markt befindlichen Dieselkraftfahrzeuge zu überprüfen.
Das geschieht derzeit . Es sind, wenn ich es richtig im
Kopf habe, mehr als 50 unterschiedliche Fahrzeugmodelle .
({0})
Da werden selbstverständlich die Abgaswerte nachgemessen . Ergebnisse liegen uns noch nicht vor . Es gibt
lediglich Rohdaten . Das habe ich auch heute früh im
Ausschuss schon dargelegt; das können Sie gerne im
Ausschussprotokoll nachlesen . Uns liegen, wie gesagt,
bislang nur Rohdaten vor . Diese Rohdaten müssen überprüft und mit denen der Hersteller abgeglichen werden .
Die Ergebnisse werden dann in den Abschlussbericht der
Kommission, der sicherlich auch veröffentlicht wird, einfließen.
Herr Krischer, zweite Zusatzfrage .
Herr Barthle, langsam fasse ich es nicht mehr . Ich habe
nicht gefragt, welche Nachprüfungen Sie nach Bekanntwerden des VW-Skandals durchgeführt haben; das ist ein
anderer Themenkomplex . Hier geht es um die Frage, was
im Zeitraum vorher geschehen ist . Dazu haben Sie selber
eben gesagt, es habe 1 500 Nachprüfungen gegeben .
Nicht 1 500, sondern 1 100 .
Ich stelle Ihnen noch einmal die Frage - dazu gibt es
eine mündliche Frage, die schriftlich gestellt worden ist,
und mehrere schriftliche Fragen -: Was genau ist da untersucht worden? Das ist eigentlich eine ganz einfache
Frage . Nun erläutern Sie uns das doch einmal! Sind da
Stickoxide und CO2 gemessen worden?
Herr Barthle .
Bei diesen Nachprüfungen - insgesamt fast 1 100,
nicht 1 500 - werden die Dinge nachgeprüft, die Teil der
Typengenehmigungsverordnung sind . Sie richten sich
immer nach der Typengenehmigungsverordnung .
({0})
- Wenn es sich um Verbrauchswerte oder um Abgaswerte
handelt, dann geht das nur, indem man misst . Also wurde
mit Sicherheit auch gemessen .
Vielen Dank . - Herr Kühn .
Diese Frage habe ich übrigens in der letzten Fragestunde schon einmal genauso beantwortet .
Herr Kühn .
Meine Nachfrage bezieht sich auf die Frage 6 . Ich hoffe, dass ich sie noch stellen darf .
Dann fallen andere weg . - Aber bitte, machen Sie!
Sie haben mir, Herr Staatssekretär, in der letzten Woche auf meine Frage nach den Gesprächen und der bilateralen behördlichen Zusammenarbeit geantwortet - Zitat -:
Der gute Informationsaustausch zwischen den deutschen und amerikanischen Behörden wird fortgesetzt .
Wenn dieser Informationsaustausch so gut ist, wundere
ich mich über Folgendes: Das ICCT ist ja im Herbst 2014
auf die Abweichung zwischen Labor- und Straßenwerten
gekommen, die es sich nicht erklären konnte . Daraufhin
hat die EPA angefangen, dem nachzugehen . Die Untersuchung, die die EPA daraufhin durchgeführt hat, und die
Gespräche mit VW, die dann stattgefunden haben, sind
aber nicht in guter behördlicher Zusammenarbeit und
gutem Informationsaustausch an die deutschen Behörden
gegangen . Können Sie mir erklären, wie man von einem
guten Informationsaustausch zwischen deutschen und
amerikanischen Behörden sprechen kann, wenn die Information, dass die EPA den Ergebnissen der ICCT-Studie nachgeht, in Deutschland angeblich nicht bekannt
geworden ist? Das verstehe ich nicht . Das ist für mich
ein Widerspruch .
Herr Barthle .
Herr Kollege Kühn, ich kann gern wiederholen: Wir
haben Erkenntnisse über Manipulationen zu den Zeitpunkten bekommen, die ich hier schon mehrfach dargelegt habe, und nicht zuvor .
Dann kommen wir zur Frage 8 des Kollegen Gastel:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der
Auffassung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH ({0}),
dass der Flughafen Berlin Brandenburg ({1}) kein internationales Drehkreuz sein wird ({2}),
und mit welchen finanziellen Folgen für die Wirtschaftlichkeit
des BER rechnet die Bundesregierung?
Herr Barthle, bitte .
Herr Kollege Gastel, die Bundesregierung erwartet, dass die operativ zuständige Geschäftsführung der
Flughafen Berlin Brandenburg GmbH den gesellschaftsrechtlich zuständigen Gremien der Flughafen Berlin
Brandenburg GmbH den Sachverhalt einschließlich der
wirtschaftlichen Folgen erläutern wird .
Herr Gastel .
Das ist natürlich eine super Antwort .
Danke .
Ich habe mehrere Nachfragen . Deswegen muss ich mir
jetzt gut überlegen, welche zwei Nachfragen ich stelle .
Eine Minute!
Genau . - Meine erste Frage ist: Steht nach Erkenntnis der Bundesregierung der Inbetriebnahmetermin
Herbst 2017?
Nach Erkenntnis der Bundesregierung und nach Aussage von Herrn Mühlenfeld steht dieser Termin .
Zweite Nachfrage .
Meine zweite Nachfrage: Die Deutsche Bahn hat
ihre Strecke zum BER und ihren Bahnhof unter dem
BER schon vor einiger Zeit fertiggestellt . Logischerweise kann sie dort aber noch keinen Betrieb durchführen .
Trotzdem muss sie dort regelmäßig Züge fahren lassen,
damit die Metalle, die dort verbaut wurden, nicht rosten,
wodurch Kosten entstehen .
Die DB hat jetzt eine Klage gegen die Betreibergesellschaft des Flughafens eingereicht, weil der Bahnhof
nicht in Betrieb gehen kann . Was ist dazu die Meinung
der Bundesregierung?
Die Meinung der Bundesregierung dazu ist, dass wir
abwarten, wie dieses Gerichtsverfahren endet .
({0})
Herr Ströbele .
Danke, Frau Präsidentin . - Herr Staatssekretär, ich
komme da auch manchmal vorbei und sehe dann - vor
allen Dingen abends - die Beleuchtung . Das sieht wie
ein riesiges Schloss aus und ist faszinierend . Ich kann mir
vorstellen, dass das viele Reisende, die dort ankommen,
auch sehen .
Kann man dieses Gebäude, das seit Jahren leer steht
und wahrscheinlich noch ein paar weitere Jahre leer stehen wird, nicht für etwas Nützliches verwenden? Wir
wissen, dass jeden Monat über 30 Millionen Euro dafür
ausgegeben werden . Das ist unter anderem auch Bundesgeld . Würden Sie befürworten, dass beispielsweise
Flüchtlinge jedenfalls in den Bereichen untergebracht
werden, wo sie vor einem Einsturz des Daches und einem
Herunterfallen der Heizung sicher sind?
Interessante Frage . - Herr Barthle .
Herr Ströbele, dazu kann ich Ihnen keine Auskünfte
geben; denn es liegt nicht im Ermessen der Bundesregierung, wie da verfahren wird .
Vielen Dank . - Die Frage 9 der Kollegin Veronika
Bellmann wird schriftlich beantwortet .
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs . - Herr Barthle, ich danke Ihnen für die Antworten . Sie sind nach diesen wenigen Fragen jetzt fertig .
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit . Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter zur
Verfügung . - Herzlich willkommen .
Die Frage 10 der Abgeordneten Bärbel Höhn und die
Fragen 11 und 12 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl
werden schriftlich beantwortet .
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Peter Meiwald auf:
Werden die Einträge von Mikroplastik in die Umwelt nach
Einschätzung der Bundesregierung durch die Einführung des
Wertstoffgesetzes verringert, wie von den Regierungsfraktionen in der Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen „Freisetzung von Mikroplastik beenden“ behauptet
({0}),
und, wenn ja, durch welche konkreten Regelungen des vorliegenden Arbeitsentwurfes für ein Wertstoffgesetz wird ein signifikanter Rückgang der Mikroplastikeinträge in die Umwelt
aus Sicht der Regierung erwartet?
Frau Staatssekretärin, bitte .
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Sehr geehrter Herr Kollege Meiwald, ich antworte Ihnen wie folgt: Wesentliche Voraussetzung für eine
Verminderung des Eintrags von sogenanntem sekundären Mikroplastik aus zerkleinerten bzw . fragmentierten
Kunststoffprodukten in die Umwelt - und insbesondere
in Gewässer - ist eine geordnete Abfallentsorgung .
In Deutschland haben wir das bereits erreicht . Durch
die flächendeckende Erfassung von Abfällen, hohe Verwertungsquoten und Anreize zur Abfallvermeidung ist
ein Eintrag von Kunststoffabfällen in die Gewässer weitgehend ausgeschlossen . Der bestehende abfallrechtliche
Rahmen wird auch in dieser Legislaturperiode weiterentwickelt, unter anderem mit dem geplanten Wertstoffgesetz . Er soll dazu führen, dass in Produktverantwortung
der Hersteller und Vertreiber im Bereich der sogenannten
Post-Consumer-Siedlungsabfälle noch mehr Kunststoffabfälle gesammelt und aufgrund deutlich gesteigerter
Recyclinganforderungen einer hochwertigen wertstofflichen Verwertung zugeführt werden .
Weiter gehende spezielle Regelungen, die zu einem
in der Frage angesprochenen signifikanten „Rückgang
der Mikroplastikeinträge in die Umwelt“ führen würden,
sind im Arbeitsentwurf für ein Wertstoffgesetz nicht vorgesehen und in diesem Kontext auch nicht erforderlich .
Herr Meiwald, bitte .
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin . - Sie sagen, dass
Sie es nicht über das Wertstoffgesetz regeln wollen - das
habe ich mir ja schon fast gedacht, aber der Kollege aus
der Koalition sprach in der ersten Debatte über unseren
Antrag davon, es dort zu regeln -, daher frage ich Sie:
Welche Ziele zur Verringerung der Einträge von Mikroplastik in die Umwelt hat die Regierung denn sonst wo
formuliert, und mit welchen Programmen soll eine Reduzierung in Kürze erreicht werden, insbesondere nachdem
die UBA-Untersuchung dargestellt hat, dass zum Beispiel aus Reifenabrieb ein signifikanter Teil von Mikroplastik in die Umwelt kommt? Über welche gesetzlichen
Vorhaben soll das geregelt werden?
Frau Staatssekretärin .
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
In der Plenardebatte ging es vor allem um Plastiktüten . In der Zwischenzeit sind wir durch die Diskussionen im politischen Umfeld und in der Gesellschaft erheblich weitergekommen, und zwar dahin gehend, dass
ein freiwilliges Entgelt verlangt werden soll . Ich denke,
das war das Hauptproblem . Damals hieß es ja: Wenn das
Ziel auf freiwilligem Wege nicht erreicht werden kann,
dann könnte man es im Wertstoffgesetz entsprechend
verankern . Aber es deutet ja alles darauf hin, dass eine
freiwillige Lösung möglich ist, mit der ein Entgelt für
Plastiktüten vom Verbraucher verlangt wird .
Zum Reifenabrieb und damit Eintrag von sekundärem
Mikroplastik: Es ist natürlich schwierig, das im Wertstoffgesetz zu verankern, weil der Abrieb während des
Betriebs passiert . Insofern erübrigt sich das .
Herr Meiwald zu einer weiteren Rückfrage .
Dass sich das nicht über das Wertstoffgesetz regeln
lässt, ist relativ offensichtlich . Aber meine Frage lautete: Welche weiter gehenden gesetzlichen Vorstellungen
haben Sie, dieses Problem in den Griff zu bekommen?
Daneben stellt sich natürlich die Frage des primären
Mikroplastiks aus Kosmetika . Dazu gibt es ja bis jetzt
noch keine freiwillig verbindliche Regelung . Das BMUB
hat am 26 . Juli getwittert: „Unsichtbar und gefährlich für
Tier & Umwelt: Mikroplastik in Kosmetik .“ Deshalb
meine Frage: Welche Maßnahmen sind da jetzt geplant?
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei
der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit:
Lieber Herr Kollege Meiwald, wir hatten einen sogenannten Kosmetikdialog . Die Industrievertreter haben
uns glaubhaft versichert, einen Komplettausstieg aus der
Verwendung von Mikroplastikteilchen anzustreben .
Zu Ihrer Frage, welche Maßnahmen wir bezüglich
des Reifenabriebs vorhaben: Da sind mir bisher keine
bekannt .
Vizepräsidentin Claudia Roth
Vielen Dank .
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung . Die Fragen 14
und 15 des Abgeordneten Kai Gehring werden schriftlich
beantwortet .
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung .
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Uwe Kekeritz
auf:
Mit welcher Begründung unterstützt die Bundesregierung
den derzeit diskutierten Vorschlag im Rahmen des Valletta-Gipfels, dass Gelder der Entwicklungszusammenarbeit an
die Bereitschaft der Partnerländer zur Rückübernahme und
Rückführung von Flüchtlingen gekoppelt werden ({0}), und wie rechtfertigt
sie in diesem Zusammenhang die Kooperation unter anderem
mit autoritären Regimen wie etwa Eritrea?
Herzlich willkommen, Hans-Joachim Fuchtel, zur Beantwortung der Frage .
Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Diese Frage gibt Anlass zu einer wichtigen Klarstellung, Herr Kollege . Der „More for more“-Ansatz ist im
Zusammenhang mit dem Valetta-Gipfel auf gar keinen
Fall als Konditionierung von Entwicklungszusammenarbeit zu verstehen .
Zu Eritrea: Eine Zusammenarbeit mit Eritrea besteht
derzeit nicht . Gleichwohl ist Eritrea ein Land, aus dem
zurzeit der größte Teil afrikanischer Flüchtlinge stammt .
Daher müssen Dialogstrukturen aufgebaut werden . Das
wird bei dieser Konferenz auch geschehen .
Kollege Kekeritz .
Danke schön für die Antwort .- Der „More for more“-Ansatz ist also Ihrer Angabe nach nicht im Zusammenhang mit Entwicklungspolitik zu verstehen . Dann
verstehe ich aber den Begriff „More for more“ nicht . Die
Aussage von Thomas de Maizière - er scheint ja jetzt
die Politik dieser Regierung zu bestimmen; er wurde
darin ja auch von Herrn Schäuble unterstützt - ist ganz
klar: Wenn Länder zum Beispiel aus Afrika bereit sind,
mehr Flüchtlinge zurückzunehmen, die von uns zurückgeführt werden, dann wird diese Regierung auch mehr
Entwicklungsgelder bereitstellen . Das verstehe ich jetzt
also nicht .
Zur Aussage zu Eritrea, es gehe um den Treuhandfonds: Es gibt ein Papier der EU-Kommission, wonach
Eritrea und Sudan in Zukunft die Partner sein werden .
Insofern verstehe ich nicht Ihre Aussage, dass Sie mit
diesen Ländern nicht verhandeln . Ich muss Ihnen ja wohl
nicht erklären, dass sowohl im Sudan als auch in Eritrea
Diktatoren an der Regierung sind, die Ursache für die
Fluchtbewegungen sind .
Herr Fuchtel, bitte .
Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Der Prozess von Valletta ist sehr breit angelegt . Er hat
natürlich auch alles, was die Fluchtbewegungen betrifft,
zum Inhalt . Natürlich ist es das Ziel, diese Bewegungen
einzudämmen . Man möchte vor allem, dass Afrika künftig einen aktiven Part übernimmt und vor allem die Problematiken, die sich in diesem Zusammenhang auftun,
als gemeinsame Anliegen sieht und damit künftig konzeptionell eine bessere Zusammenarbeit möglich ist .
Wir werden das nicht nur durch den gerade genannten Fonds unter Beweis stellen, sondern wir werden auch
viele weitere Maßnahmen treffen, die sich dort einfügen
und die die Aussage, die ich gerade gemacht habe, unterstreichen .
Herr Kollege Kekeritz .
Danke schön . - Eine zweite Frage . Die Bundesregierung äußert sich immer öffentlich, dass sie jetzt Fluchtursachen ganz massiv bekämpfen will . Eine Fluchtursache
ist natürlich der Krieg . Ich weiß nicht, ob Sie da aktiv
werden können, vermutlich nicht . Aber es wäre für uns
hochinteressant, von Ihnen die Fluchtursachen ganz
klar definiert zu bekommen. Bisher wird immer nur von
Fluchtursachen gesprochen, ohne diese zu benennen .
Eine Antwort, die Sie darauf geben, ist: Sie wollen die
Mittel für Ausbildungsprogramme verstetigen und erhöhen . Dafür bin ich voll und ganz . Aber wir müssen auch
der Tatsache ins Auge schauen, dass Ausbildungsprogramme im Rahmen der Entwicklungshilfe seit 50 Jahren durchgeführt werden und diese offensichtlich doch
nicht dazu geführt haben, Fluchtursachen zu bekämpfen .
Was macht Sie so optimistisch, zu glauben, dass jetzt ein
bisschen mehr Ausbildungsprogramme tatsächlich ein
wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung von Fluchtursachen sind?
Herr Staatssekretär .
Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Herr Kollege, Sie sind mit diesen Fragen sehr vertraut .
Aus diesem Grund brauche ich Ihnen nicht zu erläutern,
dass Fluchtursachen sehr vielfältige Gründe haben . Das
fängt bei Hunger an und geht über ein verändertes Klima
bis hin zu vielen anderen Bereichen . Wenn es bis jetzt
noch nicht gelungen ist, dagegen genügend Maßnahmen
zu ergreifen, dann ist es höchste Zeit - das sollte auch in
Ihrem Interesse sein -, dass das geschieht . Genau dazu
wird jetzt in Valletta ein ernsthafter Anlauf genommen .
Geben Sie bitte diesem Bemühen parteiübergreifend eine
Chance .
Vielen Dank . - Ich sehe keine weiteren Wünsche nach
Zusatzfragen . Dann kommen wir zum Ende dieses Geschäftsbereichs . - Entschuldigung, es war keine böse
Absicht, Sie zu übersehen . - Bitte schön, Frau Kollegin
Pfeiffer .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . Es tut weh, wenn man
übersehen wird . Aber ich habe es ja noch gerade geschafft .
Herr Staatssekretär, natürlich geht es immer darum:
Wie werden Gelder zur Verfügung gestellt? Werden mehr
Mittel zur Verfügung gestellt? Natürlich ist die Sonderini tiative „Fluchtursachen bekämpfen - Flüchtlinge reintegrieren“ eine der haushalterisch und monetär wichtigsten Maßnahmen, die wir haben . Deshalb stellt sich für
mich die Frage: Ist es nicht richtig und wichtig, genau
in diesem Zusammenhang auch das Thema Bildung und
Ausbildung zu fördern?
({0})
- Herr Kekeritz sollte zuhören . Das war eine ganz wichtige Frage, aber das interessiert ihn dann doch nicht . Wenn wir Fluchtursachen bekämpfen wollen, geht es
auch darum, wie wir die Länder weiter wirtschaftlich unterstützen und zum Erfolg führen können . Genau das ist
der richtige Ansatzpunkt .
Hans-Joachim Fuchtel, Parl . Staatssekretär beim
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung:
Ich möchte das noch einmal unterstreichen . Beispielsweise gibt es heute von VENRO eine Pressemitteilung,
in der darauf hingewiesen wird, dass es eine langfristige Aufgabe ist . Deswegen habe ich hier so deutlich aufgeführt, dass es neben diesen Fragestellungen, die die
Fluchtbewegungen ganz konkret betreffen, bei denen es
auch darum geht: „Was kann man tun, um die Schleuserprobleme besser in den Griff zu bekommen?“, genauso
um langfristige Fragestellungen geht .
Bislang gab es in 18 Ländern Afrikas Maßnahmen der
beruflichen Bildung.
Hieraus muss man jetzt die Lehren ziehen, nach dem
Motto „lesson learnt“, darauf aufbauen und mit neuen
Impulsen und Akzenten Hoffnung geben . Denn eines der
wichtigsten Dinge ist, dass die Menschen die Hoffnung
haben, dass sie vor Ort eine Chance bekommen . Dazu
gehört im Übrigen auch, dass wir uns, was bisher wenig
getan wurde, viel stärker mit Ausbildungsmöglichkeiten
und entsprechenden Angeboten für Rückkehrer befassen .
Genau das gehört auch zur gesamten Strategie, die die
Bundesregierung verfolgt .
Vielen Dank . - Es gibt jetzt keine weiteren Fragen
mehr .
Noch einmal zur Erklärung, Frau Kollegin Pfeiffer:
Nach unserer Geschäftsordnung darf der Fragesteller
oder die Fragestellerin zwei Zusatzfragen stellen, jeder
andere Abgeordnete eine Frage .
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs .
Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär
Fuchtel für die geduldige Beantwortung der Fragen .
Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin
und des Bundeskanzleramtes auf .
Die Frage 17 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird
schriftlich beantwortet .
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie auf . Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer zur Verfügung .
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Uwe Kekeritz
auf:
Was versteht die Bundesregierung unter Verhältnismäßigkeit, wenn sie im Rahmen der Ratsarbeitsgruppe „Handelsfragen“ in Bezug auf verbindliche Regelungen in den Lieferketten sogenannter Konfliktmineralien angibt, diese für geeignet
zu halten, „wenn sie verhältnismäßig“ sind, und wie setzt sich
die Bundesregierung für verbindliche soziale, ökologische
und menschenrechtliche Standards im sogenannten Downstream-Bereich der Lieferkette - also von der Schmelze zum
Produkt - ein ?
Bitte schön, Herr Staatssekretär .
Frau Präsidentin! Ich beantworte die Frage von Herrn
Kekeritz wie folgt: Die Bundesregierung hat noch keine Entscheidung für ein konkretes Modell getroffen,
insbesondere dazu, wie weit die Verbindlichkeit reichen
sollte . Sie hat auch noch keine Festlegung in Bezug auf
die Frage der Verhältnismäßigkeit getroffen, um flexibel
auf Vorschläge im Rahmen des Trilogs mit dem Europäischen Parlament und der Kommission zu reagieren .
Die Achtung der Menschenrechte sowie hoher ökologischer und sozialer Standards durch deutsche Unternehmen ist aus Sicht der Bundesregierung ein wichtiges
Anliegen . Gemäß dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag entwickelt die Bundesregierung daher derzeit einen
nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte . Die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen erweist sich
nach einer BDI-Studie bereits jetzt in ihren Auslandsinvestments bei der Einhaltung von sozialen Standards als
vorbildlich und setzt international Maßstäbe .
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
Es gibt eine Reihe von Empfehlungen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln in einem globalen Kontext wie die „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“ und den „UN Global Compact“ . Die
Bundesregierung unterstützt die Unternehmen bei der
Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten. Im Bereich der sogenannten Konfliktmineralien informiert die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe bereits heute
Unternehmen auf Anfrage sowie auf Veranstaltungen
von Unternehmensverbänden zu den internationalen Anforderungen und Initiativen zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten mineralischer Rohstoffe .
Bitte schön, Herr Kollege Kekeritz .
Herr Beckmeyer, die Antwort verwirrt mich jetzt etwas .
Das liegt an Ihnen .
Das kann schon sein, aber es liegt vielleicht auch an
Ihrer Antwort . - Mir liegt ein Drahtbericht der EU-Kommission vor, in dem klar steht, dass das Wirtschaftsministerium für verbindliche Standards im Bereich von
Konfliktmineralien eintritt - nun kommt das Wort „verhältnismäßig“ -, wenn diese verbindlichen Standards
verhältnismäßig sind .
Sie sagen jetzt: Es gibt keinerlei Festlegungen der
Bundesregierung . - Das ist für mich sehr verwirrend .
Wie soll ich Ihnen Fragen stellen, wenn Sie einerseits sagen, Sie hätten sich gar nicht festgelegt, aber andererseits
ein Drahtbericht der EU-Kommission vorliegt, in dem es
heißt, dass sich das Wirtschaftsministerium für Standards
ausgesprochen hat?
Wie mache ich jetzt weiter? Ich stelle Ihnen erst einmal die Frage: Was würden Sie, sofern es zutrifft, dass
die Verbindlichkeit der Regeln festgelegt wird, unter
„Verhältnismäßigkeit“ verstehen? Ist damit die Verhältnismäßigkeit gegenüber den europäischen Industriellen
gemeint, oder ist es die Verhältnismäßigkeit gegenüber
jenen Menschen zum Beispiel im Kongo-Becken, die
unter lebensgefährlichen, sozial und ökologisch nicht akzeptablen Bedingungen in Bergwerken arbeiten?
Herr Staatssekretär .
Herr Kekeritz, wenn Sie aufmerksam zugehört hätten, hätten Sie festgestellt, dass ich bei meiner Antwort
gesagt habe, dass es uns um Flexibilität geht, vor allen
Dingen wenn wir im Rahmen des Trilogs auf Vorschläge
antworten und uns einbringen . Wie Sie wissen, gibt es einen Beschluss des Europäischen Parlaments . Sie kennen
sicherlich auch das Verhalten der einzelnen Mitgliedstaaten . Wenn Ihnen ein Drahtbericht vorliegt, dann kennen
Sie wahrscheinlich auch andere Drahtberichte, aus denen
hervorgeht, wie sich die einzelnen Mitgliedstaaten in Europa zurzeit aufgestellt haben . Die Bundesregierung und
die schwedische Regierung könnten sich für Verbindlichkeiten aussprechen . Aber ein Großteil der anderen Mitgliedstaaten kann das eben nicht . Aus diesen verschiedenen Positionen muss letztendlich etwas Verbindliches
gebildet werden; daran arbeiten wir zurzeit . Der Prozess
ist noch nicht zu Ende .
Sie haben mich gefragt, was in diesem Fall verbindlich und verhältnismäßig ist .
Die Redezeit ist jetzt verbindlich .
Der eine oder andere Jurist sagt dazu: geeignet, erforderlich, angemessen .
Herr Kekeritz, Sie dürfen nur noch ganz schnell eine
weitere Zusatzfrage stellen; denn wir haben die Zeit für
die Fragestunde bereits überschritten .
Ganz schnell eine letzte Frage . - Es gibt eine Initiative
auf EU-Ebene . Plant die Bundesregierung, die nationalen
Transparenzrichtlinien zu verschärfen, um mehr Informationen über die Aktivitäten unserer Industrie in Bezug
auf die Lieferketten zu erhalten?
Herr Kekeritz, wir sind sogar einen Schritt weiter .
Wir haben gerade den Prozess der Bewerbung bei EITI
abgeschlossen . Wir haben unseren Antrag in Vorbereitung und wollen ihn zum Jahresende in Oslo abgeben,
sodass wir dann Vollmitglied in der Extractive Industries
Transparency Initiative sind . Wir sind aktuell dabei, uns
einzubringen, und wollen auf diesem Weg Korruption im
Rohstoffsektor verhindern; das ist unsere Position und
Politik . Daran arbeiten wir ganz gezielt und entschlossen .
Vielen Dank . - Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt . Alle weiteren Fragen, die heute nicht
beantwortet werden können, werden gemäß unserer Geschäftsordnung schriftlich beantwortet .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses
Drucksachen 18/6330, 18/6601
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . - Ich höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .
Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen,
dass wir im Laufe des späteren Nachmittags die Feierlichkeiten anlässlich des 60 . Jahrestages der Bundeswehr
haben . Deshalb darf ich alle Kolleginnen und Kollegen
eindringlich bitten, sich an die vereinbarte Redezeit zu
halten . Ansonsten kommen wir noch mehr ins Hintertreffen . Wir sind schon jetzt im Hintertreffen beim Zeitplan .
Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Clemens Binninger, CDU/CSU-Fraktion .
({1})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Möglicherweise haben
wir gedacht, als wir vor etwa drei Jahren den 1 . Untersuchungsausschuss eingesetzt haben, dass es nicht noch
einmal notwendig sein wird, dieses Thema im Rahmen
eines weiteren parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu beleuchten . Nun sind wir heute zusammengekommen, um genau das zu beschließen . Bevor ich
begründen will, warum ich der festen Überzeugung bin,
dass das notwendig und richtig ist, will ich noch einmal
an die Arbeit des 1 . Untersuchungsausschusses erinnern .
Es war eine Verbrechensserie, die alle in diesem Land
erschüttert hat . Wir haben uns gefragt: Wie konnte es
sein, dass ein Terrortrio und sein rechtsextremes Umfeld
hier so lange agiert haben, ohne dass man es bemerkt und
als solches erkannt hat?
Ein Präsident einer Sicherheitsbehörde hat damals gesagt: Das war eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden . - Ich gehe ein Stück weiter - ich bin in den Debatten
immer ein Stück weiter gegangen -: Dass hier die Morde
geschehen konnten, dass man sie nicht als solche erkannt
hat, dass Opfer durch die Art der Ermittlungen noch einmal zu Opfern gemacht wurden, dass man die Gefahr des
rechten gewaltbereiten Extremismus unterschätzt hat, sie
auch nicht sehen wollte, war eine Niederlage für unsere
gesamte Gesellschaft und darf sich nicht wiederholen .
({0})
Mit diesem Befund war uns auch sehr schnell klar,
dass dieses Thema keine Parteipolitik verträgt . Das ist
nicht ganz einfach, weil wir wissen - so seriös muss
man miteinander umgehen -, dass wir zu der Arbeit der
Sicherheitsbehörden, zu manchen Instrumenten - Stichwort: V-Leute - oder zum Umgang mit und zu der Bewertung von Nachrichtendiensten natürlich unterschiedliche
politische Meinungen haben . Die gehen auch nicht dadurch weg, dass man in einem Untersuchungsausschuss
zusammenarbeitet .
Aber die Leistung des ersten Ausschusses war - so
viel Selbstlob sei gestattet -, dass wir diese politischen
Unterschiede beiseitegelassen und gesagt haben: Wir
konzentrieren uns auf die Aufklärung . Wir konzentrieren
uns darauf: Warum ist es nicht gelungen, das Trio nach
dem Untertauchen zu finden? Warum ist es nicht gelungen, dass der Verfassungsschutz besser mit der Polizei
zusammengearbeitet hat? Warum hat man das V-Leute-Instrument so eingesetzt, wie man es eingesetzt hat?
Ich habe damals gesagt: Aufwand und Risiko, das man
mit diesen Leuten eingeht - sie bleiben ja Neonazis, auch
wenn sie dem Staat Informationen liefern -, standen in
keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn .
({1})
Das waren unsere Schwerpunkte . Daran haben wir uns
orientiert .
Es waren viele Bundesländer betroffen . Es waren alle
Parteien irgendwann einmal in einer Regierung vertreten .
Deshalb konnte auch keiner sagen: Jemand ist schuld . Wir haben am Ende 47 Empfehlungen ausgesprochen,
von denen wir einen Teil bereits umgesetzt haben, wobei die anderen immer wieder von uns allen gemeinsam
überprüft werden . Jetzt stellt sich die Frage: Ihr habt untersucht, ihr habt 47 Empfehlungen ausgesprochen, warum noch einmal ein Ausschuss?
Dazu will ich die Geschichte dieser Legislatur erzählen, nämlich dass wir eine Berichterstatterrunde gebildet
haben, die dieses Thema weiterhin verfolgt hat: Frau
Mihalic, Frau Högl, Frau Pau und ich . Wir haben natürlich auch während der letzten Jahre Fragen gehabt . Eine
der Kernfragen war: Kann es wirklich sein, dass der NSU
nur ein Trio war, oder sind nicht Zweifel angebracht? Wir
haben Fragen, die aufgetreten sind, immer wieder im Innenausschuss gestellt . Es ist uns aber auch von der einen
oder anderen öffentlichen Stelle bedeutet worden: Jede
Frage, die euch interessiert, werden wir nicht beantworten, da ihr kein Untersuchungsausschuss seid .
Also, es war klar, dass wir mit den bisherigen Instrumenten an eine natürliche Grenze kommen . Auch deshalb
haben wir gesagt: Wenn wir dem tiefer auf den Grund gehen wollen, dann brauchen wir einen Untersuchungsausschuss . Wir sind es, glaube ich, auch unverändert - das
war unser Versprechen an die Familien der Opfer - den
Familien der Opfer, den ausländischen Mitbürgern, die
betroffen waren, aber auch allen anderen schuldig, dass
wir alles tun, um mehr Licht ins Dunkel zu bringen . Das
ist auch unsere Aufgabe, Aufgabe der Sicherheitsbehörden natürlich auch .
Wir sind keine Ersatzermittler, aber natürlich werden
wir uns mit der Arbeit von Ermittlungsbehörden noch
einmal auseinandersetzen müssen, auch mit der Arbeit
der Dienste . Auch die Frage, ob es wirklich sein kann,
dass es keinen einzigen V-Mann gab, der nicht einmal
den Aufenthaltsort des Trios kannte, ist etwas, was einen
zu Recht zweifeln lässt . Auch die Frage, ob die Polizistin
in Heilbronn wirklich ein Zufallsopfer war, und natürlich die Dinge, die wir beim ersten Mal nicht aufarbeiten
konnten, weil uns die Zeit gefehlt hat, die Ereignisse am
4 . November 2011 in Eisenach und in Zwickau, spielen
eine Rolle .
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
Anders als beim ersten Mal können wir auf fundiertes
Wissen von uns selber zurückgreifen . Beim ersten Mal
hatten wir 12 000 Leitz-Ordner durchzuarbeiten, wir
hatten, glaube ich, etwa 100 Zeugen in kurzer Zeit zu
befragen, es gab nur wenige oder gar keine Ausschüsse in den Ländern, die Ermittlungen liefen noch . Heute
greifen wir auf mehr zurück und können sehr gezielt und
sehr konkret an den wichtigen Fragen arbeiten und dann
hoffentlich auch Schlüsse ziehen .
Ich bin - das war ich beim letzten Mal auch, aber dieses Mal bin ich es noch mehr - fest davon überzeugt, dass
die Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Ausschuss
mitarbeiten, so sehr von dem Willen getragen sind, es
überparteilich zu tun, dass wir auch bei diesem Ausschuss die Parteipolitik auf der Seite lassen, im Interesse
der Sache überfraktionell arbeiten, niemanden schonen,
aber auch niemanden vorführen, in der Kritik klar und
präzise sind, aber nicht unfair und dass wir das, was wir
vielleicht einmal im Streit zu besprechen haben - den
wird es auch geben -, unter uns regeln .
Wir haben erfahrene Kollegen, die schon beim ersten
Mal dabei waren, die jetzt wieder mitarbeiten . Wir haben
Kollegen, die neu dabei sind und mit großem Interesse
am Thema mitarbeiten . Wir haben auch Kollegen mit
Erfahrung aus praktischer Arbeit in Sicherheitsbehörden .
Das wird sicherlich eine Hilfe sein . Deshalb lassen Sie
uns, ohne dass ich zu viele Erwartungen wecken will,
etwas tun, was Aufgabe des Parlaments ist, die Kontrolle der Exekutive, die Aufarbeitung von einem wirklich
schwierigen Sachverhalt, und versuchen, so viel Klärung
zu erreichen, wie es einem Parlament mit seinen Instrumenten möglich ist, und das alles gemeinsam und überparteilich .
Herr Kollege Binninger, kommen Sie bitte langsam
zum Schluss .
Es passiert mir ganz selten, dass ich die Zeit überziehe .
Aber jetzt schon ganz massiv .
Es waren ein paar Sekunden, aber okay . - Schlusssatz
von mir: Ich glaube, dass wir gerade in diesen Tagen, in
denen wir fremdenfeindliche Gewalt erleben müssen, in
denen Rechtsextremismus Zulauf bekommt, mit einer seriösen Arbeit ein klares politisches Signal setzen, dass in
unserem Land niemand Angst haben soll vor Gewalt, vor
Verfolgung und wir an der Seite derer stehen, die diese
Unterstützung brauchen . Fremdenfeindlichkeit hat in unserem Land keinen Platz .
({0})
Vielen Dank . - Es ist so: 60 Sekunden sind eine Minute . Es sind zwar nur einige Sekunden jeweils, aber es
summiert sich .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau, Fraktion
Die Linke .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann
hier nahtlos anschließen . Das Kürzel NSU umfasst die
bis dato größte rechtsterroristische Mord-, Raub- und
Überfallserie in Deutschland und beschreibt zugleich ein
absolutes Staatsversagen . Das war die gemeinsame Einschätzung nach dem Untersuchungsausschuss des Bundestages in der 17 . Legislaturperiode .
Auch in der laufenden 18 . Legislatur geriet der
NSU-Komplex nie aus dem Blick . Die Linke stellte allein über 40 parlamentarische Anfragen . Monatelang befassten wir uns im Innenausschuss ausgiebig mit diesem
Thema, mit mäßigem Erfolg . Abwehr überwog an vielen
Stellen . Ich möchte daran erinnern: Die Bundeskanzlerin
Angela Merkel hatte den Hinterbliebenen, den Überlebenden, der Öffentlichkeit bedingungslose Aufklärung
der NSU-Anschläge versprochen . Aber es gab viel zu
viele Behinderungen aus Ämtern, aus Behörden, auch
aus Ministerien . Ich denke, wir sollten alle gemeinsam
dafür sorgen, dass sie auf gar keinen Fall meineidig wird .
({0})
Clemens Binninger hat den Prozess, der zum Zustandekommen des Untersuchungsauftrages führte, den
wir heute beschließen - ich denke, dass wir das heute
fraktionsübergreifend tun -, schon beschrieben . Aus den
genannten Gründen brauchen wir diesen Untersuchungsausschuss mit all seinen besonderen Befugnissen .
Nehmen wir allein die zehn Morde, die dem NSU zur
Last gelegt werden . Es gibt keinen einzigen, bei dem ich
sagen könnte: Ja, so wie es jetzt beschrieben ist, war es
auch . Das trifft auch auf das tödliche Finale für Böhnhardt
und Mundlos am 4 . November 2011 in Eisenach zu .
Damit zusammen hängen die ebenso fragwürdigen
Geschehnisse unmittelbar danach in Zwickau im Wohnhaus des NSU-Trios . Über all dem schwebt weiter die
Frage: War das Nazitrio wirklich unerkannt durch die
Lande gezogen, und, wenn nein, wer wusste wann was?
Wir sind uns weitgehend einig: Der NSU ist nicht auf
ein Trio zu beschränken . Seine Mitglieder waren vernetzt, regional, national, international . Spuren weisen
nach Skandinavien, in die USA, nach Südafrika . Was
von alledem wusste eigentlich der Bundesnachrichtendienst? Überhaupt bleiben viele Fragen an die Geheimdienste, allen voran an die Ämter für Verfassungsschutz,
zumal wir ja inzwischen auch wissen, nicht zuletzt durch
den Prozess in München: Im Umfeld des Nazitrios, des
Kerntrios des NSU, agierten mehr als 40 V-Leute dieser
Ämter .
Übrigens, genau heute vor vier Jahren, am 11 . November 2011, wurde im Bundesamt für Verfassungsschutz die „Operation Konfetti“, wie unser früherer Kollege Wolfgang Wieland sie nannte, gestartet: Meterweise
wurden Akten geschreddert und somit Belege vernichtet, die bei der Aufklärung des NSU-Komplexes wichtig
sein könnten . Auch dafür müssen die Verantwortlichen
schwerwiegende Gründe gesehen haben, die nichts Gutes
verheißen . Wir haben sie im ersten Untersuchungsausschuss nicht zu Ende erhellen können . Aber wir wissen
aus den Antworten, auch auf unsere parlamentarischen
Anfragen, dass einige dieser Akten inzwischen wieder
rekonstruiert oder in ihren Bestandteilen anderswo aufgefunden worden sein sollen . Auch diesen wird sich der
neue Untersuchungsausschuss zuwenden . Wir wollen im
zweiten Untersuchungsausschuss daher nicht nur erhellen, was vor dem 4 . November 2011 geschah, sondern
auch, was seither geschehen ist .
Schließlich gibt es einen aktuellen Bezug: Anfang der
1990er-Jahre gab es regelrechte Pogrome gegen Migranten und Flüchtlinge, in Ost und West, in Nord und Süd .
Die wenigsten Täter wurden dafür belangt . Die meisten
fühlten sich sogar ermutigt, zum Beispiel dadurch, dass
das von ihnen verhasste Asylrecht damals politisch gekappt wurde . In dieser Zeit wurde das NSU-Kerntrio
rechtsextrem sozialisiert und gewalttätig radikalisiert .
Ich finde, aktuelle Vergleiche lassen einen erschrecken.
Längst könnten erneut Rechtsterroristen unterwegs sein .
Umso mehr müssen wir den NSU-Komplex vollständig
aufklären .
({1})
Vielen Dank . - Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Dr . Eva Högl das Wort .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es
gibt Verbrechen, es gibt Anschläge, es gibt Terrorakte,
die bleiben uns allen für immer in Erinnerung und die
prägen unsere Gesellschaft . Das waren der Terror der
RAF - Bilder davon sehen wir jetzt anlässlich des traurigen Todes von Helmut Schmidt wieder im Fernsehen -,
der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest, der 11 . September 2001, und die Morde und Sprengstoffanschläge
des NSU gehören ebenfalls in diese Aufzählung . Das
sind Verbrechen, das sind Terrorakte, die wir nicht vergessen werden und die uns weiter beschäftigen werden .
Ich sage hier noch einmal deutlich: Diese Morde und
diese Sprengstoffanschläge waren Anschläge auf uns
alle, auf unsere Demokratie, auf unser friedliches Zusammenleben, auf unsere tolerante Gesellschaft . Wir alle
miteinander, wir waren gemeint mit diesen Anschlägen .
({0})
Das Zweite ist: Diese Sprengstoffanschläge, diese
viele Jahre nicht aufgeklärte Mordserie des NSU waren
eine Zäsur für die Sicherheitsbehörden, eine ganz grausame Zäsur; denn sie legten offen, dass wir es mit einem
systematischen, flächendeckenden Versagen der Sicherheitsbehörden zu tun hatten, und zwar im Bund und in
den Bundesländern, bei Polizei, bei Verfassungsschutz,
bei der Justiz . Das war keine leichte Erkenntnis und ist
es bis heute nicht . Aber das war die Erkenntnis des ersten
Untersuchungsausschusses: dass es eben keine Ansammlung von Pleiten, Pech und Pannen, von Dusseligkeiten
und Schusseligkeiten war, sondern dass es tatsächlich ein
flächendeckendes Versagen war, dass die Mordserie elf
Jahre lang nicht in Zusammenhang gebracht wurde mit
dem untergetauchten rechtsextremen Terrortrio NSU .
Ich will noch einmal daran erinnern, was unsere zwei
wesentlichen Erkenntnisse im NSU-Untersuchungsausschuss waren: Der Rechtsextremismus wurde jahrelang man kann sogar sagen, jahrzehntelang - systematisch
verharmlost, verniedlicht, vernachlässigt und nicht als
Gefahr für unsere Gesellschaft gesehen . Bei den Ermittlungen der Morde und Sprengstoffanschläge wurden an
keiner Stelle, an keinem einzigen Tatort die möglichen
Motive Rassismus und Rechtsextremismus auch nur ansatzweise so gründlich in den Blick genommen, wie es
notwendig gewesen wäre . - Das sind die beiden wesentlichen Erkenntnisse . Deswegen ist es für uns anlässlich
des NSU so wichtig, auf der einen Seite weiter aufzuklären und auf der anderen Seite auch Reformen anzugehen .
Wir, die ehemaligen Obleute und andere interessierte Kolleginnen und Kollegen, haben uns jetzt - das ist
schon gesagt worden - zwei Jahre ganz intensiv weiter
mit dem Thema beschäftigt und uns die Entscheidung
bezüglich der Frage, ob wir noch einmal einen NSU-Untersuchungsausschuss einsetzen, wahrlich nicht leicht
gemacht . Wir haben sehr sorgfältig überlegt und erst einmal die anderen Möglichkeiten genutzt, die wir hier im
Parlament so haben - das ist schon gesagt worden -: als
Berichterstatterin und Berichterstatter, mit Kleinen und
Großen Anfragen sowie mit Einzelfragen und intensiven
Debatten im Innenausschuss . Aber wir haben festgestellt, dass wir die Fragen, die wir alle noch haben, eben
nicht beantwortet bekommen, dass wir in dem Rahmen,
den wir hier zur Verfügung haben, nicht weiter aufklären können und deshalb einen NSU-Untersuchungsausschuss Teil 2 brauchen .
Ich will ganz ausdrücklich sagen: Wir rollen nicht auf,
was wir bereits untersucht haben . Darüber haben wir uns
bereits ausgetauscht; darauf haben wir uns verständigt .
Wir knüpfen an den ersten Untersuchungsausschuss an
und setzen ihn fort . Ich will drei Punkte nennen, die uns
dabei besonders wichtig sind .
Es ist schon gesagt worden - gut ist, dass das von allen
gesagt wird -, dass es jetzt um die Netzwerke, die Unterstützer und die Zusammenhänge geht . Dafür hatten wir
Vizepräsidentin Petra Pau
damals nicht genügend Zeit . Jetzt haben wir auch viel
mehr Erkenntnisse . Zudem werden wir auf die aktuelle
Situation Bezug nehmen - darauf haben Sie hingewiesen;
das ist auch mir besonders wichtig -, die uns alarmieren
muss . Wir müssen wissen, wer über das Trio hinaus den
NSU unterstützt hat und wie die Zusammenhänge sind .
Wir haben Fragen rund um die einzelnen Tatorte, nicht
zuletzt auch, was den Tatort beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn angeht . Aber auch,
was die anderen Tatorte anbelangt, haben wir weiterhin
Fragen .
Außerdem wollen wir in diesem zweiten Untersuchungsausschuss noch genauer beleuchten, welche Rolle
die V-Leute gespielt haben, welche Verantwortung auch
der Verfassungsschutz hatte, wer wo was gewusst hat .
Wir sind der Auffassung, dass wir da noch längst nicht
am Ende unserer Erkenntnisse bzw . der Aufklärung sind .
Ich will noch einen vierten Punkt benennen, der mir
auch sehr wichtig ist . Die Selbstenttarnung des NSU ist
jetzt vier Jahre her . Ich habe über notwendige Reformen gesprochen, die in Teilen - mehr oder weniger zur
Zufriedenheit der einen oder der anderen - auch angegangen worden sind . Aber ich glaube nicht, dass bei der
Arbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz schon
so viel verändert wurde, dass wir zufrieden sein können .
Vielleicht werden wir nie zufrieden sein; aber ich bin es
im Moment überhaupt nicht, weil ich glaube, dass der
Ruck, den der NSU in den Sicherheitsbehörden ausgelöst
hat, noch nicht die ausreichenden Konsequenzen hatte
dergestalt, dass schon an allen Ecken und Enden anders
gearbeitet wird . Ich glaube deshalb, dass wir auch weiterhin an den Reformen arbeiten müssen .
({1})
Wir haben wenig Zeit . Wir sputen uns . Wir schauen
uns an, woran in den Bundesländern gearbeitet wird, und
wir werden uns anschauen, was beim Oberlandesgericht
München herauskommen wird . Wir werden die Zeit - die
anderthalb Jahre - nutzen . Ich bedanke mich für die Unterstützung . Wir gehen engagiert an die Arbeit .
Herzlichen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Irene Mihalic .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Frau Pau hat vorhin darauf hingewiesen:
Heute vor genau vier Jahren fand im Bundesamt für Verfassungsschutz die sogenannte Aktion Konfetti statt, also
die massenhafte Vernichtung von Akten über V-Leute aus
dem näheren Umfeld des NSU-Trios . Diese Schredderaktion steht seitdem als Sinnbild für die - ich will es einmal so sagen - zweifelhafte Rolle des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit der gesamten Entwicklung
des Rechtsterrorismus in den letzten Jahrzehnten .
In der Aufarbeitung dieser Rolle liegt für uns Grüne auch ein wesentlicher Schlüssel zur Aufklärung im
NSU-Komplex . Leider aber haben wir in den letzten Jahren feststellen müssen, dass das Bundesamt bei der Aufarbeitung keine große Hilfe war . Der Kollege Binninger
hat in seiner Rede darauf hingewiesen, was wir im Innenausschuss alles aufzuklären versucht haben, wo wir regelmäßig vor eine Wand gelaufen sind . Es wurde viel unter dem Deckel gehalten . Es wurde verschleiert . Da ist es
meiner Ansicht nach blanker Hohn, wenn Herr Maaßen
immer wieder erklärt, sein Amt habe keine Fehler gemacht und sogar verlorengegangenes Vertrauen wiederhergestellt . Da fragen wir uns doch: Wodurch denn bitte?
({0})
Weil alle, die gesamte Gesellschaft - für den Hinweis bin
ich dankbar -, Verantwortung für das Nichterkennen des
NSU tragen, gerade deshalb darf sich niemand aus dieser
Verantwortung stehlen .
({1})
Natürlich ist der Verfassungsschutz eine Behörde, die
im Geheimen operieren muss . Aber es kann ja nicht sein,
dass sich die Arbeit des Verfassungsschutzes jeglicher
Nachvollziehbarkeit entzieht; denn die Gesellschaft hat
ein Recht darauf, die Arbeit des Verfassungsschutzes auf
Faktengrundlage zu bewerten, und darum wird es auch
in diesem Untersuchungsausschuss gehen . Wir bestehen darauf, zu wissen, welchen Nutzen die Gesellschaft
durch den massiven V-Leute-Einsatz in der rechtsextremen Szene hatte . Wir bestehen darauf, zu erfahren, welchen Erkenntnisgewinn der Einsatz staatlich geförderter
Neonazis tatsächlich gebracht hat . Wir bestehen darauf,
zu erfahren, ob wir der rechtsextremen Szene durch den
V-Leute-Einsatz nicht am Ende sogar noch Strukturhilfe
gegeben haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beantwortung
dieser Fragen ist kein reiner Akt der Vergangenheitsbewältigung, sondern hochaktuell; Frau Högl, Frau Pau,
auch Sie haben darauf hingewiesen . Wir erleben heute,
wie Flüchtlinge und Unterkünfte sowie engagierte Bürgerinnen und Bürger brutal angegriffen werden . Wenn es
immer heißt, dass es nie wieder so schlimm werden darf
wie Anfang der 1990er-Jahre, dann sage ich: Wir sind mit
über 600 Angriffen in diesem Jahr schon weit darüber
hinaus .
({2})
Damals, in den 90er-Jahren, begann sich der NSU zu formieren . Heute sind wir schon wieder schlecht vorbereitet
auf rechtsextreme Anschläge . Heute sind wir schon wieder nicht in der Lage, die Hintergründe genügend auszuleuchten . Schon wieder laufen wir Gefahr, zu übersehen,
dass sich hier rechtsterroristische Netzwerke etablieren .
Wenn es heißt, dass nur 34 Prozent der Tatverdächtigen bekannte Rechtsextremisten sind, und den anderen
66 Prozent wenig Bedeutung beigemessen wird, dann
mache ich persönlich mir sehr große Sorgen mit Blick auf
die Analysefähigkeit unserer Sicherheitsbehörden . Wenn
in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ganze Banden von Nazis losziehen und Flüchtlinge zusammenschlagen, dann muss es doch Planungen im Vorfeld
gegeben haben . Die haben sich doch nicht zufällig auf
der Straße getroffen . Das Problem ist: Wir wissen davon
nichts, und das zeigt, dass der Verfassungsschutz nicht
darauf eingestellt ist, die heute viel fluideren Organisationsmuster in der rechtsextremen Szene ausreichend zu
erkennen . Diese Dinge müssen wir im Untersuchungsausschuss gründlich aufarbeiten, um sie nachhaltig abstellen zu können .
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Januar dieses
Jahres waren wir alle tief betroffen von den schrecklichen Terroranschlägen in Paris . Wir waren uns sofort
einig, dass diese Anschläge auch ein Angriff auf unsere
freiheitlichen und demokratischen Grundwerte waren .
Das haben in spontanen Kundgebungen Millionen von
Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft mit dem berühmt gewordenen Spruch „Je suis Charlie“ zum Ausdruck gebracht . Dies sollte klarmachen: Wenn ihr im Sinne eurer todbringenden Ideologie auch nur Einzelne von
uns angreift, dann greift ihr uns alle als Gesellschaft an .
Genau diese Grundhaltung bewegt uns heute, wenn
wir in fraktionsübergreifender Einigkeit erneut einen Untersuchungsausschuss zum NSU-Terror einsetzen . Wir
sagen damit als Parlament ganz klar: Auch wenn überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund unter den
Opfern waren - die Taten der Rechtsterroristen sind im
Kern auch ein Angriff auf uns als gesamte Gesellschaft,
und wir werden parlamentarisch alle Möglichkeiten der
Aufklärung nutzen, um dem Terror von rechts entschlossen entgegenzutreten .
Herzlichen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Armin
Schuster, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich war Mitglied des Untersuchungsausschusses
in seiner ersten Auflage. Ich bin zurzeit noch Mitglied
im zweiten Untersuchungsausschuss dieser Periode, zu
Edathy . Wenn ich das vergleiche, muss ich sagen: Der Untersuchungsausschuss, der gerade läuft, ist für mich reine
Pflichterfüllung. Der, der vor uns steht, ist mir - das sage
ich mit der Erfahrung aus der ersten Auflage - eine Herzensangelegenheit . Ich bin Innenpolitiker mit Leib und
Seele . Aufzuklären, was den NSU-Terror ausmacht, das
muss uns sehr wichtig sein - warum? -, weil Rechtsterror
heute vielleicht wieder das Thema sein könnte . Ich habe
schon im ersten Untersuchungsausschuss dazu immer
wieder die Strukturen hinterfragt und damit manchen
Kollegen, vor allem aber die Medien gelangweilt: Stimmt
die Sicherheitsarchitektur in Deutschland? Sind wir da fit
genug? - Jetzt kommt ein dritter Aspekt hinzu: Ich finde
es unglaublich interessant, in diesem Untersuchungsausschuss auch evaluieren zu können, wie die Maßnahmen
zur Umsetzung unserer Empfehlungen wirken . Das ist
zwar nicht der Untersuchungsauftrag, aber wir werden
nicht umhinkommen, das immer wieder zu beleuchten .
Für mich ist das insgesamt ein ganz wichtiger Ausschuss,
und ich musste nicht lange überlegen, mitzumachen .
An die Kollegin Mihalic adressiert, möchte ich sagen:
Die Dramaturgie zwischen Opposition und Regierung
war leider schon am Anfang weg . Was wir zu meinem
Leidwesen nicht geschafft haben, war, dem Antrag von
Herrn Ströbele und Herrn Wieland nachzukommen - der
Kollege Ströbele ist zum Glück noch da, Herr Wieland
nicht mehr -, die Sitzungen deutlich vor Mitternacht zu
beenden .
({0})
Wenn Sie den Ströbele-Antrag wieder formulieren, bin
ich diesmal auf Ihrer Seite . Auch das werden wir hinbekommen .
({1})
An die neuen Mitglieder: Bitte nicht erschrecken! Aber
so war es .
Warum brauchen wir eigentlich eine zweite Auflage?
Weil es nicht nur ein Trio war, sondern mehr Täter, weil
wir den Kopf des Trios gar nicht kennen - die perfide
Genialität dieser Verbrechensserien passt nicht zu den
Psychogrammen der drei Täter, die wir kennen; immerhin haben sie den Föderalismus an die Grenze seiner
Leistungsfähigkeit und darüber hinaus gebracht -, weil
der Selbstmord in Eisenach kein verabredeter Mord war,
weil die Wohnung in der Frühlingsstraße gar nicht so in
die Luft geflogen ist, wie wir es bisher glaubten, weil das
Unterstützernetzwerk größer war, weil die V-Leute-Szene das doch wusste und weil Kiesewetter von mehr als
zwei Tätern umgebracht wurde . - Sie wundern sich jetzt .
Ich kann das auch nicht beweisen, aber wir alle auch
nicht das Gegenteil .
({2})
Solange diese Fragezeichen bestehen, dürfen wir nicht
der gleichen Gefahr unterliegen wie damals die Sicherheitsbehörden, die lange an einer Hypothese festgehalten
haben; Sie erinnern sich: die Organisationstheorie . Wir
müssen aufpassen, dass wir nicht denselben Fehler machen . Deswegen: Solange diese Fragen gestellt werden
können, ohne dass irgendeiner der Fachleute mir jetzt
widerspricht, ist dieser Ausschuss erforderlich .
({3})
Wir sind nicht die besseren Ermittler; das will ich ausdrücklich sagen, vor allem, weil viele Polizisten dabei
sein werden . Aber ich glaube, dass die Bundesrepublik
Deutschland in allen Ländern und im Bund die Lessons
Learnt dieser Terrorserie für ihre Sicherheitsarchitektur
noch lange nicht abgeschlossen hat . Da steckt noch eine
Menge drin .
Worum geht es mir nicht, Frau Mihalic? Es geht mir
nicht darum, das x-te Behördenversagen ohne einen weiteren Erkenntniswert zu zelebrieren .
({4})
Es geht mir nicht darum, speziell eine Behörde unter
Dauerbeschuss zu nehmen . Es geht mir um Balance . Jetzt
zitiere ich mich selber aus dem September 2013
({5})
- immer gut -: Es war nicht ein Versagen der Sicherheitsbehörden, es war ein kompletter Systemausfall .
({6})
Wer mich dazu zwingt, den werde ich auch nötigen,
dass wir dann über das Versagen der deutschen Parlamente genauso hart urteilen . Wir sprechen über Wasserhähne des BND, aber haben nie über diese Mordserie
gesprochen . Wer mich dazu zwingt, den nötige ich auch,
über alle Regierungschefs zu sprechen - es waren alle
beteiligt -, die es nicht geschafft haben, das zur Chefsache zu machen . - Lassen Sie es uns so machen wie
beim letzten Mal . Balance bedeutet: Es war ein kompletter Systemausfall . Schießen Sie also bitte nicht einen
einzigen Bereich sturmreif, weil es vielleicht medial gut
ankommt . Das ist mein Wunsch .
Der Bund hat mit dem ersten Untersuchungsausschuss
sehr schnell reagiert . Er war Trendsetter für viele Länder . Manche mussten nahezu genötigt werden; denken
wir zum Beispiel an Baden-Württemberg . Es gab viele
Informationen aus den Landtagsausschüssen und viele
Informationen aus den Medien. Ich finde die Terminfindung - Bernhard Kaster, du warst dabei -, dass wir den
Untersuchungsausschuss heute einsetzen, fast genial .
Dieser Untersuchungsausschuss wird wieder einen Trend
setzen, weil wir die Chance haben, all diese Informationen jetzt im Netzwerk zu verbinden und vielleicht zu
einem Abschluss zu kommen . Dann wäre der Bund stark
gestartet und wird auch stark enden . Das ist ein starkes
Zeichen in der richtigen Zeit .
Danke schön .
({7})
Vielen Dank . - Als Nächstes hat der Kollege Uli
Grötsch, SPD-Fraktion, das Wort .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Waren es wirklich nur Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt,
die jahrelang vermeintlich unbemerkt von den Behörden
mordend durch Deutschland gezogen sind, oder hatten
sie überall Helfer? Wurden die Opfer doch nicht zufällig ausgewählt? Gibt es vielleicht ein größeres Neonazi-Netzwerk, das das Trio unterstützt hat und vielleicht
immer noch dessen Ideologie verbreitet? Gibt es Verbindungen zur organisierten Kriminalität? Haben die Behörden - so, wie es scheint - Hinweise übersehen? - Ich für
mich persönlich würde diese und andere Fragen wohl mit
„Ja, so scheint es; aber wir müssen es beweisen“ beantworten . Diese und viele weitere Umstände sind auch vier
Jahre nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrundes ungeklärt . Das ist ein Zustand, den
wir so nicht hinnehmen werden .
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir, wie auch schon
meine Kolleginnen und Kollegen im ersten NSU-Untersuchungsausschuss, alle an einem Strang ziehen werden .
Das Thema ist zu wichtig für Parteibefindlichkeiten, und
es eignet sich schon gar nicht für Grabenkämpfe oder
persönliche Profilierung.
({0})
Der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages und die Untersuchungsausschüsse der Landtage haben schon vieles aufgeklärt und wichtige Arbeit geleistet .
Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei
allen Beteiligten bedanken .
({1})
Wir wollen nun das leisten, was der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages schlichtweg nicht leisten konnte, zum Teil aus Zeitgründen, zum
Teil auch deshalb, weil wir heute Erkenntnisse haben,
die damals noch völlig unbekannt waren . Jetzt können
wir auf die bisherigen Ergebnisse zurückgreifen und da
ansetzen, wo noch Fragen offen sind . Diese offenen Fragen - möglichst alle - wollen wir abräumen .
Anders als meine Vorgängerinnen und Vorgänger können wir heute in unserer Arbeit auch auf die Rechercheergebnisse von Journalisten, Vereinen, Organisationen und
Stiftungen wie etwa der Amadeu-Antonio-Stiftung zurückgreifen, die sich in den letzten vier Jahren intensiv
mit dem NSU beschäftigt haben . Wir müssen nicht bei
null anfangen . Ich glaube, das wird ein großer Vorteil
sein .
Mir ist auch wichtig, dass wir im Untersuchungsausschuss nicht nur die Fragen aufarbeiten, die sich uns
Abgeordneten stellen . Ich möchte auch den Fragen nachgehen, die sich etwa den Opferanwälten oder den Medienvertretern stellen .
Ohnehin spielen die Medien in diesem Komplex eine
besondere Rolle . Vieles ist erst durch ihre Recherche
überhaupt ans Tageslicht gekommen . Von einer medialen
„Hexenjagd“, wie ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg die Arbeit der Presse vor dem
dortigen Untersuchungsausschuss bezeichnet hat, kann
meiner Meinung nach überhaupt keine Rede sein .
({2})
Armin Schuster ({3})
Aber da zeigt sich wieder: Von einer Fehlerkultur sind
wir in manchen Behörden noch weit entfernt .
Wir werden uns nicht schon frühzeitig auf die eine
oder andere Theorie festlegen; das hat schon mein Vorredner unterstrichen . Für die Behörden stand damals von
Anfang an fest: Die Täter müssen aus dem familiären
Umkreis kommen . Von „Döner-Morden“ und der „Mordserie Bosporus“ war die Rede . Mit diesen Beschuldigungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurden die Angehörigen zum zweiten Mal Opfer . Dass die Täter aus der
rechten Szene kommen und Rassismus das Tatmotiv sein
könnte, wurde damals bei den Ermittlungen nicht in Erwägung gezogen . Es konnte nicht sein, was nicht sein
durfte . Heute wissen wir es besser .
Dass das Trio mit rechtsextremen Gruppierungen
wie etwa Blood & Honour, Combat 18 oder der Oidoxie Streetfighting Crew vernetzt war, scheint uns heute
ziemlich eindeutig zu sein . Schon im ersten NSU-Untersuchungsausschuss wurde klar, dass das Netzwerk größer war, als die Ermittlungsbehörden zunächst glaubten
und zum Teil wohl heute noch glauben . Ich frage mich,
ob der NSU vielleicht sogar ein noch größeres, straffer
organisiertes und umfassenderes Monstrum war, als wir
es uns zum heutigen Zeitpunkt vorstellen können .
Das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen
wir klären - mit allen Mitgliedern, auf Augenhöhe und
fraktionsübergreifend -, weil wir es den Opfern schuldig
sind . Abdulkerim Simsek, der Sohn des ersten NSU-Opfers Enver Simsek, brachte es auf den Punkt, als er sagte:
Ich möchte meinen Kindern erzählen können, was
mit ihrem Opa passiert ist . Ich würde dafür sorgen,
dass sie trotz allem ohne Hass aufwachsen . Aber ich
möchte ihnen die Wahrheit erzählen können - die
ganze .
Vielen Dank .
({4})
Vielen Dank . - Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr . Volker Ullrich, CDU/
CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor gut vier Jahren ist die Terrorzelle des NSU
enttarnt worden . Diese Enttarnung hat zu einem Schock
und zu Sprachlosigkeit geführt, weil sie uns aufgezeigt
hat, wie verwundbar unsere Werte und unsere Freiheit
sein können . Zahlreiche offene Fragen haben sich uns
gestellt .
Der 17 . Deutsche Bundestag hat einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um Fragen einer Beantwortung
zuzuführen und Erkenntnisse umzusetzen . Die ersten
Erkenntnisse sind bereits umgesetzt worden . Wir haben
beispielsweise die Befugnisse des Generalbundesanwalts
gestärkt, um rechtsterroristische und rechtsextreme Straftaten besser verfolgen zu können . Diese Arbeit trägt erste
Früchte . Man sieht das beispielsweise bei dem uns alle
sprachlos machenden Attentat auf Henriette Reker: Der
Generalbundesanwalt konnte die Ermittlungen übernehmen . Nach der bis Juni dieses Jahres geltenden Rechtslage hätte er das nicht gekonnt . - Das zeigt, dass wir schon
einiges umgesetzt haben .
({0})
Wir setzen heute einen weiteren Untersuchungsausschuss ein, nicht, weil eine parlamentarische Minderheit
etwas untersuchen möchte, was die parlamentarische
Mehrheit möglicherweise zu verantworten hat, auch
nicht zum Zwecke der Untersuchung von Regierungshandeln, sondern wir setzen den Untersuchungsausschuss gemeinsam ein, getragen von einem gemeinsamen Interesse an der Aufklärung . Wir wollen aufklären,
nicht um einer historisch richtigen Geschichtsschreibung
willen, sondern weil wir das den Opfern und ihren Angehörigen schuldig sind . Aber wir müssen auch unseretwegen aufklären, weil wir verhindern müssen, dass ähnliche
Straftaten in Zukunft wieder passieren können .
Es sind viele Fragen offen - ich meine, zu viele Fragen -: Was ist im Umfeld des 25 . April 2007 in Heilbronn
passiert? Was ist am 4 . November 2011 in Eisenach geschehen? Wie konnte dieses Trio - und war es denn überhaupt ein Trio - fast ein Jahrzehnt lang unentdeckt bleiben? Wir müssen uns auch fragen: Welche strukturellen
und kriminellen Netzwerke liegen dieser Bande zugrunde? Gab es Verbindungen zur organisierten Kriminalität,
zu Rockern, zu internationalen Netzwerken?
Meine Damen und Herren, durch diese Aufklärungsarbeit können die Taten nicht ungeschehen gemacht
werden; aber die Erkenntnisse sind wichtig, damit der
wehrhafte Rechtsstaat daraus Lehren ziehen kann, damit
er es besser machen kann . Damit können wir aktiv für
unsere Werte, die uns wichtig sind, eintreten . Wir werden
diese Erkenntnisse auch umsetzen müssen . Wir müssen
uns fragen, ob wir die Erkenntnisse von V-Leuten und
die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden
nicht weiter optimieren können . Wir müssen uns fragen,
ob wir im Bereich der Bekämpfung des Extremismus und
des Terrorismus die Verbindungen zwischen Bund und
Ländern noch besser machen müssen . Und wir müssen
uns auch fragen, welche Normen wir im Bereich der Gerichtsverfassung und der Strafprozessordnung optimieren müssen, um ein klares Signal dieses Rechtsstaats zu
setzen .
Ich will davor warnen, an diesen Ausschuss zu hohe
Erwartungen zu knüpfen . Wir können nicht alle Fragen,
die es in unserem Land gibt, abschließend beantworten .
Aber wir können einen wichtigen, einen sehr wertvollen Beitrag dazu leisten, dass unser Rechtsstaat klar und
deutlich kommuniziert: Die Würde des Menschen, die
Freiheit der Person und die demokratisch legitimierte
Auseinandersetzung ohne Gewalt und ohne Hass sind
konstitutiv für unser Land . Wir werden daran arbeiten,
dass das klare Signal ausgeht: Diese Werte stehen nicht
zur Disposition .
({1})
Wir werden aufklären, weil wir uns den Werten des
Grundgesetzes verpflichtet sehen. In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam und von gemeinsamer Verantwortung getragen an die Arbeit gehen .
Vielen Dank .
({2})
Vielen Dank . - Wir sind damit am Ende der Aussprache .
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu
dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einsetzung des 3 . Untersuchungsausschusses“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6601, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU,
der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/6330 in der Ausschussfassung anzunehmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen .
({0})
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur Statusfrage
syrischer Flüchtlinge und zur Einschränkung
des Familiennachzuges
Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen . - Ich eröffne
die Aussprache . Das Wort hat Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Aktuelle Stunde heute ist notwendig, nicht nur,
weil es hier um einen unerträglichen Vorstoß des Innenministers gegen syrische Schutzsuchende geht, sondern
weil die Konzeptlosigkeit und die Kopflosigkeit dieser
Bundesregierung in den vergangenen Tagen uns förmlich
dazu zwingen .
({0})
Seit Wochen werden wir Zeuge eines internen Machtkampfes innerhalb der Unionsfraktionen, aber auch innerhalb des Kabinetts . Ich sage ganz deutlich: Das Bild,
das Sie hier bei einer der größten innen- und europapolitischen Herausforderung, der unser Land jemals gegenüberstand, abgeben, ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die mit Hass im Herzen und dem Galgen in der Hand
auf unseren Straßen demonstrieren .
({1})
Mit einer Änderung des Status syrischer Flüchtlinge
will der Innenminister die Möglichkeit beschränken,
dass syrische Flüchtlinge ihre Familien auf sicherem
Wege nach Deutschland bringen können . Was zunächst
vermutlich ein sonderbarer Alleingang des Ministers
war - er hat weder den Koalitionspartner noch die zuständige Behörde noch das zuständige Kanzleramt eingebunden -, erfährt mittlerweile eine breite Unterstützung
aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion . Die CSU und
auch Finanzminister Schäuble sprachen sich für diesen
Vorschlag aus und fallen damit erneut der Kanzlerin in
den Rücken .
Aber ganz ehrlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Hat eigentlich einer von Ihnen diesen Vorschlag
einmal zu Ende gedacht? Das Bundesamt hat die Marke von einer Viertelmillion Asylanträge im Stau längst
überschritten . Mittlerweile sind es 330 000 Anträge in
der Warteschleife; hinzu kommt eine nicht unerhebliche
Zahl noch nicht erfasster Anträge . Und Sie fordern, nun
das Schnellverfahren für syrische Flüchtlinge auszusetzen? Mit welchem Personal denn? Mit welchen Kapazitäten? Und vor allen Dingen: mit welchem Zeithorizont?
({2})
Ihnen muss doch klar sein, dass Sie die Lage damit weiter verschärfen .
Dass das Innenministerium, wie wir heute im Ausschuss erneut erleben durften, keinen Plan hat, wie es
auf europäischer Ebene Solidarität und Gemeinsamkeit
herstellen kann, dass keine der europapolitischen Forderungen auch nur ansatzweise mit Konzepten unterlegt ist,
ist schon traurig genug . Dass Sie aber mit der Einschränkung beim Familiennachzug die einzige legale Möglichkeit kappen wollen, die syrische Angehörige haben, ist
bitter .
({3})
Ich darf daran erinnern, dass Sie, Herr Innenminister,
auch Verfassungsminister sind . Schauen Sie sich bitte
Artikel 6 des Grundgesetzes zum Schutz der Familie
noch einmal an .
Die Folge dieser Politik dürfte erfahrungsgemäß klar
sein: Noch mehr Menschen werden auf unsichere Boote steigen und einen anderen, viel gefährlicheren Weg
suchen, um zu ihren Angehörigen zu kommen . Für die
Menschen, die bereits hier sind, wird das Leben zu einer
unerträglichen Zitterpartie . Ich kann nur sagen: Ich kann
das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren .
({4})
Noch einmal zum Technischen: Als wenn das nicht
schon genug ist, gibt es einen weiteren Vorschlag des
Ministers . Das Aussetzen der Dublin-Regelung für syrische Flüchtlinge, das Monate der Kapazitäten eines
BAMF-Mitarbeiters frisst und am Ende meist nicht in
eine Rückführung mündet, hat noch nicht einmal drei
Monate überlebt, da ändert der Minister wieder seine
Meinung . Wieder läuft er in die entgegengesetzte Richtung . Die Folge: ein noch größerer Antragstau . Das ist ein
Trauerspiel, bei dem der Minister scheinbar vergisst, dass
er als Dienstherr auch eine Verantwortung gegenüber den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes hat .
Gerade die letzte Woche hat gezeigt: Sie haben keinen Plan, und - noch viel schlimmer - Sie haben keinen
Kompass . Dieses und die Maßnahmen gegen syrische
Bürgerkriegsflüchtlinge, Herr Innenminister, sind mit
nichts anderem zu erklären als mit Panik, Getriebenheit,
mit Angst und Überforderung . All das hat mit verantwortungsbewusstem Handeln nichts, aber auch wirklich gar
nichts mehr zu tun .
({5})
Deshalb ist es auch verständlich, dass die Kanzlerin
Ihnen den Hut für dieses Thema weggenommen hat;
denn das Letzte, was Deutschland jetzt braucht, ist ein
Innenminister, der kopflos, ängstlich und panisch ist.
Frau Bundeskanzlerin - sie ist nicht hier, aber ich sage
dies an ihre Adresse -, weil Sie es verpasst haben, diejenigen, die auf dem Tisch tanzen, zur Räson zu rufen, ist
die Meinungshoheit jetzt bei den Hardlinern der Innenpolitik . Nicht Sie und Ihr Kanzleramtschef, sondern die
Hardliner der Innenpolitik bestimmen jetzt die Flüchtlingspolitik . Das ist bitter, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass Sie diese Frage als eine der wichtigsten
nationalen Herausforderungen begriffen haben und dort
jetzt nicht mehr den Zepter in der Hand haben .
({6})
Es ist höchste Zeit, dass Sie an dieser Stelle für Klarheit
sorgen .
Ja, es ist richtig: Momentan gibt es etwas zu erkämpfen, nämlich die gesellschaftliche Mehrheit für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für den Schutz von
Flüchtlingen und für eine tolerante Gesellschaft . Das ist
nicht leicht . Wir alle brauchen eine klare Haltung dazu .
Die aber bleiben Sie schuldig - leider .
({7})
Vielen Dank . - Für die Bundesregierung erhält jetzt
das Wort Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle
in Deutschland sehen uns seit Monaten mit einer Zuwanderung konfrontiert und ihr ausgesetzt in einem Umfang
wie nie zuvor . Jeden Tag kommen 6 000 bis 10 000 Menschen zu uns, manchmal auch mehr . Sie kommen aus
unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Bleibeperspektiven . Das
Hauptherkunftsland ist mit Abstand Syrien mit knapp
der Hälfte der Antragsteller . Allein im Oktober haben wir
etwa 88 000 Schutzsuchende aus Syrien registriert .
Die Zahl ist auch deshalb so massiv angestiegen, weil
viele, die ursprünglich aus Syrien kommen, jetzt aus Gegenden wie etwa der Türkei, Jordanien oder dem Libanon kommen . Das ist eine Entwicklung, die uns in besonderer Weise besorgt . Darunter sind viele, die schon seit
Monaten in der Türkei leben .
Alle diese Menschen müssen aufgenommen, verteilt,
untergebracht und versorgt werden . Ich bin mit vielem
nicht einig, was Sie, Frau Amtsberg, gesagt haben, aber
in einem sind wir uns einig und waren wir uns immer
einig: Jeder, der zu uns kommt, unabhängig davon, ob
er bleibt oder nicht, wie er sich benimmt oder was irgendwie los ist, hat einen Anspruch darauf, hier nicht beleidigt, beschimpft, bespuckt, von Gewalt bedroht oder
sonst irgendwas zu werden . Das muss ein Konsens zwischen uns allen sein .
({0})
Die Integrationsleistung für die, die hierbleiben werden, wird hoch sein . Die Rückführung derer, die nicht
bleiben dürfen, ist hart . Die Entscheidung darüber wollen
wir beschleunigen . Zu all diesen Themen haben wir in
einer Reihe wegweisender Entscheidungen in den letzten
Wochen gute Maßnahmen beschlossen . Die Beschlüsse
von Ende September mit den Ministerpräsidenten, das
erste große Asylpaket, die finanziellen Hilfen für die
Länder und Kommunen und die Beschlüsse der Koalition
vom letzten Donnerstag, all das waren wichtige Schritte .
Hinzu kommen die vielen europäischen und internationalen Aktivitäten, die ich jetzt hier heute aus Zeitgründen
nicht erläutern kann und will . Das ist uns gelungen, weil
alle, Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat, die Länder und die Kommunen, zusammengearbeitet haben und
kompromissbereit waren . Das muss auch in Zukunft so
bleiben .
Am vergangenen Donnerstag wurde mit dem Papier
der Parteivorsitzenden eine Beschränkung des Familiennachzugs bei subsidiär Schutzberechtigten vereinbart .
Das bedeutet, dass ein Familienangehöriger zunächst für
zwei Jahre nicht zu der Person mit subsidiärem Schutzstatus in Deutschland nachreisen kann . Nach diesen zwei
Jahren ist der Familiennachzug möglich, wenn zum
Beispiel der Lebensunterhalt gesichert ist . Für primär
Schutzbedürftige bleibt der Anspruch auf privilegierten Familiennachzug unverändert erhalten; das sind die
Menschen, die Schutz nach Artikel 16 a des Grundgesetzes oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten .
Eine andere Frage ist, wie wir den Schutzstatus eines Antragstellers feststellen; darum geht es ja in dieser Debatte . Als vor gut einem Jahr die Asylbewerberzahlen deutlichen anstiegen, war uns natürlich wichtig,
die Asylverfahren zu beschleunigen . Für Antragsteller
aus Syrien wurde das erreicht, indem wir als Innenministerium Anfang November 2014 auf die Anhörung im
Asylverfahren verzichtet und damit auf ein schriftliches
Verfahren umgestellt haben .
({1})
Vorher hatten wir dies in der Innenministerkonferenz
zwischen Bund und Ländern besprochen .
Im beschleunigten Verfahren mussten syrische Antragsteller keine persönlichen Anhörungen mehr durchlaufen, sofern kein Sicherheitsrisiko bestand . Sie konnten ihre Fluchtgründe schriftlich erklären . Im Ergebnis
erhielten sie dann regelmäßig den Flüchtlingsstatus im
Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention . Das geschah
unabhängig davon, ob der konkrete syrische Antragsteller tatsächlich einer individuellen Verfolgung ausgesetzt
oder aber vor dem Bürgerkrieg geflohen war, der jeden
gleichermaßen bedroht . Der Anspruch auf Familiennachzug war privilegiert . Auf die Sicherung des Lebensunterhaltes kam es beim Familiennachzug nicht an .
Diese Verfahrensentscheidung vom November 2014
war damals richtig . Sie war richtig, weil in 77 Prozent der
2014 getroffenen Entscheidungen ohnehin ein Asyl oder
Flüchtlingsschutz gewährt worden war . Nur 12 Prozent
der syrischen Asylbewerber hatten diesen subsidiären
Schutz erhalten . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Lage hat sich seitdem verändert .
({2})
Die Zahl insbesondere der Syrer ist in einem Maße
gestiegen, das im Oktober/November 2014 keiner hat
vorhersehen können .
({3})
Das schriftliche Verfahren für Antragsteller aus Syrien hat sich als zu grobmaschig und auch unter dem
Gesichtspunkt der Identifizierung und der öffentlichen
Sicherheit in Deutschland als lückenhaft erwiesen . Oft
beruht die Erfassung der Staatsangehörigkeiten nur auf
Angaben der Asylsuchenden selbst, insbesondere dann,
wenn keine Identitätsdokumente vorgelegt worden sind .
Wir wissen aber, dass viele behaupten, Syrer zu sein, obwohl sie keine Syrer sind . Manche kommen auch mit gefälschten Papieren . Ohne persönliche Anhörungen lassen
sich die Angaben über die tatsächliche Herkunft aber nur
schwer beurteilen .
({4})
All das besorgt uns . Deshalb müssen wir jetzt reagieren . Die Lage zwingt uns zu Anpassungen . Deshalb haben wir im Innenministerium - wie damals in die eine
Richtung, jetzt in die andere Richtung - eine Entscheidung getroffen, nämlich für eine Rückkehr zur Einzelfallprüfung, für eine Rückkehr zum regulären Verfahren,
das eine mündliche Anhörung wie im Asylgesetz vorsieht . Diejenigen, die individuell verfolgt sind, die etwa
aus politischer Überzeugung das Assad-Regime ablehnen, werden weiterhin Flüchtlingsschutz erhalten . Auch
ohne Nachweis der Lebensunterhaltssicherung können
diese Flüchtlinge ihre Kernfamilien nachholen, obwohl
wir ihnen sagen müssen, dass diese Verfahren sehr, sehr
lange dauern werden .
({5})
Dass aber für alle, die sagen, sie kommen aus Syrien,
der Familiennachzug möglich ist, ohne dass für eine ausreichende Sicherung des Lebensunterhalts gesorgt wäre,
halte ich angesichts der großen Zahl der Syrer, die zu uns
kommen, nicht mehr für tragbar .
({6})
Einen Nachzug in die Arbeitslosigkeit und damit in die
Perspektivlosigkeit sollte es nicht geben . Das ist wichtig,
um unsere Kommunen zu entlasten .
({7})
Das ist wichtig, um unsere Gesellschaft nicht zu überfordern .
({8})
- Die Gestaltung von Verwaltungsverfahren ist eine Ressortentscheidung des zuständigen Ministers .
({9})
Nun habe ich zur Kenntnis genommen, dass die Koalition, die SPD dazu Gesprächsbedarf hat .
({10})
- Das ist okay; das ist so .
({11})
Deswegen habe ich die Entscheidung sozusagen nicht
vollzogen,
({12})
und deswegen werden wir auch darüber reden - zunächst
im Kreise der Innenministerkonferenz .
Niemand weiß, wie viele Menschen in Syrien und
seinen Anrainerstaaten darauf warten, ihre Ansprüche
auf Familiennachzug geltend zu machen . Klar ist: Wir
können unsere hohen Flüchtlingszahlen nicht durch Familiennachzug verdoppeln oder gar verdreifachen . Das
ist der Kern des Themas .
({13})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein
Wort zu Dublin sagen; Frau Kollegin Amtsberg ist auch
darauf eingegangen .
Hier besteht überhaupt kein Grund zur Aufregung .
Deutschland wendet das Dublin-Verfahren für alle Herkunftsländer und alle Mitgliedstaaten der Europäischen
Union außer Griechenland an . Das galt und gilt auch für
syrische Staatsangehörige . Deutschland hat das Dublin-Verfahren zu keinem Zeitpunkt rechtlich ausgesetzt .
Das sehen die Regelungen der Dublin-Verordnung übrigens auch gar nicht vor .
Aufgrund des starken Zustroms hat das Bundesamt für
Migration seit Ende August lediglich von seinem Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 der Verordnung gegenüber
syrischen Staatsangehörigen umfangreich Gebrauch gemacht . Das haben wir seit dem 21 . Oktober 2015 - das
war wieder eine Ressortentscheidung - geändert . Dass
die Sache gestern mitgeteilt wurde, liegt schlicht und
einfach nur daran, dass es eine Medienanfrage gab, wie
übrigens eine Woche vorher auch, und sie ist auch schon
beantwortet worden .
({14})
Wir verfolgen damit das Ziel, wieder zu geordneten
Verfahren bei der Einreise und bei Asylverfahren zurückzukehren . Zu einem geordneten Verfahren gehört auch
das Dublin-Verfahren, und zwar mit der Feststellung des
zuständigen Mitgliedstaates, der Prüfung aller Aspekte
für einen möglichen Selbsteintritt Deutschlands in das
Asylverfahren und, wenn die Voraussetzungen vorliegen,
der Rücküberstellung in den zuständigen Mitgliedstaat .
Das kann auch in der Koalition nicht besonders umstritten sein
Herr Minister, denken Sie bitte an die Redezeit .
- letzter Satz -, denn in einem Papier des Koalitionsausschusses vom 6 . September 2015, das wir formuliert haben - ich war selber dabei -, heißt es nämlich:
Deutschland steht zu seinen humanitären und europäischen Verpflichtungen und erwartet dies ebenso
von seinen Partnern . Dazu gehören die Einhaltung
der Dublin-III-Verordnung und die Bereitschaft zu
gesamteuropäischer Solidarität bei der Aufnahme
von Flüchtlingen . Die am Wochenende getroffene
Aufnahmeentscheidung von Deutschland und Österreich soll eine Ausnahme bleiben .
Wer von anderen die Einhaltung des europäischen
Rechts verlangt, muss es auch selbst einhalten .
Vielen Dank .
({0})
Vielen Dank . - Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla
Jelpke, Fraktion Die Linke .
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister, Sie haben mit Ihrer Rede gerade erneut Ihre
Kürzungspolitik betont und wieder insgesamt asylfeindliche Vorschläge gemacht . Man kann sich das Asylrecht
nicht einfach hinbiegen, nur weil mehr Menschen zu uns
kommen . Sie stellen sich damit auch in einen totalen Widerspruch zur Kanzlerin, die zu Recht gesagt hat: „Das
Grundrecht auf Asyl . . . kennt keine Obergrenze . . .“ Dabei
müssen wir auch bleiben .
({0})
Nachdem ich Sie hier so höre, muss ich wirklich sagen: Ihre Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen, die Sie
hier zum Ausdruck gebracht haben,
({1})
ist Öl aufs Feuer von Pegida, AfD und anderen Rassisten .
Wir müssen hier das Grundrecht auf Asyl verteidigen
und uns für die Menschen einsetzen, die wirklich in Not
sind
({2})
und die vor allen Dingen Schutz suchen, und dafür müssen wir auch die Gesetze einhalten .
({3})
Das Recht auf Familienzusammenführung ist ein elementares, international geschütztes Rechtsgut, und auch
im Grundgesetz - das ist hier schon erwähnt worden - ist
der Schutz von Ehe und Familie verankert . Es ist wirklich eigenartig, dass vor allem die C-Parteien, die die
Ehe, die Familie, die Menschenrechte, die Kinderrechte
usw . immer ganz oben anhängen, jetzt, da es darauf ankommt, der Meinung sind, dass dies offenbar nur noch
für Deutsche und nicht für Migranten gilt . Wo kommen
wir denn da hin? Das geht jedenfalls gar nicht .
({4})
Meine Damen und Herren, was bedeuten diese Pläne,
die der Minister hier vorgeschlagen hat, eigentlich ganz
konkret? Der einzige legale Weg für viele Flüchtlinge,
den es überhaupt aus Syrien gibt, ist der des Familiennachzuges .
Schon in der Vergangenheit sind diese Rechte unterhöhlt worden; denn schon heute warten die Familien, ob
in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, weit über
ein Jahr darauf, bei den Botschaften einen Visumstermin zu bekommen . Wenn das so weitergeht und wenn
Sie das, was Sie hier angekündigt haben, umsetzen, dann
werden sich vor allem Frauen und Kinder auf den Weg in
die wackligen Boote, in die Schlauchboote, Richtung EuBundesminister Dr. Thomas de Maizière
ropa machen . Damit nimmt man im Grunde genommen
in Kauf, dass das fortgesetzt wird, was wir auch heute
Morgen wieder gehört haben, nämlich 14 Tote vor Lesbos, davon vier Kinder .
({5})
Das darf so nicht weitergehen . Es muss endlich etwas
passieren . Hier muss eine vernünftige Flüchtlingspolitik
stattfinden.
({6})
Man muss aber auch die Frage stellen, ob Sie eigentlich darauf spekulieren, dass die Väter „freiwillig“ ins
Kriegsgebiet zurückkehren . Dann wäre nämlich die ganze Familie der Willkür der verschiedenen Kriegsparteien
in Syrien ausgeliefert . Das sind wirklich albtraumhafte
Visionen, mit denen eine verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik überhaupt nicht mehr vereinbar ist .
({7})
Wir haben gestern erfahren - das ist bereits angesprochen worden -, dass das Dublin-Verfahren für syrische
Flüchtlinge wieder angewendet werden soll . Das bedeutet in Hunderttausenden von Fällen, dass vorrangig der
Fluchtweg und nicht mehr die Fluchtgründe geprüft werden . Das führt zum genauen Gegenteil von schnell durchgeführten Asylverfahren . Was hat sich denn eigentlich in
den letzten Monaten geändert? Sie argumentieren hier
nur noch mit Zahlen und nicht mehr mit den Rechten,
die wir hier einmal festgeschrieben haben und die diese
Flüchtlinge haben . Das ist wirklich ein Skandal!
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre
Familienministerin hat gestern zu Recht gefordert, dass
wir in der Asyldebatte nicht jeden Tag eine neue Sau
durchs Dorf treiben sollen .
({9})
Das Problem ist aber, dass auch Sie in den vergangenen
Monaten eine Verschlechterung nach der anderen für die
Flüchtlinge mitbeschlossen haben . Darüber hinaus haben
auch Sie - darauf hat der Minister zu Recht hingewiesen - den Regelungen zu den subsidiär Schutzberechtigten im Koalitionsbeschluss ausdrücklich zugestimmt .
Zwar ging es hier noch um eine kleine Zahl, aber wir finden es schon sehr beunruhigend, wenn zum Beispiel Ihre
Generalsekretärin Fahimi sagt: Zum jetzigen Zeitpunkt
würde sie nicht zustimmen wollen, aber sie will es prüfen . - Ich kann nur an Sie appellieren: Machen Sie diese
restriktive Politik gegen Flüchtlinge nicht weiter mit, die
von der Regierung immer wieder angetrieben wird!
({10})
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Jelpke .
Ja . - Zum Schluss appelliere ich an alle in diesem
Hause, endlich damit aufzuhören, die Stammtische zu
bedienen und AfD und Pegida immer weiter hinterherzulaufen . Wir brauchen eine gute Integrationspolitik, eine
Politik, die die Flüchtlinge aufnimmt, die für ein gutes
Gesundheitswesen und dafür sorgt, dass Kinder in die
Schule gehen können, und nicht die ständige Ankündigung und Durchsetzung neuer Repressionen .
Ich danke Ihnen .
({0})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist Dr . Lars
Castellucci, SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat
uns Helmut Schmidt für immer verlassen . Ich will ein
Zitat von ihm nennen, das, glaube ich, hilft, ihn uns noch
einmal vor das innere Auge zu führen .
({0})
Helmut Schmidt hat gesagt: „In der Krise beweist sich
der Charakter“ .
({1})
Das ist einer der Sätze, die man Helmut Schmidt abgenommen hat, weil er sie nicht als Hinweis an andere
verwendet hat, sondern weil man bei ihm gespürt hat, es
ist sein eigener Maßstab, den er da formuliert . Er war ein
Charaktertyp, einer mit Haltung, einer, der nicht wackelt .
Ja, er fehlt uns .
Helmut Schmidt war wirklich krisenerfahren . Ich will
erst einmal fragen: Würde Helmut Schmidt heute überhaupt von einer Krise sprechen? Ich sage, er würde von
Schwierigkeiten sprechen, die wir in Deutschland haben,
von Problemen, vor denen wir stehen . Aber er würde uns
in Erinnerung rufen: In Wahrheit ist Deutschland heute
so stark, wie es vielleicht kaum jemals zuvor in der Geschichte war .
({2})
Wenn wir von einer Krise sprechen wollen, dann müssen
wir schon die ganze Frage in den Blick nehmen . Ja, in
den Herkunftsländern gibt es eine Krise . Auch Europa
befindet sich in einer Krise, aber Deutschland nicht.
({3})
Was aber auch stimmt: Es gibt Fragen: Wie viele kommen noch? 1 Million; das ist schon ein Wort . Nächstes
Jahr kommt wieder 1 Million? Wie geht es weiter? Und:
Was bedeutet das für unser Land und für unser ZusamUlla Jelpke
menleben? Das produziert natürlich Unsicherheit . Die
Menschen sehen zwar auch die Chancen, aber sie wollen,
dass wir die Chancen heben; denn sie wissen: Von selber
werden sich die Chancen nicht verwirklichen .
Worauf kommt es also an? Erstens: auf Besonnenheit .
Es gibt nicht die Lösung, und es gibt auch nicht immer
eine neue Lösung für das Problem, vor dem wir stehen .
Wenn uns der Lehrer in der Schule an einem Tag erklärt:
„2 plus 2 ist 4“, und am nächsten Tag sagt: „2 plus 3 ist
auch 4“, und am nächsten Tag das Spiel so weiter treibt,
dann glauben wir ihm irgendwann nicht mehr . - Wir
müssen bei den Botschaften, die wir miteinander für die
Bevölkerung gefunden haben, bleiben .
({4})
Unsere Agenda ist nicht einfach . Unsere Antworten
reichen von der Diplomatie, von dem, was in den Krisengebieten passieren muss, über die Transitländer, die
wir unterstützen müssen, über Europa bis hin zu dem,
was wir in Deutschland auf die Reihe bekommen müssen . Es ist schwierig . Es gibt keine einfachen Antworten .
Das kann man den Leuten nicht nur sagen; das muss man
ihnen sogar sagen .
({5})
Worauf kommt es noch an? Zweitens: Konsequenz .
Wir müssen bei den Vereinbarungen bleiben . Wir haben
im Koalitionsvertrag - zwei Jahre ist er alt - festgehalten,
dass das Asylverfahren drei Monate dauern soll .
({6})
Dann hat es geheißen: Jetzt steigen die Flüchtlingszahlen . Jetzt ist dies nicht mehr zu halten . - Ich sage: Umgekehrt wird daraus ein Schuh . Mehr Flüchtlinge bedeuten
umso mehr, dass wir die Verfahrensdauer von drei Monaten einhalten müssen .
({7})
Herr Weise hat uns gestern zugesagt, dass er diese
Dauer von drei Monaten für das Jahr 2016 anstrebt . Aber
da entdecke ich plötzlich ein Problem - das kann man im
Anhang des Gutachtens der Sachverständigen auch nachlesen -; denn plötzlich wird zwischen der Dauer des Verfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - das soll drei Monate nicht übersteigen - und der
Dauer bis zur Eröffnung des Verfahrens unterschieden,
und diese Zeit wird nicht mehr eingerechnet . Meine sehr
verehrten Damen und Herren, das war mit uns nicht vereinbart . Ich fordere, dass wir zu einer Gesamtdauer der
Verfahren von drei Monaten kommen müssen und keine
Aufteilung vornehmen .
({8})
Meine Kollegen werden das noch ausführen .
Ich bitte gleichzeitig darum, dass wir Dinge unterlassen, die in Wahrheit zu einer Verlängerung von Verfahren
führen werden .
({9})
Wir können natürlich jetzt beschließen, dass das Dublin-Verfahren wieder gilt, alle nach Hause gehen und
denken, wir haben das damit alles erledigt ist . Aber ob
das draußen wirklich nutzt, ist die große Frage . Das ist
eigentlich keine Frage . Eine Prüfung nach dem Dublin-Verfahren heißt eine Verlängerung der Verfahren .
({10})
Wir haben im Oktober vier Personen zurückgeführt .
Wenn ich diese Zahl nach der zweiten Kommastelle abrunde, bin ich immer noch bei 0 Prozent Rückführung für
den Oktober .
({11})
Auf der anderen Seite wird beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Riesenaufwand betrieben . Erklären Sie mir bitte die Verhältnismäßigkeit . Wir sind bereit,
darüber zu reden . Aber die Vorschläge zu den Verfahren
müssen Sinn machen .
({12})
Gleiches gilt für den Schutzstatus . Den Schutzstatus
für die Flüchtlinge zu überprüfen, wird zu einer Verlängerung der Verfahren führen; das hat gestern auch Herr
Kauder bestätigt .
Ich muss zum Schluss kommen . Meine Damen und
Herren, wir alle wollen weniger Flucht; das ist doch völlig klar . Niemand will das den Menschen zumuten . Wir
alle wollen diese Herausforderung gut bewältigen . Vor
allem: Wir wollen und wir müssen die Brandstifter aus
den Parlamenten heraushalten .
({13})
Darum lassen Sie uns konsequent umsetzen, was wir uns
vorgenommen haben . Jagen wir nicht jede Woche eine
neue Sau durchs Dorf . Beweisen wir den Charakter, der
sich in der Krise zeigt; denn damit hat Helmut Schmidt
recht: „In der Krise beweist sich der Charakter .“ So oder
so .
({14})
Vielen Dank . - An die zukünftigen Redner und Rednerinnen: Es wäre schön, wenn man nach dem Satz: „Ich
muss zum Schluss kommen“, auch zum Schluss käme,
damit wir die Redezeiten einhalten . - Nächster Redner ist
der Kollege Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Menschlich ist
es total nachvollziehbar, wenn ein Flüchtling seine Familie nachholen will . Ich würde es genauso tun,
({0})
und wir alle würden es uns genauso wünschen und es
genauso machen .
({1})
Wer aber in und für Deutschland Verantwortung trägt,
muss auch abwägen, was das für unser Land bedeutet .
({2})
Wenn ein Innenminister das bedenkt, dann ist das möglicherweise nicht populär und wird von der Opposition
kritisiert,
({3})
aber dann macht er nichts anderes als seine Arbeit, und
er verdient die Unterstützung meiner Fraktion und unsere
Anerkennung .
({4})
Bereits heute halten sich mehr als 300 000 syrische
Flüchtlinge in Deutschland auf, von denen ein sehr großer Teil den GFK-Flüchtlingsstatus erhalten hat . Diesen
Status will ihnen derzeit auch niemand nehmen . Das
heißt in der Konsequenz aber auch: Bereits heute müssen wir mit einem Familiennachzug in einer nie dagewesenen Dimension rechnen . Wenn wir die bisherige
Anerkennungspraxis fortsetzen, geht es möglicherweise
um einen Familiennachzug von vielen Hunderttausend
Menschen,
({5})
ohne - ich betone: ohne - dass ein anerkannter Flüchtling nachweisen müsste, dass er den Lebensunterhalt für
seine nachziehende Familie sichern kann oder über ausreichenden Wohnraum verfügt . Das würde in der Sache
nichts anderes bedeuten, als dass zwar mit einer gewissen
zeitlichen Verzögerung, dafür aber umso sicherer eine
zweite Flüchtlingswelle auf unser Land zurollt, während
wir bereits mit äußerster Anstrengung noch an der ersten Flüchtlingswelle arbeiten und diese kaum bewältigen
können .
({6})
Deswegen bin ich überzeugt: Wir müssen den Familiennachzug begrenzen, um das zu tun, was wir tun wollen,
nämlich denen, die an Leib und Leben bedroht sind, auch
in Zukunft Aufnahme zu gewähren .
({7})
- Wer so laut schreit, Herr Hofreiter, hat in der Regel
schon wegen der Lautstärke des Zwischenrufs nicht
recht .
({8})
Aber jetzt hat der Kollege Strobl das Wort . - Bitte
schön .
({0})
Ich will in diesem Zusammenhang drei Punkte zurechtrücken:
Erstens . Es wird behauptet, subsidiärer Schutz sei gar
kein Schutz oder eine Art Schutz light . Richtig ist: Subsidiär Schutzberechtigte sind Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention weitgehend gleichgestellt . Sie
erhalten die gleichen sozialen Leistungen, dieselben Arbeits- und Integrationsmöglichkeiten . Vor allem gilt aber
eines: Subsidiärer Schutz besteht, solange ein Konflikt
anhält und eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht
möglich ist . Nur der Aufenthaltstitel wird zunächst nur
für ein Jahr gewährt, in der Folge aber immer für zwei
weitere Jahre verlängert . Es ist ganz klar, und alle anderen Behauptungen sind grober Unfug: Wir schicken niemanden in ein Bürgerkriegsland zurück . Das ist grober
Unfug, was Sie hier erzählen .
({0})
Zweitens wird behauptet: Wer den Familiennachzug
einschränkt, lässt Familien im Bürgerkrieg zurück .
({1})
Richtig ist: Für den Familiennachzug muss ein Visum an
einer unserer Botschaften beantragt werden .
({2})
Der allergrößte Teil der syrischen Flüchtlinge kommt
nicht unmittelbar aus den Bürgerkriegsgebieten, sondern
aus den Flüchtlingslagern in der Türkei, in Jordanien und
im Libanon . Dort ist die Situation sicherlich sehr, sehr
schwierig . Aber lebensbedrohlich ist das nicht unmittelbar . Wir setzen vor allem in Deutschland alles, wirklich
alles daran, dass in diesen Einrichtungen in der Türkei,
in Jordanien und im Libanon die Lebensverhältnisse besser werden . Wir, diese Bundesregierung - allen voran
Angela Merkel, die Bundeskanzlerin -, arbeiten daran,
dass es in der Türkei für die Menschen bessere Lebensverhältnisse gibt und dass sie Arbeitsmöglichkeiten bekommen . Wir unterstützen die Bundeskanzlerin in dieser
Arbeit, damit weniger Menschen zu uns fliehen müssen
und wir im Übrigen auch unsere griechische Außengrenze zur Türkei besser schützen können .
({3})
Das ist der Weg, den wir gehen .
({4})
Ich komme sofort zum Ende . Drittens wäre die Anerkennung von Syrern als subsidiär Schutzberechtigte kein
deutscher Sonderweg . Hier kann ich nur sagen: Eine ganze Reihe europäischer Länder - darunter diejenigen, die
außergewöhnlich viele Flüchtlinge aufnehmen - gewährt
diesen Flüchtlingen subsidiären Schutz . Dazu gehören
die Niederlande und Schweden, das der Hälfte der syrischen Flüchtlinge subsidiären Schutz gibt . Diese Länder
sind doch nicht inhuman, sondern geben gemeinsam mit
Deutschland in dieser Krise eine humanitäre Visitenkarte
für ganz Europa ab .
({5})
Diese Leistungsfähigkeit wollen wir uns auch in Zukunft
erhalten . Deswegen müssen wir den Familiennachzug
begrenzen .
Danke schön .
({6})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt
die Kollegin Sevim Dağdelen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrter Herr Minister, diese Aktuelle Stunde findet
heute statt auf Antrag der Grünen und der Linksfraktion,
weil Sie als Innenminister dieser Bundesregierung oder
auch nicht - offenbar gibt es hierzu Meinungsverschiedenheiten mit Ihrem Koalitionspartner - die Fluchtmöglichkeiten für Frauen und Kinder aus Syrien beschneiden
wollen . Um nichts anderes geht es hier, wenn Sie den
Familiennachzug für syrische Flüchtlinge verhindern
wollen . Syrische Flüchtlinge sollen nach dem Willen des
Innenministers nicht mehr als Flüchtlinge im Sinne der
Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt und behandelt
werden, sondern als Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz .
Das ist im Kern nichts weiter als eine Duldung: ein Jahr
hier sein, warten, in dieser Zeit meistens nicht Deutsch
lernen können,
({0})
keine Familien nachholen und nicht wissen, wie lange
man hierbleiben darf . Das ist Gift für die Integration . Es
ist das Gegenteil von Integration, was Sie hier mit Ihren
Maßnahmen schaffen .
({1})
Wenn Sie mit Ihrem Plan durchkommen, werden sich
noch mehr Frauen und Kinder auf die gefährliche Reise
über das Mittelmeer machen müssen, um Schutz zu bekommen . Da frage ich Sie, Herr Minister, die anderen aus
dem Kabinett und ganz besonders die Koalitionsfraktionen: Wollen Sie verantwortlich sein für mehr Tote im
Mittelmeer? Wollen Sie das tatsächlich verantworten?
Sie verhindern, dass Kinder mit ihren Eltern zusammenleben können . Sie haben doch selbst Familie . Stellen
Sie sich einmal vor, dass Sie von Ihrer Familie getrennt
bleiben müssen, während der Rest der Familie unter dem
Bombenhagel und bei Kämpfen zwischen terroristischen
Islamisten und der Armee sein Leben verliert . Das ist
dann das Ergebnis Ihrer Politik und insbesondere dieser
Maßnahme . Das ist nicht nur unchristlich . Das ist vielmehr eine moralische Bankrotterklärung .
({2})
Deshalb haben die zwei großen Kirchen Ihre Politik verurteilt und sagen: Hören Sie mit der menschenverachtenden Politik auf, die Sie mit der Verhinderung des Familiennachzugs betreiben!
({3})
Ich finde es gut, Herr Castellucci, dass die SPD - so
tapfer und standhaft, wie sie hier im Bundestag immer
ist - sagt, dass dies mit ihr nicht zu machen ist . Wenn
ich mich aber an die Vorratsdatenspeicherung, die Asylrechtsverschärfung und die Transitzonen, die nun Registrierzonen genannt werden, erinnere,
({4})
dann stelle ich fest, dass die SPD zuerst nicht dafür war,
es dann aber gemacht hat .
({5})
Wenn Sie bei der Beschränkung des Familiennachzugs
sagen, das sei mit Ihnen nicht zu machen
({6})
- das ist die Sache -, stellt sich die Frage, ob Sie Ihre
Position, die Sie heute vertreten, weiterhin glaubwürdig
vertreten werden, ob sich die Flüchtlinge darauf verlassen können, dass die SPD nicht nur heute sagt, sie sei gegen die Begrenzung des Familiennachzugs, sondern auch
morgen und übermorgen . Das ist doch die Politik, mit der
wir es in der letzten Woche zu tun hatten .
({7})
Es sollen ja noch Wunder geschehen . Ich hoffe darauf ich würde mich freuen -, dass Sie bei dieser Position bleiben, dass Sie hier Rückgrat zeigen und als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten diese Maßnahme von Herrn
de Maizière und Co . verhindern . Sie sollten aber auch verThomas Strobl ({8})
hindern, dass statt Fluchtursachen weiterhin Fluchtmöglichkeiten bekämpft werden; denn nichts anderes ist es,
wenn Sie dabei helfen, dass den Menschen die Fluchtwege
abgeschnitten werden oder auch sichere, legale Wege über
den Familiennachzug abgeschnitten werden .
Gestern hat meine Fraktion Gäste von der syrischen
zivilen Opposition empfangen . Eine ihrer Forderungen
war die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen, die 2011
verhängt worden sind und die eben nicht Assad und seine Entourage, sondern die Bevölkerung in Syrien treffen .
Schon im Herbst 2013 tauchten erste Berichte über verhungernde Kinder in Vororten von Damaskus oder auch
im Flüchtlingslager Jarmuk auf . Die Sanktionen haben
das ganze Gesundheitssystem kollabieren lassen . Medikamente gegen Krebs, Herzkrankheiten oder auch Diabetes
können nicht mehr importiert werden . Aufgrund der Sanktionen in der Pharma- und auch der Chemieindustrie können sie auch nicht mehr produziert werden . Die Lebenserwartung ist um 20 Jahre gesunken. Ich finde, es ist eine
humanitäre Pflicht, wenn man davon spricht, Fluchtursachen zu bekämpfen, diese Sanktionen aufzuheben und
das Elend der Menschen dort zu verringern . Dann werden
auch weniger Menschen nach Europa kommen müssen .
Vielen Dank .
({9})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Sönke
Rix, SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich auf den Vorwurf eingehen,
dass die SPD nicht zu dem steht, was sie sagt . Ich wäre
bei der Debatte über den Familiennachzug sehr vorsichtig mit Behauptungen, insbesondere wenn man die
Pressemitteilung des Fraktionsvorsitzenden im saarländischen Landtag Oskar Lafontaine liest .
({0})
Die war überschrieben: Familiennachzug eindämmen,
um weiteren Flüchtlingszuzug zu ermöglichen . - Ein
Ausspielen der Flüchtlingsgruppen gegeneinander ist genauso wenig hilfreich, wie das infrage zu stellen, wofür
die SPD steht .
({1})
Zunächst einmal will ich grundsätzlich etwas fragen,
und zwar: Wie ist eigentlich unsere Haltung in der aktuellen Debatte zur Flüchtlingssituation?
({2})
Ich vermeide bewusst das Wort „Flüchtlingskrise“ .
({3})
Wir haben die Situation, dass wir zwei Grundsätze
zu berücksichtigen haben . Der erste Grundsatz ist: Wer
um Sicherheit und Leben fürchten muss, der soll hier in
Deutschland Sicherheit und Hilfe auch erhalten . Diesem
Grundsatz fühlen wir uns verpflichtet. Der zweite Grundsatz muss sein: Vor dem Hintergrund der besonderen Herausforderungen, die damit einhergehen, brauchen wir
bei diesem sehr schnellen Zuzug von Flüchtlingen, den
wir im Moment erleben, vor allen Dingen eine Gesellschaft, die zusammenhält . Das ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit .
Umso wichtiger ist es, dass wir mit unserer Wortwahl
vorsichtig sind und nicht von „Flüchtlingswellen“ und
von „Dramatik“ reden, wenn es keine Dramatik gibt .
({4})
Ich hatte gerade eben eine Besuchergruppe und habe die
Frage gestellt bekommen: Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass viele Menschen so viel Angst haben? Was
antworten Sie den Menschen eigentlich? - Die Besucherin sprach auch von diffusen Ängsten . Darauf sagte ich:
Ich mache das so ähnlich wie mit meinen Kindern . Ich
frage nach der konkreten Angst, ich frage, wo die konkrete Befürchtung ist . Wir müssen aufpassen, dass wir
nicht Ängste schüren, obwohl die Menschen keine Ängste haben müssen . Die Situation ist beherrschbar, liebe
Kolleginnen und Kollegen .
({5})
Wir haben bewiesen, dass wir als Koalition handlungsfähig sind . Wir stellen den Kommunen und den
Ländern erheblich mehr Mittel zur Verfügung . Wir arbeiten außenpolitisch an der Situation, insbesondere an
der Situation in den umliegenden Ländern in der Krisenregion . Wir unterstützen bei der Bereitstellung von
Unterkünften, und wir ermöglichen bürgerschaftliches
Engagement, weil bürgerschaftliches Engagement besonders wichtig ist, auch für die Akzeptanz in der Gesellschaft . Erst dann, wenn viele Teile der Gesellschaft den
Flüchtlingen helfen, haben wir die Gewähr, dass dann in
der Gesellschaft eine große Anerkennung folgt . Wir sollten alles daransetzen, dass wir das, was wir gemeinsam
beschlossen haben, umsetzen, bevor wir die schon vielzitierte neue Sau durchs Dorf jagen, liebe Kolleginnen
und Kollegen .
Für uns heißt es, klare Haltung in der Familienpolitik
zu zeigen. Wir haben eine sehr deutliche Verpflichtung
gegenüber Frauen und Kindern, die um ihre Sicherheit
und um ihr Leben fürchten müssen . Wir haben in unserem Grundgesetz einen Grundwert bezüglich der Familienpolitik, dort steht: Wir wollen Familie, Ehe und Kinder schützen . - Das gilt auch für Flüchtlingskinder, für
Flüchtlingsfamilien .
({6})
Diese Haltung sollten wir wahren und nicht durch
neue Vorschläge so tun, als ob wir mit einem Auseinanderreißen von Familien - nichts anderes wäre das - eine
Situation bekommen, wonach wir eine Entlastung an
den Grenzen und bei den Verfahren hätten . Das Gegenteil wäre doch der Fall . Diejenigen, die nicht nachziehen
können, würden ihren Asylantrag individuell stellen . Sie
werden individuell an der Grenze stehen und sich auf den
unsicheren Weg machen . Das dürfen wir hier nicht verantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen .
({7})
Es wäre auch integrationspolitisch falsch, die Männer
hier alleine zu lassen und ihnen Möglichkeiten zu geben,
die Sprache zu lernen, sich zu integrieren und vielleicht
auch in Ausbildung und Arbeit zu kommen, aber ihre Familien nicht hierherziehen zu lassen . Ich glaube, es ist
wesentlich und wichtig, dass Familien hier gemeinsam
sein können . Hier müsste das Familienbild der Union
eine große Rolle spielen .
Ich will noch einen letzten Satz sagen . Wir haben noch
eine EU-Richtlinie auf den Weg zu bringen, mit ihr haben wir insbesondere den Schutz von Kindern, Familien
und Frauen umzusetzen . Ich warne davor, die Umsetzung
dieser EU-Richtlinie zu verzögern . Wir brauchen den
Schutz der Flüchtlingskinder und der Flüchtlingsfrauen,
die bereits in unseren Einrichtungen sind . Deshalb bitte
ich ganz dringend darum, diese Richtlinie sofort und sehr
schnell umzusetzen; nicht nur der Weg hierher soll ermöglicht werden, sondern auch der Schutz hier . Sie brauchen Schutz und Hilfe . Das sollte unser Ziel sein .
Herzlichen Dank .
({8})
Vielen Dank . - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Volker Beck das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mit einem Wort der Anerkennung für Ihre Rede,
Herr Castellucci, beginnen . Ich fand sie sehr präzise und
sehr mutig .
({0})
Mutig fand ich, dass Sie sich hinter Ihre Bundeskanzlerin
gestellt haben . Das ist in diesen Zeiten in der Koalition
schon etwas Besonderes, das Würdigung verdient .
({1})
Ich gehöre dem Hohen Hause seit 21 Jahren an . Ich
muss sagen: Was heute hier stattgefunden hat, habe ich
in meiner Zeit als Abgeordneter bislang nicht erlebt: offener Kampf des Bundesinnenministers gegen die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin . Das haben wir so
noch nicht gesehen . Am Donnerstag einigen sich die Parteivorsitzenden . Am Freitag hält der Innenminister ein
Statement . Er hatte eine Presseanfrage - oh Wunder . Der
Kanzleramtsminister und Flüchtlingskoordinator sammelt das Statement wieder ein, und am Mittwoch erzählt
der Bundesinnenminister hier am Rednerpult kackfrech
genau dasselbe, was er am Freitag schon erzählt hat . So
viel Ignoranz gegenüber der Bundeskanzlerin, gegenüber
der Koordination einer gemeinsamen Politik durch das
Bundeskanzleramt, habe ich noch nicht erlebt .
({2})
Offensichtlich haben Sie nicht verdaut, dass man Ihnen mit Herrn Altmaier einen Flüchtlingskoordinator vor
die Nase gesetzt hat . Nun wehren Sie sich offensichtlich
mit den Instrumenten des zivilen Ungehorsams. Ich finde es angesichts der humanitären Frage, um die es hier
geht, vollkommen unangemessen, auf dem Rücken der
Flüchtlinge und dem Rücken des demokratischen Klimas
in diesem Land einen solchen Machtkampf aufzuführen .
({3})
Herr Innenminister, in der Sache richten Sie maximalen Schaden an . Sie verkünden, anders als es der
Beschluss der drei Parteivorsitzenden vorsieht, dass bei
subsidiär Geschützten der Familiennachzug zwei Jahre
ausgesetzt werden soll - das finde ich in der Sache verkehrt -, in der Presse aber etwas ganz anderes:
Ihr bekommt Schutz, aber den sogenannten subsidiären Schutz - das heißt zeitlich begrenzten Schutz
ohne Familiennachzug .
Das sagte der Bundesinnenminister am 6 . November
2015 .
„Ohne Familiennachzug“, das heißt für viele Menschen, die in Flüchtlingscamps in Syrien oder am Rande
von Syrien, in Nachbarstaaten, sind: Für euch gibt es keine legale Chance, zu euren Söhnen, zu euren Männern
nach Deutschland oder nach Europa zu kommen . Euch
bleiben nur der Schleuser und der Weg über das Mittelmeer . - Das ist zynisch, und das ist nichts anderes als ein
Schleuserwesenankurbelungsprogramm .
({4})
Angeblich wollen Sie doch genau das bekämpfen . Das
macht mich in der Sache wirklich sprachlos. Ich finde, so
etwas darf man als Innenminister in einer solchen Situation nicht machen . Das Innenministerium braucht gegenwärtig einen Troubleshooter, aber es hat einen Troublemaker, und da ist der Fehler .
({5})
Meine Damen und Herren, der zweite Punkt, über den
gerade geredet wird, ist ja die Frage, ob wir zum Dublin-Verfahren zurückkehren . Da liegt natürlich ein Problem: Ja, wir brauchen eine neue europäische Begründung
einer solidarischen Flüchtlingsaufnahme . Aber durch die
Wiederherstellung des gescheiterten Dublin-Systems
wird das nicht gelingen . Das Reden über eine neue europäische Aufnahme fängt damit an, dass Deutschland
gegenüber seinen europäischen Partnern eingesteht, dass
das Dublin-System auf Egoismus angelegt war und dass
Deutschland von diesem Egoismus über annähernd zwei
Jahrzehnte profitiert hat.
({6})
Wir waren umzingelt von sicheren Drittstaaten; Flüchtlingsaufnahme war ein Problem der anderen . Sie ging
uns nichts an - bis es schiefging .
Man hätte es schon länger wissen müssen . Als auf
dem Oranienplatz hier in Berlin die ersten Flüchtlinge
aus Italien ankamen, hätte ein Innenminister reagieren und sagen müssen: Wir müssen diese solidarische
Flüchtlingsaufnahme mit neuen Instrumenten europäisch
absichern . - Dazu gehört für mich: einheitliche Mindeststandards bei der Versorgung . Es kann nicht sein, dass
in manchen Ländern Flüchtlinge noch nicht einmal eine
Unterkunft bekommen .
({7})
Außerdem muss es endlich einen europäischen Mechanismus der Finanzierung geben, ähnlich wie wir ihn
jetzt im Verhältnis zwischen Bund und Ländern haben .
Es darf sich nicht für diejenigen rechnen, die sich am
Ende aus der Solidarität und aus der humanitären Aufgabe davonstehlen. Das muss solidarisch finanziert sein.
Wir können doch nicht hinsichtlich der Einhaltung der
Maastricht-Kriterien Schäuble losschicken, damit der
sagt: „Achtet auf euren Haushalt“, und im Hinblick auf
die Flüchtlingsaufnahme sagen: Seid aber bitte schön
humanitär . - Das ist angewandtes Spaltungsirrsein . Das
darf es nicht geben .
({8})
Aber die Wiederherstellung des Dublin-Abkommens
über repressive Maßnahmen führt doch nur zu einem: zu
völligem Chaos . Deutschland hat zwei Monate Zeit, um
einen Antrag auf Rücknahme zu stellen . Das Aufnahmeland hat drei Monate Zeit, um darauf zu antworten . Dann
hat Deutschland sechs Monate Zeit, um es umzusetzen .
Zwischen 2 und 5 Prozent liegen in der Regel die realen Rückführungsquoten . Ein Flüchtling ist also ein Jahr
hier, und nichts ist passiert, und dann stellen wir fest:
Jetzt bleibt er doch da .
Herr Kollege .
Dann fangen wir mit der Integration an . Das ist wirklich eine Politik, durch die Sie dem Land nicht signalisieren, dass wir das schaffen können und dass wir das
schaffen wollen . Wenn wir wollen, dann können wir;
aber bei Ihnen bin ich mir nicht sicher, ob Sie wirklich
noch wollen .
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege Beck . - Nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion ist die Kollegin Andrea
Lindholz .
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Deutschland hilft in dieser historischen Flüchtlingskrise wie kaum ein anderes Industrieland . Das ist gut und richtig; aber auch unsere Kräfte
sind begrenzt . Ich darf Erhart Körting, den ehemaligen
Innensenator des Landes Berlin, zitieren, der heute in der
FAZ sagt: „Die Aufnahmemöglichkeiten sind endlich .“
Genau das wird uns auch tagtäglich von Bürgerinnen und
Bürgern, von verantwortlichen Bürgermeistern, Landräten, Kommunalpolitikern aller Parteien, Hilfsorganisationen und vielen Helferinnen und Helfern in diesem Land
bestätigt: Ja, wir wollen helfen; aber unsere Kapazitäten
sind begrenzt .
({0})
All diese Menschen erwarten von uns Antworten .
Diese Antworten sollten mehr als nur polemische Reden
sein . Es sollten konkrete Vorschläge sein . Die können
sich nicht nur mit der Integration beschäftigen, sondern
sie müssen sich auch mit den Fragen der Begrenzung beschäftigen .
Bis Ende Oktober waren in Deutschland 758 000
Asylbewerber im System zur Erstverteilung registriert .
Monatlich kommen bis zu 180 000 Migranten dazu . Hunderttausende Migranten wurden bisher überhaupt nicht
erfasst . Sie verteilen sich selbstbestimmt in Deutschland
und Europa . In Schweden ist die Aufnahmekapazität
bereits erschöpft, und in Österreich ist die Lage ähnlich
prekär .
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat
in diesem Jahr über 205 000 Anträge entschieden und
83 000 Menschen Flüchtlingsstatus oder Asyl gewährt .
Natürlich dürfen diese Menschen ihre Kernfamilie nachholen . Sie müssen bei uns auch ordnungsgemäß versorgt
und integriert werden . 330 000 Asylanträge sind noch
offen .
Das alles stellt unser Land vor große Herausforderungen . Diese werden durch den extremen Anstieg der Zuwanderung, den wir seit September dieses Jahres erleben,
immer mehr potenziert . Auch die deutschen Kommunen
sind überfordert . Der Städte- und Gemeindebund hat
schon Anfang Oktober die Einschränkung des Familiennachzuges gefordert .
Ja, Deutschland muss angesichts dieser dramatischen
Entwicklung Entscheidungen treffen, die sicherlich nicht
immer einfach sind . Die Bürgerinnen und Bürger erwarten aber von uns, dass wir geltendes europäisches und
Volker Beck ({1})
nationales Recht anwenden . Dazu gehört auch die Dublin-Verordnung, solange sie nicht durch ein anderes System abgelöst ist .
({2})
Eine Vervielfachung der hohen Zugangszahlen innerhalb kurzer Zeit würden wir in diesem Land nicht
verkraften . Das würde auch unsere Integrationskraft
überfordern . Auch diese Erkenntnis gehört zu einer verantwortungsvollen Flüchtlingspolitik .
({3})
Die Koalition hat sich daher in den letzten Wochen
auf weitere Maßnahmen geeinigt - auch darauf, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte für zwei Jahre
auszusetzen . Bis Juli dieses Jahres konnten subsidiär Geschützte nur unter engen Voraussetzungen ihre Familien
nachholen . Wir haben dies verbessert, obwohl weder das
EU-Recht noch unsere Verfassung diesen Anspruch vorsehen .
Wer geglaubt hat, dass dieser Punkt in der Einigung
überhaupt keine Relevanz haben soll, dem ist offensichtlich der Ernst der Lage nicht bewusst . Die Union hat gefordert, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte
für zwei Jahre auszusetzen und nicht abzuschaffen . Er
soll für zwei Jahre ausgesetzt werden, um in diesem Land
auch wieder Kapazitäten zu schaffen, die notwendigen
Integrationsleistungen in ausreichendem Maße zu erbringen und die Zuwanderung in unser Land auch ein Stück
weit mit steuern zu können .
({4})
Natürlich muss auch bei allen Asylbewerbern das
Asylrecht konsequent angewendet werden . Es müssen
auch wieder Anhörungen - auch bei den Syrern - durchgeführt werden . Das muss einerseits deshalb geschehen,
weil wir alle Flüchtlinge gleich behandeln sollten, andererseits aber - das ist viel wichtiger -, weil wir einfach
klären müssen, wer wirklich aus Syrien stammt . Und das
geht eben nun einmal nur mit einer ordnungsgemäßen
Anhörung . Es ist kein Geheimnis, dass man in Istanbul
einen syrischen Pass für einige 100 Euro bekommt . De
facto stammt bereits eine gewisse Anzahl der syrischen
Asylbewerber gar nicht aus Syrien . Auch das ist Teil der
Wahrheit, über die man sprechen muss .
({5})
Die Beschleunigung von Asylverfahren ist und war
wichtig . Sie wird von uns auch nicht in Abrede gestellt .
Schnelligkeit allein aber darf kein Selbstzweck sein . Die
Frage, ob Asyl, Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutz
gewährt wird, muss im Einzelfall anhand der geltenden
Rechtslage geklärt werden . Und hierfür ist nicht die Politik zuständig, sondern hierfür sind die Entscheidungsträger im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig . Deshalb unterstützt auch die Unionsfraktion - das
gilt auch für mich selbst - den Vorschlag unseres Bundesinnenministers, jeden einzelnen Antrag - auch wieder
die Anträge von Syrern - nach geltendem Asylrecht und
im Einzelfall zu prüfen .
Vielen Dank .
({6})
Vielen Dank . - Nächster Redner ist der Kollege Frank
Schwabe für die SPD-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich mache das sonst nicht, will an dieser Stelle aber
sagen: Liebe Engagierte, liebe Haupt- und Ehrenamtliche - die jetzt vielleicht zuschauen oder später zuschauen
werden -, ich will Sie zu dieser Debatte besonders begrüßen . Denn Sie machen in dieser Zeit eine tolle Arbeit . Ich
glaube, dass dieses Land - ich denke, das muss man so
sagen - wirklich stolz auf das sein kann, was Sie zurzeit
für Flüchtlinge leisten .
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn sich das
heute kaum jemand vorstellen kann: Es wird eine Zeit
nach der Flüchtlingslage geben, die wir zurzeit haben;
vielleicht wird diese Zeit auch schneller kommen als gedacht . Wir werden in dem Lichte dann auf das zurückblicken müssen, was wir heute diskutieren und was wir
heute entscheiden . Ich hoffe, dass wir dann nicht voller
Scham darauf zurückblicken müssen .
({1})
Eigentlich müsste man es nicht extra sagen: Wir reden
über Menschen und darüber, wie Menschen mit Menschen umgehen . - Das ist jetzt ein bisschen pathetisch,
aber ich will das in dieser Zeit doch einmal sagen: Wir
haben bald Weihnachten . Ich frage mich wirklich, wie
man Heiligabend mit seiner Familie besinnlich vor dem
Weihnachtsbaum sitzen und gleichzeitig auf die Idee
kommen kann, Väter, Mütter, kleine Mädchen und Jungen voneinander zu trennen . Wie will man das eigentlich
verantworten?
({2})
Es ist leider die Konsequenz einer Politik, wie sie hier
gelegentlich skizziert wurde, dass am Ende Kinder mit
ihren Müttern auf eine todbringende Reise über das Meer
gezwungen werden . Wir reden im Übrigen - das will ich
nur noch einmal betonen - über die Kernfamilie . Wir reden an dieser Stelle über Mutter, Vater, Kind; über nichts
anderes .
({3})
Ich finde, ein solches Verhalten ist mit dem Grundsatz
der christlichen Nächstenliebe nur schlecht zu vereinbaren, eigentlich gar nicht zu vereinbaren . Ich bin wirklich
stolz darauf und froh darüber, dass meine Partei sich da
klar positioniert hat .
({4})
Man muss noch einmal zurückdenken: Wie war es
eigentlich Anfang des Jahres, als wir die Ereignisse um
Lampedusa und all die Diskussionen darum hatten? Da
haben wir doch eine Korrektur vorgenommen, haben gesagt: Wir müssen alles tun, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. - Zurzeit findet das EU-Afrika-Treffen
in Valletta statt . Dort wird eine Abschlusserklärung - sie
ist schon verabredet - verabschiedet . Darin steht als erste
Priorität: Lebensrettung und Achtung der Menschenrechte . - Das ist die erste Priorität .
({5})
Ich glaube, dem müssen wir uns auch in unserer Politik
stellen .
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Flüchtlingslage ist herausfordernd - das ist mehrfach betont worden -,
aber Hysterie ist fehl am Platze .
({6})
Die Regierung ist gehalten, nicht Scheinlösungen vorzulegen, getrieben von irgendeiner Hysterie; wir müssen
ganz kontinuierlich und vernünftig das abarbeiten, was
wir uns vorgenommen haben . Wir hatten gestern - es
ist schon gesagt worden - Frank-Jürgen Weise in der
SPD-Fraktion . Es war sehr wohltuend, was er da gesagt
hat .
({7})
Wir haben das Vertrauen, dass er jemand ist, der wirklich
die Dinge abarbeiten kann, die wir miteinander beschlossen haben .
Ich will auch das noch einmal sagen: „Subsidiärer
Schutz“ und „Dublin“ sind zwei Stichworte, sind am
Ende zwei Synonyme für mehr Bürokratie und nicht für
weniger Bürokratie .
({8})
Wie wir damit die Aufgabe besser bewältigen können, ist
mir jedenfalls nicht klar .
Wir brauchen die volle Unterstützung für Kommunen,
Hilfsorganisationen und Ehrenamtliche . Die Bürgermeister sind genannt worden, Frau Lindholz, parteiübergreifend . Es gibt in der Tat verantwortungsbewusste Bürgermeister und Oberbürgermeister . Da ist etwa der OB
Dupper in Passau . Was man von ihm lesen kann, ist wirklich beeindruckend . Ich habe gerade auch gelesen, dass
Stephan Neher - in Klammern: CDU - klar gesagt hat:
Wir schaffen das bei uns in Rottenburg . Wenn Deutschland das nicht schafft, wer soll das eigentlich sonst schaffen?
({9})
Verantwortungslos ist - das will ich an dieser Stelle
auch sagen -, wenn Herr Landsberg vom Städte- und Gemeindebund - es gibt da noch andere Verbandsfunktionäre - sich nicht nur zur kommunalen Situation äußert - das
zu tun ist seine Aufgabe -, sondern sich auch als Hobbyaußenpolitiker geriert . Ich sage, nicht zu kritisch auch
in Richtung meiner eigenen Kolleginnen und Kollegen in
der Fraktion: Ich finde es problematisch, wenn Kommunalpolitiker oder auch Innenpolitiker anfangen, außenpolitische Fragen in einer bestimmten Art und Weise zu
bewerten .
({10})
Dafür haben wir wirklich eine vernünftige, verlässliche
Außenpolitik, und die kann bewerten, wo auf der Welt es
sichere Zonen gibt und wo nicht .
In der aktuellen Debatte wird immer wieder etwas gesagt, was nicht stimmt, und das ärgert mich am meisten .
Tatsache ist: Deutschland tut eine ganze Menge in der
Frage der humanitären Hilfe . Frank-Walter Steinmeier
läuft sich die Hacken ab, um da voranzukommen . Wir
haben in Deutschland die Mittel massiv erhöht; das ist
wahr .
Aber wir haben weiterhin folgende Situation - das
können alle nachlesen -: Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen um 2,9 Milliarden US-Dollar Hilfe für
Syrien gebeten . Davon sind 1,059 Milliarden US-Dollar
gedeckt . Das sind 37 Prozent . An Hilfe für die Regionen
rund um Syrien halten die Vereinten Nationen 4,5 Milliarden US-Dollar für nötig . Davon wurden 2,278 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt . Das sind 50 Prozent . Nicht mal die Hälfte des Geldes, das notwendig
ist, um Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen oder
ihnen genug zu essen zu geben, wird von der internationalen Gemeinschaft aufgebracht. Ich finde, es ist die Aufgabe von uns allen, das endlich zu ändern und dafür zu
sorgen, dass Fluchtursachen wirklich bekämpft werden .
Das schaffen wir nicht durch Abschreckungsmaßnahmen, sondern nur durch Hilfe für die Menschen vor Ort .
({11})
Vielen Dank . - Die nächste Rednerin ist Nina Warken,
CDU/CSU-Fraktion .
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Menschen im Land schauen heute in ihrer ganz überwiegenden Zahl mit dem Wunsch nach Berlin, dass wir
den Zustrom an Asylsuchenden ordnen und begrenzen .
Das ist verständlich . Die Kommunen leisten Großartiges
bei der Unterbringung von Flüchtlingen . Sie sind, ebenso wie die vielen Ehrenamtlichen von DRK, Feuerwehr,
THW, Helferkreisen etc ., am Rande ihrer LeistungsfäFrank Schwabe
higkeit . Dem Anliegen, den Flüchtlingsandrang zu ordnen und zu begrenzen, müssen wir Rechnung tragen .
Es ist Zeit, zu handeln .
({0})
Die Koalition ist sich dieser Situation sehr bewusst . Sie
handelt .
({1})
Mit dem in kürzester Zeit beschlossenen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz und der Vereinbarung der Parteivorsitzenden von vergangener Woche haben wir zwei
Schritte in die richtige Richtung gemacht . Weitere Schritte müssen und werden folgen . Dabei sollte man keinen
Weg von vornherein ausschließen, schon gar nicht, wenn
man wie Sie, liebe Kollegen von der Opposition, keine
eigenen Vorschläge hat .
Ich möchte die Gelegenheit heute auch nutzen, einige
Dinge klarzustellen .
({2})
Es geht hier nicht um eine pauschale Beschränkung der
Rechte der Flüchtlinge aus Syrien . Es geht auch nicht darum, den Entscheidern politische Vorgaben zu machen .
Nein, es geht darum, geltendes Recht anzuwenden . Es
geht darum, wieder zur Einzelfallprüfung, zu individuellen Entscheidungen, zur Anwendung objektiver Kriterien
({3})
und zu den Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention zurückzukommen .
({4})
Wir sollten keine Gruppe privilegieren und bei keiner
Gruppe pauschal auf die Durchführung von Anhörungen
verzichten und im schriftlichen Verfahren entscheiden .
Für diesen Weg hatte man sich vor rund einem Jahr entschieden . Das wird in der aktuellen Debatte oft vergessen - unter dem Druck der steigenden Zugangszahlen
und unbearbeiteten Anträge .
({5})
Das mag damals richtig gewesen sein; aber eine geänderte Lage erfordert ein Umdenken .
({6})
Der aktuelle Zustrom von Menschen aus Syrien ist ein
komplett anderer, er ist um ein Vielfaches größer und unkontrollierter .
({7})
Eine nicht unbeachtliche Zahl kommt dabei bereits aus
sicheren Drittstaaten zu uns . Es ist davon auszugehen,
dass etwa 30 Prozent derer, die behaupten, sie kämen aus
Syrien, tatsächlich keine Syrer sind .
({8})
Wenn jetzt also über eine Änderung gesprochen wird,
ist dies schon aus Sicherheitsinteressen geboten .
({9})
Wir sollten daher wieder zu einem Verfahren mit einer
Anhörung und einer Prüfung jedes Einzelnen, seiner
Identität und der ihm zustehenden Rechte zurückkommen .
({10})
Ein Verfahren, das alle Antragsteller gleich behandelt und
niemanden privilegiert . Ein offenes Verfahren, an dessen
Ende die Entscheidung steht, ob Asyl, Flüchtlingsstatus
oder subsidiärer Schutz gewährt wird . Der Schutzstatus
darf sich nicht ausschließlich an einer oft auch nur behaupteten Staatsangehörigkeit orientieren .
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um einem weiteren
Vorwurf klar entgegenzutreten: Keiner möchte hier den
Familiennachzug für alle Syrer grundsätzlich abschaffen .
({12})
Wir - damit meine ich die Koalition - wollen eine Gesetzesänderung dahin gehend, dass man bei einer gewissen
Personengruppe, nämlich den subsidiär Schutzbedürftigen, das Recht auf Familiennachzug für zwei Jahre
aussetzt, ein Recht übrigens, das kein althergebrachtes
ist, sondern das man dieser Gruppe in der jetzigen Form
überhaupt erst vor wenigen Monaten im Rahmen einer
Gesetzesänderung zugesprochen hat .
Eine veränderte Lage erfordert auch eine veränderte
Politik . Gerade unserer Fraktion ist der Schutz von Ehe
und Familie sehr wichtig .
({13})
Wir sehen aber auch, dass wir jetzt schon kaum in der
Lage sind, diejenigen, die zu uns kommen, gut unterzubringen und zu versorgen . Es ist auch ein Gebot der
Menschlichkeit, die Angekommenen angemessen aufzunehmen .
({14})
Es ist daher richtig, heute über die Aussetzung des Familiennachzugs für die subsidiär Schutzbedürftigen zu
sprechen . Das mag hart klingen, ist aber ehrlich gegenüber denjenigen, die bei uns um Aufnahme ersuchen .
Wir wären mit diesem Weg auch nicht alleine oder
blieben hinter europäischen Standards zurück . Unsere
derzeitige Praxis gibt es in keinem anderen Land der EU .
Auch das ist für die Menschen ein Anreiz, gerade zu uns
zu kommen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen dringend Mittel und Wege finden, unsere massiv unter Druck
geratenen Kommunen zu entlasten,
({15})
den Flüchtlingszustrom zu steuern und für unsere Asylpolitik die notwendige breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten .
Ein Wort noch, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu
den Diskussionen der letzten Tage: Ich wehre mich entschieden dagegen, dass man angesichts der Situation in
unserem Land pauschal und a priori eine Welle der Empörung über pragmatische Vorschläge zur Bewältigung
der Lage losbricht .
({16})
Es ist jetzt nicht die Zeit für Empörung und ideologische
Debatten .
({17})
Es ist Zeit, zu handeln . Wir brauchen eine Politik, die
sich am Machbaren und an den tatsächlichen Verhältnissen in unserem Land orientiert . Dafür plädiere ich .
Vielen Dank .
({18})
Vielen Dank . - Für die CDU/CSU-Fraktion spricht
jetzt Michael Frieser .
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Manchmal bin ich über die Aufgeregtheit in diesem Haus wirklich etwas überrascht .
({0})
Es ist zwar seit jeher das Privileg der Opposition, Kritik
zu üben, gerne auch lauthals, und die Last der die Regierung tragenden Fraktionen, Lösungen darbieten zu
müssen, von dieser Seite des Hauses habe ich heute aber
keinen einzigen Lösungsvorschlag gehört,
({1})
zu dem ich sagen könnte: Damit kommen wir einer Begrenzung, einer Lösung des entscheidenden Problems
einen Schritt weiter .
({2})
Das bedeutet - lassen Sie es mich ganz deutlich sagen -:
Jene Art der Realitätsverdrängung, die im Augenblick
hier betrieben wird, treibt die Menschen auf der Straße
direkt in die Arme von AfD und Pegida . Das ist unser
Problem .
({3})
Ich will es deutlich sagen, versuche aber zugleich, mich
kurzzufassen: Mit der wirklich warmherzigen Aufnahme
durch Ehrenamtliche - mit unendlichem Geschick und
Emotionen -, aber auch mit der Hilfe bei der Aufnahme
durch Vertreter der staatlichen Seite und der Wohlfahrtsverbände ist die Arbeit doch nicht getan . Die wirkliche
Arbeit fängt doch erst an, wenn es um diese Fragen geht:
Wie kommen diese Menschen in Arbeit? Wo finden diese
Menschen Wohnungen? Wie sorgen wir für einen Integrationsprozess, an dessen Ende sie ein Bestandteil unserer Gesellschaft sind? Darüber hinwegzusehen und zu
glauben, man könne an einer Art Rechtsbruch festhalten,
zeugt in der Tat von Realitätsverdrängung .
({4})
Es ist also vielmehr notwendig, zu einem rechtsstaatlichen Verfahren zurückzukehren .
({5})
Ich bin schon überrascht über diese Art des Umgangs;
denn die Tatsache, dass wir in einer Notsituation ein Verfahren, mit dem die Institutionen, die bei uns gesetzlich
normiert sind, über die Aufnahme von Flüchtlingen zu
entscheiden, wegen der Vielzahl der Fälle nicht mehr zurechtkommen, außer Kraft setzen, bedeutet doch nicht,
dass diese Ausnahme zu einer permanenten Rechtssituation werden kann . Das heißt, wir müssen zu einem
rechtsstaatlichen Verfahren zurückkehren, zum Beispiel
bei den Anerkennungsverfahren . Alles andere wäre eine
dauerhafte Außerkraftsetzung unseres Rechtssystems .
({6})
Das, was ich hier höre, bedeutet letztlich, wenn ich es
zu Ende denke: Abschaffung eines individuellen Rechts
auf Asyl . Das würde bedeuten, dass wir auf einen institutionellen, auf einen automatischen Anspruch zusteuern .
Dann müssten Sie aber auch die Frage beantworten, welche Höchstgrenze es bei dieser Kontingentierung gäbe;
denn es gäbe ja keine Einzelfallprüfungen mehr . Dann
ginge es nicht mehr darum, tatsächlich die Verfolgung
des einzelnen Flüchtlings festzustellen und die individuellen Asylgründe zu ergründen; denn das geht wirklich
nur durch eine persönliche Befragung .
Übrigens muss man auch fragen: Wie wollen Sie eigentlich denjenigen begegnen, die „über Nacht“ Syrer
wurden, deren Muttersprache aber Serbokroatisch ist?
({7})
Das können Sie nur in einem persönlichen Verfahren
hinterfragen . Deshalb ist klar: Sobald es irgendwie geht,
müssen wir zu diesem Verfahren zurückkehren .
({8})
Sonst halten wir diesen Ausnahmezustand immer weiter
aufrecht .
({9})
Das kann nicht die richtige Botschaft an diejenigen sein,
die ihre Fluchtgründe tatsächlich persönlich vorbringen
wollen .
Weiter geht es mit der entscheidenden Frage des Familiennachzugs . Da drängen sich herzzerreißende Beispiele
auf, von denen wir hier hören . Sie wissen aber genauso
wie wir - auch das muss ich einmal sagen -, dass sich
Tausende und Abertausende von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auf dem Weg befinden, die letztlich
nur ein Ziel haben, nämlich die Familie auf rechtsstaatlichem Wege nachzuholen .
({10})
Wenn Sie den Familiennachzug nicht in der vorgesehenen Form begrenzen, evozieren Sie genau dieses Verhalten .
({11})
Genau das sollten wir nicht tun . Deshalb haben wir am
Ende gar keine Alternative, als den Familiennachzug zu
begrenzen .
In Bezug auf die Dublin-Verordnung sollte über Folgendes nachgedacht werden: Was meinen Sie, wie lange
das unsere europäischen Nachbarn noch mitmachen?
Wie lange werden sich Frankreich und die Beneluxstaaten das noch mit ansehen,
({12})
dass Tausende von Menschen durch Deutschland hindurchdiffundieren, weil wir selbst nicht mehr in der Lage
sind, der Dublin-Verordnung zu einem rechtsstaatlichen
Durchbruch zu verhelfen? Die bisher vereinbarten Ausnahmen können deshalb nicht auf Dauer zum Normalfall
werden .
Ich kann abschließend nur sagen: Herr Innenminister,
vielen herzlichen Dank für die deutlichen Worte, vielen
herzlichen Dank auch für den Durchhaltewillen und den
Mut, die Dinge, die notwendig sind, umzusetzen . Sie
wissen, dass die Fraktion hinter Ihnen steht;
({13})
denn Realitätsverdrängung bringt uns gerade im Augenblick mit Sicherheit nicht weiter .
Vielen herzlichen Dank .
({14})
Vielen Dank . - Als letzte Rednerin erhält jetzt Barbara
Woltmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .
({0})
Ja, Sie können sich schon darauf freuen .
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! „Menschen in Not helfen, Zuwanderung ordnen
und steuern, Integration sichern“ - das ist der Titel des
Positionspapiers von CDU/CSU vom 1 . November 2015,
in dem wir unsere zentralen Ziele benannt haben . Sie lauten erstens:
Zuwanderung ordnen und steuern sowie Fluchtursachen bekämpfen, um so die Zahl der Flüchtlinge
zu reduzieren,
({1})
- und zweitens Menschen in Not zu helfen und die Integration
Schutzbedürftiger zu sichern .
Hinsichtlich der Erreichung dieser dort formulierten Ziele sind wir uns mit der Bundeskanzlerin völlig einig .
({2})
Insofern kann ich die Angriffe der Opposition nur zurückweisen . Es ist eine Mär, dass wir gegen die Bundeskanzlerin arbeiten . Das ist ganz und gar nicht so .
({3})
Wir verfolgen gemeinsame Ziele, und diese haben wir in
der Form formuliert .
({4})
Im Grunde bin ich der Opposition dankbar, dass sie
dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt hat .
({5})
So können wir darüber sprechen . Das ist gut . Dabei kann
man auch versuchen, auszutarieren, wo es Gemeinsamkeiten gibt . Und es gibt auch Gemeinsamkeiten über alle
Fraktionen hinweg - ich habe genau zugehört -: Wir alle
verfolgen einen humanitären Ansatz . Wir wollen den
Menschen helfen, die wirklich in Not sind, die einen
Asylgrund haben oder die Flüchtlinge nach der Genfer
Flüchtlingskonvention sind und unsere Hilfe benötigen .
Dagegen ist hier keiner . Ich bin froh, dass wir in diesem
wesentlichen Punkt Einigkeit erzielt haben .
Wir dürfen aber andererseits nicht aus dem Blick verlieren, wie die Situation in unserem Lande mittlerweile
ist . Laut Prognose haben wir 800 000 Flüchtlinge in diesem Jahr,
({6})
möglicherweise werden es mehr werden . Wir wissen
auch nicht, wie sich die Situation im nächsten Jahr entwickeln wird .
({7})
Alle kommunalen Spitzenverbände haben sich dahin gehend geäußert - Sie haben doch auch alle Wahlkreise; Sie
wissen doch, was zu Hause bei Ihnen los ist -:
({8})
Wenn wir den Menschen, die kommen, Schutz gewähren
wollen, dann sollte er angemessen sein . Wir wollen sie
gut unterbringen, aber es kommen zu schnell zu viele . Das muss man einfach deutlich sagen .
({9})
Der Winter steht vor der Tür .
({10})
Die Bürgermeister wissen oft nicht mehr, wo sie die
Menschen unterbringen sollen; den Ländern, in denen
die Erstaufnahme erfolgt, geht es genauso . Ich komme
aus Niedersachsen . Dort hat das Land die Erstaufnahme mittels Amtshilfeverfahren auf die Kommunen abgeschoben . Vonseiten des Landes heißt es: Wir können
nicht mehr, wir wissen nicht mehr, wo wir die Menschen
unterbringen sollen, ihr Kommunen müsst es richten .
Gott sei Dank haben es, zumindest bei uns in Niedersachsen, die Kommunen bislang noch richten können .
Sie haben dafür sorgen können, dass die Menschen ein
Dach über dem Kopf haben .
({11})
Bei uns gibt es - das ist von anderen auch schon erwähnt
worden - sehr viel ehrenamtliches Engagement . Es ist
wahnsinnig toll, wie viele ehrenamtliche Helfer sich dieser Aufgabe widmen . Das ist nicht hoch genug anzuerkennen .
Als ich in den Notaufnahmeeinrichtungen gewesen
bin, bin ich aber auch mit den Mitarbeitern des Roten
Kreuzes oder der Malteser - oder wer auch immer da
hilft - ins Gespräch gekommen . Die sagen auch: Unsere
Leute, die das hier ehrenamtlich machen, sind allmählich
am Limit .
({12})
Denn die machen das neben ihrem Beruf . Wir haben Leute bei uns, die Nachtdienst in der Einrichtung machen
und tagsüber ihrem Beruf nachgehen . Das ist eine ganz
erhebliche Belastung .
({13})
Insofern müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir
die Dinge auch in Zukunft gut bewältigen können . Wir
sind ein reiches Land . Wir sind ein wohlhabendes Land .
Keiner von uns sagt ja, dass wir das in diesem Jahr nicht
schaffen können . Wir haben es ja auch geschafft . Aber
wie ist es in Zukunft? Wie ist es in den nächsten Jahren,
wenn sich die Zahlen so weiterentwickeln? Darüber müssen wir uns unterhalten. Da müssen wir Lösungen finden.
({14})
Ich bin froh, dass wir mit unserem ersten Gesetzespaket, das am 24 . Oktober in Kraft getreten ist, eine gute
Grundlage geschaffen haben . Ich bin auch der SPD dankbar, dass wir mit dem am 5 . November gefundenen Kompromiss ein weiteres Paket werden auf den Weg bringen
können .
Es gibt - auch das ist schon gesagt worden - nicht die
eine Lösung, es gibt nur ein ganzes Paket an Lösungen .
Die Probleme können auch nicht nur die Innenpolitiker
lösen, sondern diese müssen auch die Außenpolitiker lösen . Insofern ist es gut, wie Minister de Maizière sagt da ist er voll auf der Seite der Kanzlerin; ich darf das
vielleicht so zitieren, Herr Minister, weil Sie es uns gegenüber gesagt haben -, dass Altmaier die Dinge jetzt im
Kanzleramt koordiniert, weil verschiedene Ministerien
betroffen sind . Das ist eine gute Entscheidung .
Wir wissen auch, dass wir es nicht alleine werden lösen können . Da ist Europa gefragt, da ist die internationale Gemeinschaft gefragt . Der UNHCR muss endlich
mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden . Es
kann einfach nicht angehen, dass der UNHCR nur noch
14 Euro im Monat pro Flüchtling hat .
({15})
Frau Kollegin Woltmann .
Einen Satz noch . - Wir haben mit Herrn Weise, dem
neuen Präsidenten des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge, gesprochen . Wir haben ihn gefragt: Was
wird denn als Fluchtursache genannt? Uns wurde gesagt,
dass drei Gründe in den Asylverfahren von den Flüchtlingen genannt werden . Die Flüchtlinge nennen als einen
Grund die sichere Situation in Deutschland . Außerdem
geben sie an: Weil die wirtschaftliche Lage in Deutschland gut und stabil ist, glauben wir, dass wir dann auch
einen Arbeitsplatz finden. Und zum Dritten sagen sie:
Weil wir in den Lagern, in den Camps in den Anrainerstaaten nicht mehr genug zu essen haben . - Auch das war
einer der Gründe . Deswegen müssen wir da helfen .
Ich muss zum Schluss kommen . Man könnte jedoch
noch sehr viel mehr sagen .
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
({0})
Vielen Dank . - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir
sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 12 . November 2015,
9 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ich freue mich, wenn ich
Sie alle nachher beim Großen Zapfenstreich wiedersehe . - Vielen Dank .